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Bioprozesstechnik

Horst Chmiel
Ralf Takors
Dirk Weuster-Botz
Hrsg.

Bioprozesstechnik
4. Auflage
Herausgeber
Horst Chmiel Dirk Weuster-Botz
München Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik
Deutschland Technische Universität München
Garching
Ralf Takors Deutschland
Institut für Bioverfahrenstechnik
Universität Stuttgart
Stuttgart
Deutschland

Die Darstellung von manchen Formeln und Strukturelementen war in einigen elektronischen
Ausgaben nicht korrekt, dies ist nun korrigiert. Wir bitten damit verbundene Unannehmlich-
keiten zu entschuldigen und danken den Lesern für Hinweise.
ISBN 978-3-662-54041-1    ISBN 978-3-662-54042-8 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8

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V

Vorwort zur 4. Auflage „Bioprozesstechnik“

Die „Weiße Biotechnologie“ nutzt Mikroorganismen oder Enzyme für die industrielle Stoff-
produktion. Zu den Produkten gehören Spezial- und Feinchemikalien, Agrar- und Pharma-
vorprodukte, Lebensmittel, Hilfsstoffe für die verarbeitende Industrie, zunehmend aber auch
großvolumige Chemieprodukte und Treibstoffe. Für 2017 wird weltweit ein Umsatz in der
Größenordnung von 340 Milliarden € erwartet (Festel, Ind. Biotechnol., 2010). Die „Rote Bio-
technologie“ (Produktion pharmazeutischer Wirkstoffe beispielsweise mittels tierischer Zellkul-
turen) erreichte mit rund 140 Milliarden US$ globalen Umsatz in 2013 (Walsh, Nat. Biotechnol.,
2014) ebenfalls eine große wirtschaftliche Bedeutung. Beide Werte spiegeln die steten jähr-
lichen Wachstumsraten von etwa 8–10 % in den jeweiligen Segmenten wider. Getrieben wird
die Entwicklung durch die Megatrends einer ständig wachsenden Bevölkerung, die zudem in
den westlichen Ländern altert. Diesen stehen eine sich abzeichnenden Ressourcenknappheit
und der Klimawandel gegenüber. Im biopharmazeutischen Bereich beflügelt der auslaufende
Patentschutz einer Reihe von blockbustern zusätzlich die Entwicklung.

In der überarbeiteten und aktualisierten 4. Auflage wird allen genannten Gebieten entspre-
chend Raum gegeben. Durch die Auslagerung der ersten beiden Kapitel vorheriger Auflagen
(„Zellbiologie“ und „Biochemie“) als elektronische Beiträge (abrufbar unter http://www.springer.
com/de/book/9783540411), konnte in der vorliegenden Druckausgabe mehr Platz für die bio-
verfahrenstechnischen Kernthemen geschaffen werden. Diese Neujustierung wird auch in der
Zusammensetzung des Herausgeber-Teams sowie durch die Berücksichtigung neuer Autoren
deutlich. Nach wie vor profitiert das Buch ebenfalls von Kurzbeiträgen namhafter Wissen-
schaftlern aus Hochschule und Industrie, was dessen Aktualität erhöht.

In den ersten beiden Kapiteln sind die Grundlagen zur Kinetik enzymatischer und mikrobieller
Umsetzungen und des zellulären Wachstums zusammengestellt. Das nachfolgende 7 Kap. 3
verdeutlicht, wie derartige kinetische Modelle zur Modellierung von biotechnischen Stoff-
wandlungsprozessen integriert werden. Verglichen mit den vorherigen Bucheditionen, sind
diese drei ersten Kapitel vollkommen neu konzipiert und von einem neuen Autorenteam erstellt.

7 Kap. 4 beschäftigt sich ausführlich mit den Fließeigenschaften von Biosuspensionen auf den
Impuls-, Wärme- und Stoffaustausch.

Der Einfluss von Biosuspensionen auf Transportvorgänge im Bioreaktor behandelt 7 Kap. 5.


Dieses beginnt wegen der besonderen Bedeutung für die Maßstabsübertragung mit einer Ein-
führung in dimensionslose Kennzahlen.

Mit diesem Rüstzeug folgen in dem ebenfalls neu konzipierten und gegenüber der vorherigen
Ausgabe stark erweiterten 7 Kap. 6 die systematische Beschreibung der Eigenschaften der wich-
tigsten in der Biotechnologie eingesetzten Bioreaktoren (Rührkesselreaktoren, Blasensäulen-
reaktoren, Bioreaktoren mit Leistungseintrag über einen Kreislauf mit Pumpe einschließlich
Fotobioreaktoren und bewegte Bioreaktoren).

Die Bedeutung der Sterilisation für die Bioproduktion wird häufig unterschätzt (7 Kap. 7 „Ste-
rilisation und Sterildesign“).
VI Vorwort zur 4. Auflage „Bioprozesstechnik“

Das komplexe Mehrphasensystem in einem Bioprozess stellt höchste Anforderungen an die


Mess- und Regeltechnik (7 Kap. 8 „Bioprozessanalytik und -steuerung“).

Mehr als die Hälfte der Kosten eines Bioproduktes entfallen auf die Aufarbeitung. Den Einzel-
schritten Zellernte, Zellaufschluss, Produktisolation und Produktreinigung werden in 7 Kap. 9
deshalb besondere Beachtung geschenkt.

Die nachfolgenden 7 Kap. 10–12 stellen die technischen Anwendungen von Enzymen, mikrobi-
ellen Produzenten und Säugerzellen zur Produktion in den Vordergrund. Insbesondere 7 Kap. 10
und 11 wurden für diesen Zweck neu konzipiert und aktualisiert. Da neben der Produktion
auch die Entsorgung von Abfallströmen betrachtet werden sollte, enthält 7 Kap. 11 ebenfalls eine
Übersicht über die biologische Abwasserreinigung („Graue Biotechnologie“).

Das Buch schließt mit einem Beitrag zur „Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik“ in
7 Kap. 13. Darin wird die quantitative, ingenieurwissenschaftliche Sichtweise zur Optimierung
der zellulären Produzenten in Kooperation mit der Stammkonstruktion in den Mittelpunkt
gestellt.

Das Herausgeber-Team, bestehend aus dem Gründervater Horst Chmiel und den neuen Mit-
herausgebern Ralf Takors und Dirk Weuster-Botz, möchte sich herzlich bei allen Autoren be-
danken, die durch sorgfältige Überarbeitung oder Neuschreiben ihrer Kapitel oder Beiträge zur
Aktualität dieses Lehrbuches beigetragen haben. Unser ganz besonderer Dank gilt Frau Sabine
Bartels vom SpringerSpektrum-Verlag für Ihren unermüdlichen Einsatz.

Horst Chmiel
München

Ralf Takors
Stuttgart

Dirk Weuster-Botz
Garching
Februar 2018
VII

Herausgeber

Horst Chmiel
1963–1967 Studium des Maschinenbaus mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik
an der RWTH Aachen. 1967–1971 Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent
mit Promotion am Institut für Verfahrenstechnik der RWTH Aachen. 1971–
1975 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Institut für Biomedizini-
sche Technik an der RWTH Aachen; dort 1973 Habilitation. 1976–1992 Leiter
des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik Stutt-
gart. 1986–1992 Ordinarius für Bioprozesstechnik der Universität Stuttgart.
1992–2005 Inhaber des Lehrstuhls für Prozesstechnik der Universität des
Saarlandes und geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor der Gesell-
schaft für umweltkompatible Prozesstechnik mbH, Saarbrücken und von
2005–2016 Geschäftsführer der audita Unternehmensberatung GmbH in
München.

Ralf Takors
1987–1993 Studium des Maschinenbaus mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik
an der RWTH Aachen. 1993–1997 Doktorand am Institut für Biotechnologie
(IBT) der Forschungszentrum Jülich GmbH, Promotion an der RWTH Aachen.
Bis 2004 Leitung der Arbeitsgruppe ‚Fermentationstechnik‘ am IBT, Habili-
tation an der RWTH Aachen in 2004. Von 2004–2009 verantwortlich für den
Bereich Bioprozessentwicklung inkl. systems metabolic engineering bei Evonik
Degussa GmbH. Seit Juli 2009 Professor und Leiter des Instituts für Bioverfah-
renstechnik der Universität Stuttgart. Seit 2014 Vorsitz der Fachgruppe ‚Bio-
prozesstechnik‘ der DECHEMA e.V.

Dirk Weuster-Botz
1979–1986 Studium des Chemie-Ingenieurwesen an der Universität Karls-
ruhe. 1987–1991 Doktorand am Institut für Biotechnologie des Forschungs-
zentrums Jülich, Promotion an der Universität Karlsruhe. 1992–1999 Leitung
des Biotechnikums am Forschungszentrum Jülich, Habilitation an der RWTH
Aachen. Seit 2000 Universitätsprofessor und Ordinarius am Lehrstuhl für Bio-
verfahrenstechnik der TU München. Seit 2005 Herausgeber der Fachzeitschrift
Bioprocess and Biosystems Engineering. Seit 2012 Mitglied der Deutschen
Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Seit 2014 Direktor am TUM-
Forschungszentrum für Weiße Biotechnologie.
IX

Inhaltsverzeichnis

1 Enzymkinetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Kathrin Castiglione
1.1 Nomenklatur und Klassifizierung von Enzymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Reaktionsordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.3 Ligandenbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Kinetik von Einsubstratreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.5 Identifikation von kinetischen Parametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.6 Modulatoren enzymatischer Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.7 Enzymstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.8 Empirische, semi-mechanistische und mechanistische Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.9 Regulatorische Enzyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.10 Kinetik von Mehrsubstratreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2 Wachstumskinetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Dirk Weuster-Botz und Ralf Takors
2.1 Wachstumsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.2 Wachstumskurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.3 Nicht-strukturierte Wachstumsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.4 Wachstumskinetik von Mycelbildnern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.5 Weitere Einflussgrößen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

3 Prozessmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Ralf Takors und Dirk Weuster-Botz
3.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
3.2 Bilanzierung idealisierter homogen durchmischter Reaktoren (Rührreaktoren). . . . . . . . . 73
3.3 Besondere Betriebsweisen von homogen durchmischten Bioreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.4 Sauerstoffeintrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.5 Rohrreaktor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
3.6 Blasensäule und Airlift Reaktor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.7 Diffusion in Zell- und Enzymschichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
3.8 Nicht-Ideale Bioreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
3.9 Parameteridentifizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
3.10 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

4 Rheologie von Biosuspensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107


Horst Chmiel und Eckehard Walitza
4.1 Die parallele Schichtenströmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
4.3 Mathematische Modellierung der stationär ermittelten Fließkurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.4 Repräsentative Viskosität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
4.5 Das Rührer-Rheometer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
X Inhaltsverzeichnis

4.6 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer Fluide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119


4.7 Dehnströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

5 Transportvorgänge in Biosuspensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


Horst Chmiel und Eckehard Walitza
5.1 Maßstabsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
5.2 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
5.3 Stofftransport in Biosuspensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
5.4 Wärmeübergang im Bioreaktor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

6 Bioreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Horst Chmiel und Dirk Weuster-Botz
6.1 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über mechanisch bewegte Einbauten
(Rührkesselreaktoren). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
6.2 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über Gasexpansion (Blasensäulenreaktoren) . . . . . 175
6.3 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über Kreislauf mit Pumpe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
6.4 Bewegte Bioreaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6.5 Parallelbioreaktorsysteme für die Bioprozessentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.6 Spezielle Bioreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

7 Sterilisation und Sterildesign. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231


Jörg Hinrichs, Heinrich Buck und Gerhard Hauser
7.1 Thermische Stabilität von Mikroorganismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
7.2 Kinetik der thermisch induzierter Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
7.3 Vergleich und Optimierung des Behandlungseffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
7.4 Sicherheitsniveau für Sterilisationsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
7.5 Kontinuierliche Verfahren zur thermischen Mediumsterilisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
7.6 Sterilfiltration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
7.7 Funktion von Dampfsterilisatoren (Autoklaven) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
7.8 Sterilisierbare Bioreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
7.9 Sterildesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

8 Bioprozessanalytik und -steuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261


Bernd Hitzmann und Thomas Scheper
8.1 Charakteristische Parameter für das Bioprozessmonitoring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
8.2 Messtechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
8.3 Softwaresensoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
8.4 Automatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

9 Aufarbeitung (Downstream Processing). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299


Horst Chmiel
9.1 Zellernte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
XI
Inhaltsverzeichnis

9.2 Zellaufschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309


9.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
9.4 Trocknungsverfahren in der Bioprozesstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

10 Enzymatische Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403


Kathrin Castiglione und Dirk Weuster-Botz
10.1 Quervernetzte Enzymaggregate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
10.2 Trägerfixierte Enzyme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
10.3 Enzymeinschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
10.4 Ganze Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
10.5 Mehrphasensysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

11 Mikrobielle Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449


Christoph Syldatk, Rudolf Hausmann und Horst Chmiel
11.1 Mikrobielle Produktionsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
11.2 Mikrobielle Stoffproduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
11.3 Mikrobielle Abwasserreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

12 Kultivierung von Säugetierzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489


Ralph Kempken, Franz Walz und Michael Howaldt
12.1 Eigenschaften von Tierzellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
12.2 Zellcharakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
12.3 Die Umgebung von Zellen in Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
12.4 Zellkultivierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
12.5 Prozessführung bei Säugerzellkulturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
12.6 Prozessentwicklung und Scale-up . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
12.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

13 Systembiologie in der Bioverfahrenstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545


Ralf Takors
13.1 Einführung in die Systembiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
13.2 Aufgaben der Systembiologie für die Bioprozessentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
13.3 Metabolische Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
13.4 Zelluläre Regulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
13.5 Subpopulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
13.6 Scale-up. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
Indizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
Verzeichnis der Autoren

Verzeichnis der Kapitelautoren Jörg Hinrichs, Prof. Dr.-Ing. habil.


Universität Hohenheim
Institut für Lebensmittelwissenschaft und
Heinrich Buck, Dipl.-Ing. Biotechnologie
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG Garbenstraße 21
Birkendorfer Str. 65 70599 Stuttgart
88397 Biberach Deutschland
Deutschland e-mail: jh-lth@uni-hohenheim.de
e-mail: heinrich.buck@t-online.de
Bernd Hitzmann, Prof. Dr.
Kathrin Castiglione, Prof. Dr. Universität Hohenheim
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Lebensmittelwissenschaft und
Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik Biotechnologie, Fachgebiet Prozessanalytik und
Paul-Gordan-Straße 3 Getreidetechnologie
91052 Erlangen Garbenstraße 23
Deutschland 70599 Stuttgart
e-mail: kathrin.castiglione@fau.de Deutschland

Horst Chmiel, Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Howaldt, Dr.-Ing.


Haslangstraße 28 Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
80689 München Birkendorfer Str. 65
Deutschland 88397 Biberach
e-mail: auditaUB@aol.com Deutschland
e-mail: michael.howaldt@boehringer-ingelheim.com
Gerhard Hauser, Dr.-Ing.
Goethestraße 43 Ralph Kempken, Dr.
85386 Eching Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Deutschland Birkendorfer Str. 65
e-mail: gerhardwrhauser@yahoo.de 88397 Biberach
Deutschland
Rudolf Hausmann, Prof. Dr.-Ing. e-mail: ralph.kempken@boehringer-ingelheim.com
Universität Hohenheim
Fg. Bioverfahrenstechnik Thomas Scheper, Prof. Dr. rer. nat.
Fruwirthstr.12 Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover
70599 Stuttgart Institut für Technische Chemie
Deutschland Callinstraße 5
e-mail: jan.hansmann@igb.fraunhofer.de 30167 Hannover
Deutschland
e-mail: scheper@iftc.uni-hannover.de
XIII
Verzeichnis der Autoren

Christoph Syldatk, Prof. Dr. Bernd Bauer, Dr.


Karlsruher Institut für Technologie (KIT) FuMa-Tech Gesellschaft für funktionelle
Institut für Bio- und Lebensmitteltechnologie Membranen und Anlagetechnologie mbH
Kaiserstraße 12 Carl-Benz-Str. 4
76131 Karlsruhe 74321 Bietigheim-Bissingen
Deutschland Deutschland
e-mail: christoph.syldatk@kit.edu e-mail: bernd.bauer@fumatech.com

Ralf Takors, Prof. Dr.-Ing. Christoph Brandenbusch


Universität Stuttgart Technische Universität Dortmund
Institut für Bioverfahrenstechnik Departement of Biochemical and Chemical
Allmandring 31 Engineering
70569 Stuttgart Emil-Figge-Straße 70
Deutschland 44227 Dortmund
Deutschland
Eckehard Walitza, Dr.-Ing. e-mail: Christoph.Brandenbusch@bci.
Ludwigstraße 32 tu-dortmund.de
73430 Aalen
Deutschland André Braun, Dr.
e-mail: ewalitza@t-online.de Meisenweg 7
73773 Aichwald
Franz Walz, Dr. Deutschland
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG e-mail: sismondi@gmx.ch
Birkendorfer Str. 65
88397 Biberach Jochen Büchs, Prof. Dr.-Ing.
Deutschland RWTH Aachen
e-mail: franz.walz@boehringer-ingelheim.com Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik
Forckenbeckstraße 51
Dirk Weuster-Botz, Prof. Dr.-Ing. 52074 Aachen
Technische Universität München Deutschland
Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik e-mail: jochen.buechs@avt.rwth-aachen.de
Boltzmannstr. 15
85748 Garching Verena Charwat, Dr.
Deutschland Universität für Bodenkultur Wien BOKU
e-mail: d.weuster-botz@lrz.tum.de Departement für Biotechnologie,
Zellkulturtechnik und Tissue Engineering
Muthgasse 18
Verzeichnis der Beitragsautoren 1190 Wien
Österreich
e-mail: verena.charwat@boku.ac.at
Anne Baier, Dr.-Ing.
Technische Universität Berlin Michèle Delbé, Dr.
Königin-Luise-Straße 22 Corden BioChem GmbH
14195 Berlin Industriepark Hoechst Geb. D770 / R2.31
Deutschland Brüningstraße 50
e-mail: anne.k.baier@tu-berlin.de 65929 Frankfurt am Main
Deutschland
e-mail: Michele.Delbe@cordenbiochem.com
XIV Verzeichnis der Autoren

Martin Denecke, Prof. Dr. Christoph Kiziak


Universität Duisburg-Essen Lonza Ltd. Pharma and Biotech Research &
Fakultät Ingenieurwissenschaften Abt. Technology
Bauwissenschaften Siedlungswasserwirtschaft Rottenstraße 6
Universitätsstr. 15 3930 Visp
45141 Essen Schweiz
Deutschland e-mail: christoph.kiziak@lonza.com
e-mail: martin.denecke@uni-due.de
Dirk Kreyenschulte
Lothar Eggeling, Dr. RWTH Aachen
IBG-1, Biotechnologie Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik
Forschungszentrum Jülich Forckenbeckstraße 51
52428 Jülich 52074 Aachen
Deutschland Deutschland
e-mail: l.eggeling@fz-juelich.de e-mail: Dirk.Kreyenschulte@avt.rwth-aachen.de

Jan Hansmann, Dr.-Ing. Tobias Ladner, Dipl.-Ing.


Universitätsklinik Würzburg RWTH Aachen
Lehrstuhl Tissue Engineering und Regenerative Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik
Medizin Forckenbeckstraße 51
Röntgenring 11 52074 Aachen
97070 Würzburg Deutschland
Deutschland e-mail: tobias.ladner@avt.rwth-aachen.de
e-mail: jan.hansmann@igb.fraunhofer.de
Karl-Heinz Maurer, Dr.
Dariusch Hekmat, PD Dr.-Ing. Global Marketing Director
Technische Universität München AB Enzymes GmbH
Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik Feldbergstraße 78
Boltzmann-Str. 15 64293 Darmstadt
85748 Garching Deutschland
Deutschland e-mail: Karl-heinz.maurer@abenzymes.com
e-mail: Hekmat@lrz.tu-muenchen.de
Guido Melzer, Dr.-Ing.
Jens-Michael Hilmer, Dr. Betriebsleiter Biotech Operations Corden
Symrise AG BioChem GmbH
Mühlenfeldstraße 1 Industriepark Hoechst
37603 Holzminden 65929 Frankfurt am Main
Deutschland Deutschland
e-mail: jens-michael.hilmer@symrise.com e-mail: guido.melzer@cordenbiochem.com

Werner Himmelsbach Hans-Jörg Menger, Dr.


EKATO Forschung und Entwicklung Hauptstraße 40
Postfach 1110/20 68799 Reilingen
79641 Schopfheim Deutschland
Deutschland e-mail: menger@naturin.viscofan.com
e-mail: Werner.Himmelsbach@ekato.com
XV
Verzeichnis der Autoren

Marco Antonio Mirata, Dr. Ralf Takors, Prof. Dr.-Ing.


R&T Speciality Ingredients Universität Stuttgart
Lonza Ltd. Institut für Bioverfahrenstechnik
Rottenstraße 6 Allmandring 31
3930 Visp 70569 Stuttgart
Schweiz Deutschland
e-mail: marco.mirata@lonza.com e-mail: takors@ibvt.uni-stuttgart.de

Clemens Posten, Prof. Dr.-Ing. Moniec Van-Logchem


Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Evonik Nutrition & Care GmbH
Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik, Goldschmidtstraße 100
Bereich III Bioverfahrenstechnik 45127 Essen
Fritz-Haber-Weg 2 Deutschland
76131 Karlsruhe e-mail: moniec.van-logchem@evonik.com
Deutschland
e-mail: clemens.posten@kit.edu Franz Walz, Dr.
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Cornelia Rauh, Prof. Dr.-Ing. habil. Birkendorfer Str. 65
Technische Universität Berlin 88397 Biberach
Fakultät Prozesswissenschaften Deutschland
Königin-Luise-Str. 22 e-mail: franz.walz@boehringer-ingelheim.com
14195 Berlin
Deutschland Hans Henning Wenk, Dr.
e-mail: cornelia.rauh@tu-berlin.de Evonik Nutrition & Care GmbH
Goldschmidtstraße 100
Martin Schilling, Dr. 45127 Essen
Evonik Nutrition & Care GmbH Deutschland
Kirschenallee e-mail: henning.wenk@evonik.com
64293 Darmstadt
Deutschland Tim Zeiner, Dr.-Ing.
e-mail: martin.schilling@evonik.com Technische Universität Dortmund
Department of Biochemical and Chemical
Diego Schmidhalter, Dr. Engineering
Lonza Ltd. R&T Custom Manufacturing Emil-Figge-Straße 70
Pharma&Biotech 44227 Dortmund
Rottenstraße 6 Deutschland
3930 Visp e-mail: Tim.Zeiner@bci.tu-dortmund.de
Schweiz
e-mail: diego.schmidhalter@lonza.com

Leon Steuernagel
Universität Duisburg-Essen
Fakultät Ingenieurwissenschaften Abt.
Bauwissenschaften Siedlungswasserwirtschaft
Universitätsstr. 15
45141 Essen
Deutschland
e-mail: leon.steuernagel@uni-due.de
1 1

Enzymkinetik
Kathrin Castiglione

1.1 Nomenklatur und Klassifizierung von Enzymen – 3

1.2 Reaktionsordnungen – 4
1.2.1 Reaktionen erster Ordnung – 4
1.2.2 Reaktionen zweiter und höherer Ordnung – 4
1.2.3 Reaktionen nullter Ordnung – 5

1.3 Ligandenbindung – 5

1.4 Kinetik von Einsubstratreaktionen – 6


1.4.1 Die Michaelis-Menten-Gleichung – 6
1.4.2 Die kinetischen Parameter Km und kcat – 8
1.4.3 Reversible Einsubstratreaktionen – 10

1.5 Identifikation von kinetischen Parametern – 11


1.5.1 Messung von Anfangsreaktionsgeschwindigkeiten – 11
1.5.2 Verlaufskurvenanalyse – 16

1.6 Modulatoren enzymatischer Aktivität – 17


1.6.1 Temperatur – 17
1.6.2 pH und Puffersystem – 18
1.6.3 Inhibitoren – 19
1.6.4 Aktivatoren – 24

1.7 Enzymstabilität – 25

1.8 Empirische, semi-mechanistische und mechanistische


Modelle – 26

1.9 Regulatorische Enzyme – 27


1.9.1 Kooperativität und Allosterie – 28
1.9.2 Die Hill-Gleichung – 28

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_1
1.9.3 Das Symmetrie-Modell von Monod, Wyman und Changeoux – 29
1.9.4 Das Sequenz-Modell von Koshland, Némethy und Filmer – 31
1.9.5 Andere Regulationsmechanismen – 32

1.10 Kinetik von Mehrsubstratreaktionen – 33


1.10.1 Stöchiometrie – 33
1.10.2 Reihenfolge der Substratbindung – 33
1.10.3 Geschwindigkeitslimitierender Schritt – 34
1.10.4 Irreversible Reaktionen oder Inhibierungen – 34
1.10.5 Cleland-Diagramme – 34
1.10.6 Unterscheidung von Enzymmechanismen – 35
1.10.7 Herleitung von Geschwindigkeitsgleichungen – 38

Literatur – 43
Kapitel 1 · Enzymkinetik
3 1
Die Enzymkinetik beschäftigt sich mit der Unter- die jedes Enzym nach der jeweils katalysierten Reak-
suchung der Geschwindigkeit enzymkatalysier- tion eingeteilt wird, wie . Tab. 1.1 zeigt. Die zweite
ter Reaktionen. Durch die quantitative Analyse des Ziffer steht für die Unterklasse, die in der Regel Infor-
Effekts verschiedener chemischer und physikalischer mationen über an der Reaktion beteiligte Gruppen
Parameter, wie beispielsweise Substrat- und Produkt- oder Verbindungen enthält. Beispielsweise wird
konzentration oder Temperatur, auf die Umsetzungs- die Hauptklasse der Hydrolasen weiter unterteilt
geschwindigkeit, können wichtige Informationen in Enzyme, die Esterbindungen (EC 3.1), Glykosyl-
bezüglich des zugrundeliegenden Reaktionsmecha- bindungen (EC 3.2), Etherbindungen (EC 3.3) etc.
nismus und der physikalischen Eigenschaften des spalten. Die dritte Ziffer spezifiziert die Reaktion
biologischen Katalysators gewonnen werden. Die noch genauer: Während die Unter-Unterklasse EC
Geschwindigkeitsgleichungen, die aus den kineti- 3.1.1 Enzyme umfasst, die Carbonsäureester hydro-
schen Studien hervorgehen, können dazu verwen- lysieren, sind die Substrate der in EC 3.1.2 eingeteil-
det werden, optimale Betriebspunkte für einen Bio- ten Enzyme Thioester. Die letzte Ziffer wird fortlau-
prozess zu identifizieren. fend vergeben und identifiziert das jeweilige Enzym
in eindeutiger Weise.
Zusätzlich zur EC-Nummer bekommt jedes
1.1 Nomenklatur und Klassifizierung Enzym auch einen systematischen Namen, der
von Enzymen die katalytische Aktivität so genau wie möglich
beschreibt. Im Alltag haben sich die systemati-
In den Anfängen der Enzymologie war die Namens- schen Namen jedoch nicht durchgesetzt, da sie
gebung von Enzymen unsystematisch. In vielen zum Teil sehr lang und kompliziert sind. Der sys-
Fällen hat ein Enzym mehrere Namen zugewie- tematische Name der Riboflavinsynthase (EC
sen bekommen, während im Gegenzug auch der 2.5.1.9) ist beispielsweise 6,7-Dimethyl-8-(1-D-ri-
gleiche Name für unterschiedliche Enzyme ver- bityl)lumazin:6,7-dimethyl-8-(1-D-ribityl)luma-
wendet wurde. Häufig wurden auch Trivialnamen zin-2,3-butandiyltransferase. Daher wird neben dem
wie Trypsin oder Lysozym vergeben, die zum einen systematischen Namen zusätzlich ein empfohlener
nicht erkennen lassen, dass es sich bei der Substanz Name vergeben, der einfach leserlich sein soll wie
überhaupt um ein Enzym handelt und zum anderen „Alkoholdehydrogenase“, aber auch ein gebräuchli-
keinen Rückschluss auf die katalysierte Reaktion cher Trivialname sein kann wie „Pepsin“. Zur eindeu-
erlauben. In anderen, systematischeren Ansätzen tigen Identifizierung eines Enzyms sollte daher stets
wurde das Suffix „ase“ an den Substratnamen ange- die EC-Nummer in Kombination mit dem empfoh-
hängt oder an einen Terminus, der die Enzymakti- lenen Namen verwendet werden [9, 28].
vität beschreibt. So spaltet beispielsweise das Enzym Da die EC-Nummern genau genommen nicht
Urease Harnstoff, während DNS-Ligasen DNS- Enzyme, sondern enzymatische Reaktionen kate-
Stränge verknüpfen [33]. gorisieren, kann es mitunter vorkommen, dass
Die rapide zunehmende Zahl an entdeckten einem Protein mehr als nur eine EC-Nummer
Enzymen machte die Entwicklung einer einheitli- zugewiesen wird. Diese Enzyme, die häufig sehr
chen Namensgebung unumgänglich. Daher richtete unterschiedliche chemische Reaktionen kataly-
die Internationale Union für Biochemie ein Komitee sieren können, werden als promiskuitiv bezeich-
ein, die sogenannte Enzyme Commission (EC), das net. Bislang wurde diese Eigenschaft bei ungefähr
mit der Standardisierung der Nomenklatur und Klas- zwei Prozent der bekannten Enzyme nachgewiesen
sifizierung von Enzymen betraut wurde und im Jahr [3]. Darüber hinaus sind nicht alle Enzyme Pro-
1961 die Grundlagen für das heute gültige System teine. Es gibt auch katalytisch aktive Ribonuklein-
veröffentliche [16]. Hierbei bekommt jede enzymati- säure (RNS)-Moleküle, die als Ribozyme bezeich-
sche Reaktion eine eindeutige vierstellige Codenum- net werden und ebenfalls EC-Nummern tragen. Ein
mer zugewiesen, die sogenannte EC-Nummer. Die Beispiel hierfür ist die RNS-spaltende Ribonuklease
erste Ziffer steht für eine der sechs Hauptklassen, in P (EC 3.1.26.5).
4 K. Castiglione

1 . Tab. 1.1  Klassifizierung von Enzymen [16]

EC-Nummer Hauptklasse Katalysierte Reaktion

EC 1 Oxidoreduktasen Redoxreaktionen
AH2 + B ⇌ A + BH2 oder AH2 + B+ ⇌ A + BH + H+
EC 2 Transferasen Transfer einer spezifischen Gruppe, wie beispielsweise Methyl, Acyl oder
Phosphat, von einer Verbindung auf eine andere
AX + B ⇌ A + BX
EC 3 Hydrolasen Hydrolytische Spaltung von Bindungen
A–B + H2O ⇌ AH + BOH
EC 4 Lyasen Nichthydrolytische Spaltung von Bindungen
A–B ⇌ A + B
EC 5 Isomerasen Geometrische oder strukturelle Neuordnungen innerhalb eines Moleküls
A ⇌ A′
EC 6 Ligasen Schaffung einer kovalenten Bindung gekoppelt an die Hydrolyse eines
Nukleosidtriphosphats (NTP)
A + B + NTP ⇌ A–B + NMP + PP oder
A + B + NTP ⇌ A–B + NDP + P

1.2 Reaktionsordnungen Die Geschwindigkeit v ist direkt proportional zu


der Konzentration des Stoffes A und man spricht
Die Reaktionsordnung charakterisiert die Abhän- von einer Reaktion erster Ordnung. Der Propor-
gigkeit der Geschwindigkeit einer (bio)chemischen tionalitätsfaktor k wird als Geschwindigkeitskons-
Reaktion von den Konzentrationen der Reaktions- tante bezeichnet, deren Dimension abhängig von der
teilnehmer. Die Ordnung einer Reaktion entspricht Reaktionsordnung n ist:
der Summe der Potenzen, mit denen die Konzent-
rationen der Reaktionsteilnehmer in das Geschwin- 1
dim k = n −1
 Gl. 1.3
digkeitsgesetz eingehen. Sehr vielen Reaktionen
kann man eine Ordnung von Null, Eins oder Zwei
( −1
molL ) ⋅s

zuweisen, jedoch können Reaktionsordnungen auch


gebrochen sein. Aus Gl. 1.3 folgt, dass Geschwindigkeitskonstanten
von Reaktionen erster Ordnung die Einheit s–1 tragen.

1.2.1 Reaktionen erster Ordnung


1.2.2 Reaktionen zweiter und höherer
Betrachtet man die einfache Reaktion eines radioak- Ordnung
tiven Zerfalls, bei dem ein Stoff A zum Stoff P umge-
wandelt wird, Bilden die beiden Edukte A und B in einer Reaktion
k das Produkt P,
A→P  Gl. 1.1
k
A + B→ P  Gl. 1.4
ist die Reaktionsgeschwindigkeit durch folgendes
Geschwindigkeitsgesetz gegeben:
so erhöht sich die Reaktionsgeschwindigkeit, wenn
dcA dcP
v =− = = k ⋅ cA  Gl. 1.2 die Konzentrationen von A und B erhöht werden. Für
dt dt die Reaktionsgeschwindigkeit folgt daraus:
Kapitel 1 · Enzymkinetik
5 1

dcA dc dc 1.3 Ligandenbindung


v =− = − B = P = k ⋅ cA ⋅ cB  Gl. 1.5
dt dt dt
Die Bindung zwischen Enzym und Substrat ist der
Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt somit von den erste Schritt jeder enzymatischen Reaktion. Allge-
Konzentrationen der Reaktanten A und B ab und meiner formuliert bindet dabei ein Ligand L an ein
es liegt eine Reaktion zweiter Ordnung vor. Wenn Protein Pr und bildet den Protein-Ligandenkom-
einer der Reaktanten jedoch in einem sehr hohen plex PrL:
Überschuss vorhanden ist, sodass seine Konzentra-
k1
tionsänderung über die Zeit der Reaktion vernach- →
Pr + L ← PrL  Gl. 1.10
lässigbar ist, folgt die Reaktionsgeschwindigkeit den k−1

mathematischen Gesetzmäßigkeiten einer Reaktion


erster Ordnung. In diesem Fall spricht man von einer In der Gleichgewichtssituation ist die Geschwindig-
Reaktion pseudo-erster Ordnung. keit der Bildung des Protein-Ligandenkomplexes PrL
Eine Reaktion zweiter Ordnung liegt ebenfalls identisch mit der Geschwindigkeit seines Zerfalls:
vor, wenn zwei Moleküle A zu einem Molekül P
reagieren: dcPrL dc
= − PrL  Gl. 1.11
dt dt
k
A + A→ P  Gl. 1.6
Nach dem Massenwirkungsgesetz können die
Geschwindigkeiten als Funktion der Konzentration
Bei dieser Reaktion geht die Konzentration des der Reaktanten wie folgt formuliert werden:
Stoffes A in ihrer zweiten Potenz in das Geschwin-
digkeitsgesetz ein: k1 ⋅ cPr ⋅ cL = k−1 ⋅ cPrL  Gl. 1.12

1 dcA dcP Das Verhältnis der beiden Geschwindigkeitskons-


v= − = = k ⋅ cA2  Gl. 1.7 tanten für die Bildung (k1) und den Zerfall von PrL
2 dt dt
(k–1) kann zu einer neuen Konstante zusammenge-
Die Geschwindigkeitskonstanten von Reaktionen fasst werden, die als Bindungskonstante oder auch
zweiter Ordnung haben die Einheit L mol–1 s–1. Assoziationskonstante Ka bezeichnet wird:

k1 c
1.2.3 Reaktionen nullter Ordnung Ka = = PrL  Gl. 1.13
k−1 cPr ⋅ cL

Eine Reaktion nullter Ordnung liegt vor, wenn die Der Begriff der Affinität wird in biochemischen
Reaktionsgeschwindigkeit unabhängig von der Kon- Reaktionen benutzt, um die Bindungsstärke zwi-
zentration der Reaktanten ist. Hierbei ist die Reak- schen einem Protein und seinem Liganden zu cha-
tionsgeschwindigkeit v konstant und die Produkt- rakterisieren. Je höher die Affinität eines Proteins zu
konzentration nimmt linear über die Zeit zu: seinem Liganden ist, desto größer ist die Assozia-
tionskonstante Ka. Gängiger als die Assoziationskon-
k stante Ka ist jedoch der Gebrauch ihres Kehrwertes,
A→ P Gl. 1.8 der Dissoziationskonstante Kd:

dcA dcP k−1 cPr ⋅ cL


v= − = =k  Gl. 1.9 K d = K a−1 = =  Gl. 1.14
dt dt k1 cPrL

Hierbei gilt, dass die Affinität eines Proteins zu


Die Dimension der Geschwindigkeitskonstante k ist seinem Liganden umso höher ist, je niedriger die
in diesem Fall mol L–1 s–1. Dissoziationskonstante Kd ist.
6 K. Castiglione

1.4 Kinetik von . Abb. 1.1 zeigt beispielhaft den zeitlichen Verlauf
1 Einsubstratreaktionen der Reaktantenkonzentrationen bei einer enzyma-
tisch katalysierten Reaktion. In der Anfangsphase,
1.4.1 Die Michaelis-Menten-Gleichung die auch als pre-steady state-Phase bezeichnet wird,
nehmen die Konzentrationen des Substrats und des
freien Enzyms leicht ab, da sich der Enzym-Substrat-
Im einfachsten Fall handelt es sich bei einer Komplex ES bildet. Diese Phase ist sehr kurz, typi-
enzymkatalysierten Reaktion um eine irreversible scherweise im Bereich von Millisekunden bis Sekun-
Ein-Substrat-Ein-Produkt-Reaktion: den, sodass oft spezielle Messmethoden nötig sind,
um die Veränderungen experimentell zu erfassen.
k1 k2
→ Anschließend beginnt der Bereich der steady state-
E +S← ES→ E + P  Gl. 1.15
k−1 Phase, in der sich der ES-Komplex im Fließgleich-
gewicht befindet und sich seine Konzentration nicht
Das Enzym (E) reagiert mit dem Substrat (S) unter ändert, während die Substratkonzentration linear
Bildung eines Enzym-Substrat-Komplexes (ES), der ab- und die Produktkonzentration in gleicher Weise
in freies Enzym und unverändertes Substrat dissozi- zunimmt. In der dritten Phase ist die Substratkonzen-
ieren kann oder in freies Enzym und Produkt (P). Die tration so weit gesunken, dass die Konzentration des
Konstanten ki sind die Geschwindigkeitskonstanten ES-Komplexes abnimmt und die Reaktion verlang-
der Teilreaktionen, die in Abhängigkeit der Reaktions- samt sich. Die Anfangsreaktionsgeschwindigkeit ent-
richtung einen positiven oder negativen Index tragen. spricht der Geschwindigkeit in der steady state-Phase.
G.E. Briggs und J.B.S. Haldane entwickelten im Die relative Dauer der einzelnen Phasen ist von den
Jahre 1925 ein kinetisches Modell zur Beschreibung Relationen der Geschwindigkeitskonstanten abhän-
dieses Reaktionsmechanismus, das auf folgenden gig. Darüber hinaus ist der lineare Bereich umso
grundlegenden Annahmen basiert [2]: länger, je besser die Bedingung cS ≫ cE0 erfüllt ist.
55 Jeweils ein Enzym- und ein Substratmolekül Die Reaktionsgeschwindigkeit in der steady
bilden einen aktivierten Enzym-Substrat- state -Phase entspricht der Geschwindigkeit der Pro-
Komplex (ES). duktzunahme und ist proportional zur Konzentra-
55 Der aktivierte ES-Komplex befindet sich im tion des Enzym-Substrat-Komplexes ES:
Fließgleichgewicht der Gesamtreaktion, d. h.
seine Konzentration ist konstant: dcP
v= = k2 ⋅ cES  Gl. 1.17
dt
dcES
= 0 Gl. 1.16
dt Da die Konzentration von ES jedoch messtechnisch
sehr schwer zugänglich ist, muss ein alternativer
55 Diese Annahme wird auch als Fließgleichge- Ausdruck dafür gefunden werden. Betrachtet man
wichts- oder steady state-Annahme bezeichnet. zunächst die gesamte Enzymkonzentration cE0, so
55 Die Reaktion verläuft weit entfernt vom entspricht sie der Summe der Konzentrationen an
thermodynamischen Gleichgewicht, sodass freiem Enzym E und substratgebundenem Enzym ES:
eine mögliche Rückreaktion im letzten
Reaktionsschritt vernachlässigbar ist. Dies cE 0 = cE + cES  Gl. 1.18
ist bei der Messung von Anfangsreaktions-
geschwindigkeiten der Fall, da die Produktkon- Mit Hilfe dieses Zusammenhangs kann man nun die
zentration in der Anfangsphase der Reaktion Geschwindigkeiten für die Bildung und den Zerfall
vernachlässigt werden kann ( cP ≅ 0 ). wie folgt ausdrücken:
55 Die Substratkonzentration cS ist viel höher als
die Gesamtkonzentration des in katalytischen vES−Bildung = k1 ⋅ (cE 0 − cES ) ⋅ cS  Gl. 1.19
Mengen eingesetzten Enzyms cE0, sodass
die Menge an enzymgebundenem Substrat
vernachlässigbar ist. vES−Zerfall = k−1 ⋅ cES + k2 ⋅ cES  Gl. 1.20
Kapitel 1 · Enzymkinetik
7 1

  
 
Y GFSGW
 

F(F(6P0
F6F3P0

 

 

 

 
     
WV

. Abb. 1.1  Zeitliche Änderung der Reaktantenkonzentrationen einer enzymkatalysierten Reaktion. 1 pre-steady state-
Phase, 2 steady state-Phase, 3 post-steady state-Phase. Rot: cE, Schwarz: cES, Rot gestrichelt: cP, Schwarz gestrichelt: cS. Die
Reaktionsgeschwindigkeit in der steady state-Phase entspricht der Steigung der gepunkteten Gerade

Berücksichtigt man nun die oben getroffene Dadurch vereinfacht sich Gl. 1.23 zu:
Annahme, dass sich der ES-Komplex im Fließgleich-
gewicht der Gesamtreaktion befindet und seine Kon- cE 0 . cS
zentration konstant ist, muss die Geschwindigkeit cES =  Gl. 1.25
der ES-Bildung gleich der Geschwindigkeit des ES- cS + K m
Zerfalls sein:
Setzt man nun Gl. 1.25 in Gleichung Gl. 1.17 ein, erhält
vES−Bildung =vES−Zerfall  Gl. 1.21 man:

k2 ⋅ cE 0 ⋅ cS
v=  Gl. 1.26
k1.(cE 0 − cES )⋅ cS = k−1 ⋅ cES + k2 ⋅ cES  Gl. 1.22 cS + K m

Da die maximale Reaktionsgeschwindigkeit v max


Löst man Gl. 1.22 nach cES auf und fasst die Geschwin- erreicht ist, wenn alle Enzyme mit Substrat gesättigt
digkeitskonstanten zusammen, erhält man: sind und demnach die Konzentration des Enzym-
Substrat-Komplexes cES gleich der gesamten Enzym-
konzentration cE0 ist, gilt:
cE 0 ⋅ cS
cES =  Gl. 1.23
 k + k 

cS +  − 1 2 
 k  vmax = k2 ⋅ cE 0  Gl. 1.27
1 

Die Geschwindigkeitskonstanten lassen sich durch Mit diesem Zusammenhang vereinfacht sich Gl. 1.26
die Michaeliskonstante Km ersetzen, die wie folgt noch weiter zu:
definiert ist:
vmax ⋅ cS
k−1 + k2 v=  Gl. 1.28
Km =  Gl. 1.24 cS + K m
k1
8 K. Castiglione

Diese von Briggs und Haldane entwickelte Bezie-


1 hung wird auch als Michaelis-Menten-Gleichung Y YPD[

bezeichnet. Leonor Michaelis und Maud Menten


haben sich 1913 ebenfalls mit der kinetischen
Beschreibung von Enzymreaktionen beschäftigt YPD[
[22]. Die beiden Wissenschaftler trafen bei der Her- 

leitung der Gleichung jedoch nicht die Annahme,


dass sich der ES-Komplex im Fließgleichgewicht der
Gesamtreaktion befindet (steady state-Annahme). 
Michaelis und Menten gingen davon aus, dass die F6 .P F6

Umsetzung des Enzym-Substrat-Komplexes zu
freiem Enzym und Produkt (k2) der geschwindig-
. Abb. 1.2  Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer
keitsbestimmende Schritt der Gesamtreaktion ist.
enzymkatalysierten Reaktion von der Substratkonzentration
Die Geschwindigkeit der Gleichgewichtseinstel- nach Gl. 1.28
lung zwischen freiem Enzym, Substrat und Enzym-
Substrat-Komplex ist vergleichsweise schnell und die
zugehörigen Geschwindigkeitskonstanten k1 und Maximalgeschwindigkeit vmax, was sich durch
k–1 sind wesentlich größer als k2. Durch diese soge- Einsetzen der Substratkonzentration cS = Km in
nannte rapid equilibrium-Annahme vereinfacht sich Gl. 1.28 überprüfen lässt:
die Michaeliskonstante zu:
vmax ⋅K m 1
v= = vmax  Gl. 1.31
k Km + Km 2
K m = −1  Gl. 1.29
k1
55 cS > 100 Km: Bei sehr hohen Substratkonzent-
Die Form der Geschwindigkeitsgleichung Gl. 1.28 rationen ist die Michaeliskonstante im Nenner
ist unabhängig davon, ob man von der steady state- von Gl. 1.28 vernachlässigbar und die Gleichung
Annahme (Briggs-Haldane-Gleichung) oder der vereinfacht sich zu v = vmax. Unter diesen
rapid equilibrium-Annahme (Michaelis-Menten- Bedingungen ist die Reaktionsgeschwindigkeit
Gleichung) ausgeht. unabhängig von der Substratkonzentration
In . Abb. 1.2 ist die Abhängigkeit der Geschwin- und es liegt eine Reaktion nullter Ordnung vor.
digkeit der enzymatischen Reaktion von der Subst- Eine Erhöhung der Substratkonzentration hat
ratkonzentration gezeigt. Der typische hyperbolische in diesem Bereich keine Geschwindigkeitsstei-
Verlauf der Kurve, die sich asymptotisch an vmax annä- gerung zur Folge, da alle aktiven Zentren der
hert, ergibt sich aus folgenden Gesetzmäßigkeiten: Enzyme besetzt sind.
55 cS ≤ 0,01 Km: Bei sehr niedrigen Substratkon-
zentrationen ist die Substratkonzentration im
Nenner von Gl. 1.28 vernachlässigbar und die 1.4.2 Die kinetischen Parameter Km
Formel vereinfach sich zu: und kcat

vmax ⋅cS Für jedes Enzym, dessen Kinetik sich mit der Michae-
v=  Gl. 1.30
Km lis-Menten-Gleichung Gl. 1.28 beschreiben lässt, gilt
die Beziehung, dass die halbmaximale Reaktions-
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist in diesem geschwindigkeit des Enzyms erreicht ist, wenn die
Bereich linear abhängig von der Substrat- Substratkonzentration gleich der Michaeliskonstante
konzentration und es liegt eine Reaktion erster Km ist. Aus diesem Grund wird die Michaeliskons-
Ordnung vor. tante auch als Halbsättigungskonstante bezeichnet.
55 cS = Km: Wenn die Substratkonzentration Die tatsächliche Bedeutung der Michaeliskonstante
gleich der Michaeliskonstante ist, entspricht Km ist jedoch von Enzym zu Enzym unterschiedlich,
die Reaktionsgeschwindigkeit der halben da hier der genaue Reaktionsmechanismus sowie die
Kapitel 1 · Enzymkinetik
9 1
relative Geschwindigkeit der einzelnen Reaktions- Einheit jedoch unzweckmäßig klein sind (1 U =
schritte zu berücksichtigen sind. 16,7 nkat), hat sich Katal gegenüber der Einheit Unit
Gelegentlich wird die Michaeliskonstante Km bislang nicht durchgesetzt. Bei der Berechnung der
benutzt, um die Affinität eines Enzyms zu einem spezifischen Aktivität von Enzymen mit mehreren
Substrat zu charakterisieren. In diesem Fall wird die Untereinheiten muss beachtet werden, dass sich die
Michaeliskonstante mit der Dissoziationskonstante Wechselzahl auf ein aktives Zentrum bezieht. Daher
Kd (7 Abschn. 1.3) des Enzym-Substrat-Komple- muss bei der Umrechnung von kcat in die spezifi-
xes gleichgesetzt. Dies ist jedoch nur dann korrekt, sche Aktivität im Falle eines oligomeren Enzyms die
wenn die rapid equilibrium-Annahme zutrifft und molekulare Masse des Monomers verwendet werden.
die Geschwindigkeitskonstante k2 viel kleiner ist als Die molekulare Masse von Enzymen wird häufig in
k1 und k–1. In diesem Fall gilt: der Einheit Dalton (Da) angegeben, wobei der Zah-
lenwert zur Angabe in g mol–1 identisch ist.
k−1 cS ⋅ cE Das Verhältnis von kcat zu Km wird als katalytische
Km = = = Kd  Gl. 1.32
k1 cES Effizienz bezeichnet und wird häufig dazu verwen-
det, Enzyme zu vergleichen, welche die gleiche Reak-
Dieser Zusammenhang gilt jedoch nicht für jedes tion katalysieren, oder Aussagen darüber zu treffen,
Enzym. Wenn k2 wesentlich größer ist als k–1, entspricht welches Substrat von einem Enzym besser umge-
Km dem Verhältnis von k2 zu k1. Sind alle drei Werte in setzt wird. Gerade beim Vergleich von verschiedenen
der gleichen Größenordnung, ist Km eine Funktion aller Enzymen muss jedoch auch die Substratkonzentration
drei Geschwindigkeitskonstanten nach Gl. 1.24. berücksichtigt werden, bei der eine enzymatische Reak-
Neben der Michaeliskonstante ist die Wechsel- tion ablaufen soll. Nicht immer ist das Enzym mit der
zahl kcat (engl. turnover number) ein weiterer wich- höheren katalytischen Effizienz auch der bessere Kata-
tiger kinetischer Parameter. Sie gibt an, wie viele lysator unter einer vorgegebenen Bedingung. Trägt man
Substratmoleküle von einem aktiven Zentrum eines die Reaktionsgeschwindigkeiten von zwei Enzymen A
Enzyms pro Sekunde umgesetzt werden, wenn das und B in Abhängigkeit der Substratkonzentration in
Enzym mit Substrat gesättigt ist. Lässt sich eine enzy- ein gemeinsames Diagramm ein, so gibt es je nach Ver-
matische Reaktion mit Hilfe der Michaelis-Menten- hältnis der kinetischen Parameter einen Schnittpunkt
Kinetik beschreiben, entspricht kcat der Geschwin- der beiden hyperbolischen Kurven (. Abb. 1.3a) oder
digkeitskonstante k2 und es gilt: die Kurven schneiden sich nicht (. Abb. 1.3b). Einen
Schnittpunkt gibt es immer dann, wenn die Bedingung
vmax = kcat ⋅ cE 0  Gl. 1.33
B
kcat
K mB > ⋅ K mA  Gl. 1.35
Die Wechselzahl ist somit eine Geschwindigkeitskons- A
kcat
tante erster Ordnung und hat die Einheit s–1. Ist neben
der Wechselzahl auch die molekulare Masse eines erfüllt ist. Der Schnittpunkt entspricht einer kriti-
Enzyms (ME) bekannt, kann die spezifische Aktivi- schen Substratkonzentration c S,kritisch, bei der die
tät eines Enzyms berechnet werden (Gl. 1.34). Sie wird Geschwindigkeiten beider Enzyme bei gleicher
üblicherweise in der Einheit Units (U) pro Milligramm Enzymkonzentration identisch sind:
Enzym angegeben. Eine Unit ist dabei definiert als
A
diejenige Enzymmenge, die unter den angegebenen kcat ⋅ K mB − kcat
B
⋅ K mA
cS,kritisch = B A
 Gl. 1.36
Bedingungen 1 µmol Substrat pro Minute umsetzt. kcat − kcat

( )
kcat s−1 ⋅ 60.000 Unabhängig von der katalytischen Effizienz der
(
vmax U mg−1 = ) M E (g mol−1 )
 Gl. 1.34 beiden Enzyme A und B zeigt ober- und unterhalb
von cS,kritisch jeweils ein anderes Enzym eine höhere
Reaktionsgeschwindigkeit. Ist Gl. 1.35 nicht erfüllt, ist
Die eigentliche SI-Einheit der Enzymaktivität ist stets das Enzym mit der höheren katalytischen Effi-
Katal (1 kat = 1 mol s–1). Da die Zahlenwerte typi- zienz unabhängig von der vorliegenden Substratkon-
scher Enzymaktivitäten bei Verwendung dieser zentration der bessere Katalysator [11].
10 K. Castiglione

Die Reaktionsgeschwindigkeit, d. h. die Veränderung


1 D  der Produktkonzentration über die Zeit, lässt sich
bei einer reversiblen Reaktion wie folgt formulieren:

YP06

dcP
v= = k2 ⋅ cES − k−2 ⋅ cE ⋅ cP  Gl. 1.38
 dt

 Analog zur Herleitung der Michaelis-Menten-Glei-


chung (7 Abschn. 1.4.1) gelten im Fließgleichgewicht
 folgende Zusammenhänge:
     
FVP0 dcES
FVNULWLVFK = 0 Gl. 1.39
dt

E
 cE 0 = cE + cES Gl. 1.40

 vES−Bildung = k1 ⋅ cE ⋅ cS + k−2 ⋅ cE ⋅ cP  Gl. 1.41


YP06

 vES−Zerfall = k−1 ⋅ cES + k2 ⋅ cES  Gl. 1.42


k1 ⋅ cE ⋅ cS + k−2 ⋅ cE ⋅ cP = k−1 ⋅ cES + k2 ⋅ cES  Gl. 1.43

      k1 ⋅ cS + k−2 ⋅ cP
cES = ⋅ cE  Gl. 1.44
FVP0 k−1 + k2

Teilt man die Geschwindigkeitsgleichung Gl. 1.38


. Abb. 1.3  Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit
durch Gl. 1.40
von der Substratkonzentration für zwei verschiedene Enzyme
A und B mit unterschiedlichen katalytischen Effizienzen.
In beiden Fällen hat Enzym A eine vierfach höhere v k ⋅ c − k−2 ⋅ cE ⋅ cP
= 2 ES  Gl. 1.45
A = 5 s–1, A
katalytische Effizienz als Enzym B. a) rot: kcat
cE 0 cE + cES
Km
= 0,25 mM, kcat B = 10 s–1,
A
/ K mA = 20 s−1 mM−1 , schwarz: kcat und substituiert cES durch den Ausdruck in Gl. 1.44
B = 2 mM, B B = 5 s−1mM−1; b) rot: k A = 10 s–1, K A
Km kcat / K m cat m erhält man:
A / K A = 5 s−1mM−1 , schwarz: k B = 5 s–1, K B
= 2 mM, kcat m cat m

B / K B = 1, 25 s−1mM−1
= 4 mM, kcat k1 ⋅ k2 ⋅ cS ⋅ cE 0 k−1 ⋅ k−2 ⋅ cP ⋅ cE 0
m −
k−1 + k2 k−1 + k2
v=  Gl. 1.46
1.4.3 Reversible k1 ⋅ cS k−2 ⋅ cP
1+ +
Einsubstratreaktionen k−1 + k2 k−1 + k2

Die klassische Michaelis-Menten-Gleichung Gl. 1.28 Da die Geschwindigkeitskonstanten der Teilreaktio-


beschreibt den Verlauf von irreversiblen Ein-Subs- nen ki nur schwer direkt bestimmbar sind, werden
trat-Ein-Produkt-Reaktionen. In vielen Fällen ist sie durch einfach experimentell zugängliche kineti-
jedoch die Rückreaktion nicht vernachlässigbar: sche Konstanten ersetzt. Die Michaeliskonstanten für
Substrat und Produkt, KmS und KmP , sowie die maxi-
k1 k2
→ malen Geschwindigkeiten der Hin- und Rückreak-
E +S← ES →
← E+P  Gl. 1.37
k−1 k−2 tion, vmax,f und vmax,r , sind dabei wie folgt definiert:
Kapitel 1 · Enzymkinetik
11 1

k−1 + k2 k + k2
K mS = ; K mP = −1 ;vmax ,f = k2 ⋅ cE 0 ;vmax , r = k−1 ⋅ cE 0  Gl. 1.47
k1 k−2

Hierdurch kommt man zur allgemeinen Gleichung Diese Beziehung zwischen der thermodynamischen
für reversible Ein-Substrat-Ein-Produkt-Reaktionen: Gleichgewichtskonstante einer Reaktion und den
kinetischen Parametern wird als Haldane-Beziehung
cS c bezeichnet. Sie verdeutlicht, dass die maximalen
vmax ,f ⋅ −vmax ,r ⋅ P
K mS K mP Reaktionsgeschwindigkeiten und die Michaeliskon-
v=  Gl. 1.48
c c stanten von Substrat und Produkt nicht unabhängig
1+ S + P
K mS K mP voneinander sind. Ändert man beispielsweise durch
Mutagenese das Bindeverhalten zwischen Substrat
Unter Anfangsreaktionsbedingungen, wenn je nach und Enzym und demnach die Michaeliskonstante
betrachteter Reaktionsrichtung die Substrat- oder KmS, nimmt zwangsläufig mindestens ein anderer
die Produktkonzentration gleich Null ist, vereinfacht kinetischer Parameter ebenfalls einen anderen Wert
sich Gl. 1.48 zur Michaelis-Menten-Gleichung 1.28 für an, da Keq unveränderlich ist.
die Hin- bzw. Rückreaktion.
Eine wichtige Größe bei der Beschreibung rever-
sibler Reaktionen ist die Gleichgewichtskonstante 1.5 Identifikation von kinetischen
Keq, die durch das Verhältnis der Substrat- und Pro- Parametern
duktkonzentrationen im thermodynamischen
Gleichgewicht definiert ist. Die Gleichgewichts- Gängige Methoden zur experimentellen Identifika-
konstante der Gesamtreaktion kann jedoch auch als tion kinetischer Parameter von Enzymen sind die
Produkt der Gleichgewichtskonstanten der Teilreak- Messung von Anfangsreaktionsgeschwindigkeiten
tionen ausgedrückt werden. Für eine reversible Ein- sowie die Analyse von Verlaufskurven. Im Folgenden
Substrat-Ein-Produkt-Reaktion gilt daher: werden beide Methoden näher dargestellt.

cP,eq k1 ⋅ k2
K eq = = K1 ⋅ K 2 =  Gl. 1.49 1.5.1 Messung von Anfangsreaktions­
cS,eq k−1 ⋅ k−2
geschwindigkeiten
Die Gleichgewichtskonstante kann somit mit Hilfe
der gleichen Geschwindigkeitskonstanten ausge- Die Anfangsreaktionsgeschwindigkeit lässt sich
drückt werden, die auch in die kinetischen Kons- durch die Auswertung von Zeit-Umsatz-Kurven
tanten Km und v max eingehen. Aus diesem Grund einfach ermitteln. Hierfür wird die Geschwindig-
ist es auch möglich, die Gleichgewichtskonstante keit der Produktzunahme oder der Substratab-
direkt durch K m und v max auszudrücken. Wenn nahme in der steady state-Phase (7 Abschn. 1.4.1)
eine Reaktion im thermodynamischen Gleichge- der Reaktion gemessen, in der sich die Konzen-
wicht ist, kompensieren sich die Hin- und die Rück- tration des Enzym-Substrat-Komplexes nicht
reaktion und die Nettogeschwindigkeit v ist Null. ändert. Die Anlaufphase der Reaktion, die direkt
Durch Einsetzen dieser Beziehung in Gl. 1.48 und nach dem schnellen Vermischen von Enzym und
Auflösen folgt: Substrat(en) auftritt und als pre-steady state-
Phase bezeichnet wird, ist in der Regel ohne spe-
vmax ,f ⋅K mP ⋅ cS,eq = vmax ,r ⋅K mS ⋅ cP,eq  Gl. 1.50 zielle Messmethoden experimentell nicht zugäng-
lich. Innerhalb von Millisekunden bis Sekunden
stellt sich das Fließgleichgewicht der Reaktion
cP,eq vmax ,f ⋅ K mP k1 ⋅ k2 ein, sodass diese Phase bei der Bestimmung der
= = = K eq  Gl. 1.51
cS,eq vmax , r ⋅ K mS k−1 ⋅ k−2 Anfangsreaktionsgeschwindigkeit meist vernach-
lässigt werden kann.
12 K. Castiglione

Teil der Zeit-Umsatz-Kurven. Die Linearität ist in


1 
GFSGW Y
der Regel bis zu einem Umsatz von 10 % gewähr-
 leistet. Für die genaue Schätzung kinetischer Para-
meter sollten mindestens zehn Anfangsreaktionsge-

GFSGW Y schwindigkeiten in einem Bereich von 0,1 bis 10 Km
FSP0

 gemessen werden.
 GFSGW Y
Für die Aufnahme von Zeit-Umsatz-Kurven
sind kontinuierliche Messmethoden, wie beispiels-
 weise photometrische Messungen, ideal geeignet, da
 hierbei der Verlauf der Reaktion unmittelbar verfolgt
      werden kann. Vor allem bei der kinetischen Untersu-
WPLQ chung von Enzymen aus der Klasse der Oxidoreduk-
tasen, die oxidiertes oder reduziertes Nikotinamid-
Adenin-Dinucleotid-(Phosphat) (NAD(P)(H)) als
. Abb. 1.4  Ermittlung von Anfangsreaktionsgeschwindig-
Cofaktor benötigen, kann die Konzentrationsände-
keiten bei drei verschiedenen Substratkonzentrationen (cS1
(durchgezogene Linie) < cS2 (gestrichelte Linie) < cS3 (gepunk- rung der reduzierten Formen sehr einfach bei 340 nm
tete Linie). Die Ausgleichsgeraden im linearen Bereich der photometrisch verfolgt werden. Während NAD(P)H
Zeit-Umsatz-Kurven sind in Rot dargestellt bei dieser Wellenlänge absorbiert, zeigen die oxidier-
ten Formen keine Absorption. Die Konzentrations-
Für die Erstellung eines typischen Michaelis- änderung der Cofaktoren ist dabei stöchiometrisch
Menten-Diagramms und für die Identifikation der zur Konzentrationsänderung des Produkts.
zugehörigen kinetischen Parameter Km und v max Wenn weder Substrat noch Produkt einer Reak-
muss die Anfangsreaktionsgeschwindigkeit der enzy- tion für eine kontinuierliche Messung geeignet sind,
matischen Reaktion für eine Reihe definierter Subs- kann man die zu verfolgende Reaktion mit einer
tratkonzentrationen gemessen werden. . Abb. 1.4 oder mehreren weiteren Reaktionen koppeln, die
zeigt beispielhaft die Ermittlung von Anfangsre- ein online messbares Signal ergeben. Beispielsweise
aktionsgeschwindigkeiten bei drei verschiedenen kann mit Hilfe eines gekoppelten Assays die Reak-
Substratkonzentrationen. Die Anfangsreaktionsge- tionsgeschwindigkeit der Hexokinase gemessen
schwindigkeit entspricht der Steigung im linearen werden (. Abb. 1.5). Dieses Enzym setzt Glucose zu

2
2+
2+ 3
2 +H[RNLQDVH +2
+2 2
+2 2
2+ 2+ +2
$73 $'3 +2
2+ 2+

2 2 2
2+ 2+ 2+
3 *OXFRVHSKRVSKDW 3 3
+2 GHK\GURJHQDVH +2 + 2 +2
2 2 2
2 2 2+
+2 +2 +2
+2 +2 +2 2+
2+ 2+ 1$'3 1$'3++
2+ 2 2+ 2
SKRWRPHWULVFKH
'HWHNWLRQEHL
QP

. Abb. 1.5  Reaktionsschema zur Messung der Geschwindigkeit der Hexokinase-Reaktion durch einen gekoppelten Assay
Kapitel 1 · Enzymkinetik
13 1
Glucose-6-phosphat unter ATP-Verbrauch um. Da Gleichung der Form y = f(x) verwendet werden, die
keines der Substrate oder Produkte der Reaktion ein- einen oder mehrere zu schätzende Parameter enthält.
zigartige spektrale Eigenschaften aufweist, die eine In beiden Fällen werden die Parameter identifiziert,
direkte Verfolgung der Reaktion ermöglichen, wird bei denen die Fehlerquadratsumme zwischen den
ein zweites Enzym zugegeben. Die Glucose-6-phos- experimentellen Daten und den berechneten Werten
phatdehydrogenase oxidiert Glucose-6-phosphat minimal ist:
zu 6-Phosphogluconolacton, während gleichzeitig
NADP+ zu NADPH reduziert wird, das photomet- 2
( yi,berechnet − yi,experimentell )

N
risch detektierbar ist. Bei der Anwendung gekoppel- χ2 =  Gl. 1.52
ter Assays ist es sehr wichtig, dass die zweite Reaktion
i =1 σi2
nicht limitierend ist, da sonst die Geschwindigkeit
des Detektionsenzyms und nicht des Zielenzyms Dabei entspricht N der Anzahl der Messwerte. In
gemessen werden würde. Daher werden Detek- Gl. 1.52 wird die Varianz jedes individuellen Daten-
tionsenzym(e) und zusätzlich benötigte Substrate punktes σi2 berücksichtigt. Werte mit großer Mess-
stets im Überschuss zugegeben. Zudem sollte das unsicherheit und folglich mit einer großen Stan-
Gleichgewicht der Detektionsreaktion weit auf der dardabweichung werden weniger stark gewichtet
Produktseite liegen. Im Falle der Glucose-6-phos- als akkurate Messergebnisse mit geringer Standard-
phatdehydrogenase hydrolysiert das gebildete Glu- abweichung. Hierbei müssen jedoch auch die Grund-
conolacton spontan zur Gluconsäure und wird somit annahmen erfüllt sein, dass keine systematischen
dem Gleichgewicht entzogen. Fehler vorliegen und die Fehler normalverteilt sind.
Ist eine kontinuierliche Messung nicht möglich, Linearisierungsverfahren wurden in der Ver-
kann die Reaktionsgeschwindigkeit auch aus einer gangenheit häufig für die grafische Bestimmung
diskontinuierlichen Zeit-Umsatz-Kurve ermittelt der Parameter Km und v max eingesetzt. Diese Ver-
werden. Hierbei werden nach dem Start der Reak- fahren sind zwar anschaulich, jedoch führen sie zu
tion in definierten Zeitabständen Proben genom- einer teils erheblichen Verfälschung der Ergebnisse,
men, bei denen die enzymatische Reaktion bei- da die Umformung einer nichtlinearen Gleichung
spielsweise durch Zugabe von Säure gestoppt wird. in eine lineare Form auch Verzerrungen des Koor-
Die Prozedur, die zum Abstoppen der Reaktion ver- dinatenraums und der Fehlerverteilung nach sich
wendet wird, ist spezifisch für das jeweilige Enzym zieht. Bei der nichtlinearen Regression kommt es zu
und muss auch die Stabilität der Reaktionsprodukte keiner Verzerrung der ursprünglichen Fehlervertei-
und die gewählte Analysenmethode berücksichtigen. lung, da die Originaldaten ohne weitere Transfor-
Im Anschluss kann der Umsatz in jeder Probe durch mation ausgewertet werden können [20]. Da Com-
geeignete Messmethoden, wie beispielsweise Hoch- puterprogramme zur Durchführung nichtlinearer
leistungsflüssigkeitschromatographie (High Perfor- Regressionen mittlerweile zur Standardausstattung
mance Liquid Chromatography, HPLC), bestimmt biotechnologischer Labore gehören, ist die deut-
werden. lich präzisere Schätzung kinetischer Parameter mit
Hilfe von nichtlinearer Regression heute Stand der
Technik. Da sich Linearisierungen jedoch zur Dar-
Lineare und nichtlineare Regression stellung der Ergebnisse enzymkinetischer Versuche
Die Identifikation der enzymkinetischen Parame- sehr gut eignen, weil Zusammenhänge gut visuali-
ter kann durch lineare oder nichtlineare Regression sierbar sind, sollen die verschiedenen Linearisie-
erfolgen. Konzeptionell beruhen beide Methoden auf rungsverfahren dennoch kurz vorgestellt werden.
der gleichen Vorgehensweise, da jeweils die Unter-
schiede zwischen experimentellen (yi,experimentell)
und berechneten Werten (y i,berechnet) minimiert Linearisierungsverfahren
werden. Während bei der linearen Regression stets Die Michaelis-Menten-Gleichung Gl. 1.28 kann durch
eine Geradengleichung y = mx + b zugrunde gelegt drei verschiedene Linearisierungsverfahren sehr
wird, kann bei der nichtlinearen Regression jede einfach in Geradengleichungen umgeformt werden.
14 K. Castiglione

Das am häufigsten verwendete Linearisierungs-


1 verfahren ist die doppelt-reziproke Darstellung nach
D

Lineweaver-Burk. Stellt man die reziproke Michaelis- Y


Menten-Gleichung so um, dass sie der allgemeinen
Geradengleichung y = mx + b entspricht, ergibt sich
folgender Zusammenhang:

1 K 1 1 .PYPD[
= m ⋅ +  Gl. 1.53 YPD[
v vmax cS vmax

Die Auftragung der reziproken Reaktionsgeschwin-


digkeit gegen den Kehrwert der Substratkonzentration 
 FV
ergibt eine Gerade mit der Steigung Km/vmax, welche die
x-Achse bei –1/Km, und die y-Achse bei 1/vmax, schnei- .P
det (. Abb. 1.6a). Der grundlegende Nachteil der rezi- E
proken Darstellung ist die Stauchung der Messwerte in
Y
Richtung des Koordinatenkreuzes, wie . Abb. 1.7 zeigt. YPD[
Die Messwerte bei kleineren Substratkonzentrationen,
die beispielsweise aufgrund geringerer Signal-Rausch-
Verhältnisse meist zudem schlechter bestimmbar sind,
bekommen dadurch ein überproportionales Gewicht
bei der linearen Regression. Darüber hinaus wirkt sich
die doppelt-reziproke Darstellung auch negativ auf die .P YPD[.P
Fehlergrenzen der abhängigen Variable v aus. Nimmt
man einen konstanten absoluten Fehler bei allen Subs- 
tratkonzentrationen an, vergrößern sich die Fehler-  YFV
grenzen mit zunehmendem Abstand von der Ordinate
deutlich. Bei einem einfachen linearen Regressionsver-
F
fahren werden jedoch alle Messwerte gleichermaßen
FV9
gewichtet, sodass kleine Messunsicherheiten bei nied-
rigen Substratkonzentrationen die Lage der Regres-
sionsgeraden in beträchtlichem Maß beeinflussen. Die
Nutzung von Gewichtungsfaktoren kann diesem Effekt
entgegenwirken, findet jedoch selten Anwendung.
Zur Erstellung des sogenannten Eadie-Hofstee-
Diagramms wird die reziproke Michaelis-Menten-
Gleichung Gl. 1.53 mit vmax v multipliziert und nach .PYPD[
v aufgelöst:

 FV
v
v = −K m ⋅ +vmax  Gl. 1.54
.P
cS

Bei der Auftragung von v gegen v/c S entspricht . Abb. 1.6  Lineare Darstellungen der Michaelis-
der Ordinatenschnittpunkt der Geraden v max Menten-Gleichung. a) Lineweaver-Burk-Darstellung,
und die Steigung –Km (. Abb. 1.6b). Ebenso wie b) Eadie-Hofstee-Darstellung, c) Hanes-Woolf-Darstellung
bei der Lineweaver-Burk-Darstellung weist die
Kapitel 1 · Enzymkinetik
15 1

Y Y

 
 F6  F6

Y FVY

 
 YF6  F6

. Abb. 1.7  Fehlergrenzen in verschiedenen Darstellungsarten der Michaelis-Menten-Gleichung unter Annahme eines
konstanten absoluten Fehlers. a) Direkte Auftragung, b) Lineweaver-Burk-Darstellung, c) Eadie-Hofstee-Darstellung, d) Hanes-
Woolf-Darstellung

cS 1 K
Eadie-Hofstee-Darstellung eine deutliche Verzer- = ⋅ cS + m  Gl. 1.55
v vmax vmax
rung der Fehlergrenzen auf ( . Abb. 1.7c) und es
kommt der Nachteil der fehlenden Trennung von
abhängigen und unabhängigen Variablen hinzu. Die Auftragung von cS/v gegen cS ergibt eine Gerade
Die Ungenauigkeiten bei der Bestimmung der mit der Steigung 1/vmax und dem y-Achsenabschnitt
Reaktionsgeschwindigkeiten gehen somit in beide Km/vmax (. Abb. 1.6c). Die Fehlergrenzen der Mess-
Achsen ein und die Fehlerbalken konvergieren zum werte werden von dieser Darstellung nur in gerin-
Ursprung. gem Maße beeinflusst (. Abb. 1.7d). Ein wesentli-
Die Multiplikation von Gleichung Gl. 1.53 mit der cher Nachteil dieses Linearisierungsverfahrens ist
Substratkonzentration cS ergibt eine weitere Gera- jedoch, dass auch hier abhängige und unabhängige
dengleichung, welche dem sogenannten Hanes- Variablen nicht getrennt sind, da cS in den x- und
Woolf-Diagramm zugrunde liegt: y-Wert eingeht.
16 K. Castiglione

1.5.2 Verlaufskurvenanalyse da mehr Informationen aus einem einzelnen Expe-


1 riment gewonnen werden können. Darüber hinaus
Eine Alternative zur Messung von Anfangsreaktions- können Aspekte wie Rückreaktion, Produktinhi-
geschwindigkeiten ist die Analyse von Verlaufskur- bierung, Produktzerfall und Enzyminaktivierung
ven. Hierbei wird die enzymatische Reaktion nicht ebenfalls betrachtet werden, die bei der Messung
nur in der Anfangsphase der Reaktion verfolgt, von Anfangsreaktionsgeschwindigkeiten entweder
sondern weit über die steady state-Phase hinaus. Die implizit ausgeschlossen oder aufgrund der Kürze der
kompletten Umsatzkurven werden dann unmit- Messzeit nicht erfasst werden. Hierbei muss jedoch
telbar für die Ermittlung der kinetischen Konstan- das verwendete Geschwindigkeitsgesetz ebenfalls
ten mittels nichtlinearer Regression herangezogen. angepasst werden. In . Abb. 1.8 ist eine enzymati-
Hierbei steht man jedoch zunächst vor dem Problem, sche Reaktion zu sehen, bei der das Produkt während
dass Enzymaktivitäten durch Geschwindigkeiten aus- der Reaktion zerfällt. Die Änderung der Produkt-
gedrückt werden, während die experimentellen Daten konzentration über die Zeit entspricht daher der Dif-
in Form von Konzentrationen erhoben werden. Für ferenz zwischen der Produktbildung über die enzy-
eine Parameterschätzung werden daher die gemes- matische Reaktion und dem Produktzerfall, der eine
senen Konzentrationen entweder differenziert oder klassische Reaktion erster Ordnung (7 Abschn. 1.2.1)
das Geschwindigkeitsgesetz wird integriert. Das ein- darstellt:
fachste integrierte Geschwindigkeitsgesetz ist die inte-
grierte Michaelis-Menten-Gleichung. Die Reaktions- dcP
=v−kZerfall ⋅ cP  Gl. 1.62
geschwindigkeit entspricht der Geschwindigkeit der dt
Produktzunahme beziehungsweise Substratabnahme:
Da bei industriellen enzymatischen Prozessen ein
dc dc v ⋅c hoher Umsatz angestrebt wird und auch Langzeit-
v = P = − S = max S  Gl. 1.56
dt dt cS + K m phänomene wie Enzyminaktivierung und Pro-
duktzerfall von besonderer Bedeutung sind, ist die
Durch Umstellen und Invertieren folgt: Analyse von Verlaufskurven vor allem im Hinblick
auf den höheren Informationsgehalt im Vergleich zur
cS + K m Messung von Anfangsreaktionsgeschwindigkeiten
vmax dt = − ⋅ dcS Gl. 1.57
cS interessant.

Durch Integration ergibt sich:

t cS
cS + K m
vmax
∫ t0

dt = −
cS0 cS
⋅ dcS  Gl. 1.58 


t cS cS

dcS
FSP0

vmax
∫ t0
dt = −K m ⋅
∫ cS 0 cS


cS 0
dcS  Gl. 1.59 

c 
vmax ⋅t = −K m ⋅ ln S − (cS − cS0 )  Gl. 1.60
cS0


cS0       
vmax ⋅t = K m ⋅ ln + (cS0 − cS )  Gl. 1.61 WK
cS

. Abb. 1.8  Verlaufskurven einer enzymatischen


Im Vergleich zur Messung von Anfangsreaktions- Reaktion mit Produktzerfall bei drei verschiedenen
geschwindigkeiten, reduziert sich bei der Verlaufs- Substratkonzentrationen (cS1 (durchgezogene Linie) < cS2
kurvenanalyse die Anzahl der nötigen Experimente, (gestrichelte Linie) < cS3 (gepunktete Linie))
Kapitel 1 · Enzymkinetik
17 1
1.6 Modulatoren enzymatischer EA 1
Aktivität ln k = ln a − ⋅  Gl. 1.64
R T

Die Aktivität von Enzymen wird in entscheidendem Diese liegt üblicherweise in einem Bereich zwischen
Maße von den Umgebungsbedingungen wie Tempe- 10 und 100 kJ mol–1.
ratur, pH, Ionenstärke und Anwesenheit von Aktiva- Betrachtet man die Abhängigkeit der Geschwin-
toren oder Inhibitoren beeinflusst. digkeit enzymatischer Reaktionen über einen weiten
Temperaturbereich, ergibt sich bei hohen Tempera-
turen jedoch eine deutliche Abweichung von der
1.6.1 Temperatur Arrhenius-Beziehung. Die Reaktionsgeschwindig-
keit durchläuft ein Maximum, das als Temperatur-
Wie bei allen chemischen Reaktionen ist die optimum bezeichnet wird, und fällt dann relativ
Geschwindigkeit enzymatisch katalysierter Reak- steil ab (. Abb. 1.9a). Die Temperaturänderung
tionen von der Temperatur abhängig. Mit steigen- beeinflusst nicht nur die Reaktionsgeschwindigkeit,
der Temperatur erhöht sich die Reaktionsgeschwin- sondern zugleich die Konformation des Enzyms
digkeitskonstante k gemäß der Arrhenius-Gleichung: und es kommt zur Hitzedenaturierung. Ursache für
den damit einhergehenden irreversiblen Verlust der
k = a ⋅ e−EA / RT  Gl. 1.63 Enzymaktivität ist die Zerstörung der Tertiär- und
Quartärstruktur der Proteine, die vor allem durch
EA ist die Aktivierungsenergie der Reaktion, R die schwache Bindungen wie Wasserstoffbrücken oder
allgemeine Gaskonstante, T die absolute Temperatur Van-der-Waals-Kräfte aufrechterhalten wird. Die
und a der Arrhenius-Faktor, der auch als Stoß- oder Aktivierungsenergie der Proteindenaturierung
Häufigkeitsfaktor bezeichnet wird und für jede Reak- kann ebenfalls mit Hilfe des Arrhenius-Diagramms
tion charakteristisch ist. Aus den temperaturabhän- bestimmt werden (. Abb. 1.9b).
gigen Geschwindigkeitskonstanten wird die Akti- Der Begriff des Temperaturoptimums muss diffe-
vierungsenergie durch Auftragen von lnk gegen den renziert betrachtet werden. Zwar wird unter gegebe-
reziproken Wert der absoluten Temperatur ermittelt: nen Reaktionsbedingungen am Temperaturoptimum

D E
 
,Q VSH]$NWLYLW¦W ದ

ದ
VSH]$NWLYLW¦W8PJ


ದ

ದ

ದ
 ದ

 ದ
                
7HPSHUDWXUr& 7.

      
7HPSHUDWXUr&

. Abb. 1.9  a) Abhängigkeit der Enzymaktivität einer Oxidoreduktase von der Reaktionstemperatur, b) Arrhenius-
Darstellung für die Bestimmung der Aktivierungsenergien der enzymatischen Reaktion (rote Gerade, EA = 49 kJ mol–1) und der
Enzyminaktivierung (schwarze Gerade, EA = 192 kJ mol–1)
18 K. Castiglione

die höchste Reaktionsgeschwindigkeit erzielt, es häufig eine mehr oder weniger symmetrische Glo-
1 findet jedoch oft auch schon eine merkliche Inakti- ckenkurve. Diese Form rührt häufig daher, dass der
vierung statt. Die Lage des Temperaturoptimums ist steigende Kurventeil die zunehmende Deprotonie-
daher eine Funktion der Reaktionsdauer. Je kürzer rung eines ionisierbaren Aminosäurerests im aktiven
die Messzeit ist, desto höher ist das apparente Tempe- Zentrum des Enzyms anzeigt, während der fallende
raturoptimum. Daraus folgt, dass die optimale Tem- Kurventeil mit dem Protonierungszustand einer
peratur für einen enzymatischen Prozess wesentlich zweiten Aminosäure verknüpft ist. Die Glocken-
von der Einsatzdauer des Enzyms und damit von der form ist demnach das Ergebnis der Überlagerung
Enzymstabilität bestimmt wird. von zwei Titrationskurven. Liegt nur ein ionisierba-
Bei der experimentellen Untersuchung von Tem- rer Rest vor, erhält man folglich eine sigmoide Kurve,
peraturoptima darf man nicht außer Acht lassen, dass während mehr als zwei ionisierbare Reste zu komple-
sich der pH vieler Puffersysteme mit der Tempera- xeren Kurvenverläufen führen können.
tur deutlich ändert. Der Temperaturkoeffizient des Die Lage und Breite des pH-Optimums sind
Puffers gibt Auskunft darüber, wie sich der negative enzymspezifisch (. Abb. 1.10). Das Verdauungsen-
dekadische Logarithmus der Säuredissoziationskon- zym Pepsin, das in Wirbeltieren für den Abbau von
stante (pKa) mit der Temperatur ändert (. Tab. 1.2). Nahrungsproteinen im Magen verantwortlich ist, hat
Beispielsweise fällt der pH eines Tris-HCl-Puffers bei ein Optimum bei pH 2 und ist somit ideal an das
einer Temperaturerhöhung von 20 °C auf 37 °C um saure Milieu im Magen angepasst. Trypsin ist eben-
0,48 pH-Einheiten. Um die Überlagerung von pH- falls ein Verdauungsenzym, das jedoch im Bereich
und Temperatureffekten auszuschließen, muss der des Dünndarms Proteine spaltet. Hier liegt ein leicht
pH des Puffers entsprechend seines Temperaturko- basisches Milieu vor, was dem pH-Optimum von
effizienten korrigiert werden. Trypsin bei pH 7,8 entspricht.
Untersucht man den Aktivitätseinfluss des pH
über einen weiten pH-Bereich, kann dies meist nicht
1.6.2 pH und Puffersystem mit einem einzigen Puffersystem erfolgen, da eine
ausreichende Pufferkapazität in der Regel nur in
Der Ladungszustand saurer und basischer Ami- einem engen Bereich um den pKa der Puffersubstanz
nosäureseitenketten hat einen unmittelbaren Ein- gewährleistet ist (. Tab. 1.2). Da die Puffersubstanzen
fluss auf die Aktivität eines Enzyms sowie auf die ihrerseits Interaktionen mit dem Enzym, den Subs-
Bindung von Substraten und Produkten. Trägt man traten oder den Cofaktoren eingehen können, emp-
die Enzymaktivität gegen den pH auf, ergibt sich fiehlt es sich, beim Wechsel von einem Puffersystem

. Tab. 1.2  pKa, Pufferbereich und Temperaturkoeffizienten für ausgewählte Puffersubstanzen [10, 30]

Puffersubstanz pKa (25 °C) Pufferbereich Temperaturkoeffizient


(25 °C, 0,1 M) ΔpKa/ΔT

Acetat 4,76 3,6–5,6 0,0002


MES (4-Morpholino-ethansulfonsäure) 6,10 5,5–6,7 –0,011
Citrat (pK3) 6,40 5,5–7,2 0,0
MOPS (4-Morpholino-propansulfonsäure) 7,20 6,5–7,9 –0,011
Phosphat (pK2) 7,20 5,8–8,0 –0,0028
HEPES (2-[4-(2-Hydroxyethyl)-1-piperazinyl] 7,48 6,8–8,2 –0,014
ethansulfonsäure)
Tricin (N-[Tris(hydroxymethyl)methyl]glycin) 8,05 7,4–8,8 –0,021
Tris-HCl (Tris(hydroxymethyl) aminomethan 8,06 7,0–9,0 –0,028
Borat 9,23 8,5–10,2 –0,0082
Kapitel 1 · Enzymkinetik
19 1
Aspekte bei der Charakterisierung eines Enzyms
 berücksichtigt werden.

UHODWLYH$NWLYLW¦W

 1.6.3 Inhibitoren

 Die Enzyminhibierung beschreibt den negati-
ven Effekt auf die Enzymaktivität, der durch die

Bindung von Liganden an katalytische oder regula-
 torische Zentren eines Proteins hervorgerufen wird.
          
Je nachdem, ob der Inhibitor reversibel oder irre-
S+
versibel an das Enzym bindet, unterscheidet man
reversible und irreversible Hemmungen. Im Fol-
. Abb. 1.10  pH-Abhängigkeit der enzymatischen Aktivität genden werden grundlegende Hemmtypen vor-
von Pepsin (schwarz) und Trypsin (rot) gestellt, bei denen jeweils nur ein Inhibitor an der
Hemmung einer Einsubstratreaktion beteiligt ist. Die
in das nächste stets überlappende Werte beim glei- Gleichungen zur Beschreibung der Enzymkinetik in
chen pH zu messen, da sich die Aktivitätswerte zum Anwesenheit von Inhibitoren sind von der einfachen
Teil erheblich unterscheiden. Für viele Enzymklassen Michaelis-Menten-Gleichung Gl. 1.28 abgeleitet und
ist bereits bekannt, dass spezifische Puffersubstan- basieren demnach auf denselben vereinfachenden
zen zu unerwünschten Effekten führen können. Bei Annahmen (7 Abschn. 1.4.1).
Enzymen, die zweiwertige Metallionen als Cofakto-
ren besitzen, sollten beispielsweise Phosphatpuffer
vermieden werden, da es hier zur Bildung unlösli- Reversible Hemmung
cher Salze kommen kann. Puffer mit einem Pipera- Die reversible Hemmung eines Enzyms kann kom-
zin-Ring, wie unter anderem HEPES, können Radi- petitiv, unkompetitiv oder nichtkompetitiv erfol-
kale in Anwesenheit von Wasserstoffperoxid bilden, gen. .  Abb. 1.11 gibt eine Übersicht über die ver-
weshalb sie für die Untersuchung von Peroxidasen schiedenen Hemmtypen und ihr Erscheinungsbild
nicht geeignet sind [14]. in der Lineweaver-Burk-Darstellung. Die dop-
Neben pH und verwendeter Puffersubstanz hat pelt-reziproke Auftragung, die nicht zur Bestim-
auch die Ionenstärke einen Einfluss auf die Enzym- mung kinetischer Konstanten genutzt werden sollte
aktivität. Die Ionenstärke I ist wie folgt definiert: (7 Abschn. 1.5), eignet sich sehr gut zur Unterschei-
dung der verschiedenen Inhibitionsarten.
1 Bei der kompetitiven Hemmung, die durch
I= ∑ ci zi2 
2 i
Gl. 1.65
Gl. 1.66 beschrieben wird, ist die gleichzeitige
Bindung von Substrat und Inhibitor an das Enzym
wobei ci die Molaritäten der Ionen und zi deren ausgeschlossen:
Ladungszahlen sind. Die optimale Ionenstärke muss
vmax ⋅cS
experimentell bestimmt werden, jedoch sind für v=  Gl. 1.66
 cI 
viele Enzyme sehr niedrige (<10 mM) und sehr hohe 
K m ⋅ 1 +  + cS
Ionenstärken (>500 mM) ungünstig. Ausnahmen sind  3 K 
beispielsweise Enzyme aus halophilen Organismen, mit
die in Gegenwart hoher Salzkonzentrationen leben
k−3 cE ⋅ cI
und deren zelleigene Proteine auch entsprechend tole- K3 = =  Gl. 1.67
rant gegenüber hohen Ionenstärken sind [32]. k3 cEI
Da die Kombination aus pH, Puffersubstanz
und Ionenstärke, die für die Aktivität eines Enzyms Im klassischen Fall konkurriert der Inhibitor mit dem
optimal ist, keineswegs auch für dessen Stabilität Substrat um die Bindungsstelle im aktiven Zentrum.
(7 Abschn. 1.7) optimal sein muss, sollten stets beide Häufig hat der Inhibitor dabei strukturelle Ähnlichkeit
20 K. Castiglione

. Abb. 1.11  Varianten der reversiblen Enzyminhibierung und das dazugehörige Muster in der Lineweaver-Burk-Darstellung.
a) Kompetitive Hemmung, b) unkompetitive Hemmung, c) nichtkompetitive Hemmung

mit dem Substrat. Jedoch kann eine kompetitive Inhibi- Darstellung erscheint dieser Hemmtyp als Schar par-
tion beispielsweise auch durch Verbindungen hervor- alleler Geraden (. Abb. 1.11b). Durch den Inhibitor
gerufen werden, die nicht direkt im aktiven Zentrum wird sowohl die maximale Reaktionsgeschwindig-
binden, aber durch sterische Hinderung die Subst- keit als auch die Halbsättigungskonzentration verän-
ratbindung stören. Die Halbsättigungskonzentration dert. Gl. 1.68 gibt den Einfluss eines unkompetitiven
des Enzyms wird in Gegenwart des Inhibitors erhöht, Inhibitors auf die enzymatische Umsetzung wieder:
während die maximale Reaktionsgeschwindigkeit
unverändert bleibt, da der reversibel gebundene Inhi- vmax ⋅cS
v=  Gl. 1.68
bitor durch die Zugabe von hohen Substratkonzent-  c 
rationen verdrängt werden kann. Die kompetitive K m + cS ⋅ 1 + I 
 K 5

Hemmung führt daher in der doppelt-reziproken Dar-
stellung zu einer Schar von Geraden, die sich auf der mit
y-Achse schneiden (. Abb. 1.11a). Da der wahre Wert
der Michaeliskonstante nur augenscheinlich durch den k−5 cES ⋅ cI
K5 = =  Gl. 1.69
Inhibitor erhöht wird, spricht man in diesem Zusam- k5 cEIS
menhang auch von einem apparenten Km. Der Wert der
Dissoziationskonstante des Enzym-Inhibitor-Komple- Die Substratüberschussinhibierung ist eine spezielle
xes K3 gibt Aufschluss über die Stärke der Inhibition. Je Form der unkompetitiven Hemmung, bei der das
kleiner K3 ist, desto größer ist die Affinität des Enzyms Substrat der unkompetitive Inhibitor ist. Hierdurch
zum Inhibitor und desto stärker ist die inhibierende verändert sich Gl. 1.68 zu:
Wirkung bei einer gegebenen Inhibitorkonzentration.
vmax ⋅cS
Im Fall der unkompetitiven Hemmung bindet v=  Gl. 1.70
der Inhibitor an den Enzym-Substrat-Komplex, nicht c2
K m + cS + S
jedoch an das freie Enzym. In der doppelt reziproken K5
Kapitel 1 · Enzymkinetik
21 1
Eine nichtkompetitive Hemmung liegt vor, wenn
der Hemmstoff sowohl an das freie Enzym als auch
an den Enzym-Substrat-Komplex bindet. Weil sich
der Inhibitor an einer Stelle des Enzyms anlagert, die
nicht mit der Substratbindungsstelle identisch ist,
und die Substratbindung auch nicht sterisch behin-
dert, können Inhibitor- und Substratbindung unab-
hängig voneinander erfolgen. Während die maxi-
male Reaktionsgeschwindigkeit herabgesetzt wird,
hat die Inhibitorbindung keinen Effekt auf die Halb-
. Abb. 1.12  Schematische Darstellung der reversiblen,
sättigungskonzentration und die Geraden schnei-
partiellen Enzymhemmung. Bei der partiell kompetitiven
den sich auf der x-Achse beim Km des Enzyms, wie Hemmung gilt k6 = k2, bei der partiell nichtkompetitiven
. Abb. 1.11c zeigt. Gl. 1.71 beschreibt die Reaktions- Hemmung k6 < k2. Im Falle einer partiell unkompetitiven
geschwindigkeit in Anwesenheit eines nichtkompe- Hemmung finden die rot markierten Reaktionen
titiven Inhibitors: nicht statt

vmax ⋅cS
v=  Gl. 1.71 die gleichen Mechanismen zu Grunde wie den kor-
 c   c
K m ⋅ 1 + I  + cS ⋅ 1 + I  respondierenden vollständigen Hemmtypen. Der
 K 
3
 
 K5

Unterschied liegt nur darin begründet, dass der EIS-
Komplex nicht unproduktiv ist, sondern lediglich
In der Praxis entspricht die reine nichtkompetitive eine niedrigere Aktivität als der ES-Komplex zeigt.
Hemmung der Ausnahme. Meist liegt eine soge- Die Reaktionsgeschwindigkeit v setzt sich demnach
nannte „gemischte Hemmung“ vor, bei der auch wie folgt zusammen:
ein Einfluss auf die apparente Halbsättigungs-
konzentration beobachtet wird. Die gemischte dcP
v= =v1+v2  Gl. 1.72
Hemmung führt in der doppelt-reziproken Auf- dt
tragung ebenfalls zu einer Schar von Geraden
mit gemeinsamem Schnittpunkt links von der y- mit
Achse. Im Gegensatz zur reinen nichtkompetitiven
Hemmung, bei der K5 gleich K3 ist, schneiden sich v1= k2 ⋅ cES und v2 = k6 ⋅ cEIS  Gl. 1.73
die Geraden jedoch nicht auf der Abszisse. Ist K5
größer als K3, liegt der Schnittpunkt über der x- Die Geschwindigkeitsgleichung der partiell unkom-
Achse, während er im umgekehrten Fall unter der petitiven Hemmung lautet wie folgt:
x-Achse lokalisiert ist.
Die bislang betrachteten Hemmtypen basierten  v ⋅c 
alle auf der Annahme, dass die Aktivität des Enzyms
v + max ,2 I  ⋅ cS
 max ,1 K 5

in Anwesenheit des Inhibitors vollständig gehemmt v=  Gl. 1.74
 c 
und der EIS-Komplex, soweit vorhanden, unproduk- K m + cS ⋅ 1 + I 
tiv ist. Wenn der EIS-Komplex jedoch zur Produkt-  K 5

bildung fähig ist, liegt nur eine partielle Hemmung
vor, die schematisch in . Abb. 1.12 dargestellt ist. wobei gilt
Wie bei der vollständigen Hemmung, die wesent-
lich häufiger vorkommt, unterteilt man die partielle vmax,1= k2 ⋅ cE0 und vmax, 2 = k6 ⋅ cE0  Gl. 1.75
Hemmung in partiell kompetitiv, partiell nichtkom-
petitiv und partiell unkompetitiv.
Der partiell unkompetitiven Hemmung sowie Die partiell nichtkompetitive Hemmung wird durch
der partiell nichtkompetitiven Hemmung liegen folgende Gleichung beschrieben:
22 K. Castiglione

 vmax ,2 ⋅cI 
1 v
 max ,1 +
K
 ⋅ cS

D

v= 5  Gl. 1.76
 Y
c   c 
K m ⋅ 1 + I  + cS ⋅ 1 + I  F,
 K3   K5 

Eine partiell kompetitive Hemmung sollte es theo-


retisch nicht geben, da die gleichzeitige Bindung
von Substrat und Inhibitor bei der kompetitiven
Hemmung ausgeschlossen ist. Im Gegensatz zu den
anderen beiden partiellen Hemmtypen rührt der F, 

Name der partiell kompetitiven Hemmung auch
 F6
nicht von dem molekularen Mechanismus der Inhi-
bition her, sondern von deren Erscheinungsbild in E
der doppelt-reziproken Auftragung des Linewea-
ver-Burk-Diagramms (. Abb. 1.13). Das Geraden- Y
F6
muster gleicht dem der kompetitiven Hemmung, bei
der es ebenfalls einen gemeinsamen Schnittpunkt
auf der y-Achse gibt. Um eine partielle Hemmung
von einer vollständigen Hemmung zu unterschei-
den, kann man das Dixon-Diagramm verwen-
den, bei dem die reziproke Reaktionsgeschwindig-
keit gegen die Inhibitorkonzentration aufgetragen
wird. Bei allen vollständigen Hemmungen ergeben 
sich im Dixon-Diagramm Geraden, während die  F,
partiellen Hemmtypen zu Hyperbeln führen. Aus
F
diesem Grund werden die vollständigen Hemmun-
gen auch als linear und die partiellen als hyperbolisch
6WHLJXQJ

bezeichnet. Alternativ kann man auch ein sogenann-


tes Sekundärdiagramm zur Unterscheidung heran-
ziehen. Hierbei werden die Geradensteigungen aus
dem Lineweaver-Burk-Diagramm gegen die Inhi-
bitorkonzentration aufgetragen. Ebenso wie beim
Dixon-Diagramm ergeben sich bei den vollständigen
Hemmtypen Geraden und bei den partiellen Hem-
mungen Hyperbeln.
Die partiell kompetitive Hemmung ist als Son- 
 F,
derfall der partiell nichtkompetitiven Hemmung
zu betrachten, bei der der Inhibitor die maximale
Reaktionsgeschwindigkeit nicht beeinträchtigt und . Abb. 1.13  Partiell kompetitive Inhibierung im
k2 gleich k6 ist. Gl. 1.76 vereinfacht sich somit zu: Lineweaver-Burk-Diagramm (a), im Dixon-Diagramm (b) und
im Sekundärdiagramm (c), bei dem die Geradensteigungen
aus (a) gegen die Inhibitorkonzentration aufgetragen sind
 c 
vmax ⋅cS ⋅ 1 + I 
 K5 
v=  Gl. 1.77 Die Hemmung kommt in diesem Fall dadurch
 c   c 
K m ⋅ 1 + I  + cS ⋅ 1 + I  zustande, dass das freie Enzym eine höhere Affinität
 K 3
 
 K 5
 zum Substrat hat als der Enzym-Inhibitor-Komplex
EI. Folglich erhöht sich der apparente Km des Enzyms
Kapitel 1 · Enzymkinetik
23 1
mit steigender Inhibitorkonzentration, jedoch nur an das Serin im aktiven Zentrum von Serinprotea-
unter der Bedingung K3 < K5. Wenn K3 gleich K5 ist, sen bindet. Mitunter sind irreversible Inhibitoren so
kürzen sich die Inhibierungsterme in Gl. 1.77 und die effektiv, dass eine stöchiometrische Menge an Inhibi-
Reaktionsgeschwindigkeit kann mit einer einfachen tor ausreicht, um eine Enzympräparation vollständig
Michaelis-Menten-Kinetik nach Gl. 1.28 beschrie- zu inaktivieren [1, 13].
ben werden. Für den Fall, dass K3 > K5 ist, hat der Ist die initiale Inhibitorkonzentration cI0 viel
Enzym-Inhibitor-Komplex eine höhere Affinität für höher als die gesamte Enzymkonzentration c E0,
das Substrat als das freie Enzym und es kommt zu kann die Inaktivierung als Reaktion pseudo-ers-
einer Aktivierung bei niedrigen Substratkonzentra- ter Ordnung (7 Abschn. 1.2.2) betrachtet und die
tionen, die sich in einem niedrigeren apparenten Km Abnahme der Enzymaktivität A wie folgt formuliert
widerspiegelt [1, 29]. werden:

dA
Irreversible Hemmung − = ki ⋅ cI0 ⋅ A = ki′ ⋅ A  Gl. 1.78
dt
Wenn Substanzen an Enzyme irreversibel binden,
beispielsweise durch kovalente Bindung, kann es Durch Integration erhält man
zu einem dauerhaften Verlust enzymatischer Akti-

vität kommen. Die Unterscheidung zwischen einer A = A0 ⋅ e−ki ⋅t  Gl. 1.79
reversiblen oder irreversiblen Hemmung ist meist
sehr einfach. Wird eine Enzymlösung, in der sich wobei A und A0 den Enzymaktivitäten zum Zeit-
der Inhibitor befindet, verdünnt, erhöht sich im Falle punkt t beziehungsweise t = 0 entsprechen. Die
einer reversiblen Hemmung die spezifische Aktivi- Geschwindigkeitskonstante der Inaktivierung bei
tät, da es zu einer Dissoziation des Inhibitors vom einer bestimmten Inhibitorkonzentration k′ kann
Protein kommt. Bleibt die spezifische Aktivität hin- durch Auftragen des natürlichen Logarithmus der
gegen konstant, liegt eine irreversible Hemmung vor. Aktivität gegen die Zeit bestimmt werden. Die Inak-
Darüber hinaus ist die irreversible Hemmung zeit- tivierungskonstante k′ entspricht der Steigung der
abhängig, da eine Reaktion zweiter Ordnung zwi- resultierenden Gerade.
schen Enzym und Inhibitor stattfindet, während die Abweichungen von einem linearen Zusammen-
reversible Hemmung auf einer Gleichgewichtsein- hang können sehr unterschiedliche Gründe haben
stellung basiert, die so schnell erfolgt, dass sie unmit- und müssen individuell untersucht werden. Sie
telbar nach Zugabe des Inhibitors abgeschlossen ist können beispielsweise darauf hinweisen, dass das
(. Abb. 1.14). Ein klassisches Beispiel für einen irre- Enzym in verschiedenen Konformationen vorliegt,
versiblen Inhibitor ist der Proteasehemmer Phe- wobei die Konformationsisomere unterschiedliche
nylmethylsulfonylfluorid (PMSF), der irreversibel Reaktivität gegenüber der inaktivierenden Substanz
aufweisen. Darüber hinaus kann eine zweiphasige
(oder mehrphasige) Inaktivierung auf die Existenz
 von zwei (oder mehr) modifizierbaren Gruppen
RKQH,QKLELWRU
 im Proteinmolekül hinweisen, die essentiell für die
UHODWLYH$NWLYLWlW

enzymatische Katalyse sind. Bei einer zweiphasi-


 UHYHUVLEOHU,QKLELWRU
gen Inaktivierung reagiert eine der beiden Gruppen
 schnell und die andere langsam mit dem irreversib-
 len Inhibitor [26]. Der Verlauf dieser Reaktion kann
LUUHYHUVLEOHU,QKLELWRU mit Hilfe der Summe von zwei Exponentialfunktio-

nen beschrieben werden:

W
A s l
= Fs ⋅ e−ki ⋅ t + Fl ⋅ e−ki ⋅ t  Gl. 1.80
. Abb. 1.14  Zeitliche Verläufe der irreversiblen und A0
reversiblen Enzymhemmung
24 K. Castiglione

In dieser Gleichung entsprechenkis undkil der Inak- Essentielle Aktivatoren


1 tivierungskonstanten der schnellen beziehungsweise Benötigt ein Enzym einen essentiellen Aktiva-
langsamen Inaktivierung. Die Faktoren Fs und Fl tor, kann die Reaktion in Abwesenheit der Subs-
geben an, welcher Anteil der Gesamtaktivität jeweils tanz nicht ablaufen. Häufig sind es Metallionen, die
durch die schnelle und langsame Inaktivierung ver- einen Komplex mit dem Substrat eingehen. Der ent-
lorengeht. Dabei gilt: stehende Substrat-Aktivator-Komplex ist dann das
eigentliche Substrat für das Enzym. Hexokinasen (EC
Fs = 100 % − Fl  Gl. 1.81 2.7.1.1) können beispielsweise Adenosintriphosphat
(ATP) nur in Verbindung mit Mg2+ als Substrat für
Die Parameterschätzung sollte durch nichtlineare die Phosphorylierung von Zuckern verwenden. Die
Regression erfolgen. Durch die Subtraktion der kinetische Analyse von enzymatischen Reaktionen
langsamen Komponente der Inaktivierung von den mit einem essentiellen Aktivator kann aufwendig
Messdaten können jedoch die schnelle und die lang- sein, da das zusätzliche Gleichgewicht zwischen Subs-
same Reaktion auf einfache Weise visualisiert werden trat und Aktivator berücksichtigt werden muss. Um
(. Abb. 1.15) [4]. dies zu vermeiden, kann der Aktivator im Überschuss
zugegeben werden, um sicherzustellen, dass jegliches
Substrat als Substrat-Aktivator-Komplex vorliegt.
1.6.4 Aktivatoren Dies ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn nicht eine
hohe Konzentration an freiem Aktivator einen zusätz-
Aktivatoren sind Substanzen, die die Geschwindig- lichen inhibierenden Effekt auf das Enzym ausübt.
keit einer enzymatischen Reaktion erhöhen. Generell
unterscheidet man essentielle und nichtessentielle
Aktivatoren. Nichtessentielle Aktivatoren
Bei der nichtessentiellen Aktivierung kann die Reak-
tion auch in Abwesenheit des Aktivators ablaufen.

. Abb. 1.16a zeigt ein generelles Schema der nicht-
,Q UHODWLYH$NWLYLWlW ±

 essentiellen Aktivierung.
Da sowohl der Enzym-Substrat-Komplex ES als
ODQJVDPH5HDNWLRQ
 auch der Enzym-Substrat-Aktivator-Komplex ESA

katalytisch aktiv ist, gilt für die Reaktionsgeschwin-
VFKQHOOH5HDNWLRQ
digkeit:

dcP
v= = v1+ v2  Gl. 1.82
 dt
     
WK
mit

v1= k2 ⋅ cES und v2 = k6 ⋅ cESA  Gl. 1.83


. Abb. 1.15  Zweiphasige Inaktivierung eines Enzyms
durch einen irreversiblen Inhibitor. Die geschlossenen
Insgesamt müssen vier verschiedene Dissozia-
Symbole sind die Messdaten, die in der semi-logarithmischen
Darstellung die zweiphasige Inaktivierung zeigen. Die tionskonstanten der auftretenden Enzymkomplexe
offenen Symbole erhält man durch Subtraktion der berücksichtigt werden:
langsamen Komponente der Inaktivierung von den
Messdaten. Die Steigungen der roten und schwarzen Geraden k−1 k k k
s l
entsprechen den Inaktivierungskonstanten ki und ki . Den
K1 = ; K3 = −3 ; K 4 = −4 ; K5 = −5  Gl. 1.84
k1 k3 k4 k5
korrespondierenden y-Achsenabschnitten können die Werte
von Fs und Fl entnommen werden. Im gezeigten Beispiel
gehen jeweils 50 % der Gesamtaktivität durch die schnelle Diese sind jedoch nicht unabhängig voneinander,
und die langsame Reaktion verloren da gilt:
Kapitel 1 · Enzymkinetik
25 1
. Abb. 1.16  Generelles
Schema der nichtessentiellen
Aktivierung. a) Reaktionsschema
mit Geschwindigkeitskonstanten,
b) Reaktionsschema mit Dissoziations-
und Geschwindigkeitskonstanten

K 4 K5 Komplexbildner wie Ethylendiamintetraessigsäure


= = α Gl. 1.85
K1 K3 (EDTA) destabilisierend wirken. Letztere komple-
xieren Kationen, die essentiell für die Enzymstruktur
In einem modifizierten Reaktionsschema, in dem die und -funktion sein können [17]. Auch an Grenzflä-
Geschwindigkeitskonstanten soweit möglich zu Dis- chen zwischen Gas- und Flüssigphase können Enzyme
soziationskonstanten zusammengefasst sind, ist die denaturiert werden, was vor allem während der
Abhängigkeit der einzelnen Konstanten untereinan- Enzymherstellung berücksichtigt werden muss [34].
der sehr gut zu erkennen (. Abb. 1.16b). Mit diesen Da die Stabilität eines Enzyms unter verschie-
Zusammenhängen kann die Geschwindigkeitsglei- denen Bedingungen sehr von dessen Herkunft und
chung für die nichtessentielle Aktivierung wie folgt Funktion abhängt, muss sie stets individuell unter-
formuliert werden: sucht werden. Enzyme aus hyperthermophilen
Organismen, die Wachstumsoptima bei Tempe-
 v ⋅c  raturen zwischen 80 °C und 110 °C haben, zeigen
v + max ,2 A  ⋅ cS sehr hohe Temperaturstabilitäten [12], während
 max ,1 α ⋅ K 
3
v=  Gl. 1.86 Proteine aus halophilen Organismen, die bei-
 c   c 
K1 ⋅ 1 + A  + cS ⋅ 1 + A  spielsweise aus den Tiefsee-Solebecken des Roten
 K 
3
 
 α⋅K 3
 Meeres stammen, extreme Salzkonzentrationen
(>2 M NaCl) tolerieren können [32]. Enzyme aus
Hierbei entsprechen v max.1 und v max.2 den maxi- der Klasse der Lipasen sind häufig auch in organi-
malen Reaktionsgeschwindigkeiten ohne Aktiva- schen Lösemitteln mit extrem niedrigem Wasserge-
tor beziehungsweise bei vollständiger Sättigung mit halt stabil, was eng mit ihrer natürlichen Funktion
Aktivator. In vielen Fällen gilt bei der nichtessentiel- der Hydrolyse und Synthese von Fettsäureestern
len Aktivierung: α < 1 und vmax,2 > vmax,1. Das heißt, verbunden ist [27].
der Aktivator erhöht zum einen die Affinität des In sehr vielen Fällen kann eine Enzyminaktivie-
Enzyms zu seinem Substrat, was sich in einer nied- rung als Reaktion erster Ordnung (7 Abschn. 1.2.1)
rigeren Dissoziationskonstante K4 im Vergleich zu beschrieben werden, bei der die Konzentration an
K1 äußert, und zum anderen die Geschwindigkeit aktivem Enzym cE durch Denaturierung nach fol-
der Produktbildung. gendem Geschwindigkeitsgesetz abnimmt:

dcE
1.7 Enzymstabilität − = ki ⋅ cE  Gl. 1.87
dt

Die Stabilität eines Enzyms kann von einer Vielzahl Die Geschwindigkeitskonstante k i wird auch als
unterschiedlicher Faktoren beeinflusst werden. Neben Inaktivierungskonstante bezeichnet. Durch Integ-
Temperatur und pH zählen hierzu Salze, Lösemittel, ration ergibt sich:
Detergenzien, Radikale, Strahlung und Oxidantien.
Je nach Protein können auch Schwermetalle oder cE = cE 0 ⋅ e−ki ⋅t  Gl. 1.88
26 K. Castiglione

Beim Vergleich der Stabilität verschiedener Enzyme Kenntnis der zugrundeliegenden physikalischen,
1 bedient man sich häufig der Halbwertszeit t1/2. Sie chemischen und/oder biologischen Vorgänge und
gibt an, in welchem Zeitraum die Hälfte der Enzym- die zugehörigen Modellparameter haben eine direkte
moleküle denaturiert und somit inaktiviert wird. physikalische Bedeutung. Ein Beispiel ist die Michae-
Durch Auftragen des natürlichen Logarithmus der liskonstante Km, welche die Substratkonzentration
Konzentration an aktivem Enzym gegen die Zeit anzeigt, bei der die halbmaximale Reaktionsge-
erhält man die Inaktivierungskonstante ki als Stei- schwindigkeit eines Enzyms erreicht ist.
gung. Die Halbwertszeit wird nach Gl. 1.89 berechnet: Steht bei der Entwicklung eines Modells nicht
der Erkenntnisgewinn im Vordergrund, der durch
ln (2) ein genaueres Verständnis der zugrundeliegenden
t1/ 2 =  Gl. 1.89
ki Mechanismen generiert wird, kann ein empirisches
Modell eine sehr gute Alternative darstellen. Hierbei
Es gibt verschiedene Methoden, um die Stabilität eines wird die Wirkungsweise des betrachteten Systems
Enzyms zu erhöhen. Die größte Bedeutung kommt nicht berücksichtigt, sondern versucht, beobachtete
dabei der Immobilisierung zu (7Kap.10). Vielfach Beziehungen zwischen experimentellen Daten durch
kann auch durch Protein Engineering oder die Zugabe eine Gleichung abzubilden. Die wesentlichen Unter-
verschiedener Additive eine Erhöhung der Enzym- schiede zwischen empirischen und mechanistischen
stabilität bewirkt werden. Natürliche Liganden eines Modellen sind in . Tab. 1.3 gegenübergestellt. Modelle,
Enzyms, wie Substrate oder Cofaktoren, wirken in der die sowohl empirische als auch mechanistische Anteile
Regel stabilisierend, ebenso verschiedene Zucker oder haben, werden als semi-mechanistisch bezeichnet.
Polyole, wie Trehalose, Glycerin und Sorbitol. Auch Ein Beispiel für ein semi-mechanistisches Modell
Polyethylenglykole mit unterschiedlichen molekula- ist das Lin-log-Modell, bei dem die Geschwindig-
ren Massen (400–600.000 Da) tragen häufig zur Sta- keit einer enzymkatalysierten Reaktion als lineare
bilisierung von Enzymen bei [17]. Summe nichtlinearer logarithmischer Konzentra-
tionsterme ausgedrückt wird:

1.8 Empirische, semi-mechanistische a + b1 ⋅ ln cX1 + b2 ⋅ ln cX 2 +


und mechanistische Modelle v= cE 0 ⋅  
b3 ⋅ ln cX 3 +…+ bn ⋅ ln cXn   Gl. 1.90

Alle bislang betrachteten kinetischen Modelle für


enzymatische Reaktionen sind sogenannte mecha- Hierbei haben die Parameter b1 bis bn positive Vor-
nistische Modelle. Sie basieren auf der genauen zeichen, wenn es sich um Substrate oder Aktivatoren

. Tab. 1.3  Vergleich zwischen empirischen und mechanistischen Modellen

Empirisches Modell Mechanistisches Modell

Grundlage: Beobachtete Beziehungen zwischen Grundlage: Tiefgreifendes Verständnis von physikalischen,


experimentellen Daten chemischen und/oder biologischen Vorgängen
Detaillierte Kenntnis der zugrundeliegenden Detailliertes Vorwissen nötig
Mechanismen nicht nötig
Modellparameter ohne physikalische Bedeutung Modellparameter mit unmittelbarer physikalischer
Bedeutung
Gleichungen meist einfacher als bei mechanistischen Häufig komplexe Gleichungen
Modellen
Meist nur in den Grenzen der experimentell Meist höhere Extrapolationsfähigkeit als bei empirischen
untersuchten Bedingungen anwendbar Modellen (für Simulationen wichtig)
Kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn Zusätzlicher Erkenntnisgewinn möglich
Kapitel 1 · Enzymkinetik
27 1
handelt, und negative Vorzeichen, wenn sie Produk- Michaelis-Menten-Kurve. Innerhalb des experi-
ten oder Inhibitoren zuzuordnen sind. Die Parame- mentell abgedeckten Konzentrationsbereichs geben
ter besitzen keinerlei Abhängigkeiten voneinander, beide Modelle die gemessenen Werte gut wieder.
da beispielsweise die Stöchiometrie einer Reak- Der Vergleich macht jedoch auch die Nachteile des
tion nicht berücksichtigt wird. Die mechanistische semi-mechanistischen Modells an den Grenzen des
Grundlage des Modells bilden die Prinzipien der Messbereichs deutlich. Das Lin-log-Modell kann die
Nichtgleichgewichtsthermodynamik. In Systemen, Reaktionsgeschwindigkeit in Abwesenheit des Subs-
die sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht trats nicht abbilden, da der Logarithmus von Null
befinden, ist die Reaktionsgeschwindigkeit propor- nicht definiert ist. Zudem kann das Lin-log-Modell
tional zur thermodynamischen Triebkraft ΔG, die die vollständige Sättigung des Enzyms mit Substrat
in logarithmischer Weise von den Konzentrationen nicht darstellen, wodurch die extrapolierten Werte
der Reaktanten abhängt. Obwohl dieser Zusammen- bei hohen Substratkonzentrationen deutlich von den
hang eigentlich nur für Systeme gilt, die sich nah Werten des mechanistischen Modells und somit von
am thermodynamischen Gleichgewicht befinden, den realen Werten abweichen.
konnten Lin-log-Modelle dennoch sehr erfolgreich Wesentliche Vorteile der Lin-log-Modelle gegen-
zur Beschreibung von biologischen Reaktionen ver- über mechanistischen Modellen sind die sehr einfa-
wendet werden, die typischerweise weit entfernt vom che Erweiterbarkeit und die minimale Parameter-
Gleichgewicht ablaufen [35]. zahl. Gl. 1.92 gibt die Geschwindigkeitsgleichung für
Das einfachste Lin-log-Modell für eine irrever- eine reversible Ein-Substrat-Ein-Produkt-Reaktion
sible Einsubstratreaktion lautet: nach dem Lin-log-Modell wieder:

v= cE 0 ⋅ (a + b ⋅ ln cS )  Gl. 1.91 v= cE 0 ⋅ (a + b1 ⋅ ln cS + b2 ⋅ ln cP )  Gl. 1.92

Gl. 1.91 stellt somit eine Alternative zur Michaelis- Im Vergleich zu Gl. 1.48, die auf einem mechanis-
Menten-Gleichung Gl. 1.28 dar. Im Gegensatz zu tischen Modell der reversiblen Ein-Substrat-Ein-
den Modellparametern der Michaelis-Menten-Ki- Produkt-Reaktionen basiert, hat das korrespondie-
netik Km und kcat (vmax) haben die Modellparame- rende Lin-log-Modell nur drei (a; b1; b2) statt vier
ter des Lin-log-Modells a und b jedoch keine phy- (vmax,f; vmax,r; KmS; KmP) Modellparameter. Die Dif-
sikalische Bedeutung und sind als empirisch zu ferenz zwischen der Anzahl der zu bestimmenden
betrachten. .  Abb. 1.17 zeigt einen Vergleich der Parameter bei einem mechanistischen Modell und
cS-v-Kurve, die auf der Basis des Lin-log-Modells dem korrespondierenden Lin-log-Modell nimmt vor
generiert wurde, mit der klassischen hyperbolischen allem mit steigender Anzahl an zu berücksichtigen-
den Substraten und Produkten zu (7 Abschn. 1.10).
Bei Verwendung eines Lin-log-Modells müssen
zwar meist sehr viel weniger kinetische Parameter
bestimmt werden, jedoch kann im Gegenzug nur in
einem engen Bereich um einen Arbeitspunkt inter-
poliert werden. Die Wahl eines geeigneten Modells
kann daher nur unter Berücksichtigung mehrerer
Entscheidungskriterien getroffen werden (. Tab. 1.3).

1.9 Regulatorische Enzyme

Zelluläre Stoffwechselwege umfassen eine Vielzahl


. Abb. 1.17  Lin-log-Modell (rote Kurve) und Michaelis-
verschiedener Enzyme, die am Auf- oder Abbau
Menten-Modell (schwarze Kurve) im Vergleich für ein Enzym
mit vmax = 10 U mg–1 und Km = 2 mM. Die Messwerte (0,1–10 von Metaboliten beteiligt sind. Die Aktivität der
Km) sind als schwarze Punkte markiert. Der Gültigkeitsbereich meisten Enzyme in einem metabolischen Netzwerk
des Lin-log-Modells ist rot hinterlegt kann mit den in den vorangegangenen Abschnitten
28 K. Castiglione

dargestellten kinetischen Modellen beschrieben und hemmt dessen Aktivität, wodurch die weitere
1 werden. Regulatorische Enzyme hingegen stellen in ATP-Produktion über die Glykolyse gedrosselt wird.
vielerlei Hinsicht eine Ausnahme dar und müssen Eine derartige Kontrolle von Enzymen durch Inter-
daher gesondert betrachtet werden. mediate oder Endprodukte ihres Stoffwechselwegs
Regulatorische Enzyme werden auch als Schlüs- wird als Rückkopplungshemmung (feedback inhibi-
selenzyme oder Schrittmacherenzyme bezeichnet tion) bezeichnet. Hohe Konzentrationen von Adeno-
und finden sich häufig am Anfang von Stoffwechsel- sinmonophosphat (AMP) und Adenosindiphosphat
wegen oder an zentralen Knotenpunkten in einem (ADP) hingegen, die eine Unterversorgung der Zelle
metabolischen Netzwerk. Durch die Regulation der mit Energie anzeigen, führen zu einer allosterischen
katalytischen Aktivität dieser Schlüsselenzyme, die Aktivierung der 6-Phosphofructokinase.
meist irreversible Reaktionen katalysieren, können Kooperativität und Allosterie treten bei regulato-
die Flussraten durch die einzelnen Stoffwechselwege rischen Enzymen sehr häufig zusammen auf, jedoch
kontrolliert werden, wodurch eine Zelle beispiels- sind es getrennt zu betrachtende Phänomene. Ein
weise sehr effizient auf eine Änderung der Umwelt- gemeinsames Merkmal beider Regulationsmecha-
bedingungen reagieren kann. nismen ist, dass die Kurve, die beim Auftragen der
Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Substratkon-
zentration entsteht, in der Regel eine sigmoide Form
1.9.1 Kooperativität und Allosterie hat. Die Kinetik von allosterischen und kooperati-
ven Enzymen kann daher nicht mit einem einfachen
Regulatorische Enzyme reagieren häufig auf eine Michaelis-Menten-Modell beschrieben werden, das
geringe Änderung der Substratkonzentration mit stets zu hyperbolischen cS-v-Kurven führt [8].
einer großen Änderung der Enzymaktivität. Oft
wird dieses Verhalten dadurch ermöglicht, dass die
aktiven Zentren von Enzymen, die aus mehreren 1.9.2 Die Hill-Gleichung
Untereinheiten bestehen, eine kooperative Bindung
zeigen. Hiermit ist gemeint, dass die Bindung eines Für die Beschreibung des kooperativen Verhaltens
Substrats an eine Untereinheit zu einer strukturellen eines oligomeren Enzyms, das eine irreversible Reak-
Änderung des oligomeren Enzyms führt, wodurch tion katalysiert, liefert die Hill-Gleichung häufig eine
die Affinität der noch freien Bindeplätze moduliert gute Annäherung:
wird. Der Effekt auf die Enzymaktivität kann positiv
(stimulatorisch) oder negativ (inhibitorisch) sein. vmax ⋅cSh
v=  Gl. 1.93
Allosterische Enzyme stellen einen weiteren K 0h,5 + cSh
Typ regulatorischer Enzyme dar, die ebenfalls eine
Konformationsänderung infolge der Bindung eines Die Parameter vmax und K0,5 entsprechen der maxi-
Liganden eingehen. Bei allosterischen Enzymen malen Reaktionsgeschwindigkeit beziehungsweise der
erfolgt die Regulation jedoch durch Effektoren, die Substratkonzentration, bei der die halbmaximale Reak-
nicht im aktiven Zentrum binden, sondern an spezi- tionsgeschwindigkeit erreicht wird. Der Hill-Koeffizi-
fischen Bindestellen der Proteine, die als allosterische ent h zeigt die Stärke der Kooperativität zwischen den
Zentren bezeichnet werden. Häufig sind die Effekto- Untereinheiten an (. Abb. 1.18). Für ein Enzym, das
ren kleine Metabolite oder Cofaktoren. Ein Enzym keine kooperative Bindung aufweist und der Michae-
kann auch durch zwei oder mehr Effektoren reguliert lis-Menten-Kinetik (7 Abschn. 1.4.1) folgt, ist h = 1.
werden. Ein typisches Beispiel für ein allosterisches In diesem Fall entspricht K0,5 auch einer klassischen
Enzym ist die 6-Phosphofructokinase (EC 2.7.1.11), Michaeliskonstante Km (Gl. 1.24). Eine positive Koope-
die den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der rativität liegt vor, wenn h > 1 ist. Negative Kooperativi-
Glykolyse katalysiert: die Umwandlung von Fructo- täten (h < 1) treten vergleichsweise selten auf.
se-6-phosphat zu Fructose-1,6-bisphosphat. Liegt Eine Gleichung ähnlicher Form wurde von A.V.
Adenosintriphosphat (ATP), die Energiewährung der Hill im Jahr 1910 ursprünglich für die Beschrei-
Zelle, in einer hohen Konzentration in der Zelle vor, bung der positiv kooperativen Bindung von Sauer-
bindet ATP an ein allosterisches Zentrum des Enzyms stoff an Hämoglobin entwickelt [15] und nachträglich
Kapitel 1 · Enzymkinetik
29 1
Wissenschaftler um Jacques Monod führten beide
Y  Effekte auf die konformationelle Flexibilität von
YPD[ K  K  Proteinen zurück und entwickelten ein gemeinsa-

K  mes Modell für beide Phänomene, das auf folgen-
 den Annahmen basiert [23]:
K 
1. Das Protein besteht aus n Untereinheiten, die

funktionell identisch sind.
 2. Jede Untereinheit kann in zwei verschiedenen
Konformationen vorliegen, die als R (relaxed)
 und T (tense) bezeichnet werden.
    FV 
.
3. Alle Untereinheiten eines Proteinmoleküls sind
zu einem gegebenen Zeitpunkt in der gleichen
Konformation. Bei einem dimeren Protein gibt
. Abb. 1.18  Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit es demnach nur R2- und T2-Zustände, während
von der Substratkonzentration für Enzyme mit die gemischte Konformation RT nicht auftreten
unterschiedlichen Hill-Koeffizienten
kann.
4. Die R- und T-Konformationen des Proteins
auf enzymatische Reaktionen übertragen. Hill selbst befinden sich im Gleichgewicht. L ist die
betrachtete seine Gleichung als empirisch [7]. Die Gleichgewichtskonstante für den Übergang der
Grundannahme, die bei einer mechanistischen Her- R- in die T-Konformation in Abwesenheit eines
leitung der Hill-Gleichung getroffen werden muss, Liganden (Aktivator, Inhibitor, Substrat).
ist, dass entweder alle Bindestellen eines Proteins mit 5. Liganden können an beide Konformationen
Liganden besetzt sind oder keine. Demnach müssten binden, jedoch mit unterschiedlicher Affinität,
die Interaktionen zwischen den Untereinheiten so aus- was in zwei verschiedenen Dissoziations-
geprägt sein, dass die Bindung eines Liganden die Affi- konstanten KR und KT für die Bindung eines
nität der weiteren Untereinheiten so stark erhöht, dass Liganden A an eine R- beziehungsweise
alle Bindeplätze simultan besetzt werden. Wenn dieses T-Untereinheit resultiert:
Alles-oder-nichts-Prinzip zutreffen würde, wäre der
Hill-Koeffizient stets ganzzahlig und würde die Anzahl cR ⋅ cA c ⋅c
KR = und KT = T A  Gl. 1.94
der Substratbindestellen an einem Enzym angeben. Da cRA cTA
diese vollständige Kooperativität in der Praxis jedoch
nie vorkommt, ist der Hill-Koeffizient stets niedriger als Im Folgenden wird das Symmetrie-Modell beispiel-
die tatsächliche Anzahl an Bindeplätzen eines Enzyms. haft an einem Protein mit zwei Untereinheiten (n = 2)
In vielen Fällen kann die Hill-Gleichung das Ver- erläutert. Das Protein kann nach dem Symmetrie-
halten von kooperativen Enzymen im Bereich von Modell in sechs verschiedenen Formen vorliegen:
10–90 % der Substratsättigung sehr gut wiedergeben. zwei Konformationen mit je drei Beladungszustän-
Die tatsächliche Reaktionsgeschwindigkeit weicht den (. Abb. 1.19).
jedoch vor allem bei sehr hohen und sehr niedri- Die Gleichgewichtskonstante für den Konforma-
gen Substratkonzentrationen deutlich vom Modell tionsübergang zwischen R- und T-Form lautet für ein
ab. Daher wurden realistischere Modelle entwickelt, dimeres Protein wie folgt:
die gleichzeitig aber auch wesentlich komplexer sind.
cT2
L=  Gl. 1.95
cR 2
1.9.3 Das Symmetrie-Modell von
Monod, Wyman und Changeoux Die fraktionelle Sättigung y gibt den Anteil der Bin-
deplätze, die mit einem Liganden besetzt sind, an der
Kooperative und allosterische Effekte haben gemein- Gesamtzahl verfügbarer Bindeplätz wieder. Die frak-
sam, dass sie in der Regel auf Interaktionen zwischen tionelle Sättigung eines dimeren Proteins kann wie
Proteinregionen basieren, die räumlich entfernt sind. folgt beschrieben werden:
30 K. Castiglione

  c  c  c
1 + cA
1  K
 ⋅ A + L ⋅ 1 + A  ⋅ A
  K T  K T
R  KR
y=  Gl. 1.102
 2  2
1 + cA  + L ⋅ 1 + cA 
   
K R  K T 

Für Proteine mit n Untereinheiten lautet die gene-


relle Gleichung:
. Abb. 1.19  Schematische Darstellung des Symmetrie-
Modells für ein dimeres Protein. Freie Liganden A werden aus
Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt  n−1 c  n−1
1 + cA ⋅ A + L ⋅ 1 + cA  ⋅ cA
 K  KR  K T  KT
R Gl. 1.103
y=
cR 2A + cT2A + 2 ⋅ cR 2A 2 + 2 ⋅ cT2A 2  n  n
y= 1 + cA  + L ⋅ 1 + cA 
(
2 ⋅ cR 2 + cT2 + cR 2A + cT2A + cR 2A 2 + cT2A 2 )  K R 

 K T 

 Gl.1.96
Gl. 1.103 beschreibt die fraktionelle Sättigung eines
Proteins mit einem Liganden A auf der Basis von
Im Zähler von Gl. 1.96 finden sich nur die Protein- Dissoziationskonstanten. Häufig wird diese Glei-
formen, die einen Liganden gebunden haben. Wenn chung noch augenscheinlich vereinfacht, indem
beide Untereinheiten einer Proteinform besetzt sind, weitere Quotienten zusammengefasst werden, z. B.
wird die Konzentration mit dem Faktor 2 multipli- cA/KR = α. Da dies jedoch dem Verständnis der bio-
ziert. Der Nenner repräsentiert die Gesamtkonzen- logischen Zusammenhänge nicht zuträglich ist, wird
tration des Proteins als Summe der Einzelkonzentra- an dieser Stelle darauf verzichtet. Soll Gl. 1.103 nun auf
tionen multipliziert mit der Anzahl der Bindestellen ein Enzym angewendet werden, das eine Einsubstrat-
pro Proteinmolekül. Unter Berücksichtigung von reaktion katalysiert, muss die in 7 Abschn. 1.4.1 einge-
Gl. 1.94 und 1.95 kann die Konzentration jeder Pro- führte rapid equilibrium-Annahme zutreffen. Hierbei
teinform in Abhängigkeit von cR2, KR, KT und L aus- führt ein geschwindigkeitslimitierender Schritt bei
gedrückt werden: der Umwandlung des Enzymsubstratkomplexes ES in
freies Enzym E und Produkt P dazu, dass alle anderen
cT2 = L ⋅ cR 2  Gl. 1.97 Komplexbildungen im Gleichgewicht sind und
durch Dissoziationskonstanten beschrieben werden
2 ⋅ cR 2 ⋅ cA können. In diesem Fall gilt für ein Enzym mit n Unter-
cR 2 A =  Gl. 1.98 einheiten und kooperativer Bindung des Substrates S:
KR
 n−1 c  c 
n−1
2 ⋅ cT2 ⋅ cA 2 ⋅ L ⋅ cR 2 ⋅ cA 1 + cS  ⋅ S + L ⋅ 1 + S  ⋅ S
c
cT2 A = =  Gl. 1.99 v  KR  KR  K T  KT
KT KT y= =
vmax  n  c 
n
1 + cS  + L ⋅ 1 + S 
0, 5 ⋅ cR 2 A ⋅ cA cR 2 ⋅ c2A  K   K T 
R
cR 2 A 2 = =  Gl. 1.100
KR K R2
 Gl. 1.104

0, 5 ⋅ cT2 A ⋅ cA L ⋅ cR 2 ⋅ cA2
cT2 A 2 = =  Gl. 1.101
KT K T2 Die Kooperativität der Untereinheiten hängt zum
einen vom Verhältnis von KR zu KT und zum anderen
von der Gleichgewichtskonstante L ab. Wenn KR
Durch Einsetzen von Gl. 1.97 bis Gl. 1.101 in Gl. 1.96 kleiner als KT ist, hat das Substrat eine höhere Affini-
und Umformen erhält man folgenden Ausdruck für tät zur R- als zur T-Konformation und die cS-v-Kurve
die fraktionelle Sättigung eines dimeren Proteins: nimmt eine stärker sigmoide Form mit zunehmender
Kapitel 1 · Enzymkinetik
31 1
von einem Enzym mit mehreren Untereinheiten aus,
Y  die in zwei verschiedenen Konformationen vorlie-
YPD[ gen können. Während das Symmetrie-Modell jedoch

postuliert, dass die Konformation eines Proteins
 unabhängig von der Ligandenbindung ist, ist eine
Grundannahme von Daniel Koshland und seinen

Kollegen (1966), dass die Konformationsänderung
/
 durch die Ligandenbindung hervorgerufen wird
[19]. Diese induced fit-Hypothese hat das Schlüssel-
 Schloss-Prinzip von Emil Fischer (1894), das von der
F6
exakten Passgenauigkeit der Strukturen von Ligand
und Bindestelle ausgegangen war, um den Aspekt
. Abb. 1.20  Geschwindigkeitskurven für die kooperative
der räumlichen Flexibilität erweitert. Nach dem
Substratbindung eines tetrameren Enzyms nach dem Sequenz-Modell entsteht Kooperativität dadurch,
K
Symmetrie-Modell. R = 0, 01 ; L = 0 (keine Kooperativität),
KT
dass die Konformationsänderung einer Untereinheit
5, 15, 50 die Dissoziationskonstanten der anderen Unterein-
heiten beeinflusst. Mit diesem Modell kann sowohl
Gleichgewichtskonstante für den Konformations- positive als auch negative Kooperativität eines oligo-
übergang L an, da sich in Abwesenheit des Liganden meren Enzyms beschrieben werden.
anteilig mehr Enzym in der wenig affinen T-Konfor- Im Folgenden wird das Sequenz-Modell beispiel-
mation befindet. Ist L = 0 existiert die T-Form des haft an einem dimeren Protein erläutert. Hierbei
Enzyms unter keiner Bedingung und es zeigt sich eine kann das Protein in drei verschiedenen Zuständen
klassische hyperbolische Bindekurve (. Abb. 1.20). vorliegen wie . Abb. 1.21 zeigt. Während das Symme-
Ein sehr praktischer Aspekt des Symmetrie- trie-Modell auf der Annahme basiert, dass gemischte
Modells ist die vergleichsweise einfache Modifizier- Konformationen wie RT nicht auftreten, ist der RTA-
barkeit von Gl. 1.103. Dies ist beispielsweise nötig, Komplex eine zwingende Folge der induced fit-
wenn die T- und die R-Konformation eines Enzyms Hypothese des Sequenz-Modells, wonach nur die
nicht nur unterschiedliche Affinitäten zum Substrat, R-Konformation mit Substrat beladen sein kann.
sondern auch unterschiedliche Reaktionsgeschwin- Die Konzentrationen des RTA-Komplexes kann
digkeiten aufweisen. Darüber hinaus kann auch die wie folgt beschrieben werden:
Geschwindigkeitsgleichung von allosterisch akti-
vierten Enzymen auf die oben beschriebene Weise 2 ⋅ cT2 ⋅ cA ⋅ K R:T
cRTA =  Gl. 1.105
hergeleitet werden. Da Substrat und Aktivator in Kt ⋅ KR
diesem Fall unabhängig voneinander an das Enzym
binden, müssen entsprechend mehr unterschiedli- Neben den Konzentrationen des Proteins ohne
che Enzymformen bei der Herleitung berücksich- gebundenem Liganden cT2 und des freien Ligan-
tigt werden. Details hierzu sind nachzulesen in Segel den cA, berücksichtigt Gl. 1.105 drei Konstanten, die
[29]. Ein wesentlicher Nachteil des Symmetrie-Mo- für die Komplexbildung relevant sind: Die Dissozia-
dells hingegen ist, dass keine negative Kooperativität tionskonstante KR (Gl. 1.94), welche die Bindung des
abgebildet werden kann. Liganden A an die Untereinheit R charakterisiert, die

1.9.4 Das Sequenz-Modell von


Koshland, Némethy und Filmer

Das Sequenz-Modell ist neben dem Symmetrie-Mo- . Abb. 1.21  Schematische Darstellung des Sequenz-
dell der zweite gebräuchliche Ansatz zur Beschrei- Modells für ein dimeres Protein. Freie Liganden A werden aus
bung von Kooperativität. Auch dieses Modell geht Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt
32 K. Castiglione

Gleichgewichtskonstante Kt, die den Konformations-


1 übergang der T- in die R-Form beschreibt, und die Y
YPD[

sogenannte Interaktionskonstante KR:T. Interaktions-  F 
konstanten geben an, inwiefern die neu entstandenen F 
Schnittstellen gegenüber der ursprünglichen T:T- 
F 
Schnittstelle stabilisiert sind. Der statistische Faktor

2 trägt der Tatsache Rechnung, dass für die Liganden-
bindung zwei äquivalente Untereinheiten zur Verfü- 
gung stehen. Da bei der Bildung des R2A2-Komplexes

jeweils zwei Konformationsübergänge und Ligan- F6
denbindungen erfolgen müssen, gilt hierfür:

. Abb. 1.22  Geschwindigkeitskurven für die kooperative


cT2 ⋅ cA2 ⋅ K R:R
cR 2A 2 =  Gl. 1.106 Substratbindung eines dimeren Enzyms nach dem Sequenz-
K t2 ⋅ K R2 Modell

Analog zum Symmetrie-Modell kann die fraktionelle


Sättigung eines Proteins beziehungsweise Reaktions- den Proteinuntereinheiten abhängt. . Abb. 1.23 illus-
geschwindigkeit eines Enzyms nach der rapid equilib- triert diesen Zusammenhang am Beispiel der unter-
rium-Annahme unter Berücksichtigung von Gl. 1.105 schiedlichen geometrischen Arrangements eines tet-
und Gl. 1.106 wie folgt formuliert werden: rameren Proteins.

v cRTA + 2 ⋅ cR 2 A2
y= = 1.9.5 Andere
vmax 2 ⋅ (cT2 + cRTA + cR 2 A2 )
Regulationsmechanismen
cA ⋅ K R :T cA2 ⋅ K R :R
+ 2 2
Kt ⋅ KR Kt ⋅ KR Neben Allosterie und Kooperativität gibt es noch
=  Gl. 1.107
cA ⋅ K R :T cA2 ⋅ K R :R weitere Möglichkeiten, die Aktivität von regula-
1+ + 2 2
Kt ⋅ KR Kt ⋅ KR torischen Enzymen zu modulieren. Viele Enzyme
werden auch durch mehr als einen Regulationsme-
Bei einen Enzym nimmt dabei das Substrat S die Stelle chanismus kontrolliert.
des Liganden A ein. . Abb. 1.22 zeigt die Geschwin- Ein sehr häufig auftretender Regulationsmecha-
digkeitskurven für die kooperative Substratbindung nismus ist die reversible kovalente Modifikation, bei
eines dimeren Enzyms nach dem Sequenz-Modell. der eine modifizierende Gruppe an eine oder mehrere
Die Form der Kurven wird dabei durch den Faktor c Aminosäuren eines Enzymmoleküls bindet und so
bestimmt, der folgendermaßen definiert ist: dessen Aktivität verändert. Insgesamt gibt es mehr als
500 unterschiedliche Arten der kovalenten Modifika-
K R:T tion, wie beispielsweise Methylierung, Acetylierung
c=  Gl. 1.108
K R:R

Wenn c > 1 ist, liegt eine negative Kooperativität vor,


während Werte <1 eine positive Kooperativität anzei-
gen. Ist c = 1 weist das Enzym eine hyperbolische Sät-
tigungskurve auf.
Die Herleitung der Geschwindigkeitsgleichung
für Enzyme mit mehr als zwei Untereinheiten kann
prinzipiell wie oben beschrieben erfolgen. Jedoch
muss die Geometrie des betrachteten Enzyms
bekannt sein, da hiervon die Anzahl und Qualität . Abb. 1.23  Mögliche räumliche Anordnungen der
der zu berücksichtigenden Schnittstellen zwischen Untereinheiten eines tetrameren Proteins
Kapitel 1 · Enzymkinetik
33 1
und Ubiquitinierung. Die bedeutendste kovalente
. Tab. 1.4  Typische Stöchiometrien der Reaktionen,
Modifikation ist die Phosphorylierung, die durch Pro- die von Enzymen verschiedener Hauptklassen nach
teinkinasen katalysiert wird. Schätzungsweise weist der EC-Nomenklatur katalysiert werden [31]
ein Drittel aller Proteine einer eukaryotischen Zelle
unterschiedliche Phosphorylierungszustände auf [24]. EC-Nummer Hauptklasse Typische
Stöchiometrie
Manche Enzyme werden aktiviert oder
gehemmt, indem sie an weitere regulatorische Pro- EC 1 Oxidoreduktasen Bi-Bi oder Ter-Bi
teine binden oder werden durch proteolytische
EC 2 Transferasen Bi-Bi
Spaltung irreversibel aktiviert. Ein sehr bekanntes
EC 3 Hydrolasen Bi-Bi
Beispiel für die Aktivierung von Enzymen durch
Entfernung von Proteinsegmenten ist die Blutgerin- EC 4 Lyasen Bi-Uni oder
Uni-Bi
nung. Unter anderem wird dabei die Serinprotease
Thrombin, das zentrale Enzym der Blutgerinnung EC 5 Isomerasen Uni-Uni
in Wirbeltieren, aus ihrem inaktiven Proenzym Pro- EC 6 Ligasen Ter-Ter
thrombin freigesetzt.

1.10 Kinetik von mit drei Substraten treten bei Oxidoreduktasen und
Mehrsubstratreaktionen Ligasen auf. Ligasen sind zwar essentiell für zelluläre
Prozesse wie DNA-Replikation und -Reparatur, finden
Bei der Erstellung eines mechanistischen Modells für jedoch bislang keine gezielte Anwendung in biotech-
Reaktionen, an denen mehr als ein Substrat und/oder nologischen Produktionsprozessen. Oxidoreduktasen
mehr als ein Produkt beteiligt ist, müssen zunächst hingegen werden häufig eingesetzt. Reaktionssysteme
folgende grundlegenden Fragen beantwortet werden, mit drei Substraten können jedoch vereinfachend wie
bevor mit der Aufstellung der Geschwindigkeitsglei- ein Zweisubstratsystem analysiert werden, wenn jeweils
chung begonnen werden kann: eines der Substrate im Überschuss zugegeben wird. Aus
55 Welche Stöchiometrie liegt vor? diesen Gründen repräsentieren Bi-Bi-Reaktionen die
55 In welcher Reihenfolge binden die Substrate? bedeutendste Gruppe der Mehrsubstratreaktionen.
55 Ist der geschwindigkeitslimitierende Schritt
bekannt?
55 Gibt es irreversible Reaktionsschritte oder 1.10.2 Reihenfolge der
Inhibierungen? Substratbindung

Die Reaktionsmechanismen von Enzymen können


1.10.1 Stöchiometrie in sequentielle Mechanismen und Ping-Pong-Me-
chanismen unterteilt werden.
Die Zugehörigkeit eines Enzyms zu einer der Haupt- Bei einem sequentiellen Mechanismus können
klassen nach der EC-Nomenklatur ist ein sehr guter alle Substrate gleichzeitig im aktiven Zentrum
Indikator für die Stöchiometrie der katalysier- gebunden werden. Die Anlagerung der Subst-
ten Reaktion. Wie . Tab. 1.4 zeigt, katalysieren die rate kann prinzipiell in einer definierten Reihen-
meisten Enzyme Reaktionen, an denen mehr als folge („ordered“) oder in beliebiger Reihenfolge
ein Substrat und/oder Produkt beteiligt ist. Hierbei („random“) erfolgen.
stehen die Präfixe Uni, Bi und Ter für ein, zwei bezie- Bei einem Ping-Pong-Mechanismus kommt es
hungsweise drei Substrate oder Produkte. zur Produktfreisetzung, bevor alle Substrate an das
Ein-Substrat-Ein-Produktreaktionen (Uni-Uni- aktive Zentrum gebunden haben. Das Enzym exis-
Reaktionen), die mit der Michaelis-Menten-Kinetik tiert in zwei (oder mehr) Formen – jeweils modifi-
beschrieben werden können, sind vergleichsweise ziert durch Gruppen der Substrate. Ping-Pong-Me-
selten. Am häufigsten sind Reaktionsmechanismen, chanismen sind typisch für Transferasen, kommen
bei denen zwei Substrate involviert sind. Reaktionen jedoch auch in anderen Enzymklassen vor.
34 K. Castiglione

1.10.3 Geschwindigkeitslimitierender Formiatdehydrogenasen (EC 1.2.1.2) die Oxidation


1 Schritt von Formiat zu Kohlendioxid unter gleichzeitiger
Reduktion des Cofaktors NAD+ zu NADH:
Wie bei der Herleitung der Michaelis-Menten-Kinetik
bereits erläutert wurde (7 Abschn. 1.4.1), gibt es prinzi- HCOO– + NAD+ → CO2 + NADH
piell zwei Möglichkeiten, Geschwindigkeitsgleichun-
gen für enzymkatalysierte Reaktionen aufzustellen: Die Reaktion ist unter normalen Bedingungen irre-
den rapid equilibrium- und den steady state-Ansatz. versibel, da das gasförmige Kohlendioxid aus dem
Beim rapid equilibrium-Ansatz geht man davon Reaktionsansatz entweicht. Beim Aufstellen einer
aus, dass der katalytische Schritt, also das Aufbre- Geschwindigkeitsgleichung für die Reaktion muss
chen und die Neubildung von kovalenten Bindungen, jedoch die Produktinhibition von NADH berück-
geschwindigkeitslimitierend ist. Alle Bindungs- und sichtigt werden, da der reduzierte Cofaktor im Reak-
Dissoziationsschritte sind vergleichsweise schnell und tionsansatz verbleibt und an das Enzym binden kann,
im Gleichgewicht. Diese Annahme führt in der Regel auch wenn die Rückreaktion nicht stattfindet.
zu relativ einfachen Geschwindigkeitsgleichungen, in Weitere kinetische Phänomene, wie beispiels-
denen drei Arten von Parametern auftreten: die kata- weise eine Substratüberschussinhibierung, müssen
lytische Konstante (kcat), die Gleichgewichtskonstante ebenfalls in der Geschwindigkeitsgleichung berück-
(Keq), und Dissoziationskonstanten (KA, KB, KC, …). sichtigt werden.
Für die meisten Enzyme ist die rapid equilibrium-
Annahme nicht zutreffend, da der katalytische Schritt
so schnell ist, dass die auftretenden Enzym-Substrat- 1.10.5 Cleland-Diagramme
und Enzym-Produktkomplexe nicht im Gleichgewicht
sind und ihre Konzentrationen daher nicht durch Dis- Die gebräuchliche Nomenklatur für enzymkataly-
soziationskonstanten beschrieben werden können. Bei sierte Reaktionen mit zwei oder mehr Substraten
steady state-Mechanismen ist die Verteilung der auf- wurde von W. Cleland entwickelt [5]. Laut dieser
tretenden Enzymformen von den Geschwindigkeits- Notation werden die Substrate als A, B, C … und die
konstanten aller Teilschritte abhängig und ihre Kon- Produkte als P, Q, R … bezeichnet, in der Reihen-
zentrationen sind im Fließgleichgewicht: folge, in der sie an das Enzym binden beziehungs-
weise das Enzym verlassen. Der Buchstabe E steht
dcEX für das Enzym in seiner Ursprungsform. Wird das
= 0 Gl. 1.109
dt Enzym in einem Ping-Pong-Mechanismus durch
übertragene Gruppen der Substrate modifiziert,
Die resultierenden Geschwindigkeitsgleichungen werden die entstehenden Formen durch F, G, H …
sind meist komplex und es müssen vier Arten von repräsentiert. In der Cleland-Nomenklatur werden
Parametern berücksichtigt werden. Neben kcat und Übergangskomplexe und Zentralkomplexe unter-
Keq treten Michaeliskonstanten (KmA, KmB, KmC, …) schieden. Übergangskomplexe sind die Enzymkom-
und Inhibitionskonstanten (KiA, KiB, KiC, …) auf. plexe, die bimolekulare Reaktionen mit anderen
Liganden eingehen können und beispielsweise ein
weiteres Substrat binden können. In den Zentral-
1.10.4 Irreversible Reaktionen oder komplexen findet die katalytische Reaktion statt. Alle
Inhibierungen Bindungsstellen sind besetzt und nur unimolekulare
Reaktionen, wie Isomerisierungen oder die Freiset-
Wenn eine enzymkatalysierte Reaktion irreversi- zung von Substraten oder Produkten, sind möglich.
bel ist, ist das auf einen oder mehrere irreversible Bei der schematischen Darstellung von Reak-
Teilschritte des Reaktionsmechanismus zurück- tionsmechanismen nach Cleland werden die auftre-
zuführen. Die resultierende Geschwindigkeits- tenden Enzymformen unterhalb einer horizontalen
gleichung ist davon abhängig, welche Teilschritte Linie aufgelistet und vertikale Reaktionspfeile zeigen
genau irreversibel sind. Beispielsweise katalysieren den Eintritt von Substraten und die Freisetzung
Kapitel 1 · Enzymkinetik
35 1
von Produkten an. Die Geschwindigkeitskonstan- nicht aufgelöst, da es sich formal um eine Isomeri-
ten der Teilreaktionen, die auch als Mikrokonstan- sierung handelt, die keinen Einfluss auf die resultie-
ten bezeichnet werden, können neben die Pfeile rende Geschwindigkeitsgleichung hat. In . Abb. 1.24
geschrieben werden. Dabei stehen die Mikrokons- sind daher die Zentralkomplexe der beiden steady
tanten links neben dem Pfeil für die Hin- und rechts state-Mechanismen jeweils zusammengefasst.
für die Rückreaktion. Die Zentralkomplexe werden
dadurch gekennzeichnet, dass sie in Klammern
gesetzt werden. . Abb. 1.24 zeigt verschiedene Bei- 1.10.6 Unterscheidung von
spiele für Cleland-Diagramme. Enzymmechanismen
Rapid equilibrium- und steady state-Mechanis-
men unterscheiden sich in Cleland-Diagrammen Die Unterscheidung zwischen verschiedenen
meist in der Darstellung der Zentralkomplexe. Bei Enzymmechanismen wird nachfolgend am Bei-
rapid equilibrium-Mechanismen ist die Umwandlung spiel der Bi-Bi-Reaktionen erläutert, da diese die
der Zentralkomplexe der geschwindigkeitslimitie- wichtigste Gruppe der Mehrsubstratreaktionen
rende Schritt, weshalb die zugehörigen Geschwin- darstellen.
digkeitskonstanten in der schematischen Darstellung
aufgeführt sind. Bei steady state-Mechanismen wird
die Umwandlung der Zentralkomplexe ineinander Anfangsreaktionsge­
schwindigkeitsmuster
Anfangsreaktionsgeschwindigkeitsmuster können
dazu benutzt werden, sequentielle Mechanismen
von Ping-Pong-Mechanismen zu unterscheiden.
Bei einer Bi-Bi-Reaktion wird hierzu die Konzent-
ration eines der beiden Substrate konstant gehalten,
während die Konzentration des anderen Substrats
variiert wird. Wenn A das variable und B das kons-
tante Substrat ist, gibt die Auftragung der Anfangs-
reaktionsgeschwindigkeit gegen die Konzentration
von A eine hyperbolische „Michaelis-Menten-
Kurve“ und vice versa. Trägt man die Reaktionsge-
schwindigkeiten, die bei unterschiedlichen Konzent-
rationen des konstanten Substrats bestimmt worden
sind, in ein gemeinsames Diagramm ein, so ergibt
sich in der doppelt-reziproken Lineweaver-Burk-
Darstellung eine Geradenschar (. Abb. 1.25). Liegt
ein sequentieller Mechanismus vor, bei dem beide
Substrate gleichzeitig an das Enzym gebunden sind
und ein sogenannter ternärer Enzym-Substrat-Kom-
plex entsteht, haben die Geraden einen gemeinsamen
Schnittpunkt. Dieser Schnittpunkt kann zwar über,
auf oder unter der x-Achse liegen, jedoch befindet
er sich bei Bi-Bi-Mechanismen stets links von der y-
Achse. Die Anfangsreaktionsgeschwindigkeitsmus-
ter von Ping-Pong-Mechanismen hingegen zeigen
parallele Linien.
Die Anfangsreaktionsgeschwindigkeitsmuster
. Abb. 1.24  Cleland-Diagramme für verschiedene Bi-Bi- zeigen, dass sowohl bei sequentiellen Mechanismen
Reaktionsmechanismen als auch bei Ping-Pong-Mechanismen eine höhere
36 K. Castiglione

. Abb. 1.25  Anfangsreaktionsgeschwindigkeitsmuster von sequentiellen (a) und Ping-Pong-Mechanismen (b). Die Muster
sind in beiden Fällen qualitativ identisch, wenn B das variable und A das konstante Substrat ist

Konzentration des konstanten Substrats B zu einer Geradensteigung bei einem Ping-Pong-Mechanis-


höheren apparenten maximalen Reaktionsgeschwin- mus unabhängig von der Konzentration des kons-
digkeit führt. Dies kann man an dem kleiner werden- tanten Substrats und es kommt zu parallelen Linien
den Betrag des y-Achsenabschnitts erkennen, der im in der Lineweaver-Burk-Auftragung.
Lineweaver-Burk-Diagramm 1/vmax entspricht. Bei Anhand von Anfangsreaktionsgeschwindigkeits-
sequentiellen Mechanismen ist auch die Steigung der mustern ist es nicht möglich, Aussagen darüber zu
Geraden abhängig von der Konzentration des variab- treffen, ob die Substrate bei einem sequentiellen
len Substrats. Die inverse Steigung der Geraden in Mechanismus in zufälliger Reihenfolge (random)
der Lineweaver-Burk-Auftragung entspricht der oder geordnet (ordered) binden. Diese Unterschei-
Geschwindigkeitskonstante bei sehr niedrigen Subs- dung kann mit Hilfe von Produktinhibitionsmustern
tratkonzentrationen (cA ≤ 0,01 Km) (7 Abschn. 1.4.1 gemacht werden.
und Gl. 1.30):

vmax Produktinhibitionsmuster
v= ⋅ cA  Gl. 1.110
Km Produktinhibitionsexperimente können ein detail-
liertes Bild vom Mechanismus einer Zweisubstrat-
Bei sehr niedrigen Konzentrationen von A ist die reaktion liefern. Hierbei wird die Art der Hemmung
Bindung des Substrats an das freie Enzym geschwin- eines Enzyms durch die Produkte der Reak-
digkeitslimitierend. Die Erhöhung von cB redu- tion untersucht. Wie bei Einsubstratreaktionen
ziert die Konzentration des EA-Komplexes, da (7 Abschn. 1.6.3) werden kompetitive, unkompetitive
sie zur verstärkten Bildung des EAB-Komplexes und nichtkompetitive beziehungsweise gemischte
führt. Die Reaktion EA + B → EAB zieht folglich Hemmungen unterschieden.
die Reaktion E + A → EA auf die rechte Seite. Auf Im Verlauf einer Zweisubstratreaktion werden die
diese Weise erhöht eine steigende Konzentration Substrate A und B durch das Enzym zu den Produk-
von B die Reaktionsgeschwindigkeit bei sehr nied- ten P und Q umgesetzt. Laut der Cleland-Nomenk-
rigen Konzentrationen an A, woraus eine Änderung latur (7 Abschn. 1.10.2) ist P das Produkt, welches
der Geradensteigung resultiert. Im Ping-Pong-Bi- das Enzym zuerst verlässt. Bei einem sequentiellen,
Bi-Mechanismus hingegen ist die Umsetzung von geordneten Mechanismus können die beiden Subst-
A von der Umsetzung von B kinetisch isoliert, da rate nicht gleichzeitig ihren Bindeplatz erreichen. Es
beide Substrate an unterschiedliche Enzymformen muss zunächst das Substrat A binden, bevor B binden
(E beziehungsweise F) binden (. Abb. 1.24). Unter kann. Folglich muss das Produkt, das aus B entsteht,
Anfangsreaktionsgeschwindigkeitsbedingungen das Enzym zuerst verlassen, bevor das Produkt, das
gibt es keine reversible Verbindung zwischen E und aus A entsteht, freigesetzt werden kann. Somit wird
F, da keine Rückreaktion stattfindet. Daher ist die A zu Q und B zu P umgesetzt, wie . Abb. 1.26a zeigt.
Kapitel 1 · Enzymkinetik
37 1
Konzentrationen der Substrate A und B im nicht-
gesättigten Bereich gehalten werden und eines der
beiden Substrate variiert wird.
Die Entstehung der unterschiedlichen Muster
wird nachfolgend am Beispiel des rapid equilibrium
random Bi-Bi-Mechanismus erläutert. In diesem Fall
können die Substrate in beliebiger Reihenfolge an das
Enzym binden. Es treten daher folgende Enzymkom-
plexe auf: EA, EB, EAB, EPQ, EP und EQ. Mischfor-
men, in denen jeweils ein Substrat und ein Produkt
vereinigt wären, wie EAP und EBQ, können nicht
gebildet werden. Wenn A das variable Substrat ist
und Q das inhibierende Produkt, so konkurrieren
. Abb. 1.26  Schematische Darstellung der aktiven beide um den gleichen Bindeplatz. Eine steigende
Zentren von Enzymen, die einen sequentiellen Konzentration an A kann Q aus diesem Bindeplatz
Reaktionsmechanismus aufweisen, bei dem die Substrate verdrängen und es liegt eine kompetitive Hemmung
in geordneter (a) oder in beliebiger Reihenfolge (b) binden
vor. Wenn P das inhibierende Produkt ist, kommt
können
es hingegen zu keiner direkten Konkurrenz um den
gleichen Bindeplatz. Dennoch kann eine steigende
Bei einem random-Mechanismus erfolgen die Subs- Konzentration an A das Produkt P aus dem Nach-
tratbindung und die Produktfreisetzung unabhängig barbindungsplatz verdrängen, da der Komplex EAP
voneinander und die Zuordnung ist willkürlich. Aus nicht existieren kann. Somit kommt es hier auch zu
Gründen der Konsistenz wird hier jedoch auch das einer kompetitiven Hemmung. Die anderen Subs-
Produkt Q dem Substrat A und das Produkt P dem trat-Produkt-Paarungen ergeben aus den gleichen
Substrat B zugeordnet (. Abb. 1.26b). Gründen identische Muster.
. Tab. 1.5 gibt eine Übersicht über mögliche Inhi- Anhand der Produktinhibitionsmuster kann
bitionsmuster, die aus der Zugabe der Produkte P nicht nur der jeweilige Mechanismus identifiziert
und Q zu der Enzymreaktion resultieren, wenn die werden. Beispielsweise kann bei einem ordered

. Tab. 1.5  Produktinhibitionsmuster häufig vorkommender Bi-Bi-Mechanismen [29]

Mechanismus Inhibieren- Variables Substrat


des Produkt
A (B konstant, nicht gesättigt) B (A konstant, nicht gesättigt)

Ordered Bi-Bi P Nichtkompetitiv Nichtkompetitiv


Q Kompetitiv Nichtkompetitiv
Theorell-Chance P Nichtkompetitiv Kompetitiv
Q Kompetitiv Nichtkompetitiv
Rapid equilibrium random P Kompetitiv Kompetitiv
Bi-Bi
Q Kompetitiv Kompetitiv
Ping-Pong Bi-Bi P Nichtkompetitiv Kompetitiv
Q Kompetitiv Nichtkompetitiv

Statt einer nichtkompetitiven Hemmung kann stets auch eine gemischte Hemmung vorliegen. Falls nicht näher
spezifiziert, handelt es sich um steady state-Mechanismen.
38 K. Castiglione

Bi-Bi-Mechanismus auch bestimmt werden, welches 1.10.7 Herleitung von


1 der beiden Substrate zuerst an das Enzym bindet. Geschwindigkeitsgleichungen
Dies ist möglich, da eine kompetitive Hemmung nur
dann auftritt, wenn das zuerst bindende Substrat A
variiert wird und das Produkt Q, welches das Enzym Rapid equilibrium-Mechanismen
zuletzt verlässt, als Inhibitor fungiert. Die beispiel- Die Herleitung der Geschwindigkeitsgleichungen für
haft aufgeführten Produktinhibitionsmuster zeigen rapid equilibrium-Mechanismen ist vergleichsweise
jedoch auch, dass die Unterscheidung zwischen einfach und erfolgt für jeden Mechanismus nach dem
verschiedenen Mechanismen häufig noch weitere gleichen Schema in sieben Schritten. Als Beispiel soll
Daten erfordert. Der Theorell-Chance-Mechanis- hier der rapid equilibrium ordered Bi-Uni-Mechanis-
mus ist eine Sonderform des ordered Bi-Bi-Mecha- mus dienen, bei dem die Desorption des Produktes
nismus, bei dem der Zentralkomplex so schnell zer- irreversibel ist und folglich keine Rückreaktion statt-
fällt, dass seine Konzentration im Fließgleichgewicht findet (. Abb. 1.27).
und folglich auch für die Erstellung der Geschwin- 1. Formulierung des geschwindigkeitslimitie-
digkeitsgleichung vernachlässigbar ist. Anhand renden Schrittes:
der Produktinhibitionsmuster lässt sich der Theo- In einem rapid equilibrium-Mechanismus
rell-Chance-Mechanismus jedoch nicht von einem wird die Reaktionsgeschwindigkeit nur durch
Ping-Pong Bi-Bi-Mechanismus unterscheiden. Hier den geschwindigkeitslimitierenden Schritt
können zusätzliche Anfangsreaktionsgeschwindig- bestimmt. Für den rapid equilibrium ordered
keitsmuster helfen. Bi-Uni-Mechanismus gilt daher:

v= k3 ⋅ cEAB = kcat ⋅ cEAB  Gl. 1.111


Nutzung von Isotopen
Kann ein Enzymmechanismus nicht allein auf- 2. Erstellung der Massenbilanz der auftretenden
grund von Anfangsreaktionsgeschwindigkeits- Enzymformen:
mustern und Produktinhibitionsstudien iden-
tifiziert werden, können Isotope zur weiteren cE 0 = cE + cEA + cEAB  Gl. 1.112
Aufklärung beitragen. Die Anwendungen von
Isotopen zur genauen Untersuchung kinetischer 3. Teilen von Gl. 1.111 durch Gl. 1.112:
Mechanismen sind vielfältig [8] und daher soll
ihr Potential nur am Beispiel des primären kine- v kcat ⋅ cEAB
=  Gl. 1.113
tischen Isotopeneffekts herausgestellt werden. cE 0 cE + cEA + cEAB
Dieser Effekt tritt auf, wenn ein Atom in einer
reagierenden Gruppe durch ein schwereres Isotop 4. Zusammenfassung der übrigen Geschwindig-
ersetzt wird. Ist beispielsweise in einer Reaktion keitskonstanten zu Dissoziationskonstanten:
die Übertragung eines Wasserstoffatoms geschwin-
digkeitsbestimmend, führt der Austausch gegen k−1 cE ⋅ cA
KA = =  Gl. 1.114
Deuterium zu einer deutlich verminderten Reak- k1 cEA
tionsgeschwindigkeit. Typischerweise sind die
Reaktionsraten mit Wasserstoff siebenfach höher k−2 cEA ⋅ cB cE ⋅ cA ⋅ cB
KB = = =  Gl. 1.115
als mit Deuterium [8]. Folglich ist das Ausblei- k2 cEAB K A ⋅ cEAB
ben eines primären Isotopeneffektes ein Hinweis
darauf, dass der katalytische Schritt, also das Auf- 5. Darstellung der Konzentrationen aller Enzym-
brechen und die Neubildung kovalenter Bindun- formen in Abhängigkeit von cE:
gen, nicht geschwindigkeitslimitierend ist und es
cA
sich um keinen rapid equilibrium-Mechanismus cEA = ⋅ cE  Gl. 1.116
handelt. KA
Kapitel 1 · Enzymkinetik
39 1
. Abb. 1.27  Cleland-Diagramm
des rapid-equilibrium ordered Bi-
Uni-Mechanismus mit irreversibler
Desorption des Produkts

cA ⋅ cB dann beispielsweise mit Hilfe eines Computerpro-


cEAB = ⋅ cE  Gl. 1.117
KA ⋅ KB gramms gelöst werden. Wenn Gleichungen für sehr
komplexe Mechanismen mit mehreren Substraten,
6. Einsetzen der Ausdrücke für die Enzymformen Produkten und Inhibitoren aufgestellt werden sollen,
in Gl. 1.113: ist eine korrekte Formulierung der Differentialglei-
chungen jedoch mühsam und fehleranfällig. Daher
wurden eine Reihe von schematischen Ansätzen und
c ⋅c
kcat ⋅ A B ⋅ cE Computerprogrammen entwickelt, die hierbei assis-
v KA ⋅ KB
=  Gl. 1.118 tieren können [25]. Der bedeutendste schematische
cE 0 c + cA ⋅ c + cA ⋅ cB ⋅ c Ansatz, der auch die Basis für viele der Algorithmen
E E E
KA KA ⋅ KB darstellt, die in den entsprechenden Computerpro-
grammen eingesetzt werden, ist das King-Altman-
7. Kürzen von cE und Einsetzen der Beziehung Verfahren [18].
vmax = kcatcE0, da die maximale Reaktions- Bei der schematischen Methode nach King und
geschwindigkeit erreicht ist, wenn die Konzen- Altman (1956) erfolgt die Aufstellung von steady
tration des EAB-Komplexes der gesamten state-Geschwindigkeitsgleichungen in fünf Schritten.
Enzymkonzentration cE0 entspricht:
1. Schritt: Konstruktion eines Polygons
cA ⋅ cB Zunächst werden die verschiedenen Enzymformen,
KA ⋅ KB die in einem Reaktionsmechanismus auftreten, in
v =vmax ⋅  Gl. 1.119
c c ⋅c einer geometrischen Figur arrangiert, wobei jede
1+ A + A B
KA KA ⋅ KB Ecke von einer Enzymform besetzt wird. Die Reak-
tionspfeile verbinden die Enzymformen und werden
mit den entsprechenden Geschwindigkeitskonstanten
Steady state-Mechanismen beschriftet, die mit der Konzentration der eingehen-
Die Erstellung von Geschwindigkeitsgleichun- den Liganden multipliziert werden. Die Freisetzung
gen für steady state-Mechanismen kann prinzipiell von Liganden wird nicht angezeigt. Das konstruierte
analog zur Herleitung der Michaelis-Menten-Kine- Polygon hat somit n Ecken, die den jeweiligen Enzym-
tik (7 Abschn. 1.4.1) durch die Aufstellung von Dif- formen entsprechen, und m Verbindungen zwischen
ferentialgleichungen erfolgen, die die Geschwindig- den Enzymformen. . Abb. 1.28 zeigt Beispiele für die
keiten der Konzentrationsänderungen der einzelnen Polygone verschiedener Reaktionsmechanismen.
Komponenten beschreiben. Durch die Annahme, Wie bei den Cleland-Diagrammen (7 Abschn. 1.10.2)
dass sich die auftretenden Enzymkomplexe im können die Zentralkomplexe zusammengefasst
Fließgleichgewicht der Gesamtreaktion befinden, werden, da die formale Isomerisierung keinen Ein-
können ihre Konzentrationsänderungen gleich fluss auf die Geschwindigkeitsgleichung hat. Beim
Null gesetzt werden. Das Gleichungssystem kann steady state Uni-Uni Mechanismus (. Abb. 1.28a) sind
40 K. Castiglione

. Abb. 1.29  Relevante Muster mit n − 1 Linien für die


in . Abb. 1.28 dargestellten Polygone verschiedener steady
state-Reaktionsmechanismen. a) Uni-Uni-Mechanismus,
b) ordered Bi-Bi-Mechanismus, c) random Bi-Uni-Mechanismus.
Nur im Fall des random Bi-Uni-Mechanismus (rot hinterlegt)
treten geschlossene Figuren auf, die eliminiert werden müssen

Die Anzahl aller möglichen Muster x aus n − 1


Linien kann mit Hilfe folgender Gleichung berech-
net werden:

m!
x=  Gl. 1.120
(n −1)!⋅(m − n + 1)!

Die Anzahl der unzulässigen Muster y aus n − 1


. Abb. 1.28  Polygone für verschiedene steady state-
Linien mit einer geschlossenen Figur mit r Seiten
Reaktionsmechanismen nach dem King-Altman-Verfahren. kann ebenfalls berechnet werden, wobei gilt r ≤ n − 1:
a) Uni-Uni-Mechanismus (n = 3, m = 3), b) ordered Bi-Bi-
Mechanismus (n = 4, m = 4), c) random Bi-Uni-Mechanismus (m − r )!
(n = 4, m = 5) y=  Gl. 1.121
(n −1 − r )!⋅(m − n + 1)!
Die Zahl der unzulässigen Muster muss für jede auf-
beide Zentralkomplexe getrennt aufgeführt, da sonst tretende geschlossene Figur separat berechnet werden.
kein Polygon konstruiert werden kann. Die Summe aller unzulässigen Muster wird abschlie-
ßend von der Zahl der möglichen Muster x abgezogen,
2. Schritt: Ableitung der relevanten Muster um die Zahl der relevanten Muster z zu bestimmen.
Ausgehend vom Polygon werden im nächsten Schritt
alle möglichen Muster aufgezeichnet, die aus n − 1 z = x − ∑ i yi  Gl. 1.122
Linien bestehen. Hierbei werden alle Muster, die
geschlossene Figuren aufweisen, nicht berücksich-
tigt. . Abb. 1.29 zeigt die relevanten Muster für die Eine Beispielrechnung für den steady state random
in . Abb. 1.28 dargestellten Polygone. Bi-Uni-Mechanismus (n = 4, m = 5) ergibt:
Kapitel 1 · Enzymkinetik
41 1

5!
x= = 10 
(4 −1)!⋅(5 − 4 + 1)!
Wie aus . Abb. 1.28c ersichtlich wird, gibt es zwei
Dreiecke im zugehörigen Polygon, die an einer
. Abb. 1.30  Ableitung des mathematischen Ausdrucks für
gemeinsamen Basis gespiegelt sind. Für jedes dieser das freie Enzym E im Uni-Uni-Mechanismus
Dreiecke gilt:

(5 − 3)! cEP k1 ⋅ cA ⋅ k2 + k−1 ⋅ k−3 ⋅ cP + k2 ⋅ k−3 ⋅ cP


y= =1  =
(4 −1− 3)!⋅(5 − 4 + 1)! cE 0 Nenner
Somit ergibt sich für die Anzahl der relevanten Muster:
 Gl. 1.125
z = 10 − (1 + 1) = 8
Der Nenner entspricht der Summe aller Zählerterme:
Die relevanten Muster sowie die beiden unzulässigen
Muster sind in . Abb. 1.29c zu sehen. Nenner = cE 0 = (k−2 ⋅ k−1 + k−1 ⋅ k3 + k2 ⋅ k3 )
+(k−2 + k2 + k3 )⋅ k1 ⋅ cA
3. Schritt: Ableitung der mathematischen
Ausdrücke für alle Enzymformen +(k−1 + k−2 + k2 )⋅ k−3 ⋅ cP

Die nachfolgenden Schritte werden aus Gründen der
 Gl. 1.126
Übersichtlichkeit nur am Beispiel des Uni-Uni-Mecha-
nismus erläutert. Zur Ableitung der mathematischen
Ausdrücke für die auftretenden Enzymformen wird 4. Schritt: Aufstellung der
die jeweils betrachtete Enzymform in den in Schritt Geschwindigkeitsgleichung und
2 identifizierten Mustern an der Stelle platziert, die Transformation in die Koeffizienten-Form
ihrer ursprünglichen Position im Polygon entspricht. Da nun alle mathematischen Ausdrücke für die ein-
Anschließend wird ein Produkt aus den Geschwin- zelnen Enzymformen vorliegen, kann die Geschwin-
digkeitskonstanten und zugehörigen Konzentrationen digkeitsgleichung aufgestellt werden:
eingehender Liganden gebildet, die im ursprünglichen
Polygon entlang der Reaktionspfeile stehen, die zu der v= k2 ⋅ cEA − k−2 ⋅ cEP  Gl. 1.127
jeweiligen Enzymform führen. Die drei Produkte, die
aus den drei relevanten Mustern resultieren, werden Nach Einsetzen der Gleichungen für die Enzymfor-
letztendlich summiert. . Abb. 1.30 illustriert dieses men und Zusammenfassen ergibt sich:
Vorgehen am Beispiel des freien Enzyms E.
Der relative Anteil des freien Enzyms an der v k ⋅ k ⋅ k ⋅ c − k−1 ⋅ k−2 ⋅ k−3 ⋅ cP
= 1 2 3 A
Gesamtenzymkonzentration kann dann wie folgt cE 0 (k−2 ⋅ k−1 + k−1 ⋅ k3 + k2 ⋅ k3 )
formuliert werden:
+(k−2 + k2 + k3 ) ⋅ k1 ⋅ cA
cE k ⋅ k + k−1 ⋅ k3 + k2 ⋅ k3 +(k−1 + k−2 + k2 ) ⋅ k−3 ⋅ cP
= −2 −1  Gl. 1.123
cE 0 Nenner
 Gl. 1.128

Analog ergibt sich für die anderen beiden Enzym-


formen EA und EP: Gl. 1.128 ist eine vollständige Geschwindigkeitsglei-
chung für den steady state ordered Uni-Uni-Me-
cEA k−2 ⋅ k1 ⋅ cA + k3 ⋅ k1 ⋅ cA + k−3 ⋅ cP ⋅ k−2 chanismus. Die Mikrokonstanten kn und k–n sind
=
cE 0 Nenner jedoch experimentell nur schwer zugänglich. Um
Gl. 1.128 in eine leichter zu handhabende Form zu
 Gl. 1.124 überführen, werden die Mikrokonstanten zunächst
42 K. Castiglione

zu Koeffizienten zusammengefasst. Die Koeffizien- Konstante


1 ten umfassen dabei immer die Mikrokonstanten,
K mA =
Koeffizient A
die dem jeweiligen Konzentrationsterm im Zähler Konstante
beziehungsweise im Nenner zugeordnet sind. Bei- K mP =
Koeffizient P
spielsweise gilt:
ZahlerA
K eq =
(k−2 + k2 + k3 )⋅ k1 ⋅ cA = Koeffizient A ⋅ cA  P
Zahler
 Gl. 1.132
 Gl. 1.129
Durch Erweiterung von Gl. 1.131 mit ZählerP/(Koeffi-
Die Koeffizienten im Zähler umfassen zusätzlich zientA · KoeffizientP) und zusätzlicher Multiplikation
noch die Enzymkonzentration: aller Terme, die cP umfassen, mit ZählerA/ZählerA
erhält man Gl. 1.133 (siehe unten).
k1 ⋅ k2 ⋅ k3 ⋅ cE 0 ⋅ cA = ZählerA ⋅ cA  Gl. 1.130 Durch Einsetzen der kinetischen Konstanten und
Umformen erhält man die Gleichung für den steady
Die Mikrokonstanten im Nenner, die keinem Kon- state Uni-Uni-Mechanismus in ihrer üblichen Form:
zentrationsterm zugeordnet sind, werden zu einer
Konstante vereinigt. Auf diese Weise wird Gl. 1.128 in  c 

die sogenannte Koeffizienten-Form überführt: vmax,f ⋅vmax,r ⋅ cA − P 
 K eq 
v=  Gl. 1.134
v ⋅c
ZählerA ⋅ cA − ZählerP ⋅ cP K mA ⋅vmax,r +vmax,r ⋅ cA + max,f P
v= K eq
Konstante+Koeffizient A ⋅ cA
 Gl. 1.131
+Koeffizient P ⋅cP
Gl. 1.134 ist nur eine andere Darstellung von Gl. 1.48,
da der betrachtete Uni-Uni-Mechanismus der
5. Schritt: Transformation der reversiblen Ein-Substrat-Ein-Produktreaktion ent-
Geschwindigkeitsgleichung in die Form der spricht. Für diesen Mechanismus ist die Herleitung
kinetischen Konstanten nach dem King-Altman-Verfahren im Vergleich zur
Im letzten Schritt werden die Koeffizienten aus in 7 Abschn. 1.4.3 dargestellten Herleitung aufwen-
Gl. 1.131 durch experimentell zugängliche kinetische dig. Dieses Verhältnis verschiebt sich jedoch bei der
Konstanten ersetzt. Dies geschieht nach den Defini- Betrachtung komplexer Reaktionsmechanismen
tionen von Cleland [6]: deutlich zu Gunsten des King-Altman-Verfahrens.
Ein Blick auf die Geschwindigkeitsgleichung für den
 A
Zahler steady state ordered Bi-Bi-Mechanismus veranschau-
vmax,f = kcat,f ⋅ cE0 =
Koeffizient A licht, wie komplex die resultierenden Gleichungen
Zahler
 P werden, obwohl „nur“ ein zweites Substrat bezie-
vmax, r = kcat, r ⋅ cE0 = hungsweise Produkt hinzukommt:
Koeffizient P

 A ⋅ Zahler
Zahler  P ⋅ cA  A ⋅ Zahler
Zahler  P ⋅ Zahler
 P ⋅ cP

 rA
Koeffizient A ⋅ Koeffizient P Koeffizient A ⋅ Koeffizient P ⋅ Zahle
v=
 P
Konstante ⋅ Zahler  P ⋅ Koeffizient A ⋅ cA
Zahler  A ⋅ Zahl
Zahler  erP ⋅ Koeffizient P ⋅ cP
+ +
 A
Koeffizient A ⋅ Koeffizient P Koeffizient A ⋅ Koeffizient P Koeffizient A ⋅ Koeffizient P ⋅ Zahler

 Gl. 1.133
Kapitel 1 · Enzymkinetik
43 1

cP ⋅ cQ
vmax,f .vmax,r ⋅ (cA ⋅ cB − )
K eq
v=
K mQ ⋅vmax,f ⋅ cP K mP ⋅vmax,f ⋅ cQ
KiA ⋅ K mB ⋅vmax,r +K mB ⋅ vmax,r ⋅ cA +K mA ⋅vmax,r ⋅ cB + + +vmax,r ⋅ cA ⋅ cB
K eq K eq
cP ⋅ cQ
vmax,f .vmax,r ⋅ (cA ⋅ cB −
)
K eq
K ⋅v ⋅c ⋅ c K ⋅v ⋅c ⋅c v ⋅c ⋅c v ⋅c ⋅c ⋅c v ⋅ c ⋅c ⋅ c
+ mQ max,f A P + mA max,r B Q + max,f P Q + max,r A B P + max,f B P Q
KiA K eq KiQ K eq KiP KiB ⋅ K eq
 Gl. 1.135 

Aus Gl.1.135 wird ersichtlich, dass neben den   [3] Carbonell P, Lecointre G, Faulon JL (2011) Origins of spe-
Michaeliskonstanten (KmA, KmB, …) auch Inhibi- cificity and promiscuitivity in metabolic networks. J Biol
Chem 286:43994–44004
tionskonstanten (KiA, KiB, …) in den Geschwindig-   [4] Chemnitius JM, Haselmeyer KH, Zech R (1982) Identifica-
keitsgleichungen von steady state-Mechanismen tion of isoenzymes in cholinesterase preparations using
auftreten. Die Schätzung der kinetischen Parameter kinetic data of organo-phosphate inhibition. Anal Bio-
für solch komplexe Gleichungen kann zum einen chem 125(2):442–452
über Verlaufskurvenanalyse geschehen (7 Abschn.   [5] Cleland W (1963a) The kinetics of enzyme-catalyzed
reactions with two or more substrates or products. I.
1.5.2). Zum anderen können jeweils Teile der kineti-
Nomenclature and rate equations. Biochim Biophys Acta
schen Parameter durch die Messung von verschiede- 67:104–137
nen Anfangsreaktionsgeschwindigkeiten bestimmt   [6] Cleland, W (1963b). The kinetics of enzyme-catalyzed
werden (7 Abschn. 1.5.1). Da hierbei die Produktkon- reactions with two or more substrates or products. II. Inhi-
zentrationen vernachlässigt werden können, verein- bition: nomenclature and theory. Biochim Biophys Acta
67:173–187
facht sich Gl.1.135 zu:   [7] Colquhoun D (2006) The quantitative analysis of drug–
receptor interactions: A short history. Trends Pharmacol
vmax ,f . cA . cB Sci 27:149–157
v=
KiA . K mB + K mB . c A + K mA . c B + c A . c B   [8] Cornish-Bowden A (2012) Fundamentals of enzyme kine-
tics, 4. Aufl. Wiley-VCH, Weinheim
 Gl. 1.136   [9] Cornish-Bowden A (2014) Current IUMB recommendati-
ons on enzyme nomenclature and kinetics. Perspect Sci
Eine analoge Vereinfachung kann für die Rückreak- 1:74–87
tion getroffen werden. Wird zusätzlich ein Substrat [10] Dawson RMC, Elliott DC, Elliott WH, Jones KM (1986) Data
im sättigenden Überschuss gehalten und das andere for Biochemical Research. Clarendon Press, Oxford
variiert, kann die Enzymgeschwindigkeit in Abhän- [11] Eisenthal R, Danson MJ, Hough DW (2007) Catalytic effi-
ciency and kcat/Km: a useful comparator? Trends Biotech-
gigkeit des variablen Substrats mit der klassischen nol 25:247–249
Michaelis-Menten-Kinetik nach Gl. 1.28 beschrieben [12] Elleuche S, Schäfers C, Blank S, Schröder C, Antranikian G
werden. Auf diese Weise kann die zugehörige maxi- (2015) Exploration of extremophiles for high temperature
male Reaktionsgeschwindigkeit vmax,f beziehungs- biotechnological processes. Curr Opin Microbiol 25:113–119
weise v max,r sowie die Michaeliskonstante für das [13] Fahrney DE, Gold AM (1962) Sulfonyl fluorides as inhibi-
tors of esterases. I. Rates of reaction with acetylcholin-
variable Substrat bestimmt werden. esterase, α-chymotrypsin, and trypsin. J Am Chem Soc
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44 K. Castiglione

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45 2

Wachstumskinetik
Dirk Weuster-Botz und Ralf Takors

2.1 Wachstumsmodelle – 46

2.2 Wachstumskurve – 47

2.3 Nicht-strukturierte Wachstumsmodelle – 49


2.3.1 Sättigungskinetik (Monod) – 50
2.3.2 Substratüberschussinhibierung – 50
2.3.3 Produktinhibierung – 52
2.3.4 Erhaltungsstoffwechsel – 53
2.3.5 Mehrere limitierende Substrate – 54
2.3.6 Produktbildung – 56
2.3.7 Reaktionsvektor – 57

2.4 Wachstumskinetik von Mycelbildnern – 58

2.5 Weitere Einflussgrößen – 60


2.5.1 Temperatur – 61
2.5.2 Wasserstoffionenaktivität (pH) – 62
2.5.3 Andere Medienbestandteile – 63
2.5.4 Methoden der Medienentwicklung – 66

Literatur – 69

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_2
46 D. Weuster-Botz und R. Takors

Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilze, Mikro- (Zunahme der Zellmasse) häufig nicht linear kor-
algen) und Gewebezellen (tierische Zellen, pflanz- reliert erfolgen. Die intrazelluläre Bildung von Koh-
liche Zellen) werden neben isolierten Enzymen als lenstoffspeichern, wie beispielsweise bei der Lipid-
2 Biokatalysatoren in vielfältiger Weise in der indus- akkumulation in Mikroalgen, führt zu vollständiger
triellen Produktion eingesetzt. Im Vergleich zu Entkopplung von Wachstum und Vermehrung in der
Katalysatoren, wie sie in der chemischen Produk- Lipidakkumulationsphase, da hier eine Massenzu-
tion zum Einsatz kommen, aber auch im Vergleich nahme ohne Zunahme der Zellzahl erfolgt.
zu Enzymen, zeichnen sich Mikroorganismen oder Damit überhaupt Wachstum erfolgen kann,
Gewebezellen dadurch aus, dass sie sich im Bioreak- müssen im wässrigen Reaktionsmedium alle Subs-
tor selbst vermehren oder regenerieren können. Das trate verfügbar sein, die eine Zelle zum Wachstum
bedeutet, der Katalysator muss in der Regel nicht zu benötigt. Neben geeigneten Energie-, Kohlenstoff-
Beginn der Reaktion vollständig vorgelegt werden, und Stickstoffquellen müssen alle Hauptelemente wie
sondern der Einsatz geringer Mengen an Mikro- Phosphor, Schwefel, Magnesium, Kalium, Calcium,
organismen oder Zellen ist ausreichend, und der Natrium, Eisen und Spurenelemente wie Kupfer,
Biokatalysator bildet sich autokatalytisch im Laufe Mangan, Kobalt, Zink und andere in ausreichen-
des Produktionsprozesses. Oftmals korreliert dabei der Menge vorhanden sein. Häufig müssen zusätz-
die Zunahme der Zellzahl (Vermehrung) linear mit lich spezifische Aminosäuren und Vitamine oder
der Zunahme der Zellmasse (Wachstum). Dies ist deren Vorläufermetabolite vorgelegt werden, wenn
beispielsweise der Fall, wenn Zellen sich stochas- die verwendeten Zellen diese nicht selbst syntheti-
tisch – also nicht synchronisiert – teilen und damit sieren können. Individuelle Druck-, Temperatur-,
aus einer Zelle durch Teilung immer zwei identische Ionenstärke- und pH-Bereiche müssen eingehalten
neue Zellen entstehen, wie es beispielsweise beim werden, um Wachstum zu ermöglichen. Es ist damit
nichtsynchronisierten Wachstum von Bakterien oder eine große Anzahl an Einsatzstoffen (Substraten) und
Hefen der Fall ist (siehe . Abb. 2.1). Reaktionsbedingungen vorhanden, die Wachstums-
Im Zellzyklus einer mikrobiellen Zelle erfolgt geschwindigkeiten und damit Substratverbrauchs-
zunächst die Zunahme an Biomasse in der B-Phase, und Produktbildungsraten von Mikroorganismen
bis eine kritische Masse erreicht ist. In der sich oder Zellen beeinflussen können.
anschließenden C-Phase wird das Bakterienchro- Die quantitative Kenntnis der Reaktionsge-
mosom repliziert. Die beiden chromosomalen DNA- schwindigkeiten (Substratverbrauch, Wachstum
Moleküle werden anschließend zu den entgegen- und Produktbildung) in Abhängigkeit der Reak-
gesetzten Zellpolen auseinandergezogen, und die tionsbedingungen ist jedoch von zentraler Bedeu-
Zelle beginnt sich in der Mitte zu teilen (D-Phase). tung für Auslegung und Betrieb von Bioreaktoren.
Am Ende der Zellteilung (binary fission) liegen zwei Die grundlegenden Konzepte zur Wachstumsmodel-
genetisch identische Zellen vor, und der Zyklus kann lierung von Mikroorganismen und Zellen werden in
erneut mit der B-Phase beginnen [1]. Hefen vermeh- diesem Kapitel beschrieben.
ren sich dagegen durch Zellsprossung. Das bedeutet,
eine Mutterzelle generiert nach Durchlaufen eines
Zellzyklus eine einzelne Tochterzelle, die sich von der 2.1 Wachstumsmodelle
Mutterzelle ablöst. Die Tochterzelle nimmt danach
in der Masse zu, bevor diese selbst nach Durchlaufen In der Regel sind heute die Genome der in der indus-
eines Zellzyklus eine eigene Tochterzelle abschnüren triellen Produktion eingesetzten (genetisch opti-
kann. Jede Mutterzelle kann dabei nur eine begrenzte mierten) Mikroorganismen oder Zellen sequen-
Anzahl an einzelnen Tochterzellen bilden. Wachs- ziert, sodass stöchiometrische Netzwerkmodelle mit
tum und Vermehrung korrelieren hier ebenfalls nur mehreren hundert und teilweise bis über tausend int-
linear bei nicht synchronisierter Vermehrung von razellulären Stoffwechselreaktionen verfügbar sind.
Zellpopulationen. Das Wachstum von Pilzen durch Diese strukturierten stöchiometrischen Modelle ein-
Hyphenbildung stellt ein Beispiel dar, bei dem Ver- zelner Zellen erlauben die Abschätzung von maxima-
mehrung (Zunahme der Zellzahl) und Wachstum len theoretischen Biomasse/Substrat- oder Produkt/
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
47 2

=HOOWHLOXQJ Noch komplexer wird die kinetische Beschrei-


bung des Wachstums von Mikroorganismen und
Zellen, wenn nicht nur Einzelzellen, sondern Zell-
populationen betrachtet werden (segregierte
Modelle). Unterschiedliche Zellpopulationen können
prinzipiell immer in Bioreaktoren auftreten. Zelltei-
lungen sind nicht immer exakt symmetrisch, sodass
beispielsweise Plasmide ungleich verteilt werden.
%3KDVH  &3KDVH  '3KDVH Eukaryotische Zellen können sich in unterschiedli-
chen Phasen des Zellzyklus befinden oder es ist keine
Knospung bei Hefen mehr möglich (altern). Auch
unterschiedliche Substratverfügbarkeiten in Zellag-
=HOOVSURVVXQJ gregaten (beispielsweise Pilzpellets) oder Inhomo-
genitäten in Bioreaktoren können zur Ausbildung
unterschiedlicher Zellpopulationen führen.
Eine Möglichkeit zur Reduktion der Komplexi-
tät solcher segregierter (Populations-) und struk-
turierter (Stoffwechsel-)Modelle ist die Betrach-
tung der Einzelzellen als unstrukturierte black box
oder der Verzicht auf die Betrachtung verschiede-
ner Zellpopulationen (siehe . Abb. 2.2). Beide Vor-
gehensweisen führen zu stark vereinfachten und
+\SKHQELOGXQJ idealisierten Modellansätzen zur Beschreibung der
Wachstumskinetik. Die unstrukturierte Beschrei-
bung einer Zelle mit mehreren hundert gleichzeitig
ablaufenden Stoffwechselreaktionen ist damit nur
noch rein empirisch möglich („formalkinetisch“).
Der Verzicht auf ein segregiertes Wachstumsmodell
6SRUHQ+\SKHQ  setzt voraus, dass eine dominante homogene Zell-
population im betrachteten Reaktionsvolumen vor-
. Abb. 2.1  Vermehrung durch Zellteilung, liegt und die minoren Zellpopulationen als vernach-
Sprossenbildung oder Hyphenbildung lässigbar betrachtet werden können.
Bei der Kombination beider Modellvereinfachun-
gen zu einem nicht strukturierten und nicht segre-
Substratausbeuten oder die Abschätzung intrazel- gierten Wachstumsmodell wird der Biokatalysator
lulärer Stoffflussverteilungen, wenn übergeord- ausschließlich als eine Menge homogener Durch-
nete Regulationsmechanismen auf zellulärer Ebene schnittszellen im Reaktionsvolumen betrachtet, die alle
bekannt sind (transkriptionale oder post-transkrip- dieselben Eigenschaften haben. Zur Charakterisierung
tionale Regulationen). Die kinetische Modellierung des Biokatalysators ist in diesem Fall einzig und allein
dieser stöchiometrischen Stoffwechselnetzwerke die Bestimmung der Biotrockenmasse ausreichend.
ermöglicht prinzipiell die Abschätzung von Subs­
trataufnahme-, Wachstums- und Produktbildungski-
netiken einzelner Zellen bei Kenntnis der übergeord- 2.2 Wachstumskurve
neten Regulationsmechanismen. Allerdings stellt die
Identifikation der vielen tausend kinetischen Modell- Wird ein steriles, ideal homogenisiertes Reaktions-
parameter im Gegensatz zur bekannten Stöchiome- medium, das alle Substrate zum Wachstum enthält,
trie intrazellulärer Reaktionen eine große Heraus- mit Zellen oder Mikroorganismen bei geeigne-
forderung dar. ten Reaktionsbedingungen (Temperatur, pH, …)
48 D. Weuster-Botz und R. Takors

angeimpft, wird im Satzverfahren eine Zunahme der exponentiellen Phase können die Zellen unli-
der Zellmasse als Funktion der Prozesszeit beob- mitiert wachsen. Irgendwann nimmt nachfolgend
achtet. Dabei werden verschiedene Wachstumspha- die Geschwindigkeit der Massenzunahme wieder ab
2 sen durchlaufen (siehe . Abb. 2.3). In der ersten Ver- (zweite Übergangsphase), bis keine Massenzunahme
zögerungsphase (engl. lag-phase) passen die Zellen mehr erfolgt (stationäre Phase). Die Abnahme der
ihren Stoffwechsel an die Reaktionsbedingungen Wachstumsgeschwindigkeit in der zweiten Über-
an. Hier wird kein Wachstum beobachtet. Sobald gangsphase kann unterschiedliche Ursachen haben,
die Zellen in der Lage sind, Substrate aus dem Reak- wie beispielsweise die Anhäufung inhibierender
tionsmedium umzusetzen, beginnen die Zellen mit Stoffwechselprodukte, die Veränderung der Reak-
zunehmender Geschwindigkeit zu wachsen (erste tionsbedingungen durch Stoffwechselvorgänge (pH-
Übergangsphase) bis eine exponentielle Massen- Veränderung) oder der Verbrauch eines oder meh-
zunahme beobachtet wird (exponentielle Phase). In rerer der vorgelegten Substrate. Wird die Reaktion

EODFNER[=HOOPRGHOO VW|FKLRPHWULVFKHV1HW]ZHUNPRGHOO
IU'XUFKVFKQLWWV]HOOHQ IU'XUFKVFKQLWWV]HOOHQ
8QVHJUHJLHUW

EODFNER[=HOOPRGHOOH VW|FKLRPHWULVFKHV1HW]ZHUNPRGHOOH
IUKHWHURJHQH=HOOSRSXODWLRQHQ IUKHWHURJHQH=HOOSRSXODWLRQHQ
6HJUHJLHUW

8QVWUXNWXULHUW 6WUXNWXULHUW

. Abb. 2.2  Einteilung von Wachstumsmodellen


Kapitel 2 · Wachstumskinetik
49 2
nach Erreichen der stationären Phase nicht abge- cX0 ist die Biotrockenmassekonzentration nach dem
brochen, so reduziert sich irgendwann die Biomas- Animpfen und cXmax die maximale Biotrockenmas-
sekonzentration. Die Zellen beginnen abzusterben sekonzentration in der stationären Phase. Die Zeit
und lysieren (Absterbephase). t1 stellt den Schnittpunkt der Asymptote im Wen-
Die zellspezifische Wachstumsrate µ wird defi- depunkt der sigmoiden Funktion mit der Zeitachse
niert als dar (siehe . Abb. 2.3). Die Steigung der Asymptote
entspricht dabei der maximalen Wachstumsrate
1 dcX µmax.
µ≡ ⋅
cX dt  Gl. 2.1

2.3 Nicht-strukturierte
mit cX als Biotrockenmassekonzentration. Nur in Wachstumsmodelle
der exponentiellen Phase wachsen die Zellen mit
der maximalen zellspezifischen Wachstumsrate Nicht-strukturierte und nicht-segregierte Wachs-
µ max. Die Verdopplungszeit td der Zellmasse ist tumsmodelle werden am häufigsten zur kinetischen
in dieser Phase bei konstanter maximaler Wachs- Beschreibung der zellspezifischen Substratver-
tumsrate durch Integration von Gleichung Gl. 2.1 brauchs-, Wachstums- und Produktbildungsraten
bestimmbar: verwendet. Mikroorganismen oder Zellen werden
hierbei als suspendierte Einheitszellen im Reak-
td 2cX0 tionsvolumen mit identischen Eigenschaften abstra-
1 ln2
µmax ⋅ ∫ dt = ∫ dc ; t = hiert. Diese starke Vereinfachung hat zur Folge, dass
cX X d µmax  Gl. 2.2
0 cX0 nur maximal zwei Prozessphasen der Wachstums-
kurve kinetisch beschrieben werden können (siehe
Zur Identifikation der maximalen Wachstumsrate . Abb. 2.3, grau hervorgehoben): die exponentielle
µ max aus experimentell ermittelten Wachstums- Wachstumsphase und die zweite Übergangsphase,
kurven bis einschließlich der stationären Phase falls diese durch das Versiegen eines limitierenden
können sigmoide Funktionen genutzt werden [2] Substrats hervorgerufen wird. In diesem Fall wird die
wie beispielsweise: zweite Übergangsphase auch Substratlimitierungs-
phase genannt. Das Konzept des limitierenden Subs-
trats hat zur Folge, dass
 

 µ
 max ⋅e ⋅(t −t )+1
 55 alle zellspezifischen Reaktionsgeschwindigkeiten
 cXmax 1 
cX c  ln  nur von der Konzentration einer geschwindig-
ln = ln Xmax ⋅ e−e
 cX0 
 Gl. 2.3
cX0 cX0 keitsbestimmenden Prozessvariablen, dem
limitierenden Substrat, abhängig sind und

. Abb. 2.3  Wachstumskurve bei einer


Biotrockenmassekonzentration von cX0 am
Prozessanfang mit Verzögerungsphase (1),
erster Übergangsphase (2), exponentieller
Phase (3), zweiter Übergangsphase
(4), stationärer Phase (5), Absterbephase (6)
50 D. Weuster-Botz und R. Takors

55 alle anderen Prozessvariablen, wie Temperatur, als eine Reaktion 1. Ordnung oder 0. Ordnung
pH und andere Substrat- und Produktkonzent- darstellen:
rationen, als konstant und ohne Einfluss auf die
2 zellspezifischen Reaktionsgeschwindigkeiten
cS << KS : µ≅
µmax 1
⋅c
betrachtet werden müssen. KS S  Gl. 2.6

Weiterhin wird häufig angenommen, dass Wachs-


tum und Vermehrung linear korreliert sind, die cS << KS : µ ≅ µmax ⋅ cS0 = µmax  Gl. 2.7
Mikroorganismen oder Zellen sich somit nicht syn-
chronisiert teilen und dabei immer zwei identische Der Approximationsfehler bei Verwendung der
neue Zellen entstehen. In diesem Fall kann aus der Reaktion 1. Ordnung (Gl. 2.6) liegt unter 1 % bei cS <
Anzahl n der Zellteilungen (Generationszahl) einfach 0,01 · KS. Die Annäherung von µ durch die maximale
die resultierende Biomassekonzentration ermittelt Wachstumsrate µmax (Reaktion 0. Ordnung, Gl. 2.7)
werden: ergibt einen Approximationsfehler von weniger als
1% bei cS > 100 · KS.
cX = cX0 ⋅ 2n  Gl. 2.4 Die Annahme einer konstanten Sättigungskon-
zentration KS setzt voraus, dass die Mikroorganismen
Zur empirischen Beschreibung der Abhängig- oder Zellen für das limitierende Substrat nur ein Auf-
keit der zellspezifischen Wachstumsrate von einer nahmesystem besitzen. Unterschiedliche Aufnahme-
limitierenden Substratkonzentration sind ver- systeme besitzen meist unterschiedliche Affinitäten
schiedene Ansätze bekannt (siehe . Abb. 2.4). Alle zum Substrat. In diesem Fall wäre die Sättigungskon-
kinetischen Ansätze beschreiben eine Abnahme zentration nicht mehr konstant, sondern müsste von
der zellspezifischen Wachstumsrate mit Verringe- der limitierenden Substratkonzentration abhängen.
rung der limitierenden Substratkonzentration cS,
wobei die Wachstumsrate µ Null wird, sobald kein
limitierendes Substrat mehr vorliegt (cS = 0), und 2.3.2 Substratüberschussinhibierung
die Annäherung an eine maximale Wachstumsrate
bei hohen limitierenden Substratkonzentrationen. Es gibt eine ganze Reihe von limitierenden Subs­
Unterschiede gibt es lediglich in der funktionalen traten, die in hohen Konzentrationen inhibierend
Darstellung des Übergangs zwischen diesen beiden auf die Wachstumsrate von Mikroorganismen oder
Randbedingungen und der Anzahl der kinetischen Zellen wirken können, beispielsweise organische
Parameter [3]. Säuren oder Alkohole. In diesem Fall lässt sich die
zellspezifische Wachstumsrate mit einer einfachen
Inhibierungskinetik empirisch beschreiben [5]:
2.3.1 Sättigungskinetik (Monod)
cS
µ = µmax ⋅
Zur Beschreibung der Wachstumsrate als Funktion cS2  Gl. 2.8
KS + cS +
einer limitierenden Substratkonzentration wird am KI
häufigsten die von Monod [4] eingeführte Sätti-
gungskinetik verwendet. wobei die Inhibierungskonstante KI die Substratkon-
zentration darstellt, bei der erneut näherungsweise
cS die halbmaximale Wachstumsrate erreicht wird,
µ = µmax ⋅
KS + cS 
Gl. 2.5 wenn KI ≫ KS (siehe . Abb. 2.6):

Der kinetische Parameter KS stellt hierbei die Sätti- KI µ


gungskonzentration dar, bei der die halbmaximale µ = µmax ⋅ ≅ max  Gl. 2.9
KS + 2 ⋅ K I 2
Wachstumsrate erreicht wird (siehe . Abb. 2.5). Diese
einfache Sättigungskinetik lässt sich bei niedrigen Bei Vorliegen einer Substratüberschussinhibierung
oder hohen limitierenden Substratkonzentrationen durchläuft die Wachstumsrate ein Maximum, da
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
51 2
. Abb. 2.4  Formalkinetische
Ansätze zur Beschreibung der
Wachstumsrate als Funktion der
limitierenden Substratkonzentration

höchste Wachstumsrate µopt erreicht wird, ist damit


lediglich eine Funktion der beiden kinetischen Para-
meter KS und KI und. Die höchste Wachstumsrate
µopt, die bei Substratüberschussinhibierung zu errei-
chen ist, ergibt sich damit zu:

KS ⋅ K I
µopt = µmax ⋅
KS + KS ⋅ K I + KS
KI
KS  Gl. 2.11
= µmax ⋅
KI
2+
KS

Grundsätzlich kann damit die maximale Wachstums-


. Abb. 2.5  Sättigungskinetik zur Beschreibung rate µmax bei Vorliegen einer Substratüberschussinhi-
der Wachstumsrate als Funktion der limitierenden bierung nur bei einem hohen Verhältnis von KI zu KS,
Substratkonzentration (µmax = 1 h–1) also bei einer gering ausgeprägten Substratüberschuss-
inhibierung angenähert werden (siehe . Abb. 2.7). Bei
mit zunehmender Konzentration des limitieren- einem Verhältnis von KI zu KS von 10 können bei-
den Substrats zunächst die Wachstumsrate ansteigt, spielsweise nur etwas mehr als 60 % und bei einem
dann aber mit weiter steigender limitierender Sub Verhältnis von 100 dagegen über 80 % der maximalen
stratkonzentration die Substratüberschussinhibie- Wachstumsrate im Optimum erreicht werden.
rung wirksam wird. In manchen Fällen ist es notwendig, die Substrat-
Die optimale Wachstumsrate µopt wird erreicht, überschussinhibierung in noch allgemeinerer Form
wenn die Steigung der Wachstumsrate als Funktion zu formulieren:
der limitierenden Substratkonzentration Null wird:
cS
µ = µmax ⋅  Gl. 2.12
dµ cSn
= 0 : cS,opt = KS ⋅ K I  Gl. 2.10 KS + cS +
dcS KI
Die optimale Substratkonzentration, bei der bei Der Exponent n kann hierbei auch Zahlenwerte n > 2
Vorliegen einer Substratüberschussinhibierung die annehmen. In diesen Fällen wirken sich ansteigende
52 D. Weuster-Botz und R. Takors

. Abb. 2.7  Erreichbare maximale Wachstumsrate µopt bei


. Abb. 2.6  Sättigungskinetik mit
Substratüberschussinhibierung als Funktion des Verhältnisses
Substratüberschussinhibierung zur Beschreibung
von Inhibierungskonstante KI zur Sättigungskonzentration KS
der Wachstumsrate als Funktion der limitierenden
bei Vorliegen einer Substratüberschussinhibierung
Substratkonzentration (µmax = 1 h–1)

Substratkonzentrationen stärker inhibierend als im die Erreichung möglichst hoher Produktkonzen-


Standardfall bei n = 2 aus (siehe . Abb. 2.6, graue trationen ist, soll im Folgenden nur das gebildete
Linie). Produkt als Inhibitor betrachtet werden. Eine Über-
tragung auf andere Inhibitoren ist ohne Einschrän-
kungen möglich.
2.3.3 Produktinhibierung Der allgemeingültigste Ansatz zur formalkineti-
schen Beschreibung der Reduktion des Wachstums
Neben hohen Konzentrationen am limitierenden von Mikroorganismen oder Zellen mit zunehmen-
Substrat selbst kann das Wachstum von Mikroorga- der Inhibitorkonzentration ist ein einfacher Expo-
nismen oder Zellen durch unterschiedliche Subs- nentialansatz [6]:
tanzen inhibiert werden. Dies können zum einen n
Produkte oder Nebenprodukte sein, die während cS  c 
µ = µmax ⋅ ⋅ 1 − P   Gl. 2.13
des Wachstums gebildet werden, wie beispielsweise KS + cS  cPmax 
organische Säuren oder Alkohole. Zum anderen
können aber auch inhibierende Stoffe mit der Subs- Hierbei stellt cPmax die maximale Produktkonzen­
tratlösung zugeführt werden, wie es bei der Ver- tration dar, bei der die Wachstumsrate gerade Null
wendung von kostengünstigen Abfallsubstraten wird und der Exponent n gibt an, ob die steigende
oder Biomassehydrolysaten häufig der Fall sein Produktkonzentration die Wachstumsrate schon bei
kann. Auch die Zugabe von Chemikalien als Precur- niedrigen Produktkonzentrationen stark reduziert (n
sor zur Herstellung der gewünschten Bioprodukte > 1) oder erst bei relativ hohen Produktkonzentratio-
oder als Induktor zur Expression von Enzymen kann nen (n < 1, siehe . Abb. 2.8).
zur Verringerung der Wachstumsraten von Mikro- Die meisten alternativen Ansätze zur Beschrei-
organismen oder Zellen führen. In allen Fällen muss bung einer Produktinhibierung wie beispielsweise [7]
der Einfluss der in der Regel veränderlichen Inhi-
−1
bitorkonzentrationen auf die Wachstumsrate kine- cS  c 
tisch beschrieben werden. Da ein wichtiges Ziel der µ = µmax ⋅ ⋅ 1 + P   Gl. 2.14
KS + cS  K P 
meisten biotechnologischen Produktionsprozesse
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
53 2
oder [8]

cP
cS −
µ = µmax ⋅ ⋅ e KP  Gl. 2.15
KS + cS

kommen zwar mit nur einem kinetischen Parameter


(Inhibierungskonstante KP) aus, können jedoch nur
Inhibierungskinetiken analog zu n ≥ 1 beschreiben
(grau hinterlegte Fläche in . Abb. 2.8).

2.3.4 Erhaltungsstoffwechsel

Bevor Mikroorganismen oder Zellen wachsen


können, müssen das limitierende Substrat (und
selbstverständlich auch alle anderen für Stoffwechsel
und Wachstum erforderlichen Substrate) zunächst
. Abb. 2.8  Inhibition des Wachstums mit zunehmender
aufgenommen werden. Die zellspezifische Substrat- Produktkonzentration (nach Levenspiel [6]) bei unlimitiertem
aufnahmerate qS wird in Analogie zur Wachstums- Wachstum (cS ≫ KS)
rate definiert als

1 dcS  dcX  Gl. 2.19


qS ≡ ⋅ Gl. 2.16 YXS,µ =
cX dt dcS

mit cS als die limitierende Substratkonzentration. Bei der Substrataufnahme für den Erhaltungsstoff-
Prinzipiell kann das limitierende Substrat von der wechsel qS,m (m für engl. maintenance) erfolgt kein
Zelle für das Wachstum (qS, µ), für den Erhaltungs- Wachstum der Zellen. Das limitierende Substrat
stoffwechsel (qS,m) und zur Produktbildung (qS,P)) wird lediglich zur Aufrechterhaltung essenzieller
genutzt werden. Stoffwechselfunktionen verbraucht. Dazu zählen
beispielsweise der Aufbau von Ionengradienten
qS = qS,µ + qS, m + qS, P  Gl. 2.17 zwischen dem Zellinnern und der Umgebung, die
Reparatur von DNA, die Neusynthese von degra-
Die Substrataufnahmerate für das Wachstum der dierter mRNA sowie von degradierten Proteinen und
Zellen wird als proportional zur Wachstumsrate vieles mehr. Häufig wird in erster Näherung davon
angenommen. Schnelleres Wachstum ist nur bei ausgegangen, dass eine konstante zellspezifische Auf-
einer erhöhten Substrataufnahmerate möglich: nahmegeschwindigkeit mS des limitierenden Subst-
rats zur Aufrechterhaltung des Erhaltungsstoffwech-
1 sels vorliegt [9].
qS,µ = ⋅µ  Gl. 2.18
YXS,µ
qS, m = mS  Gl. 2.20
Zur Verknüpfung von Wachstumsrate und Substrat-
aufnahmerate muss der Ertragskoeffizient YXS,µ als Damit stellt mS einen weiteren formalkinetischen
weiterer formalkinetischer Parameter bekannt sein. Parameter dar. Die Annahme einer konstanten zell-
Der Ertragskoeffizient YXS,µ (Y für engl. yield) ent- spezifischen Substrataufnahmegeschwindigkeit für
spricht der gebildeten Masse an Zellen pro umgesetz- den Erhaltungsstoffwechsel mS ist insbesondere vor
ter Masse an limitierendem Substrat, das ausschließ- dem Hintergrund der Annahme eines limitierenden
lich für Wachstum verbraucht wird. Substrats gerechtfertigt (7 Abschn. 2.3).
54 D. Weuster-Botz und R. Takors

Für den Fall, dass das limitierende Substrat nicht


auch noch zur Produktbildung verbraucht wird, lässt
sich die Substrataufnahmerate von Mikroorganis-
2 men oder Zellen damit wie folgt darstellen:

1
qS = ⋅ µ + mS  Gl. 2.21
YXS,µ

Für den Fall der einfachen Sättigungskinetik für das


Wachstum würde sich damit formal für die zellspezi-
fische Substrataufnahmerate folgender Zusammen-
hang ergeben:

1 cS
qS = ⋅ µmax ⋅ + mS  Gl. 2.22
YXS,µ KS + cS

Für den Grenzfall cS → 0 würde sich ergeben: . Abb. 2.9  Sättigungskinetik zur Beschreibung
der Wachstumsrate als Funktion der limitierenden
qS = mS  Gl. 2.23 Substratkonzentration bei konstanter Substrataufnahmerate
für den Erhaltungsstoffwechsel (rot) im Vergleich zur
Sättigungskinetik ohne Erhaltungsstoffwechsel (µmax = 1 h–1)
Dies kann jedoch nicht sein. Wenn kein limitierendes
Substrat mehr vorhanden ist, kann auch keine Subs­
trataufnahme mehr erfolgen, qS müsste Null werden. 2.3.5 Mehrere limitierende Substrate
Daher muss bei Berücksichtigung eines konstan-
ten Verbrauchs an limitierendem Substrat für den In vielen Fällen ist die Berücksichtigung von nur
Erhaltungsstoffwechsel mS neben dem Substratver- einem limitierenden Substrat zur unstrukturierten
brauch für das Zellwachstum der formalkinetische Beschreibung der Wachstumskinetik von Mikroorga-
Ansatz zur Beschreibung der zellspezifischen Wachs- nismen oder Zellen nicht ausreichend. Beispiele sind
tumsrate µ erweitert werden: bei heterotrophen Wachstum von atmenden Mikro-
organismen die Berücksichtigung der Kohlenstoff-
cS quelle und des im Reaktionsmedium gelösten Sauer-
µ = µmax ⋅ − mS ⋅ YXS,µ  Gl. 2.24 stoffs als zwei limitierende Substrate, ebenso wie die
KS + cS
Berücksichtigung von zwei limitierenden Kohlenstoff-
Damit geht die zellspezifische Substrataufnahmerate quellen (Glucose und Glutamin) und der Sauerstoff-
bei cS → 0 ebenfalls gegen Null. konzentration im Reaktionsmedium als drei limitie-
Die zellspezifische Wachstumsrate dagegen wird rende Substrate zur formalkinetischen Beschreibung
jetzt bei sehr niedrigen Substratkonzentrationen des Wachstums von tierischen Zellen. Ein anderes Bei-
negativ (siehe . Abb. 2.9), es tritt also ein Abster- spiel für die Berücksichtigung von drei limitierenden
ben der Zellen auf. Die Grenzsubstratkonzentra- Substraten ist die Konzentrationen einer Kohlenstoff-
tion cS,lim, bei der die Zellen gerade eben aufhören quelle, sowie die Sauerstoff- und Nitratkonzentratio-
zu wachsen und das limitierende Substrat alleine nen im Reaktionsmedium, wenn sowohl Sauerstoff-
zur Aufrechterhaltung des Erhaltungsstoffwechsels atmung als auch Nitratatmung möglich sind.
benötigt wird, ist geringer als die Sättigungskonzen- Häufig werden die limitierenden Substrate dabei
tration KS, da in der Regel gilt: µmax ≫ mS · YXS,µ. als interaktiv komplementäre Substrate betrachtet
(vereinfacht nach [10]):
KS
cS,lim =  cSi
µ = µmax ⋅ Πi
µmax Gl. 2.25  Gl. 2.26
−1 KSi + cSi
mS ⋅ YXS,µ
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
55 2
Dabei beeinflussen alle limitierende Substratkon-
zentrationen gleichzeitig „interaktiv komplemen-
tär“ die zellspezifische Wachstumsrate. Grundsätz-
lich können dabei auch spezifische Eigenschaften
einzelner limitierender Substrate wie Substratüber-
schussinhibierungen individuell berücksichtigt
werden. Dies ist beispielsweise möglich bei Metha-
nol als limitierender Kohlenstoffquelle, das gleich-
zeitig bei höheren Konzentrationen eine Substrat-
überschussinhibierung hervorruft, und Sauerstoff als
zweitem limitierenden Substrat:

cS cO  Gl. 2.27
µ = µmax ⋅ ⋅ 2
cS2 K O + cO
KS + cS + 2 2
KI
. Abb. 2.10  Wachstumsrate als Funktion zweier
Bei interaktiv komplementären Substraten wird die interaktiv komplementärer, limitierender Substrate.
Wachstumsrate immer Null, wenn eines der beiden Beispiel: Methanol als limitierendes Substrat cS mit
limitierenden Substrate gegen Null geht (siehe Substratüberschussinhibierung und Sauerstoff cO
2
. Abb. 2.10). (µmax = 1 h–1)
In den Fällen, bei denen ein limitierendes Subs-
trat erst von den Zellen verwertet werden kann, mit dem anderen limitierenden Substrat (hier Nitrat)
wenn die Konzentration eines anderen limitieren- zusammensetzt.
den Substrats niedrig genug ist, kann häufig eine
Schaltfunktion verwendet werden, ohne einen wei- cS
teren formalkinetischen Parameter einführen zu µ = µNitrat + µO = µmax ⋅
2 KS + cS
müssen. Dies soll am Beispiel der Umschaltung
 cNitrat KO 
von Sauerstoff- auf Nitratatmung bei der heterotro-  ⋅ 2
⋅ η   Gl. 2.29
 K 
phen Kohlenstoffverwertung erläutert werden. Für  Nitrat + cNitrat K O2 + cO2 
die Beschreibung der Wachstumsrate bei Nitratat- ⋅ 
 cO 
mung µNitrat gilt dann: + 2 
 K + c 
 O2 O2 
cS cNitrat
µNitrat = µmax ⋅ ⋅
KS + cS K Nitrat + cNitrat  Da die maximale Wachstumsrate bei Nitratat-
 Gl. 2.28 mung geringer ist als bei Sauerstoffatmung, muss
KO
⋅ 2 in diesem Fall hier noch ein Wirkungsgrad η ein-
K O + cO gefügt werden (η < 1). Aufgrund der eingeführten
2 2
Schaltfunktion ist im Gegensatz zu rein interak-
Ist die Sauerstoff konzentration sehr hoch tiv komplementären Substraten (siehe . Abb. 2.10)
( cO2 >> K O2 ) wird die Wachstumsrate bei Nitratat- auch Wachstum möglich, wenn eines der beiden
mung µNitrat sehr gering. Im umgekehrten Fall hängt limitierenden Substrate erschöpft sein sollte.
die Wachstumsrate bei Nitratatmung nur von den Dabei erfolgt der Wechsel zwischen Sauerstoffat-
Konzentrationen der Kohlenstoffquelle cS und der mung und Nitratatmung ohne Unstetigkeit (siehe
Nitratkonzentration cNitrat im Reaktionsmedium ab. . Abb. 2.11).
Zu beachten ist, dass sich die Wachstumsrate bei Bestimmt dagegen entweder die Konzentration
Umschaltung zwischen zwei limitierenden Substra- des einen oder des anderen limitierenden Substrats
ten additiv aus einem Anteil mit dem einen limitie- die Wachstumsrate, handelt es sich um nicht inter-
renden Substrat (hier Sauerstoff) und einem Anteil aktiv komplementäre Substrate [11]:
56 D. Weuster-Botz und R. Takors

Vitamine, Proteine, …) hängt vom jeweiligen meta-


bolic design des eingesetzten Produktionsorganis-
mus ab. Meist wird jedoch gezielt versucht, die
2 Produktbildung unabhängig vom Wachstum zu
ermöglichen, um möglichst hohe Produktausbeu-
ten bezogen auf das eingesetzte Substrat erzielen
zu können. In diesen Fällen finden Wachstum und
Produktbildung in unterschiedlichen Prozesspha-
sen statt. Die Produktbildung wird in der Regel erst
in der stationären Wachstumsphase induziert (siehe
. Abb. 2.3). In manchen Fällen ist das wachstums-
limitierende Substrat auch das limitierende Subst-
rat für die Produktbildung. Auch bei der Herstel-
lung von Sekundärmetaboliten wie beispielsweise
Antibiotika erfolgt die Produktbildung in der Regel
wachstumsunabhängig.
. Abb. 2.11  Wachstumsrate als Funktion zweier interaktiv
Die zellspezifische Produktbildungsrate qP wird
komplementärer, limitierender Substrate, wobei der
Verbrauch des einen limitierenden Substrats (hier Nitrat) erst in Analogie zur Wachstumsrate definiert als
erfolgt, wenn die Konzentration des zweiten limitierenden
Substrats (hier Sauerstoff ) niedrig wird (unlimitierte 1 dcP
qP ≡ ⋅
Konzentration der Kohlenstoffquelle, µmax = 1 h–1) cX dt  Gl. 2.31

mit cP als die jeweilige Produktkonzentration. Für


cSi  Gl. 2.30 den Fall, dass das wachstumslimitierende Substrat
µ = µmax ⋅ mini
KSi + cSi auch zur Produktbildung benötigt wird, erfolgt die
Verknüpfung mit den anderen zellspezifischen Raten
Das bedeutet zum einen, dass jeweils ein limitieren- über die Ausbeutekoeffizienten YPS und YXP,µ:
des Substrat alleine die Wachstumsrate bestimmt und
dcP 
zum anderen, dass die Wachstumsrate bei Wechsel YPS = Gl. 2.32
von einem limitierenden Substrat zum anderen nicht dcS
mehr stetig ist.
dcX  Gl. 2.33
YXP,µ =
dcP
2.3.6 Produktbildung
Y PS ist die Produktselektivität (gebildete Menge
Die mikrobielle oder zelluläre Produktbildung kann an Produkt pro umgesetzter Menge an limitieren-
auf ganz unterschiedlichen Stoffwechselreaktionen dem Substrat), während Y XP,µ die Selektivität bei
beruhen, die nicht immer mit dem Verbrauch eines der wachstumsgekoppelten Produktbildung dar-
wachstumslimitierenden Substrats oder mit Zell- stellt (gebildete Menge an Biomasse bezogen auf
wachstum in Zusammenhang stehen müssen. Die die gebildete Menge an Produkt), wobei hier nur
Bildungsgeschwindigkeit von Endprodukten des die wachstumsassoziierte Produktbildung berück-
primären Energiestoffwechsels (organische Säuren, sichtigt wird.
Alkohole, Methan, …) ist in der Regel jedoch vom Eine einfache Klassifizierung der verschiedenen
limitierenden Substrat abhängig und zumindest Produktbildungskinetiken kann nach folgendem
teilweise wachstumsassoziiert. In wie weit andere Schema erfolgen [12] (siehe . Abb. 2.12):
mikrobielle oder zelluläre Produkte wachstumsasso- Streng wachstumsgekoppelte Produktbildungs-
ziiert gebildet werden (beispielsweise Aminosäuren, kinetik (Typ I):
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
57 2
µ  Gl. 2.34 Kinetikmodellierung schnell an ihre Grenzen stoßen
qP =
YXP,µ kann. Häufig müssen Produktbildungskinetiken
Teilweise wachstumsgekoppelte Produktbildungs- aufgrund der sehr unterschiedlichen genetischen
kinetik (Typ II): Konstrukte der Produktionsorganismen sehr indi-
viduell formuliert werden, sodass die oben genannte
µ Klassifizierung nur als ein erster Ausgangspunkt
qP = + kP  Gl. 2.35
YXP,µ zur Erarbeitung eines kinetischen Ansatzes zur
Beschreibung der zellspezifischen Produktbildungs-
Wachstumsunabhängige Produktbildungsgeschwin- geschwindigkeiten betrachtet werden kann.
digkeit (Typ III):

qP = kP  Gl. 2.36 2.3.7 Reaktionsvektor

Im einfachsten Fall wird die wachstumsunabhängige Sowohl zellspezifische Wachstumsrate, Substrat-


Produktbildungsrate kP als konstante zellspezifische aufnahmeraten und oftmals Produktbildungsraten
Produktbildungsgeschwindigkeit angenommen. werden bei nicht-strukturierten und nicht-segregier-
Für den Fall, dass es sich bei dem betrachte- ten Wachstumsmodellen als Funktion der limitieren-
ten Produkt um ein Primärprodukt des Energie- den Substrate und gegebenenfalls inhibierenden Pro-
stoffwechsels handelt, wie beispielsweise bei der dukte wiedergegeben. In der Regel müssen zunächst
mikrobiellen Ethanolherstellung, lässt sich die wachs- die limitierenden Substrate durch Zellen oder Mikro-
tumsunabhängige Produktbildungsrate kP auch als organismen aufgenommen werden, bevor Wachstum
zellspezifische Produktbildungsrate aufgrund des und häufig auch Produktbildung erfolgen können.
Erhaltungsstoffwechsels mP interpretieren, sodass Die biomassespezifischen Raten sind also nicht
hierbei die teilweise wachstumsgekoppelte Produkt- unabhängig voneinander, sondern müssen gleich-
bildung wie folgt dargestellt werden kann: zeitig betrachtet werden.
Es ist daher sinnvoll, das formalkinetische
µ Modell einer Durchschnittszelle allgemein als Reak-
qP = + mP  Gl. 2.37
YXP,µ tionsvektor f(x,θ) wiederzugeben, wobei x den Sys-
temzustandsvektor (Zustandsgrößen wie die limitie-
Zur Formulierung von Produktbildungskinetiken renden Substrat- oder die Produktkonzentrationen)
ist in der Regel sehr viel spezifisches Prozesswissen und θ den Parametervektor mit allen verwendeten
auf metabolischer Ebene erforderlich, sodass die kinetischen Modellparametern (µmax, KSi, …) dar-
hier betrachtete unstrukturierte und unsegregierte stellt [13]:

. Abb. 2.12  Klassifizierung von Produktbildungskinetiken: Typ I streng wachstumsgekoppelt, Typ II teilweise
wachstumsgekoppelt, Typ III wachstumsunabhängige Produktbildung (nach [12])
58 D. Weuster-Botz und R. Takors

 µ ( x,θ ) Für den oben dargestellten Reaktionsvektor


 
f ( x,θ ) = −qSi ( x,θ )  enthält der Systemzustandsvektor x folglich drei
 Gl. 2.38
 Einträge:
 qPi ( x,θ )
2 T
x = (cX, cS, cP )  Gl. 2.40
Grundsätzlich werden im Reaktionsvektor bio-
massespezifische Substratverbrauchsgeschwindig- Der Parametervektor θ enthält alle kinetischen Para-
keiten mit negativem Vorzeichen eingetragen und meter, die im Reaktionsvektor auftreten. Für den
Bildungsgeschwindigkeiten (Wachstumsrate und oben dargestellten Reaktionsvektor sind dies:
Produktbildungsraten) mit positivem Vorzeichen.
Beispielsweise stellt sich der Reaktionsvek- T
θ = (µmax, KS, cP, max, n, mS,YXS,µ, mP,YXP,µ )
tor bei der mikrobiellen Vergärung von Glucose
zu Ethanol wie folgt dar, wenn eine einfache Sät-  Gl. 2.41
tigungskinetik mit Glucose als einzigem limitie-
renden Substrat, der Glucoseverbrauch für den Die in diesem Fall acht formalkinetischen Parame-
Erhaltungsstoffwechsel, die teilweise wachstums- ter müssen quantitativ bekannt sein, um sowohl bio-
gekoppelte Produktbildung mit Ethanol als ein- massespezifische Wachstums- und Glucoseaufnah-
zigem Zielprodukt und die Produktinhibierung meraten als auch die spezifische Ethanolbildungsrate
durch Ethanol berücksichtigt werden sollen (die als Funktion der Zustandsgrößen beschreiben zu
Kinetik der CO2 Bildung soll hier als Nebenpro- können.
dukt nicht mit aufgeführt werden): Die Identifikation des Parametervektors θ, also
die Ermittlung von Zahlenwerten für alle formalki-
 µ ( x, θ ) netischen Modellparameter, muss für jede Zelle und
 
f ( x, θ ) = −qSi ( x, θ ) jeden Mikroorganismus unter definierten Reaktions-
  bedingungen experimentell erfolgen und ist sehr
 qPi ( x, θ )
aufwendig. Daher muss bei der Formulierung des
  n 
 cS 1 cP   Reaktionsvektors versucht werden, die Anzahl der
µmax ⋅ ⋅ −  − mS ⋅ YXS,µ  Einträge im Parametervektor θ so gering wie möglich
 K + c S   cP, max  
  S
 zu halten. Wesentliche Kriterien zur Formulierung
 
   des Reaktionsvektors f(x,θ) sind damit:
=  −
 µ
+ mS  
 YXS,µ   55 biologische Signifikanz
 
 55 minimale Parameterzahl
 µ 
 + mP  55 Möglichkeit der Parameteridentifikation
 YXP,µ 
 
Der letzte Punkt soll verdeutlichen, dass es nicht
Gl. 2.39 sinnvoll ist, formalkinetische Ansätze in den Reak-
tionsvektor mit aufzunehmen, bei denen ein oder
Als Zustandsgrößen werden alle Prozessgrößen mehrere kinetische Parameter nicht identifizierbar,
bezeichnet, die variabel sind. Die Zustandsgrößen also nicht messbar sind.
sind bei diesem Reaktionsvektor also neben der Bio-
massekonzentration cX die Glucosekonzentration cS
als limitierendes Substrat und die Ethanolkonzen- 2.4 Wachstumskinetik von
tration cP als inhibierendes Produkt. Die Konzent- Mycelbildnern
ration des Nebenproduktes CO2 im Medium wird
dabei als konstant angenommen, da beim Konzept Bei filamentös wachsenden Mikroorganismen (Bak-
des limitierenden Substrats alle anderen Prozess- terien und Pilzen) lösen sich die Zellen nicht von-
variablen als konstant und ohne Einfluss auf Reak- einander, sondern bilden auch in Suspension ver-
tionsgeschwindigkeiten betrachtet werden müssen. netzte, dreidimensionale Strukturen (Hyphen) aus.
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
59 2
Diese Strukturen können mehr oder weniger ver- beitragen können, und beide Kompartimente unter-
zweigt und dabei auch mehr oder weniger dicht schiedlich zum Biomassewachstum beitragen,
sein. Es wird zwischen fadenförmigen Wachstum müssen zwei Wachstumsraten berücksichtigt werden.
oder der Ausbildung dichter, meist kugelförmiger Dies ist zum einen die biomassespezifische Wachs-
Pellets unterschieden. Die Zellen in einer Hyphe tumsrate der Zellen im apikalen Kompartiment
nehmen unterschiedliche Funktionen war. Wachs- µA mit dem Massenanteil zA und zum anderen die
tum erfolgt nur an den freien Enden der Hyphen. Je Wachstumsrate der Zellen im subapikalen Komparti-
verzweigter eine Hyphe ist, desto schnelleres Wachs- ment µS mit dem Massenanteil zS. Im einfachsten Fall
tum ist möglich. Die Anzahl der Enden in einem wird für beide Wachstumsraten eine einfache Sätti-
Mycel stellt damit eine charakteristische morpho- gungskinetik in Bezug auf das limitierende Substrat
logische Größe dar. angenommen:
Zur Massenzunahme des Mycels trägt aber nicht
nur eine Zelle an einem der freien Enden (Spitzen) µ = µA ⋅ zA + µS ⋅ zS
bei, sondern auch die dahinter angeordneten Zellen. cS 
= (µmax, A ⋅ zA + µmax,S ⋅ zS ) ⋅ Gl. 2.42
Diese Zellen sind nicht durch eine Zellmembran KS + cS
voneinander getrennt, sondern teilen sich ihr Zyto-
plasma, in dem alle Zellkerne verteilt sind. Der Teil Prinzipiell können hier aber statt der einfachen Sät-
zwischen dem wachsenden Ende (lat. apex) und tigungskinetik zusätzlich auch der Erhaltungsstoff-
der ersten die Zellen abtrennenden Zellmembran wechsel, Mehrsubstratkinetiken oder Inhibierungen
(Septum) wird als apikales Kompartiment bezeich- berücksichtigt werden.
net. Die direkt dem ersten Septum nachfolgenden Die gesamte Biomasse besteht aus dem apikalen,
Zellen stellen das subapikale Kompartiment dar. subapikalen und Hyphenkompartimenten (Massen-
Auch diese Zellen können noch zum Wachstum am anteil zH), sodass die Summe dieser variablen Mas-
freien Ende beitragen, da die trennenden Zellmem- senanteile 1 ergeben muss:
branen oftmals mit großen Poren ausgestattet sind.
Noch weiter von der wachsenden Mycelspitze ent- zA + zS + zH = 1 Gl. 2.43
fernt befinden sich Zellen mit großen Vakuolen. Sie
tragen nicht mehr zum Wachstum bei. Dieser Bereich Um die Wachstumskinetik von Mycelbildnern
wird Hyphenkompartiment genannt (siehe . Abb. beschreiben zu können, müssen weitere Gleichungen
2.13). hinzukommen, die die Kinetik der Morphogenese
Die Größe der apikalen Kompartimente ist beschreiben, also wie sich die Massenanteile inner-
begrenzt. Daher erfolgt bei konstantem Wachstum halb des Mycels verändern. In der Regel wird ange-
in regelmäßigen Abständen die Ausbildung eines nommen, dass die Biomasseumwandlungsgeschwin-
Septums, sodass ein Teil des Zytosols abgetrennt und digkeiten bei der Morphogenese als Reaktionen
der abgetrennte Teil zum subapikalen Kompartiment erster Ordnung mit den Geschwindigkeitskonstan-
wird. Durch Verzweigungen können neue apikale ten ki in Bezug auf den Biomasseanteil beschrieben
Kompartimente gebildet werden. Meist erfolgt die werden können, der dabei umgewandelt wird:
Verzweigung ausgehend von den subapikalen Kom-
partimenten in der Nähe der Stellen, an denen sich 
dz A
die Septen zwischen apikalen und subapikalen Kom-  = k1 ⋅ zS − k2 ⋅ zA +(µA − µ) ⋅ zA Gl. 2.44
partiment befinden. dt
Selbst ein einfaches Wachstumsmodell zur dzS
Beschreibung des Wachstums von Mycelbildnern = −k1 ⋅ zS + k2 ⋅ zA − k3 ⋅ zS + (µS − µ) ⋅ zs
dt
muss daher strukturiert sein und die verschiedenen  Gl. 2.45
morphologisch unterschiedlichen Kompartimente
berücksichtigen [14]. dzH
Da nur die apikalen und subapikalen Kompar- = k3 ⋅ zS − µ ⋅ zH  Gl. 2.46
dt
timente Substrate aufnehmen und zum Wachstum
60 D. Weuster-Botz und R. Takors

. Abb. 2.13  Prinzipskizze


zu den Elementen einer Hyphe
bei Mycelbildnern (apikales
Kompartiment: rot-grau;
2 subapikales Kompartiment: grau;
Hyphenkompartiment: weiß)

Oftmals wird darüber hinaus angenommen, dass Mycelwachstum vorliegt oder dichte, meist kugel-
die Bildung der nicht zum Wachstum beitragenden förmige Pellets ausgebildet werden, wird die kineti-
Hyphenkompartimente bei hohen Konzentratio- sche Beschreibung noch aufwendiger.
nen des limitierenden Substrats reduziert wird. In
diesem Fall können die letzten beiden Gleichungen
mit einem Substratverstärkungsfaktor F wie folgt for- 2.5 Weitere Einflussgrößen
muliert werden:
Das Konzept des limitierenden Substrats hat zur
Folge, dass neben dem limitierenden Substrat
dzS k ⋅z
= −k1 ⋅ zS + k2 ⋅ zA − 3 S oder auch mehreren limitierenden Substraten alle
dt F ⋅ cS + 1
 Gl. 2.47 anderen Prozessvariablen wie Temperatur, pH und
+(µS − µ) ⋅ zS andere Substrat- und Produktkonzentrationen als
konstant und ohne Einfluss auf die zellspezifischen
Reaktionsgeschwindigkeiten betrachtet werden
dzH k ⋅z müssen. In manchen Bioprozessen werden Tempe-
= 3 S − µ ⋅ zH  Gl. 2.48
dt F ⋅ cS + 1 ratur und pH jedoch nicht geregelt und damit kon-
stant gehalten.
Die Beschreibung der Wachstumskinetik von Mycel- Beispielsweise erfolgt bei biologischen Verfahren
bildnern und damit auch der Substrataufnahme- und zur Abwasserreinigung oder in offenen Fotobioreak-
Produktbildungskinetiken wird selbst bei stark ver- toren zur Produktherstellung mit Mikroalgen keine
einfachender Betrachtung schnell komplex. Bei- Temperaturkontrolle, sodass die Reaktionstempera-
spielsweise wurden bisher weder Sporenbildung tur als Funktion der Tages- oder Jahreszeiten großen
noch hydrodynamische Effekte auf die dreidimen- Änderungen unterworfen ist.
sionale Struktur des Mycels oder Stofftransportlimi- Auch bei vielen biotechnologischen Produk-
tierungen im Mycelpellet berücksichtigt. Häufig wird tionsverfahren wird der pH nicht geregelt. Dies ist
im Inneren von Mycelpellets sehr schnell die Sauer- oft der Fall, wenn bei heterotrophen Bioprozes-
stoffkonzentration so niedrig, dass diese ortsaufge- sen auch komplexe Kohlenstoff- und Stickstoff-
löst als zweites limitierendes Substrat berücksichtigt quellen verwendet werden. Bei der mikrobiellen
werden muss. Umsetzung der Kohlenstoffquellen kommt es dabei
Da die Produktbildung häufig von der Mor- häufig aufgrund von Säurebildung zur Absenkung
phologie abhängt, also die Produktbildungskinetik des pH, während die mikrobielle Umsetzung von
unterschiedlich ist, je nachdem ob fadenförmiges Aminosäuren und Peptiden zur Freisetzung von
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
61 2
Ammoniak und damit zum pH-Anstieg führt. Die A und B sind die entsprechenden präexponentiel-
Geschwindigkeiten der Verwertung verschiedener len Faktoren und R ist die allgemeine Gaskonstante
Kohlenstoff- und Stickstoffquellen ist selten iden- (8,314 J mol–1 K–1).
tisch, sodass teilweise mehrfach dynamische Ver- Typischerweise steigt die Wachstumsrate über
änderungen des pH im Reaktor auftreten können. einen relativ breiten Temperaturbereich an, sinkt
Bei anderen Bioprozessen, beispielsweise beim dann aber sehr schnell ab, wenn die Maximaltem-
Einsatz von Clostridien zur Herstellung von Löse- peratur überschritten ist (siehe . Abb. 2.14). Zur
mitteln (Aceton, Butanol, Ethanol) aus heterotro- Identifikation der vier Parameter des gekoppelten
phen Kohlenstoffquellen, erfolgt in einer ersten Pro- Arrheniusansatzes ist die experimentelle Bestim-
zessphase eine pH-Absenkung durch die Bildung von mung von vier maximalen Wachstumsraten prin-
organischen Säuren. Diese pH-Absenkung ist not- zipiell ausreichend. Diese sollten jedoch weit
wendig, damit nachfolgend in einer zweiten Prozess- genug vom Temperaturoptimum entfernt sein, da
phase die Bildung der gewünschten Produkte über- sich im Optimum die beiden Effekte überlagern
haupt induziert werden kann. In der eigentlichen (in . Abb. 2.14 in schwarz beziehungsweise grau
Produktionsphase werden darüber hinaus die zuvor dargestellt).
produzierten organischen Säuren wieder aufgenom- Die Lage des Temperaturoptimums ermöglicht
men, sodass der pH im Reaktor in der Folge ansteigt. eine einfache Klassifizierung von Mikroorganis-
men nach dem Temperaturbereich in dem optima-
les Wachstum stattfindet:
2.5.1 Temperatur 55 psychrophil: <20 °C
55 mesophil: 20–45 °C
Die Abhängigkeit der zellspezifischen Wachs- 55 thermophil: 45–75 °C
tums-, Substratverbrauchs- und Produktbildungs- 55 hyperthermophil: >75 °C
raten von der Temperatur muss experimentell
ermittelt werden. In der Regel ist es ausreichend,
die maximale Wachstumsrate µmax und gegebe-
nenfalls die Substrataufnahmerate für den Erhal-
tungsstoffwechsel mS sowie unter Umständen noch
die wachstumsunabhängige Produktbildungsge-
schwindigkeit kP als Funktion der Reaktionstem-
peratur zu ermitteln. Alle anderen kinetischen
Parameter können häufig als unabhängig von der
Temperatur angenommen werden. In vielen Fällen
lässt sich die Temperaturabhängigkeit der zell-
spezifischen Wachstumsrate mit einem gekoppel-
ten Arrhenius-Ansatz beschreiben, der sowohl
die Zunahme der maximalen Wachstumsrate mit
zunehmender Temperatur, als auch die in der Regel
schnelle Verringerung der maximalen Wachstums-
rate bei Überschreiten des Temperaturoptimums
beschreibt (siehe beispielsweise [15]):

E 1 E 1
− A⋅ − B⋅
µmax (T ) = A ⋅ e R T −B⋅e R T  Gl. 2.49 . Abb. 2.14  Temperaturabhängigkeit der maximalen
Wachstumsrate (Beispiel: Escherichia coli). Schwarze Linie:
T steht dabei für die absolute Temperatur in Kelvin, Zunahme der Wachstumsrate mit zunehmender Temperatur;
graue Linie: Abnahme der Wachstumsrate mit zunehmender
EA und EB für die Aktivierungsenergien von Wachs-
Temperatur; rote Linie: Gekoppelter Arrhenius-Ansatz
tum beziehungsweise thermische Denaturierung,
62 D. Weuster-Botz und R. Takors

2.5.2 Wasserstoffionenaktivität (pH)

Auch die Abhängigkeit der zellspezifischen Wachs-


2 tums-, Substratverbrauchs- und Produktbildungsra-
ten vom pH im Medium muss experimentell ermit-
telt werden. Mikroorganismen und Zellen verfügen
über vielfältige Mechanismen, um den zellinternen
pH zu regeln. Die Differenzen zwischen dem pH im
Inneren von Zellen und dem außerhalb der Zellen
können daher sehr groß werden. Beispielsweise ist
Escherichia coli in der Lage, den zellinternen pH
zwischen 7 und 8 zu halten, auch wenn der pH im
Medium zwischen 5,5 und 9,0 variiert wird (siehe
. Abb. 2.15).
Je größer die pH-Differenz zwischen innen und
außen wird, desto größer wird der Aufwand für
. Abb. 2.16  Maximale Wachstumsrate von E. coli als
Mikroorganismen, den zellinternen pH zu kontrol- Funktion des pH im Medium (Messdaten interpoliert mit
lieren, was sich unmittelbar in erhöhtem Aufwand einem Polynom 2. Ordnung)
für den Erhaltungsstoffwechsel und in verringerten
Wachstumsraten zeigt (. Abb. 2.16). Die pH-Abhän-
gigkeit der maximalen Wachstumsrate wird in der Funktion der transmembranen pH-Differenz (ΔpH)
Regel durch empirische Interpolationsfunktionen und der transmembranen Ladungsdifferenz (Δψ) ist,
wiedergegeben. wirkt die protonenmotorische Kraft der Zelle (PMF)
Die zellinterne pH-Kontrolle wird über vielfäl- entgegen:
tige protonenpumpende Proteine in der Zellmemb-
ran erreicht, die die Translokation von Wasserstoff-
R ⋅T
ionen oftmals gekoppelt an den Transport anderer ∆µH+ = 2, 3 ⋅ ⋅ ∆pH + ∆ψ = PMF
F 
Ionen bewirken. Dem elektrochemischen Protonen-
 Gl. 2.50
gradienten über die Zellmembran ( ∆µ H + ), der eine

mit R als allgemeine Gaskonstante (8,314 J mol–1


K–1), F als Faradaykonstante (96.480 J V–1 mol–1)
und T als absoluter Temperatur. Physiologische
Werte für die transmembrane Ladungsdifferenz Δψ
liegen bei 140–170 mV [18]. Diese chemiosmoti-
sche Hypothese ist von universeller Bedeutung für
biologische Energietransformationsprozesse, da die
protonenmotorische Kraft zum Antrieb von Phos-
phorylierungsreaktionen und Ionentransportpro-
zessen dient und die Bewegung von einzelligen
Lebewesen direkt energetisch antreibt [19]. Die
transmembrane Ladungsdifferenz Δψ wird direkt
von der Ionenzusammensetzung des Mediums
beeinflusst. Um eine bestimmte Ladungsdifferenz
Δψ aufrecht zu erhalten, werden bestimmte Ionen
wie beispielsweise Kalium-Ionen aktiv gegen einen
. Abb. 2.15  Zellinterner pH von E. coli bei verschiedenen Konzentrationsgradienten über die Zellmembran
pH im Medium (Daten aus unterschiedlichen Quellen [16–17]) transportiert.
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
63 2
2.5.3 Andere Medienbestandteile

Das Konzept des limitierenden Substrats setzt bei


bekanntem pH und Temperatur voraus, das bis auf
limitierende Substrate und gegebenenfalls inhibie-
rende Produkte alle anderen Substrat- und Produkt-
konzentrationen als konstant und ohne Einfluss auf
die zellspezifischen Reaktionsgeschwindigkeiten
betrachtet werden müssen. Hierzu ist es notwen-
dig, dass im Reaktionsmedium zumindest alle Ele-
mente in ausreichender Menge vorliegen, die von
Mikroorganismen oder Zellen zum Aufbau neuer
Biomasse (Wachstum) und für die Produktbildung
benötigt werden. Mit Hilfe einer Elementanalyse der
Zellen oder Mikroorganismen kann unter Berück-
sichtigung der Elementzusammensetzung der gebil-
deten Produkte für die Vorlage oder gegebenenfalls . Abb. 2.17  Durchschnittliche elementare
Zusammensetzung von Bakterien (weiß) und Hefen (grau)
Nachdosierung von den entsprechenden Substraten, bezogen auf das Trockengewicht
wie beispielsweise verschiedene Salze, in ausreichen-
der Menge gesorgt werden. Falls keine Messdaten zur
elementaren Zusammensetzung der jeweiligen Zellen von DNA und RNA. Eine herausragende Stellung
oder Mikroorganismen vorliegen, kann zunächst bei der Energieübertragung nehmen Adenosinnu-
auf Literaturdaten zurückgegriffen werden (siehe cleotide ein. Adenosin-5′-triphosphat (ATP) ist das
. Abb. 2.17). Hierüber kann zumindest die Größen- chemische Bindeglied zwischen Anabolismus und
ordnung zum Bedarf einzelner Elemente abgeschätzt Katabolismus. Seine exergonische Umwandlung in
werden. Kalium und Phosphor sind die mengenmäßig Adenosin-5′-diphosphat (ADP) und Phosphat bzw.
bedeutendsten Elemente in Mikroorganismen nach Adenosin-5′-monophosphat (AMP) und Pyrophos-
Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff. phat ist an eine Vielzahl von endergonischen Reak-
tionen gekoppelt. Durch enzymkatalysierte Übertra-
gung von Phosphat oder Adenylat von ATP auf ein
Kalium Substrat- oder Enzymmolekül wird die Energie des
Die Konzentration von Kalium-Ionen im Zytoplasma ATP-Abbaus endergonischen Reaktionen zur Verfü-
von vielen Mikroorganismen kann bis zu 1000 mM gung gestellt. Typische zytosolische Konzentrationen
betragen. Kalium-Ionen können aktiv gegen einen sind beispielsweise in E. coli: ATP 8 mM, ADP 1 mM,
Konzentrationsgradienten über die Zellmembran AMP 0.8 mM, Phosphat 8 mM [20].
transportiert werden. Escherichia coli ist beispielsweise Darüber hinaus ist Phosphor essentiell zur Bio-
in der Lage, Kalium-Ionen um mehr als den Faktor 100 synthese von Phospholipiden, die in Form der Phos-
im Zellinneren aufzukonzentrieren. Die zytoplasmati- pholipiddoppelschichten das Grundgerüst aller Zell-
sche Kalium-Ionenkonzentration hängt stark von der membranen bilden.
Ionenstärke des Mediums ab, da der transmembrane Da Phosphor in Form von Phosphat von so
Kalium-Ionengradient zur Kontrolle von Protonen- grundlegender Bedeutung für Mikroorganismen
flüssen und anderer Ionenflüsse genutzt wird. ist, besitzen diese in der Regel hochaffine Phosphat-
aufnahmesysteme. Für E. coli wurden beispielsweise
extrem affine Aufnahmesysteme mit Sättigungs-
Phosphor konzentrationen bei rund 0,02 mg L–1 identifiziert.
Phosphor spielt in Form von Zuckerphosphaten eine Doch wurde ebenfalls eine starke Verringerung des
zentrale Rolle bei der Speicherung und Übertragung Wachstums schon bei einer externen Phosphatkon-
von Energie im Stoffwechsel und bei der Synthese zentration von 0,2 g L–1 beobachtet [21]. Aber auch
64 D. Weuster-Botz und R. Takors

wenn kein messbares Phosphat mehr im Medium katalytische Aktivität von Ribozymen aufrecht zu
für Mikroorganismen oder Zellen verfügbar ist, erhalten. Ein geringerer Teil der Magnesium-Ionen
führt dies nicht zum sofortigen Absterben. Bei ist mit der Zellwand verbunden. Weniger als 10% der
2 Phosphatlimitierung kommt es zur Expression einer zellinternen Magnesium-Ionen sind frei verfügbar.
großen Anzahl von Proteinen, die den Phosphat- Magnesium-Ionen werden zellintern benötigt, um
stoffwechsel komplett verändern. Viele Mikroorga- durch Bildung von Mg2+-Komplexen einen Teil der
nismen setzen bei Phosphatlimitierung zellinterne negativen Ladungen der Phosphatgruppen in Nuc-
Phosphat- und Energiespeicher, wie beispielsweise leotiden wie beispielsweise ATP abzuschirmen. Bei
Polyphosphate um. fast allen enzymatischen Reaktionen, an denen ATP
als Phosphatgruppendonor beteiligt ist, ist daher
MgATP2- das eigentliche Substrat [20]. Der Bedarf
Schwefel an Magnesium-Ionen für die Zelle ist absolut: kein
Nach Kalium und Phosphor sind Schwefel, Natrium, anderes Ion kann Magnesium ersetzen. Mikroorga-
Calcium, Magnesium und Eisen die mengenmä- nismen besitzen daher spezifische energieabhängige
ßig bedeutendsten Elemente in Mikroorganismen. Aufnahmesysteme für Magnesium-Ionen.
Schwefel wird in Form von Sulfaten und Sulfiden
aufgenommen, kann aber auch als schwefelhaltige
Aminosäure (Cystein, Methionin) zur Verfügung Calcium
gestellt werden. Sulfat-Ionen und/oder Sulfide sind Calcium-Ionen sind bei lebenden Mikroorganismen
für Mikroorganismen sowohl zur Synthese dieser fast ausschließlich mit Zellmembranen assoziiert.
Aminosäuren als auch für die Bereitstellung einiger Ihre Funktion ist die Stabilisierung von Membran-
Vitamine und Coenzyme wie beispielsweise Biotin, und Zellwandstrukturen. Obwohl Calcium und
Thiamin, Coenzym A oder Ferredoxin essentiell [20]. Magnesium bei der Elementaranalyse von Mikro-
Zur intrazellulären Reduktion von Sulfat werden organismen in derselben Größenordnung gemes-
allerdings 2–3 ATP benötigt. sen werden, wird ein Konzentrationsunterschied
zwischen diesen beiden zweiwertigen Kationen bis
zum Faktor 1000 im Zytosol beobachtet. Alle Mik-
Natrium roorganismen halten ihre zytosolische Calcium-Io-
Der elektrochemische Natrium-Ionengradient über nenkonzentration mit Hilfe eines aktiven Calcium-
die Zytoplasmamembran von Mikroorganismen Ionen-Exportcarriers auf niedrigem Niveau.
stellt die Triebkraft für den Cotransport von vielen
Substraten und Metaboliten dar. Damit steht den
Mikroorganismen eine Alternative zum durch Was- Eisen
serstoff-Ionengradienten getriebenen Cotransport Eisen-Ionen (Fe 2+, Fe 3+) stellen aufgrund ihres
zur Verfügung. Da Mikroorganismen in der Regel weiten Oxidations- und Reduktionspotentials von
gleichzeitig einen Na +/H +-Antiporter besitzen, +300 mV bis –500 mV das katalytische Zentrum von
können diese sehr einfach die Energie des elektro- vielen Enzymen dar, bei denen Elektronen übertra-
chemischen Protonengradienten nutzen, um einen gen werden. Eisen-Ionen sind daher essentiell für
Natrium-Ionengradienten aufzubauen. den mikrobiellen Metabolismus. Eisen(II)-Ionen
werden in Gegenwart von Wasserstoff-Ionen und
gelöstem Sauerstoff im Medium zu Eisen(III)-Ionen
Magnesium oxidiert. Da die Löslichkeit von Fe3+ in Wasser bei
Magnesium-Ionen und zu einem gewissen Grad pH 7 sehr gering ist (10–12 µM), sekretieren einige
auch Mangan-Ionen spielen eine zentrale Rolle in Mikroorganismen Komplexbildner (Siderophore),
fast allen mikrobiellen Ribozymen [22]. Der größte wie beispielsweise Enterochelin oder Aerobactin.
Teil der zellinternen Magnesium-Ionen ist fest mit Die freien Fe3+-Konzentrationen werden mit Hilfe
Ribozymen assoziiert. Magnesium-Ionen sind not- dieser Komplexbildner um mehrere Zehnerpoten-
wendig, um die dreidimensionale Struktur und die zen gesenkt. Siderophore werden mit komplexierten
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
65 2
Eisen(III)-Ionen aktiv über die Zellmembran aufge- besonders beständige Metall-Ionenkomplexe, da hier
nommen. Hierzu sind spezifische Rezeptorproteine sechs Donorgruppen vorhanden sind. Der Logarith-
in der äußeren Membran notwendig, da der diffu- mus der Stabilitätskonstanten KC (Gleichgewichts-
sive Transport der beladenen Siderophore durch die konstante der Komplexbildungsreaktion) liegt mit
Poren der äußeren Membran nicht möglich ist (das Mg2+ bei 8.7, mit Ca2+ bei 10.6, mit Fe2+ bei 14.3, mit
maximale Molekulargewicht zum diffusiven Trans- Zn2+ bei 16.5, mit Cu2+ bei 18.8 und mit Fe3+ sogar
port beträgt etwa 600 g mol–1). Während außer- bei 25.1 [24]. Generell besteht damit bei zu hohen
halb der Zelle Eisen als Eisen(III)-Ion komplexiert Zugaben an EDTA die Gefahr von Spurenelement-
wird, ist innerhalb der Zelle Eisen überwiegend als limitierungen der Mikroorganismen, da die Konzen-
Eisen(II)-Ion mit Metalloenzymen assoziiert. trationen der freien Metall-Ionen im Medium weit
unterhalb der Sättigungskonzentration KS der spe-
zifischen mikrobiellen Aufnahmesysteme sinken
Spurenelemente können (. Abb. 2.18). Diese liegen in der Größen-
Neben Eisenionen sind viele Metall-Ionen („Spu- ordnung von 0.3 µM (beispielsweise Mn2+ bei E. coli)
renelemente“) wie beispielsweise Zink-, Kupfer-, bis 30 µM (beispielsweise Mg2+ bei E. coli) [25–26].
Mangan-, Molybdän- und Nickel-Ionen mit Bei starken Komplexbildnern wie EDTA ist die Ein-
Enzymen assoziiert. Obwohl Limitierungen ein- stellung einer geeigneten Konzentration sehr schwie-
zelner Metall-Ionen die Stoffwechseleigenschaften rig, da aufgrund der hohen Stabilitätskonstanten bei
von Mikroorganismen drastisch verändern können Vorlage einer stöchiometrischen Menge Komplex-
(Wachstumsrate, Sekundärmetabolitbildung, DNA- bildner nur sehr geringe Gleichgewichtskonzen-
und RNA-Gehalte, Proteinzusammensetzung), sind trationen an freien Metall-Ionen einstellbar sind
die Auswirkungen der Limitierung eines einzelnen (. Abb. 2.18).
Metall-Ions nicht unabhängig von der Verfügbarkeit Generell sind schwächere Komplexbildner wie
anderer Metall-Ionen. Ursache hierfür ist die teil- Zitronensäure mit Stabilitätskonstanten log KC zwi-
weise Austauschbarkeit von Metall-Ionen in Metal- schen 3–6 zur Komplexierung zweiwertiger Metall-
loenzymen. Eine solche Substitution ist oftmals nicht Ionen bedeutend günstiger, da sich auch bei stö-
„neutral“, es werden in der Regel Enzymaktivitäten chiometrischer Zugabe die Konzentration der
und -spezifitäten verändert. freien Metall-Ionen um 1–3 Zehnerpotenzen ver-
Viele Mikroorganismen verfügen über spezi- ringern lassen, ohne unterhalb der Sättigungskon-
fische Mechanismen, um toxische intrazelluläre zentrationen für die Aufnahme der Metall-Ionen zu
Metall-Ionenkonzentrationen zu vermeiden. Für fallen (. Abb. 2.18). Allerdings wird Zitronensäure
Mikroorganismen toxische Ionen können neben den von Mikroorganismen meist auch relativ schnell als
Ionen der Elemente Silber, Arsen, Cadmium, Chrom, zusätzliche Kohlenstoffquelle verwertet.
Quecksilber, Strontium, Tellur und Blei auch (essen-
tielle) Ionen der Elemente Kobalt, Kupfer, Nickel,
Zink, Bor und Selen sein. Mit Hilfe von induzier- Vitamine
baren spezifischen „Effluxcarriern“ können Mikro- Vitamine erfüllen als Coenzyme oder Teil eines
organismen toxische intrazelluläre Konzentrationen Coenzyms wichtige katalytische Funktionen in der
dieser zum Teil über unspezifische Kationen- oder Zelle. Die wichtigsten Vitamine sind Thiamin, Biotin,
Anionen-Transportenzyme in die Zelle gelangten Riboflavin, Pyridoxin, Niacin, Pantothensäure, Cya-
Metall-Ionen absenken [23]. nocobalamin und Folsäure.
Oftmals werden Komplexbildner in Reaktions- Thiamin ist Bestandteil des Coenzyms Thiamin-
medien eingesetzt, um Ausfällungen von Nähr- pyrophosphat, das in der Zelle für Decarboxylierun-
salzen insbesondere als schwerlösliche Phosphate, gen und Transketolase-Reaktionen benötigt wird.
Hydrogenphosphate oder Ammoniumphosphate Biotin spielt bei vielen Carboxylierungsreaktio-
zu verhindern. Übliche Komplexbildner sind Ethy- nen eine Schlüsselrolle, da es die Übertragung von
len-Diamin-Tetra-Essigsäure (EDTA), Nitril-Tri- C1-Gruppen in ihrer höchsten Oxidationsstufe –
Essigsäure (NTA) oder Zitronensäure. EDTA liefert CO2 – ermöglicht. Damit ist Biotin ein Cofaktor, der
66 D. Weuster-Botz und R. Takors

Stoffwechsel ein. Es verbindet den Kohlenstoff-, Fett-


säure- und Aminosäurestoffwechsel und ist essentiell
für alle Acetylierungen.
2 Cyanocobalamin ist die isolierte Form von Vitamin
B12, da es bei der Aufreinigung eine Cyanogruppe
bindet, die über eine Koordinierungsstelle mit dem
Zentralatom Kobalt (als Co3+) verknüpft ist. Vitamin
B12 ist Bestandteil des Coenzym B12. Bei Coenzym B12-
abhängigen Reaktionen wird eine Alkyl- oder substi-
tuierte Alkylgruppe mit einem Wasserstoffatom am
benachbarten Kohlenstoff vertauscht. Vitamin B12 wird
nur von Mikroorganismen synthetisiert – weder Pflan-
zen noch Tiere sind dazu in der Lage [20].
Mikroorganismen sind bezüglich ihrer Fähig-
keit, Vitamine zu synthetisieren, sehr unterschied-
lich. Aber auch bei Mikroorganismen, die prinzipiell
die Fähigkeit zur Vitaminsynthese haben, lassen sich
. Abb. 2.18  Freie Metall-Ionenkonzentrationen als
Funktion des Logarithmus der Stabilitätskonstante KC durch gezielte Vitaminsupplementierung metaboli-
(Gleichgewichtskonstante der Komplexbildungsreaktion) sche Eigenschaften verändern [28].
unter Standardbedingungen bei Vorlage von 1 mM
Metall-Ionen im Medium. Grau hinterlegter Bereich:
typische Sättigungskonzentrationen für die Aufnahme 2.5.4 Methoden der
von Metall-Ionen bei E. coli. Typische Wertebereiche der Medienentwicklung
Stabilitätskonstanten (log KC) von Zitronensäure und EDTA für
zweiwertige Metall-Ionen sind markiert
Die vielfältigen kombinatorischen Wechselwirkun-
gen der Reaktionsbedingungen (pH, Temperatur,
sowohl im Zentralstoffwechsel als auch in der Fett- Medienzusammensetzung) mit dem Metabolis-
säuresynthese und in der Pyridin- bzw. Pyrmidin- mus von Mikroorganismen sowie die hohe Anzahl
synthese wichtig ist. an Medienkomponenten, die in definierten Wachs-
Riboflavin ist die nicht aktivierte Form von Fla- tumsmedien teilweise über 50 einzelne Substanzen
vinmononucleotid (FMN) oder Flavinadenindi- enthalten können, machen den Einsatz von expe-
nucleotid (FAD). FMN oder FAD dienen der Elek- rimentellen Suchverfahren erforderlich, um geeig-
tronenübertragung. Sie sind die Cofaktoren der nete Medienzusammensetzungen identifizieren zu
Flavoproteine, die Redoxreaktionen katalysieren können. Ziele sind die Maximierung oder Minimie-
[20]. rung wichtiger Prozessgrößen (Produktkonzentra-
Pyridoxin ist die nicht aktivierte Form des Cofak- tion, Ausbeute, Rohstoffkosten, …) unter standar-
tors Pyridoxal-5-phosphat, der als prosthetische disierten Bedingungen.
Gruppe bei vielen Enzym-Coenzymsystemen eine Aufgrund der großen Anzahl an Medienkom-
Rolle spielt. Insgesamt sind etwa 60 Enzyme bekannt, ponenten werden hierzu sinnvollerweise Methoden
die Pyridoxal-5-phosphat benötigen [27]. der statistischen Versuchsplanung oder stochastische
Niacin (Nicotinsäure oder Nicotinamid) ist Teil Suchverfahren eingesetzt.
der wichtigen Cofaktoren NAD und NADP. NAD+/
NADH dient vorzugsweise bei oxidativen Prozes-
sen des Katabolismus der Elektronenübertragung, Statistische Versuchsplanung
während NADP+/NADPH bei reduktiven Prozessen Generell lässt sich die Vorgehensweise bei der sta-
des Anabolismus diese Funktion übernimmt. tistischen Versuchsplanung zur Optimierung von
Pantothensäure ist Bestandteil von Coenzym Fermentationsmedien in vier Schritte einteilen
A. Coenzym A nimmt eine zentrale Stellung im [29]:
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
67 2
1. Auswahl der wichtigsten Medienkomponenten Wechselbeziehungen zwischen Medienkomponen-
(screening) ten und der Zielgröße durch einen unvollständigen
2. Eingrenzung der Konzentrationsbereiche Ansatz 1. Ordnung darstellen lassen, wobei meist nur
ausgewählter Medienkomponenten Wechselwirkungen zwischen zwei Medienkompo-
3. Identifikation des Optimums (optimum search) nenten xi und xj zugelassen werden:
4. Experimentelle Validierung des Optimums k
Yˆ ( x, ϑ) = ϑ0 + ∑i=1(ϑi ⋅ xi)
Zur Auswahl der wichtigsten Medienkomponen- k −1 k  Gl. 2.52
ten wird angenommen, dass ein linearer Ansatz für ∑i=1 ∑ j=2 (ϑij ⋅ xi ⋅ x j ) (i < j )
das Aussiebungsproblem ausreichend ist, also keine
Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Die über Regressionsanalyse ermittelten Modellpara-
Medienkomponenten auftreten: meter ϑi und ϑij werden benutzt, um den Konzent-
rationsbereich der einzelnen Medienkomponenten
k zu höheren Schätzwerten der Zielfunktion Yˆ ( x,ϑ )
Yˆ ( x,ϑ) = ϑ0 + ∑i=1 (ϑi ⋅ xi )  Gl. 2.51
zu verschieben. Üblicherweise werden hierzu Gra-
dientenverfahren eingesetzt. Die minimale Anzahl
mit Ŷ ( x,ϑ ) als Schätzwert der Zielgröße (Produkt- der Versuche für jeden hierzu eingesetzten faktoriel-
konzentration, …), xi als Konzentration der Medien- len Versuchsplan entspricht der Anzahl der Koeffi-
komponenten und ϑi als Modellparameter. zienten ϑi und ϑij.
Die zur Identifikation der Modellparameter Zur Identifikation der optimalen Medienzusam-
ϑ i eingesetzten Versuchspläne müssen mindes- mensetzung innerhalb der jetzt gefundenen sinnvol-
tens genauso viel Versuchspunkte N enthalten, wie len Konzentrationsbereiche für die ausgewählten
Modellparameter ϑi im Ansatz vorkommen, also Medienkomponenten wird angenommen, dass sich
N = k + 1. In der Regel erfolgt die Aussiebungsent- der Schätzwert der Zielgröße Yˆ ( x,ϑ ) mit Hilfe eines
scheidung auf der Grundlage von Restquadratsum- Polynoms 2. Ordnung beschreiben lässt (oftmals
men. Damit sind, gesättigte Versuchspläne mit nur auch als Response-Surface Methode bezeichnet):
jeweils einer Beobachtung in jedem Punkt ungeeig-
net, die Restquadratsumme für den Gesamtansatz k k −1 k
Yˆ ( x, ϑ) = ϑ0 + ∑i =1(ϑi ⋅ xi ) + ∑ ∑
wäre dann stets gleich Null. Es muss durch Wieder- i =1 j =2
holungsexperimente eine Schätzung der Beobach- k

tungsvarianz ermöglicht werden, sodass die Zahl der


(ϑij ⋅ xi ⋅ x j )+ ∑i=1 (ϑii ⋅ xi2) (i < j )
Versuche etwas größer wird, beispielsweise N = k + 4.  Gl. 2.53
Aufgrund des linearen Ansatzes sind zwei Konzen-
trationen je Medienkomponente ausreichend. Für Damit eine unvermengte Schätzung der Modellpara-
die über Regressionsanalyse ermittelten Modellpara- meter ϑij möglich ist, muss jetzt jede Medienkom-
meter ϑi (Steigungen) werden die Signifikanzniveaus ponente auf mindestens drei Konzentrationsniveaus
ermittelt und nicht signifikante Medienkomponen- untersucht werden. Um die Modellparameter des
ten ausgesiebt. In der Regel wird in diesem ersten Polynoms 2. Ordnung mit möglichst wenigen Ver-
Schritt versucht, die ursprünglich große Anzahl an suchsansätzen und hoher Genauigkeit zu bestim-
Medienkomponenten auf 2–4 signifikante einzu- men, werden unterschiedliche optimale Versuchs-
grenzen, um den experimentellen Aufwand für die pläne vorgeschlagen, die sich in der Anzahl der
folgenden Schritte zu reduzieren. Die Konzentratio- mindestnotwendigen Versuche und im Anwen-
nen der anderen Medienkomponenten werden nach dungsbereich unterscheiden.
dem Aussieben konstant gehalten. Mithilfe der über Regressionsanalyse identifi-
Zur Eingrenzung der Konzentrationsbereiche zierten Modellparameter ϑi, ϑij und ϑii kann danach
der im ersten Schritt ausgewählten Medienkompo- die optimale Medienzusammensetzung abgeschätzt
nenten werden oftmals faktorielle Versuchspläne ein- werden, indem der stationäre Punkt x0 der geschätz-
gesetzt. Grundlage ist die Annahme, dass sich die ten Wirkungsfläche Yˆ ( x,ϑ ) berechnet wird [30]:
68 D. Weuster-Botz und R. Takors

x0 = −0, 5 ⋅ ϑij−1 ⋅ ϑi  Gl. 2.54 muss kein Aussieben von Medienkomponenten vor-
genommen werden. Genetische Algorithmen setzen
weder die Unimodalität der Zielgröße als Funktion
2 mit ϑ−1
ij als die Inverse der symmetrischen k × k- der Medienkomponenten voraus, noch werden über-
Matrix mit den geschätzten Modellparametern ϑij haupt Modellannahmen getroffen [29].
und ϑii und ϑi als der k × 1-Vektor mit den geschätz- Genetische Algorithmen wurden im Rahmen
ten Modellparametern ϑi. von Forschungsarbeiten zur Analyse der Prinzipien
Durch Berechnung der Eigenwerte λi und Eigen- der Evolution entwickelt [31]. Genetische Algo-
vektoren der Matrix ϑii können die Eigenschaften rithmen kodieren reale Variablen – hier Konzent-
des stationären Punktes bestimmt werden. Sind alle rationen von Medienkomponenten – in Form von
Eigenwerte negativ, handelt es sich um ein Maximum Binärzeichenketten. Eine Binärzeichenkette reprä-
im stationären Punkt. sentiert damit eine komplette Medienzusammen-
Als letzter Schritt erfolgt die Validierung der setzung. Eine festgelegte Anzahl an Binärzeichen-
geschätzten optimalen Medienzusammensetzung, ketten, also eine Versuchsgeneration, wird vom
wobei das Minimum oder Maximum nur innerhalb genetischen Algorithmus direkt bearbeitet. Dabei
der zuvor festgelegten Konzentrationsbereiche für kommen die Operatoren der Evolution – Selek-
die nach dem ersten Schritt ausgewählten Medien- tion, Crossover und Mutation mit unterschiedli-
komponenten liegen darf. Ist dies nicht der Fall, chen Wahrscheinlichkeiten – zum Einsatz, um neue
wurde Schritt 2 (Eingrenzung der Konzentrations- Binärzeichenketten zu erzeugen (Funktionsprin-
bereiche ausgewählter Medienkomponenten) nicht zip . Abb. 2.19). Die Binärzeichenketten werden
richtig oder vollständig durchgeführt.
Grundsätzlich ist der Erfolg der statistischen Ver-
suchsplanung zur Optimierung einer Medienzu-
sammensetzung von der zufällig richtigen Wahl der
Konzentrationsbereiche der eingesetzten Medien-
komponenten abhängig, insbesondere wenn die
Beobachtungsvarianz relativ hoch ist. Die zufäl-
lige Wahl der Konzentrationsbereiche bedingt eine
weitere Einschränkung der Anwendung der statisti-
schen Versuchsplanung: Die Zielgröße Y(x,ϑ) muss
unimodal sein, darf also nicht mehrere Maxima oder
Minima aufweisen, da sonst statt des globalen Opti-
mums ein lokales Optimum identifiziert werden
kann.

Stochastische Suchverfahren:
Genetische Algorithmen
Eine Alternative zum Einsatz der statistischen Ver- . Abb. 2.19  Funktionsprinzip beim Einsatz eines
genetischen Algorithmus zur Medienentwicklung:
suchsplanung bei der Medienentwicklung ist die
Eine erste Generation von Binärzeichenketten, die für
Anwendung stochastischer Suchstrategien, wobei Medienzusammensetzungen kodieren, werden zufällig
hier insbesondere die Anwendung von „global erzeugt (Startmedien), experimentell evaluiert und
random search methods of generations“ (genetische die Zielgröße bestimmt (Fitness). Danach werden die
Algorithmen) sinnvoll erscheinen. Diese Suchver- Binärzeichenketten durch Selektion, Crossover und Mutation
verändert, sodass ein Satz neuer Medienzusammensetzungen
fahren haben die prinzipielle Fähigkeit zur effizien-
entsteht (neue Medien). Die neue Generation wird erneut
ten Exploration großer Variablenräume, können also experimentell evaluiert und der Zyklus wird solange
viele Medienkomponenten über große Konzentra- durchlaufen, bis keine Medienzusammensetzung mit
tionsbereiche gleichzeitig berücksichtigen. Daher verbesserter Fitness mehr gefunden wird
Kapitel 2 · Wachstumskinetik
69 2
nach experimentellem Einsatz der verschiedenen Variablenraum effizient in die Nähe eines globalen
Medienzusammensetzungen und Messung der Ziel- Optimums zu gelangen. Stochastische Suchverfahren
größe (Produktkonzentration, …) entsprechend garantieren also nicht das Auffinden einer optima-
ihrer Güte bezogen auf die Zielfunktion (Fitness) len Lösung bei einer begrenzten Anzahl von expe-
selektiert, wobei die beste Güte die höchste Selek- rimentellen Untersuchungen. Sowohl Effizienz als
tionswahrscheinlichkeit besitzt. Die ausgewählten auch Erfolg der Suche hängen von der problem-
Binärzeichenketten werden danach paarweise ange- spezifischen Parametrisierung des stochastischen
ordnet und tauschen zufallsgesteuert Binärzeichen- Suchalgorithmus ab. Details zur Parametrisierung
abschnitte untereinander aus (Crossover). Ist die von genetischen Algorithmen zur Optimierung von
Abfolge von Binärzeichen in bestimmten Abschnitten Medienzusammensetzungen und Anwendungsbei-
oder ist ein bestimmtes Schema in einem Binärzei- spiele sind nachzulesen in [29–32].
chenkettenpaar identisch, so bleibt diese Information
nach dem Crossover in beiden neu generierten Binär-
zeichenabschnitten erhalten. Es werden also bei gene- Literatur
tischen Algorithmen nicht die einzelnen Variablen
  [1] Müller S (2007) Modes of cytometric bacterial DNA pat-
direkt prozessiert‚ sondern übergreifende Schemata. tern: A tool for pursuing growth. Cell Proliferat 40:621–
Nachfolgend erfolgt mit abgestufter Wahrscheinlich- 639
keit der zufällige Austausch von einzelnen Binärzei-   [2] Zwietering MH, Jongenburger I, Rombouts FM, van’t Riet
chen (Mutation), um ein frühzeitiges Konvergie- K (1990) Modeling of the bacterial growth curve. Appl
ren auf ein lokales Optimum zu vermeiden. Damit Environ Microbiol 56:18575–1881
  [3] Bellgardt K-H (1991) Cell models. In: Rehm H-J, Reed G,
ist eine neue Generation von Medienzusammenset- Pühler A, Stadler P, Schügerl K (Hrsg) Biotechnology, Vol.
zungen erzeugt, die erneut experimentell evaluiert 4, Measuring, Modeling and Control, VCH, Weinheim,
werden, bevorzugt im Parallelansatz. Der Vorgang S 267–298
wiederholt sich, bis keine Medienzusammensetzung   [4] Monod J (1942) Recherches sur la croissance des cultures
mit verbesserter Güte mehr gefunden wird. bacteriennes, 2. Aufl. Hermann, Paris
  [5] Andrews JF (1968) A mathematical model for continuous
Grundsätzlich können bei Einsatz eines geneti- culture of microorganisms utilizing inhibitory substrates.
schen Algorithmus zur Entwicklung von Medienzu- Biotechnol Bioeng 10:707
sammensetzungen mehrere Zielgrößen gleichzeitig   [6] Levenspiel O (1980) The Monod equation: a revisit and a
verfolgt werden, ohne den experimentellen Aufwand generalization to product inhibition situations. Biotech-
signifikant erhöhen zu müssen [32]. nol Bioeng 22:1671–1687
  [7] Ierusalimski ND, Neronova NM (1965) Quality concen-
So effizient genetische Algorithmen bei der tration of exchange products as dependent on rate of
Exploration großer Variablenräume sein können, growth of microorganisms. Doklady Akademii Nauk SSSR
so ineffizient können sie bei der exakten Identifizie- 161:1437
rung des globalen Optimums werden. Die Ursache   [8] Edwards VH (1970) The influence of high substrate con-
centrations on microbial kinetics. Biotechnol Bioeng
hierfür ist die Binärcodedarstellung. Es kann der Fall
12:679
eintreten, dass eine zur Erreichung des Optimums   [9] Pirt SJ (1965) The maintenance energy of bacteria in gro-
notwendige kleine Änderung in einer Variablen eine wing cultures. Proc R Soc Ser B 163:224
gleichzeitige Invertierung eines ganzen Abschnitts [10] Tsao GT, Hanson TP (1975) Extended Monod equation for
einer Binärzeichenkette erforderlich macht. Diese batch cultures with multiple exponential phases. Biotech-
nol Bioeng 12:1591–1598
Invertierung kann besonders aufwendig werden
[11] Roels JA (1983) Energetics and kinetics in biotechnology.
(viele Versuchsgenerationen benötigen), wenn der Elsevier, Amsterdam
genetische Algorithmus in die Nähe eines Opti- [12] Gaden EL (1959) Fermentation process kinetics. J Bio-
mums gelangt ist und die Binärzeichenketten sehr chem Microbiol Techn Eng 1:413–429
ähnlich sind. Dann wird die Invertierung eines [13] Takors R, Wiechert W, Weuster-Botz D (1997) Experimental
design for the identification of macrokinetic models and
ganzen Abschnitts der Binärzeichenkette durch ein-
model discrimination. Biotech Bioeng 56:564–576
maliges Crossover sehr unwahrscheinlich [33]. Bei [14] Nielsen J (1993) A simple morphologically structured
der Medienentwicklung steht man jedoch vielmehr model describing the growth of filamentous microorga-
vor dem Problem, in einem hochdimensionalen nisms. Biotechnol Bioeng 41:715–727
70 D. Weuster-Botz und R. Takors

[15] De Ory I, Romero LE, Cantero D (1998) Modelling the


kinetics of growth of Acetobacter aceti in discontinuous
culture: influence of the temperature of operation. Appl
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2 [16] Olsen KN, Budde BB, Siegumfeldt H, Rechinger KB, Jakob-
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[33] Sprave J (1995) Evolutionäre Algorithmen zur Parameter-
optimierung. at 43:110–117
71 3

Prozessmodelle
Ralf Takors und Dirk Weuster-Botz

3.1 Einleitung – 73

3.2 Bilanzierung idealisierter homogen durchmischter


Reaktoren (Rührreaktoren) – 73
3.2.1 Satzverfahren (batch) – 73
3.2.2 Zulaufverfahren (fed-batch) – 74
3.2.3 Kontinuierlich betriebener Prozess – 75

3.3 Besondere Betriebsweisen von homogen durchmischten


Bioreaktoren – 81
3.3.1 Hochzelldichte Fermentation – 81
3.3.2 Wiederholtes Zulaufverfahren (repetitive fed-batch) – 82
3.3.3 Kontinuierliche Fermentationen – 83

3.4 Sauerstoffeintrag – 87
3.4.1 Stofftransportmodelle –87
3.4.2 Bilanzierung von Zu- und Abluft – 88
3.4.3 CO2 Transfer – 89

3.5 Rohrreaktor – 90

3.6 Blasensäule und Airlift Reaktor – 91

3.7 Diffusion in Zell- und Enzymschichten – 92

3.8 Nicht-Ideale Bioreaktoren – 94


3.8.1 Charakterisierung der Nicht-Idealität von Bioreaktoren – 95
3.8.2 Modell der Rührkesselkaskade – 97
3.8.3 Dispersionsmodell – 98

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_3
3.9 Parameteridentifizierung – 99

3.10 Beispiele – 101


3.10.1 Schüttelkolben – 102
3.10.2 Zulaufverfahren – 103

Literatur – 105
Kapitel 3 · Prozessmodelle
73 3
3.1 Einleitung

Ein Prozessmodell besteht im Kern aus Massen- und


Stoffbilanzen, die bei Bedarf durch Energie-und P LLQ P LRXW
UL UM
Impulsbilanzen erweitert werden [11]. Bilanziert P MLQ P MRXW
werden z. B. Massen- oder Molmengen einzelner
Spezies in einem Bilanzraum, für die jeweils die
Erhaltungssätze gültig sind. Der Wahl der Bilanz-
raumgrenze kommt zur Beschreibung eines Pro-
. Abb. 3.1  Beispiel einer Massenbilanz für die
zessmodells eine große Bedeutung zu. Sie sollte so
Komponenten i und j in einem Bilanzraum. ri und rj
gewählt werden, dass alle ein- und austretenden bezeichnen die jeweiligen Reaktionsraten
Stoffströme (analog Impuls- und Energieströme)
erfasst und die innerhalb des Systems ablaufenden
Reaktionen beschrieben werden können. ist die Besonderheit zu beachten, dass der Biokataly-
In den nachfolgend vorgestellten Prozessmo- sator „Zelle“ sich vermehrt, d. h. die Reaktionsraten
dellen steht die Modellbildung auf der Basis von sind von der Zellzahl und damit von der Prozesszeit
Massen- und Stoffbilanzen im Vordergrund. Für abhängig.
derartige Bilanzen gilt prinzipiell:

3.2 Bilanzierung idealisierter


Zeitliche = Zufluss – Austritt +/– Reak-
homogen durchmischter
Verän- der der tion der
derung Spe- Spezies Spezies Reaktoren (Rührreaktoren)
der zies i i über i im
Masse über die Bilanz- Alle in diesem Abschnitt aufgeführten Prozessmo-
von Spe- die Bilanz- raum
zies i Bilanz- raum-
delle zeichnen sich dadurch aus, dass das Reaktions-
raum- grenze volumen als einphasig und ideal homogen durch-
grenze mischt angenommen wird. Das heißt, es werden
keine Gradienten in den Konzentrationen aller Reak-
. Abb. 3.1 zeigt beispielhaft ein System bestehend aus tionskomponenten (beispielsweise für das Substrat
den Massen i und j. Für die Änderung der gesam- cS, die Biomasse cX oder das Produkt cP) und den phy-
ten Masse dm/dt bzw. der Masse der Spezies i dmi/ sikalischen Eigenschaften der Reaktionsmischung
dt innerhalb des Bilanzraums gilt: (beispielsweise Temperatur) berücksichtigt. Damit
sind auch alle Reaktionsgeschwindigkeiten unab-
dm d(mi + m j) hängig vom Ort. Diese vereinfachende Annahme
= = m in − m out
dt dt ist in der Regel hinreichend genau für Bioreaktoren
mit hohem Energieeintrag im Labormaßstab. Anzu-
( ) ( )
= m i,in + m j,in − m i,out + m j,out  Gl. 3.1
merken ist weiterhin, dass mit der Konzentration cX
generell der ‚Biokatalysator‘ gemeint ist, unabhängig
dmi davon, ob es sich um wachsende beziehungsweise
= m i,in − m i,out ± ri  Gl. 3.2
dt ruhende ganze Zellen oder isolierte Enzyme handelt.

Die Reaktionsrate ri beschreibt die Umwandlung


der Komponente i in eine andere Komponente j. 3.2.1 Satzverfahren (batch)
Bilanzierungstechnisch ist es unerheblich, ob die
Umwandlung chemisch oder biochemisch erfolgt, Wird ein Bioreaktor im Satzverfahren (engl. batch)
ob chemische Katalysatoren, Enzyme oder ganze betrieben, sind alle Inhaltsstoffe für die Durchfüh-
Zellen eingesetzt werden. Die Spezifizierung erfolgt rung einer biologischen Stoffwandlung von Beginn
über die Verwendung der passenden Reaktionskine- an vorgelegt. Das Medium wurde in der Regel vor
tik (siehe 7 Kap. 1 2). Werden ganze Zellen eingesetzt der Umsetzung bereits sterilisiert, die gewünschten
74 R. Takors und D. Weuster-Botz

Substratmengen (z. B. an Zucker) eingesetzt und Nach Vereinfachung ergibt sich:


der pH-Wert eingestellt. Schüttelkolbenansätze sind
meist ausreichend gepuffert, wogegen Umsetzungen dcS
= −qS ⋅ cX  Gl. 3.5
im Bioreaktor einer kontinuierlichen pH-Regelung dt
mit Laugen oder Säuren bedürfen. Aerobe Fermen-
tationen im Bioreaktor werden zudem aktiv belüftet, qS beschreibt die biomassespezifische Subtratauf-
3 da die Löslichkeit von Sauerstoff im wässrigen Reak- nahmerate der Zellen und ist eine kinetische Größe
tionsmedium gering ist. (7 Kap. 2). Die Bilanzierung der Massen für Zellen
Wird die in . Abb. 3.2 gezeigte Bilanzraumgrenze (Biomasse) und Produkt erfolgt auf analoge Art und
für die Bilanzierung der Substratmasse mS verwen- Weise und führt zu den Gleichungen:
det, kann deren zeitliche Änderung im Bilanzraum
beschrieben werden zu: dcX
= µ ⋅ cX  Gl. 3.6
dt
dmS d(cS ⋅VL ) Produktregel dVL
= = cS ⋅ + VL ⋅
dt dt dt dcP
Gl. 3.3 = qP ⋅ cX  Gl. 3.7
dcS batch dc dt
= VL ⋅ S 
dt dt
mit μ als biomassespezifischer Wachstumsrate und qp
Zu beachten ist, dass für dV L/dt = 0 gilt, da das als biomassespezifischer Produktbildungsrate.
Reaktionsvolumen VL unverändert bleibt. Über die
Bilanzgrenzen hinweg tritt Substrat weder ein noch
aus, daher gilt: 3.2.2 Zulaufverfahren (fed-batch)

dmS batch dc Das Zulaufverfahren (engl. fed-batch) unterschei-


= VL ⋅ S = −rS = −qS ⋅ cX ⋅ VL  Gl. 3.4
dt dt det sich vom Satzverfahren dadurch, dass nicht alle
Medienbestandteile (wie z. B. die Kohlenstoffquelle)
von Prozessbeginn an vorgelegt werden, sondern
0RWRU
über eine Zulauf Fin als Funktion der Zeit dem Bio-
reaktor steril zugeführt werden. Dadurch werden
6WHULOGLFKWXQJ 7LWUDWLRQ
$EOXIW unerwünschte Nebenproduktbildungen der Zellen
9/ bei zu hohen Substratkonzentrationen vermieden
und die Zellaktivität kann gezielt über die Substrat-
verfügbarkeit gesteuert werden.
5KURUJDQ Unter Beachtung der in . Abb. 3.3 verwendeten
6FKLNDQHQ Bilanzraumgrenze folgt für die Substratmasse mS im
.KOPDQWHO Bilanzraum:
0HVVVRQGHQ F6F;F3 .XOWXUPHGLXP
S+7S2
%HJDVXQJV dmS d(cS ⋅VL) Produktregel dVL dc
= = cS ⋅ + VL ⋅ S
RUJDQ dt dt dt dt
VWHULOH=XOXIW fed−batch dc
= cS ⋅ Fin + VL ⋅ S
dt
. Abb. 3.2  Satzreaktor mit dem Reaktionsvolumen  Gl. 3.8
VL, den Konzentrationen für Substrat cS, Biokatalysator
cX und Produkt cP (die gestrichelte Linie stellt die
Zu berücksichtigen ist, dass das Reaktionsvolumen
Bilanzraumgrenze dar)
VL durch den Zulauf zunimmt: dVL/dt = Fin Substrat
Kapitel 3 · Prozessmodelle
75 3

dmX d(cX ⋅VL) Produktregel dV dc


)LQF6) = = cX ⋅ L + VL ⋅ X
dt dt dt dt
fed−batch dcX
= cX ⋅ Fin + VL ⋅
dt
7LWUDWLRQ  Gl. 3.11
$EOXIW
9/
YDULDEHO
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der
Zulauf in der Regel keine Biomasse enthält, daher folgt:

fed−batch
dmX = cX ⋅ Fin + VL ⋅
dcX
= µ ⋅ cX ⋅ VL
dt dt
F6F;F3  Gl. 3.12

und schließlich nach Umstellung und Kürzen

dcX  F 
VWHULOH=XOXIW = cX ⋅ µ − in   Gl. 3.13
dt  VL 

. Abb. 3.3  Satzreaktor mit dem Zufluss (engl. feed) Analog kann das Produkt bilanziert werden, was zu
Fin, der Eintrittskonzentration des Substrates cSF, dem
folgender Gleichung führt:
Reaktionsvolumen VL, den Konzentrationen für Substrat cS,
Biomasse cX und Produkt cP (die gestrichelte Linie stellt die 
dcP F 
Bilanzraumgrenze dar) = cX ⋅ qP − in   Gl. 3.14
dt  VL 

tritt über die Bilanzgrenze in den Bioreaktor ein und


wird dort von den Zellen verstoffwechselt. Daher gilt: 3.2.3 Kontinuierlich betriebener
Prozess
dmS fed−batch dc
= cS ⋅ Fin + VL ⋅ S
dt dt Ein kontinuierlich betriebener Bioreaktor wird in der
= cSF ⋅ Fin − qS ⋅ cX ⋅VL  Gl. 3.9
Regel mit konstantem Reaktionsvolumen VL betrie-
ben, das heißt Zu- und Ablaufmengen entsprechen
Nach Umstellung und Kürzen folgt daraus: sich. Die Laufzeit eines solchen Prozesses liegt deut-
lich über der des Zulaufverfahrens, da hierbei keine
dcS Fin Begrenzung durch das endliche Reaktorvolumen
= ⋅ (c − c ) − qS ⋅ cX  Gl. 3.10
dt VL SF S besteht. Je nach Ausprägung wird unterschieden, ob
der Prozess mit oder ohne Zellrückhaltung durch-
geführt wird.
Gl. 3.10 verdeutlicht, dass die Substratkonzentration
cS durch den Zufluss Fin / VL ⋅ cSF zunimmt, gleich- z Ohne Zellrückhaltung
zeitig jedoch auch um den Beitrag Fin / VL ⋅ cS ver- Bei der Betriebsweise ohne Zellrückhaltung sind die
dünnt wird. Der Term −qS ⋅ c X beschreibt wiede- Verweilzeiten von Medienbestandteilen und Zellen
rum den Substratverbrauch durch die Zellen im im Bioreaktor gleich. . Abb. 3.4 veranschaulicht die
Reaktionsvolumen. Vorgehensweise.
Für die Bilanzierung der Biomasse gilt ebenso Für die Bilanzierung der Substratmasse ergibt
der Ansatz: sich für dVL/dt = 0
76 R. Takors und D. Weuster-Botz

während Fin/VL · cS die Verdünnung der Substratkon-


)LQF6) )RXWF6F;F3 zentration aufgrund des Zulaufs wiedergibt.
Analog lassen sich die zeitlichen Verläufe für die
Konzentrationen an Biomasse und Produkt unter
7LWUDWLRQ der Annahme, dass weder Zellen noch Produkt dem
kontinuierlich betriebenen idealen Rührkesselreak-
3 9/
$EOXIW
tor zugeführt werden, bestimmen zu:
YDULDEHO
dc X
= D ⋅ (0 − cX) + µ ⋅ cX = (µ − D) ⋅ cX  Gl. 3.18
dt

dcP
= D ⋅ (0 − cP) + qP ⋅ c X = qP ⋅ cX − D ⋅ cP  Gl. 3.19
dt
F6F;F3
Für einen kontinuierlich betriebenen Bioreaktor
kann sich nach genügend langem Betrieb bei einer
konstanten Verdünnungsrate ein Fließgleichgewicht
VWHULOH=XOXIW einstellen, das heißt d/dt = 0. Aus den Bilanzglei-
chungen Gl. 3.18 und 3.19 folgt daraus unmittelbar:

. Abb. 3.4  Kontinuierlich betriebener Bioreaktor mit µ=D  Gl. 3.20


dem Zufluss Fin, dem Abfluss Fout, der Eintrittskonzentration
des Substrates cSF, dem Reaktionsvolumen VL, den
Anschaulich bedeutet dies, dass genauso viele Zellen
Konzentrationen für Substrat cS, Biomasse cX und Produkt cP.
Zu- und Abfluss sind mengenmäßig gleich sodass VL konstant im Bioreaktor pro Zeiteinheit neu gebildet wie durch
bleibt (die gestrichelte Linie stellt die Bilanzraumgrenze dar) die Verdünnungsrate D ausgewaschen werden. Die
maximale Verdünnungsrate Dmax, auch Auswasch-
punkt (engl. wash-out) genannt, ist dann erreicht,
dmS dV dc dc wenn keine Zellen mehr im Reaktor vorhanden sind,
= cS ⋅ L + VL ⋅ S = cS ⋅ 0 + VL ⋅ S
dt dt dt dt also das zugeführte Substrat nicht mehr umgesetzt
dcS wird. Bei Berücksichtigung des Substratbedarfs für
= VL ⋅ Gl. 3.15
dt den Erhaltungsstoffwechsel ergibt sich:

was unter Berücksichtigung von F = Fin = Fout zu cSF


Dmax = µmax ⋅ − mS ⋅ YXS,µ;
dem Ansatz führt: KS + cSF
 Gl. 3.21
dc Dmax < µmax − mS ⋅ YXS,µ
VL ⋅ S = F ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX ⋅ VL Gl. 3.16
dt
Damit ergibt sich für die zeitliche Änderung der Die Einstellung von Arbeitspunkten (stabilen
Substratkonzentration: Betriebspunkten) mit Verdünnungsraten ober-
halb der maximalen Wachstumsrate μmax ist somit
dcS niemals möglich, da die Verdünnungsrate die Neu-
= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX  Gl. 3.17
dt bildung übersteigt. Weiterhin bedeutet dies, dass sich
die Wachstumsrate im kontinuierlich betriebenen
Darin bezeichnet D die Durchflussrate oder auch Bioreaktor im Fließgleichgewicht durch Vorgabe
Verdünnungsrate (engl. dilution rate) D = F/VL. einer Verdünnungsrate für D < µmax – mS · YXS,µ
Anzumerken ist, dass Gl. 3.17 der Bestimmungsglei- beliebig einstellen lässt.
chung Gl. 3.10 des Zulaufverfahrens für das Substrat Aus Gl. 3.17 folgt zudem für den Biomasseertrag
entspricht. Allerdings bezeichnet der Term D · cS in (gebildete Biomasse pro umgesetzter Substratmasse)
Gl. 3.17 den Abfluss von Substrat aus dem Bioreaktor, YXS
Kapitel 3 · Prozessmodelle
77 3

dcS ! µ=D
= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX = 0 ⇒
dt
cX
YXS =  Gl. 3.22
cSF − cS

Der Biomasseertrag kann somit durch Messung der


Konzentrationen an Biomasse und Substrat in einem
Arbeitspunkt berechnet werden.
Wird berücksichtigt, dass auch nichtwachsende
Zellen für die Aufrechterhaltung lebensnotwendiger
Funktionen eine Grundaufnahme für Substrat benö-
tigen (Erhaltungsstoffwechsel, engl. maintenance), so
gilt unter Verwendung der Pirt-Gleichung (7 Kap. 2):

dcS  
 µ
= D ⋅ (cSF − cS) −  + mS ⋅ cX
dt  YXS,µ  . Abb. 3.5  X/D-Diagramm – Auftragung der
Konzentrationen an Biotrockenmasse cX als Funktion


!
=0 ⇒
µ=D (cSF − cS) = 1
=
1 m
+ S
der Verdünnungsrate D in Fließgleichgewichten eines
kontinuierlich betriebenen idealen Rührkesselreaktors (cSF
cX YXS YXS,µ D
= 10 g L–1; µmax = 1 h–1; KS = 0,2 g L–1; YXS,µ = 0,5 g g–1; mS
 Gl. 3.23 = 0,02 g g-1 h–1). Die rote Linie gibt stabile Arbeitspunkte
unter Berücksichtigung des Erhaltungsstoffwechsels wieder.
Im anderen Fall wird angenommen, dass das limitierende
Der kontinuierlich betriebene Bioreaktor eignet sich Substrat nicht für den Erhaltungsstoffwechsel benötigt wird
somit gut, um kinetische Größen zur Beschreibung (schwarze Linie). Besonders bei geringen aber auch bei hohen
des Zellwachstums zu bestimmen. Gl. 3.23 verdeut- Durchflussraten (entspricht Wachstumsraten) führt dies zu
licht, dass die kinetischen Parameter der wahre Bio- deutlichen Unterschieden+
masseertrag YXS,µ und die konstante Substratauf-
nahme für den Erhaltungsstoffwechsel mS aus den Substrates für den Erhaltungsstoffwechsel an, zeigt
Fließgleichgewichten bei bekannter Verdünnungs- die schwarze Kurve höhere Zellkonzentrationen
rate D und beobachtetem Biomasseertrag YXS (siehe besonders bei geringen aber auch bei hohen Wachs-
Gl. 3.21) ermittelt werden können.1 tumsraten. Wird das limitierende Substrat auch
. Abb. 3.5 gibt einen Überblick über die Bio- zur Aufrechterhaltung des Erhaltungsstoffwechsels
masse-Konzentrationen, die bei unterschiedlichen benötigt, ist bei diesen Wachstumsraten eine starke
Wachstumsraten (= Verdünnungsraten) im Fließ- Reduktion der erreichbaren Biomassekonzentra-
gleichgewicht zu beobachten sind. Deutlich zu erken- tionen erkennbar (rote Linie in . Abb. 3.5). Es ist
nen ist die starke Abnahme der Zellkonzentrationen daher unbedingt erforderlich den Substratverbrauch
bei Annäherung an die maximale Wachstumsrate, für den Erhaltungsstoffwechsel zu berücksichtigen,
der wash-out Grenze. Darüber hinaus ist kein ope- wenn das limitierende Substrat hierfür benötigt wird.
rativer Arbeitspunkt möglich. Nimmt ein Modell Sollen in einem kontinuierlich betriebenen
Zellwachstum ohne Verbrauch des limitierenden (idealen) Rührkesselreaktor möglichst viele Zellen
im Fließgleichgewicht produziert werden, so muss
ein optimaler Betriebspunkt gewählt werden, der
1 Der Biomasseertrag YXS wird in manchen Lehrbüchern hohe volumetrische Produktivitäten (Raum-Zeit
auch als scheinbarer Biomasseertrag oder scheinbare
Ausbeuten) für die Biomasseherstellung RZA X
Biomasse/Substrat-Ausbeute bezeichnet. Demgegen-
über steht der wahre Biomasseertrag bzw. die wahre Bio-
ermöglicht (. Abb. 3.6).
masse/Substrat-Ausbeute als kinetische Eigenschaft des
biologischen Systems. RZAX = cX ⋅ D  Gl. 3.24
78 R. Takors und D. Weuster-Botz

Die höchste Raum-Zeit Ausbeute für die Biomasse- Produktionsansätzen ins Gewicht, in denen die
herstellung wird erreicht, wenn die Steigung d(cX · Zellen entweder als reiner nichtwachsender Bioka-
D)/dD = 0 wird. Für die einfache Sättigungskinetik talysator oder als nur geringfügig wachsende Pro-
ergibt sich die optimale Verdünnungsrate Dopt damit duzenten eingesetzt werden. Für solche Produk-
zu: tionsansätze ist es sinnvoll, die einmal hergestellten
Zellen möglichst lange im Bioreaktor bei ausrei-
3  KS  chender Substratversorgung und niedrigen Wachs-
Dopt = µmax ⋅ 1 −  Gl. 3.25
 KS + cSF  tumsraten zu halten. Dies setzt einerseits geeignete
Maßnahmen zur Zellrückhaltung voraus. Anderer-
Da in der Regel mit hohen Substratkonzentratio- seits sollte eine ausreichende Versorgung durch im
nen gearbeitet wird (cSF ≫ KS), liegt der optimale Medium gelöste Substrate, wie aber auch Sauerstoff
Betriebspunkt nahe am Auswaschpunkt. Auch wird (in aeroben Ansätzen) gewährleistet sein. Es findet
deutlich, dass die höchste Produktivität für die Bio- demnach eine Entkopplung der Verweilzeiten von
masseherstellung nur bei unvollständigem Umsatz Biomasse und Substraten im Bioreaktor statt.
erreichbar ist (. Abb. 3.6). Die Zellrückhaltung kann im Reaktor (intern)
oder außerhalb des Reaktors (extern) erfolgen.
z Mit Zellrückhaltung Interne Maßnahmen umfassen die Ausprägung von
Die Herstellung von Zellen verlangt nach Subst- Biofilmen beispielsweise durch Immobilisierung
rat, was somit für die eigentliche Produktion der der Zellen oder Enzyme auf oder in Trägermateria-
Zielkomponente nicht mehr zur Verfügung steht. lien, die suspendiert oder als Festbettschüttungen
Die damit verbundenen zeitlichen und finanziel- vorliegen oder durch getauchte Mikrofiltrations-
len Aufwendungen fallen insbesondere bei solchen membranen. Externe Maßnahmen zur Fest-Flüs-
sig-Trennung machen einen externen Umlauf (engl.
bypass) mit kontinuierlicher Sedimentation im Zen-
trifugalfeld oder Mikrofiltration und Rückführung
der aufkonzentrierten Zellen erforderlich. Scher-
kraftempfindliche Säugerzellen können auch über
Sedimentation im Schwerefeld im Umlauf oder
über Ultraschalltechnik am Auslass des Bioreak-
tors zurückgehalten werden. Im Zuge der anhalten-
den Bemühungen zur Prozessintensivierung erlan-
gen geeignete Zellrückhaltungsmaßnahmen immer
größere Bedeutung. . Abb. 3.7 fasst die beiden prin-
zipiellen Ansätze beispielhaft zusammen.

z z Interne Zellrückhaltung:
Zur Bilanzierung des Substrates wird der Bilanzraum
2 verwendet (. Abb. 3.7). Es gilt prinzipiell Gl. 3.16
unter Berücksichtigung von F = Fin = Fout:

dcS
VL ⋅ = F ⋅ (cSF − cS) − rS  Gl. 3.26
dt
. Abb. 3.6  Auftragung der Raum-Zeit Ausbeute RZAX und
der Konzentrationen von Biotrockenmasse cX und Substrat cS
Darin bezeichnet rS den volumetrischen Substrat-
als Funktion der Verdünnungsrate D in Fließgleichgewichten
eines kontinuierlich betriebenen idealen Rührkesselreaktors
verbrauch, der sich aus den Einzelverbräuchen der
(cSF = 10 g L–1; µmax = 1 h–1; KS = 0,2 g L–1; YXS,µ = 0,5 g g–1; mS Zellen in der Biosuspension wie auch der immo-
= 0,02 g g–1 h–1). Die optimale Verdünnungsrate ergibt sich bilisierten Zellen zusammensetzt. Vereinfachend
damit aus Gl. 3.25 zu 0,86 h–1 wird nachfolgend davon ausgegangen, dass beide
Kapitel 3 · Prozessmodelle
79 3

%LODQ]

)LQF6) )LQF6)
)RXWF6F;F3

7LWUDWLRQ 7LWUDWLRQ
$EOXIW $EOXIW

%LODQ]
)RXW/F/6F;/F/3
F[
N )5F6F;F3
F6F;F3 F6F;F3 )RXW;F;;

VWHULOH=XOXIW VWHULOH
%LODQ] %LODQ] =XOXIW
);5 )LQF;;F;6F;3

D E

. Abb. 3.7  Interne (a) und externe (b) Maßnahmen zur Zellrückhaltung. Beide Ansätze werden kontinuierlich betrieben,
d. h. VL bleibt konstant. a Zellen werden auf Trägern immobilisiert, so dass sich dort die flächenspezifische Zelldichte cX
′′
einstellt. Gleichzeitig lösen sich Zellen mit der Rate k aus dem Biofilm heraus. b Bei externer Rückhaltung werden die Zellen
im Umlauf des Bioreaktors beispielsweise durch eine kontinuierliche Zentrifugation zurückgehalten. Da die Rückhaltung nicht
vollständig ist, wird zwischen gering konzentrierten (Index L) und hochkonzentrierten (Index X) Stoffströmen unterschieden.
Der hochkonzentrierte Teilstrom FXR wird zurückgeführt, was dem Anteil α Fin entspricht. Darüber hinaus bedeuten: Zufluss Fin,
Abfluss Fout, Eintrittskonzentration des Substrates cSF, Reaktionsvolumen VL, Konzentrationen für Substrat cS, Biomasse cX und
Produkt cP. Gestrichelte Linien stellen verschiedene Bilanzräume dar

Zellfraktionen die gleiche geringe Wachstumsrate mit AT als Biofilmoberfläche im Bioreaktor. Hierbei
besitzen. Nichtimmobilisierte Zellen wurden aus wird angenommen, dass sich eine konstante Bio-
dem Biofilm losgelöst und werden kontinuierlich filmdicke auf der (planaren) Trägeroberfläche aus-
aus dem Bioreaktor ausgewaschen. Einem einfachen bildet. Dies führt bei einer geringen Biofilmdicke zu
Ansatz folgend kann rS formuliert werden zu: einer vernachlässigbaren Stofftransportlimitierung
im Biofilm.
rS = qS ⋅ cX(1 + f ) ⋅ VL  Gl. 3.27 Die Substratbilanz lässt sich wie folgt darstellen:

mit f als dem Anteil der immobilisierten Zellen dcS


= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX(1 + f )  Gl. 3.29
bezogen auf das Flüssigkeitsvolumen im Reaktor. dt
In der Praxis wird häufig die Biofilmdichte als
Zellanzahl oder Biomasse pro besiedelter Fläche ( c′′X ) bzw.:
angegeben, was zu der folgenden Formulierung für den
Substratverbrauch im Bioreaktor führt: 
dcS A 
= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX + c′′X ⋅ T   Gl. 3.30
dt VL 
rS = qS ⋅ cX ⋅ VL + c′′X ⋅ AT   Gl. 3.28 
80 R. Takors und D. Weuster-Botz

Die Biomasse im Bioreaktor kann durch Formulie- externe Zellrückhaltung verlangt somit nach beson-
rung der Massenbilanz im Bilanzraum 2 wie folgt ders robusten Zellen, die keine Leistungsminderung
beschrieben werden: trotz der auftretenden Gradienten und Scherbean-
spruchung zeigen.
dmX dc Zur Auslegung eines externen Zellrückhaltungs-
= VL ⋅ X = k ⋅ c′′X ⋅ AT
dt dt systems wird zunächst der Bilanzraum 1 (. Abb. 3.7a)
3 −F ⋅ cX + µ ⋅ cX ⋅VL  Gl. 3.31
betrachtet. Aus der Massenbilanz folgt unmittelbar
dass
Darin bezeichnet k ⋅ c′′X ⋅ AT die Ablösungsrate der
Zellen aus dem Biofilm in das umgebende Medium. Fin = FL,out + FX,out  Gl. 3.34
Die entsprechende Bilanz für die Biofilmmasse mX,T
(Bilanzraum 1) lautet: was mit der Definition des Rücklaufverhältnisses
α = FX,R/Fin und der Massenbilanz für den Bilanz-
dmX,T raum 2 in
= µ ⋅ c′′X ⋅ AT − k ⋅ c′′X ⋅ AT
dt
= c′′X ⋅ AT ⋅ (µ − k )  Gl. 3.32 FR = Fin ⋅ (1 + α )  Gl. 3.35

Unter der Annahme eines stabilen Biofilms im Fließ- überführt werden kann.
gleichgewicht (eng. steady-state) muss µ = k sein. . Abb. 3.7 berücksichtigt den allgemeinen Fall,
Damit ergibt sich Gl. 3.31 zu: dass zwei austretende Ströme mit hoher (FX,out mit
cX,X) und geringer (FL,out mit cL,X) Konzentration an
dcX A Biomasse das Trennmodul verlassen. Dies ist bei-
= µ ⋅ c′′X ⋅ T + cX ⋅ (µ − D )  Gl. 3.33
dt VL spielsweise für den Betrieb von kontinuierlichen
Zentrifugalseparatoren gegeben. Bei Verwendung
Deutlich zu erkennen ist, dass die Konzentration der von Mikrofiltrationseinheiten, kann der Strom FL,out
Biomasse im Reaktor nicht allein von der Durchfluss- in der Regel als zellfrei angesehen werden.
rate D abhängt, sondern auch vom Wachstum des Die Biomassebilanz für den Bilanzraum 2 führt
Biofilms. Das Wachstum der Zellen ist somit von der zu der Gleichung:
Durchflussrate D entkoppelt.
dmX dc
= VL X = FX,R ⋅ cX,X − FR ⋅ cX
z z Externe Zellrückhaltung: dt dt
+µ ⋅ cX ⋅VL  Gl. 3.36
Externe Zellrückhaltungsansätze haben den Vorteil,
relativ flexibel an bestehende Bioreaktoren angebaut
werden zu können. Gleichzeitig sind entsprechende was mit Gl. 3.35 und D = Fin/VL umformuliert werden
Ansätze aufwendig zu realisieren. Zum einen muss kann zu
der Bioreaktor trotz des externen Umlaufs auch wei-
terhin monoseptisch betrieben werden können. Zum dcX
= α ⋅ D ⋅ cX, X − D ⋅ (1 + α )⋅ cX + µ ⋅ cX  Gl. 3.37
anderen erfordert die Förderung durch den Umlauf dt
die Installation zusätzlicher Pumpen. Die derart ein-
gebrachte Pumpleistung sollte ausreichend groß sein, Die Substratbilanzierung kann in analoger Vor-
um unerwünschte Gradienten entlang des Umlaufs gehensweise erfolgen. Allerdings sollte beachtet
zu minimieren. Dennoch werden beispielsweise pH-, werden, dass die Konzentrationen cL,S = cX,S = cS sind,
Sauerstoff- oder Substratgradienten auf die Zellen d. h. der Einsatz einer kontinuierlichen Sedimenta-
aufgeprägt, was neben der zusätzlichen Scherstress- tion im Zentrifugalfeld ändert die Konzentratio-
beanspruchung (insbesondere bei Säugerzellen eine nen gelöster Substratkomponenten nicht, wenn die
kritische Größe) zu nicht erwünschten Leistungs- Verweilzeiten der Biomasse im Umlauf gering sind.
einbrüchen bei den Produzenten führen kann. Die Daher folgt für die Bilanzierung des Substrates:
Kapitel 3 · Prozessmodelle
81 3

dcS
= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX  Gl. 3.38 F[
dt

Gl. 3.38 ist identisch mit Gl. 3.17, was belegt, dass für QG
LJH
gelöste Komponenten (wie z. B. das Substrat) kein V WH
DQ
Unterschied im Vergleich zu einem Bioreaktor ohne Į
”Į
Zellrückhaltung zu erwarten ist. Sehr wohl existieren
jedoch Unterschiede zwischen Gl. 3.37 und 3.18. Die
Verweilzeiten zwischen Zellen und Kulturmedium
sind daher entkoppelt. Deutlich wird dies auch durch
eine Betrachtung von Gl. 3.37 im Fließgleichgewicht: '

dcX
= α ⋅ D ⋅ cX, X − D ⋅ (1 + α) ⋅ cX + µ ⋅ cX . Abb. 3.8  Abhängigkeit der Konzentration an Biomasse
dt cX von der Durchflussrate in einem Bioreaktor mit externer
!   cX, X  Zellrückhaltung (durchgezogene Linie) im Vergleich zu
= 0 ⇒ µ = D ⋅ 1 + α ⋅ 1 −  einem Ansatz ohne Zellrückhaltung (gestrichelt). Wird
 cX 
  die Zellrückhaltung aktiviert (α > 0), sind deutlich höhere
 Gl. 3.39 Konzentrationen an Biomasse im kontinuierlichen Betrieb
erzielbar

Berücksichtigt man, dass wegen der Aufkonzentrie-


rung cX,X/cX > 1 ist, folgt: 3.3 Besondere Betriebsweisen
von homogen durchmischten
µ<D  Gl. 3.40 Bioreaktoren

Die Wachstumsrate der Zellen im Bioreaktor mit 3.3.1 Hochzelldichte Fermentation


externer Zellrückhaltung ist demnach kleiner als die
eingestellte Verdünnungsrate D. Es wird somit ein
Betriebspunkt realisiert, der ohne Zellrückhaltung Das Ziel von Zulaufverfahren kann es sein, möglichst
nicht einstellbar wäre. hohe Konzentrationen an Biomasse im Reaktor zu
Ähnliches gilt für die Konzentration an Biomasse erreichen. Beispielsweise könnte damit ein Biotrans-
im Reaktor. Unter Annahme eines Fließgleichge- formationsansatz realisiert werden oder die Produk-
wichtes (engl. steady-state) und dem Zusammenhang tion eines Zielproteins erfolgen, das weitestgehend
YXS = μ/qS gilt für die Konzentration der Biomasse: wachstumsentkoppelt hergestellt würde. Gleichzei-
tig sind die Sauerstoffeintragsraten in Bioreaktoren
technisch meist bei 150–180 mmol L–1h–1 limitiert,
dcS
= D ⋅ (cSF − cS) − qS ⋅ cX was die maximale Zelldichte begrenzt, die ausrei-
dt
chend mit Sauerstoff versorgt werden kann. Gl. 3.42
! cSF − cS
= 0 ⇒ cX = YXS  Gl. 3.41 verdeutlicht, dass die Sauerstoffaufnahmerate der
  c 

1 + α 1 − XX  Zellen (OUR = oxygen uptake rate) dem Produkt aus


 cX  biomassespezifischer Sauerstoffaufnahme (qO2) und
Konzentration an Biomasse entspricht:
steady−state
Da der Nenner von Gl. 3.41 größer 0 und kleiner 1 OUR = qO2 ⋅ cX = OTR  Gl. 3.42
ist, ist die resultierende Konzentration cX bei Zell-
rückhaltung immer größer als die vergleichbare Kon- Da sich die Raten an Sauerstoffaufnahme (OUR) und
zentration ohne Zellrückhaltung. Dieser Sachverhalt technischem Sauerstofftransfer (OTR = oxygen trans-
wird auch in . Abb. 3.8 verdeutlicht. fer rate) im Fließgleichgewicht (engl. steady-state)
82 R. Takors und D. Weuster-Botz

entsprechen müssen, ist das Produkt aus Gl. 3.42 Darin indiziert 0 den Start des Zulaufs zur Einstel-
durch die technischen Sauerstoffeintragsmöglich- lung von μset im substratgesteuerten Zulaufverfah-
keiten begrenzt. Daraus folgt unmittelbar, dass hohe ren. Für die Substratbilanz gilt Gl. 3.10 mit der zusätz-
Biomassekonzentrationen cX nur mit geringen zell- lichen Bedingung, dass cS = konstant ist, da nur so
spezifischen Aufnahmeraten qO2 technisch realisiert eine konstante niedrige Wachstumsrate μset einge-
werden können. stellt werden kann:
3 Die biomassespezifische Sauerstoffaufnahmerate
qO2 ist über die Ausbeute YO2X an die Wachstumsrate dcS Fin
der Zellen gekoppelt: = ⋅ (c − c ) − qS ⋅ cX
dt VL SF S
! qS
qO2 = YO2X ⋅ µ  Gl. 3.43 = 0 ⇒ Fin = VL ⋅ cX  Gl. 3.47
( SF − cS)
c
Wird die Wachstumsrate der Zellen reduziert, ver-
ringert sich proportional deren Sauerstoffaufnah- Mit Gl. 3.46 und der Beziehung Y XS = µ/q S folgt
merate.2 Es eröffnet sich somit die Möglichkeit, eine daraus:
limitierend geringe Substratkonzentration (7 Kap. 2)
µset
so während des gesamten Zulaufverfahrens über eine Fin (t) = (VL ⋅ cX ) exp (µset ⋅ t )
entsprechend gesteuerte Substratzufuhr einzustellen,
0Y ⋅
XS (cSF − cS)
dass das Wachstum und damit die biomassespezi-  Gl. 3.48
fische Sauerstoffaufnahmerate konstant auf einem
niedrigen Niveau bleiben. Damit können hohen Zu beachten ist, dass die gewünschte Wachstums-
Konzentrationen an Biomasse cX bei gleichzeitiger rate μset bei bekannter Sättigungskinetik (7 Kap. 2)
Beachtung der begrenzten Sauerstoffeintragsleistung für eine gewählte Substratkonzentration c S und
OTR des Bioreaktors erreicht werden. bekannten Parametern μmax, KS und YXS,µ sowie bei
Bezogen auf . Abb. 3.3 kann die Formulierung Berücksichtigung des Erhaltungsstoffwechsels mS
für die Biomassebilanz erfolgen zu: abgeschätzt werden kann. Das so erhaltene Zulauf-
profil ist exponentiell und erlaubt das Erreichen
dmX d (VL ⋅ cX ) hoher Konzentrationen an Biomasse durch kons-
= = µ ⋅ cX ⋅ VL  Gl. 3.44
dt dt tant langsam wachsende Zellen.
In der Praxis wird bei Hochzelldichteverfah-
Anders als in Gl. 3.11 erfolgt nun nicht die Anwen- ren häufig nach Erreichen von OTRmax die Wachs-
dung der Produktregel, sondern die Umstellung der tumsrate umgekehrt proportional zur Zellmasse im
Gleichung durch Trennung der Variablen zu: Reaktor weiter verringert, um noch weitaus höhere
Zelldichten erzielen zu können. Die Festlegung
d (VL ⋅ cX ) einer ‚optimalen‘ Wachstumsrate im Hochzelldich-
= µ ⋅ dt  Gl. 3.45
VL ⋅ cX teverfahren erfolgt häufig so, dass gerade eben keine
Nebenproduktbildung auftritt. Die Festlegung einer
Für die Integration von Gl. 3.45 für die Dauer t des konstanten, niedrigen Wachstumsrate µset kann zu
Zulaufverfahrens soll μ = µset = konstant sein, da dies unökonomisch langen Prozesszeiten führen.
die Bedingung für den gesuchten Prozessansatz ist.
Daher folgt:
3.3.2 Wiederholtes Zulaufverfahren
(V ⋅ c ) (repetitive fed-batch)
ln L X = µset ⋅ t  Gl. 3.46
(VL ⋅ cX )0
Für die effiziente Nutzung von Zellen kann es sinnvoll
sein, den Reaktorinhalt am Ende eines Zulauf- (oder
2 Der Bedarf der Zellen an Sauerstoff für den Erhaltungs- auch Satz-) Prozesses nicht vollständig zu entneh-
stoffwechsel wird hier vereinfachend vernachlässigt. men, sondern einen Restgehalt von beispielsweise
Kapitel 3 · Prozessmodelle
83 3
10–20 % im Bioreaktor zu lassen. Die derart zurück- von Inhaltsstoffen andererseits kann es
gehaltene Biomasse dient als Inokulum für den nach- zu unerwünschten Nebeneffekten in dem
folgenden Prozess. nachgeschalteten Aufarbeitungsprozess
Um einen Folgeprozess erfolgreich zu starten, kommen. Auch diese gilt es in Vorversuchen zu
wird der zurückbehaltene Anteil mit frischem, steri- überprüfen.
lem Satzmedium aufgefüllt. Anschließend erfolgt die
‚normale‘ Fahrweise des Satz- bzw. Zulaufverfahrens. Von der Modellierung her kann ein wiederholtes
Soll eine solche Vorgehensweise in der Praxis eta- Zulaufverfahren analog zu einem Zulaufprozess
bliert werden, müssen im Vorfeld die nachfolgenden behandelt werden.
Punkte intensiv untersucht werden:
1. Stabilität der Produzenten: Zellen am
Ende eines industriellen Zulaufprozesses 3.3.3 Kontinuierliche Fermentationen
haben häufig 20–30 Generationen seit dem
Überimpfen aus einer working cell bank Kontinuierliche Kultivierungen zeichnen sich
(WCB)3 des Labors durchlaufen. Durch die dadurch aus, dass das Reaktionsvolumen im Biore-
Prozessführung am Ende eines Zulaufver- aktor in der Regel konstant bleibt und der Prozess
fahrens ist ihr Stoffwechsel deutlich anders in einem Fließgleichgewichtszustand, also bei dX/
reguliert als zu Beginn eines neuen Satzpro- dt = 0, betrieben werden kann. Hierin beschreibt X
zesses, der durch exponentielles Wachstum einen Zustandsvektor, der aus den Konzentrationen
gekennzeichnet ist. Es muss daher im Vorfeld für Biomasse, Substrat und Produkt besteht.
untersucht werden, ob wiederverwendete
Zellen diesen Wechsel problemlos verkraften z Chemostat
können, also ob die gleichen Leistungsdaten für Die chemostatische Betriebsweise basiert auf der
den Gesamtprozess erreicht werden können. Vorgabe einer konstanten Verdünnungsrate D für
2. Wirtschaftlichkeit: Den geringeren einen kontinuierlichen Prozess (. Abb. 3.9). Diese
Aufwendungen für die Biomassebildung wird technisch dadurch realisiert, dass beispielsweise
einerseits stehen geringere Produktmengen das Gewicht des Bioreaktors kontinuierlich gemessen
im Vergleich zu einem vollständig geernteten wird und dadurch die dem Zulauf analoge Masse aus
Ansatz gegenüber. Diese Einflüsse müssen dem Reaktor hinaus gepumpt wird. Alternativ dazu
wirtschaftlich gegeneinander abgewogen kann auch versucht werden, das Bioreaktorvolumen
werden. Wirtschaftlich vorteilhaft ist ebenfalls, konstant zu halten, was eine spezielle Füllstandskont-
dass die zeitlichen Aufwendungen für Ernte rolle verlangt. Hierbei ist zu beachten, dass durch die
und Vorbereitung des Bioreaktors in einem eingebrachte Rührenergie und durch die im Reaktor
wiederholten Zulaufverfahren niedriger sind vorhandenen Gasblasen, das tatsächliche Flüssigvo-
als bei Durchführung einer analogen Sequenz lumen (Reaktionsvolumen) in einem Betriebspunkt
mit dazwischen geschalteten Vorbereitungs- nur schwer ermittelbar sein kann.
intervallen. Das bedeutet, die volumetrische Die chemostatische Betriebsweise ist bei einfa-
Produktivität (Raum-Zeit Ausbeute) des cher Sättigungskinetik für das limitierende Substrat
eingesetzten Bioreaktors nimmt zu. autostabil. Ist ein stabiler Arbeitspunkt erreicht und
3. Wechselwirkung mit der Aufarbeitung: wird das System kurzfristig aus diesem ausgelenkt
Durch das verringerte Erntevolumen einer- (etwa durch Prozessierung unerwarteter Messfehler
seits sowie durch die mögliche Rezyklierung oder stochastische Schwankungen), so stellt sich nach
einer Anpassungsphase wieder der alte Arbeitspunkt
ein. Dieser Sachverhalt ist anschaulich in . Abb. 3.10
3 Als working cell bank (WCB) wird die Startkolonie bezeich-
dargestellt. Hierzu wird die Bilanzgleichung für das
net, die am Beginn der Anzuchtschiene (seed train) im
Labor steht. Sie leitet sich aus der master cell bank ab
Substrat im Fließgleichgewicht (Gl. 3.17) mit dem Kon-
(MCB), die die Ursprungskolonie des Produzentenstamms vektionsterm auf der linken Seite und dem Reak-
darstellt und häufig in der Stammentwicklung verbleibt. tionsterm auf der rechten Seite dargestellt:
84 R. Takors und D. Weuster-Botz

. Abb. 3.10  Stabilität von Arbeitspunkten im


chemostatischen Betrieb (cSF = 10 g L–1; µmax = 1 h–1;
. Abb. 3.9  Chemostat – Durch Vorgabe der
KS = 0,2 g L–1). Kurzfristige Erhöhungen oder Reduktionen
Verdünnungsrate stellen sich im Bioreaktor
der Verdünnungsrate oder der Substratkonzentrationen
Fließgleichgewichtskonzentrationen für das Substrat cS und
an einem stabilen Arbeitspunkt (hier D* = 0,7 h–1) führen
die Biomasse cX ein (cSF = 10 g L–1; µmax = 1 h–1; KS = 0,2 g
nach einer Adaptation wieder zurück an den ursprünglichen
L–1; YXS,µ = 0,5 g g–1; mS = 0,02 g g–1 h–1). Anzumerken ist,
Arbeitspunkt. Zur Erläuterung siehe Text
dass nur Verdünnungsraten <μmax – mS YXS,µ zu stabilen
Arbeitspunkten führen. Darüber hinaus wird sich im
Bioreaktor eine Substratkonzentration einstellen, die der des an (. Abb. 3.10). Der Substratverbrauch im Reaktor
Zulaufs cSF entspricht, da keine Verbraucher mehr vorhanden
nimmt zu, weshalb die Substratkonzentration wieder
sind
auf diejenige im alten Arbeitspunkt zurückfällt.
Analog verhält es sich bei kurzfristiger Reduktion
D ⋅ (cSF − cS) = cX ⋅ qS  Gl. 3.49 der Verdünnungsrate. Durch die Verringerung der
Substratzufuhr fällt die limitierende Substratkonzen-
Bei Verwendung einer einfachen Sättigungskinetik tration ab und damit entsprechend dem Reaktions-
für das limitierende Substrat und hier zur Vereinfa- term auch der Substratverbrauch im Reaktor. Durch
chung ohne Berücksichtigung des Erhaltungsstoff- den verringerten Substratverbrauch steigt die Subst-
wechsels ergibt sich mit cX = YXS,µ · (cSF – cS): ratkonzentration im Reaktor wieder an, bis der stabile
Arbeitspunkt vor Auslenkung wieder erreicht ist.
µmax ⋅ cS Zu beachten ist, dass dauerhafte Veränderungen
D ⋅ (cSF − cS) = ⋅ (cSF − cS)  Gl. 3.50
( KS + cS) der Verdünnungsraten (die Steigung des Konvek-
tionsterms ändert sich, . Abb. 3.10) dazu führen, dass
Durch Variation der Verdünnungsrate ändert sich sich neue Arbeitspunkte einstellen (neue Schnitt-
die Steigung des Konvektionsterms. Gl. 3.50 ist im punkte mit dem Reaktionsterm).
Schnittpunkt von Konvektions- und Reaktionsterm Diese anschauliche Beschreibung der autosta-
erfüllt. bilen Prozessregelung kann auch systemtheoretisch
Erfolgt beispielsweise eine kurzfristige Erhöhung durch eine Stabilitätsanalyse nach Lyapunov unter-
der Verdünnungsrate über den stabilen Arbeitspunk- mauert werden. Danach ist ein System genau dann
tes D* hinaus, so wird dem Bioreaktor mehr Substrat stabil, wenn alle Eigenwerte der charakteristischen
über den Zulauf zugeführt, als durch die Zellen ver- Gleichung eines (linearisierten) Systems am Arbeits-
braucht wird. Die limitierende Substratkonzentra- punkt negative Realanteile besitzen. Für kontinuier-
tion steigt in der Folge an. Damit steigt entsprechend lich betriebene Bioreaktoren ist dies genau dann der
dem Reaktionsterm auch die Substratverbrauchsrate Fall wenn
Kapitel 3 · Prozessmodelle
85 3

∂µ*
>0  Gl. 3.51
∂cS

d. h. wenn eine Erhöhung der Substratkonzentra-


tion am Arbeitspunkt (*) dazu führt, dass auch die
Wachstumsrate der Zellen μ* ansteigt. Für die ein-
fache Sättigungskinetik ist diese Bedingung offen-
sichtlich erfüllt:

∂µ* KS
= µmax 2
>0  Gl. 3.52
∂cS (cS + KS)
Das System ist demnach autostabil.
Anders kann aber wiederum keine generelle
Autostabilität für Wachstumskinetiken erwartet
werden, die eine Substratüberschussinhibierung
. Abb. 3.11  Stabilität von Arbeitspunkten
aufweisen. Ist die höchste Wachstumsrate µopt über-
im chemostatischen Betrieb bei Vorliegen einer
schritten, was bei Substratkonzentrationen cS > cS,opt Substratüberschussinhibierung (cSF = 10 g L–1; µmax =
der Fall ist (7 Abschn. 2.3.2), gilt offenkundig 1 h–1; KS = 0,2 g L–1; KI = 5 g L–1). Kurzfristige Erhöhungen
oder Reduktionen der Verdünnungsrate oder der
∂µ* Substratkonzentrationen an einem stabilen Arbeitspunkt
<0  Gl. 3.53 (hier D* = 0,5 h–1) führen nach einer Adaptation wieder zurück
∂cS
an den stabilen Arbeitspunkt α. Dies ist nicht der Fall im
instabilen Arbeitspunkt β. Nur im grau schraffierten Bereich
da eine weitere Steigerung der Substratkonzentration sind stabile Arbeitspunkte möglich. Zur Erläuterung siehe Text
zur Abnahme des Zellwachstums führt (7 Kap. 2).
Solche Systeme können innerhalb dieser kritischen
Substratbereiche nicht chemostatisch stabil einge- erreicht ist. Bei dieser Auftragung von Reaktionsterm
regelt werden. und Konvektionsterm über der Substratkonzentra-
Durch Auftragung von Konvektionsterm und tion im Bioreaktor im Fließgleichgewicht wird auch
Reaktionsterm als Funktion der Substratkonzent- deutlich, dass nur bei hohen Umsätzen (cS ≤ cS,opt)
ration im kontinuierlich betriebenen idealen Rühr- stabile Arbeitspunkte bei Vorliegen einer Substrat-
kesselreaktor im Fließgleichgewicht bei Vorliegen überschussinhibierung möglich sind.
einer Substratüberschussinhibierung kann dies ver-
anschaulicht werden (. Abb. 3.11). Bei vorgegebe- z Turbidostat
ner Verdünnungsrate im Betriebspunkt (hier D* = Der turbidostatische Betrieb verwendet die Konzen-
0,5 h–1) hat der Konvektionsterm drei Schnittpunkte tration der Biomasse – beispielsweise erfasst über die
mit dem Reaktionsterm. Die Schnittpunkte α und γ on-line Messung der Trübung in der Suspension –
(Auswaschpunkt) sind stabil, während der Schnitt- als Regelgröße. Offenkundig ist damit insbesondere
punkt β instabil ist. Kommt es hier zu stochastischen der Bereich der Durchflussrate nahe dem Auswasch-
Abweichungen von der Substratkonzentration im punkt (engl. wash-out) gut einstellbar. Gerade dieser
Bioreaktor, erfolgt eine negative Verstärkung: Steigt Bereich wäre für eine chemostatische Fahrweise nur
die Substratkonzentration im Reaktor leicht an, sinkt schwer zugänglich, da kleine Schwankungen in der
aufgrund der Substratüberschussinhibierung der Durchflussrate schnell zum unerwünschten Aus-
Reaktionsterm weiter ab bis der stabile unerwünschte waschen führen würden. Auch Betriebspunkte, die
Arbeitspunkt γ (Auswaschpunkt) erreicht ist. Sinkt sich bei Vorliegen einer Substratüberschussinhibie-
die Substratkonzentration bei β leicht ab, erhöht sich rung im Chemostaten nicht stabil einstellen lassen,
der Reaktionsterm und die Substratkonzentration können prinzipiell mit Hilfe eines Turbidostaten
nimmt weiter ab, bis der gewünschte Arbeitspunkt α eingeregelt werden (. Abb. 3.12). Allerdings ist der
86 R. Takors und D. Weuster-Botz

z Nutristat
In Analogie zum Turbidostat funktioniert auch die
nutristatische Regelung. Anstelle des Trübungssig-
nals wird allerdings hier die aktuelle Substratkonzen-
tration als Regelgröße verwendet (. Abb. 3.13). Für
einen funktionierenden, geschlossenen Regelkreis ist
3 auch in dieser Anordnung ein Schätzer notwendig,
der die aktuelle Substratverbrauchsrate aus Werten
der Vergangenheit ermittelt. Zu beachten ist, dass –
anders als bei der Trübungsmessung – das Substrat-
signal in der Regel zwar auch on-line erfassbar ist,
aber nicht in-situ gemessen werden kann. Proben
werden hierzu über Probenahmesonden dem Biore-
aktor automatisiert entnommen und einem geeigne-
ten Analysator zur automatisierten at-line Messung
zugeführt. Übliche Messfrequenzen für solche auto-
matisierten at-line Analysen, beispielsweise mit Hilfe
. Abb. 3.12  Turbidostat – Durch Regelung der von enzymatischen Messungen oder HPLC, liegen
Konzentration an Biomasse ist die Einstellung von zwei bei einer Abtastzeit von 3–15 Minuten und Tot-
unterschiedlichen Arbeitspunkten D* für den kontinuierlichen zeiten (Zeit von der Probenahme bis zum Vorlie-
Betrieb möglich (cSF = 10 g L–1; µmax = 1 h–1; KS = 0,2 g L–1; KI =
gen des Analysenwerts) von einigen Minuten. Dem
5 g L–1; YXS,µ = 0,5 g g–1; mS = 0,02 g g–1 h–1). Zur Erläuterung
siehe Text Schätzalgorithmus kommt daher die erschwerende
Aufgabe zu, Substratverbräuche bei relativ geringer
turbidostatische Betrieb für einen weiten Bereich
mittlerer Durchflussraten nicht anwendbar, da die
δc
Sensitivität der Regelgröße x nur sehr gering ist
δD
(. Abb. 3.12, grau hinterlegter Bereich).
Das Grundprinzip der Regelung besteht darin,
eine Sollgröße für die Trübung (= Konzentration der
Biomasse) vorzugeben. Diese wird durch Variation
der Zuflussrate (und damit der Zugabe an Substra-
ten) in einem geschlossenen Regelkreis eingestellt.
Das aktuelle Trübungssignal wird einem ‚Beobach-
ter‘ übergeben, der aus der Kenntnis der zurücklie-
genden Einstellungen der Zuflussrate eine aktuelle
Wachstumsrate und damit eine aktuelle Substrat-
verbrauchsrate schätzt. Diese Größen werden für die
Parametrisierung des Regeleingriffs zur Einstellung
des gewünschten Arbeitspunktes im nächsten Zeit-
intervall verwendet (7 Kap. 8). Wenn das limitierende
Substrat auch für den Erhaltungsstoffwechsel benö-
tigt wird, gibt es bei Vorgabe eines Sollwerts für die . Abb. 3.13  Nutristat – Durch Regelung
Trübung (Biotrockenmassekonzentration) allerdings der Substratkonzentration im kontinuierlich
betriebenen Rührkesselreaktor ist die Einstellung von
beim Turbidostaten zwei mögliche Betriebspunkte
beliebigen Arbeitspunkten D* auch bei Vorliegen
(. Abb. 3.12). Der turbidostatische Betrieb eines kon- einer Substratüberschussinhibierung möglich (cSF = 10 g
tinuierlich betriebenen Rührkesselreaktors ist daher L–1; µmax = 1 h–1; KS = 0,2 g L–1; KI = 5 g L–1; YXS,µ = 0,5 g g–1;
nur eingeschränkt möglich. mS = 0,02 g g-1 h–1). Zur Erläuterung siehe Text
Kapitel 3 · Prozessmodelle
87 3
Messfrequenz und zeitverzögert vorliegenden Mes- sie alle das Ziel, Blasen mit möglichst großer, defi-
sungen ausreichend genau zu schätzen (7 Kap. 8). nierter Oberfläche im Bioreaktor zu erzeugen. Meist
Da die Substratkonzentration unmittelbar als sind entsprechende Begasungsorgane nahe dem
Regelgröße verwendet wird, eignet sich die nutristati- Rührwerk angebracht, um mit Hilfe der dort lokal
sche Prozessführung besonders gut, um bei Vorliegen eingebrachten hohen Rührenergie kleine Blasengrö-
einer Substratüberschussinhibierung auch Betriebs- ßen zu erzeugen und zu dispergieren.
punkte oberhalb der kritischen Substratkonzentration Für die Modellierung des mehr-phasigen O2-
cS,opt in kontinuierlichen Prozessen sicher einregeln -Transports wurde bereits 1923 durch Lewis und
zu können (. Abb. 3.13). Auch treten nicht wie beim Whitman [15, 4] das Zwei-Film-Modell formuliert.
Turbidostaten zwei mögliche Betriebspunkte auf. Es nimmt an, dass beiderseits einer Phasengrenzflä-
che zwischen Blasen und Flüssigkeit eine laminare
Grenzschicht existiert, in der der Stofftransport dif-
3.4 Sauerstoffeintrag fusiv geschieht. Weiter entfernt von der Grenzfläche
werden der Partialdruck po2, g bzw. die Gelöstsau-
3.4.1 Stofftransportmodelle erstoffkonzentration cO2,L erreicht. An der Grenz-
fläche selbst stehen der Partialdruck von Sauerstoff
in der Gasphase und dessen gelöste Konzentration in
Zu Beginn der Entwicklung eines neuen Bioprozesses der flüssigen Phase in einem Gleichgewicht (Index *).
sollte die Frage beantwortet werden, ob der Prozess Das Verhältnis zwischen Konzentration in der flüssi-
aerob oder anaerob betrieben werden soll. Letzte- gen Phase und dem dazugehörigen Gleichgewichts-
res bietet den Vorteil, den apparativen Aufwand Partialdruck in der Gasphase wird durch die Henry-
für Sauerstoffeintrag und Kühlung zu minimieren. Konstante HO2 beschrieben.
Dagegen offerieren aerobe Prozesse den inhärenten Es kann gezeigt werden ( 7 Kap. 5), dass die
Vorteil, dass für die metabolische Umsetzung des Sauerstoffeintragsrate
Substrates in das Zielprodukt mehr Energie in Form Sauerstoffeintragsrate OTR (oxygen transfer rate)
von ATP zur Verfügung steht [10]. Unter realisti- wie folgt beschrieben werden kann:
schen Bedingungen, das bedeutet unter Annahme
eines P/O Verhältnisses4 von 1,1), stehen beispiels- nO2, L A *
weise E. coli etwa 15 ATP pro umgesetzter Glucose OTR = = kL ⋅ ⋅ (c O2, L − cO2, L )  Gl. 3.54
VL VL
aerob zur Verfügung, während anaerob nur 2 ATP
netto in der Glykolyse gebildet werden.
Wird ein aerober Prozess angestrebt, kommt dem Hier bezeichnet c*O2,L  die Sauerstoffkonzentration in
optimalen Sauerstoffeintrag eine besondere Bedeu- der Flüssigphase, die mit der Gasphase im Gleichge-
tung zu. . Abb. 3.10 skizziert den Weg, den Sauerstoff wicht steht und  cO2,L die Konzentration an gelöstem
aus einer Blase über die Lösung zu den Zellen bzw. Sauerstoff in der Kernströmung der Flüssigkeit. Das
einem Zellverband zurücklegen muss. Produkt kL · A/VL wird zu dem volumetrischen Stoff-
Üblicherweise wird die Sauerstoff-enthaltende transportkoeffizienten kLa vereinigt. Dieser besteht
Zuluft dem Prozess über geeignete Begasungsorgane somit aus dem Stofftransportkoeffizienten kL und der
steril zugeführt. Großtechnisch können Hitzeinak- volumenspezifischen Stoffaustauschoberfläche aller
tivierung nach Kompression der Zuluft oder Filter Blasen a. Erhöht sich beispielsweise die Viskosität des
für die Sterilisation eingesetzt werden. In Laborre- Mediums während der Kultivierung, so verschlechtert
aktoren werden häufig Zuluftfilter verwendet. Der sich kL was zu einer Verringerung der Sauerstoffein-
Aufbau und die Geometrie von Begasungsorganen tragsrate OTR führt. Wird die Begasungsrate erhöht,
sind sehr unterschiedlich. Im Wesentlichen verfolgen steigt a und damit der kLa, was zu einer Steigerung
der Sauerstoffeintragsrate OTR führt. Eine Drucker-
4 P/O Verhältnis ist die Fähigkeit einer Zelle unter aeroben
höhung wirkt sich über den Henry-Koeffizienten pro-
Bedingungen über die Atmungskette ATP durch Oxida- portional positiv auf c*O2,L und damit auf die Sauer-
tion von NADH bzw. FADH herzustellen. stoffeintragsrate OTR aus.
88 R. Takors und D. Weuster-Botz

Im Zwei-Film-Modell ist der kLa proportional überall implementierte Messgrößen. Bilanziert man
zum binären Diffusionskoeffizienten D L. Andere die Mengen an ein- und austretenden O2-Molenst-
Annahmen, wie beispielsweise die Penetrations- römen gemäß . Abb. 3.14, so folgt daraus Gl. 3.57, die
theorie von Higbie [3] oder die Oberflächenerneue- konstanten Druck p und Temperatur T annimmt:
rungstheorie von Danckwert [2], sehen die Propor-
tionalität von kLa ~ DL vor. Dies ergibt sich aus der nO2 = nO2,in − nO2,out =
3 Modelvorstellung, dass einzelne Volumenelemente Gl. 3.57
p 
an die Gas/Flüssig-Phasengrenzschicht antranspor- (
V ⋅Y
RT g,in O2,in
−Vg,out ⋅ YO2,out  )
tiert und dort instationär mit O2 beladen werden. So
führt die Penetrationstheorie zu der Aussage: Zu beachten ist, dass durch die Freisetzung an CO2
durch die Stoffwechselaktivität der Zellen der austre-
1 tende Molenstrom der Abluft deutlich über dem der
 P  4
  Zuluft liegt. Außerdem kann die Abluft auch Wasser
4 ⋅ DL  VL 
kLa = ⋅    Gl. 3.55 bis zur Sättigungsgrenze enthalten. Letzteres wird
π  v  während des Durchgangs durch die Flüssigkeit von
 
  dort aufgenommen. Zur akkuraten Berechnung der
Stoffströme wird die Inertgas-komponente N25 wie
mit P als der eingebrachten Leistung pro Reaktions- folgt bilanziert:
volumen VL und v als kinematischer Viskosität.
Gl. 3.55 berücksichtigt den lokalen Energieeintrag V Y
n N,in = n N2,out ⇒  g,in = N2,out  Gl. 3.58
und findet daher sehr häufig Anwendung in com- Vg,out YN2,in
putational fluid dynamics Ansätzen (CFD), die die
räumlich aufgelöste Beschreibung von Stofftransport Wird ferner angenommen, dass Zu- und Abluft
und Hydrodynamik in Reaktoren zum Ziel haben. jeweils aus 3-Komponenten bestehen (N2, O2 und
Zur einfachen technischen Anwendung wird CO2), so kann Gl. 3.57 umformuliert werden zu:
allerdings meist der integrale kLa für einen Bioreak-
tor bestimmt. Van’t Riet veröffentlichte 1979 einen
n O2 = n O2,in − n O2,out =
Exponentialansatz, der offenkundig durch Gl. 3.55
motiviert ist [13]. pVg,in  1 − YO2,in − YCO2,in 
YO2,in − ⋅ YO2,out 
RT  1 − YO2,out − YCO2,out 
 P α
kLa = C ⋅   ⋅ ulβ  Gl. 3.56
 Gl. 3.59
VL 

Darin wird mit P die eingebrachte Leistung pro Reak- Üblicherweise werden die Sauerstofftransferraten
tionsvolumen VL berücksichtigt neben der Gas- auf das Reaktionsvolumen bezogen, was zu der For-
leerrohrgeschwindikeit uL. C, α und β sind empi- mulierung der Sauerstoffaufnahmerate OUR (oxygen
risch ermittelte Parameter, die in Abhängigkeit von uptake rate) führt:
der Viskosität und dem Koaleszenzverhalten des
Mediums sowie der Rührerbauart und -geometrie nO2
= OUR =
gewählt werden müssen. Beispiele sind in Takors VL
(2014) aufgeführt [11].
Vg,in  1 − YO2,in − YCO2,in 
YO2,in − ⋅ YO2,out 
VLVm  1 − YO2,out − YCO2,out 
3.4.2 Bilanzierung von Zu- und Abluft  Gl. 3.60

Für die Überwachung von Bioreaktoren sind die


Kenntnis von O2- und CO2-Gehalten (Volumenan- 5 Für mikrobielle Umsetzungen ist N2 inert, da Stickstoff
teile YO2 bzw. YCO2) in der Abluft wichtige und meist nur aktiviert z. B. in Form von NH4+ aufgenommen wird.
Kapitel 3 · Prozessmodelle
89 3
. Abb. 3.14  O2-Bilanzierung in
Zu- und Abluft eines Bioreaktors. Y
bezeichnet die Volumenanteile der
angezeigten Komponenten in der Zu-
( Vg,in ) bzw. in der Abluft ( Vg,out ). Die
gestrichelte Linie stellt den Bilanzraum
für die Gasphase dar

*
Darin wurde das Molvolumen Vm zur Vereinfachung das mittlere treibende Konzentrationsgefälle CO , L
2
verwendet. – CO , L über das logarithmische Konzentrationsge-
2
Wird ein Bioreaktor mit der Biomassekonzent- fälle abschätzbar:
ration cX betrieben und besitzen die Zellen die spe-
zifische Sauerstoffaufnahmerate qO2, so kann Gl. 3.60 H O2 ⋅ ( pO2,in − pO2,out )
*
cO 2, L − cO2, L = 
gleichgesetzt werden mit Gl. 3.42. Ebenfalls kann mit H ⋅p − cO2, L Gl. 3.63
ln O2 O2,in
Hilfe von Gl. 3.42 und Gl. 3.54 der kLa aus Abgasmes- H O2 ⋅ pO2,out − cO2, L
sungen und Bestimmung der Gelöstsauerstoffkon-
zentration CO , L bestimmt werden, wenn die Sätti-
2
gungskonzentration C *O , L bekannt ist. 3.4.3 CO2 Transfer
2

OUR Sowohl im Zitronensäurestoffwechsel wie auch im


kLa =  Gl. 3.61
(cO* 2,L − cO2,L ) Pentose-Phosphat-Weg wird durch die Metabolisie-
rung von Glucose CO2 über Decarboxylase-Reaktio-
Hierzu müsste der Sauerstoffpartialdruck in jeder nen freigesetzt. Diese Anteile können leicht 30–50 %
Gasblase im Bioreaktor bekannt sein. Für den Fall, der gesamten Kohlenstoffumsetzung in aeroben Fer-
dass neben der Flüssigphase auch die Gasphase im mentationen betragen. Daher ist die Erfassung ent-
homogen durchmischten Bioreaktor als ideal rück- sprechender Signale und Molenströme zur Prozess-
vermischt betrachtet werden kann, ist die Sättigungs- überwachung von großer Bedeutung.
konzentration C *O , L mit Hilfe des Henry-Geset- In Analogie zur Sauerstoffaufnahme (Gl. 3.60)
2
zes einfach über die Abgaszusammensetzung zu kann die CO2-Emissionsrate CER (carbon dioxide
bestimmen. emission rate) bestimmt werden.

*
cO 2, L = H O2 ⋅ pO2,out  Gl. 3.62 Vg,in
CER = −
VLVm
Für den Fall, dass die Gasphase als ideale Rohrströ-
 1− YO2,in − YCO2,in 
mung vom Boden des Bioreaktors bis zur Gasfrei- 
YCO2,in − 1− Y ⋅ YCO2,out 
setzung an der Flüssigkeitsoberfläche betrachtet  O2,out − YCO2,out 

werden kann, während die Flüssigphase weiterhin
 Gl. 3.64
als homogen durchmischt angenommen wird, ist
90 R. Takors und D. Weuster-Botz

Das Verhältnis von CER und OUR wird Respirations-


quotient RQ genannt:
CER
RQ =  Gl. 3.65
OUR
Für exponentiell wachsende Zellen ohne Nebenpro-
3 duktbildung ist bei reiner Sauerstoffatmung und bei-
spielsweise Glucose als Kohlenstoffquelle der RQ = 1.
Ist dagegen der Metabolismus zur Herstellung eines ˜c L
X] ' L ā
niedermolekularen Produktes molekularbiologisch / ] G] ˜] ] G]

verändert, so kann sich das auch auf den RQ auswir- G] UL


ken. Stöchiometrische Analysen des Stoffwechsels
] $
sollten im Vorfeld durchgeführt werden, um den RQ
für eine optimale Produktbildung zu ermitteln und ˜FL
diese Größe als on-line Qualitätssignal zur Bewer- X] ' L ā
˜] ]
tung der Güte des Prozesses zu nutzen.
Prinzipiell sollte beachtet werden, dass die For-
mulierung von Stofftransportmodellen für CO2
aufwendiger als für O2 ist. Dies liegt in der Tatsa-
che begründet, dass CO2 mit Kohlensäure (H2CO3),
Bicarbonat (HCO 3– ) und Carbonat (CO 32– ) in . Abb. 3.15  Bilanzierung eines Volumenelementes
im Rohrreaktor. Die Querschnittsfläche A wird auf der
Wasser ein Dissoziationsgleichgewicht eingeht
Höhe z durch konvektiven Transport mit der mittleren
(„Kohlensäuregleichgewicht“). Details sind in Blom- Strömungsgeschwindigkeit uz durchströmt. Gleichzeitig
bach und Takors dargestellt [1]. findet ein diffusiver Transport, charakterisiert mit dem binären
Diffusionskoeffizienten Di, über die Querschnittsfläche A statt.
Analog erfolgt der Stoffaustritt auf der Höhe z + dz. Innerhalb
3.5 Rohrreaktor des Bilanzelementes reagiert die Komponente mit ri

Bei der Verwendung von Zellen oder Enzymen als berücksichtigt werden. Es wird angenommen, dass
Biokatalysatoren kann es vorteilhaft sein, einen die mittlere Strömungsgeschwindigkeit uz und der
Rohrreaktor anstelle eines Rührreaktors einzusetzen. binäre Diffusionskoeffizient der Komponente Di
Die Umsetzung des Substrates erfolgt dann entlang nicht von der Länge z abhängen und isotherme,
des Rohres in axialer Richtung, was zu einem konti- isobare und isochore Reaktionsbedingungen herr-
nuierlichen Betrieb mit hohen Produktaustrittskon- schen. Zu beachten ist, dass in diesem Fall die Dif-
zentrationen führen kann. Häufig werden dazu auch fusion gleichgerichtet zur Strömung für die Bilan-
immobilisierte Biokatalysatoren eingesetzt. zierung berücksichtigt wurde (.   Abb. 3.15), die
Im Rohrreaktor kommt es primär zur Ausbil- Konzentration der betrachteten Komponente ci
dung von Konzentrationsgradienten in axialer Rich- also in Strömungsrichtung abnimmt (Substratkon-
tung. . Abb. 3.15 zeigt schematisch einen kleinen zentrationen). Eine entgegengerichtete Annahme,
Ausschnitt. Vereinfachend wird ideale Durchmi- also die Zunahme der betrachteten Komponente ci
schung in radialer Richtung angenommen. in Strömungsrichtung (Produktkonzentrationen)
Bilanziert man die Komponente i in dem Volu- führt zu einer Vorzeichenumkehrung für den Dif-
menelementdVL = A · dz,so muss deren Massen- fusionsterm. Es gilt:
änderung aufgrund der volumenspezifischen
Reaktionsrate ri sowie durch alle konvektiven und dmi d (VL ⋅ ci ) ∂c
= = u z ⋅ A ⋅ ci |z + A ⋅ Di ⋅ i |z
diffusiven Stofftransportströme über die Bilanz- dt dt ∂z
grenzen erfolgen. Das heißt, eintretende Ströme ∂ci
−u z ⋅ A ⋅ ci |z+dz −A ⋅ Di ⋅ | +r ⋅ dVL
an der Länge z werden positiv formuliert, während ∂z z+dz i
die austretenden Stoffströme an z + dz negativ Gl. 3.66
Kapitel 3 · Prozessmodelle
91 3
Durch Berücksichtigung einer Taylor-Abschätzung uz ⋅ L
können folgende Terme abgeleitet werden: Boi =  Gl. 3.74
Di

∂ci Ist Bo ≫ 100, kann von einer idealen Pfropfenströ-


ci ( z + dz ) = ci ( z ) + ⋅ dz  Gl. 3.67
∂z mung im Rohrreaktor ausgegangen werden, d. h. der
Einfluss der Diffusion6 gegenüber der Konvektion ist
u z ⋅ A ⋅ ci |z −u z ⋅ A ⋅ ci |z +dz vernachlässigbar (siehe auch 7 Abschn. 3.8.3).
∂ci ∂c Durch Verwendung der Bodensteinzahl und
= −A ⋅ u z ⋅ ⋅ dz = −dVL ⋅ u z ⋅ i  Gl. 3.68
∂z ∂z nach Einführung der dimensionslosen Länge z = z /L
wird Gl. 3.73 im Fließgleichgewicht (steady-state) zu
∂ci ∂c
A ⋅ Di ⋅ | −A ⋅ Di ⋅ i |z +dz u z ∂ci Di ∂ 2ci
∂z z ∂z 0=− ⋅ − ⋅ +r  Gl. 3.75
L ∂z L2 ∂ ~z 2 i
∂ 2ci ∂ 2c
= −A ⋅ Di ⋅ 2 ⋅ dz = −dVL ⋅ Di ⋅ 2i  Gl. 3.69
∂z ∂z bzw. zu:
∂ci 1 ∂ 2ci L
Somit vereinfacht sich Gl. 3.66 zu: 0=− − ⋅ + r Gl. 3.76
∂z Bo ∂z 2 u z i
d (VL ⋅ ci ) ∂c Für hohen Bo Zahlen kann Gl. 3.76 daher vereinfa-
= −dVL ⋅ u z ⋅ i
dt ∂z chend geschrieben werden als
∂ 2ci ∂ci
−dVL ⋅ Di ⋅ 2 + ri ⋅ dVL  Gl. 3.70 L
= r Gl. 3.77
∂z ∂z u z i
Wird weiterhin beachtet, dass dV L/dt = 0, kann Das Konzentrationsprofil der Komponente ci wird
Gl. 3.70 in die endgültige Form überführt werden zu: somit allein von der Reaktionsrate ri und der mittle-
ren Strömungsgeschwindigkeit uz determiniert.
dci ∂c ∂ 2c
= −u z ⋅ i − Di ⋅ 2i + ri  Gl. 3.71
dt ∂z ∂z
3.6 Blasensäule und Airlift Reaktor
Dies entspricht der Formulierung für die allgemeine
Stoffbilanz in z-Richtung in der Form: Sollen Bioreaktoren aerob mit großen Reaktionsvo-
lumina >300–500 m³ betrieben werden, so werden
dci die Anforderungen zur technischen Realisierung
+ ∇ z (uiz ⋅ ci ) = ri  Gl. 3.72
dt des Sauerstofftransfers, der ausreichenden Durch-
mischung und des Wärmetransportes sehr hoch.
Zu beachten ist, dass uiz die individuelle Geschwin- Daraus resultieren hohe wirtschaftliche Aufwen-
digkeit der Komponente i in z-Richtung angibt. Diese dungen für die Erstinvestitionen wie aber auch für
ergibt sich aus der Überlagerung der konvektiven den Betrieb der Anlage. Alternativ kann in solchen
und der diffusiven Geschwindigkeitsbeiträge [11]. Fällen ein Blasensäulen- beziehungsweise Gaslift-
Befindet sich ein Rohrreaktor im Fließgleichge- Reaktor eingesetzt werden (bei aeroben Prozessen
wicht (steady-state) gilt dci/dt = 0. Zeitliche Ände- wird oftmals Gaslift durch Airlift ersetzt). Deren
rungen des Konzentrationsprofils finden nicht prinzipieller Aufbau ist in 7Abschn. 6.2 gezeigt.
mehr statt. Wohl aber ändert sich die Konzentration
entlang der Lauflänge gemäß der Beziehung:
6 Im realen Betrieb kommt es bei turbulenter Strömung zur
∂ci ∂ 2c
uz ⋅ + Di ⋅ 2i = ri  Gl. 3.73 Ausprägung von lokalen, mikroskopischen Wirbeln, soge-
∂z ∂z nannten micro eddies. Diese überlagern die idealisierten
konvektiven und diffusiven Stoffströme. Der Vorgang
Häufig wird zur Beschreibung des Verhältnisses zwi- wird als Dispersion bezeichnet und statt des binären Dif-
schen Konvektion und Diffusion die dimensionslose fusionskoeffizienten (Stoffkenngröße) muss der Disper-
Bodenstein-Zahl Bo eingesetzt. sionskoeffizient (Prozesskenngröße) eingesetzt werden.
92 R. Takors und D. Weuster-Botz

Unter Verwendung von Gl. 3.78 können somit Kon-


zentrationsprofile für Gelöstsauerstoff – einer
wesentlichen Einflussgröße dieser Reaktortypen –
berechnet werden. Für die Konzentrationsprofile der
anderen Komponenten gilt weiterhin Gl. 3.72.
3 ˜FL
X] ' L ā
/ ] G] ˜] ] G] 3.7 Diffusion in Zell- und
G] G9/ UL N/D G9J Enzymschichten
] $
˜FL Für einige biotechnische Anwendungen kann es
X] 'L ā
˜] ] sinnvoll sein, den Biokatalysator – Zellen oder iso-
lierte Enzyme – zu immobilisieren. Dadurch wird
die Verweilzeit des Mediums von der des Katalysa-
tors entkoppelt (siehe 7 Abschn. 3.3.3), was schluss-
. Abb. 3.16  Bilanzierung eines idealisierten endlich zur erhöhten Produktivität des Produktions-
Volumenelementes bestehend aus flüssiger (dVL) und prozesses führt.
gasförmiger (dVg) Phase in der Blasensäule. Zwischen Technisch werden solche Ansätze beispiels-
gasförmiger und flüssiger Phase findet der O2-Transport
weise durch Immobilisierung des Biokatalysators auf
über die Höhe dz statt. Die Querschnittsfläche A wird auf
der Höhe z durch konvektiven Transport mit der mittleren (beziehungsweise in porösen) kugelförmigen Trä-
Strömungsgeschwindigkeit uz und durch den diffusiven germaterialien, röhrenartigen Membranstrukturen
Transport mit der Diffusionskonstanten DO2 durchströmt. oder planaren Flächen realisiert (. Abb. 3.17). Für
Analog erfolgt der Stoffaustritt auf der Höhe z+ dz. Innerhalb die Auslegung derartiger Prozesse ist das Verständ-
des Bilanzelementes wird O2 mit rO2 verbraucht
nis des Stofftransportes innerhalb des ‚Biofilms‘ von
großer Bedeutung. So können darauf basierend opti-
Charakteristisch ist, dass – in Erweiterung zu den male Trägergeometrien und Betriebsweisen des Bio-
Ausführungen in 7 Abschn. 3.5 – die Bilanzierung reaktors bestimmt werden.
über ein Zwei-Phasen-System bestehend aus Gas- Eine analoge Bedeutung kommt der Unter-
phase (dispergierte Gasblasen) und Flüssigphase7 suchung des Stofftransports in Pilzfermentatio-
durchgeführt werden muss. Der schematische nen zu. Wachsen die Pilze zu Pellets heran (siehe
Aufbau ist in . Abb. 3.16 gezeigt. 7 Abschn. 2.4), bilden Sie eine kugelförmige Struktur.
Wird der O2-Gehalt im Volumenelement dVL Durch diese muss der gelöste Sauerstoff im Idealfall
nach . Abb. 3.15 bilanziert, so kommt zu dem Ver- bis in den Kern diffundieren, um dort die innersten
brauchsterm ri der Sauerstoffimport aus der Gas- Zellen zu versorgen. Derartige Modellierungsansätze
phase hinzu. Das geschieht über die Phasengrenze erfolgen in Analogie zur Beschreibung des Stofftrans-
dz. Die spezifische Sauerstoffaustausch-Oberfläche ports in den oben beschriebenen Biofilmen.
a ist in der zweidimensionalen Darstellung a = dz/ Für die Ausprägung eines kugelförmigen Bio-
dVL. Unter Berücksichtigung von Gl. 3.71 folgt daher: films nach . Abb. 3.17A lässt sich der Stofftrans-
port einer Komponente i durch eine kugelförmige
dcO2 ∂c ∂ 2cO2 Schnittfläche A im steady-state beschreiben zu:
= −u z ⋅ O2 − DO2 ⋅
dt ∂z ∂z 2
−rO2 + kLa ⋅ (cO  Gl. 3.78 dmi d (VL ⋅ ci )
O2 )
* −c ∂c
2 = = A(r ) ⋅ Di ⋅ i r
dt dt ∂r
∂ci 
−A(r ) ⋅ Di ⋅ +r ⋅ dVL = 0  Gl. 3.79
7 Zur Vereinfachung wird die Biomasse zur flüssigen Phase ∂r r +dr i
hinzugerechnet.
Kapitel 3 · Prozessmodelle
93 3
. Abb. 3.17  Schematische
Darstellung der Oberflächen im
Innern von Kugeln (A), Rohren (B)
und Platten (C) die diffusiv von einer GU U

Komponente ci von außen nach innen


GU
durchdrungen werden. Bilanziert wird G]
jeweils das Volumenelement A(r) ·
dr bzw. A · dz
D E F

Im Vergleich zu Gl. 3.66 wird ersichtlich, dass ∂ 2ci


Di = ri  Gl. 3.84
ausschließlich die Diffusion zum Stofftransport ∂z 2
berücksichtigt wird. Konvektive Terme wurden
wegen der angenommenen hohen Dichte des Bio- Die Gleichungen Gl. 3.82–3.84 geben somit die stationä-
films nicht beachtet. Der binäre Diffusionskoeffizi- ren Konzentrationsprofile einer Komponente i in einem
ent Di im Biofilm ist in der Regel von der Zelldichte Biofilm wieder, die sich aus der Überlagerung von dif-
des Biofilms abhängig und immer geringer als Di fusiven Antransport und verbrauchender Reaktion ri
in Wasser. ergeben. Zur Verdeutlichung dieser Wechselwirkung
Für die Betrachtung einer Kugel muss für A die wird häufig das Thiele-Modul Φ als dimensionslose
Oberfläche AKugel = 4πr2 eingesetzt werden. Für eine Kennzahl eingeführt. Sie kann verstanden werden als
röhrenartige Struktur der Länge L gilt analog ARohr
= 2πrL. Für die Kugel folgt daher: Verbrauch der Komponente
Φ=  Gl. 3.85
diffusiver Antransport

 ∂c ∂c 
−4π Di r 2 i |r −r 2 i |r +dr  = ri ⋅ 4πr 2dr Gl. 3.80 Am Beispiel eines kugelförmigen Biofilms wird die
 ∂r ∂r  Implementierung des Thiele-Moduls verdeutlicht.
Zunächst werden dimensionslose Variablen für den
Durch analoge Anwendung von Gl. 3.67 (für z = r) Radius r = r /R und c = c/c* mit R als äußerem
folgt daraus: Kugelradius und c* als Startkonzentration auf der
Kugeloberfläche eingeführt. Gl. 3.82 wird dadurch zu
∂  2 ∂ci 
Di r  dr = ri ⋅ r 2dr  Gl. 3.81
∂r  ∂r   2 c* ∂c * 2 
i + c ∂ ci 
Di  = r  Gl. 3.86
 r R ∂r
2 R 2 ∂r 2  i
bzw. nach Anwendung der Produktregel und Kürzen:
Wird angenommen, dass die Biokatalysatoren
 2 ∂c ∂ 2c  (Zellen oder Enzyme) die Komponente ci in Analo-
Di  i+ i= r  Gl. 3.82
 r ∂r ∂r 2  i gie zu einer Sättigungskinetik verbrauchen, gilt

Würde anstelle einer Kugel der Biofilm auf einem  2 c* ∂c * 2 


Di  i + c ∂ ci  
Rohr bilanziert (. Abb. 3.16B) folgt für Gl. 3.82 analog:  r R ∂r
2 R 2 ∂r 2 
 1 ∂c ∂ 2c  c* ⋅ ci
Di  i+ i= r  Gl. 3.83 = qi, max ⋅ ⋅c  Gl. 3.87
 r ∂r ∂r 2  i c* ⋅ ci + K S X,C

Für eine Platte ( .Abb. 3.16C ) gilt der einfache wobei cX,C die Biotrockenmassekonzentration im
Diffusionsansatz: Biofilm darstellt. Nach Umgruppierung folgt
94 R. Takors und D. Weuster-Botz

2 ∂ci ∂ 2ci K ⋅c die zelluläre Verbrauchsrate ihr Maximum erreicht


+ = Φ2 ⋅ * S i  Gl. 3.88 hat. Werden jedoch Szenarien betrachtet, die sich
r ∂r ∂r 2 c ⋅ ci + KS
durch erhöhte Thiele-Module Φ auszeichnen, müssen
Darin ist das Thiele-Modul8 definiert als: höhere Begasungsraten eingestellt werden, um die
Sauerstoffaufnahmerate zu verbessern. Doch limi-
qi, max ⋅ cX,C tiert bereits die interne Diffusion den O2-Transport so
3 Φ=R
Di ⋅ KS
 Gl. 3.89
stark, dass maximale Sauerstoffaufnahmeraten nicht
mehr erreicht werden können. Im Innern des Pellets
Ein hoher Thiele-Modul gibt demnach einen hohen kommt nur ein kleiner Teil des von außen antrans-
Verbrauch der Komponente i im Vergleich zum dif- portierten O2 an. Eine Steigerung der externen Bega-
fusiven Transport im Biofilm wieder. Geringe Zah- sungsrate bringt keine Verbesserung der O2 Versor-
lenwerte drücken aus, dass eine gute diffusive Ver- gungssituation im Innern des Zellverbandes.
sorgung im Biofilm zu erwarten ist. In Erweiterung des Ansatzes wird häufig auch
Dieser Sachverhalt kann beispielsweise zur der Wirkungsgrad oder Biokatalysatornutzungsgrad
Bewertung der Sauerstoffversorgung im Innern von η definiert als
Pilzpellets herangezogen werden. In der Nomenklatur
der Gleichungen Gl. 3.88 und 3.89 entspricht i dann O2. v
η=  Gl. 3.90
. Abb. 3.18 verdeutlicht schematisch die Abhängig- v (ci,o )
keit des Verhältnisses zwischen wahrer Sauerstoff-
aufnahmerate OUR und maximal möglicher Sauer- Er gibt das Verhältnis an zwischen der beobach-
stoffaufnahmerate OURmax in Abhängigkeit von der teten Transportgeschwindigkeit v des Substrates
Begasungsrate. Bei geringem Thiele-Modul Φ führt an der Oberfläche des Biofilms und der maximal-
die Erhöhung der externen Begasungsrate zu einer theoretischen Transportgeschwindigkeit bei kon-
Steigerung der Sauerstoffaufnahmerate bis OURmax stanter Konzentration c* im gesamten Biofilm. Bei
erreicht ist. Dieser Wert kann trotz Erhöhung der einem Wirkungsgrad η von 1,0 tritt damit keine dif-
externen Begasungsrate nicht gesteigert werden, da fusive Stofftransportlimitierung im Biofilm auf. Bei
hohem Thiele-Modul Φ sinkt der Biokatalysatornut-
zungsgrad η. Der Zusammenhang zwischen beiden
Größen kann bei Vorliegen einer Sättigungskinetik
nur durch numerische Lösung der oben angegebenen

Differentialgleichungen im individuellen Fall erhal-
ten werden (siehe auch 7 Kap. 10).
285 ĭ
D
285 PD[ QV
WH
LJ 3.8 Nicht-Ideale Bioreaktoren
HQ
G

Den unter 7 Abschn. 3.2, 3.5, 3.6 bilanzierten Bioreak-


toren war gemein, dass sie jeweils als ideal angenom-
men wurden, entweder als homogen durchmischt
 (ideale Rührkesselreaktoren) oder als ideale Rohr-
%HJDVXQJVUDWH reaktoren mit axialer Rückvermischung. Mit dem
Begriff ‚ideal‘ wird damit die Reaktoreigenschaft ver-
. Abb. 3.18  Verhältnis von aktueller und maximaler bunden, dass keine Totvolumina, Kurzschlussströ-
Sauerstoffaufnahmerate OUR in Abhängigkeit von der mungen oder interne Rezirkulationen existieren.
Begasungsrate und dem Thiele-Modul Φ Totvolumina bezeichnen unvollständig vermischte
Anteile des Reaktionsvolumens, die beispielsweise
8 Alternativ wird in der Literatur diese Kennzahl auch als an oder in Ventileinbauten auftreten können. Kurz-
Damköhler-Zahl II DaII bezeichnet. schlussströmungen sind dadurch charakterisiert,
Kapitel 3 · Prozessmodelle
95 3
ā F7UDFHU ā F7UDFHU ā F7UDFHU
9 9 9
ā
9D

ā
9E
9/D 9/D 9/D

D E F
F7UDFHU F7UDFHU F7UDFHU

9/W

0 0 0

. Abb. 3.19  Schematische Darstellung der Nicht-Idealität von Bioreaktoren am Beispiel eines kontinuierlich betriebenen
Rührreaktors. Analoge Mechanismen existieren für Rohrreaktoren, Blasensäulen oder Airlift-Reaktoren. a Ein mit dem
Volumenstrom V  durchströmter Reaktor besitzt das gesamte Reaktionsvolumen VL, was sich jedoch in den aktiven Anteil
VLa und das Totvolumen VLt aufteilt. b Ein Teil des eintretenden Volumenstroms Vb nimmt einen verkürzten Weg durch den
Bioreaktor (Kurzschlussströmung). c Im Innern des Bioreaktors können lokale, stabile Wirbel auftreten, die die Verweilzeit der
dort befindlichen Volumenelemente signifikant erhöhen

dass die Verweilzeit von Volumenelementen dieses 3.8.1 Charakterisierung der Nicht-
Stroms deutlich unter der mittleren Verweilzeit aller Idealität von Bioreaktoren
Volumenelemente im Bioreaktor ist. Das Gegen-
stück dazu sind Rezirkulationen, also interne Wir- Um festzustellen, ob beziehungsweise inwieweit
belströme, die die Verweilzeit von Volumenele- nichtideales Verhalten eines Bioreaktors vorliegt,
menten ‚künstlich‘ verlängern. Eine schematische sollten Markierungsstudien mit Markierungssubs-
Übersicht ist in . Abb. 3.19 am Beispiel eines konti- tanzen (engl. tracer) durchgeführt werden. Dabei
nuierlich betriebenen Rührkesselreaktors gegeben. wird die Markierung entweder als Puls (Dirac-Stoß)
Für besonders interessierte Leser werden die Ausfüh- oder als Sprungfunktion auf einen kontinuierlich
rungen von Levenspiel empfohlen [5]. Diese verfol- betriebenen Reaktor aufgegeben und die Antwort als
gen im Wesentlichen den Ansatz, nicht-ideal durch- Funktion der Zeit am Ausgang des Bioreaktors auf-
mischte Reaktoren in Verschaltungen mit ‚idealen‘ genommen. Die so erfassten Antwortkurven bilden
Reaktoren modellierungstechnisch zu überführen. die Grundlage für nachfolgende Modellierungsan-
Die damit einhergehende eher grobkörnige Granu- sätze (siehe 7 Abschn. 3.8.2 und 3.8.3). Sie werden
larität der Vorhersagen wird durch heutige Metho- als Verweilzeitfunktionen bezeichnet. Als Markie-
den der computational fluid dynamics (CFD) verbes- rungssubstanz können beispielsweise Salze einge-
sert. Sie eröffnen die Möglichkeit, Energieeinträge, setzt werden, die durch Leitfähigkeitsmessungen
Geschwindigkeitsvektoren, Stofftransporte und auch im Bioreaktor in situ sehr schnell detektiert werden
Kinetiken lokal zu simulieren (siehe beispielsweise können. Alternativ sind auch optische Messungen
[8]). Eine Vorstellung dieser Ansätze würde jedoch nach Zugabe von Farbindikatoren möglich. Grund-
weit über den Rahmen dieses Buches hinausgehen. sätzlich dürfen hierbei nur Markierungssubstan-
Daher wird nachfolgend nur ein erster Einblick in zen verwendet werden, die unter den eingestellten
die Modellierung des nicht-idealen Reaktorverhal- Bedingungen nicht reagieren oder in anderer Form
tens mittels Kompartimentierungsansätzen gegeben. mit dem Reaktor oder Reaktorinhalt wechselwirken
96 R. Takors und D. Weuster-Botz

. Abb. 3.20  Markierungssubs-


tanzen können in Form eines Pulses ( LQ J D E H $ XVJDEH
(oben) oder einer Stufenfunktion/
Sprungfunktion (unten) aufgegeben F 7UDFHU
werden. Durch das Verweilzeitver-
halten des kontinuierlich betriebenen 5HDNWRU
Bioreaktors werden Antwortsignale
3 erhalten, die sich von dem Verweilzeit- 9
ā 9/
verhalten idealer Bioreaktoren unter-
scheiden können. Diese Antwortkur-
ven sind die Verweilzeitfunktionen der
Markierungssubstanzen im Reaktor IJ W

können (wie beispielsweise Adsorption an Oberflä- Wird die Verweilzeitdichtefunktion E(t) integ-
chen). . Abb. 3.20 gibt Beispiele für Signalaufgabe riert, erhält man die Verweilzeitsummenfunktion
und -antworten. F(t)
Statistische Momente können zur Qualifizierung
des Reaktorverhaltens nach Aufgabe eines Dirac- ∞  Gl. 3.95
Impulses ausgerechnet werden. Das 0. statistische F( t ) = ∫ E (t ) ⋅ dt
0
Moment M0 gibt die Menge an aufgegebener Mar-
kierungssubstanz mTracer pro Volumenstrom V an, Sie kann alternativ für die Identifizierung von Reak-
M1 die mittlere Verweilzeit τ und M2 die Varianz der tormodellen eingesetzt werden. Allerdings zeigt die
Verweilzeit σ2. Es gilt im Einzelnen: Praxis, dass sich E(t) besser als Datensatz für die
Modellierung eignet [5].
∞ mTracer  Gl. 3.91 Die Verweilzeitdichtefunktion E(t) kann einfach
M0 = ∫ cTracer ⋅ dt = über die Aufgabe eines Dirac-Impulses und Messung
0 V
des Antwortsignals am Reaktorausgang bestimmt
werden:

M1

= 0
t ⋅ cTracer ⋅ dt
=τ  Gl. 3.92 cTracer (t ) = E (t )⋅ c0,Tracer ( Dirac)  Gl. 3.96
M0
Zur Messung der Verweilzeitsummenfunktion F(t)
∞ bietet sich die Aufgabe einer Sprungfunktion und
M2 =
∫0 t 2 ⋅ cTracer ⋅ dt
− τ 2 = σ 2  Gl. 3.93 Messung des Antwortsignals an. In diesem Fall gilt:
M0
cTracer (t ) = F (t )⋅ c0,Tracer ( Sprung )  Gl. 3.97
Aus der Verweilzeitfunktion cTracer(t) kann durch
Bezug auf M0 die Verweilzeitdichtefunktion bezie- Im Folgenden sollen die Funktionen Gl. 3.94 und
hungsweise das Verweilzeitspektrum E(t) ermittelt Gl. 3.95 für reale Beispiele angewendet werden. Geht
werden. man zunächst davon aus, dass ein idealer, kontinuier-
lich betriebener Rührkesselreaktor zum Zeitpunkt t
cTracer (t ) c (t ) =0 mit einer Tracer-Substanz markiert wird (Dirac-
E (t ) = = Tracer   Gl. 3.94
M0 mTracer / V Impuls), so lässt sich dessen Bilanzgleichung formu-
lieren zu:
Sie stellt eine Normierung der gemessenen Verweil-
dmTracer d (cTracer ⋅ VL ) dV
zeitfunktion auf eine idealisierte Konzentration c0- = = cTracer L +
dt dt dt
,Tracer dar. Diese ergäbe sich, wenn die Tracer-Menge
mTracer gleichverteilt im Volumenstrom V vorhan- dcTracer
VL = −cTracer ⋅ V
den wäre. dt
 Gl. 3.98
Kapitel 3 · Prozessmodelle
97 3
Dies führt bei einem konstanten Reaktionsvolumen Da VLt < VL ist die Steilheit der Abklingkurve für ein
VL zu Totvolumen größer als im Idealfall. Details können
der . Abb. 3.20 entnommen werden. Anzumerken
dcTracer V
= − ⋅ cTracer  Gl. 3.99 ist, dass Fall C angenähert durch die Gl. 3.103 und
dt VL
3.104 ebenfalls beschrieben werden kann.
was nach Variablentrennung und Integration mit der Zur Herleitung der Verweilzeitdichtefunktion
.
Ausgangskonzentration an Tracer c0,Tracer aufge- von Fall B (mit Kurzschlussströmung Vb ) erfolgt
löst zu zunächst eine Bilanz um den Bioreaktor mit dem
Ergebnis
 V 
cTracer = c0,Tracer ⋅ exp − ⋅ t   Gl. 3.100 V  V 
 VL  ′
cTracer = a ⋅ c0,Tracer ⋅ exp − a ⋅ t  Gl. 3.105
V  VL 
.
wird. Darin ist berücksichtigt, dass nur der Teil Va / V der
Das heißt, die zu Beginn aufgegebene Tracerkon- Markierungssubstanz im Bioreaktor zunächst ver-
zentration c0,Tracer wird in einem idealen, kontinu- bleibt. Aus der Massebilanz für den Tracer folgt:
ierlich durchflossenen Rührkesselreaktor analog zu
. Abb. 3.18 mit der Zeit exponentiell verdünnt. ′
cTracer ⋅Va =V ⋅ cTracer  Gl. 3.106
Unter Verwendung der Definition für die Ver-
weilzeitdichtefunktion Gl. 3.94 lässt sich für diesen Daraus ergibt sich für die Formulierung von Ek(t) mit
Idealfall E(t) bestimmen zu der Tracer-Konzentration cTracer analog zu Gl. 3.101

 V   
Va2  V 
c0,Tracer ⋅ exp − ⋅ t  Ek (t ) =   
⋅ exp − ⋅ t  
a
 VL  V  V  Gl. 3.107
E (t ) = = ⋅ exp − ⋅ t  V ⋅VL  VL 
c0,Tracer ⋅ VL / V VL  VL   
 Gl. 3.101 und für Fk(t)

 
Zum Zeitpunkt t = 0 gilt E (0) = V / VL während für Va  V 
 
große Prozesszeiten E(t) gegen Null geht. Fk (t ) = 1−  ⋅ exp − ⋅ t  
a
Gl. 3.108
V  VL 
Die Summenfunktion F(t) kann analog unter  
Verwendung von Gl. 3.95 bestimmt werden:
Die Kurvenverläufe der Funktionen sind schema-
 V  tisch in der nachfolgenden . Abb. 3.21 dargestellt.
F (t ) = 1 − exp − ⋅ t   Gl. 3.102
 VL  Neben den in . Abb. 3.19 skizzierten nichtidealen
Reaktorcharakteristiken sind noch weitere Fälle, bei-
Zu Beginn (t = 0) ist deren Wert daher Null und strebt spielsweise als Verschaltung der oben beschriebenen
für große t gegen 1. Einzelbeispiele, denkbar. Details sind in Levenspiel
Wird der nicht-ideale Fall A (mit Totvolumen aufgeführt [5].
VLt) der . Abb. 3.19 untersucht, so tritt in Gleichun-
gen Gl. 3.101 und 3.102 anstelle des gesamten Reak-
tionsvolumens VL der kleinere Teil VLa = VL – VLt 3.8.2 Modell der Rührkesselkaskade
was zu Et bzw. Ft führt:
Zur Beschreibung der Nichtidealität von Verweilzeit-
V  V  verteilungen (engl. residence-time distribution, RTD)
Et (t ) = ⋅ exp − ⋅ t  Gl. 3.103
VLt  VLt  können verschiedene Modellansätze herangezogen
werden. Ein einfaches Modell wurde von MacMul-
 V  lin und Weber vorgestellt [6]. Danach wird ein nicht-
Ft (t ) = 1 − exp − ⋅ t  Gl. 3.104
 VLt  idealer Rührkessel in eine Serie (Kaskade) von glei-
chen, idealisierten Rührkesselreaktoren überführt.
98 R. Takors und D. Weuster-Botz

ā
9
9/W
ā  )W
9 (W )
9/

ā ( )N
9D
3 ā
9 ā 9/ 9
ā
± āD
(N 9

W W

. Abb. 3.21  Schematische Verläufe der Verweilzeitdichtefunktion E(t) und der Summenfunktion F(t) für einen idealen
Rührkesselreaktor (gestrichelt) im Vergleich zu einem Reaktor mit Totvolumen (Index t, Fall A aus . Abb. 3.18) und einem
Reaktor mit Kurzschlussströmung (Index k, Fall B aus . Abb. 3.19). Für t → ∞ nähern sich alle Verweilzeitdichtefunktionen Null
und alle Summenfunktionen dem Wert 1. Für t = 0 ergeben sich die angegebenen Werte

Jeder einzelne besitzt die Verweilzeitdichtefunktion


Gl. 3.101, was für eine Serienschaltung aus N idealen )V
Reaktoren zu der mittleren Verweilzeitdichtefunk-

tion ES führt: )

 t N −1 N N  t  1 DQVWHLJHQG
ES (t ) =   ⋅ exp − N   Gl. 3.109
τ  ( N −1)!  τ  1 

Darin bezeichnet τ die mittlere hydraulische Verweil-


zeit, die sich aus dem Verhältnis V / VL ergibt. Aus 1 ’
einer experimentell ermittelten Verweilzeitdichte-
funktion kann somit via nichtlinearer Parameterre-  W
ș IJ
gression die Anzahl N an idealen Rührkesselreakto-
ren mit gleichem Volumen in einer Serienschaltung . Abb. 3.22  Summenfunktion FS(t) für N in Reihe
ermittelt werden. Für große N (N > 50) wird die Ver- geschaltete, gleich große, ideale Rührkesselreaktoren. Für
weilzeitdichtefunktion symmetrisch und nähert sich eine unendliche Zahl N wird die ideale Rohrströmung (ohne
einer Gaußverteilung an. Die Strömung ist somit axiale Rückvermischung) wiedergegeben
einer Rohrströmung mit axialer Rückvermischung
sehr ähnlich, und der Einfluss eines individuellen θ wurde als dimensionslose Zeit für den Ausdruck t/τ
Reaktors ist kaum noch erkennbar. eingeführt. . Abb. 3.22 veranschaulicht die Abhän-
Analog zum Verweilzeitspektrum ES kann auch gigkeit der Verweilzeitsummenfunktion von der
die Verweilzeitsummenfunktion FS für N seriell Anzahl der in Serie geschalteten Reaktoren.
geschaltete, gleich große, ideale Rührkesselreakto-
ren bestimmt werden zu:
3.8.3 Dispersionsmodell
 2 
1 + N ⋅ θ + ( N ⋅ θ ) 
 2 !  Eine Alternative zu dem Kaskadenansatz stellt das
FS (t ) = 1 − exp (−N ⋅ θ )  N −1

 Dispersionsmodell dar. Es eignet sich insbesondere
 ( N ⋅ θ) 
für die Modellierung von Rohrreaktoren, deren
+…+ +…
 ( N −1)!  Pfropfenströmung gering bis moderat vom idealen
 Gl. 3.110 Strömungsprofil eines Rohrreaktors abweicht. Für
Kapitel 3 · Prozessmodelle
99 3
größere Abweichungen sind stärker kompartimen-
tierte Modellansätze zu bevorzugen [5].

Wird auf einen idealen Rohrreaktor ein Dirac-
'
Puls aufgegeben, so würde am Ende die Signalant- X/

'
wort in einem scharf definierten, symmetrischen X/

Signal mit der Form einer Gaußverteilung, sicht- '

X/
bar werden. Nichtidealitäten im Strömungsprofil '

machen sich somit in Abweichungen der Peakform X/
von der idealen Gaußverteilung bemerkbar. Diese
Idee liegt dem Dispersionsmodell zu Grunde.
Unter Verwendung der dimensionslosen Zeitva-
riablen θ = t/τ mit τ als mittlerer hydraulischer Ver-  WIJ
ș 
weilzeit der Volumenelemente kann die Verweilzeit-
dichtefunktion ED (θ) angegeben werden zu [5] . Abb. 3.23  Verweilzeitdichteverteilung ED(θ) eines
Strömungsrohrs für verschiedene Werte D/uL
 ( L − ut )2 
u3
ED (θ ) = exp − 

4π DL  4DL / u  einen turbulenten Beitrag erhöht wird. Entspre-
  chende Korrelationsgleichungen können in Leven-
1  (1 − θ )2 
= exp −  Gl. 3.111
spiel nachgelesen werden [5].
D D  Analog zu Gl. 3.95 ergibt sich die Summenfunk-
τ ⋅ 4π  4 
uL  ul  tion als
θ
Hierin bezeichnet u die mittlere Leerrohrgeschwin- FD (θ ) = ∫ ED (θ )⋅ dθ  Gl. 3.113
digkeit und L die Länge des Rohrreaktors. Zu beach-
0
ten ist, dass D der Dispersionskoeffizient ist. Unter
dem Begriff der longitudinalen (axialen) Dispersion Deren Form ähnelt den Kurven in . Abb. 3.22.
werden alle Effekte summiert, die auf die Profilaus- Anstelle der Abhängigkeit von der Anzahl idealer
prägung entlang der Längsachse eine Auswirkung Rührkesselreaktoren N muss allerdings jetzt die
zeigen. Die molekulare Diffusion ist nur ein Teil- Einflussgröße D/uL verwendet werden. Ideales Strö-
einfluss neben lokalen Wirbeln, turbulenten Vermi- mungsrohrverhalten ergibt sich analog für kleine
schungen, Umlaufströmungen und anderen. Werte D/uL < 0,01 (. Abb. 3.23).
Aus Gl. 3.111 wird ersichtlich, dass die Peakform
stark durch den Faktor D/uL bestimmt wird. Die
dimensionslose Größe ist charakteristisch für die 3.9 Parameteridentifizierung
Qualifizierung des Strömungsprofils. In der klassi-
schen Definition, das bedeutet unter ausschließli- Zur Modellierung des Prozessverhaltens der in
cher Betrachtung der molekularen Diffusion D wird . Abb. 3.2 vorgestellten Betriebsweisen müssen die
dieser Quotient auch als 1/Bo (Bo = Bodensteinzahl) Reaktionsterme ri durch die Reaktionsmodelle der
oder in der inversen Definition als Peclet (Pe)- Zahl 7 Kap. 1 und 2 ersetzt werden. Neben der passenden
verwendet. Modellstruktur dieser formalkinetischen Ansätze
ist dafür ebenfalls die Kenntnis der genauen Modell-
uL 1
Bo = =  Gl. 3.112 parameter notwendig. Sie werden auf der Basis expe-
D Pe
rimenteller Daten abgeschätzt. So kann beispielsweise
Als ‚Daumenregel‘ kann angenommen werden, dass ein experimenteller Beobachtungsvektor y bestehend
Strömungsprofile mit Bo < 3 durch molekulare Dif- aus der Wachstumsrate μ, der biomassespezifischen
fusion dominiert sind, hier ist D = D. Für Bo > 50 Substrataufnahmerate qS und der biomassespezifi-
dominieren turbulente Effekte in denen D durch schen Produktbildungsrate qP definiert werden zu
100 R. Takors und D. Weuster-Botz

 µ  gemessenen Raten. Zu beachten ist, dass die Raten


 
y = −qS  Gl. 3.114
selbst von den gemessenen Zustandsgrößen abhän-
  gen y  = f(x). Zur Berücksichtigung dieser Abhän-
 qP  gigkeit wird die nichtlineare Funktion für den inte-
ressierenden ‚Arbeitspunkt‘ mittels Taylor-Reihe
Ziel der Modellierung ist es, die experimentell beob- 1. Ordnung angenähert und linearisiert. Für m
3 achteten Reaktionsraten durch Modelle zu simulie- Zustandsgrößen gilt für ein einfaches Modell y an
ren. Gesucht werden demnach Modellansätze, die einem Arbeitspunkt somit:
unter Verwendung der unabhängigen, gemessenen
Zustandsgrößen x (beispielsweise Biomasse-, Subs- ∂y ∂y ∂y
dy = dx + dx +…+ dx  Gl. 3.118
trat- oder Produktkonzentrationen, Temperatur und ∂x1 1 ∂x2 2 ∂xm m
andere) und einem Parametersatz Θ (beispielsweise
µmax, KS, …) Modellaussagen f(x,Θ) berechnen, die Wird beispielsweise die Abhängigkeit der Wachs-
möglichst nahe an den Beobachtungen y sind. tumsrate µ aus dem Beobachtungsvektor y (siehe
 )T
Gl. 3.114) für die Zustandsgrößen x = (c x ,cS ,cP ,V,VL
y = f ( x,Θ) + ε  Gl. 3.115 betrachtet so gilt:

Die Ungenauigkeit der Aussage ε muss somit mini- ∂µ ∂µ ∂µ


dµ = dc + dc + dc
miert werden. Während für lineare Modelle der ∂cX X ∂cS S ∂cP P
Form y = x · θ der gesuchte Parametervektor θ̂ sich zu ∂µ  ∂µ
+ dV + dV  Gl. 3.119
−1
∂V ∂VL L
θ̂ = ( )
xT x xT y  Gl. 3.116
Würde µ aus einem kontinuierlich betriebenen,
ergibt, ist die direkte Berechnung für die in der Fließgleichgewichtsexperiment abgeleitet, so gilt
Regel nichtlinearen, formalkinetischen Wachs- unter Berücksichtigung von Gl. 3.20
tumsmodelle nicht möglich. Die Parameterermitt-
lung muss aufgrund einer Schätzung erfolgen. Das 1  V
dµ = 0 + 0 + 0 + dV − 2 dVL  Gl. 3.120
setzt voraus, dass das System überbestimmt ist (siehe VL VL
auch 7 Kap. 13).
Geht man davon aus, dass das Modell aus k unab- Die individuelle Varianz σµ2 ergibt sich an diesem
hängigen Gleichungen besteht und n unabhängige Arbeitspunkt i somit aus
Datensätze existieren, so kann der gesuchte Parame-
tervektor θ̂ bestimmt werden gemäß  dc 2  dc 2 
V  
 X X
 1
 2 σµ2 = 0; 0; 0; ;− 2  ⋅     
argmin  k n (
yij − f ( xi, θ )  )  VL VL   2 2
θ  ∑ j =0 ∑i =0
ˆ  
θ=
σ 2yij  dV  dV  i

   T
1 V 
 Gl. 3.117 ⋅0; 0; 0; ;− 2 
 VL VL 

Es handelt sich somit um eine gewichtete Fehlerqua-  Gl. 3.121
dratminimierung, bei der die Gewichtung durch die
individuelle Varianz jeder einzelnen Messung σ 2yij vor- Für ein mehrdimensionales Modell, wie beispiels-
genommen wird. Zur Parameteridentifizierung können weise in Gl. 3.114, wird die Jakobi-Matrix als J = dy/dx
diverse numerische Optimierungsverfahren eingesetzt definiert. Die Varianzen σ 2yij können dann der Kova-
werden, wie beispielsweise das klassische Nelder-Mead rianz-Matrix des Messfehlers entnommen werden:
oder das Levenberg-Marquardt Verfahren.
Die praktische Anwendung des Ansatzes Cov ( y ) = J ⋅ Λ ⋅ J T  Gl. 3.122
Gl. 3.117 verlangt eine Angabe zur Genauigkeit der
Kapitel 3 · Prozessmodelle
101 3
Die Matrix Λ besteht aus den Quadraten der absolu- normalverteilten Fehler aufweisen. Das heißt der
ten Messfehler der Zustandsgrößen an dem betrach- wahre Wert von x weicht vom dem gemessenen Mit-
teten Betriebspunkt. Sind die Messungen unabhän- telwert x um eine Fehler δ ab, dessen Erwartungs-
gig voneinander, sind nur die Diagonalelemente der wert Null ist.
Matrix durch die gesuchten Varianzen besetzt. Die Residuen der Bilanzgleichungen ε ergeben
Eine wichtige Frage, die vor Verwendung expe- sich zu
rimenteller Datensätze für die Parameteridentifizie-
rung geklärt werden sollte ist, ob deren Qualität für ε = −A ⋅ x  Gl. 3.125
die weitere Verwendung überhaupt ausreicht. Sind
vielleicht grobe, systematische Messfehler (gross Deren Erwartungswert ist wiederum Null und die
measurement errors) vorhanden, die zumindest einer dazugehörige Kovarianz-Matrix ergibt sich zu
teilweisen Verwendung der Daten widersprechen?
Wang und Stephanopoulos [14] haben hierzu einen Cov (ε) = A ⋅ Cov (δ )⋅ AT = φ  Gl. 3.126
umfassenden statischen Ansatz vorgelegt, der auch
in Nielsen et al. nachzulesen ist [7]. Im Folgenden Es kann gezeigt werden [14] dass die experimen-
wird lediglich der Grundgedanke wiedergegeben, tellen Datensätze genau dann verwendet werden
der auf der stöchiometrischen Analyse des Substrat- können, wenn sie die Anforderung eines χ2 Hypo-
umsatzes erfolgt. thesentests erfüllen. Dazu wird zunächst das Krite-
Die aerobe Umsetzung eines Substrates kann als rium h bestimmt
Summenformel beschrieben werden zu
h = εT φ−1ε  Gl. 3.127
λx ⋅ CcsH hsOos + λO2 ⋅ O 2 + λN ⋅ NH3 →
Darüber hinaus ist die Angabe des Freiheitsgrades
λCO2 ⋅ CO 2 + λX ⋅ CcxH hxOox N nx + und die Auswahl des statistischen Signifikanzniveaus
notwendig. Ersterer ergibt sich aus der Anzahl der
λP ⋅ CcpH hpOop + λH2O ⋅ H 2O
Zeilen in Matrix A. Letzteres ist prinzipiell frei
 Gl. 3.123 wählbar, sollte aber in der Praxis 90 % oder 95 % sein.
Aus statistischen Tabellenwerken ergibt sich somit
Hieraus ergeben sich die Elementbilanzen für C, H, eine Obergrenze von h. Wird diese mit dem Wert
N und O, die gegebenenfalls noch durch eine Enthal- aus Gl. 3.127 überschritten, so liegt ein systemischer
piebilanz ergänzt werden können. Die Summen- Fehler in den Messdaten vor. Die weiterführende
formel Gl. 3.123 lässt sich auch in Matrix-Notation Bearbeitung sollte darauf abzielen, den Messfehler zu
umformulieren zu identifizieren, was durch die schrittweise Elimination
einzelner Komponentenmessungen erfolgen kann.
A⋅ x = b  Gl. 3.124

wobei A die stöchiometrische Matrix der Elemente, 3.10 Beispiele


x der Vektor der stöchiometrischen Faktoren λi und
b die Bedingung zur Elementerhaltung beziehungs- Zur Veranschaulichung der in den Kapiteln 1 bis
weise zur Enthalpieproduktion darstellt.9 3 vorgestellten Modellierungsansätze werden
Es wird davon ausgegangen, dass die stöchio- nachfolgend zwei einfache Prozessbeispiele vor-
metrischen Faktoren x, die aus den Bilanzglei- gestellt. Beide gehen von einer aeroben Kultivie-
chungen in 7 Abschn. 3.2 abgeleitet werden, einen rung von Mikroorganismen oder Zellen mit der
Biomasse (Konzentration c X ) aus. Das Wachs-
tum wird als Zweisubstratkinetik mit cS (beispiels-
9 Die stöchiometrischen Faktoren λi leiten sich aus den
Ertragskoeffizienten Yi–1ab, welche in der Regel in g/g
weise Glucose) und Sauerstoff cO  (O2) als inter-
2
angegeben werden. Für reine Elementbilanzen sollte aktiv komplementären limitierenden (essenziell)
b Null ergeben. Substraten (7 Abschn. 2.3.5) formuliert (. Tab. 3.1).
102 R. Takors und D. Weuster-Botz

Die physikalischen Parameter aus . Tab. 3.2 wurden


. Tab. 3.1  Kinetische Parameter der nachfolgend
aufgeführten Simulationsbeispiele verwendet
Die Modellierung des Sauerstofftransports OTR
Parameter Einheit Wert erfolgt nach Gl. 3.55.

μmax 1/h 0,5


3 KS g/L 0,5 3.10.1 Schüttelkolben
KO2 mg/L 1
mS g/gh 0,015 Als erstes Beispiel wird die aerobe Kultivierung in
YXO2 g/g 1,1*
einem Schüttelkolben betrachtet. Nach wie vor ist der
Schüttelkolben ein sehr häufig eingesetzter Bioreak-
YXS,µ g/g 0,35
tor in der Stammentwicklung (7 Abschn. 6.4). Eine
übliche Praxis besteht darin, Zellen ‚über Nacht‘ im
* wird vereinfachend als konstant angenommen
Satzverfahren im Schüttelkolben zu kultivieren und
am nächsten Tag zu ernten. Oftmals wird implizit
davon ausgegangen, dass die Kultivierungsbedingun-
Die limitierenden Substrate werden auch zur gen im Schüttelkolben keine signifikanten Auswirkun-
Deckung des Erhaltungsstoffwechsels benötigt gen auf das Fermentationsergebnis haben und dass
(7 Abschn. 2.3.4). beispielsweise genetische Stammveränderungen sich
Daraus ergibt sich die Formulierung der Wachs- eindeutig in einem Wachstumsphänotyp zeigen. Um
tumskinetik wie folgt: zu untersuchen, ob eine unerwartete Sauerstofflimitie-
cS cO2 rung im Schüttelkolben auftritt, die unter Umständen
µ = µmax ⋅ ⋅ das Wachstum beeinträchtigt, wurde die nachfolgende
cS + KS cO2 + K O2  Gl. 3.128
Simulation durchgeführt. Die Größen cO2,L und cO2,g
entsprechend den Konzentrationen an O2 in der Flüs-
µ sigkeit (L) beziehungsweise der Gasphase (g).
qS = + mS  Gl. 3.129
YXS,µ Das zugrunde liegende Gleichungssystem des
Prozessmodells (ideale Homogenisierung von Flüs-
Anzumerken ist, dass bei Gl. 3.128 vereinfachend sigphase und Gasphase, Satzverfahren) ist wie folgt:
die Verringerung der Wachstumsrate aufgrund
des Erhaltungsstoffwechsels nicht berücksichtigt dcO2,g VL
= −OTR ⋅  Gl. 3.131
wurde, da bei interaktiv komplementären Substra- dt VG
ten zunächst unklar ist, welches Substrat berücksich-
tigt werden muss (–mS · YXS,µ oder –mO · YXO,µ). Die dcO2, L
= OTR − OUR  Gl. 3.132
Sauerstoffaufnahmerate OUR wird berechnet zu: dt
µ
OUR = ⋅c  Gl. 3.130 dcX
YXO2 X = µ ⋅ cX  Gl. 3.133
dt

. Tab. 3.2  Physikalische Parameter der Simulation dcS


= −qS ⋅ cX  Gl. 3.134
Parameter Einheit Wert
dt

HO2 gO2/L bar 0,038 (Henry- Die Gleichungen Gl. 3.131 und 3.132 gehen implizit
Konstante) davon aus, dass Sauerstoff lediglich im Kopfraum
T K 309 des Schüttelkolbens oder zu Beginn als gelöstes Gas
R J/(mol K) 8,314 (universelle
im Reaktionsmedium VL vorhanden ist. Darüber
Gaskonstante) hinaus wird hier kein weiterer diffusiver Sauerstoff-
transport durch die Sterilstopfen des Schüttelkolbens
Kapitel 3 · Prozessmodelle
103 3

. Tab. 3.3  Startwerte der Simulation des Schüttelkolbens

Parameter/ Einheit Wert Anmerkung


Variable

cX0 g/L 0,02 Animpfkonzentration zu Beginn der Satzkultivierung


cS0 g/L 10 Vorgelegte Substratkonzentration
yO2 Vol% 21 Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, die mit Flüssigkeit zu Beginn im
Gleichgewicht steht
VL L 0,2 Flüssigvolumen im Schüttelkolben
VK L 2 Gesamtvolumen des Schüttelkolbens; VG = VK – VL
k La 1/h 150 Realistischer Wert für Schüttelkolbenbetrieb in der üblichen (nicht immer
optimalen) Betriebspraxis
p bar 1 Umgebungsdruck

. Abb. 3.24  Simulation zur


Herstellung von Mikroorganismen
im Schüttelkolben. Zur detaillierten
Information siehe Text

vorgesehen. Bei ungünstiger Wahl von Sterilstopfen im Schüttelkolben (bei unzureichender Pufferung)
kann der Sauerstofftransport durch den Stopfen so herabsetzen. Es empfiehlt sich daher dringend, die
gering werden, dass diese Annahme als Grenzbe- Planung von Schüttelkolbenexperimenten so durch-
trachtung (worst-case) durchaus gerechtfertigt sein zuführen, dass keine ungewollte Sauerstofflimitie-
kann (. Tab. 3.3). rung auftreten kann. Dies kann beispielsweise durch
. Abb. 3.24 zeigt deutlich, dass unter den ange- Verbesserung des Leistungseintrages oder durch Ver-
nommenen Kultivierungsbedingungen die Fer- ringerung der vorgelegten Substratkonzentration
mentation nach rund 14 h in eine Sauerstofflimi- geschehen (siehe auch 7 Abschn. 6.4).
tierung gerät. Die Wachstumsrate verringert sich
bereits nach etwa 10 h aufgrund von Sauerstoffman-
gel. Auch nachdem die Zellen kein Wachstum mehr 3.10.2 Zulaufverfahren
zeigen, wird dennoch weiterhin die Kohlenstoff-
quelle (Substrat) umgesetzt, was durch den Bedarf Zur Veranschaulichung von Fermentationsver-
für den Erhaltungsstoffwechsel begründet ist. In der läufen im Produktionsmaßstab wird der oben auf-
Praxis geht diese Phase oftmals mit der Bildung von geführte kinetische Ansatz mit einem Prozessmo-
organischen Säuren einher, die zusätzlich den pH dell für einen 20.000 L Bioreaktor verknüpft, der
104 R. Takors und D. Weuster-Botz

im Zulaufverfahren betrieben und sowohl für die zugrunde gelegt, das in den nachfolgenden Abbil-
Flüssigphase, als auch für die Gasphase als ideal dungen durch die Zunahme an Reaktionsvolumen
homogenisierter Rührkesselreaktor betrachtet wird VL indirekt gezeigt ist.
(. Tab. 3.4). Das zugrunde liegende Gleichungssys- Zu Beginn des in . Abb. 3.25 darstellten Zulaufver-
tem ist wie folgt: fahrens (Phase A) wachsen die Zellen exponentiell. Die
Konzentrationen an O2 in der Gas- und in der Flüs-
3 sigphase nehmen ebenso wie die Substratkonzentra-
dcO2,g VG  M ⋅p 
=  yO2,in ⋅ O2 ges − cO2,g  tion entsprechend ab, während die Konzentration von
dt VG  R ⋅T 
Biomasse ansteigt. Der Beginn der Phase B ist dadurch
VL gekennzeichnet, dass der Substratzulauf startet,
−OTR ⋅  Gl. 3.135
VG weshalb die Substratkonzentration kurzfristig leicht
ansteigt. Dies ist auch in der vorübergehenden Auf-
dcO2, L F rechterhaltung der Wachstumsrate µ zu erkennen, die
dt
=
VL
(0 − cO2,L ) + OTR − OUR  Gl. 3.136 in der Folgezeit jedoch wegen der abnehmenden Subs-
tratkonzentration drastisch langsamer wird (Phase C).
dcX F Die Gelöstsauerstoffkonzentration kann in dieser Pro-
= (0 − cX ) + µ ⋅ cX  Gl. 3.137
dt VL zessphase auf einem Niveau von etwa 7,5 mg/L gehal-
ten werden. In Phase D wird der Zulauf jedoch stark
dcS F erhöht, was zu einer entsprechenden Zunahme an Bio-
= ⋅ (cS, F − cS ) − qS ⋅ cX  Gl. 3.138
dt VL masse führt. Die O2 Konzentrationen in der Gas- wie
auch in der Flüssigphase nehmen entsprechend ab.
dVL Durch die Zunahme an Biomasse steigt der volumet-
=F Gl. 3.139
dt rische Substratverbrauch an, was – bei gleichbleiben-
der Zugabe – zu einer Verknappung an Substrat im
Die Massenbilanz für den Sauerstoff in der Gasphase Bioreaktor führt. Als Folge fällt die Wachstumsrate µ
berücksichtigt den über die Zuluft eingebrachten weiter ab. Zu Beginn von Phase E wird der Zulauf dras-
Anteil, dessen Angabe von Vol% in g/L umgerech- tisch reduziert, was die Zellaktivität und die Biomasse-
net wird. Die analoge Bilanz in der Flüssigphase sieht bildung deutlich limitiert. Am Ende wird ein Füllvo-
neben den Eintrags- und Verbrauchstermen auch die lumen von etwa 16,5 m3 erreicht, das bedeutet 3,5 m3
Verdünnung der Konzentration durch Volumenzu- verbleiben als Kopfraumvolumen und als ‚Puffer‘ für
nahme vor. Für den Substratzulauf wird ein Profil eventuell auftretende Schaumbildung.

. Tab. 3.4  Startwerte der Simulation des Zulaufverfahrens

Parameter/ Einheit Wert Anmerkung


Variable

cX0 g/L 0,02 Animpfkonzentration zu Beginn der batch Kultivierung


cS0 g/L 10 vorgelegte Substratkonzentration
yO2 Vol% 21 Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, die mit Flüssigkeit zu Beginn im
Gleichgewicht steht
VL0 L 12.500 Flüssigvolumen im Bioreaktor zu Prozessbeginn
VR L 20.000 Gesamtvolumen des Bioreaktors; VG = VK – VL
k La 1/h 600 Durchschnittlicher Wert für einen Rührreaktor im Produktionsbetrieb
P bar 1,3 Es wird ein zusätzlicher Kopfdruck von 0,3 bar angenommen.
Der durch die Wassersäule im Reaktor ausgeübte Druck wird
vereinfachend vernachlässigt.
Kapitel 3 · Prozessmodelle
105 3
. Abb. 3.25  Simulation von
mikrobiellem Wachstum im
Zulaufverfahren. Zur detaillierten
Information siehe Text

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107 4

Rheologie von
­Biosuspensionen
Horst Chmiel und Eckehard Walitza

4.1 Die parallele Schichtenströmung – 108

4.2 Viskosimeterströmungen inkompressibler Flüssigkeiten – 110


4.2.1 Die stationäre Rohrströmung – 111
4.2.2 Die Zylinder-Couette-Strömung – 112
4.2.3 Die Kegel-Platte-Strömung – 114

4.3 Mathematische Modellierung der stationär ermittelten


Fließkurve – 115
4.3.1 Potenzansatz – 115
4.3.2 Polynomansätze – 116
4.3.3 Modellfunktionen für Fließkurven mit Fließgrenze – 116

4.4 Repräsentative Viskosität – 116

4.5 Das Rührer-Rheometer – 118

4.6 Die instationäre Scherströmung viskoelastischer


Fluide – 119
4.6.1 Das sinusförmig oszillierende Scherexperiment – 119
4.6.2 Oszillierendes Scherexperiment in Rotationsviskosimetern – 121

4.7 Dehnströmungen – 122

4.8 Das Fließverhalten von Fermentationsbrühen – 122


4.8.1 Rheologisch relevante Parameter – 123
4.8.2 Stationäres Fließen – 124
4.8.3 Lineare Viskoelastizität – 126
4.8.4 Fließverhalten im Verlauf einer Fermentation – 127

Literatur – 129

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_4
108 H. Chmiel und E. Walitza

Unter Biosuspensionen seien im Folgenden suspen-


dierte biogene Materialien verstanden. Sie bestehen
aus Mikroorganismen und deren extrazellulären
Stoffwechselprodukten suspendiert in einem wäss-
rigen Nährmedium. Wegen ihres häufig komplexen
Fließverhaltens – das wiederum starken Einfluss auf
das Impuls-, Stoff- und Wärmeaustauschverhalten,
und somit auf die Verfahrenstechnik von biotech-
4 nologischen Prozessen, ausübt – müssen sie mög-
lichst vollständig rheologisch charakterisiert werden.
Den Grundlagen hierzu widmet sich dieses Kapitel,
. Abb. 4.2  Deformation eines Flüssigkeitselementes in
wobei, wenn nicht anders spezifiziert, von isother-
paralleler Schichtenströmung
men Bedingungen ausgegangen wird.

Wie man sieht, ist im Fall der einfachen Scher-


4.1 Die parallele Schichtenströmung strömung der Geschwindigkeitsgradient dv/dy iden-
tisch mit der zeitlichen Änderung des Deformations-
Werden zwei planparallele Platten, zwischen winkels γ, also dγ/dt. Letztere wird als Scherrate
denen sich eine Flüssigkeit befindet, mit konstan- bezeichnet und mit γ abgekürzt. In komplizierten
ter Geschwindigkeit v 0 gegeneinander bewegt, so Strömungsformen, z. B. in der später noch zu behan-
stellt sich unter der Voraussetzung, dass die Flüs- delnden Zylinder-Couette-Strömung, ist die Scher-
sigkeit an den Wänden haftet und Randeffekte ver- rate nicht mehr mit dem Geschwindigkeitsgradien-
nachlässigbar sind, im stationären Zustand aufgrund ten dv/dy identisch. Ist die Viskosität konstant und
innerer Kräfte in der Flüssigkeitsschicht ein lineares somit unabhängig von der Scherrate, dann lautet das
Geschwindigkeitsprofil analog . Abb. 4.1 ein. newtonsche Gesetz:
Newton fand 1723, dass die zur Verschiebung der
beiden Platten notwendige Kraft pro Flächeneinheit, τ = η ⋅ γ  Gl. 4.2
τ, proportional ist der Geschwindigkeitsänderung
senkrecht zur Verschiebungsrichtung, dv/dy, d. h. Misst man die Schubspannung als Funktion der
Scherrate, die sogenannte Fließkurve, dann ergibt
dv
τ =η⋅  Gl. 4.1 sich bei Gültigkeit von Gl. 4.2 eine Gerade, die durch
dy
den Koordinatenursprung geht.
η ist ein Proportionalitätsfaktor, die dynamische Derartige Fluide bezeichnet man als newtonsch.
Zähigkeit oder auch Viskosität. Das Flüssigkeitsele- Eine große Zahl von Flüssigkeiten zeigt jedoch
ment wird aufgrund der angreifenden Schubspan- eine gekrümmte Fließkurve, d. h. die Viskosität ist
nung τ wie in . Abb. 4.2 dargestellt deformiert. eine Funktion der Scherrate. Es sind dies vor allem

. Abb. 4.1  Scherbeanspruchung


einer Flüssigkeit zwischen zwei
planparallelen Platten
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
109 4
. Abb. 4.3  Fließkurve einer CMC-
Lösung, 0,6 %, 19,7 °C

Polymerschmelzen, Lösungen von Hochpolymeren, . Abb. 4.4 zeigt für die gleiche Polymerlösung die
Suspensionen elastischer Partikel und die hier beson- variable Viskosität als Funktion der Scherrate. Der
ders interessanten Biosuspensionen. Kurvenverlauf ist typisch für derartige verdünnte
. Abb. 4.3 zeigt eine solche gekrümmte Fließ- Flüssigkeiten. Der bei verschwindender Beanspru-
kurve am Beispiel einer wässrigen Carboxymethyl- chung vorhandene Anfangswert der Viskosität – er
cellulose(CMC)-Lösung. Das Molekulargewicht des wird auch Nullviskosität genannt – bleibt zunächst
gelösten Polymers ist größer als 10 Millionen Dalton. im Rahmen der Messgenauigkeit in einem gewissen
Flüssigkeiten, die eine derartige nicht-lineare Fließ- Scherratenbereich konstant.
kurve besitzen, bezeichnet man als nichtnewtonsch. Mit zunehmender Beanspruchung nimmt die
Ihre sogenannte „variable Viskosität“, definiert durch Viskosität stark ab. Die Kurve durchläuft – das ist
nicht mehr in . Abb. 4.4 dargestellt – einen Wen-
τ depunkt und nähert sich bei sehr hohen Scherraten
η= 
γ einem unteren Grenzwert.
Neben der gekrümmten Fließkurve unterschei-
ist keine Stoffkonstante mehr, sondern von der Bean- den sich die oben genannten Flüssigkeiten von den
spruchung abhängig. newtonschen Flüssigkeiten rheologisch durch das

. Abb. 4.4  Viskosität als Funktion


der Scherrate für eine CMC-Lösung,
0,5 %, 19,7 °C
110 H. Chmiel und E. Walitza

σz = − p + 

Es ist noch zu begründen, warum –p+ auch in σy und


σx auftritt und weshalb diese beiden Normalspan-
nungen – abgesehen von –p+-Funktionen des Qua-
drats der Scherrate sind:
Das Erstere erscheint sinnvoll, wenn man
4 bedenkt, dass die Normalspannungen den hydrosta-
tischen Anteil mit enthalten, d. h., erhöht man den
Druck bei gleichbleibender Scherrate, so erhöhen
sich die drei Normalspannungen gleichermaßen.
Dies wird durch den isotropen Anteil –p+ berück-
sichtigt, der im Allgemeinen noch von γ abhängt,
für γ  = 0 jedoch mit dem hydrostatischen Druck
identisch ist. Der zweite Punkt ist einzusehen, wenn
man beachtet, dass die Normalspannungen σy und σx
. Abb. 4.5  Spannungen an einem Volumenelement in von dem Vorzeichen der Scherrate unabhängig sein
einer parallelen Schichtenströmung
müssen, was formal nur dann erfüllt ist, wenn die
Funktionen F1 und F2 von der Scherrate mit geradem
Auftreten von elastischen Effekten. Deshalb werden Exponenten abhängen. Die Normalspannungsfunk-
sie häufig auch viskoelastisch genannt. In . Abb. 4.5 tionen F1(γ 2) und F2( γ 2) sind durch Differenzbil-
ist das bereits diskutierte Flüssigkeitselement der dung aus den Normalspannungen zu ermitteln.
parallelen Schichtenströmung räumlich dargestellt.
Neben der mit x bezeichneten Strömungsrich- σ x − σz = F1(γ 2 )  Gl. 4.4
tung und der mit y bezeichneten Scherrichtung wird
eine zusätzliche – in die indifferente Richtung wei-
sende – Koordinate notwendig, die z genannt werden σ y − σz = F2 (γ 2 ) 
soll. Bei einer newtonschen Flüssigkeit sind die in
den drei Richtungen auftretenden Normalspannun- Eine Ursache für das Auftreten elastischer Effekte ist
gen gleich, d. h. die reversible Deformation der Partikel. Ein zweiter
elastischer Anteil entsteht aus der Wechselwirkung
σ x = σ y = σz = − p +  zwischen Agglomeraten aus Einzelpartikeln und Trä-
gerflüssigkeit der Art, dass die Agglomerate im Scher-
Bei viskoelastischen Flüssigkeiten sind erfahrungs- feld eine reversible Strukturveränderung erfahren.
gemäß die drei Normalspannungen nicht gleich.
Nimmt man an, die Spannung in z-Richtung sei –p+,
dann lässt sich das rheologische Verhalten viskoelas- 4.2 Viskosimeterströmungen
tischer Flüssigkeiten im hier vorliegenden Sonder- inkompressibler Flüssigkeiten
fall der parallelen Schichtenströmung durch folgende
Stofffunktionen beschreiben: Viskosimeter sind Messapparaturen, die zur Messung
der Viskosität dienen. Rheometer sind Apparate, mit
τ = F (γ )  Gl. 4.3 denen sich die Viskosität und weitere wichtige rheo-
logische Größen messen lassen.
σ x = − p+ + F1(γ 2 )  In den hier vorzustellenden Viskosimetern bzw.
Rheometern (Rohr-, Couette- und Kegel-Platte-Vis-
kosimeter) geht man von der Voraussetzung aus, dass
σ y = − p+ + F2 (γ 2 ) 
die Flüssigkeiten einer reinen Scherbeanspruchung
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
111 4
ausgesetzt sind. Dies ist nicht die einzig mögliche über den Rohrquerschnitt ermitteln. Der Einfach-
Beanspruchungsform, was an den Beispielen Rohr- heit halber soll die Ableitung hier für eine newton-
krümmer, konvergenter und divergenter Kanal sche Flüssigkeit erfolgen; das Resultat ist jedoch
gezeigt werden kann. Eine theoretische Lösung ebenso für nichtnewtonsche Flüssigkeiten gültig. In
dieser Strömungsprobleme ist allerdings im Fall der . Abb. 4.6 ist ein zylindrisches Flüssigkeitselement
viskoelastischen Flüssigkeiten nur mit erheblichem mit den daran angreifenden Kräften dargestellt.
mathematischem Aufwand möglich und soll hier An der Stelle x = x0 wirkt die Kraft p · π · r2, an
ausgeklammert werden. Lediglich die reine Dehn- der Stelle x = x0 + Δx die Kraft −(p − Δp)· π · r2.
strömung wird noch besonders angesprochen. Daraus ergibt sich eine Resultierende in positiver x-
Richtung der Größe Δp · π · r2, die der an der zylind-
rischen Mantelfläche angreifenden Schubspannung
4.2.1 Die stationäre Rohrströmung das Gleichgewicht halten muss, derart, dass τ · 2 · π·
r · Δx = Δp · π · r2. Führt man noch Δp/Δx = p′ ein,
Zur rheologischen Beschreibung der stationären so erhält man die Schubspannung als Funktion des
Schichtenströmung in einem Rohr bedient man Radius r
sich eines Zylinderkoordinatensystems. Die Fließ-
r
richtung sei mit x, die Scherrichtung mit r und die τ = p′ ⋅  Gl. 4.6
2
indifferente Richtung mit φ bezeichnet. Die Stoff-
funktionen lauten dann: und für die Schubspannung an der Wand
R
τ = F (γ )  Gl. 4.5 τ w = p′ ⋅ 
2

σ x − σϕ = F1(γ 2 )  d. h. die Schubspannung hängt linear vom Rohr-


radius ab und ist maximal an der Wand, wie in
.  Abb. 4.6 dargestellt. Es ist zu beachten, dass für
σr − σϕ = F2 (γ 2 ) 
Gl. 4.6 keine Annahmen über das Fließverhalten
getroffen werden müssen, es wird lediglich stationäre
Da weder σφ noch σx messtechnisch zu erfassen parallele Schichtenströmung verlangt. Der Volumen-
sind, muss man sich auf die Ermittlung der Fließ- strom einer laminaren Rohrströmung lässt sich bei
kurve [ τ = F (γ ) ] beschränken. In einer stationären Wandhaftung folgendermaßen berechnen:
Rohrströmung können folgende Größen gemessen R
werden: der Volumenstrom V und der Druckverlust V = 2 ⋅ π ⋅ ∫ v(r ) ⋅ r dr  Gl. 4.7
0
pro Längeneinheit Δp/Δx. Über eine Gleichgewichts-
betrachtung lässt sich die Schubspannungsverteilung Durch partielle Integration ergibt sich

. Abb. 4.6  Kräftegleichgewicht


an einem zylindrischen
Flüssigkeitselement (a)
und daraus resultierende
Schubspannungsverteilung (b) in
einer stationären Rohrströmung
112 H. Chmiel und E. Walitza

 R  haben, bedarf es einer Anlaufstrecke. Bei viskoelas-


 R 
V = π  r 2 ⋅ v (r ) − ∫ r 2 ⋅ dv (r )  tischen Flüssigkeiten kann erst nach etwa einer
 0  Länge von 150 d mit Sicherheit damit gerechnet
 0 
werden, dass obige Bedingung ausreichend erfüllt
und mit der Randbedingung v (R) = 0 und der ist. Daneben ergeben sich am Rohraustritt End-
Beschränktheit von v(r), d. h. v(0) ≠ ∞ effekte, die die Messergebnisse verfälschen. Diese
Endeffekte können aber experimentell eliminiert
R werden. Ermittelt man nämlich für zwei Rohre glei-
dv(r )
4 V = −π ⋅ ∫ r 2 ⋅
dr
dr  chen Durchmessers, jedoch unterschiedlicher Rohr-
0 länge, den Zusammenhang für V und Δp, so ergibt
sich ein Verlauf, wie er in . Abb. 4.7a schematisch
dargestellt ist.
dv(r )
Führt man − = F (τ ) ein, dann erhält man Für einen bestimmten Durchsatz V 1 ist der
dr
Unterschied in den Druckdifferenzen, Δp1, abzu-
unter Benutzung der Gl. 4.6 mit lesen und durch die Längendifferenz der beiden
Rohre ΔL zu dividieren, p1′ = Δp1/ΔL. Mithilfe der
r = Rτ / τ w  Gl. 4.8 und 4.9 erhält man ein Wertepaar τ und γ1
1
(siehe oben) der Fließkurve (. Abb. 4.7b). Wieder-
π⋅ R 3 τw holt man die Messung der Druckdifferenz für weitere
V = 3 ∫0 τ 2 ⋅ F ( τ ) dτ  Gl. 4.8
τw Durchsätze, so erhält man die weiteren Messpunkte
der Fließkurve.
V
Mit der Abkürzung = φ und Differenzieren
τ R3
nach τw geht Gl. 4.8 über in
4.2.2 Die Zylinder-Couette-Strömung

γ w = F (τ w ) = 3 ⋅ φ + τ w  Gl. 4.9 Als Zylinder-Couette-Strömung bezeichnet man
dτ w
eine Flüssigkeitsbewegung, die sich zwischen zwei
konzentrischen Zylindern einstellt, wenn diese sich
Gl. 4.9 ist unter dem Namen Rabinowitsch-Mooney- mit konstanter Winkelgeschwindigkeitsdifferenz Ω
Beziehung bekannt. Mit ihrer Hilfe können Rohr- gegeneinander drehen.
rheometermessungen ausgewertet werden, da nun In . Abb. 4.8 wird der äußere Zylinder angetrie-
sowohl die Schubspannung als auch die Scherrate ben, während am inneren Zylinder das Drehmoment
an der Wand aus den Messgrößen V und p′ ermit- gemessen werden kann, das sich aufgrund der Flüs-
telt werden können. Die Methode hat den Nachteil, sigkeitsreibung einstellt. Abgesehen von Störungen
dass der gemessene Zusammenhang V = f(Δp) dif- am Boden und an der Flüssigkeitsoberfläche verläuft
ferenziert werden muss. Im Sonderfall der newton- die Strömung stationär in konzentrischen parallelen
schen Flüssigkeit wird der Term τw (dϕ/dτw) gleich Schichten.
ϕ, was eingesetzt in Gl. 4.9 zu dem Hagen-Poiseuil- In einem Couette-Rheometer können die Win-
le’schen Gesetz führt. kelgeschwindigkeit Ω und das Drehmoment M
gemessen und daraus die relevanten rheologischen
τ w 4 V Größen abgeleitet werden. Für eine gegebene Geo-
= ⋅ 3 Gl. 4.10
η π R metrie (ra = Radius des äußeren Zylinders, ri = Radius
des inneren Zylinders und h = Höhe des mit Flüssig-
Somit sind alle relevanten Größen, die zur Messung keit gefüllten Ringspaltes) ist bei konstantem Ω das
der Viskosität benötigt werden, hergeleitet. gemessene Drehmoment M ein Maß für die Visko-
Für die Ermittlung der Fließkurve wurde voll- sität der Flüssigkeit.
entwickelte, parallele, stationäre Schichtenströmung Die radiale Schubspannungsverteilung ergibt
vorausgesetzt. Bis sich diese Verhältnisse ausgebildet sich hier aus einer Gleichgewichtsbetrachtung der
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
113 4
. Abb. 4.7  Volumenstrom in
Abhängigkeit der Druckdifferenz
an Rohren verschiedener Länge
einschließlich der Endeffekte (a) und
daraus resultierende Fließkurve (b)

dvϕ d (r ⋅ω(r)) dω
= = ω(r) + r ⋅
dr dr dr


enthält mit ω(r) die Rotation der Teilchen. Da die


Scherrate aber definitionsgemäß ausschließlich die
Deformation des Flüssigkeitselementes beschreiben
soll, muss von dvφ/dr die örtliche Winkelgeschwin-
digkeit ω(r) abgezogen werden. Es gilt daher im vor-
liegenden Fall

. Abb. 4.8  Die Zylinder-Couette-Strömung dω


γ = −r ⋅  Gl. 4.13
dr
wegen γ = τ / η folgt
Drehmomente. Im Fall der stationären Strömung ist
das Drehmoment konstant, d. h. vom Radius unab- τ 1
d ω = − ⋅ dr 
hängig. Gleichgültig welcher Zylinder angetrieben η r
wird, gilt der Zusammenhang:
Die Differenziation von Gl. 4.12 liefert dr/r = –dτ/2τ
M = 2 ⋅ π ⋅ h ⋅ r 2 ⋅ τ = konst.  Gl. 4.11 und damit
1
oder dω = dτ  Gl. 4.14
2⋅ η
M Für den newtonschen Fall ergibt die Integration von
τ=  Gl. 4.12
2⋅ π ⋅ h⋅ r2 Gl. 4.14
τ
Die örtliche Scherrate im Couette-Spalt darf nicht – ω= + c1
2⋅η 
analog der ebenen Scherströmung – mit
dvϕ Wird der äußere Zylinder angetrieben und ruht der
γ = berechnet werden. innere Zylinder, so erlaubt die Randbedingung am
dr
inneren Zylinder, r = ri; ω = 0; τ = τ(ri), die Konstante
Die Beziehung c1 zu bestimmen,
114 H. Chmiel und E. Walitza

τ (ri ) τ = F (γ ) 
c1 = − 
2⋅η
σϕ − σr = F1(γ 2 )  Gl. 4.18
und aus der Randbedingung am äußeren Zylinder,
r = ra: ω = Ω; τ = τ(ra) folgt
σϑ − σr = F2 (γ 2 ) 

τ (ra ) − τ (ri ) τ (ri )  τ (ra ) 


Ω= =  −1. 
2⋅η 2 ⋅ η  τ (ri )  Unter der bereits oben genannten Voraussetzung
4 eines sehr kleinen Winkels ergibt sich für die Scherrate
Mit vϕ Ω ⋅ r ⋅ cos α
= 
τ (ra ) ri2 h r ⋅ sin α
= =β 
τ (ri ) ra2 Das bedeutet, dass sie im gesamten Scherspalt kon-
stant ist und aus der Winkelgeschwindigkeit Ω wie
wird schließlich folgt berechnet werden kann:

τ (ri ) Ω
Ω= ⋅ (β −1).  Gl. 4.15 γ =  Gl. 4.19
2⋅η tan α

Berechnet man beispielsweise Scherrate und Schub- Die zugehörige Schubspannung τ lässt sich aus dem
spannung am Innenzylinder, so liefern die Gl. 4.12 und gemessenen Moment ermitteln. Es gilt:
4.15 ein korrespondierendes Wertepaar der Fließkurve.
R
2⋅π 3
M M = ∫ τ ⋅ 2 ⋅ π ⋅ r 2 dr; M = ⋅ R ⋅τ 
τ (ri ) =  Gl. 4.16 3
2 ⋅ π ⋅ h ⋅ ri2 0

3 M
2 ⋅Ω d. h.  τ = ⋅  Gl. 4.20
und  γ (ri ) =  Gl. 4.17 2 π ⋅ R3
( −1)
β
Beim Kegel-Platte-Rheometer kann demnach
Abgesehen vom Vorzeichen erhält man das gleiche aus gemessenem Drehmoment und zugehöriger
Ergebnis, wenn der Innenzylinder rotiert und der Drehzahl mit Gl. 4.19 und 4.20 auf einfache Weise
Außenzylinder ruht, und solange parallele Schich- ein Wertepaar der Fließkurve berechnet werden.
tenströmung vorliegt. Darüber hinaus ist auch die Ermittlung der Nor-
malspannungsfunktionen F 1 ( γ 2 ) und F 2 ( γ 2 )
möglich (sie werden im weiteren Verlauf mit F1 und
4.2.3 Die Kegel-Platte-Strömung F2 abgekürzt). Auf die Theorie dazu soll hier nicht
näher eingegangen werden; dafür wird das Lehr-
Zwischen einer horizontalen Platte und einem Kegel buch von [2] empfohlen. Es sei jedoch angeführt,
befindet sich eine Flüssigkeit. Damit die Kegelspitze dass die Summe der Normalspannungsfunktio-
die Platte nicht berührt und so das Ergebnis verfäl- nen F1 und F2 sich durch die Messung des Boden-
schen würde, ist sie um wenige µm abgeschnitten drucks pw an radial verschiedenen Stellen der Platte
(. Abb. 4.9). Dreht sich der Kegel gegenüber der Platte (. Abb. 4.9) über die folgende Gleichung bestim-
mit konstanter Winkelgeschwindigkeit Ω, so stellt men lässt:
sich im Spalt näherungsweise eine stationäre paral-
lele Schichtenströmung ein, wenn der Winkel α klein r
pw = −(σϑ ) = −( F1 + F2 ) ⋅ ln − σϑ ( R )  Gl. 4.21
genug ist (α ≈ 1°). w R
Mit den Koordinaten φ als Fließrichtung, ϑ als
Scherrichtung und r als indifferente Richtung lauten Aus Gl. 4.21 geht hervor, dass eine grafische Darstel-
die rheologischen Stofffunktionen: lung der Messergebnisse in der Form pw über ln(r/R)
Kapitel 4 · Rheologie von B
­ iosuspensionen
115 4
mehr praxisbezogene Methode, das Rührer-Rheo-
meter, angesprochen werden.

4.3 Mathematische Modellierung


der stationär ermittelten
Fließkurve

Durch Aneinanderreihen von Messungen mit den


verschiedenen im vorigen Abschnitt behandel-
ten Rheometertypen ist man in der Lage, die Fließ-
kurve τ( γ ) einer Flüssigkeit in einem außerordent-
lich weiten Beanspruchungsbereich experimentell
zu ermitteln. Der nächste Schritt ist der Versuch,
die gefundenen Messwerte durch eine mathema-
. Abb. 4.9  Die Kegel-Platte-Strömung tische Funktion zu beschreiben. Dadurch wäre es
möglich, andere Strömungsformen – beispielsweise
die parallele Schichtenströmung in einem breiten
Geraden liefert, deren Steigung gleich (F1 + F2) ist. Die Spalt oder weitere komplexe Prozessströmungen –
Differenz der Normalspannungsfunktion (F1 – F2) zu berechnen. Für Biosuspensionen bieten sich fol-
lässt sich aus der Axialkraft K berechnen, die auf den gende Ansätze an: (1) Potenzansätze, (2) Polynome,
Kegel ausgeübt wird. Da für r = R die Normalspannung (3) Modelle für Fließkurven mit Fließgrenzen.
am Boden in indifferenter, also in radialer Richtung,
abgesehen vom Vorzeichen gleich dem Außendruck p0
ist [σr(R) = –p0 für ϑ = π/2], folgt – unter der Annahme, 4.3.1 Potenzansatz
dass an dieser Stelle tatsächlich noch parallele Schich-
tenströmung herrscht – aus den Gl. 4.18 und 4.21 Lassen sich die Wertepaare τ und γ einer gemesse-
nen Fließkurve in einer doppeltlogarithmischen Auf-
pw = −( F1 + F2 )⋅ ln
r
− F2 + p0  tragung durch eine Gerade annähern, so führt ein
R Ansatz der Form

R⋅cosα τ = k ⋅ γ n  Gl. 4.23


K = 2⋅π⋅ ∫ p w ⋅ r dr = π ⋅ R2 ⋅ p0 − π ⋅ R 2 ⋅ F2
zum Ziel. Der Vorteil der Gl. 4.23 liegt vor allem in
0
π ⋅ R2 dem sehr einfachen mathematischen Aufbau, der es
+ ⋅ ( F1 + F2 )
2 gestattet, eine beliebige parallele Schichtenströmung
analytisch zu behandeln. k wird der Konsistenz-, n
π ⋅ R2 der Fließindex genannt.
K = π ⋅ R 2 ⋅ p0 + ⋅ ( F1 − F2 )  Gl. 4.22
2 Betrachtet man jedoch die . Abb. 4.3, so erkennt
man, dass ein Potenzansatz nur kleine Bereiche der
Wird die Axialkraft K und der Bodendruck an zwei abgebildeten Fließkurve mathematisch beschrei-
radialen Positionen gemessen, dann lassen sich beide ben kann, da sich die Steigung in dieser Kurve
Normalspannungsdifferenzen bestimmen. ständig ändert. Beispielsweise lässt sich der Bereich
Hat die zweite Normalspannungsdifferenz keine von γ  = 5 · 102 s–1 bis  γ  = 104 s–1 in der vorliegenden
große Bedeutung, wie das häufig der Fall ist, so doppeltlogarithmischen Auftragung ausreichend
genügt eine der genannten Messungen, um die erste genau durch eine Gerade und damit mittels Gl. 4.23
Normalspannungsdifferenz zu ermitteln. Auf weitere darstellen. Der entscheidende Nachteil des Potenz-
Rheometerströmungen soll hier nicht näher einge- ansatzes wird jedoch in einer etwas anderen Schreib-
gangen werden. Vielmehr soll etwas später noch eine weise von Gl. 4.23 ersichtlich
116 H. Chmiel und E. Walitza

τ Für höhere Scherraten ist jedoch, wie man


η= = k ⋅ γ n−1 
γ sieht, ein Polynom dritten Grades nicht mehr fle-
xibel genug. Aus . Abb. 4.3 ist zu ersehen, dass ein
Für n ≠ 1 und γ  → 0 geht η→ 0, d. h. bei verschwin- Polynom siebten Grades der Form
dender Beanspruchung wird die mit Gl. 4.23 berech-
nete Viskosität null. Ein weiterer Mangel ist, dass die  τ  τ 3  τ 5  τ 7 
γ = c ⋅  +   + d ⋅   + e    Gl. 4.25
Dimension von k vom Exponenten n abhängt.  a  a  a a 

Trotz dieser formalen Nachteile gibt es genü-
4 gend Beispiele für eine sinnvolle Anwendung des (durchgezogene Kurve) einen außerordentlich
Potenzansatzes dank des einfachen mathematischen weiten Bereich der gemessenen Fließkurve mathe-
Aufbaus. Beispielsweise lässt sich damit für nicht zu matisch annähert (a, c, d und e sind Konstanten). Mit
niedrige Scherraten die Geschwindigkeitsverteilung dem Polynomansatz lassen sich also typische Kurven
in einem Couette-Spalt für nicht-Newton’sche new- wie in . Abb. 4.3. besser beschreiben. Der mathema-
tonsche Flüssigkeiten vorausberechnen. tische Aufbau ist jedoch komplexer.

4.3.2 Polynomansätze 4.3.3 Modellfunktionen für


Fließkurven mit Fließgrenze
Die Erfahrung lehrt, dass der Anfangsbereich der
Fließkurve jeder nichtnewtonschen Flüssigkeit ausrei- Für viele Suspensionen wird die Existenz einer Fließ-
chend genau durch die folgende Gleichung erfüllt ist: grenze postuliert; d. h. erst oberhalb einer Mindest-
schubspannung τ0 beginnt die Suspension zu fließen.
3
γ τ τ  Casson hat zur Beschreibung eines derartigen Fließ-
= +    Gl. 4.24
C A  A verhaltens eine Beziehung der Form
1/ 2
A und C sind Konstanten. . Abb. 4.10 zeigt dies am τ1/ 2 = (b ⋅ γ ) + τ10/ 2  Gl. 4.26
Beispiel einer 0,8 %igen wässrigen Polyacrylamid-
Lösung (Molekulargewicht: ca. 107 Dalton). angegeben. b ist eine Konstante, die sich aus dem
asymptotischen Verhalten für große  γ  als η∞ ergibt.
Gl. 4.26 ist – wie später noch gezeigt wird – in einer
modifizierten Form in der Lage, das stationäre Fließ-
verhalten einer Reihe von Biosuspensionen in einem
weiten Beanspruchungsbereich zu beschreiben.
Herschel und Bulkley schlagen folgende Bezie-
hung vor:

τ = τ HB + C ⋅ γ p  Gl. 4.27

mit τ HB , der Fließg renze nach Hers chel/


Bulkley; C, dem Fließkoeffizient; und p, dem
Herschel-Bulkley-Exponenten.

4.4 Repräsentative Viskosität

In 7 Abschn. 4.2 wurden Formeln zur Berechnung


. Abb. 4.10  Fließkurve einer 0,8 %igen wässrigen
Polyacrylamid-Lösung. Die eingezeichnete Kurve stellt ein von rheologischen Größen für Strömungen, die in
Polynom dritten Grades dar, die unterschiedlichen Symbole Experimenten einfach erzeugt werden können, her-
deuten die Verwendung verschiedener Rheometertypen an geleitet. Diese Formeln sind für den newtonschen
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
117 4
Fall einfach aufzulösen, jedoch nicht immer für den Ω = 1 s−1 aufgetragen. Man erkennt, dass sich γ rep für
nichtnewtonschen Fall. Dafür sind verschiedene große Couette-Spalte, (ri/ra) → 0, einem konstanten
Methoden erarbeitet worden. Im 7 Abschn. 4.1 wurde Wert annähert, d. h. es ist dann unabhängig von der
am Beispiel des Rohrrheometers ein Weg gezeigt, bei Spaltweite. Schon für Radienverhältnisse von ri/ra =
welchem eine Differenziation des gemessenen Zusam- 0,3 liegt der Wert von γ rep nur noch 10 % über dem
menhangs V =  V (Δp) zur wahren Fließkurve führt. Da konstanten Wert.
diese und andere exakte Methoden aufwendig sind, Weiterhin soll der repräsentative Radius rrep
bestand der Bedarf an einer einfach durchzuführenden angegeben werden. Er kennzeichnet die Stelle im
Auswertung. Als solche ist die Methode der repräsen- Couette-Spalt, an der die repräsentative Scher-
tativen Viskosität zu sehen. Dieser liegt der folgende rate mit der Scherrate eines newtonschen Fluids
Gedanke zugrunde: Man werte die Messergebnisse übereinstimmt.
zunächst so aus, als ob es sich um ein newtonsches
2
Fluid handle. Die so gewonnene Viskosität kann als rrep γ New 2
= = 
wahre Viskosität bei einer, der jeweiligen Geometrie ri2 γ rep ξ ⋅ (1 − β )
entsprechenden, repräsentativen Scherrate interpre-
tiert werden. Letztere bleibt dann zu bestimmen. oder
Für mehrere Stoffklassen konnte gezeigt werden,
dass die repräsentative Scherrate γ rep sich nur um rrep 2
=  Gl. 4.29
einen nahezu konstanten Faktor von der für newton- ri ξ ⋅ (1 − β )
sche Fluide verwendeten Scherrate γ New unterschei-
det. So ist z. B. im Couette-Rheometer . Abb. 4.12 zeigt den repräsentativen Radius in
Abhängigkeit vom Quadrat des Radienverhältnisses
2 ⋅Ω für den Polynomansatz. Für große Spaltweiten befin-
γ rep = ξ ⋅ Ω = ξ * ⋅ γ New = ξ * Gl. 4.28
(1 − β ) det sich der repräsentative Ort in konstanter Entfer-
nung vom Innenzylinder. Für enge Spalte nähert er
Je nachdem, ob man γ rep auf γ New oder auf Ω bezieht, sich dem inneren Rand.
erhält man unterschiedliche Proportionalitätskons- Analog dem Vorgehen für das Couette-Rheome-
tanten ξ oder ξ*. ter kann man für das Rohr oder andere Strömungs-
Das zunächst empirisch eingeführte Verfahren geometrien verfahren. Man erhält für das Rohr die
kann auch theoretisch begründet werden [5]. repräsentative Scherrate
In . Abb. 4.11 ist γ rep, welches für den Polynoman-
satz Gl. 4.24 exakt errechnet wurde, über dem Radien- V π
γ rep = 3 = γ New  Gl. 4.30
verhältnis ri/ra bei konstanter Winkelgeschwindigkeit R 4

. Abb. 4.11  Repräsentative


Scherrate γ rep in Abhängigkeit
vom Radienverhältnis ri/ra des
Couette-Systems, berechnet für den
Polynomansatz dritter Ordnung, bei
konstanter Winkelgeschwindigkeit
Ω = 1 s−1
118 H. Chmiel und E. Walitza

. Abb. 4.12  Auf ri bezogener


rrep in Abhängigkeit vom Quadrat
β des Radienverhältnisses ri/ra des
Couette-Systems, berechnet für den
Polynomansatz dritter Ordnung

Die mit rrep aus der wahren Fließkurve gewonnene nicht geeignet. Dies liegt daran, dass die suspendierte
repräsentative Viskosität ηrep hat den Vorteil – wenn Biomasse oft schnell sedimentiert und außerdem für
man mit ihr die in der Strömungstechnik für die die Spaltgeometrien zu große Teilchen enthält. Um
Rohrströmung gebräuchliche Reynoldszahl diese Schwierigkeiten zu umgehen, kann man den
inneren Zylinder eines Zylinder-Couette-Rheo-
v⋅ d ⋅ρ meters durch einen Rührer ersetzen [3]. Durch die
Re =  Gl. 4.31 Mischwirkung des Rührers kann die Sedimentation
ηrep
weitgehend vermieden werden; auch das Problem
4 ⋅V des engen Spaltes tritt nicht mehr auf. Für den lami-
bildet (mit v = der mittleren Strömungsge-
π⋅d2 naren Bereich wurde die folgende empirische Aus-
schwindigkeit, d dem Rohrdurchmesser und ρ der wertemethode entwickelt, die nur solange gilt, wie
Dichte der Flüssigkeit) und den Widerstandsbei- elastische Effekte zu vernachlässigen sind.
wert f Die Leistung P eines Rührers ergibt sich aus dem
am Rührerschaft auftretenden Drehmoment M und
p′d
f =  Gl. 4.32 der Drehzahl n zu
2 ⋅ v2
P = 2⋅ π ⋅ n⋅ M  Gl. 4.34
mit ihr korreliert –, dass der für die laminare Rohr-
strömung newtonscher Flüssigkeiten gefundene Andererseits hängt die Leistung im laminaren
Zusammenhang Bereich (Re < 10) bei newtonschen Flüssigkeiten von
den Rührerdimensionen und der Drehzahl ab, wie es
16
f =  Gl. 4.33 in Gl. 4.35 angegeben ist.
Re
auch für nichtnewtonsche Flüssigkeiten seine Gül- C
P= ⋅ ρ ⋅ n3 ⋅ d 5  Gl. 4.35
tigkeit behält. Re

C ist eine Konstante, die von der Geometrie des


4.5 Das Rührer-Rheometer Rührers bestimmt wird. Re, die Reynoldszahl des
Rührers für newtonsche Flüssigkeiten, ist als
Die in den vorausgegangenen Abschnitten beschrie-
ρ⋅ n⋅ d 2
benen Rheometeranordnungen sind für die Verwen- Re =  Gl. 4.36
η
dung von Fermentationsbrühen unter Umständen
Kapitel 4 · Rheologie von B
­ iosuspensionen
119 4
definiert (siehe auch 7 Kap. 6). d ist der Rührer- 4.6 Die instationäre Scherströmung
durchmesser, ρ die Dichte und η die Viskosität der viskoelastischer Fluide
Flüssigkeit.
Die Konstante C wird unter Verwendung eines Wird eine viskoelastische Flüssigkeit – eine Flüssig-
newtonschen Fluids mit bekannter Viskosität (z. B. keit, die sowohl viskose als auch elastische Eigenschaf-
ein Eichöl) für den jeweiligen Rührer bestimmt. Mit ten hat – einer plötzlichen Deformation unterworfen,
den Gl. 4.35 und 4.36 kann man den Zusammenhang dann stellt sich der neue Spannungszustand, selbst
zwischen den Messgrößen M und n und der Visko- wenn Trägheitseffekte vernachlässigt werden können,
sität herstellen: erst mit einer gewissen zeitlichen, für die Flüssigkeit
charakteristischen Verzögerung ein. Verantwortlich
C dafür sind die bereits unter 7 Abschn. 4.1 aufgeführten
M= ⋅η ⋅n⋅d3  Gl. 4.37
2⋅π Wechselwirkungen der im Fluid befindlichen Teil-
chen mit der sie umgebenden Flüssigkeit oder unter-
Verwendet man nichtnewtonsche Flüssigkeiten im einander, die mit Desagglomeration/Agglomeration,
Rührer-Rheometer, dann befindet man sich in der- elastischer Deformation und/oder Orientierung in
selben Situation wie bei den im Vorausgegangenen der Scherströmung verbunden sind. Je nach der Grö-
behandelten Rheometerströmungen. Wegen der ßenordnung der zu erwartenden charakteristischen
komplizierten Verhältnisse im Rührer-Rheometer Zeiten bieten sich verschiedene Messverfahren an,
lässt sich allerdings nicht einmal für ein newton- wie z. B. das Aufbringen einer sprunghaften Ände-
sches Fluid das Geschwindigkeitsfeld berechnen, rung der Scherrate (Spannungsrelaxationsversuch),
aus welchem man eine Scherrate ermitteln könnte. einer kontinuierlich mit der Zeit zu- und anschlie-
Im Falle der nichtnewtonschen Flüssigkeit ßend wieder abnehmenden Scherrate für große cha-
ersetzt man wieder η durch ηrep und hat dann mit rakteristische Zeiten, oder das oszillierende Scher-
Gl. 4.37 eine Möglichkeit, eine Fließkurve anzugeben. experiment, auf das hier näher eingegangen werden
Betrachtet man den aus Gl. 4.37 ermittelten repräsen- soll. Die im Folgenden beschriebenen Oszillations-
tativen Wert als einen Wert der wahren Fließkurve – Messverfahren sind stets auf den linearen Bereich
die in diesem Fall als bekannt angenommen werden begrenzt, d. h. dass man sich bei realen Fluiden im
muss –, so lässt sich der Drehzahl eine repräsentative Allgemeinen auf kleine Deformationen bzw. Defor-
Scherrate zuordnen. mationsgeschwindigkeiten beschränken muss.
Bei Untersuchungen mit verschiedenen nicht-
newtonschen Flüssigkeiten ergab sich, dass die reprä-
sentative Scherrate proportional zur Drehzahl ist, 4.6.1 Das sinusförmig oszillierende
wobei die Proportionalitätskonstante c von der Geo- Scherexperiment
metrie des Rührers abhängt.
Zur Bestimmung der sogenannten Materialfunk-
γ rep = c ⋅ n  Gl. 4.38 tionen der linearen Viskoelastizität wird am häu-
figsten das sinusförmig oszillierende Scherexperi-
Für einen Propellerrührer wurde z. B. C = 10, für ment mit kleiner Amplitude durchgeführt. Was in
einen Turbinenrührer c = 15 und für einen Wendel- diesem Experiment bei einer viskoelastischen Flüs-
rührer c = 30 gefunden. sigkeit zu erwarten ist, erkennt man am besten,
Wird das Rührer-Rheometer wie ein Rührkes- wenn man zunächst die idealen Fälle des newton-
sel betrieben, kann man unter Verwendung von schen Fluids und des Hooke’schen Körpers betrach-
Gl. 4.37, der wahren Fließkurve und der repräsen- tet (. Abb. 4.13).
tativen Scherrate die notwendige Leistung voraus- Für das newtonsche Fluid mit der konstanten
berechnen. Es sei nochmals betont, Gl. 4.37 gilt nur Viskosität η gilt, dass die Schubspannung τ propor-
für laminare Strömung und inelastische Fluide. Der tional zur Scherrate (. Abb. 4.13a) ist. Das „Ersatz-
turbulente Bereich kann leicht an einem plötzlichen schaltbild“ ist der Dämpfer (rechts). Für eine sinus-
Anstieg der Leistungsaufnahme erkannt werden. förmig oszillierende Scherrate folgt
120 H. Chmiel und E. Walitza

Nachdem die Scherrate, die ja die zeitliche Ableitung


des Scherwinkels γ ist, als

γ = γ 0 ⋅ sin ω ⋅ t 

angesetzt war, gilt für die Scherung


γ 0
γ =− ⋅ cos ω ⋅ t = γ 0 ⋅ cos ω ⋅ t 
4 ω
Für Gl. 4.41 kann man deshalb auch schreiben

τ 0 ⋅ cos ϕ τ ⋅ sin ϕ
τ= ⋅ γ + 0 ⋅ γ = η′ ⋅ γ + G′ ⋅ γ 
γ 0 γ0

Gl. 4.42
. Abb. 4.13  Das sinusförmig oszillierende
Scherexperiment: (a) newtonsches Fluid, (b) Hooke’scher Kennt man also die Phasenverschiebung φ zwi-
Körper und (c) viskoelastische Flüssigkeit (rechts jeweils das schen Schubspannung und Scherrate sowie die
dazugehörige mechanische Modell) Amplituden der beiden Letzteren, dann lässt sich
die Schubspannung nach Gl. 4.42 in einen der
τ = τ 0 ⋅ sin ω ⋅ t = η ⋅ γ 0 sin ω ⋅ t  Gl. 4.39 Scherrate und einen der Scherung proportiona-
len Anteil zerlegen. Die Proportionalitätskonstan-
ten sind jeweils eine Viskosität η′ und ein elasti-
Beim Hooke’schen Körper mit dem konstanten elas- scher Modul G′, die in Gl. 4.42 definiert sind. Beide
tischen Modul G ist die Schubspannung proportional zusammen bestimmen die Materialfunktion der
der Scherung γ. Im Fall sinusförmig oszillierender linearen Viskoelastizität.
Scherung gilt also Eine andere Vorgehensweise, die Materialfunk-
tion der linearen Viskoelastizität einzuführen, ist die
τ = Gγ 0 ⋅ sin ω ⋅t  Gl. 4.40 folgende: In Analogie zum stationären Fließen wird
durch den Quotienten der sinusförmig oszillierenden
Da die Scherrate um π/2 gegen die Scherung ver- Größen τ und γ , ausgedrückt in komplexer Schreib-
schoben ist, bedeutet Gl. 4.40 auch, dass beim Hoo- weise durch τ* und γ *, eine komplexe Viskosität
ke’schen Körper die Spannung um π/2 gegen die η*definiert:
Scherrate verschoben ist (. Abb. 4.13b). Das „Ersatz-
i⋅(ω ⋅t −ϕ)
schaltbild“ ist die Feder (rechts). τ * τ 0e τ e−i⋅ϕ τ 0.(cos ϕ − i ⋅ sin ϕ )
η* = = ⋅ω ⋅
= 0 =
Ein Fluid, welches sowohl viskose als auch elasti- γ * γ 0 ⋅ e i t γ 0 γ 0
sche Eigenschaften besitzt und sich linear verhält, wird τ0 τ
= η* e−i⋅ϕ = η′ − i ⋅ η′′ = ⋅ cos ϕ − i ⋅ 0 ⋅ sin ϕ
also auf eine sinusförmig oszillierende Scherrate mit γ 0 γ 0
einer ebensolchen Schubspannung antworten, wobei
sich ein Phasenwinkel φ zwischen Schubspannung  Gl. 4.43
und Scherrate einstellt, der irgendwo (je nach Fluid)
zwischen 0 und π/2 liegt (. Abb. 4.13c). Das „Ersatz- Der Realteil η′ wird viskose, der Imaginärteil η″ wird
schaltbild“, Dämpfer und Feder in Reihe geschaltet elastische Komponente der komplexen Viskosität
(rechts), wird auch Maxwell-Modell genannt. genannt (. Abb. 4.14).
Diese Bezeichnungen leuchten durch Vergleich
τ = τ 0 ⋅ sin (ω ⋅ t + ϕ ) mit Gl. 4.42 ein. Der Phasenwinkel φ wird auch vis-
= τ 0 (cos ϕ ⋅ sin ω ⋅ t + sin ϕ ⋅ cos ω ⋅ t )  Gl. 4.41 koelastischer Phasenwinkel genannt. Er stimmt mit
Kapitel 4 · Rheologie von B
­ iosuspensionen
121 4
4.6.2 Oszillierendes Scherexperiment
in Rotationsviskosimetern

Das oszillierende Scherexperiment kleiner Ampli-


tude im Kegel-Platte- oder im Zylinder-Couette-Sys-
tem wird im Allgemeinen so durchgeführt, dass eine
der Flächen, die den Messspalt begrenzen, in sinus-
förmige Oszillationen versetzt wird. Durch das im
Spalt befindliche Fluid wird ein Drehmoment auf die
gegenüberliegende, starre Seite übertragen und kann
dort leicht gemessen werden. Θ sei der Winkel, der
. Abb. 4.14  Darstellung der komplexen Viskosität η* im die Position des bewegten Teils des Messsystems von
Vektordiagramm einem Bezugspunkt aus beschreibt, und es gelte für
die Schubspannung τ und die Scherung γ in komple-
dem Phasenwinkel φ in . Abb. 4.13c überein. Bezieht xer Schreibweise der jeweils lineare Zusammenhang
man τ* auf γ*, so kann ein komplexer, elastischer
Modul G* definiert werden: τ * = e ⋅ M *; γ * = d ⋅ Θ*  Gl. 4.46

τ* Mit τ* = G* · γ* folgt dann


G* = = G* ⋅ eiϕ = G′ + i ⋅ G′′  Gl. 4.44
γ*
d * *
M*= ⋅ G ⋅Θ 
e
Wegen des Zusammenhangs γ * = i · ω · γ*, lässt sich
G* in η* umrechnen. Es ist nämlich d/e = b ist eine Konstante, die von der Geomet-
rie des Messspalts abhängt. Sie lautet im Falle des
τ* τ* G* Kegel-Platte-Systems
η* = = = −i ⋅ 
γ * i⋅ω ⋅ γ * ω
2 ⋅ π ⋅ R3
b=  Gl. 4.47
3⋅α
woraus folgt
worin R den Kegelradius und α den Winkel der
G′ = ω ⋅ η′′; G′′ = ω ⋅ η′  Gl. 4.45 Kegelmantelfläche gegen die Platte bedeuten. Für
das Zylinder-Couette-System gilt
Je nachdem, ob man sich mit mehr flüssigen oder
mehr festen Stoffen beschäftigt, ist die Verwendung 4 ⋅ π ⋅ ri2 ⋅ ra2 ⋅ h
b=  Gl. 4.48
von η* oder G* angezeigt. Sie enthalten jedoch die- (ra2 − ri2)
selbe Information. G′ nennt man auch den Speicher-
modul und G″ den Verlustmodul. mit ri, dem inneren Radius; ra, dem äußeren Radius;
Die experimentelle Ermittlung von η* und G* und h, der Höhe des Messspalts.
kann in den üblichen Messgeometrien durchge- Die Messung von |Θ*| und |M*| sowie des Pha-
führt werden, wobei je nach Fluid die eine oder senwinkels ϕ zwischen Θ* und M*, erlaubt G* bzw.
andere besser geeignet ist. Die Schubspannung η* (siehe Gl. 4.46) zu bestimmen. Für die Komponen-
und die Scherrate sind dabei, wie schon bei den ten des elastischen Moduls G* ergibt sich
stationären Methoden gezeigt wurde, nicht direkt *
zugänglich, sondern sie müssen aus den messba- 1 M
G′ = ⋅ * ⋅ cos φ  Gl. 4.49
ren Größen abgeleitet werden. Wie dies zu gesche- b Θ
hen hat, soll am Beispiel der Kegel-Platte-, der
*
Zylinder-Couette- und der Rohrgeometrie gezeigt 1 M
G′′ = ⋅ * ⋅ sin φ  Gl. 4.50
werden. b Θ
122 H. Chmiel und E. Walitza

4.7 Dehnströmungen
ηd =
(
2 ⋅ σx − σ y ) Gl. 4.52
∂v x / ∂x
Bisher wurden nur reine Scherströmungen betrach-
tet. In einem Bioreaktor aber ist die Strömung,
welche die Sedimentation verhindern und den ηd nennt man auch die Trouton-Viskosität. Sie ist beim
Stofftransport verbessern soll, keine reine Scher- newtonschen Fluid das Dreifache der Scherviskosität.
strömung, sondern es sind auch Dehnanteile ver- In der Literatur sind nur wenige Dehnrheometer
treten. Der Dehnviskosität kommt damit derselbe für Flüssigkeiten bekannt geworden. Zu nennen sind
4 Stellenwert wie der Scherviskosität zu. Bei kompli- der 4-Rollen-Apparat nach Taylor [2] und weitere
ziertem Fließverhalten gibt es keine Möglichkeit, diverse Apparate, in denen Staupunktströmungen
aus dem Scherverhalten auf das Dehnverhalten zu erzeugt werden. Bei Flüssigkeiten, aus welchen ein
schließen. Für eine vollständige rheologische Cha- Faden gezogen werden kann, lässt sich über das
rakterisierung müssen also beide Größen bestimmt Messen der Fadendicke und der Fadenspannung
werden. ebenfalls die Dehnviskosität in monoaxialer Bean-
Während bei Festkörpern die Bestimmung der spruchung bestimmen.
mechanischen Eigenschaften unter Dehnverformung Dehnung kann genauso wie die Scherung oszil-
weit entwickelt wurde, ist das bei Flüssigkeiten nicht lierend betrieben werden, und man erhält die ent-
der Fall. Ursache dafür ist, dass reine Dehnströmung sprechenden viskoelastischen Materialfunktionen
als Rheometerströmung bei Flüssigkeiten nicht so wie bei der Scherung.
leicht zu erzeugen ist. Reine Dehnströmungen zeigen Besondere Bedeutung hat die Dehnviskosität für
nur Veränderungen der Geschwindigkeitskomponen- die Begasung von Bioreaktoren, da die Prozesse der
ten in der jeweiligen Koordinatenrichtung. In kartesi- Blasenentstehung, des Dispergierens von Blasen und
schen Koordinaten treten also nur die Deformations- die Blasenkoaleszenz mit Dehnströmung verbunden
geschwindigkeitskomponenten ∂v x/∂x, ∂v y/∂y und sind, und zwar solange die Blasen groß sind gegen-
∂vz/∂z auf. über den Bestandteilen, die der Biosuspension die
Wegen der Inkompressibilität der hier verwende- viskoelastischen Eigenschaften verleihen. Nur dann
ten Flüssigkeiten gilt auch div(v ) = 0. Unter Berück- kann die extreme Zunahme der Dehnviskosität mit
sichtigung von div(v ) = 0 kann man unterscheiden der Dehngeschwindigkeit, wie man sie bei viskoelas-
nach ebener oder planarer Dehnung tischen Stoffen findet, wirksam werden.

∂v x ∂v ∂v z
=− y ; =0 4.8 Das Fließverhalten von
∂x ∂y ∂z
Fermentationsbrühen
einfacher monoaxialer Dehnung
Die meisten Literaturdaten zu rheologischen Unter-
∂v x ∂v y ∂v 1 ∂v
≠ 0; = z =− ⋅ x  suchungen an Fermentationsbrühen beschränken
∂x ∂y ∂z 2 ∂x sich auf stationäre Messungen.
[6] fanden bei der batch-Fermentation von Peni-
und zweifacher oder biaxialer Drehung cillium chrysogenum mit dem Couette-Rheometer
für Scherraten oberhalb 1 s−1 eine Fließkurve, die
∂v ∂v sich gut durch ein Potenzgesetz beschreiben lässt
∂v x ∂v
≠ 0; x = y ; z = −2 ∂v x  Gl. 4.51
∂x ∂x ∂y ∂z ∂x (. Abb. 4.15). Parameter ist die Biomassekonzentra-
tion. Für den gleichen Mikroorganismus untersuchten
Wegen der Inkompressibilität können nur Differen- [11] den Einfluss der Morphologie. Sie fanden, dass
zen von Normalspannungen gemessen werden, und sich die rheologischen Eigenschaften der Biosuspen-
es treten somit höchstens zwei Normalspannungs- sion während der Fermentation nicht nur in Abhän-
differenzen auf. Mithilfe der einfachen monoaxialen gigkeit von Biomassekonzentration, sondern auch mit
Dehnung definiert man die Dehnviskosität ηd der Morphologie des Penicillium chrysogenum ändern.
Kapitel 4 · Rheologie von B
­ iosuspensionen
123 4
. Abb. 4.15  Scheinbare Viskosität
einer Biosuspension von Penicillium
chrysogenum für verschiedene
Biomassekonzentrationen nach [6]
(1999)

Systematische rheologische Untersuchungen Um die Ergebnisse richtig interpretieren zu


an Fermentationsbrühen, welche sowohl das statio- können, muss für die jeweilige Probe jeder der
näre als auch das instationäre Fließen zum Gegen- genannten Parameter bekannt sein. Die Viskosität
stand haben, sind in der Literatur bisher nur spärlich der flüssigen Phase und die volumetrische Zellkon-
bekannt geworden (z. B. [8]). Im Folgenden sollen zentration sind relativ einfach zu bestimmen. Als
aus eigenen Untersuchungen an einem speziellen Maß für Letztere kann die Biotrockenmasse ver-
Beispiel eines mycelbildenden Bakteriums aus der wendet werden. Schwieriger ist es bei der Morpho-
Gruppe der Actinomyceten, Streptomyces tendae, logie. Hierbei handelt es sich nicht um eine einzige
die variable Viskosität und die Viskoelastizität dar- physikalische Größe, sondern um ein Phänomen,
gestellt werden. welches nur mithilfe mehrerer Größen beschrieben
werden kann.
Neben Form und Größenverteilungen – . Abb. 4.16
4.8.1 Rheologisch relevante zeigt eine typische Pelletgrößenverteilung einer im
Parameter Schüttelkolben durchgeführten Fermentation von
Streptomyces tendae –, die ein „äußeres Bild“ des Mycels
Als die wichtigsten Parameter des Fließverhaltens abgeben, ist es auch wichtig, die Struktur im Kleinen zu
von Fermentationsbrühen sind zu nennen: die Vis- kennen. Ein geeignetes Maß dafür könnte eine Perme-
kosität der flüssigen Phase, die volumetrische Zell- abilität und eine Porosität sein, wie man sie dem Mycel
konzentration, die Morphologie und die physikali- über eine hydraulische Permeation, z. B. realisiert in
schen Eigenschaften des Mycels. einer Kuchenfiltration, zuordnen kann.
Bei einer Messung mit einer der herkömmlichen, Zur Bestimmung der physikalischen Eigenschaf-
makrorheologischen Messmethoden, bei denen ten des Mycels sind die sogenannten mikrorheolo-
ein homogenes Kontinuum vorausgesetzt wird, gischen Methoden, wie sie z. B. in der Blutrheolo-
bekommt man ein globales Bild des Fließverhaltens gie schon lange angewandt werden, angezeigt. Mit
und der oben angeführten Parameter. diesen Methoden versucht man, Elastizitätsmoduln
124 H. Chmiel und E. Walitza

Alle rheologischen Messungen, die im Folgenden


gezeigt sind, wurden im konventionellen Zylinder-
Couette-System mit 3 mm weitem Spalt durchgeführt.

4.8.2 Stationäres Fließen

von André Braun überarbeitet


4
In . Abb. 4.17 ist die variable Viskosität in Abhängig-
keit der Scherrate für verschiedene Zellmassekon-
zentrationen (in Gramm Trockenmasse pro Liter
Fermentationsbrühe) dargestellt. Die unterschied-
lichen Konzentrationen sind durch Abziehen bzw.
Zugabe von flüssiger Phase hergestellt, wodurch die-
selbe Partikel-Größenverteilung erhalten bleibt.
. Abb. 4.16  Pelletgrößenverteilung von Streptomyces Für die Kurven mit den höheren Konzentratio-
tendae aus einer Fermentation im Schüttelkolben. nen ist bei den kleinsten gemessenen Scherraten eine
Aufgetragen ist die Anzahl der Pellets aus 1 mL Brühe, die in starke Abhängigkeit von der Scherrate vorhanden.
das Pelletdurchmesserintervall zwischen d und d + Δd fallen,
pro Intervallbreite Δd
Dies und weitere Untersuchungen, auf die hier nicht
weiter eingegangen werden soll, deuten auf das Vor-
handensein einer Fließgrenze hin – darunter ver-
von Mycel direkt an einer Mycelflocke oder im steht man eine mit verschwindender Scherrate über
noch kleineren Maßstab direkt an einer Hyphe zu alle Grenzen wachsende Viskosität bzw. die Möglich-
bestimmen. keit, trotz γ = 0 eine Schubspannung aufrechterhal-
Die elastische Deformierbarkeit und die Per- ten zu können. Bei der relativ kleinen Zellkonzentra-
meabilität einer Mycelflocke sind von entschei- tion von 1 g/L, erhält man bei kleinen Scherraten eine
dender Bedeutung für den intra-myceliären Stoff- konstante Viskosität. In diesem Fall ist die Zellmas-
transport, da eine Flocke auf ihrem Weg durch den sekonzentration so klein, dass es zu einer Überbrü-
Reaktor lokal sehr unterschiedlichen Spannungen ckung des Messspalts durch Mycelagglomerate und
ausgesetzt wird, was entsprechend der jeweils daraus damit zur Ausbildung der Fließgrenze nicht kommen
resultierenden Deformation zu Volumenverschie- kann. Für einen Reaktor hat eine Fließgrenze insofern
bungen aus dem Mycel in den umgebenden Raum Bedeutung, als durch sie in Zonen mit entsprechend
und umgekehrt führen kann, wobei die jeweiligen niedriger Schubspannung jede Bewegung unterbun-
Deformationsänderungen sich nur gemäß dem Rela- den wird. Bei den höchsten Scherraten wird im Allge-
xationsverhalten einstellen können. Im Falle reiner meinen eine weitere Grenzviskosität η∞ asymptotisch
Diffusion werden die intra-myceliären Diffusionsko- erreicht. Diese deutet sich in . Abb. 4.17 allerdings nur
effizienten durch die Porosität beeinflusst. bei den Proben mit den kleinen Konzentrationen an.
Bei einer vollständigen Bestimmung der oben Die Ursache für die Scherverdünnung, d. h. die
angeführten Parameter müsste sich eine Stoffglei- Abnahme der Scherviskosität mit zunehmender
chung erstellen lassen, die allein daraus das Fließ- Scherrate, liegt vermutlich im Abbau von Myce-
verhalten einer Fermentationsbrühe beschreiben lagglomeraten und anschließender Deformation
könnte. Wegen der Komplexität der Morphologie und Ausrichtung der einzelnen Mycelgebilde in der
und der physikalischen Eigenschaften wird man Rheometerströmung. Hinweise hierauf ergaben sich
jedoch bei vertretbarem Aufwand immer auf die aus eigenen Beobachtungen der gescherten Suspen-
„Kontinuums-Rheologie“ angewiesen sein, sodass sion – der äußere Zylinder des Rheometers war aus
Mikro- und Makrorheologie sich ergänzen müssen. Plexiglas gefertigt – und aus Analogien zu anderen
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
125 4
. Abb. 4.17  „Scheinbare Viskosität“
einer Suspension aus Pellets von
Streptomyces tendae in Abhängigkeit
der Scherrate für verschiedene
Zellkonzentrationen (Trockenmasse in
Gramm pro Liter Fermentationsbrühe)

biologischen Suspensionen, z. B. Blut, wo ein quali- η / H = f (γ / Γ)  Gl. 4.53


tativ ähnliches Fließverhalten gefunden wird.
Die Kurven mit großen Biomassekonzentratio- Die beiden Schlüsselparameter (H, Γ) sind bestimmt
nen zeigen bei etwa γ = 3 s–1 deutliche Steigungsän- durch das Verhältnis geeigneter Bezugspunkte in
derungen. Diese Tatsache lässt auf Veränderungen den beiden Kurven. Als Bezugspunkte eignen sich
der Vorgänge im Messspalt schließen, welche durch die Null- oder Unendlichviskosität sowie die Fließ-
die folgenden Beobachtungen bei zunehmender grenze, sofern vorhanden. Im Beispiel einer Potenz-
Scherrate bestätigt werden. flüssigkeit sind diese Größen nicht vorhanden und
Bei niedrigen Scherraten bilden filamentöse die Bezugspunkte können willkürlich festgesetzt
Mycelgebilde bzw. Pellets ein Netzwerk, das den werden.
Messspalt überbrückt. Mit wachsender Scherrate tritt . Abb. 4.18 zeigt die Masterkurve der einander
an der Wand Schlupf auf, und zwar zuerst innen, wo ähnlichen Kurven aus . Abb. 4.17. Als Bezugspunkte
die höhere Spannung auftritt. Oberhalb γ = 3 s–1 löst wurden dabei die Punkte gewählt, die den Übergang
sich der Verband in Einzelgebilde bzw. -pellets auf. von der scherverdünnenden Region zur Region mit
In diesem Scherratenbereich kommt die Strömungs- konstanter Viskosität bei hohen Scherraten anzei-
form derjenigen der parallelen Schichtenströmung gen, (durch den Pfeil markiert). Durch Verschieben
am nächsten. rheologisch ähnlicher Viskositätskurven lässt sich
Wie in . Abb. 4.17 zu sehen ist, haben die Fließ- eine Masterkurve erstellen, in der sich die Kurven
kurven in der doppelt logarithmischen Darstellung in einer einzigen Kurve zusammenfassen lassen. Die
oft eine ähnliche Form. Durch geschicktes „Verschie- Pfeile markieren die zur Verschiebung verwendeten
ben“ der einzelnen Kurven lassen sich diese in einer Bezugspunkte.
einzigen Kurve (einer sogenannten Masterkurve) Damit ist nun eine dimensionslose Formulierung
zusammenfassen. Dahinter steckt das Prinzip der der rheologischen Stoffgrößen möglich, wobei die
rheologischen Ähnlichkeit. Zwei Flüssigkeiten sind Formulierung mittels der Schlüsselparameter „cha-
sich dann ähnlich, wenn ihre Fließkurven in der rakteristische Viskosität H″ und „charakteristische
doppelt logarithmischen Darstellung kongruent Schergeschwindigkeit Γ″ erfolgt. Eine dimensions-
sind. Die Lage der beiden Fließkurven ist dabei nicht lose Formulierung ist bei der Maßstabsübertragung
von Bedeutung. Verschieben lassen sich die Kurven von großem Interesse. Dieses Thema wird in 7 Kap. 5
mit der Normierungsfunktion [9, 10] ausführlich behandelt.
126 H. Chmiel und E. Walitza

. Abb. 4.18  Masterkurve aus den


rheologisch ähnlichen Kurven in
. Abb. 4.17

4.8.3 Lineare Viskoelastizität von η″ und G″. Aus dem Voigt-Modell (Parallelschal-
tung von Feder und Dämpfer, . Abb. 4.21a), berech-
Wie schon beschrieben, wird die lineare Viskoelastizi- net man aus dem Quotienten von η′ und G′ die Retar-
tät am besten im sinusförmig oszillierenden Scherex- dationszeit (auch Voigt-Relaxationszeit genannt).
periment bestimmt. Es zeigt sich, dass Suspensionen Wenn eine Scherbelastung plötzlich aufgeho-
von Streptomyces tendae stark viskoelastisches Verhal- ben wird, ist die Spannungsrelaxationszeit ein Maß
ten haben. Anhand der Parameter der linearen Visko- für das Abklingen der Spannung, hingegen ist die
elastizität η′ und η″ ist dies in den . Abb. 4.19 und 4.20 Retardationszeit ein Maß für das Abklingen einer
im Vergleich zu wässrigen Polyacrylamid-Lösungen Deformation, wenn eine Spannung plötzlich aufge-
dargestellt. Man erkennt wieder die starke Konzentra- hoben wird. Ist die Ursache für das viskoelastische
tionsabhängigkeit der rheologischen Größen.
Die Frequenzabhängigkeit von η′ ist ähnlich der
Scherratenabhängigkeit der scheinbaren Viskosität.
Ursachen für den elastischen, also energiespeichern-
den Anteil bei der oszillierenden Beanspruchung der
Suspension sind reversible Strukturveränderungen
(Auf- und Abbau von Agglomeraten) und elastische
Verformungen einzelner Mycelgebilde.
Am Spannungsrelaxations- oder am Retarda-
tionsverhalten kann man sich die Bedeutung der
viskoelastischen Parameter klar machen. Hierzu
müssen allerdings einfache rheologische Modelle
(z. B. das phänomenologische Feder-Dämpfer-Sys-
tem) herangezogen werden (. Abb. 4.21). Für diese
kann ein Zusammenhang zwischen den viskoelasti-
schen Parametern und den Relaxationszeiten herge-
stellt werden. Beim Maxwell-Modell (Serienschal-
. Abb. 4.19  Viskose Komponente der „komplexen
tung eines Dämpfers und einer Feder, . Abb. 4.13c) Viskosität“ von Streptomyces-tendae-Suspensionen (S.t.),
ergibt sich die Spannungsrelaxationszeit (auch Max- in Abhängigkeit der Kreisfrequenz. Vergleich zu wässrigen
well-Relaxationszeit genannt) aus dem Quotienten Polyacrylamid-Lösungen (PAA)
Kapitel 4 · Rheologie von ­Biosuspensionen
127 4
Zusammensetzung der flüssigen noch die der festen
Phase der Fermentationsbrühe erhalten. Das Fließ-
verhalten der flüssigen Phase variiert nur leicht,
wenn keine weitere Änderung als die der Substrat-
konzentration auftritt, jedoch stark, wenn extrazellu-
läre Biopolymere entstehen, wie es z. B. bei der Pro-
duktion von Xanthan durch Xanthomonas campestris
oder Dextrane durch die Milchsäurebakterien Weis-
sella ciberias der Fall ist.
Anhand der letztgenannten Organismen sind
Viskositätskurven während der Fermentation in
. Abb. 4.22 gezeigt. Das Nährmedium sowie die Bak-
teriensuspension während den ersten zwei Stunden
zeigen praktisch ein newtonsches Fließverhalten auf.
In dieser Zeit wurde nur 0,4 g/L Dextran erzeugt, was
den leichten Viskositätsanstieg erklärt. Mit steigen-
. Abb. 4.20  Elastische Komponente der „komplexen
der Fermentationszeit nimmt die Dextran-Produk-
Viskosität“ von Streptomyces-tendae-Suspensionen (S.t.) in
Abhängigkeit der Kreisfrequenz. Vergleich zu wässrigen tion drastisch zu (nach 4 h: 2,5 g/L; nach 6 h: 4,2 g/L;
Polyacrylamid-Lösungen (PAA) nach 8 h: 5,1 g/L) was durch die Viskositätskurve
wiedergegeben wird: die Nullviskosität nimmt zu
Verhalten eine Strukturveränderung im Fluid, so und die Suspension weist ein zunehmendes scher-
sind die Relaxationszeiten ein Maß für das Zeitver- verdünnendes Verhalten auf. Natürlich nimmt die
halten der Strukturumbauvorgänge. Es leuchtet ein, Zahl der Bakterien ebenfalls zu mit zunehmender
dass bei komplexen mikrobiellen Suspensionen, wie Fermentationszeit. Jedoch bleibt die Zellzahl auch
z. B. von Streptomyces tendae, eine ganze Reihe von nach 8 Stunden Fermentation zu klein, um einen
Spannungsrelaxationszeiten (Relaxationszeitspek- solch starken Viskositätsanstieg zu ermöglichen.
trum) wirksam ist, die sich näherungsweise durch Bei mycelbildenden Organismen kann das
die Parallelschaltung von Dämpfer-/Federelementen, Wachstum der Mikroorganismen während der Fer-
ein sogenanntes verallgemeinertes Maxwell-Modell mentation einen großen Einfluss auf das Fließverhal-
(. Abb. 4.21b), beschreiben lassen. ten haben. Es ändert sich dabei nicht nur der Volu-
menanteil der Organismen am Gesamtvolumen der
Suspension, ausgedrückt durch das Trockengewicht,
4.8.4 Fließverhalten im Verlauf einer sondern auch die Morphologie der Biomasse. Um
Fermentation das zu demonstrieren, seien begleitende Viskositäts-
messungen zu einer Fermentation von Streptomyces
von André Braun überarbeitet tendae in einem 110-Liter-Schlaufenreaktor ange-
führt. In . Abb. 4.23a ist die scheinbare Viskosität,
Fermentationen werden überwiegend nicht-kon- wie sie mit einem Couette-System mit einer Spalt-
tinuierlich betrieben. Dabei bleibt weder die weite von 3 mm gemessen wurde, für drei Scherraten
. Abb. 4.21  (a) Voigt-Modell und
(b) verallgemeinertes Maxwell-Modell
128 H. Chmiel und E. Walitza

. Abb. 4.22  Viskositätskurve


zu verschiedenen Zeitpunkten
während der Fermentation des
Milchsäurebakteriums Weissella
ciberias (freundlicherweise zur
Verfügung gestellte, unveröffentlichte
Ergebnisse aus der Masterarbeit von
M. Raps, TU München (2014))

. Abb. 4.23  (a) Scheinbare


Viskosität η (Parameter ist die
Scherrate) sowie (b) viskoser und
elastischer Anteil der „komplexen
Viskosität“ und jeweils das
Trockengewicht (TG) während einer
Fermentation von Streptomyces tendae
im 110-Liter-Schlaufenreaktor
Kapitel 4 · Rheologie von B
­ iosuspensionen
129 4
über der Zeit aufgetragen. Zum Vergleich enthält das Als Fachliteratur wird empfohlen: für die Rheo-
Diagramm auch den Verlauf des Trockengewichts logie Barnes [1], für die Rheometrie [7], für die Mas-
(TG) während der Fermentation. terkurve [10] und für die Zusammenhänge zwischen
Die Viskosität steigt zu Beginn der Fermenta- Rheologie und Mikrostruktur [4].
tion, in der exponentiellen Wachstumsphase, so wie
man es vom Verlauf des Trockengewichts erwarten
würde, erreicht jedoch das Plateau der stationären Literatur
Phase früher als das Trockengewicht. Hier verändert
  [1] Barnes HA (1989) An Introduction to Rheology. Elsevier,
sich trotz Zunahme des Trockengewichts um ca. 30 % Amsterdam
die Viskosität nicht. Offensichtlich findet gleichzeitig   [2] Bird RB, Armstrong RC, Hassager O (1977) Dynamics of
eine Veränderung der Morphologie oder der mecha- polymeric liquids. John Wiley & Sons, New York
nischen Eigenschaften des Mycels statt. In der statio-   [3] Bongenaar JJTM, Kossen WWF, Metz B, Meijboom FW
nären Phase verändert sich die Viskosität kaum, fällt (1973) A method for characterizing the rheological pro-
perties of viscous fermentation broths. Biotechnol Bioeng
jedoch im Verlauf der Absterbephase um eine Zeh- 15:201
nerpotenz. Vergleicht man die drei Viskositätskur-   [4] Brader JM, Fuchs M, Voigtmann T, Weyßer F, Cates ME,
ven, fällt auf, dass die Scherverdünnung zum Ende Henrich O, Ballauff M, Siebenbürger M (2009) Rheology
der Fermentation kaum abnimmt. of colloidal dispersions close to glass or gel transitions.
Proceedings of the 5th International Symposium on Food
Neben den stationären Viskositätsmessungen
Rheology and Structure. Laboratory of Food Process
wurden während der oben erwähnten Fermenta- Engineering. ETH Zürich, Zürich
tion im Schlaufenreaktor ebenfalls instationäre Mes-   [5] Giesekus H, Langer G (1977) Die Bestimmung der wahren
sungen durchgeführt. Beispielhaft zeigt . Abb. 4.23b Fließkurven nicht-Newtonscher Flüssigkeiten und plasti-
den viskosen Anteil η′ und den elastischen Anteil η″ scher Stoffe mit der Methode der repräsentativen Viskosi-
tät. Rheologica Acta 16:1–22
der komplexen Viskosität einer oszillierenden Anre-
  [6] Goudar CT, Strevett KA, Shah SN (1999) Influence of
gung mit der Scherratenamplitude γ = 1 s–1 und einer microbial concentration on the rheology of non-New-
Kreisfrequenz von ω = 0,22 s−1, wieder zusammen tonian fermentation broths. Appl Microbiol Biotechnol
mit dem Trockengewicht. Die Periodendauer der 51:310–315
ausgewählten Kreisfrequenz entspricht etwa der   [7] Mezger TG(2010) Das Rheologie Handbuch. Vincentz Ver-
lag, Hannover
Umlaufzeit im Schlaufenreaktor.
  [8] Moheseni M, Kautola H, Grant AD (1997) The viscoelastic
Die Kurven η und η″ ähneln den Kurven der sta- nature of filamentous fermentation broths and its influ-
tionären Viskosität in . Abb. 4.23a. Sie steigen zu ence on the directly measured yield stress. J Ferment
Beginn mit dem Trockengewicht an und fallen zum Bioeng 83:281–286
Ende der Fermentationszeit wieder ab. Auffallend ist   [9] Pawlowski J (2005) Zur ähnlichkeitstheoretischen Dis-
kussion von Transportvorgängen in nicht-Newtonschen
der relativ hohe elastische Anteil während der sta-
vFluide. Chem-Ing-Tech 77:1910–1914
tionären Phase. Dies deutet auf ein stark verhaktes [10] Pawlowski J (2013) Dimensional Analysis of non-Newton-
Mycel hin. Der deutliche Rückgang der Viskoelas- ian Fluids. Chem Biochem Eng Q 27(2):119–123
tizität nach der 50. Fermentationsstunde, ohne dass [11] Riley GL, Tucker KG, Paul GC, Thomas CR (2000) Effect of
die Biotrockenmasse abnimmt, ist auf eine zu lange biomass concentration and mycelial morphology on fer-
mentation broth rheology. Biotechnol Bioeng 68:160–172
Wartezeit zwischen Probeentnahme und Messung
zurückzuführen. Durch die fehlende Sauerstoffzu-
fuhr werden die Hyphen offensichtlich weicher und
weniger elastisch. Ansonsten liegt der elastische
Anteil η″ während der gesamten Fermentations-
dauer niedriger als der viskose, er fällt jedoch insge-
samt weniger ab. Dies trifft nur für sehr kleine Win-
kelgeschwindigkeiten ω zu, die zum stationären Fall
tendieren. Bei größeren ω findet man umgekehrte
Verhältnisse. Insgesamt verlaufen η′ und η″ ähnlich
wie die Biotrockenmasse.
131 5

Transportvorgänge in
­Biosuspensionen
Horst Chmiel und Eckehard Walitza

5.1 Maßstabsübertragung – 132


5.1.1 Stationäre Rohrströmung – 133
5.1.2 Stoffübergang an einer Gasblase – 134

5.2 Leistungseintrag beim Rühren von Flüssigkeiten – 136


5.2.1 Leistungseintrag beim Rühren newtonscher und nichtnewtonscher
Flüssigkeiten – 136
5.2.2 Leistungseintrag beim Rühren begaster newtonscher
Flüssigkeiten – 140
5.2.3 Leistungseintrag beim Rühren begaster viskoelastischer
Flüssigkeiten – 141

5.3 Stofftransport in Biosuspensionen – 142


5.3.1 Sauerstoffeintrag in Fermentationsbrühen – 144
5.3.2 Sauerstoffeintrag in viskoelastische Biosuspensionen – 146
5.3.3 Einfluss des metabolischen Sauerstoffverbrauchs auf den
Sauerstofftransport – 147
5.3.4 Die Bestimmung des Sauerstoff-Transportkoeffizienten kla′ – 149
5.3.5 Bestimmung von kla′ mittels der Sulfit-Methode – 149
5.3.6 Stoffübergang an einzelnen Blasen und Blasenschwärmen – 149

5.4 Wärmeübergang im Bioreaktor – 151


5.4.1 Einfluss der Begasung auf den Wärmeübergang – 152
5.4.2 Viskoelastizität und Wärmeübergang – 153

Literatur – 156

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_5
132 H. Chmiel und E. Walitza

5.1 Maßstabsübertragung ein, nachdem man Gl. 5.1 durch die systemspezifi-
schen Größen an den entsprechenden Stellen erwei-
Bei der Übertragung von Bioprozessen in den tech- tert hat, dann wird daraus
nischen Maßstab treten im Bioreaktor häufig Trans-
portprobleme auf, die im Labormaßstab nicht beob- ρ ⋅ v ∂v* 0, 5 ⋅ ρ ⋅ v 2 ∂p*
⋅ * =− ⋅ *
achtet bzw. vernachlässigt werden konnten, nun aber t 0 ∂t d ∂x
prozesslimitierend sind. Ursache dafür ist eine nicht  ∂v* 
korrekte Maßstabsübertragung. Für eine richtige ∂ r * ⋅ * 
η ⋅ v 1  ∂r   Gl. 5.2
Vorgehensweise leistet die Ähnlichkeitstheorie gute + 2 ⋅ *⋅
d r ∂r *
Dienste. Dort werden dimensionslose Kennzahlen
5 zur Beschreibung eines physikalisch-technischen Da die hervorgehobenen Terme schon dimensions-
Sachverhalts verwendet, welche beim Übergang auf los sind, genügt es, einen von seiner Faktorengruppe
einen anderen Maßstab im Zahlenwert beizubehal- zu befreien, wodurch die beiden anderen dadurch
ten sind, damit die physikalische Ähnlichkeit erhal- entstehenden Gruppen dimensionslos werden. Wird
ten bleibt. Gl. 5.2 also durch v /d2 dividiert, so erhält man
Eine Möglichkeit zur Herleitung der dimensions-
losen Kenngrößen bieten die systembeschreibenden
ρ ⋅ d 2 ∂v* 0, 5 ⋅ ρ ⋅ v ⋅ d ∂p*
Differenzialgleichungen. Unter Verwendung charak- ⋅ =− ⋅ *
t0 ⋅ η ∂t * η ∂x
teristischer Größen des Systems werden zunächst die
dimensionsbehafteten abhängigen und unabhängi-  * ∂v* 
r . 
gen Variablen der Gleichungen in eine dimensionslose 1  ∂r *   Gl. 5.3
+ *.
Form gebracht. Sodann kann man die sonst noch auf- r ∂r *
tretenden Faktoren bzw. Faktorengruppen durch geeig-
nete Multiplikationen ebenfalls dimensionslos machen, Der dimensionslosen Faktorengruppe beim dimen-
wodurch sich die entsprechenden dimensionslosen sionslosen Druckgradienten in Gl. 5.3, die das Ver-
Kennzahlen ergeben. Am Beispiel der Navier-Stokes- hältnis der Trägheits- zur Zähigkeitskraft angibt, hat
Gleichung für die instationäre Rohrströmung soll diese man den Namen Reynoldszahl, Re, gegeben.
Vorgehensweise demonstriert werden. Die systembe-
schreibende Differenzialgleichung lautet: ρ ⋅ v ⋅d 
Tragheitskraft
Re = =  Gl. 5.4
η 
Zahigkeitskraft
 ∂v 
∂ r 
∂v ∂p 1  ∂r  Die andere Gruppe ist im Fall z.B. einer mit der
ρ⋅ =− +η⋅ ⋅  Gl. 5.1
∂t ∂x r ∂r Frequenz f sinusförmig oszillierenden Rohrströ-
mung das Produkt aus Re und der Strouhalzahl Sr,
Hier sind die Geschwindigkeit v, der Druck p, die wobei Sr sich mit t0 = 1/f berechnet zu Sr = f · d/v.
Ortskoordinaten x und r und die Zeit t dimensions- Sind die systembeschreibenden Gleichungen
los zu machen. Als systemspezifische Bezugsgrößen in ihrer Gesamtheit explizit nicht bekannt, so wie
eignen sich dafür die mittlere Geschwindigkeit v , es bei Problemstellungen aus der Biotechnik oft der
der mittlere Staudruck 0,5 · ρ · v 2 , der Rohrdurch- Fall ist, dann bedient man sich der Dimensionsana-
messer d und t0, eine Systemzeit (z. B. die Perioden- lyse nach dem Buckingham’schen π-Theorem. Letz-
dauer, wenn eine oszillierende Anregung vorliegt, teres beinhaltet die grundsätzliche Darstellbarkeit
oder eine systemspezifische Länge des Systems divi- von physikalischen Gesetzmäßigkeiten durch soge-
diert durch die systemspezifische Geschwindigkeit). nannte dimensionslose π-Größen. Seine Bedeutung
Führt man nun die Größen liegt nicht nur in der rationellen Darstellung – die
Zahl der Einflussgrößen reduziert sich –, sondern
v*= v / v; p* = p / (0, 5 ⋅ ρ ⋅ v 2 ); auch darin, dass jedem Zustandspunkt des π-Ra-
umes unendlich viele physikalische Realisierungs-
x*= x / d; r * = r / d; t * = t / t0 
möglichkeiten entsprechen, was die Grundlage der
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
133 5
Maßstabsübertragung bildet. Es soll nun ein Schema Die Anordnung innerhalb der Relevanzliste ist zwar
vorgeführt werden, mit dessen Hilfe man unter unerheblich, man kann dabei aber auch zielstre-
Benutzung des π-Theorems den relevanten Kennzah- big vorgehen, wie man am dargestellten Formalis-
lensatz für einen physikalischen Sachverhalt ermit- mus, der zu den dimensionsfreien π-Größen führt,
teln kann. erkennen wird. Dieser sieht so aus, dass mithilfe von
erlaubten Zeile/Zeile-Operationen für Matrizen,
wie sie aus der linearen Algebra bekannt sind, die
5.1.1 Stationäre Rohrströmung 7 Matrix 5.1 so transformiert wird, dass links eine
(n, n)-Einheitsmatrix und rechts die (n, n − m)-K-
Dies soll am Beispiel der – hier stationären – Rohr- oeffizientenmatrix Pij entsteht.
strömung erläutert werden. Matrix 5.2:
Für den Fall einer newtonschen Flüssigkeit
ergeben sich sechs Einflussgrößen, deren Dimen- v η d ρ Δp l
1 0 0 –1 1 0 Pij
sionen mit den drei Grundeinheiten Länge (L), Zeit 0 1 0 1 1 0
(T) und Masse (M) gebildet werden: 0 0 1 –1 –1 1

mittlere Geschwindigkeit v [L/T]


dynamische Viskosität η [M/LT] Man wird also die Reihenfolge der Größen in
Rohrdurchmesser d [L] der Relevanzliste so wählen, dass links in der
Rohrlänge l [L] 7  Matrix 5.1 auf jeden Fall die linear unabhängi-
Dichte des Fluids ρ [M/L3] gen Spaltenvektoren stehen und diese so, dass man
Druckverlust Δp [MT2/L] schon vor den Umwandlungen möglichst nahe an
die Einheitsmatrix kommt. Die linear unabhängigen
Unter Verwendung des sogenannten Relatio- π-Größen lassen sich nun aus folgender Beziehung
nenpostulats kann man annehmen, dass zwischen gewinnen
den m dimensionsbehafteten Einflussgrößen ein
Zusammenhang − pij
π j = x j ⋅ Πi yi j = 1, …, m − n; i = 1, …, n

f (v, η, d , ρ, ∆p, l ) = 0  Gl. 5.5  Gl. 5.6

existiert, welcher nach dem π-Theorem gleichbedeu- die wegen der Produktbildung den dimensionslo-
tend ist mit g(π1, π2, …, πm–k) = 0. sen Größen auch den Namen π-Größen gegeben hat.
Die Anzahl der π-Größen, gegeben durch m − n, Dabei ist unter y der Vektor mit den Elementen (v ,
mit n, der Anzahl der Grundeinheiten, hat im Fall des η, d) und unter x der mit den Elementen (ρ, Δp, l) zu
gewählten Beispiels den Wert drei. Die Argumenten- verstehen. Angewandt auf obige Matrix erhält man
liste von f wird auch die Relevanzliste des betrachte-
ten Problems genannt. π3 = l ⋅ d −1 = l / d  Gl. 5.7
Aus den m Größen der Relevanzliste und den n
Grundeinheiten wird eine (n, m)-Matrix gebildet, π2 = ∆p ⋅ d ⋅ η−1 ⋅ v−1  Gl. 5.8
deren Element i, j angibt, mit welcher Potenz die
i-te Grundeinheit in der j-ten dimensionsbehafte-
π1 = ρ ⋅ v ⋅ d ⋅ η−1  Gl. 5.9
ten Größe vorkommt.
Matrix 5.1:
Daraus lassen sich unmittelbar bzw. durch Kombi-
v η d ρ Δp l nation drei dimensionslose Kennzahlen gewinnen:
L 1 –1 1 –3 –1 1
1  
M 0 1 0 1 1 0 π3 = dimensionslose Lange Gl. 5.10
T –1 –1 0 0 –2 0 d
134 H. Chmiel und E. Walitza

π2 d ⋅ ∆p2 f deutlich vermindert. Die turbulente Widerstands-


= Widerstandsbeiwert ξ /2 charakteristik liefert also ein außerordentlich emp-
π1 ⋅ π3 l ⋅ ρ ⋅ v 2
 findliches Maß für die Ermittlung viskoelastischer
 Gl. 5.11 Effekte. Andererseits geht daraus hervor, dass Ein-
flussgrößen, die das viskoelastische Verhalten
ρ ⋅v ⋅ d beschreiben, zu berücksichtigen wären, was zu wei-
π1 = Reynodszahl Re  Gl. 5.12 teren Kennzahlen führt (7 Abschn. 5.2.1).
η

Im Angelsächsischen wird statt dem Widerstands-


beiwert f = ξ/4 verwendet. 5.1.2 Stoffübergang an einer Gasblase
5 In . Abb. 5.1 ist der Zusammenhang zwischen
Wider­standsbeiwert f und Reynoldszahl Re – er wird Als zweites Beispiel wird der Stoffübergang an frei in
allgemein als Widerstandscharakteristik bezeich- einer Flüssigkeit aufsteigenden Gasblasen des Durch-
net – für newtonsche Flüssigkeiten und einige Poly- messers d gewählt, der für den Sauerstoffeintrag in
merlösungen dargestellt. Fermentationsbrühen (7 Abschn. 5.3.1) wichtig ist.
Für newtonsche Flüssigkeiten findet man für den Aus . Abb. 5.10, die schematisch die Widerstände
laminaren Bereich den Zusammenhang f = 16/Re beim Transport von Sauerstoff von einer Gasblase
und die sprunghafte Erhöhung beim Übergang in in eine Zelle wiedergibt, wird neben dem Diffusions-
die Turbulenz bei Re = 2300. koeffizienten DAB über Gl. 5.62 (7 Abschn. 5.3.6) der
Für die Polymerlösungen wurde Re mit der Stofftransportkoeffizient kl als wichtige Einflussgröße
repräsentativen Viskosität gemäß Gl. 4.29 und 4.30 für den Stoffübergang abgeleitet. Für den Fall einer
gebildet, wodurch die oben abgeleiteten dimensions- newtonschen Flüssigkeit lassen sich damit acht Ein-
losen Kennzahlen auch für nichtnewtonsche Flüssig- flussgrößen nennen, deren Dimensionen von den
keiten anwendbar sind. drei Grundeinheiten Länge (L), Zeit (T) und Masse
Man erkennt in . Abb. 5.1, dass die Messpunkte (M) abhängen:
für die Polymerlösungen im laminaren Bereich mit Stofftransportkoeffizient kl [L/T]
guter Genauigkeit auf der Kurve f = 16/Re liegen. Diffusionskoeffizient DAB [L2/T]
Wichtiger aber ist, dass diese Flüssigkeiten ein deut- dynamische Viskosität ηl [M/TL]
lich viskoelastisches Verhalten zeigen, was sich in Dichte ρl [M/L3]
einem stark veränderten Turbulenzverhalten gegen- Dichtedifferenz Δρ = (ρl – ρg) [M/L3]
über newtonschen Flüssigkeiten bemerkbar macht. Erdbeschleunigung g [L/T2]
Der Übergang von der laminaren zur turbulenten charakteristische Länge d [L]
Strömung ist verzögert und der Widerstandsbeiwert Oberflächenspannung σ [M/T2]

wobei die Indizes l und g für Flüssigkeit und


Gas stehen. Unter Verwendung des oben genannten
Relationenpostulats kann man annehmen, dass zwi-
schen den m dimensionsbehafteten Einflussgrößen
ein Zusammenhang

f (kl, DAB, ηl, ρl, ∆ρ, g, d , σ ) = 0 Gl. 5.13

existiert, welcher nach dem π-Theorem gleichbedeu-


tend ist mit g(π1, π2, …, πm–n) = 0.
Die Anzahl der π-Größen hat im Falle dieses Bei-
spiels den Wert fünf.
. Abb. 5.1  Widerstandscharakteristik verschiedener Aus den m Größen der Relevanzliste und den n
wässriger Polyacrylamid-Lösungen (Parameter ist die PAA- Grundeinheiten wird wieder eine 7 (n, m)-Matrix 5.3
Konzentration) im Vergleich zu newtonschen Flüssigkeiten [7] gebildet:
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
135 5
Matrix 5.3:
ηl
1/π1 = = Sc Gl. 5.21
kl DAB ηl ρl Δρ g d σ
ρl ⋅ DAB

L 1 2 –1 –3 –3 1 1 0
T –1 –1 –1 0 0 –2 0 –2
Vernachlässigt man die Gasdichte gegenüber der
M 0 0 1 1 1 0 0 1
Flüssigkeitsdichte, dann erhält man weiterhin

g 2d 5ρl3
und mithilfe der erlaubten Zeile/Zeile-Operationen Gr 2 / (π5 ⋅ π4 ⋅ π2 ) = = We
in die 7 Matrix 5.4 transformiert. σ ⋅ ηl2
Matrix 5.4:  Gl. 5.22

kl DAB ηl ρl Δρ g d σ Führt man über das Gleichgewicht von Stokes’scher


1 0 0 0 0 3 –1 1 Pij
0 1 0 –1 –1 –1 1 0
Reibungskraft und Auftrieb die Blasenaufstiegsge-
0 0 1 1 1 0 0 1 schwindigkeit v ein und vernachlässigt ρg gegenüber ρl,
so ergibt sich die gebräuchlichere Form der Weberzahl
Gl. 5.6, angewandt auf obige 7 Matrix 5.4 ergibt
v2 ⋅ d ⋅ ρl
We =  Gl. 5.23
σ
1 ⋅ η −1 = ρ ⋅ DAB 
π1 = ρl ⋅ k 0j ⋅ DAB Gl. 5.14
l l
ηl Um zur Grashof- und zur Weberzahl zu gelan-
gen, sind im vorgeführten Beispiel umständliche
1 ⋅ η −1 = ∆ρ ⋅ DAB Umrechnungen aller hier gewonnenen π-Größen
π2 = ∆ρ ⋅ ki0 ⋅ DAB l Gl. 5.15
ηl notwendig geworden. Bei einer jeweils anderen Rei-
henfolge in der Relevanzliste hätten sich beide Kenn-
g⋅D zahlen leichter erzeugen lassen.
π3 = g ⋅ kl−3 ⋅ DAB
1 ⋅ η0 =
l
AB  Gl. 5.16
kl3 Häufig findet man Beschreibungen des Stoffüber-
gangs in Abhängigkeit der Reynoldszahl, die im Falle
−1 d ⋅ kl des obigen Beispiels die Blasenaufstiegsgeschwin-
π4 = d ⋅ kl1 ⋅ ( DAB ) ⋅ ηl0 =  Gl. 5.17
DAB digkeit v enthält. Da diese Geschwindigkeit von Δρ
abhängt, könnte sie in der Relevanzliste dagegen aus-
σ getauscht werden. Das hat zur Folge, dass man bei der
π5 = σ ⋅ kl−1 ⋅ DAB
0 ⋅ η −1 =
l  Gl. 5.18 Berechnung der π-Größen die Reynoldszahl statt der
kl ⋅ ηl
Grashofzahl erhält.
Weitere Kennzahlen lassen sich durch Kombina-
Daraus lassen sich direkt, bzw. durch Kombination, tionen aus den bisher abgeleiteten erzeugen, wie z. B.
die vier Kennzahlen Grashofzahl Gr (für Stoffüber- die später noch zu verwendende Froudezahl Fr, die
tragung), Sherwoodzahl Sh, Schmidtzahl Sc und die entsprechend Gl. 5.24 definiert ist.
Weberzahl We definieren.
v2
Fr =  Gl. 5.24
g ⋅d
π43 ⋅ π1 ⋅ π2 ⋅ π3 =
g ⋅ d 3 ⋅ ρl ⋅ (ρl − ρg ) = Gr Gl. 5.19
ηl2 Wenn wieder die Dichte des Gases gegenüber der
Dichte der Flüssigkeit vernachlässigt wird, lässt sich Fr
 aus der Reynoldszahl und der Grashofzahl berechnen.

Re2
Fr =  Gl. 5.25
Gr
kl ⋅ d
π4 = = Sh  Gl. 5.20 Die Herleitung des obigen Formalismus ist bei
DAB Pawlowski [15] sehr ausführlich beschrieben. Ihre
136 H. Chmiel und E. Walitza

Darstellung überschreitet aber den hier gesteck- zu vermeiden und Rechenzeit zu sparen. Es lassen
ten Rahmen, denn sie verlangt Kenntnisse aus der sich damit folgende π-Zahlen herleiten:
Funktionalanalysis.
v1
π1 = v1⋅ d −2 ⋅ n−1 ⋅ ρ10 =  Gl. 5.27
d2⋅n
5.2 Leistungseintrag beim Rühren
von Flüssigkeiten P
π2 = P ⋅ d −5 ⋅ n−3 ⋅ ρ1−1 =  Gl. 5.28
d 5 ⋅ n3 ⋅ ρ1
Als Beispiel für Impulstransport sei das Rühren von Damit werden nun die Rührer-Reynoldszahl Re und
Flüssigkeiten betrachtet. Die zum Rühren im statio- die Leistungskennzahl Ne definiert
5 nären Fall erforderliche Leistung setzt sich zusam-
men aus der zum Dispergieren aufzubringenden n⋅d2
π1−1 = Re =  Gl. 5.29
Arbeit und der durch Reibung in Wärme umgewan- v1
delten kinetischen Energie des Mediums.
P
π2 = Ne =  Gl. 5.30
d 5 ⋅ n3 ⋅ ρ 1
5.2.1 Leistungseintrag beim
Rühren newtonscher und Der Zusammenhang zwischen der Leistungskenn-
nichtnewtonscher Flüssigkeiten zahl und der Rührer-Reynoldszahl ist graphisch in
der sogenannten Leistungscharakteristik darge-
überarbeitet von André Braun stellt. Die Charakteristiken von ausgewählten Rüh-
rertypen sind in . Abb. 5.2 vorgestellt. Diese Kurven
z Newtonsche Flüssigkeiten werden häufig für Maßstabsübertragungen heran-
Das in 7 Abschn. 5.1 vorgestellte Verfahren soll gezogen, da sie für alle geometrisch ähnlichen Rüh-
zunächst auf das Rühren einer Newton’schen Flüs- rertypen gelten.
sigkeit angewandt werden, wobei eine weitere für Des Weiteren lassen sich drei Strömungsberei-
die Biotechnik interessante Kennzahl, die Leis- che erkennen: der laminare Strömungsbereich,der
tungskennzahl Ne, auch Newtonzahl genannt, ein- Übergangsbereich sowie der turbulente Strömungs-
geführt wird. bereich. Man erkennt, dass im laminaren Bereich
Die Relevanzliste lautet, mit P, dem Leis- die Leistungskennzahl umgekehrt proportional zur
tungseintrag, v1, der kinematischen Viskosität, Reynolds-Zahl
ρ1, der Dichte, n, der Rührerdrehzahl, und d, dem
Rührerdurchmesser: Ne = C1 / Re  Gl. 5.31

f ( P, v1, ρ1, n, d ) = 0  Gl. 5.26 und im vollturbulenten Bereich konstant

Die dimensionslosen Kennzahlen können nun Ne = C2  Gl. 5.32


analog zu den vorherigen beiden Beispielen
(7 Abschn. 5.1.1 und 5.1.2) mittels dem Aufstellen ist. Die beiden Konstanten C1 und C2 müssen für
und Berechnen der Dimensionsmatrix bestimmt die jeweiligen Rührwerksgeometrien experimen-
werden. Hinter dem Berechnen der Einheitsma- tell ermittelt oder aus der Literatur beschafft werden
trix und der Koeffizientenmatrix stecken jedoch (z. B. [22]).
Äquivalenztransformationen, wie sie aus der linea-
ren Algebra bekannt sind. Solche Berechnungen z Nichtnewtonsche Flüssigkeiten
können auch mit Matrizenorientierten Software- Im Fall einer newtonschen Flüssigkeit, bei der die
systemen automatisch durchgeführt werden. Dies Viskosität unabhängig von der Scherrate und somit
ist insbesondere bei einer größeren Anzahl von Ein- konstant ist, ist die Reynoldszahl eindeutig definiert
fluss- und Grundgrößen sinnvoll, um Rechenfehler und somit die Abhängigkeit der Leistungskennzahl
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
137 5

 H DDV
EEV
 FFV
G



 IIV

 LLV
FV
3 SQ āG 

JV

EV JV
KV

DV
1H


HG D LV
 IV

 EF
KV
 L I

 ±
                    

5H QG   Y

. Abb. 5.2  Leistungscharakteristik verschiedener Rührertypen (nach [22]); a, as = Kreuzbalkenrührer, b, bs = Gitterrührer,


c, cs = Blattrührer, d = Ankerrührer, e = Wendelrührer, f, fs = MIG-Rührer, gs = Scheibenrührer, hs = Proprellerrührer, i, is =
Schaufelrührer. S = mit Strombrecher

von der Reynoldszahl gegeben, wie in . Abb. 5.2 repräsentative Scherrate, γ rep, ist dann proportional
abgebildet. Im Fall einer nichtnewtonschen Flüs- zur Drehgeschwindigkeit
sigkeit variiert die Viskosität mit der Scherrate. Bei
gewissen Flüssigkeiten nimmt die Viskosität mit stei- γ rep = K MO ⋅ n Gl. 5.33
gender Scherrate um mehrere Dekaden ab. Daher
stellt sich nun das Problem, welcher Viskositätswert wobei die Proportionalitätskonstante gewöhnlich
zur Berechnung der Reynoldszahl zur Verwendung experimentell ermittelt wird und konstant für geo-
kommt. Es gibt mehrere Lösungsansätze, wie mit metrisch ähnliche Rührwerke ist. Für die Berechnung
diesem Problem umzugehen ist, wobei zwei davon der Reynoldszahl wird dann der Wert der Viskosität
im Folgenden vorgestellt werden. bei dieser repräsentativen Scherrate verwendet.
Das Metzner-Otto-Verfahren ist die am häufigs- Diese Methode erlaubt also, dass bei nichtnew-
ten in der Literatur anzutreffende Methode. Dabei tonschen Flüssigkeiten auf die Leistungskennzahl-
wird angenommen, dass das Strömungsprofil linear charakteristik einer newtonschen Flüssigkeit zurück-
ist und dass die Fließeigenschaften der Flüssigkei- gegriffen wird. Der Vorteil dieser Methode ist, dass
ten plastischer Natur sind. Darauf basierend wird sie sich sehr einfach durchführen lässt und nur die
postuliert, dass sich die Rührgeschwindigkeit einer Proportionalitätskonstante, KMO, zusätzlich zur
Scherrate linear zuordnen lässt [13]. Die sogenannte Leistungscharakteristik ermittelt werden muss. Es
bleibt jedoch fraglich, ob sich Charakteristiken von
138 H. Chmiel und E. Walitza

nichtnewtonschen (insbesondere viskoelastischen) Stoffwerten in den jeweiligen Kennzahlen zu berück-


Flüssigkeiten auf die Charakteristiken von newton- sichtigen. Dazu muss noch einmal auf die Visko-
schen Flüssigkeiten reduzieren lassen [3, 16]. elastizität zurückgekommen werden. Die typischen
Diese Kritik hat u. a. Pawlowski [16] aufgenom- Erscheinungen beim Fließen viskoelastischer Flüs-
men, die Problemstellung dimensionsanalytisch auf- sigkeiten sind eine starke Abhängigkeit der Scher-
gearbeitet und so eine weitere Methode im Umgang viskosität von der Scherrate, das Auftreten von
mit nichtnewtonschen Flüssigkeiten präsentiert. Normalspannungsdifferenzen und eine Spannungs-
Aufgrund der rheologischen Ähnlichkeit werden relaxation im instationären Fall. Spannungsrelaxa-
zur Beschreibung der rheologischen Stoffgrößen tion bedeutet, dass die Spannungen auf plötzliche
die beiden Parameter Γ und H (siehe 7 Abschn. Veränderungen relevanter kinematischer Größen
5 4.8.2) anstatt der newtonschen Viskosität η verwen- nur verzögert folgen, entsprechend der Spannungs-
det. Die Referenzliste ist somit um einen Parameter relaxationszeit. Letztere ist diejenige Zeit, nach der
angewachsen und die resultierenden dimensionslo- die Spannungsänderung zu (1 − 1/e) 100 % abge-
sen Kennzahlen sind: laufen ist, wobei ein exponentieller Verlauf unter-
stellt wird. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall für die
P
Ne =  Gl. 5.34 kinematischen Größen, wenn die Spannung plötzlich
ρ ⋅ n3 ⋅ d 5
verändert wird (Retardation). Normalspannungsdif-
ferenzen machen sich in solchen Strömungsfeldern
ρ⋅ n⋅ d 2
ReH =  Gl. 5.35 bemerkbar, wo die Strömung mehrere Geschwindig-
H
keitskomponenten hat, wenn man von Wirkungen
auf die Strömungsberandung absieht.
ρ ⋅ Γ⋅ d 2
B=  Gl. 5.36 Für Transportvorgänge in strömenden viskoelas-
H
tischen Flüssigkeiten ergeben sich deshalb neben den
Die Leistungskennzahl hängt nun von der modifi- oben genannten drei Kennzahlen noch zwei weitere,
zierten Reynoldszahl, ReH, und von B, ab (Ne = f(ReH, die die soeben geschilderten Erscheinungen berück-
B)). Durch das zusätzliche Argument unterscheidet sichtigen. Es handelt sich um die Deborahzahl De
sich die Leistungscharakteristik von ihrem newton-
schen Analogon fundamental. λm
De = Gl. 5.37
Dies wird anhand von eigenen Arbeiten mittels t0 
drei geometrisch ähnlicher Ankerrührer und unter-
schiedlichen rheologisch ähnlichen Flüssigkeiten
gezeigt. Dafür wurde für verschiedene scherver- welche eine charakteristische Materialzeit λm (z. B.
dünnende Flüssigkeiten die Viskositätskurve gemes- Spannungsrelaxationszeit) mit einer charakteristi-
sen (siehe . Abb. 5.3a) und mittels des Konzepts der schen Systemzeit t0 (z. B. Verweilzeit, Dauer eines
rheologischer Ähnlichkeit eine Masterkurve gebil- periodischen Vorgangs usw.) vergleicht, und um die
det (siehe . Abb. 5.3b). Die zur Verschiebung ver- Weissenbergzahl Wn
wendeten H und Γ-Parameter wurden dann für die
Leistungscharakteristik in . Abb. 5.4 verwendet. σ1 − σ2  Gl. 5.38
Wn =
Der Zusammenhang Ne = (ReH, B) ist dabei klar τ
ersichtlich. Dank der hier vorgestellten Methode
von Pawlowski kann in Modellversuchen getrost welche die erste Normalspannungsdifferenz mit der
ein Modellfluid verwendet werden und die Maß- Schubspannung vergleicht. Im Falle einiger einfacher
stabsübertragung kann mit genügender Genauig- viskoelastischer Modellgleichungen wird Wn zu
keit durchgeführt werden [17].
λm ⋅ v
Wn =  Gl. 5.39
z Viskoelastische Flüssigkeiten d
Im 7 Kap. 4 wurde bereits ausführlich auf die visko-
elastischen Fließeigenschaften von Biosuspensionen d ist dabei eine charakteristische Länge und v die
hingewiesen. Dies ist ggf. bei den entsprechenden mittlere Strömungsgeschwindigkeit.
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
139 5
. Abb. 5.3  (a) Rheologisch
ähnliche Viskositätskurven von  
Xanthan, Guar und PAA bei ;DQWKDQ
;DQWKDQ
unterschiedlichen Konzentrationen.
;DQWKDQ
(b) Masterkurve der Fluide aus (a),  
;DQWKDQ
wobei die Normierungsfunktion (4.61) ;DQWKDQ
angewendet wurde ;DQWKDQ
 
;DQWKDQ
*XDU
*XDU
 

η
3$$

 

 

 
           
γ

 

 
η +

 

 
       
γī

Die Bestimmung der charakteristischen Mate-


rialzeit λm betreffend, sei ein kleiner rheologischer Bei der Verwendung anderer rheologischer
Exkurs eingeschoben. λ m kann aus verschiede- Materialfunktionen für die Bestimmung von λm
nen rheologischen Materialfunktionen bestimmt muss man ebenfalls viskoelastische Modelle voraus-
werden. Eine Möglichkeit besteht darin, den Schub- setzen, um eine Relaxationszeit zuordnen zu können.
spannungsverlauf nach einem Sprung in der Scher- Am einfachsten ist es wiederum, das Maxwell-Mo-
rate zu messen und daraus, wie oben beschrieben, dell oder das Voigt-Kelvin-Modell (eine Feder par-
λm zu bestimmen. Das impliziert einen exponen- allel zu einem Dämpfer) zu verwenden. Letzte-
tiellen Verlauf der Schubspannungsänderung, wie res ist bei Stoffen, deren Fließverhalten dem eines
das beim phänomenologischen Modell eines Dämp- festen Stoffes näher kommt als dem einer Flüssig-
fers (für die Materialeigenschaft Viskosität) in Serie keit angebracht.
mit einer Feder (für den elastischen Schubmodul), Auf diese Weise kann man anhand der viskoelas-
dem sogenannten Maxwell-Modell, der einfachs- tischen Materialfunktionen η′ und η″ (bzw. G′ und
ten viskoelastischen Modellgleichung, der Fall ist G″) Materialzeiten wie die Spannungsrelaxations-
(7 Kap. 4). zeit λm oder die Retardationszeit λv bestimmen
140 H. Chmiel und E. Walitza

. Abb. 5.4  Leistungskennzahlcha-


rakteristik in Abhängigkeit der modi- 104
log(B) = -8.62
fizierten Reynoldszahl und dem Para-
meter B. Legende gemäß . Abb. 5.3
log(B) = -6.15
log(B) = -0.18

log(B) = -3.15

log(B) = 1.95

P/ρn3d5
102

5
100

10-4 10-2 100 102


ρnd2/H

η′′ η′′
λm = = (Maxwell)  Gl. 5.40 Prinzipiell möglich, jedoch messtechnisch
G′′ η′ω
schwieriger zu realisieren, ist die Bestimmung von
Wn, entsprechend Gl. 5.38, über Normalspannungs-
η′ η′
λv = = (Voigt-Kelvin)  Gl. 5.41 messungen. Die Weissenberg- und die Deborahzahl
G′ η′′ω
lassen sich über die Dimensionsanalyse einführen,
In . Abb. 5.5 ist die Retardationszeit, mit der das wenn man die Relevanzliste Gl. 5.26 um σ1 − σ2 und
Abklingen der Deformation bei der abrupten Ver- λm erweitert.
änderung der Spannung beschrieben wird, bestimmt
aus η′ und G′, als Funktion der Frequenz bei zwei ver-
schiedenen Amplituden der Scherung (7 Kap. 4) für 5.2.2 Leistungseintrag beim
eine Suspension von Streptomyces tendae dargestellt. Rühren begaster newtonscher
Offenbar hat man es nicht mit einer einzigen Flüssigkeiten
Retardationszeit zu tun, denn λv erweist sich als stark
abhängig von der Frequenz und ist somit keine reine Für die Leistungskennzahl Ne des Rührers gilt
Materialeigenschaft mehr. Ursache dafür ist, dass ein allgemein
so einfaches Modell wie das Voigt-Kelvin-Modell
nicht in der Lage ist, so komplizierte Flüssigkeiten Ne = f ( Re, Fr, Q,We)  Gl. 5.42
wie Biosuspensionen zu beschreiben.
Denkt man sich das Fließverhalten durch eine Hier wird eine weitere dimensionslose Kennzahl, die
Superposition einer Vielzahl von in Serie geschal- Gasdurchsatzkennzahl Q
teten Voigt-Kelvin-Modellen zustande gekommen,
so kann man dem Verlauf η*(ω) ein Spektrum von qG
Q=  Gl. 5.43
Retardationszeiten zuordnen [5] und man erhält mit n⋅d3
dem gesamten Spektrum wieder eine reine Material-
eigenschaft. Bei einem breiten Spektrum kann das verwendet. qG ist dabei der Gasvolumenstrom. Im
viskoelastische Verhalten in einem großen Bereich unbegasten System, wenn Q = 0, und bei entspre-
von Systemzeiten für Transportvorgänge im Bioreak- chenden Einbauten, kann die Froudezahl vernach-
tor eine Rolle spielen. Zur Verwendung in der Debo- lässigt werden, sodass die Leistungskennzahl-wie
rahzahl bietet sich die Retardationszeit an, die mit oben gezeigt wurde- nur noch von der Reynolds-
der höchsten Intensität im Spektrum auftritt. zahl abhängt. In . Abb. 5.6 ist für diesen Fall und
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
141 5
. Abb. 5.5  Retardationszeit λv
als Funktion der Frequenz für eine
Streptomyces tendae-Suspension,
ermittelt aus der komplexen Viskosität,
für zwei verschiedene Amplituden im
oszillierenden Scherexperiment

eine Reihe verschiedener Rührertypen die Leistungs- der eingetragenen Rührleistung zu beobachten
kennzahl Ne = f(Re) qualitativ dargestellt. (. Abb. 5.7). Diese Abnahme wird – so lautet eine
Man erkennt, dass im vollturbulenten Bereich die mögliche Erklärung – durch Gaspolster verursacht,
Leistungskennzahl von der Reynoldszahl unabhän- die sich hinter den Rührerblättern ausbilden und den
gig ist, während im laminaren Bereich für die Rühr- Strömungswiderstand reduzieren.
leistung P

P ~ n 2 ⋅ d 3 oder Ne ~
1
 Gl. 5.44 5.2.3 Leistungseintrag beim Rühren
Re begaster viskoelastischer
gilt. Ein ähnliches Verhalten kennt man vom Druck- Flüssigkeiten
verlust in der Rohrströmung. Die konstante Leis-
tungskennzahl im Turbulenten und der Proportio- Es ist zunächst daran zu erinnern, dass das visko-
nalitätsfaktor im Laminaren hängen von der Art des elastische Verhalten einer Biosuspension sowohl von
Rührers ab. der flüssigen Phase (Beispiel: Xanthan in wässriger
In begasten Systemen ist im turbulenten Bereich Lösung) als auch von den Zellen, der dispersen Phase
mit zunehmender Gasbelastung eine Abnahme (Beispiel: Streptomyces tendae), herrühren kann. Aus

. Abb. 5.6  Leistungskennzahl Ne


als Funktion der Reynoldszahl für drei
verschiedene Rührertypen [1]
142 H. Chmiel und E. Walitza

. Abb. 5.7  Normierte


Leistungskennzahl in Abhängigkeit
von der Gasdurchsatzkennzahl Q für
newtonsche Fluide im turbulenten
Bereich. Ne0 ist die Leistungskennzahl
für Q = 0 [1]

den . Abb. 4.19 und 4.20 geht hervor, dass sich wäss- nach Metzner und Otto [13] bestimmten reprä-
rige Polyacrylamid-Lösungen und eine Fermenta- sentativen Viskosität gebildet. Der Parameter in
tionsbrühe von Streptomyces tendae rheologisch qua- . Abb. 5.8 ist die Gasdurchsatzkennzahl Q. Alle
litativ ähnlich sind; beide sind stark scherentzähend untersuchten Fluide sollten bei gleicher Galilei-
und verhalten sich viskoelastisch. Wässrige Polyac- zahl in den turbulenten Bereich übergehen, ver-
rylamid-Lösungen sind daher in Untersuchungen, bunden mit einem sprunghaften Anstieg von Ne.
in denen das Fließverhalten relevant ist, als Modell- Tatsächlich erfolgt der Übergang in die Turbu-
fluide für Biosuspensionen geeignet. Beispielsweise lenz bei der Polyacrylamid-Lösung (PAA) nahezu
ist für die Widerstandscharakteristik von Biosus- zwei Zehnerpotenzen später als bei der Glycerin/
pensionen ein ähnlicher Verlauf zu erwarten, wie es Wasser- und der Carboxymethylcellulose-Lösung
in . Abb. 5.1 für wässrige Polyacrylamid-Lösungen (CMC). Außerdem macht sich die mit wachsen-
gezeigt wurde: eine drastische Widerstandsvermin- dem Q zunehmende Widerstandsverminderung
derung im turbulenten Bereich einer Rohrströmung beim PAA erst bei höheren Ga bemerkbar, kommt
als Folge einer gedämpften Turbulenz. Analoge Ver- dann aber schneller zur vollen Wirkung. Für das
hältnisse, die Turbulenz betreffend, wurden im Rühr- vergleichbare Verhalten von Glycerin und CMC
reaktor gefunden. Im Laminaren findet man aber im ist die Verwendung der repräsentativen Viskosi-
Rührreaktor auch schon Unterschiede, da wegen der tät verantwortlich. Der Befund bei der PAA-Lö-
Normalspannungsdifferenzen bei den viskoelasti- sung ist Folge der ausgeprägten elastischen Kom-
schen Flüssigkeiten andere Strömungsbilder entste- ponenten in der Viskoelastizität die zu einer stark
hen als bei den newtonschen oder rein viskosen. gedämpften Turbulenz führen und kann durch
In . Abb. 5.8 ist die Leistungskennzahl Ne als die repräsentative Viskosität allein offenbar nicht
Funktion der Galileizahl für verschiedene wässrige erfasst werden.
Lösungen aufgetragen. Die Galileizahl Ga ist defi-
niert als
5.3 Stofftransport in
Re2 g ⋅ d 3 Biosuspensionen
Ga = = 2  Gl. 5.45
Fr v
und entspricht damit, wenn ρl ≫ ρg, der schon defi- Beim Stofftransport können die folgenden vier
nierten Grashofzahl. Die Größe v in Gl. 5.45 ist die Systeme unterschieden werden.
kinematische Viskosität Im vorliegenden Fall ist Gas/Flüssigkeit: Wegen der geringen Löslich-
Fr = 1 und damit wird Ga = Re2. Die Reynoldszahl keit von Sauerstoff in wässrigen Lösungen muss
wird dabei, wie in 7 Kap. 4 beschrieben, mit einer bei allen aeroben Prozessen der Versorgung der
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
143 5
Gas/Feststoff: Der Einsatz von Wirbelschichten
ist aus vielen Anwendungen der Lebensmittelverfah-
renstechnik, z. B. beim Trocknen und Instantisieren,
bekannt. Ein ganz neuer Anwendungsbereich liegt
in der Verwendung der Gas/Feststoff-Fluidisation
für die Fermentation unter wasserreduzierten Bedin-
gungen. Ein Beispiel ist die Erzeugung von Ethanol
im Wirbelschichtfermenter mit der Hefe Saccharo-
myces cerevisiae.
Oft ist ausreichende Sauerstoffversorgung der
Mikroorganismen im Bioreaktor nur durch zusätz-
lichen Leistungseintrag durch Rühren möglich. Der
erhöhte Stofftransport durch starkes Rühren im Ver-
gleich zur Konvektion als Folge der frei aufsteigenden
Blasen hat folgende Ursachen:
1. Die hohe dynamische Beanspruchung an der
Rührerspitze erzeugt örtlich sehr feine Blasen.
Nimmt die Koaleszenzneigung nicht im
gleichen Maße zu, so erhöht sich dadurch die
mittlere spezifische Austauschfläche a′
2. Im Fermentationsfluid befindliche Kompo-
nenten unterschiedlicher Dichte (z. B.
Gasblasen, flüssige Kohlenwasserstoffe, Zellag-
glomerate etc.) werden durch den Rührvorgang
dispergiert und bleiben auf diese Weise über das
. Abb. 5.8  Leistungskennzahl Ne als Funktion der
gesamte Reaktorvolumen gleichmäßig verteilt.
Reynoldszahl beim Scheibenrührer für newtonsche (Glycerin),
schwach viskoelastische (CMC) und stark viskoelastische 3. Die durch starkes Rühren erzeugte Turbulenz
Fluide (PAA). Parameter ist die Gasdurchsatzkennzahl [10] verringert den Blasendurchmesser und erhöht
damit a′.
Mikroorganismen mit Sauerstoff besondere Beach- 4. Die maximale Größe der Zellaggregate
tung geschenkt werden. Auch als Substrat finden (Mycelien, Pellets etc.) wird durch Rühren
gering lösliche Gase, wie Methan und andere leichte vermindert. Andererseits beobachtet
Kohlenwasserstoffe, in Bioprozessen – z. B. bei der man häufig bei zu starker Scherung eine
Produktion von single-cell-Proteinen – Anwendung. Verminderung der Produktivität, die ihre
Flüssigkeit/Flüssigkeit: Ist die Nahrungsquelle Ursache offensichtlich in einer mechanischen
der Mikroorganismen ein flüssiger Kohlenwasser- Schädigung von Zellen oder Enzymen hat.
stoff, oder wird als Produktaufarbeitungsverfahren 5. Gelegentlich ist die Biosuspension so
die Flüssig/flüssig-Extraktion angewandt, so verlau- hochviskos, dass erst durch intensives Rühren
fen die entscheidenden Stoffübertragungsvorgänge eine Homogenisierung des Reaktorinhalts
an flüssigen Grenzflächen. erzielt wird.
Flüssigkeit/Feststoff: In modernen Bioreakto-
ren wird der Biokatalysator häufig an festen Oberflä- Die relevanten Kennzahlen sind Re, Fr, Sh, We, Wn,
chen fixiert (7 Kap. 6). Weiterhin gibt es eine ganze De und Sc. In ausreichend großen Reaktoren, bei
Reihe chromatographischer Produktaufarbeitungs- denen durch entsprechende Einbauten die kontinu-
verfahren (Adsorption, Gelchromatographie, Affi- ierliche Phase gut gemischt ist, ist der Einfluss der
nitätschromatographie). In allen genannten Fällen freien Oberfläche auf die Stoffübertragung (Fr) ver-
erfolgt der Stoffaustausch zwischen einer flüssigen nachlässigbar. Die Sherwoodzahl ist dann nur noch
und einer festen Grenzfläche. eine Funktion von Re, Sc, We, Wn und De.
144 H. Chmiel und E. Walitza

5.3.1 Sauerstoffeintrag in
Fermentationsbrühen

Auf das Thema Sauerstoffeintrag in Fermentations-


brühen wurde bereits im 7 Abschn. 3.4 eingegangen.
Das am häufigsten auftretende Problem bei der Aus-
legung von Bioreaktoren für aerobe Prozesse ist die
Versorgung der Mikroorganismen mit Sauerstoff.
Unter Gleichgewichtsbedingungen gilt an einer
Phasengrenzfläche Gas/Flüssigkeit das Henry’sche
5 Gesetz

Hcli = cgi  Gl. 5.46


. Abb. 5.9  Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit von
Sauerstoff in Wasser. Bunsenkoeffizient α als Funktion der
mit cli und cgi als Grenzflächen-Konzentrationen der Temperatur [20]
Komponente in der Flüssigkeit bzw. im Gas und H als
Henry’schem Verteilungskoeffizient.
H ist erheblich von der Temperatur und den 1. vom Kern der Gasblase zur Grenzschicht Gas/
Medienbestandteilen abhängig. In . Abb. 5.9 ist die Flüssigkeit;
Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit von Sauer- 2. die Grenzschicht Gas/Flüssigkeit;
stoff in Form des Bunsenkoeffizienten α dargestellt. 3. das die Blase umgebende, nicht gemischte
Der Bunsenkoeffizient entspricht dem auf 0 °C und Flüssigkeitsgebiet;
1 bar reduzierten Gasvolumen, welches von der 4. das gut gemischte Flüssigkeitsgebiet;
Volumeneinheit des Lösungsmittels bei einem Gas- 5. das den Zellverband umgebende, nicht
partialdruck von 1 bar gelöst wird. gemischte Flüssigkeitsgebiet;
Die Sauerstofflöslichkeit in Wasser bei 1 bar 6. den Zellverband, das Mycel oder ein
nimmt mit zunehmender Temperatur von Feststoffpartikel;
2,18 mmol/L bei 0 °C auf 1,03 mmol/L bei 40 °C ab. 7. die Zellmembran und intrazellulär zu den
Elektrolyte bewirken ebenfalls eine Verringerung der Reaktionsplätzen.
Sauerstofflöslichkeit. Beispielsweise reduziert eine
Konzentration an NaCl von 2 mol/L in Wasser die In Sonderfällen kann der eine oder andere Wider-
O2-Löslichkeit bei 25 °C auf 60 % des Ausgangswer- stand verschwinden. Mikroorganismen lagern sich
tes. Andererseits benötigt eine aktive Hefe bei einer gerne an Grenzflächen an, z. B. an der Gasblase,
Populationsdichte von 109 Zellen/mL pro Stunde bei sodass der Widerstand 4 nicht vorhanden ist. Exis-
Raumtemperatur ca. 750-mal so viel O2 wie in Sät- tiert die Zelle nicht im Verband, dann entfällt der
tigung gelöst ist. Bei Bakterien kann der Sauerstoff- Widerstand 6.
bedarf sogar bis zu 3000 mL/(g h) betragen. Die Ver- Drei Modellvorstellungen über den Stoff-
sorgung der Mikroorganismen mit derart großen transfer sind weit verbreitet – die Zweifilmtheo-
Mengen Sauerstoff ist nicht trivial, da wegen der rie, das Penetrationsmodell und die Theorie der
geringen O2-Löslichkeit und der damit verbunde- Oberflächenerneuerung.
nen niedrigen Konzentrationsgradienten die treiben- Der Zweifilmtheorie liegen folgende Annah-
den Kräfte klein sind. men zugrunde: Auf jeder Seite der Grenzfläche gibt
. Abb. 5.10 zeigt schematisch den Stofftransport es einen Film, durch den der Stofftransport per Diffu-
zwischen einer Gasblase (z. B. Sauerstoff enthaltende sion erfolgt. An der Phasengrenze soll sich die über-
Luft) und einem Zellverband. Für einen Transport gehende Komponente im Gleichgewicht mit der
Flüssigkeit/Flüssigkeit gilt Analoges. Der Sauerstoff jeweiligen Phase befinden. An der Phasengrenze
muss eine Reihe von Transportwiderständen über- bleibt also die den Gleichgewichtskonzentrationen
winden, und zwar: entsprechende Konzentrationsdifferenz erhalten.
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
145 5

. Abb. 5.10  Schematische Darstellung der Widerstände


beim Transport von Sauerstoff von einer Gasblase in eine . Abb. 5.11  Schematische Darstellung der
Zelle. Zu den Zahlen (1 bis 7) siehe Text [1] Sauerstoffkonzentration als Funktion des Ortes vom Inneren
einer Gasblase zum Flüssigkeitskern [1]

In den Phasenkernen sollen durch ständige Vermi- Kraft“ die Konzentrationsdifferenz cl* − cl; cl* ist die
schung die Konzentrationen konstant bleiben. Konzentration in der Flüssigphase, die im Gleich-
Beim Penetrationsmodell findet der Stoffüber- gewicht steht mit derjenigen im Kern der Gasphase
gang zwischen laminar bewegten Phasen durch zeitlich (. Abb. 5.11)
begrenzte und instationäre Diffusion in eine räumlich
unbegrenzte Phase statt. Ein Beispiel für diese Modell- Hc∗1 = cg  Gl. 5.49
vorstellung liefert der Stoffübergang im Rieselfilm.
Die Theorie der Oberflächenerneuerung geht Die Sauerstoffstromdichte ist dann
von einer ständigen Erneuerung der Volumenele-
mente an der Grenzfläche aufgrund turbulenter qO’ = K l ⋅ (cl* − cl )  Gl. 5.50
2
Bewegung aus. Die Austauschzeit wird durch eine
Wahrscheinlichkeitsfunktion erfasst. Die Kombination der Gl. 5.48, 5.49 und 5.50 führt
Die genannten Modelle berücksichtigen die zu der Beziehung zwischen dem Gesamtstoffaus-
realen hydrodynamischen Gegebenheiten nur unzu- tauschkoeffizienten Kl und den physikalischen Para-
reichend. Das Penetrationsmodell setzt ein falsches metern des vorliegenden Zweifilm-Problems, kg, kl
Geschwindigkeitsprofil voraus. Die Theorie der und H:
Oberflächenerneuerung arbeitet mit der Oberflä-
1 1 1
chenerneuerungshäufigkeit, die zahlenmäßig nicht = +  Gl. 5.51
K l kl H ⋅ kg
bekannt ist. Das Zweifilmmodell postuliert laminar
strömende Filme, die experimentell nicht nachzu- Für gering lösliche Gase ist H viel größer als 1; außer-
weisen sind. Dennoch soll das letztgenannte Modell dem ist kg beträchtlich größer als kl. Unter diesen
wegen seiner einfachen Berechenbarkeit und seiner Umständen gilt näherungsweise Kl = kl, d. h. der
Anschaulichkeit im Folgenden angewandt werden. gesamte Stofftransportwiderstand liegt auf der Seite
Mit cl und cg als Konzentrationen im Kern von des Flüssigkeitsfilms.
Flüssigkeit bzw. Gas müssen im stationären Zustand Der Sauerstoffstrom pro Reaktorvolumen qO
2
folgende Beziehungen für die Sauerstoffstromdichte sei definiert als
gelten A *
qO = k ⋅ ⋅ (c − cl ) oder
2 V l
2
( )
q'O = kg ⋅ cg − cgi (Gasfilm)  Gl. 5.47
qO = kl ⋅ a′ ⋅ (cl* − cl )  Gl. 5.52
2

q'O = kl ⋅ (cli − cl ) (Flüssigkeitsfilm)  Gl. 5.48


2 wobei A die Oberfläche der Gasblasen, V das Flüs-
sigkeitsvolumen und a′ = A/V dementsprechend
Da die Grenzflächenkonzentration gewöhnlich nicht die Gas/Flüssigkeitsgrenzfläche pro Volumenein-
gemessen werden kann, wird der Gesamtstofftrans- heit Flüssigkeit sind. Statt Kl wurde der Näherungs-
portkoeffizient Kl eingeführt und als „treibende wert kl als Stofftransportkoeffizient gewählt. Das
146 H. Chmiel und E. Walitza

häufig in der Literatur zu findende a bezieht sich im vermindert wird. Entsprechend muss sich auch der
Gegensatz zu a’ auf das Gesamtvolumen im Biore- Stofftransport verschlechtern.
aktor (also Flüssigkeits- plus Gasvolumen). Es muss Dies konnten [18] bei der kla-Bestimmung in
beachtet werden, dass qO 2 der örtliche Sauerstoff- einem mit CO2 begasten Rührkessel anhand ver-
strom ist, entsprechend dem Ort, an welchem die schiedener wässriger Modell-Lösungen zeigen.
Konzentrationsdifferenz (cl* − cl) vorliegt. Ein Mit- Wenn nur die Sherwoodzahl (hier modifiziert als
telwert für den Sauerstoffstrom pro Reaktorvolu- klad2/D Co 2 (η/ηw)–1,39, mit d, dem Kesseldurch-
men qO 2 ergibt sich aus einer Mittelung über den messer, und ηw, der Viskosität des Wassers) gegen
gesamten Reaktor die Reynoldszahl aufgetragen wird (. Abb. 5.12a),
so zeigt die weniger elastische CMC-Lösung nicht
5 qO = OTR =
1 V
⋅ ∫ qO dV
 Gl. 5.53 dieselbe Abhängigkeit wie die stark viskoelastische
2 V 0 2 PAA-Lösung. Zwar ist dabei in der Reynoldszahl
schon eine für den Rührreaktor repräsentative Vis-
Man nennt diesen Wert auch die Oxygentransfer- kosität verwendet worden, aber offenbar liegt hier
rate (OTR) in Anlehnung an den angelsächsischen noch der Einfluss einer weiteren Größe vor. Wird
Sprachgebrauch. Er hängt ab von einer Vielzahl von die Deborahzahl in die empirische Korrelation mit
Parametern, wie z. B. Leistungseintrag pro Volumen- aufgenommen, dann können alle Messwerte durch
einheit, Fließeigenschaften, Grenzflächeneigenschaf- denselben Zusammenhang beschrieben werden
ten (Koaleszenzverhalten), Charakteristik des Sauer- (. Abb. 5.12b). Schon ab Deborahzahlen größer als
stoffeintrags und den Strömungsbildern im Reaktor. 0,01 ist hier ein Effekt festzustellen.
Auf die Messung lokaler Sauerstoffkonzentrationen Ein weiterer Nachweis für die Relevanz der Vis-
wird in 7 Kap. 7 eingegangen. koelastizität ergibt sich, wenn man den Stoffüber-
Zum Kohlendioxid, welches aus Fermenta- gang von der Oberfläche einer sich bewegenden
tionsbrühen im Allgemeinen zu entfernen ist, sei Blase mit mobiler Oberfläche an die flüssige Phase
angemerkt, dass es in der Flüssigkeit in vier Formen betrachtet. Dieser kann mittels der folgenden Kor-
gelöst vorliegt: als CO2, H2CO3, HCO3– und CO32–. relation für die Sherwoodzahl, die von [2] abgeleitet
Unterhalb pH 5 ist nahezu ausschließlich CO2 wurde, berechnet werden,
gelöst, während bei einem pH zwischen 7 und 9
Bicarbonat und oberhalb von pH 11 Carbonat
kl ⋅ d 2  π 0,5
dominieren. Daher ist, je nach den Umständen, der Sh = = ⋅  ∫ U 0 (θ ) ⋅ sin 2 θ dθ ⋅ Pe0,5
geschwindigkeitsbestimmende Schritt der CO2-E­ DAB π  0 
ntfernung ein chemischer oder physikalischer.  Gl. 5.54

wobei U0(θ) die Geschwindigkeitsverteilung der


5.3.2 Sauerstoffeintrag in Flüssigkeit an der Blasenoberfläche ist, die für die
viskoelastische Biosuspensionen jeweilige viskoelastische Flüssigkeit noch zu bestim-
men wäre und ganz anders aussieht als bei newton-
Unter Benutzung der repräsentativen Viskosität schen Flüssigkeiten; θ ist der entsprechende Winkel
lässt sich die OTR in einem begasten Rührreak- in einem Kugelkoordinatensystem und Pe die Péclet-
tor auch für nichtnewtonsche, aber quasi unelas- zahl (Pe = vd/DAB). Die Tatsache, dass U0(θ) auf jeden
tische Flüssigkeiten vorausberechnen, wenn man Fall vom Fließverhalten, und zwar nicht nur von einer
die für newtonsche Fluide gefundenen Zusam- repräsentativen Viskosität allein, sondern auch von
menhänge verwendet. Bei viskoelastischen Flüs- den Normalspannungsdifferenzen abhängt, macht
sigkeiten dagegen versagt dieses Konzept. Im auch hier deutlich, dass Kennzahlen wie Wn und De
letzten Abschnitt war darauf hingewiesen worden, für den Stofftransport Bedeutung haben.
dass durch das viskoelastische Verhalten die Tur- Bisherige Untersuchungen zum Einfluss des vis-
bulenz gedämpft und damit der Leistungseintrag koelastischen Fließverhaltens auf den Stofftransport
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
147 5
5.3.3 Einfluss des metabolischen
Sauerstoffverbrauchs auf den
Sauerstofftransport

Für den Stofftransport in Fermentationsbrühen ist zu


beachten, dass durch die Existenz lebender Organis-
men lokale Quellen und Senken für Stoffe auftreten,
die die Diffusions- und Konvektionsbeiträge erheblich
beeinflussen können. Der durch die Zelle aufgenom-
mene Sauerstoff wird allgemein für die Energiegewin-
nung, für Synthesereaktionen, für den Zellmassen-
aufbau und den Erhaltungsstoffwechsel verbraucht.
Beschränkt man sich bei der Betrachtung des
Sauerstoffbedarfs einer Zelle zunächst auf den Anteil
zum Aufbau von Zellmasse, ergibt sich nach 7 Kap. 3
der maximale Sauerstoffverbrauch zu xµmax/Y O 2 ,
wobei x die Zellkonzentration und Y O 2 die gebil-
dete Biomasse pro verbrauchtem Sauerstoff darstel-
len. Für kla′(cl* – cl) ≫ xµmax /Y O 2 liegt der Haupt-
widerstand beim mikrobiellen Metabolismus. Im
umgekehrten Fall kann cl ≈ 0 gesetzt werden; der
Reaktor arbeitet dann transportlimitiert. Die reale
Situation ist komplizierter.
Im stationären Zustand muss der absorbierte
gleich dem konsumierten Sauerstoff sein:

x⋅µ
kl ⋅ a′ ⋅ (cl* − cl ) = Gl. 5.55
YO
2

Jeder Mikroorganismus benötigt eine bestimmte


O2 -Mindestkonzentration c O 2 , kr. Für die meisten
Mikroorganismen liegt c O 2 , kr zwischen 3 . 10−3
mmol/L und 50 · 10−3 mmol/L, das bedeutet ca. 0,1
bis 1 % der O2-Löslichkeit in Wasser. Ist cl > c O , kr,
2
dann liegt keine O2-Limitation vor. Die Art der Koh-
lenstoffquelle beeinflusst den Sauerstoffbedarf  beson-
. Abb. 5.12  Empirischer Zusammenhang zwischen ders stark. Beispielsweise bewirken Paraffine oder
Stoffübergang und Reynoldszahl im CO2-begasten Rührkessel Methan eine höhere Sauerstoffaufnahme durch die
für verschiedene Modellflüssigkeiten, (a) ohne und (b) mit
Zellen als Glucose.
Berücksichtigung der Deborahzahl. □: CMC-Lösung; ■: PAA-
Lösung [18]
Gl. 5.55 ist die in der Biotechnik übliche Beschrei-
bung des Stofftransports und setzt voraus, dass der
beschränken sich auf viskoelastische Modell-Lö- O2-Verbrauch der Mikroorganismen den eindiffun-
sungen. Bei Fermentationsbrühen ist sowohl über dierenden O2-Strom nicht beeinflusst (1. Fick’sches
das rheologische Verhalten als auch über den Stoff- Gesetz). Wie eingangs erwähnt, ist bei vielen Fer-
transport berichtet worden, eine Korrelation von mentationen diese vereinfachte Betrachtungsweise
Viskoelastizität und Stofftransport für dieses Stoff- auch ausreichend. Bei mycelbildenden Mikro-
system steht allerdings noch aus. organismen jedoch muss der O2-Transport durch
148 H. Chmiel und E. Walitza

zusätzliche Analyse der Transportwiderstände im Führt man für den spezifischen Sauerstoffverbrauch
Inneren des Mycels unter Umständen aber auch eine Michaelis-Menten-Kinetik in der Form
durch den Transport an das Mycel ergänzt werden
c
(s. 7 Abschn. 3.7, . Abb. 3.16). Im Folgenden sei der qO+ = qO+ max  Gl. 5.59
2 2 KM + c
Sauerstofftransport innerhalb eines Mycelteilchens,
idealisiert als Diffusionsproblem mit Senken, näher ein, dann wird Gl. 5.58 zu
betrachtet.
d 2c 2 dc c
Unter Annahme einer kugeligen Gestalt des + ⋅ = φ2  Gl. 5.60
dr 2 r dr 1 + cc0 / K M
Mycels (Pellet) und einer in dieser Kugel gleichmä-
ßig verteilten Biomasse, lautet die Bilanzgleichung mit
5 des Sauerstoffs unter Berücksichtigung von Diffu- qO+ max ⋅ x′
sion, Reaktion, aber keiner Konvektion φ = R⋅ 2
 Gl. 5.61
Deff ⋅ K M
∂c  d 2c 2 dc 
= Deff  2 + ⋅  − qO+ ⋅ x′  Gl. 5.56
∂t  dr r dr  2 ϕ ist eine dimensionslose Kennzahl und wird als
Thielemodul bezeichnet. Das Quadrat dieser Kenn-
mit Deff, dem effektiven Diffusionskoeffizienten des zahl entspricht dem Verhältnis eines Stoffstroms
Sauerstoffs im Mycel; c, der örtlichen Konzentra- (Senke), hier resultierend aus einer Reaktion erster
+
tion des Sauerstoffs; qO2 ·x′ dem volumenbezoge- Ordnung, zu einem reinen Diffusionsstrom. Bei
nen Reaktionsstrom des Sauerstoffs (Senke); qO+ , einem kleinen spezifischen Verbrauch und einem
2
der spezifischen Sauerstoffaufnahmerate der Zellen; großen Diffusionskoeffizienten ist ϕ klein. Es stellt
und x′, der Konzentration der Biomasse im Pellet. sich dann kein nennenswerter Gradient der Sauer-
Gl. 5.56 vereinfacht sich für den stationären Zustand stoffkonzentration im Pellet ein, und die Biomasse
zu kann überall bei der maximal möglichen Konzen-
 d 2c 2 dc  tration ,atmen'. Im Extremfall sehr hohen spezi-
Deff  2 + ⋅  = qO+ ⋅ x′  Gl. 5.57 fischen Verbrauchs und eines kleinen Diffusions-
 dr r dr  2
koeffizienten, das entspricht einem großen ϕ, wird
Unter der Bedingung, dass der Widerstand für den der im Pellet vorhandene Sauerstoff sehr schnell
Transport des Sauerstoffs aus dem Kern der Flüs- verbraucht sein und die Diffusion kann nicht mehr
sigkeit an die Pelletoberfläche zu vernachlässigen genügend nachliefern. Im stationären Fall wird
ist, folgt als Randbedingung für die Oberfläche dann nur noch eine dünne Randschicht, innerhalb
r = R, c = c0 = const. Wegen der Symmetrie des Pro- der die Sauerstoffkonzentration auf null absinkt, am
blems verschwindet der Konzentrationsgradient im Gesamtverbrauch beteiligt sein. Bei kleinen ϕ ist
Zentrum der Kugel, d. h. es wird dort dc/dr = 0. offenbar das Pellet besser versorgt als bei großen.
Mit der dimensionslosen Konzentration c Nun ist der gesamte Sauerstoffverbrauch aus Kon-
tinuitätsgründen durch folgende Größen bestimmt:
c = c / c0  die Pelletoberfläche, das Pelletvolumen, den Dif-
fusionskoeffizienten und den Konzentrationsgra-
und der dimensionslosen Ortkoordinate r dienten an der Oberfläche, also durch den von der
Oberfläche ins Pelletinnere gerichteten Diffusions-
r = r /R  strom. Bezieht man diesen auf den Verbrauch bei
ϕ = 0, d. h. auf den Verbrauch bei dem die gesamte
lautet Gl. 5.57 in dimensionsloser Form Biomasse bei maximaler Sauerstoffkonzentration
2 + c0 ,atmet', dann erhält man ein Maß für die Versor-
d 2c 2 dc R ⋅ qO2 ′
+ ⋅ = ⋅x  Gl. 5.58 gung des Pellets mit Sauerstoff, den sogenannten
r2 r dr c0 ⋅ Deff
Effektivitätskoeffizienten. Um für den allgemeinen
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
149 5
Fall Angaben über den Effektivitätskoeffizienten 5.3.5 Bestimmung von kla′ mittels der
machen zu können, muss Gl. 5.58 numerisch gelöst Sulfit-Methode
werden [1].
Weil die Ermittlung von kla′ in Biosystemen mit einer
Reihe von Schwierigkeiten verbunden ist (sterile
5.3.4 Die Bestimmung des Sauerstoff- Technik, Kosten für Inokulum und Medium, Prob-
Transportkoeffizienten kla′ leme der Mess- und Regeltechnik), weicht man auf
Modellsysteme aus. Als Modellsysteme kommen vor
Wie oben dargelegt, ist die Größe kla′ für die Versor- allem chemische Systeme zur Anwendung, wie bei
gung einer Biosuspension mit Sauerstoff von großer der Hydrazin-Methode oder der Sulfit-Methode. Bei
Bedeutung. Sie eignet sich sowohl für den Vergleich Letzterer wird eine Natriumsulfit-Lösung (oft 0,8-
verschiedener Belüftungssysteme bei sonst glei- molar) belüftet. Durch den Luftsauerstoff wird Nat-
chen Parametern, wie Rührer- und Reaktorgeome- riumsulfit unter katalytischer Wirkung von Metall-Io-
trie, Grenzflächen- und rheologischen Eigenschaf- nen (meist Co2+ oder Cu2+) zu Natriumsulfat oxidiert.
ten der Biosuspension usw., als auch zum Vergleich Dieser chemische Sauerstoffverbrauch soll also den
unterschiedlicher Reaktorkonstruktionen bei glei- bei der biologischen Fermentation vorliegenden
chem Stoffsystem. Ihre experimentelle Bestimmung ersetzen. Von Nachteil dabei ist, dass die so gefun-
ist besonders unter realen Fermentationsbedingun- denen kla′-Werte nicht übereinstimmen können mit
gen sinnvoll, aber mit erheblichem Aufwand – z. B. denen, die sich in der realen Fermentation ergeben,
bei der Reaktoroptimierung – verbunden. da die Phasengrenzfläche von Grenzflächeneigen-
In . Abb. 5.13 ist der Verlauf der Sauerstoffkon- schaften des Systems stark beeinflusst ist. Ein weiterer
zentration während der Durchführung der soge- Nachteil ist auch, dass die Ergebnisse sehr stark von
nannten „dynamischen Methode“ zur Bestimmung der Hatta-Zahl, d. h. vom Verhältnis Antransport zur
von kla′ dargestellt. diffusiven Weiterleitung, abhängen. Trotzdem erlau-
In Phase I befindet sich der Reaktor im stationä- ben chemische Modellsysteme, wegen ihrer relativ
ren Zustand. Dann wird die Sauerstoffzufuhr sprung- einfachen Handhabung, eine schnellere Grundop-
artig ausgeschaltet, und die Sauerstoffkonzentration timierung (ca. eine Nacht), als biologische Systeme.
fällt entsprechend dem Verbrauch durch die Bio-
masse. Zu Beginn von Phase III wird die Belüftung
wieder eingeschaltet und die Sauerstoffkonzentration 5.3.6 Stoffübergang an einzelnen
steigt auf den ursprünglichen Wert an. Eine ausführ- Blasen und Blasenschwärmen
liche Beschreibung zur Bestimmung von k1a′ nach
dieser Methode findet man z. B. bei [14]. Da der Antransport zum Film gleich der diffusiven
Weiterleitung ist, gilt für die örtliche Stoffstrom-
dichte an der Grenzfläche Gas/Flüssigkeit einer Blase

 ∂c 
kl ⋅ (cl* − cl ) = −DAB   ,
 ∂z ( z =0)

wobei die z-Koordinate senkrecht zur Grenzfläche


in die Flüssigkeit weisen möge. Der Stofftransport-
koeffizient ist dann

1  ∂c 
. Abb. 5.13  Konzentration des gelösten Sauerstoffs als kl = − ⋅ DAB    Gl. 5.62
Funktion der Zeit bei der Bestimmung von kla′ und q+o2·x ( cl* − cl )  ∂z ( z =0)
nach der dynamischen Methode
150 H. Chmiel und E. Walitza

oder dimensionslos d 2 ⋅ ∆ρ ⋅ g
v=  Gl. 5.67
18η1
kld 1  ∂c 
Sh = =−   Gl. 5.63
DAB 1 − c  ∂z ( z =0) Setzt man Gl. 5.67 in Gl. 5.66 ein, ergibt sich Gl. 5.68

wenn d einen charakteristischen Blasendurchmesser  d 3 ⋅ ∆ρ ⋅ g 1/3  d 3 ⋅ ρ ⋅ ∆ρ ⋅ g 1/3



Sh = 1, 01⋅   = 1, 01⋅  1 
und DAB den Diffusionskoeffizienten des Gases in 18η ⋅ D   18η 2 
1 AB 1
der Flüssigkeit bedeuten. An der Grenzfläche erhält
1/ 3
man die dimensionslose Konzentration c über eine  η 
⋅ 1 
Lösung der Transportgleichung, die wie folgt aus-  ρ1 ⋅ DAB 
5 sieht (s. auch Abschnitt 5.1.2)

c = f ( z, Sh, Sc, Gr ) Gl. 5.64 Sh = 0, 39 ⋅ Gr1/ 3Sc1/ 3  Gl. 5.68

Benutzt man diesen Ausdruck zur Berechnung der also, wie erwartet, eine Beziehung Sh = F(Gr, Sc).
Ableitung Für etwas größere Reynoldszahlen und einzelne
kugelförmige Blasen mit starrer Oberfläche in lami-
 ∂c  narer Strömung gilt
  
 ∂z ( z =0)
Sh = 2, 0 + 0, 6 ⋅ Re1/ 2 ⋅ Sc1/ 3  Gl. 5.69
in Gl. 5.63, so ergibt sich für die Sherwoodzahl Sh ein
Zusammenhang In vielen industriellen luftbegasten Reaktoren steigen
die Gasblasen als Schwärme auf, sodass sich Hydro-
Sh = F ( Sc, Gr )  Gl. 5.65 dynamik und Stofftransport deutlich von denen der
Einzelblase unterscheiden. Calderbank und Moo-
d. h. der dimensionslose Stofftransportkoeffi- Young [6] fanden in ihren Versuchen mit schwer
zient Sh ist nur eine Funktion von Sc und Gr. In löslichen Gasen in Flüssigkeiten bei chemischer
der Literatur findet man stattdessen gelegentlich Absorption zwei Bereiche. Für Blasen mit einem
dimensionslose Gruppen wie Reynoldszahl Re und Durchmesser d ≤ 2,5 mm gilt
Pécletzahl Pe. Substituiert man aber die charakte-
ristische Geschwindigkeit über die Dichtedifferenz Sh = 0, 31⋅ Gr1/ 3 ⋅ Sc1/ 3  Gl. 5.70
Δρ = (ρl – ρg), so erhält man wieder die Gl. 5.65.
Der Stofftransport an einzelnen kugelförmigen und für d > 2,5 mm
Blasen mit starrer Oberfläche kann für den Fall Re 
<< 1 und Pe >> 1 (d. h. ρl · d · /η1 << 1 << · d/DAB, Sh = 0, 42 ⋅ Gr1/ 3 ⋅ Sc1/ 2  Gl. 5.71
was impliziert, dass ηl/ρlDAB = Sc >> 1) theoretisch
berechnet werden. In wässrigen Fluiden ist die kine- Daraus folgt, dass der Stofftransportkoeffizient
matische Zähigkeit  l = ηl/ρl ungefähr 10−2 cm2/s, kl (oder Sh), bei denselben Gr und Sc, bei Blasen-
und DAB liegt für Sauerstoff bei 10−5 cm2/s. Daraus schwärmen rund 20 % niedriger ist als bei Einzel-
ergibt sich eine Schmidtzahl von ca. 103. Für Rey- blasen mit starrer Oberfläche.
noldszahlen von 10−1 bis 10−2 gilt Ist mit einer der obigen Gleichungen kl berechnet
worden, so ist noch die Austauschfläche pro Volu-
1/ 3
Sh = 1, 01 ⋅ Pe1/ 3 = 1, 01 ⋅ (νd / DAB )  Gl. 5.66 meneinheit a′ zu bestimmen, um kla′ zu erhalten.
Falls der mittlere Blasendurchmesser d (eventuell
Bei derart kleinen Reynoldszahlen ist die Geschwin- fotografisch) und die Blasenverweilzeit im Reaktor
digkeit veiner in der Flüssigkeit aufsteigenden kugel- tb ermittelt werden können, ist a′ (Koaleszenz ver-
förmigen Blase im stationären Zustand nachlässigt) gegeben durch
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
151 5

π ⋅ d 2 1 nd ⋅ qG,0 ⋅ tb 6 °C bei thermophilen Bakterien), Wärmeabfuhr


a′ = nd ⋅ qG,0 ⋅ tb ⋅ ⋅ = ⋅ bei zu starker Wärmeproduktion beim Rühren
π 3 V V d
d
6 oder durch exotherme Umsetzungsreaktionen
 Gl. 5.72 oder das Trocknen von Zellsuspensionen durch
Wasserabdampfen.
Die Wärmeübertragung kann auf verschie-
V ist dabei das Flüssigkeitsvolumen, qG,0 der Gas- dene Weise realisiert werden, z. B. mithilfe eines
strom pro Düse und nd die Anzahl der Düsen. Heiz- oder Kühlmantels, einer in den Reaktor
Tatsächlich ändert sich aber der Blasendurch- getauchten Heiz- oder Kühlschlange, durch
messer im Bioreaktor häufig als Folge der Wechsel- Abdampfen von Wasser etc. Wie bei der Stoff-
wirkungen zwischen örtlichen Fluidkräften und den übertragung liegt auch bei der Wärmeübertragung
Grenzflächenspannungen, denn Scher- und Normal- der Haupttransportwiderstand in der Flüssigkeits-
spannungen brechen Blasen in kleinere auf, anderer- grenzschicht unmittelbar an der Übertragungsflä-
seits stabilisieren die Grenzflächenkräfte die Blasen in che. Die den Wärmetransport bestimmende Flüs-
kugeliger Form (Minimierung der Grenzflächenener- sigkeitsgrenzschicht ist aber im Bioreaktor im
gie). Der größte stabile Durchmesser, der sich dabei Allgemeinen nicht identisch mit der den Stoff-
ergeben kann, wird auch kritischer Blasendurchmes- transport bestimmenden Grenzschicht. Schon
ser genannt. Das Verhältnis zwischen den fluiddyna- deshalb können aus globalen Transportkoeffizi-
mischen Eigenschaften und der Grenzflächenspan- enten, die am Reaktor gewonnen wurden, keine
nung beschreibt die Weberzahl We (Gl. 5.23), die mit Analogieschlüsse gezogen werden.
dem kritischen Blasendurchmesser gebildet, die kriti- Für die Bestimmung des Wärmestroms Q W, der
sche Weberzahl Wekr ergibt. Für ein reines Luft/Was- in einer vorgegebenen Konfiguration auftritt, geht
ser-System hat Wekr ungefähr die Größe 1. man von der folgenden Gleichung aus:

Q W = k W ⋅ A ⋅∆T  Gl. 5.73


5.4 Wärmeübergang im Bioreaktor
Darin ist kW der Wärmetransportkoeffizient, A die
Verglichen mit dem Transport von Stoff und Impuls ist Austauschfläche und ΔT die treibende Temperatur-
dem von Wärme in Bioprozessen bisher nur geringe differenz. Der Gesamtwärmewiderstand 1/kW ist im
Aufmerksamkeit geschenkt worden. Ein Grund dafür Allgemeinen die Summe von Einzelwiderständen.
mag die Annahme sein, es könnten die bei newton- Im Falle des Wärmedurchtritts durch eine ebene
schen Fluiden bekannten Analogien zwischen den Schicht der Dicke d lautet er
Transportvorgängen für Impuls, Stoff und Wärme
auch bei Fermentationsbrühen angewandt werden. 1 / kW = 1 / α1 + d / λ + 1 / α2  Gl. 5.74
Diese Annahme ist allerdings nur solange richtig, als
die Fermentationsbrühen sich wie newtonsche Fluide wobei α1 und α2 die Wärmeübergangszahlen vor und
verhalten. Somit besteht noch ein Defizit an grund- hinter der Schicht und λ die Wärmeleitfähigkeit der
sätzlichen Untersuchungen zum Wärmeübergang, Schicht bedeuten.
was insbesondere die stark viskoelastischen Fermen- Wird die Wärmeübergangszahl jeweils durch λ
tationsbrühen in begasten Bioreaktoren betrifft. Im und d dimensionslos gemacht, so erhält man mit
Folgenden muss deshalb mehr als bisher auf andere
Geometrien und auf Ergebnisse der chemischen Ver-
α⋅d  Gl. 5.75
fahrenstechnik zurückgegriffen werden. Bi =
λ
Es gibt viele Gründe, warum einem Bioreak-
tor Wärme zu- oder abgeführt werden muss. Einige die Biotzahl. Handelt es sich bei dem Medium vor der
Beispiele sind die Hitzesterilisation, das Einstel- Schicht um eine Flüssigkeit und macht man α durch
len optimaler Arbeitstemperaturen (z. B. 55–66 λ1, die Wärmeleitfähigkeit der Flüssigkeit, und d1,
152 H. Chmiel und E. Walitza

die Dicke der Flüssigkeitsschicht, dimensionslos, so 1/ 3


Nu = 3, 663 + 1, 613 ⋅ Re ⋅ Pr ⋅ d / L  Gl. 5.83
ergibt sich die Nusseltzahl

α ⋅ d1 Im Rührkessel kann der Wärmeübergang mit einem


Nu =
λ1  Gl. 5.76 der Gl. 5.82 ähnlichen Typ beschrieben werden:

In der angelsächsischen Literatur wird für die Dar-


 η d
stellung der Wärmeübergangscharakteristik im All- Nu = a ⋅ Reb ⋅ Pr c ⋅  1   Gl. 5.84
gemeinen die Stantonzahl St oder die Colburnzahl  ηw 
j verwendet:
5 Unterschiede in den Koeffizienten a, b, c, d ergeben
St = Nu ⋅ Re−1 ⋅ Pr −1 Gl. 5.77 sich bei unterschiedlicher Strömungsart (laminar,
turbulent), bei verschiedenem Rührertyp (Propel-
j = St ⋅ Pr 2 / 3  Gl. 5.78 ler-, Scheiben-, Ankerrührer) und bei unterschied-
licher Austauschfläche (Kühlschlange innen, Kühl-
Die Prandtlzahl, die in diesen Beziehungen auf- schlange außen, Reaktorinnenwand usw.). Gl. 5.83 gilt
taucht, ist eine weitere dimensionslose Einflussgröße; auch für nichtnewtonsche, aber inelastische Fluide,
sie wird nur aus Stoffgrößen gebildet wenn man anstelle der Viskosität eine für den Rührer
repräsentative Viskosität verwendet.
cp ⋅ η1 In den Standardlehrbüchern [4, 9] und Handbü-
Pr =  Gl. 5.79
λ1 chern (z. B. [21]) zur Wärmeübertragung können die
Zusammenhänge für die verschiedensten Wärme-
cp ist dabei die spezifische Wärme bei konstantem übertragungssituationen, auch für Rührkessel, nach-
Druck. Nimmt man noch die Reynoldszahl und im gesehen werden, solange mit newtonschen oder rein
Falle der Rohrströmung zusätzlich das Verhältnis der viskosen Fluiden gearbeitet wird. Hier wird deshalb
Rohrlänge zum Rohrdurchmesser (L/d) hinzu, dann auf weitere Angaben dazu verzichtet. Es muss aber
hat man einen Satz von Kenngrößen, der für viele darauf hingewiesen werden, dass wegen des Tempe-
Fälle ausreicht, den Wärmetransport anhand von Nu ratur- und des Geschwindigkeitsgradienten variable
dimensionslos zu beschreiben: Stoffwerte auftreten. Je nach dem zu behandelnden
Problem sind dementsprechende, effektive Stoffwerte
Nu = f ( Pr, Re) Gl. 5.80 zu verwenden. Wie die Letzteren aussehen, soweit
es den Geschwindigkeitsgradienten betrifft, wird an
bzw. einem Beispiel in 7 Abschn. 5.4.2 gezeigt. Den Tempe-
raturgradienten betreffend, behilft man sich meistens
Nu = g ( Pr, Re, L /d )  Gl. 5.81 mit einer mittleren Temperatur des jeweiligen Stoffes.
Im Folgenden wird noch auf zwei für Biopro-
Für newtonsche Flüssigkeiten gilt beispielsweise für zesse typische Besonderheiten eingegangen, die
die turbulente Rohrströmung Beeinflussung des Wärmeübergangs durch Bega-
sung und durch das viskoelastische Fließverhalten
Nu = 0, 012 ⋅ ( Re0,8 − 280) ⋅ Pr 0, 4 der Fermentationsbrühen.

⋅ 1 + (d /L )
0,666 
  Gl. 5.82

5.4.1 Einfluss der Begasung auf den
Wärmeübergang
(104 ≤ Re ≤ 1, 2 ⋅106;1, 5 ≤ Pr ≤ 500; L / d ≥ 1)
Häufig ist die Stoffübertragung von einem Gas in eine
Flüssigkeit, insbesondere die Sauerstoffübertragung
Für den laminaren Bereich der Rohrströmung und in die Fermentationsbrühen, ein wichtiger Bestand-
rein viskose Flüssigkeiten gilt teil eines Bioprozesses. In diesem Kapitel ist es deshalb
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
153 5
interessant zu wissen, wie sich die Begasung auf den Für den Wärmeübergang ist die Grenzschichtdi-
Wärmeübergang z. B. im Rührkessel auswirkt. cke von besonderer Bedeutung. Sie ist bei viskoelas-
In der Literatur sind dazu etwas voneinander tischen Fluiden erheblich dicker als bei nichtnew-
abweichende Ergebnisse angegeben worden. Eine tonschen, aber inelastischen, und entsprechend ist
Gruppe von Autoren fand eine Erhöhung des Wär- der Wärmeübergang verschlechtert. Beispielsweise
meübergangskoeffizienten bis zu einer bestimmten ist die Stantonzahl in einer turbulenten Rohrströ-
Rührerdrehzahl, ab welcher kein Einfluss des Gases mung für eine 1 %ige wässrige PAA-Lösung – je nach
mehr feststellbar ist. Die Wirkung des Gases, so wird Rohrdurchmesser – bis zu einem Faktor 3 kleiner
argumentiert, besteht in einer zusätzlichen Zirku- als für eine newtonsche Flüssigkeit gleicher effekti-
lationsströmung, die mit zunehmender primärer ver Prandtlzahl. Ähnliches wurde im Rührreaktor
Turbulenz immer weniger wirksam wird. Andere für sogenannte Bingham-Flüssigkeiten – das sind
Autoren fanden unterhalb einer kritischen Rührer- Flüssigkeiten mit einer Fließgrenze – beobachtet.
drehzahl ebenfalls eine Erhöhung der Wärmeüber- Als Ursachen dieses Verhaltens werden der Einfluss
tragung mit zunehmender Begasung. Oberhalb der der Elastizität auf die Charakteristika der Grenz-
kritischen Drehzahl, wenn bei fester Rührerdrehzahl schichten zwischen turbulentem Kern und der Wand
die Begasung verändert wurde, ergab sich bei abneh- und die Qualität der Turbulenzballen genannt. Die
mendem Gasvolumenstrom eine Abnahme der Wär- beteiligten physikalischen Mechanismen sind jedoch
meübertragung. Für Gasvolumenströme größer als noch unklar.
ein kritischer Wert zeigte sich kein Einfluss. Ursache Im Fall der voll entwickelten laminaren Rohr-
dafür könnte die Reduktion der Zirkulationsge- strömung verhalten sich viskoelastische Flüssigkei-
schwindigkeit sein, die sich aufgrund des reduzierten ten – die Wärmeübertragung betreffend – so, wie rein
Leistungseintrags bei Begasung einstellt (. Abb. 5.8). viskose oder auch newtonsche Flüssigkeiten; in dieser
Um hier Klarheit zu erlangen, sind weitere Geometrie können nämlich keine von den Normal-
grundsätzliche Untersuchungen notwendig. Soweit spannungsdifferenzen induzierten Sekundärströme
bisher bekannt, ist der Einfluss der Begasung auf die auftreten. Anders ist es in Bioreaktoren, bei denen
Wärmeübertragung mit 20 bis 30 % bei newtonschen wegen ihrer im Allgemeinen komplizierten Geomet-
Flüssigkeiten aber gering und hat vermutlich auch rie das Auftreten von Sekundärströmen eher die Regel
deshalb nur wenig Beachtung gefunden. Bei visko- als die Ausnahme ist. Im Gegensatz zur turbulenten
elastischen Flüssigkeiten ist bisher nichts bekannt Strömung, wo eine Erniedrigung des Wärmeüber-
geworden. Hier könnte der Einfluss anders sein, und gangskoeffizienten auftritt, ergibt sich im Lamina-
er verdient durchaus Beachtung. ren mit Sekundärströmungen gemeinhin eine Erhö-
hung. Da für Bioreaktoren, soweit es den Autoren
bekannt ist, keine systematischen Untersuchungen
5.4.2 Viskoelastizität und mit viskoelastischen Fluiden im Zusammenhang mit
Wärmeübergang der Übertragung von Wärme durchgeführt wurden,
sei zum Zweck der Demonstration die Strömung in
Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Röhren mit rechteckigem Querschnitt angeführt.
viele Biosuspensionen sich rheologisch nichtnew- Diese Geometrie, mit einem Seitenverhältnis von
tonsch, vor allem viskoelastisch verhalten. Das macht 2:1, wurde von Hartnett und Xie [12] unter Verwen-
sich natürlich auch beim Wärmetransport bemerk- dung wässriger Carbopol-Lösungen (Carboxypoly-
bar. Die Vorgänge, die hierbei wirksam werden, sind ethylen) untersucht. Wenn die obere und die untere
wie beim Impuls- und beim Stofftransport wieder Fläche beheizt wurden und die schmaleren Seitenflä-
fluiddynamischer Natur. Im Laminaren sind es im chen isoliert waren, ergab sich ein Zusammenhang
Allgemeinen die Sekundärströmungen, die zusätz- zwischen der Nusselt- und der Reynoldszahl
lich zur Hauptströmung durch die bei viskoelasti-
schen Fluiden auftretenden Normalspannungsdif- Nu = C ⋅ Re0, 2  Gl. 5.85
ferenzen erzeugt werden [5]. Im Turbulenten ist es
pauschal gesprochen der Einfluss der Elastizität auf Die Konstante C zeigte sich von der Konzentra-
die turbulenten Austauschmechanismen. tion der Lösung abhängig und war bei 1000 ppm
154 H. Chmiel und E. Walitza

Gewichtsanteilen 6,0. Bei einer Reynoldszahl von viskoelastische Flüssigkeiten an, und zwar verwen-
629 (die weiteren Parameter dazu sind: Pr = 126, dete er für die in f vorkommende Reynoldszahl die
L = 640 cm und dh = 1,2 cm) erhält man damit eine in 7 Kap. 4 für die Rohrströmung definierte reprä-
Nusseltzahl von 21,8. Re wird mit dem hydraulischen sentative Viskosität, für Pr eine für die Grenzschicht
Durchmesser dh und der repräsentativen Viskosität effektive Viskosität ηe
gebildet. Verwendet man statt Gl. 5.85 und 5.82, den ηe ⋅ c p
für rein viskose Flüssigkeiten bekannten Zusam- Pr =  Gl. 5.87
λ
menhang, so findet man eine Nusseltzahl von 8,7,
wodurch die starke Zunahme der Wärmeübertra- und für den dimensionslosen Geschwindigkeits-
gung durch die Sekundärströmung verdeutlicht wird. verlauf U+ im Bereich der Übergangsschicht den
5 Beim turbulenten Wärmeübergang viskoelasti- üblicherweise für viskoelastische Flüssigkeiten ver-
scher Fluide kann man sich ebenfalls bisher nur auf wendeten und experimentell verifizierten logarith-
die Ergebnisse der Rohrströmung stützen. Untersu- mischen Verlauf
chungen an Rührkesseln oder Bioreaktoren sind nur
in sehr geringer Zahl erschienen. U + = a ⋅ ln Y + + b  Gl. 5.88
Eine viel beachtete Arbeit zum Wärmeüber-
gang in turbulenter Rohrströmung mit newton- a und b in Gl. 5.88 sind Konstanten, Y+ ist der dimen-
schen Fluiden stammt von Reichardt [19]. Sie muss sionslose Abstand von der Wand
als Grundlage nahezu aller neueren Untersuchun-
y ⋅ τ w /ρ
gen auf diesem Gebiet gewertet werden. Reichardt Y += . Gl. 5.89
v
fand den folgenden Zusammenhang zwischen dem
Wärmeübergang, welcher durch die Stantonzahl St Die effektive Viskosität ηe ist aus der Fließkurve für
beschrieben wird, und dem durch den Reibungsbei- das jeweilige Fluid mithilfe der Schubspannung τe,
wert f beschriebenen Druckverlust die zwischen dem Übergangsbereich in den voll tur-
bulenten Kern und der laminaren Unterschicht auf-
α f /2 tritt, zu bilden. τe wiederum wurde empirisch als das
St = =
v ⋅ ρ ⋅ cp 1, 2 + U z+ ⋅ ( Pr −1) ⋅ Pr −1/ 3⋅ f / 2 1,08-fache der Wandschubspannung τw ermittelt. Im
Reibungsbeiwert f steckt implizit der Einfluss der
 Gl. 5.86
Elastizität. Bei viskoelastischen Fluiden kann f durch
den folgenden Zusammenhang beschrieben werden
Darin ist U+z eine für das turbulente Geschwindig-
1  E 
keitsprofil charakteristische Größe, nämlich die ( )
= 4 + 1  ⋅ log Re ⋅ f − 0, 394

dimensionslose Geschwindigkeit (U = u / τ w /ρ )
+ f  2
an der Grenze des turbulenten Kerns und v die mitt- E 2d ⋅ E2
lere Strömungsgeschwindigkeit. Die Voraussetzun- − 1 ⋅ log
2 v 
gen, die für die Herleitung der Gl. 5.86 gemacht werden
 Gl. 5.90
mussten, sind folgende:
55 Wärme- und Impulsaustausch finden nur
senkrecht zur Strömungsrichtung statt; E1 und E2 sind dabei von der Elastizität der Flüssig-
55 thermisch und hydrodynamisch vollausge- keit bestimmte Parameter der Druckverlustcharak-
bildete Strömung; teristik, d ist der Rohrdurchmesser. Auf diese Weise
55 die turbulenten Austauschgrößen für Impuls kann man sich offenbar auf die Bestimmung der
und Wärme, sogenannte turbulente, kinema- scheinbaren Viskosität beschränken, denn das vis-
tische Viskosität und turbulente Wärmeleitzahl koelastische Verhalten wird über den Druckverlust
(engl. eddy diffusivities) sind gleich. in die Gl. 5.86 eingebracht.
Bei der soeben beschriebenen und mehreren
Gl. 5.86 wurde von verschiedenen Autoren für visko- anderen Erweiterungen von Gl. 5.86 wurde angenom-
elastische Fluide erweitert. Unter Beibehaltung von men, dass die turbulente, kinematische Viskosität εm
Gl. 5.86 passte Chmiel [7] die Größen f, U+z und Pr an und die turbulente Wärmeleitzahl εH einander gleich
Kapitel 5 · Transportvorgänge in B
­ iosuspensionen
155 5
sind. Die Gültigkeit dieser Annahme ist auch Voraus-
setzung für die Gültigkeit einer Analogie zwischen
der Impuls- und der Wärmeübertragung. εm und
εH – das sei hier nur sehr kurz angemerkt, denn für
Weitergehendes muss auf die Lehrbücher der Fluid-
dynamik verwiesen werden – sind Koeffizienten zu
Beiträgen, die in den Transportgleichungen zusätz-
lich auftauchen (turbulente Spannungen und tur-
bulente Wärmeströme), wenn man mit den zeitlich
schwankenden Größen der turbulenten Strömung in
die sonst für laminare Strömungen geltenden Glei-
chungen eingeht und dann eine zeitliche Mittelung . Abb. 5.14  Colburnzahl j für die Wärmeübertragung in
vornimmt. Abhängigkeit der Reynoldszahl für wässrige Polyethylenoxid-
Wann εm = εH anzunehmen nicht mehr gerecht- Lösungen, gemessen in Rohren mit inneren Durchmessern
von 1,11 und 1,88 cm [8]
fertigt ist, wurde von Kwack und Hartnett [11]
gezeigt. Grundlage ihrer Untersuchungen waren
Messungen des Reibungsbeiwertes, des Geschwin-
digkeitsprofils und des Wärmeübergangskoeffizien- maximalen Wärmeübertragung, die unter Verwen-
ten in der turbulenten Rohrströmung viskoelasti- dung der Prandtlzahl von Wasser bei 20 °C in . Abb.
scher Flüssigkeiten. Das Verhältnis εm/εH in der Nähe 5.14 eingetragen ist.
der Wand zeigte sich stark abhängig von der Weis- Eine Weiterentwicklung Gl. 5.91 von Reichardts
senbergzahl Wn. Bei kleinen Wn ist εm/εH ungefähr Gleichung, ohne die einschränkende Voraussetzung
1. Bei großen Wn – größer als eine kritische Weissen- gleicher turbulenter Austauschgrößen, wurde von
bergzahl Wnkr – ist εm/εH wieder konstant und unge- Ghajar und Yoon [8] gegeben.
fähr 10. Dazwischen steigt es monoton an. Weiter-
hin zeigte sich eine schwache Abhängigkeit von der
Reynoldszahl. In dem Ergebnis der Untersuchun-
0,6
f /2 (1− FR)
St =
gen von Kwack und Hartnett schlägt sich die Erfah- 1, 2 + ( Pr −1) ⋅ f /2 ⋅ (9,2 Pr−0,258 + 1,2Wn 0,565 Pr−0,236)
rung nieder, dass sich mit zunehmender Elastizität  Gl. 5.91
einer Flüssigkeit der Wärmeübergang stärker ver-
schlechtert als es der Abnahme des Druckverlustes Hier ist FR = (fp − fs)/fs das Verhältnis des Unter-
entspricht, wenn man von einem analogen Verhalten schieds (fp − fs), z. B. zwischen den Widerstands-
ausgeht. Weiterhin dokumentiert sich eine maximale beiwerten einer Polymerlösung und ihrem reinen
Weissenbergzahl oberhalb der es zu keiner weiteren Lösungsmittel, zum Widerstandsbeiwert des
Erniedrigung der Transportkoeffizienten kommt, reinen Lösungsmittels fs. Die Weissenbergzahl Wn
was als die Asymptoten der maximalen Absenkung ist aus der charakteristischen Materialzeit t0 und
des Druckverlustes bzw. der Wärmeübertragung einer Systemzeit gebildet, letztere, als d/v, wiede-
bekannt ist. Bei Polymerlösungen entspricht dies rum aus dem Rohrdurchmesser d und der mittle-
einer maximalen Konzentration, ab der keine weite- ren Geschwindigkeit v . t0 wurde ermittelt durch
ren Absenkungseffekte mehr feststellbar sind. Anpassung der Fließkurve an das Powell-Eyring-
In . Abb. 5.14 sind Messungen der Colburn- Modell, welches durch den Zusammenhang
zahl j angegeben, die das eben Gesagte belegen. Es
wurde bei zwei verschiedenen Rohrdurchmessern η = η∞ + η0 − η∞ ⋅ sin h−1(t0 ⋅ γ ) / (t0 ⋅ γ )
(1,11 und 1,88 cm) gemessen, die verwendeten Flüs-
sigkeiten sind wässrige Polyethylenoxid-Lösungen.  Gl. 5.92
Die Reynoldszahl wurde bei diesen Untersuchungen
mit der Viskosität an der Wand gebildet. Zu kleinen gegeben ist. Da hier ausschließlich die stationäre
Weissenbergzahlen hin bestimmt ein der Gl. 5.81 Fließkurve eingeht, kann die so ermittelte charak-
sehr ähnlicher Zusammenhang die Asymptote der teristische Materialzeit nur als grobe Näherung
156 H. Chmiel und E. Walitza

betrachtet werden. Sowohl die Reynoldszahl (impli- [16] Pawlowski J (2004) Prozessbeziehungen bei nichtnew-
tonschen Stoffen – Kritik des Metzner-Otto-Konzepts.
zit in f auftretend) als auch die Prandtlzahl wurden
Chem-Ing-Tech 76:910–914
mit der Viskosität an der Rohrwand gebildet. Man [17] Pawlowski J (2013) Dimensional Analysis of non-Newton-
sieht, dass sehr unterschiedliche repräsentative Stoff- ian Fluids. Chem Biochem Eng 27:119–123
werte Verwendung finden. Für Fr = 0 und Wn = 0 [18] Ranade VR, Ulbrecht, J. J. (1978) Influence of polymer
sollte Gl. 5.91 in die Gl. 5.86 für den newtonschen Fall additives on the gasliquid mass transfer in stirred tanks.
AIChE J 24:796
übergehen, was nur näherungsweise der Fall ist.
[19] Reichardt H (1951) Die Grundlagen des turbulenten Wär-
Die in . Abb. 5.14 gezeigten experimentellen Über- meüberganges. Arch Ges Wärmetechn 6/7:127
gangskoeffizienten werden nach Angabe der Autoren [20] Schumpe A, Quicker G (1982) Gas solubilities in microbial
jedoch gut durch die Gl. 5.91 beschrieben. culture media. Adv Biochem Eng 24 :1–38

5 Eine sehr gute Übersicht über dimensionslose [21] VDI-Wärme-Atlas (2002) VDI-Verlag, Düsseldorf
[22] Zlokarnik M (1999) Rührtechnik. Springer-Verlag, Berlin
Kennzahlen findet man in Zlokarnik [23] und [24].
[23] Zlokarnik M (2001) Scale-up, Modellübertragung in der
Verfahrenstechnik. Wiley-VCH, Weinheim
[24] Zlokarnik M (2006) Scale-up in Chemical Engineering.
Literatur Wiley-VCH, Weinheim

  [1] Bailey JE, Ollis DF (1991) Biochemical engineering fun-


damentals. McGraw-Hill, New York
  [2] Baird MHI, Hemielec AE (1962) Forced convection transfer
around sheres at intermediate Reynolds numbers. Can J
Chem Eng 40:119
  [3] Böhme G, Stenger M (1988) Consistent Scale-up Procedu-
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ian Fluids. Chem Eng Technol 11:199–205
  [4] Bird RB, Stewart WE, Lightfoot EN (1976) Transport pheno-
mena. John Wiley & Sons, New York
  [5] Bird RB, Armstrong RC, Hassager O (1977) Dynamics of
polymeric liquids. John Wiley & Sons, New York
  [6] Calderbank PH, Moo-Young M (1961) The continuous
phase heat and mass transfer properties of dispersions.
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Rohrströmung viskoelastischer Flüssigkeiten. Disserta-
tion, Aachen
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for viscoelastic turbulent pipe flows. Chem Eng Comm
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[12] Hartnett JP, Xie C (1989) Influence of polymer concentrati-
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solutions in a 2:1 rectangular duct. AIChE Symp Series,
Heat Transfer Philadelphia 269: 454–459
[13] Metzner AB, Otto RE (1957) Agitation of non-Newtonian
fluids. AIChE J 3:3
[14] Moser A (1981) Bioprozeßtechnik. Springer, Heidelberg
[15] Pawlowski J (1971) Die Ähnlichkeitstheorie in der physi-
kalisch-technischen Forschung (Grundlagen und Anwen-
dung). Springer, Heidelberg
157 6

Bioreaktoren
Horst Chmiel und Dirk Weuster-Botz

6.1 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über mechanisch


­bewegte Einbauten (Rührkesselreaktoren) – 160
6.1.1 Bauelemente des Rührkesselreaktors – 161
6.1.2 Rührorgane und Leistungscharakteristik – 163
6.1.3 Homogenisieren und Wärmeübergang – 166
6.1.4 Stofftransport gasförmig/flüssig – 170
6.1.5 Maßstabsübertragung (scale-up und scale-down) – 171

6.2 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über Gasexpansion


(Blasensäulenreaktoren) – 175
6.2.1 Bauformen, Strömungsführung, Betriebszustände – 175
6.2.2 Leistungseintrag und Gasanteil – 177
6.2.3 Stofftransport Gas-Flüssig – 178
6.2.4 Homogenisieren – 179
6.2.5 Maßstabsvergrößerung – 180

6.3 Bioreaktoren mit Leistungseintrag über Kreislauf mit


Pumpe – 181
6.3.1 Festbett-/Fließbettreaktoren – 182
6.3.2 Membranbioreaktoren – 185
6.3.3 Fotobioreaktoren – 188

6.4 Bewegte Bioreaktoren – 196


6.4.1 Schüttelkolben und Mikrotiterplatten – 196
6.4.2 Geschüttelte Bioreaktorsysteme im großen Maßstab – 207

6.5 Parallelbioreaktorsysteme für die


Bioprozessentwicklung – 209
6.5.1 Überwachung der Atmungsaktivität bei Kultivierungen in Schüttel-
kolben (RAMOS) – 209

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_6
6.5.2 Online Überwachung in orbital geschüttelten Mikrotiterplatten
(BioLector) – 211
6.5.3 Miniaturisierte Rührkesselreaktoren (Bioreaktorblock) – 213

6.6 Spezielle Bioreaktoren – 217


6.6.1 Einweg-Bioreaktoren für Säugertierzellen – 217
6.6.2 Bioreaktoren für das Tissue Engineering – 218

Literatur – 223
Kapitel 6 · Bioreaktoren
159 6
Unter einem Bioreaktor wird ein Apparat verstan- dieser Träger im Bioreaktor essentiell, damit Subst-
den, in dem unter Mitwirkung von Biokatalysa- rate ungehindert zum Biokatalysator gelangen und
toren Stoffumwandlungen mit Enzymen, Mikro- die Reaktionsprodukte ungehindert abtransportiert
organismen oder Zellen stattfinden. Bioreaktoren werden können.
können ein sehr geringes Volumen aufweisen wie Ein möglichst feines Dispergieren einer Gas-
beispielsweise in mikrofluidischen Picoliterbiore- phase im wässrigen Reaktionsmedium ist bei vielen
aktoren zur Einzelzellkultivierung [47], aber auch Bioprozessen von großer Bedeutung, wenn die Lös-
sehr groß werden wie beispielsweise bei der biolo- lichkeit der für die biologische Umsetzung erfor-
gischen Abwasserbehandlung mit Bioreaktorvolu- derlichen Gaskomponenten in der wässrigen Phase
mina von mehreren 10.000 m3. Auch die Vielfalt der gering ist. Dies ist beispielsweise bei allen Biopro-
verwendeten Bioreaktorbauformen in unterschiedli- zessen der Fall, bei denen Mikroorganismen oder
chen Maßstäben und Ausführungen ist enorm: Mik- Zellen auf Sauerstoffatmung angewiesen sind und
rotiterplatten, Schüttelkolben, Rührkesselreaktoren, somit der Sauerstoff aus der Gasphase über die Pha-
Blasensäulenreaktoren, Festbett- und Fließbettreak- sengrenzfläche gasförmig-flüssig ständig nachge-
toren, Tropfkörperreaktoren, Membranreaktoren, liefert werden muss. Hier spielt die Erzielung einer
Fotobioreaktoren und viele mehr. großen Stoffaustauschfläche gasförmig-flüssig eine
Alle Bioreaktoren haben trotz ihrer sehr unter- große Rolle, sodass die Gasphase möglichst fein dis-
schiedlichen Bauformen bis zu fünf grundlegende pergiert werden muss. Analoges gilt beim Einsatz
Aufgaben zu erfüllen: von flüssigen, nicht mit Wasser mischbaren organi-
55 Homogenisieren schen Stoffen wie beispielsweise Pflanzenölen, die
55 Suspendieren als Kohlenstoffquellen in vielen mikrobiellen Bio-
55 Dispergieren prozessen verwendet werden. Bei Biotransformatio-
55 Energie- und Stoffaustausch mit der Umgebung nen kann es umgekehrt erforderlich sein, den in der
55 Sterilbarriere wässrigen Phase gelösten Biokatalysator als fein dis-
pergierte Wassertropfen in einer organischen Phase
Eine gute Durchmischung (Homogenisierung) ist in zu verteilen, die zur in-situ Substratbereitstellung
vielen Fällen erforderlich, um die für die biologische und Produktextraktion in einem Bioreaktor bereit
Reaktion optimalen Temperatur-, pH- und Substrat- gestellt wird.
konzentrationsbereiche an jedem Ort im Bioreaktor Der kontrollierte Energie- und Stoffaustausch
sicherstellen zu können. Nur so kann das Reaktor- über die Bioreaktorhülle mit der Umgebung stellt
volumen optimal genutzt werden. eine weitere grundlegende Aufgabe von Bioreakto-
Zellen und Mikroorganismen sind Feststoffe und ren dar. Die bei der biologischen Umsetzung frei-
müssen, wenn sie in Suspensionskultur im wässri- werdende Reaktionswärme, aber auch die in einen
gen Reaktionsmedium als Biokatalysatoren genutzt Bioreaktor eingetragene mechanische Leistung zum
werden, möglichst gut suspendiert werden, um das Homogenisieren, Suspendieren und Dispergieren,
zur Verfügung stehende Reaktorvolumen optimal die letztendlich als Wärme dissipiert wird, muss über
auszunutzen. Aber auch viele Substrate werden nicht Wärmetauscher abgeführt werden, um eine für die
in gelöster Form, sondern als disperse Feststoffe zur biologische Umsetzung geeignete Temperatur im
biologischen Umsetzung in Bioreaktoren einge- Bioreaktor sicherstellen zu können.
bracht wie beispielsweise gemahlenes Stroh, Stär- Schlussendlich muss ein Bioreaktor in der Regel
kepartikel oder schlecht wasserlösliche Edukte für so gestaltet und konstruiert werden, dass alle mit
Biotransformationen. Auch diese Substrate müssen dem Reaktionsmedium in Kontakt kommenden
zur effizienten biologischen Umsetzung im gesam- Oberflächen und der gesamte Reaktorinhalt sterili-
ten Reaktionsvolumen verteilt (suspendiert) werden. sierbar sind. Darüber hinaus müssen alle Stoffströme,
Weiterhin werden Enzyme oftmals in Trägerparti- die in den Bioreaktor hineingehen oder diesen ver-
keln mit wenigen 100 µm Durchmesser immobili- lassen, wie beispielsweise Substrat- und Produktlö-
siert. Auch hier ist gegebenenfalls das Suspendieren sungen oder die Gasphase sterilisierbar sein, sodass
160 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

die Bioreaktorhülle zusammen mit den zur Sterilisa- 6.1 Bioreaktoren mit
tion von Stoffströmen notwendigen Sterilfiltern eine Leistungseintrag über
Sterilbarriere darstellt. Ziel ist der Ausschluss von mechanisch bewegte Einbauten
Kontaminationen durch Fremdorganismen aus der (Rührkesselreaktoren)
Umgebung während des Betriebs und häufig auch die
Verhinderung der Freisetzung der (wertvollen) Pro- Werner Himmelsbach
duktionsorganismen in die Umgebung.
Zum Homogenisieren, Suspendieren und Dis- Der Rührreaktor ist der Standardapparat für die
pergieren müssen fluide Phasen im Bioreaktor industrielle Biotechnologie zur Herstellung groß-
transportiert und intensiv miteinander in Kontakt volumiger Produkte wie beispielsweise Enzyme,
gebracht werden. Hierzu ist Energie erforderlich. Aminosäuren, Polysaccharide, Antibiotika oder
Daher ist es konsequent, die vielfältigen Baufor- Pharmawirkstoffe. Der gerührte Bioreaktor wird
men von Bioreaktoren nach Art des Energieeintrags überwiegend im Zulaufverfahren (engl. fed-batch)
6 in verschiedene Gruppen zu klassifizieren. Hierbei betrieben. Der Prozess wird dabei mit einem Teil-
können folgende klar voneinander abgegrenzte Bio- volumen begonnen und zunächst die Biomasse ver-
reaktorgruppen unterschieden werden. Es gibt Bio- mehrt. Dann wird weiter Nährlösung zudosiert,
reaktoren, bei denen der Energieeintrag bis das Endvolumen und der geforderte Stoffum-
55 durch mechanisch bewegte Einbauten satz erreicht sind. Reiner Satzbetrieb (engl. batch),
55 durch Expansion einer Gasphase oder bei dem das gesamte Nährmedium vorgelegt wird,
55 durch einen Kreislauf mit Pumpe ist eher die Ausnahme, ebenso der kontinuierliche
erfolgt. Betrieb.
Bei Rührkesselreaktoren wird die Energie zum Eine wesentliche Aufgabe des Rührkesselreaktors
Homogenisieren, Suspendieren und Dispergieren ist die Versorgung von Mikroorganismen mit Sauer-
durch mechanisch bewegte Einbauten (Rührorgane stoff, der aus der zugeführten und vom Rührorgan
auf einer rotierenden Achse) eingebracht. Bei Blasen- dispergierten Gasphase (in der Regel Luft) in die
säulenreaktoren geschieht der Energieeintrag durch wässrige Lösung zu bringen ist. Die Gelöstsauerstoff-
Expansion einer Gasphase, die über Gasverteiler konzentration darf an keiner Stelle im Rührreaktor
am Boden des Bioreaktors fein dispergiert wird. Bei einen kritischen Wert unterschreiten, da ansonsten
Festbett-, Fließbett- und Membranreaktoren sowie die Mikroorganismen ihre Produktivität einbüßen
vielen anderen Bioreaktoren erfolgt der Energieein- und in manchen Fällen auch nicht wiedererlangen.
trag durch eine oder mehrere Pumpen, die das Reak- Des Weiteren sind überall im Rührreaktor optimale
tionsmedium im Kreislauf transportieren. Reaktionsbedingungen für die Organismen sicher-
Geschüttelte Bioreaktoren stellen einen Sonder- zustellen. Hierzu dient eine möglichst große Homo-
fall der ersten Gruppe dar, da hierbei der Energie- genität nicht nur der Gelöstsauerstoffkonzentration,
eintrag durch mechanische Bewegung des gesamten sondern auch der Substratkonzentrationen, des pH
Bioreaktors erfolgt. und der Temperatur. Letztere erfordert die Abfuhr
Im Folgenden werden in diesem Kapitel die drei der Wärme aus dem Stoffwechsel der Mikroorganis-
genannten Bioreaktorklassen sowie geschüttelte Bio- men (etwa 500 kJ/mol umgesetzten Sauerstoff O2)
reaktoren jeweils getrennt voneinander behandelt, und der eingetragenen Rührleistung, die vollständig
die wesentlichen Eigenschaften im Hinblick auf die als Wärme dissipiert wird. Im industriellen Maßstab
oben genannten Grundaufgaben beschrieben und führen Wärmetauscher innerhalb des Rührreaktors
die Vorgehensweisen zur Maßstabsvergrößerung die Wärme ab.
von Bioprozessen mit den jeweiligen Bioreaktoren Diese Anforderungen können nur dann optimal
erläutert. Sterilisationsverfahren und die Konstruk- erfüllt werden, wenn das Rührwerk und der Behäl-
tionsprinzipien von Bioreaktoren und Apparaten zur ter mit allen funktionalen Einbauten in ihrem
Sicherstellung einer Sterilbarriere werden im darauf Zusammenwirken betrachtet werden. Darüber
folgenden 7 Kap. 7 beschrieben. hinaus sind die Anforderungen des Sterilbetriebs zu
Kapitel 6 · Bioreaktoren
161 6
berücksichtigen, ebenso die betriebssichere Ausfüh- Rührwerk auf dem Behälterflansch befestigt ist. Die
rung aller Bauteile. Die genannten Aspekte werden Rührwelle überträgt die Leistung zu den Rührorga-
im Folgenden näher erläutert. nen. Unten ist die Welle meist in einem Gleitlager
geführt, das einen Teil der Radialkräfte der Rühr-
organe aufnimmt, was zu einer kostengünstigeren
6.1.1 Bauelemente des Gesamtkonstruktion führt. Innerhalb des Behälters
Rührkesselreaktors befinden sich Stromstörer, häufig Wärmetauscher
(Rohrbündel oder Schlangen) und Vorrichtungen
Werner Himmelsbach zur Einspeisung der Gasphase, von Substraten und
zur pH-Regelung sowie Messsonden (Temperatur,
Gerührte Bioreaktoren überdecken einen Größen- Gelöstsauerstoff, pH).
bereich von bis zu 50 m3 für die Herstellung von Bei der Auslegung eines gerührten Bioreaktors
Impfgut (engl. seed) und bis rund 1000 m3 für die werden die mechanischen Beanspruchungen häufig
Produktion. . Abb. 6.1 zeigt die wesentlichen Kom- unterschätzt: der Konstruktionsdruck der Behälter
ponenten eines solchen Rührreaktors. Der meist liegt bei rund 3 bar. Eine statische Auslegung auf
schlanke Behälter ist über Pratzen, Tragringe oder diesen Lastfall erfordert auch unter Berücksichtigung
eine Standzarge fixiert. Das von oben eingebaute des Rührwerkgewichts nur sehr dünne Wandstär-
Rührwerk besteht aus dem Antriebsstrang mit Motor ken. Hinzu kommen aber dynamische Belastungen
und Getriebe und der Lagerlaterne, in der sich auch in Form von Biege- und Drehmomenten, die über
die Wellenabdichtung befindet und mit der das die Rührwelle und die Lagerlaterne in den Behälter-
deckel übertragen werden. Auch die Einbauten sind
hohen dynamischen Belastungen durch die turbu-
lente Strömung im Behälter ausgesetzt, liegen doch
die spezifischen Rührleistungen in Produktionsre-
aktoren in der Größenordnung von 0,5–8 kW/m3.
Die Flächenbelastung p eines angeströmten Bauteils
ergibt sich aus der bekannten Beziehung
ρ
p = Cw ⋅ ⋅ u 2  Gl. 6.1
2
wobei der jeweilige Widerstandsbeiwert Cw der Lite-
ratur zu entnehmen ist [71]. Neben der dynamischen
Druckbelastung auf solche Einbauten ist zu berück-
sichtigen, dass die Drehfrequenz der Rührwelle und
die Blattpassierfrequenz als dominante Erregerfre-
quenzen alle genannten Bauteile in ihrer Eigenfre-
quenz zum Schwingen anregen können. Ein weiterer
Erreger ist die Wirbelablösung bei der Umströmung
von Bauteilen (Karman-Wirbel), deren Frequenz
u
f W = Sr ⋅  Gl. 6.2
b
ist, wobei der jeweilige Betrag der Strouhal-Zahl
Sr von der Geometrie des umströmten Körpers
abhängt. Insbesondere bei komplexeren Bauteilen
. Abb. 6.1  Prinzipskizze eines gerührten Bioreaktors mit liefert die numerische Strömungssimulation (CFD)
Bauelementen zuverlässige Werte der örtlichen Geschwindigkeiten,
162 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

aus denen dann unmittelbar auch die Druckvertei- Rohrbündelwärmetauschers aus einer FE-Analyse.
lung oder Flächenlast mit ihrer örtlichen Auflösung So ermittelte Schwachpunkte wie unzulässige Span-
abgeleitet werden kann. nungen, Verformungen oder Resonanz können dann
Bei Übereinstimmung von Erreger- und Eigen- durch einfache konstruktive Maßnahmen vermie-
frequenz sind Resonanzschwingungen die Folge. den werden.
Schäden treten meist schon nach kurzer Zeit auf. Je nach Verwendungszweck der Endprodukte
Die Folgekosten betreffen nicht nur Reparaturen und des Fermentationsprozesses können sich hohe
Umbauten. Produktverlust und Produktionsausfall- Anforderungen an die steriltechnische Ausführung
kosten können diese bei weitem übertreffen. Auch des Rührwerks ergeben. Insbesondere die Rühr-
der gesamte Behälter mit seiner Tragkonstruktion werksdichtung, Flanschkupplung, Rührorganbefes-
stellt ein schwingfähiges System dar, das in seiner tigung und Oberflächengüte der produktberührten
Eigenfrequenz angeregt werden kann. Um dem vor- Rührwerkskomponenten sind hier zu überprüfen.
zubeugen, sollte zur Bestimmung der Eigenfrequenz Das Gleiche trifft auch für den Behälter und seine
6 von Behälter und Rührwerk eine Schwingungsana- Bauteile zu.
lyse oder eine Finite-Elemente (FE)-Berechnung . Abb. 6.3 zeigt die Ausführung einer doppelt
durchgeführt werden. wirkenden Gleitringdichtung mit Sterilinstallation.
Gegebenenfalls kann die Eigenfrequenz Die Funktion der Sperrflüssigkeit übernimmt ste-
durch konstruktive Maßnahmen beeinflusst und riles Kondensat. Damit der Schmierfilm im Dicht-
so die Betriebssicherheit der Anlage gewährleis- spalt der Gleitringe nicht durch partielles Verdamp-
tet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das fen abreißt, wird das Kondensat vor Eintritt in die
umgebende Fluid die Eigenfrequenz eines Bauteils Dichtung abgekühlt. Die Gleitringdichtung ist mit
gegenüber der üblichen Berechnung drastisch her- Kondensat gefüllt und über zwei Leitungen mit
untersetzt (Fluid-Struktur-Kopplung) [151, 152]. einer Vorlage verbunden. Die Umwälzung des Kon-
. Abb. 6.2 zeigt beispielhaft die Verformungen eines densats gewährleistet eine in die Gleitringdichtung
integrierte Pumpe. Die Sterilisation erfolgt nach
dem Austritt aus der Dichtung durch zuströmen-
den Frischdampf, der die Umwälzung unterstützt.
Im Vorratsgefäß reichert sich durch den nachströ-
menden Dampf Kondensat an, bis der Druck dem
des Dampfnetzes entspricht. Überschüssiges Kon-
densat wird am Vorratsgefäß abgeleitet. Die Kühlung
der Sperrflüssigkeit im Vorlauf der Dichtung führt zu
einem Druckabfall und damit zu einer erneuten Ste-
rilisation durch den nachströmenden Dampf, der das
System wieder aufheizt. Die Häufigkeit dieses Sterili-
sierungsvorgangs kann über den Kühlwasserdurch-
satz geregelt werden. Im Stillstand wird die Gleitring-
dichtung mit Sattdampf beaufschlagt und sterilisiert.
Für sterile Bedingungen konzipierte lösbare
Flanschkupplungen und Rührorganbefestigun-
gen zeigt beispielhaft . Abb. 6.4. Hierbei werden
an der Flanschkupplung noch vorhandene Spalte
über spaltarme O-Ring-Abdichtungen und bei der
Rührorganbefestigung durch Schweißen auf ein
. Abb. 6.2  Von der Konstruktion eines Rohrbündels
(links) zum numerischen Computermodel mit dem Resultat Minimum reduziert. Zu weiteren Fragen zum Ste-
der Finite-Elemente-Analyse (rechts). Die Farben im Beispiel rildesign von Bioreaktoren (Fermentern) sei auf
zeigen die örtlichen Verformungen 7 Kap. 7 verwiesen.
Kapitel 6 · Bioreaktoren
163 6

. Abb. 6.3  Installation der


Sterildichtung (doppelt wirkende
Gleitringdichtung EKATO ESD44S)

6.1.2 Rührorgane und


Leistungscharakteristik
)ODQVFKNXSSOXQJ

Werner Himmelsbach

In der Rührtechnik begegnet man einer großen


Vielfalt von Rührorganen für die unterschiedlichs-
ten Einsatzgebiete. Beispiele hierfür findet man
in .  Abb. 6.5. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Rühr-
organe nach den folgenden Gesichtspunkten zu
kategorisieren:
55 primär erzeugte Strömungsrichtung – axial,
radial oder tangential,
55 wandgängige und nichtwandgängige
25LQJ$EGLFKWXQJ
Rührorgane,
5KURUJDQEHIHVWLJXQJ 55 Umfangsgeschwindigkeit und
3UIERKUXQJ 55 Zähigkeits- oder Strömungsbereich – laminar,
turbulent oder Übergangsbereich

Neben Standardausführungen kommen zunehmend


auch Rührorgane zum Einsatz, die individuell für
spezifische Aufgaben entwickelt wurden, siehe bei-
3UI
spielsweise [36].
QXWH
In der Praxis hat die Charakterisierung von
EHL%HKlOWHUPRQWDJHYHUVFKZHL‰W Rührorganen nach der primär erzeugten Strö-
. Abb. 6.4  Sterilausführung einer lösbaren mungsrichtung die größte Bedeutung. Wie der Ver-
Flanschkupplung und einer Rührorganbefestigung gleich in . Abb. 6.6 zeigt, induziert beispielsweise
164 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

. Abb. 6.5  Beispiele für Rührorgane


in unterschiedlichen Einsatzgebieten.
Konventionelle Rührorgane:
Propeller (1), Schrägblattrührer
(2), Scheibenrührer (3), Wendel (4),
Intermig (5); Hochleistungsrührer:
Paravisc (6), Combijet (7), Phasejet (8),
Isojet B (9)

der Scheibenrührer eine radiale Strömung, während durchmischte Zone um das Rührorgan mit zwei
der Propellerrührer eine axiale Strömungsrichtung stabilen Ringwirbeln aus. Zwischen diesen einzel-
erzeugt. nen Kompartments findet allerdings nur ein relativ
Bei konventionell ausgelegten Anlagen wurden geringer Stoffaustausch statt. Folglich nimmt die
industrielle Rührbioreaktoren bisher meist mit Mischzeit für den gesamten Reaktor mit zunehmen-
mehrstufigen Scheibenrührern ausgeführt, wobei dem Schlankheitsgrad des Behälters deutlich zu. Es
das Verhältnis von Rührer- (d2) zu Behälterdurch- können sich dadurch Inhomogenitäten beispiels-
messer (d1) 0,3–0,5 beträgt. Bei mehrstufiger Anord- weise beim pH oder der Verteilung von Nährstof-
nung von Scheibenrührern kommt es allerdings fen einstellen, was das Regelverhalten dieser Größen
zu einer Kompartmentbildung im Rührkesselre- negativ beeinflusst.
aktor. Hierbei bildet zwar jede Rührstufe eine gut Die Leistungsaufnahme eines Rührers berech-
net sich zu

P = Ne ⋅ ρ ⋅ n3 ⋅ d 25  Gl. 6.3

Die Newton-Zahl Ne wird als Funktion der Re-Zahl


experimentell ermittelt. Im turbulenten Strömungs-
bereich gilt Ne = konstant, im laminaren Bereich ist
Ne ~ 1/Re, dazwischen liegt der Übergangsbereich
(. Abb. 6.7).
. Abb. 6.6  Flüssigkeitsströmung im Rührkesselreaktor für Bei Begasung ändert sich der Leistungsbei-
axial fördernde Propellerrührer (links) und radial fördernde wert (Newton-Zahl). Dieser Zusammenhang lässt
Scheibenrührer (rechts), nach [182] sich ebenfalls dimensionslos als Funktion der
Kapitel 6 · Bioreaktoren
165 6
„Überflutung“ durch die Gasphase kommt, wodurch
diese nicht mehr vollständig dispergiert wird. Die
Gasphase steigt stattdessen in relativ großen Blasen
entlang der Welle auf. Dieser Zustand muss vermie-
den werden, weil der kLa beim Überfluten des Rühr-
organs drastisch absinkt.
Flutgrenzen lassen sich ebenfalls dimensionslos
als QF = (Fr, d1/d2, C) darstellen, wobei C die Eigen-
schaften des eingesetzten Rührers und allgemeine
Geometriefaktoren zusammenfasst [52].
Die Schwächen der traditionellen Scheibenrüh-
rer können mit einer Kombination aus einem radial
. Abb. 6.7  Leistungscharakteristik verschiedener fördernden Primärdispergierer für die eingespeiste
Rührorgane: 1 EKATO Paravisc, 2 Scheibenrührer Sechsblatt,
Luft (beispielsweise Ekato Phasejet) und einem axial
3 Schrägblattrührer Vierblatt (h2/d2 = 0,125), 4 Intermig
07 zweistufig, 5 Propellerrührer dreiflügelig, 6 Intermig 09
fördernden Sekundärrührer (beispielsweise Ekato
zweistufig Combijet) umgangen werden (. Abb. 6.9).
Beide Rührorgane gehören zur Familie der
Konkavrührer und zeichnen sich durch ein stabi-
Froude-Zahl Fr und der Begasungskennzahl Q dar- les Betriebsverhalten hinsichtlich der Leistungsauf-
stellen (siehe . Abb. 6.8). nahme aus (siehe . Abb. 6.8). In vielen Fällen kann
Beim Scheibenrührer fällt der Leistungseintrag das Rührwerk mit fester Drehzahl für wechselnde
unter Begasung sehr stark ab. Der Motor muss dann Begasungsfälle wie auch für den unbegasten Betrieb
auf den Leistungseintrag im unbegasten Fall ausge- ausgelegt werden, was sich günstig auf die Investi-
legt werden, was zusätzliche mechanische Sicher- tionskosten auswirkt. Die Flutgrenze des Phase-
heiten und damit Kosten nach sich zieht. Alter- jet liegt – verglichen mit dem Scheibenrührer – bei
nativ lässt sich auch ein Frequenzumformer oder wesentlich höheren Begasungsraten. Dies bietet ein
polumschaltbarer Motor installieren. Bei fester Potenzial für Kapazitätserweiterungen. Der Com-
Drehzahl ändert sich mit wechselnden Begasungs- bijet erzeugt hauptsächlich axiale Strömungskom-
raten während der Prozesszeit die Leistungsauf- ponenten. Dadurch ergibt sich ein rascher kon-
nahme. Eine optimale Auslegung hinsichtlich der vektiver Stofftransport zwischen den einzelnen
Sauerstoffeintragsleistung OTR wird damit schwie- Rührerstufen. Die Mischzeiten lassen sich bei glei-
rig. Ein weiterer Nachteil des Scheibenrührers bei chem Leistungseintrag und Luftdurchsatz mehr als
dieser Rühraufgabe liegt darin begründet, dass es halbieren. Die höhere Homogenität im Bioreaktor
mit steigenden Begasungsraten relativ rasch zur zahlt sich nicht nur über ein stabileres Regelverhal-
ten aus. Gleichmäßigere Reaktionsbedingungen

. Abb. 6.8  Abfall des Leistungsbeiwerts für verschiedene . Abb. 6.9  Moderne Begasungsrührer: Phasejet mit
Rührorgane mit zunehmender Begasung rotierendem Gasverteiler (unten) und drei Kombijets
166 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

für die Biokatalysatoren erhöhen auch deren Pro-


duktivität und führen zu einem verminderten
Nebenproduktspektrum.
Die mit dem Rührorganen eingebrachte mecha-
nische Energie bewirkt in Form von laminaren und
turbulenten Scherkräften einerseits die erwünschte
Zerteilung von Gasblasen, kann andererseits jedoch
auch zur unerwünschten Zerstörung von Zellver-
bänden führen, wenn die erzeugten Mikrowirbel
die Größenordnung des betrachteten Teilchens
erreichen. Im wässrigen Medium entstehen bei
den üblichen Leistungseinträgen Mikrowirbel,
die bei Hefen und Bakterienzellen im Allgemei-
6 nen keine mechanischen Schädigungen hervorru-
fen. Bei myzelbildenden Mikroorganismen oder
bei der Bildung von Pellets oder Zell-Clustern,
die die Größe der Einzelzellen um ein Vielfaches . Abb. 6.10  Isoenergetische Linien ε/ε für verschiedene
Rührertypen (für Re > 104; mit ε = P/Vρ) nach [43]
überschreiten, können dagegen Beschädigungen
der Zellverbände mit negativen Auswirkungen auf
die Produktivität auftreten. Abhilfe schaffen hier
scherarme Rührsysteme, mit denen die erforder- Rührsysteme hinsichtlich der Scherbeanspruchung.
liche Leistung möglichst gleichmäßig eingetra- Es lässt sich darüber hinaus der Mikromaßstab der
gen wird. Dies ist dann der Fall, wenn das von den Turbulenz abschätzen,
Rührorganen bestrichene Volumen möglichst groß
ist. Scherarm sind Rührer mit hohen Leistungsbei-  v3 0, 25
λ =    Gl. 6.4
werten (Blattzahl/-höhe) in mehrstufiger Ausfüh-  ε 
rung und mit großem Durchmesserverhältnis d2/d1
[55]. und für Modellüberlegungen zur Beanspruchung
Für eine Beurteilung der Beanspruchung des Bio- der Organismen verwenden (mit λ = Größe der
katalysators im Bioreaktor ist aber die Energiedis- Mikrowirbel und v = kinematische Viskosität). Eine
sipationsrate ε maßgebend [43, 89]. Durch Berech- Faustregel besagt hierzu, dass Teilchen mit einer
nung der mittleren Energiedissipationsrate ε = P/Vρ Größe x < (3 bis 5) λ durch turbulente Schubspan-
und Messung der lokalen isotropen Turbulenzfelder nungen nicht mehr beeinflusst und damit geschä-
lässt sich die lokale Energiedissipationsrate ε berech- digt werden.
nen. Das Verhältnis ε/ε gestattet die dimensionslose
Darstellung gleich großer Energiedissipationsraten,
sogenannte isoenergetische Linien. 6.1.3 Homogenisieren und
. Abb. 6.10 zeigt dies für den Scheibenrüh- Wärmeübergang
rer (links) und den Propellerrührer (rechts). Man
erkennt, dass an den Spitzen des Scheibenrührers Werner Himmelsbach
eine wesentlich höhere lokale Energiedissipation auf-
tritt, als beim Propellerrührer und dass dies durch- Bewegen sich Mikroorganismen immer wieder
aus zur Schädigung empfindlicher Mikroorganismen durch Zonen stark unterschiedlicher örtlicher Tem-
(insbesondere Mycel) führen kann. peraturen, pH und Konzentrationen von Substra-
Heute lässt sich die Verteilung der relevanten ten, so leiden das Wachstum und die Produktivität.
Turbulenzgrößen im Behälter, insbesondere die Zusätzlich wird die Bildung von Nebenproduk-
Energiedissipationsrate ε mittels CFD berechnen. ten gefördert. Besonders ausgeprägt ist diese Situ-
Dies erlaubt nicht nur einen Vergleich verschiedener ation im Bodenbereich des Rührbehälters und in
Kapitel 6 · Bioreaktoren
167 6
der Nähe der Flüssigkeitsoberfläche. Unten wird Zum Messen der Mischgüten in Rührkesselreakto-
die Gasphase (Luft) eingespeist, auf die Oberfläche ren wird eine Vielzahl von Messmethoden benutzt.
werden oftmals die (limitierenden) Substrate zuge- Sondenmethoden für Temperatur-, pH- oder Leit-
geben. Auf Grund des hohen Partialdrucks ergibt fähigkeitsmessungen haben den Vorteil einer hohen
sich unten ein Sauerstoffüberschuss bei gleichzei- Reproduzierbarkeit. Der ermittelte Wert gilt jedoch
tigem Substratmangel, umgekehrt tendiert an der streng genommen nur für den Ort der Messung. Vor
Oberfläche der Gelöstsauerstoff gegen Null bei allem im Übergangs- und laminaren Strömungsbe-
gleichzeitigem Nährstoffüberschuss. Das Gleiche reich treten schlecht durchmischte Zonen, Ringwir-
trifft für die pH-Regelung zu: die Messstelle befindet bel und Ähnliches auf, die von Sonden möglicher-
sich meist im unteren Bereich des Rührbehälters, weise nicht erfasst werden [51]. Hier ist die visuelle
Säure oder Lauge werden aber oftmals ebenfalls Beurteilung mit Entfärbemethoden nach wie vor
auf die Flüssigkeitsoberfläche dosiert. Die daraus ein schnelles und robustes Verfahren, mit dem der
resultierende Totzeit zwischen Korrekturmittelzu- gesamte Kessel erfasst werden kann.
gabe und Messung wird durch eventuell vorhan- Die Mischzeitcharakteristik gemäß . Abb. 6.11
denen Schaum auf der Flüssigkeitsoberfläche noch zeigt die Durchmischungskennzahl n · θ als Funk-
vergrößert. tion der Reynoldszahl Re. Im turbulenten Bereich
Das Ziel der Rührerauslegung ist neben der (Re > 104) ist n · θ konstant, so dass sich die Misch-
Erzielung eines ausreichenden Stoff- und Wärme- zeit umgekehrt proportional zur Drehzahl n ändert.
übergangs eine maximale Homogenität. Zwar ist eine Dies bedeutet, dass zum Erreichen einer Mischgüte
genaue Vorhersage von Konzentrationsprofilen bei eine bestimmte Anzahl von Rührerumdrehungen
gleichzeitig auftretenden Quellen und Senken und erforderlich ist. Mit zunehmenden Viskositäten ver-
erzwungener Konvektion allenfalls mit komple- schiebt sich die Rührwerksströmung in den Über-
xen numerischen Modellen möglich. Ein Vergleich gangs- und laminaren Bereich (Re < 104), wobei eine
verschiedener Rührertypen und Anordnungen ist rein laminare Strömung (Re < 100) nur im Labormaß-
aber über die Mischzeit verhältnismäßig einfach stab erreicht wird. Dies führt zu einer Verlängerung
zugänglich. der Mischzeit, was sich im ansteigenden Kurvenver-
lauf widerspiegelt.
Gleichzeitig verdeutlicht die Mischzeitcharakte-
Mischzeit und Mischgüte ristik, dass eine Verbesserung der Homogenität durch
Die Mischzeit ist die Zeit, die zum Erreichen einer einen erhöhten Rührleistungseintrag im industriellen
definierten Mischgüte in einem Rührkessel erforder- Maßstab kaum wirtschaftlich ist. Um gemäß Gl. 6.6
lich ist. Die Mischgüte ist durch die zeitliche Ände-
rung der Konzentration eines Tracers von c0 nach
c(t) gegeben zu

c0 − c (t )
M (t ) =  Gl. 6.5
c0 − c∞

Mischzeiten sind nur für gleiche Mischgüten ver-


gleichbar, wobei ein gängiger Mischgütewert M95 =
95 % ist. Abweichende Mischgüten erfordern unter-
schiedliche Mischzeiten θX gemäß

 x 
ln 1 −
 100 
θX = θ95 ⋅  Gl. 6.6 . Abb. 6.11  Mischzeitcharakteristik in Rührkesselreaktoren
 95 
ln 1 −  mit unterschiedlichen Rührorganen im laminaren, Übergangs-
 100  und turbulenten Bereich
168 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

die Mischgüte von 95 % auf 99 % zu erhöhen, verlän- cTU


gert sich die erforderliche Mischzeit um den Faktor Rek,TU =  Gl. 6.10
Ne1/ 3
1,54. Um diese Verbesserung in der ursprünglichen
Zeit zu erzielen, müsste im turbulenten Strömungs- TÜ steht für den Wechsel vom turbulenten in den
bereich (n · θ = konstant) die Rührerdrehzahl um den Übergangsbereich. Diese kritische Reynoldszahl
gleichen Faktor 1,54 erhöht werden, was gemäß Gl. 6.3 Rek,TÜ ist um 1–2 Zehnerpotenzen höher als die-
aber einer Steigerung der Wellenleistung auf das 3,6- jenige, bei der der Anstieg des Leistungsbeiwer-
fache entspricht. tes Ne beginnt. Hier zeigt sich die Problematik der
Im turbulenten Strömungsbereich lassen sich Anwendung der Rührer-Reynoldszahl auf Durch-
die Mischzeiten für einstufige Rührorgane in mischungsvorgänge. Die Rührer-Reynoldszahl
einem Behälter mit einem Verhältnis von Füllhöhe/ beschreibt streng genommen nur die durch Druck-
Durchmesser h1/d1 ≈ 1 und axial fördernde Rührer und Zähigkeitskräfte bedingten Verhältnisse am
berechnen: Rührorgan selbst, ist aber für den gesamten Behälter-
6 inhalt nicht repräsentativ. Hierfür kann eine Behäl-
 d −2
n ⋅ θ = 5, 5 ⋅  2  ⋅ Ne−1/ 3  Gl. 6.7 ter-Reynoldszahl ReB definiert werden, die ihrerseits
 d1 
dem Kehrwert einer Fourier-Zahl entspricht:
Radialförderer weisen einen geringfügig abweichen-
1 d 2⋅ρ
den Faktor vor beziehungsweise Exponenten über ReB = = 1  Gl. 6.11
Fo θ⋅η
dem Durchmesserverhältnis auf [62, 112]. Damit
ergeben sich unabhängig vom Rührertyp die Ein- Im Übergangsbereich nimmt die Mischzeit in new-
flussgrößen auf die Mischzeit zu tonschen Medien proportional zur Viskosität zu:
1/ 3
 P −1/ 3  d1  n ⋅ θ ~ Re−1 Gl. 6.12
θ ~   ⋅   ⋅ d12 / 3  Gl. 6.8
V   d 2 
Analog zu Gl. 6.7 für den turbulenten Bereich ergibt
In schlanken Behältern werden die Mischzeiten sich im Übergangsbereich [123]:
nochmals drastisch länger, Gl. 6.7 ist mit einem Kor-
−2 / 3  2/3
rekturterm für den Schlankheitsgrad zu versehen η  p   d1 
θ ~ ⋅   
⋅   ⋅ d1−2/3  Gl. 6.13
ρ V   d 2 
 h x
n ⋅ θ ~  1   Gl. 6.9
 d 
1 Der Einfluss des Leistungseintrags und des Durch-
messerverhältnisses ist hier größer als im Turbulen-
mit x = 1,5–2,5, wobei der Wert des Exponenten ten. Paradox erscheint die Tatsache, dass umgekehrt
neben dem Durchmesserverhältnis vor allem vom zum turbulenten Bereich in größeren Behältern die
Rührertyp und der Anzahl der Rührstufen abhängt. Mischzeit kürzer wird. In größeren Behältern liegen
Außerdem wird ersichtlich, dass Behälter mit hohem höhere Re-Zahlen vor, was sich gemäß Gl. 6.12 positiv
Schlankheitsgrad h1/d1 hinsichtlich der Homoge- auswirkt. Dieser Maßstabseffekt erklärt auch, warum
nitätsanforderungen ungünstig sind. Über diesen Prozesse im Labor- oder Pilotmaßstab ungünstiger
Zusammenhang treten auch deutliche Unterschiede verlaufen können als in der Betriebsanlage.
in der Eignung von Rührern zu Tage.

Homogenisieren nichtnewtonscher
Homogenisieren newtonscher Medien Medien im Übergangsgebiet
im Übergangsgebiet Die in den vorhergehenden Abschnitten angege-
Steigt die Viskosität des gerührten Mediums und wird benen Beziehungen gelten ausschließlich für new-
dadurch eine kritische Reynoldszahl Rek,TÜ unter- tonsche Medien. In den meisten Fällen sind Fer-
schritten, so ändert sich die Mischzeitcharakteristik. mentationsmedien mit steigender Viskosität jedoch
Kapitel 6 · Bioreaktoren
169 6
nichtnewtonsch (in der Regel strukturviskos, gele-
gentlich mit Fließgrenze). Dies erschwert die Betrach-
tung der Strömungsvorgänge im Behälter, da in
Rührernähe turbulente Strömung vorherrscht, mit
zunehmendem Abstand aber der Übergang zu lami-
narer Strömung erfolgt. Im Bereich der Flüssigkeits-
oberfläche oder im Strömungsschatten von Einbau-
ten können sogar vollständig stagnierende Zonen
auftreten.
Numerische Strömungssimulationen (CFD) erlau-
ben heute mit entsprechendem Aufwand, den Verlauf
der örtlichen Viskositäten im Behälter zu berechnen
[63]. Zur Bestimmung der für den Wärmeübergang
relevanten Viskosität im Wandbereich kommen halb-
empirische Ansätze zur Anwendung [2, 36].

Wärmeübergang
Der Wärmeübergang im Bioreaktor wurde in
7 Abschn. 5.4 bereits ausführlich behandelt. Um den
Reaktorinhalt auf gleichbleibender Temperatur zu
halten, müssen die Stoffwechselwärme (Richtwert
500 kJ/mol O2) und die in Wärme umgesetzte Rühr-
wellenleistung abgeführt werden. In modernen Hoch-
leistungsbioreaktoren ergibt das 30–40 kW/m3. Hierzu
reicht die Behälterwand als Wärmeaustauschfläche bei
weitem nicht aus, zumal auch die Temperaturdifferenz
zum Kühlwasser gering ist. Zum Einsatz kommen
daher senkrechte Rohrbündel oder Kühlschlangen,
. Abb. 6.12  Doppelrohrschlangen-Wärmetauscher mit
wie in . Abb. 6.12 beispielhaft gezeigt. Die Absenkung Stromstörern und Halterungen, Finite-Elemente-Modell
der Kühlwassertemperatur mittels Kältemaschinen
deckt zwar Lastspitzen ab, vermeidet jedoch grund-
sätzlich nicht zusätzliche Wärmetauscher. Durchmesserverhältnis Rührer/Behälter. Für Rohr-
Die wärmetechnische Auslegung des Rühr- bündel- oder Spiralwärmetauscher genügt eine
bioreaktors erfolgt, wie im VDI-Wärmeatlas [165] Anpassung von c. Der Viskositätsterm berücksich-
beschrieben. Zur Ermittlung der Wärmedurchgangs- tigt die örtliche Änderung der Viskosität im Tem-
zahl k muss der Wärmeübergangskoeffizient auf der peraturprofil der Wandgrenzschicht beim Heizen
Produktseite, also auf der Wand- und Rohroberflä- oder Kühlen.
che bekannt sein. Ermittelt wird er für die Wand aus Gl. 6.14 gilt für turbulente Strömung und im
einer mit dem Behälterdurchmesser gebildeten Nus- Übergangsbereich nur für newtonsche Flüssig-
selt-Zahl Nu der Beziehung keiten. Bei der Herstellung von Antibiotika oder
Ver­dickungsmitteln wie Xanthan oder Gellan treten
αi ⋅ d1  η 0,14 hohe Viskositäten mit zusätzlich viskoelastischem
Nu = = c ⋅ Re 2 / 3 ⋅ Pr1/ 3 ⋅    Gl. 6.14
λ  η W  Verhalten auf. Hierzu und insbesondere auf die dann
notwendige Verwendung einer repräsentativen Vis-
Die Konstante c berücksichtigt den Rührorgan- kosität wird auf 7 Kap. 4 verwiesen. Von Ammanul-
typ und Geometriefaktoren wie Stufenzahl oder lah et al. [2] wird die repräsentative Viskosität an der
170 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Wärmeaustauschfläche über ein Schubspannungs- k La, der Sauerstofflöslichkeit in der Flüssigkeit


modell abgeschätzt. Auch hierfür erlauben ange- co* , L und der Gelöstsauerstoffkonzentration co ,L
2 2
passte CFD-Modelle heute eine genauere Berech- gemäß Gl. 3.54. Durch den Eintrag und Verbrauch
nung. In 7   Kap. 5 werden Besonderheiten beim an Sauerstoff stellt sich im Reaktionsmedium ein
Wärmeübergang an viskoelastische Flüssigkeiten dynamisches Gleichgewicht zwischen OUR und OTR
behandelt. ein, das zu der Gelöstsauerstoffkonzentration in der
Bei zu hohen Viskositäten sind Rohrbündel- Kernströmung co2,L führt.
oder Spiralwärmetauscher nicht mehr sinnvoll, da Die Sauerstofflöslichkeit an der Phasengrenze gas-
die Rohrzwischenräume nicht mehr durchströmt förmig/flüssig auf Flüssigkeitsseite co* ,L wird durch
2
werden. Hier wird dann allerdings durch die visko- den mittleren Sauerstoffpartialdruck zwischen Ein-
sitätsbedingte Limitierung des Stoffübergangs auch und Austritt der Luft und damit vorwiegend auch
die abzuführende Wärme begrenzt sein. durch den Betriebsdruck und die statische Höhe an
der Gaseinspeisestelle bestimmt. Daneben spielen
6 die Temperatur aber auch die Konzentration gelös-
6.1.4 Stofftransport gasförmig/flüssig ter Stoffe sowie Antischaummittel und Sub­strate eine
Rolle.
Werner Himmelsbach Die Mikroorganismen erzielen ihre maximale
Stoffwechselrate, wenn die Konzentration an gelös-
Der Stofftransport und insbesondere der Stofftrans- tem Sauerstoff co*2 ,L nicht unter eine kritische und
port Gas/Flüssigkeit wurde bereits ausführlich in für den jeweiligen Organismus typische Grenze
7 Abschn. 3.4 und 7 Abschn. 5.3 behandelt. Die spe- fällt. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Wert im
ziell für den Sauerstoffeintrag in wässrige Lösungen gesamten Reaktor eingehalten werden kann. Der
maßgebende Größe, der volumetrische Stofftrans- spezifische Sauerstoffverbrauch ist in der Regel
portkoeffizient kLa wurde in 7 Abschn. 3.4 vorgestellt. aus Pilotversuchen oder aus Daten bereits laufen-
In diesem Kapitel sollen daher technische Aspekte der Anlagen bekannt. Um die nötige Sauerstoff-
des Sauerstoffeintrags in gerührten Bioreaktoren im eintragsrate OTR zu erzielen, muss das Rühr- und
Vordergrund stehen. Begasungssystem einen ausreichend hohen kLa zur
Der für den Stoffwechsel der Mikroorganismen Verfügung stellen. Dieser wird in einem gegebe-
benötigte Sauerstoff muss vom Begasungssystem in nen Stoffsystem in erster Linie durch den spezifi-
gelöster Form zur Verfügung gestellt werden. Hierzu schen Leistungseintrag der Rührorgane P/VL und
wird Luft unterhalb der unteren Rührerstufe einge- die Gas-Leerrohrgeschwindigkeit uG beeinflusst
speist. Ein Begasungsring oder eine Lanze bei einem (siehe Gl. 3.56).
rotierenden Gasverteiler (. Abb. 6.1) sorgt für die Dabei stellt die Leerrohrgeschwindigkeit keinen
Vorverteilung der Luft, die dann an den Rührorganen wirklichen Freiheitsgrad dar, da die Luftmenge über
in feine Blasen dispergiert wird und so mit großer die Sauerstoff-Mengenbilanz weitgehend vorgegeben
Phasengrenzfläche für den Stofftransport zur Ver- ist. Die Proportionalitätskonstante C dieser empiri-
fügung steht. Für Prozesse mit tierischen oder Pflan- schen Korrelationsbeziehung (Gl. 3.56) fasst die Stoff-
zenzellen stehen spezielle Begasungsvorrichtungen eigenschaften von Gas und Flüssigkeit und die Leis-
wie beispielsweise Membranen zur Verfügung, die tungsfähigkeit des Begasungssystems zusammen.
hier jedoch nicht weiter beschrieben werden. Der Sie ist ebenso wie die Exponenten α und β für ein
Sauerstoffbedarf liegt in modernen Produktions- gegebenes System neben Stoffeigenschaften wie der
prozessen bei Spitzenwerten von OURmax = 200 bis Oberflächenspannung stark vom Koaleszenzverhal-
250 mol m–3 h–1 (6,4 bis 8 kg m–3 h–1), wobei aus Kos- ten der dispersen Phase abhängig. Wenn C, α und β
tengründen oftmals OURmax von 150 bis 180 mol m–3 nicht aus Erfahrung mit vergleichbaren Fermenta-
h–1 realisiert werden. tionen bekannt sind, müssen sie über Pilotversuche
Die volumetrische Sauerstoffübertragungsrate bestimmt werden. Die hier vereinfacht dargestellten
OTR (engl. Oxygen Transfer Rate) ergibt sich aus dem Transportvorgänge werden in 7 Kap. 5 ausführlicher
volumetrischen Sauerstoffübertragungsvermögen erläutert.
Kapitel 6 · Bioreaktoren
171 6
6.1.5 Maßstabsübertragung (scale-up Zu den chemischen Faktoren zählt die Qualität
und scale-down) der eingesetzten Medien. Während im Labormaßstab
oftmals sehr reine Substanzen verwendet werden,
Ralf Takors unterliegt die industrielle Produktion engen wirt-
schaftlichen Zwängen. Dies führt häufig zur Verwen-
Der englische Begriff scale-up bezeichnet als Ang- dung von alternativen, teils verunreinigten Medien-
lizismus im Deutschen allgemein die Übertragung bestandteilen, deren Einfluss auf die Leistungsdaten
eines Prozesses aus dem Labor- in den großvolu- des Prozesses untersucht werden muss. Auch sollte
migen (industriellen) Produktionsmaßstab. Dieser beachtet werden, dass Produktionsanlagen im Tages-
erreicht 5–20 m3 für die Herstellung von Biophar- bzw. Wochenrhythmus mit neuen Substratlieferun-
mazeutika mit Säugerzellprozessen, 5–50 m3 für die gen versorgt werden, was eine zusätzliche Quelle
Produktion von Feinchemikalien und 100–800 m3 schwankender Qualität sein kann. Im Laborbereich
für die Herstellung von Grundstoffen. Analog dazu wird meist voll entsalztes Wasser für die Kultivierun-
bezeichnet scale-down die Simulation großvolumi- gen eingesetzt. In der Produktion werden natürliche
ger Einflüsse im Milliliter- bis Liter-Maßstab des Wasserquellen verwendet, die bezüglich der Salzge-
Labors. Entsprechende Studien sollen dazu dienen, halte deutliche Abweichungen aufweisen können.
unerwünschte Effekte des Produktionsansatzes mög- Ein weiterer Unterschied stellt die Wahl des Titra-
lichst frühzeitig zu erkennen und wenn möglich zu tionsmittels dar. Während in Laboruntersuchun-
vermeiden. gen meist flüssige Komponenten wie beispielsweise
Ein scale-up ist dann erfolgreich, wenn im groß- Ammoniakwasser eingesetzt werden, kommen in
volumigen Produktionsmaßstab die gleichen Leis- der Produktion zur Vermeidung von unnötigen
tungsdaten wie in den vorangegangen Laborunter- Verdünnungseffekten auch Gase wie Ammoniak
suchungen erzielt werden. Zu beachten ist, dass aus zur Verwendung. Prinzipiell sollte beachtet werden,
wirtschaftlicher Sicht vermeintlich geringe techni- dass das Pufferpotenzial der Fermentationsmedien
sche Übertragungsprobleme schon zum Misserfolg eines Produktionsprozesses deutlich über dem eines
führen können. Ein klassisches Beispiel stellt die Laborprozesses liegt. Im Wesentlichen ist dies eine
verstärkte Neigung zur Schaumbildung im Produk- Folge der sich einstellenden mittleren Betriebsdrü-
tionsreaktor dar. Tritt diese im Produktionsprozess cke im Bioreaktor. Die liegen wegen der verwende-
unerwartet auf, können Endvolumina und damit ten Kopfdrücke und der herrschenden Wassersäule
Produktmengen und -reinheiten oftmals nicht wie meist über den Laborwerten. Dadurch steigt die Lös-
geplant eingehalten werden. Die Folge sind über- lichkeit von CO2 und damit die Pufferkapazität über
höhte Herstellkosten pro Produkteinheit, was die das CO2/HCO3–-Gleichgewicht [11].
Wirtschaftlichkeit des Ansatzes an seine Grenzen Zu den biologischen Faktoren zählt beispiels-
führen kann. weise die Anzahl der Generationen. Es ist offen-
Neben der Schaumbildung kann die Übertra- kundig, dass mehrere Stufen zur Biomasse-Her-
gung eines Prozesses vom Labor- in den industriel- stellung in einer Produktionsanlage durchlaufen
len Maßstab auch andere Größen wie beispielsweise werden müssen, bevor der eigentliche großvolu-
die Wachstumsrate, die Biomasse/Substrat-Aus- mige Produktionsprozess gestartet werden kann.
beute, die Produkt/Substrat-Ausbeute oder auch die Die Unterschiede in der Anzuchtschiene (engl. seed
Nebenproduktbildung verschlechtern. In Lara et al. train) können leicht 10–20 Generationen der Zelltei-
[96] sind einige Beispiele aufgeführt. Weitere Einbli- lung umfassen. Produktionszelllinien müssen daher
cke in die Problematik des scale-up bieten die Über- robust genug sein, um auch bei erhöhter Genera-
sichtsartikel von Junker [73], Schmidt [146], Hewitt tionszahl noch die gewünschten Leistungsdaten zu
and Nienow [60], Garcia-Ochoa und Gomez [42], liefern. Dies schließt auch die Toleranz gegenüber
Junne [7]. Einflüssen innerhalb der Anzuchtschiene im teils
Prinzipiell können die scale-up-bedingten Ein- harschen Produktionsbetrieb ein.
flüsse in chemische, biologische und physikalische Zu den physikalischen Faktoren zählen beispiels-
Faktoren unterteilt werden. weise Unterschiede in Geometrie und Ausstattung
172 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

des Produktionsreaktors gegenüber dem Laborsys- Zur Anwendung der nachstehend aufgeführ-
tem. Häufig werden in industriellen Bioreaktoren ten Kriterien wird der idem Grundsatz verfolgt.
andere Begasungs- und Rührorgane eingesetzt, als Demnach sollte eine Bedingung formuliert für das
dies im Laborreaktor der Fall ist. Unterschiede im Labor (1) den analogen Wert im Produktionsansatz
Design spiegeln wirtschaftliche Investitionsgrenzen (2) erreichen.
wie auch prinzipielle physikalische Einflüsse wider. In der Praxis hat sich für das erfolgreiche ­scale-up
So erhöht sich für eine zylindrische Bauform die von Pilzfermentationen das Kriterium der Rührer-
Außenoberfläche nicht im gleichen Maße wie das spitzengeschwindigkeit als vorteilhaft erwiesen.
Reaktionsvolumen. Dies hat zur Folge, dass höhere Für aerobe Kultivierungen mit Suspensionskultu-
Anforderungen an die Wärmeabfuhr und damit an ren wird häufig eine Kombination der oben angege-
die Größe und Bauform der zu installierenden Wär- benen Bedingungen angewendet. In Säugerzellan­
metauscher gestellt werden. Auch zeigt sich, dass sätzen ist es oftmals technisch leichter, die Vorgabe
dem Wunsch einer möglichst identischen Einstel- eines ähnlichen volumetrischen Leistungseintrages
6 lung von volumetrischen Leistungseinträgen im Pro- auch im Produktionsansatz zu erfüllen. Für mikro-
duktionssystem im Vergleich zum Laborsystem tech- bielle Produktionen im mehrere 100 m3-Maßstab ist
nische und wirtschaftliche Grenzen gesetzt sind. In dies kaum möglich. Als Konsequenz wird meist – zur
Bioreaktoren >5 m3 sind daher meist geringere volu- Erzielung ähnlich hoher kLa – die (relative) Belüf-
metrische Leistungseinträge installiert als im Labor- tungsrate erhöht, was zu einer verstärkten Schaum-
reaktor. Als Folge treten größere Mischzeiten und bildung führen kann.
damit Gradienten für Substrate, gelöste Gase und pH
in großvolumigen Reaktoren auf. Anzumerken ist,
dass die vertikale Bildung von Gradienten gelöster Ansätze zur Maßstabsverkleinerung
Gase (O2, CO2) Spiegelbild der lokalen Gaslöslich- (scale-down)
keit in Abhängigkeit vom Druck der Wassersäule im Um die möglichen, leistungsmindernden Einflüsse
Bioreaktor ist. eines scale-up bereits während der Prozessentwick-
lung zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzu-
leiten, werden scale-down-Ansätze durchgeführt.
Richtlinien für die Deren Ziel ist es beispielsweise, großvolumige Gra-
Maßstabsvergrößerung (scale-up) dienten der Sauerstoffverfügbarkeit oder Substrat-
Abgeleitet aus den Erfahrungen des chemischen versorgung in Laborstudien abzubilden. . Abb. 6.13
Apparate- und Anlagebaus wurden Richtlinien mit stellt einige Vertreter der kompartimentierten Auf-
dem Ziel formuliert, die physikalischen Einflüsse der bauten dar.
Maßstabsvergrößerung zu minimieren. Diese scale- Die Ansätze haben gemein, dass Gradienten für
up-Kriterien versuchen die äußeren Reaktionsbedin- Sauerstoff oder Substrate in einem Kompartiment
gungen für die Kultivierung der Zellen im Reaktor (2. Rührkessel oder im Strömungsrohr) künstlich
annähernd ähnlich zu gestalten. Sie sind aber im auferlegt werden und die physiologische Auswir-
Kern nicht biologisch motiviert. kung auf die Produktionsorganismen durch Pro-
In der Praxis werden meist mehrere Kriterien bennahme analysiert werden. Im Aufbau . Abb.
gleichzeitig angewandt. Die Auswahl geeigneter 6.13c behindern Einbauten die Strömung im Bio-
Kombinationen ist oftmals sensitiv und individuell reaktor. Nur durch kleine Bohrungen wird ein
durch Vorversuche zu ermitteln. Es sollte unbedingt Austausch zwischen den Segmenten zugelassen.
beachtet werden, dass einzelne Kriterien einan- Heutige Entwicklungen verfeinern diese Grundty-
der widersprechen können. Eine Auswahl gängi- pen immer weiter, etwa durch Hinzunahme meh-
ger Ansätze ist in . Tab. 6.1 aufgeführt (siehe auch rerer Strömungsrohre [99] oder Bioreaktoren im
[159]). Umlauf [21].
Kapitel 6 · Bioreaktoren
173 6

. Tab. 6.1  Übersicht über einige ausgewählte scale-up-Kriterien

Name Kriterium Bemerkung

Geometrische Ähnlichkeit Zur Formulierung der geometrischen


DT, 2  D 1/ 3
=  T, 2  Ähnlichkeit wird häufig das Höhe-zu-
DT,1  DT,1  Durchmesser Verhältnis H/D verwendet.
Rührerspitzengeschwindigkeit N1, max ⋅ DR,1 = N 2, max ⋅ DR, 2 Zur Einstellung der am besten geeigneten
(impeller tip speed) Morphologie wird dieses Kriterium besonders
in Pilzfermentationen häufig angewendet.
Volumetrischer Leistungseintrag c Nach Einsele [35] kann c = –0,37 für das
( P0 / VT )2  VT,1  nebenstehende Verhältnis aus (unbegasten)
= 
( P0 / VT )1 VT, 2  mechanischem Leistungseintrag zum
Reaktionsvolumen angenommen werden.
Sauerstofftransferrate OTR1 = OTR2 Es wird versucht, die Profile des
Sauerstofftransfers – gänzlich oder in
ausgewählten, kritischen Prozessphasen – im
Labor- und Produktionsreaktors vergleichbar
zu gestalten
Belüftungskennzahl Vair,1 Vair, 2 Die Belüftungszahl, das Verhältnis zwischen
= Belüftungsrate und dem Produkt aus
N1 ⋅ DT3,1 N 2 ⋅ DT3, 2
Rührerdrehzahl mit Reaktordurchmesser,
wird konstant gehalten.
Relative Belüftungsrate Vair,1 Vair, 2 Das oftmals mit der Bezeichnung vvm = idem
= bekannte Kriterium versucht, die relative
VT,1 VT, 2
Belüftungsrate konstant vorzugeben.
Sauerstofftransportkoeffizient kL ⋅ αO = kL ⋅ αO Der kLa ist von dem volumetrischen
2,1 2, 2
Leistungseintrag, der Begasungsrate und
der Viskosität des Mediums abhängig. Daher
kann eine Konstanz nur für ausgewählte,
sensitive Prozessphasen angestrebt werden.
Mischzeit tmix,1 = tmix,2 Die Mischzeit hängt sehr stark vom
volumetrischen Leistungseintrag, der
Reaktorgeometrie und der Viskosität
des Mediums ab. Daher ist eine analoge
Einstellung für großvolumige Prozesse meist
nicht möglich.

Indizes
1: Labor
2: Produktion
T: Innendurchmesser des Bioreaktors
R: Rührer
Parameter:
D: Durchmesser
V: Volumen
N: Rührerdrehzahl
V: Belüftungsrate
P0: Leistungseintrag im unbegasten Reaktor
174 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Mischzeiten großvolumiger Bioreaktoren liegen Dynamik in Hefen nach Glucose-Stimulus weiter-


oftmals im Bereich von 30–180 Sekunden. Entspre- geführt [163]. Ähnliches gelang für Escherichia coli
chend werden die Verweilzeiten in den Gradienten- und Corynebacterium glutamicum. Apparatetech-
behafteten Kompartimenten eingestellt. Für die Aus- nisch wurde für die schnelle Probennahme unter
legung des Strömungsrohrs aus . Abb. 6.13b sollte anderem ein Probenahmeschlauch vorgeschlagen
zusätzlich beachtet werden, dass die Bodensteinzahl [175]. Nach Aufgabe des Stimulus im Bioreaktor
Bo > 100 ist (siehe 7 Kap. 3). wurde ein Ventil geöffnet und so die Suspension
In Ergänzung zu den in . Abb. 6.13 dargestell- in den Schlauch geleitet. Durch schnelles Einfrie-
ten scale-down-Ansätzen werden ebenfalls experi- ren konnte die zelluläre Antwort dort fixiert und
mentelle Studien nach . Abb. 6.14 durchgeführt. für spätere Analysen zur Verfügung gestellt werden.
Ziel der Arbeiten ist es, die kurzfristige metabo- Alternativ wurde eine automatisierte Probennahme-
lische Antwort auf extrazelluläre Stimuli, so wie einheit entwickelt [122], die mit einer Probenahme-
sie sich beispielsweise innerhalb von Gradienten frequenz von 4–5 Hz den zellulären Metabolismus
6 eines Bioreaktors ergeben, aufzulösen. Im Unter- durch Quenchen bei ca. –20 °C unmittelbar stoppte
schied zu den Ansätzen aus . Abb. 6.13 steht somit [136]. Darüber hinaus sind auch spezielle Ventile
nicht die Aufklärung der kumulativen scale-up-Ef- für einzelne Probennahmen bekannt [61, 93, 137].
fekte eines gesamten Prozesses im Vordergrund, Ein alternativer Versuchsansatz besteht darin,
sondern die Untersuchung der kurzfristigen meta- den Stimulus nicht im Hauptreaktor sondern in
bolischen Antwort auf einzelne Stimuli. Diesbezüg- einem 2. Reaktor oder in einer speziellen Probenah-
liche Arbeiten verlangen, dass der zelluläre Stoff- meeinheit aufzugeben. Der Vorteil dieser Vorgehens-
wechsel bei Probennahme unmittelbar gestoppt weise besteht unter anderem darin, dass mehrere
wird, um nur die interessierende Zellantwort auf Stimuli untersucht werden können, ohne dass der
den Stimulus und keine unerwünschten Nebenef- Hauptprozess („Master“) gestört wird (. Abb. 6.14,
fekte der Probennahme zu untersuchen. Die Iden- rechts). El Massaoudi et al. [34] stellten das Sensor
tifizierung geeigneter Probennahme und –prozes- Reactor-Konzept vor, in dem ein Satellitenreak-
sierungsansätze ist nach wie vor ein anspruchsvolles tor („Slave“) parallel zum „Master“ betrieben wird.
Forschungsgebiet. Stimuli (auch 13C-Markierungen) wurden dort auf-
Erste diesbezügliche Arbeiten gehen auf Theo- gegeben, um so mehrfach Stoffflussänderungen im
bald et al. [162] zurück und wurden 1997 durch die Prozessverlauf zu dokumentieren. Einen ähnlichen
Auflösung und Modellierung der metabolischen

. Abb. 6.14  (a) Aufgabe des Stimulus im Bioreaktor. Die


. Abb. 6.13  (a) Aufbau des ersten 2-Kompartment- schnelle Probennahme dokumentiert die zelluläre Reaktion.
Bioreaktorsystems nach Oosterhuis und Kossen [119] Dies kann entweder durch einen Probennahmeschlauch oder
zur Untersuchung des Einflusses unterschiedlicher durch eine schnelle Ventilschaltung geschehen. (b) Aufgabe
Sauerstoffkonzentrationen, (b) Verschaltung eines des Stimulus in eine separaten Einheit. Entweder wird
Rührkesselreaktors (RK) und eines Gradienten-behafteten der Stimulus in einer Probeneinheit aufgegeben und die
Strömungsrohrs (SR) nach Sweere et al. [157, 158]), (c) kurzfristige Antwort gemessen, oder ein „Slave“-Reaktor wird
Mehrfach kompartimentierter Rührkesselreaktor nach parallel zum ‚Master‘-Reaktor betrieben und dort der Stimulus
Schilling et al. [140] (auch mittelfristig) gemessen
Kapitel 6 · Bioreaktoren
175 6
Ansatz verfolgten Aboka et al. [1] mit dem BioCur- (Reaktorvolumen bis 20.000 m3, siehe 7 Kap. 11),
ve-Konzept. Mauch et al. [107] und Buziol et al. heterotrophen Prozessen beispielsweise zur Her-
[22] waren die ersten, die eine stop-flow-Technolo- stellung von Hefen (Starterkulturen) sowie auch in
gie für die schnelle Probennahme nach Pulsaufgabe speziellen Fotobioreaktoren (Flachplattenreaktoren,
während der Probennahme vorstellten. In ähnlicher siehe auch 7 Abschn. 6.3.3) oder bei Syngasfermenta-
Weise wurde dieser Ansatz durch das BioScope-Sys- tionen eingesetzt. Die grundlegenden Eigenschaften
tem [168] übernommen. von Blasensäulenreaktoren, sowie daraus abgeleitet
deren Vor- und Nachteile insbesondere gegenüber
dem Rührkesselreaktor, sollen im Folgenden zusam-
In silico Ansätze mengefasst werden.
Die numerischen Möglichkeiten zur Simulation der
mehrphasigen Hydrodynamik und des Stofftrans-
ports verbessern sich ständig – auch für die Anwen- 6.2.1 Bauformen, Strömungsführung,
dung in großvolumigen Bioreaktoren. Der Kern Betriebszustände
diesbezüglicher Arbeiten wird computational fluid
dynamics genannt. Vrabel et al. [170] und Schmalz- Die einfachste Ausführungsform eines Blasensäu-
riedt et al. [143] waren die ersten, die Simulationen lenreaktors ist ein senkrecht stehender zylindrischer
zum mehrphasigen Stofftransport in kompartimen- Behälter, der am Boden mit einem Gasverteiler und
tierten Bioreaktoren an mikrobielle Kinetik kop- am Kopf oftmals mit einem Gasabscheider ausge-
pelten. Diese Ansätze wurde in der Folgezeit wei- stattet ist (siehe . Abb. 6.15). Die Flüssigphase wird
tergeführt und durch die Betrachtung individueller in der Regel ebenfalls am Boden des Reaktors zuge-
Zellen einer Saccharomyces cerevisiae- bzw. E. coli- führt. Im Schwerefeld sorgt der Dichteunterschied
Population verfeinert [94, 95]. Mit der zunehmenden zwischen der am Boden dispergierten Gasphase und
Stärke der Rechnerleistung werden solche Ansätze der Flüssigphase für die Durchmischung des Reak-
zukünftig sicherlich eine größere Bedeutung bekom- tionsmediums durch die aufsteigenden Gasblasen.
men. Dies ist auch nötig, um die Prädizierbarkeit für Gleichzeitig erfolgt der Stofftransport gasförmig-
eine erfolgreiche Maßstabsvergrößerung weiter zu flüssig über die Phasengrenze zwischen Gasblasen
verbessern [118]. und Flüssigphase.
Um eine definiertere Strömungsführung in Bla-
sensäulenreaktoren zu erzielen, werden diese häufig
6.2 Bioreaktoren mit mit Leitrohren ausgestattet, wobei nur ein Teil der
Leistungseintrag Querschnittsfläche begast wird (. Abb. 6.15). Diese
über Gasexpansion Bauformen werden häufig als Gaslift-Reaktor oder
(Blasensäulenreaktoren) bei Luft als Gasphase als Airlift-(Schlaufen)Reaktor
bezeichnet. Da die mittlere Dichte des Teils des
Blasensäulenreaktoren stellen Stoffaustausch- und Reaktors mit dispergierter Gasphase geringer ist als
Reaktionsapparate dar, in denen ein Gas mit einer der unbegaste Teil, stellt sich im Schwerefeld eine
Flüssigphase in Kontakt gebracht wird. Kennzeich- Umlaufströmung (Zirkulationsströmung) der flüssi-
nend für Blasensäulen ist, dass der Gasstrom in der gen Phase ein. Bei Blasensäulenreaktoren mit großer
flüssigen Phase in Form von Blasen dispergiert wird. Querschnittsfläche werden in der Regel mehrere
Blasensäulen-Reaktoren zeichnen sich durch ihre Leitrohre eingebracht. Statt eingebauten Leitrohren
einfache Konstruktion und die völlige Abwesenheit kann auch ein äußerer Umlauf durch außerhalb des
von mechanisch bewegten Einbauten aus. Dieser zylindrischen Reaktorbehälters angeordnete Rohr-
Bioreaktortyp gilt als kostengünstig im Betrieb und leitungen erreicht werden (siehe . Abb. 6.15d). In
kann auch mit großem Reaktionsvolumen betrieben jedem Fall bewirkt die definierte Strömungsführung
werden (>300 m3). In der Biotechnologie werden durch eingebrachte Leitrohre und partielle Begasung
Blasensäulenreaktoren in unterschiedlichen Baufor- eine bessere Homogenisierung der Flüssigphase und
men sowohl bei der aeroben Abwasserbehandlung damit eine deutliche Verringerung von Mischzeiten.
176 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

. Abb. 6.15  Prinzipskizzen D E F G


zu Bauformen von
Blasensäulenreaktoren: (a) einfache
Blasensäule, (b) Gaslift Reaktor
mit äußerem Umlauf, (c) Gaslift
Reaktor mit innerem Umlauf, (d)
Blasensäulenreaktor mit externem
Umlauf

6 Sterilisation und Abfuhr der Reaktionswärme einer engen Größenverteilung auf (homogene Bla-
insbesondere bei aeroben Prozessen erfolgt über senströmung). Dies führt dazu, dass die Blasenauf-
Wärmetauscher, die entweder als senkrecht ange- stiegsgeschwindigkeit nahezu einheitlich ist.
ordnete Rohrbündel in den Blasensäulenreaktor Wird die Gasleerrohrgeschwindigkeit weiter
eingebracht werden können oder bevorzugt in den gesteigert, kommt es zunehmend zu Blasenaggre-
äußeren Umlauf integriert sind (in . Abb. 6.15 nicht gaten und zur Ausbildung von großen Gasblasen,
eingezeichnet). die im Innern der Blasensäule sehr viel schneller
Als Gasverteiler kommen entweder statische aufsteigen. Diese großen Gasblasen verlieren ihre
oder dynamische Begaser zum Einsatz. Bei stati- Kugelform und ziehen beim Aufstieg im Schlepp-
schen Begasern erfolgt die Gasdispergierung durch tau kleinere Gasblasen mit (heterogene Blasen-
Poren oder Bohrungen im Gasverteiler. Zum Einsatz strömung). Die größeren Gasblasen weisen zwar
kommen Sinterplatten oder Lochplatten, bezie- aufgrund der erhöhten Relativgeschwindigkeit
hungsweise Begasungsrohre. Begasungsrohre stellen zwischen Gas- und Flüssigphase höhere Stoffüber-
im Vergleich zu Loch- oder Sinterplatten weniger gangskoeffizienten kL auf, die Phasengrenzfläche
wirksame Gasverteiler dar, da der erzielbare Gasge- und die mittlere Verweilzeit der Gasblasen in der
halt im Reaktor und die Stoffaustauschfläche gerin- Blasensäule verringern sich jedoch stark. Im hete-
ger sind. rogenen Betriebsbereich liegen damit die Umset-
Bei dynamischen Begasern handelt es sich um zungsgeschwindigkeiten fast immer niedriger als
Zweiphasendüsen in unterschiedlichsten Baufor- im (noch) homogenen Bereich, wenn der Stoff-
men, bei denen ein Flüssigkeitsstrahl in Kontakt transport gasförmig-flüssig geschwindigkeitsbe-
mit der Gasphase gebracht wird und die kinetische stimmend ist. Die Gasleerrohrgeschwindigkeit
Energie des Flüssigkeitsstrahls (Treibstrahl) genutzt beim Übergang vom homogenen zum heterogenen
wird, um die Gasphase in kleine Primärblasen zu zer- Betriebszustand ist in erster Linie von den Koales-
teilen. Anschließend koaleszieren die Gasblasen, bis zenzeigenschaften des Mediums und der Art der
ein Gleichgewichtsblasendurchmesser erreicht ist. Gasverteilung abhängig.
Beispiele für dynamische Begaser sind in der Litera- In Blasensäulenreaktoren oder innen begasten
tur beschrieben (beispielsweise [28]). Leitrohren mit geringem Durchmesser (<20 cm bei
Grundsätzlich lassen sich in Blasensäulenreakto- wässrigen Fermentationsmedien und Luft als Gas-
ren oder im begasten Teil von Gaslift-Reaktoren drei phase) können die im heterogenen Betriebsbereich
verschiedene Betriebszustände beobachten (siehe auftretenden großen Gasblasen durch die Rohrwand
.   Abb. 6.16). Bei niedrigen Gasvolumenströmen stabilisiert werden, sodass diese den gesamten Quer-
oder Gasleerrohrgeschwindigkeiten uG (hier wird schnitt ausfüllen und intermittierend als Gaspfropfen
der eingebrachte Gasvolumenstrom auf die gesamte (engl. slugs) nach oben strömen. Dieser auch Gaskol-
Querschnittfläche des begasten Teils bezogen) treten benströmung genannte Betriebsbereich ist unbedingt
nahezu gleich große, kugelförmige Gasblasen mit zu vermeiden.
Kapitel 6 · Bioreaktoren
177 6
D E

. Abb. 6.16  Betriebszustände von Blasensäulenreaktoren (linke Seite: (a) homogene Blasenströmung, (b) heterogene
Blasenströmung) und typische Betriebsbedingungen für das Stoffsystem wässriges Reaktionsmedium/Luft (rechte Seite: der
schraffierte Bereich markiert das unerwünschte intermittierende Auftreten von Gasblasen über den gesamten Querschnitt)

6.2.2 Leistungseintrag und Gasanteil Vgas ⋅ ρgas  ∆PH O 


PExp =  ⋅ R ⋅ T ⋅ ln 1 + 2 
 Gl. 6.15
M gas  PU 
Der Leistungseintrag in Blasensäulenreaktoren
erfolgt alleine durch Erzeugung einer dispersen Gas- wobei V gas den Gasvolumenstrom, ρgas die Gas-
phase am Gasverteiler und setzt sich aus bis zu vier dichte, M das Molekulargewicht des Gases, R die
gas
Anteilen zusammen: allgemeine Gaskonstante, T die absolute Temperatur,
1. Leistungseintrag durch isotherme Expansion ΔPH O die hydrostatische Druckdifferenz zwischen
2
der Gasphase, Gasverteiler und Umgebungsdruck (ΔPH O = ρL · g ·
2
2. Leistungseintrag aufgrund der Bildung von HL) und den Umgebungsdruck PU am Kopf des Bla-
Grenzflächen, sensäulenreaktors darstellen.
3. Leistungseintrag aufgrund der Trägheitskräfte Der volumenbezogene Leistungseintrag in
der verdrängten Flüssigkeit und technischen Blasensäulenreaktoren hängt damit
4. Leistungseintrag durch Verdrängung der direkt von der Höhe der Wassersäule über dem
Flüssigphase (Schubspannungskräfte). Begaser ab. Besonders bei niedriger Höhe der Was-
sersäule (<6–8 m) kann der volumenbezogene Leis-
In Blasensäulenreaktoren mit statischen Begasern tungseintrag bis zu einer Zehnerpotenz niedriger
wird der Leistungseintrag fast ausschließlich durch als in Rührkesselreaktoren derselben Größe sein.
die Expansion der Gasphase beim Aufstieg durch die Die Energie wird in Blasensäulenreaktoren jedoch
Flüssigkeitssäule bestimmt. Der Leistungseintrag sehr viel homogener verteilt als in Rührkessel-
aufgrund der Bildung von Grenzflächen sinkt beim reaktoren, da die isotherme Expansion der Gas-
Stoffsystem Wasser/Luft beispielsweise auf unter 1 % phase gleichmäßig über die gesamte Flüssigkeits-
sobald eine Wassersäule von 5 m überschritten wird, säule erfolgt.
die beiden anderen Leistungseinträge sind vernach- Der auf das Volumen der begasten Dis-
lässigbar gering. Daher lässt sich der Leistungsein- persion bezogene Gasanteil ε G verringert das
trag in Blasensäulenreaktoren einfach über die geleis- aktive Reaktionsvolumen von Blasensäulenre-
tete Expansionsarbeit PExp abschätzen aktoren und muss daher zur Abschätzung von
178 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Reaktionsgeschwindigkeiten bekannt sein. Der Gas- gasförmig-flüssig) können sich bei biologischen Pro-
anteil εG lässt sich im Betrieb von zylindrischen Bla- duktionsprozessen um Zehnerpotenzen im Prozess-
sensäulenreaktoren einfach über die Füllhöhen im verlauf ändern. Typische Gasgehalte liegen an der
begasten und unbegasten Zustand bei unveränderter Grenze zwischen homogener und heterogener Bla-
Flüssigkeitsmenge bestimmen: senströmung bei εG = 15–20 % Volumenanteil (uG ~
0,05 m s–1).
H begast − H unbegast Die sich einstellende Umlaufgeschwindigkeit der
εG =  Gl. 6.16
H begast Flüssigphase uL,gaslift bei Gaslift-Reaktoren verringert
den Gasgehalt im begasten Teil, da die Blasenauf-
Bei homogener Blasenströmung sind die Gasbla- stiegsgeschwindigkeit von dieser überlagert wird. Die
sen gleichmäßig in der Flüssigkeit verteilt, die Bla- Umlaufgeschwindigkeit lässt sich über eine Energie-
sengrößenverteilung εG ist eng und die Blasenauf- bilanz herleiten [88]:
stiegsgeschwindigkeit uB ist nahezu einheitlich. In
6 diesem Fall ist der Gasanteil direkt proportional zur uL,gaslift = C ⋅ 3 g ⋅ H ⋅ug  Gl. 6.20
Gasleerrohrgeschwindigkeit uG und umgekehrt pro-
portional zur mittleren Blasenaufstiegsgeschwindig- wobei sich die Gasleerrohrgeschwindigkeit auf den
keit uB: begasten Teil des Gaslift-Reaktors bezieht. Damit
wird Gl. 6.17 zu:
uG
εG =  Gl. 6.17 uG
uB εG =  Gl. 6.21
uB + uL,gaslift
Bei homogener Blasenströmung entspricht die Bla-
senaufstiegsgeschwindigkeit uB der Aufstiegsge-
schwindigkeit der größten stabilen Einzelblase [88]: 6.2.3 Stofftransport Gas-Flüssig

∆ρ ⋅ g ⋅σ Zur Abschätzung des volumenbezogenen Sauerstoff-


uB = 1, 24 ⋅ 4  Gl. 6.18
ρl 2 transportkoeffizienten kLa in Blasensäulenreakto-
ren ist zunächst eine Abschätzung des Primärblasen-
Bei heterogener Blasenströmung können Gasblasen durchmessers der am statischen Begaser dispergierten
nicht mehr einzeln betrachtet werden, sondern es Gasphase notwendig. Die Primärblasengröße db kann
müssen Blasenschwärme und der Flüssigkeitsrück- unmittelbar aus einem Kräftegleichgewicht zwischen
fluss berücksichtigt werden. Für den Gasanteil εG der über den Zeitraum des Blasenbildungsvorgangs
ergibt sich bei heterogener Blasenströmung zeitlich gemittelten Auftriebskraft FA der kugelförmigen
Primärblase und der entgegengerichteten Kapillarkraft
εG ~ uG n  Gl. 6.19 Fσ an der Öffnung einer Pore des statischen Begasers,
der Trägheitskraft FT der verdrängten Flüssigkeit und
wobei der Exponent n je nach Stoffsystem zwischen der Schubspannungskraft Fn aufgrund der inneren
0,4 < n < 0,7 liegt (n = 1,0 bei homogener Blasenströ- Reibung der Flüssigkeit berechnet werden [169]:
mung). Zur Abschätzung des mittleren Gasgehalts
sind bei heterogener Strömung verschiedene Glei- FA = Fσ + FT + Fη  Gl. 6.22
chungen verfügbar (siehe beispielsweise [88]). In der
Regel muss hier aber eine experimentelle Bestimmung Die einzelnen bei der Blasenbildung angreifenden
des mittleren Gasgehaltes εG im Betrieb erfolgen, da Kräfte lassen sich wie folgt formulieren:
die spezifischen Eigenschaften des Stoffsystems gas-
förmig-flüssig und hier besonders die Grenzflächen- π
FA = ⋅ ∆ρ ⋅ g ⋅ d b3  Gl. 6.23
spannung großen Einfluss auf den Gasgehalt haben. 6
Die Stoffeigenschaften (Fließverhalten des wässri-
Fσ = π ⋅ d P ⋅ σ  Gl. 6.24
gen Reaktionsmediums und Grenzflächenspannung
Kapitel 6 · Bioreaktoren
179 6

V 2 Der Korrelationsfaktor f ist eine Funktion der Rey-



FT = 1, 3 ⋅ ρL ⋅  G, P   Gl. 6.25 noldszahl der aufsteigenden Gasblasen Reb = uB ·
 d b  db/vl und beträgt f = 0,95 bei Reb > 103 [111].
VG, P Weitere Bestimmungsgleichungen zur Abschät-
Fη = 15 ⋅ η ⋅  Gl. 6.26 zung des Sauerstofftransportkoeffizienten kLa insbe-
db
sondere auch bei heterogener Gasblasenströmung
finden sich beispielsweise in [28, 88, 111]. Zusam-
wobei Δρ die Dichtedifferenz zwischen Gas und menfassend lässt sich feststellen, dass der Sauerstoff-
Flüssigkeit darstellt, dP den Porendurchmesser des transportkoeffizienten kLa sowohl im homogenen,
statischen Begasers, σ die Grenzflächenspannung als auch heterogenen Blasenströmungsbereich mit
zwischen Flüssigkeit und Gas, ρL die Dichte der Flüs- zunehmender Gasleerrohrgeschwindigkeit zunimmt:
sigkeit, V G,P den Gasvolumenstrom in der Pore und
η die dynamische Viskosität der Flüssigkeit. kLa = C ⋅uG n  Gl. 6.30
Der Gasvolumenstrom durch die Poren des sta-
tischen Begasers V G,P ist über eine Massenbilanz Insbesondere die Art des (statischen) Gasverteilers
als Funktion der Porosität εP des Gasverteilers, der und die Stoffeigenschaften bestimmen die je nach
Querschnittsfläche A des Begasers, des mittleren Anwendungsfall unterschiedlichen Proportionali-
Porendurchmessers dP und des gesamten Gasvolu- tätskonstanten C und den Exponenten n (0,7 < n <
menstroms V zugänglich: 0,92) [88].
Die Sauerstoffeintragsrate OTR lässt sich nur
π bei Kenntnis der in der Regel von der Reaktorhöhe
VG ⋅ ⋅ d P 2
VG,P = 4  Gl. 6.27 abhängigen Sauerstoffkonzentrationen in der Gas-
A ⋅ εP phase und in der Kernströmung der Flüssigphase
durch Integration über die Höhe der Flüssigkeits-
In koaleszierenden Systemen wird der Blasendurch- säule berechnen (siehe auch 7 Abschn. 3.6).
messer nicht mehr alleine durch den Primärblasen-
durchmesser bestimmt, sondern es stellt sich bei
ausreichender Höhe der Flüssigkeitssäule ein Gleich- 6.2.4 Homogenisieren
gewichtsblasendurchmesser db* ein, der bei homo-
gener Blasenströmung der größten stabilen Einzel- In Blasensäulenreaktoren steigen größere Gasblasen
blase entspricht [88]: bevorzugt in der Säulenmitte auf, sodass sich insbe-
sondere mit zunehmenden Gasleerrohrgeschwindig-
6 ⋅ σ keiten ein ausgeprägtes Strömungsprofil der Flüssig-
d b* =  Gl. 6.28
∆ρ ⋅ g phase als Funktion des Radius ausbildet. Aufgrund
des in der Säulenmitte höheren Gasgehalts und damit
Der Sauerstofftransportkoeffizient kLa kann bei geringerer mittlerer Dichte, kommt es zur Rückströ-
Kenntnis des mittleren Blasendurchmessers d b mung von Flüssigkeit in den wandnahen Bereichen
(Gl. 6.22 ff) oder db* (Gl. 6.28), der Blasenaufstiegs- (Prinzipskizze siehe . Abb. 6.17). Hierdurch kommt
geschwindigkeit u B ( Gl. 6.18), des Gasanteils ε G es zur Ausbildung von Zirkulationszellen entlang
(Gl. 6.17), des binären Diffusionskoeffizienten von der Reaktorhöhe, deren Höhe bei schlanken Blasen-
Sauerstoff in der Flüssigphase Do /W und eines säulenreaktoren oder innerhalb begaster Leitrohre
2
dimensionslosen Korrelationsfaktors f wie folgt bei Gaslift-Reaktoren etwa dem Durchmesser ent-
beschrieben werden [169]: spricht. Die Zirkulationsgeschwindigkeiten hängen
dabei wesentlich von der Gasleerrohrgeschwindig-
  D keit, dem Gasgehalt und der Viskosität der Flüssig-
 2 u ⋅d O /W 6 ⋅ ε
kLa = 2 + f ⋅ ⋅ B b  ⋅ 2 ⋅ phase ab.
 π DO / W  d b db
2 Eine stark vereinfachte Abschätzung von Kon-
 Gl. 6.29 zentrationsgradienten entlang der Wassersäule in
180 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Blasensäulenreaktoren beruht auf der Ausprägung Dax ~ uG m  Gl. 6.31


dieser Zirkulationszellen [28]. Bei dem resultieren-
den Zirkulationszellenmodell (siehe .  Abb. 6.17)
werden sowohl die Flüssigphase, als auch die Gas- Zusammenstellungen von Beziehungen zur Abschät-
phase in jeder Zirkulationszelle als ideal durch- zung axialer Dispersionskoeffizienten in Blasen-
mischt angenommen. Das Volumen der Zirkula- säulen- und Gaslift-Reaktoren sowohl für die Flüs-
tionszellen und der Gasgehalt werden ebenfalls als sigphase als auch für die Gasphase finden sich
konstant betrachtet. Darüber hinaus werden kons- beispielsweise in [30, 92, 149].
tante Austauschströme zwischen den einzelne Zir-
kulationszellen sowohl für die Flüssigphase als auch
für die Gasphase angenommen. Damit wird ein 6.2.5 Maßstabsvergrößerung
Differentialgleichungssystem 1. Ordnung (Kaska-
dierung von idealen Rührkesselreaktoren) erhalten Die oben genannten, möglichst in Technikums- oder
6 (siehe 7 Abschn. 3.8.2). Die unbekannten Rücklauf- Pilotversuchen identifizierten Dispersionsmodelle
ströme zwischen den einzelnen Zirkulationszel- können direkt zur Maßstabsvergrößerung von Bla-
len sowohl für die Flüssig-, als auch die Gasphase sensäulen- und Gaslift-Reaktoren genutzt werden.
müssen über Tracermessungen identifiziert werden. Auf die Durchführung von Technikums- oder Pilot-
Da diese stark vereinfachte aus der Beobachtung versuche kann in der Regel nicht verzichtet werden,
von Zirkulationszellen abgeleitete Betrachtung nur da Gasgehalt und Stofftransport gasförmig-flüssig
zu diskreten, mittleren Stoffkonzentrationen in jeder ganz wesentlich von den Stoffeigenschaften, ins-
der hintereinander geschalteten als ideale Rührkes- besondere dem Fließverhalten der Flüssigphase
selreaktoren betrachteten Zirkulationszellen führt, und der Grenzflächenspannung gasförmig-flüs-
werden Blasensäulenreaktoren in der Regel mit sig abhängen. Beide Stoffeigenschaften verändern
Hilfe von Dispersionsmodellen beschrieben (siehe sich oftmals sehr stark bei der biologischen Umset-
7 Abschn. 3.6). Die hierfür benötigten axialen Dis- zung. Auch die ereignisgesteuerte Zugabe von Anti-
persionskoeffizienten sind für Flüssigphase und Gas- schaummitteln während der biologischen Reaktion
phase unterschiedlich. Beide hängen primär von der führt zu dynamischen Veränderungen insbesondere
Gasleerrohrgeschwindigkeit uG ab: der Grenzflächenspannung.

D E F

. Abb. 6.17  Prinzipskizze (a) zur Flüssigkeitsströmung und (b) zur Ausbildung von Zirkulationszellen in einer Blasensäule,
sowie (c) zum daraus abgeleiteten Zirkulationszellenmodell (G Gasphase, L Flüssigphase, Erläuterungen siehe Text)
Kapitel 6 · Bioreaktoren
181 6
Aufgrund der geringen Wasserlöslichkeit von (Ausbeuten und Produktkonzentrationen) realistisch
Sauerstoff ist bei aeroben Prozessen bei der Maß- darstellen zu können, müssen die mit dem Disper-
stabsvergrößerung mit Hilfe von Simulationsstudien sionsmodell verwendeten kinetischen Ansätze (siehe
in besonderem Maße zu prüfen, ob am Kopf des Bla- 7 Kap. 2) ausreichend aussagekräftig sein.
sensäulenreaktors noch genügend Sauerstoff in der Der homogene Leistungseintrag in Blasensäu-
Flüssigphase vorhanden ist. Aufgrund des hydro- len-Reaktoren wiederum hat unmittelbare Aus-
statischen Drucks ist die Sauerstofflöslichkeit an der wirkungen auf morphologisch veränderliche bio-
Phasengrenze gasförmig-flüssig am Boden des Bla- logische Systeme. Wiebe berichtet beispielsweise
sensäulenreaktors hoch, sodass eine schnelle Ver- von einem Prozess zur Herstellung von Mycopro-
armung der Gasphase an Sauerstoff beim Aufstieg teinen für die menschliche Ernährung als Fleisch-
durch den Blasensäulenreaktor erfolgen kann (siehe ersatz mittels des Ascomycen Fusarium venena-
. Abb. 6.18). tum [178]. Moor et al. beschreiben die Kultivierung
Bei Gaslift-Reaktoren verlängert sich darüber dieses Pilzes in einem 150 m3 Gaslift-Reaktor [114].
hinaus bei der Maßstabsvergrößerung die hydraulische Da die durch aufsteigende Pressluftblasen erzeugte
Verweilzeit im Rücklauf, sodass geringe Sauerstoff- Konvektion wesentlich geringere Scherkräfte indu-
konzentrationen am Kopf des Reaktors zu Sauerstoff- ziert als ein Rührkesselreaktor und der Prozess
limitierungen im Rücklauf führen können. Darüber kontinuierlich betrieben wird, bleiben die Hyphen
hinaus ist mit Hilfe von Simulationsstudien unter dieses filamentösen Pilzes lang. Um einer möglichen
Zuhilfenahme von Dispersionsmodellen besonders bei genetischen Veränderung vorzubeugen wird nach
Substrat-limitierten Prozessen zu prüfen, wie groß die etwa 1000 Betriebsstunden der Produktionsprozess
Konzentrationsgradienten im technischen Blasensäu- unterbrochen und der Gaslift-Schlaufenreaktor
len- beziehungsweise Gaslift-Reaktor werden können. mit neuen Reinkulturen von Fusarium venenatum
Um die Auswirkungen auf den Produktionsprozess beimpft. Auf diese Weise können bis zu 300 kg h–1
Biomasse in diesem Gaslift-Reaktor erzeugt werden.
Dieses Produkt wird nach thermischer Behand-
lung zur Reduktion des RNA-Gehaltes von 10 % auf
unter 2 % unter dem Handelsnahmen QuornTM vor
allem in den USA, Frankreich, England und Schweiz
verkauft.

6.3 Bioreaktoren mit


Leistungseintrag über Kreislauf
mit Pumpe

Bei Festbett-, Fließbett-, vielen Membran- und auch


Fotobioreaktoren erfolgt der Energieeintrag im
Wesentlichen durch eine oder mehrere Pumpen,
die das Reaktionsmedium im Kreislauf transportie-
ren. Die Kreislaufführung des flüssigen Reaktions-
mediums ermöglicht dabei oftmals die einfache
Integration von zusätzlichen Funktionen wie Wär-
. Abb. 6.18  Sauerstoffkonzentrationen in der Flüssigphase metauscher zur Temperaturkontrolle oder Mess-
(rot) und an der Phasengrenze gasförmig-flüssig (schwarz) und Regelstrecken zur pH-Kontrolle des Reak-
in einem Gaslift-(Airlift-)Umlaufreaktor als Funktion der
tionsmediums in den Kreislauf. Die grundlegenden
Reaktorhöhe H (Flüssigkeitssäule). Die Linien stellen
die Sättigungskonzentrationen bei dem angegebenen Eigenschaften von Bioreaktoren mit Leistungsein-
Sauerstoffgehalt der Gasphase dar (Henry-Konstante für trag über einen Kreislauf mit Pumpe werden in den
Sauerstoff KH(O2) = 1,148 mol m–3 bar–1 bei T = 30 °C) folgenden Unterkapiteln dargestellt, wobei auch
182 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

jeweils Bioreaktorvarianten mit berücksichtigt Festbettumlauf- und Fließbettreaktoren oder Tropf-


werden, bei denen der Leistungseintrag verstärkt körperreaktoren eingesetzt (siehe 7 Kap. 11).
über mechanisch bewegte Einbauten (Rührkessel) Entsprechend vielfältig sind die verwendeten
oder durch eine Expansion der Gasphase erfolgt Trägermaterialen zur Immobilisierung von Bioka-
(Blasensäulen). talysatoren. Während bei enzymatischen Prozessen
poröse sphärische Partikel aus unterschiedlichs-
ten Materialien mit Durchmessern von 0,2–1 mm
6.3.1 Festbett-/Fließbettreaktoren mit großer innerer Oberfläche zur Anbindung von
Enzymen zum Einsatz kommen (siehe 7 Abschn.
Festbett- und Fließbettreaktoren sind in der Regel 10.2), werden zur Immobilisierung von Mikroorga-
zylindrische Reaktionsapparate, bei denen fluide nismen oder Zellen (Biofilmbildung) entweder Füll-
Phasen katalytisch aktive Feststoffe umströmen, körper oder Wickelelemente aus unterschiedlichen
die durch das Fest- oder Fließbett gepumpt werden Kunststoffmaterialien oder anorganische Materia-
6 (Prinzipskizzen siehe . Abb. 6.19). In der Biotech- lien wie Sand, Lavaschlacke oder Sinterkeramiken
nologie werden hierzu Biokatalysatoren (Enzyme verwendet (siehe . Abb. 6.20). Kann die Immobi-
oder Zellen) auf oder in Trägermaterialien immobi- lisierung von Biokatalysatoren nur an der äußeren
lisiert. Im Festbettreaktor liegt eine feste Packung von Oberfläche beispielsweise von Füllkörpern oder
umströmten Trägermaterialien vor, die ihre Position Sandpartikeln erfolgen, wird dies auch als ‚2-dimen-
im Reaktor nicht verändern. Bei Fließbettreaktoren sional‘ bezeichnet, während die Immobilisierung bei
wird die Anströmung der Trägermaterialien durch porösen Trägermaterialien wie beispielsweise Sinter-
die fluide Phase so groß, dass die Trägerpartikel keramiken ‚3-dimensional‘ genannt wird.
nicht mehr als feste Packung vorliegen, sondern im Wesentliche Bauelemente sind bei Festbett- und
anströmenden Fluid schweben (die Sinkgeschwin- Fließbettreaktoren neben der Pumpe zum Trans-
digkeit ist gleich der Anströmgeschwindigkeit) und port der fluiden Phase der Flüssigkeitsverteiler am
damit ihre feste Position im Reaktor verlieren. Fest- Boden und der Trägermaterial- und gegebenenfalls
bettreaktoren werden industriell hauptsächlich bei Gasabscheider am Kopf des Reaktors. Der Flüssig-
enzymatischen Prozessen (siehe 7 Kap. 10) und bei keitsverteiler muss sicherstellen, dass die Flüssig-
der biologischen Abwasserbehandlung als anaerobe phase homogen über die gesamte Querschnittsfläche

. Abb. 6.19  Prinzipskizzen zu (a) Festbett-, (b) Festbettumlauf- und (c) Fließbettreaktoren, bei denen das wässrige
Reaktionsmedium in der Regel die kontinuierliche fluide Phase darstellt, sowie (d) Tropfkörperreaktoren mit der Gasphase
als kontinuierliche Phase (Festbett- und Festbettumlaufreaktoren können prinzipiell auch von oben nach unten durchströmt
werden)
Kapitel 6 · Bioreaktoren
183 6
des meist zylindrischen Behälters verteilt wird, um
radiale Inhomogenitäten zu vermeiden. Darüber
hinaus muss der Flüssigkeitsverteiler mechanisch
sicherstellen, dass bei Unterbrechung der Flüssig-
keitszufuhr und damit fehlender Durchströmung
kein (disperses) Trägermaterial aus der Schüttung
austreten kann. Eine Aufweitung des zylindrischen
Behälters am Kopf des Fließbettreaktors (siehe bei-
spielsweise . Abb. 6.19c) ist in der Regel zur Träger-
materialabscheidung ausreichend, da hierdurch die
Anströmgeschwindigkeit disperser Träger reduziert
und damit deren Sinkgeschwindigkeit größer als die
Auftriebsgeschwindigkeit wird.
Bei homogener Flüssigkeitsverteilung über die
gesamte Querschnittsfläche am Boden des Fest-
bett(umlauf )- oder Fließbettreaktors bilden sich
axiale Gradienten der an und in den Trägermateria-
lien mit immobilisierten Biokatalysatoren verbrauch-
ten Substrate und gebildeten Produkte, sowie gege-
benenfalls des pH in der Kernströmung des Reaktors
aus. Die axiale Gradientenbildung kann in manchen
Fällen reaktionstechnisch unvorteilhaft sein, sodass
dann versucht werden sollte, diese durch intensi-
vere Kreislaufführung der fluiden Phase, also Erhö-
hung des Leistungseintrags über den Kreislauf mit
Pumpe zu reduzieren (Wechsel vom Festbett- zum
Festbettumlauf-Reaktor).
Die biokatalytische Umsetzung findet in der
Regel nur im Trägermaterial mit den immobilisierten
Biokatalysatoren statt. Stofftransport und Reaktion
im Trägermaterial oder Biofilm ist in 7 Abschn. 3.7
beschrieben (Wirkungsgrad η und Thiele-Modul Φ),
der Stofftransport aus der Kernströmung zur Ober-
fläche des Trägermaterials in 7 Kap. 5 (Sherwood-
zahl Sh). Die Abhängigkeit des Wirkungsgrads oder
Biokatalysatornutzungsgrads η von Φ2 und Sh ist in
. Abb. 6.21 für kugelförmige poröse Trägerpartikel
mit immobilisierten Biokatalysatoren für eine ein-
fache Sättigungskinetik bei verschiedenen Substrat-
konzentrationen in der Kernströmung gezeigt.
Um den in der Regel teuren immobilisierten
Biokatalysator möglichst gut auszunutzen, sollte
der Wirkungsgrad η möglichst im gesamten Fest-
. Abb. 6.20  Beispiel für ein „2-dimensionales“
Trägermaterial (a) Füllkörper (Polymerer Aufwuchsträger, bett- oder Fließbettreaktor trotz axial unterschiedli-
mit freundlicher Genehmigung der RVT Process Equipment cher Substratkonzentrationen in der Kernströmung
GmbH) und für ein „3-dimensionales“ Trägermaterial (b) möglichst hoch sein. Mit abnehmender Substrat-
Sinterkeramik zur Immobilisierung von Mikroorganismen konzentration in der Kernströmung ist dies prin-
über Biofilmbildung, sowie (c) Pore der Sinterkeramik gefüllt
zipiell nur bei verringertem Thiele-Modul Φ und/
mit Bakterien
184 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Bekanntermaßen lässt sich die Sinkgeschwindigkeit


einer Einzelkugel über eine Kräftebilanz ermitteln:

4 ⋅ g ⋅∆ρ ⋅ d P
vS=  Gl. 6.33
3⋅ cW ⋅ρL

wobei Δρ die Dichtedifferenz zwischen Fluid und


Trägerpartikel darstellt, ρL die Dichte der fluiden
Phase und cW­ den Widerstandsbeiwert.
Der Widerstandsbeiwert c W ist von der Rey-
noldszahl der umströmten Einzelkugel Red abhän-
gig und kann für 0 < Red < 2 · 105 wie folgt berechnet
. Abb. 6.21  Wirkungsgrad η als Funktion des Thiele- werden [148]:
6 Modul2 Φ2 für kugelförmige Trägerpartikel mit in den Poren
immobilisierten Biokatalysatoren (Enzyme oder Zellen)
24 4
mit einfacher Sättigungskinetik bei unterschiedlichen cW = + + 0, 4  Gl. 6.34
Substratkonzentrationen in der Kernströmung (rot cS = KS, Red Red
schwarz cS = 10 · KS, grau cS = 100 · KS) und unterschiedlicher
Umströmung der Trägerpartikel (durchgezogene Linien Sh v ist weiterhin proportional zur Porosität des Fließ-
= 2, gestrichelte Linien Sh = 80). Auf der rechten Seite ist das
Substratkonzentrationsprofil bei umströmten kugelförmigen
betts εn (siehe Gl. 6.32), wobei der Expansionsindex
Trägerpartikeln als Funktion des Radius bei geringem n erneut von Red abhängt [115]:
Wirkungsgrad η skizziert
n = 4, 45 ⋅ Red−0,1 (1 < Red ≤ 500)  Gl. 6.35

oder erhöhter Sherwoodzahl Sh also erhöhter Über- Der qualitative Zusammenhang zwischen Anström-
strömgeschwindigkeit der Trägerpartikel möglich. geschwindigkeit der Trägerpartikel (Leerrohrge-
Da Φ ~ R bei kugelförmigen Trägerpartikeln mit schwindigkeit u = v) und der Porosität des Festbett-/
dem Radius R gilt (siehe Gl. 3.89), kann Φ durch Fließbettreaktors ist in . Abb. 6.22 gezeigt. Hier wird
kleinere Trägerpartikel an niedrige Substratkonzen- deutlich, dass Gl. 6.32 erst anwendbar ist, wenn das
trationen in der Kernströmung angepasst werden. Festbett durch die zunehmende Leerrohrgeschwin-
Eine Erhöhung von Sh bedeutet gleichzeitig eine digkeit u so weit aufgelockert ist, dass die Trägerpar-
Verringerung axialer Substratgradienten in der tikel sich in der Fluidströmung frei bewegen können.
Kernströmung, sodass ein Festbettumlauf- oder Die Bestimmung der Porosität ε eines Fließbett-
Fließbettreaktor zu einem immer größeren Teil reaktors als Funktion der Leerrohrgeschwindigkeit u
des Reaktors unter Auslaufbedingungen betrieben hat große praktische Bedeutung bei Auslegung und
wird. Damit legt der gewünschte Substratumsatz Betrieb, da hierdurch die maximal einzubringende
den Durchmesser der zu wählenden Trägerparti- Menge an Trägermaterial mit immobilisierten Bioka-
kel fest. talysatoren bei vorgegebenen Reaktorvolumen fest-
Die Anströmgeschwindigkeit der Trägerparti- gelegt wird. In der Regel muss zur Bestimmung von
kel mit dem Durchmesser dP und damit Sh lässt sich ε die Abweichung der Einzelpartikel von der Kugel-
im Betrieb eines Festbett-/Fließbettreaktors mit dem form, die Veränderung der Dichtedifferenz Δρ und
Durchmesser dR jedoch nur soweit steigern, bis die des Partikeldurchmessers dP bei Biofilmbildung ins-
stationäre Sinkgeschwindigkeit des Trägerpartikel- besondere auf der Oberfläche von Trägerpartikeln
kollektivs v erreicht ist [130]: (‚2-dimensionale‘ Biofilmbildung) und gegebenen-
falls eine disperse Gasphase berücksichtigt werden.
v =vS ⋅10−dP / dR ⋅ ε n  Gl. 6.32 Vorteile des Fließbettreaktors gegenüber dem Fest-
bett(umlauf)reaktor sind in der Regel bei der Immo-
v ist direkt proportional zur stationären Sinkge- bilisierung von Mikroorganismen (Biofilmbildung)
schwindigkeit eines einzelnen Trägerpartikels v S. die Erzielung weitaus höhere Raum-Zeit Ausbeuten
Kapitel 6 · Bioreaktoren
185 6
. Abb. 6.22  Porosität ε einer
Trägerpartikelschüttung als Funktion der
Leerrohrgeschwindigkeit u. Mit zunehmender
Leerrohrgeschwindigkeit wird das Festbett (Porosität
der Schüttung ~ 0,4) zunächst aufgelockert, bevor aus
dem Festbett ein Fließbett wird, dessen Porosität mit
zunehmender Leerrohrgeschwindigkeit entsprechend
Gl. 6.32 (rote Linie) zunimmt

(volumetrische Produktivitäten) aufgrund des ver- oder suspendierten Biokatalysators (Enzyme oder
besserten Stofftransports aus der Kernströmung und Zellen) im Bioreaktor eignen sich insbesondere
der Vermeidung von Biofilmbildung auf und zwischen Membranverfahren. Da Membranen ausführlich
den Trägermaterialien und damit der Unterbindung erst in 7 Kap. 9 behandelt werden, wird hier im Vor-
von Totzonen durch Inhomogenitäten (Kanalbil- griff die Membran definiert als flächiges Gebilde, das
dung). Auch können feststoffhaltige Medien verwen- die einzelnen Komponenten einer Suspension oder
det werden und das intermittierende Ausspülen von eines Flüssigkeitsgemisches selektiv permeieren lässt.
akkumulierenden Biofilmen zwischen den Trägerma- Sie kann im Bioreaktor intern oder extern integriert
terialien in der Festbettschüttung ist nicht erforder- werden.
lich. Erkauft werden höhere Raum-Zeit Ausbeuten Grundsätzlich ist die Integration von Memb-
in Fließbettreaktoren (niedrigere Investitionskosten) ranen zur Rückhaltung von Biokatalysatoren (B)
allerdings durch einen weitaus höheren Energieein- bzw. zum Produktaustrag in jeder Art von Bioreak-
trag im Vergleich zu Festbettreaktoren (niedrigere toren möglich. Bezogen auf die beiden Idealtypen
Betriebskosten). In Trägermaterialien immobilisierte Rührreaktor (STR) und Rohrreaktor (PFR) sind in
Enzyme – hier tritt keine Biofilmbildung auf – werden .  Abb. 6.23 die „Ersatzschaltbilder“ für den STR
daher üblicherweise in Festbettreaktoren eingesetzt (oben) und den PFR (unten) einmal mit interner
(siehe beispielsweise 7 Abschn. 10.2.2). (links) – auch als „getauchte Membranen“ bezeich-
net – und einmal mit externer (rechts) Membran-In-
tegration dargestellt.
6.3.2 Membranbioreaktoren . Abb. 6.24 zeigt ein Beispiel mit intern integrier-
ter Membran. In einem als Blasensäule betriebenen
In 7 Kap. 2 war darauf hingewiesen worden, dass Bioreaktor sind keramische Mikrofiltrations-Flach-
sowohl hohe Substrat-, als auch hohe Produktkon- membranen integriert, die den kontinuierlichen oder
zentrationen die Produktbildung hemmen können. zyklischen Produktaustrag ermöglichen sollen. Diese
In 7 Kap. 3 wurden zur Lösung dieser Probleme das Anordnung wurde erfolgreich für die Produktion
Zulaufverfahren (engl. fed-batch) zur Überwindung von rekombinanten Lipasen mittels Pichia pastoris
der Substratüberschussinhibierung und das kon- verwendet [99].
tinuierliche Verfahren ohne und mit Verweilzeit- Allerdings beobachtete der Autor eine
entkopplung von Biokatalysator und Reaktions- durch Ablagerungen auf der Membran (sogen.
medium vorgestellt. Zur Rückhaltung des gelösten Mem­b ranfouling) verursachte Abnahme der
186 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

6XEVWUDW 6XEVWUDW

3URGXNWH

3URGXNWH

6XEVWUDW
3URGXNWH

6XEVWUDW

3URGXNWH

. Abb. 6.23  Ersatzschaltbilder für einen ideal gerührten Reaktor (oben) und Rohrreaktor (unten), mit intern integrierter
Membran (links) und externer Membran (rechts). B = Biokatalysator

Permeabilität. Das bedeutet, der transmembrane Antikörpern mittels einer CHO-Zelllinie erläutert
Fluss nimmt bei konstanter Druckdifferenz mit werden [108].
zunehmender Betriebsdauer ab. Eine zyklische Die im Bioreaktor integrierte Mikrofiltrations-
Umkehr der Strömungsrichtung (reverse flow) – die Membran dient abwechselnd der Substratzufuhr
man auch dazu nutzte, dem Bioreaktor steril Medium und dem Produktaustrag. Um dabei möglichst wenig
zuzuführen – verbessert die Situation nur vorüber- Produkt zu verlieren, wird vor dem Umschalten von
gehend, weil die relativ dicke keramische Stützstruk- Substratzufuhr auf Produktaustrag die Pumpe P 1
tur der Membran sich ebenfalls durch Ablagerungen kurzfristig auf Rücklauf gestellt. Die Pumpe P2 wirkt
zusetzte. Eine dann notwendige chemische Reini- dabei wie ein geschlossenes Ventil, sodass das Totvo-
gung der Membran war nur nach Stillsetzung des lumen der Membran in den Substrattank zurückge-
Bioreaktors möglich. Auch ist die Maßstabsvergrö- führt wird. Analog verfährt man beim Umschalten
ßerung begrenzt durch die Tatsache, dass das Reak- von Produktaustrag auf Substratzufuhr, wo kurz-
torvolumen mit der dritten Potenz, die Membran- fristig beide Pumpen laufen, bevor nach Stoppen
oberfläche aber nur mit der zweiten Potenz wächst. der Pumpe P1 der Unterdruck zum Absaugen von
Carstensen et al. [23] empfehlen stattdessen die Produkt wieder aufgebaut wird. Wird ein kritischer
Integration von Hohlfasern in den Bioreaktor und Permeatfluss von 9 L m–2 h–1 nicht überschritten,
stellen in diesem Zusammenhang die sogen. „Revers- so setzt sich die Membran nicht zu, kann also län-
flow-Diafiltration“ (RFD) vor [96]. Das Prinzip ist in gerfristig betrieben werden. Schon beim Einsatz von
. Abb. 6.25 schematisch dargestellt. Das Verfahren Membranen für die künstliche Niere war beobach-
empfiehlt sich besonders für schersensitive Biokata- tet worden [11], dass bei der Hämodialyse und der
lysatoren und soll am Beispiel der Produktion von Hämodiafiltration – wenn ein kritischer Fluss nicht
Kapitel 6 · Bioreaktoren
187 6
überschritten wird – das Membranfouling geringer
ist, als z. B. bei der Plasmapherese. Grund dafür ist
offensichtlich die Tatsache, dass bei den beiden erst-
genannten Prozessen beidseits der Membran eine
wässrige Lösung oder Zellsuspension strömt und die
damit verbundenen Stoffströme senkrecht zur Mem-
branfläche die Foulingneigung reduzieren. Aller-
dings wurden bei den Untersuchungen von Meier
et al. [108] nur ca. 50 % der produzierten Antikörper
ausgetragen. Hier könnten nach Ansicht der Autoren
Membranen mit geringerem Rückhalt für Proteine
die Ausbeute verbessern.
Carstensen et al. [146] nutzten die interne RFD
zur kontinuierlichen Produktion von Itaconsäure
mittels Ustilago maydis in einem 2-L-Rührkesselre-
aktor. Über eine Fermentationszeit von 50 Stunden
wurden 4 g L–1 Itaconsäure bei einem Trockenzell-
gewicht von ca. 35 g L–1 produziert. Dies war etwa
10-mal höher als ohne Zellrückhaltung. Allerdings
konnten nur etwa 60 % des Produkts ausgetragen
werden, was auf ein Membranfouling zurückgeführt
wurde. Der Pilz Ustilago maydis ist dafür bekannt,
dass er auch grenzflächenaktive Biopolymere pro-
duziert, die die Membran verblocken.
In solchen Fällen sollte die externe Membranin-
tegration angewandt werden (. Abb. 6.26), die eine
definierte Überströmung, die zyklische Rückspülung
mit erhöhtem Druck und eine gelegentliche chemi-
sche Reinigung der Membran ermöglicht, ohne den
Bioprozess unterbrechen zu müssen. Auch ist diese
. Abb. 6.24  Bioreaktor mit integrierten keramischen
Mikrofiltrations-Flachmembranen Verfahrensweise variantenreicher. Sie reicht von der

. Abb. 6.25  Schema eines %LRUHDNWRU


Bioprozesses mit Revers-flow 0HGLHQ
Diafiltration zur Substratzufuhr und NRPSRQHQWHQ
Produktentfernung mittels intern
integrierter Membran

6XEVWUDW 3HUPHDW
WDQN 3XPSH WDQN
3URGXNW
DXIDUEHLWXQJ
3XPSH 0HPEUDQPRGXO

%OHHG
188 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

einfachen Biomasserückhaltung mittels Mikrofiltra- mehrzelliger Mikroorganismen verstanden. Dazu


tionsmembran, wie in . Abb. 6.26 gezeigt, über Ultra­ zählen mehrere grundsätzlich verschiedene Gruppen
filtration, Pervaporation bis zur Pertraktion (siehe eukaryotischer Organismen, aber auf Grund ihrer
7 Kap. 9). Wuchsform auch prokaryotische Cyanobakterien.
Der Vollständigkeit halber soll hier noch der Hochwertprodukte aus Algen sind beispielsweise
Einsatz von Membranen in der biologischen Abwas- Carotinoide wie Astaxanthin, mehrfach ungesättigte
serreinigung erwähnt werden. Beim sogenannten Fettsäuren und andere Lipide, Polysaccharide sowie
Membranbelebungsverfahren werden Membranen – Vitamine und Proteine. Neben hochpreisigen Feinche-
zur Erhöhung der Biomassekonzentration oder zur mikalien wird auch die Nutzung von Algen zur Erzeu-
Nachklärung – sowohl integriert als auch extern ein- gung von Lebensmitteln, Grundchemikalien und zur
gesetzt (siehe 7 Kap. 11, Abb. 11.12b). Energiegewinnung diskutiert und erforscht. Die Pro-
Petrinic und Helix-Nielsen [4] schlagen den duktion von Bioenergie mit positiver Energiebilanz
Membranbioreaktor sogar für die kombinierte wird bislang jedoch kontrovers diskutiert und hängt
6 anaerobe/aerobe Reinigung von Textilabwässern stark vom Gesamtsystem ab (beispielsweise Nutzung
vor. Deren besonders hohes Fouling-Potential soll von industrieller Abwärme, von CO2-Abgasen oder
durch die Verwendung einer besonders dünnen von Abwasserströmen für die Nährstoffversorgung).
Umkehrosmose-Membran im sog. forward-osmo- Gegenüber Landpflanzen haben Mikroalgen verschie-
se-Betrieb reduziert werden. Dabei wird der Trans- dene Vorteile wie die stöchiometrisch hohen Anteile
port des gereinigten Wassers dadurch erzielt, dass auf an verwertbaren Produkten und die hohen auf das ein-
der Permeatseite der Membran eine verdünnte Salz- fallende Licht bezogenen Ausbeuten. Weiterhin wird
lösung (z. B. Meerwasser) geführt wird. Der dadurch lediglich unbegrenzt verfügbares Salzwasser benötigt.
entstehende osmotische Differenzdruck reicht nach Von den bisher behandelten Bioreaktoren unter-
Ansicht der Autoren für den Abtransport des gerei- scheidet sich der Fotobioreaktor dadurch, dass für die
nigten Wassers. Für weitere Beispiele zur Anwen- Versorgung des Biokatalysators zusätzlich Licht benö-
dung des MBR in der Abwasserreinigung siehe [86]. tigt wird. Statt des Sauerstoffeintrags wird Kohlenstoff-
dioxid über eine Gasphase eingetragen und Sauerstoff
abgeführt. Der Fotobioreaktor kann also als ein Vier-
6.3.3 Fotobioreaktoren phasensystem verstanden werden, mit den Zellen als
feste partikuläre Phase, dem Medium als flüssige Phase,
Clemens Posten den Blasen als Gasphase und dem Licht als vierte Phase,
wobei das Strahlungsfeld des Lichtes die drei anderen
Fotobioreaktoren werden zur Kultivierung von Mi­ Phasen überlagert. Der Fotoreaktor muss die Umge-
kroalgen eingesetzt. Darunter werden allgemein ver- bungsbedingungen wie Licht und CO2 in geeignete
schiedene Gruppen photosynthetischer ein- oder Bedingungen für das Algenwachstum transformie-
ren. Dabei sind sowohl die stöchiometrisch benötigte
Menge als auch die durch Wachstumskinetiken vorge-
0) gebenen Konzentrationen zu betrachten.
0HPEUDQ Für die Auslegung von Fotoreaktoren müssen
3URGXNW
sowohl für den Lichteintrag als auch für den Gasein-
trag spezifische Zusammenhänge betrachtet werden,
:7 wie in . Abb. 6.27 dargestellt. Das auf die Reaktorober-
HO fläche fallende Licht wird von den ersten Algenschich-
ten absorbiert bzw. gestreut, wodurch es zu Gradienten
entlang der Lichteintrittsrichtung kommt und damit
zur Lichtlimitierung im dem Licht entgegengesetzten
%LRUHDNWRU Teil des Reaktors. Zur Einsparung von Mischenergie
wird der Reaktor nur gering im laminaren Bereich
. Abb. 6.26  Bioreaktor mit externer Membranintegration. begast. Es entstehen dadurch Gradienten der Gelöst-
WT = Wärmetauscher, MF = Mikrofiltration gaskonzentrationen entlang der Gaseintragsrichtung.
Kapitel 6 · Bioreaktoren
189 6
. Abb. 6.27  Die wichtigsten
Stoff- und Energieströme in einem
Fotobioreaktor und die dadurch
entstehenden spezifischen Probleme

Kinetische Grundlagen Das Licht ist jedoch der wichtigste Wachstums-


Zum Wachstum benötigen Algen Licht, Kohlen- faktor für phototrophe Organismen. Etwa 43 % der
dioxid und Nährsalze in wässrigem Medium. Sie Energie des Sonnenlichtes sind photosynthetisch
nehmen anorganisch gelöstes CO2 aus dem Medium nutzbare Wellenlängen (sog. PAR, photosyntheti-
auf. Die genaue CO2-Spezies (CO2, HCO3–, CO32–) cally active radiation, 400 bis 700 nm). Die Strah-
differiert je nach Algengruppe oder ist nicht genau lungsintensität I wird in µE/(m2 s) angegeben. Dabei
geklärt. Für die Prozessführung ist die einzutra- steht das „E“ für Mol Photonen, die pro Zeiteinheit
gende Gesamtmenge an Kohlenstoffdioxid zu klären auf die gegebene Fläche fallen. Hintergrund dieser
sowie die aufrecht zu erhaltende Konzentration im Angabe ist, dass jedes Photon dieselbe Ausbeute an
Medium, um der Algenzelle eine kinetisch nicht limi- Photosyntheseprodukten liefert unabhängig von
tierte Aufnahme zu ermöglichen (Vermeidung von seiner physikalischen Energie. Das Licht wird von
Stofftransportlimitierungen). Der Kohlenstoffgehalt den Zellen absorbiert, in den Chloroplasten zu Pro-
von Algen beträgt etwa 50 Gewichtsprozent. Je nach duktion von ATP und NADH genutzt, daraus wird
Anteilen von Kohlenhydraten oder Ölen in der Bio- mit Hilfe des aufgenommenen CO2 Stärke gebildet.
masse ergibt sich ein Wert von 1,5–2,5 kg CO2/kg Diese wird im Plasma und in den Mitochondrien ver-
Biomasse. Genaue Aufnahmekinetiken sind nicht gleichbar mit einem heterotrophen Organismus in
bekannt, jedoch liegt die Sättigungskonzentration Biomasse umgesetzt.
im Bereich von 1 kPa CO2-Partialdruck, also deut- Die energetische Effizienz dieses Vorgangs wird
lich über dem Partialdruck in der Atmosphäre. Zum als Photo-Konversions-Effizienz (PCE) bezeichnet
Erreichen dieser Partialdrücke werden beispielsweise und als Quotient aus der Energie des aufgenomme-
5 % CO2 im zugeführten Gas benötigt. nen Sonnenlichtes zur chemischen Energie des Pro-
Wie alle Organismen brauchen Mikroalgen duktes berechnet.
Mineralstoffe einerseits zum Aufbau der Biomasse
und andererseits zur Aufrechterhaltung des extra- ∆H c0,Prod ⋅ mProd
zellulären Milieus. Der Bedarf ergibt sich aus der PCE =  Gl. 6.36
Elementenbilanz (hypothetische Summenformel ∫∫ h ⋅ l ( f ) df dt
CO0,48H1,83N0,11P0,01). Neben Phosphat als Phos-
phorquelle werden Ammonium und Nitrat als Stick- mit h als dem Planck’schen Wirkungsquantum und f
stoffquelle eingesetzt. Soll der Preis für Mikroalgen- der Frequenz der jeweiligen Lichtfarbe. Für den
produktion stark sinken, sind die Nährsalze auch als PAR-Bereich ergibt sich ein Wert von etwa 210 kJ
Kostenfaktor nicht mehr zu vernachlässigen. mol–1. ∆H co, Prod ist die Verbrennungsenthalpie des
190 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

jeweiligen Produktes. Diese beträgt bei durchschnitt- Fluoreszenzlicht wieder abgestrahlt und nicht photo-
licher Biomasse etwa 20 MJ kg–1, bei lipidreicher Bio- synthetisch genutzt. In einem technischen Produk-
masse bis zu 30 MJ kg–1. Den theoretisch höchsten tionssystem muss deshalb das Licht „verdünnt“
Wert erhält man für rotes Licht und dem Chloroplas- werden. Bei schräg einfallendem Sonnenlicht auf
ten als Bilanzgrenze, also der Photosynthese bis zur senkrechte Platten (siehe . Abb. 6.27) tritt nur die
Stärkebildung, zu 24 %. Die Stoffwechselvorgänge Komponente in Normalenrichtung in den Reaktor
in der Algenzelle wie die ATP-abhängigen Synthe- ein, was zu einer Lichtverdünnung entsprechend
sen, Transport- und Reparaturvorgänge, Photore- dem Oberflächen/Grundflächen-Verhältnis führt.
spiration und Atmung führen zu Energieverlusten Die negativen Folgen einer zu starken Belich-
auf der Zellebene, sodass sich für die Biomasse als tung können durch eine schnelle Folge von hellen
Ganzes Werte von bis zu 17 % ergeben. In künstlich und dunklen Phasen abgemildert werden. Der
mit LEDs beleuchteten Reaktoren für die Herstel- ­Flashing-Light-Effekt besagt, dass im Starklichtbe-
lung von Hochwertprodukten wie Astaxanthin oder reich angeregte Elektronen im Photosystem kurzzei-
6 rekombinante Proteine werden solche Werte erreicht. tig gespeichert werden können und dann im dunklen
Für den gesamten PAR-Bereich beobachtet man eine Bereich des Reaktors weiter von der Zelle genutzt
PCE von maximal 10 %. Verluste auf der Reaktor- werden. Die Mischzeit in Richtung des Lichteinfalls
ebene (Reflektion, Flächen zwischen den Modulen) muss dafür allerdings deutlich höher als 0,1 s sein.
und die Einbeziehung des IR-Lichtes im Sonnenlicht
erlauben eine praktisch realisierbare PCE von 5 %.
Für Mitteleuropa heißt das, dass von den etwa 115 W Raceway Ponds
m–2 Sonneneinstrahlung im Jahresmittel maximal Natürliche „Produktionsanlagen“ für Mikroalgen
5 W m–2 chemisch gebundene Energie als Biomasse finden sich u. a. in offenen Gewässern. Beispielsweise
gewonnen werden kann. Klassische Energiepflanzen werden in Myanmar in Kraterseen Spirulina Algen
bringen es nur auf 1–2 %. (wissenschaftliche Bezeichnung Arthrospira) zur
Trägt man den Zusammenhang zwischen spe- Nahrungsergänzung produziert. Derartige natürli-
zifischer Wachstumsrate und Lichtintensität gegen- che Standorte sind allerdings global nur sehr limitiert
einander auf, so erkennt man, dass nur bei geringen verfügbar und weisen auch andere Nachteile auf (u.
Lichtstärken die Algen mit optimalem Wirkungsgrad a. jahreszeitliche Schwankungen, Schädlingsbefall).
wachsen (siehe . Abb. 6.28). Bei höheren Lichtstär- Zur Erschließung von Standorten auf ansonsten
ken wird ein Teil der Lichtenergie als Wärme oder ungenutzten und an sich trockenen Flächen werden

. Abb. 6.28  Spezifische


Wachstumsrate in Abhängigkeit von
der Lichtintensität. I: Lichtlimitierung
bei hohem Wirkungsgrad, II:
Lichtsättigung mit abnehmendem
Wirkungsgrad, III: Lichtinhibierung.
Die Messdaten stammen von der
Alge Chlamydomonas reinhardtii in
kontinuierlicher Kultivierung
Kapitel 6 · Bioreaktoren
191 6
deshalb künstliche offene Becken (engl. open ponds) je nach Rauigkeit der Oberfläche zwischen 0,01 und
eingesetzt. Diese werden üblicherweise über einen 0,016. Der hydraulische Durchmesser dh [m] ergibt
geschlossenen Strömungsweg mittels eines Schau- sich aus der Reaktorgeometrie zu 4 · w · h/(w + 2 · h).
felrades (engl. paddle wheel) umgepumpt und dabei Der zum Antrieb der Strömung nötige mechanische
gemischt. Solche sogenannten Raceway Ponds gibt Energieeintrag für das Schaufelrad ist mit beispiels-
es in verschiedenen Konfigurationen. Dabei werden weise 0,5 W m–2 bzw. 1 W m–3 also relativ gering. Das
Anlagen aus parallel betriebenen Einzelbecken Schaufelrad selbst hat oft allerdings einen schlechten
bis zu einer Gesamtgröße von mehreren Hektar Wirkungsgrad, sodass für die tatsächliche elektrische
betrieben. Leistung mehr als das Doppelte der mechanischen
Raceway Ponds bilden in sich geschlossene Rezir- Leistung entstehen kann. In modernen Bauformen
kulationskanäle (. Abb. 6.29) und bedecken als ein- werden die starren Blätter mit Kippmechanismen aus-
zelner Pond maximal eine Fläche von 0,5 ha. Neben gestattet, die zu einem senkrechten Eintauchen in das
der Durchmischung müssen Möglichkeiten vorge- Medium führen und sie so effektiver arbeiten lässt.
sehen werden für die Einbringung der Nährsalze, Dafür werden aber auch nur geringe flächenbe-
für die Ernte, für das Begasen mit Kohlenstoffdioxid zogene Produktivitäten von im Jahresmittel unter
(CO2), für Überlauf und Drainage bei Regen und für 15 g Biomasse m–2 d–1 erreicht, was einem PCE von
die Säuberung. rund 1–2 % entspricht. Ein Grund dafür ist, dass die
Die mittlere Fließgeschwindigkeit in einem der- Oberfläche direkt dem Sonnenlicht ausgesetzt ist und
artigen Raceway Pond ergibt sich aus der Vermei- damit eine Lichtsättigung entsteht, während die tie-
dung von Sedimentation und der Forderung nach feren Bereiche verschattet (dunkel) sind und damit
einer gleichmäßigen Strömung. In der Praxis werden der Anteil der Atmungsverluste ansteigt. Weiterhin
oft 0,3 m s–1 eingestellt. Der dafür nötige mechani- sind oft starke Kontaminationen zu beobachten, die
sche Energieeintrag PW [W] ergibt sich zu durch die Wahl von Mischpopulationen und extre-
mophilen Stämmen unterdrückt werden können.
Üblicherweise werden auch nur geringe Biomas-
PW = 1, 59 ⋅ AG ⋅ρL ⋅ g ⋅uf 3 ⋅ f M 2 ⋅ d h−1/3  Gl. 6.37
sekonzentrationen erreicht. Dies führt zu höheren
Energiekosten bei der Ernte, da pro geerntete Algen-
mit der Grundfläche A G [m 2 ], der Dichte des menge viel Wasser durch die Zentrifuge oder das
Mediums ρL [kg L–1], also praktisch 1 kg L–1, der Erd- Filter transportiert werden muss.
beschleunigung g [m s–2], der Fließgeschwindigkeit vf Weitere technische Faktoren und Bedingungen
[m s–1], dem Manningfaktor fM [s m–1/3] mit Werten an die Umgebung, die in der Praxis berücksichtigt

. Abb. 6.29  Grundriss einer


typischen Raceway Pond-Anlage, die
wichtigsten Maße und peripheren
Einheiten sind eingezeichnet
192 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

werden müssen, sind die Umgebungstemperatur, Grundflächenverhältnis AR/AG. Dieses bestimmt


CO2-Verluste über die große Oberfläche, die Nie- den Grad der Lichtverdünnung, um aus dem direk-
derschläge und die Verfügbarkeit von (Meer-)Wasser ten Sonnenlicht in den linearen Teil der Wachstums-
zum Ersetzen der Verdunstungsverluste. Je nach Lage kinetik zu kommen. AR/AG weist beim Plattenreak-
und Jahreszeit verliert ein Open Pond zwischen 1 und tor Werte von 5 bis 10 auf.
10 mm d–1 Wassersäule. Im Extremfall entspricht dies Die Dicke dR der Platte bestimmt die Länge des
seinem gesamten Inhalt in einem Monat. Diese Ver- freien Lichtweges. Je nach Algenkonzentration sind
luste müssen durch die Zugabe von Wasser wieder nur wenige cm möglich, weil sonst an der lichtab-
ausgeglichen werden. Schätzungen für den Wasser- gewandten Seite Dunkelzonen entstehen. Je dünner
bedarf pro produzierter Biotrockenmasse belau- die Schicht ist, desto höhere Algenkonzentrationen
fen sich auf rund 500 L kg–1. Aus diesem Wasser- können erreicht werden. Letztlich soll also zur Pro-
verbrauch resultiert auch – je nach Lage der Anlage zessintensivierung so viel Licht wie möglich in ein
– ein erheblicher Energiebedarf zum Pumpen. Die gegebenes Volumen eingetragen werden. Dieser
6 benötigten Wassermengen liegen in einer Größen- Zusammenhang wird durch das Oberflächen- zu
ordnung, mit der man auch beim üblichen Acker- Volumenverhältnis AR/AG charakterisiert. Für eine
bau in derartigen Regionen rechnen muss. Jedoch Platte mit einer Dicke d ist das Verhältnis 2/dR .
ist die Möglichkeit der Verwendung von Salzwasser Übliche Oberflächen- zu Volumenverhältnisse liegen
von Vorteil, da dieses potenziell unbegrenzt verfüg- im Bereich 50 m–1 bis 100 m–1 (bei Open Ponds sind
bar ist. Der große Wasserkörper und die Verduns- es lediglich 3 m–1). Moderne Konzepte gehen in Rich-
tung tragen auch zur Temperaturkontrolle bei, sodass tung höherer Oberflächen- zu Volumenverhältnisse.
sich ein offenes Becken auch ohne äußere Kühlung In solchen „Dünnschichtreaktoren“ können Biomas-
(die in der Praxis nicht bezahlbar ist) üblicherweise sekonzentrationen von bis zu 10 g L–1 erreicht werden.
nicht mehr als um 10 °C aufheizt. Die Wachstumskurve in Fotobioreaktoren unter-
Bis heute findet der bei weitem größte Anteil der scheidet sich deutlich vom exponentiellen Wachstum
Mikroalgenproduktion in Raceway Ponds statt. Der bei heterotrophen Kultivierungen, . Abb. 6.31 zeigt
Hauptgrund dafür sind die insgesamt überschauba- einen typischen Verlauf.
ren Kosten und der relativ geringe Energieeintrag. Die Algen sind zunächst gleichmäßig über die
Auch wenn es letztlich gelingt, die Prozessstabilität Dicke des Reaktors mit Licht versorgt, erkennbar
(Wetterabhängigkeit, Kontamination) etwa durch am transmittierten Lichtanteil. Sie wachsen solange
Überdeckung mit Folien (Covered Ponds) zuneh- nahezu exponentiell, bis die durchschnittliche Licht-
mend besser zu beherrschen, bleibt die Systemper- stärke limitierend wird. Schließlich erreicht kein
formance aber begrenzt. Aktuelle Entwicklungen Licht mehr die gegenüber liegende Seite. Jetzt ist der
beziehen sich auf die sogenannten geschlossenen eingetragene Lichtstrom wachstumsbestimmend
Reaktoren. (dcx/dt ≈ I0) und es kommt zu linearem Wachstum.
Je dünner die Schicht ist, desto steiler steigt die Bio-
massekurve. Schließlich ist der Dunkelbereich so
Plattenreaktoren groß, dass die Atmung gegenüber der Photosyn-
Der Plattenreaktor . Abb. 6.30 ist der am häufigs- these einen zunehmenden Anteil am Stoffwechsel
ten eingesetzte Photobioreaktor. Dabei wird eine erhält, sodass die Biomassenzunahme abflacht. Dazu
dünne Wasserschicht zwischen zwei transparenten kommt gegebenenfalls Mangel an Nährsalzen. Die
Flächen eingeschlossen. Solche Installationen lassen tatsächliche Wachstumsrate hängt also vom Ort im
sich einfach bauen, flexibel an räumliche Gegeben- Reaktor ab. Die beobachtete spezifische Wachstums-
heiten anpassen und relativ einfach betreiben. Ein- rate ergibt sich aus der Integration über die Reak-
gesetzt werden Säcke (engl. bags) aus PE oder PVC, tordicke. Dieses Verhalten wird als „μ-Integration“
die durch geeignete Stellagen in Form gehalten bezeichnet. Die Auftragung spezifischer Wachstums-
werden. Die Durchmischung und CO2-Versorgung raten über die Lichtstärke I0 an der Oberfläche oder
erfolgt durch Begasung von unten. Wichtigster über die durchschnittliche Lichtstärke im Reaktor
Faktor bei der Auslegung ist das Oberflächen- zu kann also nur einer ersten Übersicht dienen.
Kapitel 6 · Bioreaktoren
193 6

. Abb. 6.30  Grundprinzip des Plattenreaktors

. Abb. 6.31  Typischer Wachstumsverlauf in einem Fotobioreaktor; im Bereich I herrscht exponentielles Wachstum, in Bereich
II ergibt sich lineares Wachstum, im Bereich III ist die stationäre Phase erreicht
194 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Ein weiterer kritischer Faktor ist die Begasung. von mehreren 100 m, siehe . Abb. 6.33, die Länge
Typische Begasungsraten sind 0,15 vvm (von engl. eines Zauns beträgt um 100 m. Die Dicke der Rohre
volume per volume per minute) mit volumetrischen beträgt maximal 5 cm, um den freien Lichtweg klein
Energieeinträgen von 50 W m–3. Die Berechnung zu halten. Rohrreaktoren werden als Strömungsrohr
erfolgt analog der Blasensäule für den laminaren im Umlauf mit etwa 0,2–1 m s–1 Strömungsgeschwin-
Bereich. Solche geringen Begasungsraten sind möglich, digkeit betrieben, angetrieben durch Kreiselpum-
da die volumetrischen Stoffumsätze etwa 2 Zehner- pen. Dadurch befindet sich das System im turbulen-
potenzen unter der von heterotrophen Kultivierun- ten Bereich, was den schnellen Hell/Dunkel-Wechsel
gen liegen. Trotzdem verursacht die Begasung einen aus Sicht der Algenzellen unterstützt. Der Gasaus-
erheblichen Anteil an der Energiebilanz, da der aufzu- tausch erfolgt in Rührkesseln, die in den Kreislauf
wendende Energieeintrag die Größe der tatsächlich in eingekoppelt sind. Rohrreaktoren gehören zu den
chemische Energie umgesetzten Lichtenergie überstei- größten kommerziell betriebenen Produktionsan-
gen kann. Nur für den Gasaustausch wären noch gerin- lagen im Bereich der geschlossenen Reaktoren.
6 gere Begasungsraten möglich, jedoch sorgen die Blasen Die Bauform erlaubt deutlich höhere Lichtver-
auch über einen Airlift-Effekt für akzeptable Mischzei- dünnungen bei Oberflächen-/Volumen-Verhältnis-
ten von etwa 100 s in der vertikalen Richtung zur Ver- sen von 100 m–1. Zusätzlich ist der Lichtgradient im
meidung zu großer Gradienten und 1 s in der Lichtein- Rohr geringer als in der Platte, da das eintreffende
falls-Richtung zur Nutzung des Flashing-Light-Effektes. Licht zwar auch abgeschwächt wird, jedoch sich
Da die Höhe des Reaktors durch die Lichtver- zur Rohrachse hin durch den Fokussierungseffekt
dünnung und den kLa (Aufstiegszeit der Blasen) defi- sammelt. Der Rohrreaktor erlaubt dadurch die Pro-
niert ist und die Dicke durch den freien Lichtweg, duktion von hochwertigen Stoffen. Durch die photo-
ist die einzige Dimension zur Skalierung die Breite synthetische Aktivität der Zellen kommt es jedoch
des Reaktors. Die Bedeckung eines gegebenen Areals längs des Rohres zu ausgebildeten Gradienten von
mit parallel neben- und hintereinander aufgestellten pO2, pCO2 und pH, die problematisch sein können
Reaktoren wird als Numbering-Up bezeichnet. Eine und die Maßstabsvergrößerung in axialer Richtung
entsprechende Anlage ist in . Abb. 6.32 gezeigt. limitieren. Rohrreaktoren können auch mit reinem
In solchen Anlagen werden in Mitteleuropa Pro- CO2 begast werden, ein Blasenanteil von beispiels-
duktivitäten von bis zu 40 g Biomasse m–2 d–1 erzielt. weise 20 %, der über CO2-angereicherte Luft erreicht
wird, kann jedoch den Gradienten geringer halten.
Der volumetrische Leistungseintrag ist mit Werten
Rohrreaktoren von bis zu 500 W m –3 sehr hoch. Eine aktuelle
Rohrreaktoren bestehen aus Glas- oder Kunststoff- Bauform zeigt . Abb. 6.34. Das durchströmte Rohr ist
rohren, die mäanderartig zu sogenannten „Zäunen“ hier konisch aufgewickelt, um eine bessere Lichtaus-
installiert werden. Die Rohre erreichen Längen nutzung im Freiland zu erreichen. Das Medium wird

. Abb. 6.32  Eine Algenproduktionsanlage mit Bags aus speziellem reißfestem Kunststoff der Firma Phytolutions
Kapitel 6 · Bioreaktoren
195 6
. Abb. 6.33  Schematische
Darstellung des Rohrreaktors mit
typischen Abmessungen

in einem gepulsten Betrieb gefördert, um Algenab- höherwertige Produkte in den Bereichen Kosmetik
lagerungen zu vermeiden und die Gasphase dispers und Nahrungsergänzung angemessen. Zur Produk-
zu halten. Ein innenliegendes Rohr dient der Ver- tion von rekombinanten Proteinen, eine spannende
meidung des inneren Dunkelbereichs und kann zur Alternative zu tierischen Zellen, kommen auch über
Temperierung genutzt werden. Leuchtdioden (LED von engl. light-emitting diode)
künstlich beleuchtete Reaktoren in Betracht. Aktu-
Entwicklungstendenzen elle Nutzung von Algenbiomasse in großen Markt-
Die bislang in geschlossenen Reaktoren produ- volumina richtet sich auf die Fischzucht zur Reduk-
zierte Biomasse bewegt sich in einem Preisniveau tion des Einsatzes von Fischmehl aus Beifang. Auch
von mehr als 10 € kg–1 Trockengewicht. Das ist für die Nutzung als Lebensmittel für den menschlichen

. Abb. 6.34  Der Rohrreaktor


der Firma Gicon nach dem
„Tannenbaumprinzip“, hier mit
künstlicher Beleuchtung
196 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Bedarf über die Nahrungsergänzung hinaus wird ins einer umweltverträglichen und nachhaltigen Versor-
Auge gefasst. Dabei kommen farb-, geschmacks- und gung mit Rohstoffen gesehen. Die hohen flächenbe-
geruchsneutrale Extrakte in Betracht. Speziell in den zogenen Produktivitäten und die Nutzung arider
Entwicklungsländern herrscht Proteinmangel, der Landflächen werden daher als bedeutende Argu-
durch lokale Algenanlagen bei Nutzung von Son- mente genannt. In der Tat sind Algenkult­vierungen
nenlicht und Salzwasser überwunden werden kann. die mit Abstand produktivsten Systeme zur Erzeu-
Für die Produktion von Grundchemikalien oder erst gung von Biomasse. Weitere Steigerungen sind durch
recht für eine energetische Nutzung sind aber nach Fortschritte in der Stammentwicklung und im Reak-
wie vor keine kommerziellen Anlagen in Betrieb. tordesign in Sicht [8, 12, 164, 128].
Grund sind zunächst die hohen Reaktorkosten. Diese
liegen bei 200 € m–2 (Rohrreaktor), aber mindesten
bei 50 € m–2 bei Plattenreaktoren aus Kunststoff. Ein 6.4 Bewegte Bioreaktoren
weiteres Problem ist der hohe Bedarf an Hilfsenergie
6 für die Wasser- und Gasführung sowie die Produkt- Tobias Ladner und Jochen Büchs
aufbereitung. Eine übliche Begasung benötigt bei-
spielsweise mehr als 5 W m–2, sollte aber nicht mehr
als 1 W m–2 erfordern. 6.4.1 Schüttelkolben und
Zur Senkung der Kosten werden in modernen Mikrotiterplatten
Designs geringe Bauhöhen (geringere Druckabfälle,
weniger Material, keine Gestelle) vorgeschlagen. Geschüttelte Bioreaktoren sind die am weitesten
Durch strukturierte Oberflächen und lichtleitende verbreiteten Reaktionsgefäße in der Biotechnologie
Einbauten fällt die Lichtverteilungs- und Verdün- [15]. Insbesondere Schüttelkolben und Mikrotiter-
nung-Dimension mit der Höhe zusammen, sodass platten werden häufig als Bioreaktoren in den ersten
flache Geometrien entstehen, die in den zwei hori- Stufen der biotechnologischen Prozessentwicklung
zontalen Raumrichtungen beliebig skalierbar sind. eingesetzt [9, 15]. Mit diesen Kultivierungssyste-
Der Gaseintrag kann über Membranen oder Kopf- men können zahlreiche Untersuchungen binnen
raumbegasung erfolgen, damit wird eine blasen- kurzer Zeit durchgeführt werden, weshalb in diesem
freie Begasung erreicht, die weniger Energie ver- Zusammenhang auch von Hochdurchsatzsystemen
braucht und weniger mechanischen Stress auf die (siehe 7 Abschn. 6.5) gesprochen wird. Aufgrund des
Algen ausübt. Des Weiteren lassen sich bei diesen reduzierten Materialeinsatzes werden besonders bei
horizontalen Reaktoren (Zick-Zack, transparenter teuren Substraten oder Ausgangsstoffen zusätzlich
Schwamm) Oberflächenbeschichtungen applizie- Kosten eingespart [81]. Entsprechend ist es nicht
ren, die beispielsweise zum Antifouling beitragen verwunderlich, dass Bioreaktoren mit Volumina im
oder IR-Licht reflektieren und sogar in Elektrizität µL- und mL-Bereich für Entwicklungs- und Opti-
umwandeln können. Damit sollen Reaktoren verfüg- mierungsanwendungen zunehmend eine Schlüssel-
bar werden, die sich ideal in ein vorhandenes Gelände rolle in der Bioprozessentwicklung einnehmen [94].
einpassen, keine Gestelle benötigen und ohne Zufuhr Schüttelkolben sind in unterschiedlichsten Aus-
von Hilfsenergie für Mischen und Begasen zu betrei- führungen verfügbar: Nennvolumen von 25 mL bis
ben sind. Weiter offen ist die Frage nach den Materia- 6 L, Kolben mit oder ohne Schikanen, gefertigt aus
lien, wobei besser lichtbeständige Kunststoffe bereits Glas oder Kunststoff [15]. Auch zahlreiche Typen
in der Entwicklung sind. Effektive Mechanismen zur von Mikrotiterplatten sind kommerziell erhältlich.
Dämpfung von Temperaturschwankungen wie die Hier gibt es Unterschiede bei der Anzahl der Wells
Zwischenspeicherung der Überschusswärme vom (engl. Bohrloch) (24, 48, 96 oder 384), der Well-
Tag zur Nutzung in der Nacht sind weitere Optio- ausführung (Rund, Eckig oder weitere Spezialfor-
nen der Zukunft. men), der Wellhöhe (Standardplatten oder deep-well
Gleichwohl wird die Kultivierung von Mikro- Platten), dem Material (Polystyrol oder Polypropy-
algen von internationalen Experten und Politikern len), der Transparenz (klares Material, schwarzes
zunehmend als Schlüsseltechnologie zur Erreichung oder weißes undurchsichtiges Material, ohne oder
Kapitel 6 · Bioreaktoren
197 6
mit durchsichtigem Boden) oder auch dem Wellbo- um einen Prozess aus dem Schüttelkolben in Rühr-
den (Flach- oder Rundboden) [32, 82]. kesselreaktoren zu übertragen (Scale-up) [153]. Die
Sowohl Schüttelkolben als auch Mikrotiterplatten eingetragene Leistung erzeugt eine Fluidbewegung
werden zur Durchführung von Kultivierungen auf im Reaktor und bewirkt somit die Durchmischung
Schüttelmaschinen mit orbitaler Rotationsbewegung der Kulturbrühe. Zudem führt die Reibung der
oder linearer reziproker Hin- und Herbewegung bewegten Flüssigkeit zu einem Wärmeeintrag. Der
fixiert. In der Vergangenheit waren Schüttelmaschi- Leistungseintrag wird auch von Eigenschaften des
nen mit linearer reziproker Hin- und Herbewegung Reaktionsmediums wie beispielsweise der Viskosität
verbreiteter. Heute jedoch werden weitestgehend beeinflusst. Bis zu einem kritischen Wert nimmt der
nur noch Schüttelmaschinen mit orbitaler Rota- spezifische Leistungseintrag mit steigender Viskosi-
tionsbewegung eingesetzt [15]. Durch die orbitale tät zu [17]. Das Überschreiten des kritischen Werts
Schüttelbewegung wirkt die Zentrifugalkraft auf das führt allerdings dazu, dass die Flüssigkeit in den
Reaktionsmedium, wodurch sich eine hoch reprodu- Außer-Phase Zustand (7 Abschn. 6.4.1.2) gerät und
zierbare rotierende Flüssigkeitssichel ausbildet. Dies die eingetragene Leistung stark abnimmt [19]. Letzt-
bewirkt eine Durchmischung des Reaktionsmediums lich wirkt sich dies sowohl auf den Grad der Durch-
im Schüttelkolben beziehungsweise den Wells einer mischung als auch auf den Gas-Flüssigkeits-Stoff-
Mikrotiterplatte und führt zu einer vergrößerten Gas- transfer negativ aus [124].
Flüssigkeits-Austauschfläche [20]. Trotz dieses, auf Sowohl in Rührkesselreaktoren als auch in Schüt-
den ersten Blick, einfachen Systems können schwer- telkolben liegt der spezifische Leistungseintrag unter
wiegende Fehler bei der Wahl der Betriebsparameter typischen Betriebsbedingungen für mikrobielle Kul-
begangen werden [15]. Die prinzipiell einfache Funk- tivierungen in einem Bereich zwischen 1 und 10 kW
tionsweise führte dazu, dass lange Zeit die Bedeu- m–3 [17]. Während die Leistung in Rührkesselreak-
tung verfahrenstechnischer Parameter wie dem spe- toren mittels eines elektrisch betriebenen Rührers
zifischen Leistungseintrag (7 Abschn. 6.4.1.1) oder eingetragen wird, erfolgt die Energiedissipation in
der Gas-Flüssigkeits-Stofftransfer (7 Abschn. 6.4.1.5) Schüttelkolben (7 Abschn. 6.4.1.3) an der Kontakt-
unterschätzt wurde [15, 82]. In den letzten Jahren fläche zwischen Schüttelkolbenwand und Reaktions-
konnten jedoch deutliche Fortschritte auf diesem medium. Die experimentelle Bestimmung des spe-
Gebiet gemacht werden. So wurde beispielsweise zifischen Leistungseintrags ist über die Bestimmung
das Außer-Phase-Phänomen (engl.: out-of-phase) der Flüssigkeitstemperaturänderung, den Energie-
(7 Abschn. 6.4.1.2) entdeckt, welches unter ungünsti- verbrauch des Schüttler- bzw. Rührantriebs oder
gen Betriebsbedingungen in Schüttelkolben auftre- über die Messung des mechanischen Drehmoments
ten und sich extrem negativ auf die Kultivierung aus- möglich [17]. Zur Vermeidung zeitaufwendiger
wirken kann [19]. Mit dem erlangten Wissen ist es Experimente kann eine mathematische Korrelation
möglich, Prozesse kontinuierlich zu optimieren und verwendet werden, die den spezifischen Leistungs-
die Produktivität der mikrobiologischen Kulturen eintrag in Schüttelkolben als dimensionslose Kenn-
weiter zu erhöhen. Die wichtigsten grundlegenden zahl angibt. Die Leistung (P) eines bewegten Rührers
Aspekte zur Auslegung orbital geschüttelter Biore- lässt sich als Produkt von Drehmoment (M) und
aktoren und deren Betriebsbedingungen werden in Winkelgeschwindigkeit (ω) beschreiben, wobei das
den folgenden Abschnitten behandelt. Drehmoment wiederum dem Produkt aus Kraft (F)
und Hebelarm (r) entspricht.

Spezifischer Leistungseintrag P = M ⋅ω = F ⋅ r ⋅ω  Gl. 6.38


Der spezifische Leistungseintrag (P/V) quantifiziert
die Gesamtleistung (P), die pro Volumen (V) in die Da der Leistungseintrag in Schüttelkolben über die
Flüssigkeit eines Bioreaktors eingetragen wird und ist Reibung des Reaktionsmediums an der Schüttel-
einer der grundlegende Parameter zur Charakterisie- kolbenwand erfolgt, lässt sich die Kraft F mit dem
rung von Reaktoren. Schon früh wurde der spezifi- Produkt von Wandschubspannung (τw) und der ent-
sche Leistungseintrag als Parameter herangezogen, sprechenden Reibungsfläche (Aw) ersetzen:
198 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

P
Ne′ =  Gl. 6.45
P = F ⋅ r ⋅ ω = τ w ⋅ Aw ⋅ r ⋅ ω  Gl. 6.39 ρ ⋅ n3 ⋅ d 4 ⋅ VL1/ 3

Die Wandschubspannung (τw) wiederum ist eine kann der spezifische Leistungseintrag durch die
Funktion der Flüssigkeitsströmung in Abhängigkeit dimensionslose Kennzahl beschrieben werden:
der Reynolds-Zahl (Re) [141]:
P
Ne′ = = c1⋅π4 ⋅ f ( Re)  Gl. 6.46
τ w = c1 ⋅ρ ⋅ r 2 ⋅ ω 2 ⋅ f ( Re)  Gl. 6.40 ρ ⋅ n3 ⋅ d 4 ⋅VL1/3

wobei c1 eine Konstante und ρ die Dichte der Flüssig- Die Gültigkeit von Gl. 6.46 ist auf Schüttelkol-
keit ist. Die Reynolds-Zahl Re ist wie folgt definiert: ben ohne Schikanen beschränkt, welche In-Phase
(7  Abschn. 6.4.1.2) betrieben werden. Turbulentes
ρ ⋅n⋅d 2  Strömungsverhalten liegt vor, wenn Re > 60.000 ist
6 Re =
η
Gl. 6.41
[125]. Diese Bedingungen sind in der Regel bei Flüs-
sigkeiten mit niedriger Viskosität erfüllt und f(Re)
η ist die dynamische Viskosität des Fluids, n die kann mit der Korrelation für turbulente Bedingun-
Schüttelfrequenz und d entspricht dem maximalen gen (c2 · Re–0,2) ersetzt werden [18]. Bei erhöhter
Innendurchmesser des Schüttelkolbens [17]. Viskosität kann jedoch eine transitionale oder gar
Mit Hilfe eines komplexen und aufwendigen laminare Strömung vorliegen. Entsprechend muss
Modells zur Beschreibung der Flüssigkeitsvertei- Gl. 6.46 mit einem zusätzlichen Term für transitionale
lung in Schüttelkolben niedrigviskoser Flüssigkeiten (Re–0,6) und laminare (Re–1) Strömungsverhältnisse
lässt sich auch die exakte Reibungsfläche Aw berech- erweitert werden [18]:
nen [20]. Da sich die Reibungsfläche Aw jedoch nicht
signifikant mit dem Schütteldurchmesser und der Ne′ = cla ⋅ Re−1 + ctr ⋅ Re−0,6 + ctu ⋅ Re−0,2  Gl. 6.47
Schüttefrequenz ändert, kann die Reibungsfläche
Aw vereinfacht als Produkt von Schüttelkolbenum- Zur dimensionslosen Darstellung des spezifischen
fang (U = 2 · π · r) und Flüssigkeitshöhe (h) beschrie- Leistungseintrags (Ne′) ist in Gl. 6.47 jeweils ein
ben werden [17]: Parameter für laminare (cla), tranistionale (ctr) und
turbulente (ctu) Strömungsverhältnisse enthalten.
Aw = 2 ⋅π ⋅ r ⋅ h  Gl. 6.42 Diese Parameter wurden auf Basis von mehr als 2000
Untersuchungen in Schüttelkolben von 25 mL bis 5 L
Durch Ersetzen der Flüssigkeitshöhe (h) mit dem und einem Füllvolumen zwischen 2 % und 40 % mit
charakteristischen Längenmaß (VL1/3) wird eine der Methode der kleinsten Fehlerquadrate bestimmt
Abhängigkeit vom einfach zu bestimmenden bzw. [18]. Aus den experimentell ermittelten Daten ergibt
bekannten Füllvolumen erreicht (VL). sich unter In-Phase-Bedingungen in Schüttelkolben
ohne Schikanen [18]:
Aw = 2 ⋅π ⋅ r ⋅VL1/3  Gl. 6.43
Ne′ = 70 ⋅ Re−1 + 25⋅ Re−0,6 + 1, 5⋅ Re−0,2  Gl. 6.48
Mit Einsetzen von Gl. 6.40 und 6.43 in Gl. 6.39, sowie
unter Berücksichtigung der Winkelgeschwindigkeit In . Abb. 6.35 ist der Zusammenhang zwischen der
(ω = 2 · π · n) und dem Schüttelkolbendurchmesser ermittelten empirischen Korrelation (Gl. 6.48) und
(d = 2 · r), ergibt sich für die Leistung somit: dem zugrundeliegenden experimentellen Datensatz
dargestellt.
P = c1⋅π4 ⋅ f ( Re)⋅ρ ⋅ n3 ⋅ d 4 ⋅VL1/3  Gl. 6.44 Eine Zunahme des spezifischen Leistungs-
eintrags kann durch Erhöhung der Schüttelfre-
Durch Einführung einer modifizierten Newton-Zahl quenz n, Reduzierung des Füllvolumens V L, Ver-
Ne′ größerung des Schüttelkolbendurchmessers d (bei
Kapitel 6 · Bioreaktoren
199 6

. Abb. 6.35  Modifizierten Newton-Zahl (Ne′) in Abhängigkeit von Reynolds-Zahl (Re) mit unterschiedlichen
Schüttelkolbennennvolumen, Viskosität (0,8–200 mPa s), Schütteldurchmesser (2,5–5 cm) und unterschiedlicher
Schüttefrequenz (80–400 rpm). Experimente, die unter In-Phase-Bedingungen durchgeführt wurden sind mit Symbolen
gekennzeichnet, während Untersuchungen, welche unter Außer-Phase-Bedingungen durchgeführt, mit kleinen Kreuzen
markiert sind. Insgesamt sind 2143 Messungen dargestellt

konstantem Verhältnis von V L1/3 zu d) sowie bei weitgehend mit experimentell bestimmten Werten
Erhöhung der Viskosität η (unter In-Phase-Be- übereinstimmen.
dingungen) erreicht werden. Interessanter Weise Schüttelkolben mit Schikanen werden häufig
hat die Veränderung des Schütteldurchmessers verwendet, um die Durchmischung zu verbessern
bei 500 mL Schüttelkolben im Bereich von 2,5 bis sowie den Sauerstoffeintrag in die Kulturbrühe im
10 cm unter In-Phase Bedingungen keinen signi- Vergleich zu Standardkolben (bei gleicher Schüttel-
fikanten Einfluss auf den spezifischen Leistungs- frequenz) zu erhöhen. Dennoch wird in der Litera-
eintrag in Schüttelkolben [84]. Die Einflussfakto- tur empfohlen, auf Schüttelkolben mit Schikanen
ren und deren Auswirkungen auf den spezifischen möglichst zu verzichten [15, 57, 108]. Die Schika-
Leistungseintrag sind in . Tab. 6.2 übersichtlich nen in den Schüttelkolben werden von Glasblä-
zusammengefasst. sern von Hand und nicht automatisiert hergestellt,
Auch auf Basis der numerischen Strömungsme- sodass jeder Schüttelkolben individuelle Eigenschaf-
chanik (engl. computational fluid dynamics, CFD) ten aufweist. Somit ist die Reproduzierbarkeit von
wurde der spezifische Leistungseintrag in Schüttel- Schüttelkolben zu Schüttelkolben nur unvollstän-
kolben ohne Schikanen untersucht [109, 120, 181]. dig gegeben und ein sinnvoller Vergleich paralleler
In diesen Untersuchungen konnten Werte für den Kulturen schwer möglich [15, 108]. Somit kann für
spezifischen Leistungseintrag berechnet werden, die den spezifischen Leistungseintrag in Schüttelkolben
200 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

. Tab. 6.2  Zusammenfassung der Auswirkungen auf den spezifischen Leistungseintrag bei Änderungen
unterschiedlicher Betriebsparameter

Änderung des Betriebsparameters Einfluss auf P/V Anmerkung

n↑ ↑
VL ↑ ↓
d↑ ↑ Verhältnis von VL1/3 zu d konstant
η↑ ↑ unter In-Phase-Bedingungen

mit Schikanen keine präzise und in weiten Bereichen Mikroorganismus, sondern die Medienzusammen-
6 anwendbare Korrelation angegeben werden [125]. setzung unterscheidet. Entsprechend ist es unerläss-
Mit Hilfe von CFD-Modellen für Schüttelkolben mit lich, die Vergleichbarkeit zwischen parallel betrie-
Schikanen konnte der spezifische Leistungseintrag benen Bioreaktoren sicherzustellen. Nur so ist es
bestimmt werden und in Kultivierungen von fila- letztlich möglich, verlässlich den Einfluss aufgrund
mentösen Pilzen erfolgreich validiert wenden [100]. der geänderten Betriebsparameter zu ermitteln.
Auch zur Charakterisierung des spezifischen Bei orbital geschüttelten Bioreaktoren erzeugt
Leistungseintrags in Mikrotiterplatten wurden CFD die Rotationsbewegung des Schütteltablars eine
Modelle entwickelt, die eine gute Übereinstimmung Zentrifugalkraft, die auf das Reaktionsmedium im
mit experimentell bestimmten Werten aufweisen Inneren des Schüttelkolbens wirkt. Unter geeigneten
[183, 7]. Es konnte gezeigt werden, dass die Durch- Betriebsbedingungen führt dies dazu, dass sich eine
mischung der Flüssigkeit in einer 96-Well Mikro- charakteristische Flüssigkeitssichel bildet, welche
titerplatte intensiver ist als in einer 24-Well Mik- der Kreisbewegung des Schütteltablars in Rich-
rotiterplatte [183]. Für die untersuchten 24-Well tung der Zentrifugalkraft folgt [20, 19]. Aufgrund
Mikrotiterplatten wurde zudem ein durchschnitt- dieser klar definierten Flüssigkeitsverteilung ist es
licher Leistungseintrag von 70 bis 100 W m –3 möglich, die Kontaktfläche zwischen Reaktionsme-
bestimmt, welcher für 96-Well Mikrotiterplatten dium und Schüttelkolbenwand sowie die Gas-Flüs-
deutlich höher bei 500 bis 1000 W m–3 liegt [183]. Bei sigkeits-Austauschfläche genau zu berechnen [20].
der Untersuchung des Wachstums von Hybridomzel- Schüttelkolben, die in diesem Zustand betrieben
len in 24-Well Mikrotiterplatten wurde mittels CFD- werden, sind In-Phase und bieten ein hohes Maß an
Simulationen für den Leistungseintrag ein Bereich Reproduzierbarkeit.
zwischen 5 bis 35 W m–3 ermittelt [7]. Komplett anders verhält es sich mit Schüttelkol-
ben, die unter Außer-Phase-Bedingungen betrie-
ben werden. Außer-Phase-Bedingungen können
Außer-Phase-Phänomen beispielsweise bei Kultivierungen filamentös wach-
sender Mikroorganismen oder bei der Biopolymer-
z Auswirkungen des Außer-Phase-Phänomens produktion durch Viskositätsänderungen des Reak-
Schüttelkolben werden oft als Reaktionsgefäße in tionsmediums auftreten [124]. In diesem Zustand
den ersten Stufen der biotechnologischen Prozess- führt die orbitale Rotationsbewegung nicht zur Aus-
entwicklung eingesetzt [9, 38]. So werden beispiels- bildung der charakteristischen Flüssigkeitssichel.
weise im Stamm-Screening mehrere Schüttelkol- Zudem folgt die Flüssigkeit nicht mehr der Bewegung
ben mit unterschiedlichen Mikroorganismen oder des Schütteltablars [19]. Ein großer Teil des Reak-
Mutanten parallel betrieben und hinsichtlich der tionsmediums verbleibt stattdessen am Boden des
Produktbildung bewertet. Auch in Medienoptimie- Schüttelkolbens und zeigt keine relative Bewegung.
rungen können mehrere Schüttelkolben parallel ein- Dies führt dazu, dass der Leistungseintrag deutlich
gesetzt werden, wobei sich in diesem Fall nicht der reduziert ist, das Mischverhalten sich verschlechtert
Kapitel 6 · Bioreaktoren
201 6
und der Gas-Flüssigkeits-Stofftransfer abnimmt [124, In Gl. 6.49–6.51 sind die Variablen wie folgt defi-
18]. Insbesondere die ausreichende Sauerstoffversor- niert: d0 ist der Schütteldurchmesser, d der Schüt-
gung der Mikroorganismen ist nicht mehr gewähr- telkolbeninnendurchmesser, ρ die Dichte der
leistet [124]. Unter diesen Bedingungen ist ein Ver- Kulturbrühe, n die Schüttelfrequenz, η die dyna-
gleich zwischen parallel betriebenen Schüttelkolben mische Viskosität, VL das Füllvolumen und g die
nicht mehr sinnvoll möglich [105]. Durch Außer- Erdbeschleunigung.
Phase-Bedingungen in Screeningversuchen wird Bei Verwendung von Schüttelkolben mit einem
ein (meist ungewollter) Selektionsdruck hinsichtlich Innendurchmesser zwischen 25 und 50 mm und
einer veränderten Morphologie in Richtung hefear- einem Füllvolumen kleiner als 1 L besteht die Gefahr
tigem Wachstum erzeugt. Somit wird im Stamm- in Außer-Phase-Bedingungen zu gelangen haupt-
Screening von filamentös wachsenden Mikroorga- sächlich bei erhöhter Viskosität der Kulturbrühe
nismen bei den üblichen Endpunktbestimmungen [19]. Erhöhte Viskosität tritt beispielweise bei fila-
der Produktkonzentration tendenziell eine Mutante mentös wachsenden Mikroorganismen oder bei der
ausgewählt, welche aufgrund einer veränderten Mor- Biopolymerproduktion auf. Bei solchen Kultivierun-
phologie zu einer geringen Viskositätserhöhung neigt gen wird empfohlen, die Phasen-Zahl zu berechnen
und somit die Sauerstofflimitierung später oder gar [105]. Sollte die Phasen-Zahl von 1,26 unterschritten
nicht eintritt [124]. Die Tendenz zu einer geringeren werden, ist es in den meisten Fällen am einfachsten,
Viskositätserhöhung der Kulturbrühe kann aufgrund Schüttelmaschinen mit einem größeren Schüttel-
der reduzierten benötigten Rührleistung im Rührkes- durchmesser zu verwenden, da dieser am direktes-
sel des späteren Produktionsprozesses auch als posi- ten in die Phasenzahl eingeht.
tiver Effekt betrachtet werden. Auch in orbital geschüttelten Mikrotiterplatten
kann das Außer-Phase-Phänomen auftreten. Auf-
z Mathematische Bestimmung von Außer- grund des mechanistischen Hintergrunds von Gl. 6.49–
Phase-Bedingungen 6.51 können diese Gleichungen auch zur groben
Zur Bestimmung von In-Phase-Bedingungen in Abschätzung der Bedingungen bei Kultivierungen in
Schüttelkolben ohne Schikanen kann die dimen- Mikrotiterplatten verwendet werden [78].
sionslose Phasen-Zahl Ph herangezogen werden. In Schüttelkolben mit Schikanen wurden Außer-
Die Phasen-Zahl muss den Wert von 1,26 überstei- Phase-Bedingungen bereits bei wasserähnlicher Vis-
gen, um In-Phase-Bedingungen sicherzustellen [17]: kosität und einem Füllvolumen kleiner als 1 L ent-
deckt. Durch zu groß gewählte Schikanen wird die
d0 Geschwindigkeit der rotierenden Flüssigkeitssichel
Ph = ⋅(1 + 3⋅ log10 ( Ref )) > 1, 26  Gl. 6.49
d stark reduziert [19]. Dies kann dazu führen, dass ein
Teil des Reaktionsmediums trotz der Schüttelbewe-
mit der Film-Reynolds-Zahl Ref: gung am Boden des Schüttelkolbens verharrt und die
Durchmischung sowie der Sauerstoffeintrag deut-
lich zurückgehen [124]. Entsprechend sollte bei der
Verwendung von Schikanen die Anzahl und Form

 2 der Schikanen sorgfältig abgewogen werden, um eine
 ρ ⋅ n ⋅ d 2  π  4 V 1/3 2 
   L   Verbesserung der Hydrodynamik zu erzielen und
Re f =  η  ⋅ 2 ⋅1− 1− π ⋅ d  
  Außer-Phase-Bedingungen zu vermeiden.
Gl. 6.50

wobei diese nur eine Gültigkeit bei einer Froude- Energiedissipation beim Betrieb von
Zahl (Fra) größer als 0,4 besitzt [17]: Schüttelkolben
Die hydromechanischen Belastungen, welche in
(2 ⋅π ⋅ n) ⋅ d 
2 2 einem Bioreaktor auf die Mikroorganismen im Reak-
 0
Fra =   > 0, 4  Gl. 6.51 tionsmedium wirken, können insbesondere bei tieri-
 2 ⋅ g 
 schen oder filamentösen Zellkulturen Auswirkungen
202 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

auf das Wachstum und die Produktbildung haben. voll ausgebildete turbulente Strömung im Reaktor
Die Belastung ist von Reaktor zu Reaktor unter- herrscht [100].
schiedlich. Auch innerhalb eines Reaktors ist der Zur Bestimmung der maximalen Energiedissi-
Leistungseintrag in das Reaktionsmedium nicht an pationsrate in Schüttelkolben werden je nach vor-
jeder Stelle identisch [165]. Bei einem Vergleich von herrschendem Flussregime zwei unterschiedliche
Schüttelkolben und Rührkesselreaktoren ist die hyd- Ansätze verwendet [125]. Die Auswahl des Ansat-
romechanische Belastung der verfahrenstechnische zes erfolgt anhand der Reynolds-Zahl (Re). Bei einer
Parameter, welcher sich in beiden Reaktoren wohl Reynolds-Zahl größer als 60.000 (turbulent) kann
am meisten voneinander unterscheidet [16, 26]. die maximale Energiedissipationsrate entsprechend
Während orbital geschüttelte Bioreaktoren einen Gl. 6.52 berechnet werden, wobei für h1 die maximale
geringen lokalen Leistungseintrag aufweisen, ist der Flüssigkeitshöhe eingesetzt wird. Zur Beschreibung
maximale lokale Leistungseintrag bei gleichem spe- der Flüssigkeitsverteilung in Schüttelkolben ohne
zifischem Leistungseintrag (7 Abschn. 6.4.1.1) bei Schikanen ist ein komplexes Modell vorhanden, aus
6 Rührkesselreaktoren um den Faktor 10 bis 20 höher dem mit einigem Aufwand auch die maximale Flüs-
[16]. In begasten Rührkesselreaktoren muss beach- sigkeitshöhe (h1) berechnet werden kann [20]. Zur
tet werden, dass die dispergierten Gasbläschen eine vereinfachten Bestimmung der maximalen Flüssig-
turbulenzdämpfende Wirkung aufweisen und so der keitshöhe wurden zwei empirische Korrelationen
lokale Leistungseintrag reduziert wird [26, 27]. Somit entwickelt [125], die in Abhängigkeit von der axialen
ist es wenig überraschend, dass beim Transfer von Froude-Zahl (Fra)
Bioprozessen aus Schüttelkolben in Rührkesselreak-
2
toren Probleme bei empfindlichen Mikroorganismen (2 ⋅π ⋅ n) ⋅ d 0
Fra =  Gl. 6.53
auftreten können. Nicht selten entstehen während 2⋅ g
einer Kultivierung in Schüttelkolben größere Pellets
als in Rührkesseln [125]. Aufgrund des längeren mit dem Schütteldurchmesser d0, der Schüttelfre-
Diffusionsweges in großen Pellets ist die Sauerstoff- quenz n und der Erdbeschleunigung g verwendet
versorgung der Mikroorganismen im Inneren der werden dürfen. In Abhängigkeit von Fra lässt sich
Pellets verschlechtert und kann Auswirkungen auf die maximale Flüssigkeitshöhe wie folgt berechnen
die Produktbildung haben. [125]:
Entsprechend ist es wichtig, die hydromechani-
sche Belastung bei der Maßstabsvergrößerung (engl. , ⋅ d00,18 ⋅ d −0,11⋅ n0,44 ⋅VL0,34
Fra > 0, 4; h1 = 111
scale-up) eines Bioprozesses zu berücksichtigen. Als  Gl. 6.54
Vergleichskriterium hinsichtlich der hydromechani-
schen Belastung unterschiedlicher Bioreaktoren ist
Fra < 0, 4; h1 = 1, 31⋅ d 00,28 ⋅ d 0,02 ⋅ n0,9 ⋅VL0,35
die lokale maximale Energiedissipationsrate εmax eine
aussagekräftige Größe [53]. Zur Quantifizierung der  Gl. 6.55
maximalen Energiedissipationsrate in Dispergier-
vorrichtungen wird folgender Ansatz genutzt [100]: wobei h1, d0, d in Meter [m], n pro Sekunde [s–1] und
VL in Kubikmeter [m3] angegeben werden.
u3 Für den Fall nicht turbulenter Strömung (Re <
εmax = 0,1⋅  Gl. 6.52
h1 60.000) kann die maximale Energiedissipationsrate
(εmax) gleich der mittleren Energiedissipationsrate
wobei u die Geschwindigkeit des turbulenzerzeugen- (εϕ) angesehen werden [125]:
den Bauteils ist und h1 die charakteristische Höhe des
leistungseintragenden Bauteils beschreibt. In Rühr- P
εφ = = Ne′ ⋅ n3 ⋅ d 4 ⋅VL−2/3  Gl. 6.56
kesselreaktoren wird die Spitzengeschwindigkeit VL ⋅ρ
des Rührers (u = π · n · d) als Geschwindigkeit und
die Höhe der Rührblätter als charakteristische Höhe In Schüttelkolben mit Schikanen kann unab-
verwendet. Gl. 6.52 ist jedoch nur gültig, wenn eine hängig von der Reynolds-Zahl die maximale
Kapitel 6 · Bioreaktoren
203 6
Energiedissipationsrate mit Gl. 6.52 abgeschätzt (engl. Computational Fluid Dynamics, CFD) wurde
werden [125]. zusätzlich das Mischverhalten in 96-Well Mikrotiter-
platten untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass
das Mischverhalten in 96-deep-well Mikrotiterplat-
Mischverhalten in Schüttelkolben und ten prinzipiell besser ist als in 24-Well Mikrotiter-
Mikrotiterplatten platten [183].
Eine gute Durchmischung des Reaktionsmediums
im Bioreaktor ist eine Voraussetzung, um eine
homogene Substratversorgung der Mikroorganis- Gas-Flüssigkeits-Stofftransfer in
men sicherzustellen und reproduzierbare Versuchs- Schüttelkolben und Mikrotiterplatten
ergebnisse zu erhalten. Ist das Mischverhalten in Bei der Auslegung geschüttelter Kleinkultursysteme
einem Bioreaktor nicht optimal, so können (lokale) spielt der Gas-Flüssigkeits-Stofftransfer eine ent-
Sauerstofflimitierungen oder Substrat-/Produkt- scheidende Rolle. In aeroben Kultivierungen wird
überschussinhibierungen auftreten und die Pro- der im Reaktionsmedium gelöste Sauerstoff aufgrund
duktionsleistung der Mikroorganismen signifikant der mikrobiellen Atmung kontinuierlich verbraucht.
reduziert werden. Im Gegenzug werden Stoffwechselprodukte wie Koh-
Neben dem spezifischen Leistungseintrag lenstoffdioxid und gegebenenfalls weitere gasförmige
(7 Abschn. 6.4.1.1) ist die Mischzeit von den Eigen- oder flüchtige Produkte von den Mikroorganismen
schaften des Reaktionsmediums insbesondere der ausgeschieden. Entsprechend ist es wichtig, einen
Viskosität abhängig. Bei niedriger Viskosität ist die ausreichenden Austausch zwischen der Gasphase
Mischzeit bis zur vollständigen Durchmischung und der Flüssigkeit sicherzustellen. Insbesondere
prinzipiell kürzer als bei viskosen Flüssigkeiten. Mit das Einbringen ausreichender Sauerstoffmengen
zunehmender Viskosität sinkt zudem die Phasen- ist essentiell, um sauerstofflimitierte Bedingungen
zahl (7 Abschn. 6.4.1.2), was aufzeigt, dass das Risiko zu vermeiden und so beispielsweise die Bildung
zunimmt in Außer-Phase-Bedingungen im Schüttel- unerwünschte Nebenprodukte zu verhindern [104,
kolben zu gelangen. 153]. Daher müssen die Betriebsparameter (z. B.
Zur experimentellen Bestimmung der Misch- Schüttelfrequenz, Füllvolumen, Schütteldurchmes-
zeit gibt es mehrere Ansätze: Messung der Tem- ser) so gewählt werden, dass die Kultivierung unter
peratur, der Leitfähigkeit, des pH oder auch über optimalen Bedingungen abläuft [15].
visuelle Methoden [160, 174]. Es konnte in Schüt-
telkolben gezeigt werden, dass mit wässrigen Medien z Messung der Sauerstofftransferrate
eine Durchmischung nach 2 Sekunden erreicht wird In der Literatur sind zahlreiche Messmethoden zur
[160]. Für eine viskose Flüssigkeit (38 mPa s) hin- Bestimmung der maximalen Sauerstofftransferka-
gegen wurde eine Mischzeit von bis zu 65 s bis zur pazität (OTRmax) beziehungsweise des volumen-
vollständigen Durchmischung benötigt [160]. Unter- bezogenen Sauerstoffübergangskoeffizienten (kLa)
sucht wurden unterschiedliche Schüttelkolbengrö- beschrieben. Es gibt Methoden, die auf der Bestim-
ßen (100 bis 500 mL), verschiedene Schütteldurch- mung der Gelöstsauerstoffkonzentration (engl. dis-
messer (25 bis 50 mm) und Schüttelfrequenzen (100 solved oxygen tension, DOT im deutschen auch als
bis 300 min–1) basierend auf dem pH-abhängigen pO2 bezeichnet) basieren [58]. Alternativ kann direkt
Farbumschlag von Bromthymolblau. In . Abb. 6.36 die Messung der Sauerstofftransferrate (engl.: oxygen
ist die Abhängigkeit der Mischzeit von der Phasen- transfer rate, OTR) mittels des Respiration Activity
Zahl (Ph) grafisch dargestellt. MOnitoring Systems (RAMOS, 7 Abschn. 6.5.1) erfol-
Auch für Mikrotiterplatten mit 24 und 96 Wells gen [3, 4]. Weitere Ansätze bestimmen die OTR über
wurde die Mischzeit untersucht [7, 174, 183]. In einer den Einsatz von Oxydasen [32].
24-Well Mikrotiterplatte wurde eine mittlere Misch- In vielen Fällen kann die Verwendung der chemi-
zeit von 1,7 s für Flüssigkeiten mit wasserähnlicher schen Sulfit-Methode zur Messung der ORTmax sinn-
Viskosität ermittelt [7]. In Untersuchungen mittels voll sein [106, 166]. Dieses chemische Modellsystem
Verfahren der numerischen Strömungsmechanik bietet den Vorteil, dass keine sterilen Bedingungen
204 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

. Abb. 6.36  Einfluss der Viskosität


auf die Mischzeit im Schüttelkolben.
Mit zunehmender Viskosität steigt
die Mischzeit bei Annäherung
an die kritische Phasen-Zahl (Ph)
von 1,26 stark an. Unter Außer-
Phase-Bedingungen (Ph ≤ 1,26)
verbleibt ein Teil der Flüssigkeit auf
dem Boden des Schüttelkolbens.
Unter In-Phase-Bedingungen (Ph
> 1,26) folgt die Flüssigkeit der
Rotationsbewegung des Schüttlers.
Schüttelbedingungen: 250 mL
Schüttelkolben, Schüttelfrequenz n
= 200 rpm, Füllvolumen VL = 25 mL,
6 Schütteldurchmesser d0 = 50 mm

während der Messung im Reaktor herrschen müssen. der Gas-Flüssigkeit-Austauschfläche größer als bei
Zudem kann sichergestellt werden, dass sauerstoff- der Diffusion durch den Schüttelkolbenverschluss
limitierte Bedingungen im Reaktor vorherrschen. [115, 173]. Basierend auf der Sauerstoffmassenbilanz
Bei Anwendung der Sulfit-Methode ist jedoch eine kann die Sauerstofftransferrate aus der Gasphase in
ausreichende Durchmischung des Reaktors Voraus- die Flüssigkeit wie folgt berechnet werden:
setzung. Durch Inhomogenitäten im Reaktionsme-
dium kann es zu lokalen Sulfit-Konzentrationssen-
ken an der Flüssigkeitsoberfläche kommen, wodurch 2
(
OTR = kL ⋅ a ⋅ LO ⋅ pAbs γ O
2,Gas
− γO 
2,Flussig
)
die Oxidation nicht erfolgt und somit letztlich für die  DOT 
= kL ⋅ a ⋅ LO ⋅ pO ,Gas − ⋅ pO ,Kal 
2  100 
OTRmax falsche Werte gemessen werden [102]. 2 2

 Gl. 6.57
z Diffusionswiderstände bei Kultivierungen im
Schüttelkolben Die OTR ist somit vom Massentransferkoeffizient
Um Kontaminationen von Schüttelkolben während (kL), der spezifischen Grenzfläche (a), der Sauer-
der Kultivierung zu verhindern, wird die Schüttel- stofflöslichkeit (LO ) im Reaktionsmedium sowie
2
kolbenöffnung meist mit Watte-, Papier- oder Poly- vom Sauerstoff-Molanteil in der Gas-γ O ,Gas ) und
2
merschaumstopfen verschlossen [115, 117]. Durch Flüssigphase (γ O , Flussig ) abhängig. Der treibende
2 
solche Stopfen wird zwar die Sterilität während der Gradient kann auch mittels der Differenz des Sauer-
Kultivierung sichergestellt, zeitgleich wird jedoch stoffpartialdrucks in der Gasphase über der Flüssig-
auch ein Diffusionswiderstand für den Gasaustausch keit ( pO ,Gas ) und der Gelöstsauerstoffkonzentration
2
mit der Umgebungsluft erzeugt. Dies führt dazu, dass DOT unter Berücksichtigung des Sauerstoffpartial-
der Sauerstoffpartialdruck im Kopfraum des Schüt- drucks bei der Kalibrierung (DOT/100 · pO , Kal )
2
telkolbens während einer Kultivierung niedriger ist beschrieben werden.∆pO , Kal ist der bei der Kalib-
2
als der Sauerstoffpartialdruck in der Umgebungsluft. rierung gewöhnlich mit Luft herrschende Sauerstoff-
Unter gewöhnlichen Schüttelbedingungen stellt die paritaldruck über der Flüssigkeit. Wenn DOT nahezu
Diffusion durch den Schüttelkolbenstopfen jedoch Null ist (γ O , Flussig ) ≈ 0) und der Sauerstoffmolan-
2 
nicht den limitierenden Schritt der Sauerstoffversor- teil im Kopfraum des Schüttelkolbens angenähert
gung dar [48]. Aufgrund der geringen Sauerstofflös- 0,21 beträgt, entspricht die Sauerstofftransferrate
lichkeit von etwa 1 mmol L–1 (30 °C) in wässrigen (OTR) der maximalen Sauerstofftransferkapazität
Medien bzw. Salzlösungen ist der Widerstand an (OTRmax).
Kapitel 6 · Bioreaktoren
205 6
z Einfluss der Betriebsparameter auf die Schüttelkolben ohne Schikanen gegeben. Für die mit
maximale Sauerstofftransferkapazität in dieser Korrelation ermittelten OTRmax wurde eine
Schüttelkolben Genauigkeit von ±5 mmol L–1h–1 angegeben. In einer
Entsprechend Gl. 6.57 ist die OTR vom volumenbe- weiteren Arbeit konnte gezeigt werden, dass kLa, die
zogenen Sauerstoffübergangskoeffizient (kLa) abhän- mittels Gl. 6.58 berechnet wurden, sehr gut mit kLa
gig. Dieser setzt sich zusammen aus dem Massen- übereinstimmen, die basierend auf gemessenen OTR
transferkoeffizient (kL) und der volumenspezifischen und DOT während Kultivierungen von Kluyveromy-
Phasengrenzfläche (a). Beide Parameter sind von den ces lactis, Escherichia coli und Hansenula polymorpha
gewählten Betriebsbedingungen abhängig. ermittelt wurden [39].
Eine empirische Korrelation zur Abschätzung
der maximalen Sauerstofftransferkapazität wurde z Einfluss der Betriebsparameter auf die
auf Basis der Sulfit-Methode entwickelt [149]. Zur maximale Sauerstofftransferkapazität in
Abschätzung in Kulturmedien muss zusätzlich die Mikrotiterplatten
Sauerstofflöslichkeit im Medium bekannt sein, Mit der zunehmenden Verwendung von Mikrotiter-
welche sich unter anderem rechnerisch bestimmen platten als Bioreaktor sind auch vermehrt Korrela-
lässt [133, 173]. In einer aktuellen Arbeit wurde eine tionen zur Abschätzung der maximalen Sauerstoff-
empirische Korrelation unter Berücksichtigung der transferkapazität zu finden [40, 78, 80]. Auf Basis
Osmolarität zur Abschätzung der OTRmax vorgestellt von Messungen in konventionellen 96-Well Mik-
[110]. Sie repräsentiert angenähert die Änderungen rotiterplatten wurde ein starker Einfluss des Schüt-
der Sauerstofflöslichkeit und des Diffusionskoeffi- teldurchmessers auf die maximale Sauerstofftrans-
zienten mit der Konzentration des Mediums. Die ferkapazität festgestellt [59]. Des Weiteren wurde
Osmolarität des Mediums lässt sich ohne großen die kritische Drehzahl (ncrit) eingeführt [59]. Diese
Aufwand messen und muss nicht berechnet werden. Drehzahl muss überschritten werden, um das Reak-
Auf Basis von über 350 Experimenten wurde fol- tionsmedium innerhalb der Wells in eine Rotations-
gende empirische Gleichung bestimmt [110]: bewegung zu versetzen und die Ausbildung der cha-
rakteristischen Flüssigkeitssichel zu bewirken. Bei
 Osmol 
, −
118  Drehzahlen kleiner als ncrit wurde trotz Rotation des
OTRmax − 7 0,05
= 3, 72 ⋅10 ⋅Osmol ⋅ n  10,1 
Schütteltablars keine Fluidbewegung detektiert. Zur
Berechnung von ncrit wurde eine Gleichung auf Basis
⋅VL−0,74 ⋅ d00,33 ⋅ d 188
, ⋅ p ⋅ y*
R O 2
von Daten aus 96-Well Mikrotiterplatten bestimmt
 Gl. 6.58 [59], welche zudem auch für 48-Well Mikrotiterplat-
ten anwendbar ist [78]:
wobei die Schüttelfrequenz (n) [min–1], das Füll-
volumen (VL) [mL], der Schüttelradius (d0) [cm], σ ⋅d  Gl. 6.59
ncrit =
der maximaler Kolbeninnendurchmesser (d) [mm] 4 ⋅π ⋅VL ⋅ρL ⋅ d0
sowie die Osmolarität (Osmol) [Osmol kg–1] des
Mediums bekannt sein müssen. In diese empiri- σ ist die Grenzflächenspannung (Oberflächenspan-
sche Gleichung sind sowohl Daten für wasserähn- nung) [N/m], d ist der Welldurchmesser [m], VL ist
liche Viskositäten aus Modellversuchen mit dem das Füllvolumen [m3], ρL ist die Flüssigkeitsdichte
Sulfit-System als auch Messwerte aus mikrobiellen [kg m–3] und d0 ist der Schütteldurchmesser [m]. Die
Kultivierungen (16 unterschiedliche Medien und 10 Gleichung basiert auf der Annahme, dass die Ober-
unterschiedliche Organismen) eingeflossen. Durch flächenspannung der Flüssigkeit mit der Zentrifu-
den großen verwendeten Datensatz ist die Gültig- galkraft, welche durch die orbitale Schüttelbewe-
keit der Korrelation zudem in einem breiten Para- gung erzeugt wird, überwunden werden muss, um
meterbereich (Schütteldurchmesser: 1,25–10 cm; die Flüssigkeit in Bewegung zu versetzen. Erst nach
Schüttelkolbendurchmesser: 51–131 mm (≙ Schüt- Überschreiten der kritischen Drehzahl ncrit ist die
telkolbennennvolumen: 50–1000 mL); Füllvolu- OTRmax abhängig von der Schüttelfrequenz. Sofern
men: 2–160 mL; Schüttelfrequenz: 100–450 rpm) für allerdings ncrit unterschritten wird, ist die OTRmax
206 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

unabhängig von der Schüttelfrequenz und bleibt im verglichenen Wellgeometrien gleich sein müssen,
Bereich der Diffusionsrate von Sauerstoff in stehen- um identische Füllhöhen sicherzustellen. Durch
den Flüssigkeiten. die Verwendung des relativen Parameters Peri wird
Für 48-Well Mikrotiterplatten wurde zusätzlich sowohl die Größe, als auch die Anzahl der Schika-
der Einfluss unterschiedlicher Schütteldurchmes- nen berücksichtigt.
ser (von 1 bis 50 mm) und verschiedener Füllvolu-
mina (300 bis 600 µL) auf den kLa untersucht [78]. z Einfluss des Reaktormaterials
Für einen Schütteldurchmesser von 1 mm wurde Konventionelle Schüttelkolben werden aus Glas
keine Zunahme des kLa mit zunehmender Schüt- gefertigt [15]. Inzwischen sind zudem Einweg-
telfrequenz ermittelt. Dieses Phänomen konnte schüttelkolben aus Polycarbonat oder Polypropylen
mit Außer-Phase-Bedingungen (7 Abschn. 6.4.1.2) kommerziell erhältlich [81]. Bei der Herstellung von
erklärt werden. Bei größeren Schütteldurchmessern Mikrotiterplatten wird häufig auf Polystyrol, Polytet-
hingegen konnte eine Abhängigkeit des kLa von der rafluorethylen (Teflon) und Polymethylmethacrylat
6 Schüttelfrequenz gezeigt werden. zurückgegriffen [31]. Entsprechend der Vielfalt der
Ähnlich dem Ansatz in Schüttelkolben, ist es in verwendeten Ausgangsmaterialien weisen die daraus
Mikrotiterplatten möglich, die maximale Sauerstoff- hergestellten Schüttelkolbenreaktoren unterschied-
transferkapazität mit Hilfe von Schikanen zu erhöhen liche Oberflächeneigenschaften auf.
[40, 98]. Dies ist insbesondere bei Kultivierungen Nach Gl. 6.57 hat die spezifische Austauschfläche
mit hohem Sauerstoffverbrauch empfehlenswert, (a) einen direkten Einfluss auf die Sauerstofftransfer-
um sauerstofflimitierende Bedingungen zu vermei- rate. Je nach verwendetem Material des Reaktors kann
den. Im Gegensatz zur Herstellung der Schikanen in die innere Reaktoroberfläche hydrophile oder hydro-
Schüttelkolben aus Glas erfolgt die Herstellung von phobe Eigenschaften aufweisen. Diese Oberflächen-
Mikrotiterplatten nicht manuell. Somit ist sicherge- eigenschaft entscheidet maßgeblich, ob sich ein Flüs-
stellt, dass die Schikanen in jedem Well die gleiche sigkeitsfilm an der Reaktorwand durch das Anhaften
Geometrie aufweisen und die einzelnen Wells unter- der Kulturbrühe ausbilden kann. An einer hydrophi-
einander verglichen werden können. In Mikrotiter- len Reaktorwand, die entsprechend wasseranziehende
platten mit Schikanen können 5- bis 10-fach höhere Eigenschaften aufweist, wird das Ausbilden eines
OTRmax erreicht werden [40]. Um die OTRmax unter- Flüssigkeitsfilms begünstigt und somit die Stofftrans-
schiedlicher Mikrotiterplatten bzw. unterschiedli- ferfläche der Flüssigkeit vergrößert. Aufgrund der
cher Wellformen vergleichen zu können, wurde fol- vergrößerten Flüssigkeitsoberfläche wird der Stoff-
gende empirische Korrelation entwickelt [98]: austausch mit der Gasphase verbessert [20]. In Schüt-
telkolben konnte die maximale Sauerstofftransferka-
−7 6.0 2.37 −0.64 pazität (OTRmax) um bis zu 50 % durch das Erzeugen
OTRmax = 2.5 ⋅10 ⋅ Peri ⋅ n ⋅VL
einer hydrophilen Oberfläche erhöht werden [106]. In
+3.3 ⋅10−4
Mikrotiterplatten wurde das gleiche Verhalten beob-
 Gl. 6.60
achtet [59]. Bei Verwendung von hydrophilen Mikro-
titerplatten muss jedoch berücksichtigt werden, dass
wobei n die Schüttelfrequenz [min–1] und VL das die Schüttelfrequenz, bei der die Flüssigkeit aus dem
Füllvolumen [µL] ist. Peri ein relativer Parameter Well überschwappen kann, bereits früher erreicht
[–], der wie folgt berechnet wird [98]: wird. Somit muss die Drehzahl reduziert werden, was
zu einer Reduzierung der OTRmax führt und letztlich
Umfang Schikanen etwa wieder in den gleichen OTRmax-Niveaus wie bei
Peri =  Gl. 6.61
Umfang Rund hydrophoben Mikrotiterplatten resultiert.

mit dem Umfang des Wells mit Schikanen z Einfluss der Viskosität
(UmfangSchikane) und dem Umfang des Wells mit Die Viskosität des Reaktionsmediums kann sich
runder Referenzgeometrie (Umfang Rund). Es ist beispielsweise durch filamentöses Wachstum oder
zu beachten, dass die Querschnittsflächen der Bildung von Polymeren wie Xanthan [105] oder
Kapitel 6 · Bioreaktoren
207 6
γ-Polyglutamat [179] während der Kultivierung in m ist der dimensionslose Index zum Beschreiben des
Schüttelkolben auf Werte deutlich über 100 mPa Fließverhaltens und K ist der Fluss-Konsistenz-Index.
s erhöhen. Die oben genannten Gleichungen zur Wasserähnliche Reaktionsmedien können als
Abschätzung der maximalen Sauerstofftransferka- newtonsche Fluide betrachtet werden, welche eine
pazität (OTRmax) wurden auf Basis von wasserähn- konstante Viskosität über die Scherrate aufweisen.
lichen Flüssigkeiten bestimmt und sind somit nicht Die Viskosität nichtnewtonscher Flüssigkeiten hin-
für viskose Flüssigkeiten gültig. gegen weist eine Abhängigkeit von der Scherrate auf.
Es wurde gezeigt, dass die Viskosität einen Ein- Mit Hilfe der folgenden Gleichung lässt sich γ eff [s–1]
fluss auf die OTRmax hat [44, 105]. Bei Kultivierun- in Schüttelkolben mit einem Fassungsvermögen von
gen in Schüttelkolben ohne Schikanen wurde fest- 50 bis 1000 mL unter In-Phase-Bedingungen berech-
gestellt, dass die OTRmax bis zu einer Viskosität von nen [45]:
10 mPa s überraschenderweise zunimmt [44]. Der
x / m+1
Anstieg der OTRmax wurde mit dem Ausbilden eines  P / VL 1/ m+1 VL1/3 
γ eff = L1/ m+1⋅ ⋅   Gl. 6.63
dickeren Flüssigkeitsfilms an der Wand des Schüt-  K   d 
telkolbens begründet. Aufgrund des dickeren Flüs-
sigkeitsfilms sättigt sich dieser nicht so schnell mit wobei P/V L der spezifische Leistungseintrag
Sauerstoff auf. Dadurch wird das treibende Sauer- (7   Abschn. 6.4.1.1) ist, VL dem Füllvolumen ent-
stoffkonzentrationsgefälle zwischen Reaktionsme- spricht und d der Schüttelkolbendurchmesser ist. Die
dium und dem Sauerstoffpartialdruck in der Gas- dimensionslosen Kennzahlen x = –0,331 (Exponent
phase des Schüttelkolbens vergrößert. Bei einer der geometrischen Zahl) und L = 2,06 (Proportio-
weiteren Erhöhung der Viskosität (> 20 mPa s) zeigt nalitätsfaktor) sind in folgendem Parameterbe-
sich genau das gegenteilige Verhalten, die OTRmax reich gültig [45]: P/VL = 0,71–15,1 kW m–3; VL =
sinkt aufgrund eines reduzierten Sauerstoffdiffu- 10–100 mL; m = 0,107–1; K = 49–23.233 mPa sm.
sionsvermögens in der Flüssigkeit [44]. Ein Unter- Es ist bemerkenswert, dass hier für Schüttelkol-
schreiten der OTRmax bei wasserähnlicher Visko- ben eine Abhängigkeit vom Leistungseintrag gefun-
sität (~1 mPa s) wurde bis zu einer Viskosität von den wurde. Ältere Arbeiten mit nichtnewtonschen
80 mPa s nicht detektiert. In diesem Punkt unter- Flüssigkeiten in Rührkesseln verwenden meist (aus
scheidet sich der Schüttelkolben extrem von Rühr- Mangel an anderen Korrelationen) das Metzner-Ot-
kesselreaktoren. Bei einer Viskosität von 80 mPa to-Konzept [113], bei welchem die Scherrate linear
s in Rührkesselreaktoren werden lediglich noch mit der Drehzahl korreliert wird. Das Metzner-Ot-
5 % von der OTRmax bei wasserähnlicher Viskosi- to-Konzept wurde allerdings für laminare Bedin-
tät erreicht [44]. gungen abgeleitet und gilt nicht für turbulente Strö-
mungszustände [113]. Henzler und Kauling [56]
z Einfluss der Scherrate leiteten für Rührkessel das Leistungskonzept ab,
Bei der Auslegung eines Bioreaktors muss die effek- welches später bestätigt wurde [24, 54]. Es stellte
tive Scherrate γ eff berücksichtig werden. Diese hat sich heraus, dass das Metzner-Otto-Konzept ein
einen entscheidenden Einfluss auf die apparente Vis- Sonderfall des Leistungskonzepts für vollständig
kosität (ηapp) eines Reaktionsmediums mit nicht- bewehrte Rührkessel im laminaren Strömungszu-
newtonschem strukturviskosen Fließverhalten und stand darstellt.
beeinflusst somit unter anderem den Wärmetrans-
fer und das Mischverhalten (7 Abschn. 6.4.1.4) inner-
halb des Reaktors [44]. Die apparente Viskosität 6.4.2 Geschüttelte Bioreaktorsysteme
(η app) von nichtnewtonschen strukturviskosen Kul- im großen Maßstab
turmedien lässt sich entsprechend dem Fließgesetz
von Ostwald und de Waele wie folgt beschreiben [10, Zur Produktion rekombinanter Proteine in tieri-
75]: schen oder pflanzlichen Zellkulturen werden immer
öfter geschüttelte Systeme in einem Maßstab von 10
m−1
ηapp = K (γ eff )  Gl. 6.62 bis 2000 L eingesetzt [81]. Kultursysteme in diesem
208 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Maßstab bestehen in der Regel aus einer Schüttelma-


n2 ⋅ d0
schine, welche mit zylindrischen Einwegbioreaktoren Froude-Zahl: 0, 05 < < 0, 3
g
ausgestattet werden [85, 103, 116, 184]. Solche zylin-
drischen Einwegbioreaktoren haben gegenüber kom-
VL
plexeren Einwegsystem den Vorteil, dass kein aufwen- Volumen-Zahl: 0, 085 < < 0, 5
d3
diges Design, beispielsweise aufgrund der Integration
eines Rührsystems, entwickelt werden muss [81]. Des Reynolds-Zahl: 2400 < Re < 250.000
Weiteren ist ein einfacher Scale-Up aus Schüttelkol-
ben und Mikrotiterplatten (7 Abschn. 6.4.1) möglich, Zudem muss die kritischen Drehzahl (n′ crit)
welche meist zum Stammscreening oder zur Medien- überschritten werden. Bei Drehzahlen größer als
optimierung eingesetzt werden, da ebenfalls eine reine n′crit wird die Flüssigkeit in orbital geschüttelten
Oberflächenbegasung auftritt [161]. Zur Berech- zylindrischen Bioreaktoren in Rotation versetzt. n′crit
nung charakteristischer Parameter kann jedoch nicht kann wie folgt berechnet werden [84]:
6 einfach auf Modelle oder empirische Gleichungen
1
aus Schüttelkolben zurückgegriffen werden, da die n' crit= ⋅ 0, 28⋅VL ⋅ g  Gl. 6.65
d
Geometrien der Reaktoren deutliche Unterschiede
aufweisen [20]. Während orbital geschüttelte Biore- Zu Gl. 6.64 bleibt anzumerken, dass der Schüttel-
aktorsysteme aus zylindrischen Gefäßen bestehen, durchmesser (d0) einen nicht vernachlässigbaren
hat die Schüttelkolbenwand in der Regel eine sich Einfluss auf den spezifischen Leistungseintrag in
nach oben konische verjüngende Geometrie. Es ist orbital geschüttelten zylindrischen Bioreaktoren
auch bei orbital geschüttelten zylindrischen Biore- hat. Bei Schüttelkolben ist dies nicht der Fall, sodass
aktoren darauf zu achten, dass die in Schüttelkolben bei der Betrachtung des spezifischen Leistungs-
beschriebenen Außer-Phase-Bedingungen (7 Abschn. eintrags in Schüttelkolben d0 nicht weiter berück-
6.4.1.2) nicht auftreten. Daher wird empfohlen auf ein sichtigt werden musste (7 Abschn. 6.4.1.1) [17]. Der
bestimmtes Verhältnis von Schütteldurchmesser (d0) unterschiedliche Einfluss des Schütteldurchmessers
zu Reaktordurchmesser (d) zu achten. Dieses Verhält- auf den spezifischen Leistungseintrag bei orbital
nis (d0/d) wird als Geometrie-Zahl bezeichnet. Die geschüttelte Bioreaktoren und Schüttelkolben ist in
geometrischen Unterschiede zwischen Schüttelkol- . Abb. 6.37 grafisch dargestellt.
ben und zylindrischem Bioreaktor wirken sich auch Unter In-Phase-Betriebsbedingungen, mit Dreh-
auf den spezifischen Leistungseintrag (P/V) in orbital zahlen größer als n′crit, lässt sich der volumenspezi-
geschüttelten zylindrischen Bioreaktoren aus, welcher fische Sauerstofftransferkoeffizient kLa mit folgender
sich nach [84] berechnen lässt: Gleichung bestimmen, die aus einer Dimensionsana-
lyse hervorgegangen ist [83]:
P
= 9 ⋅ g −0,42 ⋅ρ 0,83 ⋅ d 3,34 ⋅ n3,67
V
⋅ η 0,17 ⋅VL−0,56 ⋅ d00,42  Gl. 6.64 kLa = 1, 06 ⋅10−3 ⋅ d 4,3 ⋅ n 2,12 ⋅
VL−1,2 ⋅ v−0,21⋅ DO0,12 ⋅ g −0,51  Gl. 6.66
2
mit g der Erdbeschleunigung [m s–2], ρ der Flüssig-
keitsdichte [kg m–3], d dem Reaktordurchmesser [m], mit d dem inneren Reaktordurchmesser [m], n der
n der Schüttelfrequenz [s–1], η der dynamischen Vis- Schüttelfrequenz [s–1], VL dem Füllvolumen [m3],
kosität [kg m–1 s–1], VL dem Füllvolumen [m3] und v der kinematischen Viskosität [m2 s–1], Do dem
2
d0 dem Schütteldurchmesser [m]. Gl. 6.64 basiert auf Sauerstoffdiffusionskoeffizient [m2 s–1] und g der
experimentellen Daten von orbital geschüttelten –2
Erdbeschleunigung [m s ]. Gl. 6.66 ist nur gültig für
zylindrischen Einwegbioreaktoren mit 10 bis 2000 L orbital geschüttelte zylindrische Bioreaktoren mit
Reaktorvolumen. Die Gültigkeit der empirischen einem Reaktorvolumen von 2 bis 200 L, wenn zudem
Korrelation ist auf folgenden Bereich beschränkt [84]: folgende Bedingungen erfüllt sind [83]:
d0 d0
Geometrie-Zahl: 0, 08 < < 0, 36 Geometrie-Zahl: 0, 06 < < 0, 42
d d
Kapitel 6 · Bioreaktoren
209 6

n2 ⋅ d0
Froude-Zahl: 0, 013 < < 0, 097 
g
V
Volumen-Zahl: 0,18 < L3 < 0, 65
d
d3⋅ g
10
Galilei-Zahl: 6, 2 ⋅10 < 2 < 1, 88 ⋅1012
v
v
Schmidt-Zahl: 417 ⋅10 < 10 < 878
DO
2

6.5 Parallelbioreaktorsysteme für


die Bioprozessentwicklung

6.5.1 Überwachung der


Atmungsaktivität
bei Kultivierungen in
Schüttelkolben (RAMOS)

Tobias Ladner und Jochen Büchs

Die Selektion aussichtsreicher Biokatalysatoren,


Medienoptimierungen oder auch das Stammscree-
. Abb. 6.37  Einfluss des Schütteldurchmessers; (a)
ning erfordern eine enorme Zahl von Parallelver- zylindrisches Gefäß; Nominalvolumen: 20 L; Füllvolumen: 6 L;
suchen. Für solche Anwendungen werden überwie- (b) Schüttelkolben; Nominalvolumen: 500 mL; Füllvolumen:
gend Parallelbioreaktorsysteme wie Schüttelkolben 50 mL
und Mikrotiterplatten (7 Abschn. 6.4.1) eingesetzt
[9, 38]. Mit diesen Kultursystemen werden auf- Informationen liefert, die sonst nur mittels einer auf-
grund des geringeren Materialeinsatzes zum einen wendigen Abgasanalytik verfügbar gemacht werden
Kosten eingespart und zum anderen können zahl- können (. Abb. 6.38a).
reiche Fermentationen in kurzer Zeit durchgeführt Zur Erhöhung der Messdichte wurde zusätzlich
werden [97]. Auch in diesen miniaturisierten Biore- eine mathematische Analysemethode entwickelt
aktoren ist die online Überwachung wichtiger bio- [50]. Die RAMOS-Technik erlaubt durch eine spe-
logische Parameter wie der Sauerstofftransferrate zielle Kalibrier- und Messprozedur die Anpassung
(OTR), die Gelöstsauerstoffkonzentration (DOT), der Empfindlichkeit an die Atmungsaktivität der
pH oder die Biomasse- und Produktkonzentration untersuchten Mikroorganismen bzw. Zellen. Sie ist
unerlässlich, um das Prozessverständnis zu maxi- daher auch für tierische Zellen anwendbar, welche
mieren und die Betriebsbedingungen weiter zu etwa eine um den Faktor 100 geringere Atmungsak-
optimieren. tivität besitzen als Bakterien. Die RAMOS-Technik
Mit RAMOS (Respiration Activity MOnito- ist primär dafür konzipiert, die Vorgänge im Scree-
ring System) ist es möglich, die Atmungsaktivität ning zu erfassen und sichtbar zu machen. Da die Mög-
in acht parallelen Schüttelkolben online zu über- lichkeit besteht, parallel verschiedene Prozessgrößen
wachen [4, 151]. Es handelt sich dabei um eine sehr detailliert beispielsweise auch durch Berechnung von
robuste Messtechnik, welche die Sauerstoff- (OTR) Bilanzen und Stöchiometrien untersuchen zu können,
und die Kohlendioxidtransferrate (CTR) sowie den lassen sich mit dieser Technik auch Teilaufgaben, die
Respirationsquotienten (RQ) bereitstellt und damit traditionell der Prozessentwicklung im Laborreaktor
210 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

. Abb. 6.38  (a) Das Respiration


Activity Monitoring System (RAMOS)
zur Messung der Sauerstoff- und
Kohlendioxidtransferrate und
des Respirationskoeffizienten
(OTR, CTR, RQ) in Schüttelkolben
(b) BioLector-Technology: Quasi-
kontinuierlich Messung von Streulicht
und Fluoreszenzen sowie, bei
Verwendung von Optoden, pH und
Gelöstsauerstoffkonzentration in
Mikrotiterplatten

zugerechnet worden sind, abarbeiten [72, 153]. Durch Gerade für das Screening hat es sich als kritisch
6 eine parallele Versuchsführung können kleinste erwiesen, dass dieses bisher ausschließlich im Satzbe-
Unterschiede zwischen Kulturen aufgedeckt werden, trieb (engl. batch) erfolgt, die spätere Produktion aller-
und die Notwendigkeit offline Proben zu analysieren dings oftmals im Zulaufverfahren (engl. fed-batch).
kann reduziert werden [87, 180]. Daraus ergeben sich große, teils entscheidende Unter-
Um neben OTR, CTR und RQ mittels RAMOS schiede in den Umgebungsbedingungen für die kul-
auch die Gelöstsauerstoffkonzentration (DOT) und tivierten Mikroorganismen. Im Satzbetrieb kann es
den pH online in Schüttelkolben messen zu können, zu einer Inhibierung durch Substratüberschuss oder
werden spezielle Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt [5, durch einen zu hohen osmotischen Druck kommen.
79]. Zur DOT Messung wird der sauerstoffsensitive Viele Mikroorganismen neigen außerdem zu einem
Farbstoff entweder als Optoden an die innere Schüt- overflow-Metabolismus bei dem eventuell hemmende
telkolbenwand geklebt oder als Nanopartikel in der Nebenprodukte gebildet werden oder der pH in
Kulturbrühe dispergiert [39]. Bei Verwendung von ungünstige Bereiche abdriftet. Wenn die Produktbil-
Optoden ist jedoch zu beachten, dass es unter Schüt- dung einer Katabolitrepression unterliegt, produzieren
telbedingungen, die einen hohen Sauerstoffeintrag die Mikroorganismen auf Mineralmedium im batch so
(geringes Füllvolumen und hohe Schüttelfrequenz) gut wie kein Produkt und lassen sich nicht screenen.
ermöglichen, keine Stelle im Schüttelkolben gibt, die Aus all diesen Gründen wird in der Produktion das
permanent mit Kulturbrühe bedeckt ist [49]. Somit Zulaufverfahren bevorzugt. Es ist daher sehr sinnvoll
wird die DOT der Kulturbrühe nicht korrekt gemes- das Screening auch im fed-batch durchzuführen. Solche
sen, sondern ein Mischsignal aus dem Sauerstoff in Systeme können in der Regel mit RAMOS kombiniert
der Gasphase und der Gelöstsauerstoffkonzentra- werden, sodass auch während Zulaufkultivierungen
tion bestimmt [39]. Es konnte gezeigt werden, dass OTR, CTR und RQ gemessen werden können. Zur Rea-
die zugesetzten sauerstoffsensitiven Nanopartikel lisierung des Zulaufbetriebs in Schüttelkolben gibt es
keinen Einfluss auf die Kultivierung unterschied- neben Technologien, die auf einer Pumpensteuerung
licher Mikroorganismen haben und verlässliche basieren [176], auch Systeme, die auf der kontrollier-
DOT-Werte bestimmt werden können [39]. ten enzymatischen Freisetzung [121] beruhen und dif-
Mit Hilfe eintauchender autoklavierbarer pH- fusionskontrollierte feeding-Systeme [72]. Ein Vorteil
Standardelektroden kann eine pH-Messung im der beiden letztgenannten Systeme besteht darin, dass
Schüttelkolben realisiert werden [176]. Durch das kein zusätzliches technisch aufwendiges Equipment
Eintauchen der Sonde wird jedoch die Hydrody- wie Pumpen und Ventile benötigt wird. Eine einfach
namik im Schüttelkolben verändert, weshalb ein anzuwendende und kostengünstige Methode basiert
Vergleich mit Standardschüttelkolben nur bedingt auf der enzymatischen Freisetzung von Glucose [46,
möglich ist [155]. Um eine Beeinflussung der Hydro- 121]. Dazu werden Stärke und hydrolytische Enzyme
dynamik im Schüttelkolben aufgrund der pH-Mes- zum Reaktionsmedium gegeben. Durch die enzy-
sung zu vermeiden, werden ebenfalls Optoden ein- matische Degradierung von Stärke wird Glucose im
gesetzt [5, 79, 139]. Medium verfügbar, welche von den Mikroorganismen
Kapitel 6 · Bioreaktoren
211 6
aufgenommen und verwertet wird. Die Freisetzungs- feste Substrate in das Reaktionsmedium zugefüttert
rate lässt sich über die Stärkekonzentration und die werden, was somit auch eine pH-Regelung erlaubt.
zugesetzten Enzymmengen in einem weiten Bereich
kontrollieren. Diese Freisetzungssysteme sind jedoch
auf Glucose als Substrat limitiert und funktionieren nur 6.5.2 Online Überwachung in orbital
in einem begrenzten pH- und Temperaturbereich. Bei geschüttelten Mikrotiterplatten
Protease- oder Amylase-bildenden Mikroorganismen (BioLector)
ist die Methode nur sehr beschränkt anwendbar. Ein
Beispiel für ein diffusionskontrolliertes feeding-System Tobias Ladner und Jochen Büchs
sind die sogenannten FeedBeads [72]. FeedBeads sind
Elastomerscheiben, die aus einer mit Glucosekristal- Es ist nicht sinnvoll, nur den Durchsatz an Versuchen
len versetzten Silikonmatrix bestehen. Sie sind sche- zu erhöhen, ohne dafür Sorge zu tragen, dass diese
matisch in . Abb. 6.39 dargestellt. Bei Kontakt mit dem auch bei geeigneten Kulturbedingungen ablaufen und
Reaktionsmedium diffundiert Wasser in die Silikon- ohne dass online Informationen über das Verhalten
matrix, wodurch die Glucosekristalle in Lösung über- der kultivierten Mikroorganismen erhalten werden.
gehen und in die Kulturbrühe diffundieren. Die Freiset- Deswegen wurde die sogenannte BioLector-Techno-
zungsrate kann über die chemische Beschaffenheit der logie entwickelt [77, 135]. Es handelt sich dabei um
Polymermatrix, die Struktur und Größe der Elastomer- ein faseroptisches Verfahren, bei dem die verschie-
scheiben sowie die immobilisierten Substratkonzentra- denen Wells von Mikrotiterplatten unter fortgesetz-
tion eingestellt werden. Neben Glucose können so alle tem Schütteln der Reihe nach abgefahren werden
kristallinen Nährstoffe freigesetzt werden. Daneben (. Abb. 6.38b). Es werden das Streulicht und die Fluo-
sind auch pH-Stellmittel einschließbar, wodurch eine reszenzen von beispielsweise Tryptophan, NADH und
pH-Regulierung möglich ist [139]. Riboflavin ausgewertet. Wenn die kultivierten Mikro-
Ein weiteres diffusionskontrolliertes System ver- organismen oder Zellen Zielproteine exprimieren, die
wendet ein Substratreservoir, das zentral im Schüt- mit einem Fluoreszenzprotein fusioniert sind, kann
telkolben eingelassen ist [6]. Mittels einer in das sogar die Produktbildung on-line mitverfolgt werden.
Reaktionsmedium eingetauchten Spitze, die perma- Zusätzlich kann der pH und die Gelöstsauerstoffkon-
nent der Schüttelbewegung folgt, steht das Reservoir zentration (DOT) gemessen werden, wenn eine Mik-
über eine Membran kontinuierlich in Kontakt mit rotiterplatte mit entsprechenden Optoden verwendet
der Flüssigkeit. Basierend auf der Diffusion durch wird. Alternativ kann die DOT mittels Sauerstoff-
die Membran können sowohl flüssige als auch gelöste sensitiver Nanopartikel, die dem Reaktionsmedium

. Abb. 6.39  Konzept der freisuspendierten polymerbasierten Freisetzungssysteme


212 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

zugegeben werden, bestimmt werden [92]. Dieses gezeigt werden [14]. Mit diesen Systemen sind pH-
letztgenannte Messsystem hat den Vorteil, dass der geregelte Fermentationen und Zulaufverfahren mit
Anwender unabhängig von Optoden wird und beliebigen Dosierprofilen im Maßstab von 500 µL rea-
somit jede Mikrotiterplatte verwenden kann. Bei der lisierbar [41]. Es konnte außerdem für Escherichia coli
Nutzung sämtlicher optischer Messsysteme muss und Hansenula polymorpha gezeigt werden, dass sich
jedoch darauf geachtet werden, dass keine Interfe- Kultivierungen aus Mikrotiterplatten (200-µL-Maß-
renz zwischen der biologischen Fluoreszenz und der stab) gut im Laborfermenter (1,4-L-Maßstab) repro-
Fluoreszenz des sensitiven Farbstoffes entsteht [90]. duzieren lassen [76]. Die Grenzen zwischen Screening
Durch solche Interferenzen können fehlerhafte Mes- und Prozessentwicklung verschwimmen daher immer
sungen ausgelöst werden, die sich nur zum Teil kom- mehr. In Zukunft werden wahrscheinlich Screening-
pensieren lassen [90]. Auch bei Mikrotiterplatten ist versuche bereits unter Bedingungen durchgeführt,
es sinnvoll, die fed-batch-Betriebsweise zu realisieren, die dem Produktionsmaßstab qualitativ sehr nahe
um im Screening näher an den Bedingungen im späte- kommen. Es wird eine ganze Reihe von Daten bereits
6 ren Produktionsprozess zu sein. Ähnlich der Anwen- im Screening erfasst, die eine Maßstabsvergrößerung
dung in Schüttelkolben können Elastomerscheiben auf Basis von verlässlichen Informationen ermöglicht.
zum Zufüttern von Nährstoffen oder pH-Stellmit- Die bisher geübte rein empirische Vorgehensweise
teln eingesetzt werden [138]. In einer weiteren Arbeit beim Schritt vom Screening in Schüttelreaktoren hin
wurden Silikon-Elastomere als Depot auf dem Boden zu gerührten Bioreaktoren wird dann der Vergangen-
der Wells immobilisiert und so Glucose während Kul- heit angehören.
tivierungen von Escherichia coli und Hansenula poly- Ein weiterer Vorteil der BioLector-Technolo-
morpha in das Medium freigesetzt [70]. Des Weiteren gie besteht darin, dass eine Kombination mit einem
konnte die Machbarkeit von Mikrotiterplatten zum Pipettierroboter möglich ist und somit eine Prozess-
einmaligen Gebrauch mit mikrofluidischen Vorrich- automatisierung erreicht wird [69, 134]. Dieses kom-
tungen zur Zufuhr von Nährlösungen und pH-Stell- binierte System wird als RoboLector bezeichnet und
mitteln von Volumina im Bereich von Nanolitern ist in . Abb. 6.40 dargestellt. Daraus resultieren ganz

. Abb. 6.40  Der RoboLector, eine Kombination von BioLector-Technologie und Pipettierroboter, ermöglicht eine
automatisierte Prozessführung
Kapitel 6 · Bioreaktoren
213 6
neue Versuchsmöglichkeiten. So kann beispielsweise eine einfache Maßstabsvergrößerung möglich und
bei induzierbaren proteinexprimierenden Stämmen die im Parallelansatz zeiteffizient ermittelten Biopro-
in einem einzigen Versuch die Induktorkonzentra- zessdaten sind unmittelbar nutzbar. Der bioREAC-
tion und der Induktionszeitpunkt in 96 parallelen TOR48 der Firma 2mag AG (München) ermöglicht
Versuchen detailliert optimiert werden. In einer aktu- den gleichzeitigen sterilen Betrieb von 48 Rührre-
ellen Arbeit wurde ein System vorgestellt, mit dem aktoren unter kontrollierten Bedingungen in einem
auf die Zugabe eines Stoffs während der Kultivierung Reaktionsblock [129, 177]. Die Einweg-Reaktoren
zum Induzieren gänzlich verzichtet werden kann und aus Polystyrol haben ein Arbeitsvolumen von 8 bis
stattdessen die Induktion mittels Licht erreicht wird 15 mL (Durchmesser: 20 mm, Höhe: 86 mm) und
[171]. Bei der Herstellung des Mediums wird photo- enthalten vier Strömungsbrecher zur Unterstützung
aktivierbares Isopropyl-β-D-thiogalaktopyranosid der vollständigen Durchmischung. Jeder Reaktor
(engl.: photocaged isopropyl β-D-1-thiogalactopyra- besitzt einen eigenen Gas-induzierenden Rührer aus
noside, cIPTG) zugesetzt. Der Induktor (IPTG) wird PEEK (Polyetheretherketon), der von einem mag-
mittels Bestrahlung mit UV-Licht freigesetzt, worauf- netisch-induktiven Antriebssystem in Rotation ver-
hin die Produktbildung induziert wird. setzt und über einen Wärmetauscher temperiert wird
(siehe . Abb. 6.41).
Die sterile Sauerstoffversorgung erfolgt durch
6.5.3 Miniaturisierte diese Gas-induzierenden Rührorgane (. Abb. 6.44a),
Rührkesselreaktoren die über Hohlachsen Gas aus dem Kopfraum jedes
(Bioreaktorblock) Reaktors ansaugen und durch Querbohrungen ins
Medium dispergieren (. Abb. 6.41). Hierdurch wird
Da Rührkesselreaktoren die Standardbioreaktoren eine gleichmäßige Verteilung der angesaugten Gas-
in der industriellen Biotechnologie darstellen, wird phase im Reaktionsmedium ermöglicht. Der Sauer-
seit einigen Jahren versucht, Rührkesselreaktoren stoffeintrag steigt mit der Drehzahl und erreicht im
zu miniaturisieren und zu parallelisieren, um diese Drehzahlbereich zwischen 2000 und 2800 min−1
für eine effiziente Bioprozessentwicklung nutzbar einen kLa von 0,1 – 0,4 s−1 [167].
zu machen. Hierzu müssen volumetrischer Leis- Zur Prozessüberwachung und -kontrolle ist jeder
tungs- und Sauerstoffeintrag vergleichbar zum tech- Einweg-Rührkesselreaktor mit zwei immobilisier-
nisch eingesetzten Rührkesselreaktor sein, wesent- ten chemischen Sensoren für pH und pO2 am Reak-
liche Prozessgrößen wie beispielsweise Temperatur, torboden ausgerüstet, die berührungslos on-line von
Gelöstsauerstoffkonzentrationen und pH online unter den Reaktoren platzierten optischen Auslese-
erfassbar und regelbar und alle üblichen Prozess- einheiten ausgelesen werden [91, 177]. Durch Kom-
führungen (Satz-, Zulauf- und kontinuierliche Pro- bination des Bioreaktorsystems mit einem Laborro-
zesse) im Parallelansatz realisierbar sein. Nur so ist boter können automatisiert Zulaufverfahren sowie

. Abb. 6.41  Gerührtes Parallelreaktorsystem im Milliliter-Maßstab (bioREACTOR48). (a) Parallelreaktorsystem mit 48


Rührkesselreaktoren auf der Arbeitsfläche eines Pipettierroboters. (b) Schematischer Aufbau der Milliliter-Reaktoren
(Erläuterungen siehe Text)
214 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

die Titration von Base oder Säure zur pH-Rege- 55 bei der Maßstabsverkleinerung des indust-
lung für jeden Reaktor individuell realisiert werden. riellen Riboflavin-Produktionsprozesses mit
Weiterhin können Probenahmen sowie eine at-line rekombinanten Bacillus subtilis im Zulaufver-
Analyse der Proben auf beispielsweise Biomasse-, fahren[86, 167],
Substrat- oder Produktkonzentrationen automati- 55 zur Herstellung von 2-Hydroxyisobuttersäure
siert erfolgen (siehe beispielsweise [86, 167]). mit rekombinanten Cupriavidus necator im
Neben der Möglichkeit einer kontrollierten Pro- Zulaufverfahren [64],
zessführung ist vor allem die Ähnlichkeit der gerühr- 55 bei der Ganzzellbiotransformation zur
ten Milliliter-Bioreaktoren zu gerührten Standard- Herstellung von (R)-2-Octanol mit rekombi-
bioreaktoren ein entscheidender Vorteil. So werden nanten Escherichia coli in zweiphasigen flüssig-
in den Milliliter-Reaktoren vergleichbare Leistungs- flüssig Reaktionssystemen mit ionischen
einträge und Energiedissipationen wie in Reakto- Flüssigkeiten [30],
ren des Labor- und Pilotmaßstabs erreicht [66]. 55 zur Herstellung von Bernsteinsäure mit
6 Die Leistungscharakteristik der Gas-induzierenden rekombinanten Escherichia coli im Zulaufver-
Rührorgane ist dabei dem aus Standardrührreakto- fahren [65],
ren bekannten Verhalten sehr ähnlich (. Abb. 6.42, 55 bei Untersuchungen zur Herstellung von
vgl. auch 7 Abschn. 6.1.2). Es lässt sich klar ein lamina- Aceton, Butanol und Ethanol („ABE-Fer-
rer Bereich und die Ausbildung vollturbulenter Strö- mentation“) mit rekombinanten Clostridium
mung (Leistungskennzahl Ne ist unabhängig von der acetobutylicum unter anaeroben Bedingungen
Strömungskennzahl Re) nachweisen, wobei bei Re > [147],
3000 die Leistungskennzahl Ne ≈ 3,3 ist und damit in 55 zur Produktion von Spinnenseidenproteinen
einer vergleichbaren Größenordnung zu Standard- mit rekombinanten Escherichia coli im
rührreaktoren (Ne ≈ 4–5 für 6-Blatt-Scheibenrüh- Hochzelldichteverfahren mit Biomasse-
rer) liegt. konzentrationen bis 70 g L–1 Biotrockenmasse
Die Nutzbarkeit des Milliliter-Parallelbioreaktor- [37],
systems mit Gas-induzierenden Rührorganen für die 55 zur Herstellung von isotopenmarkierten
kontrollierte Durchführung von bis zu 48 parallelen Zellextrakten mit rekombinanten Escherichia
Bioprozessen im Satz- und Zulaufverfahren und die coli für Metabolomanalysen bei der L-Phenyl-
Skalierbarkeit in den Litermaßstab wurde für ver- alaninherstellung aus Glycerin [172],
schiedene mikrobielle Prozesse mit hoher paralleler 55 bei der Verfahrensentwicklung zur Herstellung
Reproduzierbarkeit gezeigt wie beispielsweise halophiler Enzyme mit dem rekombinanten

. Abb. 6.42  Leistungskennzahl Ne


als Funktion der Reynoldszahl Re für
das Gas-induzierende Rührorgan des
Milliliter-Bioreaktorsystems
Kapitel 6 · Bioreaktoren
215 6
extremophilen Bakterium Haloferax volcanii Bewachsen der Reaktorwände, was vor allen Dingen
[154] oder in Milliliter-Bioreaktoren problematisch ist.
55 zur Herstellung einer Lipase mit der rekombi- Um die Kultivierung mycel- und pelletbildender
nanten Hefe Komagataella pastoris im Zulauf- Mikroorganismen im Milliliter-Maßstab zu ermög-
verfahren bis 60 g L–1 Biotrockenmasse mit lich, wurde ein neuartiges, ebenfalls magnetisch-in-
Methanol als Induktor und Kohlenstoffquelle duktiv antreibbares Rührorgan entwickelt (Paddel-
[145]. Hier konnte auch eine direkte Maßstabs- rührer), das schematisch in . Abb. 6.43 aufgezeigt
vergrößerung vom 10 mL- in den m3-Maßstab ist [67, 68]. Ein magnetisch-induktiv angetriebenes
demonstriert werden. Rührorgan rotiert in einem unbewehrten Reaktor
und erzeugt eine sich entlang der Reaktorwand aus-
In zahlreichen industriell relevanten biotechnologi- breitende Flüssigkeitslamelle [13]. Dadurch entsteht
schen Prozessen finden mycel- und pelletbildende ein stark erhöhtes Oberflächen/Volumen-Verhält-
Mikroorganismen Anwendung. Durch die komplexe nis (. Abb. 6.44b), sodass ein hoher Sauerstoffein-
Morphologie dieser Mikroorganismen ergeben sich trag über die Oberfläche erfolgen kann (kLa > 0,15
neue Anforderungen an die Mikro-Bioverfahrens- s−1). Durch die schnell rotierende Flüssigkeitslamelle
technik. Zum einen ist die Morphologie der Mik- werden Wandwachstum und Schaumbildung effek-
roorganismen von den im Bioreaktor auftretenden tiv verhindert.
Kräften abhängig, die wiederum einen starken Ein- Anhand der Kultivierung des Actinomyceten
fluss auf die Produktivität der Zellen haben kann. Streptomyces tendae konnte beispielhaft gezeigt
Zum anderen ändert das Kulturmedium, vor allem werden, dass das neue Rührorgan für Kultivierungen
bei Mycelwuchsform, seine Eigenschaften von von Mycelbildnern geeignet ist. Wachstum und Pro-
einem niedrigviskosen newtonschen Verhalten hin duktbildung des pharmazeutisch wirksamen Fungi-
zu stark strukturviskosem nichtnewtonschen Fließ- zids Nikkomycin Z zeigen im Milliliter-Bioreaktor (V
verhalten. Dadurch kommt es vor allem zu Proble- = 10 mL) und Laborbioreaktor (V = 2000 mL) über
men bezüglich des Gas-Flüssig-Stoffaustausches, mehr als 120 Stunden Kultivierungszeit einen nahezu
die das in .  Abb. 6.41 und 6.44a gezeigte Gas-in- gleichen Verlauf, wobei in beiden Maßstäben hohe
duzierende Rührorgan nicht lösen kann. Weiterhin Biomassekonzentrationen und Viskositäten vorlie-
neigen filamentöse Mikroorganismen stark zu einem gen (. Abb. 6.43, rechts).

. Abb. 6.43  (a) Schematischer Aufbau eines gerührten Milliliter-Bioreaktors mit Paddelrührer zur Kultivierung mycel- und
pelletbildender Mikroorganismen. (b) Gemessene Biotrockenmasse (Quadrate) und gebildete Menge des Fungizids Nikkomycin
Z (Dreiecke) bei der parallelen Satzkultivierung von Strepromyces tendae W42-0 in zwölf gerührten Milliliter-Reaktoren
(geschlossene Symbole, n = 1200 min–1, V = 10 mL, T= 29 °C) im Vergleich zu einem Referenzprozess im Labor-Rührkesselreaktor
(offene Symbole, n = 800 m–1, V = 2 L, T = 29 °C)
216 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

Die Nutzung von miniaturisierten Rührkessel- ermöglicht worden [144]. Der kontinuierliche Zu-
reaktoren im Parallelansatz für enzymatische Pro- und Ablauf der Flüssigphase erfolgt hierbei über
zesse kann ebenfalls Entwicklungszeiten verkür- Kapillaren aus Edelstahl mit einem Innendurchmesser
zen. Einfach ist dies bei gelösten Substraten (siehe von 250 µm und miniaturisierten Peristaltikpumpen,
beispielsweise [29]). In der industriellen Biotech- sodass ein chemostatischer Betrieb möglich wird. In
nologie wird zunehmend versucht, Lignocellulose- einem Parallelansatz mit acht Chemostaten im Milli-
haltige pflanzliche Biomasse für Mikroorganismen litermaßstab konnten damit beispielsweise genügend
verfügbar zu machen. Hierzu müssen Pflanzenmate- Fließgleichgewichtszustände eingestellt werden, um
rialien wie beispielsweise Stroh zunächst gemahlen die kinetischen Parameter eines mikrobiellen Wachs-
und mit unterschiedlichen chemischen oder thermi- tumsmodells für Escherichia coli schnell und effizient
schen Vorbehandlungsverfahren für die enzymati- zu identifizieren [144]. Damit kann der große Nachteil
sche Verzuckerung von Cellulose und Hemicellu- von chemostatischen Untersuchungen in der Biopro-
lose aufgeschlossen werden. Zur Suspendierung von zessentwicklung – die bei sequentieller Durchführung
6 so vorbehandelten Pflanzenmaterialien in Milliliter- im Litermaßstab notwendigen langen Prozesszeiten –
Rührkesselreaktoren für enzymatische Umsetzungen in einfacher Weise überwunden werden.
wurde ein weiteres spezielles Rührorgan entwickelt Parallele Rührkesselreaktoren im Millilitermaß-
[131, 132]. Mit diesem S-Rührer (siehe . Abb. 6.44c) stab (bioREACTOR48) ermöglichen Hochdurch-
konnte beispielsweise gemahlenes und hydrothermal satz-Bioprozessentwicklungen unter vergleichbaren
aufgeschlossenes Weizenstroh mit einer Partikelgröße Bedingungen, wie sie in Rührreaktoren des Labor-
von durchschnittlich 2 mm (maximal 15 mm) mit und Pilotmaßstabs vorliegen. Durch die Möglich-
Feststoffgehalten bis 10 % enzymatisch exakt genauso keit, Rührorgane und Einweg-Bioreaktoren einfach
wie im Litermaßstab verzuckert werden, sodass die auszutauschen, ist dieses Parallelreaktorsystem für
Anpassung von Enzymmischungen an unterschied- eine Vielzahl unterschiedlicher Bioprozesse mit Mik-
liche oder unterschiedlich aufgeschlossene Pflanzen- roorganismen oder Enzymen nutzbar. Damit kann
materialien effizient im Parallelansatz möglich ist. die Entwicklung biotechnologischer Prozesse effizi-
Der kontinuierliche Betrieb von Milliliter- ent stattfinden, da bereits zu einem früheren Zeit-
Rührkesselreaktoren ist ebenfalls im Parallelansatz punkt in der Produktentwicklung viele parallele

D E F

. Abb. 6.44  Rührorgane des gerührten Parallelreaktorsystems im Milliliter-Maßstab (bioREACTOR48) am Gasverteilerdeckel.


(a) Gas-induzierendes Rührorgan im Einwegbioreaktor mit Schikanen (links) und ohne Einwegbioreaktor. (b) Paddelrührer
für mycelbildende Mikroorganismen (links) und CFD-Simulation der sich ausbildenden Flüssigkeitsoberfläche im Betrieb (die
Kontur des Einwegbioreaktors ohne Schikanen ist grau angedeutet). c) S-Rührer für stark feststoffhaltige Suspensionen im
Einwegbioreaktor ohne Schikanen (links) und ohne Einwegbioreaktor
Kapitel 6 · Bioreaktoren
217 6
Bioprozesse unter kontrollierten technischen Bedin- darstellen können. Einweg-Bioreaktoren werden
gungen durchgeführt werden können. Weiterhin ist in sehr unterschiedlichen Formen wie T- oder Rol-
durch die verfahrenstechnische Auslegung dieses lerflaschen, Schüttelkolben oder einfacher bezie-
Milliliter-Bioreaktorsystems eine zuverlässige Maß- hungsweise zylindrischer Beutel (engl. bags) in
stabsübertragung gewährleistet. Dies zeigt sich auch Größen von 2 L bis derzeit 2000 L kommerziell
an ersten Nutzungen in anderen Anwendungsgebie- angeboten. Sie können sowohl statisch beispiels-
ten, beispielsweise bei der Prozessentwicklung zur weise für adhärent wachsende Zellkulturen oder
Herstellung von Polymervesikeln [127]. bewegt in Form von Schüttelkolben, wave bags oder
Rührreaktoren eingesetzt werden. Sie haben den
Vorteil, dass sie flexibel und schnell einsatzfähig
6.6 Spezielle Bioreaktoren sind, da sie Gamma-sterilisiert zu beziehen sind
(ready-to-use) und bei den Beutelsystemen mittels
6.6.1 Einweg-Bioreaktoren für spezieller Kupplungssysteme einfach sterile Ver-
Säugertierzellen bindungen hergestellt werden können. Die bewegt
betriebenen Systeme können mit disponiblen opti-
Franz Walz schen pH- und pO2-Sensoren ausgerüstet werden
und bieten damit alle wesentlichen Elemente kon-
Die Entwicklung von Einweg-Bioreaktoren (engl. dispo- ventioneller Bioreaktoren. Da diese Einweg-Biore-
sable/single use bag bioreactors) ist in den letzten Jahren aktoren nur einmal verwendet werden, entfällt die
enorm forciert worden [33] und der industrielle Einsatz Reinigung, was für den kommerziellen Gebrauch
dieser Systeme hat sich weltweit auf breiter Front durch- unter cGMP (engl. current Good Manufacturing
gesetzt. Aufgrund ihrer Eigenschaften sind Einweg- Practice) das Risiko für Kreuzkontaminationen
Bioreaktoren vielseitig einsetzbar. Dies reicht von der von vornherein ausschließt.
Züchtung individueller Stamm- und Blutzellen über die Eine breite Verwendung hat inzwischen der soge-
Züchtung von Gewebe für medizinische Anwendungen nannte Wave Bioreactor® [126] gefunden, bei dem
im kleinen Maßstab bis hin zur Herstellung therapeu- die Zellen in einem Einweg-Plastikbeutel in einer
tischer Proteine und antiviraler Impfstoffe im Maßstab langsam schwingenden Wanne kultiviert werden
bis zu 2000 L. Inzwischen gibt es Produktionsanlagen (. Abb. 6.45).
die ausschließlich mit Einweg-Systemen (Bioreaktoren Bei den Rührreaktoren gibt es mittlerweile
und Beutel) betrieben werden, da die initialen Investi- ebenfalls umfangreiche Einweg-Systeme, die in ver-
tionskosten im Vergleich zu einer Edelstahl-Anlage um schiedenen Größen bis zu 2000 L und mit der ent-
mehr als einem Drittel geringer sein können. Zusätzlich sprechenden Technik und Steuerung ausgestattet
lassen sich damit die Realisierung und Inbetriebnahme
von Produktionsanlagen erheblich beschleunigen.
Diese Einweg-Bioreaktoren werden aus ver-
schiedenen, für diesen Verwendungszweck zuge-
lassenen Kunststoffen wie beispielsweise Poly-
ethylen (ULD-PE), Polypropylen (PP) oder
Polytetrafluorethylen (PTFE) hergestellt, die hin-
sichtlich der sich aus den Kunststoffen herauslö-
senden Stoffe (engl. leachables and extractables) gut
charakterisiert sind und die für die verschiedenen
Anwendungen stetig weiterentwickelt werden. Lea-
chables und extractables können für bestimmte
Anwendungen problematisch werden, da sie die
Zellkultivierung negativ beeinflussen, das Produkt . Abb. 6.45  Wave Bioreaktor® (mit freundlicher
schädigen oder bedenkliche Verunreinigungen Genehmigung der Fa. Sartorius Stedim Biotech)
218 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

erhältlich sind. In . Abb. 6.46 ist ein 500 L Reaktor


dargestellt. In zahlreichen Studien wurde inzwi-
schen nachgewiesen, dass mit single-use bioreac-
tors (SUBs) in allen untersuchten Maßstäben bei der
Säugertierzellkultivierung vergleichbare Ergebnisse
erzielt werden können wie mit Edelstahlreaktoren
hinsichtlich Zellwachstum, Metabolismus und Pro-
duktqualität [150].
Für die Kultivierung von vorwiegend adhären-
ten Zellen können disponible Hohlfaser-Memb- . Abb. 6.47  Hohlfaser-Membranmodul

ranmodule verwendet werden. Hier wachsen die


Zellen auf der Außenseite und sind durch die semi-
permeable Membran vom mit Sauerstoff angerei- die Entwicklung von biologischem Ersatz zur Wie-
6 cherten Nährmedium getrennt (. Abb. 6.47). Solche derherstellung, Erhaltung oder Verbesserung der
Einweg-Hohlfasermodule werden für die schnelle Gewebefunktion.“
und flexible Herstellung kleinerer Mengen an Protei- Anders als in 7 Kap. 12, in dem die Zellkultivie-
nen [25] oder für den Einsatz als künstliches Organ rung der Vermehrung von Zellen oder der Produk-
verwendet. tion von Pharmaka in Form von zellulären Proteinen
dient, hat das Tissue Engineering das Ziel, funktionel-
les Gewebe herzustellen. Das Vorgehen beim Tissue
6.6.2 Bioreaktoren für das Tissue Engineering ist in . Abb. 6.48 dargestellt. Nach der
Engineering Isolation primärer Zellen aus einer Gewebebiop-
sie erfolgt eine Vermehrung mittels Standardzell-
Verena Charwat und Jan Hansmann kulturmethoden. Im Anschluss daran werden die
Zellen auf eine formgebende Trägerstruktur ausge-
Tissue engineering ist ein dynamisch wachsendes, sät. Diese dient als Gerüst, beeinflusst aber auch die
stark inter- und transdisziplinäres Forschungsge- Eigenschaften und Funktionen des Gewebes. Das
biet. Der Begriff Tissue Engineering wurde auf einer Konstrukt aus Zellen und Trägerstruktur unterläuft
Konferenz der National Science Foundation 1988 wie dann eine Gewebereifungsphase innerhalb derer das
folgt definiert: Gewebe Funktionen aufbaut. Nach der Reifung kann
„[…] die Anwendung der Prinzipien und das Gewebekonstrukt als Implantat oder Testsystem
Methoden der Ingenieur- und Lebenswissenschaf- verwendet werden. Dabei unterliegt die Herstellung
ten mit dem Ziel des grundlegenden Verständnis- dieser Implantate, die als Advanced Therapy Medi-
ses der Beziehung zwischen Struktur und Funktion cinal Products (ATMP) klassifiziert werden, stren-
in normalen und erkrankten Säugergeweben und gen Vorschriften und Richtlinien, die dem Schutz der
öffentlichen Gesundheit dienen.
Durch Methoden des Tissue Engineering erzeugte
Gewebe besitzen verschiedene Vorteile gegenüber
klassischen Spendergeweben. Beispielsweise ist der
Gewebe- oder Organersatz prinzipiell zu jedem
Zeitpunkt verfügbar, wodurch notwendige Opera-
tionen planbar werden. Ferner kann durch Erzeu-
gung autologer Implantate aus patienteneigenen
Zellen das Abstoßungsrisiko des Implantats mini-
miert werden. Hier kommen zunehmend Stamm-
. Abb. 6.46  Einweg-Rührreaktor BIOSTAT STR500 (a) zellen zum Einsatz, die unter optimierten Kultivie-
im leeren Zustand und (b) in Betrieb (mit freundlicher rungsbedingungen vermehrt und organspezifisch
Genehmigung der Fa. Sartorius Stedim Biotech) ausdifferenziert werden. Die gute Verfügbarkeit
Kapitel 6 · Bioreaktoren
219 6
. Abb. 6.48  Phasen der
,,,
Gewebeherstellung im Tissue =HOOYHUPHKUXQJ
Engineering

,9
*HZHEHKHUVWHOOXQJ

,,
=HOOLVRODWLRQ

9
*HZHEHUHLIXQJLP
%LRUHDNWRU

,
3DWLHQW'RQRU

9,D %LRSVLH

9,E
7HVWV\VWHP

und die Möglichkeit Gewebe mit humanen Zellen klinischer Studien am Menschen zu schließen. Da
unter standardisierten Bedingungen herzustellen, die Gewebe mit Zellen menschlichen Ursprungs auf-
eröffnen auch neue Wege innerhalb der Arzneimit- gebaut werden, lassen sie grundsätzlich eine genau-
telerforschung und -entwicklung. Bevor ein Medi- ere Abschätzung der Wirkung einer Testsubstanz auf
kament in die klinische Prüfung gelangt, erfolgen den Menschen zu. Jedoch müssen zum Erreichen
Untersuchungen, beispielsweise an Zellkulturen oder einer regulatorischen Akzeptanz eines auf Tissue
im Tier. Während Zellkulturen ein sehr artifizielles Engineering basierenden Testsystems Endpunkte
Testsystem darstellen, limitieren die Unterschiede definiert und die Testverfahren validiert werden.
zwischen Mensch und Tier die Voraussagekraft Bereits regulatorisch akzeptierte Testverfahren wie
und Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Tierversu- beispielsweise die Beurteilung der korrosiven und
chen. Mit Methoden des Tissue Engineering herge- irritativen Eigenschaften einer Substanz bestätigen
stellte humane Gewebe sind eine Technologie, die die Anwendbarkeit von künstlichen Geweben im
es erlaubt, die Lücke zwischen dem Tierversuch Bereich der kosmetischen, chemischen und pharma-
und der Anwendung eines Medikaments innerhalb zeutischen Industrie. Im Vergleich zur Herstellung
220 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

eines Implantats stellt die Produktion von Testsyste- Gewebereifungsphase. Diese Reifungsphase kann
men hinsichtlich Chargengröße und Gewebeeigen- je nach Gewebe mehrere Wochen dauern, wobei die
schaften unterschiedliche Anforderungen. Handelt Funktionalität und die Gewebeeigenschaften des spä-
es sich beim Implantat meist um ein patientenspezi- teren Produkts maßgeblich von den Prozessparame-
fisches Produkt mit geringer Chargengröße, so sollen tern während dieser Phase beeinflusst werden.
Testsysteme in möglichst hoher Anzahl mit gleich- Die Kultivierung der Gewebekonstrukte für
bleibenden Eigenschaften bereitgestellt werden. das Tissue Engineering erfolgte zunächst überwie-
Die Komponenten eines Tissue Engineering Pro- gend unter statischen Bedingungen, also in Gewe-
zesses sind Zellen, Nährmedien und Trägerstruk- bekulturschalen (. Abb. 6.49) wie sie aus der klassi-
turen. Diese sind je nach Gewebe und Anwendung schen Zellkultur bekannt sind. Problematisch dabei
sorgsam auszuwählen und aufeinander abzustimmen. ist, dass die Versorgung der Zellen mit Nährstof-
Während für klinische Anwendungen hauptsächlich fen auf beziehungsweise innerhalb einer dreidi-
primäre Zellen, insbesondere Stammzellen, verwen- mensionalen Trägerstruktur inhomogen ist. Dies
6 det werden, ist der Aufbau von Testsystemen auch mit kann zu einem verlangsamten Wachstum bis hin
Zelllinien möglich. Diese zeichnen sich durch gute zum Absterben der Zellen in der Trägerstruktur
Verfügbarkeit aus, stellen jedoch ein Modellsystem führen. Der Anspruch möglichst schnell funktions-
dar, welches nur begrenzt die Eigenschaften von pri- fähiges Gewebe zu generieren führte in den letzten
mären Zellen wiedergibt. Die für das Tissue Enginee- Jahren zur Entwicklung von spezifischen Bioreak-
ring benötigten Nährmedien haben eine komplexe toren, die eine sichere Prozesskontrolle ermögli-
chemische Zusammensetzung und werden zumeist chen. Durch die Verwendung von Bioreaktoren ist
mit zelltypspezifischen Zusätzen wie Serum oder eine bessere Versorgung der Zellen mit Nährstof-
Wachstumsfaktoren versetzt. Zur Herstellung spe- fen gewährleistet, sodass schneller ein biologisch
zifischer Trägerstrukturen steht heute eine Vielzahl aktives Gewebe unter kontrollierten und reprodu-
an biologischen oder synthetischen Biomaterialien zierbaren Bedingungen entsteht. Auf Grund der
zur Verfügung, die beispielsweise als Hydrogele, komplexen und vielfältigen Ansprüche des Tissue
gesponnene Fließe oder poröse Feststoffe zum Einsatz Engineering findet sich jedoch heute eine Vielzahl
kommen. Eine kritische Rolle innerhalb der Gewebe- an hochspezialisierten Einzellösungen während
herstellung spielen die Kulturbedingungen während Standardbioreaktoren vergleichsweise selten zum
der in . Abb. 6.48 als Prozessschritt V dargestellten Einsatz kommen.

. Abb. 6.49  Kultursysteme für das


Tissue Engineering
Kapitel 6 · Bioreaktoren
221 6
Prinzipiell können sämtliche für Suspensions- entstehen laminare Strömungsverhältnisse und das
kulturen entwickelte Reaktorsysteme auch für das Medium wird effizient durchmischt. Der RWVR hat
Tissue Engineering eingesetzt werden. Allerdings unter anderem für die Differenzierung von Zellen
sind Anpassungen für adhärent wachsende Zellen zu Knorpel- und Nervengewebe Anwendung gefun-
notwendig. Im einfachsten Fall dienen frei schwim- den. Ein ähnliches Prinzip wird im biaxial rotieren-
mende Mikroträger, sogenannte Mikrocarrier, als den Bioreaktor (TisXell), von QuinXell angewendet.
Trägerstrukturen. Sie ermöglichen die dynamische Hier entsteht Mikrogravitation durch gleichzeitige
Kultivierung adhärenter Zellen bei einem hohen Rotation des Kulturgefäßes um 2 Achsen.
Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis. Mikrocarrier Neben Suspensionskulturen mit frei bewegli-
sind jedoch für die Kultivierung von Gewebe nur chen Zellaggregaten, kommen im Tissue Engineering
bedingt geeignet und werden hauptsächlich zur hauptsächlich Kultursysteme zur Anwendung, bei
Zellvermehrung eingesetzt. Alternativ können auch denen fixierte Trägerstrukturen von Nährmedium
Zellaggregate ohne zusätzliche Trägermaterialien in um- oder durchspült werden. Beispielsweise können
Suspension kultiviert werden. Ein weitverbreiteter besiedelte poröse Trägerstrukturen an Nadeln im
Reaktortyp für Suspensionskulturen sind Spinner- Inneren von Spinnerflaschen befestigt werden. In
flaschen, die vom Aufbau und ihrer Funktionsweise Anlehnung an den rotating wall vessel reactor gibt
klassischen Rührkesselreaktoren ähnlich sind. Die es Systeme, die statt dem Gehäuse die Trägerstruk-
Suspension aus Zellkonstrukten und Nährmedium turen drehen. Dies erzeugt ebenfalls eine Scherbe-
wird mittels eines beispielsweise magnetgetriebe- lastung, und die Zellen können alternierend einer
nen Rührers in Bewegung gehalten und so eine gute Gas- und Flüssigkeitsphase ausgesetzt werden. Auf
Durchmischung und Nährstoffversorgung erzielt. Je diese Weise kultivierte Stammzellen zeigten eine
nach Zelltyp ist die durch das Rühren eingebrachte erhebliche Mineralisierung und exprimierte Gene,
mechanische Beanspruchung der Gewebekonstrukte die eine vorangeschrittene Differenzierung zu Kno-
schädlich oder – innerhalb eines gewissen Bereichs – chengewebe belegen. In speziellen Perfusionsreakto-
förderlich. Gewebe wie beispielsweise Knorpel und ren wie etwa dem kommerziell erhältlichen U-CUP-
Knochen, die auch im Körper mechanischen Kräften Reaktor wird die Trägerstruktur so eingespannt,
ausgesetzt sind, entwickeln ihre volle Funktionsfä- dass das Kulturmedium nicht um das Gewebe her-
higkeit erst unter entsprechender Stimulation. Hin- umströmen kann sondern durch die Poren des drei-
gegen muss bei der Kultivierung von mechanisch dimensionalen Konstrukts fließen muss. Dadurch
empfindlichem Gewebe die Rührleistung besonders wird eine besonders effiziente Nährstoffversorgung
vorsichtig eingestellt werden. Zur Minimierung gewährleistet. Eine technische Variante der Perfu-
mechanischer Kräfte können die Gewebekonstrukte sionsreaktoren stellt das sogenannten T-CUP-Sys-
auch in eine schützende Hydrogelmatrix eingebet- tem (Tissue Culture Under Perfusion) dar bei dem
tet werden. Dies wird derzeit etwa bei organotypi- die porösen Gerüste in einen beweglichen Stempel
schen Hirnkonstrukten erfolgreich angewendet. Eine eingebracht werden. Die Perfusion erfolgt somit
zellschonende Alternative zu gerührten Bioreakto- nicht durch Pumpen des Mediums sondern durch
ren stellen Beutelsysteme wie der Wave Bioreactor® Auf- und Abbewegung des Stempels. Durch die
dar (siehe . Abb. 6.45). Die Zellsuspension wird in fluidmechanische Belastung wird die Differenzie-
Kunststoffbeutel gefüllt und auf einer Kippplattform rung in Knochen- oder Knorpelgewebe induziert.
durch zwei- oder dreidimensionales Schwenken in In Perfusionskulturen kann die Zellaussaat entwe-
Bewegung gehalten. Ohne die Verwendung eines der in statischer Vorkultur oder dynamisch inner-
Rührers arbeitet auch der rotating wall vessel reactor halb des Reaktors erfolgen, indem die Zellsuspen-
(RWVR). Dieser Reaktortyp wurde im Jahr 1992 von sion dem Perfusionskreislauf zugeführt wird. Die
der NASA entwickelt, um Zellen in einer Umge- Perfusionsgeschwindigkeit muss an die verschiede-
bung simulierter Mikrogravitation zu kultivieren. nen Prozessschritte von Zellbesiedelung bis Gewebe-
Er besteht aus einem rotierenden Zylinder, in dem reifung angepasst werden. Wird ein Perfusionsreak-
sich wiederum horizontal ein rotierendes Kulturge- tor im kontinuierlichen Modus betrieben, so findet
fäß befindet. Durch die Bewegungen der Zylinder ein permanenter Austausch von Zellkulturmedium
222 H. Chmiel und D. Weuster-Botz

statt, wodurch sich die Konzentration toxisch wir- Auch im Bereich des kardiovaskulären Tissue
kender Stoffwechselprodukte minimiert. Durch Engineering ist die mechanische Stimulation von
Regulation der Flussrate lässt sich ferner die Nähr- Gewebe von großer Bedeutung. Hierbei ist jedoch
stoffkonzentration dem Zellmetabolismus anpas- eine pulsatile Druck- und Scherbelastung physiolo-
sen und der mechanische Scherstress einstellen. In gisch, die normalerweise in den Blutgefäßen durch die
Kombination mit fluiddynamischen Modellen und Herzaktivität hervorgerufen wird. Somit unterschei-
Computersimulationen erlauben Perfusionsbiore- den sich Bioreaktoren für das kardiovaskuläre Tissue
aktoren, Scherspannungen gezielt zur Beeinflus- Engineering von denen für Gewebe des muskuloskele-
sung des Zellzustands zu nutzen. Perfusionsreakto- talen Systems. Als Trägerstrukturen dienen meist aus
ren werden häufig für Applikationen im Bereich des dehnbarem Biomaterial gefertigte Schlauchsysteme.
Tissue Engineering von Knochen- und Knorpelkons- Diese werden an der Innenseite mit Endothelzellen
trukten eingesetzt. besiedelt und mit Zellkulturmedium perfundiert.
Eine spezielle Klasse der Perfusionskulturen Die Außenseite des Konstruktes wird anschließend
6 stellen sogenannte mikrofluidische Systeme dar. Es mit glatten Muskelzellen besiedelt, um die natürli-
handelt sich dabei um miniaturisierte Durchfluss- che Wand eines Blutgefäßes aufzubauen. Die Perfu-
kammern, in denen Zellen kultiviert und differen- sion des Lumens führt zu einer mechanischen Belas-
ziert werden. Oft erfolgt in mikrofluidischen Syste- tung, wie sie im Körper vorhanden ist: Scherkräfte des
men die Integration von Sensoren oder Aktuatoren. durchströmenden Blutes sowie radiale Dehnung der
Ein aktueller Trend ist die Entwicklung komplexer Wand, wie sie beim Herzschlag erzeugt wird.
Co-Kultursysteme mit dem Ziel, funktionelle Organ- Die genannten Beispiele zeigen, dass Bioreaktoren
modelle zu etablieren. Solche Systeme sind heutzu- im Tissue Engineering abhängig von der Physiologie
tage unter dem Begriff Organ-on-a-Chip bekannt. Auf gewebespezifisch konzipiert werden müssen, um eine
Grund ihrer geringen Größe eignen sich mikrofluidi- möglichst gute Annäherung an die im Körper herr-
sche Bioreaktoren ausschließlich für die Etablierung schenden Bedingungen zu erreichen. Zusätzlich hat
von Testsystemen, während sie zur Gewebezüchtung sich herausgestellt, dass Designmerkmale wie die Aus-
für klinische Anwendungen ungeeignet sind. legung als geschlossenes System und Einweg-Bioreak-
In den letzten Jahren erfolgte die Etablierung ver- toren den erfolgreichen Einsatz von Bioreaktoren im
schiedener gewebespezifischer Bioreaktorsysteme, Tissue Engineering unterstützen und die Handhabung
in denen neben Scherkräften weitere mechanische verbessern. Zur Minimierung von Anwendungsfeh-
Reize wie beispielsweise Druck oder Zug zur geziel- ler und zum Erreichen einer hohen Reproduzierbar-
ten mechanischen Stimulation von Gewebe ausge- keit, sollte die Komplexität eines Bioreaktorsystems
übt werden können (. Abb. 6.49). Dabei ist es das möglichst gering gehalten werden. Dies kann durch
Ziel, die physikalischen Reize so anzupassen, dass die Integration verschiedener Komponenten wie Sen-
sie den physiologischen Bedingungen im Körper soren und Pumpen in ein Gesamtsystem mit zentra-
nachempfunden sind. Vor allem bei der Herstel- ler Bedienmöglichkeit erreicht werden. Aufgrund der
lung von Geweben des muskuloskeletalen Systems Abhängigkeit der Gewebeeigenschaften von den Kulti-
(wie Knochen-, Knorpel-, Sehnengewebe) spielen vierungsbedingungen müssen die für ein Gewebe rele-
diese Systeme eine Rolle. Beispielsweise existieren vanten Prozessgrößen identifiziert und kontinuierlich
Bioreaktoren für Knorpelkonstrukte, die mechani- geregelt werden. Dazu ist die Messung aussagekräftiger
sche Belastungen im Gelenk nachahmen. Hierfür Prozessgrößen notwendig. Meist beschränkt sich das
wird eine Kugel mit Druck über ein Zellkonstrukt Spektrum gemessener Prozessgrößen jedoch auf phy-
gerollt. Zusätzlich wird das Zellkonstrukt von oben sikalische Größen wie Druck, pH oder Temperatur, da
nach unten bewegt, um eine Modulation des Drucks Gewebeeigenschaften oft nur schwer zugänglich sind.
zu erreichen. Die entstehenden mechanischen Kräfte Die Entwicklung von zerstörungsfreien Messverfahren
umfassen Rotations- und Druckkräfte sowie Scher- zur Gewebecharakterisierung ist daher eine Schlüssel-
spannungen aufgrund der Bewegung des Zellkultur- disziplin für Bioreaktoren und das Tissue Engineering.
mediums. Die entstehenden mechanischen Stimuli Die dynamische Kultivierung in Bioreaktoren hat
entsprechen der Belastung wie sie beim Beugen des die Möglichkeiten des Tissue Engineering stark erwei-
Knie- oder Ellenbogengelenks auftritt. tert, allerdings können auch heutzutage noch keine
Kapitel 6 · Bioreaktoren
223 6
beliebig großen und komplexen Gewebekonstrukte   [8] Beirat Algenbiotechnologie (2016) Mikroalgen-Biotech-
nologie – Gegenwärtiger Stand, Herausforderungen,
als Implantat oder Testsystem hergestellt werden. Ein
Ziele. Dechema ,Frankfurt am Main.
wichtiger Faktor, der in zahlreichen aktuellen For-   [9] Betts JI, Baganz F (2006) Miniature bioreactors: current
schungsansätzen bearbeitet wird, ist die Etablierung practices and future opportunities. Microb Cell Fact 5:21
von Gefäßstrukturen in künstlich erzeugtem Gewebe, [10] Blanch HW, Bhavaraju SM (1976) Non-Newtonian fer-
um eine optimale Versorgung unabhängig von der mentation broths: rheology and mass transfer. Biotech-
nol Bioeng 18 (6):745–790
Konstruktgröße zu erreichen. Eine weitere Limita-
[11] Blombach B, Takors R (2015) CO2 – intrinsic product,
tion der meisten heute verfügbaren Systeme stellt ihre essential substrate and regulatory trigger of microbial
Spezialisierung auf ein einziges Gewebe dar. Wichtig and mammalian production processes. Front Bioeng Bio-
ist daher die Entwicklung von Bioreaktoren, die eine technol 3:108. https://doi.org/10.3389/fbioe.2015.00108
Kombination unterschiedlicher Gewebetypen zu [12] Borowitzka MA, Moheimani NR (2013) Algae for Biofuels
and Energy. Springer, London
komplexeren funktionellen Einheiten unterstützen.
[13] Brüning S, Weuster-Botz D (2014) CFD analysis of inter-
Ein klinisch relevantes Beispiel dazu ist der Übergang phase mass transfer and energy dissipation in a millili-
von hartem zu weichem Gewebe an der Schnittstelle ter-scale stirred-tank reactor for filamentous microorga-
zwischen Knochen und Sehne. Ferner scheitert die nisms. Chem Eng Res Des 92:240–248
breite industrielle Anwendung von im Labor herge- [14] Buchenauer A, Hofmann MC, Funke M, Büchs J, Mokwa
W, Schnakenberg U (2009) Micro-bioreactors for fed-
stellten humanen Geweben als Testsystem trotz deren
batch fermentations with integrated online monitoring
Vorteile unter anderem an den Herstellungskosten and microfluidic devices. Biosens Bioelectron 24:1411–
und der meist limitierten Menge an verfügbarem 1416
Ausgangsmaterial. Durch die Entwicklung von auto- [15] Büchs J (2001) Introduction to advantages and prob-
matisierten Produktionsverfahren in vollintegrierten lems of shaken cultures. Biochem Eng J 7:91–98
[16] Büchs J, Zoels B (2001) Evaluation of maximum to spe-
parallelisierbaren Bioreaktoren besteht die Möglich-
cific power consumption ratio in shaking bioreactors. J
keit, Herstellungskosten zu verringern und die Ver- Chem Eng Japan 34:647–653
fügbarkeit von Gewebemodellen weiter zu steigern. [17] Büchs J, Maier U, Milbradt C, Zoels B (2000) Power con-
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231 7

Sterilisation und Sterildesign


Jörg Hinrichs, Heinrich Buck und Gerhard Hauser

7.1 Thermische Stabilität von Mikroorganismen – 232

7.2 Kinetik der thermisch induzierter Veränderungen – 233

7.3 Vergleich und Optimierung des Behandlungseffekts – 236

7.4 Sicherheitsniveau für Sterilisationsprozesse – 238

7.5 Kontinuierliche Verfahren zur thermischen


Mediumsterilisation – 238
7.5.1 Direkte Dampfsterilisation – 238
7.5.2 Indirekte Sterilisation über Wärmetauscher – 239

7.6 Sterilfiltration – 239


7.6.1 Sterilisation von Flüssigkeiten – 239
7.6.2 Sterilisation von Gasen – 242
7.6.3 Filterintegritätstest – 244

7.7 Funktion von Dampfsterilisatoren (Autoklaven) – 244

7.8 Sterilisierbare Bioreaktoren – 245


7.8.1 Aufbau autoklavierbarer Bioreaktoren – 245
7.8.2 Aufbau SIP-fähiger Bioreaktoren – 245

7.9 Sterildesign – 246


7.9.1 Material- und Oberflächenqualitäten für Bioreaktoren – 247
7.9.2 Stutzen für Messwertgeber – 249
7.9.3 Sterile Probenahmeventile – 251
7.9.4 Gestaltung der Zuluftstrecke – 253
7.9.5 Abdichtung von Rührerwellen – 255

Literatur – 258

Danke für die Unterstützung an Frau Dr. Zeynep Atamer und Herrn Dr. Dirk Sievers

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_7
232 J. Hinrichs et al.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Produktions- bei 121–150 °C für 30–20 min. Das Substrat und
sicherheit biotechnologischer Prozesse ist, dass der dem Prozess zugeführte flüssige Medien werden
Fermentationsprozess nicht durch Fremdorganis- batchweise bei 110–120 °C für 40-20 min oder kon-
men gestört wird. Daher müssen bevor der Biopro- tinuierlich im Durchfluss mit Temperaturen von
zess gestartet wird, Bakterien, Sporen und Virus- 135–150 °C für 10–1 s sterilisiert. Bei Anwesenheit
partikel (ggf. auch Prionen) möglichst vollständig von Prionen ist eine Temperatur von 134 °C für min-
abgetötet bzw. ausreichend inaktiviert werden (= Ste- destens 18 min sicher zu stellen. Vergleichbare Erhit-
rilität). Zudem muss die Anlagentechnik so ausge- zungsbedingungen werden für flüssige Stoffströme
führt sein (= Sterildesign), dass während des Betriebs genutzt, die den Bioreaktoranlagenbereich verlas-
keine prozessfremden Organismen in die Anlage sen. Die Sterilfiltration wird für Gase genutzt. Ebenso
gelangen und den Bioprozess stören (= aseptische können flüssige hitzelabile Substrate oder Medien, die
Betriebsweise, steriler Zustand). Wird mit patho- keine prozessstörenden Teilchen wie z. B. Enzyme,
genen oder gentechnisch modifizierten Organis- Prionen oder Viruspartikel enthalten und in denen
men gearbeitet, so ist durch technische Maßnah- der Anteil an suspendierten Teilchen, die den Filter
men sicher zu stellen, dass keine Organismen und verstopfen können, gering ist, sterilfiltriert werden.
7 Stoffe in die Umgebung gelangen. Steril bzw. frei von
störenden Organismen müssen damit die folgenden
Systeme sein: 7.1 Thermische Stabilität von
55 das Substrat, alle dem Prozess zugeführten Mikroorganismen
sonstigen Stoffe, wie Nährstoffe, Pufferlösungen
etc. und auch Gase; Je nach Gattung, Art und z. T. Spezies besitzen Bak-
55 der Bioreaktor und die dazugehörige terien, Hefen, Schimmelpilze und auch Viruspartikel
Peripherie, wie Medienzu- und Ableitungs- eine unterschiedliche thermische Stabilität. Im Tem-
systeme, Belüftungssysteme, Messstutzen, peraturbereich der Pasteurisation (65 °C für 30 min
Probenahmeventile, Filter bis 100 °C für einige Sekunden) werden diese jedoch
55 Stoffe bzw. Stoffströme, die den Bioreaktor- im Allgemeinen inaktiviert (. Abb. 7.1). Die thermi-
anlagenbereich verlassen. sche Sterilisation zielt insbesondere auf die Inaktivie-
rung bakterieller Sporen ab, die eine deutliche höhere
Das am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Inak- thermische Stabilität als Pilzsporen besitzen. Manche
tivierung von Mikroorganismen ist die Sterilisa- Bakterien, z. B. Bacillus und Clostridien bilden bei
tion mittels Hitze. Weitere Möglichkeiten sind die ungünstigen Lebensbedingungen Sporen, die sich
Bestrahlung mit γ- oder Elektronenstrahlen, die Plas- durch einen geringen Wassergehalt und eine beson-
masterilisation, die Sterilfiltration und die chemische dere Sporenhülle auszeichnen. Diese bakteriellen
Sterilisation (Desinfektion), die je nach Beschaffen- Überlebensformen besitzen eine hohe Temperatur-
heit des zu sterilisierenden Systems, z. B. Flüssigkeit, (<100 °C) und Druckresistenz (>1000 MPa), über-
Gas, Metalloberfläche etc. Anwendung finden. stehen Austrocknen und man benötigt intensive
Bioreaktoranlagen müssen so konstruiert und die γ-Bestrahlung zur Inaktivierung. Sobald die Milieu-
Oberflächen so beschaffen sein, dass sie leicht gerei- bedingungen günstig sind, keimen die Sporen aus
nigt und vor der Inbetriebnahme sterilisiert werden und die Bakterien vermehren sich.
können (= Hygenic Design). Übliche Reinigungs- Die thermische Stabilität von Sporen wird durch
schritte für einen Bioreaktor sind: Vorspülen mit das Umgebungsmilieu beeinflusst: Tendenziell ist die
Wasser von 40-60 °C für mindestens 5 min; alkalische Stabilität im sauren etwas geringer und sie steigt mit
(1–2,5 %) Reinigung mit 65–75 °C für mindestens zunehmendem osmotischen Druck (bzw. abneh-
10 min; Zwischenspülen mit Wasser mit 65–75 °C für mender Wasseraktivität aw-Wert) oder abnehmender
mindestens 5 min, saure (1 %) Reinigung mit 65–75 relativer Luftfeuchte. So werden für die Sterilisation
°C für mindestens 10 min; Ausspülen mit Wasser von Oberflächen in trockener Luft Temperaturen von
(65–75 °C). Die nachfolgende Sterilisation des Bio- 180 °C eingesetzt und mit Sattdampf sind Tempera-
reaktorssystems erfolgt mit gesättigtem Wasserdampf turen von 121 °C (200 kPa) üblich.
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
233 7
. Abb. 7.1  Übliche
Temperaturbereiche für die
Fermentation, Pasteurisation und
Sterilisation von Substraten

Der traditionelle Weg für die Berechnung der zuerst vor allem das Absterbeverhalten des empfind-
Effektivität des Erhitzungsprozesses basiert auf der licheren, dann das der stabileren Sporenart erfasst.
Annahme, dass die Abtötung der Mikroorganismen Eine heterogen aus verschiedenartig hitzeresisten-
linear, d. h. nach einer Reaktion 1. Ordnung, ver- ten Sporen zusammengesetzte Mischflora führt zu
läuft. Jedoch ist die Abtötungskurve der Mikroorga- Kurven vom Typ C. Dieser Kurvenverlauf wird eben-
nismen oft (in vielen Fällen) nicht linear. Die in der falls beobachtet, wenn nicht alle Sporen der erhitz-
. Abb. 7.2 dargestellten Grundtypen geben einen ten Suspension einzeln vorliegen, sondern geringe
Überblick über häufig beschriebene Kurvenverläufe Mengen in Klumpen von mehreren Sporen. Aber
für Abtötungsreaktionen. Die Kurve A zeigt über auch ein winziger Anteil Sporen mit extremer Hit-
den gesamten Zeitbereich der Temperatureinwir- zeresistenz kann zum sogenannten „Tailing“ führen.
kung einen streng log-linearen Verlauf entsprechend Kurven vom Typ D zeigen eine scheinbar verzögerte
einer Reaktionsordnung n = 1. Der Kurventyp B wird Abtötung, was als „Schulter“, bezeichnet wird. Diese
typischerweise gefunden, wenn die erhitzte Sporen- ausschließlich bei kurzen Erhitzungszeiten auftre-
suspension aus zwei Stämmen besteht. Dabei wird tende Nichtlinearität ist häufig darauf zurück zu
führen, dass bei der Bestimmung der Ausgangsspo-
renzahl nicht alle Einzelsporen erfasst werden, und
zu Beginn der Erhitzung neben der Sporenabtötung
eine Hitzeaktivierung ruhender Sporen stattfindet.

7.2 Kinetik der thermisch


induzierter Veränderungen

Charakteristisch für thermische Sterilisationspro-


zesse sind definierte Temperatur-Haltezeit-Kombi-
nationen, mit denen vegetative Mikroorganismen
und bakterielle Sporen inaktiviert werden. Wird
ein komplexes Substrat thermisch behandelt, laufen
nicht nur die gewünschten Reaktionen ab, sondern
auch unerwünschte chemische Reaktionen, wie z.
B. Verlust an Vitaminen. Die auf molekularer Ebene
ablaufenden Reaktionen, wie z. B. bei der Sporen-
inaktivierung, und deren Kinetik (Geschwindig-
. Abb. 7.2  Häufig beobachtete Grundtypen von
Inaktivierungskurven mit log-linearem (A), biphasigem (B), keit) sind häufig nicht vollständig bekannt, denn sie
log-linearer Verlauf mit Tailing (C), Schulter mit log-linearem werden durch die komplexe Zusammensetzung des
Verlauf (D) Substrats und die Milieubedingungen beeinflusst.
234 J. Hinrichs et al.

Entsprechend arbeitet man vereinfacht mit der (und auch n) graphisch über zwei Schritte bestimmt
sogenannten Formalkinetik, bei der die thermi- werden, im ersten Schritt aus den Graphen Ct = f(t)
sche Behandlung als „Black Box“ betrachtet wird. für jeweils T = const. die Geschwindigkeitskonstan-
Messbare Veränderungen, wie z. B. Konzentration ten kT aus der Steigung bestimmt werden. Im zweiten
an Sporen oder eines Vitamins infolge einer Tem- Schritt werden über die Arrhenius-Auftragung log kT
peratur-Zeit-Einwirkung werden quantifiziert und = f(1/T) die Parameter kref und EA ermittelt. Möglich
modelliert. ist es auch, alle Messdaten (Ct, t, T) in einem Schritt
Die Abnahme der Konzentration dC an Mikro- mittels nichtlinearer Regression auszuwerten und die
organismen oder Sporen, der Abbau eines Inhalts- Parameter kref, EA in einem Durchgang zu bestim-
stoffs oder die Aktivitätsabnahme eines Enzyms men. Die Modellgleichung ergibt sich durch Einset-
innerhalb der Reaktionszeit dt kann bei konstanter zen von Gl. 7.4 in Gl. 7.2 zu
Temperatur T über einen allgemeinen Ansatz mit
n-ter Reaktionsordnung beschrieben werden.   E 1  
 1  
Ct = C0 ⋅ exp −kref ⋅ exp − A ⋅  −  ⋅ t  für n = 1
  R  T Tref  

dC
= −kT ⋅ C n 
7 dt
Gl. 7.1
 Gl. 7.5

Der Proportionalitätsfaktor ist die Geschwindig- Für n ≠ 1 können die Parameter k, n, EA über Gl. 7.3
keitskonstante der Reaktion kT. Die Reaktionsord- mit Gl. 7.4 bestimmt werden.
nung n wird empirisch bestimmt und kann beliebige Eine Diskussion verschiedener Modelle zur
Zahlenwerte oder auch Null annehmen. Für einer Auswertung experimenteller Inaktivierungsdaten
Reaktionsordnung von n = 1 lässt sich Gl. 7.1 einfach beispielsweise der Kurven in . Abb. 7.2 findet sich
integrieren und es folgt: bei Geeraerd et al. [4, 5]. Zu empfehlen ist in jedem
Fall die Eignung des Modells graphisch zu über-
Ct = C0 ⋅ exp (−kT ⋅ t )  Gl. 7.2 prüfen, indem die Messdaten C t(gemessen) den
berechneten Modelldaten C t(berechnet) gegen-
Für eine Reaktionsordnung n ≠ 1 ergibt sich: übergestellt werden.
Nach wie vor wird das klassische Konzept von
1/(1−n) Bigelow, Ball und Stumbo mit Dϑ-, F-, und zϑ- Werten
 (n−1) 
Ct = C0 ⋅ 1 + (n −1)⋅ kT ⋅ t ⋅ C0   Gl. 7.3
  zur Beschreibung der Inaktivierung von Mikroorga-
nismen, Sporen, Viren oder auch Enzymen genutzt
Die Geschwindigkeitskonstante kT ist temperatur- [11]. Das Konzept setzt allerdings einen log-linearen-
abhängig (siehe . Abb. 7.3) und wird allgemein über Verlauf der Inaktivierung voraus (siehe . Abb. 7.2,
den Arrhenius-Ansatz beschrieben: Kurve A) bzw. der Ansatz ist nur gültig für n = 1. Der
Dϑ-Wert ist definiert als Zeit, die bei einer bestimm-
 E 1 ten Temperatur notwendig ist, um die Konzentration
1 
kT = kref ⋅ exp − A ⋅  −   Gl. 7.4 auf 1/10 des Ausgangswerts zu reduzieren (. Abb.
 R  T Tref  7.3). Der Dϑ-Wert ist aus der temperaturabhängigen
Geschwindigkeitskonstante kT für Reaktionen mit n
kref repräsentiert die Geschwindigkeitskonstante bei = 1 zu berechnen:
Referenztemperatur1 Tref [K], EA die Aktivierungs-
energie [J mol−1] und R = 8314 J (mol K)−1 die Allge- 2, 303
meine Gaskonstante. Experimentell können kref, EA Dϑ = mit T [ K ] = 273 K + ϑ [ º C] Gl. 7.6
KT

Der F-Wert bezeichnet das Vielfache i des Dϑ-Werts:


1 Die Referenztemperatur kann beliebig gewählt werden.
Für Experimente ist es günstig diese in die Mitte der
betrachteten Temperaturbereiche zu legen. F = i ⋅ Dϑ  Gl. 7.7
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
235 7
von 2,5 min bei 121 °C genannt. Dieser ergibt sich
nach Gl. 7.7 aus einer angenommenen Reduktion der
Sporenanzahl von Clostridium botulinum (D121°C =
0,21 min) um i = 12 Zehnerpotenzen.
In einem engen Temperaturbereich und eben-
falls nur gültig für eine Reaktionsordnung von n =
1, gilt folgender Zusammenhang zwischen zϑ-Wert
und Aktivierungsenergie EA:

2, 303 ⋅ R ⋅ T 2
zϑ ≅ mit T [ K ] = 273 K + ϑ[°C]
Ea
 Gl. 7.8

Der zϑ-Wert stellt diejenige Temperaturerhöhung


dar, die notwendig ist, um den gleichen Inaktivie-
rungseffekt in 1/10 der Zeit zu erreichen. In . Tab. 7.1
. Abb. 7.3  Vorgehensweise zur Bestimmung der sind beispielhaft kinetische Daten zur Inaktivierung
temperaturabhängigen Geschwindigkeits¬konstante kT bzw. von Mikroorganismen, Sporen, Bakteriophagen und
des Dϑ-Werts für n = 1 (siehe Gl. 7.6)
Enzymen in flüssigen Medien zusammengestellt.
Durch bestimmte Inhaltsstoffe, z. B. Zucker oder
und wird dazu genutzt, verschiedene Sterilisations- den Matrixeffekt kann die thermische Resistenz von
prozesse bezüglich ihres Inaktivierungseffekts F- Sporen zusätzlich erhöht werden.
Werts zu vergleichen. Als Referenzwert für die Ste- Die thermische Inaktivierung von Sporen auf
rilisation von Lebensmitteln wird häufig ein F0-Wert Oberflächen mittels Luft hängt von der relativen

. Tab. 7.1  Größenordnung von Inaktivierungsdaten hitzeresistenter Sporenbildnern, Bakteriophagen, Vitamine und
Enzymen im flüssigen Medien (neutral, Wasser oder Pufferlösungen)

Gruppe Bezeichnung ϑref n kref [s–1]* EA[kJ Dϑ,ref zϑ,ref


[°C] [–] kref mol–1] [min] [K]
[C0(1−n)s−1]

Sporen Bacillus cereus 103 1 0,32 335 0,12 8,5


Clostridium botulinum 121 1 0,18 297 0,21 10
Geobacillus 135 1 0,55 377 0,07 8,1
stearothermophilus**
Bakteriophagen Phage P008 (Lactococcus 70 1,3 1,1·10–4 470 – –
lactis)
Phage P680 (L. lactis) 70 1,1 4,6·10–5 212 – –
Phage T4 (Escherichia Coli) 70 1 4,0·10–3 269 10 8,4
Enzyme Lipase (Pseudomonas 130 1 2,5·10–2 81,7 1,52 36
fluorescens)
Protease (Ps. fluorescens) 130 1 3,6·10–3 100 10,5 31
Vitamin Thiamin (Vitamin B1) 130 2 9,3·10–4 100 – –
* für n ≠ 1, **Prüfkeim für Sterilisation, Daten aus [1, 2, 9, 12, 13]
236 J. Hinrichs et al.

. Tab. 7.2  Einfluss der relativen Luftfeuchte φ


auf die Geschwindigkeit kT und den Dϑ-Wert der
Inaktivierung von Sporen Bacillus subtilis var. niger bei
122 °C [8]

φ [–] k395 K [s–1] D122°C

1,0 102 3,84 · 10–4


0,6 10–1 3,84 · 10–1
0,2 10–6 3,84 · 104

Luftfeuchte φ ab, wie in . Tab. 7.2 gezeigt. Danach


verlängert sich für den gleichen Inaktivierungseffekt
(D122°C) die Erhitzungszeit in trockener Luft (φ = 0,2)
7 108-mal im Vergleich zu mit Wasserdampf gesättig-
. Abb. 7.4  Vorgehensweise zur Bestimmung der
temperaturabhängigen Geschwindigkeitskonstante kref und der
ter Luft. Daher erfolgt die thermische Sterilisation Aktivierungsenergie EA aus experimentellen Inaktivierungsdaten
von Oberflächen entweder über heißes Wasser oder und dem Temperaturprofil für n = 1 (Lösungskurven T1, T2
durch gesättigten Wasserdampf bei mindestens 121 und T3 für Gl. 7.5 für C0, Cm für verschiedene experimentelle

°C für 20–30 min. Für die Sterilisation von Oberflä- Temperaturprofile, z. B. . Abb. 7.5)

chen mit Luft sind Bedingungen von 180 °C für min-


destens 30 min erforderlich.
Üblicherweise werden kinetische Inaktivie- 7.3 Vergleich und Optimierung des
rungsdaten in Laborexperimenten mit geringen Behandlungseffekts
Volumina gewonnen. Dabei wird davon ausgegan-
gen, dass die Aufheizzeit und die Abkühlphase einen Zur Abschätzung, zum Vergleich oder zur Optimie-
geringen Einfluss haben (. Abb. 7.5A). Nachdem rung von Erhitzungsprofilen (. Abb. 7.5) nutzt man
aber erst Temperaturen >100 °C zur Sporeninakti- den Behandlungseffekt (log C0/Ct), z. B. Reduktion der
vierung beitragen, andererseits >130 °C die Inakti- Sporenkonzentration von C0 = 105 mL–1 auf eine Kon-
vierung relativ rasch abläuft, ist bei hohen Tempe- zentration von 1 Spore pro mL. Für den mikrobiologi-
raturen ein Beitrag der Aufheiz- und Abkühlphase schen Behandlungseffekt B* ergibt sich nach Umstel-
nicht auszuschließen. Mit einem integralen Ansatz len von Gl. 7.2 (Achtung! Wechsel von ln auf log):
gelingt es, die Aufheiz- und Abkühlphase neben der
Heißhaltephase in die Bestimmung der kinetischen C0 kT=const
B* = log = ⋅ t  für n = 1 Gl. 7.9
Daten einzubeziehen [3]. Die experimentell ermit- Ct 2, 303
telten Ausgangskonzentrationen C0 und Endkon-
zentrationen Cm werden für jede einzelne Behand- Analog kann die Gleichung für den chemischen
lung mit dem Temperaturprofil (z. B. . Abb. 7.5B) Behandlungseffekt C*, der beispielsweise den Verlust
über Gl. 7.5 direkt verknüpft. Für ein Experiment mit an Vitaminen oder die Inaktivierung von Enzymen
C0 und Cm ergeben verschiedene Parameterkombi- beschreibt, formuliert werden. Für eine Reaktions-
nationen aus kref und EA eine Lösung von Gl. 7.5. Die ordnung n ≠ 1 wird Gl. 7.3 umgestellt und genutzt.
verschiedenen Parameterkombinationen stellen Die Gl. 7.9 ist geeignet, um den Effekt eines T-t-
eine Lösungskurve dar (. Abb. 7.4). Jedes Experi- Profils für kleine Volumina mit vernachlässigbarer
ment ist durch eine Lösungskurve abgebildet und Aufheiz- und Abkühlphase (. Abb. 7.5A) zu berech-
der Bereich, in dem sich alle Lösungskurven schnei- nen. Das reale T-t-Profil der Sterilisation eines Bio-
den, repräsentiert die Lösung kref und EA für alle reaktors weist allerdings eine längere Aufheizphase,
Experimente. eine Haltezeit mit konstanter Temperatur und eine
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
237 7
. Abb. 7.5  (a) Ideales
Temperatur-Zeit-Profil zur
experimentellen Bestimmung von
Inaktivierungskurven (vgl. . Abb. 7.2
und 7.3) und ermitteln von
Inaktivierungsdaten; (b) Beispiel eines
T-t-Profils einer Mediensterilisation
in einem Bioreaktor; (c) Beispiel einer
kontinuierlichen Hochtemperatur-
Kurzzeit-Sterilisation mit
Sattdampfinjektion

Abkühlphase auf (. Abb. 7.5b). Ein weiteres Bei- Mittels dieser Vorgehensweise können die Ste-
spiel zeigt . Abb. 7.5c, bei dem das Medium ab einer rilisationsbedingungen des Substrats so optimiert
bestimmten Temperatur mittels Dampfinjektion werden, dass ein vorgegebener B*-Wert, z. B. Inak-
(z. B. kontinuierliche Sterilisation) erhitzt wird. Zur tivierung von G. stearothermophilus um 9 log (B* =
Berechnung und zum Vergleich so unterschiedli- 9) erreicht wird und gleichzeitig chemischen Ver-
cher T-t-Profile ist die Temperaturabhängigkeit der änderungen, z. B. Verlust an Thiamin unter 3% (C*
Geschwindigkeitskonstante kT zu berücksichtigen: = 1,5) bleiben. Durch Umstellen von Gl. 7.5 werden
für den vorgegebenen B*-Wert auf Basis der Daten
t
C 1 in . Tab. 7.1 Temperatur-Zeit-Kombinationen für
B* = log 0 =
Ct 2, 303

∫ k 〈t〉 dt
T Linien gleichen Effekts berechnet.
0  Gl. 7.10
B*
t=
Da in den meisten Fällen eine analytische Lösung der kref  E 1 1 
exp − A ⋅  − 
Gleichung nicht einfach zugänglich ist, zerlegt man das 2, 303  R  T Tref 
T-t-Profil in m kleine Zeitintervalle Δti (. Abb. 7.5b), in
C
denen die Temperatur Ti als konstant angenommen log 0
Cm
wird. Die numerische Integration und Berechnung =
kref  E 1 1 
des B*-Wertes ist dann über das T-t-Profil möglich: exp − A ⋅  −  für n = 1Gl. 7.13
2, 303  R  T Tref 
C0 1 m
B* = log = ⋅ ∑ kTi ∆ti  Gl. 7.11 Für eine Reaktionsordnung n ≠ 1 werden analog
Cm 2, 303 i=1 Gl. 7.3 und Gl. 7.4 verknüpft. Die . Abb. 7.6 zeigt ver-
schiedene Linien gleichen Effekts. Das übliche Erhit-
Nach Einsetzen von Gl. 7.4 in Gl. 7.11 ergibt sich: zungsgebiet für die Batch-Sterilisation (grau) liegt
oberhalb der Linie für die Inaktivierung von G. stea-
m rothermophilus um 9 log. Dies führt allerdings zu
C0 k
B* = log = ref ⋅ ∑ exp einem hohen Verlust an Thiamin. Nachdem alle
Cm 2, 303 i=1
Temperatur-Zeit-Kombinationen auf der Linie
 E 1 1  B* = 9 zur Sterilisation geeignet wären, lassen sich
− A ⋅  −  ⋅∆t  Gl. 7.12

 R  Ti Tref  i die Erhitzungsbedingungen so optimieren, dass
der Thiaminverlust <3 % liegt. Geeignet sind nach
. Abb. 7.6 Temperaturen zwischen 135–150 °C für
(Mittels Excel-Tabelle können die Daten aus . Tab. 7.1 wenige Sekunden, die in der kontinuierlichen Ste-
über Gl. 7.12 mit einem gemessenen T-t-Profil ver- rilisation (Ultrahochtemperatur(UHT)-Behand-
knüpft werden und der B*-Wert für reale Prozesse lung) angewandt werden. Die Linien für die Pha-
rechnerisch abgeschätzt und verglichen werden.) geninaktivierung verdeutlichen, dass mit den
238 J. Hinrichs et al.

ein p = 1/10.000 = 10 –4 . Da unabhängig vom


Volumen V (z. B. Labormaßstab mit 10 mL, Lebens-
mittel in 1-ltr-Dose = 103 mL, Bioreaktor mit 1000
L = 106 mL) bereits ein die Erhitzung überlebender
Sporus zum Schaden führt, folgt: Cm = 1 Sporus pro
Gesamtvolumen V. Daraus ergibt sich ausgehend
von Gl. 7.7 für das anzustrebende Sicherheitsniveau
in Bezug auf B*:

C0 C ⋅V
B* = log = log 0  Gl. 7.15
1/V ⋅ p p

Geht man von einer Sporenzahl von C0 = 102 Sporen


pro mL im Medium aus, so ergeben sich für ein
Sicherheitsniveau von p = 10–4 die folgenden B*-
7 Werte: B*(V = 10 mL) = 7; B*(V = 103 mL) = 9,
B*(V = 106 mL) = 12. Dies bedeutet, dass der not-
wendige Behandlungseffekt für ein Fermentations-
medium bei gleichem Sicherheitsniveau p mit stei-
gendem Bioreaktorvolumen erhöht werden muss.

7.5 Kontinuierliche Verfahren


zur thermischen
. Abb. 7.6  Beispiel mit Linien gleichen Effekts für
die Inaktivierung von Sporen, einem weit verbreiteten
Mediumsterilisation
Referenzphage P008 einem hitzeresistenten Phagen P680
sowie 3 % Thiaminverlust. Gebiete der Sterilisation liegen In den kontinuierlichen Verfahren wird das Medium
oberhalb von B* = 9 (9-log Inaktivierung von Geobacillus
direkt mit Dampf oder indirekt mit Dampf oder
stearothermophilus)
Heißwasser auf die Sterilisationstemperatur erhitzt
und in einer Heißhaltestrecke für eine definierte
Sterilisationsbedingungen auch hitzeresistente Zeit gehalten (7 Abschn. 7.3), um anschließend auf
Phagen sicher inaktiviert werden. Fermentationstemperatur gekühlt zu werden. Um
den Dampf- und Kühlwasserverbrauch und damit
die Betriebskosten zu senken, können regenerative
7.4 Sicherheitsniveau für Wärmerückgewinnungssysteme eingesetzt werden.
Sterilisationsprozesse

Der notwendige Behandlungseffekt der thermischen 7.5.1 Direkte Dampfsterilisation


Sterilisation B* ergibt sich aus der Konzentration an
Sporen C0 im zu sterilisierenden Medium und dem Bei der direkten Dampfsterilisation wird gesättig-
geforderten Endwert Cm. Der Endwert ist abhängig ter Wasserdampf kontinuierlich durch einen Injek-
vom Volumen V des Bioreaktors und dem akzeptier- tor in den unter Überdruck stehenden Mediumstrom
ten Infektionsrisiko p. Wird ein unsteriler Prozess pro eingedüst. Mit speziell entwickelten Dampfinjekto-
10.000 Sterilisationen akzeptiert, bedeutet dies mit ren können Medium und Dampf intensiv für eine
schnelle und geräuscharme Kondensation vermischt
akzept. unsteril  Gl. 7.14 werden. Dabei wird das Medium sehr schnell auf Ste-
p= rilisationstemperatur aufgeheizt (typisches T-t-Profil
steril
siehe . Abb. 7.5c). Nach der Haltestrecke wird der
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
239 7
Mediumstrom in einem Vakuumbehälter entspannt, Anlage vorsterilisiert und wieder auf Betriebsbedin-
sodass das Medium wiederum sehr schnell abgekühlt gungen gekühlt werden.
wird. Das Verfahren kann nur angewandt werden,
wenn das Medium durch die Dampfblasenbildung
beim Entspannen nicht aufschäumt oder eine Ver- 7.6 Sterilfiltration
dünnung des Medium durch das anfallende Kon-
densat negativen Einfluss auf die Medienqualität hat. Mit zunehmender Anzahl hitzelabiler Medien ist die
Bedeutung der Sterilfiltration in der pharmazeutischen
Biotechnik und Lebensmitteltechnik gestiegen. Oft ist
7.5.2 Indirekte Sterilisation über sie das einzige zuverlässige Verfahren, um Medien
Wärmetauscher wie z. B. Fermentationssubstrate oder Pufferlösun-
gen zu sterilisieren [30]. Als Sterilfilter wird ein Filter
Bei der indirekten Sterilisation kommt der Dampf, definiert (FDA 2004) [31], der alle Mikroorganismen
das Heiß- oder Kühlwasser nicht in direkten Kontakt aus einem Flüssigkeitsstrom entfernt und ein steriles
mit dem Medium. Das Medium wird indirekt in Filtrat gewährleistet. Zur Qualifizierung eines Filters
Röhren- oder Plattenwärmetauscher aufgeheizt und als Sterilfilter wird eine Bakterienbeaufschlagung mit
abgekühlt. Kriterien für die Auswahl und Auslegung einer Konzentration von mindestens 107 Mikroorga-
des Wärmetauschers sind die Produkteigenschaften nismen (Brevundimonas diminuta) pro Quadratzen-
und die Prozessparameter aber auch die Reinig- timeter effektiver Filterfläche eingesetzt und das auf-
barkeit, Inspektions- und Wartungsfreundlichkeit. gefangene Filtrat auf Sterilität geprüft (Näheres siehe
. Abb. 7.7 zeigt das vereinfachte Schema einer Anlage PDA 2008) [32].
mit Röhrenwärmetauschern zum regenerativen Wär-
merückgewinnung. Das Medium wird in zwei Stufen
über die Wärmetauscher mit regelbaren Heißwas- 7.6.1 Sterilisation von Flüssigkeiten
serkreisläufen erhitzt und danach bei Sterilisations-
temperatur heiß gehalten. Das Medium durchläuft Eine Sterilfiltration von flüssigen Medien wie Wasser
anschließend zwei Wärmetauscher zur Kühlung und (Sterilwasser), Fermentationssubstraten oder Lösun-
wird in den Steriltank/Bioreaktor gefördert. Vor der gen mit Supplementen, z. B. Vitaminen, wird dann
eigentlichen Mediumsterilisation muss die gesamte eingesetzt, wenn die thermische Sterilisation nicht

. Abb. 7.7  Kontinuierliche indirekte


Sterilisation mit Wärmerückgewinn
(WRG). T: Temperaturmessung
240 J. Hinrichs et al.

. Abb. 7.8  Schematische


Darstellung der Dead-End-Filtration
(A) und der Cross-Flow-Filtration (B) S $ %
Filtration
S S
Z
S70 '

S
P P
S

möglich ist. Eine Möglichkeit ist die sogenannte


7 Dead-End-Filtration (. Abb. 7.8A), in der die gesamte ∆pTM = p1 − p2  Gl. 7.17
zu filtrierende Flüssigkeit die Membran durch-
strömt. Enthaltene Mikroorganismen und Parti- und für die Cross-Flow-Filtration (. Abb. 7.8B) ergibt
kel/Inhaltsstoffe, die größer als die Porenweite der sich, nachdem es beim tangentialen Überströmen
Membran (cut off ≤ 0,2 µm) sind, werden zurückge- mit der Geschwindigkeit w der Membran zu einem
halten. Kleinere Partikel permeieren die Membran Druckabfall kommt:
oder können durch andere Mechanismen wie z. B.
Adsorption in der Membran zurückgehalten werden p1 + p2
∆pTM = − p3
(= Tiefenfilter). 2  Gl. 7.18
Im Lebensmittelbereich wird zusätzlich die
Cross-Flow-Filtration ( . Abb. 7.8B ) eingesetzt, Im Laufe der Filtration werden Mikroorganismen
bei der die flüssige Phase die Membran tangential und Substanzen auf der Membran abgelagert. Es
überströmt, ein Teil tritt durch die Membran (das bildet sich eine Deckschicht mit dem Widerstand ζD,
Permeat), der andere fließt als sogenanntes Retentat der den permeierenden Massenstrom nach Gl. 7.16
ab. Letzteres enthält die von der Membran zurück- bei ansonsten konstanten Bedingungen reduziert.
gehaltenen Mikroorganismen und andere größere
Bestandteile in erhöhter Konzentration (daher Kon- . A ⋅ ρ ⋅ ∆ pTM 1
m= ⋅
zentrat oder Retentat). 32 ⋅ η ζM + ζD  Gl. 7.19

Für beide Filtrationssysteme ergibt sich der per-


?
meierende Massenstrom m mit der Viskosität η Im Fall der Dead-End-Filtration sinkt deshalb im
und der Dichte ρ aus der angelegten transmembra- Laufe der Filtration der Massenstrom durch die
nen Druckdifferenz ΔpTM, der Membranfläche A und Membran immer weiter ab. Deshalb wird häufig ein
dem Membranwiderstand ζM. Filter vorgeschaltet, um grobe Feststoffe vorher zu
entfernen und somit die Standzeit des Sterilfilters zu
. A ⋅ ρ ⋅ ∆ pTM 1
m= ⋅ζ verlängern. Wird der Flux zu gering, wird der Steril-
32 ⋅ η M  Gl. 7.16 filter zur Sicherheit meist erneuert. Manche Dead-
End-Filtersysteme können auch durch Rückspülen
?
Häufig wird auch der sogenannte Flux J = m /A zur (CIP und SIP) gereinigt und dann weiter verwen-
Charakterisierung oder zum Vergleich von Memb- det werden.
ranen verwendet. Im Gegensatz zur Dead-End-Filtration kann
Die in Gl. 7.16 benötigte Druckdifferenz ergibt bei der Cross-Flow-Filtration durch das tangen-
sich für die Dead-End-Filtration (. Abb. 7.8A) aus: tiale Überströmen (bis 7 m/s) das Anwachsen der
Deckschicht kontrolliert werden, sodass sich nach
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
241 7
Inbetriebnahme innerhalb kurzer Zeit ein nahezu z. B. Polyethersulfon (PES), Polyvinylidenfluorid
konstanter Filtratmassenstrom einstellt. Die Stand- (PVDF), Nylon 66 oder Celluloseester. In . Tab. 7.3
zeit ist dennoch begrenzt, da sich zum einen die sind die Eigenschaften der Polymere, die für die
Deckschicht aus abgelagertem Material verdichtet Auswahl herangezogen werden, zusammengestellt.
und zum anderen kleinere Partikel die Zwischen- Alle Materialien sind bei 121 °C autoklavierbar und
räume verstopfen. Vorteilhaft ist, dass das System weisen wenig extrahierbare Bestandteile auf; sie
gereinigt werden kann; Nachteil ist, dass im Gegen- unterscheiden sich jedoch z. B. in der Proteinbin-
satz zur Dead-End-Filtration immer ein Retentat mit dung oder in der pH-Beständigkeit.
Mikroorganismen anfällt, das anderweitig verwertet Neben Partikeln und Mikroorganismen kann
oder entsorgt werden muss. mit Filtersystemen die Belastung von Medien mit
Die Mehrzahl der verwendeten Membranen Viren (20–300 nm) [2, 10] oder Bakteriophagen
(≤ 0,2 µm) für wässrige Prozessmedien ist hydrophil, (40–200 nm) [10] minimiert werden. Geeignet

. Tab. 7.3  Die Eigenschaften der verwendeten Polymere im Filtermembran-Aufbau (modif. nach [14])

Medium Polymer Min. Auto- Extra- Benetzbar- Protein- Spezifische


Porengröße kla- hier- keit bindung Eigenschaften
(µm) vierbar bare Be-
bei stand-
121°C teile

flüssig PES 0,04 Ja niedrig hydrophil niedrig hohe


Massenströme,
Virusentfernung
Nylon 66 0,04 Ja sehr hydrophil niedrig positiv geladene
niedrig binden z. T.
Endotoxine
Celluloseester 0,025 Ja variiert hydrophil Acetate gute Festigkeit,
mit niedrig, hitzeresistent,
Qualität Nitrat und aber brüchig
Mischester
hoch

PVDF 0,1 Ja niedrig hydrophob, hydrophob Klassen mit guter


hydrophil hoch, Virusentfernung
verfügbar hydrophil verfügbar
sehr
niedrig
PP 0,2 Ja niedrig hydrophob niedrig flexibel
PTFE 0,1 Ja niedrig hydrophob, hydrophob extreme pH-
hydrophil hoch, Werte, hohe
verfügbar hydrophil Temperatur
niedrig
PA 0,2 Ja niedrig hydrophob hoch Laugen-,
Lösungsmittel-
tolerant
gas-fömig PVDF 0,1 Ja niedrig hydrophob
PTFE 0,1 Ja niedrig hydrophob hohe Temp.

PES: Polyethersulfon, PVDF: Polyvinylidenfluorid, PP: Polypropylen, PTFE: Polytetrafluorethylen, PA. Polyamid
242 J. Hinrichs et al.

sind beispielweise PVDF- oder PES-Membranen unteren Ende gewährleistet ein Adapter die Positio-
(. Tab. 7.3, unter „Spezifische Eigenschaften“). nierung und Abdichtung im Filtergehäuse.
. Abb. 7.9 zeigt beispielhaft die Wirkungsweise
eines häufig eingesetzten Sterilfilters, der soge-
nannten Filterkerze. Beim Durchströmen des Ste- 7.6.2 Sterilisation von Gasen
rilfilters werden Mikroorganismen und Partikel auf
oder im Filterelement (Tiefenfilter) zurückgehal- Sterilluft ist das gebräuchlichste Gas, das bei Fer-
ten und das sterile Medium wird zentral abgeführt. mentationen und aseptischen Abfüllanlagen benö-
Im Gehäuse befindet sich das Filterelement, das aus tigt oder überlagert wird. Sterile Luft ist aber auch
einer oder mehreren Membranen besteht, die sowohl notwendig, um einen Tank nach der Dampfsterilisa-
anströmseitig als auch abströmseitig von einer Stütz- tion zu belüften (. Abb. 7.10). Andere Beispiele für
und Drainagelage umgeben sind (. Abb. 7.9b). Die sterile Gase sind: Stickstoff bei oxidationsanfälligen
Membran ist um einen zentralen Stützkörper ange- Substraten oder Produkten, Sauerstoff für Patienten
ordnet oder auch gefaltet, wodurch eine größere Fil- mit Atembeschwerden, Kohlendioxid für karboni-
terfläche bereitgestellt wird. Oben und unten ist das sierte Getränke.
7 Filterelement mittels sogenannter Endkappen abge- Gasfilter (. Abb. 7.9) arbeiten nach dem Dead-
schirmt. Am oberen Ende besitzt das Filterelement End-Prinzip (. Abb. 7.8A). Sie können aus Cellulose,
eine Zentrierspitze, die die Ausrichtung im Filterge- Glas-Wolle- und Glas-Fiber-Mischungen oder aus
häuse aus Edelstahl oder Kunststoff ermöglicht. Am PVDF und PTFE bestehen (s. . Tab. 7.3 unten). Die

(QWOIWXQJV
)LOWHUHOHPHQW YHQWLO
*HKlXVH

unsteriles
Medium

steriles
Medium

. Abb. 7.9  Schematische Darstellung der Funktionsweise eines Sterilfilters mit Filterkerze (a). Beispiele für Kerzenfilter
(b) (Pall Life Sciences, BioPharmaceuticals)
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
243 7
. Abb. 7.10  SIP-fähiger
Bioreaktor, SIP: Sterilisation-In-
Place, CIP: Cleaning-In-Place, T:
Temperaturmessung, K: kritische
Stellen

. Tab. 7.4  Reinraumklassifizierung („Clean room“) für Luftfilter nach Anzahl der gemessenen Partikel/m3 Luft (nach
[14])

System EU-GMP Partikel- 3 4 A/B 6 C D


Klasse größe
(µm)
ISO 5 7 8
14644-1
Klasse

Performanz- 0,1 1000 10000 100000 1000000 – –


Spezifikationen*
0,2 237 2370 23700 237000 – –
0,3 102 1020 10200 102000 – –
0,5 35 352 3520 35200 352000 3520000
1,0 8 83 832 8320 83200 832000
5,0 - 29 293 2930 29300

*Die Performanz-Spezifikation ist definiert über die Anzahl von Partikeln bestimmter Größe (µm) in einem m3 Luft.
244 J. Hinrichs et al.

Einordung von Luftfiltern erfolgt in Klassen, die eine Ausrüstungsteile, gehören zur Standardausrüstung
maximale Anzahl an Partikeln in der filtrierten Luft in Laboren, Technikums- und Produktionsanlagen
vorgeben. In . Tab. 7.4 ist die Reinraumklassifizie- der Bioprozesstechnik. Sie bestehen im Wesentlichen
rung gemäß des ISO-Standards (EN ISO 14644-1, aus einem Druckbehälter als Sterilisationskammer
ISO-Klasse 3 bis 8) und der EU-GMP-Richtlinien von wenigen Litern bis mehreren m3 Kammervo-
(Gute Herstellungspraxis für Arzneimittel; Klasse A lumen, einer Vakuumpumpe, Mess- und Regelein-
bis D) zusammengestellt. richtungen und einer programmierbaren Steuerung.
In aseptischen Abfüllbereichen werden üblicher- Als Versorgungsmedien werden Dampf, Kühlwas-
weise EU-GMP Klasse A eingesetzt. Sogenannte ser und Druckluft benötigt. Der Dampf wird extern
HEPA-Filter (high efficiency particulate arrestance) zugeführt oder im Autoklaven direkt aus einer Was-
sind darauf ausgelegt, auch kleine Partikel 0,3 μm servorlage generiert. Die Sterilisation erfolgt nach
abzuscheiden, und erlauben damit aseptische Bedin- verschiedenen vorprogrammierten Verfahren. Beim
gungen. Darüber hinaus werden mit ULPA-Filter Gravitationsverfahren werden der Innenraum und
(ultra low particulate air) Partikel mit 0,1 µm abge- das Gut mit Sattdampf überlagert. Der unten eintre-
schieden, womit auch mit Viren oder Bakteriopha- tende Sattdampf verdrängt dabei die Luft über ein
7 gen belastete Aerosole behandelt werden können. oben angeordnetes Ventil nach außen. Beim Vaku-
umverfahren wird als erstes mittels Vakuumpumpe
die störenden Luft entfernt und danach mit Dampf
7.6.3 Filterintegritätstest beaufschlagt. Der Vorgang kann mehrfach wieder-
holt werden (= fraktioniertes Vakuumverfahren).
Mittels zerstörungsfreiem Filterintegritätstest ist ein Nach Entlüftung werden die Temperatur und der
Sterilfilter sowohl vor dem Einsatz als auch nach der Druck auf die vorgegebenen Werte geregelt.
Filtration zu überprüfen, um Undichtigkeiten oder Das zu sterilisierende Gut muss beständig
Filterdefekte festzustellen. Die Prüfungen erfordern gegenüber den Sterilisationsbedingungen sein. Die
eine vollständige Benetzung der Filtermembran mit Kammer wird manuell mit dem Sterilisationsgut
Flüssigkeit: Wasser für hydrophile und z. B. Isopro- beladen und gasdicht verschlossen. Je nach Belade-
panol/Wasser-Mischungen für hydrophobe Mate- gut wird ein dafür validiertes Verfahren ausgewählt
rialien (. Tab. 7.3). Die Integrität wird üblicherweise und die Sterilisation gestartet. Entlüftungs-/Aufheiz-
durch einen Diffusionstest (Forward-Flow-Test) zyklus: Die Kammer mit dem enthaltenen Gut wird
oder einen Bubble-Point-Test geprüft. Im Diffu- mit Sattdampf aufgeheizt und über ein Ventil ent-
sionstest wird für einen vorgegebenen Testdruck der lüftet. Nach dem Entlüften steigt nach Schließen des
Gasvolumenstrom gemessen, der durch die Poren Ventils der Druck in der Kammer bis auf den Satt-
der benetzten Membran strömt. Im Bubble-Point- dampfdruck an. Zwischen Erreichen der Solltempe-
Test wird der Druck des Luftdurchbruchs durch die ratur in der Kammer und im Gut kann eine erheb-
benetzte Membran bestimmt. Für die Durchführung liche Verzögerungszeit liegen. Sterilisationszyklus:
stehen Integritätstestgeräte zur Verfügung, die nach Nach Erreichen der Sterilisationstemperatur im Gut
Anschluss an eine Druckgasversorgung die Test- wird der Zustand unter Sattdampfbedingungen eine
phasen automatisch steuern und den Testverlauf vorgegebene Zeit gehalten. Abdampf-/ Abkühlzyklus:
protokollieren. Die Kammer wird über ein Ventil langsam entspannt,
um einen Siedeverzug zu vermeiden. Das Sterilgut
im Autoklaven kann über Kühlwasser beschleunigt
7.7 Funktion von bis auf die Entnahmetemperatur abgekühlt werden.
Dampfsterilisatoren Trocknungszyklus: Bei Bedarf kann durch Anlegen
(Autoklaven) von Vakuum das Sterilgut getrocknet werden. Nach
Freigabe durch die Steuerung wird das sterilisierte
Dampfsterilisatoren zur sicheren Sterilisation von Gut entnommen. Dokumentation: Die Prozesspara-
Flüssigkeiten, z. B. Nährmedien und Festkörpern, meter jeder Sterilisation werden in einem Protokoll,
Filterträger, Verbrauchmaterialien, Geräte und mit dem der Prozess überprüft und beurteilt wird,
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
245 7
dokumentiert. Werden die Anforderungen nicht einem Arbeitsvolumen >20 L sind sie komplett aus
erreicht, muss die Sterilisation wiederholt werden. rostfreien Stahl (7 Abschn. 7.9). In der Kopfplatte
Mit einer Validierung muss nachgewiesen sind Stutzen für Messwertgeber und für die Zugabe
werden, dass das jeweilige Verfahren für das Steril- der Nährmedien, der Zellkulturflüssigkeit und der
gut geeignet ist, die Sterilisationsbedingungen erfüllt Abluft sowie das Begasungsrohr eingeschweißt. Die
werden und das Ergebnis dokumentiert wird. In der Durchmischung erfolgt in der Regel über Magnet-
dabei enthaltenen Qualifizierung wird die Funktions- rührwerke, die in der Bodenplatte eingeschweißt
tüchtigkeit des Autoklaven überprüft. Die Validie- sind. Über Temperaturfühler und den beheizbaren
rung sollte mindestens jährlich durchgeführt werden. Doppelmantel wird die Temperatur im Bioreaktor
geregelt. Die Kontrolle, Steuerung und Aufzeichnung
der Prozessparameter erfolgt über entsprechende
7.8 Sterilisierbare Bioreaktoren Steuereinheiten.
Für die Sterilisation des Laborbioreaktors im Auto-
Hauptkomponente für die Kultivierung von Zellen klaven werden die nicht temperaturbeständigen Teile
und Mikroorganismen ist der Bioreaktor, in dem wie Rührwerksmotor und Sondenkabel abgebaut. An
die optimalen Bedingungen für den jeweiligen Fer- die Zugabestutzen werden Silikonschläuche mit Kunst-
mentationsprozess eingestellt werden. Eine Grund- stoffkupplungen und Inline-Sterilfilter angeschlossen.
voraussetzung ist die Herstellung und die Aufrecht- Im Autoklaven wird über diese Einmalfilter die Luft im
erhaltung der Sterilität im Bioreaktor während der Bioreaktor ausgetauscht. Der Bioreaktor wird je nach
gesamten Fermentationszeit, um Kontaminationen Verfahren mit oder ohne Medien in den Autoklaven
auszuschließen. Der eigentlichen Fermentation ist eingebracht und dort nach einer festgelegt Tempera-
eine thermische Dampfsterilisation des gesamten tur-Zeit-Prozedur dampfsterilisiert (7 Abschn. 7.7). Die
Systems (mobile Kleinfermenter) in einem Auto- Zugabe der Nährmedien, der Zellkulturflüssigkeit und
klaven oder die Sterilisation des Fermenters durch anderer flüssiger Stoffe in den sterilisierten Bioreaktor
die sogenannte Sterilisation-in-Place (SIP) vorge- erfolgt durch Abnahme der Sterilfilter und die sterile
schaltet. Standardwerte der Sterilisation sind nach Ankopplung der ebenfalls dampfsterilisierten Gefäße
dem europäischen Arzneibuch eine Temperatur von mit Silikonschläuchen unter einer Sicherheitswerk-
121 °C für 15 min. In der Praxis werden die Werte bank in steriler Umgebung oder mit speziellen Steril-
für eine erhöhte Sicherheit und zur Kompensation kupplungen in unsteriler Umgebung.
von Messtoleranzen zum Beispiel auf 121,5 °C für
30 min erhöht. Die Effektivität der Verfahren wird
sowohl über die physikalischen Parameter Tempera- 7.8.2 Aufbau SIP-fähiger Bioreaktoren
tur, Druck und Zeit als auch über Bioindikatoren im
Rahmen einer Qualifizierung festgestellt. Die Bioreaktoren im Pilot- und Produktionsmaßstab
Die Sterilisation kann prozess- und medienab- sind im wesentlichen Druckbehälter aus Edelstahl
hängig sowohl mit den bereits im Bioreaktor befind- von 10 L bis 20.000 L Arbeitsvolumen mit einem Ver-
lichen Medien als auch mit dem leeren Bioreaktor hältnis von Höhe H zu Durchmesser D von 2:1 bis
erfolgen. Medien mit hitzeempfindlichen Bestandtei- 3:1. Durch ein funktionelles Sterildesign (7 Abschn.
len, wie z. B. Vitamine und Antibiotika werden dem 7.9) im Bioreaktor und der Peripherie muss sicher-
Bioreaktor sterilfiltriert zugeführt (7 Abschn. 7.6). gestellt sein, dass die Reinigung und Sterilisation
erfolgreich durchführt werden können. Kritische
Stellen mit besonders hohem Kontaminationsri-
7.8.1 Aufbau autoklavierbarer siko bei einem SIP- fähigen Bioreaktor (. Abb. 7.10)
Bioreaktoren sind statische oder dynamische Abdichtungen zur
Atmosphäre und Abdichtungen innerhalb der Pro-
Bioreaktoren im Laborbereich bestehen bei einem zessanlage zwischen sterilen und nicht sterilen
Arbeitsvolumen von 1 L bis 20 L aus Borosilikat- Bereichen, den sogenannten Sterilgrenzen. Kritisch
glas mit Kopf- und Bodenplatten aus Edelstahl. Ab sind auch Stellen, wo sich zum Beispiel Luftblasen,
246 J. Hinrichs et al.

Kondensatansammlungen oder Kältebrücken bilden 7.9 Sterildesign


können, da dort die Sterilisationstemperatur nicht
bzw. zeitverzögert erreicht wird. Für Sterilprozesse müssen die verwendeten Appa-
Die Aufheizung bzw. Kühlung des Bioreaktors raturen und Geräte neben funktionellen Anforde-
erfolgt über Doppelmantel oder aufgeschweißte rungen selbst auch Sterilbedingungen erfüllen, um
Halbrohrschlangen. Im Behälterdeckel bzw. oberen Kontamination der sterilen Medien auszuschließen.
Klöpperboden verteilt befinden sich die einge- Nach DIN EN 12297 bedeutet dies die „Eignung von
schweißten Anschlüsse für die diversen Zuführungs- Bauteilen, Geräten und Ausrüstungen, Apparateein-
leitungen. Im unteren Boden ist ein Bodenmagnet- heiten oder Anlagen steril gemacht zu werden“, was
rührwerk oder falls von der Leistung erforderlich mit Sterilisierbarkeit bezeichnet wird. In DIN EN
ein konventionelle Bodenrührwerk mit doppelter ISO 14159, die als grundlegende Norm für Hygie-
Gleitringdichtung eingebaut (7 Abschn. 7.9.5). Je neanforderungen an die Gestaltung von Maschinen
nach Rühraufgabe kommen unterschiedliche Rüh- gilt und die Biotechnologie einschließt, wird unter
rertypen zum Einsatz. Des Weiteren sind im unteren Sterilisation ein Prozess definiert, bei dem alle Mik-
Boden Einschweißhülsen für Temperaturmessungen roorganismen und relevanten mikrobiellen Sporen
7 und ein Bodenablassventil das sogenannte Ernteven- inaktiviert werden (7 Abschn. 7.4).
til eingeschweißt. Im unteren zylindrischen Teil sind Untersuchungen und praktische Erfahrungen
seitlich Anschlüsse für Messsonden 7 Abschn. 7.9.2) haben gezeigt, dass bei hygienegerecht gestalteten
und Probenahme (7 Abschn. 7.9.3) angeordnet. Apparaten bereits bei der Reinigung ein Großteil
Zur Vorbereitung der Leersterilisation werden an Mikroorganismen entfernt und damit das Aus-
die direkt am Bioreaktor liegenden Filtergehäuse mit gangsniveau wesentlich gesenkt wird (7 Kap. 7).
Sterilfilterkerzen bestückt und die Ventile auf der Eine sichere Sterilisation kann deshalb nur garan-
Seite zum Bioreaktor geöffnet, um die Sterilisierung tiert werden, wenn alle produktberührten Oberflä-
über den Abdichtungssteg im Ventil zu ermöglichen. chen leicht reinigbar gestaltet werden, um einwand-
Gesättigter Wasserdampf wird von oben eingeleitet freie Sauberkeit nach der Reinigung zu garantieren.
und der Bioreaktor in dampfgesättigter Atmosphäre Schmutzschichten und Biofilme können Mikroorga-
unter Druck auf Sterilisationstemperatur aufgeheizt. nismen vor der Einwirkung der Sterilisationsbedin-
Das Aufheizen wird durch die Mantelbeheizung gungen schützen.
unterstützt. Über die auf der Sterilseite geöffneten Der Begriff „leichte Reinigbarkeit“ wurde durch
Ventile wird die Luft verdrängt und anfallendes Kon- eine Vielzahl grundlegender Leitlinien durch die
densat über thermische Kondensatableiter abge- unabhängige europäische Gruppe EHEDG (Euro-
führt. Der Kondensatableiter führt das Kondensat pean Hygienic Engineering and Design Group) zu
knapp unter der jeweiligen Sattdampftemperatur einer Standardanforderung im Bereich Hygiene.
verzögerungsfrei ab und entlüftet automatisch. Ist Für produkt- oder medienberührten Bereiche
die Sterilisationstemperatur an allen Schnittstellen umfasst leichte Reinigbarkeit im Prinzip folgende
erreicht, beginnt die Haltezeit. Die Temperatur wird Maßnahmen[6]:
an ausgesuchten kritischen Stellen während der Ste- 55 Auswahl und Einsatz geeigneter und gut zu
rilisation gemessen und überwacht, um eine aus- reinigender Werkstoffe,
reichend lange Sterilisationszeit an jeder Stelle des 55 Herstellung ausreichend glatter, leicht zu
Fermenters sicher zu stellen. In der Abkühlphase reinigender Oberflächenstrukturen,
kondensiert der Wasserdampf und das System wird 55 Vermeidung von Poren, Rissen, Spalten
über einen Sterilfilter belüftet und ein leichter Über- und Fehlern jeder Art in nicht sichtbarer
druck aufgebaut, um Kontaminationen auszuschlie- (mikroskopischer) und sichtbarer Größe
ßen. Mit einem Druckhaltetest wird die Dichtigkeit an Oberflächen, festen und beweglichen
des Systems überprüft. Danach ist der Bioreaktor Fügestellen sowie Lagerungen,
bereit für die Zugabe von Medien über Sterilfilter 55 Vermeidung von Toträumen sowie Vor- und
(7 Abschn. 7.6). Die Zellkulturflüssigkeit wird über Rücksprüngen,
eine sterile Ankopplung zugeführt. 55 Vermeidung von inneren horizontalen Flächen,
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
247 7
55 strömungsgünstige Gestaltung von in-line zu In Normen über Ausrüstungen in der Biotech-
reinigenden Bereichen, nik sind Anforderungen an Reinigbarkeit (DIN
55 vollständig entleerbare Ausführung aller EN 12296), Sterilisierbarkeit (DIN EN 12297) und
Elemente und Bereiche, Leckagesicherheit (DIN EN 12298) festgelegt.
55 wartungsfreundliche Gestaltung kombiniert
mit vorausschauender Wartung, um durch
rechtzeitigen Austausch von Verschleißteilen 7.9.1 Material- und
mikrobiologische Probleme auszuschließen. Oberflächenqualitäten für
Bioreaktoren
Um sterile Verhältnisse zu garantieren, muss das
gewählte Sterilisationsmedium die sauberen Ober- Werkstoffe für Bioreaktoren müssen den einschlä-
flächen an allen Stellen erreichen und dort unter gigen Richtlinien entsprechen und im produktbe-
den geforderten Bedingungen lange genug einwir- rührten Bereich physiologisch unbedenklich sein.
ken können. Für die Dampfsterilisation von Biore- Außerdem darf von ihnen keine Migration unzuläs-
aktorsystem ist zu beachten, dass bei der konstrukti- siger Bestandteile in die herzustellenden Produkte
ven Gestaltung Totbereiche und Stellen zu vermeiden und Medien erfolgen. Die Oberflächen müssen mit
sind, in denen Flüssigkeitsreste zurückbleiben oder der erforderlichen Qualität fehlerfrei herstellbar
Kondensatbildung auftreten kann, sodass dort die sein, die sich während der Lebensdauer der Appa-
Temperatur nicht ausreichend hoch wird. Die in-line rate z. B. durch Korrosion oder Abrasion nicht soweit
Sterilisierbarkeit von kleineren Komponenten und verschlechtern darf, dass Reinigbarkeit und Sterili-
Geräten kann mit einer Testmethode überprüft und sierbarkeit nicht mehr gewährleistet sind. Werkstoffe
verifiziert werden (EHEDG-Guideline, Doc 5). für dampfsterilisierbare Apparate und Komponen-
In der EHEDG-Guideline, Doc. 39 wird eine ten müssen gegen kontinuierliche Dampfbeaufschla-
weitere Voraussetzung für das Sterildesign festge- gung bei der entsprechenden Temperatur für eine
legt. Danach muss durch das Design gewährleistet definierte Zeitspanne beständig sein. Alle produkt-
werden, dass während der Produktion der sterile berührten Oberflächen müssen die geforderte Tem-
Zustand in den Apparaten und Anlagen aufrecht peratur über die notwendige Zeitdauer der Sterilisa-
erhalten bleibt. So wird verhindert, dass Mikroorga- tion erreichen können.
nismen aus der Umgebung in den Bioprozess eindrin- Diese Anforderungen sind bei austenitischen
gen bzw. umgekehrt z. B. pathogene oder genmodifi- rostfreien Edelstählen gewährleistet, die als Stan-
zierte Mikroorganismen in die Umgebung gelangen dardwerkstoffe für Bioreaktoren zu betrachten sind.
(DIN EN 12296). Zusammenfassend sind für sterile Gute Verform- und Schweißbarkeit bei gleichzeiti-
Apparate folgende Anforderungen zu erfüllen: ger hoher chemischer Beständigkeit kennzeichnen
55 Hygienegerechte Gestaltung aller produktbe- die Haupteigenschaften dieser Werkstoffgruppe.
rührten Oberflächen, um „leichte“ Reinigung Der Korrosionswiderstand wird aufgrund einer
on-line oder nach Zerlegen zu garantieren; dünnen Chromoxid-Deckschicht (Passivschicht)
55 sterilisierbare Gestaltung aller produktbe- erzielt, die wie ein Halbleiter Elektronen passieren
rührten Oberflächen, um nach erfolgreicher lässt, aber Ionen blockiert. Während sauerstoffspen-
Reinigung den Kontakt in diesen Bereichen mit dende Medien den Schichtaufbau unterstützen, ver-
dem Sterilisationsmedium zu erreichen und ursachen reduzierende Medien (z. B. alkalische Rei-
dadurch alle relevanten Mikroorganismen und nigungsmedien) eine schwächende Wirkung bzw.
Sporen abtöten zu können; Aktivierung der Oberfläche. An Poren oder Fehl-
55 penetrationsfreie bzw. hermetische Abdichtung stellen der Passivschicht, die bevorzugt an mikro-
der produkt- und medienberührten Bereiche, skopisch kleinen Inhomogenitäten vorhanden sind,
um nach Erreichen des sterilen Zustands einen kann ein Angriff in Form von Korrosion (Loch-
sterilen Produktionsablaufs zu garantieren, indem fraß, Spannungsrisskorrosion) als Folge elektro-
ein Eindringen von Mikroorganismen aus einem chemischer Vorgänge stattfinden. Ursache dafür
kontaminierten Außenbereich verhindert wird. sind in erster Linie Chlor- und Chloridionen in
248 J. Hinrichs et al.

Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, die in Poren In vielen Fällen ist wegen Oberflächen-Beschä-
adsorbiert werden und kleine anodische Bezirke digungen bei der Herstellung von Bioreaktoren ein
bilden, während die passive Umgebung als Kathode Schleifen der medienberührten Oberfläche not-
wirkt. Bei Säure-Angriff kann es zur Zerstörung der wendig. Für Fertigschliff werden meist die Kornab-
Passivschicht kommen, wobei aus dem Werkstoff stufungen 80–120–180–240 gewählt, wobei unter-
Eisen und Chrom in Lösung geht. schiedlichen Schleifverfahren wie Trocken- oder
Bioreaktoren werden heute weitgehend aus Nassschliff angewendet werden können. Die Struktu-
molybdänlegierten, austenitischen, rostfreien Edel- ren sind im Endzustand durch feinste, scharfkantige,
stählen gefertigt (DIN EN10088-1). Für dünnwan- gerichtete Riefen (Erhöhungen und Vertiefungen),
dige geschweißte Konstruktionen ohne Spezialanfor- eventuell mit Graten, gekennzeichnet. Während die
derungen wird am häufigsten 1.4401 (AISI 316) mit offenen Strukturen leicht reinigbar und sterilisierbar
der chemischen Kennzeichnung X5CrNiMo17-12-2 sind, kann es sich für die Reinigung und Sterilisation
und normalem Kohlenstoffgehalt von 0,05 % einge- als problematisch erweisen, dass Grate „umgebogen“
setzt. Zunehmend ist jedoch die Tendenz zu 1.4404 und Mikrorisse sowie Riefen beim Schleifen durch
oder X2CrNiMo17-12-2 (≈ AISI 316 L) mit nied- zu hohen Andruck und Schleifmittelreste „zuge-
7 rigerem Kohlenstoffgehalt festzustellen, was durch schmiert“ werden können und damit latent vorhan-
die AISI-Bezeichnung L („low carbon“) verdeut- den sind. Für die Bearbeitung großflächiger Teile
licht wird. Niedriger Kohlenstoffgehalt verhindert werden Schleifautomaten mit schwingungsfreien
vor allem zu starke Chromverarmung durch Chrom- Vorrichtungen verwendet.
Carbid Bildung in der Schweißnaht und der unmit- Beim mechanischen Polieren wird im Gegensatz
telbar benachbarten Zone beim Schweißen dicke- zum Schleifen kaum Material abgetragen. In Abhän-
rer Bleche. Für noch höhere Anforderungen werden gigkeit des verwendeten Verfahrens können unter-
vollaustenitische Edelstähle mir niedrigem C-Gehalt schiedlich glatte Rauheitsstrukturen erzielt werden.
wie 1.4435 oder X2CrNiMo18-14-3 (≈ AISI 316L) Die Oberfläche muss dabei ausreichend fein vorbe-
und 1.4539 oder X1NiCrMoCu25-20-5 (AISI 904L) arbeitet und frei von Kratzern und Beschädigungen
eingesetzt, da durch Gehalte an Martensit und Del- sein. Ansonsten besteht ebenfalls die Gefahr, dass
ta-Ferrit die Korrosionsbeständigkeit beeinträch- Vertiefungen „zugeschmiert“ werden und später
tigt wird. Unter Ferrit werden alle magnetinduktiv Hygieneprobleme bereiten. Hochglanzpolierte spie-
erfassbaren Phasen im austenitischen Gefüge bei gelnde Oberflächen sind aus Sicht der Reinigbarkeit
einer Messtiefe von 3 mm verstanden. Mindestan- und Sterilisierbarkeit nicht notwendig, werden zum
forderungen bezüglich Delta-Ferrit, die besonders Teil jedoch gefordert, um Verschmutzungen optisch
auch für Schweißnähte gelten, wurden in der Basler besser zu erkennen.
Norm BN 2 festgelegt. Die chemische Behandlung durch Beizen ist oft
Die Oberflächenqualität von Edelstahl-Oberflä- notwendig, um die bei einer Wärmebehandlung
chen wird durch Rauheit und Struktur beeinflusst. entstehenden Zunderschichten oder die sich beim
Für leichte Reinigbarkeit wird für die Oberflächen- Schweißen bildenden Anlauffarben zu beseitigen.
qualität zurzeit der Mittenrauwert Ra < 0,8 µm gefor- Erzeugt wird eine metallisch blanke Oberfläche mit
dert (EHEDG-Guideline, Doc. 8). Untersuchungen der notwendigen Passivschicht, deren Oberflächen-
zeigten jedoch, dass zwischen Ra = 0,5 µm und Ra struktur sich durch nicht gerichtete abgerundete
= 1,5 µm keine signifikanten Unterschiede in der Erhöhungen und Vertiefungen auszeichnet.
Reinigbarkeit feststellbar sind. Für nicht bearbei- In vielen Fällen werden für Bioreaktoren elekt-
tete hygienegerecht hergestellte Schweißnähte wird ropolierte Oberflächen verlangt. Im Gegensatz zur
ein Ra < 4 µm akzeptiert. Zusätzlich ist für leichte mechanischen Bearbeitung werden dadurch bevor-
Reinigbarkeit die Oberflächenstruktur maßgebend, zugt Profilspitzen im Mikrobereich geglättet, sodass
die bei gleichem Rauheitswert je nach der Art der eine wellige Oberflächenstruktur mit geringerer
Behandlung wie z. B. Schleifen oder Elektropolieren Rauheit als das Ausgangsprofil entsteht. Im Ver-
unterschiedliche Reinigungs- und Desinfektionser- gleich zum Schleifen wird eine riss- und porenfreie
gebnisse liefert. Oberfläche erzeugt. Diese ist durch das ungestörte
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
249 7
austenitische Kristallgefüge ohne höhere Fremd- und 7.9.2 Stutzen für Messwertgeber
Ferritanteile gekennzeichnet, die eine optimale Pas-
sivschicht aus Chromoxid aufweist. Einbauten in Bioreaktoren sollten durch eine sorg-
In DIN EN 12347 wird bei den Leistungskri- fältige Qualifizierung vor der Herstellung der Behäl-
terien für Dampfsterilisatoren und Autoklaven ter nach Anzahl und Art der Gestaltung festgelegt
angemerkt: „Im Vergleich zu einer mechanischen werden. Vielfach werden Reaktoren angeboten und
Oberflächenbehandlung ist eine elektrochemische verwendet, die aufgrund von Kleinserien mit einer
Oberflächenbehandlung des metallischen Werk- Vielzahl von meist zu langen, nicht reinigbaren
stoffes vorzuziehen, weil diese eine glattere Ober- Stutzen versehen sind. Während in die benötigten
fläche ergibt, sogar wenn die Ra-Werte gleich sind.“ Stutzen die Messwertgeber eingebaut werden, ohne
Titan- und niobstabilisierte Stähle sind nur bedingt hygienegerechte Lösungen einsetzten zu können,
für das Elektropolieren geeignet, da die Kristall- werden die anderen mit Blinddeckeln verschlossen.
strukturen dieser Legierungsbestandteile wesent- Dadurch ergeben sich im Bioreaktor nicht reinigbare
lich härter sind und aus der Grundmatrix des Werk- und sterilisierbare Spalte oder Toträume.
stoffs herausragen Viele Hersteller von Sensoren verfügen über hygie-
Für Bauelemente von Bioreaktoren wie Dich- negerecht gestaltete und auf Grund von Reinigbarkeits-
tungen oder Membranen, die aus Polymeren oder test zertifizierte Messwertgeber und Adapter für den
Elastomeren hergestellt werden, ist auf die Tempe- Einbau in Reaktoren und Rohrleitungen. Zu berück-
raturbeständigkeit zu achten. Diese Anforderungen sichtigen ist aber auch die Einbausituation in Stutzen
erfüllen bei den Polymeren z. B. PEEK sowie PTFE und die Gestaltung der Abdichtung der Messwertgeber.
und dessen Modifikationen wie PFA und FEP. Bei Lösungen für deren Einbau müssen im Vorhinein bei
den Elastomeren können VQM, EPDM und FKM der Behälterplanung und -fertigung einfließen.
unter Beachtung der Spezifikationen eingesetzt Am einfachsten sind die Verhältnisse, wenn
werden. Aufgrund der geringeren Wärmeleitfähig- ein Messwertgeber oder eine entsprechende Hülse
keit gegenüber Edelstahl kann durch Kunststoffe . Abb. 7.11) ohne medienberührte Dichtstellen mit
die Sterilisationswirkung an ungünstig gestalteten einer Schweißverbindung in eine glatte produktbe-
Stellen behindert sein. Weitere wichtige Anforde- rührte Behälteroberfläche eingeschweißt werden
rungen sind: chemische Inertheit und Beständigkeit kann, wie es z. B. bei Temperatursensoren möglich
gegen die eingesetzten Medien, Reinigungs- und ist. Für die hygienegerechte Ausführung sind die
Desinfektionsmittel sowie mechanische Festigkeit, Oberflächenqualität der Schweißnaht sowie die
Steifigkeit und Elastizität im genutzten Temperatur-,
Über- und Unterdruckbereich.
Die Oberflächenbeschaffenheit von Kunststoff-
bauteilen muss glatt, sowie poren- und rissfrei sein.
Reinigbarkeitstests zeigten, dass die beim Spritzguss
oder Extrudieren entstehende „Haut“ als Struktur
den Abdruck der Form aufweist, die im Allgemei-
nen porenfrei und dicht ist. Die bei spanabheben-
der Bearbeitung erzeugte Oberfläche kann hingegen
riefenartig bis stark zerklüftet sein, wenn nicht mit
den richtigen Werkzeugen, Schnittgeschwindigkei-
ten und Temperaturen gearbeitet wird. Außerdem
werden tiefgehende Poren offen gelegt, wenn das
Material nicht ausreichend gefüllt ist. Diese können
weder sicher gereinigt noch sterilisiert werden. Um
die Sterilität aufrechterhalten zu können, wird Dicht-
heit der Kunststoffe gegen Wasserdampf, Gase und . Abb. 7.11  Beispiel eines in die Reaktorwand
Licht sowohl von innen als auch von außen gefordert. eingeschweißten Temperatursensors bzw. Schutzrohres
250 J. Hinrichs et al.

strömungsgünstige Anordnung des Sensors ohne axial dichtende Ausführungen wie z. B. Aseptik-
Strömungsschatten wichtig. Wenn bei kleineren Verbindungen nach DIN 11864 verwendet werden.
dünnwandigen Behältern nur von außen geschweißt . Abb. 7.12 zeigt den Einbau eines Drucksensors
werden kann, stellt die innen liegende Nahtwurzel mit Frontmembran und Druckmittler, der mittels
eine hygienisch relevante Oberfläche dar. Flansch nach DIN 11864-2 an einen Behälterflansch
Für den festen Einbau von Messwertgebern in mit kurzer konischer Bohrung angeschlossen ist.
Flansche und Behälterstutzen sollten die zur Verfü- Eine Klemmverbindung nach DIN 11864-3 ist eben-
gung stehenden, dem Sensor angepassten sterilisier- falls möglich. Die Anordnung kann auch in schräger
baren Lösungen verwendet werden. Die Dichtstellen Lage am Deckel oder horizontal an der Behälterwand
müssen auf der Medienseite frontbündig und spalt- eingesetzt werden. Auch der Einbau von Sensoren,
frei sowie dicht gegen Mikroorganismen abdichten. die wie z. B. pH-Sonden zur Behälterwand geneigt
Medienberührte Dichtungen sind aus konstruk- werden müssen, ist grundsätzlich möglich. Wichtig
tiver Sicht meist die hygienisch sensibelsten Ele- ist, dass der bündig in den Behälter eingeschweißte
mente. Eine Rekontamination von Produktchargen Stutzenflansch konisch ausgeführt wird, um den ent-
durch falsch konstruierte Dichtstellen kann auftre- stehenden möglichst kurzen Rücksprung gut erreich-
7 ten, selbst wenn eine Validierung der Reinigung und bar für die Reinigung und Sterilisation zu machen. Der
Sterilisation vorgenommen wurde. Das Risiko wird Stutzen muss die erforderliche Nut für den O-Ring
mit zunehmender Betriebszeit aufgrund von Bean- erhalten. Trotz der hygienegerechten Gestaltung der
spruchungen der Dichtungen größer. Dichtstelle liegt sie in der am weitesten von der Behäl-
Penetration oder Leckage sind bei richtig ausge- teroberfläche entfernten Ecke des Rücksprungs, und
führten und funktionsfähigen statischen Dichtun- stellt damit nach wie vor eine kritische Stelle für die
gen nicht zu befürchten. Wesentliche Anforderun- Reinigung und Sterilisation dar. Die Abdichtung nach
gen an die Dichtstelle sind, dass der Messwertgeber DIN 11851 (Milchrohrverschraubung), DIN 32676
in der Bohrung des Stutzens zentriert wird und ein oder ISO 2852 kann im Medienbereich für Sterilan-
axialer Anschlag für die richtige Pressung der Dich- wendungen nur verwendet werden, wenn sie zur Rei-
tung sorgt, um enge Spalte und Toträume zu ver- nigung jedes Mal vollständig zerlegt wird [7]).
meiden. Ausdehnung und Kontraktion müssen bei Der Sensorflansch sollte Bestandteil der Konst-
der Gestaltung durch Dehnungsräume an der nicht ruktion des Messwertgebers sein, sodass eine zusätz-
produktberührten Seite der Dichtung berücksichtigt liche Abdichtung vermieden wird. Die metallische
werden. Im Folgenden sollen anhand von Beispielen Wellmembran ist in diesem Fall in das Sensorgehäuse
sowohl Problembereiche als auch günstige Lösungs- eingeschweißt. Hygienegerecht gestaltete und getes-
möglichkeiten aufgezeigt werden. tete Adapter, in die Sensoren montiert werden, sind
Eine einwandfreie Lösung für die Dichtstelle an ebenfalls verfügbar, enthalten aber eine zusätzliche
einem Behälterstutzen lässt sich erreichen, wenn Dichtstelle.

. Abb. 7.12  Behälterstutzen


mit axial dichtendem Drucksensor;
Druckmittler mit geschweißter
Frontmembran
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
251 7
Rechtecknut generell keine reinigbare und sterili-
sierbare Lösung dar [6].
Solche Probleme vermeidet eine frontbündige
Abdichtung . Abb. 7.14) mit Dichtungsnut z. B. in
Anlehnung an DIN 11864. Dies bedeutet zum einen,
dass die Verbindung zwischen Sensor und Stutzen
eine Zentrierung sowie einen axialen Anschlag zur
richtigen Pressung der Dichtung erhalten muss. Zum
andern ist eine Nut in der Stutzenbohrung erforder-
lich. Problematisch ist, dass der O-Ring, der weit-
gehend von der rund ausgeführten Nut im Mess-
wertgeber umschlossen wird, verletzungsfrei in die
Stutzenbohrung eingeführt werden muss.
Die rechte Detailansicht in . Abb. 7.14 zeigt, dass
bei abgewandelten frontbündigen Konstruktionen
der O-Ring im Stutzen durch eine angepasste koni-
. Abb. 7.13  Behälterstutzen mit nicht sterilisierbarer sche oder ausgerundete Fläche zum Produktraum
radialer Abdichtung eines Messwertgebers hin axial gehalten wird, während über den Messwert-
geber mit ausgerundeter Nut die Anpressung erfolgt.
Die Montage ist in diesem Fall problemlos möglich.
Zum Teil werden radiale Abdichtungen von Das Konzept kann für eine beliebige Lage der Stutzen
Messwertgebern in Stutzenbohrungen verwen- und Messwertgeber eingesetzt werden. Neben Elas-
det, wobei die Abdichtung durch einen O-Ring tomer-O-Ringen werden auch hygienegerecht gestal-
mit Rechtecknut an der zylindrischen Stutzenboh- tete PEEK-Formringe als Dichtungen verwendet.
rung erfolgt . Abb. 7.13). Der Sensor wird dabei
mit dem Stutzen verschraubt. Da das Gewinde
nicht zentrierend wirkt, ergibt sich aufgrund der 7.9.3 Sterile Probenahmeventile
Toleranzen zwischen Sensor und Stutzen bis hin
zur Abdichtung ein nicht definierter enger Spalt. Armaturen zur Probenahme zweigen gemäß
Untersuchungen haben gezeigt, dass stets Medium . Abb. 7.15 aus einem strömenden oder ­ruhenden
in die Rechtecknut der O-Ringdichtung eindringt Medium einen Teilstrom oder ein definier-
und bei in-place Reinigung nicht entfernt werden tes Volumen ab. Die on-line Probenahme aus
kann. Daher stellt eine O-Ringabdichtung mit dem laufenden Prozess kann kontinuierlich oder

. Abb. 7.14  Prinzip einer hygienegerechten und sterilisierbaren frontbündigen Abdichtung in Behälterstutzen
252 J. Hinrichs et al.

. Abb. 7.16  Prinzipbeispiel eines Probenahmeventils mit


. Abb. 7.15  Prinzipdarstellung der Probenahme aus einem Faltenbalg
7 Bioreaktor

diskontinuierlich erfolgen. In beiden Fällen stellen zu vermeiden. Sie genügen daher nicht den Anfor-
Probenahmeventile die Schnittstelle zur Bioreak- derungen an Sterilisierbarkeit. Gelöst werden
toranlage dar. Dadurch, dass sie z. B. abwechselnd kann dieses Problem, indem der Medienraum des
mit dem Prozess und der Umgebung in Verbindung Ventils vom Außenbereich durch einen Faltenbalg
stehen und unabhängig von der Anlage gereinigt (. Abb. 7.16) oder eine porenfreie dichte Membran
werden müssen, sind an sterile Probenahmeventile (. Abb. 7.17) hermetisch abgetrennt wird. Außer-
besondere Anforderungen zu stellen [24]. dem ist für Reinigung und Sterilisation des medien-
Probenahmeventile können wie andere Ventile berührten Bereichs ein zusätzlicher Anschluss
in Behälter bzw. Rohrleitungen direkt eingeschweißt erforderlich. Das Ventilgehäuse mit Kolben und
oder in Stutzen eingebaut werden. Für die lösbaren Betätigungsmechanismus ( . Abb. 7.16) wird mit
Verbindungen zum Behälterstutzen ist eine hygie- Hilfe einer Klemmverbindung nach DIN 11864-3
negerechte sterilisierbare statische Abdichtung wie mit dem bündig in den Behälter eingeschweißten
z. B. nach DIN 11864 erforderlich, wie sie bereits in Stutzen verbunden. Der abdichtende Kolbenbereich
7 Abschn. 7.9.2 für Messwertgeber erläutert wurde.
Die Verbindung an den Stutzen für Probenahme
und Reinigungs- bzw. Dampfanschluss sollten mit
dem Ventilgehäuse orbital verschweißt werden. Vor-
aussetzung ist, dass ein in-line zerlegbares Ventil
verwendet wird, sodass Verschleißteile wie z. B.
Kolbendichtungen, Faltenbalg bzw. Membran aus-
getauscht werden können. Bei entfernbaren Leitun-
gen müssen zwangsläufig lösbare Verbindungen ein-
gesetzt werden.
Da die Probenahmeöffnung zum mediumbe-
rührten Bereich während der Probenahme geöff-
net und danach wieder geschlossen wird, müssen
zusätzlich zu statischen auch bewegte Ventilele-
mente hygienegerecht und sterilisierbar abgedich-
tet werden. Bei Abdichtung mit üblichen Dichtele-
menten wie O-Ringen oder Lippendichtungen ist ein
Transport von mikroskopischen Schmutzschichten . Abb. 7.17  Darstellung eines Probenahmeventils mit
und Mikroorganismen durch die Dichtstelle nicht Membran (Prinzip nach Südmo)
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
253 7
oder der gesamte Kolben können aus einem Polymer anderen werden sie für die Submers-Begasung ver-
wie z. B. PEEK hergestellt werden, das gute elasti- wendet, bei der sie direkt an eine medienberührte
sche Dichteigenschaften besitzt. Die frontbündige Leitung angeschlossen sind. Nach DIN EN 1672-2
Abdichtung erfolgt in diesem Fall mit einem Kegel- werden für den Spritzbereich dieselben Hygiene-
sitz zwischen hartem Polymer und Edelstahl. Muss Anforderungen wie für produktberührte Bereiche
aus Gründen des Mediums ein Edelstahlkolben ver- gestellt. Üblicherweise werden die Leitungen, die
wendet werden, ist eine Elastomerdichtung in einer während des Prozesses mit Sterilluft beaufschlagt
Nut des Kolbens erforderlich, die hygienegerecht sind, nur mit Dampf sterilisiert (SIP) und nicht in
zu gestalten ist (siehe z. B. [7]). Für Reinigbarkeit den CIP-Kreislauf einbezogen. Da in den Zuluftlei-
und Sterilisierbarkeit des Faltenbalgs aus Kunststoff tungen Kondensat auftritt und eine Kontamination
oder Edelstahl sind vor allem Abstand und Tiefe der nicht auszuschließen ist, sollten diese auch regel-
Falten entscheidend. Der Faltenbalg wird jeweils mit mäßig gereinigt werden. Generell sollten CIP- und
einer nach außen führenden Leckageanzeige ausge- SIP-Prozesse zuerst für Zuluftleitung sowie andere
rüstet, um Undichtwerden des Balgs und damit ver- externe Leitungen durchgeführt werden und erst
bundene Risiken unverzüglich erkennen zu können. danach die Reinigung und Sterilisation des Biore-
Durch die gegenüber liegenden Stutzen wirkt bei aktors erfolgen.
der Reinigung mit geschlossenem Ventil der lange Die Luft wird bei einer fest verrohrten Overlay-
Gehäuseraum um den Kolben als Totraum. Zudem Belüftung über einen Sterilfilter direkt dem Behäl-
muss bei der Reinigung in geschlossenem Zustand der ter zugeführt (. Abb. 7.18). Meist wird ein Vorfil-
Behälter frei von Medium sein, da eine Gefährdung ter zur Entlastung der Endfilterstufe eingesetzt.
durch die einfach wirkende Kolbenabdichtung nicht Falls Integritäts-Tests der Filter nach der Sterili-
auszuschließen ist, die gegen ihre Dichtrichtung gerei- sation durchgeführt werden sollen, sind am Filter
nigt wird. Dies könnte durch eine doppelte Abdich- sterile Abzweigungen mit Ventilen erforderlich.
tung an dieser Stelle verhindert werden. Der bei Am Behältereinlass sollte ein Ventil, das frontbün-
geschlossenem Ventil abgedeckte Bereich der Dicht- dig zum Innenraum montiert wird, das Abgrenzen
stelle muss zusätzlich bei offenem Ventil gereinigt der Leitung zum Bioreaktor ermöglichen.
werden, indem das Ventil für kurze Intervalle geöff- In Beispiel in . Abb. 7.18 kann der Filter mit Hilfe
net wird. Gleiches ist bei der Sterilisation zu beachten. der Ventilgruppe A1, A2, D1 und C1 während des Pro-
. Abb. 7.17 zeigt ein sterilisierbares Probenah- zesses ausgetauscht werden, sofern eine kurzzeitige
meventil, dessen Gehäuse in den Behälter einge- Unterbrechung der Luftzufuhr zulässig ist. Während
schweißt ist. Die hermetische Abdichtung erfolgt
durch eine Elastomermembran, die gleichzeitig den
Betätigungskolben umhüllt und zum Medienraum
des Behälters abdichtet. Das Membranende ist im
Gehäuse eingespannt und wirkt dort als statische
Dichtstelle. Der medienberührte Innenbereich des
Gehäuses ist hygienegerecht und ablaufend gestaltet.
Eine hermetische Abdichtung des bewegten Ventil-
kolbens wird dadurch erreicht, dass die Membran
einerseits an der Kolbenstange und andererseits im
Ventilgehäuse befestigt ist.

7.9.4 Gestaltung der Zuluftstrecke

Zuluftleitungen für Bioreaktoren dienen zum einen


zur Overlay-Belüftung des Kopfraums, wo keine
direkte Produktberührung, sondern der sogenannte . Abb. 7.18  Fließbild der Overlay-Belüftung eines
Spritzbereich vorliegt (DIN EN ISO 14159). Zum Bioreaktors
254 J. Hinrichs et al.

der Sterilisation sind die Ventile A1, A2, B, D1, D2, C1, werden. Integriert in das CIP-System kann der Ste-
und C2 geschlossen. Durch Öffnen der Ventile D1 rilteil der Leitung über Ventil D1 bei geschlossenem
und C1 erfolgt ein Vorheizen des Systems. Danach Ventil A2 jeweils vor der Reinigung des Reaktors
wird Ventil D1 geschlossen, während nach Öffnen gereinigt werden, wobei der Ablauf in den Reaktor
der Ventile D2, A2 und C2 der Filter in Richtung erfolgt. Der Kondensatablauf kann ebenfalls in die
des Luftdurchflusses sterilisiert wird und Konden- Reinigung einbezogen werden.
sat in die Sammelleitung abfließen kann. Nach ent- Als sterilisierbare Ventile und Ventilkombina-
sprechender Sterilisationszeit werden nacheinan- tionen sind hermetisch dichtende klassische Mem-
der C2, C1, A2 und D1 geschlossen. Die Sterilisation branventile nach . Abb. 7.20 geeignet, deren medien-
von Filter und Sterilleitung ist danach bei geschlos- berührte Gehäuse in Edelstahl oder Kunststoff
senem Ventil A1 unabhängig vom Reaktor erfolgt. verfügbar sind. Vorteilhaft ist, dass die Anschluss-
Die Sterilisation des Filters könnte auch im Gegen- stutzen in einer Linie liegen. Nachteilig ist die Dop-
strom durchgeführt werden, wenn die Dampfzufuhr pelfunktion der Membran einerseits als statische
über Ventil D1 erfolgt. Die automatische Betätigung Abdichtung zum Gehäuse andererseits als Schließ-
und Verschaltung der Ventile ermöglicht die Über- mechanismus. Für die Membran werden Elastomere
7 wachung und Dokumentation. Die Abluftleitung aus oder Kombinationen aus PTFE und Elastomer ein-
dem Bioreaktor ist analog zu gestalteten. gesetzt. In den meisten Fällen werden Gehäuse- und
Die Submers-Belüftung kann im Prinzip in glei- Gegenflansch quadratisch mit vier Schrauben ausge-
cher Weise erfolgen, sie kann aber auch vorteil- führt. Wenn ein Anschlag fehlt, kann die Membran
haft mit der Overlay-Belüftung kombiniert werden durch unterschiedliches Anziehen der Schrauben
(. Abb. 7.19). Zusätzlich zu . Abb. 7.18 enthält das unterschiedlich gepresst werden. Um trotzdem eine
Belüftungssystem vor dem Behältereinlass eine Ver- gute Dichtwirkung an der statischen Dichtstelle zu
zweigung für die Versorgung von Gasraum und erreichen, ist entweder auf Seiten des Gehäuseflan-
Submers-Leitung. Die Regulierung des Gasstroms sches oder der Membran ein Wulst als „Dichtlippe“
erfolgt durch ein Drosselventil. Die mit Block 1 und vorhanden. Beim Öffnen und Schließen des Ventils
Block 2 gekennzeichneten Ventilgruppen können kann an der Einspannstelle der Membran ein Spalt
durch totraumarme Ventilblöcke z. B. von Memb- entstehen, der ein Risiko darstellt und regelmä-
ranventilen (siehe [7]) realisiert werden. Die fest- ßig kontrolliert werden sollte. Konstruktionen mit
verrohrten Leitungen und Ventilanschlüsse sollten rund ausgeführter Einspannstelle minimieren das
orbital geschweißt und entleerbar angeordnet Problem. Bei horizontalem Einbau muss das Ventil

. Abb. 7.19  Beispiel eines


Fließbilds für die Kombination von
Overlay- und Submers-Belüftung
eines Bioreaktors
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
255 7

. Abb. 7.20  Prinzipdarstellung des medienberührten Bereichs eines Membranventils

geneigt werden, um ein völliges Entleeren des Ventils Medium dort zurückbleibt. Außerdem sind relativ
in eine Richtung zu gewährleisten. Ventilkombina- große nicht reinig- und sterilisierbare Dichtstellen
tionen wie die kreuzungsartige Anordnung der zwischen Kugel und Gehäuse vorhanden, auch wenn
Ventile in . Abb. 7.19 sind für Membranventile auch der Gehäuseinnenraum bei einigen Konstruktionen
als Ventilblock mit nur einem massiven Gehäuse ver- in die Reinigung einbezogen werden kann.
fügbar. Vorteilhaft sind der geringe Totraum sowie
die platzsparende Anordnung, allerdings ist beim
Sterilisieren bzgl. des Aufheizverhaltens die größere 7.9.5 Abdichtung von Rührerwellen
Masse des Ventilblocks zu beachten.
Ebenso sind Faltenbalgventile für den sterilen Rührerwellen können vom Deckel oder vom
Einsatz in Zuluftleitungen geeignet (. Abb. 7.21a). Boden her montiert sein, sodass die Dichtstelle
Als sogenannte Sitzventile dichten sie zwischen Ven- entweder im Spritzbereich oder im Produkt liegt.
tilteller und Gehäuse ab, wie bereits für die Probe- In beiden Fällen stellt die Abdichtung der Dreh-
nahmeventile erläutert (. Abb. 7.17). Faltenbalgven- bewegung den Problembereich dar. Einfach wir-
tile sind meist mit senkrecht zueinander liegenden kende dynamische Dichtungen sind gegenüber
Anschlussstutzen ausgeführt und mit Kunststoff- Mikroorganismen nicht dicht. Allerdings ist bei der
balg z. B. mit integrierter Ummantelung des Ventil- Abdichtung rotierender Bauteile das Kontamina-
tellers oder mit Edelstahlbalg und getrennter Teller- tionsrisiko durch Transport geringer eingeschätzt
dichtung erhältlich. Die Bewegung der Ventilstange als bei hin- und hergehend bewegten Konstruktio-
wird durch den Faltenbalg hermetisch abgedichtet, nen wie z. B. Ventilen. Außerdem steht der abzu-
der im Ventilgehäuse und am Ventilkörper statisch dichtende, hygienisch sensible Bereich im Allge-
befestigt ist. Beim Öffnen und Schließen verändern meinen unter Überdruck, sodass ein Druckgefälle
die Falten ihren Abstand, Zu enge Falten in Reini- von der „reinen“ zur „unreinen“ Seite vorhanden
gungsposition können die Reinigbarkeit verschlech- ist, wodurch das Kontaminationsrisiko vermindert
tern. In . Abb. 7.21a ist als Beispiel ein sterilisierba- aber nicht ausgeschlossen ist.
res Faltenbalgventil für den Anschluss an Behälter Übliche dynamische Dichtungen wie z. B.
dargestellt, und . Abb. 7.21b zeigt ein sterilisierbares Wellendichtringe aus Kunststoff oder Stopfbuch-
Eckventil mit einer hermetischen Abdichtung durch sen sind wegen zu starkem Verschleiß und damit
eine elastische Membran und eine Elastomerdich- zunehmender Leckage für Sterilanwendungen von
tung zwischen Ventilteller und -gehäuse. Rührern nicht geeignet. Ebenso bergen einfach wir-
Kugelventile sind für Sterilanwendungen zu ver- kende Gleitringdichtungen ein Kontaminationsri-
meiden. Sie verbinden beim Absperren den Innen- siko. Eingesetzt werden Gleitringdichtungs-Paare,
raum des Gehäuses mit der Medienleitung, sodass die durch eine dazwischen liegende Spülkammer
256 J. Hinrichs et al.

. Abb. 7.21  Beispiele hermetisch dichtender Sitzventile: (a) Faltenbalgventil mit Stutzen für Behälteranschluss und
7 integriertem Sterilisationsanschluss (nach Fa. GEA Tuchenhagen), (b) Membranventil mit getrennter Tellerdichtung

mit sterilem Sperrmedium geschützt werden. Eine


der Dichtungen übernimmt die Abdichtung zur
Produktseite, während die andere zur nicht steri-
len Seite abdichtet. In kritischen Fällen ist auch eine
dreifache Anordnung möglich. Das Spülmedium
muss mit dem Produkt im Reaktor kompatibel sein,
da geringste Mengen die Dichtstelle durchdringen
können. Außerdem muss die Spülkammer reinigbar
und sterilisierbar gestaltet werden.
Nach . Abb. 7.22 erfolgt die dynamische Abdich-
tung bei einer einfach wirkenden Gleitringdichtung
zwischen Gehäuse und Rührerwelle an der radialen . Abb. 7.22  Prinzipdarstellung einer Gleitringdichtung
Berührfläche eines mit der Welle umlaufenden Gleit-
rings und einem feststehenden mit dem Gehäuse
verbundenen Gegenring. Durch elastische statische ausreichende Notlaufeigenschaften besitzen, nicht zu
Dichtungen erfolgt die Abdichtung und elastische ungleichmäßigem Verschleiß und zu Riefenbildung
Lagerung der Gleitringe gegenüber den zugeordne- neigen, wodurch die Leckagerate steigt.
ten Bauteilen, wodurch zudem Temperatureinflüsse . Abb. 7.23 zeigt eine doppelte Anordnung von
kompensiert werden. Gleitringdichtungen mit sterilem flüssigem Trenn-
Die medienberührten Bauelemente müssen medium zur Abdichtung einer am Behälterdeckel
glatt und frei von Spalten sein. Ecken sind abzu- gelagerten Rührerwelle. Die Konstruktion ist als
runden und Totbereiche zu vermeiden. Offen lie- Cartridge einbaufertig gestaltet, sodass sie zusam-
gende Federn stellen ein Hygienerisiko dar, wenn men mit der Lagerung in den Behälterstutzen einge-
sie medienberührt sind, d. h. innerhalb des Reaktors setzt und angeflanscht werden kann. Die umlaufen-
oder im Spülraum zwischen den Gleitringdichtun- den Gleitringe sind auf einer Wellenbuchse befestigt.
gen liegen. Abgedichtete Schutzhülsen oder hermeti- Die Anpressung durch Federn erfolgt bei der pro-
scher Schutz durch einen Faltenbalg beseitigen dieses duktseitigen Gleitringdichtung über den im Gehäuse
Problem. Gleichzeitig ist auf eine hygienegerechte gelagerten Gegenring, auf der nach außen wirkenden
Ausführung der statischen Dichtungen zu achten. Die über den Gleitring. Hygienegerecht gestaltete stati-
Gleitwerkstoffe sollten bei geschmierten Gleitringen sche Dichtungen dichten an der produktberührten
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
257 7

. Abb. 7.23  Beispiel einer doppelten Gleitringabdichtung mit sterilem Sperrmedium für eine Rührerwelle (Fa.
EagleBurgmann)

Seite zum Gleitring sowie zum Behälterstutzen ab. In . Abb. 7.25 ist eine gasgeschmierte sterilisier-
Auf der Produktseite tritt die sterile Leckageflüssig- bare Gleitringdichtung für den Einbau in den Deckel
keit direkt in den Kopfraum aus. Im Außenbereich eines Bioreaktors dargestellt. Mit dieser Konstruk-
liegen die Anschlüsse für das Sperrmedium sowie für tion kann eine flüssige Leckage in den Produkt-
die Leckageflüssigkeit, die an der äußeren Gleitpaa- raum an der produktseitigen Gleitfläche vermieden
rung auf der Seite des Gegenrings austritt. werden. Die beiden Gleitringe werden durch ein
Wie bereits erwähnt, sollten Dichtungseinheiten Gaspolster voneinander getrennt, das durch Steril-
mit Sperrflüssigkeit nicht nur sterilisiert, sondern luft oder –gas erzeugt wird. Durch speziell geformte
zumindest nach festgelegten Zeitintervallen auch
gereinigt werden. Für die Versorgung von Gleit-
ringdichtungen mit sterilem Sperrmedium werden
häufig Sperrdrucksysteme mit Schwerkraftumlauf,
sog. Thermosiphon-Systeme, eingesetzt. Gemäß
. Abb. 7.24 wird Dampfkondensat als Sperrdruck-
medium verwendet, das aus einem mit Luft beauf-
schlagten Behälter über den Vorlauf der Gleitring-
dichtung zugeführt wird und über den Rücklauf in
den Behälter zurückfließt.
Die Anordnung in . Abb. 7.24 erlaubt zudem
Gleitringdichtungen für erhöhte Bioreaktordrücke
mit Stützgas zu betreiben. Die Ventilgruppen A1, A2,
C1 und E1, E2, C2 können jeweils in Blockform rea-
lisiert werden. Ventil D ist als Druckregelventil in
Kombination mit einem Absperrventil auszuführen.
Insgesamt ergeben sich für die Sterilisation bis zu vier . Abb. 7.24  Prinzipdarstellung der
Bereiche, die je nach Anordnung zusammen oder Versorgungseinrichtung einer Gleitringdichtung mit sterilem
einzeln sterilisiert werden können. Sperrmedium durch Schwerkraft-Umlauf
258 J. Hinrichs et al.

. Abb. 7.25  Konstruktive


Ausführung einer gasgeschmierten
sterilen Gleitringdichtung zur
Abdichtung einer Rührerwelle (Fa.
EagleBurgmann)

Gleitflächen wird es bereits bei geringen Drehzah- im Allgemeinen der hydrodynamische Durchströ-
7 len wirksam und sorgt für eine hohe Gasfilmsteifig- mungseffekt aus, ohne dass Nuten benötigt werden.
keit sowie Betriebssicherheit bei minimaler Gasle- Keramische Wälzlager zeichnen sich durch eine hohe
ckage. Da sich die Gleitringe nicht berühren, gibt es Temperaturbeständigkeit aus und sind für nahezu
keinen Verschleiß und Abrieb. Damit ist eine Verun- alle Medien geeignet. Sie sind jedoch sehr stoß- und
reinigung des Bioreaktormediums ausgeschlossen. schlagempfindlich. Sie werden vom Produkt durch-
Die Befestigung und Abdichtung der beiden Gleit- strömt und geschmiert. Wie bei Gleitlagern können
ringe erfolgt im dargestellten Beispiel auf der Wellen- sie CIP gereinigt werden.
buchse. Die produktseitigen statischen Dichtungen Öl- bzw. fettgeschmierte Lagerungen sind kri-
am Gleitring sowie am Stutzenende sind hygienege- tisch zu betrachten, da sie den Vorteil der hermeti-
recht gestaltet. Die Dichtung ist CIP- und SIP-fähig schen Trennung durch eine problematische Dicht-
und kann in allen steriltechnischen Prozessen ein- stelle zu Nichte machen. In diesem Fall muss eine
gesetzt werden. Zu beachten ist, dass die Bohrung sichere doppelte Abdichtung mit Sperrmedium ver-
für Kondensataustritt direkt in den Kopfraum des wendet werden, deren produktseitige Abdichtung
Reaktors führt. hygienegerecht zu gestalten ist. Allerdings können
Rührerwellen können auch hermetisch abge- in diesem Fall hohe Axial- und Radialkräfte durch
dichtet werden. Der Antrieb erfolgt in diesem Fall handelsübliche Stahl-Wälzlager aufgenommen
magnetisch durch einen sogenannten Spalttopf werden.
hindurch über eine Permanentmagnetkupplung
zur getrennten Rührerwelle. Da die Kupplungen
Literatur
verschleißfrei arbeiten, ist eine hohe Lebensdauer
sichergestellt. Die übertragbare Rührerleistung ist  [1] Atamer Z, Dietrich J, Müller-Merbach M, Neve H, Heller
allerdings begrenzt. Unter hygienischen Aspekten KJ, Hinrichs J, (2009) Screening for and characterization
ist die Lagerung des angetriebenen Rührelements of Lactococcus lactis bacteriophages with high thermal
zu lösen, die zwangsläufig im Bioreaktor liegt. Ein- resistance. Int Dairy J 19:228–235
  [2] Deveau H, Labrie SJ, Chopin MC, Moineau S (2006). Bio-
gesetzt werden sowohl Gleit- als auch Wälzlager diversity and classification of lactococcal phages. Appl
aus Keramik. Bei Gleitlagern für den Antrieb vom Environ Microb 72(6):4338–4346
Boden aus werden die Gleitflächen an der axialen  [3] Dogan Z, Weidendorfer K, Müller-Merbach M, Lembke F,
Lagerstelle mit Radialnuten und an der radialen Hinrichs J (2009) Inactivation kinetics of Bacillus spores
mit axialen Nuten versehen. Unterstützt durch die in batch- and continuous-heating systems. LWT-Food Sci
Technol 42:81–86
Drehbewegung wird das Fermentations- bzw. Reini-   [4] Geeraerd AH, Herremans CH, Van Impe JF (2000) Structu-
gungsmedium durch den Lagerpalt sowie die Nuten ral model requirements to describe microbial inactivation
transportiert. Bei schnelllaufenden Wellen reicht during a mild treatment. Int J Food Microbiol 59:185–209
Kapitel 7 · Sterilisation und Sterildesign
259 7
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Wiley-VCH, Weinheim dem Stahl für Aseptik, Chemie und Pharmazie – Teil 1:
  [7] Hauser G (2008b) Hygienegerechte Apparate und Anla- Aseptik-Rohrverschraubung, Teil 2: Aseptik-Flanschver-
gen. Wiley-VCH, Weinheim bindung, Teil 3: Aseptik-Klemmverbindung (Berichtigte
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Milieus zwischen Dichtungen und Dichtflächen auf die [24] DIN EN 13312-3, Norm, 2001-07, Biotechnik – Leistungs-
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Leckagesicherheit; Deutsche Fassung EN 12298: 1998
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Teil 1: Verzeichnis der nichtrostenden Stähle; Deutsche
Fassung EN 10088-1: 2005
261 8

Bioprozessanalytik und
-steuerung
Bernd Hitzmann und Thomas Scheper

8.1 Charakteristische Parameter für das


Bioprozessmonitoring – 263
8.1.1 Prozessgrößen – 263
8.1.2 Sensoren – 263
8.1.3 Analysenfrequenz – 265

8.2 Messtechnik – 265


8.2.1 Messung der Zustandsgrößen in der Gasphase – 265
8.2.2 Messung der Zustandsgrößen in der Flüssigphase – 267
8.2.3 pH-Messung – 269
8.2.4 Biomassebestimmung – 272
8.2.5 Bildgebende Verfahren – 273
8.2.6 Spektroskopische Sensoren – 274
8.2.7 Fluoreszenzspektroskopie – 275
8.2.8 Infrarotspektroskopie – 276
8.2.9 Optische Chemosensoren – 277
8.2.10 Biosensoren – 279
8.2.11 Single-use-Sensoren – 281
8.2.12 Fließinjektionsanalyse – 282
8.2.13 Probenahmesysteme – 283

8.3 Softwaresensoren – 284


8.3.1 Kalman-Filter – 284
8.3.2 Hauptkomponentenanalyse – 287

8.4 Automatisierung – 290


8.4.1 Regelung – 290
8.4.2 Steuerung – 291

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_8
8.4.3 Zweipunktregler – 292
8.4.4 PID-Regler – 292
8.4.5 Digitale PID-Regler – 293
8.4.6 Einstellung von Regelparametern – 293
8.4.7 Alternative Reglerkonzepte – 296

Literatur – 297
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
263 8
8.1 Charakteristische Parameter für Zellzustände im Prozess mittelt, kann mit anderen
das Bioprozessmonitoring Analysetechniken die Verteilung der Zelleigenschaf-
ten erfasst werden (z. B. Altersverteilung der Zellen).
Das komplexe Mehrphasensystem in einem Biopro- Unter globalen Größen zur Beschreibung eines
zess stellt höchste Anforderungen an die Mess- und Bioprozesses werden solche verstanden, mit denen
Regelungstechnik. Um die optimalen Bedingungen man das gesamte System nur unter exakt reprodu-
für den gesamten Prozess aufrechtzuerhalten, muss zierbaren Kultivierungsbedingungen beschreiben
die Zusammensetzung der Flüssigphase (Medium), kann. Die Wärmeentwicklung in einem Biopro-
der darin suspendierten Gasphase und der disper- zess ist ein Beispiel hierfür. Diese Größe umfasst die
gierten Festphase (Zellen, Zellverbände) kontinuier- metabolische Aktivität (Zelleigenschaft), die Ver-
lich erfasst werden. Die Interaktion dieser drei Phasen fügbarkeit eines Substrates (Glucose in der Flüssig-
ist komplex und verschiedenste Zeitkonstanten phase) und eines gasförmigen Cosubstrates (Sauer-
machen eine Steuerung des Gesamtprozesses ohne stoff in der Gasphase). Die Wärmeentwicklung kann
ausreichendes Prozesswissen schwierig. So wirkt sich über Kalorimeter erfasst werden, sie ist jedoch nur
die Induktion eines Gens durch einen Temperaturs- aussagekräftig, wenn der Prozess jeweils unter glei-
hift oder die Zugabe eines chemischen Induktors erst chen Bedingungen abläuft bzw. durch entsprechende
nach mehreren Minuten durch die Expression des Modelle gestützt wird.
gewünschten Proteins aus. Das Protein kann erst mit
einer Zeitverzögerung metabolisch aktiv sein. Auch
dieses Wissen muss für eine erfolgreiche Bioprozess- 8.1.2 Sensoren
steuerung auf der Basis einer detaillierten Prozess-
analytik eingebracht werden. Die Begriffe Sensor, Sensorsystem und Analysensys-
Bisher sind Bioreaktoren hauptsächlich mit Tem- tem werden häufig gleich verwendet, auch wenn dies
peraturfühlern, pH-Elektroden und Elektroden zur aus der Sicht der analytischen Chemie nicht korrekt
Gelöstsauerstoffmessung ausgerüstet. Verglichen ist. Der Einfachheit halber wird in diesem Kapitel
mit den Prozesskontrollstrategien in der petroche- der Sensor als ein Messsystem bezeichnet, das die
mischen Industrie und der Pharmaindustrie ist der Erfassung einer Messgröße, die Verstärkung und die
Nachholbedarf in der Bioprozessindustrie groß. Umwandlung in ein elektrisches Signal kombiniert.
Heute fehlen immer noch verlässliche Sensoren und Solche Sensoren können als in situ-Sensoren direkt
Analysemethoden für die On-line-Prozessbeobach- in den Prozess eingebracht werden und müssen für
tung, aber auch verlässliche quantitative und dyna- biotechnologische Prozesse sterilisierbar bzw. auto-
misch korrekte Modelle. klavierbar sein. Sie liefern kontinuierlich Messwerte
aus dem Bioreaktor, haben jedoch sensortypische
Ansprechzeiten. Gerade bei biotechnologischen
8.1.1 Prozessgrößen Prozessen ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten
mit in situ-Sensoren, da sogenannte Fouling-Effekte
Das Dreiphasensystem eines Bioprozesses kann über die Ansprechzeiten und die Sensitivitäten beeinflus-
physikalische, chemische und biologische Zustands- sen oder die Sensoren nicht sterilisierbar sind (Bio-
größen erfasst werden (. Tab. 8.1). Prinzipiell muss sensoren, ionenselektive Elektroden). In diesem Fall
darauf geachtet werden, dass selbst in ideal durch- bietet es sich an, die Sensoren außerhalb des Reak-
mischten Systemen lokale Unterschiede in den tors in einen Probenstrom, der kontinuierlich dem
Zustandsgrößen existieren (Beispiel: Sauerstoffpar- Reaktor entnommen wird, einzusetzen. Dies sind ex
tialdruck über die Höhe in einem Blasensäulenreak- situ-Sensoren. Die Probeentnahme aus dem Biore-
tor). Dies erfordert eigentlich eine Messung an ver- aktor erfolgt über entsprechende Filtrationsmodule
schiedenen Reaktorpunkten. (7 Abschn. 8.2.13), die eine repräsentative Probe aus
Bei der Analyse des Zellzustands wird häufig dem Bioreaktor zum Sensor befördern. Der Pro-
über integrale oder segregierte Messwerte gespro- bentransport führt zu einer weiteren Verzögerung
chen. Während der integrale Messwert über alle in der Analyse. Die dem ex situ-Sensor zugeführte
264 B. Hitzmann und T. Scheper

. Tab. 8.1  Messprinzipien zur Erfassung verschiedener Messgrößen in der Bioprozesstechnik

Messgröße Messeinrichtung/Messprinzip (beispielhaft)

Physikalische Zustandsgrößen
Drehzahl Drehzahlmesser
Energieeintrag Drehmoment
Druck Membransensoren
Schaumerkennung Widerstandsmessung
Temperatur Thermometer, Thermoelement, Thermistor
Fluidzufuhr Tropfenzähler, Waage, Massflowmeter
Strömungsgeschwindigkeit des Fluids Wärmepulsmethode
Viskoseanteil des Fluids Viskometer
Leitfähigkeit elektrochemische Sensoren
Gaszufuhr Massflowmeter

8 Strömungsgeschwindigkeit des Fluids


Chemische Zustandsgrößen
Ultraschall-Doppler-Verfahren

pH pH-Glaselektrode
pO2 Clark-Elektrode, Chemosensor
pCO2 pH-Glaselektrode nach Severinghaus
volatile Substanzen Massenspektrometer
gelöste Komponenten via Biosensoren, HPLC, GC/MS-Kopplung (at-line)
via spektroskopischer Sensoren (in-line)
Biomassekonzentration optische Sensoren, Filtrationssonde, Impedanz
Redoxpotenzial elektrochemische Sensoren
Biologische Größen
Zellzustand Fluoreszenzsensoren, Impedanzmessung NMR, (in-line)Zellaufschluss,
HPLC (at-line)
in-situ-Mikroskopie
Zellmorphologie, Vitalität Durchflusszytometer, Mikroskopie (at-line)

Probe muss genau der Zusammensetzung des Bio- werden bei der ex situ-Analyse Fließinjektionsanaly-
prozesses entsprechen. Hier ergeben sich die übli- sesysteme (7 Abschn. 8.2.13) oder komplexe Analy-
chen Probleme wie bei Membrantrennverfahren sensysteme wie HPLC, GC/MS und die Durchflusszy-
(z. B. bei hochmolekularen Substanzen) und der Ver- tometrie eingesetzt, spricht man von at-line-Analyse
stoffwechselung einzelner Komponenten während (. Abb. 8.1). Die Messdaten fallen hier nicht konti-
der Zuführung zum Sensor. Der Vorteil der ex situ- nuierlich, sondern in bestimmten analysebedingten
Analyse liegt darin, dass der Sensor jederzeit kalib- Zeitabschnitten an. Die Zahl der in situ-Sensoren für
riert oder ausgetauscht werden kann, ohne den Bio- die Bioprozesstechnik ist gering und konzentriert sich
prozess zu stören (Kontaminationsrisiko). hauptsächlich auf die Messgrößen Temperatur, pH
Werden die Sensoren kontinuierlich an einem Bio- und pO2. Im ex situ-Verfahren können prinzipiell
prozess eingesetzt, spricht man von on-line-Analytik; alle Sensoren oder hoch komplexe Analysensysteme
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
265 8
. Abb. 8.1  Mögliche
Sensorankopplungen an Bioreaktoren

verwendet werden. Hier stellt die adäquate Probe- Modelle überwunden werden können. Bei Prozessen
nahme den „Flaschenhals“ dar. Um die Gefahr von mit niedrigen Wachstumsraten (Kultivierung tieri-
Kontaminationen durch die Bioprozessanalytik zu scher Zellen) ergeben sich keine Probleme, wenn die
beschreiben, wird häufig auch der Begriff nicht-in- Messwerte auch mit einer Zeitverzögerung von ein bis
vasiver Sensor bzw. invasiver Sensor verwendet. Bei zwei Stunden für die Prozesskontrolle zur Verfügung
einem nicht-invasiven Sensor ist es nicht nötig, eine stehen. Generell sollten Sensoren verwendet werden,
Probe aus dem Bioprozess zu entnehmen oder im deren Ansprechverhalten bekannt, kurz und konstant
Prozess zu analysieren, die Gefahr einer Kontami- ist. Gerade optische und spektroskopische Sensoren
nation wird ausgeschlossen. Bei invasiven Sensoren bieten den Vorteil, Messwerte instantan zu liefern.
wird dem Bioprozess ein Aliquot entnommen und im
Sensor (oder im ex situ-System) analysiert.
8.2 Messtechnik

8.1.3 Analysenfrequenz Für die Erfassung von Zustandsgrößen, die auch für
die Beobachtung chemischer Prozesse wichtig sind
Für in situ-Sensoren, die kontinuierlich Messwerte (speziell die Erfassung physikalischer Zustandsgrö-
liefern, ist die Ansprechzeit des Sensors wichtig, ßen) wie Drehzahl, Viskosität, Druck und Tempe-
um auf den Ist-Zustand des Reaktors rückschließen ratur, sei auf die allgemeine Messtechnik-Literatur
zu können. Problematisch sind Änderungen des verwiesen. In diesem Kapitel werden speziell nur die
Ansprechverhaltens durch Fouling-Prozesse, denn für die Bioprozesstechnik relevanten Messtechniken
die Ansprechzeit ändert sich dann während des Pro- kurz beschrieben.
zesses unkontrolliert. Dieses Problem ist besonders
kritisch, da eine Kalibrierung von in situ-Sensoren
nach dem Sterilisationsprozess nicht mehr möglich 8.2.1 Messung der Zustandsgrößen in
ist. Die Anforderungen an in situ-Sensoren für die der Gasphase
Bioprozesstechnik sind deshalb groß.
Die ex situ-Sensoren können mit den durch die Für aerobe Prozesse ist die schnelle und sichere Erfas-
Probenahme bedingten Verzögerungen kontinuier- sung der Gasphasenzusammensetzung wichtig. Die
lich oder in bestimmten Intervallen Analysendaten Messung des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalts in
liefern. Häufig werden, wie beispielsweise bei der der Gasphase liefern wichtige Informationen über die
Verwendung von HPLC-Systemen, die Messdaten Zellaktivität. Bei anaeroben Prozessen (z. B. Biogas-
mit großen Zeitabständen bereitgestellt. Handelt bildung) ist die Analyse der komplexen Gasphase,
es sich um Bioprozesse mit einer hohen Dynamik beispielsweise mithilfe von Massenspektrometern
(Aufarbeitungsprozesse, Kultivierung von Organis- (CH4, H2 etc.) nötig. Prinzipiell lassen sich die Gaszu-
men mit hohen Wachstumsraten), so ergeben sich sammensetzungen im Abgasstrom mithilfe von Mas-
Probleme, die nur durch die Verwendung geeigneter senspektrometern sehr detailliert erfassen. Gerade
266 B. Hitzmann und T. Scheper

die Entwicklung kleiner kostengünstiger Massen- entstehende Gasstrom wird als magnetischer „Wind“
spektrometer wird hier in der Zukunft eine wichtige bezeichnet. Es gibt verschiedenste Messanordnun-
Rolle spielen. gen, um den Sauerstoffgehalt über das Prinzip der
magnetischen Waage zu erfassen.
Eine Miniaturisierung dieser Geräte ist schwie-
Sauerstoffmessung in der Gasphase rig, und zukünftig werden sicherlich eher Massen-
Da Sauerstoff das einzige für die Biotechnologie rele- spektrometer verbreitet einen Einsatz zur Gasana-
vante paramagnetische Gas ist, kann diese Eigen- lyse finden. Darüber hinaus haben auch Sensoren, die
schaft für die spezifische Erfassung von Sauerstoff in den Zirkondioxidsensoren (Prinzip λ-Sonden) ent-
der Gasphase genutzt werden. Der Paramagnetismus sprechen an Bedeutung gewonnen oder optische Sen-
des Sauerstoffs ist auf die ungepaarten Elektronen soren (7 Abschn. 8.2.2.1). Im Allgemeinen wird das
in der äußeren Elektronenschale zurückzuführen. Abgas der Bioreaktoren vor der Messung getrocknet,
Die Suszeptibilität ist ein Maß für den Paramagne- um Störungen durch den Wasserdampfpartialdruck
tismus. Sie ist proportional zu der Kraft, mit der die und mögliche Kondensatbildung zu vermeiden.
Gasmoleküle in einem magnetischen Feld angezo-
gen werden, und nimmt mit zunehmender Tempe-
ratur stark ab. Es existieren verschiedene Geräte zur Kohlendioxidmessung in der Gasphase
8 Konzentrationsbestimmung über den paramagne- Da zur genauen Bestimmung der Stoffwechselakti-
tischen Effekt. vität in aeroben Bioprozessen auch der Kohlendi-
Die Ringkammeranordnung ist in . Abb. 8.2 oxidgehalt in der Gasphase bekannt sein muss, soll
gezeigt. Das Messgas fließt durch einen Hohlring, auch die Kohlendioxidmessung in der Abluft kurz
in dessen Mittelverbindung ein Dauermagnet ein- beschrieben werden. Kohlendioxid ist ein Infra-
gebracht ist. Der Sauerstoff im Abgas wird infolge rot aktives Gas, das Licht im Wellenlängenbereich
des Paramagnetismus zum Ort der größten Kraft- von 3 bis 4 µm absorbiert. Die Absorption ist pro-
flussdichte fließen. Ein Heizdraht, der im Bereich der portional zur Kohlendioxidkonzentration. Es exis-
größten Kraftflussdichte angebracht ist, heizt das Gas tieren unterschiedliche Infrarot-Analysatoren. Das
auf, der Paramagnetismus nimmt stark ab, und das Messgas wird zur Messung durch eine Messküvette
erwärmte Gas wird von nachströmendem kälterem geführt. Die Geräte sind im Allgemeinen thermo-
Gas verdrängt. Dadurch entsteht eine Strömung in statisiert und mit einer Kompensation für schwan-
der inneren Verbindung des Hohlrings. Sie führt zu kenden Luftdruck ausgerüstet. Das Abgas wird im
einer Abkühlung, die proportional zum Sauerstoff- Vergleich zu einer Referenzmesskammer vermes-
gehalt ist. Der Strom, der benötigt wird, um den sen, die Länge der Messküvette kann auf den Emp-
Draht aufzuheizen, wird als Messsignal genutzt. Der findlichkeitsbereich angepasst werden. Dies kann
mechanisch oder durch verschiedene Reflexionen
geschehen. Auch hier werden getrocknete Abgase
analysiert, um Fehler durch die Infrarot-Absorp-
tion des Wasserdampfs zu vermeiden. Die Analyse
wird generell von allen infrarot-aktiven Komponen-
ten (z. B. Methan) beeinträchtigt.
Grundsätzlich können mithilfe der Massenspek-
trometrie über geeignete Probenahmesysteme alle
gasförmigen oder volatilen Substanzen bestimmt
werden. Über die Partialdruckzusammenhänge
lassen sich damit auch die Konzentrationen in den
flüssigen Medien prinzipiell erfassen. Verschiedene
massenspektrometrische Systeme und Kombinatio-
. Abb. 8.2  Prinzip der paramagnetischen nen (z. B. MS/MS, GC/MS etc.) können hierfür ver-
Sauerstoffmessung wendet werden.
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
267 8
8.2.2 Messung der Zustandsgrößen in zeigt. Bei einer amperometrischen Messung ist der
der Flüssigphase Stromfluss allein von der Konzentration (bzw. Akti-
vität) der zu bestimmenden Substanz abhängig, wenn
die Polarisationsspannung konstant ist und die Reak-
Gelöstsauerstoffgehalt tion diffusionskontrolliert ist. Dies gilt auch für den
Die Erfassung des Gelöstsauerstoffgehalts ist in gelösten Sauerstoff, der an der Kathode reduziert wird:
der Biotechnologie aerober Prozesse besonders
wichtig. Die Sauerstofflöslichkeit hängt stark von der O2 + 2 H2O + 4 e− → 4 OH−
Medienzusammensetzung und der Temperatur ab
(. Tab. 8.2). Da der Sauerstoffübergang aus der Gas- An der Gegenelektrode läuft im Allgemeinen die fol-
in die Flüssigphase einer der kritischen Transport- gende Reaktion ab:
schritte in biotechnologischen Prozessen ist, muss
für die Auslegung und Regelung dieser Prozesse Ag + Cl− → AgCl + e−
der Gelöstsauerstoffgehalt genau erfasst werden.
Unterschiedliche Verfahren stehen zur Verfügung, Die Gegenelektrode dient als Referenz. Die Pola-
wobei die Clark-Elektrode am weitesten verbrei- risationsspannung wird so gewählt, dass die Reak-
tet ist. Es gibt verschiedene Bauprinzipien, sodass tion an der Arbeitselektrode diffusionskontrolliert
nur das Messprinzip kurz erläutert werden soll. abläuft. Zu niedrige Spannungen führen dazu, dass
Gemessen wird im Allgemeinen der Sauerstoffpar- keine Diffusionskontrolle gewährleistet ist oder
tialdruck (pO2). Dieser korreliert mit der Löslich- die Umsetzung der Reaktanten nicht vollständig
keit des Sauerstoffs in den Medien. Die Löslichkeit ist. Bei zu hohen Polarisationsspannungen können
selbst ist stark von der Temperatur und der Medien- unerwünschte Nebenreaktionen den Stromfluss ver-
zusammensetzung abhängig. Somit werden auch stärken. Wie aus . Abb. 8.4 hervorgeht, generieren
der Sauerstoffgehalt und seine Bestimmung von der unterschiedliche Sauerstoffgehalte unterschiedli-
Temperatur und der Medienzusammensetzung stark che Stromflüsse. Aus dem Stromfluss in einer unbe-
beeinflusst. kannten Lösung kann somit auf den Sauerstoffgehalt
Der prinzipielle Aufbau einer Clark-Elektrode ist in zurückgeschlossen werden.
. Abb. 8.3a zu sehen, während . Abb. 8.3b den Aufbau Die galvanische Messung des Sauerstoffgehalts ist
einer kommerziell erhältlichen Sauerstoffelektrode in der Biotechnologie weniger verbreitet und soll hier
nicht näher beschrieben werden. Bei beiden Messun-
gen ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die
. Tab. 8.2  Sauerstofflöslichkeit in Abhängigkeit der
Diffusion des Sauerstoffs zur Elektrodenoberfläche.
Temperatur und der Ionenstärke
Er ist proportional zur Sauerstoffkonzentration. Die
T [°C] O2 [mmol/L] Ionenstärke O2 Dicke der diffusionskontrollierenden Schicht zwi-
[M] [mmol/L] schen Elektrodenoberfläche und Kernströmung des
Mediums ist dabei wichtig. Wird diese durch Ände-
0 2,18 0,0 1,26
rung der Anströmgeschwindigkeit oder der Viskosi-
10 1,70 0,5 HCl 1,21 tät des Mediums beeinflusst, ändert sich das Messsig-
15 1,54 0,5 H2SO4 1,21 nal. Die Sauerstoffmessung wäre damit beispielsweise
20 1,38 0,5 NaCl 1,07 extrem anfällig bezüglich der Rührergeschwindigkeit
im Bioreaktor. Aus diesem Grund werden selektive,
25 1,26 1,0 HCl 1,16
gaspermeable Membranen vor die Kathode gesetzt,
30 1,16 1,0 H2SO4 1,12
um die Diffusionsstrecken konstant zu halten. Bei
35 1,09 1,0 NaCl 0,89 einer pO2-Elektrode ist der Elektrolytraum an der
40 1,03 2,0 HCl 1,12 Anode und Kathode somit von dem Kultivierungs-
2,0 H2SO4 1,02 medium getrennt. Der Sauerstoff permeiert durch
2,0 NaCl 0,71 die Membran in den Elektrolytraum und wird an
der Kathode (meist Platin), die im Allgemeinen
268 B. Hitzmann und T. Scheper

. Abb. 8.3  Aufbau einer amperometrischen Sauerstoffelektrode. (a) Prinzip der Clark-Elektrode; (b) typische kommerziell
erhältliche Sauerstoffelektrode (rechts)

ein Potenzial von ca. −700 mV gegenüber der Sil- Carbonatpuffers, der über die Silikonmembran mit
beranode hat, reduziert. Teflonmembranen dienen dem CO 2-Gehalt im Medium im Gleichgewicht
häufig als Sauerstoffdiffusionsmembranen. Da der steht. Erhöht sich die Kohlendioxidkonzentration im
Sauerstoff aus der flüssigen Phase gasförmig durch Medium, diffundiert CO2 durch die Membran und
die Membran permeiert, wird mit dieser Anordnung das innere Hydrogencarbonatgleichgewicht wird
der Sauerstoffpartialdruck gemessen. entsprechend geändert. Der Sensor erfasst also den
Partialdruck des Kohlendioxids (pCO2). Die Hen-
derson-Hasselbach-Gleichung beschreibt die Ände-
Gelöstkohlendioxidmessungen rung des Puffer-pH-Wertes. Die Ansprechzeit dieser
Auf der Basis einer pH-Elektrode kann auch der Sensoren ist relativ langsam, da die Gleichgewichts-
pCO2 nach dem Severinghaus-Prinzip in Medien einstellung der Carbonatpuffer sehr träge ist. Außer-
erfasst werden. Dazu wird der pH-Sensor in einen dem muss der innere Carbonatpuffer an die äußeren
Carbonatpuffer getaucht, der vom Medium durch Bedingungen angepasst werden, d. h. er muss ent-
eine CO 2 -permeable Membran (z. B. Silikon) weder für niedrige oder hohe CO2-Konzentrationen
getrennt ist (Prinzip, . Abb. 8.5 ). Der pH-Sen- ausgelegt sein. Eine Kalibration kann durch die Injek-
sor misst im Innenraum des Sensors den pH des tion entsprechender Carbonatpuffer erfolgen. Alle
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
269 8

. Abb. 8.4  Zusammenhang zwischen Stromstärke und Sauerstoffgehalt der amperometrischen Sauerstoffmessung

sodass hier nur kurz das Prinzip erklärt wird. Für die
Messung des pH werden meist sogenannte pH-Ein-
stabmessketten verwendet (. Abb. 8.6b). In ihnen ist
die pH-Elektrode mit einer Referenzelektrode kom-
biniert. Der Temperatureffekt wird kompensiert. In
der pH-Elektrode selbst werden der Bezugselektro-
lyt und die Ableitelektroden durch eine Glasmemb-
ran von der Probelösung getrennt (. Abb. 8.6a). Das
Potenzial der Ableitelektrode muss gegen eine in die
Probelösung eintauchende Bezugselektrode gemes-
sen werden.
In der pH-Elektrode selbst misst die Ableitelek-
trode die an der Glasmembran entstehende elektri-
sche Spannung, die vom pH in der Lösung abhängt.
Diese elektrische Spannung entspricht bei optimier-
ten pH-Gläsern über einen großen pH-Bereich dem
Nernst-Gesetz. Die an der Ableitelektrode gemes-
. Abb. 8.5  Aufbau einer Gelöstkohlendioxidelektrode sene Spannung wird dann gegen die Referenzelekt-
nach dem Severinghaus-Prinzip rode (meistens eine Ag/AgCl-Elektrode) gemessen.
In der Einstabmesskette ist die Referenzelektrode
„sauren“ gasförmigen Substanzen, die durch die über ein Diaphragma mit der Messlösung verbun-
Membran diffundieren können (H2S, Essigsäure), den. Bei diesen Flüssigelektroden muss darauf geach-
stören die Messung. tet werden, dass nicht durch Überdrücke im Reaktor
Flüssigkeit durch das Diaphragma gepresst wird und
der Elektrolyt in der Referenzelektrode „überläuft“.
8.2.3 pH-Messung Hierzu wurden für die Biotechnologie spezielle Elek-
troden entwickelt, die während der Sterilisation mit
Eine andere wichtige Messgröße in der Biotechno- Druck beaufschlagt werden. Bei den heute ver-
logie ist der pH. Über pH-Elektroden und die pH- wendeten Gel- oder Polymerelektroden tritt dieses
Messungen gibt es ausreichend detaillierte Literatur, Problem nicht auf.
270 B. Hitzmann und T. Scheper

. Abb. 8.6  Prinzip von pH-Elektroden.


(a) pH-Elektrode ohne Referenzelektrode
(links); (b) pH-Elektrode in Kombination
mit Referenzelektrode

Neben den Glaselektroden werden auch andere Referenzelektrode ist nötig. Das vom pH einge-
Systeme zur pH-Messung verwendet, die bisher stellte Potenzial steuert den elektrischen Stromfluss
jedoch noch keinen breiten Einzug in die Biopro- (. Abb. 8.8). Der Vorteil dieser Systeme ist die Mini-
zessüberwachung gefunden haben. Aussichtsreich aturisierbarkeit und die Unterbringung von vielen
sind die sogenannten pH-sensitiven Feldeffekt- pH-sensitiven Messflächen auf kleinstem Raum.
transistoren. Bei konventionellen Feldeffekttransis- Probleme liefern die Referenzelektroden, die im
toren (FETs) wird durch das Anlegen einer Gate- Vergleich zum pH-FET groß oder nicht langzeitsta-
spannung ein leitender Kanal zwischen Quelle und bil sind. Hier wird es sicherlich in der nächsten Zeit
Senke erzeugt (. Abb. 8.7). Die Spannung steuert weitere Entwicklungen geben.
also den elektrischen Strom in einem entsprechen- Verschiedene andere Sensoren, die in der Bio-
den Ausgangsstromkreis. Anstelle eines metalli- technologie verwendet werden, sind Leitfähigkeits-
schen Gates wird bei pH-sensitiven FETs (als Spe- sensoren (Änderung der Osmolarität des Mediums,
zialfall eines ionenselektiven FETs, ISFET) ein Gate Auflösung von Festmedien) und Redoxelektroden.
aus bestimmten Metallnitriden und -oxiden (SeO2, Hier sei auf die relevante Literatur verwiesen. Spe-
Al2O3, Si3N4, Ta2O5) verwendet. Dieses Gate ändert ziell bei den Redoxelektroden ist die Interpretation
in Abhängigkeit vom pH sein elektrisches Potenzial der Signale äußerst schwierig, da alle redoxaktiven
an der Grenzfläche Gateoxid/Flüssigkeit. Ähnlich Substanzen je nach Sensorbetrieb detektiert werden
wie bei einer pH-Elektrode wird so ein Potenzial- und bisher kaum verlässliche Anwendungen bekannt
bezug zum pH in der Messlösung hergestellt. Eine sind.
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
271 8

. Abb. 8.7  Prinzip eines Feldeffekttransistors (FET), UGS: Spannung zwischen Gate und Source, UDS: Spannung zwischen
Drain und Source, UBS: Spannung zwischen Substrat und Source, I: Stromstärke, n+: starke n-Dotierung

. Abb. 8.8  Prinzip eines pH-FETs. (a) MOSFET, Metall-Oxid-Halbleiter-FET; (b) ISFET, ionensensitiver FET, in Anwendung zur
pH-Messung; (c) Schaltplan eines pH-FETs; Vgate: Spannung am Gate, n+: starke n-Dotierung, p-Si: p-dotiertes Silicium, G: Gate, D:
Drain, S: Source, Vgs: Spannung zwischen Gate und Source, Vds: Spannung zwischen Drain und Source, Id: Drainstromstärke
272 B. Hitzmann und T. Scheper

8.2.4 Biomassebestimmung Öffnung bekannt, entspricht jede Impedanzände-


rung einer Zelle. Mit dem Coulter-Counter können
Die Biomassekonzentrationsbestimmung ist für alle bis zu 5000 Zellen pro Sekunde gemessen werden.
Bioprozesse wichtig, um die für den Bioprozess aktive Mit entsprechenden Messblenden können auch Bak-
Zellmasse zu beschreiben. Wünschenswert wäre es, terien (1‒2 µm Durchmesser) erfasst werden. Für tie-
in der gesamten Biomasse die Verteilung der Zellak- rische Zellen werden Messblenden mit größeren Öff-
tivität über die Zellen zu kennen oder mindestens die nungen verwendet.
Anzahl der lebenden und toten Zellen genau unter- Die Durchflusszytometrie stellt ein weiteres Ver-
scheiden zu können. Zwei Arten der Biomassebestim- fahren zur Biomassebestimmung dar (. Abb. 8.10),
mung existieren: die Messung der Zellzahl (Zellen/ mit dem Zellpopulationen vermessen werden
Volumen, speziell in der Tierzellkultivierung) und die können. Messungen bis zu 10.000 Ereignissen pro
Biotrockenmassekonzentration (Masse/Volumen). Sekunde sind möglich. Bei einem Durchflusszyto-
Im Allgemeinen werden mikroskopische Techniken meter wird eine Zellsuspension durch einen Unter-
verwendet, um die Zellzahl zu erfassen. Bei den klas- druck in einen laminaren Mantelstrom gesaugt, der
sischen Verfahren wird die Zählung in einer Thoma die Zellsuspension umhüllt. Die laminare Strömung
Kammer oder durch Ausplattieren durchgeführt. Bei führt dazu, dass die Zellen vereinzelt in den Mantel-
den manuellen Verfahren ist sehr viel Übung nötig, strom fließen und die Zellen, wie an einer Perlen-
8 um verlässliche Daten zu gewinnen. Es existieren kette aufgereiht, im Strom fließen. Dieser gerichtete
automatische Analysegeräte, die sowohl das Zählen Zellstrom passiert einen Laser im rechten Winkel.
als auch das Ausplattieren durchführen. Jede Zelle wird von dem Laserlicht getroffen. Über
Das Coulter-Counter System ist eines der auto- Streulichtmessungen (Vorwärts-, Seitwärts-, Nah-
matischen Zählgeräte, das nicht auf einem mikrosko- winkel- und Rückstreuung) können Zelloberflä-
pischen Verfahren beruht. Es wird im off-line-Betrieb cheneigenschaften und Größen erfasst werden. Nach
verwendet, d. h. Aliquote aus dem Fermentations- geeigneter Färbung können auch Zelleigenschaften
medium werden damit analysiert. Das Messprinzip wie Protein-, DNA- und Lipidgehalt in einzelnen
(. Abb. 8.9) beruht auf einer Impedanzmessung zwi- Zellen erfasst werden. Diese Färbungen basieren auf
schen zwei Elektroden, wobei die Elektroden durch Fluoreszenzverfahren, d. h. ein Fluoreszenzfarbstoff
eine Messzelle mit einer definierten Durchlassöff- wird verwendet, um einzelne Zellinhaltsstoffe selek-
nung getrennt sind. Der Durchmesser der Mess- tiv zu färben. Das Laserlicht regt die Farbstoffe in den
blende muss auf die Zellgröße abgestimmt sein. Zellen zur Fluoreszenz an. Diese wird pro Zelle von
Während die Zellen durch einen Unterdruck in die geeigneten optischen Systemen erfasst. Mit geeigne-
innere Messkammer gesaugt werden, kommt es beim ten Sortiersystemen können die Zellen einzeln aus-
Durchtritt der Organismen zu einer kurzfristigen sortiert werden. Dazu wird der laminare Strom nach
Impedanzänderung. Ist der Volumenfluss durch die Passieren des Lasers in kleine Tröpfchen zerlegt, auf-
geladen und dann in einem elektrischen Feld abge-
lenkt und in einzelnen Gefäßen abgelegt. So ist es
möglich, einzelne Zellen mit bestimmten Eigen-
schaften aus einer Zellpopulation heraus zu sortie-
ren. Die Durchflusszytometrie liefert Informationen
über die Zellpopulation. Bei der genauen Aufgabe
von Volumina in das Durchflusszytometer können
dann Zellzahl und Zelleigenschaften pro Volumen
bestimmt werden. Die Methode ist normalerweise
sehr zeitaufwendig und bedarf geübten Personals.
Inzwischen sind auch Verfahren bekannt, um Durch-
flusszytometer an einen Bioprozess kontinuierlich als
at-line-Sensorsysteme anzukoppeln.
Mithilfe von turbidimetrischen Sensoren kann
. Abb. 8.9  Prinzip eines Coulter-Counters die Zelldichte in situ erfasst werden. Hier bieten
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
273 8

. Abb. 8.10  Aufbau eines Durchflusszytometers

sich Durchlichtmessungen (Turbidimetrie) oder Größen bestimmt: die Kapazität und der Wirkleit-
Reflexionsmessungen (Nephelometrie) an. Ver- wert. Beide Messgrößen werden von der Biomasse
schiedene kommerziell erhältliche Sensoren sind beeinflusst. Prinzipiell sollten mit diesen Methoden
auf dem Markt verfügbar. Ein Streulichtsensor ist nur lebende Zellen erfasst werden, doch ergeben
in . Abb. 8.11 dargestellt. Einfallendes Licht (meist sich Probleme, beispielsweise bei hohen Leitfähig-
im roten Wellenlängenbereich) wird in das Mess- keiten des Mediums und unterschiedlichen Bega-
medium geführt, und das rückgestreute Licht wird sungsraten, also bei allen Änderungen, die die
erfasst. Je höher die Intensität des rückgestreuten Impedanzmessung beeinflussen. Rückschlüsse auf
Lichtes, desto höher die Zahl der suspendierten Zellkonzentrationen und Zelleigenschaften werden
Teilchen. Diese Sensoren erfassen alle Komponen- durch Korrelation mit Kalibrierkultivierungen
ten, die eine Trübung oder Streuung des Lichtes her- ermöglicht.
vorrufen. Damit werden neben den suspendierten
Zellen auch Feststoffpartikel und Gasblasen erfasst.
Eine Bestimmung der biologisch aktiven Biomasse 8.2.5 Bildgebende Verfahren
ist nicht möglich. Da jedes biologische Zellsystem
ein anderes Streulichtverhalten aufweist, müssen die Immer mehr setzen sich bei den optischen Verfah-
Sensoren meist auf jedes biologische Zellsystem neu ren Systeme durch, die nicht nur die Trübung im Bio-
kalibriert werden. Ansonsten gelten die für spekt- reaktor erfassen, sondern die suspendierten Parti-
roskopische Sensoren (7 Abschn. 8.2.6) üblichen kel genauer analysieren. Mit diesen Methoden wird
Eigenschaften. versucht, das biologische System näher zu charakte-
Verschiedene Impedanzmesssysteme zur risieren und in seiner Morphologie besser zu erfas-
Biomassebestimmung sind als in situ-Senso- sen. Besonders die Durchflusszytometrie (7 Abschn.
ren erhältlich. Hier wird ein sinusförmiges elek- 8.2.4) bietet besondere Vorteile, da sie eine Vielzahl
trisches Wechselfeld erzeugt und die Impedanz von Zellcharakteristika und Eigenschaften erfasst.
(Wechselstromwiderstand) der Probe bestimmt. Diese Messtechnik kann aber nur at-line betrieben
Meist werden in Abhängigkeit der Frequenz zwei werden. In situ-Sensoren hätten den Vorteil, direkt
274 B. Hitzmann und T. Scheper

Einsatz bei Tierzellkultivierungen. Hier kann neben


der Zellzahl und der Zellgröße auch die Zellkomple-
xität bzw. -morphologie interessante Hinweise auf
das Prozessgeschehen liefern.
Probleme ergeben sich, da oftmals nur wenige
Zellen pro Bild (bedingt durch das mikroskopische
Messfeld) erfasst werden können. Hier kann durch
eine hohe Aufnahmefrequenz (ca. fünf Bilder pro
Sekunde) eine statistische Verbesserung erreicht
werden. Bei hohen Zellkonzentrationen erschwert
. Abb. 8.11  Prinzip einer Streulichtsonde sich die Auswertung der Einzelaufnahmen. Die
Bildverarbeitungsalgorithmen stellen oftmals einen
im Prozessgeschehen Messungen möglich zu machen Engpass für die Auswertung und den breiteren
und somit nicht-invasiv zu arbeiten. Einsatz dieser Messtechnik dar. Neuere Entwick-
Zur in situ-Erfassung streuender Partikel sind lungen sind auf die Variation der Mikroskopietech-
Laserstreulichtsensoren kommerziell erhältlich, bei nik ausgelegt. So sind in der Literatur Verfahren über
denen der Strahl einer Laserdiode auf eine rotie- die Dunkelfeldmikroskopie, die Fluoreszenzmikro-
8 rende, exzentrisch gelagerte Linse trifft. Diese fokus- skopie und die Polarisationsmikroskopie beschrie-
siert den Laserstrahl ins Medium auf eine kreisende ben. Mit ihnen scheint auch eine Unterscheidung in
Fokusebene. Die Linse rotiert mit einer konstanten Lebend- und Totzellzahl möglich.
Frequenz und „scannt“ die Fokusebene ab. Sobald
Streulicht durch Partikel wieder in die Sonde gelangt,
wird es erfasst und ausgewertet. Die Geschwindigkeit 8.2.6 Spektroskopische Sensoren
des bewegten Laserstrahls ist größer als die der Parti-
kel. Bei starker Streuung werden scharfe Bilder erhal- Unter spektroskopischen Sensoren versteht man
ten. Da der Brechungsindex von Zellen meist nur geeignete Lichtleitsysteme zur Ankopplung spektro-
unwesentlich größer ist als der des Mediums, werden skopischer Analysensysteme (UV/Vis [Ultraviolett/
Zellen nur schlecht erfasst. Ähnliches gilt für Inst- sichtbares Licht, von engl. visible], NIR [Nahinfrarot],
rumente, die wie ein Auflichtmikroskop mit mehre- MIR [mittlere Infrarot] und Fluoreszenz). Sie bieten
ren Lasern arbeiten. Auch hier ist der Einsatz bisher die Möglichkeit, Informationen über Zusammen-
hauptsächlich auf die Messung von Kristallsuspen- setzungen der Medien oder der Zellen selbst durch
sionen oder Öl-in-Wasser-Tröpfchen beschränkt. bekannte spektroskopische Verfahren zu gewinnen.
Die in situ-Mikroskopie ist eines der Verfahren, Die Methoden sind nicht-invasiv und liefern ohne
das sicherlich in der Zukunft an Bedeutung gewin- Zeitverzögerungen Informationen aus dem Biopro-
nen wird [6]. Verschiedene Arbeitsgruppen haben zessgeschehen, eine Störung durch elektromagneti-
Messsysteme entwickelt, in denen ein Mikroskop- sche Felder (schaltende Magnetventile o. Ä.) ist aus-
objektiv im Inneren des Bioreaktors angebracht wird geschlossen. Standardspektroskopiegeräte können
(. Abb. 8.12). Die Zellsuspension kann im Inneren verwendet werden. Die Ankopplung an den Biopro-
des Reaktors durch einen Spalt zwischen Beleuch- zess erfolgt meist über Glasfaserkabel. Schwierigkei-
tungseinheit und Objektiv fließen. Wird das Anre- ten bestehen in dem Aus- und Einkoppeln des Anre-
gungslicht „blitzlichtartig“ gepulst, können Durch- gungs- und Empfängerlichtes an den Faserenden im
lichtaufnahmen auch bei stark strömenden Medien Bioreaktor. Dies kann über einfache Durchflusssys-
generiert werden. Eine CCD-Kamera erfasst die teme geschehen oder Reflexionssysteme, bei denen
Bilder, die von einem Bildverarbeitungssystem aus- das reflektierte Licht aus dem Bioreaktor über die
gewertet werden. Bedingt durch die Lichtmikrosko- Glasfaser aufgenommen wird oder über spezielle Ein-
pie können suspendierte Partikel oberhalb von einem und Auskopplungssysteme, wie ATR(attenuated total
Mikrometer gut analysiert werden. Optimal ist der reflection)-Kristalle oder ATR-Sonden. Diese bieten
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
275 8
. Abb. 8.12  Aufbau eines in situ-
Mikroskops

die Möglichkeit, Anregungslicht über definierte Weg- Veränderungen der verschiedenen fluoreszieren-
strecken in das Prozessmedium einzuführen und den Komponenten im Medium ermöglichen es,
das Licht nach Passieren einer definierten Wegstre- eine Vielzahl von Komponenten, selbst in nied-
cke wieder in die Faser aufzunehmen (. Abb. 8.13). rigen Konzentrationsbereichen, sicher zu detek-
Die Wegstrecke, die das Licht über ATR-Kristalle tieren. Werden beim Messen das Anregungslicht
zurücklegt, liegt im Bereich von 0,5 bis 5 µm. Durch (Exzitation) und das Fluoreszenzlicht (Emission)
mehrfache Reflexion kann die Empfindlichkeit der durchgescannt, werden alle fluoreszierenden Kom-
Messung erhöht werden. Das Licht durchläuft dann ponenten im Medium erfasst (3D-Fluoreszenzen;
eine längere Wegstrecke. Die Kosten für ATR-Kris- . Abb. 8.15). Die Änderungen dieser Konzentra-
talle sind relativ hoch, da die Systeme für die einzel- tionen geben einen direkten Einblick ins Prozess-
nen Wellenlängen optimiert werden müssen. Inzwi- geschehen. Chemometrische Modelle sind nötig,
schen sind auch Halogenid-ATR-Fasern bekannt, die um aus den Spektren valide Prozessdaten zu gene-
sicherlich in der Zukunft den Einsatz ‒ speziell in der rieren. Die Fluoreszenzmessung erlaubt es, auch
NIR- und MIR-Spektroskopie ‒ vereinfachen und intrazelluläre Komponenten zu erfassen. Damit
kostengünstiger gestalten werden. Über Multiplexer ergibt sich die Möglichkeit, den metabolischen
können mehrere faseroptische Sensoren als Array Zustand der Zellen in der Kultivierung ohne Pro-
an ein Messgerät gekoppelt werden. Ein Reaktor benahme zu bestimmen. Dabei wird beispielsweise
kann dann an mehreren Stellen oder viele Reaktoren der NADH-Pool in den Zellen fluoreszenzspektro-
können parallel beobachtet werden. skopisch erfasst. Änderungen im NADH-Pool spie-
. Abb. 8.14 zeigt den Wellenlängenbereich, in geln z. B. den Übergang von aerob zu anaerob oder
dem verschiedene spektroskopische Sensoren ver- eine Verschiebung im Redoxzustand der Zelle wider
wendet werden. (. Abb. 8.16a). Auch beim Einsatz lumineszierender
Organismen oder bei der Herstellung fluoreszieren-
der Proteine (GFP-Fusionsproteine; . Abb. 8.16b)
8.2.7 Fluoreszenzspektroskopie ergeben sich mit dieser Methode Möglichkeiten,
direkt und nicht-invasiv Informationen über den
Die Fluoreszenzspektroskopie erfolgt meist im Prozessverlauf und die Dynamik der Proteinsyn-
Reflexionsbetrieb, d. h. das rückwärtige Fluores- these zu gewinnen. Mit dieser Methode werden die
zenzlicht wird über die Fasern aufgenommen. Die aktiven, also lebenden Zellen erfasst.
276 B. Hitzmann und T. Scheper

. Abb. 8.13  Prinzip eines


ATR(attenuated total reflection)-
Kristalls

. Abb. 8.14  Wellenlängenbereiche


für spektroskopische Sensoren

. Abb. 8.15  Aufbau eines 3-D-Spektralfluorometers mit Filterrädern für die Exzitations- und Emissionsmessung

8.2.8 Infrarotspektroskopie aufweisen. Diese werden in den Nahinfrarotbereich


(NIR, Wellenbereich 4000–13.000 cm−1), den Mit-
Gerätetechnisch ist der Einsatz der Infrarotspek- telinfrarotspektroskopiebereich (MIR, Wellenbe-
troskopie besonders interessant [4]. Durch den reich 200–4000 cm−1) und den Ferninfrarotbereich
Einsatz dieses spektroskopischen Verfahrens in ver- (FIR, 10–200 cm−1) aufgeteilt. Probleme ergeben
schiedensten Bereichen der chemischen Industrie sich, wie schon oben erwähnt, durch die Lichtfüh-
ist das Angebot von Infrarot(IR)- und Mittelinfra- rung. Das Infrarot-Anregungslicht muss gezielt
rot(MIR)-Spektroskopiesystemen beachtlich. Die in den Reaktor eingebracht werden und definierte
Infrarotspektroskopie beruht darauf, dass die Mole- Strecken durchlaufen, bevor es ausgewertet wird.
külschwingungen fast aller organischen Verbindun- Das Ein- und Auskoppeln erfolgt im Allgemeinen
gen im IR-Bereich typische spektrale Signaturen bei Bioprozessen durch ATR-Systeme und geeignete
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
277 8
. Abb. 8.16  Beispiele für
3-D-Fluoreszenzapplikationen. (a)
Differenz der Spektren zwischen einer
aeroben und anaeroben Kultur. Die
deutliche Zunahme der Fluoreszenz
im Bereich des NADH ist zu erkennen.
(b) Korrelation der GFP(grün
fluoreszierendes Protein)-Fluoreszenz
und des GFP-Proteingehalts

Lichtleitertechnik. Da die Biotechnologie haupt- in Konzentrationsbereichen oberhalb von einem


sächlich wässrige Medien verwendet, ergeben sich Gramm pro Liter erhalten. . Abb. 8.17 zeigt ein typi-
Probleme mit der Infrarotabsorption von Wasser sches MIR-Spektrum von vier relevanten Medienbe-
unterhalb von 4000 cm−1. Die Summe aller Absorp- standteilen in Kaliumphosphatpuffer.
tionsspektren der im Medium enthaltenen Kom-
ponenten wird erfasst. Chemometrische Modelle
sind nötig, um die Signale zu entfalten und auszu- 8.2.9 Optische Chemosensoren
werten. Der Einfluss der Medien wird wie oftmals
bei spektroskopischen Sensorsystemen durch Kali- Neben den spektroskopischen Sensoren sind die
brationsmessungen ausgeschlossen. In der Literatur optischen Chemosensoren in der Bioprozessbe-
sind Einsatzmöglichkeiten unter verschiedensten obachtung von besonderem Interesse. Auch sie
Kultivierungszwecken beschrieben. Hauptsäch- ermöglichen einen nicht-invasiven Einblick in das
lich werden die IR-Messtechniken zur Erfassung Prozessgeschehen und bieten eine robuste Informa-
von Glucose, Lactat, Glutamin und Ammoniak tionsübertragung über Lichtleiterkabel. Bei diesen
verwendet. Die höchsten Genauigkeiten werden Sensoren werden Indikatoren verwendet, deren
278 B. Hitzmann und T. Scheper

. Abb. 8.17  Infrarotspektren biotechnologisch relevanter Medienkomponenten im Kaliumphosphatpuffer

optische Eigenschaften (Photolumineszenz, Absorp- Sauerstoffgehalt ab. Die Signale werden intern
tion, Reflexion etc.) sich mit der Analytkonzentra- linearisiert. Die Empfindlichkeit dieser Sensoren ist
tion ändern. Die Indikatoren können entweder am gerade im Bereich von kleinen Gelöstsauerstoffkon-
Ende einer Glasfaser aufgebracht werden oder als zentrationen sehr hoch. Bei der Messung wird kein
sogenannter patch innerhalb eines Bioreaktors auf Sauerstoff verbraucht, sodass auch in diffusionskon-
der Seite eines optischen Beobachtungsfensters. Über trollierten Bereichen genau gemessen werden kann.
die Glasfaser wird das Licht zum fixierten Indika- Probleme ergeben sich durch das Ausbleichen der
tor geführt. Die Indikatoreigenschaften in Abhän- Farbstoffe und Veränderungen in der Lichtführung,
gigkeit von der Analytkonzentration werden dann z. B. durch starkes Biegen der Glasfaser. Verschiedene
über eine andere Lichtleiterfaser oder dieselbe Glas- Systeme sind inzwischen kommerziell erhältlich,
faser erfasst. In . Abb. 8.18 wird das Prinzip einer die diese Probleme überwinden. Zu den Vorteilen
pH- und pO2-Optode gezeigt. Hier ist der jeweilige der optischen Chemosensoren gehören Miniaturi-
Indikator in einer Polyvinylalkohol- oder Silikonma- sierbarkeit, Parallelisierbarkeit und die Messung an
trix am Faserende aufgebracht. Die Messung erfolgt schwer zugänglichen Stellen.
über Fluoreszenzänderungen (Intensität oder Pha- Bei den optischen pH-Sensoren werden Fluores-
senverschiebung). Das Anregungslicht wird von der cein oder beispielsweise 8-Hydroxy-1,3,6-pyrentri-
Lichtquelle zum Faserende geführt. Das veränderte sulfonsäure (HPTS) als Indikatoren verwendet. Die
Fluoreszenzlicht wird über die gleiche Faser geleitet Fluoreszenzeigenschaften des pH-Indikators, der
(. Abb. 8.19). in protonendurchlässigen Matrizes fixiert wird,
Bei den Sauerstoffoptoden werden häufig Farb- ändern sich mit dem pH im Medium. Hohe Steil-
stoffe des Phenanthrolintyps verwendet. Die Fluo- heiten im Vergleich zur konventionellen pH-Elekt-
reszenzintensität ist bei Abwesenheit von Sauerstoff rode können in einem kleinen pH-Bereich erreicht
besonders hoch und nimmt mit zunehmendem werden (Umschlagpunkt des Indikators). Jedoch ist
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
279 8

. Abb. 8.18  Prinzip optischer Chemosensoren (pH- und pO2-Optode)

es schwierig, einen optischen pH-Sensor über einen 8.2.10 Biosensoren


breiten pH-Bereich zu erstellen. Darüber hinaus ist
das Autoklavieren dieser Farbstoffe schwierig, und Biosensoren bieten die Möglichkeit, hoch spezifisch
sie werden leicht ausgewaschen. Eine kovalente einzelne Komponenten in komplexen Probenmat-
Bindung verändert die Fluoreszenzeigenschaf- rizes zu erfassen. Dazu werden biologische Erken-
ten stark. Diese Messtechnik bietet sich auch zur nungs- und Umsetzungssysteme genutzt. Prinzipiell
Überwachung von Schüttelkolbenexperimenten an sind Biosensoren, wie in . Abb. 8.21 gezeigt, so auf-
(. Abb. 8.20). gebaut, dass eine biologische Komponente den zu
Auch optische pCO2-Sensoren sind bekannt. Sie detektierenden Analyten hoch spezifisch umsetzt.
basieren auf dem Prinzip der Severinghaus-Elek- Die biologische Komponente befindet sich auf einem
trode (7 Abschn. 8.2.2.2). Auch hier muss der optische entsprechenden Transducer, der die bei der spezi-
pH-Sensor in Kontakt mit einem Carbonatpuffer fischen Reaktion auftretenden Änderungen in der
gebracht werden, der vom Medium durch eine CO2- Mikroumgebung (pH, Gewicht, Wärmeentwick-
permeable Membran getrennt ist. Die Ansprechzei- lung, Sauerstoffverbrauch etc.) erfasst. Im Transdu-
ten dieser Sensoren sind ähnlich anfällig wie bei den cer wird diese Änderung in ein elektrisches Signal
konventionellen pCO2-Elektroden, und das Quellen umgewandelt, anschließend verstärkt und verarbei-
der CO2-permeablen Membranen führt dazu, dass tet. Hauptsächlich werden als biologische Kompo-
nur eine geringe Lagerzeit erreicht wird. Dieser nenten Enzyme, Organellen, Lectine, Antikörper
Nachteil kann bei den optischen pCO2-Elektroden oder Oligonucleotide eingesetzt (. Abb. 8.21). Prin-
durch folgenden Ansatz überwunden werden. Die zipiell können auch Zellverbände oder ganze Organe
pH-sensitiven Fluoreszenzfarbstoffe werden kom- eingesetzt werden, wenn sie mit der zu analysieren-
positartig mit langkettigen quarternären Alkyla- den Substanz eine sensorisch schnell und selek-
minen ionisch eingebracht. Diese Kombination ist tiv erfassbare Reaktion eingehen. Die biologische
in Silikon löslich und kann direkt zur pCO2-Mes- Komponente und der Transducer müssen je nach
sung eingesetzt werden, da das pH-Gleichgewicht der detektierenden Reaktionsänderung kombiniert
in dem Hydratmantel um den Farbstoff eingestellt werden (. Tab. 8.3).
wird. Dieses Hydratwasser ist fest gebunden, sodass Prinzipiell gibt es Einmal- und Mehrfachsenso-
der Sensor bei der Lagerung nicht dehydriert oder ren. Bei den Einmalsensoren ist die Detektionsreak-
stark aufquillt. tion irreversibel, das biologische System wird bei der
280 B. Hitzmann und T. Scheper

. Abb. 8.19  Aufbau eines


Messsystems für faseroptische
Chemosensoren

8 Bindung, des entrapment (Einschluss-Technik) und


des crosslinking (Vernetzungs-Technik) zur Verfü-
gung. Die biologisch aktive Schicht muss dünn sein,
damit die Ansprechzeiten kurz sind. Im Allgemei-
nen sind Biosensoren nicht sterilisierbar, weshalb der
Einsatz als in situ-Sensoren wegfällt. Verschiedenste
Aufbauten sind in der Literatur beschrieben, die ein
Aufbringen der biologischen Komponenten nach
dem Sterilisationsprozess beschreiben. Der appa-
rative Aufwand hierfür ist jedoch sehr groß, sodass
sie sich nicht durchgesetzt haben. Im Allgemeinen
werden diese Sensoren deshalb außerhalb des Reak-
tors in Fließinjektionsanalysesysteme (7  Abschn.
8.2.12) eingesetzt. Fließinjektionsanalysen (FIA)
bieten den Vorteil, Einflussmöglichkeiten auf bio-
chemische Analysereaktionen zu vermindern. Zwei
Beispiele sollen dies erläutern:
Wird bei einem Biosensor eine enzymatische
Reaktion genutzt, bei der entsprechend dem Ana-
. Abb. 8.20  Aufbau zur chemosensorischen Messung in
Schüttelkolben lytumsatz eine pH-Änderung auftritt, so ist das Sen-
sorsignal abhängig von der Pufferart, aber besonders
von der Pufferkapazität in der Reaktionslösung. Je
Reaktion verbraucht. Hierzu sind z. B. DNA-Mikro- höher die Pufferkapazität, desto kleiner ist das Mess-
arrays oder komplex aufgebaute Antikörper-Detek- signal bei gleichem Umsatz. Da der pH eine logarith-
tionsreaktionen zu zählen. Für die Bioprozessanaly- mische Größe ist, ist die umgesetzte Analytmenge
tik sind Mehrfachsensoren sinnvoll. Auf diese wird nicht gleich der pH-Änderung und die Kalibrierkur-
im Folgenden näher eingegangen. ven können nicht linear verlaufen. Darüber hinaus
Beim Biosensor muss die biologische Kompo- nimmt mit größer werdender pH-Änderung die
nente direkt und effektiv an den Transducer gebun- Aktivität des Enzyms ab, und die Reaktion kann ab
den sein. Hierzu stehen die aus der Enzymimmo- einem bestimmten Umsatz zum Erliegen kommen.
bilisierung bekannten Techniken der kovalenten Höhere Konzentrationen können dann nicht erfasst
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
281 8

. Abb. 8.21  Prinzip eines Biosensors

werden. Bei all diesen Problemen kann durch die 8.2.11 Single-use-Sensoren
Fließinjektionsanalyse eine definierte Reaktionsum-
gebung für eine optimale Analyse geschaffen werden. Mit dem Erfolg und verstärkten Einsatz von sin-
Wird eine sauerstoffverbrauchende enzymati- gle-use-Bioreaktoren wächst auch der Bedarf an
sche Reaktion verwendet, ist der Umsatz abhängig Sensoren, die nur einmal in der Bioprozesstech-
von der Gelöstsauerstoffkonzentration im Medium. nik eingesetzt werden können [1]. Hier bieten sich
Sie limitiert den maximalen Umsatz des Sensors. besonders die Sensoren an, die einen kostengünstig
Auch hier muss durch die Fließinjektionsanalyse eine herstellbaren Transducer nutzen. Besonders günstig
definierte Sauerstoffkonzentration im Messvolumen erscheinen optische Chemosensoren (Verwendung
ermöglicht werden. von patches im single-use-Reaktor) oder elektroni-
Im FIA-Betrieb werden Biosensoren verschie- sche Bauteile (z. B. pH-ISFETs, Leitfähigkeitssen-
denster Art eingesetzt. Kommerziell erhältlich soren, Dickschichtsensoren etc.). Der Transducer
sind Sensoren für die Analyse von Glucose, Lactat, ist dann im Inneren des Kunststoffreaktors ange-
Ethanol, Glutamin und Glutamat. Die Sensoren bracht. Die Signale werden nach außen geführt,
können ohne Probleme ausgetauscht werden, wenn oder es wird, wie bei optischen Sensoren üblich, das
sie erschöpft sind. Eine Kalibrierung des Sensors ist Licht zu den patches durch ein Beobachtungsfens-
jederzeit, auf den jeweiligen Konzentrationsbereich ter ein- und herausgeleitet. Außerhalb des Reaktors
im Bioprozess angepasst, möglich. befinden sich Datenerfassung und -umwandlung,

. Tab. 8.3  Biologische Komponenten und Transducer, die zu Biosensoren kombiniert werden können

Biologische Komponente Transducer

Enzyme konduktometrische Elektroden


Organellen amperometrische Elektroden
Lectine potenziometrische Elektroden
Rezeptoren Thermistoren
Mikroorganismen optische Sensoren (Lumineszenz, Absorption,
Ellipsometrie, Glasfasertechniken)
Zellverbände aus Pflanzen und Tieren Feldeffekttransistoren
Organe bzw. Organteile, immunologische Systeme, Piezokristalle
Polynucleotide, Oligonucleotide
282 B. Hitzmann und T. Scheper

die für jeden neuen Gebrauch wieder verwendet Sollte der Trägerstrom nicht alle Reagenzien enthal-
werden können. Die single-use-Sensoren haben oft ten, werden diese separat beigemischt. Probe und
ein schlechteres Driftverhalten und eine geringere Reagenzien durchströmen die Reaktionsstrecke, in
Langzeitstabilität als konventionelle Bioprozesssen- der auch weitere für die Analyse notwendige Rea-
soren, müssen aber nur einmal verwendet werden. genzien zugegeben werden oder immobilisiert sein
Besonders gefragt sind Sensoren, die von außen können. So werden insbesondere für das Monitoring
angebracht werden und ohne direkten Kontakt oder von Bioprozessen in der Reaktionsstrecke Enzyme
Datenabgleich über Beobachtungsfenster arbei- immobilisiert (7 Abschn. 8.2.10). Der Analyt wird
ten (optische Sensoren, Impedanzspektroskopie). hier zu einem einfach nachzuweisenden Reaktions-
Oftmals werden bei größeren single-use-Reaktoren produkt umgesetzt und dieses mit einem Detektor
(Volumen: 200–10.000-Liter-Bereich) eher konven- registriert. Als Detektor kommen häufig elektroche-
tionelle Sensoren über spezielle Ports in den Reaktor mische oder optische Detektoren zum Einsatz. Das
eingebracht, obwohl sich dadurch die Vorteile der durch die Injektion zunächst pfropfenförmig vorlie-
single-use-Bioreaktoren verringern. gende Konzentrationsprofil der Probe wird aufgrund
der Dispersion in der Fließstrecke unsymmetrisch
und peakförmig mit einem ausgeprägten Tailing. Die
8.2.12 Fließinjektionsanalyse Dispersion wird dabei sowohl vom Probenvolumen,
8 der Transportgeschwindigkeit als auch von der Geo-
Mithilfe der Fließinjektionsanalyse (FIA) können metrie (Länge, Durchmesser, Anordnung) der Reak-
Substrat-, Zwischenprodukt- und auch Produkt- tionsschleife wesentlich beeinflusst. Charakteristisch
konzentrationen von biotechnischen Prozessen on- für die FIA ist, dass am Detektorort die Nachweisre-
line gemessen werden. Diese große Vielfalt möglicher aktion weder im stationären Zustand noch die Ver-
Analyten resultiert aus der sehr flexiblen Kombina- mischung von Probenlösung und Trägerstromlö-
tion von nasschemischen Analyseverfahren, die in sung vollständig ist. Deshalb hat die reproduzierbare
FIA-Systemen automatisiert genutzt werden können. Arbeitsweise von FIA-Systemen eine hohe Bedeu-
In diesen Systemen wird der Analyt zumeist in ein tung. Dies bedeutet, dass das Einbringen der Proben-
einfach nachzuweisendes Reaktionsprodukt umge- zone, ihre Verweilzeit sowie alle weiteren Prozesse,
setzt und somit indirekt quantifiziert. FIA-Systeme die die Probenzone und die chemische Reaktion
bestehen im Wesentlichen aus vier Komponenten: betreffen, während der Kalibration und der eigent-
Pumpe, Injektionsventil, Manifold (Reaktionsstre- lichen Messung konstant gehalten werden müssen.
cke) und Detektor. Eine schematische Abbildung Um die Analytkonzentration aus dem peak-
eines FIA-Systems ist in . Abb. 8.22 dargestellt. förmigen Rohmesssignal zu quantifizieren, gibt es
Wird das FIA-System zum Bioprozessmonito- unterschiedliche Verfahren. Sie basieren auf der
ring verwendet, so wird über ein Probenahmemodul Bestimmung des Peakmaximums, der Peakfläche
(7 Abschn. 8.2.13) ein kontinuierlicher Probenstrom oder -breite, die zumeist in einem logarithmischen
aus dem Fermenter gezogen und dem FIA-System Verhältnis zur Analytkonzentration stehen. Aber
zugeführt. In den kontinuierlich fließenden Trä- auch die Peakhöhe zu einem festen Zeitpunkt nach
gerstrom wird ein Probesegment aus einer Proben- Injektion kann zur Berechnung der Analytkonzen-
schleife mithilfe eines Injektionsventils eingeschert. tration verwendet werden. In . Abb. 8.23 sind ein

. Abb. 8.22  Schema eines


Fließinjektionsanalyse(FIA)-Systems
),$6\VWHP
5HDJHQ]LHQ
5HDNWLRQVVWUHFNH
7UlJHUVWURP
'
3UREHQVWURP

3XPSH ,QMHNWLRQVYHQWLO 'HWHNWRU


Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
283 8
. Abb. 8.23  FIA-Messsignal mit
Auswertegrößen

typisches FIA-Messsignal und die charakteristischen Systeme sind erhältlich, bei denen in einer Dop-
Größen zur Quantifizierung der Analytkonzentra- pelkanüle zusätzlich eine Stopplösung mit in den
tion dargestellt. Weniger häufig findet man eine Aus- Probenstrom einfließt. Dies gewährt die Unterbre-
wertung, die auf der Hauptkomponentenanalyse chung jeglicher metabolischer Aktivitäten, sodass
und/oder neuronalen Netzwerken beruhen. extra- und intrazelluläre Messgrößen genau den
FIA-Systeme zeichnen sich durch kleine Pro- Werten bei der Entnahme aus dem Bioreaktor ent-
benvolumina, geringen Reagenzienverbrauch, sprechen. Während des Flusses zum Analysenort
ideale Probenkonditionierung (z. B. Anpassung des treten dadurch keine weiteren Veränderungen auf.
pH oder Pufferkapazität), kurze Analysezeiten und Diese sogenannten offenen Systeme bergen jedoch
hohen Automationsgrad aus. Dabei sind sie einfach die Gefahr eines unkontrollierten Ausströmens der
auf andere Analyten (z. B. durch Wechsel des immo- Stopplösung in den Bioreaktor. Die auf diese Weise
bilisierten Enzyms) umzurüsten. Zur Überwachung erhaltene zellhaltige Lösung kann direkt analysiert
wesentlicher Prozessgrößen von biotechnischen Pro- werden, oder eine Trennung für die Analyse intra-
zessen (wie z. B. Glucose, Lactat, Glutamin und Glu- zellulärer und extrazellulärer Größen ist prinzipiell
tamat) ist derzeit eine Reihe von kommerziellen FIA- möglich.
Systemen verfügbar. Häufig werden zur Probenahme geschlos-
sene Systeme verwendet, bei denen eine Membran
die Barriere zwischen dem Bioreaktor und dem
8.2.13 Probenahmesysteme Inneren des Probenahmesystems darstellt. Bei den
sogenannten Dialysesystemen (. Abb. 8.24) wird
Für die Fließinjektionsanalyse muss eine repräsenta- ein Trägerstrom in der Probenahmesonde an einer
tive Probe aus dem Bioprozess zur Verfügung gestellt Dialysemembran vorbeigeführt. Niedermolekulare
werden. Das bedeutet, die Probe muss zeitnah ana- Substanzen können vom Bioreaktor in den Puffer-
lysiert werden und in ihrer Probenzusammenset- strom diffundieren und anschließend analysiert
zung genau dem Prozessgeschehen entsprechen. werden. Mit dieser Methode tritt zwar eine erhebli-
Für diese Probenahme ist es wichtig, dass die Ste- che Verdünnung der Analyten auf und die Dialyse-
rilität des Gesamtprozesses unbedingt gewährleis- membran kann sich durch Fouling-Effekte in ihrer
tet ist. Prinzipiell könnte ein Tauchrohr verwendet Durchlässigkeit verändern, doch ändert sich das Pro-
werden, das kontinuierlich eine zellhaltige Probe aus benvolumen im Reaktor nicht. Bei druckbeladenen
dem Bioreaktor entnimmt. Bei geringem Durchmes- Reaktoren muss darauf geachtet werden, dass keine
ser können hohe Fließgeschwindigkeiten ein Rück- Druckdifferenz zwischen dem Reaktor und dem Dia-
wachsen von Keimen verhindern. Verschiedene lysesystem besteht.
284 B. Hitzmann und T. Scheper

zwischen ein und zwei Milliliter pro Minute beschrie-


ben. Probleme ergeben sich bei langen Prozesszeiten
in kleinen Reaktoren, da größere Mengen Medium
kontinuierlich abgeführt werden.

8.3 Softwaresensoren

Als Alternative für gar nicht oder nur sehr aufwen-


dig zu messende wesentliche Prozessgrößen können
Softsensoren dienen, die auch Softwaresensoren
genannt werden. Sie nutzen ein oder mehrere Roh-
messwerte sowie ein empirisches oder theoretisches
manchmal auch dynamisches Modell, um für einen
Prozess aussagekräftige Information bereitzustel-
len. Softsensoren gehören zur Klasse der indirekten
Messmethoden. Sie können in zwei Gruppen einge-
8 teilt werden: Softsensoren, die ein theoretisches Pro-
zessmodell nutzen, und solche, die ein empirisches
Modell zur Berechnung der Prozessgrößen anwen-
den. Die erste Gruppe von Softsensoren werden
auch Beobachter genannt. Sie verwenden Zustands-
differenzialgleichungen, mit denen das dynamische
Verhalten eines Prozesses meist mit einem mecha-
nistischen Modell beschrieben wird, in dem z. B.
Transportprozesse und Reaktionskinetiken abge-
bildet werden. In der zweiten Gruppe von Soft-
sensoren kommen datengetriebene Modelle (black
box-Modelle) zur Anwendung. Dabei dienen Regres-
sionsmodelle häufig in Kombination mit Verfahren
der Hauptkomponentenanalyse oder insbesondere
für nicht-lineare Zusammenhänge neuronale Netz-
werke, um den Zusammenhang zu den Prozessgrö-
ßen zu beschreiben.
. Abb. 8.24  Aufbau einer Dialyse-Filtrations-
Probenahmesonde
8.3.1 Kalman-Filter
Das Beispiel einer Filtrationssonde ist in
. Abb. 8.25 zu sehen. Hier wird eine tubuläre Mikro- Das Kalman-Filter ist ein sogenannter Beobachter und
filtrationsmembran verwendet (prinzipiell sind auch dient zur Schätzung von Zustandsgrößen. In der Sys-
andere Membrantypen denkbar), die eine Sterilbar- temtheorie versteht man darunter die Größen, die den
riere darstellt. Über die Filtrationsmembran kann Zustand eines Prozesses eindeutig festlegen. Für einen
zellfreies Medium aus dem Reaktor entnommen Kultivierungsprozess könnten dies beispielsweise die
werden. In der Literatur sind für solche Systeme Ant- Biomasse-, die Substrat- und/oder die Produktkon-
wortzeiten von wenigen Minuten (fünf Minuten für zentration sein. Das Kalman-Filter kann verwendet
90 %iges Antwortsignal), bei Filtrationsleistungen werden, um Messrauschen zu reduzieren oder um
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
285 8

. Abb. 8.25  Aufbau einer in situ-Filtrations-Probenahmesonde

nicht messbare Größen zu schätzen. Die Schätzung ∞


basiert auf Messungen, deren Messfehler als normal- E〈z〉 = ∫−∞ z ⋅ pdf ( z )dz  Gl. 8.3
verteilt angenommen werden, sowie entsprechende
Zustands- und Messgleichungen. Die Grundidee v(tn) und w(tn) sind mittelwertfrei, d. h. ihre Erwar-
der Filterung ist, dass durch sie die Schätzfehler(ko) tungswerte sind null E〈v〉 = E〈w〉 = 0; die Erwar-
varianz der Zustandsgrößen möglichst klein wird. tungswerte der Varianzen sind E 〈v2〉 = Q, E〈w2〉 = R.
Am Beispiel des diskreten Kalman-Filters soll das Für die Berechnung des Kalman-Filters müssen
Vorgehen erläutert werden. Das diskrete Kalman-Fil- D und M sowie Q und R bekannt sein. Darüber
ter geht von einem diskreten dynamischen Prozess- hinaus müssen zum Zeitpunkt t0 auch Schätzwerte
modell des Bioprozesses und statischen Ausgangs- für x(t0) – bezeichnet mit x̂(t0) – und für die Schätz-
gleichungen aus. Letztere beschreiben die Messung. fehler(ko)varianz – bezeichnet mit P(t0) = E<[x(t0)
Ein solches System kann mit den folgenden Glei- − x̂(t0)]2> – vorliegen.
chungen beschrieben werden: Ist der Messwert y(ti) bekannt, so kann mit fol-
Dynamische (lineare) Zustandsgleichung: gender Gleichung aus dem Schätzwert der Zustands-
größe x der gefilterte Schätzwert ŷ F(ti) berechnet
x (tn+1) = Dx (tn ) +v(tn )  Gl. 8.1 werden.
Filtergleichung:
Statische Ausgangsgleichung:
xˆF (ti ) = xˆ (ti ) + K ⋅  y (ti ) − yˆ (ti )  Gl. 8.4
y (tn ) = M x (tn ) + w(tn )  Gl. 8.2
In dieser Gleichung ist K die sogenannte Kalman-
x(tn) ist der wahre Wert der Zustandsgröße zum Zeit- Verstärkung. K wird so berechnet, dass die Schätzfeh-
punkt tn; D beschreibt das dynamische Prozessver- ler(ko)varianz des gefilterten Wertes der Zustands-
2
halten; y(tn) ist der Wert der Messgröße zum Zeit- größe E 〈 x (t1) − xˆ F (t1) 〉 minimal wird. ŷ (t 1 ) ist
punkt tn, der mit M aus x(tn) berechnet werden kann; der Schätzwert der Messgröße ŷ(t1) = M · x̂(t1). Bei
v(tn) gibt den Anteil des Prozessrauschens an (Unsi- Anwendung der Filtergleichung wird zum Schätz-
cherheit des Prozessmodells) und w(tn) den Anteil wert der Zustandsgröße x ein Term addiert, der pro-
des Messrauschens. Liegen mehrere Zustandsgrößen portional zur Differenz von dem Messwert y(t1) und
vor, so sind x(tn) und v(tn) Vektoren und D ist eine dem geschätzten Messwert ŷ(t1) ist. Sollten beide
Matrix. Für die Ausgangsgleichung gilt Entsprechen- Werte identisch sein, so ist der gefilterte Wert der
des. Die beiden Größen v(tn) und w(tn) sind Zufalls- Zustandsgröße identisch mit seinem berechneten
größen. Für die weitere Berechnung ist der Erwar- Schätzwert.
tungswert einer Zufallsgröße von Bedeutung; er ist Für den Zeitpunkt t1 folgt:
für die Zufallsgröße z und ihre Wahrscheinlichkeits-
dichtefunktion pdf(z) wie folgt definiert: xˆ (t1) = D ⋅ xˆ (t0 )  Gl. 8.5
286 B. Hitzmann und T. Scheper

Für die Schätzfehler(ko)varianz ergibt sich dann Die Filterung soll dazu führen, dass die Schätzfeh-
ler(ko)varianz möglichst klein wird. Sie muss also
2 minimiert werden. Da bislang K noch nicht festgelegt
P (t1) = E〈 x (t1) − xˆ (t1) 〉
wurde, kann der Wert von K so gewählt werden, dass
2
= E〈 D ⋅ x (t0 ) + v(t0 ) − D ⋅ xˆ (t0 ) 〉 die Schätzfehler(ko)varianz minimal wird.

2 dPF
= E〈 D ⋅ ( x (t0 ) − xˆ (t0 )) + v(t0 ) 〉 =0
  dK
2
= E〈 D ⋅ ( x (t0 ) − xˆ (t0 )) 〉+ E〈2 ⋅ D  x (t0 ) = 2 ⋅ P (1 − K ⋅ M ) ⋅ (−M ) + 2 ⋅ K ⋅ R = 0
  = −2 ⋅ P ⋅ M + 2 ⋅ P ⋅ K ⋅ M 2 + 2 ⋅ K ⋅ R = 0
2
−xˆ (t0 ) ⋅ v(t0 )〉+ E〈v(t0 ) 〉 ⇒ K ⋅ ( 2 ⋅ P ⋅ M 2 + 2 ⋅ R) = 2 ⋅ P ⋅ M

 Gl. 8.6 M
⇒ K = 2 ⋅ P ⋅
2 ⋅ P ⋅ M 2 + 2 ⋅ R= P*M / (P*M 2 + R)
Da E〈2 ⋅ D  x (t0 ) − xˆ (t0 ) ⋅ v(t0 )〉 = 0 , ergibt sich für  Gl. 8.9
die Schätzfehler(ko)varianz Es folgt also (Kalman-Verstärkung):
P⋅ M
8 P (t1) = D 2 ⋅ P (t0 ) + Q  Gl. 8.7 K=  Gl. 8.10
P⋅ M 2 + R
Sollte kein Messwert vorliegen, wird die Berech- Wird also K entsprechend berechnet, so führt die
nung der Schätzwerte von x und P wiederholt, bis ein Filterung zur Minimierung der Schätzfehler(ko)
Messwert vorhanden ist. Liegt ein neuer Messwert varianz. Dies ist das Ziel der Kalman-Filterung.
vor, dann kommt die Filtergleichung zur Anwen- Neben dem diskreten Kalman-Filter findet das
dung, und die Schätzfehler(ko)varianz nach der Fil- kontinuierlich-diskrete Kalman-Filter Anwendung
terung kann berechnet werden: beim Monitoring von Bioprozessen. Das kontinuier-
lich-diskrete Kalman-Filter nutzt neben einem kon-
2 tinuierlichen Prozessmodell, mit dem das dynami-
PF (t1) = E〈 x (t1) − xˆF (t1) 〉
sche Verhalten der Zustandsvariablen beschrieben
2
= E〈 x (t1) − xˆ (t1) − K ⋅  y (t1) − yˆ (t1)  〉 werden kann, diskrete Messgleichungen, die das sta-
  tische Verhalten der Messsysteme beschreiben.
2
= E〈 x (t1) − xˆ (t1) − K ⋅  M ⋅ x (t1) + w (t1)  〉 Die folgenden Gleichungen stellen ein allgemei-
  nes Prozessmodell sowie ein Messmodell dar:
−yˆ (t )
 1 
dx (t )
2 = f ( x (t ), u (t ), t ) + z (t )  Gl. 8.11
= E〈 x (t1) − xˆ (t1) − K ⋅  M ⋅ x (t1) + w (t1)  〉 dt
 
−M ⋅ xˆ (t )
 1 
y (ti ) = h ( x (ti )) + s (ti )  Gl. 8.12
2
 
= E〈 x (t1) − x (t1) − K ⋅ M ⋅ x (t1) + K ⋅ w (t1) 〉
ˆ
In diesen Gleichungen steht x(t) für die Zustandsva-
(−K ⋅ M ⋅ xˆ (t1)) riablen, deren zeitliche Änderung mit der Funktion
2 f() beschrieben wird, u(t) die Eingangsgrößen, t die
= E〈{ x (t1) − xˆ (t1)} ⋅ {1 − K ⋅ M } + K ⋅ w (t1) 〉
  Zeit und z(t) das Prozessrauschen. y(ti) beschreibt
2
= P (t1) ⋅ {1 − K ⋅ M } + K ⋅ E〈w (t1) 〉
2 2 die diskreten Messwerte zum Zeitpunkt ti ,mit dem
2
Messrauschen s(ti). Die Abhängigkeit der Messgröße
= P (t1) ⋅ {1 − K ⋅ M } + K 2 ⋅ R von den Zustandsvariablen wird mit der Funktion h
 Gl. 8.8 beschrieben.
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
287 8
. Abb. 8.26  Arbeitsweise eines
kontinuierlich-diskreten Kalman-
9RUKHUVDJH )LOWHUXQJ
Filters

Die Arbeitsweise des Kalman-Filters ist in Schätzwerte ergibt sich aus dem Schätzwert vor Fil-
. Abb. 8.26 dargestellt. Solange keine Messwerte vor- terung plus einem Term, der proportional zur Dif-
liegen, wird mit dem Prozessmodell der Verlauf der ferenz von Messwert und geschätztem Messwert ist.
Zustandsvariablen geschätzt sowie der Verlauf der Sind beide Werte identisch, so ist der gefilterte Wert
Schätzfehler(ko)varianzen, die mit folgender Glei- der Zustandsgröße identisch mit seinem Wert vor
chung berechnet wird: der Filterung.
Für die Anwendung des Kalman-Filters wird Fol-
dP (t ) gendes benötigt:
= F (t ) ⋅ P (t ) + P (t ) ⋅ F T (t ) + Q  Gl. 8.13
dt 55 Prozessmodell (Zustandsgleichungen),
Messmodell
P(t) steht für die Schätzfehler(ko)varianzen, F(t) für 55 Modellparameter
die Jacobi-Matrix von f(), FT(t) für die transponierte 55 Anfangswerte der Zustandsvariablen
Matrix von F(t) und Q für die Prozessrauschleis- 55 Anfangswerte der Schätzfehler(ko)varianz
tungsmatrix. Ist ein Messwert vorhanden, werden die 55 Prozessmodellrauschleistungsmatrix Q
Zustandsvariablen sowie die Schätzfehler(ko)varian- 55 Messrausch(ko)varianzmatrix R
zen gefiltert. Hierfür muss die Kalman-Verstärkung
K(t) bestimmt werden, die sich aufgrund der Mini- Das Kalman-Filter gehört zu den am weitesten ver-
mierung der Schätzfehler(ko)varianz des gefilterten breiteten Methoden zur Zustandsschätzung. Bei der
Wertes der Zustandsgröße berechnen lässt. Anwendung des Kalman-Filters zum Monitoring
von Bioprozessen kommen zumeist theoretische
K (ti ) = P (ti ) ⋅ H (ti ) ⋅  H (ti ) ⋅ P (ti ) ⋅ H T  Modelle zum Einsatz, die auf Bilanzgleichungen der
Zellmasse und des Substrates sowie der Wachstums-
 −1
(ti ) + R
 Gl. 8.14 kinetik der Zellen basieren. So kann beispielsweise
mit einem Kalman-Filter nur aufgrund der Messung
H(t) ist die Jacobi-Matrix von h() und R die Mess- der Glucosekonzentration mit einem FIA-System
rauschkovarianzmatrix. Die gefilterten Werte die Biomasse sowie die spezifische Wachstumsrate
werden mit den folgenden Gleichungen berechnet: geschätzt werden. Jedoch wird dieses Verfahren
bislang nur sehr selten zur Beobachtung von indust-
xˆf (ti ) = xˆ (ti ) + K (ti )  y (ti ) − h( xˆ (ti ))  Gl. 8.15 riellen Kultivierungsprozessen eingesetzt.
 

Pf (ti ) =  I − K (ti ) ⋅ H (ti ) ⋅ P (ti )  Gl. 8.16 8.3.2 Hauptkomponentenanalyse

x̂f (ti )  sind die gefilterten Schätzwerte der Zustands- Eine Alternative zu den auf theoretischen Modellen
variablen, P f (t i ) die gefilterten Schätzfehler beruhenden Softsensoren sind solche, die auf daten-
(ko) - varianzen und I ist die Einheitsmatrix. getriebenen Modellen basieren. Bei diesen Softsenso-
Die Gleichung zur Berechnung der gefilterten ren ist kein Prozesswissen Voraussetzung. Für diese
288 B. Hitzmann und T. Scheper

Methoden müssen jedoch eine Vielzahl an Messwer- des alten Koordinatensystems erhalten bleibt und die
ten bereitgestellt werden, aus denen der Zusammen- Messdaten maximale Varianz besitzen. Dann wird
hang von den Messwerten zu den aussagekräftigen die nächste Achse so berechnet, dass sie senkrecht
Prozessgrößen berechnet werden kann. Ein einfa- (orthogonal) auf der ersten Achse steht und wiede-
ches Beispiel stellen hier multilineare Regressions- rum maximale Varianz der Daten beschreibt. Dieses
modelle dar. Mit einem solchen Modell können z. B. Vorgehen (senkrecht auf allen schon bestimmten
aus ausgewählten Intensitätswerten eines Spektrums Achsen und maximale Varianz) wird so lange wie-
Biomasse-, Substrat- oder Produktkonzentrationen derholt, bis die maximale Dimension der Messdaten
berechnet werden. (z. B. Anzahl der unterschiedlichen Sensoren oder
Will man das gesamte Spektrum zur Berechnung Anzahl der unterschiedlichen Messpunkte eines
von Prozessgrößen nutzen, so muss man auf Verfah- Spektrums) erreicht ist. In . Abb. 8.28 sind Mess-
ren der Hauptkomponentenanalyse zurückgreifen, punkte von zwei linear abhängigen Messsonden im
die aus der Faktorenanalyse hervorgegangen sind. alten Koordinatensystem und neuen Koordinaten-
Der Grund hierfür liegt in der typischerweise linea- system dargestellt.
ren Abhängigkeit der Intensitätswerte von Spektren. Typischerweise enthalten die ersten so berech-
Wird ein Spektrometer als Prozessanalysator ver- neten Achsen die Prozessinformation, hingegen die
wendet, so zeigen Intensitätswerte, deren Frequen- zuletzt berechneten Messrauschen. In . Abb. 8.28 ist die
8 zen dicht beieinander liegen, meist einen sehr ähn- Information in den Werten der Achse t1 konzentriert,
lichen Verlauf während einer Kultivierung. Somit hingegen beinhalten die Werte der Achse t2 das Mess-
können die Intensitätswerte, die bei einer Frequenz rauschen. Die Achsen, die Prozessinformation ent-
aufgenommen werden, aus den Werten bei einer halten, werden als Hauptkomponenten (oder Scores)
anderen Frequenz mit einem linearen Modell berech- bezeichnet. Mathematisch kann die Hauptkompo-
net werden; sie sind linear voneinander abhängig. nententransformation als eine Näherung der Daten-
Dies führt dazu, dass sie nicht gemeinsam in einem matrix X durch ein Produkt von zwei in der Dimen-
multilinearen Regressionsmodell als unabhängige sion kleineren Matrices T und P dargestellt werden:
Variable genutzt werden können. Da sie aber Infor-
mation tragen, ist es sinnvoll, sie zur Berechnung der X = TP T + E  Gl. 8.17
Prozessgrößen mit heranzuziehen. Hierfür bietet die
Hauptkomponentenanalyse (PCA, principal compo- Dabei wird T als Score-Matrix, P als Ladungsmatrix
nent analysis) eine Möglichkeit. Um das Vorgehen zu (loading-Matrix) und E als Residuenmatrix bezeich-
erläutern, ist die Betrachtung von nur zwei Sensoren net. Im Idealfall ist in E nur das Messrauschen von
sinnvoll, deren linear abhängige Messsignale während X enthalten, aber auch Beiträge von nicht-linearen
eines Prozesslaufs aufgenommen wurden. Um diese Effekten können dort verborgen sein. Die Werte
Abhängigkeit der Messwerte zu kompensieren, wird der Hauptkomponenten, die in der Score-Matrix T
eine Transformation durchgeführt. Hierfür werden stehen, können zur Analyse von Prozessen genutzt
die Daten zunächst mittelwertzentriert, d. h. für jeden werden, indem die Werte in einem sogenannten
Sensor wird von jedem Datenpunkt der zugehörige Score-Plot (Auftragung der Werte der Hauptkom-
Mittelwert abgezogen. In . Abb. 8.27 sind die Werte ponenten gegeneinander) dargestellt werden, oder
vor und nach der Mittelwertzentrierung dargestellt. sie können als unabhängige Variable in einem mul-
Nun wird eine sukzessive, Varianz maximie- tilinearen Regressionsmodell genutzt werden, um
rende, orthogonale Rotationstransformation des Prozessgrößen zu berechnen. Dies wird in zwei
Koordinatensystems durchgeführt. Sukzessive Schritten durchgeführt. Zunächst werden bei einem
bedeutet dabei, dass die Achsen des neuen Koor- Prozesslauf die Messwerte von unspezifischen Sen-
dinatensystems eine nach der anderen berechnet soren (z. B. 2D-Fluoreszenzspektren) aufgenommen.
wird, und zwar so, dass jeweils die Varianz der Daten Parallel hierzu werden Off-line -Proben zur Bestim-
maximal ist. Zunächst wird die erste Achse des neuen mung der interessierenden Prozessgrößen gezogen
Koordinatensystems so bestimmt, dass der Ursprung und durch geeignete Messverfahren die gewünschten
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
289 8

. Abb. 8.27  Daten vor (links) und nach (rechts) der Mittelwertzentrierung

. Abb. 8.28  Messpunkte von zwei


linear abhängigen Messsonden im
alten (x1 und x2) und neuen (t1 und t2)
Koordinatensystem, d. h. vor und nach
der Rotationstransformation

Größen bestimmt. Diese Kalibrationsdaten werden so bestimmten chemometrischen Modelle genutzt


genutzt, um das Kalibrationsmodell zu berechnen werden, um bei einem neuen Prozesslauf on-line die
[5]. Mit den unspezifischen Daten wird eine Haupt- Prozessgrößen vorherzusagen (zu schätzen).
komponentenanalyse durchgeführt. Hier kommt Besteht ein nicht-linearer Zusammenhang zwi-
häufig der NIPALS-Algorithmus (nonlinear itera- schen den Werten der Hauptkomponentenanalyse
tive partial least squares-Algorithmus) zur Anwen- und den Prozessgrößen, so haben sich zur mathe-
dung. Die berechneten Hauptkomponenten, deren matischen Beschreibung dieses Zusammenhangs
Anzahl z. B. darüber festgelegt wird, ob sie noch neuronale Netzwerke bewährt. Aber auch die Qua-
einen signifikanten Beitrag zur Gesamtvarianz der drate der Scores können in Ergänzung zu dem mul-
Daten liefern, dienen dann als unabhängige Variable tilinearen Regressionsmodell hinzugefügt werden.
und die Werte der off-line bestimmten Prozessgrößen Die Kombination aus Hauptkomponentenanalyse
als abhängige Variable für die multilineare Regres- und multilinearer Regression wird auch als Haupt-
sion. Danach können in einem zweiten Schritt die komponentenregression (PCR, principal component
290 B. Hitzmann und T. Scheper

regression) bezeichnet. Eine Alternative hierzu ist kein stationärer Betriebszustand bei Bioprozes-
die PLS-Regression (partial least squares-Regress- sen angestrebt, sondern entweder ein Satzbetrieb
ion). Hierbei wird bei der Transformation der Daten (batch-Betrieb) oder ein Zulaufbetrieb (fed-batch-
nicht nur ihre Varianz, sondern auch noch die Varianz Betrieb) gewählt wird, besteht die eigentliche Rege-
der zu berechnenden Prozessgrößen herangezogen. lungsaufgabe fast ausschließlich darin, den Mikro-
Das heißt, bei dieser Transformation wird die innere organismen optimale Umgebungsbedingungen
Beziehung der unabhängigen und der abhängigen bereitzustellen. Nur selten steht die Maximierung
Variablen mit berücksichtigt. Dies soll zu einfache- der Biomasse oder der Produktkonzentration bei
ren und stabileren Modellvorhersagen führen. einer Regelung direkt im Vordergrund, da die
hierfür notwendige Messtechnik fehlt.
Ziel der Regelung und Steuerung von Kultivie-
8.4 Automatisierung rungsprozessen ist es:
55 Störungen jeglicher Art auszugleichen,
Aufgrund des Strebens nach hoher Produktqualität, 55 den Energieeintrag zu minimieren,
-ausbeute und Prozesssicherheit sowie geringen Pro- 55 die Ausbeute und Produktqualität zu
zesskosten (geringer Energie- und Substrateintrag maximieren,
und geringe Personalkosten) gewinnt eine umfas- 55 die sichere Durchführung des Prozesses zu
8 sende Automatisierung biotechnischer Prozesse gewährleisten,
ständig an Bedeutung [2]. Der Betrieb eines Pro- 55 der Substrat-, Katabolit- und Produktinhi-
duktionsfermenters ist gekennzeichnet durch nach- bierung vorzubeugen,
einander ablaufende Betriebsphasen: 55 die gezielte Induktion und Repression der
55 upstream processing (Befüllen, Sterilisieren, Enzymbildung zu gewährleisten,
Mischen) 55 große Scherkräfte zu vermeiden und
55 Kultivieren (Züchtung und Produktion) und 55 den Organismen insgesamt ein optimales
55 downstream processing (Ernten und Aufarbeiten) Milieu (für Wachstum und oder Produkt-
bildung) zur Verfügung zu stellen.
In jeder Phase ist ein hohes Maß an Automatisierung
gefordert. Dabei stellt das Kultivieren aus Sicht der Mithilfe von Standardverfahren der Regelungstech-
Regelung und Steuerung im Allgemeinen die höchs- nik lassen sich einige dieser Ziele schon seit Län-
ten Ansprüche, da hier ein dynamisches Optimie- gerem erreichen. So gehört die Bereitstellung von
rungsproblem vorliegt. Jedoch werden Verfahren der Modulen zur Regelung des Volumens, der Tempe-
Regelungstechnik bislang nur selten in dieser Phase ratur, des pH, der Gelöstsauerstoffkonzentration und
eingesetzt. Dies hat mehrere Ursachen: der Zugabe von Antischaummittel im Allgemeinen
Da Kultivierungsprozesse sowohl eine Viel- zu der Grundausstattung eines Fermenters.
zahl von dynamischen biochemischen Reaktio-
nen als auch vielschichtige Transportprozesse
beinhalten, sind sie sehr komplex, nicht-linear 8.4.1 Regelung
und zeitvariant. Selten liegen im Detail umfas-
sende Kenntnisse über sie vor. Die zur Produk- Die Aufgabe der Regelung bei einem Prozess besteht
tion verwendeten Mikroorganismen besitzen ein entweder darin, eine vorgegebene Größe, die sich
ihnen innewohnendes Regulationssystem, das nur aufgrund von Störeinflüssen ändern kann, auf einen
indirekt über die Umgebungsgrößen (physikali- gewünschten Wert zu bringen und diesen Wert zu
sche und chemische Größen) beeinflusst werden halten oder die vorgegebene Größe ständig an eine
kann. Wesentliche Prozessgrößen können nur – sich ändernde Größe anzupassen. Die erstgenannte
wenn überhaupt – mit großem Aufwand gemes- Art einer Regelung nennt man Störgrößenregelung,
sen werden. Sie liegen mit großer Zeitverzögerung die zweite Nachlaufregelung. Bei der Regelung eines
sowie diskontinuierlich vor. Da im Allgemeinen Prozesses wird die zu regelnde Ausgangsgröße
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
291 8
eines Prozesses (Regelgröße; z. B. Temperatur, pH) nur dann vollständig erhalten bleibt, wenn die
ständig gemessen und mit einem vorgegebenen Abtastrate größer als das Doppelte der höchsten
Sollwert (Führungsgröße) verglichen. Der Prozess Frequenzkomponente des analogen Signals ist
wird durch die Regelung dahingehend beeinflusst, (Shannon-Abtasttheorem).
dass möglichst die Differenz von gewünschtem
Sollwert zum Wert der Regelgröße null wird. Diese
Differenz wird als Regeldifferenz oder Sollwert- 8.4.2 Steuerung
abweichung, der Wert der Regelgröße als Istwert
bezeichnet. Die Größe, mit der der Prozess über In der englischen Literatur wird zwischen den
eine Stelleinrichtung (Stellglied) beeinflusst wird, Worten Regelung und Steuerung nicht unterschie-
heißt Stellgröße. den. Beides wird mit control übersetzt. Im Gegensatz
Weicht die Regeldifferenz von null ab, d. h. sind zur Regelung, bei der ein geschlossener Wirkungs-
der Istwert und der Sollwert unterschiedlich auf- ablauf charakteristisch ist, findet bei der Steuerung
grund von Störungen oder der gezielten Änderung kein Vergleich der Ausgangsgröße mit der Eingangs-
des Sollwertes, so wird der Regler über das Stell- größe statt. Somit liegt ein offener Wirkungsablauf
glied so auf die Regelstrecke (den Prozess) einwir- vor, bei dem keine Rückkopplung vorhanden ist;
ken, dass der Istwert der Regelgröße sich dem Soll- deshalb spricht man hier auch von einer Steuerkette
wert der Führungsgröße nähert. In . Abb. 8.29 sind im Unterschied zum Regelkreis. Das Schema einer
das Schema sowie die verschiedenen Größen eines Steuerung ist in . Abb. 8.30 dargestellt.
Regelkreises dargestellt. Nur wenn alle Einflussgrößen eines Prozesses
Die Bestimmung eines aktuellen Stellwertes sowie ihre Wirkung auf die Ausgangsgröße hin-
und seine Einstellung am Stellglied kann von einem reichend bekannt sind, erhält man bei einer Steue-
Menschen (Handregelung) oder mit einem ent- rung den gewünschten Verlauf der Ausgangsgröße.
sprechenden Gerät durchgeführt werden. Werden Eine spezielle Art der Steuerung ist die Ablaufsteue-
die mit einem Sensor ermittelten Istwerte der Regel- rung. Hierbei liegen Weiterschaltbedingungen vor,
größe mit einem Computer erfasst, in dem auch der die einen schrittweisen Ablauf der Steuerbefehle
Regelalgorithmus implementiert und ausgeführt bewirken. Bei der zeitgeführten Ablaufsteuerung
wird, so nennt man diesen Regler auch Abtastreg- hängen die Weiterschaltbedingungen nur von der
ler bzw. digitalen Regler. Bei der Abtastung der Zeit ab. Ein Beispiel hierfür ist die Steuerung von
Messwerte wird ein Analog-Digital-Wandler (A/D- Fließinjektionsanalysesystemen, bei denen Ventile
Wandler) verwendet, der ein analoges Eingangssi- bzw. Pumpen nach einem fest vorgegebenen Zeit-
gnal in ein digitales Ausgangssignal umsetzt und plan geschaltet werden. Sind die Weiterschaltbe-
dies dem Computer zur Verfügung stellt. Bei dieser dingungen jedoch von Signalen des zu steuernden
Messdatenaufnahme muss darauf geachtet werden, Prozesses abhängig, z. B. von einem Signal eines
dass die Information des analogen Messsignals Schwimmerschalters, so wird diese Steuerungsart

. Abb. 8.29  Schema eines


Regelkreises
6WHOOJOLHG
'HUPLWHLQHP
6HQVRUHUPLWWHOWH
,VWZHUWL W GHU
5HJHOJU|‰H

5HJOHU
'HUYRUJHJHEHQH
6ROOZHUWZ W GHU
)KUXQJVJU|‰H
292 B. Hitzmann und T. Scheper

8.4.4 PID-Regler
6WHXHUVWUHFNH $XVJDQJVJU|‰H
6WHOOJOLHG
3UR]HVV
'HUDXV Der PID-Regler (proportional integral derivative)
]XJHEHQGH
6WHOOZHUWX W
wurde ursprünglich für die analoge Technik entwi-
GHU6WHOOJU|‰H
6WHXHUXQJV (LQJDQJVJU|‰H
ckelt und basiert auf folgender Gleichung:
HLQULFKWXQJ
 
 1 de(t ) 
. Abb. 8.30  Schema einer Steuerung; im Gegensatz zur
u (t ) = K ⋅ e(t ) + ∫ t e(τ ) d τ + TD 
 TI 0 dt 
Regelung ist kein geschlossener Wirkungsablauf vorhanden   
 Gl. 8.19

als prozessabhängige Ablaufsteuerung bezeichnet. u(t) ist der Stellwert, e(t) die Regeldifferenz. Die
Mithilfe einer Ablaufsteuerung wird in der Biopro- Regelparameter dieser Gleichung werden wie folgt
zesstechnik z. B. das Mischen von Mediumbestand- bezeichnet:
teilen, das Befüllen eines Fermenters sowie das Ste- K = Verstärkungsfaktor
rilisieren automatisiert. TI = Nachstellzeit
TD = Vorhaltezeit
8 8.4.3 Zweipunktregler
Der Stellwert u(t) ist dabei proportional zu der
Regeldifferenz selbst sowie zu dem Integral und der
Ableitung der Regeldifferenz. Durch die Wahl der
Den einfachsten Typ eines Reglers stellt der Zwei- Regelparameter wird der Charakter der Regelung
punktregler dar. Er wird z. B. bei Bioprozessen zum festgelegt, d. h. ob er proportionales, integrales und/
Regeln des pH oder der Temperatur eingesetzt. Wird oder differenzielles Verhalten zeigt. Ist z. B. TD = 0,
beispielsweise bei einer Kultivierung eine vorgege- so besitzt der Regler nur noch einen proportiona-
bene Temperatur (Grenzwert) überschritten, so hat len und einen integralen Anteil und wird PI-Reg-
dies zur Folge, dass Kühlwasser durch den Mantel ler genannt. Ein PI-Regler wird insbesondere dann
des Reaktors geführt wird. Ist die Temperatur nied- verwendet, wenn der Istwert der Regelgröße stark
riger als der Grenzwert, so wird der Reaktor nicht schwankt. Da sich die Steigung der Istwerte in einem
gekühlt. Somit zeigt der Zweipunktregler ein unste- solchen Fall entsprechend stark verändern, würde ein
tes Verhalten. D-Anteil eine starke Änderung der Stellwerte bewir-
Formelmäßig lässt sich dieser Regler wie folgt ken, was zu einer instabilen Regelung führt.
beschreiben: Das Verhalten eines Reglers kann durch seine
u , e(t ) ≤ 0 Sprungantwort charakterisiert werden. Hierbei wird
u (t ) =  min  Gl. 8.18 das Verhalten der Stellgröße bei einer sprungartigen
umax, e(t ) > 0
 Änderung der Regeldifferenz untersucht. Diese Ände-
e(t) wird die Regeldifferenz oder -abweichung rung kann z. B. durch Verstellen des Sollwertes hervor-
genannt und ist die Differenz von Sollwert w(t) und gerufen werden. In . Abb. 8.31 ist die Sprungantwort
Istwert i(t). umin und umax sind die beiden möglichen eines P-Reglers (d. h. TI = ∞, TD = 0) für unterschied-
Stellwerte dieses Reglers, d. h. die beiden möglichen liche Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3) dargestellt.
Werte von u(t). Im obigen Beispiel wäre die Pump- Wie in . Abb. 8.31 zu erkennen ist, besteht beim
rate des Kühlwassers null, wenn e(t) ≤ 0 ist, hingegen P-Regler zwischen einem Wert der Regeldifferenz
hätte die Pumprate einen konstanten Wert größer und dem entsprechenden Stellwert ein proportio-
null für den Fall, dass e(t) > 0 ist. Dieser Reglertyp naler Zusammenhang. Jedem Wert der Regeldiffe-
ist zwar einfach zu implementieren, wird jedoch in renz kann somit ein bestimmter Stellwert zugeord-
der Industrie selten verwendet, da er aufgrund seiner net werden, der sich nicht ändert. Dies ist bei einem
unstetigen Arbeitsweise leicht zu Oszillationen der PI- oder einem I-Regler nicht möglich. Diese Regler
Regelgröße führen kann. Die wohl größte Verbrei- zeigen eine Stellgrößenänderung bei einem festen
tung in der Industrie finden die PID-Regler. von null abweichenden Wert der Regeldifferenz, d. h.
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
293 8
Rechtecken), der Differenzialquotient durch eine Dif-
ferenz angenähert. Der Regelalgorithmus lautet dann:
H
5HJHOGLIIHUHQ]H W

 T K −1 
H u (k ) = K ⋅ e(k ) + A ∑ e(i)
TI i = 0
 
H
 e ( k ) − e ( k − 1)
H + T  Gl. 8.20
 D
T 
 A 
W =HLW
Hierbei sind u(k) und e(k) die zum Zeitpunkt t = k
· TA diskretisierten Werte von u(t) und e(t). Bei der
Verarbeitung mit einem Computer ist ein rekursi-
X ver Algorithmus einfacher zu implementieren. Um
diesen zu erhalten, wird die Differenz aufeinander-
folgender Stellwerte berechnet:
6WHOOJU|‰HX W

X

∆u = u (k ) − u ⋅ (k −1) = q0 ⋅ e(k ) + q1⋅ e ⋅ (k −1)


X
+ q2 ⋅ e ⋅ (k − 2)
X
 Gl. 8.21

W =HLW Hierbei wurden die folgenden neuen Parameter


eingeführt:
. Abb. 8.31  Sprungantwort von P-Reglern bei
unterschiedlichen Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3)  T 
q0 = K ⋅ 1 + D   Gl. 8.22
 TA 
diese Regler bewirken solange eine Änderung des
Stellwertes, bis der Istwert mit dem Sollwert überein-  T T 
q1 = −K ⋅ 1 + 2 ⋅ D − A   Gl. 8.23
stimmt. Dieser Zusammenhang ist für die Sprung-  TA TI 
antwort dieser Regler in . Abb. 8.32 dargestellt; die
Nachstellzeit (TI) des I-Reglers ist ebenfalls einge- TD
q2 = K ⋅  Gl. 8.24
zeichnet. Wie in der Abbildung zu erkennen ist, TA
müsste der reine I-Regler um die Nachstellzeit früher
eingreifen als der PI-Regler, wenn er die gleiche
Wirkung erzielen soll. Der Einfluss der Nachstell-
zeit auf einen I-Regler ist aus der Gleichung des PID- 8.4.6 Einstellung von
Reglers leicht abzuleiten: Je kleiner die Nachstellzeit Regelparametern
ist, desto größer wird die Steigung der Stellgröße und
damit der I-Anteil eines PI-Reglers. Wenn die Dynamik und die Störeinflüsse eines Pro-
zesses bekannt wären, könnten die optimalen Para-
meter eines Reglers theoretisch berechnet werden.
8.4.5 Digitale PID-Regler Mit dem vorhandenen Wissen über den Prozess
muss ein mathematisches Modell der Regelstrecke
Aufgrund der weiten Verbreitung von PID-Reg- erstellt werden. In der Praxis ist dies jedoch meist
lern wurde sehr viel Know-how über sie gesammelt. sehr schwierig und auch zeitaufwendig. Ist aber ein
Derzeit werden nur noch digitale PID-Regler imple- Modell vorhanden, können der Reglertyp sowie
mentiert. Hierbei kann für kleine Abtastzeiten TA die die Reglerparameter basierend auf diesem Modell
Gleichung des analogen PID-Reglers durch Diskreti- ermittelt werden. Der Regler wird dann mit Hilfe von
sierung direkt in eine Differenzengleichung umgewan- Simulationen des gesamten Regelkreises in unter-
delt werden. Das Integral wird durch eine Summe (von schiedlichen Situationen getestet und optimiert.
294 B. Hitzmann und T. Scheper

übernommen werden. Mithilfe der oben aufgeführ-


5HJHOGLIIHUHQ]H W

ten Umrechnung können dann die entsprechenden


H Parameter des digitalen Reglers berechnet werden.
H
Bei diesen Verfahren nutzt man nicht so sehr theo-
retisches Wissen, sondern führt Experimente durch.
H
Ein Verfahren basiert auf der Analyse des Antwort-
H
verhaltens der Regelstrecke (des Prozesses) auf
W =HLW eine stufenförmige Änderung der Werte der Stell-
größe (Stufenfunktion, Sprungfunktion). Der Wert
der Stellgröße wurde hierfür zu einem Zeitpunkt t0
7
sprunghaft von S0 auf S1 erhöht. Um das Antwortver-
halten des Regelkreises auf diese Stellgrößenände-
X rung zu messen, darf er natürlich nicht geschlossen
sein, d. h. die Regelstrecke wird vom Regler gelöst.
6WHOOJU|‰HX W

In . Abb. 8.33 ist ein Schema dieser Untersuchung


X dargestellt. Die von der Regelstrecke aufgezeichnete
X
Sprungantwort wird auch als Übergangsfunktion
8 X
X
bezeichnet.
Das in . Abb. 8.33 dargestellte Antwortsignal
X hat einen sigmoiden Verlauf, der für viele Prozesse
X typisch ist und annähernd dem Verhalten eines Pro-
zesses erster Ordnung, d. h. eines Prozesses, der
W =HLW durch eine Differentialgleichung erster Ordnung
. Abb. 8.32  Sprungantwort des PI-Reglers beschrieben wird, mit Totzeit entspricht.
(durchgezogene Kurven) und des reinen I-Reglers (punktierte Mit Hilfe der Stufenantwort der Regelstre-
Kurven) bei unterschiedlichen Regeldifferenzen (e1 < e2 < e3) cke werden zwei Zeiten ermittelt: die Ersatztotzeit
(Tt) und die Ersatzzeitkonstante (τk). Diese Zeiten
Hierbei kann es sich aber durchaus zeigen, dass ergeben sich aus den Schnittpunkten der Tangente,
selbst das Modell und/oder der Reglertyp verändert die durch den Wendepunkt der Sprungantwort
werden müssen. Die Güte des so erhaltenen Reglers festgelegt ist, mit zwei Parallelen zur Abszisse, die
ist natürlich von der Güte des Modells abhängig. durch den Anfangs- und Endwert der Sprungant-
Aufgrund der weiten Verbreitung des analo- wort bestimmt sind. In . Abb. 8.34 ist die Ermittlung
gen PID-Reglers sind hierfür verschiedene heuris- der Ersatztotzeit und der Ersatzzeitkonstante sche-
tische Verfahren (empirische Einstellregeln) entwi- matisch dargestellt. Mit Hilfe von Verfahren können
ckelt worden. Wenn die Abtastzeiten der Messgrößen die Regelparameter aus den so ermittelten Größen
des digitalen PID-Reglers klein sind, ist sein Verhal- berechnet werden. In . Tab. 8.4 sind die jeweili-
ten dem des analogen PID-Reglers sehr ähnlich. gen Berechnungsformeln für die unterschiedlichen
Somit können die heuristischen Verfahren zur Regler aufgeführt, die von Ziegler und Nichols auf-
Parametereinstellung auch für digitale PID-Regler gestellt wurden.

. Abb. 8.33  Verhalten einer


Regelstrecke auf eine stufenförmige
Änderung der Stellwerte bei einem
offenen Regelreis
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
295 8

. Abb. 8.34  Die Bestimmung der Ersatztotzeit (Tt) und der Ersatzzeitkonstanten (τk) aus dem Signal der Stufenantwort einer
Regelstrecke

basiert entworfen – wird je nach individueller Gege-


. Tab. 8.4  Berechnungsformeln für die
benheit eines Prozesses nach bestimmten Kriterien
Regelparameter basierend auf der Auswertung einer
Stufenantwort durchgeführt.
Die Güte eines Reglers kann nicht generell,
Regler K TI TD sondern muss immer für die jeweiligen individuel-
len Gegebenheiten eines Prozesses beurteilt werden.
P τ K S1 − S0 – –
In jedem Fall muss aber als Mindestanforderung die
Tt A1 − A0
Stabilität eines jeden Regelkreises gesichert sein. Für
PI τ K S1 − S0 3,33 · Tt – die Stabilität gibt es unterschiedliche Kriterien. Das
0, 9
Tt A1 − A0 BIBO-Stabilitätskriterium (BIBO: Bounded Input –
Bounded Output) besagt, dass dann ein stabiler
Prozess vorliegt, wenn jedes beschränkte Eingangs-
PID τ K S1 − S0 2 · Tt 0,5 · Tt signal eines Prozesses zu einem beschränkten Ant-
1, 2
Tt A1 − A0 wortsignal der Ausgangsgröße führt.
Neben der allgemeinen Forderung, dass ein
Regelkreis stabil sein soll, gibt es eine Vielzahl unter-
Die mit den Parametern aus . Tab. 8.4 einge- schiedlicher Gütekriterien. Der Regler soll z. B. so
stellten Regler müssen meist noch am eigentli- ausgelegt werden, dass
chen Prozess optimiert werden. Ebenso werden 55 ein sich zeitlich ändernder Sollwert der
diese Parameter auch als Startwerte verwendet, Führungsgröße möglichst schnell vom Istwert
um einen Regelkreis mit Hilfe einer Simulation zu der Regelgröße erreicht wird.
optimieren. Wie schon erwähnt, ist aber hierfür 55 Störgrößen einen möglichst geringen Einfluss
ein brauchbares mathematisches Modell der Regel- auf die Regelgröße ausüben.
strecke notwendig. Die Beurteilung der Güte eines 55 die maximale Regeldifferenz so klein wie
Reglers – ob rein experimentell oder durch Modell möglich wird.
296 B. Hitzmann und T. Scheper

55 die bleibende Regeldifferenz minimal wird. notwendig, dass der Regler nach einer Änderung des
55 ein möglichst geringes Überschwingen auftritt. Sollwertes den Stellwert so anpasst, dass der Wert
55 das Integral der absoluten Regeldifferenz oder der Regelgröße dem des Sollwertes möglichst schnell
seines Quadrates minimal wird. entspricht.

Dabei können häufig nicht mehrere Kriterien gleich-


zeitig erfüllt werden, sodass meist ein Kompromiss 8.4.7 Alternative Reglerkonzepte
notwendig ist. Will man z. B. einen Regler haben, der
dafür sorgt, dass ein Sollwert nach seiner Änderung In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Reg-
möglichst schnell erreicht wird, so muss wahrschein- lerkonzepte für die Bioprozesstechnik veröffentlicht,
lich ein Überschwingen in Kauf genommen werden. jedoch wurden die meisten nicht bei realen Prozess-
Um die Güte eines Reglers auf eine Stellgrößenände- anwendungen sondern mit Hilfe von Simulationen
rung beurteilen zu können, wurden folgende charak- getestet [7]. Die überwiegende Anzahl an Applika-
teristische Kenngrößen im Antwortsignal definiert: tionen nutzen Kombinationen von Softwaresenso-
55 Die Verzugszeit wird festgelegt durch den ren mit einem PID-Regler [3]. Dies unterstreicht die
Schnittpunkt der ersten Wendetangente des Bedeutung der Bioprozessanalytik für die Regelung,
Antwortsignals mit der Parallelen zur Abszisse die direkte Messmethoden für robuste Sensoren zur
8 (Zeitachse), die durch den Anfangswert der Istwertbestimmung zur Verfügung stellen muss. Um
Regelgröße bestimmt ist. dem dynamischen Verhalten von Kultivierungspro-
55 Die Anstiegszeit ergibt sich aus der Differenz zessen Rechnung zu tragen, kommen Parameter-ad-
zweier Schnittpunkte der Wendetangente mit aptive Regler zur Anwendung, die in Abhängigkeit
zwei Parallelen zur Abszisse, die durch den der aktuellen Prozessphase einer Kultivierung unter-
Anfangswert und Endwert der Regelgröße schiedliche Regelparameter verwenden.
bestimmt sind. Bei der modellbasierten prädiktiven Regelung
55 Die Anregelzeit ist definiert als der Zeitpunkt, wird ein dynamisches Prozessmodell genutzt, mit
bei dem der Istwert der Regelgröße das erste dem der mögliche zukünftige Verlauf des Prozesses
Mal mit dem Sollwert identisch ist. bis zu einem vorher definierten Prädiktionshori-
55 Die Ausregelzeit ist festgelegt durch ein dauer- zont in Abhängigkeit von unterschiedlichen Werten
haftes Erreichen eines Intervalls um den Sollwert. der Führungsgröße simuliert wird. Basierend auf
55 Die maximale Überschwingweite gibt den einem Optimierungsalgorithmus wird der optimale
maximalen Wert der Regelabweichung an, der Verlauf der Führungsgröße in Echtzeit ermittelt und
nach erstmaligem Erreichen des Sollwertes entsprechend beim realen Prozess eingestellt. Somit
auftritt. wird das erforderliche Prozessmodell auch während
des laufenden Prozesses genutzt, um der Situation
In . Abb. 8.35 sind einige dieser Kenngrößen in das angepasst optimale Stellwerte zu berechnen. Diese
Antwortsignal eines geschlossenen Regelkreises ein- Regelungsstrategie, die auch eine Mehrgrößenrege-
gezeichnet, das nach einer Sollwertänderung regis- lung ermöglicht, erfordert deshalb neben der extrem
triert wurde. hohen Rechenleistung des Computers ein hinrei-
Je nach Anforderungen des jeweiligen Prozesses chend genaues Prozessmodell. Dieses ist jedoch nicht
kann es notwendig sein, für eine dieser charakteris- immer verfügbar. Deshalb sind hybride Regelsysteme
tischen Kenngrößen ein Minimum zu gewährleisten entwickelt worden, die theoretische Modelle mit Ver-
oder aber für mehrere Kenngrößen gleichzeitig einen fahren der Fuzzy Logik und/oder künstlichen neuro-
akzeptablen Kompromiss zu finden. Je nachdem, ob nalen Netzwerken kombinieren.
ein gutes Führungsverhalten oder ein gutes Störver- Aber auch reine Fuzzy-Regler werden zur Rege-
halten des Reglers bei einem Prozess gefordert ist, lung von Kultivierungsprozessen angewendet.
sind unterschiedliche Werte der Regelparameter ein- Sie nutzen das vorhandene Erfahrungswissen des
zustellen. So ist es für ein gutes Führungsverhalten Bedienpersonals in Form von Wenn-dann-Regeln,
Kapitel 8 · Bioprozessanalytik und -steuerung
297 8
PD[LPDOH 55 robustes Verhalten des Reglers gegenüber
hEHUVFKZLQJZHLWH Änderungen der Streckenparameter, des
Sollwerts sowie von Störungen.
$QWZRUW

6ROOZHUW
Für die Implementierung von Fuzzy-Reglern sind
jedoch keine systematischen Entwurfsverfahren
vorhanden und eine Stabilitätsanalyse ist schwierig.

Literatur
$QUHJHO]HLW $XVUHJHO]HLW =HLW
[1] Glindkamp A, Riechers D, Rehbock C, Hitzmann B, Sche-
. Abb. 8.35  Charakteristische Kenngrößen zur Beurteilung per T, Reardon KF (2009) Sensors in disposable bioreac-
von Reglern aufgrund ihres Antwortverhaltens tors status and trends. Adv Biochem Engin/Biotechnol
115:145‒169
die in einer Regelbasis im Computer abgelegt sind. [2] Junker BH, Wang HY. (2006): Bioprocess monitoring
and computer control: Key roots of the current PAT
Dabei wird der Stellwert nach Auswertung der Regel-
initiative. Biotechnol Bioeng 95(2):226-261. https://doi.
basis zyklisch bestimmt. In den Prämissen der Regeln org/10.1002/bit 21087
werden die Werte von Prozessgrößen den unscharfen [3] Klockow C, Hüll D, Hitzmann B. (2008) Model based subst-
Mengen (Fuzzy-Mengen) z. B. „niedrig“, „normal“, rate set point control of yeast cultivation processes based
„hoch“ oder „sehr hoch“ über Zugehörigkeitsfunk- on FIA measurements. Analytica Chimica Acta 623:30‒37
[4] Landgrebe D, Haake C, Höpfner T, Beutel S, Hitzmann B,
tionen zugeordnet. Die Istwerte der Regelgröße
Scheper T, Rhiel M, Reardon KF (2010) On-line infrared
werden mit Hilfe dieser Fuzzy-Mengen, Zugehö- spectroscopy for bioprocess monitoring. Appl Microbiol
rigkeitsfunktionen und der Fuzzy-Logik in drei Biotechnol 88:11–22
Phasen (Aggregation, Implikation und Akkumula- [5] Oliveira FRP, Goldberg K, Liese A, Hitzmann B. (2008)
tion) zyklisch verarbeitet. Der Wahrheitswert aller Chemometric modelling for process analyzers using
just a single calibration sample. Chemometr Intell Lab
Regeln der gesamten Regelbasis wird in der Aggre-
94:118‒122
gations-Phase ermittelt. Während der Implikation [6] Rudolph G, Lindner P, Bluma A, Joeris K, Martinez G, Hitz-
wird die Konklusion aller Regeln berechnet und in mann B, Scheper T. (2009) Optical inline measurement
der Akkumulations-Phase das Gesamtergebnis der procedures for counting and sizing cells in bioprocess
Regelbasis bestimmt. Diese Vorgehensweise erlaubt technology. Adv Biochem Engin/Biotechnol 116:125‒142
[7] Stanke M, Hitzmann B (2013) Automatic control of bio-
ein approximatives und unscharfes Schließen (Fuz-
processes. Adv in Biochem Engin/Biotechnol 132:35–63
zy-Inferenz), was dem Vorgehen von menschlichen
Experten sehr ähnlich ist. Eine Mehrgrößenregelung
ist ohne großen Aufwand zu realisieren. Da Stellglie-
der einen definierten Wert für die Stellgröße benöti-
gen, wird dieser im Rahmen einer Defuzzyfizierung
berechnet. Vorteile der Fuzzy-Regler sind:
55 das vorhandene Erfahrungswissen des Bedien-
personals kann direkt für die Regelung genutzt
werden,
55 kein mathematisches Modell ist erforderlich,
55 kürzere Entwicklungszeit zur Erstellung des
Regelalgorithmus werden benötigt,
55 keine teuren Messungen für die Modellbildung
und Parameteridentifikation sind notwendig,
55 Berücksichtigung vieler Messgrößen zur
Festlegung der Stellgröße ist einfach möglich
und
299 9

Aufarbeitung (Downstream
Processing)
Horst Chmiel

9.1 Zellernte – 301


9.1.1 Sedimentation/Zentrifugation – 301
9.1.2 Filtration – 304

9.2 Zellaufschluss – 309


9.2.1 Kugelmühlen – 310
9.2.2 Hydrodynamischer Zellaufschluss – 312
9.2.3 Physiko-chemische und enzymatische Zelllyse – 316
9.2.4 Wahl des geeigneten Zellaufschlussverfahrens – 317

9.3 Produktisolation, -konzentrierung und -reinigung – 317


9.3.1 Präzipitation – 318
9.3.2 Kristallisation – 324
9.3.3 Flotation und Schaumseparation – 332
9.3.4 Membranseparation – 335
9.3.5 Solventextraktion – 359
9.3.6 Elektrokinetische Trennverfahren – 372
9.3.7 Adsorptive/Chromatographische Trennverfahren – 375

9.4 Trocknungsverfahren in der Bioprozesstechnik – 392


9.4.1 Grundlagen der Trocknungstechnologie – 392
9.4.2 Wichtige Trocknungsverfahren in der Bioprozesstechnik – 394
9.4.3 Weitere Einflussfaktoren bei der Trocknung
von Mikroorganismen – 397

Literatur – 397

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_9
300 H. Chmiel

Biokatalysatoren – gleichgültig, ob in Form von Soll unter diesen Umständen der biotechnische
Enzymen, Prokaryoten oder Eukaryoten – haben sich Prozess mit dem chemischen konkurrenzfähig sein,
als wesentlich spezifischer und damit wirkungsvol- so müssen diese Randbedingungen berücksichtigt
ler als irgendein anorganischer Katalysator erwiesen. werden. In der Regel wird daher wenn möglich eine
Wegen ihres begrenzten Temperatureinsatzbereiches repeated fed-batch oder kontinuierliche Verfahrens-
– für die meisten von ihnen wirken Temperaturen über weise angestrebt, und die Betrachtung darf sich kei-
50 °C bereits deaktivierend – und weil sie in der Regel nesfalls auf den Bioprozess beschränken. Vielmehr
nur in verdünnten wässrigen Systemen agieren, büßen muss die Optimierung sich über den Gesamtpro-
sie aber einen großen Teil dieses Vorteils wieder ein. zess erstrecken, dazu gehören unter anderem die
Hohe Kosten (für Enzyme) bzw. geringe Wachstums- Medienvorbereitung, die Sterilfiltration, das Abwas-
geschwindigkeiten (bei Prokaryoten und insbesondere ser- und Abfallproblem und insbesondere die Pro-
Eukaryoten) tun ein Übriges. duktaufarbeitung (siehe schematische Darstellung
Ein wesentlicher Nachteil biotechnischer Pro- in . Abb. 9.1).
zesse ist schließlich, dass das Produkt in verdünnter Im Englischen haben sich hierfür die Termini
wässriger Lösung anfällt und dass es häufig bereits upstream und downstream processing eingebür-
in relativ geringer Konzentration inhibierend wirkt. gert.

. Abb. 9.1  Verfahrensschema eines


Bioprozesses. WT = Wärmetauscher,
MF = Mikrofiltration,
9 UF = Ultrafiltration
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
301 9
Die Produktaufarbeitung mit den Schritten
55 Zellabtrennung,
55 Zellaufschluss (wenn Produkt intrazellulär
vorliegt),
55 Produktgewinnung und
Produktkonzentrierung,
55 Produktreinigung und
55 Konfektionierung

hat in der Regel einen Anteil, der mehr als die Hälfte
der Gesamtproduktkosten beträgt. Das trifft besonders
für Proteinwirkstoffe zu. Ziel muss also die Reduktion
der Kosten für die Produktaufarbeitung sein.
Das Auslaufen von Patenten biotechnisch gewon-
nener Pharmaprodukte lässt eine Flut von ­Generika
erwarten. Der Druck, schnell auf den Markt zu
kommen (time-to-market pressure), zwingt zur par-
allelen Entwicklung von Produktions- und Aufarbei-
tungsprozessen. Dabei muss eine riesige Zahl von
Parametern optimiert werden. Hilfe erwartet man
. Abb. 9.2  Schema für die Bioproduktaufarbeitung
sich bei der Optimierung der Produktaufarbeitungs-
prozesse von der modellbasierten Hybridprozess-
entwicklung unter Nutzung von Hochdurchsatzex- Die beiden erstgenannten haben als Trennprinzip
perimenten, wie sie bereits in 7 Abschn. 6.4 für die den Dichteunterschied zwischen fester und flüssi-
Bioprozessentwicklung vorgestellt wurden. ger Phase, wobei man die Sedimentation als Sonder-
Die Wahl der geeigneten Aufarbeitungsverfah- fall der Zentrifugation ansehen kann. Sie sollen daher
ren richtet sich nach der Art und Weise, in der das gemeinsam behandelt werden.
Produkt anfällt. Handelt es sich um einen enzymati-
schen Prozess oder um ein extrazelluläres Produkt,
so sollte der Biokatalysator im Reaktor verbleiben, 9.1.1 Sedimentation/Zentrifugation
d. h. das entstehende Produkt kontinuierlich mög-
lichst selektiv entfernt werden. Zur Beschreibung von Sedimentationsvorgängen
Liegt das Produkt dagegen intrazellulär vor, erfolgt wird das Stokes’sche Gesetz herangezogen. Danach
zunächst die Zellernte. Das intrazelluläre Produkt (in errechnet sich die Sedimentationsgeschwindigkeit
der Regel ein Protein) muss durch Zellaufschluss vs von kugeligen Partikeln im Bereich niedriger Rey-
freigelegt und die Zelltrümmer müssen abgetrennt noldszahlen (<0,25) zu
werden, bevor die Aufarbeitung analog der der extra-
zellulären Produkte erfolgen kann (. Abb. 9.2). d p2 ⋅ ∆ρ ⋅ g
vs=  Gl.9.1
18 ⋅ η

9.1 Zellernte und unter Einfluss einer Zentrifugalbeschleunigung


r · ω2 ist
Grundsätzlich kann die Abtrennung der Zellen aus
der Fermentationsbrühe auf verschiedene Weise d p2 ⋅ ∆ρ
vz = ⋅ r ⋅ ω2  Gl. 9.2
erfolgen, nämlich durch 18 ⋅ η
55 Sedimentation,
55 Zentrifugation, 55 dp = Partikeldurchmesser
55 Filtration. 55 ∆ρ = Dichtedifferenz
302 H. Chmiel

55 g = Erdbeschleunigung V
55 η = dynamische Viskosität der Trägerflüssigkeit τ = T
Q
55 r = Abstand des beschleunigten Teilchens von
der Drehachse und bei einer Betrachtung des Einzelspaltes für die
55 ω = Winkelgeschwindigkeit der Sedimentation
Zentrifugentrommel
h 
t= Gl. 9.4
vz
Man erkennt daraus die Bedeutung der beiden Para-
meter Dichtedifferenz zwischen Trägerflüssigkeit Gleichsetzen von t und τ und Übertragung auf das
und abzuscheidender Partikel sowie Partikeldurch- Tellerpaket mit Nt Tellern liefert die Beziehung:
messer. Je kleiner die Dichtedifferenz bzw. der Parti-
keldurchmesser, umso geringer wird die Sedimenta- 2 ⋅ π (ra3 − ri3 ) ⋅ N T ra ⋅ ω 2 dp2 ⋅∆ρ ⋅ g
tionsgeschwindigkeit und umso schwieriger wird die Q = ⋅ ⋅
3 ⋅ ra ⋅ tanΘ  g 18 η
⋅

Abscheidung, wobei der Partikeldurchmesser sogar 
AT Z vs
quadratisch eingeht.
Insbesondere für die Abscheidung von Mikro-  Gl. 9.5
organismen im Bereich biotechnologischer Auf-
arbeitungsverfahren scheidet die Sedimentation im Hierin ist AT · Z die sogenannte äquivalente Klärflä-
Erdschwerefeld in der Regel aus. Statt Sedimenta- che, die alle apparatespezifischen Parameter enthält;
tionsgeschwindigkeiten in der Größenordnung von im Gegensatz zu der Sedimentationsgeschwindigkeit
9 1–10 mm in 24 Stunden nutzt man das Zentrifugal- vs, die alle produktbezogenen Parameter einschließt.
feld zur Beschleunigung des Absetzvorgangs um das Aus Gl. 9.5 lässt sich errechnen, dass z. B. im Ver-
103- bis 104-fache analog dem Verhältnis gleich zu einer E. coli-Suspension (dp,min = 0,8 µm)
eine Hefesuspension (dp,min = 2,4 µm) – wegen des
r ⋅ω 2  quadratischen Einflusses von dp auf vs – in der glei-
Z= Gl. 9.3
g chen Zentrifuge mit neunfachem Durchfluss gefah-
ren werden kann [24].
für eine effektive Zellabscheidung. Die äquivalente Klärfläche dient zur Maßstabs-
Brunner [24] hat den Absetzvorgang von Partikeln übertragung bei der Zentrifugenauslegung bei kon-
im Spalt von Tellerseparatoren untersucht. Unter einer stanten Produkteigenschaften.
Reihe von vereinfachenden Annahmen zur Hydrody- In den . Abb. 9.3–9.5 sind einige Grundformen
namik im Spalt, der Form der Partikel und eines schlupf- von Zentrifugen dargestellt. . Abb. 9.3 zeigt diskon-
freien Transports in der Strömung sowie der Überle- tinuierlich arbeitende Zentrifugen. Dabei besitzt die
gung, dass Partikel dann sicher abgeschieden sind, wenn heute noch häufig im Labor verwendete Röhrenzen-
ihre Aufenthaltszeit im Tellerspalt größer/gleich ihrer trifuge (. Abb. 9.3a) die geringste Klärfläche.
Sedimentationszeit (h = Tellerabstand) ist, lässt sich für Tellerseparatoren (. Abb. 9.4) haben durch die
einen bestimmten Partikeldurchmesser dp der maxi- Vielzahl der im Abstand von 0,3–2 mm angeordneten
male Durchsatz Q bei vollständiger Abscheidung fol- Teller nicht nur große Klärflächen sondern ermögli-
gendermaßen berechnen. Ist das Gesamtvolumen aller chen durch die konische Gestaltung den zyklischen
Tellerspalte VT = AT · h · NT mit der Mantelfläche (. Abb. 9.4a) oder kontinuierlichen (.  Abb. 9.4b)
Feststoffaustrag.
2 ⋅ π (ra3 − ri3) Bei dem Separator in . Abb. 9.4a geschieht die
AT = Selbstentleerung durch zyklisches Öffnen der geteil-
3 ⋅ ra tan Θ
ten Trommel über Kolbenventil und Kolbenschieber.
wobei ra = äußerer Tellerradius, ri = innerer Teller- Bei hohem Feststoffanteil empfiehlt sich der Düsen-
radius, θ = halber Öffnungswinkel des Tellerkonus, separator (. Abb. 9.4b).
NT = Zahl der Tellerspalte, dann ergibt sich für die Der Tellerseparator ist heute in der Biotechno-
Verweilzeit logie die für die Zellernte am häufigsten verwendete
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
303 9
Zentrifuge, mit wirksamen Klärflächen bis zu
300.000 m2 und einem Durchfluss für E. coli bis zu
8 m3/h [23]. Aufgrund des geringen Tellerabstands
gelangt dieser Separator bei hohen Zellkonzentra-
tionen an seine Grenzen. Dies ist die Domäne des
Dekanters.
Der Dekanter, eine horizontal gelagerte Schne-
ckenzentrifuge mit zylindrisch-konischer Vollman-
teltrommel (. Abb. 9.5), erreicht den kontinuierli-
chen Austrag der abzentrifugierten Zellen durch eine
Differenz der Drehzahl der Förderschnecke gegen-
über derjenigen der Trommel. Wegen seines ver-
gleichsweise geringen Beschleunigungsverhältnisses
Z wird er vor allem zur Konzentrierung von Zellsus-
pensionen und zum Entwässern von Schlämmen ein-
gesetzt. In einer Sonderbauform, dem sogen. Trikan-
. Abb. 9.3  Diskontinuierlich arbeitende Zentrifugen: (a) ter, lassen sich auch drei Phasen (flüssig/flüssig/fest)
Röhrentrommel; (b) Kammertrommel voneinander kontinuierlich trennen.

. Abb. 9.4  Durch periodisches Öffnen der geteilten Trommel (a) bzw. über Düsen (b) selbstentleerende Tellerrseparatoren
(mit freundlicher Genehmigung der Fa. GEA Westfalia Separatoren GmbH)

. Abb. 9.5  Dekanter für die Abtrennung von Zellen (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Flottweg)
304 H. Chmiel

Beispiele für den Einsatz von Zentrifugen in der abzutrennenden Schwebstoffen und flüssiger Phase
Produktaufarbeitung finden sich in 7 Kap. 11 und 12. gering (Energiekosten) oder der zu behandelnde
Flüssigkeitsstrom klein ist (Investitionskosten).
Es wird in der Regel orthogonal oder quasi ortho-
9.1.2 Filtration gonal zum Stützmaterial, d. h. dead-end filtriert.
Gemäß . Abb. 9.6 unterscheidet man die fol-
Die Abtrennung von Partikeln aus einer fluiden genden Abscheidungsmechanismen:
Phase (Gas und Flüssigkeit) mittels poröser Gebilde Bei der Siebfiltration (. Abb. 9.6a) übernimmt
bezeichnet man bekanntlich als Filtration. Die viel- ein Sieb, Vlies oder Gewebe, mit Poren kleiner oder
fältigen Filtrationsverfahren versucht Scheuermann gleich dem Durchmesser der Partikel, die Aufgabe
[104] nach verschiedenen Unterscheidungskriterien der Rückhaltung. Sie kommt hauptsächlich für die
zu ordnen, wie z. B. nach Abscheidung geringer Partikelmengen und insbe-
55 trennender Kraft (Über- und Unterdruck), sondere faseriger Stoffe, also beispielsweise zur Vor-
55 Teilchengröße (Fein- oder Grobfiltration), filtration, zum Einsatz. Adsorption gelöster Stoffe am
55 Abscheidungsmechanismus (Sieb-, Filtermaterial ist nicht erwünscht.
Oberflächen- oder Tiefenfiltration), Bei der Oberflächenfiltration (. Abb. 9.6b) hat
55 Verfahren (statische oder dynamische das Stützmaterial (Gewebe, Filz etc.) vor allem die
Filtration), Aufgabe, das Filtermittel (z. B. Kieselgur oder Cellu-
55 Aufgabe (Vor- oder Sterilfiltration). losefasern) so zurückzuhalten, dass dieses, nach einer
möglichst kurzen Anfahrphase, die eigentliche Filter-
9 In der Tat begegnen einem in der biotechnischen funktion übernehmen kann. Der sogenannte Trüblauf
Fachliteratur all diese Begriffe; es sei nur auf die ver- während dieser Anfahrphase wird verworfen oder zum
schiedenen Sterilfilter up- und downstream des Bio- Unfiltrat zurückgeführt. Adsorption gelöster Stoffe am
prozesses (. Abb. 9.1) hingewiesen. Filterhilfsmittel (z. B. Proteine bei der Bierfiltration)
Für die Abtrennung von Zellen aus der flüssigen ist erwünscht. Das Verfahren arbeitet in der Regel im
Phase mit dem Ziel der Produktgewinnung (Zell- batch-Betrieb. Da die Konzentration an abzutrennen-
ernte) muss eine hohe Zelldichte erreicht werden den Partikeln in der Suspension relativ hoch ist, nimmt
(weitgehende Entfernung der wässrigen Phase). bei konstantem Fluss der Filtrationsdruck zu. Wird ein
Hierfür ist die Filtration dann der Zentrifuge vorgegebener Druck überschritten, wird die Filtration
überlegen, wenn der Dichteunterschied zwischen unterbrochen und der Filter zurückgespült.

. Abb. 9.6  Abscheidungsmechanis-


men bei der dead-end-Filtration: (a)
Siebfiltration; (b) Oberflächenfiltration;
(c) Tiefenfiltration; (d) Vergrößerung
(nach [102])
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
305 9
Bei der Oberflächenfiltration (. Abb. 9.6b) hat
das Stützmaterial (Gewebe, Filz etc.) vor allem die ( )
∆p = v ⋅ L ⋅ η ⋅ as2 ⋅ f εp  Gl. 9.7
Aufgabe, das Filtermittel (z. B. Kieselgur oder Cel-
lulosefasern) so zurückzuhalten, dass dieses, nach Die Porositätsfunktion f(εp) ist nach Carman und
einer möglichst kurzen Anfahrphase, die eigentliche Kozeny
Filterfunktion übernehmen kann. Der sogenannte 2
Trüblauf während dieser Anfahrphase wird verwor- (1− εp)
fen oder zum Unfiltrat zurückgeführt. Adsorption
( )
f εp = RK ⋅
εp3
gelöster Stoffe am Filterhilfsmittel (z. B. Proteine
bei der Bierfiltration) ist erwünscht. Das Verfah- Bei der Annahme, dass die durchströmte Schicht aus
ren arbeitet in der Regel im batch-Betrieb. Da die starren Partikeln mit einen Durchmesser d < 10 mm
Konzentration an abzutrennenden Partikeln in der besteht, kann RK = 5 gesetzt werden [107]. Leider
Suspension relativ hoch ist, nimmt bei konstantem nimmt bei der konventionellen Filtertechnik die
Fluss der Filtrationsdruck zu. Wird ein vorgegebener Porosität durch Adsorption von gelösten Stoffen
Druck überschritten, wird die Filtration unterbro- und kleinen Partikeln laufend ab. Dies führt zu einem
chen und der Filter zurückgespült. Eine kontinuier- starken Rückgang der Permeabilität. Sartor [102]
liche Arbeitsweise kann durch eine rotierende Filter- hat daher vorgeschlagen, die Schritte Abtrennung
trommel oder ein Bandfilter erzielt werden; darauf der Partikel und der gelösten Stoffe voneinander zu
wird später eingegangen. trennen. Die selektive Abtrennung sollte eine Tiefen-
Die Tiefenfiltration (. Abb. 9.6c) eignet sich zur filtration sein, und die hauptsächliche Trennwirkung
Abtrennung kleiner bis mittlerer Partikel (Bakterien, – durch Wahl geeigneter regenerierbarer Filtermit-
Hefen) und bei geringen Partikelkonzentrationen. tel – auf der Nutzung elektrostatischer Abstoßungs-
Auf dem Stützmaterial werden möglichst kugel- kräfte beruhen.
förmige Partikel gleichen Durchmessers als Filter- Sartor et al. [103] haben Untersuchungen zur
mittel angeschwemmt. In den Hohlräumen dieses elektrokinetischen Wechselwirkung zwischen Fil-
Anschwemmfilters lagern sich die wesentlich klei- termittel und Mikroorganismen durchgeführt. Sie
neren, abzutrennenden Partikel ab (. Abb. 9.6d). konnten zeigen, dass durch Nutzung der elektroki-
Der Tiefenfilter muss dann zurückgespült werden, netischen Repulsion die Adsorption verhindert und
wenn es zum Durchbruch der Partikel durch den ein kontrolliertes Eindringen der Mikroorganismen
Filter kommt, d. h. wenn im Wesentlichen alle Hohl- in das Filterbett erreicht werden kann.
räume im Anschwemmfilter belegt sind (. Abb. 9.6c). Zur Ermittlung des Einflusses der elektroki-
Adsorption von Partikeln und gelösten Stoffen (ins- netischen Wechselwirkungen auf die Abtrennung
besondere Proteine) ist zwar nicht erwünscht, aber von Mikroorganismen in partikulären Schüttbet-
leider bei dieser konventionellen Filtertechnik kaum ten wurden die Zetapotenziale von Filtermittel und
zu vermeiden. abzutrennenden Mikroorganismen gemessen. Für
Zur Beschreibung der Durchströmung von Tie- Einzelheiten zur Zetapotenzialmessung wird auf
fenfiltern hat sich das Gesetz von Darcy bewährt: Hunter [58] verwiesen.
In . Abb. 9.7 wird das Prinzip kurz erläutert. Bei
v⋅η
∆p =  Gl. 9.6 der Durchströmung von porösen Schichten in einer
RD
flüssigen Phase entsteht ein Strömungspotenzial.
wonach der Druckverlust Δp der Strömungsge- Ursache ist die Verschiebung der diffusen Schicht.
schwindigkeit v und der dynamischen Viskosität η Die Messung erfolgte mit dem Strömungspotenzial-
proportional und dem Filterwiderstand RD umge- messgerät EKA von Anton Paar, Graz, mit einer Faser-
kehrt proportional ist. messzelle sowie der Auswertesoftware EKS 100. Das
Carman und Kozeny erweiterten Gl. 9.6 derart, Strömungspotenzial lässt sich unmittelbar in das Zeta-
dass auch die spezifische Oberfläche as und die Poro- potenzial umrechnen. In Filtrationsversuchen wurde
sität εp des Schüttbetts mit einbezogen werden. das Zetapotenzial für zwei verschiedene Filtermittel
306 H. Chmiel

. Abb. 9.7  Prinzip des Zetapotenzials (nach [64]) . Abb. 9.8  Zetapotenziale als Funktion des pH-Wertes für
Aluminiumoxid, Feldspat und Hefe S. carlsbergensis (nach [103])

(Aluminiumoxid und Feldspat) und einen Mikroorga- Mit den gleichen Filtermitteln folgten Filtra-
nismus (Saccharomyces carlsbergensis) als Funktion tionsuntersuchungen bei pH 6. In . Abb. 9.9 sind
des pH-Wertes ermittelt (. Abb. 9.8). Für den Mikro- sowohl der Verlauf der Trübung (als Trübungsver-
organismus wurde über den pH-Bereich von 4 bis 10 hältnis) als auch die Druckdifferenz über das Bett-
ein konstantes Zetapotenzial von −5 mV gemessen. volumen dargestellt.
9

. Abb. 9.9  Trübung (schwarz) und Druckverlust (rot) bei der Filtration verschiedener Filtermittel bei pH 6: (a) Aluminiumoxid;
(b) Feldspat (nach [103])
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
307 9
Beim Aluminiumoxid (Filtermittel mit positivem Konzentrationsverdünnung, kann aber – durch
Zetapotenzial) wird die Trübung um mehr als 98 % geeignete Wahl des Rückspülmediums – als Schritt
reduziert, allerdings steigt die Druckdifferenz inner- zur Zellwäsche genutzt werden.
halb weniger Bettvolumina auf fast 2 bar an. Der Für den technischen Einsatz bieten sich eine Viel-
Feldspat (Filtermittel mit negativem Zetapotenzial) zahl von Filterapparaten an. In . Abb. 9.10 und 9.11
zeigt eine nur unwesentlich geringere Reinigungs- sind beispielhaft zwei kontinuierlich arbeitende Filter
leistung, jedoch bei einer Druckdifferenz von ledig- schematisch dargestellt.
lich Δp = 0,2 bar. Erst nach einer Filtrationsdauer Der in . Abb. 9.10 dargestellte Vakuum-Trom-
von 25 Bettvolumen tritt bei diesem Filtermittel eine melfilter besitzt eine zylindrische Trommel deren
deutliche Trübung des Filtrats auf (Rückhalt <94 %). doppelwandiger Mantel in einzelne Zellen unterteilt
Als Ergebnis dieser Untersuchungen kann festgehal- ist. Die Trommel taucht zum Teil in die Suspension
ten werden, dass man durch Wahl eines Filtermittels ein. Das Filtrat wird über Leitungen zum sogenann-
mit gleichnamiger elektrischer Ladung, wie die der ten Steuerkopf geführt. Durch langsame Drehung
zu entfernenden Partikel, eine optimale Tiefenfilt- der Trommel passieren die einzelnen Zellen vier ver-
ration erzielen kann. Es entsteht keine Deckschicht schiedene Filtrationsphasen:
an der Oberfläche des Schüttbetts, sondern die abzu- 1. Filtrierphase; durch Vakuum erzeugte
trennenden Partikel lagern sich gleichmäßig in den Kuchenbildung
Hohlräumen des Filtermittels ab. Ergebnis ist eine 2. Waschphase; Kuchenwäsche mittels
Tiefenfiltration bei niedrigen Differenzdrücken. Waschflüssigkeit
Ein weiterer Vorteil ist die sehr gute Rückspülbar- 3. Trocknungsphase; Entfeuchtung mit möglicher
keit dieses Filters [103]. Auspressung des Filterkuchens
Daraus leitet sich für die Praxis ab, dass als Fil- 4. Kuchenentfernung; Abnahme des Filterku-
terhilfsmittel Partikel mit einer – unter Betriebs- chens vom Filtertuch.
bedingungen – negativen elektrischen Ladung
gewählt werden sollten. Bei der Filtration lagern Bei dem in . Abb. 9.11 gezeigten Bandfilter erfolgt
sich dann die ebenfalls negativ geladenen Zellen der Suspensionszulauf links am Anfang eines umlau-
locker in den Hohlräumen zwischen den Partikeln fenden Filtertuchs. Das Filtrat wird über den an der
ein (.  Abb. 9.6d), sodass ein kurzer Rückspülim- Unterseite des Bandes angelegten Unterdruck abge-
puls genügt, um sie in hoher Konzentration wieder saugt. Der Filterkuchen bildet sich auf dem Tuch.
freizusetzen. Dies bedeutet zwar eine gewisse Er kann durch Auswaschen, Dämpfen, Extraktion

. Abb. 9.10  Verfahrensschema


eines Vakuum-Trommelfilters (mit
freundlicher Genehmigung der Fa.
Andritz KMPT GmbH)
308 H. Chmiel

Suspensionszulauf

Kuchenabnahme

Filtratablauf

. Abb. 9.11  Verfahrensschema eines kontinuierlich arbeitenden Bandfilters nach Stieß [119]

oder Trockensaugen weiterbehandelt werden. An zunächst über eine L-Profilwalze, die für einen
der Umlenkung des Bandes wird der Filterkuchen schnellen Flüssigkeitsabfluss nach beiden Seiten
abgeschält. sorgt. Im Anschluss wird das Produkt über Press-
Bei allen bisher genannten Filtrationsverfahren – walzen mit abnehmendem Walzendurchmesser
übrigens auch bei den Zentrifugationsverfahren – endgepresst. Durch wechselnde Druck- und Scher-
ist die Biomassekonzentration im Retentat, wie im belastung wird das Produkt effizient und schnell
folgenden Kapitel noch gezeigt wird, für die nach- entfeuchtet.
folgende Zelllyse oft noch zu niedrig, sodass sich Bei großen Durchsätzen, hohem Feststoffge-
eine weitere Aufkonzentrierung empfiehlt. Diese halt, und wenn hohe Biomassekonzentrationen
ist mit der kontinuierlich arbeitenden Bandpresse erzielt werden sollen, bietet sich die in . Abb. 9.13
(. Abb. 9.12) möglich. gezeigte diskontinuierlich arbeitende Rahmenfil-
9 Die vorkonzentrierte Zellsuspension wird oben terpresse an. In die Hohlräume, die ein Filtertuch
links kontinuierlich und gleichmäßig auf das Unter- bildet, das über Platten und Rahmen gespannt ist,
band aufgegeben. Über die Keilzone wird das Ober- wird die Biosuspension unter hohem Druck einge-
band auf das Produkt geführt. Durch die Biegung presst. Am Ende des Filtrationsvorgangs können die
sorgt es für einen gleichmäßig ansteigenden Flä- Platten auseinandergefahren und die – ggf. mehr-
chendruck und formt dabei einen stabilen Produkt- fach gewaschene und entwässerte – Biomasse ent-
kuchen. Im Pressbereich erfolgt die Entwässerung nommen werden.

. Abb. 9.12  Verfahrensschema einer kontinuierlich arbeitenden Bandpresse (mit freundlicher Genehmigung der Fa.
Flottweg)
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
309 9

. Abb. 9.13  Schematische Darstellung einer Rahmenfilterpresse

Weitere Filterapparate werden von Stieß [119]


erläutert.
Nicht zum Thema „Aufkonzentrierung der Bio-
masse“ jedoch zur Filtration gehörend, soll abschlie-
ßend noch die Sterilfiltration erwähnt werden.
Hierfür wird nochmals . Abb. 9.1 zitiert:
Neben den diversen Zu- und Abluftfiltern am
Bioreaktor, dem Nährlösungstank und dem Impf-
kulturbehälter gibt es eine große Zahl von Sterilfilt-
rationsschritten in der wässrigen Phase, z. B. bei der
Produktgewinnung, Produktreinigung und Konfek-
tionierung [65]. Insbesondere bei der Bioproduktion
parenteraler Pharmaka reichen die Bedingungen der
Good Manufacturing Practice (GMP 1989) nicht aus.
Wegen ihrer thermischen Labilität können diese Pro-
. Abb. 9.14  Schematische Darstellung einer Filterkerze
dukte nicht hitzesterilisiert werden. Gemäß den Vor-
schriften der U.S. Food and Drug Administration ist
jedoch eine Sterilisation mittels 0,2-µm-Filter, wie er in Verfahren, die für den Zellaufschluss Verwendung
. Abb. 9.14 schematisch dargestellt ist, zulässig. finden.
Bei den mechanischen Verfahren haben sich Ult-
raschall und Gefrierdispersion vor allem im Labor-
9.2 Zellaufschluss maßstab bewährt. Für den Aufschluss von Mikro-
organismen im Produktionsmaßstab werden bisher
Die Zerstörung der Zellwand – der Zellaufschluss – fast ausschließlich Kugelmühlen und Hochdruck-
ist ein wichtiger Verfahrensschritt bei der Gewin- homogenisatoren verwendet, die für andere Anwen-
nung intrazellulärer Produkte. Bei der Wahl geeig- dungen entwickelt wurden (z. B. für die Emulgierung
neter Verfahren ist – neben dem allgemeinen Aspekt von Lebensmitteln).
der Wirtschaftlichkeit – zu berücksichtigen, dass es In dem Maße in dem immer neue intrazelluläre
sich um biologisch aktive Moleküle handelt. Der Produkte mit unterschiedlichen Randbedingungen
Aktivitätsverlust sollte so gering wie möglich gehal- gewonnen werden, wächst das Interesse an möglichst
ten werden. . Tab. 9.1 gibt einen Überblick über angepassten Aufschlussverfahren. So erfordert z. B.
310 H. Chmiel

. Tab. 9.1  Verfahren zum Zellaufschluss

Mechanische Verfahren physiko-chemische Verfahren biologische Verfahren

Ultraschall osmotischer Druck Einwirkung von


Kugelmühlen Gefrieren und Auftauen Viren
Homogenisatoren Gefriertrocknung Phagen
hydrodynamische Kavitation Lösungsmittel, Säuren, Basen Antibiotika
Detergentien lytischen Enzymen

die Freisetzung schersensitiver Enzyme andere Rand- wirkten. Auf diese Weise konnten im Überstand ca.
bedingungen, als die Gewinnung von Lipiden aus 50 % der insgesamt in den Zellen vorhandenen Poly-
Algen mit dem Ziel der Produktion von Biodiesel. saccharide selektiv gewonnen werden. Das zellreiche
Unter diesem Gesichtspunkt werden im Folgenden Sediment wurde in einer zweiten Mühle, die zu 48
alternative Verfahren zum Zellaufschluss vorgestellt. Vol-% mit Zirkonoxid-Kugeln (0,8–1,0 mm Durch-
messer, Dichte 3,8 g/cm3) gefüllt wurde, für 30 min
gemahlen. Zirkonoxid-Kugeln wurden wegen ihrer
9.2.1 Kugelmühlen höheren Dichte gewählt, da sich dadurch auch die
Normalspannungen auf die Zellen erhöht. Am Ende
Kugelmühlen sind in der Verfahrenstechnik zur erhielt man das zytoplasmatische Produkt, die Anti-
9 Zerkleinerung von Feststoffen seit vielen Jahrzehn- oxidantien (TEAC), nahezu vollständig. Die restliche
ten bekannt. Im Inneren eines horizontal gelagerten, Biomasse diente als Fischfutter. Den Energieaufwand
rotierenden Hohlzylinders werden die Mahlkörper für den Gesamtprozess benannten die Autoren mit
(Kugeln) durch Reibungs- und Trägheitseffekte auf ca. 6,7 MJ/kg Biotrockenmasse.
eine gewisse Höhe mitgenommen und prallen dann
auf das zu zerkleinernde Gut. Die aufzuschließen-
den Zellen werden dabei Scher- und Normalspan- Rührwerkskugelmühlen
nungen ausgesetzt. Die Drehzahl und damit die Fallhöhe kann bei
Kugelmühlen ohne Einbauten verständlicherweise
nicht beliebig erhöht werden, da ab einer bestimm-
Konventionelle Kugelmühlen ten Drehzahl die Zentrifugalkraft die Mahlwirkung
Für die Gewinnung von Bioprodukten aus Cyano- aufhebt.
bakterien empfehlen Balasundaram et al. [7] den Bereits im Jahre 1928 schlug daher Szegvari vor,
Einsatz der Kugelmühle ohne bewegte Einbauten. die Mahlkörper – statt durch Rotation des Hohl-
Am Beispiel Chlorogloeopsis fritschii zeigten sie im zylinders – durch ein Rührwerk zu bewegen. 1948
Pilotmaßstab, dass bei geeigneter Wahl der Parame- setzte du Pont diesen Gedanken mit der sogenann-
ter Zellwand-assoziierte Produkte (Polysaccharide) ten sand mill, einer vertikal angeordneten Rühr-
und zytoplasmatische Produkte (Antioxidantien) in werksmühle, um. Das Mahlgut wurde unten zuge-
einem zweistufigen Verfahren voneinander getrennt führt und oben aus der offenen Mühle über ein Sieb
freigesetzt werden können. In der ersten Stufe wurde ausgetragen. Heute werden schnell laufende Rühr-
die aus einem Porzellanzylinder bestehende Kugel- werke geschlossener Bauart – sowohl in vertikaler
mühle zu 48 Vol-% mit bleifreien Glaskugeln (2,0– als auch in horizontaler Anordnung – für den Auf-
2,4 mm Durchmesser, Dichte 2,5 g/cm3) gefüllt und schluss unterschiedlichster Mikroorganismen einge-
mit einer Drehzahl von 500 min–1 für 20 min betrie- setzt. Dabei wird eine Fülle verschiedenartiger Rühr-
ben. Anschließend wurden die Glaskugeln abge- werke angeboten. So können die Antriebswellen mit
trennt und die zellreiche Phase durch Schwerkraft Stiften oder Scheiben bestückt sein. Letztere können
sedimentiert, wobei die in der wässrigen Oberphase zentrisch oder exzentrisch angeordnet und mit Boh-
verbleibenden Polysaccharide als Flockungsmittel rungen oder Schlitzen versehen sein (. Abb. 9.15).
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
311 9
. Abb. 9.15  Schematische
Darstellung von Rührwerken für
Kugelmühlen

Durch die radiale Beschleunigung der Mahlkör- die Effektivität der Produktfreisetzung ist daher emp-
per und deren Relativbewegung gegeneinander und fehlenswert. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse von
gegenüber dem fest stehenden Zylinder wirken auf Zellaufschlussuntersuchungen von Schütte et al.
das Mahlgut – in diesem Fall die Zellen – sowohl [111] ein optimales Aufschlussergebnis für Bäcker-
Scher- als auch Normalkräfte. Dies ist der Grund, hefe bei einer Drehzahl von 1500 min−1 und für Bak-
warum die spezifische Leistung, das ist die auf das terien bei 190 min−1 für die gleiche Rührwerkskugel-
Mahlraumvolumen bezogene installierte Leistung, mühle. Höhere Drehzahlen werden im Wesentlichen
bei Rührwerkskugelmühlen um den Faktor 100 in Erwärmung des Mahlgutes umgesetzt.
größer ist als bei konventionellen Kugelmühlen. Als Der optimale Mahlkörperfüllungsgrad, das Ver-
Mahlkörper werden für den Zellaufschluss meist hältnis von tatsächlichem zu maximal möglichem
bleifreie Hartglasperlen (zur Vermeidung von Akti- Mahlkörper-Schüttvolumen des Mahlraumes, ist vom
vitätsverlusten beim Produkt) mit einem Durchmes- Kugeldurchmesser abhängig, liegt aber bei 80 % für
ser von etwa 0,1–1 mm eingesetzt. Für hochviskose 0,5 mm bzw. 85 % bei 1 mm Kugeldurchmesser. Bei
Medien werden auch Kugeln höherer Dichte, z. B. einem Füllungsgrad unter dem Optimum nimmt die
aus Zirkonoxid, eingesetzt, doch wiegt ein eventu- Aufschlusseffektivität deutlich ab, über dem Optimum
ell besseres Mahlergebnis nur in seltenen Fällen den steigen Erwärmung und Verschleiß der Glaskugeln.
wesentlich höheren Preis und die schlechtere Ver- Der Einfluss der Suspensionskonzentration auf
fügbarkeit auf. Der im Mittel mit 0,5 mm angegebene die Effektivität wird in der Literatur allgemein als
Kugeldurchmesser macht deutlich, welche konstruk- gering angegeben [111].
tiven Anforderungen an die Mahlgut-Mahlkörper- Die Mahlguttemperatur sollte so niedrig wie
Separation gestellt werden, die in Form von Siebpa- möglich gehalten werden. Einerseits wird während
trone, rotierendem Spaltsieb oder im Lagergehäuse des Zerkleinerungsvorgangs erhebliche Energie in
integriertem Ringspalt realisiert wird. Im Folgenden Wärme umgesetzt, andererseits beginnt die Dena-
sollen einige Parameter bezüglich ihres Einflusses auf turierung der aus der Zelle freigesetzten Proteine
den Zellaufschluss untersucht werden. oft schon sehr früh. Curie et al. [32] fanden, dass
Die Drehzahl des Rührwerks ist zwar keine die Desintegration der Zellen in einer Kugelmühle
unmittelbare Kenngröße, bestimmt aber – bei einem Prozess erster Ordnung folgt
bekannter Geometrie – die mittlere Umfangsge-
schwindigkeit. Mit steigender Umfangsgeschwin- Rm
K ⋅ t = ln  Gl. 9.8
digkeit nehmen Kollisionshäufigkeit der Mahlkör- Rm − R
per und Schergeschwindigkeit zu. In gleichem Maße
erhöhen sich aber die Temperatur im Mahlgut, die Rm = maximal freisetzbarer Proteingehalt
notwendige Antriebsleistung sowie der Verschleiß R = Proteingehalt zur Zeit t
der Mahlkörper. Eine Optimierung im Hinblick auf K = Aufschlussgeschwindigkeitskonstante
312 H. Chmiel

und dass die Aufschlussgeschwindigkeitskonstante den hydrodynamischen Zellaufschlussverfahren


K von Bäckerhefe bei 5 °C um 20 % höher ist als bei noch Dehnspannungen und Kavitationsbeanspru-
40 °C. Das legt nahe, das Mahlgut auf 5 °C herunter chungen hinzu. Im Gegensatz zu den drei erstge-
zu kühlen, bevor man es der Rührwerkskugelmühle nannten Beanspruchungen wurde die Kavitation in
zuführt. Dies vermindert auch das Kühlproblem 7 Kap. 4 nicht behandelt. Das Prinzip soll daher hier
innerhalb der Mühle. kurz erläutert werden. Unter Kavitation versteht man
Es ist zu erwarten, dass der größte Einfluss auf die Bildung und das plötzliche Kollabieren von Gas-
das Mahlergebnis von der Rührwerksgeometrie blasen in Flüssigkeiten. Sie ist Folge abrupter Druck-
ausgeht. Von Stehr und Schwedes [118] durchge- änderungen. Senkt man in einer Flüssigkeit den Druck
führte verfahrenstechnische Untersuchungen an unter den Verdampfungsdruck, so bilden sich Blasen,
Rührwerkskugelmühlen haben ergeben, dass die bei einer plötzlichen Druckerhöhung kollabieren.
55 man es in der Regel mit einem voll turbulenten Dabei werden lokal extrem hohe Energien in Form
Strömungszustand zu tun hat, von Druck und Temperatur frei. Dieser als Kavitation
55 die mittlere Verweilzeit des Mahlgutes bezeichnete Vorgang wurde vor ca. 100 Jahren von
näherungsweise mit der sogenannten idealen Lord Rayleigh entdeckt und für die an schnell laufen-
Füllzeit den Schiffsschrauben beobachteten Zerstörungen ver-
antwortlich gemacht. Seitdem ist die Kavitation ein
VMahlraum − VMahlkorper
 gefürchtetes Phänomen bei schnell laufenden Pumpen
tf =
QMahlgut
und Propellern. Kavitation kann auch auf akustischem
Wege erzeugt werden und wird bereits als Ultraschall-
9 55 gleichgesetzt werden kann (Durchsatz Q Malgut = verfahren zum Aufschluss von Mikroorganismen
Volumenstrom des Mahlgutes durch die Mühle), genutzt (akustische Kavitation). Gogate et al. [40]
55 die Verweilzeitverteilung so eng wie möglich beschreiben beispielsweise eine Apparatur, bei der
gehalten werden müsste, um ein gutes sechs Ultraschallgeber konzentrisch auf ein Quarz-
Mahlergebnis zu erzielen. Das heißt die rohr gerichtet sind. Bei Betrieb dieser Ultraschallge-
Rückvermischung, die eine erhöhte Aufent- ber mit geeigneten Frequenzen (16 KHz –100 MHz)
haltsdauer eines Teils des Mahlgutes mit werden die Zellen einer durch das Quarzrohr strö-
entsprechender Erwärmung und der damit menden Biosuspension durch die entstehenden und
verbundenen Gefahr der Produktinaktivierung kollabierenden Mikroblasen problemlos zerstört. Bei
bedeutet, sollte möglichst vermieden werden. einer Übertragung in den technischen Maßstab ver-
Da die Rückvermischung mit steigendem liert das Verfahren allerdings drastisch an Wirkungs-
Durchsatz abnimmt und der Energieverbrauch grad. Es kommt hinzu, dass dann der Vorteil des
nur unwesentlich mit dem Durchsatz steigt, gezielt hohen Energieeintrags verloren geht.
empfehlen Kula und Schütte [71] mit einem Gogate und Pandit [41] widmeten sich daher der
möglichst hohen Durchsatz zu fahren. Bei hydrodynamischen Kavitation mit dem Ziel, sie für
ungenügendem Aufschlussgrad sollte besser Zellaufschluss und chemische Reaktionen zu nutzen
eine zweite Mahlstufe gewählt werden. (7 Abschn. 9.2.2.3).
Bei den im Folgenden vorgestellten hydrody-
Vergleichende Untersuchungen verschiedener Rühr- namischen Zellaufschlussverfahren kann – abhän-
werke findet man in der Literatur [33, 72, 79, 89]. gig von den Betriebsbedingungen – neben den
erwünschten Beanspruchungen parallel mehr oder
weniger Kavitation auftreten. Das gilt es zu beachten.
9.2.2 Hydrodynamischer
Zellaufschluss
Rotor-Stator-Homogenisatoren
Während in Kugelmühlen die aufzuschließenden Wie der Name bereits sagt, besteht der Rotor-Sta-
Mikroorganismen fast ausschließlich Scher- und tor-Homogenisator (RSH) aus einem Stator und
Normalspannungen ausgesetzt sind, kommen bei einem darin konzentrisch angeordneten Rotor, die
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
313 9
einen engen Spalt bilden. In der Regel handelt es sich wird die Flüssigkeit in . Abb. 9.16 am Ventilkörper
um eine konzentrische Zylinderanordnung, wie sie um 90° umgelenkt, gegen einen Prallring geschleu-
in . Abb. 4.8 als Couette-Rheometer dargestellt ist, dert und verlässt anschließend – mit einer mittleren
jedoch besitzen Rotor und Stator zahlreiche Öff- Strömungsgeschwindigkeit von etwa 300 m/s [21] –
nungen, um die Zellsuspension zuzuführen (in der über einen Ringspalt das Ventil. Dieses ursprünglich
Regel über die Hohlwelle des Rotors) und die auf- für die Homogenisierung von Flüssigkeiten (z. B. zur
geschlossenen Zellen (über den Stator) abzuführen. Herstellung von Emulsionen) entwickelte Verfahren
Uesugi et al. [124] propagieren eine Ausführung, bei wird zunehmend auch zum Zellaufschluss verwandt.
der Drehzahlen bis 60.000 min–1 erreicht werden Die Beanspruchung der Zelle während der
können. Zur Erhöhung der Schergeschwindigkeit Passage des Ventils ist komplex. Scher-, Normal-
können an beiden Zylindern auch scharfe Erhebun- und Dehnbeanspruchungen lösen sich ab bzw. über-
gen angebracht sein. Im technischen Maßstab kann lagern sich; örtlich hohe Energiedichten durch Tur-
der Rotor auch mit Blättern versehen sein, an deren bulenz und Kavitation leisten ein Übriges. So ist es
äußeren Spitzen Geschwindigkeiten bis zu 50 m/s nicht verwunderlich, dass exakte Angaben über die
auftreten. Daraus resultieren Schergeschwindigkei- Schädigungsmechanismen nicht bekannt sind und
ten von 105 s–1 bis 106 s–1. Sahirgaonkar et al. [100] eine Optimierung des Aufschlussergebnisses dem
berichten von Versuchen mit einem RSH, bei dem Experiment überlassen bleibt. Zwar ist die Zahl der
der Rotor einen Durchmesser von 17 mm hatte. Bis variierbaren Parameter für vorgegebene Geometrie
zu einer Drehzahl von 510 s–1 traten hauptsächlich mit den Größen Homogenisierdruck, Konzentration
Scherspannungen auf. Oberhalb dieser Drehzahl war der Zellsuspension und deren Temperatur kleiner als
die Kavitation als Aufschlussmechanismus domi- bei der Rührwerkskugelmühle, aber bereits geringfü-
nant. Unter erstgenannten Bedingungen wurden gige konstruktive Änderungen am Ventil zeigen eine
800 mL einer Hefesuspension (Saccharomyces cerevi- große Wirkung auf das Aufschlussergebnis.
siae) mit einer Konzentration von 10 g/L nach 15 min Neben dem Design des Homogenisierventils hat
vollständig aufgeschlossen. Der Energieverbrauch ohne Zweifel der Homogenisierdruck den größten
betrug 540 MJ/kg Trockenmasse. Einfluss auf die mechanische Zelllyse. Analog der
Nassvermahlung entspricht auch der Aufschluss
mittels HPH einer Kinetik erster Ordnung und lässt
Hochdruckhomogenisatoren sich analog Gl. 9.6 durch einen Ansatz der Form
Das Arbeitsprinzip des Hochdruckhomogenisa-
tors (HPH) besteht im Aufbau eines hohen Flüssig- Rm
K ⋅ N ⋅ p a = ln  Gl. 9.9
keitsdruckes von bis zu 150 MPa (1500 bar) mittels Rm − R
Kolbenpumpen, der durch Öffnen eines Ventils für
einige Millisekunden und geeignete Strömungsfüh- b e s ch reib en, mit N = Z a h l der Pass agen
rung auf kurzer Strecke abgebaut wird. Beispielsweise durch das Hochdruckhomogenisierventil, p =

. Abb. 9.16  Schematische Dar-


stellung eines Hochdruckhomogeni-
sierventils
314 H. Chmiel

Homogenisierdruck; der Exponent a ist abhängig zunehmendem Arbeitsdruck steigt allerdings auch
von der Art der aufzuschließenden Mikroorga- die mechanische Beanspruchung und die damit ver-
nismen und liegt zwischen 1 und 3. Hetherington bundene Abnutzung des Ventils des HDH. Selbst
et al. [55] bestimmten z. B. für Bäckerhefe einen Ventile aus Wolframcarbid zeigen nach kurzer Zeit
Exponenten von 2,9. Schütte und Kula [112] finden einen Verschleiß an den Flächen, an denen die Zell-
für Bäckerhefe bei 55 MPa dreimal mehr Enzym suspension auftrifft.
im Überstand als bei 30 MPa und empfehlen, zu Zu einem anderen Ergebnis kamen Uhlmann
noch höheren Drücken zu gehen, da eine einmalige et al. [125] für die sogenannte zellfreie Biosynthese
Passage des Homogenisierventils selbst bei 55 MPa (CFPS), ein biotechnologisches Produktionssystem,
nur 45 % der prinzipiell möglichen Enzymmenge das es ermöglicht, in vitro, unabhängig von leben-
freisetzt. Die Erwärmung, die in der Literatur all- den Zellen, Proteine schnell, sicher und rein herzu-
gemein mit ca. 8,5 °C pro 100 bar angegeben wird, stellen, die mit herkömmlichen Systemen schwie-
setzt für temperaturempfindliche Enzyme Grenzen. rig oder gar nicht exprimiert werden können. Dazu
Dagegen spielt die Konzentration der Zellsus- zählen Toxine, rekombinante Antikörper und Mem-
pension nach Brookman [21] zwischen 10 % und branproteine. Ausgangspunkt der zellfreien Synthese
80 % für das Aufschlussergebnis keine Rolle. Deshalb ist die Herstellung eines Lysats. Für das prokaryoti-
empfehlen zahlreiche Autoren (z. B. [71]) aus wirt- sche System setzt man meistens einen Zellextrakt aus
schaftlichen Gründen, die Konzentration so hoch Escherichia coli (E. coli), das sogenannte S30 Lysat
wie möglich zu wählen. Olmstead et al. [93] unter- ein. Dabei bestimmt die Qualität des Lysats maß-
suchten für die Biodieselgewinnung aus Mikroalgen geblich die Ausbeute der zellfreien Proteinsynthese.
9 (Nannochloropsis sp.) den Einfluss der Zellkonzen- Im S30 Lysat müssen alle wesentlichen Faktoren für
tration auf die extrahierten Lipide beim Zellauf- die Proteinexpression vorhanden sein. Dem einfa-
schluss mittels HPH. Aus einem Zellkonzentrat von chen CFPS System werden lediglich Nucleotid-tri-
30 % wurde durch Verdünnung mit Wasser eine phosphate, Aminosäuren und ggf. tRNA zugesetzt.
Reihe von Suspensionen zwischen 20 % und 25 % Bei der Herstellung der zellfreien Produktionssys-
eingestellt und bei 35 °C für 15 h inkubiert. Nach teme mittels Hochdruckhomogenisatoren fanden
einer einmaligen HPH-Passage mit einem Druck Uhlmann et al. [125] bezüglich der Ausbeute ein
von 120 Mpa, die mit einer Temperaturerhöhung Optimum bei ca. 400 bar und einer einmaligen
um 24 °C verbunden war, wurden die Lipide mit Passage des HPH. Höhere Drücke und mehrfache
Hexan in zwei Stufen extrahiert und der Überstand Passage des HPH reduzierten die Ausbeute in der
mittels Zentrifuge abgetrennt. Die anschließende zellfreien Synthese.
Analyse ergab, dass bei der 30 %-igen Algensuspen- Bei der Übertragung der Ergebnisse vom Labor-
sion mit Abstand die größte Menge an Lipiden extra- in den Pilot- und technischen Maßstab beobachte-
hiert werden konnte (70 % der insgesamt verfügba- ten Yap et al. [141] eine beträchtliche Abnahme der
ren Lipide). Untersuchungen von Yap et al. [141] an Durchflussrate mit steigendem Homogenisierungs-
einer Verdünnungsreihe lipidhaltiger Algen (Nan- druck, was sie einer geänderten Fördercharakte-
nochloropsis sp. mit einem Triacylglyceringehalt ristik der größeren Kolbenpumpen zuschrieben.
(TAG) von 30 %) mit Biomassekonzentrationen von Daraus resultiert auch, dass Druckoptima zur Frei-
0,1 g/L bis 25 g/L und Drücken bis 150 MPa ergaben setzung scherempfindlicher Zellinhaltsstoffe (z. B.
im Labormaßstab, dass sowohl die Durchflussrate, Enzyme) bei der HPH im Labor-, Pilot- und techni-
als auch der Anteil an desintegrierten Mikroalgen schen Maßstab weit auseinander liegen können, da
zwar vom Druck aber nur unwesentlich von der Bio- die Zellaufschlussmechanismen (Anteil von Scher-,
massekonzentration abhängt. Das bedeutet, dass ein Normal-und Dehnbeanspruchungen sowie Kavita-
HPH pro Zeiteinheit bei einer Biomassekonzentra- tion) sich unterscheiden. Diese Optima müssen also
tion von 25 % ca. 10-mal mehr Zellen aufschließt, für jede Größe und konstruktive Änderung des HPH
als bei einer Suspension von 2,5 %. Es ist daher aus experimentell neu bestimmt werden.
wirtschaftlichen Erwägungen sinnvoll, möglichst Middelberg [88] gibt einen guten Überblick über
an die technische Grenze des HPH zu gehen. Mit Hochdruckhomogenisatoren.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
315 9
Hydrodynamische Im Idealfall entsteht Kavitation bei Cvi = 1, jedoch
Kavitationsverfahren wird sie auf Grund von gelösten Gasen oder Ver-
Es war bereits darauf hingewiesen worden, dass unreinigungen auch bereits bei Cv > 1 beobachtet.
sowohl beim Rotor-Stator-Homogenisator als auch Gogate und Pandit [40] schlagen vor, Cv im Bereich
dem Hochdruck-Homogenisator neben Scher-, von 0,1–1,0 zu wählen. Ziel sollte es sein die Größe
Normal- und Dehnspannungen bei entsprechen- der kavitationsgenerierenden Nuclei (Blasen) so
den Betriebsbedingungen auch Kavitation auftritt. klein wie möglich zu halten. Bei der Übertragung in
Gogate und Pandit [41] haben sehr anschaulich das den technischen Maßstab wird empfohlen, statt einer
Prinzip der hydrodynamischen Kavitation und deren einzelnen großen Verengung lieber eine Drossel
technische Anwendung erläutert (. Abb. 9.17). mit einer Vielzahl von kleinen Bohrungen gemäß
Durchströmt eine Flüssigkeit ein Rohr mit dem . Abb. 9.18 zu benutzen.
Druck p1 und der mittleren Geschwindigkeit v1 eine Dies vereinfacht das scale-up und erhöht die Fle-
Verengung (. Abb. 9.17a), so kommt es gemäß Ber- xibilität. Lee et al. [75] beschreiben eine solche Ver-
noulli unmittelbar nach der Verengung auf Grund suchsanordnung für den Aufschluss der Mikroalge
der Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit auf Tetraselmis suecica und die anschließende Extrak-
v0 zu einem drastischen Druckabfall (. Abb. 9.17b). tion der Lipide mit dem Ziel der Produktion von
Unterschreitet der Druck dabei den Verdampfungs- Biotreibstoffen. In . Abb. 9.18 ist die Versuchsan-
druck pv der Flüssigkeit, so bilden sich Kavitations- lage schematisch dargestellt. Der thermostatisier-
blasen, die durch anschließende Druckerhöhung auf bare Tank T wurde für jeden batch-Versuch mit 40
p2 kollabieren. Ein Maß für die Kavitationsintensität L Algensuspension gefüllt. Die Zentrifugalpumpe
ist die dimensionslose Kavitationszahl Cv C wurde von einem 11 kW-Motor angetrieben.
Die Durchflussmessung in den Edelstahlrohren
(Innendurchmesser 30 mm) erfolgte elektromag-
Cv = 2 ⋅
( p2 − pv )  Gl. 9.10 netisch. Als Drossel (Strömungsverengung) wurde
ρ ⋅ v02 die in . Abb. 9.18 rechts dargestellte Platte mit 33

. Abb. 9.17  Strömungsverlauf (a) a


und Druckverlauf (b) in einem Rohr mit 1 V 2
plötzlicher Verengung mit dem Ziel
einer hydrodynamischen Kavitation
(nach Gogate und Pandit [41])
mittlere
Strömungs- v1 vV v2 = v1
geschwindigkeit

Strömungsblende Vena contracta

P1
Druck

P2

PV

Distanz in Strömungsrichtung
316 H. Chmiel

P2

Drosselplatte
Bypass-Linie

V2 V3

P1
V1
Zentrifugal-Pumpe

. Abb. 9.18  Schematische Darstellung des Experimentalaufbaus für einen hydrodynamischen Kavitationsreaktor (nach
Gogate und Pandit [41])
9
Bohrungen von je 1 mm Durchmesser verwendet. 55 Zunehmende Zellkonzentration (und damit
Die zentrifugierten Algen wurden mit gefiltertem Viskosität) reduziert die Effektivität der
Meerwasser auf eine Suspension von 1,5–2,0 % Bio- Kavitation.
trockenmasse eingestellt. Als Maß für den Zellauf-
schluss wurden sowohl die freigesetzten Lipide als Die letztgenannte Empfehlung steht leider im Wider-
auch das Chlorophyll bestimmt. Es zeigte sich, dass spruch zur Forderung von Yap et al. [141] nach mög-
zur Extraktion der Lipide offensichtlich ein vollstän- lichst hoher Zellkonzentration zum wirtschaftlichen
diger Zellaufschluss nicht erforderlich ist. Während Aufschluss von Zellen.
der spezifische Energieaufwand zur vollständigen
Extraktion der Lipide 3 MJ/kg Biotrockenmasse
betrug, lag der analoge Wert für Chlorophyll bei 9.2.3 Physiko-chemische und
15 MJ/kg. Mit 3 MJ/kg ist der Energieverbrauch um enzymatische Zelllyse
Größenordnungen kleiner als bisher in der Litera-
tur beschrieben. Er entspricht aber immer noch ca. Über einen verbesserten mechanischen Aufschluss
13 % der insgesamt aus der Biomasse gewinnbaren von Mikroorganismen nach Vorbehandlung mit
Energie und ist damit für einen wirtschaftlichen lytischen Enzymen berichten mehrere Autoren [8,
Prozess zu hoch. 127]. Auch die Vorbehandlung mit einer Mischung
Aus den Optimierungsempfehlungen von von EDTA und Lysozym erleichtert den mechani-
Gogate und Pandit [41] ließen sich noch anbringen: schen Aufschluss [82]. Man muss sich aber dessen
55 Optimierung des Durchmessers der bewusst sein, dass jede zugesetzte Komponente die
Bohrungen und des Verhältnisses der freien anschließende Produktreinigung kompliziert. Ande-
Fläche aller Bohrungen zu derjenigen nach der rerseits kann ein Bioprodukt, das empfindlich für
Verengung, thermische oder mechanische Beanspruchung ist,
55 Gelöstes Gas oder Lösungsmittel senken den durch physiko-chemische oder enzymatische Lyse
Kavitationsdruck, mit geringerem Aktivitätsverlust freigesetzt werden.
55 Turbulenz hinter der Verengung unterstützt die Fonseca und Cabral [34] haben die Gewinnung
Zellruptur, von Penicillin-Acylase aus Escherichia coli mittels
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
317 9
Hochdruckhomogenisation und osmotischem Der Hochdruckhomogenisator ist derzeit der
Schock miteinander verglichen. am häufigsten eingesetzte Zellaufschluss-Apparat.
Die Zelllyse durch osmotischen Schock erfolgt Bei der Freisetzung scherempfindlicher Produkte
in drei Schritten: muss der Druck optimiert werden. Hier ist darauf
55 Zentrifugation und Waschen in 0,1 mol/L Tris- zu achten, dass im Labormaßstab bestimmte opti-
HCl-Puffer bei pH 8,0 und 0,05 mol/L NaCl für male Drücke bei der Maßstabsübertragung nicht
15 Minuten. übernommen werden können. Wegen konstrukti-
55 Equilibrierung in hypertoner Lösung ver Unterschiede der Kolbenpumpen und Ventile
(0,25 mol/L Tris-HCl-Puffer, pH 8,0; gibt es offensichtlich auch Unterschiede in den
0,0125 mol/L EDTA und 20 g/L Sucrose) für Zellaufschluss-Mechanismen. Aus wirtschaftli-
20 Minuten. chen Erwägungen sollte bei der Gewinnung von
55 osmotischer Schock; die Zellsuspension wird Lipiden für die Produktion von Biokraftstoffen
für 15 Minuten bei 5 °C mit 11 300 g zentri- zum Aufschluss der Mikroalgen ein möglichst
fugiert. Das Zellkonzentrat wird anschließend hoher Druck (bis 150 MPa) gewählt werden. Die
für 10 Minuten in destilliertem Wasser Biomassekonzentration und der Gehalt an Tri-
resuspendiert. acylglycerin (TAG) sollten so hoch wie möglich
sein und das gewünschte Ergebnis mit einer ein-
Die so gewonnene Penicillin-Acylase hatte eine um maligen Passage des HPH erzielt werden [141].
ein Vielfaches höhere spezifische Aktivität, vergli- Speiden et al. [116] empfehlen auf Grund von Ver-
chen mit derjenigen mittels Hochdruckhomogenisa- gleichsuntersuchungen an Nannochlorepsis sp. und
tion. Ähnlich erfolgreich waren Wahlund et al. [130] Teraselmis suecica auf letztere überzugehen, weil
bei der Gewinnung von Plasmid-DNA und Chae der Energieaufwand zum Aufschluss der letztge-
et al. [27] bei der Freisetzung sogenannter inclusion nannten Mikroalgen ca. 40 % geringer ist, wobei
bodies (große Proteinaggregate) jeweils aus Escheri- möglichst ein TAG-Gehalt von 30 % angestrebt
chia coli mit einer leicht abgewandelten Methode des werden sollte.
osmotischen Schocks. Die hydrodynamische Kavitation ist immer dann
interessant, wenn das intrazelluläre Produkt weder
Temperatur- noch scherempfindlich ist. Ideal ist,
9.2.4 Wahl des geeigneten wenn Lösungsmittel zugegeben werden können,
Zellaufschlussverfahrens weil dann die Kavitation früher einsetzt. Beson-
ders empfohlen wird die HC von Lee et al. [75]
Beim Vergleich der oben vorgestellten Zellauf- für den Aufschluss von Algen zur Produktion von
schlussverfahren stellt man fest, dass für die Gewin- Biokraftstoffen.
nung von Zellinhaltsstoffen auf Experimente nicht
verzichtet werden kann. Eine grobe Vorauswahl ist
aber möglich. Will man Zellwand-assoziierte und 9.3 Produktisolation,
zytoplasmatische Produkte getrennt voneinander -konzentrierung und
gewinnen, so empfiehlt sich nach Balasundaram [7] -reinigung
die konventionelle Kugelmühle.
Mikroorganismen mit kleinem Zelldurchmes- Die bisher beschriebenen Schritte der Aufarbei-
ser (z. B. Brevibacterium, Micrococcus und Nocar- tung beschränkten sich auf solche Produkte, die
dia) wurden nach Kula und Schütte [71] am besten intrazellulär anfallen (der Sonderfall, bei dem die
mit der Rührwerkskugelmühle unter Benutzung Zelle selbst das Produkt darstellt, soll nicht verfolgt
von Zirkonoxid-Kugeln (ca. 0,5 mm Durchmesser) werden).
aufgeschlossen. Nach dem Freisetzen des Produktes und der
Für den Einsatz des Rotor-Stator-Homogenisa- Abtrennung der Zelltrümmer laufen die weiteren
tors gibt es noch zu wenige Erfahrungen. Hier besteht Aufarbeitungsschritte für intra- und extrazelluläre
noch Entwicklungsbedarf. Produkte analog.
318 H. Chmiel

9.3.1 Präzipitation Verunreinigungen der Proteinpräparationen mit


Nucleinsäuren, also DNA und RNA, können insbe-
In 7 Abschn. 9.1.1 wurde die Sedimentation als sondere bei Rohextrakten aus Bakterien Probleme
einfachste Art der Abtrennung von Zellen aus durch hohe Viskositäten verursachen. Diese Verun-
der Fermentationsbrühe beschrieben. Nach dem reinigungen werden ausgefällt oder durch Zusatz von
Stokes’schen Gesetz ( Gl. 9.1) wächst die Sinkge- Nucleasen enzymatisch abgebaut.
schwindigkeit proportional mit dem Dichteunter- Zur Präzipitation werden das Antibiotikum
schied zwischen Partikel und fluider Phase, aber mit Streptomycinsulfat, wasserlösliche Polymere wie
dem Quadrat des Partikeldurchmessers. Polyethylenimin oder Protaminsulfat (ein Gemisch
Die Präzipitation nutzt diese Gesetzmäßigkeit. natürlicher Polypeptide mit terminalen Argininres-
Sie ist im Folgenden so definiert, dass durch geeig- ten, d. h. positiv geladene Polyelektrolyte, die mit
nete Maßnahmen Makromoleküle (z. B. Proteine) der negativ geladenen Nucleinsäure unlösliche Salze
aus der Lösung in Partikel (oder Aggregate, Flocken bilden), aber auch Mangansalze eingesetzt. Beliebt ist
etc.) überführt werden und dadurch sedimentieren. auch das „Aussalzen“ mit Ammoniumsulfat.
Nach dieser Definition unterscheidet sich die Präzi- Das Präzipitat stellt in der Regel keine reine Phase
pitation von der Kristallisation, bei der sich anstatt dar, es handelt sich vielmehr um Aggregate verschie-
amorpher Präzipitate geordnete Kristalle von Prote- dener Proteine, die in „frühen“ Reinigungsstufen
inmolekülen bilden. häufig noch Nucleinsäuren, Zellwandbruchstücke
Einige Autoren wie z. B. Harrison et al. [48] spre- und andere Partikel einschließen. Nur noch von his-
chen auch bei Proteinausfällung von „Kristallisation“, torischem Interesse ist die Tatsache, dass Proteine
9 wenn es sich um „reine“ Aggregate handelt. ursprünglich aufgrund ihrer Löslichkeit charakteri-
Für den ersten Schritt der Reinigung von Protei- siert wurden. So sind Globuline beispielsweise defi-
nen im großtechnischen Maßstab bietet sich die Prä- niert als „unlöslich in schwach ionischen Lösungen“
zipitation an. Sie wird bereits seit vielen Jahren zur (bei niedriger Ionenstärke), Albumine als „löslich in
Proteinfraktionierung von Blutplasma verwendet. stark verdünnten Lösungen“.
Die Präzipitation stellt das älteste Verfahren zur Die Verteilung hydrophiler (polarer) und hyd-
Reinigung und Aufkonzentrierung von Proteinen rophober (unpolarer) Seitengruppen der Polypep-
dar. Auch heute noch wird sie fast regelmäßig zur tidstruktur, die Größe und die Nettoladung bestim-
Vorreinigung, vor chromatographischen Schritten men die Löslichkeit der Proteine. Glykoproteine, die
und zur Konzentrierung sowohl im Labor- als auch kovalent gebundene Kohlenhydrate enthalten, sind
im industriellen Maßstab eingesetzt. Hochgereinigte in wässrigen Lösungen gut löslich, während bei Lipo-
Proteine lassen sich, abgesehen von wenigen Aus- proteinen – das sind nicht kovalente Proteinkonju-
nahmen, nur durch mehrstufige Prozesse erreichen, gate mit Lipiden – die Löslichkeit durch die hydro-
die eine Kombination von Fällungsschritten mit phoben Anteile beeinträchtigt wird.
chromatographischen Verfahren darstellen. Native Proteine sind besser wasserlöslich als
Die Präzipitation von Proteinen erfolgt durch denaturierte, bei denen oft hydrophobe Aminosäu-
Zusatz von Salzen, organischen Lösungsmitteln oder rereste aus dem Proteininneren an die Oberfläche
wasserlöslichen Polymeren, durch Veränderung des und in Kontakt mit dem Wasser kommen.
pH-Wertes oder der Temperatur. Dabei wird die Lös- Negative Ladungen werden in die Polypeptid-
lichkeit für Proteine vermindert. In der übersättig- struktur durch die Carboxylgruppen der sauren
ten Lösung aggregieren Proteine und fungieren als Aminosäuren Asparagin- und Glutaminsäure, posi-
Keime für das Ausfällen weiterer Proteine. Die Prä- tive durch die basischen Aminosäuren Lysin, Arginin
zipitation kann nur in den wenigsten Fällen so spe- und Histidin eingeführt, während die unpolaren
zifisch gestaltet werden, dass selektiv ein bestimmtes Aminosäuren Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin,
Protein ausfällt. Vielmehr liegen durch die Zugabe Prolin, Phenylalanin, Tryptophan und Methionin
von Fällungsmitteln in der Lösung Bereiche mit dem Protein hydrophobe Eigenschaften verleihen.
hoher Übersättigung vor, in denen unterschiedliche Von Bedeutung für die Löslichkeit der Proteine ist
Proteine sehr schnell und unspezifisch aggregieren. die Faltung und Assoziation der Proteinmoleküle in
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
319 9
der wässrigen Lösung, also die Sekundär- und Ter- im Folgenden erläuterten Verfahren das beste aus-
tiärstruktur. Die Polypeptidkette wasserlöslicher zuwählen und hierfür die optimalen Parameter zu
Proteine faltet sich so, dass die Seitenketten hydro- finden. Es läuft also zwangsläufig wieder auf Hoch-
philer Aminosäuren vorwiegend nach außen, hyd- durchsatzexperimente (engl. high throughput experi-
rophobe nach innen orientiert sind. Die Oberflä- ments oder high throughput screening, HTS) hinaus,
che eines typischen globulären Proteins ist mit etwa hier im Hinblick auf Proteinlöslichkeit bzw. Präzi-
45 % hydrophoben Aminosäureresten belegt. Für die pitation. Wiendahl et al. [136]) berichten über Mes-
Assoziation und Fällung von Proteinen ist zudem die sungen der Löslichkeit verschiedener Insulin-Va-
Hydrathülle (fest gebundenes Wasser) von Bedeu- rianten zur Bestimmung der Einflussparameter wie
tung. Die Wechselwirkungen der Proteine unterein- Konzentration, Puffer, pH, Verhalten am isoelektri-
ander und mit anderen gelösten Stoffen werden also schen Punkt und Ionenstärke sowie die Bedeutung
durch viele Faktoren bestimmt. des Einsalzeffekts (7 Abschn. 9.3.1.2).
Vereinfacht dargestellt, kann man die Wechsel- Die HTS-Experimente wurden mit einem Tit-
wirkungen zweier voneinander entfernter, gleichsin- rierroboter mit 96-Well-Mikrotiterplatten und acht
nig geladener Proteinmoleküle auf elektrostatische parallelen Nadeln sowie einem Photometer (Streu-
(abstoßende) und Van-der-Waals-Kräfte (anzie- lichtmessungen und UV-Absorptionsmessungen)
hende) reduzieren. In . Abb. 9.19 sind die Energien durchgeführt. Auf diese Weise konnte für eine große
für niedrige (1) und hohe (2) Salzkonzentrationen Zahl von Proteinen die Löslichkeit bei variierenden
qualitativ dargestellt. Man erkennt deutlich, dass bei Salztypen, Salzkonzentrationen und pH-Werten
hoher Ionenstärke die Reichweite der elektrostati- bestimmt werden. Diese Technik ist im Prinzip auf
schen Abstoßung und dadurch die Aktivierungs- alle nachfolgend vorgestellten Präzipitationsverfah-
energie der Assoziation vermindert sind. Das bei der ren anwendbar und wird in 7 Abschn. 9.3.4 über die
Kurve 2 zusätzlich vorhandene Minimum führt zur Solventextraktion im Detail vorgestellt werden.
Bildung lockerer Aggregate.
Auch bei der Präzipitation stellt sich wieder
die Aufgabe für ein vorgegebenes Protein aus den Methoden der Proteinfällung
Die verschiedenen Methoden der Präzipitation
können in drei Gruppen unterteilt werden:
1. Änderung der Eigenschaften des Solvents
durch Zugabe organischer Lösungsmittel oder
Salze. Verminderung der Wasseraktivität durch
hohe Konzentrationen
2. Änderung der Proteineigenschaften etwa durch
Neutralisation der effektiven Oberflächen-
ladung der Proteine und damit Verminderung
der Löslichkeit durch Zugabe geringer Mengen
Säure oder Basen
3. Affinitätspräzipitation, wobei das Protein
zunächst in Lösung einen spezifischen Affini-
tätskomplex mit einem geeigneten Liganden
bildet, der dann durch Quervernetzung (bifunk-
tioneller Ligand, Affinitätspräzipitation erster
Ordnung) oder durch Aufgabe eines geeigneten
Stimulus (stimuli-responsive materials,
Affinitätspräzipitation zweiter Ordnung) zur
. Abb. 9.19  Interaktionsenergien zwischen geladenen Präzipitation gebracht wird. Im Gegensatz zu
Teilchen als Funktion des Abstands für niedrige (1) und hohe allen anderen Präzipitationsverfahren ist die
(2) Salzkonzentrationen (Bell et al. [11]) Affinitätspräzipitation daher hochspezifisch.
320 H. Chmiel

Aussalzen dass in manchen Fällen Salze (hier NaCl) selbst bei


Dies ist die bis heute am häufigsten benutzte Methode hoher Ionenstärke keinen Aussalzeffekt bewirken.
der Enzymreinigung. Man geht davon aus, dass die Für die Löslichkeit eines Proteins gilt, wie
Wirkung in hohem Maße von der Hydrophobie des . Abb. 9.20b zeigt, für höhere Ionenstärken in erster
Proteinmoleküls abhängt. Beim Aussalzen wird das Näherung folgende empirische Beziehung [30]:
Kräftegleichgewicht in Richtung der hydrophoben
Wechselwirkungen verschoben. log S = β − K ⋅ I  Gl. 9.12
Die Löslichkeit eines Proteins wird stark durch
die Nettoladung, das ist die Summe der positiven und mit S = Löslichkeit des Proteins; β = Konstante (aber
negativen Ladungen, beeinflusst. In der Regel ist die abhängig von Temperatur und pH-Wert, Logarith-
Löslichkeit am isoelektrischen Punkt (IP) minimal mus der hypothetischen Löslichkeit bei einer Ionen-
(. Abb. 9.20a), das ist der pH-Wert, bei dem das Pro- stärke von 0); K = Aussalzkonstante; I = Ionenstärke.
teinmolekül eine Nettoladung von null hat. In der Regel präzipitieren Proteine mit hoher
Ein weiterer Parameter ist die Ionenstärke Molmasse leichter als solche mit niedriger Mol-
(. Abb. 9.20b). Sie ist definiert als: masse. Bei der Art und Menge der zugesetzten Salze
ist darauf zu achten, dass
1 55 das Salz anschließend wieder entfernt werden
I = Σ ciZi2  Gl. 9.11
2 muss,
ci = Konzentration des Ions i; Zi = Ladung des Ions i 55 zu viel Salz nicht nur unerwünschte Neben-
Bei niedriger Ionenstärke beobachtet man häufig, produkte mit präzipitiert, sondern auch zu
9 wie auch in . Abb. 9.20b gezeigt, einen sogenann- Konformationsänderungen und damit zu
ten Einsalzeffekt (salting in), bei hoher Ionenstärke einem Aktivitätsverlust des betreffenden
einen Aussalzeffekt (salting out). Als Fällungsmit- Proteins führen kann,
tel für Proteine wird bevorzugt Ammoniumsulfat 55 Salze nicht nur die Löslichkeit eines Proteins
(NH4)2SO4 eingesetzt, da es billig ist und mit hoher reduzieren, d. h. eine vollständige Fällung eines
Reinheit als Nebenprodukt organischer Synthesen Proteins aus einem Proteingemisch (Fraktio-
anfällt. Zudem hat es einen stabilisierenden Einfluss nierung) ist nicht möglich, was besonders bei
auf die Proteinkonformation. Die Präzipitation mit verdünnten Lösungen dazu führen kann, dass
Ammoniumsulfat kann besonders vorteilhaft mit der kein Protein gefällt wird,
in 7 Abschn. 9.3.7 beschriebenen Hydrophobic-Inter- 55 Salzpräzipitate über lange Zeit stabil sind, d. h.
action-Chromatographie kombiniert werden. Bei der vor proteolytischer Wirkung und Bakterien-
Fällung mit Ammoniumsulfat ist zu beachten, dass wachstum geschützt sind (konservierende
bei hohen pH-Werten Ammoniak freigesetzt wird Wirkung).
und dass es in Lebensmitteln und pharmazeutischen
Zubereitungen nicht enthalten sein darf. Zudem ist es Für den großtechnischen Maßstab ist die Salzpräzi-
korrosiv und schwierig zu entsorgen. Natriumsulfat pitation allerdings nur noch geeignet, wenn das Salz
und Phosphate sind dagegen bei Temperaturen unter in möglichst reiner Form wiedergewonnen und wie-
40 °C schlecht löslich. . Abb. 9.20b zeigt aber auch, derverwendet werden kann.

. Abb. 9.20  Einfluss (a) des


pH-Wertes (IP = isoelektrischer Punkt)
und (b) der Ionenstärke auf die
Löslichkeit von Proteinen
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
321 9
Präzipitation mittels Konzentrationen, in denen sie für die Präzipitation
organischer Lösungsmittel benötigt werden (>10 %) bakterizide Wirkung. Dies
Es gibt eine Reihe von Beispielen für die großtech- ist einer der Gründe, warum für die Proteinfraktio-
nische Präzipitation von Proteinen mittels Zugabe nierung von Blutplasma stark gekühltes Ethanol ver-
wasserlöslicher organischer Lösungsmittel. Hierzu wendet wird; man erhofft sich davon die Zerstörung
gehören z. B. die Fraktionierung von Blutplasma- eventuell vorhandener Hepatitis-Viren. Copräzipi-
proteinen durch Ethanol und einige industriell pro- tation von Partikeln wie Ribosomen, Membranfrag-
duzierte Enzyme wie Invertase durch Aceton. Die menten und Lipiden führt darüber hinaus zu klaren
Anwesenheit eines organischen Lösungsmittels hat Lösungen – eine Voraussetzung für nachfolgende
eine Verminderung der Löslichkeit zur Folge. Die zur chromatographische Reinigungsschritte.
Fällung benötigte Lösungsmittelmenge ist am iso-
elektrischen Punkt am geringsten. Analog zum Aus-
salzen gilt auch bei der Präzipitation durch Reduk- Ausfällen am isoelektrischen Punkt
tion der Lösungsmittel-Dielektrizitätskonstante, dass Dies ist eine der einfachsten und billigsten Metho-
je größer das Proteinmolekül, umso geringer ist die den der Präzipitation. Der isoelektrische Punkt
benötigte Menge an Lösungsmittel. Die wichtigste ist, wie bereits erwähnt, der pH-Wert, bei dem das
Wirkung dürfte in der Erniedrigung der Aktivität des Protein keine Nettoladung mehr besitzt. Die repulsi-
Wassers liegen. Die sogenannte Lösungsmittel-Prä- ven Kräfte verschwinden und die attraktiven Kräfte
zipitation sollte bei niedrigen Arbeitstemperaturen überwiegen mit der Folge erhöhter Aggregatbil-
erfolgen (unter 10 °C bis –10 °C), um die Proteinde- dung und verminderter Löslichkeit der Proteine.
naturierung möglichst gering zu halten. Ein Vorteil der isoelektrischen Präzipitation ist, dass
Aus Gründen des Arbeitsschutzes und wegen zur pH-Einstellung Mineralsäuren wie z. B. Phos-
Explosionsgefahr müssen geschlossene Anlagen phorsäure verwendet werden können. Sie sind billig,
verwendet werden, was die Anlagekosten erhöht. werden in geringen Konzentrationen verwendet und
Die Auswahl an geeigneten Lösungsmitteln ist sind für die Verwendung in pharmazeutischen und
gering. Benutzt werden bevorzugt Ethanol, Iso- Lebensmittelprozessen zugelassen. Falls notwendig,
propanol und Aceton, weil sie die Kriterien „unbe- kann das Verfahren durch Zugabe von organischen
grenzte Löslichkeit in Wasser“ und „reagieren Lösungsmitteln bzw. Salzen unterstützt werden. Die
nicht mit dem Protein“ erfüllen. Sie sind darüber Säurezugabe muss kontrolliert und unter starkem
hinaus gut verfügbar und können für eine Wieder- Rühren erfolgen, um Proteindenaturierung zu ver-
verwendung redestilliert werden. Höhere aliphati- mindern. Außerdem tritt Lösungswärme auf, die
sche Alkohole sind weniger gut geeignet (Siedelage abgeführt werden muss.
über 100 °C) und wirken stärker denaturierend auf
Proteine.
Während der Zugabe organischer Lösungsmit- Kryopräzipitation und
tel zu wässrigen Lösungen können beträchtliche Hitzebehandlung
(Lösungs-)Wärmemengen freigesetzt werden. Batch- Für die Reinigung hitzestabiler Proteine lassen sich
Präzipitationen erfordern daher sorgfältiges Rühren durch eine Hitzebehandlung des Rohextrakts hit-
und Kühlen, da mit einer Temperaturerhöhung nicht zelabilere Fremdproteine denaturieren und ausfäl-
nur die Wahrscheinlichkeit einer Proteindenaturie- len. Die Methode beruht auf den hohen Tempera-
rung zunimmt, sondern – wegen der Temperatur- turkoeffizienten der thermischen Denaturierung
abhängigkeit der Dielektrizitätskonstante auf die und definierten Denaturierungstemperaturen der
Löslichkeit – auch die benötigte Menge an Lösungs- Proteine. Zusätze von Substrat und/oder Coenzym
mittel. Wenn die Effekte von Lösungsmittelzugabe steigern häufig spezifisch die Hitzestabilität und
und Änderung von pH, Temperatur und Ionen- erlauben dadurch höhere Temperaturen und damit
stärke gut aufeinander abgestimmt sind, ist eine frak- höhere Anreicherungsfaktoren. Zu beachten ist die
tionierte Präzipitation aus einer Mischung gelöster Tatsache, dass durch die erhöhten Temperaturen
Proteine möglich. Schließlich haben Alkohole in den vermehrte Proteolyse durch Proteasen beobachtet
322 H. Chmiel

wird. Aus diesem Grund wird häufig vor dem Hit- effektiv bezeichnet. So berichten Wahlund et al.
zeschritt Ammoniumsulfat zugesetzt, das Protea- [130] über den Einsatz des Polykations Poly(N,N′-
sen unspezifisch (Ionenstärke) hemmt. Die Kryo- dimethyl-diallyl-ammoniumchlorid) (PDMDAAC)
präzipitation, das ist ein Ausfällen von Proteinen als erstem Schritt zur Entfernung von Verunreini-
bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wird heute gungen von durch Zelllyse gewonnener Plasmid-
praktisch nur noch bei der Fraktionierung von Blut- DNA (7 Abschn. 9.3.2). Unter optimalen Bedingun-
proteinen eingesetzt. Sie wird z. B. als erste Stufe bei gen bleiben RNA und Proteine im Überstand und
der Produktion des Antihaemophilie-Faktors VIII können entfernt werden.
angewandt. Eine quasi umgekehrte Reinigung einer Pflan-
zenperoxidase durch Präzipitation mittels Carboxy-
methylcellulose + CaCl2 + PEG beschreiben Aruna
Präzipitation durch und Lali [5]. Die verunreinigenden Proteine werden
nicht-­ionogene Polymere gefällt, während die Peroxidase in Lösung bleibt.
Die Entdeckung, dass nicht-ionogene Polymere die Polyacrylsäure wurde erfolgreich zur Reinigung
Löslichkeit von Makromolekülen reduzieren können, einer Reihe von Enzymen wie z. B. Amyloglucosidase
wurde Ende der 1960er-Jahre gemacht, was die noch verwendet. Der Mechanismus der Polyelektrolytprä-
seltene großtechnische Anwendung dieses Verfah- zipitation wird teilweise analog dem des Aussalzens,
rens erklärt. Große Moleküle vermindern die Lös- teilweise dem nichtionogener Polymere erklärt.
lichkeit der Proteine, indem sie deren solvatisiertes
Wasser reduzieren. Die Beobachtung, dass geringe
9 Konzentrationen an Polyethylenglykol (5–10 % Gew. Präzipitation mittels Tensiden
PEG) benötigt werden, um hochmolekulare Proteine Den Einsatz von grenzflächenaktiven Stoffen zur
(z. B. Viruspartikel) auszufällen, während höhere selektiven Präzipitation schlagen Shin et al. [113]
Konzentrationen (bis zu 20 %) notwendig sind, um vor. Mittels Natriumdi(2-ethylhexyl)-sulfosuccinat
niedrigmolekulare Proteine zu präzipitieren, stützen (AOT) wird Xylanase selektiv aus einem Gemisch
den zur Erklärung benutzten Mechanismus. mit verschiedenen Cellulasen gefällt. Xylanase
Ein Nachteil ist die hohe Viskosität des als kann im großtechnischen Maßstab in der Papier-
40–50 %ige Lösung benutzten PEG und die damit produktion zum Bleichen (Delignifizierung) ver-
verbundenen Schwierigkeiten beim Rühren. PEG- wendet werden, wobei die Cellulasen – wegen
Fällung wird häufig als konkurrenzfähiges Verfah- ihrer schädigenden Wirkung auf die Cellulosefa-
ren bei der Blutfraktionierung und der industriellen sern – stören.
Gewinnung der Asparaginase eingesetzt. Obwohl Die gefällten, d. h. mittels Zentrifuge abgetrenn-
in einigen Ländern für die Anwendung bei Human- ten, Xylanaseagglomerate werden durch Ethanol (in
proteinen zugelassen, ist bekannt, dass Spuren von einem Natriumacetatpuffer) vom AOT befreit.
PEG in der Proteinfraktion verbleiben und nachfol-
gende Prozessschritte beeinflussen. Diese Methode
kann mit der wässrigen Zweiphasenextraktion und Affinitätspräzipitation
mit der Verteilungschromatographie kombiniert Bei den bisher beschriebenen Verfahren zur Präzi-
werden. Ein Vorteil gegenüber dem Aussalzen ist die pitation von Proteinen erfolgte diese recht unspe-
Möglichkeit, Präzipitat und Überstand direkt – ohne zifisch, ohne die speziellen biologischen Funktio-
Entsalzen – an Ionenaustauschern zu fraktionieren. nen wie etwa Substrat- und Coenzymspezifität bei
Damit kann das nicht geladene PEG von den gelade- Enzymen oder andere biospezifische Wechselwir-
nen Proteinen abgetrennt werden. kungen wie Antikörper – Antigen, Zucker – Lectin,
Hormon – Rezeptor zu nutzen. In jüngster Zeit
konnten zudem durch chemische (kombinatorische
Präzipitation mittels ­Polyelektrolyten Chemie) oder biologische (Phagen-Display-Techno-
Die Präzipitation auf der Basis unlöslicher Poly- logie) Verfahren spezifische Liganden für viele Pro-
elektrolytkomplexe wird in der Literatur als sehr teine gezielt produziert und so die Palette möglicher
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
323 9
Affinitätsliganden erweitert werden. Derartige spe- elektrische Felder oder Licht sein. Entsprechende
zifische Wechselwirkungen können, ähnlich wie bei Polymere sind z. B. bei einer bestimmten Tempe-
den später behandelten Trennverfahren Affinitäts- ratur gut wasserlöslich, während sie bei einer um
chromatographie und Affinitätsverteilung, auch bei wenige Grad höheren Temperatur quantitativ prä-
der Präzipitation genutzt werden. zipitieren. Der Vorgang kann durch anschließende
Man unterscheidet bei der Affinitätspräzipita- Erniedrigung der Temperatur wieder umgekehrt
tion zwei Prinzipien. Die sogenannte Affinitätsprä- werden. Auf stimulierbaren Polymeren beruhende
zipitation erster Ordnung stellt einen Spezialfall AML binden in Lösung spezifisch an das Zielprotein
dar, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, (bei beiden Reaktionspartnern ist in diesem Fall eine
dass das Zielprotein mindestens zwei spezifische einzige Interaktionsfunktion ausreichend). Der Affi-
Bindungsstellen haben muss. Das Zielprotein wird nitätskomplex wird anschließend präzipitiert und
dann in Kontakt mit einem ebenfalls bifunktionel- das Zielprotein so abgetrennt. Der Komplex kann
len Affinitätsliganden gebracht, und es kommt zur durch wiederholtes Auflösen/Wiederpräzipitieren
Bildung eines quervernetzten Affinitätskomple- (Temperaturzyklus) unter bindenden Bedingun-
xes, der ab Erreichen einer gewissen Größe präzi- gen leicht gewaschen und von mitgerissenen Ver-
pitiert. Hilbrig und Freitag [56] beschreiben bei- unreinigungen befreit werden. Das Zielprotein kann
spielsweise in einem Übersichtsartikel zum Thema anschließend direkt aus dem Präzipitat oder nach
„Affinitätspräzipitation“ die präparative Isolation Wiederauflösen in Elutionspuffer und Abtrennen
von Lactatdehydrogenase aus einer Rohlösung des AML freigesetzt werden. Neben der Aufreini-
mittels bifunktionaler N2,N2′-adipodihydrazido-­ gung von Proteinen wurde die Affinitätspräzipita-
bis(N 6 -carbonylmethyl-NAD) (Bis-NAD). Ein tion zweiter Ordnung auch erfolgreich für die Iso-
Beispiel für eine Primäreffektpräzipitation ist auch lierung von Plasmid-DNA aus bakteriellen Lysaten
die Immunpräzipitation, bei der Proteine durch eingesetzt. Gegenüber den konkurrierenden Ver-
ihre Antikörper präzipitiert werden. Das sich bil- fahren der Affinitätschromatographie ist die Affini-
dende Gel wird mittels Zentrifugation, Filtration tätspräzipitation leichter in einen größeren Maßstab
oder Flotation abgetrennt. Nachteile der Affinitäts- zu übertragen. Die Affinitätspräzipitation wurde
präzipitation erster Ordnung ist der eingeschränkte zudem mit der Affinitätsextraktion in wässrigen
Anwendungsbereich (die Zielproteine müssen Zweiphasensystemen kombiniert.
bifunktionell sein, Zielprotein und Affinitätsligand
müssen in etwa gleichem Molverhältnis eingesetzt
werden) sowie die Schwierigkeit, das Präzipitat Auswahl des Fällungsmittels
wieder aufzulösen, etwa um das Zielprotein freizu- Die Auswahl des geeigneten Fällungsmittels hängt
setzen. Der Einschluss von Verunreinigungen in das beim kommerziellen Prozess von einer Reihe von
makromolekulare Netzwerk ist offensichtlich unver- Faktoren ab:
meidbar und erfordert einen aufwendigen, nach- 55 Kosten,
geschalteten Waschprozess, wodurch ein Großteil 55 Möglichkeiten des Recyclings: Rückgewinnung
des Vorteils einer derart selektiven Fällung wieder und Wiederverwendung des Präzipitanten
verloren geht. ist im industriellen Maßstab eine zwingende
Bei der Affinitätspräzipitation zweiter Ordnung Notwendigkeit,
werden dagegen sogenannte Affinitätsmakroligan- 55 leichte Handhabbarkeit: Organische Lösungs-
den (AML) eingesetzt. Das sind Biokonjugate, mittel erfordern „flammensichere Arbeits-
die aus dem eigentlichen Affinitätsliganden und weise“ und niedrige Arbeitstemperaturen,
einem stimulierbaren Polymer bestehen. Stimu- 55 Zulassung für das Produkt: Ammoniumsulfat
lierbare Polymere zeichnen sich dadurch aus, dass ist beispielsweise für die Anwendung in der
sie infolge einer relativ geringfügigen Änderung Lebensmittelindustrie zugelassen,
eines Umgebungsparameters ihr Löslichkeitsver- 55 Produktstabilität: Manche Präzipitanten
halten in Wasser grundlegend ändern. Auslösende denaturieren Proteine bereits bei geringem
Stimuli können z. B. die Temperatur, der pH-Wert, Überschuss,
324 H. Chmiel

55 Eignung für einen kontinuierlichen Prozess: Kristallisation


Tendenz geht in Richtung kontinuierlicher niedermolekularer Stoffe
Prozess, Die Kristallisation niedermolekularer Stoffe ist nicht
55 Eignung für die Kombination mit anderen neu. Bereits 1933 wurde von Borsook et al. [17] eine
Aufarbeitungsprozessen: Bei der Auswahl der Methode zur Herstellung kristalliner Milchsäure
Fällungsmittel muss berücksichtigt werden, vorgestellt.
dass Fällungsmittelrückstände nachfolgende Mit wachsender Bedeutung der biotechnischen
Reinigungsschritte beeinflussen. So können Produktion organischer Säuren werden die Vorteile
Salzrückstände in der Proteinpräparation das der Kristallisation wie z. B. vergleichsweise geringer
Elutionsverhalten bei der Ionenaustauscher- Energieverbrauch und die Gewinnung sehr reiner
und der Affinitätschromatographie nachhaltig Produkte bei relativ milden Bedingungen geschätzt.
verändern. Willke und Vorlop [137] setzen sie beispielsweise
für die Itaconsäure, Harrison et al. [48] für die Zit-
Obwohl die Präzipitation im großtechnischen ronensäure und Wohlgemuth [139] für die Adipin-
Maßstab hauptsächlich mit dem Ziel der Produkt- säure ein.
konzentration (Volumenreduzierung) angewendet
wird, besteht die Tendenz, die Wirtschaftlichkeit des z Kristallisationsverfahren
Verfahrens dadurch zu erhöhen, dass Reinigungswir- Damit Kristalle entstehen oder vorhandene wachsen
kung bzw. Selektivität verbessert werden; denn diese können, muss die Löslichkeitsgrenze überschritten,
bestimmen den Aufwand, der für die nachfolgenden d.h. die Lösung übersättigt werden.
9 Reinigungsschritte betrieben werden muss. Dies kann geschehen durch
Es gibt aber eine Reihe von Gründen, warum bei 55 Kühlung (Kühlungskristallisation),
der Präzipitation im industriellen Maßstab schlech- 55 Verdampfung (Verdampfungskristallisation),
tere Ergebnisse erzielt werden als im Labormaßstab: 55 Zugabe eines Verdrängungsmittels (Verdrän-
55 Schlechteres Mischen und damit verbundene gungskristallisation) und
längere Mischzeiten führen zu einer Überprä- 55 Reaktion mehrerer Reaktanden
zipitation, d. h. Copräzipitation unerwünschter (Reaktionskristallisation).
Proteine.
55 Höherer Wärmeeintrag beim Mischen und In . Abb. 9.21 sind in einem Löslichkeitsdiagramm
schlechtere Wärmeabfuhr führen zu thermi- (Konzentration der gelösten Komponente als Funk-
scher Denaturierung. tion der Temperatur) für eine Lösung die Löslich-
55 Stärkere Schwankungen beim aufzuarbei- keitskurve sowie die Verfahren Kühlungskristallisa-
tenden Rohstoff führen zu nicht optimalen tion (horizontaler Pfeil), Verdampfungskristallisation
Bedingungen bei der Präzipitation und damit (vertikaler Pfeil) und Vakuumkristallisation (roter
schlechter Reproduzierbarkeit. Pfeil) dargestellt.
Die Kühlungskristallisation bietet sich immer
dann an, wenn die Löslichkeit des auszukristallisie-
9.3.2 Kristallisation renden Stoffes stark mit der Temperatur ansteigt. Ein
Beispiel hierfür ist die Zitronensäure (s. rote Kurve
Generell versteht man unter Kristallisation das Über- in . Abb. 9.22).
führen eines oder mehrerer Stoffe aus dem amorph- Steigt die Löslichkeit nur gering mit der Tem-
festen, flüssigen oder gasförmigen Zustand in den peratur an oder nimmt sie sogar ab, so empfiehlt
kristallinen. Da in der Biotechnologie die Kristalli- sich die Verdampfungskristallisation. Ein Beispiel
sation fast ausschließlich aus dem flüssigen Zustand hierfür ist Natriumchlorid (s. schwarze Kurve in
nämlich aus der Lösung Bedeutung erlangt hat, sollen . Abb. 9.22).
sich die folgenden Ausführungen darauf beschrän- Bei der Vakuumkristallisation wird die Lösung
ken. Darüber hinaus gehende Informationen findet durch Druck- und Temperaturabsenkung gleichzei-
man bei Mersmann et al. [86]. tig verdampft und gekühlt.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
325 9
. Abb. 9.21  Löslichkeitsdiagramm
und Kristallisationsverfahren /|VOLFKNHLWVNXUYH

.KOXQJVNULVWDOOLVDWLRQ

.RQ]HQWUDWLRQ
9DNXXPNULVWDOOLVDWLRQ

9HUGDPSIXQJV
NULVWDOOLVDWLRQ
7HPSHUDWXU

Analog zur Lösungsmittel-Präzipitation wird bei (. Abb. 9.23 und 9.24). Die metastabile Zone kann
der Verdrängungskristallisation durch Zugabe eines durch eine der oben genannten Verfahren erreicht
wasserlöslichen organischen Lösungsmittels die Lös- werden.
lichkeit des zu kristallisierenden Stoffes im Wasser Der nächste wichtige Schritt ist die Keimbil-
vermindert. Sie wird in der Biotech­nologie haupt- dung. Sie kann beispielsweise durch Zugabe von
sächlich zur Proteinkristallisation verwendet und Fremdpartikeln induziert werden. Man spricht
später ausführlich behandelt. Bei der Reaktionskris- dann von heterogener Keimbildung. Diese ist
tallisation reagieren ein oder mehrere Reaktanden in aber in der Regel bei Bioprodukten unerwünscht.
einer flüssigen Phase. Beispiele hierzu findet man in Homogene Keimbildung tritt dagegen erst auf,
Mersmann et al. [86]. wenn die metastabile Zone überschritten wird.
Allerdings beobachtet man bei der Anwendung
z Keimbildung und metastabiler Betrieb von Ultraschall bereits Keimbildung innerhalb
Ein wichtiges Ziel bei der Wahl des Aufarbeitungs- der metastabilen Zone. Ein weiteres Verfahren zur
verfahrens ist die Qualität des Produkts. Diese wird Induktion der Keimbildung stellt Wohlgemuth
ganz wesentlich von der mittleren Kristallgröße und [139] vor. Zugeführte Gasblasen wirken als Keim-
der Kristallgrößenverteilung bestimmt. Die Kristal- bildungszentren. Der Einfluss von Anzahl und
lisation setzt eine Übersättigung der Lösung voraus Größe der zugeführten Gasblasen während der
Kühlungskristallisation auf Anzahl der induzier-
ten Keime, Kristallgrößenverteilung und mittlere
Kristallgröße wurde an drei verschiedenen Modell-
stoffsystemen (Adipinsäure/Acetonitril, L-Alanin/
UH
VlX Wasser und Paracetamol/Acetonitril) ermittelt und
Q HQ
.RQ]HQWUDWLRQ

UR mit der reinen Kühlungskristallisation und mit der-


=LW
jenigen bei überlagertem Ultraschall verglichen.
Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei dem auf
diese Weise induziertem Keimbildungsmechanis-
mus um einen heterogenen Mechanismus handelt,
1DWULXPFKORULG
der einige Vorteile bietet.

z Kristallisationsapparate
7HPSHUDWXU Von einem Kristallisator wird gefordert, dass er
. Abb. 9.22  Qualitativer Verlauf der Löslichkeit von die in Lösung entstehenden Kristalle gut durch-
Zitronensäure (rot) und Natriumchlorid (schwarz) als Funktion mischt, sodass sie sich nicht absetzen. Soweit
der Temperatur kommen grundsätzlich die in 7 Kap. 6 beschriebenen
326 H. Chmiel

. Abb. 9.23  Löslichkeitskurve, hEHUVlWWLJXQJVNXUYH


Übersättigungskurve, metastabile
Zone und Keimbildung für eine
Kühlungskristallisation
/|VOLFKNHLWVNXUYH

.RQ]HQWUDWLRQ
.HLPELOGXQJ
QH .KOXQJVNULVWDOOLVDWLRQ
=R
WD ELOH
WDV
PH

7HPSHUDWXU

Apparate wie z. B. Rührwerk mit und ohne Leitrohr müssen die Kristallisationsbedingungen für jedes
(. Abb. 9.20), Schlaufe und Fließbett in Frage, aller- einzelne Protein individuell ermittelt werden und
dings mit der zusätzlichen Forderung guter Wärme- diese Bedingungen sind in der Regel nicht auf andere
tauscher und gegebenenfalls Vakuumpumpe. Bei Proteine übertragbar. Um die Kristallisationsbedin-
der Wahl des Umwälzorgans (Pumpe) muss dessen gungen zu ermitteln, kann basierend auf experimen-
Wirkung auf die Korngrößenverteilung (Abrieb) tellen Daten ein Phasendiagramm erstellt werden.
9 berücksichtigt werden. Ein derartiges Phasendiagramm ist in qualitativer
Eine Übersicht über heute verwendete Kristalli- Form in . Abb. 9.24 wiedergegeben.
satoren findet man bei Mersmann et al. [86]. In diesem Diagramm ist die Konzentration von
Protein in Lösung aufgetragen über der Konzentration
eines Kristallisationsagenz. Die Bereiche der Untersät-
Proteinkristallisation* tigung und der Übersättigung sind durch die Löslich-
Dariusch Hekmat keitskurve unterteilt. Die Übersättigungskurve ver-
Die Proteinkristallisation kann als Spezialfall der läuft dieser Kurve in etwa parallel. Rechts oberhalb der
Proteinfällung angesehen werden, bei der ähnliche Übersättigungskurve befinden sich die Bereiche für
Agenzien zur Proteinlösung hinzugegeben werden Keimbildung, Fällung und flüssig-flüssig-Phasentren-
wie bei der Fällung, um Übersättigung zu erzielen. nung. Unterhalb der Übersättigungskurve befindet
Allerdings läuft der Kristallisationsvorgang übli- sich die metastabile Zone. In der metastabilen Zone
cherweise langsamer ab als die Fällung. Im Gegen- können keine Kristalle gebildet werden, vorhandene
satz zu den kleinen Molekülen ist die Kristallisation Kristalle können jedoch weiter wachsen. Um Kristalle
von makromolekularen Verbindungen wie Proteine bilden zu können, müssen Bedingungen eingestellt
bisher weniger gut untersucht worden. werden, die sich innerhalb der Keimbildungszone
(dem „Kristallisationsfenster“) befinden. Dies kann
z Methoden der Proteinkristallisation durch einen Dampfdiffusionsversuch (rote Trajekto-
Die Bedingungen für eine erfolgreiche Kristalli- rie in . Abb. 9.24) erzielt werden oder durch einen
sation eines Proteins sind oft nicht bekannt. Dies Satzversuch (gestrichelte Trajektorie in . Abb. 9.24).
liegt in der Komplexität der Interaktionen zwi- Die erste Versuchsstrategie wird bei der Prote-
schen den Proteinmakromolekülen begründet, inkristallisation zur Strukturaufklärung über die
die die Kristallisation herbeiführen [52]. Neben Röntgendiffraktometrie eingesetzt. Die zweite Ver-
den elektrostatischen Wechselwirkungen und den suchsstrategie findet bei der präparativen Protein-
Van-der-Waals-Kräften spielen oft auch hydro- kristallisation Anwendung.
phobe Wechselwirkungen eine Rolle. Der Einfluss Aus Erfahrung ist bekannt, dass sich die verschie-
der einzelnen Interaktionen kann meist nicht defi- denen Zonen des Phasendiagramms hinsichtlich
nitiv identifiziert bzw. vorausgesagt werden. Daher Lage und Ausdehnung signifikant ändern können,
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
327 9

. Abb. 9.24  Qualitatives Phasendiagramm für Proteine ([29], modifiziert)

wenn kleine Änderungen von einzelnen Kristal- Massentransportlimitierung in der Kapazität


lisationsbedingungen auftreten. So z. B. kann die begrenzt sind und daher bei der Produktion einen
Keimbildungszone deutlich kleiner ausfallen (roter Flaschenhals darstellen können, insbesondere wenn
Bereich in . Abb. 9.18). In diesem Fall würde entspre- die Produktkonzentrationen wegen Verbesserungen
chend der dargestellten Trajektorien sowohl für den beim Upstream-Processing hoch sind. Die Vorteile
Dampfdiffusionsversuch als auch für den Satzver- der präparativen Proteinkristallisation sind:
such keine Kristallisation stattfinden. Ferner können 55 Die Aufreinigung geht schneller vonstatten, da
die Bereiche für Fällung und Phasentrennung nicht keine Massentransportlimitierung auftritt.
dort lokalisiert sein, wie ursprünglich erwartet. Dies 55 Es werden keine aufwändigen Apparate und
bedeutet, dass sich in manchen Fällen die Phasen- teure Verbrauchsmaterialien (z. B. Chromato-
trennungszone auch rechts oder oberhalb von der graphiemedien) benötigt.
Fällungszone befinden kann. 55 Es sind kleinere Mengen von Pufferlösungen
Trotz der genannten Defizite bei der Beschrei- erforderlich.
bung der Mechanismen, die zur Kristallisation von
Proteinen führen, wurden aufgrund von Bedarf Im Gegensatz zur Kristallisation zur Strukturauf-
seitens der Industrie einzelne Prozesse im präpara- klärung über die Röntgendiffraktometrie fokussiert
tiven Maßstab erfolgreich entwickelt. Hierzu werden die präparative Proteinkristallisation auf hohe Pro-
im Folgenden Fallbeispiele dargestellt. duktionsraten, hohe Ausbeuten, gute Reproduzier-
barkeiten, robuste Kristallmorphologien und enge
z Kristallisation als Aufreinigungsschritt Kristallgrößenverteilungen.
Die präparative Proteinkristallisation ist als ein Anhand der aufgereinigten Beispielproteine
Aufreinigungsschritt denkbar, der eine technisch Lysozym und einer rekombinanten Lipase aus Ther-
und ökonomisch attraktive Alternative zu den übli- momyces lanuginosus konnte gezeigt werden, dass
cherweise industriell eingesetzten chromatographi- eine skalierbare präparative Satzkristallisation im
schen Trennverfahren (7 Abschn. 9.3.6.1) darstellen Rührkessel gut durchführbar ist [49]. Die Versu-
kann. Dies liegt darin begründet, dass die chroma- che wurden in geometrisch ähnlichen Rührbehäl-
tographischen Verfahren wegen ihrer inhärenten tern mit Betriebsvolumina von 5 mL, 100 mL und
328 H. Chmiel

1000 mL durchgeführt. Die Betriebstemperatur ausgehend von einer Rohlösung mit 77 Gew.-% HCP
und die Rührerdrehzahl waren regelbar. Sowohl zunächst eine Vorbehandlung mit zwei unterschied-
die Kristallisationskinetik als auch die Kristallisa- lichen Methoden durchgeführt. Diese waren Three
tionsausbeute konnten im Fall von Lysozym durch Phase Partitioning (TPP), welche eine Kombination
die Herabsenkung der Betriebstemperatur während von Lösungsmittelextraktion und Präzipitation dar-
des Prozessverlaufs deutlich erhöht werden. Im Fall stellt, und immobilisierte Metallaffinitätschroma-
von Lipase wurde eine vergleichbare Verbesserung tographie (IMAC) [53]. Im ersten Fall wurde eine
der Kristallisationsleistung durch die stufenweise Restkonzentration der HCP von 16 Gew.-% erzielt
Zugabe von PEG als zusätzliches Kristallisations- und im zweiten 7 Gew.-%. In beiden Fällen gelang
agenz erzielt. anschließend die Kristallisation ähnlich quantita-
In dem o.g. Versuchsaufbau konnte auch ein tiv und reproduzierbar wie zuvor bei Lysozym und
aufgereinigtes Fab-Fragment des therapeutischen Lipase. Alle drei kristallisierten Beispielproteine
monoklonalen Antikörpers IMC-C225 erfolgreich enthielten Rest-HCP in den Flüssigkeitskanälen der
kristallisiert werden [50]. Hierbei wurde eine Zulauf- Kristalle. Diese konnten jedoch durch einen diffusi-
strategie durch stufenweise Zufuhr des Fällungsmit- ven Waschvorgang weitgehend entfernt werden. Die
tels Ammoniumsulfat angewendet, wodurch erneut erhaltene Reinheit aller drei gewaschenen resolubili-
eine schnellere Kinetik und eine höhere Ausbeute sierten Proteinkristalle war ≥99 %.
erreicht werden konnte. Ein weiteres aufgereinig- Die erfolgreiche präparative Satzkristallisation
tes Fab-Fragment des therapeutischen monoklona- eines ganzen therapeutischen monoklonalen Anti-
len Antikörpers Canakinumab wurde ebenso kris- körpers im skalierbaren Rührkessel konnte erstma-
9 tallisiert, wobei in diesem Fall durch die Zugabe lig gezeigt werden [115]. In dieser Arbeit wurden
des zusätzlichen Kristallisationsmittels PEG-Mo- zunächst geeignete Kristallisationsbedingungen
nomethylether die Prozessleistung erhöht werden des aufgereinigten Antikörpers in parallelisier-
konnte [114]. ten ungerührten Satzversuchen im 10 µL-Maßstab
Die präparative Proteinkristallisation ist beson- durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Kristallisation
ders dann interessant, wenn sie auch aus unreinen in Lösungen mit niedrigen Ionenstärken gelingt.
Produktströmen gelingen kann. In diesem Zusam- Anschließend wurden Satzversuche im 6 mL-Rühr-
menhang wurde bereits in früheren Arbeiten die kristallisator durchgeführt und es erfolgte eine Maß-
Durchführbarkeit der Kristallisation von Ovalbu- stabsvergrößerung bis zu einem Flüssigkeitsvolumen
min, Lysozym und einer Lipase aufgezeigt. Ferner von 1000 mL. Nach Einstellung von geeigneten Kris-
wurde die Kristallisation aus unreinen Lösungen tallisationsbedingungen wurde überraschend festge-
anhand der Beispielproteine Lysozym, einer rekom- stellt, dass die Kristallisation sehr schnell ablaufen
binanten Lipase aus Thermomyces lanuginosus und konnte. Bereits nach nur 3 min (!) wurde eine Aus-
enhanced green fluorescent protein (eGFP) untersucht beute von 95,8 % erzielt, wobei die Endausbeute 98,3
[52]. Hierbei kamen erneut die o. g. skalierbaren % betrug. Die erhaltenen Proteinkristalle hatten eine
Rührbehälter im 5 mL-Maßstab zum Einsatz. Im Fall robuste monoklinische Morphologie und eine enge
von Lysozym und Lipase wurden die jeweiligen auf- Kristallgrößenverteilung.
gereinigten Proteinlösungen vor den Kristallisations- Basierend auf den Ergebnissen mit dem auf-
versuchen mit definierten unterschiedlichen Mengen gereinigten Antikörper wurden Kristallisationen
von mikrobiellen Wirtszellproteinen (HCP) versetzt. aus einem vorbehandelten geklärten Zellüberstand
Hierdurch wurde eine unterschiedlich effektive Vor- durchgeführt. Die Vorbehandlung bestand aus
behandlung von Proteinrohlösungen simuliert. Der einem einfachen pH-Shift in den sauren Bereich,
Konzentrationsbereich der zugegebenen HCP war wodurch der Großteil der HCP präzipitierte und
5–15 Gew.-% (bezogen auf Gesamtprotein). Es zeigte mittels Zentrifugation abgetrennt wurde. Ferner
sich, dass die Kristallisation quantitativ und reprodu- erfolgte eine Aufkonzentrierung über Querstrom-
zierbar mit schneller Kinetik (95 % der Endausbeute Ultrafiltration und ein Pufferaustausch über Quer-
innerhalb von 2,6–7 h) und hohen Ausbeuten (> ca. strom-Diafiltration. Nach Vorversuchen im unge-
97 %) durchführbar war. Im Fall von eGFP wurde rührten Mikromaßstab wurde die Kristallisation
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
329 9
wieder einer Maßstabsvergrößerung unterzogen. als die übrigen fünf Antikörper. Basierend auf den
Es zeigte sich erneut, dass die Zugabe von PEG als Simulationsrechnungen wurde eine Hypothese auf-
zusätzliches Kristallisationsagenz eine Beschleuni- gestellt, welche die gute Kristallisierbarkeit dieses
gung der Kristallisationskinetik bewirkte. Die durch einen Antikörpers erklären konnte. Demnach kann
Kristallisation erzielte Abreicherung von HCP und sich die Fab-Domäne des gut kristallisierbaren Anti-
Wirtszell-DNS entsprach der eines Protein A-Chro- körpers an die Fc-Domäne eines benachbarten Anti-
matographieschritts. Die Kristallisation erwies sich körpers vom gleichen Typ anlagern, welche positiv
als kompatibel mit anderen Aufreinigungsschrit- geladen ist und auch hydrophobe Reste an der Ober-
ten wie Virusinaktivierung bei niedrigem pH-Wert, fläche besitzt. Dadurch werden stabile Kristallisa-
Ionenaustauschchromatographie und Virusfiltra- tionskeime gebildet, woraus makroskopische Kris-
tion. Allerdings konnte auf einen von drei üblicher- talle wachsen können.
weise eingesetzten präparativen Chromatographie- Der vorgeschlagene Kristallisationsmechanis-
schritten nicht verzichtet werden, um die gesetzlich mus ist in . Abb. 9.25 dargestellt.
geforderte Schwelle von HCP < 100 ppm zu erzie- Auf der Basis der o. g. Erkenntnisse ist es vorstell-
len. Dieser Schritt war eine Anionenaustauschchro- bar, über Hochdurchsatzversuche einen gut kristalli-
matographie im Durchflussmodus. Somit konnten sierbaren generischen Antikörper zu identifizieren.
zwei der drei Chromatographieschritte – die Protein Aus diesem Antikörper können dann mittels mole-
A-Chromatographie und die Kationenaustausch- kularbiologischer Methoden andere gut kristalli-
chromatographie – eingespart werden, was einen sierbare Antikörper mit einer gewünschten spezifi-
deutlichen ökonomischen Vorteil erwarten lässt. schen biologischen Aktivität hergestellt werden. Dies
Die biologische Aktivität des Antikörpers konnte würde es ermöglichen, dass die präparative Kristal-
während aller Aufreinigungsschritte auf hohem lisation Teil einer Aufreinigungsplattformtechnolo-
Niveau gehalten werden. gie wird.
Parallel zu den Messungen erfolgten moleku-
lardynamische Simulationen, die hydrophobe und z Kristallisation als Formulierungsschritt
elektrostatische Wechselwirkungen von sechs unter- Die präparative Proteinkristallisation ist auch als ein
schiedlichen monoklonalen Antikörpern vom Typ Formulierungsschritt denkbar, da kristalline Prote-
IgG1 berücksichtigten [115]. Hierbei zeigte sich, dass informulierungen gegenüber den konventionellen
der gut kristallisierbare Antikörper einen deutlich Formulierungen wie wässrige Lösungen, amorphe
stärker negativ geladenen Bereich und mehr hydro- Lyophilisate oder sprühgetrocknete Produkte Vor-
phobe Reste an der Oberfläche der Fab-Dmäne besaß teile bieten können.

. Abb. 9.25  Visualisierung des vorgeschlagenen Kristallisationsmechanismus eines therapeutischen monoklonalen


Antikörpers (a) Fab-Domäne ist negativ geladen (rot) und ist durchsetzt mit hydrophoben Resten (schwarz); (b) Fab-Domäne
lagert sich an positiv geladene Fc-Domäne eines benachbarten Antikörpers an, die ebenfalls mit hydrophoben Resten
durchsetzt ist; (c) Kristalle können sich bilden
330 H. Chmiel

Diese sind: des Antikörpers mit einer Konzentration von 315 g/L


55 höhere Aktivität und Reinheit der kristallinen erhalten. Dieses Kristallpellet konnte innerhalb von
Makromoleküle, ca. 30 min problemlos wieder in Lösung gebracht
55 reduzierte Lagerkosten, werden, wobei eine klare viskose Lösung mit ca.
55 längere Haltbarkeit, 200 g/L Antikörper erhalten wurde. Messungen
55 Bereitstellung von hochdosierten parenteral ergaben, dass die Antikörperkristalle ca. 70 Gew.-%
verabreichbaren Kristallsuspensionen von Kristallwasser enthielten. Daher kann zukünftig
therapeutischen Proteinen mit niedriger erwartet werden, dass durch eine geeignete partielle
Viskosität und Trocknung kristalline Antikörperformulierungen
55 Bereitstellung von therapeutischen mit außerordentlich hohen Konzentrationen von
Produkten mit kontrolliert langsamer bis zu 400 g/L erzielt werden können.
Wirkstofffreisetzung. Die Eignung von kristallinen Antikörperfor-
mulierungen zur subkutanen Verabreichung wurde
Frühe Arbeiten zu diesen Zielsetzungen wurden anhand von Injektionsversuchen mit unterschiedli-
anhand des Polypeptids Insulin erfolgreich durch- chen Kanülen ermittelt und mit Flüssigformulierun-
geführt. Die konsequente Weiterführung dieser gen verglichen (. Abb. 9.26).
Arbeiten resultierten schließlich in der Etablierung Hierbei zeigte sich, dass die erforderliche Injek-
der großtechnischen Herstellung von kristallinem tionskraft bei den Kristallsuspensionen konsistent
rekombinanten Humaninsulin ([48], S. 349–362). nur etwa halb so hoch war wie bei den Flüssigfor-
Die Bereitstellung von hochkonzentrierten Kris- mulierungen. Im Fall der 30 G-Kanüle war die Injek-
9 tallsuspensionen von therapeutischen Antikörpern tionskraft bei der Flüssigformulierung derart hoch,
ist eine attraktive Aufgabenstellung, da diese bei The- dass die Kanüle sich von der Spritzenspitze löste.
rapien oft hochdosiert eingesetzt werden müssen. Hiermit konnte anhand des Fallbeispiels gezeigt
Hierzu wurden in der Vergangenheit Arbeiten werden, dass die Herstellung von Antikörperkris-
durchgeführt. Es zeigte sich, dass kristalline Anti- tallsuspensionen möglich war, die für pharmakoki-
körperformulierungen herstellbar waren, allerdings netische Untersuchungen geeignet sind.
mit einer relativ ungeeigneten Morphologie (Nadeln
oder auch Aggregate von Nadeln). Die biologische z Maßstabsvergrößerung der
Aktivität der Antikörper in vitro blieb jedoch voll- Proteinkristallisation
ständig erhalten und die Viskosität der Kristallsus- Untersuchungen zur Maßstabsvergrößerung der
pensionen war vorteilhaft niedrig. Daher wurden mit Proteinkristallisation sind in der Literatur kaum
einem gut kristallisierbaren Antikörper Versuche zu finden. Gemäß Harrison et al. ([48], S. 284) wird
durchgeführt. Es zeigte sich, dass eine hochkonzen- vorgeschlagen, eine der üblichen Kriterien zur Maß-
trierte kristalline Formulierung mit einer robusten stabsvergrößerung von kleinen Molekülen zu ver-
Morphologie herstellbar war [115]. Nach einer Zen- wenden, deren Resultate am besten mit experimen-
trifugation (44.000 g, 3 min) wurde ein Kristallpellet tellen Daten übereinstimmen.

. Abb. 9.26  Vergleich


der Injektionskraft für eine
Flüssigformulierung und
eine Kristallsuspension eines
therapeutischen monoklonalen
Antikörpers für verschiedene
Kanülengrößen
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
331 9
Diese Kriterien sind: der Kristallisation gewählt. Dieser Parameter wird
55 Konstanter volumetrischer Leistungs- durch die Induktionszeit der Kristallkeimbildung
eintrag bei geometrisch ähnlichen Behältern bestimmt.
(7 Abschn. 6.3.1.2). Dieses Kriterium gilt nur Der mittlere volumetrische Leistungseintrag ε
bei turbulenter Strömung von newtonschen ist definiert als:
Flüssigkeiten mit Reynolds-Zahlen (Gl. 4.35)
P 2π ⋅ n ⋅ M
Re > 104 für bewehrte Rührkessel und Re > 105 ε= =  Gl. 9.13
V ⋅ρ V ⋅ρ
für unbewehrte Rührkessel,
55 konstante Rührerumfanggeschwindigkeit und Leistungseintrag P, Flüssigkeitsvolumen V, Dichte
55 Einstellung einer minimalen Rührerdrehzahl, der Flüssigkeit ρ, Rührerdrehzahl n, effektives Dreh-
um die Kristalle in Suspension zu erhalten. moment an der Rührerachse M (aus Messungen). Die
maximale lokale Energiedissipationsdichte εmax
Die Eignung dieser Maßstabsvergrößerungskriterien wurde von Henzler [54] gemäß folgender Funk-
wurde anhand des Beispielproteins Lysozym unter- tion mit ε korreliert, die detaillierte geometrische
sucht [114]. Hierbei kamen geometrisch ähnliche Angaben zum Rührbehälter enthält:
Rührkessel mit Rundboden und Schrägblattrüh-
rern zum Einsatz. Diese langsam laufenden Rührer εmax a
≈ 2 2 / 3⋅ 1.15 −2 / 3
mit großen Blättern und steilem Anstellwinkel von ε ( d /D ) ⋅( h /d ) z 0.6 ⋅(sinα) ⋅ zI 2 / 3 ⋅( H /D )
40–45° eigneten sich zur schonenden Suspendie-
rung der scherkraftempfindlichen Proteinkristalle.  Gl. 9.14
Die Betriebstemperatur und die Rührerdrehzahl Behälterkonstante a (a = 4 für bewehrte Behälter,
waren regelbar. Die Drehrichtung der Rührer wurde a = 16 für unbewehrte Behälter), Rührerdurchmes-
so gewählt, dass die Flüssigkeit nahe der Rührerachse ser d, Behälterinnendurchmesser D, Rührerhöhe h,
hochströmte und ringförmig in Nähe der Behälter- Anzahl Rührerblätter z, Rührblattanstellwinkel α,
wand herabströmte. Hierdurch wurde gewährleistet, Anzahl Rührer zI und Füllhöhe H. Die unterschied-
dass sich keine Kristallsedimente am Behälterboden lichen Behälterkonstanten wurden aus der Arbeit
bilden konnten. Die Dimensionierung der Rührkes- von Henzler [54] abgeleitet und besagen, dass bei
sel war: Rührerdurchmesser d/D ≈ 0,5, H/D ≈ 1,0 und einer konstanten maximalen lokalen Energiedissi-
Rührerhöhe h/H ≈ 0,33. pationsdichte der mittlere Leistungseintrag in einem
Bei den Versuchen zeigte sich, dass das Krite- bewehrten Rührbehälter vierfach höher ist als im
rium des konstanten volumetrischen Leistungsein- unbewehrten.
trags nicht angewendet werden konnte, da unter In den Versuchen im 1 L-Maßstab ergaben sich
den gewählten Versuchsbedingungen keine tur- für den mittleren Leistungseintrag Werte von 2,4 W/
bulente Strömung auftrat. Ferner ergab keines der kg bei 50 1/min bis 67 W/kg bei 310 1/min. Dies kor-
anderen beiden Kriterien verwendbare Resultate. respondierte mit einer maximalen lokalen Ener-
Daher wurde ein geeignetes anderes Kriterium giedissipationsdichte von 0,17 W/kg bis 4,8 W/­kg
gesucht. In diesem Zusammenhang wurde das Kri- (εmax/ ε ≈ 72). Hierbei zeigte sich, dass sich bei
terium der konstanten maximalen lokalen Energie- einer maximalen lokalen Energiedissipationsdichte
dissipationsdichte identifiziert. Dieses Kriterium von 2,2 W/kg die kürzeste Dauer bis zum Einsatz der
wurde bereits zur Maßstabsvergrößerung der Kris- Kristallisation konsistent für alle drei Maßstäbe ergab
tallisation von kleinen Molekülen in Rührbehäl- (s. roter Pfeil in . Abb. 9.27).
tern angewendet und kam zur Charakterisierung Daher erwies sich die konstante maximale
von hydrodynamischem Stress in Bioreaktoren lokale Energiedissipationsdichte als ein geeigne-
zum Einsatz [54]. Das Kriterium wurde erstma- ter Parameter für die Maßstabsvergrößerung der
lig zur Maßstabsvergrößerung der Kristallisation Kristallisation von Lysozym. Der optimale Wert
des Beispielproteins Lysozym angewendet [114]. von 2,2 W/kg korrespondiert mit einem mittleren
Hierbei wurde als geeigneter Parameter zum Ver- Leistungseintrag von ca. 30 mW/kg. Die optimale
gleich der drei Maßstäbe die Dauer bis zum Einsatz Rührerdrehzahl betrug hierbei 200 1/min für den
332 H. Chmiel

9.3.3 Flotation und Schaumseparation

In 7 Kap. 6 war bereits über den Störfaktor „Schaum“


während der Fermentation und dessen Eliminierung
berichtet worden. Bewegt sich eine Gasblase durch
eine grenzflächenaktive Substanzen enthaltende
wässrige Lösung (also z. B. die Fermentationslö-
sung), so wandern diese Substanzen an die Phasen-
grenzfläche Gas/Flüssigkeit und reichern sich dort
. Abb. 9.27  Vergleich der Zeitdauer bis zum Einsatz an (adsorbieren). Dabei orientieren sich die Mole-
des Kristallwachstums von Lysozym in drei unterschiedlich küle so, dass die hydrophile Gruppe mit dem Wasser
großen Rührkristallisatoren als Funktion der maximalen in Kontakt bleibt, die hydrophobe Gruppe hingegen
lokalen Energiedissipation ([114], modifiziert)
aus der wässrigen Umgebung in die Gasblase hin-
einragt. Verlässt die Gasblase dann die Flüssigkeit
1 L-Kristallisator, 290 1/min für den 100 mL-Kris- und passiert die Flüssigkeitsgrenze/oberfläche, die an
tallisator und 375 1/min für den 6 mL-Kristallisa- grenzflächenaktiven Substanzen angereichert ist, so
tor. Basierend auf den erzielten Ergebnissen ist eine umgibt sie sich mit einer zweiten Adsorptionsschicht;
zuverlässige einfache Maßstabsvergrößerungsstra- es bildet sich eine Lamellenblase. Unter realen Bedin-
tegie vorstellbar. gungen wandern viele Gasblasen durch die Flüssig-
Diese läuft wie folgt ab: keit (Begasen) und bilden beim Durchtritt durch
9 55 Auslegung eines geometrisch ähnlichen die Flüssigkeitsoberfläche einen Schaum. Dieser ist
größeren Rührkessels, zunächst, wie . Abb. 9.28a zeigt, kugelförmig. Das
55 Auslegung eines geometrisch ähnlichen in den Schaumlamellen befindliche Wasser fließt
größeren Schrägblattrührers, welcher die aber – anfangs überwiegend als Folge der Schwer-
Bedingung εmax/ V ≈ 72 erfüllt und kraft, später zusätzlich durch die sogenannte „Saug-
55 Einstellung einer Rührerdrehzahl, die einem wirkung der Plateau-Borders“ [76] – nach unten
effektiven mittleren Leistungseintrag von ab. Diese Drainage führt zu einer Formänderung
ca. 30 mW/kg entspricht. des Schaums (. Abb. 9.28a). Der Kugelschaum geht
über Wabenschaum in Polyederschaum über. In der
Diese vorgeschlagene Strategie muss in zukünftigen Vergrößerung des Polyederzwickels (. Abb. 9.28b)
Arbeiten jedoch für andere Proteine und größere lässt sich auch die durch Grenzflächenspannungen
Maßstäbe verifiziert werden. bedingte und von dem belgischen Forscher Plateau

. Abb. 9.28  Die verschiedenen


Phasen des Schaums. (a) Schaumsäule
mit den verschiedenen Phasen:
Kugelschaum, Wabenschaum,
Polyederschaum; (b) Plateau-Border
(Manegold [83])
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
333 9
beschriebene Drainage als Folge der Saugwirkung 55 Gleichgewichtsverteilung,
der Plateau-Borders zumindest erahnen. 55 Kinetik der Adsorption,
Jedenfalls ist in der auf diese Weise entwässerten 55 Bildung und Struktur des Schaums,
Schaumlamelle die Konzentration an grenzflächen- 55 Schaumstabilität,
aktiver Substanz erheblich größer als bei der Entste- 55 Schaumdrainage,
hung. Es liegt daher nahe, diesen Konzentrationsef- 55 Schaumdichte (bzw. Schaumgehalt),
fekt zur Produktgewinnung bzw. -anreicherung zu 55 Größe, Größenverteilung und Gestalt der Blasen,
nutzen. Das so ausgetragene Produkt kann entweder 55 Verdampfungsenthalpie von Gelöstem und
selbst eine grenzflächenaktive Substanz sein (man Lösungsmittel,
nennt dies Schaumfraktionierung) oder als partiku- 55 Fließverhalten des Schaums.
lärer Stoff so an diese Substanz angelagert sein, dass
er mitgerissen wird (Flotation). Beide Fälle sind für Bei den genannten abhängigen Faktoren Viskoelas-
die Bioproduktaufarbeitung interessant. Im ersten tizität (der Flüssigkeit) und Oberflächenviskoelas-
Fall können dies Proteine (z. B. Enzyme), Polysac- tizität ist zu bedenken, dass es sich bei der Blasen-
charide (z. B. Stärke), Nucleinsäuren (z. B. mRNA) und Schaumbildung und vor allem der Drainage um
oder Fette sein, im zweiten Fall sind es oftmals Zellen. dynamische Vorgänge handelt. Theorie und Modelle,
Um Schaumfraktionierung bzw. Flotation für die die diese Vorgänge beschreiben wurden ausführlich
Aufarbeitung zu nutzen, müssen allerdings die den von Stevenson et al. [78] diskutiert. Im Folgenden
Schaum beeinflussenden Parameter bekannt sein. soll der Einfluss einiger Parameter auf den Anreiche-
Dabei ist zwischen fundamentalen Faktoren und rungsfaktor E = csch/cvor aufgezeigt werden.
abhängigen Faktoren zu unterscheiden [109]. Zu den [87] hat im Labormaßstab Cutinase, ein esteroly-
fundamentalen Faktoren gehören beispielsweise Art tisch aktives Enzym, das vom Pilz Coprinopsis cinerea
und Konzentration der Materialien (Lösungsmittel, sekretiert wird und grenzflächenaktiv ist, aus dem
gelöster Stoff, Gas), Temperatur, pH-Wert, Druck Kulturüberstand mittels Schaumfraktionierung bat-
und Anlagedesign. Abhängige Faktoren sind: chweise und kontinuierlich in verschiedenen Modi
55 Löslichkeit, angereichert (. Abb. 9.29a–c).
55 Oberflächenspannung und -viskoelastizität, In . Abb. 9.30a sind die Aktivitätsausbeute, d. h.
55 Viskosität und Viskoelastizität der Flüssigkeit, der prozentuale Anteil der enzymatischen Aktivität

. Abb. 9.29  Vorrichtung zur Schaumfraktionierung (a) batch-Betrieb, (b) kontinuierlicher Betrieb im Anreicherungs-Modus,
(c) kontinuierlicher Betrieb im Stripping-Modus [87]
334 H. Chmiel

im Schaum zu der in der Vorlage und der Anreiche- Ausbeute von bis zu 94 % bei einer 47-fachen Auf-
rungsfaktor während einer batch-Schaumfraktionie- konzentrierung gewonnen werden konnte. Im kon-
rung als Funktion des Gasdurchsatzes aufgetragen. tinuierlichen Betrieb wurden die Betriebsweisen
Mit steigendem Gasdurchsatz nimmt der Anreiche- „Anreicherungs-Modus“ und „Stripping-Modus“
rungsfaktor stetig ab, da die Menge an mitgerisse- miteinander verglichen. Während beim „Anreiche-
ner Flüssigkeit im Schaum steigt und gleichzeitig – rungs-Modus“ (. Abb. 9.29b) das Feed am Kopf der
wegen der verringerten Verweilzeit des Schaums – die flüssigen Phase zugegeben wurde, erfolgte die Zufüh-
­Drainage abnimmt. Andererseits steigt die Aktivitäts- rung beim „Stripping-Modus“ (. Abb. 9.29c) in der
ausbeute. Darüber hinaus wurden Aktivitätsausbeute darüber liegenden Schaumsäule. In diesem Fall fließt
und Anreicherungsfaktor als Funktion des pH-Werts die Feedlösung also im Gegenstrom zum aufsteigen-
der Ausgangslösung bestimmt (. Abb. 9.30b). den Schaum. Dadurch erhöht sich zwar die Aktivi-
Für beide wurde ein Optimum nahe dem iso- tätsausbeute, aber der Anreicherungsfaktor sinkt.
elektrischen Punkt (für Cutinase pI = 6.7) gefunden. Es zeigte sich, dass bei hochverdünnten Lösungen die
Erklärt wird dies damit, dass bei diesem pH-Wert stripping Fahrweise zu einem stabileren und effizi-
die Löslichkeit des Zielproteins am niedrigsten enteren Prozess führte. Zusätzlich kann ein Teil des
(s. 7 Abschn. 9.3.1) und somit die Affinität zur Bla- bereits verflüssigten Schaums (Foamat) der Schaum-
senoberfläche am größten ist. Generell wurde fest- säule nochmals zugegeben (recycelt) werden.
gestellt, dass das Enzym Cutinase aus dem Kul- Bei der Maßstabsvergrößerung dieses Verfahrens –
turüberstand in einem einzigen Schritt mit einer allerdings nur im Labormaßstab – ergab sich, dass ein

9 . Abb. 9.30  Aktivitätsausbeute a


und Anreicherungsfaktors nach 100 30
der Schaumfraktionierung des 90
Kulturüberstandes im batch-Modus. 25
80
Kolonnendurchmesser 1,6 cm

Anreicherungsfaktor [-]
Aktivitätsausbeute [%]

und 15 min. Zerschäumung bei 70


20
24 °C. Aktivität im Foamat (rot), 60
Aktivität im Retentat (grau) und 50 15
Anreicherungsfaktor (▴). (a) in
40
Abhängigkeit von der Flussrate (pH 7),
10
(b) in Abhängigkeit vom pH-Wert (40 30
mL Luft/min.) [87] 20
5
10
0 0
15 20 30 40 50
Gasdurchsatz [mL min-1]
b
100 5
90
80 4
Anreicherungsfaktor [-]
Aktivitätsausbeute [%]

70
60 3
50
40 2
30
20 1
10
0 0
3.0 4.0 5.0 6.0 6.3 7.0 8.0 8.5
pH
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
335 9
Scale up bei konstantem Verhältnis Säulenhöhe zu
Durchmesser zu einer verbesserten Trennleistung
bei gleichbleibenden Schaumeigenschaften führte,
während beim Scale up des Säulendurchmessers bei
konstanter Säulenhöhe (analog der in 7 Abschn. 9.3.6
betrachteten Chromatographie) eine schlechtere
Trenneffizienz und eine veränderte Schaumstruktur
zu beobachten war.
Schultze [109] hatte die Schaumseparation bei
der Produktion des Biotensids Rhamnolipid zur
Anreicherung eingesetzt. Die Ergebnisse sind in
. Abb. 9.31 dargestellt. Dabei ist cvor die Konzent-
ration (in g/L) des Tensids in der Vorlageflüssigkeit
(also z. B. in der Fermentationsbrühe oder, wie in
diesem Beispiel, in der reinen Tensidlösung); c sch
ist die entsprechende Tensidkonzentration in der
Schaumlamelle (bzw. der Flüssigkeit, die beim Zer-
stören des Schaums gewonnen wird). . Abb. 9.31a
zeigt den großen Einfluss der Tensidkonzentration
der Vorlage auf den Anreicherungsfaktor. Unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass bei jeder Ten- . Abb. 9.31  (a) Anreicherungsfaktor als Funktion der
sidlösung eine Mindestkonzentration cvor erforder- Vorlagekonzentration in einer wässrigen Rhamnolipidlösung
lich ist, um überhaupt einen stabilen Schaum zu für verschiedene Gasdurchsätze (Probenahmehöhe:
145 cm); (b) Anreicherungsfaktor für Tensid und Protein
erzeugen (im Beispiel etwa bei cvor = 0,05 g/L) liegt
in Abhängigkeit vom Gasdurchsatz für das Permeat einer
der interessante Anwendungsbereich der Schaum- Rhamnolipid-Fermentation (nach [109])
fraktionierung hier bei cvor = 0,05 g/L bis 0,25 g/L.
Parameter in . Abb. 9.31a ist der Gasdurchsatz. Die
Daten in . Abb. 9.31a waren mit reinen wässrigen Hier werden die Grenzen des Verfahrens sicht-
Tensidlösungen gefunden worden. Sie wurden aber bar. Aus ökonomischen Gründen sind nachfolgende
analog durch Messungen an realen, d. h. aus der Fer- Reinigungsschritte angezeigt.
mentation mittels Mikrofiltration abgetrennten und Weitere Beispiele zur Schaumseparation siehe Li
damit neben Rhamnolipid auch Proteine enthalten- und Stevenson [78].
den Lösungen qualitativ bestätigt (. Abb. 9.31b).
Auch für dieses System wurde die Abhängigkeit
des Gasdurchsatzes auf die Anreicherung gezeigt. 9.3.4 Membranseparation
Der Anreicherungsfaktor nimmt mit zunehmen-
dem Gasdurchsatz sowohl für das Tensid als auch Die beste Definition einer Membran liefert uns
für die Verunreinigung (das Protein) ab. Gleichzeitig die Natur, wo biologische Membranen ubiquitär
erhöht sich aber das Verhältnis von Verunreinigung sind. Sie ermöglichen den selektiven Transport
zu Tensid. Die Tensidkonzentration wächst über- von Wasser und Gelöstem in die Zelle (Nährstoffe)
proportional mit der Temperatur; offensichtlich ein und aus der Zelle heraus (Endprodukte). In diesem
Ergebnis der sinkenden Viskosität der zu drainie- Kontext ist eine Membran eine dünnwandige Struk-
renden Flüssigkeit. Die maximal erreichbare Rham- tur, die die einzelnen Komponenten einer Flüssig-
nolipidkonzentration betrug 12,5 g/L. Diese wurde keitsmischung (Lösung oder Suspension) selektiv
aber erst bei einer Verweilzeit des Schaums in der passieren lässt. Eine weitere wichtige Forderung ist,
Säule von ca. 40 Minuten erreicht. Bei gleichzeitiger dass dieser Transport – im Gegensatz zur Filtration
Anwesenheit von Proteinen im Schaum reduzierte – kontinuierlich oder quasi kontinuierlich erfolgt.
sich die maximale Rhamnolipidkonzentration und Bedenkt man, dass in der Natur – angefangen
es erhöhte sich die notwendige Verweilzeit. von Mikroorganismen, über Pflanzen, Tiere, bis zum
336 H. Chmiel

Menschen – bei nahezu jedem Stofftrennprozess also Polymer (hier Polyethersulfon), Lösungsmittel
Membranen involviert sind, so fragt man sich, warum (hier DMF) und Fällungsmittel (Wasser). Der zweite
in der Biotechnologie und insbesondere beim Downs- Bereich (rot) stellt eine Mischungslücke dar. Auf dem
tream Processing der Einsatz synthetischer Membra- Weg von A nach D gibt die Polymerlösung Lösungs-
nen vergleichsweise begrenzt ist. Die Antwort könnte mittel an das Fällungsmittel ab. Sie überschreitet bei
trivial lauten: weil synthetische Membranen in ihrer B die Binodalkurve und tritt von B nach C in eine
Leistungsfähigkeit noch zu weit von derjenigen biolo- unstabile Phase (hellrot), in der sich ein Gel bildet.
gischer Membranen entfernt sind und weil sie darüber Bei Überschreiten der Spinodalkurve bei C wandelt
hinaus zu teuer sind. Beides mag richtig sein; die Ent- sie sich in eine feste, glasartige Phase (dunkelrot) um,
wicklung ist aber so rasant (Steigerung der Leistungs- die das Membrangerüst darstellt. In der Praxis geht
fähigkeit und Senkung der Membrankosten), dass es man bei der Herstellung der gezeigten Membran so
sich lohnt, Neuentwicklungen auf ihre Tauglichkeit vor, dass die Polymerlösung über Düsen als Hohlfä-
für Bioseparationsprozesse zu untersuchen. den in ein Wasserbad „gesponnen“ werden. Die Fest-
phasenbildung findet von außen nach innen statt,
was die Asymmetrie der Poren erklärt.
Membranmaterialien und -strukturen Eine andere Struktur zeigt die anorganische
Material und Struktur einer synthetischen Membran Flachmembran in . Abb. 9.32c. Sie besteht aus mehre-
bestimmen ganz wesentlich deren Trennverhalten. ren Schichten von nach oben hin abnehmendem Par-
Sie sollen daher kurz vorgestellt werden. tikeldurchmesser (siehe schematische Darstellung,
Membranen können heute aus nahezu jedem . Abb. 9.32d). Der Support besteht aus vergleichs-
9 organischen oder anorganischen Werkstoff herge- weise groben Partikeln (Porengröße: 1–10 μm) aus
stellt werden. Die häufigsten organischen Ausgangs- z. B. Al2O3, TiO2, SiC die durch Extrudieren oder
materialien sind Cellulose und Cellulose-Derivate, Schlemmen erzeugt, getrocknet (Grünkörper) und
Polyamid, Polysulfon, Polyethersulfon, Polyether- bei Temperaturen oberhalb 1000 °C kalziniert wird.
keton, Polyetherimid, Polyacrylnitril, Polypropylen, Die selektiven Schichten werden als Sol/Gel durch
Polytetrafluorethylen (PTFE), Polyvinylidenfluorid Tauchen oder Sprühen aufgebracht und nach dem
(PVDF), Polycarbonate und Polysiloxane. gleichen Verfahren getrocknet und kalziniert.
Bei den anorganischen Materialien werden zur Die dritte Membran in . Abb. 9.32e besteht aus
Membranherstellung vor allem Aluminumoxid, Sili- einem kristallinen Polymer wie z. B. Polypropylen
ciumoxid, Zirkonoxid, Siliciumcarbid, Glas und Zeo- und entsteht durch Recken. Dabei bilden sich feine
lithe, aber auch Metalle wie Aluminium, Palladium Risse, die diese Membran charakterisieren. Es leuch-
und deren Legierungen verwendet. tet ein, dass das Separationsverhalten dieser Memb-
Die eingangs genannte Definition für eine ranen völlig unterschiedlich ist.
Membran würde vermuten lassen, dass sie porös Wegen des stark asymmetrischen Verhaltens
sein muss. Dies ist aber nicht richtig, wie die in der Phaseninversionsmembran ist deren Druck-
. Abb. 9.45a dargestellte Pervaporationsmembran verlust sehr gering. Dies trifft auch für die kera-
(z. B. auf Basis von PDMS) oder Membranen zur mische Membran zu, jedoch ist wegen der riesi-
Gastrennung (Palladium und dessen Legierungen) gen Oberfläche, die die Partikel bilden, mit starken
beweisen. Dennoch ist die weit überwiegende Zahl Adsorptionsvorgängen zu rechnen. Bei der gereck-
der in der Biotechnologie verwendeten Membranen ten Membran kann man im eigentlichen Sinne nicht
mikroporös, weshalb sich die Vorstellung von Mem- von einer Pore sprechen, die man sich üblicherweise
branstrukturen darauf beschränken. . Abb. 9.32a rund vorstellt.
zeigt eine durch Phaseninversion hergestellte asym- Die mittels Stickstoffadsorption gemessenen
metrische Hohlfasermembran aus Polyethersulfon. Porengrößenverteilungen von zwei Nanofiltra-
Die Entstehung der fingerartigen Struktur lässt sich tionsmembranen – einer keramischen und einer
anhand eines in . Abb. 9.32b dargestellten ternären Polymer-Membran – sind in . Abb. 9.33 darge-
Mischungsdiagramms erläutern. stellt. Man erkennt die im Vergleich zur Kera-
Es besteht grob aus zwei Bereichen. Im Ein- mikmembran breite Porengrößenverteilung der
phasengebiet (weiß) sind alle drei Komponenten, Polymembran.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
337 9
a b Polymer
Binodalkurve
metastabile
Region
Spinodalkurve
D

A B C

Lösungsmittel Fällungsmittel

c d NF-Lage

UF-Lage

MF-Lage

Support
e

. Abb. 9.32  Membranstrukturen und deren Herstellung. (a) Phaseninversionsmembran; (b) ternäres Mischungsdiagramm;
(c) REM-Aufnahme einer anorganischen, keramischen Flachmembran (mit freundlicher Genehmigung des Fraunhofer IKTS und
der Fa inopor GmbH); (d) schematische Darstellung der anorganischen Flachmembran; NF: Nanofiltration, UF: Ultrafiltration, MF:
Mikrofiltration; (e) gereckte Polypropylenmembran

. Abb. 9.33  Mittels


Stickstoffadsorptionsmessung bestimmte
Porengrößenverteilung für zwei
Nanofiltrationsmembranen:
338 H. Chmiel

Membrancharakterisierung mischt ein Lösungsmittel (in der Regel Wasser) mit


Es ist zu erwarten, dass die unterschiedlichen Poren- Partikeln bzw. Molekülen unterschiedlicher, jedoch
verteilungen sich im Separationsverhalten der Memb- bekannter Größe. In Filtrationsversuchen bestimmt
ranen niederschlagen. Im Folgenden werden die Para- man dann den Anteil der jeweiligen Partikel – bzw.
meter zur Membrancharakterisierung vorgestellt. die Molekülgröße –, der die Membran passiert hat.
In . Abb. 9.34 ist ein Membrantrennprozess sche- . Abb. 9.35 zeigt schematisch das Ergebnis für zwei
matisch dargestellt. Daraus lassen sich unmittelbar verschiedene Membranen. Bei einem Rückhalt von
folgende Parameter ableiten: 90 % – Trenngrenze bzw. cut-off genannt – sind beide
VF = Feedvolumenstrom (der Membran zuge- nahezu gleich. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich
führter Volumenstrom) in der Neigung der Kurven, die unmittelbar von der
V R = Retentatvolumenstrom (von Membran Porengrößenverteilung abhängen. Eine enge Porengrö-
zurückgehaltener Volumenstrom) ßenverteilung bedeutet eine steile Rückhaltekurve und
VP = Permeatvolumenstrom (die Membran per- damit eine (erwünscht) hohe Selektivität. Die flache
meierender Volumenstrom) Rückhaltekurve ist – wegen ihrer geringen Selektivi-
JP = Membranfluss/Flux (auf die Membranfläche tät – für die Produktkonzentrierung nicht geeignet.
AM bezogener Volumenstrom) Wenn man die Highlights der Membranentwick-
P = Permeabilität (auf die transmembrane lung der letzten zehn Jahre auf einen Nenner bringt,
Druckdifferenz bezogener Membranfluss) so sind dies die Verbesserung der thermischen und
VP chemischen Stabilität, die Erhöhung der Selektivi-
P=  Gl. 9.15 tät durch engere Porengrößenverteilung der Memb-
9 AM∆p
ranen und schließlich die drastische Reduktion der
S = Selektivität (Verhältnis der Konzentrationen in Membranpreise.
Permeat und Feed) Weitere wichtige Faktoren für die biotechnolo-
gische Anwendung von Membranen sind Ausbeute
cPi / cPj und Aufkonzentrierungsfaktor. Die Ausbeute ist das
Sij =  Gl. 9.16
cFi / cFj Verhältnis von Permeatvolumenstrom zu Feedvolu-
menstrom in Prozent und ist von Bedeutung, wenn das
R = Rückhalt (Trennschärfe einer Membran bzgl. Permeat das Produkt ist. Der Aufkonzentrierungsfak-
einer Komponente i) tor ist das Verhältnis der Konzentration der interessie-
cFi,cFj = Feedkonzentration der Komponenten i renden Komponente in Retentat und Feed. . Abb. 9.36
und j stellt den Zusammenhang dieser beiden Größen dar.
cPi,cPj = Permeatkonzentration der Komponen-
ten i und j
Treibende Kräfte für den
c − cPi Stofftransport durch
Ri = Fi ⋅100 %  Gl. 9.17
cFi Membranen
Im vorigen Abschnitt wurden Begriffe wie Fluss,
Das Rückhaltevermögen einer Membran kann expe- Selektivität und Rückhaltevermögen definiert. Es
rimentell auf folgende Weise bestimmt werden: Man stellt sich nun die Frage, wie sie zum Nutzen der

. Abb. 9.34  Schematische


Darstellung eines Membranprozesses
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
339 9

. Abb. 9.35  Vergleich des Trennverhaltens von zwei unterschiedlichen Membranen (a) breite Porenverteilung, (b) enge
Porenverteilung)

. Abb. 9.36  Zusammenhang zwischen Restvolumen und Ausbeute bzw. Aufkonzentrierungsfaktor

Produktreinigung beeinflusst werden können. Es zusätzlichen Widerstand. Eine gewisse Memb-


gilt zunächst der pauschale Zusammenhang: randicke ist aber notwendig, um einem angeleg-
ten Differenzdruck – in diesem Fall die treibende
 / Σ Widerstande
Fluss = Σ treibendeKrafte  Kraft – mechanisch standzuhalten. Die Selektivi-
tät für unterschiedlich große Partikel ergibt sich aus
Betrachtet man nochmals die Keramikmemb- dem – möglichst einheitlichen – Porendurchmesser
ran in . Abb. 9.35, so bedeutet jede Schicht einen der aktiven (obersten) Schicht.
340 H. Chmiel

Aber der Druck ist nur eine der möglichen trei- ui = Beweglichkeit eines Ions
benden Kräfte. Die Summe aller treibenden Kräfte ist φ = elektrisches Potenzial
das chemische Potenzial. Bezeichnet man die Strö-
mungsrichtung durch die Membran mit x, so gilt für Demnach setzt sich die treibende Kraft aus den
den Fluss der Komponente i die – etwas vereinfacht Termen Konvektion mit dem Druckgradienten dp/
formulierte – Nernst-Planck-Gleichung: dx, der Diffusion mit den Konzentrationsgradienten
dci/dx und dem Gradienten des elektrischen Poten-
dp dc dϕ zials dφ/dx zusammen.
J i = −ci ⋅ bki ⋅ − Di ⋅ i − ci ⋅ zi ⋅ ui ⋅  Gl. 9.18
dx dx dx In . Tab. 9.2 sind die wichtigsten in der Biotech-
nologie verwendeten Membrantrennverfahren auf-
Ji = Fluss der Komponente i geführt. Interessant ist, dass jedes von einer trei-
ci = Konzentration der Komponente i benden Kraft dominiert wird. In der Tabelle sind
bki = konvektive Beweglichkeit von i noch der Membrantyp und die biotechnologische
p = Druck Applikation angegeben. Danach unterscheidet man
Di = Diffusionskoeffizient von i Druck-, Lösungsdiffusions- und elektrisch getrie-
zi = Ladung eines Ions bene Membrantrennverfahren.

. Tab. 9.2  Druckgetriebene Membrantrennverfahren

Membrantrennverfahren Treibende Kraft für den Trennprinzip biotechnische Applikation


9 Stofftransport

Mikrofiltration Druckdifferenz <2 bar Poren >50 nm Biomasse-Rückhalt, Entfernung


makromolekularer Produkte aus dem
Bioreaktor
Ultrafiltration Druckdifferenz 2–10 bar Poren 50–5 nm Entfernung niedermolekularer Stoffe
aus dem Bioreaktor/Konzentrierung
von makromolekularen Lösungen
Nanofiltration Druckdifferenz 5–30 bar Poren 5–0,5 nm Abtrennung organischer
Komponenten und mehrwertiger von
einwertigen Salzen
Umkehrosmose Druckdifferenz Lösungs-Diffusion Entfernung von niedermolekularen
10–200 bar Stoffen (Salze, Organik)
Pervaporation Partialdruckdifferenz Lösungs-Diffusion Entfernung leicht flüchtiger
Komponenten
Gastrennung Partialdruckdifferenz Lösungs-Diffusion Trennung von Dampfgemischen,
Abreicherung von CO2, Anreicherung
von O2
Flüssigmembrantrennung Konzentrationsdifferenz gekoppelter Trennung racemischer Gemische
Transport
Dialyse Konzentrationsdifferenz Poren-Diffusion, Abtrennung von inhibierenden
beidseits wässrige Stoffen mit niedrigem
Phase Molekulargewicht
Diafiltration Konzentrations- plus Kombination Entfernung niedermolekularer Stoffe
Druckdifferenz von Dialyse und und Zuführung von Medium
Ultrafiltration
Elektrodialyse elektrische Co-Ionenausschluss Konzentrierung organischer
Potentialdifferenz durch Festladungen Säuren, Entfernung von Salzen,
in der Membran Racemattrennung (Aminosäuren)
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
341 9
Druckgetriebene Aufkonzentrierung bei der Schaumseparation oder
Membrantrennverfahren die Gewinnung von Exopolysacchariden mit Rück-
In der Biotechnologie sind Membrantrennprozesse, führung der retentierten Zellen in den Bioreaktor
bei denen der Transport durch die Membran auf- wird die Mikrofiltration eingesetzt.
grund einer Druckdifferenz erfolgt, am meisten Bei der Ultrafiltration (UF) liegt die transmem-
verbreitet. brane Druckdifferenz bei 2–10 bar. Die asymmet-
Bei den oben vorgestellten Kenngrößen Selekti- rischen Membranporen haben Durchmesser von
vität, Rückhaltevermögen, Trenngrenze und Flux – 5–50 nm. Damit ist die Ultrafiltration vor allem für
häufig auch transmembraner Fluss (TMF) genannt die Aufkonzentrierung makromolekularer Lösun-
– ist ein weiterer wichtiger Parameter, der vor allem gen wie z. B. Polysaccharidlösungen oder Prote-
die Wirtschaftlichkeit von druckgetriebenen Mem- inlösungen geeignet. Aber auch zur Abtrennung
branprozessen wesentlich beeinflusst, die Permea- von Antibiotika und anderen niedermolekularen
bilität, das ist der TMF, auf ein bar transmembrane Komponenten aus dem Bioreaktor und zur Rück-
Druckdifferenz (TMP) bezogen, hat also die Dimen- haltung der Enzyme im Membranreaktor wird die
sion l/m2h bar. UF eingesetzt.
In . Tab. 9.2 sind die heute verwendeten druckge- Die Nanofiltration (NF) hat eine Besonderheit.
triebene Membrantrennverfahren mit ihren Trenn- NF-Membranen tragen häufig an ihrer Oberfläche
grenzen und ihren biotechnischen Applikationen elektrische Ladungen. Dadurch und durch ihre sehr
zusammengestellt. Mit Ausnahme der Umkehros- kleinen Poren von etwa 1 nm sind sie in der Lage, ver-
mose stehen für alle druckgetriebenen Verfahren schiedene niedermolekulare Stoffe, aber auch mehr-
neben organischen Polymermembranen auch solche wertige von einwertigen Ionen zu trennen. Voraus-
auf anorganischer Basis, insbesondere Aluminium-, setzung dafür ist jedoch eine scharfe Trenngrenze.
Titan- und Zirkonoxid sowie Siliciumcarbid kom- In . Abb. 9.37 haben die Membranen Toray-
merziell zur Verfügung. Neben den bereits erwähn- SU­600 und Film Tec-NF40 die geforderte Trenn-
ten Vorteilen der chemischen (z. B. Säure, Lauge und charakteristik. Beide sind in der Lage, Glucose aus
organische Lösungsmittel) und thermischen (Sterili- einer wässrigen Lösung fast vollständig (>85 %)
sation) Stabilität zeichnen sich anorganische Memb- zurückzuhalten. Negativ geladene NF-Membra-
ranen durch enge Porenverteilung und damit scharfe nen lassen Aminosäuren unterhalb ihres isoelektri-
Trenngrenzen aus. schen Punktes fast vollständig permeieren, oberhalb
Die Mikrofiltration (MF) – mit Membranporen- des isoelektrischen Punktes werden sie mehr oder
durchmessern >50 nm und transmembranen Druck- weniger zurückgehalten (bei pH 12: L-Asparagin-
differenzen <2 bar – wird zur Abtrennung von Bio- säure ca. 80 %; L-Isoleucin ca. 50 %). Da die meisten
masse genutzt. Im Bioreaktor integriert oder im Proteine in der Nähe von pH 7 negativ geladen sind,
externen Kreislauf geschaltet dient sie zum Austrag eignen sich negativ geladene NF-Membranen und
von sekretierten Produkten bzw. toxischen oder insbesondere keramische NF-Membranen gut zu
inhibierenden Substanzen bei gleichzeitigem Zell- deren Aufkonzentrierung. Voigt et al. [129] gelang
rückhalt (7 Kap. 6). In der aeroben biologischen es, die molekulare Trenngrenze auf 200 Dalton zu
Abwasserreinigung ist diese Technik unter dem senken und damit den unteren Bereich der Nanofil-
Begriff submerser Membran-Bioreaktor (SMBR, tration zu erschließen. . Abb. 9.32 zeigt das Schema
submerged membrane bioreactor) weit verbreitet. (d) und eine REM-Aufnahme (c) einer solchen
Für Produktionszwecke muss die integrierte Membran mit asymmetrischem Schichtenaufbau.
Membran allerdings sterilisierbar sein. Neue kera- Dadurch kann die (oberste) selektive Schicht extrem
mische und Polymer-Membranen machen dies dünn sein (50 nm), eine Voraussetzung für eine hohe
möglich. Permeabilität von etwa 10 l/m²hbar. Bei einem zuläs-
Auch für Reinigungsschritte wie z. B. das Abfil- sigen TMP von 30 bar erzielt man somit Permeat-
trieren des Überstands nach Zelllyse und Präzipi- flüsse von 300 L/m2h.
tation und die nachfolgende Elimination der Zell- Näheres zur Nanofiltration und zur Model-
Debris mittels keramischer MF-Membran [74], die lierung der Transportvorgänge durch derartige
342 H. Chmiel

. Abb. 9.37  Rückhaltevermögen


einer Umkehrosmose(RO)-Membran
(rot) im Vergleich zu verschiedenen
kommerziell verfügbaren NF-
Membranen für verschiedene
organische Komponenten
(Rautenbach und Gröschl [97])

Membranen kann bei Chmiel et al. nachgelesen


werden.
Membranen mit molekularen Trenngrenzen
unter 200 Dalton werden der Umkehrosmose (RO)
9 zugerechnet. Sie halten Salze fast vollständig zurück.
Methanol und Ethanol permeieren aber diese Memb-
ranen weitgehend – wie aus . Abb. 9.37 (rote Kurve)
hervorgeht. RO-Membranen können mit trans-
membranen Druckdifferenzen von mehr als 200 bar
betrieben werden.

Adsorption, Konzentrationspolarisation,
Fouling und ­Scaling
Im Folgenden soll auf ein Phänomen eingegangen
werden, dass bei allen technischen Membrantrenn-
verfahren auftritt und diese in der Vergangenheit
in Misskredit gebracht hat. Unter realen Bedingun-
gen verändern sich die Trenneigenschaften einer
Membran mit der Betriebszeit. Dieser unter den
Begriffen Membran-Fouling und -Scaling subsu- . Abb. 9.38  Ausbildung der Konzentrationspolarisation an
einer Membran (a) vor Beginn der Filtration; (b) im stationären
mierte Effekt gilt für alle Membrantrennverfahren
Filtrationszustand
und soll daher näher untersucht werden.
Anhand der Schemaskizze in . Abb. 9.38 sollen
die Vorgänge Adsorption, Konzentrationspola- Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen der
risation und Membranfouling erläutert werden. Rohlösung und der Membran ein Stofftransport JA.
Hier sind die zu filtrierende Rohlösung mit (1), die Diese Wechselwirkungen sind von den Komponen-
Membran mit (2) und das Filtrat mit (3) bezeich- ten und der Konzentration abhängig. Grenzflächen-
net. Bereits zum Zeitpunkt 0 d. h. dem Augenblick, aktive Stoffe wie z. B. Proteine adsorbieren besonders
in dem die Rohlösung mit der Membran in Kontakt heftig und bilden innerhalb kürzester Zeit auf der
gebracht wird, aber noch keine Filtration stattfin- Membran einen Belag. Beginnt nun der eigentliche
det (. Abb. 9.38a), beginnt aufgrund adsorptiver Filtrationsvorgang, so wandern mit dem diffusiven
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
343 9
und konvektiven Stofftransport (JD + JK = J) sowohl auch mit reinem Wasser und Reinigungs-
Komponenten, die die Membran permeieren, als mitteln gemäß . Abb. 9.39).
auch solche, die von ihr zurückgehalten werden in 55 Der transmembrane Fluss wird niedriger
Richtung Membran. Ist J groß genug, so können gewählt, um die Konzentrationspolarisation zu
die zurückgehaltenen Komponenten nicht schnell reduzieren.
genug zurückdiffundieren (JB). Es kommt an der 55 Es wird ein Membranmaterial gewählt, das mit
Membran zu einer Konzentrationsüberhöhung der den Komponenten der Rohlösung möglichst
zurückgehaltenen Komponenten der sogenannten wenig interagiert.
Konzentrationspolarisation. Die erhöhte Konzent-
ration in Membrannähe bedeutet verstärkte Adsorp- Neben diesen, für alle Membranverfahren geltenden
tion. Der Membranbelag wächst übrigens bis in die Maßnahmen, gibt es spezielle Strategien, die im Ein-
Pore hinein. Gleichzeitig verändert sich das Rück- zelnen später erläutert werden. . Abb. 9.39 zeigt für
haltevermögen der Membran hin zu kleineren Teil- die druckgetriebenen Membranprozesse Mikrofiltra-
chen bzw. Molekülen. Komponenten, die ursprüng- tion und Ultrafitration die Wirkung von zyklischem
lich die Membran passierten, werden nun ebenfalls Rückspülen auf das Fouling. Wegen der höheren
zurückgehalten. Porosität, d. h. der größeren Gesamtporenfläche der
Dieser circulus viciosus kann so weit gehen, MF-Membran ist ihr TMF zu Beginn der Filtration
dass die Löslichkeitsgrenzen einzelner Komponen- deutlich höher als bei der UF-Membran. Der TMF
ten überschritten werden. Es bildet sich dann auf fällt aber bei konstantem TMP mit zunehmender
der Membran eine Gelschicht. Dieser als Fouling Filtrationszeit steil ab und unterschreitet nach ca.
bezeichnete Effekt ist bei Anwesenheit von Mikro- 2,5 h den der UF-Membran. Selbst nach einer Rück-
organismen besonders dramatisch, weil diese dann spülung erreicht er aber nicht mehr den TMF der
auf der Membran aufwachsen (Biofouling). Die Kon- UF-Membran. Die Ursache hierfür soll anhand der
sequenz ist ein monotoner Abfall des transmemb- schematischen Darstellung in . Abb. 9.40 erläutert
ranen Flusses (TMF) mit der Filtrationszeit analog werden. . Abb. 9.40a zeigt idealisiert den Filtrations-
. Abb. 9.39. und Rückspülvorgang für eine poröse Membran
Folgende Maßnahmen sind zu ergreifen: mit einem mittleren Porendurchmesser von 50 nm.
55 Die Anströmung der Membran erfolgt In der Realität wird der Filtrationsvorgang jedoch
tangential (sogenannter cross-flow) statt ortho- durch Adsorption von Makromolekülen überlagert
gonal (dead end). (. Abb. 9.40b). Dies hat zur Folge, dass der mittlere
55 Die Durchströmung der Membran wird Porendurchmesser, die Porosität der Membran und
zyklisch umgekehrt (Rückspülung eventuell damit auch die Permeabilität drastisch abnehmen.
Parallel dazu schwächt sich bei gleichem Rückspül-
druck auch die Effektivität der Rückspülung ab.
Ergebnis ist letztlich das Verblocken der Membran
(. Abb. 9.40c).
Da in . Abb. 9.39 der transmembrane Druck
konstant gehalten wurde, könnte man den TMF
durch den TMP dividieren und erhielte – bei glei-
chem Kurvenverlauf – als Skalierung die Permeabi-
lität P. Hält man statt des transmembranen Drucks
den transmembranen Fluss konstant, so erhält man
praktisch den gleichen Permeabilitätsverlauf. Unter
zu Hilfenahme des Hagen-Poiseuille’schen Gesetzes
. Abb. 9.39  Transmembranfluss (TMF) über der Zeit
für eine 5 %ige Hefesuspension mit einer Ultrafiltrations-
(7 Kap. 4, Gl. 4.10) lässt sich zeigen, warum die Per-
(schwarze Kurve) und einer Mikrofiltrationsmembran (rote meabilität so drastisch abnimmt. Wird die Perme-
Kurve) abilität einer einzelnen Pore PP mit dem mittleren
344 H. Chmiel

b c

. Abb. 9.40  Schematische Darstellung des Filtrations-, Rückspül- und Foulingvorgangs einer MF/UF-Membran mit einem
mittleren Porendurchmesser von 50 nm, (a) ohne Proteinadsorption, (b) Proteinadsorptions-Vorgang, (c) verblockte Membran

Porenradius RP, der Porenlänge LP und dem Fluss VP Während bei der Ultrafiltration abhängig vom
in Gl. 4.10 eingesetzt, so ergibt sich wegen Porendurchmesser nur kleine Moleküle zur Adsorp-
tion beitragen können, sind es bei der Mikrofiltration
8 ⋅ η ⋅ L ⋅ V VP π ⋅ RP4 auch Makromoleküle. Daraus resultiert der Unter-
∆p = PP = PP =
π ⋅ R4 ∆p 8 ⋅ η ⋅ LP schied zwischen MF und UF in . Abb. 9.39. Übri-
 Gl. 9.19 gens adsorbieren alle permeierten Moleküle auch auf
der Rückseite der Membran. Zu einem bestimmten
Bei einer Adsorptionsschicht von nur 1 nm reduziert Zeitpunkt wird der Filtrationsprozess unwirtschaft-
sich im gewählten Beispiel der mittlere Porenradius lich. Membran und Modul müssen gereinigt werden.
von 25 nm auf 24 nm und damit die Permeabilität Je nach Art der Ablagerungen (mikrobielle, organi-
um15 %. Bei 2 nm sind es bereits 28 % und bei 3 nm sche oder anorganische) kommen wässrige Lösun-
40 %. Dieser Vorgang wird noch von den auf der gen Natriumhypochlorit, Salzsäure, Natronlauge,
Oberfläche der Membran zurückgehaltenen Kom- Wasserstoffperoxyd, EDTA oder Ozon zum Einsatz.
ponenten überlagert. Letztere können durch zykli- Welche Reinigungsmedien verwendet werden
sche Rückspülung abgetragen werden. Da die Scher- können, hängt natürlich auch vom Membran- und
kräfte bei der Rückspülung in der Pore zu gering sind Modulmaterial ab. Werden statt organischer anorga-
wächst die adsorbierte Schicht aber immer weiter an. nische Ablagerungen auf der Membran festgestellt,
Kleinere Poren werden vollständig verschlossen. so spricht man von Scaling. Dieses wird vor allem bei
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
345 9
der Umkehrosmose und der später beschriebenen 55 mechanische, chemische und thermische
Elektrodialyse beobachtet. Stabilität,
55 kostengünstige Fertigung und
55 gute Reinigungsmöglichkeit.
Membran- und Modulgeo-
metrien für druckgetriebene Im Wesentlichen sind die zurzeit erhältlichen
­Membrantrennprozesse Module entweder mit Schlauchmembranen oder
Die technische Anordnung von Membranen wird als mit Flachmembranen bestückt.
Modul bezeichnet. Im Modul sollen für die jeweilige . Abb. 9.41 zeigt ein UF-Hohlfasermodul, der
Anwendung optimierte Bedingungen für den Mem- mit einer Membranfläche von bis zu 50 m2 bestückt
brantrennprozess realisiert werden. Die Optimie- werden kann. Der Außendurchmesser, der aus Poly-
rung bei der Entwicklung von Modulen stellt zumeist vinylidenfluorid (PVDF) bestehenden Hohlfaser
einen Kompromiss dar, da einige der im Folgenden beträgt 1,4 mm, der Innendurchmesser 0,7 mm, die
angeführten Anforderungen im Widerspruch zuei- mittlere Porenweite 20 nm. Die Hohlfaser wird quasi
nander stehen, wie z. B.: dead-end von außen nach innen durchströmt und ist
55 gute, gleichmäßige Überströmung der damit für den Rückhalt geringer Mengen von Verun-
Membran, reinigungen einzusetzen. Sie kann mit maximal 4 bar
55 geringe Druckverluste, von innen nach außen rückgespült werden. Die Ras-
55 große Packungsdichte, teraufnahme in c) zeigt den symmetrischen Aufbau

a b

. Abb. 9.41  UF-PVDF-Hohlfasermodul: (a) Schema des Moduls (b) Schnittbild des Moduls (c) REM-Aufnahme der Hohlfaser
(mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pall GmbH)
346 H. Chmiel

der hochkristallinen Membran. PVDF ist bekannt Membranen zur Gastrennung und Per-
für seine Beständigkeit gegen eine Vielzahl von in vaporation
Wasser verdünnten Reinigungsmitteln wie z. B. Nat- Gastrennung und Pervaporation sind zwei Memb-
riumhypochlorit, NaOH, HCl, H2O2, EDTA und ranprozesse mit einigen Gemeinsamkeiten:
O3. Als Betriebstemperatur wird maximal 40 °C 55 Die treibende Kraft für den Stofftransport ist
angegeben. eine Partialdruckdifferenz.
Keramische Membranen können neben ihrer 55 Das Produkt wird in gasförmiger Phase
chemischen Beständigkeit auf die Vorteile Dampf- erhalten.
sterilisierbarkeit und eine enge Porenverteilung 55 Die selektive Schicht der Membran besteht aus
verweisen. einem porenfreien Polymerfilm.
. Abb. 9.42 zeigt mehrere von innen nach außen 55 Die die Membran permeierenden Kompo-
durchströmbare Mehrkanal-Rohrmembran-Mo- nenten werden im gasförmigen Zustand im
dule. Der in . Abb. 9.32c und 9.32d gezeigte Multi- Polymerfilm gelöst und verlassen diesen auch
Layer-Aufbau der Keramikmembran gestattet es, im gasförmigen Zustand.
das gleiche Modul im Prinzip mit MF-, UF- oder
NF-Membranen (bis hinunter zu einer Trenngren- Aus der letztgenannten Gemeinsamkeit lässt sich
zen von 200 D) auszurüsten. Im Vergleich zum aber auch der Unterschied der beiden Prozesse
oben genannten Hohlfasermodul ist die Packungs- ableiten: Während bei der Gastrennung die per-
dichte (Membranfläche/Modulvolumen) natür- meierenden Komponenten ihren Aggregatszu-
lich geringer und die Kosten sind materialbedingt stand nicht ändern, müssen sie bei der Pervapora-
9 höher. tion zunächst vom flüssigen in den dampfförmigen
. Abb. 9.43 gibt Beispiele für Module mit Flach- Zustand überführt werden. Dieser Unterschied ist
membranen, und zwar Einweg-Kassettenmodule vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt her äußerst
(. Abb. 9.43a), wie sie in der biopharmazeutischen bedeutsam.
Arzneimittelherstellung verwendet werden und ein Das Polymer der selektiven Schicht ist so zu
Wickelmodul (. Abb. 9.43b, schematisch), der bei wählen, dass die voneinander zu trennenden Kom-
der Ultrafiltration und Umkehrosmose Anwen- ponenten sich in ihrer Löslichkeit und ihrem Dif-
dung findet. . Abb. 9.43c zeigt eine asymmetrische fusionskoeffizienten möglichst stark voneinan-
Ultrafiltrations-Flachmembran. der unterscheiden. Die Wunschvorstellung, dass
Vor- und Nachteile der verschiedenen Module die daraus resultierende Selektivität für die durch
und typische Applikationen in der Biotechnologie die Membran hindurchtretende Komponente und
sind in . Tab. 9.3 zusammengestellt. deren Permeabilität beide möglichst groß sind, lässt

a b

. Abb. 9.42  Keramische Mehrkanal-Membranen (a) und keramisches Membran-Modul (b) (mit freundlicher Genehmigung
der Fa. Inopor GmbH)
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
347 9
a b

. Abb. 9.43  Module mit Flachmembranen. (a) Kassettenmodule (Cadence™); (b) Wickelmodul; (c) UF-Flachmembran aus
Polysulfon (Omega™), mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pall GmbH)

sich leider nur sehr unvollkommen realisieren. Die Nach Blume et al. [14] nimmt die Löslichkeit
Erfahrung zeigt vielmehr, dass mit wachsender von Alkanen mit zunehmender Molmasse in der
Selektivität die Permeabilität immer geringer wird. Membran zu, der Diffusionskoeffizient jedoch ab.
In . Abb. 9.44a ist das Konzentrationsprofil der abzu- Weil die beiden Trends jedoch unterschiedlich aus-
trennenden Komponente von der Ausgangslösung geprägt sind, ergibt sich ein Maximum der Permea-
(1) über Eintritt in die Löslichkeitsmembran (2), den bilität für Pentan.
Eintritt in die poröse Stützschicht (3), den Übergang Wie in . Abb. 9.45 gezeigt, sind Pervaporati-
in die Gasphase (4) und die Permeatkammer bei (5) onsmembranen als Komposit aufgebaut. Auf die
stark vereinfacht dargestellt. Man erkennt den Kon- Innenseite einer mikroporösen Hohlfasermemb-
zentrationssprung von der Feedseite zur aktiven ran wird ein organoselektiver, wenige Mikrometer
Schicht der Membran, der eine Folge der hohen Lös- dicker Polysiloxan-Film aufgetragen (. Abb. 9.45a).
lichkeit der Komponente i in der aktiven Membran Ebenfalls organoselektiv ist die Zeolithmembran
ist. Die gestrichelten Linien zeigen die Konzentra- des Fraunhofer-Instituts für Keramische Techno-
tionen im stationären Zustand für den Fall, dass auf logien und Systeme in Hermsdorf (. Abb. 9.45b).
der Permeatseite nichts abtransportiert wird. Neben Die Stützstruktur besteht aus mehreren Titanoxid-
der Löslichkeit ist aber eben auch die Diffusionsge- schichten, die zur obersten, selektiven Schicht aus
schwindigkeit maßgebend für die Permeabilität und Zeolith hin im Porendurchmesser abnehmen. Nach
damit auch die Leistungsfähigkeit der Membran. Weyd et al. [134] würde die aus Silicium/Aluminium
In . Abb. 9.44b ist die relative Permeabilität von (im Verhältnis 300/1) bestehende Zeolithmemb-
n-Alkanen in einer Polydimethylsiloxan(PDMS)- ran an Hydrophobizität verlieren, wenn die Stütz-
Membran dargestellt. struktur aus Aluminiumoxid bestehen würde. Beide
9
348

. Tab. 9.3  Modulübersicht


H. Chmiel

Beschreibung Vorteile Nachteile Einsatzgebiete

Module mit Schlauchmembranen

Rohrmodule –d  ruckfestes Stützrohr, Membran – Geringer Druckverlust – geringe Packungsdichte Mikro-, Ultra- und
innen aufgebracht –u nempfindlich gegen –g roßer Feed-Volumenstrom Nanofiltration
– d = 2–24 mm Verstopfung pro Membran-fläche
– i nnen durchströmt, Permeatfluss – einfache Reinigung
von innen nach außen
– Packungsdichte: <80 m2/m3
Kapillar-/ Hohlfasermodule – S elbsttragend, aktive – hohe Druckstabilität –u
 nempfindlich gegen Mikro-, Ultra- und
Membranfläche innen oder außen – sehr hohe Packungsdichte Verstopfung Nanofiltration
– d = 40 µm–2 mm – r elativ niedrige –h
 oher Druckverlust in den
– innen oder außen durchströmt Membrankosten Fasern
– Packungsdichte: <10.000 m2/m3
Module mit Flachmembranen
Platten-/ Kassettenmodule – F lachmembranen mit – wenig verschmutzungsanfällig – r elativ geringe Mikro-, Ultra-, Nanofiltration,
innenliegendem Permeatspacer – geringer Druckverlust Packungsdichte Umkehrosmose
– Membranfläche außen –M  embran muss verschweiß-
– Permeatfluss von außen nach innen oder klebbar sein
– Packungsdichte: <400 m2/m3
Wickelmodule – F lachmembranen mit – hohe Packungsdichte – schlechte Reinigungsfähigkeit Nanofiltration,
innenliegendem Permeatspacer –g uter Stoffaustausch durch –M embran muss verschweiß- Umkehrosmose
– a ufgerollt mit zusätzlichem Feedspacer oder klebbar sein
Feedspacer
– F eedabführung durch
innenliegendes Stützrohr
– Packungsdichte: <1000 m2/m3
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
349 9
. Abb. 9.44  a
(a) Konzentrationsprofil in einer
Komposit-Pervaporationsmembran
und (b) relative, auf Pentan bezogene
Permeabilität der homologen Reihe
von n-Alkanen in PDMS (nach [14])

a b

. Abb. 9.45  Als Komposit aufgebaute Pervaporationsmembranen. (a) PDMS auf Polymerhohlfaser; (b) hydrophobe
Zeolithmembran auf Titanoxidschichten (mit freundlicher Genehmigung des FhIKTS, Hermsdorf )
350 H. Chmiel

Membranen gestatten die Entfernung von Ethanol Trägergestützte


aus Fermentationsbrühen. Flüssigmembrantrennung
Alternativ gibt es sowohl Polymer- als auch Zeo- . Abb. 9.47 zeigt das Prinzip der trägergestütz-
lithschichten, die hydrophil und damit wasserselek- ten Flüssigmembrantrennung. Eine hydrophobe
tiv sind. Hydrophile Zeolithmembranen werden zur poröse Membran ist mit einer ebenfalls hydro-
Entwässerung organischer Lösungsmittel (z. B. Bio- phoben flüssigen Phase gefüllt. Diese enthält
ethanol, Biobuthanol) verwendet. Hierbei kommt den eigentlichen Koppler. Auf der einen Seite der
die Temperaturstabilität der Keramik zum Tragen, Membran strömt die Rohlösung (das Feed), auf der
die eine Anwendung bei Temperaturen von 140 °C anderen Seite die Aufnehmungsphase. Die beiden
mit dampfförmigem Feed (Dämpfepermeation) in wässrigen Phasen unterscheiden sich deutlich in
direkter Kopplung mit der Rektifikation ermög- pH-Wert und Ionenstärke. Bei geeigneter Wahl
licht und zu einer deutlichen Energieeinsparung des Kopplers gelingt in einem mehrstufigen Ver-
gegenüber alternativen Entwässerungsverfahren fahren die sehr reine Trennung (>99,9 %) racemi-
führt [136]. scher Gemische [84].
Die für den Stofftransport erforderliche Partial- Allerdings müssen die Strömungsbedingungen
druckdifferenz kann auf drei verschiedene Arten rea- sehr sorgfältig gewählt werden. Zu hohe Strömungs-
lisiert werden (. Abb. 9.46): geschwindigkeiten (gleiche Strömungsrichtung) oder
55 durch Anlegen eines Vakuums; Druckdifferenzen führen zum Auswaschen der organi-
55 durch Spülen der Permeatseite mit einem Gas; schen Phase. Da dies nie vollständig vermieden werden
55 durch den Aufbau einer Temperaturdifferenz. kann, darf die organische Phase nicht toxisch sein.
9
Zur Auslegung von Pervaporationsprozessen wird
auf Baker [6] sowie Melin und Rautenbach [85] Dialyse und Diafiltration
verwiesen. z Dialyse
Lipnizki et al. [81] geben eine Übersicht über den Die Dialyse war der erste Membrantrennprozess im
Einsatz der Pervaporation bei der Bioproduktion von technischen Maßstab. Die Produktion von Memb-
Lösungsmitteln. Zur Vermeidung einer Inhibierung ranen für die Dialyse in der Medizin überschreitet
ist für die kontinuierliche Fermentation die integ- immer noch die sämtlicher sonstiger industriell ein-
rierte Produktentfernung Voraussetzung. Schügerl gesetzter Membranen. Daraus resultiert ein äußerst
[109] sieht den Vorteil der integrierten Produktent- günstiger Preis für ein steriles Dialysemodul.
fernung bei der Fermentation von Lösungsmitteln
wie Ethanol und Aceton-Butanol mittels Pervapo-
ration im Vergleich zu anderen – später vorzustel-
lenden – Verfahren, wie Extraktion und Adsorption,
hauptsächlich in der Energieeinsparung.

. Abb. 9.47  Transportmechanismen in einer


trägergestützten Flüssigmembran zur Trennung eines (R)/(S)-
. Abb. 9.46  Modi der Pervaporation. (a) Vakuum- Enantiomerengemisches. Untere Pore: unselektiver Transport
Pervaporation; (b) Spülgas-Pervaporation; (c) Thermo- auf Grund der Löslichkeit; obere Pore: selektiver Transport von
Pervaporation R mit Hilfe eines Kopplers (Carrier); nach Maximini [84]
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
351 9
Berücksichtigt man, dass beidseits der Membran des Porendurchmessers der Membran kann festge-
eine wässrige Phase strömt und dadurch das Memb- legt werden, welche Komponenten aus dem Biore-
ranfouling vergleichsweise gering ist, so wird dieses aktor entfernt und welche zurückgehalten werden.
Verfahren als erster Schritt zur Entfernung nieder- Darüber hinaus ermöglicht das Verfahren durch
molekularer Verunreinigungen aus Proteinlösun- Strömungsumkehr über das gleiche Modul die
gen sehr attraktiv. Wie in . Abb. 9.48 gezeigt, wird Zuführung von Medien bei gleichzeitiger Entfer-
hierfür ein Membranmodul mit vier Anschlüssen nung von Membranablagerungen auf der Produkt-
(Feed-Zufuhr, Retentat-Abfuhr, Dialyseflüssigkeit- seite [26]. Für Beispiele hierfür wird auf die 7 Kap. 6
Zufuhr und Dialysat-Abfluss) verwendet. und 12 verwiesen.
Der dem Modul zugeführten Proteinlösung
VF mit der Proteinkonzentration cFP und der Kon-
zentration an Verunreinigungen cFV strömt auf der Elektrisch getriebene Membrantrenn-
anderen Seite der Membran eine Dialyseflüssigkeit prozesse*
VD entgegen, die alle diejenigen niedermolekularen Bernd Bauer
Komponenten enthält, die nicht aus der Proteinlö- Elektrochemische Verfahren haben in den vergange-
sung entfernt werden sollen. Über die Wahl von VD nen Jahrzehnten eine große industrielle Bedeutung
kann der Konzentrationsgradient für die Verunreini- in der Herstellung von anorganischen Grundchemi-
gung so hoch gehalten werden, dass eine sehr effek- kalien erzielt. Hier ist insbesondere die Herstellung
tive Reinigung der Proteinlösung stattfindet (cFV ≫ von Chlor und Natronlauge durch Membranelekt-
cRV). Gleichzeitig ergibt sich die Möglichkeit, durch rolyse zu nennen [13]. In dieser Membranelektro-
Druckerhöhung auf der Feedseite die Proteinkonzen- lyse stellen die kathodische Reduktion sowie die
tration im Retentat zu erhöhen (cRP > cFP). anodische Oxidation den wichtigsten Prozessschritt
dar [44]. Die Elektrochemie ist jedoch nicht nur als
z Diafiltration Stoffumwandlungsverfahren wie bei der Elektrolyse
Legt man im in . Abb. 9.48 dargestellten Dialyse- sondern auch als Stofftrennverfahren wie bei der
modul einen Differenzdruck an, so spricht man bei Elektrodialyse oder der Elektrokapazitiven Entsal-
diesem Membranprozess von Diafiltration. Während zung von Bedeutung.
bei der Dialyse der Stofftransport ausschließlich vom Bei elektrochemischen Stofftrennverfahren stellt
Konzentrationsgradienten bestimmt wird, erhöht er das elektrische Feld die Triebkraft für den Stofftrans-
sich bei der Diafiltration gemäß der Nernst-Planck- port und die Stoffumwandlung dar. Anionen, wie bei-
Gleichung (Gl. 9.17) um den Druckterm. Diese Kom- spielsweise Sulfat- oder Chlorid-Ionen, bewegen sich
bination von Dialyse und Ultrafiltration wurde zuerst wie in . Abb. 9.49 gezeigt durch Elektromigration
in der Medizin als „künstliche Niere“ (Hämodiafil- entlang des elektrischen Potentialgefälles zur Anode,
tration) angewandt. Sie ermöglicht die gleichzei- wobei Kationen wie Natrium- oder Calcium-Ionen
tige Entfernung von Stoffwechselendprodukten unter Beachtung des Prinzips der Elektroneutralität
(Entgiftung) und die Entwässerung des Patienten. zur Kathode beschleunigt werden. An den Elektro-
Dieses Verfahren nutzt man in der Biotechnologie den kann es dann zu einem Elektronenübergang, wie
zur integrierten Produktentfernung, dem sog. in bei der Elektrolyse unter Bildung von Wasserstoff an
situ product removel (ISPR). Durch geeignete Wahl der Kathode und Sauerstoff an der Anode oder zur

. Abb. 9.48  Schema eines


Dialysemoduls
352 H. Chmiel

1D
62±
1D
&O ±
62± &O±
 ±
1D &O
62±
1D  1D
.DWKRGH &O ± $QRGH
62±
1D &O ± &O±

62±
1D
.$0

. Abb. 9.49  Ionentransport durch eine Kationenaustauschermembran unter der treibenden Kraft eines elektrischen Feldes

Ausbildung von elektrochemischen Doppelschichten und Anode, werden hydraulisch getrennte Zell-
wie bei kapazitiven Verfahren kommen. kammern gebildet. Bei orthogonal zu den Membra-
Ionenaustauschermembranen, also ionense- nen angelegtem elektrischem Gleichspannungsfeld
lektive, semipermeable Membranen, werden dabei werden die sich in einer Elektrolytlösung enthalte-
eingesetzt, um die Elektromigration selektiv zu nen Anionen und Kationen wechselweise zu einem
steuern. Anionenaustauschermembranen mit posi- Diluat abreichern und zu einem Konzentrat anrei-
9 tiven Festladungen wie beispielsweise die Benzyltri- chern [121].
methylammoniumgruppe (P-NR3+), sind permeabel Dieses Verfahren der Elektrodialyse (ED) kann
für Anionen, ihren sogenannten Gegenionen, und beispielsweise in der Trinkwasserbehandlung zur
sind undurchlässig für Kationen, ihren sogenannten Entsalzung, aber auch als kapazitives Verfahren in
Co-Ionen. Umgekehrt ist eine aus negativen Festla- der Prozesswasserbehandlung zur Konzentrierung
dungen wie beispielsweise der Sulfonsäuregruppe von Salzlösungen eingesetzt werden. Daneben findet
(P-SO3–) aufgebaute Kationenaustauschermem- die Elektrodialyse in der chemischen Industrie und
bran permeabel für Kationen und undurchlässig in der Bioprozesstechnik eine Anwendung, bei-
für Anionen. Bringt man derartige Kationen- und spielsweise bei der Abtrennung ionogener Bestand-
Anionenaustauschermembranen alternierend mit teile einer wässrigen Lösung von nicht geladenen
Hilfe von Membranabstandhaltern sowie Dichtrah- Inhaltsstoffen dieser Prozesslösung. In technischen
men entsprechend . Abb. 9.50 zwischen Kathode Elektrodialyse-Anlagen werden dazu bis zu 500

. Abb. 9.50  Prinzip der 'LOXDW


Elektrodialyse

&O ±
1D
&O± &O±

&O± 1D 1D


1D
&O±
.DWKRGH $QRGH
&O±
1D &O±

&O± 1D 1D



1D

.$0 $$0 .$0 $$0


.RQ]HQWUDW
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
353 9
wiederholende Einheiten von Kationen- und Anio- typischen Anzahl von 500 wiederholenden Einhei-
nenaustauschermembranen zwischen der Kathode ten ergibt sich ein Gesamtvolumenstrom von etwa
und Anode in einem sogenannten Membranstapel 40 m3/h für jeden der beiden Kreisläufe, bezogen
wie in . Abb. 9.51 gezeigt angeordnet. auf eine effektive Membranfläche von etwa 30 m2
Der Übergang von Elektronentransport auf für dieses Modul. Für Module mit einem größe-
Ionentransport erfolgt dabei unter Wasserstoff- und ren Membranabstand oder für Module mit anderen
Sauerstoffentwicklung in separaten Kreisläufen an Konzepten zur Verringerung der Konzentrations-
den Elektroden. Neben den Elektrodenkreisläufen, polarisation können entsprechend höhere Über-
wird eine Rohlösung (Diluat) und eine Aufneh- strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 3 m/s
merlösung (Konzentrat) durch einen Membransta- notwendig werden. Die Ausbildung einer solchen
pel geführt. Die Minimierung von Grenzschichten laminaren Grenzschicht, wie in . Abb. 9.52 dar-
macht die Verwendung eines geeigneten Gitters als gestellt, führt zu einer limitierenden maximalen
Abstandshalter und als Turbulenzpromotor sowie Stromdichte. Oberhalb dieser sogenannten Grenz-
eine typische Überströmungsgeschwindigkeit von stromdichte kommt es zu einer Verarmung an
0,1 m/s notwendig. Bei einer effektiven Memb- Ionen in der Grenzschicht. In Folge steigt dort der
ranfläche von beispielhaft 0,5 m × 0,5 m und einer Widerstand zunächst an um dann unter Dissozia-
typischen Kammerhöhe von 0,5 mm ergeben sich tion von Wasser und Elektromigration von Proto-
minimale Durchflussgeschwindigkeiten von etwa nen und Hydroxid-Ionen wieder zu sinken. Ober-
80 L/h je Kammer. Bei einer weiter angenommenen halb der Grenzstromdichte wird die Stromausbeute

. Abb. 9.51  Bild eines


kommerziellen Membranstapels für
die Elektrodialyse (FUMATECH, Typ
FT_ED-1750-3)

′′
&.0


&.%XON
.DWLRQHQ
VWURP

.DWKRGH ′
&'%XON $QRGH

′′
&'0

.RQ]HQWUDW .$0 'LOXDW

δ δ
*UHQ]VFKLFKW *UHQ]VFKLFKW

. Abb. 9.52  Konzentrationspolarisation und Grenzstromdichte bei der Elektrodialyse


354 H. Chmiel

erniedrigt, woraus höhere spezifische Energiekos- erweitert. Hier erfolgt die Stofftrennung durch Aus-
ten resultieren. bildung von Doppelschichten an hochporösen Koh-
Darüber hinaus kann es aber auch zu sekundären lenstoffelektroden, die in gleicher Weise alternierend
Effekten wie anorganischem Scaling (beispielsweise mit Kationen- und Anionenaustauschermembranen
durch Härteausfällungen) oder Fouling (Ausbildung angeordnet werden [95]. Als Vorteil der elektrokapa-
von organischen Deckschichten) als Resultat von zitiven Verfahren ist der geringere Energieverbrauch,
pH-Verschiebungen durch Wasserspaltung oberhalb der einfachere Aufbau des Membranstapels, die Ver-
der Grenzstromdichte kommen. Speziell bei wenig meidung einer Wasserstoff- und Sauerstoffproduk-
leitfähigen Lösungen wie in der Bioprozesstechnik tion an den Elektroden und vor allem die Möglich-
ist deshalb ein besonderes Augenmerk auf die kor- keit zur Behandlung von konzentrierten Lösungen
rekte Auslegung von Überströmungsgeschwindigkeit zu nennen. Eine Anwendung in der Bioprozesstech-
und die Berücksichtigung der Grenzstromdichte zu nik ist zu erwarten.
legen. Alle elektrisch getriebenen Membrantrenn- Eine besondere Bedeutung in der Bioprozess-
prozesse folgen dem Faraday-Gesetz. Eine Erhöhung technik hat die Elektrodialyse mit bipolaren Mem-
der Stromdichte resultiert damit in einem höheren branen (EDBM) erlangen können [67]. Sie kombi-
spezifischen Stofftransport und reduziert folglich niert den Verfahrensschritt der Entsalzung mit einer
die notwendige Membranfläche und so die Inves- Umwandlung organischer oder anorganischer Salze
titionskosten. Bei kleineren Stromdichten werden in die korrespondierenden Säuren und Laugen. So
meist bessere Stromausbeuten und Wirkungsgrade kann im einfachsten Fall eine wässrige Natriumchlo-
erhalten, wodurch sich kleinere Betriebskosten rea- rid-Lösung in Natronlauge und Salzsäure überführt
9 lisieren lassen. Wie in vielen industriellen Prozessen werden. Die dem Verfahren zu Grunde liegende elek-
sind auch in der Elektrodialyse CAPEX und OPEX trodialytische Wasserdissoziation in bipolaren Mem-
gegenläufig. branen macht sich der bereits oben beschriebenen
In der Bioprozesstechnik findet die Elektrodia- Effekte bei Überschreiten der Grenzstromdichte zu
lyse zunehmende Anwendung wegen ihrer Möglich- Nutze. Würde man bei der Elektrodialyse das Diluat
keit zur schonenden und selektiven Abtrennung von so weit entsalzen, dass die Konzentration der mobilen
ionogenen Verbindungen aus wässrigen Lösungen Ladungsträger auf den Bereich des Ionenproduk-
selbst bei kleinen Konzentrationen. Als Beispiel sei tes von Wasser absinkt, so würde wie in . Abb. 9.53
die Entsalzung von Lösungen mit organischen Wert- gezeigt der Ladungstransport unter Dissoziation von
stoffen wie bei der Entsalzung von Proteinlösungen Wasser durch Protonen und Hydroxid-Ionen über-
oder der Abtrennung von Salzen aus Prozesslösun- nommen. In einem solchen hypothetischen Prozess
gen pharmazeutischer Wirkstoffe genannt. So wird würde allerdings gleichzeitig die Leitfähigkeit sinken
in der Herstellung von Lactulose aus dem Presssaft und der spezifische Widerstand des Diluats in den
der Süßkartoffel die Elektrodialyse zur Abtrennung Bereich von ultrareinem Wasser, d. h. auf 18,2 MΩ
von Mineralien wie Nitrat eingesetzt. Als anerkann- cm steigen. Der Widerstand kann in diesem Fall nur
ter Stand der Technik wird heute die Entsalzung von durch eine Verringerung der Kammerhöhe bzw. des
Molke durch Elektrodialyse betrachtet. Die Elektro- Membranabstandes erreicht werden.
dialyse wird ebenso bei der Gewinnung von organi- Um einen spezifischen Flächenwiderstand
schen Säuren oder Aminosäuren wie Lysin, Glycin, von weniger als 2 Ω cm2 zu erreichen, muss dazu
Glutamin oder p-Hydroxyphenylglycin erfolgreich der Abstand zwischen der Kationen- und Anio-
eingesetzt [59]. Typische Beispiele finden sich in der nen-selektiven Schicht einer bipolaren Membran
Konzentrierung von Milchsäure aus Fermentations- auf etwa 1 nm verringert werden [120]. Der Was-
lösungen oder in der Herstellung von Glutaminsäure. sertransport in die Zwischenschicht der bipolaren
In der Lebensmittelindustrie wird die Elektrodia- Membran erfolgt ausschließlich durch Diffusion
lyse zur Weinstabilisierung durch Abtrennung von aus den angrenzenden Lösungen [9]. Die Bildungs-
Kaliumtartrat erfolgreich eingesetzt. geschwindigkeit von Protonen und Hydroxid-Ionen
In den letzten Jahren wurde die elektrodialyti- entspricht bei einer ideal permselektiven Membran
sche Entsalzung um die elektrokapazitiven Verfahren exakt der elektrischen Stromdichte. Somit können
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
355 9
. Abb. 9.53  Grundprinzip der
+2
elektrodialytischen Wasserdissoziation
in bipolaren Membranen + 2+ ±

1D &O ±
1D&O
.$0 $$0

+2

1D &O ±

+ 2+±

.$0 $$0

+2 +2

+ 2+±
%0

durch Elektrodialyse mit bipolaren Membranen bei Die Vorteile der Elektrodialyse mit bipolaren
einer Stromdichte von beispielsweise 50 mA/cm2 Membranen lassen sich besonders vorteilhaft in der
eine theoretische Menge von 18,66 mol/(h m2) an Bioprozesstechnik bei der Gewinnung organischer
Säure und Lauge produziert werden. Die Stromdichte Säuren oder Aminosäure nutzen [10]. Man unter-
ist wiederum von der Zusammensetzung und Leitfä- scheidet dabei die 2- und 3-Kammer EDBM. Bei der
higkeit der Rohlösung abhängig. Die Stromausbeute 2-Kammer EDBM werden die Module aus wiederho-
ist vor allem von den eingesetzten Membranen und lenden Einheiten einer bipolaren Membranen sowie
den angestrebten Konzentrationen in den Produkt- einer Kationen- oder Anionenaustauschermembran
lösungen abhängig. für die Herstellung entweder einer reinen Lauge oder
Somit lassen sich durch bipolare Membrantech- einer reinen Säure aufgebaut.
nik viele anorganische Salze wie Natriumsulfat oder Bei der 3-Kammer EDBM wie in . Abb. 9.54
Lithiumchlorid in ihre korrespondierende Säure gezeigt werden die Module aus einer bipolaren
und Lauge spalten. Die wichtigsten Anwendungen Membran sowie einer Kationenaustauschermemb-
sind jedoch in der Herstellung schwacher Säuren ran mit kleiner Hydroxid-Ionenpermeabilität und
und Laugen, in der Kreislaufführung niedrig kon- einer Anionenaustauschermembran mit kleiner
zentrierter Säuren und Laugen und vor allem in der Protonen-Permeabilität zur simultanen Herstel-
pH-Anpassung von wässrigen Lösungen zu finden. lung von Säure und Lauge zusammengesetzt. Für
Dies kann bei der Spaltung von Natriumchlorid-Lö- die Herstellung schwacher Säuren ist die 2-Kammer
sungen aus der Ionenaustauscher-Regeneration, bei EDBM wie bei der Aufarbeitung von Zitronensäure
der Kreislaufführung von Natriumhydrogencarbo- und Ascorbinsäure (Vitamin C) oder bei Aminosäu-
nat-Lösungen aus Rauchgaswäschern oder auch bei ren häufig wirtschaftlicher. Für organische Säuren
der Kohlendioxid-Extraktion aus Meerwasser sein. mit höherem Ionenpotential wie bei Essigsäure,
356 H. Chmiel

)HHG 1D&O

ZLHGHUKROHQGH0HPEUDQHLQKHLW
:DVVHURGHU :DVVHURGHU
UFNJHIKUWH6lXUH UFNJHIKUWH6lXUH

&O ±

+ 2+± &O ±

1D
.DWKRGH +2 +2 $QRGH

1D

.$0 $$0 %0 .$0 $$0

9
6lXUH +&O /DXJH 1D2+

YHUUGQQWH6DO]O|VXQJ

. Abb. 9.54  Schematischer Aufbau eines Membranstapels für die 3-Kammer-Elektrodialyse mit bipolaren Membranen für die
simultane Herstellung einer Säure und einer Lauge

Ameisensäure, Salicylsäure oder Milchsäure, ist Die chemische Industrie wird sich von der Ver-
jedoch die 3-Kammer EDBM besser geeignet. Häufig wendung fossiler Rohstoffe hin zur Verwendung
kann die produzierte Lauge wie bei der Gewinnung von biobasierten Rohstoffen wandeln [1]. In einer
von Gluconsäure, Ketogulonsäure, γ-Hydroxyb- solchen Bioraffinerie stellt die Biomasse auf Basis von
uttersäure (GHB) oder Itaconsäure in den Biopro- Cellulose, Getreide und Korn einen Wertstoff dar.
zess zurückgeführt werden, wodurch die 3-Kammer- Z. B. kann Glutaminsäure für die Herstellung von
Anordnung ebenfalls bevorzugt wird. γ-Aminobuttersäure (GABA), einem Rohstoff bei
Daneben findet die Elektrodialyse mit bipola- der Herstellung von N-Methylpyrrolidon verwen-
ren Membranen beispielsweise Anwendung in der det werden [66]. So wurde der Einsatz der EDBM
Lebensmittel- und Getränkeindustrie bei der pH-Ein- bei der Produktion von Glutaminsäure erfolgreich
stellung von Wein aber auch bei der Überführung von demonstriert. Der Herstellung und Isolierung von
Sauermolke in Süssmolke. Alle genannten Anwen- biobasierten Zwischenprodukten, d. h. von mole-
dungen wurden bereits in technischen Anlagen, wie kularen Bausteinen kommt somit eine wichtige
beispielhaft in . Abb. 9.55 gezeigt, umgesetzt. Bedeutung zu. Insbesondere die elektrisch getrie-
Insbesondere in China findet die bipolare Memb- benen Membrantrennprozesse sind auf Grund der
rantechnik eine zunehmende Akzeptanz bei der bio- zumeist energieminimierten Betriebsweise bevor-
technologischen Herstellung von organischen Säuren zugt. Dies wurde beispielhaft für die Nutzung von
und anderen Feinchemikalien. Vor allem die fermen- Lignocellulosen als Rohstoff bei der Herstellung von
tative Herstellung von Milchsäure für die Produktion Itaconsäure bewertet. Dabei wird die Lignocellulose
von biokompatiblen und auch biologisch abbaubaren zunächst katalytisch in kristalline Cellulose, Oxal-
Polylactiden (PLA) findet große Beachtung. säure und Zucker aufgeschlossen, die dann in einer
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
357 9

. Abb. 9.55  Bild einer Membranstraße für die Elektrodialyse mit bipolaren Membranen mit Ventilblock für die automatische
Reinigung (FUMATECH) (mit freundlicher Genehmigung der Fa. FuMaTech)

nachfolgenden Fermentation in Itaconsäure über- auszulegen. Die notwendige Membranfläche ergibt


führt werden [26]. Bei der batch-Fermentation mit sich letztlich aus der Betriebsweise. Analog zum
Aspergillus terreus bei pH 3,9 oder besser bei einer Reaktorbetrieb (7 Kap. 6) unterscheidet man zwi-
kontinuierlichen Fermentation mit Ustilago maydis schen kontinuierlichem, batch- und halbkontinu-
bei pH 6 kann die EDBM wie in . Abb. 9.56 sche- ierlichem Betrieb (. Abb. 9.57).
matisch dargestellt nach Zellabtrennung durch Ult- Beim kontinuierlichen Betrieb (. Abb. 9.57a)
rafiltration zur Freisetzung der Itaconsäure und die durchströmt die Rohlösung das Membranmodul
produzierte Lauge zur pH-Einstellung im Fermenter nur einmal. Die zur Vermeidung von Konzentra-
genutzt werden. Die reine Itaconsäure kann aus dem tionspolarisation und Membranfouling notwendige
Konzentrat durch kontinuierliche Kristallisation und Anströmgeschwindigkeit ist wegen der geforder-
nachfolgende Trocknung gewonnen werden. ten Aufkonzentrierung bzw. Ausbeute nur begrenzt
In gleicher Weise sind viele Trennaufgaben mit einstellbar. Beim batch-Betrieb (. Abb. 9.57b) wird
elektrisch getriebenen Membrantrennverfahren in das das Modul verlassende Retentat so lange in den
der Bioprozesstechnik umgesetzt. Eine Übersicht Vorratsbehälter zurückgeführt, bis die gewünschte
ist im Handbook of Membrane Separations [94] zu Konzentration erreicht ist. Das Restvolumen wird
finden. aus der Anlage entfernt, die Anlage gereinigt und
der Vorratsbehälter neu gefüllt. Der kontinuierliche
Betrieb mit Rückführung (. Abb. 9.57c) hat wegen
Auslegung und Betrieb von Membran- der zusätzlichen Umwälzpumpe die größte Flexibi-
anlagen lität. Aufkonzentrierung bzw. Ausbeute und Über-
Wenn man in Labor- und Technikumsversuchen strömgeschwindigkeit lassen sich unabhängig vonei-
bezüglich Rückhaltevermögen, Permeabilität, Sta- nander einstellen. Hat man sich für die Betriebsweise
bilität, Adsorptionsverhalten und Preis die günstigste entschieden, liegt die Membranfläche aufgrund der
Membran und für die zu filtrierende Rohlösung das Technikumsversuche fest. Da die Membranmo-
geeignete Modul ausgewählt hat, so ist die Anlage dule mit Standardflächen angeboten werden, stellt
358 H. Chmiel

9RUODJHWDQN )HUPHQWDWLRQVWDQN 1DQRILOWUDWLRQ (OHNWURO\WHPLW :lUPHWDXVFKHU $EVFKHLGHU


ELSRODUHQ
0HPEUDQHQ

3HQWRVH+H[RVH 8VWLODJRPD\GLVRGHU 1D2+ +$F ,WDFRQVlXUH


$VSHUJLOOXVWHUUHXV

. Abb. 9.56  Verfahrensschema für die Herstellung von Itaconsäure aus nachwachsenden Rohstoffen durch eine
kontinuierliche Fermentation und Produktaufarbeitung mittels Elektrodialyse mit bipolaren Membranen und Kristallisation
9
. Abb. 9.57  Betriebsweisen von
Membrananlagen. (a) Kontinuierlicher
Betrieb; (b) batch-Betrieb; (c)
kontinuierlicher Betrieb
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
359 9
. Abb. 9.58  Grundschaltungen
für Membranmodule. (a)
Reihenschaltung; (b) Parallelschaltung;
(c) sogenannte Tannenbaumstruktur
(nach [85])

sich die Frage, ob man die notwendige Zahl der d. h. die Konzentrationen des Extraktstoffes im
Module parallel, in Reihe oder in sogenannter Tan- Extrakt cE und Raffinat cR stehen in einem festen Ver-
nenbaumstruktur ausbildet (. Abb. 9.58). Werden hältnis, dem Verteilungskoeffizienten KE.
bei der Reihenschaltung alle Module vom gesam- Sind Abgeber und Aufnehmer merklich inei-
ten Feedstrom durchströmt, bewirkt eine parallele nander löslich, so empfiehlt sich die Darstellung
Anordnung eine Aufteilung des Ausgangsstroms. Die des Löslichkeitsverhaltens im Dreiecksdiagramm
Entscheidung geben Konzentrationspolarisation und (. Abb. 9.59a). Daneben wird häufig auch das Gleich-
vom Hersteller vorgegebene zulässige Drücke bzw. gewichtsdiagramm mit rechtwinkligen Koordinaten
Druckverluste. verwendet (. Abb. 9.59b).
Näheres zur Auslegung von Membrananlagen Dreiecksdiagramme geben das Verhalten
siehe in [85]. von Dreistoffsystemen bei konstantem p, T und
pH wieder. Die reinen Komponenten P (Extrakt-
stoff ), A (Abgeber) und S (Extraktionsmittel
9.3.5 Solventextraktion oder Solvent) stellen die Ecken, Zweistoffgemi-
sche Punkte auf den Dreiecksseiten dar. Ternäre
Als Solventextraktion bezeichnet man den Übergang
eines Stoffes (des Extraktstoffes) von einer flüssigen
Phase (Abgeber genannt) in eine zweite fluide Phase
(dem Aufnehmer, auch Extraktionsmittel, Lösungs-
mittel oder Solvent genannt), die mit der ersten nicht
oder nur gering mischbar ist.
Nach Einstellung eines Gleichgewichts – unter
der Voraussetzung niedriger Konzentrationen sowie
für konstanten Druck, Temperatur und pH – gilt für
die Verteilung des Extraktstoffes in Abgeber (nun
Raffinat genannt) und Aufnehmer (dem Extrakt) der
Nernst’sche Verteilungssatz . Abb. 9.59  (a) Dreiecksdiagramm und (b)
Gleichgewichtsdiagramm eines Dreistoffsystems mit
cE / cR = K E = const.  Gl. 9.20 Mischungslücke; K = kritischer Punkt
360 H. Chmiel

Gemische werden durch Punkte innerhalb der 55 niedriger Preis des Extraktionsmittels
Dreiecksflächen repräsentiert. vermindert die Kosten für die Substitution des
Das homogene Einphasengebiet, in dem verloren gegangenen Extraktionsmittels,
Abgeber, Extraktstoff und Aufnehmer ineinander 55 niedriger Dampfdruck bei Arbeitstemperatur
löslich sind, wird durch die Binodale (Löslich- vermindert andererseits die Verluste durch
keitskurve) vom heterogenen Zweiphasengebiet Verdunstung,
getrennt. Liegt der Zustandspunkt also im Zwei- 55 geringe Korrosionswirkung des Extraktions-
phasengebiet, zerfällt die Mischung in die Gleich- mittels hält die Anlagekosten gering,
gewichtsphasen R ( Raffinat ) und E ( Extrakt ), 55 geringe Toxizität für Mensch und Umwelt.
die im Zustandsdiagramm durch eine Konode
verbunden sind. Der kritische Punkt K, der auf Neben diesen generellen Auswahlkriterien gibt es
der Binodale liegt und bei dem die Länge der noch für die Bioproduktaufarbeitung spezifische
Konoden gegen null geht, unterteilt die Binodale Forderungen:
in zwei Äste, die in . Abb. 9.59a links die Zusam- 55 Geschieht die Extraktion aus dem zellfreien
mensetzung des Raffinats und rechts des Extrakts Abstrom, so muss das Extraktionsmittel so
charakterisieren. gewählt werden, dass es das Produkt nicht
Für weitere Erläuterungen wird auf die Fachlite- schädigt (z. B. deaktiviert).
ratur verwiesen (z. B. [105]). 55 Erfolgt die Extraktion unmittelbar im Biore-
aktor, so darf das Extraktionsmittel zusätzlich
nicht toxisch für den Biokatalysator sein.
9 Extraktionsmittel
Bei der Wahl des Extraktionsmittels ist eine Reihe Die meisten organischen Lösungsmittel sind jedoch
von generellen Forderungen zu beachten, die sich toxisch. Schügerl [107] sieht deren Einsatz – nach
zum Teil widersprechen: Abtrennung der Mikroorganismen – vorteilhaft für
55 möglichst geringe Mischbarkeit von Abgeber die Gewinnung von Antibiotika. Als Alternative
und Aufnehmer, empfiehlt Weuster-Botz [133] ionische Flüssigkei-
55 möglichst hohe Selektivität, d. h. es soll ten. Ionische – also Festladungen t­ ragende – Poly-
möglichst nur der Extraktstoff im Extraktions- mere wurden bereits als Kationen- und Anionen-
mittel gelöst werden, austauschermembranen bei der Elektrodialyse
55 große Kapazität für den aufzunehmenden vorgestellt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um
Extraktstoff, bei Raumtemperatur flüssig vorliegende Ionenaus-
55 große Dichtedifferenz zwischen tauscher. Trotz ihrer hohen Polarität sind viele ioni-
Aufnehmer und Abgeber erleichtert die sche Flüssigkeiten hydrophob und bilden daher mit
Phasentrennung, Wasser zweiphasige Systeme. Chemische und physi-
55 hohe Grenzflächenspannungen zwischen kalische Eigenschaften, wie Polarität, Hydrophobi-
Aufnehmer und Abgeber verhindern die zität, Viskosität etc. können durch Modifikation der
Bildung stabiler Emulsionen, erschweren aber Kationen, Anionen und anhängende Substituenten
auch das Dispergieren der Phasen (Erzeugung beeinflusst werden. Das hat den ionischen Flüssig-
großer Austauschflächen), keiten auch den Namen „Designer-Solvents“ einge-
55 geringe Viskosität, um die Druckverluste klein bracht. Ihre geringe Volatilität und Entflammbar-
zu halten und guten Wärme- und Stoff- keit, thermische und chemische Stabilität lassen sie
übergang zu erzielen, als attraktive Alternative zu organischen Lösungs-
55 niedrige Siedetemperaturen und Verdamp- mitteln erscheinen. So berichten Bräutigam et al.
fungsenthalpien sowie chemische und [19] über die integrierte Produktentfernung mittels
thermische Beständigkeit des Extraktions- ionischer Flüssigkeiten zur Gewinnung prochiraler
mittels erleichtert die Rückgewinnung, Ketone. Hohe Kosten und die vergleichsweise hohe
55 schlechte Brennbarkeit erhöht die Viskosität ionischer Flüssigkeiten stellen bisher aber
Betriebssicherheit, immer noch Nachteile dar.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
361 9
Reaktivextraktion zur ­Aufarbeitung Komplex mit dem Zielprodukt bildet. Bei einer zu
hydrophiler ­Produkte* hohen Wasserlöslichkeit des eingesetzten Reaktanten
Tim Zeiner, Christoph Brandenbusch würde sich der entstehende Komplex nicht vollstän-
Bei der direkten Extraktion von hydrophilen Pro- dig in die organische Phase verteilen. Auf diese Weise
dukten aus komplexen Fermentationsbrühen wird bei der Reaktivextraktion sowohl eine selektive
haben die bisher vorgestellten Verfahren deutliche Abtrennung wie auch Anreicherung des Produktes in
Nachteile. Nebenprodukte und Verunreinigungen der organischen Phase erzielt. Gerade für biokatalyti-
weisen oft ein ähnliches Verteilungsverhalten wie sche Reaktionen in denen stark hydrophile Produkte
das Produkt auf, wodurch dessen selektive Abtren- in einer komplexen Fermentationsbrühe vorliegen
nung erschwert ist. Um dies zu vermeiden und eine (z. B. Ganzzellfermentation von Dicarbonsäuren) ist
selektive und kontinuierliche Trennung zu ermögli- dieses Verfahren besonders geeignet. Eine Prinzip-
chen, ist der Einsatz reaktiver Trennverfahren ziel- skizze der Reaktivextraktion von Dicarbonsäurenist
führend. Hierbei wird die Extraktion mit einer Reak- in . Abb. 9.60 dargestellt.
tion gekoppelt, um Synergieeffekte hinsichtlich der Die Fermentationsbrühe enthält neben dem
Trennleistung zu erhalten. Durch die Reaktivextrak- Produkt, Verunreinigungen, Nebenkomponen-
tion wird das Verteilungsverhalten der Produkte ten und Nährsalzen, auch noch ganze Zellen. Zur
innerhalb einer flüssig-flüssig-Extraktion dahin- Reaktivextraktion der Carbonsäuren (nachgeschal-
gehend beeinflusst, dass eine selektive Abtrennung tet oder in-situ) müssen biokompatible organische
der Produkte von Nebenkomponenten komplexer Lösungsmittel wie Ethyloleat genutzt werden. Nur so
Produktionsgemische möglich ist [117]. Indust- kann eine Schädigung der Biokatalysatoren während
riell erfolgreich angewandt wird das Prinzip einer der Reaktion/Reaktivextraktion vermieden werden.
reaktionsunterstützten Extraktion seit Mitte des 20. Um die stark hydrophile Carbonsäure in die orga-
Jahrhunderts in der bis dahin schwer zu realisie- nische Phase zu extrahieren, werden vornehmlich
renden hochreinen Gewinnung von Schwermetal- Amine als Komplexbildner eingesetzt. Bei der Reak-
len aus hochverdünnten Lösungen [99]. In der Bio- tivextraktion von Monocarbonsäuren haben sich
technologie wird dieses Verfahren zur Gewinnung dabei besonders sekundäre und tertiäre Amine als
hydrophiler Produkte genutzt. Um eine selektive Komplexbildner bewährt [69], bei Dicarbonsäuren
Trennung zu erzielen, wird die wässrige Fermenta- langkettige sekundäre und tertiäre Amine wie Di-
tionsbrühe zunächst mit einer organischen Phase in n-octylamin und Tri-n-octylamin [42]. Die Kom-
Kontakt gebracht. Dabei ist darauf zu achten, dass plexbildung erfolgt hierbei über die Bildung von
das eingesetzte Lösungsmittel eine geringe Quer- Wasserstoffbrückenbindungen oder Ionenpaarbin-
löslichkeit mit Wasser aufweist. Der organischen dungen, wobei die Bildung von Wasserstoffbrücken
Phase wird anschließend ein Reaktant (Extraktant) die Extraktionseffizienz dominiert [25, 42]. Dies
zugesetzt, welcher nach Möglichkeit unlöslich in der bedingt eine starke Abhängigkeit der Komplexbil-
wässrigen Phase ist und selektiv einen hydrophoben dung vom eingestellten pH der wässrigen Phase,

. Abb. 9.60  Prinzipskizze einer


Reaktivextraktion vonDicarbonsäuren.
In die organische Phase wird
dabei ein Komplex bestehend aus
Dicarbonsäure und Extraktant (Amin)
extrahiert. Der Extraktant (Amin) wird
in der organischen Phase vorgelegt.
Die Dicarbonsäure befindet sich in der
wässrigen Phase
362 H. Chmiel

wobei fast ausschließlich undissoziierte Dicarbon- Phase überführt werden. Durch geschickte Kombi-
säure extrahiert wird. Für eine erfolgreiche Reak- nation des Extraktions- und RE-Extraktionsschrittes
tivextraktion muss der pH der wässrigen Phase kann dann anschließend das organische Lösungs-
unterhalb des pKa der Säure liegen (.  Abb. 9.61). mittel prozessintern recycelt werden. (. Abb. 9.62).
Neben der Einstellung des pH-Werts der wässrigen Zur RE-Extraktion kann dabei sowohl ein pH
Phase kann die Extraktionseffizienz über die Zugabe Swing (Erhöhung des pH Wertes der reinen wäss-
polarer Modifier in die organische Phase gesteuert rigen RE-Extraktionsphase über den pKa Wert der
werden. Die benötigte Menge ist abhängig von der Säure), wie auch wasserlösliche Monoamine ver-
eingesetzten Dicarbonsäure sowie dem eingesetzten wendet werden. Letztere Möglichkeit hat sich in
Amin. Bei der Extraktion von cis,cis-Muconsäure Versuchen mit cis,cis-Muconsäure als besonders
hat sich 1-Dodecanol als biokompatibler organi- vorteilhaft erwiesen. Wasserlösliche Monoamine
scher Modifier bewährt (. Abb. 9.61). Es konnten sind stärkere Komplexbildner als die wasserun-
hier in einem optimierten System Ausbeuten bis zu löslichen sekundären und tertiären Amine und
96 % in einer einstufigen batch-Extraktion erzielt bilden mit der Dicarbonsäure einen wasserlösli-
werden [42]. chen Komplex (im Gegensatz zum hydrophoben
Nach erfolgreicher Reaktivextraktion liegt das Komplex bei der initialen Reaktivextraktion). Bei
Produkt als gebundener Komplex in der organischen der Verwendung von Propylamin kann ein nahezu
Phase vor. Um eine finale Feinreinigung des Produk- vollständiger Umsatz bei der RE-Extraktion erzielt
tes zu ermöglichen muss dieses in eine reine wässrige werden (. Abb. 9.63).

9
a b

X1-Dodecanol
X1-Dodecanol

. Abb. 9.61  Abhängigkeit der Extraktionseffizient von cis,cis-Muconsäure vom pH-Wert der wässrigen Phase. (a) System
bestehend aus dem Amin Tri-n-octylamin und einer organischen Phase (Ethyloleat- 0,01 kg/kgorg 1-Dodecanol.). (b) System
bestehend aus dem Amin Di-n-octylamin und einer organischen Phase (Ethyloleat- 0,03 kg/kgorg 1-Dodecanol.). Ein
nahezu vollständiger Umsatz an Dicarbonsäure kann nur bei einem pH < pKa erzielt werden. Die grünen Balken geben die
Querlöslichkeit der Säure in den jeweiligen Lösungsmittelgemischen wieder

. Abb. 9.62  Fließbild einer Reaktivextraktion mit angeschlossener RE-Extraktion der Dicarbonsäure in eine reine wässrige
Phase. Nach Rückgewinnung des in der RE-Extraktion verwendeten wasserlöslichen Amins kann eine finale Aufreinigung (z. B.
Kristallisation) nachgeschaltet werden
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
363 9

. Abb. 9.63  Abhängigkeit der RE-Extraktionseffizienz aufgetragen gegen das Verhältnis von eingesetztem wasserlöslichen
Amin und während der Reaktivextraktion mit Tri-n-octylamin im Komplex gebundener Dicarbonsäure (ZSäure). Links: RE-
Extraktion durchgeführt mit Tri-n-propylamin. Rechts: RE-Extraktion durchgeführt mit Propylamin

Nach der RE-Extraktion enthält die organische sind zwei hydrophile Polymere oder ein Polymer und
Phase nur noch die zur Reaktivextraktion notwen- ein Salz. Diese Komponenten werden dann phasen-
digen wasserunlöslichen Amine. Die Konzentra- bildende Komponenten (PBK) genannt. Der hohe
tion an wasserlöslichen Aminen (Propylamin) ist Wasseranteil (>80 Massenprozent) in beiden Phasen
vernachlässigbar. erlaubt eine schonende Extraktion mit Erhalt der
Hierdurch kann die organische Phase prozess- Aktivität der Biomoleküle. Dies ist ein wesentlicher
intern recycelt werden. Nach erfolgter Phasentren- Vorteil gegenüber der Extraktion mit organischen
nung können die wasserlöslichen Monoamine auf Lösungsmitteln, deren Anwendung in der Biotech-
Basis ihres Siedepunktes kosten- und energieeffizi- nik, wie oben gezeigt, auf Sonderfälle beschränkt
ent aus der wässrigen Phase abgetrennt und einem bleibt.
wiederholten Einsatz als RE-Extraktionsmittel zuge- . Abb. 9.64 zeigt ein schematisches Phasendia-
führt werden. Als letzter Feinreinigungsschritt biete gramm eines wässrigen Zweiphasensystems. Die rote
sich z. B. eine Kristallisation der Dicarbonsäure an, Kurve ist die Binodale, welche das einphasige vom
welche so in hoher Reinheit gewonnen werden kann. zweiphasigen Gebiet trennt. Die schwarzen Linien
Der gesamte Prozess zeichnet sich durch hohe Aus- in . Abb. 9.64 verbinden die korrespondierenden
beuten und Selektivitäten, sowie eine einfache Pro- Phasen im wässrigen Zweiphasensystem. Wird eine
zessführung aus. Durch Anwendung des integrierten Konzentration der PBK eingestellt, welche der des
Trennverfahrens kann ein kosten- und ressourcen-
effizientes Aufarbeitungskonzept entwickelt werden.
OP
Durch die simple Umsetzbarkeit in einer Mixer-Sett-
ler Kombination ist das Verfahren kontinuierlich
umsetzbar und kann des Weiteren auf verschiedenste
Durchsätze skaliert werden. MP
PBK 2

Die wässrige Zweiphasenextraktion KP UP


(ATPS)*
von Tim Zeiner überarbeitet PBK 1
Wässrige Zweiphasensysteme können durch die
. Abb. 9.64  Schematische Darstellung eines wässrigen
Lösung zweier hydrophiler, aber inkompatibler Stoffe Zweiphasensystems. MP ist der Mischungspunkt, UP ist die
bei Überschreiten einer gewissen Grenzkonzentra- unter Phase, OP ist die obere Phase und KP ist der kritische
tion gebildet werden. Beispiele für solche Systeme Punkt
364 H. Chmiel

Mischungspunktes MP entspricht, bilden sich die Bei Verwendung eines PEG-Salz-Systems bringt
untere Phase UP und die obere Phase OP mit den die Entsorgung des Salzes, insbesondere des Phos-
zugehörigen Konzentrationen an Phasenbildnern. phats, allerdings erhebliche Umweltprobleme. Schon
Im Vergleich zu organisch-wässrigen Systemen mit aus diesem Grund sind anschließende Schritte zur
nur zwei Komponenten als Extraktionssystem ist zu Rückgewinnung des Salzes notwendig [43].
beachten, dass es notwendig ist zwei PBK in Wasser Ein allgemeines Verfahrensschema für die Auf-
zu lösen, um das Extraktionssystem bereitzustellen. arbeitung von Enzymen mit dem wässrigen Zweipha-
Ein klassisches wässriges Zweiphasensystem sensystem – mit PEG und Phosphat als phasenbil-
mit zwei Polymeren hat als PBK Polyethylenglykol dende Komponenten – ist in . Abb. 9.65 gezeigt. Das
(PEG) und Dextran. PEG wird aus Ethylenoxid in Ausgangs-bzw. Produktgemisch – dabei kann es sich
unterschiedlicher Kettenlänge hergestellt, wobei z. B. um Fermentationsbrühe, aufgeschlossene Zellen
Molmassen zwischen 1000 und 20.000 eingesetzt oder Proteingemische etc. handeln – wird im ersten
werden. Dextran ist ein biotechnologisch hergestell- Extraktionsschritt mit Phosphat und PEG versetzt
tes Polysaccharid aus Glucoseeinheiten. Aufgrund und nach kurzer Mischzeit in Ober- und Unterphase
des relativ hohen Preises für Dextran wurde schon bzw. PEG- und Salzphase getrennt. Die Bedingun-
früh nach alternativen Polymeren gesucht. Ein Bei- gen werden so gewählt, dass Zellbruchstücke und der
spiel hierfür ist derivatisierte Stärke. Darüber hinaus überwiegende Teil der kontaminierenden Proteine
weisen diese Systeme auch relative hohe Viskositäten in die Salzphase verteilt werden, das Produkt jedoch
auf, was sich nachteilig auf einen kontinuierlichen in die PEG-Phase. In dem zweiten Extraktionsschritt
Prozess auswirkt. wird dann das Produkt in die Unterphase verteilt und
9 Breitere Anwendung in der Proteinreinigung so vom PEG getrennt. Ein Teil der Fremdproteine und
haben Polymer/Salz-Systeme gefunden, da sie Farbstoffe verbleiben in der Oberphase.
niedrigere Viskositäten aufweisen und auf Grund Nach diesem Verfahrensschema wurde eine
der unterschiedlichen physikalischen Eigenschaf- Reihe von Enzymen gereinigt und ohne weitere Auf-
ten auch bessere Reinigungen erzielen. Als Salze arbeitungsschritte für technische Zwecke eingesetzt
werden vor allem solche mit hoher Aussalzkapazi- (. Tab. 9.4). In allen Fällen betrug die Ausbeute um
tät verwendet wie Phosphat oder Sulfat. Als Polymer die 80 %, die Anreicherungsfaktoren lagen zwischen
kann hier auch PEG oder Polyvinylalkohol einge- 1,9 und 33.
setzt werden. Bei der Phasentrennung verteilt sich
PEG überwiegend in die obere Phase (OP), Kalium-
phosphat überwiegend in die untere Phase (UP).
Proteine und andere Biomoleküle verteilen sich auf-
grund spezifischer Wechselwirkungen mit den PBK
in die jeweilige Phase. Diese Wechselwirkungen
sind vor allem ionischer und Van-der-Waals-Wech-
selwirkungen. Zellen oder andere Partikel können
auf Grund ihrer physikalischen Eigenschaften nicht
in Lösung gebracht werden und verteilen sich auf-
grund ihrer Dichte in dem wässrigen Zweiphasen-
system. Aus diesem Grund ist das Zweiphasensystem
auch zur Abtrennung von Zelltrümmern geeignet, da
sich diese leicht quantitativ in die Unterphase ver-
teilen lassen. Für Proteine liegen die Verteilungsko-
effizienten zwischen 0,01 und 100, für niedermole-
kulare Stoffe wie Aminosäuren oder Salze um 1. Das
. Abb. 9.65  Verfahrensschema zur extraktiven
Ziel der wässrigen Zweiphasenextraktion ist es, das Enzymaufarbeitung mit dem wässrigen Zweiphasensystem.
gewünschte Produkt in eine Phase, die Fremdpro- Phasenbildende Komponenten sind PEG und Kaliumphosphat
teine in die andere Phase zu verteilen. (modifiziert nach [60])
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
365 9

. Tab. 9.4  Proteine, die durch mehrere Extraktionsschritte gereinigt wurden (nach [60])

Protein Organismus Anzahl der Ex- Gesamt-reinigun- Gesamtausbeute


traktionsschritte gsschritte [%]

L-2-Hydroxyisocaproat- Lactobacillus confusus 2 24 80


Dehydrogenase
D-2-Hydroxyisocaproat- Lactobacillus casei 2 7 85
Dehydrogenase
Fumarase Brevibacterium 2 22 75
ammoniagenes
Aspartase Escherichia coli 3 18 82
Leucin-Dehydrogenase Bacillus sphaericus 2 3,1 87
Formiat- Candida boidinii 3 4,2 78
Dehydrogenase
D-Lactat- Lactobacillus confusus 2 1,9 91
Dehydrogenase
Penicillin Acylase Escherichia coli 2 10 78
Pullulanase Klebsiella pneumoniae 4 6,3 70
Glucose Bacillus species 3 33 83
Dehydrogenase
Glucose-6-Phosphat- Leuconostoc species 2 5 80
Dehydrogenase
Fumarase Saccharomyces cerevisiae 2 13 77
β-Interferon Human-Fibroblasten 1 350 –

Prinz et al. [96] haben die ATPS zur Tren- hat die monoklonalen Antikörper in die OP verscho-
nung verschiedener Laccasen in einer mehrstufi- ben. Durch Zugabe von frischer UP wird die Koch-
gen Mixer-Settler-Apparatur untersucht. Abhängig salzkonzentration in dem Gesamtsystem gesenkt
von der Konzentration an Kochsalz als Verdränger- und der monoklonale Antikörper verteilt sich in
salz, konnten die Laccasen von anderen Proteinen die UP. Diese wird dann wieder in einem dreistu-
oder verschiedene Laccasen voneinander getrennt figen Waschschritt mit frischer OP in Kontakt
werden. Auch für die Reinigung von Biopharmazeu- gebracht. Durch die Kombination von Kochsalz-
tika können mehrstufige Mixer-Settler-Apparaturen reichen Extraktionsschritten und Kochsalz-armen
eingesetzt werden. In . Abb. 9.66 ist das mehrstu- Waschschritten kann eine Reinheit von 95 % erreicht
fige Mixer-Settler-Verfahren schematisch dargestellt. werden. Neben den experimentellen Untersuchun-
Hier ist zu beachten, dass zum Start des Extraktions- gen haben sie diesen Prozess auch modelliert. Es war
prozesses ein Wasser-Vorlagebehälter durch den möglich diesen Extraktionsprozess ausgehend von
Zellüberstand ausgetauscht wird. Der Einlauf des einstufigen Experimenten [91] vorauszuberechnen.
Zellüberstandes wird so gewählt, dass das Produkt Erfolgreich wurde die ATPS auch zur Reinigung
in die Phase zugegeben wird in die sich das Produkt von Antibiotika [16], Cutinase [68] und Plasmid-
hauptsächlich verteilt. DNA (Frerix et al. [36]) eingesetzt, um nur einige
Muendges et al. [91] haben einen mehrstufigen Beispiele zu nennen.
Prozess für die Gewinnung von monoklonalen Anti- Dass dieses robuste und preisgünstige Reini-
körper untersucht, wobei ein PEG (OP)-Phosphat- gungsverfahren nicht weiter verbreitet ist, hängt mit
salz (UP)-System als ATPS genutzt wurde. Hierzu der großen Zahl von Parametern zusammen, die für
wurde zunächst ein dreistufiger Prozess mit Zugabe ein neues Produkt, das mittels ATPS gereinigt werden
von Kochsalz angewandt. Die Zugabe von Kochsalz soll, bestimmt bzw. optimiert werden müssen.
366 H. Chmiel

3KRV 83=XODXI
JHUHLQLJWHV
3URGXNW

23 Q±
+2 6WXIHQ

83 Q± 6WXIHQ±

23

83
23  3(*
6WXIH

$XVJDQJ 6WXIH 23=XODXI + 2


9 XQWHUH3KDVH

3URGXNWJHPLVFK

. Abb. 9.66  Schema eines mehrstufigen Mixer-Settler-Verfahrens zur Reinigung von Biomolekülen mit einem wässrigen
Zweiphasensystem bestehend aus PEG und Phosphatsalz

Das Verteilungsverhalten von Biopolymeren bestimmt werden. Variiert man dann noch Salz- und
lässt sich generell durch folgende Bedingungen Polymerkonzentration, ist die Zahl der Experimente
beeinflussen: auf manuellem Weg nicht mehr zu bewältigen.
55 Art der PBK, Bensch et al. [12] haben in einer Machbarkeits-
55 Molmasse und Molmasseverteilung der studie (engl. feasibility study) die experimentelle
Polymere, Strategie für den Einsatz von HTS zur Lösung dieses
55 Entfernung vom kritischen Punkt, d. h. Problems entwickelt. Benutzt wird hierzu wieder die
Konodenlänge, Plattform eines Pipetierroboters mit einer sogenann-
55 Gegenwart von Ionen, ten 96-deep-well- plate (Mikrotiterplatte mit geeich-
55 pH-Wer, ten Kunststoffröhrchen, hier mit einem Volumen von
55 Einführung spezifischer Liganden: siehe je 1,2 mL) mit Greifarm und integrierter Zentrifuge,
Affinitätsextraktion. einem Magnetschüttler und einem Spektrophotome-
ter. Das Versuchsprogramm ist in . Abb. 9.67 sche-
Es ist bis heute noch nicht möglich, die Verteilung matisch dargestellt.
von Proteinen genau vorherzusagen, um optimale Zur Ermittlung der Binodalkurve (. Abb. 9.67)
Verteilungskoeffizienten zu erzielen. Hier lassen sich werden im Labor zunächst wässrige Lösungen von
lediglich allgemeine Aussagen treffen, wie z. B., dass Polyethylenglykol (PEG 200, PEG 1000, PEG 1540
sich Proteine besser bei längeren Konoden aufrei- und PEG 4000) und Phosphatpuffer (K 2HPO4 +
nigen lassen. KH2PO4) hergestellt. In die 96 Wells werden unter-
Selbst für ein gewähltes Polymer/Salz-System schiedliche Mengen Salzlösung und 10 μl Methyl-
müssen zunächst Binodale, Konoden und Phasen- orange gegeben und mit der PEG-Lösung auf 1 mL
verhältnisse sowie Proteinverteilungskoeffizienten aufgefüllt. Das Mischen der Proben erfolgte auf zwei
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
367 9

. Abb. 9.67  Schema zur Bestimmung der Binodale und Konoden (rechts) und der Proteinlöslichkeit (links) für die wässrige
Zweiphasenextraktion PEG/Salz (nach [12])

verschiedene Weisen, und zwar durch Schütteln oder Unterphase. Obwohl mit diesem Verfahren bis zu 600
wiederholtes Ansaugen und Ausblasen mit der Pipet- Phasensysteme pro Tag untersucht werden konnten,
tierspitze, wobei Letzteres zu einem homogeneren ist der Zeitaufwand sehr hoch. Im Hinblick auf eine
Mischergebnis führte. Beim anschließenden Zent- große Zahl neuer Produkte (z. B. biopharmazeutisch
rifugieren bilden sich ggf. zwei Phasen. Da Methyl- gewonnener Generika) und dem Druck möglichst
orange sich im Einphasen-System gleichmäßig ver- schnell damit auf den Markt zu kommen, schlagen
teilt, im Zweiphasen-System aber vollständig in die Nfor et al. [92] vor, neben Hochdurchsatz-Experi-
Oberphase wandert, können durch Probenahme menten die Biothermodynamik und Simulationsins-
am Boden der Wells und Absorptionsmessung bei trumente zu Hilfe zu nehmen.
450 nm Punkte der Binodale und durch deren Ver-
bindung die Binodalkurve ermittelt werden.
Die Bestimmung der Konoden basiert auf einer Affinitätsextraktion
Probenahme in der Oberphase und darauf folgender Der in . Tab. 9.4 für β-Interferon erreichte Anrei-
Konzentrationsbestimmung des verwendeten Farb- cherungsfaktor von 350 gelang durch Modifikation
stoffs Methylviolett bei 562 nm. Die Farbstoffkonzen- des PEG im Sinne der Affinitätsextraktion.
tration ist eine Funktion des Oberphasenvolumens Durch Einführung eines Liganden, der spezifisch
und erlaubt dadurch über das durch den Mischungs- nur das Zielsystem oder eine Enzymgruppe erkennt,
punkt festgelegte Volumenverhältnis von Ober- und kann die Selektivität und damit der Verteilungskoef-
Unterphase auf die Schnittpunkte der jeweiligen fizient drastisch erhöht werden.
Konode mit der Binodale zurück zu schließen. Aller- Die Affinitätsextraktion oder -verteilung ist in
dings ergab sich bei dieser Methodik eine höhere der Wirkung zu vergleichen mit der Affinitätschro-
Ungenauigkeit in der Nähe des kritischen Punktes, matographie und der Affinitätspräzipitation. In der
sodass die gewonnenen Binodal- und Konodenver- Regel kann die Affinitätsextraktion nur in einem
läufe nicht mit der Literatur übereinstimmten. Polymer-Polymer-System durchgeführt werden, da
Analog ging man bei der Bestimmung des Pro- hohe Salzkonzentrationen die Interaktion zwischen
teinverteilungskoeffizienten vor, jedoch erfolgte hier Ligand und Protein herabsetzen. Bei Verwendung
die Bestimmung der Proteinkonzentration mittels von PEG und Dextran wird der Ligand meistens an
UV-Vis-Spektrophotometer bei 280 nm. Der Pro- die terminale Hydroxylgruppe des PEG gekoppelt, es
teinverteilungskoeffizient ergibt sich dann aus dem gibt jedoch auch Beispiele der Kopplung an Dextran.
Verhältnis der Proteinkonzentrationen in Ober- und Als Liganden können unter anderem Substrate,
368 H. Chmiel

Inhibitoren oder Cofaktoren eingesetzt werden. In weit geringer ausfällt. Andere Verbesserungen der
.  Abb. 9.68 sind die Verteilungskoeffizienten von Selektivität sind z. B. die Einführung von geladenen
verschiedenen Dehydrogenasen in Abhängigkeit des Gruppen wie quartäres Amin oder eine Sulfonsäu-
Anteils an PEG-NADH in einem PEG 4000/Dext- regruppe, Phosphatester oder polymergebundene
ran-T-500-System gezeigt. Mit steigender Konzen- Fettsäuren.
tration des Liganden tragenden PEG ergeben sich Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
typische Sättigungskurven. Je nach Enzym wird der das wässrige Zweiphasensystem sich durch folgende
Verteilungskoeffizient bis zu 20-fach gesteigert. Da Punkte auszeichnet:
NADH als Ligand zu teuer ist, wurden schon früh 55 verfahrenstechnische Einfachheit in jedem
alternative Liganden gesucht und in den Triazinfarb- Maßstab,
stoffen gefunden, die hohe Affinitäten zu Dehydroge- 55 einfaches und präzises Scale-up,
nasen zeigen. Für die Phosphofructokinase aus Sac- 55 hohes Potenzial für eine kontinuierliche
charomyces cerevisiae konnte der Δlog K-Wert um Prozessführung,
den Faktor 3 gesteigert werden [63]. 55 niedrige Investitionskosten,
Diese hohen Verteilungskoeffizienten tragen 55 hohe Produktausbeuten.
jedoch nur zur Reinigung bei, wenn der Verteilungs-
koeffizient der kontaminierenden Proteine nahezu Von Nachteil sind jedoch die relativ hohen Chemi-
unverändert bleibt. In den meisten Veröffentlichun- kalienkosten, weswegen ein Recycling der System-
gen, so auch in dem obigen Beispiel, werden vorge- komponenten besonders interessant ist. Hustedt und
reinigte oder homogene Enzymsysteme eingesetzt. Mitarbeiter [60] konnten anhand der Fumarase aus
9 Schustolla et al. [110] zeigten, dass die Steigerung der Bäckerhefe zeigen, dass das PEG bis zu viermal
des Δlog K-Wertes bei Einsatz von Zellhomoge- wiederverwendet werden kann, ohne dass dadurch
nat, also direkt aus der aufgeschlossenen Zellbrühe, die spezifische Aktivität oder die Ausbeute nennens-
wert absinkt.

Superkritische Fluidextraktion (SFE)


Seit Langem ist bekannt, dass verflüssigte und über-
kritische Gase als Extraktionsmittel im Sinne einer
Solventextraktion benutzt werden können (supercri-
tical fluid extraction, kurz SFE). Die Diffusionskoef-
fizienten liegen für überkritische Gase um ca. zwei
Zehnerpotenzen unter denen der Gasphase und ca.
1,5 Zehnerpotenzen über denen der flüssigen Phase.
Ebenso liegt die Viskosität überkritischer Gase zwi-
schen dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand.
Daraus resultieren im Vergleich zur Flüssig-Flüssig-
Extraktion sehr günstige Transporteigenschaften im
überkritischen Zustand.
Die Löslichkeit ist in der Regel in überkritischen
. Abb. 9.68  Verteilungskoeffizient KE von verschiedenen
Dehydrogenasen als Funktion der PEG6000-NADH- Gasen im Vergleich zu organischen Lösungsmitteln
Konzentration in einem PEG4000/Dextran-T-500-System. wesentlich niedriger. Überkritische Gase verhalten
Systembedingungen: 7 % (w/w) PEG4000; 6 % (w/w) sich wie unpolare Lösungsmittel und eignen sich
Dextran T-500; 0,05 M Kaliumphosphat, pH 7,5 und aus diesem Grunde bevorzugt für unpolare Subs-
0,1 mM β-Mercaptoethanol (20 °C) (nach Kula et al. [70].
tanzen. Ionisierte Stoffe lösen sich ebenso wenig wie
□: Lactat-Dehydrogenase (Kaninchenmuskel); ∆: Alkohol-
Dehydrogenase (Hefe: Saccharomyces cervisae); ×: Formiat- Polysaccharide und einfache Zucker. Die Löslichkeit
Dehydrogenase (Candida boidinii); ×: Formaldehyd- polarer Stoffe – das sind solche, die polare Substitu-
Dehydrogenase (Candida boidinii) enten wie Hydroxyl-, Amino- oder Carboxylgruppen
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
369 9
enthalten – ist wesentlich geringer als die der ver- 55 Es ist nicht brennbar, im Allgemeinen nicht
gleichbaren Grundkörper. Leicht löslich und damit korrosiv sowie auch in großen Mengen und
für die Extraktion geeignet, sind die völlig unpolaren großer Reinheit billig zu beziehen.
Kohlenwasserstoffe, viele Ether, Ester, Lactone und 55 Es ist physiologisch völlig unbedenklich.
Triglyceride (Fette). Aufgrund seines hohen Dampfdruckes
Eine der wichtigsten technischen Anwendungen verflüchtigt es sich aus den Extrakten
ist die Entasphaltierung von Erdöl. Aber auch in der vollkommen rückstandsfrei. Diese Eigen-
Lebensmitteltechnik wird die SFE z. B. zur Gewin- schaften machen es insbesondere für die
nung von Aromastoffen oder zur Entkoffeinierung Nahrungs- und Genussmittelverarbeitung
von grünem Kaffee eingesetzt. Über den Einsatz in interessant.
der Biotechnik berichtet Willson [138]. Als Lösungs-
mittel wird überwiegend CO 2 verwendet. Dieses Anhand von . Abb. 9.70 soll am Beispiel der super-
besitzt zahlreiche Vorteile: kritischen CO2-Extraktion eines Fischölesters zur
55 Sein kritischer Punkt liegt – wie aus dem Gewinnung von Ω-3-Fettsäurenester der Prozess
Zustandsdiagramm in . Abb. 9.69 hervorgeht – erläutert werden. Das Einsatzgut (1) wird mittels
mit 31 °C und 73 bar in einem technisch Hochdruckpumpe (2) bei ca. 100 bar in den oberen
gut beherrschbaren Bereich. Aufgrund der Teil der Extraktionssäule eingespritzt. Das mittels
niedrigen kritischen Temperatur lassen Hochdruckpumpe (5) und Wärmetauscher (6) auf
sich auch empfindliche Stoffe extrahieren überkritische Bedingungen gebrachte Extraktions-
oder voneinander trennen, die in anderen mittel (4) wird im unteren Teil der Extraktionssäule
Verfahren, wie z. B. der Destillation, thermisch (3) eingebracht und im Gegenstrom zum Einsatzgut
geschädigt würden. Wegen der niedrigen geführt. Nicht extrahierte Substanzen wie Wasser,
Prozesstemperaturen können die Heizkosten Proteine und Verunreinigungen gelangen in den
niedrig gehalten werden. Rückstandsbehälter (7) und werden dort ausgetra-
gen. Die im überkritischen CO2 gelösten Fettsäu-
reester passieren die Drossel bei (8). Hier wird das
Extraktionsmittel auf einen unterkritischen Druck
entspannt, verliert seine Lösungseigenschaften
nahezu vollständig, und die gelösten Stoffe fallen aus.
Die Fettsäureester werden im Separator (9) freige-
setzt und verlassen die Anlage bei (10) als Extrakt.
Auf diese Weise können mit einer Anlage bis zu 500
Tonnen pro Jahr Extrakt mit einem Ω-3-Fettsäureest-
ergehalt von 60 % erzeugt werden (. Abb. 9.71). Man
erkennt, dass es sich durchaus um einen interessan-
ten Produktionsmaßstab handelt, der bei anderen
Produkten (Hopfenextraktgewinnung, Entkoffe-
inierung etc.) sogar noch größere Maßstäbe errei-
chen kann.
Das Trägergas wird über einen Wärmetau-
scher (11) gekühlt und als flüssiges CO2 wieder dem
Extraktionsmittelbehälter (4) zugeführt.
Durch eine Drosselung oder Temperaturände-
rung in mehreren Stufen lassen sich die Extraktstoffe
unter Umständen auch fraktionieren. Durch Zugabe
von geringen Mengen eines sogenannten Schlepp-
. Abb. 9.69  Zustandsdiagramm für CO2, die dünnen Linien mittels könnte die Löslichkeit der Extraktsubstanzen
sind Isochoren (Dichten von 0,1–1,2 g/mL) im Trägergas für bestimmte Substanzen um mehrere
370 H. Chmiel

. Abb. 9.70  Schematische


Darstellung der überkritischen
Fluidextraktion (SFE) (Details siehe
Text)

9 . Abb. 9.71  Anlage zur


überkritischen CO2-Extraktion (mit
freundlicher Genehmigung der KD-
Pharma, Bexbach)

Zehnerpotenzen gesteigert werden. Als Schleppmit- Die Vorteile, die diese Trennmethode gegenüber
tel eignen sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand den herkömmlichen Verfahren der Destillation und
vor allem leichtflüchtige Flüssigkeiten wie Alko- Extraktion mit organischen Lösungsmitteln aufzu-
hole, Aceton oder kurzkettige Alkane, teilweise auch weisen hat, sind: große Variabilität im Lösungsbe-
Wasser. Um beurteilen zu können, welche der zahl- reich des Extraktionsmittels durch Regelung von
reichen möglichen, hier nur kurz angeschnittenen Temperaturen und Druck, Trennung auch schwer-
Prozessvarianten für ein gegebenes Trennproblem flüchtiger Stoffe bei relativ niedrigen Temperaturen,
am besten geeignet ist, sind detaillierte Kenntnisse lösungsmittelfreie Produkte, nicht toxisch, nicht
über das Verhalten der beteiligten Gemische nötig. entflammbar, hoher Reinheitsgrad, einfache Rege-
Diese sind beim derzeitigen Stand der Technik nur nerierung des Lösungsmittels, keine Umweltschutz-
durch Experimente zu gewinnen. probleme, chemisch reaktionsträge. Dem stehen als
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
371 9
Nachteile hohe Investitionskosten durch teure Hoch- Anschließend müssen die beiden Phasen wieder
druckapparatur und relativ niedrige Beladung des voneinander getrennt werden. Diese beiden Stufen
Lösungsmittels gegenüber. Dennoch hat sich die (. Abb. 9.72a) sind daher in jedem Extraktionspro-
überkritische CO2-Extraktion für die Isolation und zess in irgendeiner Form vorhanden. Da die Pha-
Reinigung hochwertiger Produkte im großtechni- sentrennung häufig der limitierende Schritt ist, wird
schen Maßstab durchgesetzt (. Abb. 9.71). sie, wie in . Abb. 9.72b dargestellt, durch den bereits
früher beschriebenen, kontinuierlich arbeitenden
Tellerseparator beschleunigt. Durch diesen Teller-
Solventextraktion im separator findet auch die Trennung des wässrigen
technischen Maßstab Zweiphasensystems statt, insbesondere wenn die
Die Extraktion beginnt mit dem Dispergieren des Unterphase mit Zellbruchstücken beladen ist.
Extraktionsmittels in die abgebende Phase. Dabei Die in . Abb. 9.72c im Ausschnitt schematisch
sollte eine möglichst große Austauschfläche erzeugt dargestellte Siebbodenkolonne bedeutet im Grunde
werden, um den Stoffaustausch zu verbessern. genommen die Aneinanderreihung mehrerer

. Abb. 9.72  Schematische Darstellung einiger Extraktionsapparate: (a) Mischer/Abscheider; (b) Mischer/ Tellerseparator;
(c) Siebbodenkolonne; (d) Füllkörperkolonne
372 H. Chmiel

Mischer/Abscheider, allerdings im Gegenstrom Die im stationären Zustand sich einstellende


betrieben. In . Abb. 9.72d wird die große Aus- Geschwindigkeit w± des Teilchens wird im Wesent-
tauschfläche durch Füllkörper erreicht. Siebboden lichen von zwei Kräften bestimmt:
und Füllkörperkolonne werden häufig auch pulsie- 55 der treibenden Kraft, als Produkt aus effektiver
rend betrieben. In kontinuierlichen Prozessen wird Ladung des Teilchens eeff und elektrischer
das Produkt ständig aus der Extraktphase entfernt Feldstärke E = U/l (Länge auf der der
und das Extraktionsmittel wiederverwendet. Neben Spannungsabfall U stattfindet) und
den gezeigten Beispielen hat sich in der industriel- 55 der der Bewegung entgegengesetzt gerichteten
len Anwendung eine Fülle von Varianten etabliert. Reibungskraft, die sich aus der Relativ-
Cunha und Aires-Barros [31] haben diese Varianten bewegung des Teilchens zur umgebenden
an Anwendungsbeispielen und mit einer großen Zahl Flüssigkeit ergibt und für kugelförmige
von Literaturzitaten diskutiert. Eine dieser Varianten Teilchen näherungsweise dem Stokes’schen
ist die von Wyss et al. [140] beschriebene Enkapsulie- Gesetz gehorcht, d. h.
rung des Extraktionsmittels in einen Polymerfilm. Im
oben genannten Beispiel wird eine hydrophobe Flüs- eeff ⋅ E
w± =  Gl. 9.21
sigkeit (das Extraktionsmittel) so in einen Film aus 6⋅π⋅η ⋅ r
vernetztem Acrylamid/Alginat eingeschlossen, dass
sich nahezu monodisperse, mit dem Extraktionsmit- mit r = Teilchenradius,
tel gefüllte Kugeln von ca. 1 mm Durchmesser bilden. η = dynamische Viskosität der Flüssigkeit.
Diese können dann zur in situ-Extraktion des Pro-
9 duktes (z. B. Penicillin G) eingesetzt werden. Statt der Geschwindigkeit des Teilchens wird häufig
auch dessen Beweglichkeit u± = w±/E verwendet.
Aus Gl. 9.21 lassen sich bereits unmittelbar wichtige,
9.3.6 Elektrokinetische die Wanderungsgeschwindigkeit beeinflussende
Trennverfahren Parameter ableiten. Sie nimmt mit zunehmender
Ladung des Teilchens und mit der Feldstärke zu
Bekanntlich wandern elektrisch geladene Teilchen, und verringert sich mit zunehmender Viskosität
wenn sie in einem Elektrolyten suspendiert sind, und mit der Teilchengröße. Der Einfluss anderer
beim Anlegen eines elektrischen Feldes zur ent- Parameter, wie z. B. der Ionenstärke oder des pH-
gegengesetzt geladenen Elektrode. Dieser Vorgang Wertes auf die Teilchenbeweglichkeit, ist komple-
wird Elektrophorese genannt (. Abb. 9.73). xer (Debye-Hückel-Theorie). Hier wird auf die ein-
schlägige Literatur verwiesen (z. B. [129]). Mithilfe
der Elektrophorese können Komponenten aus fast
allen Stoffklassen, die in Lösung mindestens teil-
weise geladen vorliegen, aufgetrennt werden. Die
Hauptanwendungsgebiete sind in der klinischen
Chemie und der Biochemie zu finden, um Makro-
moleküle (Polypeptide, Proteine, Hormone, Nuc-
leinsäuren, Antikörper, Organellen, Viren oder
Zellen usw.) zu trennen und aufzureinigen. Diag-
nostische Bedeutung für die Medizin hat die Elek-
trophorese zur Aufreinigung von Serumproteinen
erlangt. Die Elektrophorese wird hauptsächlich im
analytischen Maßstab eingesetzt.
Ein präparatives, kontinuierliches Verfahren
. Abb. 9.73  Schema der Elektrophorese; punktierte stellt die sogenannte Free-Flow-Elektrophorese dar,
Fläche = Grundelektrolyt; S = Wanderungsstrecke eines wobei in der Grundbauart auf jegliche Einbauten
Kations in der Zeit t, l = Abstand der Elektroden innerhalb der Trennkammer verzichtet wird.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
373 9
Bei den kontinuierlich arbeitenden präparati- Sie führt im Trennspalt zwangsläufig zu einer stö-
ven Elektrophoreseprozessen besteht in der Regel renden Umlaufströmung. Dieser als Elektroosmose
die Elektrophoresekammer aus einem flachen, recht- bezeichnete Effekt führt zu einer sichelförmigen Ban-
winkligen Kanal. denverbreiterung (. Abb. 9.74b und 9.74c).
Die Trennkammer wird vom zu trennenden Eine analoge Wirkung erzeugt das parabolische
Flüssigkeitsgemisch (Probe) in Längsachse laminar Geschwindigkeitsprofil (. Abb. 9.74d). Ein Flüs-
durchströmt. Das senkrecht zur Strömungsrichtung sigkeitselement in Wandnähe hat eine wesentlich
angelegte elektrische Feld (siehe auch . Abb. 9.74) größere Verweilzeit im Trennspalt und legt daher
sorgt für eine unterschiedliche Ablenkung der gela- im elektrischen Feld eine größere Strecke zurück
denen Teilchen und damit für die Bildung von Frak- als ein entsprechendes Flüssigkeitselement in der
tionen, die am Ende der Kammer in einem Fraktions- Strömungsmitte.
sammler aufgefangen werden. Bei anionischer Wanderung der Probe wirken die
Über die rückwärtige Platte der Trennkammer beiden Effekte gegenläufig, sodass sie sich gegensei-
erfolgt, von einem Temperaturfühler kontrolliert, tig im Idealfall aufheben; bei kathodischer Wande-
der Abtransport der durch den elektrischen Strom rung addieren sie sich und führen zu einer verstärk-
erzeugten Wärme. Zur Dosierung der Elektrolyte, ten Bandenverbreiterung.
zur Fraktionierung der Proben und zur Umwälzung Schließlich ist zu beachten, dass die in den
der Elektrodenraumelektrolyte dienen Schlauch- Trennspalt eingebrachte elektrische Energie im
pumpen. Spannungen bis 3000 V sind möglich. Wesentlichen in Wärme umgewandelt wird.
Dies bedeutet eine ausgeprägte Thermokonvek-
tion, d. h. eine Störung der gewünschten ebenen
Störfaktoren Schichtenströmung.
Das theoretisch mögliche Trennergebnis wird bei Bei der Nutzung der Free-Flow-Elektrophorese
der Free-Flow-Elektrophorese durch eine Reihe von zur präparativen Abtrennung und Aufreinigung von
Faktoren beeinträchtigt, die von Hannig et al. [46] Bioprodukten differenziert man im Wesentlichen zwi-
analysiert wurden. schen vier Trennprinzipien (. Abb. 9.75), die jedoch
So bildet sich an der Grenzfläche des Trennspal- auch im analytischen Maßstab Gültigkeit haben:
tes zwischen Kammerwand und der wässrigen Elek- 55 Zonenelektrophorese (ZE),
trolytlösung eine bewegliche diffuse Doppelschicht, 55 Isotachophorese (ITP),
die gemäß . Abb. 9.74a in Richtung Kathode driftet. 55 Isoelektrische Fokussierung (IEF),
55 Feldsprungelektrophorese (FSE).

Zonenelektrophorese (ZE)
Eine Pufferlösung, der sogenannte Grundelektro-
lyt, durchströmt gleichmäßig die Trennkammer und
dient hier in der Regel auch als Elektrodenlösung.
An einer eng begrenzten Stelle wird die zu fraktio-
nierende Probe ebenfalls kontinuierlich zudosiert
(. Abb. 9.75a). Die Probenkomponenten (im Beispiel
der . Abb. 9.75a sind es zwei) werden im elektrischen
Feld aufgrund ihrer unterschiedlichen Beweglich-
keit um unterschiedliche Winkel abgelenkt. Es ent-
. Abb. 9.74  Störfaktoren bei der Free-Flow-Elektrophorese stehen einzelne Zonen, die sich infolge Diffusion mit
(nach [129]). (a) Bewegliche, diffuse Doppelschicht; (b)
zunehmender Weglänge verbreitern. Dies bedeutet
Umlaufströmung durch Elektroosmose und (c) deren
Wirkung als sichelförmige Bandenverbreiterung; (d) eine starke Verdünnung der Probe und eine – vergli-
sichelförmige Bandenverbreiterung durch parabolisches chen mit anderen Free-Flow-Elektrophoresetechni-
Geschwindigkeitsprofil, W. P. = wanderndes Profil der Probe ken – schlechte Auflösung.
374 H. Chmiel

diskrete Zonen homogener Konzentration bilden.


Das System erreicht einen stationären Zustand, in
welchem die Zonen sich mit konstanter Geschwin-
digkeit bewegen (daher der Name Isotachophorese).
Wegen ihrer hohen Auflösung ist die ITP als
letzter Schritt der Proteinreinigung geeignet. Sie wird
insbesondere zur Isolierung monoklonaler Antikör-
per eingesetzt.

Isoelektrische Fokussierung (IEF)


Bei der isoelektrischen Fokussierung in pH-Gra-
dienten wandern Ampholyte an diejenige geomet-
rische Stelle, an der ihre Nettoladung verschwindet.
Der pH-Wert an dieser Stelle muss demzufolge iden-
tisch mit dem isoelektrischen Punkt (IP) der Pro-
benkomponente sein (pI-Wert). Es gibt zwei Arten
der IEF.
Bei der IEF im linearen pH-Gradienten
(. Abb. 9.75c) werden als Trägerampholyte Gemi-
9 sche synthetischer Polyamino-polycarbonsäuren
bzw. -polysulfonsäuren verwendet, deren pI-Wert
den interessierenden pH-Bereich abdeckt. Unter
Miteinbeziehung der Elektrolyseprodukte an den
Elektroden entsteht bei Stromfluss ein mehr oder
weniger stabiler, monotoner pH-Verlauf. Die andere
. Abb. 9.75  Verschiedene Free-Flow- Möglichkeit ist die Erzeugung eines stufenförmigen
Elektrophoreseverfahren. (a) Zonenelektrophorese; (b) pH-Verlaufes.
Isotachophorese; (c) Isoelektrische Fokussierung; (d) Die IEF eignet sich vor allem für die Trennung
Feldsprungelektrophorese
von Aminosäuren, Peptiden und Proteinen.

Die ZE ist daher in erster Linie geeignet für die


Reinigung und Isolierung von Zellen und Zellorga- Feldsprungelektrophorese (FSE)
nellen, weniger für die Proteinreinigung. Bei der FSE wird die Probe als breite Zone zwischen
zwei Randlösungen auf die Trennkammer aufgege-
ben (. Abb. 9.75d). Die Randlösungen müssen im
Isotachophorese (ITP) Vergleich zur Probelösung eine etwa 20-fach höhere
Am Kopf der Trennkammer werden gemäß Leitfähigkeit besitzen [57]. Bei angelegter Span-
.  Abb. 9.75b drei Lösungen aufgegeben: ein Leit- nung stellt sich ein Feldstärkesprung ein, mit sehr
elektrolyt (leading electrolyte), die zu trennende niedriger Feldstärke im Anoden- und Kathodenbe-
Probe und ein Folgeelektrolyt (terminating electro- reich und hoher Feldstärke im Probenbereich. Daher
lyte). Das Leit-Ion muss die größte, das Folge-Ion die wandern die Probeionen mit hoher Geschwindigkeit
kleinste Ionenbeweglichkeit besitzen. Die Beweglich- in Richtung Kathode bzw. Anode. An der Grenzflä-
keiten der zu trennenden Ionen müssen dazwischen che werden sie wegen des Feldstärkesprungs erheb-
liegen. Die unterschiedlichen Ionenbeweglichkeiten lich abgebremst, sodass sie dort aufkonzentriert
haben einen stufenförmigen Verlauf der Leitfähig- werden. Mit zunehmender Verweilzeit wandern
keit und damit der Feldstärken zur Folge. Dadurch allerdings die konzentrierten Komponenten in die
werden die Komponenten derart getrennt, dass sie Randlösung hinein.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
375 9
Wegen der Möglichkeit hoher Probendurchsätze spezifische chromatographische Trennverfahren.
eignet sich die FSE für die Vorreinigung biotechni- Während niedermolekulare Substanzen sich unter
scher Produkte (Aminosäuren, Peptide, Proteine, solchen Bedingungen oft genügend stark in ihrem
Viren, Zellen etc.). Wechselwirkungsverhalten unterscheiden und so
Einschlägige Übersichtsartikel (z. B. [28, 62]) „isokratisch“, d. h. ohne Wechsel der mobilen Phase
zeigen, dass die Fortentwicklung elektrokinetischer aufgetrennt werden können, ist dies bei Biomakro-
Trennverfahren hauptsächlich im analytischen molekülen wie Proteinen oft nicht der Fall. Proteine
Bereich geschieht. zeichnen sich für eine bestimmte Kombination von
Für die präparativen elektrokinetischen Verfah- stationärer und mobiler Phase oft durch ein „Alles-
ren muss festgestellt werden, dass sie – nicht zuletzt oder-nichts“-Bindungsverhalten aus. In solchen
wegen der oben genannten Störfaktoren – keine bes- Fällen ist es üblich, die Stärke der mobilen Phase
seren Trennleistungen bieten als die im Folgenden während der chromatographischen Trennung gra-
beschriebenen chromatographischen Trennver- duell zu erhöhen, um so zunächst die schwach bin-
fahren und sich wegen der vergleichsweise hohen denden und dann die stärker bindenden Moleküle
Kosten und der begrenzten Scale-up-Möglichkei- zu eluieren (Gradientenelution). Neben den linea-
ten nicht durchgesetzt haben. ren sind in der präparativen Chromatographie vor
allem Stufengradienten üblich. Die unten aufgeführ-
ten theoretischen Grundlagen beziehen sich auf den
9.3.7 Adsorptive/Chromatographische isokratischen Fall.
Trennverfahren

Bei der Reinigung von Substanzen mittels Adsorp- Theoretische Grundlagen der Chroma-
tion/Chromatographie nutzt man den Effekt, dass tographie
verschiedene Komponenten einer Lösung, wenn Um den chromatographischen Trennprozess zu
sie ein Festbett durchströmen, mit der Oberfläche beschreiben, werden im Folgenden einige grundle-
der Feststoffpartikel verschieden stark interagie- gende Definitionen eingeführt. In einem idealisier-
ren. Die daraus resultierenden unterschiedlichen ten Chromatogramm (. Abb. 9.76) wird der zeit-
Verweilzeiten führen zu einer Komponententren- bzw. volumenabhängige Austritt der Substanzen
nung, d. h. die einzelnen Komponenten verlassen
mit einer zeitlichen Verschiebung gegeneinander
das Festbett analog . Abb. 9.76. In der Regel sind
die Feststoffpartikel in eine Säule gefüllt. Das Bio-
produktmolekül, im Folgenden R-Molekül genannt,
kann verschiedenartige aktive Gruppen besitzen,
die unterschiedliche Interaktionen mit den ent-
sprechenden aktiven Gruppen der Feststoffober-
fläche eingehen können. Bei geeigneter Wahl von
stationärer und mobiler Phase zeichnen sich die
chromatographischen Verfahren nicht nur durch
ihre schonende Trennung (niedrige Scherkräfte,
Raumtemperatur, gepufferte Lösungen), sondern
auch durch ihre hohe Selektivität aus. Damit sind
sie besonders interessant für die Reinigung von
Bioprodukten. . Abb. 9.76  Das Chromatogramm und seine Kenngrößen.
V0 = Totvolumen (definiert als Volumen der mobilen Phase
Die chemischen Oberflächeneigenschaften
in der Säule); w = Basisbreite eines Peaks (in diesem Fall
der Feststoffpartikel – stationäre Phase genannt – Volumen des durch seine Wendetangenten begrenzten
bestimmen, zusammen mit dem durchströmenden Peaks); VRi = Retentionsvolumen der Substanz i; VRi′ =
Flüssigkeitsgemisch – mobile Phase genannt – das Nettoretentionsvolumen der Substanz i, VRi′ = VRi − V0
376 H. Chmiel

aus der Säule gezeigt. Dabei ist als y-Achse ein Zu beachten ist die Konsequenz, dass die Auflösung
substanzabhängiges (hier konzentrationsabhän- proportional zur Wurzel der Bodenzahl und damit
giges) Signal (Peak) wie etwa die UV-Absorption, proportional zur Wurzel aus der Säulenlänge ist. Die
als x-Achse die Zeit ( Elutionszeiten ) oder das Anzahl an theoretischen Böden (N) ist gleich dem
Volumen der mobilen Phase (Elutionsvolumen) Quotienten aus Säulenlänge und der Höhenäquiva-
aufgetragen. lenz eines theoretischen Bodens H oder Trennstufen-
Daraus wird als reduzierte, von der Säulendi- höhe und damit proportional zur Säulenlänge. Damit
mension unabhängige Größe der Kapazitätsfaktor berechnet sich H als
K′ berechnet:
H = L /N  Gl. 9.27
VR′ VR − V0
K′ = =  Gl. 9.22
V0 V0
Die Höhenäquivalenz eines theoretischen Bodens
Zwei Komponenten einer Mischung werden nur wird von drei Parametern bestimmt, die in der van-
dann getrennt, wenn sie unterschiedliche Elutions- Deemter-Gleichung zusammengefasst sind:
volumina und damit unterschiedliche Kapazitätsfak-
toren haben. Ein Maß dafür ist die relative Retention H = A + B /v + C ⋅ v  Gl. 9.28
α, die auch Trennfaktor oder Selektivität genannt
wird, wodurch die Trennfähigkeit einer Chromato- Die van-Deemter-Gleichung wird in der Regel in der
graphiesäule beschrieben wird reduzierten Form dargestellt,

9 α=
K 2′ VR 2 − V0
=  Gl. 9.23 H /d p
K1′ VR − V0
1
Um eine gute Trennung der Stoffe zu gewährleis- wobei dp der Partikeldurchmesser ist.
ten, müssen sich aber nicht nur die Kapazitätsfakto- A = Säulenqualitätsfaktor(Eddy-Diffusion);
ren unterscheiden. Wesentlich ist auch, in welchem unabhängig von der Flussrate. Hier kommen
Volumen die Substanzen eluieren, d. h. die Breite Faktoren hinein wie Säulenpackung, Partikel-
der Elutionspeaks, die sich möglichst nicht überlap- größe und -form. Bei einer gut gepackten Säule
pen sollen. Aus der Breite der Peaks und dem Elu- sollte A nicht viel größer als das Dreifache des
tionsvolumen wird die dimensionslose Trennstufen- Partikeldurchmessers dp betragen.
oder Bodenzahl (von einigen Autoren auch Leistung B = Axialdiffusion. Da die Diffusion der Substanz
genannt) nach folgender Gleichung berechnet: der Trennung entgegenwirkt, d. h. zur Banden-
V 2 verbreiterung führt, ist eine genügend schnelle
N = 16 ⋅  R   Gl. 9.24 Trennung wichtig, um diese Diffusion so klein
 w 
wie möglich zu halten. Wegen der geringen Dif-
Häufig wird zur Berechnung nicht die Basisbreite, fusionsgeschwindigkeit von Proteinen spielt der
sondern die Peakbreite w auf halber Höhe (w1/2) zur B-Term bei der Proteinchromatographie norma-
Berechnung herangezogen. lerweise keine Rolle.
 V 2 C = Non-Equilibrium-Term (Massentransfer zur
N = 5, 54 ⋅  R   Gl. 9.25 stationären Phase). Dieser Term steigt mit zuneh-
 w1/ 2 
mender Flussrate, da die Zeit zur Gleichgewichts-
Werden Leistung und Selektivität miteinander ver- einstellung kürzer wird. Um C gering zu halten,
knüpft, so erhält man die Auflösung (Rs) einer Chro- muss eine langsame Flussrate gewählt werden.
matographiesäule. Diese drei Begriffe sind in der v = Flussrate.
nächsten Gleichung miteinander verknüpft.
In . Abb. 9.77 ist die van-Deemter-Gleichung
 α −1  K 2′ 
Rs = N  ⋅  Gl. 9.26 grafisch für kleine ( . Abb. 9.77a) und für große
 α  1 + K1′ 
Moleküle ( . Abb. 9.77b ) dargestellt, und zwar
die Abhängigkeit der Höhenäquivalenz eines
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
377 9
theoretischen Bodens (H) in Millimeter von der Chromatographische
Flussrate und der Anteil der drei oben genannten Trenntechniken
Parameter. Die Axialdiffusion trägt vor allem bei An die Feststoffpartikel, das Trägermaterial oder sta-
kleinen Molekülen (. Abb. 9.77a) zur Bandenver- tionäre Phase genannt, sind folgende Anforderun-
breiterung bei, deshalb sind für die Trennung klei- gen zu stellen:
nerer Moleküle schnelle Flussraten zu empfehlen. 55 Das Grundgerüst der Matrix sollte möglichst
Bei großen Molekülen (. Abb. 9.77b) ist diese Dif- wenig unspezifische Interaktionen mit dem
fusion dagegen fast vernachlässigbar. Hier spielt der zurückzuhaltenden Molekül R eingehen. Dieses
C-Term die wichtigste Rolle, da aufgrund der lang- und damit die Spezifität des Adsorbens soll
samen Diffusion das Erreichen des Gleichgewichts durch eingebaute Gruppen gegeben sein.
zum entscheidenden Parameter wird. Aus der Abbil- 55 Gute mechanische und chemische Eigen-
dung ist zu erkennen, dass es für jedes Molekül eine schaften, in der Biochromatographie sind auch
optimale Flussrate gibt. die Eignung für Reinigungsprozeduren (CIP/
Wegen der Dominanz des C-Terms bei typi- SIP, clean/sanitize in place) wichtig.
schen chromatographischen Trennungen von Pro- 55 Kleine Partikelgröße (mit enger Größen-
teinen und anderen Biomakromolekülen spricht verteilung), was einen kleinen A-Term
man in diesem Zusammenhang auch vom Dilemma in der van-Deemter-Gleichung zur Folge
der Biochromatographie, d. h. der Schwierigkeit hat. Diese kleine Partikelgröße und große,
bei solchen Trennungen Kapazität, Geschwindig- definierte Porosität erlauben einen schnellen
keit und Auflösung zu vereinen. Eine hohe Kapa- Massentransfer.
zität setzt eine poröse stationäre Phase voraus. In 55 Bei zu kleinen Partikeln kann allerdings
diese Poren müssen die Proteine durch Diffusion der notwendige Druck zum Problem in der
gelangen, eine schnelle Trennung bedingt dann Produktion werden (Hochdruckanlagen sind
einen hohen C-Term und damit eine geringe Säu- dort z. B. nur schwierig einzusetzen).
leneffizienz bzw. schlechte Auflösung. Eine Lösung
stellen sogenannte monolithische stationäre Phasen Für die einzelnen Chromatographie-Verfahren
dar. Derartige Säulen bestehen nicht aus Partikeln, werden darüber hinaus noch spezifische Anforde-
sondern aus einem hochporösen Polymerblock, der rungen an das Trägermaterial gestellt.
von der mobilen Phase durchströmt wird. In solchen
Säulen erfolgt der Massentransport bis auf die Grenz-
schichtdiffusion rein konvektiv, der C-Term, d. h. der Normalphasenchromatographie (ADC)
Anstieg der Bodenhöhe zu hohen Flussraten hin, ist Adsorbentien können aus organischen Materia-
auch bei großen Flussraten gering. Leider lassen sich lien bestehen, wie z. B. Aktivkohle, Polymere, oder
solche Monolithe derzeit noch nicht im Maßstab es sind anorganische Substanzen, wie z. B. Kieselgel
typischer präparativer Säulen in der Biochromato- (Silicagel), Aluminium- oder Magnesiumoxid. Ihre
graphie herstellen. adsorptive Wirkung beruht auf aktiven Stellen. Diese

. Abb. 9.77  Abhängigkeit der


Höhe H eines theoretischen Bodens
(als Summe von A, B und C) von
der Durchflussrate (a) für kleinere
Moleküle; (b) für große Moleküle
378 H. Chmiel

sind z. B. im Falle des Kieselgels die Silanolgruppen hohe Konzentrationen an organischen Lösungsmit-
(SiOH), beim Aluminiumoxid die Al3+-Zentren, teln (z. B. Acetonitril oder Methanol) eluiert werden.
aber auch die verbindenden O2−-Ionen. Sie gehen Diese Elutionsbedingungen führen oft zur Denatu-
mit in der Nähe befindlichen Molekülen schwache rierung der Proteine. Das Einsatzgebiet für die RPC
Wechselwirkungen ein. Das „Knüpfen“ der schwa- ist deshalb auf folgende Anwendungen beschränkt:
chen Bindung nennt man Adsorption, das Lösen der- 55 analytische Qualitätskontrolle
selben Desorption. 55 Fraktionierung von synthetischen oder physio-
Daraus lassen sich folgende Schlüsse ziehen: logischen Peptiden oder Hormonen
55 Das Lösungsmittel (die mobile Phase) besetzt 55 Trennung von Aminosäuren und Nucleotiden
alle aktiven Stellen mehr oder weniger stark.
Das Molekül, welches zurückgehalten werden Bei Biomolekülen, insbesondere solchen mit
soll (R-Molekül), kann nur dann adsorbiert höheren Molmassen, sind isokratische Trennsys-
werden, wenn seine Wechselwirkung mit teme (konstante Laufmittelzusammensetzung) in
dem Adsorbens stärker ist als diejenige des der RPC unpraktikabel, da die Unterschiede in der
Lösungsmittels. Hydrophobizität der Moleküle zu ausgeprägt sind.
55 Die Stärke der Wechselwirkung hängt nicht In diesen Fällen wird die Zusammensetzung des
nur von den funktionellen Gruppen der Laufmittels verändert (Gradientenelution), um die
R-Moleküle, sondern auch von räumlichen Retentionszeiten für sehr hydrophobe Substanzen
Gegebenheiten ab. Moleküle, die sich in herabzusetzen.
ihrer sterischen Struktur unterscheiden, d. h.
9 Isomere, lassen sich gut mit Adsorptions-Chro-
matographie trennen. Hydrophobic-Interaction-­
Chromatographie (HIC)
In der Regel verwendet man in der ADC als statio- Im Gegensatz zur RPC stellt die Hydrophobe Interak-
näre Phase polare Materialien mit möglichst großer tionschromatographie (HIC) eine beliebte Methode
Oberfläche. Die mobile Phase ist unpolar. Eluieren, zur präparativen Aufreinigung von Proteinen dar. Die
d. h. von der Adsorbensoberfläche verdrängen, lässt Methode beruht ebenfalls auf hydrophoben Wechsel-
sich dann das R-Molekül durch polare Elutionsmit- wirkungen. Im Gegensatz zur RPC sind diese jedoch
tel wie z. B. Wasser. Die ADC ist hauptsächlich für nicht stark genug, um eine Denaturierung der Pro-
niedermolekulare Produkte geeignet, da höhermo- teine zu bewirken. Die Matrix des Adsorbens besteht
lekulare Substanzen wie z. B. Proteine häufig irre- bei dieser Methode aus einem hydrophilen Material,
versibel binden. in das lediglich schwach hydrophob interagierende
Liganden eingebaut werden. Die hydrophoben Wech-
selwirkungen werden durch eine hohe Salzkonzent-
Reversed-Phase-Chromatographie (RPC, ration in der mobilen Phase erzwungen, die Elution
Umkehrphasenchromatographie) erfolgt in der HIC daher in einem Gradienten abneh-
Von RPC spricht man immer dann, wenn die statio- mender Salzkonzentration. Aus diesem Grund ist die
näre Phase weniger polar ist als die mobile. Dabei HIC auch eine gern eingesetzte (orthogonale) Trenn-
werden die hydrophoben Wechselwirkungen zwi- operation nach einer Salzpräzipitation oder einer auf
schen dem R-Molekül und der stationären Phase elektrostatischen Wechselwirkungen beruhenden
genutzt. Das Grundgerüst für die RPC ist vorwie- Ionenaustauschchromatographie (Elution im Gra-
gend Kieselgel, eine stark hydrophile Matrix. Die dienten steigender Salzkonzentration). Neben der
OH-Gruppen werden durch Alkylgruppen ausge- Salzkonzentration sind aber auch die Salzart (Stel-
tauscht (Si-R). Durch diese Derivatisierung erhält lung in der Hofmeister-Serie), der pH-Wert der
die zuvor stark polare Matrix einen stark hydropho- mobilen Phase sowie die Kettenlänge und die Dichte
ben Charakter. Proteine binden meistens sehr fest der Liganden der stationären Phase von Einfluss auf
an diese stationäre Phase und können nur durch die Selektivität.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
379 9
Ionenaustauschchromatographie (IEC) geladene Proteinmolekül P+ ausgetauscht wird, läuft
Bei den bisher behandelten (Adsorptions-) chro- nach folgendem Schema ab:
matographischen Verfahren wechselwirken die ver- M– A+ + P+ ⇄ M– P+ + A+
schiedenen „aktiven Stellen“ mit den in der Nähe Ionenaustauscher Protein in Lösung Protein
befindlichen Molekülen. Dabei konkurrieren R-Mo- adsorbiert Ion in Lösung
leküle und Lösungsmittelmoleküle untereinander Bei diesem Schema muss allerdings berücksichtigt
um die Adsorption. werden, dass Proteine wegen ihrer Größe neben einem
Bei der IEC trägt dagegen die stationäre Phase stöchiometrischen Austausch mit einer ihrer Ladung
elektrische Ladungen an der Oberfläche. In das entsprechenden Zahl niedermolekularer Gegenionen
Harz oder Gel sind ionische Gruppen eingebaut. Die (charakteristische Ladung) auch eine gewisse Zahl von
Ladungen sind durch bewegliche Gegenionen neu- Ladungen auf der Oberfläche der stationären Phase
tralisiert. Ionen dieser mobilen Phase und ionische überdecken (sterischer Faktor), die dann nicht mehr
R-Moleküle konkurrieren miteinander um einen für den Austausch zur Verfügung stehen. Sowohl die
Platz auf der stationären Phase. charakteristische Ladung als auch der sterische Faktor
Man unterscheidet zwischen Kationen (sauren) sind charakteristische Größen eines Proteinmoleküls.
und Anionen (basischen) Austauschern. Beide Brooks und Cramer [22] haben mit dem steric mass-
kommen in schwacher und starker Form vor. Schwa- action model einen Formalismus zur Beschreibung der
che Ionenaustauscher haben eine pH-abhängige Protein-Ionenaustauschchromatographie entwickelt,
Ladungsdichte, starke Ionenaustauscher sind prak- der diese Phänomene berücksichtigt.
tisch pH-unabhängig. Der Unterschied in den Ladungseigenschaf-
. Abb. 9.78 zeigt einen Kationenaustauscher, wie ten verschiedener Proteine und anderer biologi-
er mit Kationen eine elektrostatische Bindung eingeht. scher Substanzen in gleicher physiko-chemischer
Ein Harz mit SO3–-Gruppen ist ein stark saurer Katio- Umgebung (gleicher pH, gleiche Ionenstärke etc.)
nenaustauscher, ein COO−-Harz dagegen ein schwach bestimmt, welches Protein und wie stark es am
saurer. Ein Anionenaustauscher trägt beispielsweise Ionenaustauscher adsorbiert wird. Die Elution
NR3+- (stark basisch) oder NH3+-Gruppen (schwach erfolgt anschließend durch kontinuierliche Erhö-
basisch). Er geht mit den negativ geladenen Anionen hung von A+ im Eluenten, also Erhöhung der Salz-
elektrostatische Wechselwirkungen ein. konzentration (unspezifische Verdrängung), kann
Die Ionenaustauschreaktion, bei der das positiv aber auch durch Änderung des pH-Wertes (Ände-
geladene Gegenion A+ gegen das ebenfalls positiv rung der Nettoladung des Proteins) erfolgen. Die IEC
ist die am häufigsten eingesetzte Chromatographie-
Art zur Reinigung von Proteinen und findet sich fast
in jedem Reinigungsschema wieder.

Affinitätschromatographie (AFC)
Die AFC ist die Trennmethode mit der größten Spe-
zifität. Die Wechselwirkung ist spezifischer Art, z. B.
Antigen ↔ Antikörper; Enzym ↔ Inhibitor/Cofak-
tor/Substrat oder Substratanaloges; Nucleinsäure ↔
komplementäres Oligonucleotid. Die hohe Spezifität
dieser Wechselwirkung kommt dadurch zustande,
dass die beiden beteiligten Stoffe räumlich genau
zueinander passen. Die eine Komponente (Ligand)
ist dabei an den Träger gebunden, die andere (das
R-Molekül) wird aus der Lösung reversibel adsor-
biert (. Abb. 9.79). Vom Träger (Matrix oder Grund-
. Abb. 9.78  Funktion eines Kationenaustauschers material) muss entsprechend gefordert werden:
380 H. Chmiel

Phase hineinreichen kann und den ungehin-


derten Zugang zum R-Molekül ermöglicht.
55 Mehr und mehr werden auch „biospezifische“
niedermolekulare Liganden chemisch (kombi-
natorische Chemie) oder biologisch (Phagen-
Display) erzeugt.
55 Ein Problem bei der Affinitätschromatographie
stellt die Elution dar. Da die starke Wechsel-
wirkung auf dem räumlichen Zusammen-
passen von Ligand und Zielmolekül beruht,
ist für die Elution fast immer eine (leichte)
Denaturierung eines oder beider Partner
erforderlich, was zu Verlusten an biologischer
Aktivität von Ligand und/oder Zielmolekül
. Abb. 9.79  Hochspezifische Reinigung von Proteinen führen kann.
mittels Affinitätschromatographie 55 Die Regeneration von biologischen Affinitäts-
liganden ist ebenfalls problematisch (CIP/SIP).
55 keine Wechselwirkungen mit dem R-Molekül
(Proteinmolekül), d. h. unspezifische Es werden auch sogenannte „generelle Liganden“
Adsorption muss verhindert werden, verwendet, die für eine funktionelle Klasse von z. B.
9 55 ausreichende Zahl aktiver Gruppen, damit eine Enzymmolekülen wirksam sind wie etwa die Triazin-
nennenswerte Kapazität zustande kommt, farbstoffe oder Protein A (für Antikörper).
55 alle übrigen Eigenschaften chromatogra- Besondere Beachtung muss bei der AFC der
phischer Träger wie gute mechanische und Elution geschenkt werden. Wegen der starken Bin-
chemische Eigenschaften, hohe Porosität, dungskräfte sind oft drastische Desorptionsbedin-
kleine Partikelgröße etc. gungen erforderlich. Dabei kann das zu gewinnende
biologische Material leicht deaktiviert werden. Nach
Als Trägermaterial für die AFC werden derivati- der Ionenaustauschchromatographie ist die AFC die
sierte Kieselgele, Cellulose, Agarose, Dextrane und am häufigsten angewendete Chromatographie-Art.
Polyacrylamide verwendet. Gelegentlich werden
poröse Glaskugeln eingesetzt. Sie besitzen neben
der großen Porosität eine hohe Festigkeit, sind Metall-Chelat-Chromatographie (MCC);
aber im alkalischen Medium chemisch nicht stabil, immobilised metal affinity chromato-
haben eine geringere Bindungskapazität als bei- graphy (IMAC)
spielsweise Agarose und erzeugen unspezifische In der MCC (auch Ligand-exchange-
Proteinadsorption. Chromatographie genannt) werden di- oder tri-
Neben den allgemein gültigen Kriterien für ein valente Metall-Ionen (Zn2+, B3+, Al3+, Ga3+, In3+
gutes Trägermaterial ist auch an den Liganden eine oder Ti3+), die an einen Kationenaustauscher (oft
Reihe von Forderungen zu stellen: auch chelatisierende Gruppen) gebunden wurden,
55 Dissoziationskonstante <10−3 M bzw. benutzt, um wiederum Liganden wie z. B. Amine,
Bindungskonstante >103 M−1. Aminosäuren, Proteine, Nucleoside, Nucleotide
55 Bifunktionalität, d. h. er muss sowohl an das oder Phenolverbindungen zu binden. Diese bilden
Trägermaterial als auch an den Liganden mit dem Metall Komplexe. Bei einem pH von 7 und
binden. darüber zeigen sie einen hohen Grad an Selektivität,
55 Er sollte über einen Spacer-Arm (auch Koppler jedoch mit variierendem Affinitätsprofil.
genannt) an den Träger gebunden sein. Dies Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammen-
erhöht die Flexibilität und Mobilität des hang die Interaktion mit immobilisierten Nickel-
Liganden, der dadurch weiter in die mobile Ionen. Die Aminosäure Histidin (His) zeigt eine
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
381 9
besonders hohe Affinität zu solchen stationären Aggregationen (Tailing oder multiple Banden)
Phasen. Ein weit verbreiteter gentechnischer Ansatz auftreten. Die meist beträchtliche Viskosität der
zur Erleichterung der Aufreinigung rekombinanter Phasen erfordert meist kleine Flussraten, erhöhte
(gentechnisch produzierter) Proteine besteht darin, Temperaturen (zur Viskositätssenkung und Erhö-
das Protein gleich mit einem Histidinschwanz zu hung des Massentransfers) sowie kleine Partikel-
produzieren (häufig ein (His)6-Tag, also sechs Histi- durchmesser des Trägermaterials. Letzteres sollte
dinreste in Folge). Ein solches Protein hat eine höhere so frei wie möglich von unspezifischen Adsorp-
Affinität zu einer Nickelsäule als die meisten natür- tionseigenschaften sein.
lichen Proteine und kann daher leicht abgetrennt
und angereichert werden. Die Elution erfolgt z. B. in
einem Imidazolgradienten. Falls gewünscht, kann Gelchromatographie (size-exclusion
der His-Tag über eine spezifische Protease (Schnitt- chromatography, SEC)
stelle wird ebenfalls in das rekombinante Protein ein- Die size-exclusion chromatography (SEC; auch
gebaut) anschließend wieder vom Produkt abgespal- Größenausschlusschromatographie, Molekular-
ten werden. siebchromatographie oder Gelfiltration genannt)
unterscheidet sich grundsätzlich von allen übrigen
chromatographischen Verfahren darin, dass die
Verteilungschromatographie (liquid-li- Trennung nicht durch Wechselwirkungen zwischen
quid partition chromatography, LLPC) der stationären Phase und dem R-Molekül bzw. der
Bei der LLPC ist die stationäre Phase ein dünner mobilen Phase erfolgt, sondern einfach durch Klas-
Flüssigkeitsfilm auf einem porösen Träger. Dieser sierung nach der Molekülgröße.
Flüssigkeitsfilm besteht aus der einen Phase eines Die stationäre Phase besteht aus mikroporö-
flüssigen Zweiphasensystems. Die mobile Phase sen Partikeln (Gelen), deren Porendurchmesser
besteht aus der zweiten Phase des gleichen Systems. bestimmt, welche Moleküle per Diffusion in die
Die Trennwirkung, die beim Durchwandern einer Poren „eindringen“ können und damit gegenüber
Probe durch eine solche Säulenpackung erzielt den „ausgeschlossenen“ Molekülen eine verlän-
wird, hängt in erster Linie von den Unterschie- gerte Verweilzeit im durchströmten Festbett haben
den in den Verteilungskoeffizienten der einzelnen (. Abb. 9.80).
Komponenten in der Probe sowie von der Menge an Eine wesentliche Bedingung für das Trennver-
stationärer Phase in der Säule ab. Im Wesentlichen fahren ist eine Gelstruktur der stationären Phase.
gelten bei dieser chromatographischen Methode Daraus resultierte in der Vergangenheit eine starke
die Gesetzmäßigkeiten der Gegenstromvertei-
lung. Sollen Biopolymere durch LLPC getrennt
werden, so lassen sich nur wässrige Zweiphasen-
Polymersysteme als Phasenpaare verwenden. Die
große Ähnlichkeit der beiden Phasen hinsichtlich
der Polarität erfordert besondere Trägermateria-
lien, deren Oberfläche durch gezielte Modifikation
inkompatibel zu einem der beiden Phasenpolyme-
ren gemacht wurde. Der Träger wird dann nur von
der zweiten Phase benetzt und hält diese Phase stets
als Abschirmung gegen erstere fest. Die besten Auf-
lösungen erhält man beim Verhältnis von stationä-
rer zu mobiler Phase um 1 bei einem Verteilungs-
koeffizienten der Zielkomponente um 3 zugunsten
der stationären Phase. Die Löslichkeit der Kom-
ponenten soll in beiden Phasen ausreichend hoch
sein (>3 mg/mL), damit keine Störeffekte durch . Abb. 9.80  Schema der Gelchromatographie
382 H. Chmiel

Kompressibilität des Festbetts und damit eine haben, die bei Parallelbetrieb minimale Abweichun-
limitierte Anwendung für technische Prozesse. gen garantieren. Friedle [37] und Britsch et al. [20]
Moderne Polymerträger für die SEC zeigen diesen haben solche Säulen mit Atoll GmbH entwickelt und
Nachteil nicht mehr. Es wird heute eine Fülle von kommerzialisiert.
Gelen aus verschiedenen organischen Materialien Wiendahl et al. [136] stellen eine solche
angeboten, wie z. B. Polyacrylamid, Agarose, Dex- HTS(high throughput screening)-Station vor.
trane, Vinylpolymere etc., mit denen auch Proteine .  Abb. 9.81a zeigt die Mikrosäule im Schnitt. Sie
bis zu einem Molekulargewicht von ca. 500.000 und hat eine Betthöhe von 1,0 cm, einen Bettdurch-
größer getrennt werden können. Als weiterer Nach- messer von 0,5 cm und ein daraus resultieren-
teil ist die geringe Selektivität zu nennen; denn die des Bettvolumen von 0,2 mL, das zwischen zwei
Poren haben herstellungsbedingt eine Porenvertei- Fritten durch einen eingeschobenen Hohlzylin-
lung, die die Trennschärfe reduziert. Die SEC wird der für die Zentrifugenanwendung oder einen
wegen der geringen Durchsätze [30 mL/(h cm2)] Stempel mit Kapillare für die Roboternadel fixiert
derzeit überwiegend im Labormaßstab und vor- ist. Um eine dichte Verbindung der Pipettiernadel
zugsweise für die letzte Reinigungsstufe eingesetzt, mit der Säule und damit einen konstanten Druck
aber auch zum Entsalzen von Proteinlösungen, z. B. bzw. Volumenstrom beim Einspritzen der Probe zu
nach Ionenaustausch. Ein Beispiel für den techni- garantieren, besitzt der Stempel oben einen koni-
schen Einsatz ist die Produktion von Insulin, wo schen Einlass und eine O-Ring-Dichtung. Die
die Gelfiltration als letzter Reinigungsschritt ein- dichte Verbindung von Säule und Nadel ist nicht
gesetzt wird. trivial, weil Letztere unmittelbar nach dem Ein-
9 Entscheidungshilfen zur Auswahl der geeigne- spritzvorgang die Nadel wieder freigeben muss,
ten chromatographischen Trennmethode findet man um weitere Flüssigkeit (Probe, Waschflüssigkeit
bei Harris [47]. oder Elutionspuffer) aus einem Reservoir zu holen
und auf die Säule zu dosieren. Dies gilt für die acht
der 96 Säulen, in die die acht Nadeln gleichzei-
Hochdurchsatzexperimente (HTS) tig eintauchen. Unterhalb der mit den 96 Säulen
zur Auslegung und O
­ ptimierung von bestückten Platte befindet sich auf einem fahrba-
­Chromatographie-Verfahren* ren Tisch eine Mikrotiterplatte, die die Proben für
Jürgen Friedle, Tim Schroeder die UV-Analyse sammelt (. Abb. 9.81b). Je nach
Für jedes neue Bioprodukt ist neben der Wahl eines Programm können alle 96 Säulen mit unterschied-
der oben vorgestellten Chromatographie-Verfah- lichem Chromatographie-Material bestückt sein,
ren eine Vielzahl von Parametern festzulegen. Dazu oder identisches Säulenmaterial wird mit unter-
zählen insbesondere Art und Größe der Partikel, schiedlichen Durchflussraten und/oder Elutions-
Liganden, mobile Phase, Eluent etc. Daraus folgen bedingungen beaufschlagt.
Betriebsparameter wie Produktkapazität, Bindungs- In . Abb. 9.82 werden nach dem Equilibrie-
kinetik, Wechselwirkungen Produkt/Oberfläche, rungsschritt zwei verschiedene Programme durch-
Auflösung, volumetrischer Durchsatz und nicht geführt. Oben werden Beladungsversuche ein-
zuletzt Produkt-recovery und -reinheit. Es ist nahe- schließlich Bestimmung der Durchbruchskurven
liegend, dass man bei der Lösung des Problems – und unten Elutionsversuche durchgeführt. Trotz
wie bei Präzipitation und Extraktion – auf die Platt- der hohen Zahl von möglichen Versuchen pro
formtechnologie der Pipettierroboter stößt [12]. Zeiteinheit könnte eine komplette Optimierung
Hier kommt aber erschwerend hinzu, dass durch der Chromatographie für ein neues Bioprodukt
die vorgeschalteten Reinigungsschritte das Pro- zu zeitaufwendig sein. Deshalb schlagen Susanto
duktvolumen eingeengt und die Verluste zu mini- et al. [122] die Nutzung von Modellparametern
mieren sind. Es kommt daher darauf an, miniaturi- bzw. eine automatisierte Optimierung vor (Susanto
sierte Chromatographiesäulen höchster Präzision zu et al. [123].
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
383 9
a b

. Abb. 9.81  (a) Schematische Zeichnung einer Pipettierroboter-kompatiblen Mikrosäule und der Pipettiernadel. (b)
Aufbau für die automatische Parallel-Chromatographie mit einem Pipettierroboter: (1) Pipettenspitzen des Roboters; (2)
96er-Säulenformat von Atoll (Weingarten, Deutschland); (3) Säulenplattenhalterung; (4) Te-Link-Modul (TECAN Crailsheim,
Deutschland); (5) Mikrotiterplatte zum Auffangen der Fraktionen, seitlich verschiebbar

Präparative Chromatographie im techni- die meisten präparativen chromatographischen


schen Maßstab Säulen daher radial oder axial und so zusätzlich
Schon aus Kostengründen ist die Festbettchromato- stabilisiert.
graphie normalerweise der letzte Reinigungsschritt Ein weiterer Unterschied ist, dass in technischem
für Bioprodukte. Maßstab vorwiegend Stufengradienten zur Elution
Für ein Scale-up sind die mittels Labor- und der Substanzen eingesetzt werden, da dies technisch
Pilotversuchen ermittelten Prozessparameter so viel einfacher durchführbar ist. Die Auflösung ist
wenig wie möglich zu ändern. Entscheidende Fak- jedoch geringer als bei der in analytischem Maßstab
toren wie Chromatographie-Material, Partikel- eingesetzten linearen Gradientenelution.
größe, lineare Flussrate, Betthöhe und Pufferzu- Die übliche Chromatographie im technischen
sammensetzung sollten gleich bleiben. Konstant Maßstab erfolgt batch-weise und setzt eine gründli-
gehalten werden sollten ferner bei den adsorpti- che Vorreinigung (insbesondere die Entfernung von
ven Chromatographie-Techniken das Verhältnis Schwebstoffen) voraus. Es gibt aber Neuentwicklun-
von Produktmasse zu Adsorbermasse und bei der gen, die von diesem Standardverfahren abweichen.
Gelfiltration die Zonenbreite (des Produktes beim Sie sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Auftrag) zur Säulenlänge. Dies bedeutet, dass ein Die superkritische Fluidchromatographie
Scale-up bevorzugt durch eine Verbreiterung des (SFC) ist ein Hybridprozess bestehend aus einer
Säulendurchmessers erreicht wird. Diese Säulen- superkritischen Fluidextraktion (SFE, . Abb. 9.83a,
verbreiterung ist gerade mit nicht druckstabilen linker Teil ist identisch mit . Abb. 9.70) und einer
Materialien jedoch nicht unproblematisch, da die Chromatographie. Es handelt sich dabei um einen
mechanische Stütze durch die „Säulenwand“ mit batch-Prozess. Die SFC bietet im Vergleich zur Flüs-
zunehmendem Durchmesser vernachlässigbar ist. sigkeitschromatographie wegen der größeren Dif-
Durch Bettinstabilitäten kann es zu Inhomogeni- fusionskoeffizienten der gelösten Stoffe eine höhere
täten kommen. Ab einer gewissen Größe werden Arbeitsgeschwindigkeit und bessere Trennung. Im
384 H. Chmiel

. Abb. 9.82  Schematische Darstellung von Chromatographie-Experimenten mit einem Pipettierroboter (nach [136])

Unterschied zu Gasen können superkritische Fluide über eine Drossel (8) im Separator (9) vom Lösemit-
auch nichtflüchtige Stoffe lösen. tel freigesetzt und über ein Steuerventil in die zuge-
Das Einsatzgut ist in der Regel ein bereits durch hörigen Kompartimente des Fraktionskollektors (10)
SFE vorgereinigtes Produkt, also der Extrakt aus dem geleitet. Die reinste Fraktion nach der Chromatogra-
Extraktionsprozess gemäß . Abb. 9.70. Dies ist ein phie im Kollektor hat eine Konzentration von 99 %
Gemisch, in dem alle Komponenten, die in die Säule Ω-3-Fettsäureester, sodass eine Produktpalette ver-
eingespritzt werden, vom Extraktionsmittel – hier schiedener Konzentrationen (z. B. 90 %) konfektio-
überkritisches CO2 – gelöst werden. Im vorliegenden niert werden kann. . Abb. 9.83b zeigt eine Anlage,
Beispiel handelt es sich bei dem Einsatzgut um den die jährlich 200 Tonnen Ω-3-Fettsäureester mit einer
Extrakt aus der SFE, ein Fischölethylester mit einer Reinheit von über 90 % erzeugen kann.
Ω-3-Konzentration von 60 %. Das Gemisch samt Bei der Fließbettadsorption (expanded bed
Lösemittel wird über einen Wärmetauscher (12) auf adsorption) ist die Strömungsrichtung der Schwer-
die für die Chromatographie optimale Temperatur kraft der Adsorberpartikel entgegengerichtet und die
gebracht und auf die Säule (13) aufgegeben. Dort Geschwindigkeit so gewählt, dass diese schweben.
wird es aufgrund der unterschiedlichen Geschwin- Dies ermöglicht die Applikation für Rohlösungen,
digkeiten der Komponenten in Fraktionen zerlegt, also z. B. die Produktisolation aus der Zellsuspension
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
385 9
a b

. Abb. 9.83  (a) Schematische Darstellung der superkritischen Fluidchromatographie (Zahlen siehe Abb. 9.70 und Text).
(b) Foto einer technischen SFC-Anlage (mit freundlicher Genehmigung der KD-Pharma, Bexbach)

oder dem Zellhomogenat. Wichtig dabei ist, dass nur Limitierung) wird auf 7 Abschn. 6.6 (fluidized bed
das Bioprodukt (Zielprotein), nicht aber die Zellen reactor) verwiesen.
oder Zell-Debris vom Adsorbermaterial zurück- Aus den Bemühungen, die Chromatographie
gehalten werden; d. h. die Interaktionen zwischen kontinuierlich zu betreiben, resultiert die simulated
Adsorberpartikeln und Zellen bzw. Zell-Debris moving bed chromatography (SMB). Zugrunde liegt
sollten so gering wie möglich sein. Lin et al. [80] das Konzept, die stationäre Phase einer Chromato-
weisen darauf hin, dass wegen der Dominanz elekt- graphiesäule im Gegenstrom zur Flüssigphase zu
rostatischer Interaktionen und der Tatsache, dass die führen. Dies soll zunächst in einem Gedankenexpe-
überwiegende Zahl der Biomoleküle, intakter Zellen riment erklärt werden.
und Zell-Debris bei einem neutralen pH eine nega- Getrennt werden soll ein Zwei-Komponen-
tive Ladung tragen, sowohl das Zielprotein als auch ten-Gemisch AB (z. B. Stereoisomere), bei dem die
Zellen bzw. Zell-Debris mit einem negativ geladenen Komponente A eine höhere Affinität zur stationä-
Adsorbermaterial stark interagieren. Anhand von ren Phase hat als die Komponente B. In einem Fest-
detaillierten Zetapotenzialmessungen konnten sie bett würde also die Komponente B schneller wandern
zeigen, dass für den Rückhalt von Biomasse in einem als die Komponente A und demgemäß früher am
negativ geladenen Fließbettadsorber drei Parameter Ausgang der Säule erscheinen. Unterteilt man die
von Bedeutung sind: Zetapotenzialadsorber, Zetapo- Säule gemäß . Abb. 9.84a in vier Zonen, führt das
tenzialbiomasse und Partikeldurchmesser der Bio- Gemisch (Feed) zwischen Zone 2 und 3 zu, lässt den
masse (siehe auch 7 Abschn. 9.1.2). Hier gibt es einen Eluenten von links nach rechts und die stationäre
Grenzwert, unterhalb dessen die Fließbettadsorption Phase (das Chromatographie-Material) von rechts
für die Produktisolation Biomasse enthaltender Roh- nach links wandern, so stellen sich in der Säule die
lösung angewendet werden kann. Zur technischen in . Abb. 9.84a eingezeichneten Konzentrationspro-
Auslegung (Zusammenhang zwischen Betthöhe und file der Komponenten A (rot) und B (grau) ein. Ein
Fließgeschwindigkeit und der daraus resultierenden Austrag der reinen Komponenten A (Extrakt, rot)
386 H. Chmiel

. Abb. 9.84  Prinzip der SMB-Chromatographie. (a) Trennwirkung einer sich bewegenden stationären Phase; (b) realer
Vorgang durch Ventilschaltung in Richtung der mobilen Phase (mit freundlicher Genehmigung der Bayer Technology Services
GmbH)

zwischen Zone 1 und 2 und B (Raffinat, grau) zwi- wird der Austritt von Raffinat im nächsten Schaltzy-
schen Zone 3 und 4 wäre dadurch gewährleistet. klus um eine Position im Uhrzeigersinn weiterwan-
Da die Bewegung der stationären Phase aber dern. Zum Zeitpunkt der Zugabe des Eluenten ist
aus technischen Gründen nicht praktikabel ist, wird kein Raffinat mehr vorhanden und das bisher noch
dieser Vorgang simuliert. Eine große Zahl von Chro- adsorbierte Extrakt (rot) wird zunehmend eluiert.
matographiesäulen (4–24) sind in einer Kreisschal- Das Schalten der Ventile in Richtung der Flüssig-
tung gemäß . Abb. 9.84b angeordnet. keitsbewegung hat also die gleiche Wirkung, wie die
Das Feed wird zunächst zwischen Zone 2 und gegenläufige Bewegung der stationären Phase im
3 eingegeben und wandert gemeinsam mit der obigen Gedankenexperiment.
mobilen Phase in Zone 3. Die schwächer adsorbie- Imamoglu [61] gibt einen guten Überblick über
rende Komponente B (grau) verlässt am Ende der die Anwendung dieses Verfahrens, das bereits seit 30
Zone 3 als Raffinat den Kreislauf, die stärker adsor- Jahren in sehr großem Maßstab in der petrochemi-
bierende Komponente A (rot) reichert sich in Rich- schen Industrie angewandt wird, erläutert den theo-
tung des Extraktabzugs an. Durch die periodischen retischen Hintergrund und gibt Beispiele für die bio-
Schaltvorgänge in Richtung des Gesamtträgerstroms technologische Anwendung.
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
387 9
Großindustrielle biotechnologische SMB-An- den Wandeffekt gesichert. Das Säulenbett im Ring-
lagen finden sich heute vorwiegend bei der Gewin- spalt wird ständig von mobiler Phase durchströmt.
nung von (Hydroxy-)Carbonsäuren (z. B. Bernstein- Gleichzeitig rotiert es langsam (<1 h−1) an verschie-
säure) sowie im Bereich der Stärkeverarbeitung. Die denen fest stehenden Einlässen vorbei, über die die
Trennung von Glucose und Fructose aus Isoglucose Säule mit Feed und weiteren Elementen (Stufengra-
mittels SMB ist heute Stand der Technik und kann dienten, Verdränger, Regenerierungs- und Reini-
für kleine und mittlere Anlagen auch im Einsäulen- gungslösungen) beaufschlagt werden. Die Trennung
Modus betrieben werden (. Abb. 9.85). der Substanzmischung erfolgt wie bei der konven-
Im Einsäulen-Modus sind alle 4 Zonen in einer tionellen Chromatographie entlang der Flussrich-
Trennsäule vereint und können durch interne Ver- tung der mobilen Phase und damit orthogonal zur
teiler direkt angesprochen werden. Dadurch verrin- Bewegungsrichtung der festen Phase (Kreuzstrom-
gert sich die mechanische Belastung der stationären chromatographie). Je nach Retentionszeit benötigen
Phase [45]. die Substanzen unterschiedlich lang, um das untere
Für Großanlagen (Trennsäulendurchmesser von Ende des Säulenbetts zu erreichen. Die zeitliche Auf-
4 m und mehr) eignet sich die Einsäulen-Schaltung lösung der Satzchromatographie wird in der konti-
nicht mehr, da eine homogene Flüssigkeitsaufgabe nuierlichen annularen Chromatographie somit zu
bzw. -entnahme durch interne Verteiler sehr schwer einer räumlichen Auflösung entlang des Ringspaltes.
zu realisieren ist. In diesem Fall wird, wie bei pet- Am unteren Ende ist der rotierende Ringspalt – über
rochemischen Anlagen, jede Zone als Einzelsäule eine Gleitringdichtung – mit einer Vielzahl statio-
realisiert. närer Auslässe verbunden, die die austretende Flüs-
SMB Verfahren werden aufgrund der geringen sigkeit in einen Fraktionssammler leiten. Sobald der
Flexibilität der Anlagen vorwiegend im Bereich der stationäre Zustand erreicht ist – in der Regel nach
Massenchemikalien eingesetzt, finden jedoch auch einer Umdrehung – kann das Produkt kontinuier-
Anwendung in der Herstellung von hochwertigen lich an einem fixen Auslass gewonnen werden. Mit
biotechnologischen Produkten. Ausnahme der Elutionschromatographie im linearen
Wekenborg et al. [132] wenden die SMB als Gradienten wurden fast alle Modi der präparativen
Ionenaustauschchromatographie für die Trennung Chromatographie auf die annulare Chromatogra-
der beiden β-Lactoglobuline A und B an. Statt mit phie übertragen, so die Gelfiltration, die Affinitäts-
konstanter Zusammensetzung der fluiden Träger- chromatographie, die Elutionschromatographie im
phase (d. h. isokratisch) schlagen sie die Solvent-Gra- Stufengradienten und die Verdrängungschromato-
dienten-SMB-Technologie vor, d. h. das Lösungs- graphie (siehe unten). In jedem Fall war die direkte
mittel wird mit unterschiedlicher Elutionsstärke Übertragung einer auf einer kleinen Milliliter-Säule
(nicht-isokratisch) zugeführt. entwickelten Trennung auf eine um Größenord-
Die SMB-Chromatographie hat gegenüber der nungen größere annulare Säule (Liter-Volumen)
batch-Chromatographie die folgenden Vorteile: möglich. Bei der Übertragung hat sich das Loading-
geringerer Eluentenverbrauch, maximale Produk- Faktor(LF)-Konzept bewährt, wobei gilt:
tivität der Chromatographie und Vereinfachung des Satzsäule:
Equipments. Dem steht der Nachteil der strikten
Prozesskontrolle bei verminderter Prozessflexibili- Q T cm3 min−1 ⋅ t1[ min ]
LF [−] =  Gl. 9.29
tät gegenüber. H [ cm ] ⋅ S cm 2 
Wirklich kontinuierlich trennt die präparative
annulare Chromatographie (P-CAC). In . Abb. 9.86 und annulare Säule:
sind der Aufbau und das Trennprinzip schematisch
dargestellt [56, 106]. Q T cm3 min−1 ⋅ 360[°]
LF [−] =   Gl. 9.30
Das Chromatographie-Material ist nicht – wie H [ cm ] ⋅ S cm 2  * ω °min−1
sonst üblich – in eine Zylinderform, sondern in einen
konzentrischen Ringspalt gepackt. Selbst bei relativ Q T = Volumenstrom des zu trennenden Flüssig-
großen Säulenvolumina ist so die Bettstabilität durch keitsgemisches.
9
388

a
H. Chmiel

. Abb. 9.85  (a) Fließschema Einsäulen-SMB für die Trennung von Fructose und Glucose aus Isoglucose (die Feed-/Eluenten-Entgasung ist im hier vereinfachten Schema nicht
gezeigt), (b) Einsäulen-SMB-Pilotanlage (mit freundlicher Genehmigung von Vogelbusch Biocommodities GmbH, Wien)
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
389 9
b Schleifringdichtung und fehlende Sterilisierbar-
keit, stellten sie fest, dass die interessierende Kom-
ponente über sechs Ausläufe verteilt austrat, wobei
gewisse Schwankungen im Austrittsbereich zu
beobachten waren (peak wobbling). Diese Technik
ist also noch verbesserungsfähig, aber durchaus
vielversprechend.
Im Gegensatz zu den bislang aufgeführten
Methoden stellt die Verdrängungschromatographie
ein rein präparatives und in hohem Maße nicht-li-
neares Verfahren dar (. Abb. 9.87). Bei diesem Ver-
fahren wird die Säule zunächst unter guten Bin-
dungsbedingungen bis fast zum Erreichen der
Kapazität mit der zu trennenden Substanzmischung
beladen. Anschließend wird die Säule mit der Ver-
drängerlösung beaufschlagt.
Ein geeigneter Verdränger ist dabei eine Subs-
tanz, die besser als die Feedkomponenten an die
stationäre Phase bindet. Dieser Verdränger redu-
ziert daher die für die Adsorption zur Verfügung
stehenden Bindungsplätze; das Resultat ist eine
. Abb. 9.85  (Fortsetzung)
Konkurrenz der Feedkomponenten um die ver-
bleibenden Plätze, wobei die stärker bindenden
Schmidt et al. [106] haben eine erste Pilot- Komponenten die schwächer bindenden zuneh-
anlage (144 L/Tag) für die Aufkonzentrierung mend verdrängen. Das Resultat ist eine Auftren-
von kontinuierlich produziertem rekombinanten nung der Komponenten in aufeinanderfolgende
Faktor VIII getestet. Als Chromatographie-Mate- Zonen der reinen Substanzen, den sogenannten
rial diente Fractogel, das hinsichtlich Packtechnik displacement train.
und Quellung vergleichsweise gute Eigenschaften Die Konzentration in den einzelnen Substanz-
hat. Als Eluent wurde eine konzentrierte Salzlö- zonen wird dabei von der Verdrängerkonzentration
sung verwendet. Neben technischen Problemen, und der Verdrängerisothermen bestimmt. Für die
wie – im Vergleich zur üblichen Säule – ungleich- Geschwindigkeit einer durch eine chromatographi-
mäßiger Packungsdichte, Undichtigkeit an der sche Säule wandernden Front – hier die des Verdrän-
gers V – gilt:

uo
uV =
1 + φ ⋅ (∂qV / ∂cV )  Gl. 9.31

mit uo = Fließgeschwindigkeit der mobilen Phase;


ϕ = Phasenverhältnis; q = adsorbierte Menge; c =
Konzentration in Lösung.
Da die Geschwindigkeit der Verdrängerfront die
Geschwindigkeit des displacement train bestimmt,
gilt uD = uS1 = uS2 = …
Damit lässt sich die Konzentration der Einzel-
substanzen aus dem Schnittpunkt der Einzelsubs-
. Abb. 9.86  Auftrennung eines Stoffgemisches im tanzisothermen mit einer durch den Nullpunkt und
annularen Ringspalt den durch die Verdrängerkonzentration bestimmten
390 H. Chmiel

. Abb. 9.87  Schematische


Darstellung einer
Verdrängungschromatographie

Schnittpunkt mit der Verdrängerisothermen gegebe- unspezifische vermieden werden. Daher sind an
nen Operationslinie bestimmen (. Abb. 9.88a). Subs- die Porenoberflächen die gleichen Forderungen,
tanzen, deren Isothermen von der Operationslinie wie an die Oberfläche des Chromatographie-Ma-
nicht geschnitten werden, eluieren vor dem displa- terials zu stellen. Es handelt sich überwiegend um
9 cement train (. Abb. 9.88b) Flachmembranen aus regenerierter Cellulose, Poly-
In Abschn. 9.3.4 wurde auf die negativen Folgen ethersulfon (PES) und PVDF. An die Porenoberflä-
der Proteinadsorption bei der Membranfiltration che können prinzipiell alle Arten von Austauscher-
eingegangen. Es ist daher nicht naheliegend, diesen gruppen fixiert werden. Fraud et al. [35] schlagen
Effekt für die Proteinreinigung zu nutzen. Der Mem- beispielsweise den Membranadsorber zur Trennung
branadsorber hat aber genau dieses Ziel. Allerdings von Proteingemischen mittels hydrophober Interak-
ist bereits im Zusammenhang mit den Anforde- tionschromatographie (HIC) vor. Eine hydrophile,
rungen an das Chromatographie-Material auf den regenerierte Cellulosemembran wird in ihren Poren
Unterschied zwischen unspezifischer und spezifi- durch kovalente Bindung hydrophober Phenylgrup-
scher Adsorption hingewiesen worden. pen hydrophobisiert. Sie kann auf diese Weise zur
Der Membranadsorber (MA) stellt eine Kombi- Trennung von Proteinen unterschiedlicher Hydro-
nation von Chromatographie bzw. besser Adsorp- phobizität nach dem Prinzip der Chromatogra-
tion und Membranfiltration dar. Zu diesem phie (beladen und anschließend eluieren) genutzt
Zweck sollen spezifische Wechselwirkungen an werden. Reis und Zydney [98] schätzen allerdings
der Porenoberfläche der Membran induziert und die vorhandene Kapazität hierfür als zu gering ein.

. Abb. 9.88  (a) Adsorptionsisothermen für vier verschiedene Substanzen (A–D) eines Gemisches und derjenigen des
Verdrängers; (b) displacement train
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
391 9

. Abb. 9.89  Membranadsorber schematisch. (a) Ausschnitt einer IEC-Adsorbermembran, (b) gestapelte Membranschichten,
(c) gewickeltes Modul, (d) gefaltetes Modul (mit freundlicher Genehmigung der Pall GmbH)

Giovannoni et al. [39] sehen die Anwendung des monoklonalen Antikörper, den Membranadsor-
HIC-Membranadsorbers eher in der Reinigung, ber ohne nennenswerte Wechselwirkungen durch-
z. B. zur Entfernung von Viren, HCP (Wirtszell- strömen. Zur Vergrößerung der Kapazität, die einen
proteinen, host cell proteins), rekombinanter DNA, Durchbruch dieser Verunreinigungen vermeiden soll,
Endotoxinen und anderen Verunreinigungen bei werden üblicherweise mehrere Membranlagen über-
der Gewinnung von monoklonalen Antikörpern einander gestapelt (. Abb. 9.89b und . Abb. 9.89c)
(mAb). Zhou et al. [142] schlagen für den gleichen bzw. ähnlich der von Sterilfiltern (vgl. 7 Abschn. 8.6)
Anwendungsfall vor, den IEC-Membranadsorber bekannten Vorgehensweise gefaltet (. Abb. 9.89d).
einzusetzen. Die Poren der Membranadsorber sind generell
In der biopharmazeutischen Arzneimittelherstel- größer als die Poren konventioneller Chromatogra-
lung werden solche IEC-Membranadsorber, die als phie-Adsorbentien. Auf diese Weise lassen sich selbst
Anionentauscher mit positiv geladenen quartären bei hohen Flussraten deutlich höhere Bindungskapa-
Ammoniumgruppen modifiziert wurden, vermehrt zitäten für Makromoleküle mit hohem Molekular-
zur finalen Abtrennung von Spurenverunreinigun- gewicht, das die abzutrennenden Verunreinigungen
gen (DNA, HCP, Endotoxine, Viren) eingesetzt. auszeichnet, gewährleisten.
In der Regel kommen dabei Einwegkapsulen zur Wichtige Parameter für die Leistungsfähigkeit
Anwendung, die im Flow-Through-Modus betrie- des Membranadsorbers sind unter anderem die
ben werden (. Abb. 9.89). Porenverteilung, Porenoberfläche, Dichte der elekt-
Die negativ geladenen Verunreinigungen rischen Ladungen, pH, Ionenstärke, Zahl der Mem-
lagern sich an der positiven Porenoberfläche an branschichten und Art des Moduls.
(.  Abb. 9.89a) während die Wertstoffe, beispiels- Wie aus . Abb. 9.90 ersichtlich, ist der Membra-
weise die bei neutralem pH positiv geladenen nadsorber bereits im technischen Maßstab verfügbar.
392 H. Chmiel

zu erreichen. Auch getrocknete, biologisch aktive


Mikroorganismen finden als Starterkulturen, Pro-
biotika oder Pflanzenschutzmittel in der Industrie
breiten Absatz [38]. Ziel der Trocknung ist es, die
Wasseraktivität soweit herabzusetzen, dass mikro-
bielles Wachstum sowie enzymatische und chemi-
sche Reaktionen nicht oder nur noch mit sehr gerin-
ger Geschwindigkeit stattfinden (. Abb. 9.91). Für
die meisten Produkte bedeutet dies eine Reduzie-
rung des Aktivitätswertes aW unter 0.5 [15]. Vor-
teile gegenüber der Konservierung im gefrorenen
Zustand liegen in dem reduzierten Produktgewicht
und -volumen sowie der Möglichkeit bei Umge-
bungstemperatur zu lagern und zu transportieren,
was die Kosten für diese Schritte erheblich senkt und
den Vertrieb über größere Distanzen möglich macht.
Die Grundlagen der Trocknungstechnologie, die für
die Bioprozesstechnik relevanten Trocknerbauarten
. Abb. 9.90  Membranadsorber im technischen Maßstab sowie die wichtigsten Einflussgrößen zum Erhalt der
(mit freundlicher Genehmigung der Fa. Pall GmbH) biologischen Aktivität während und nach der Trock-
9 nung sind im Folgenden dargestellt.
Als ergänzende Literatur zur Chromatographie
wird das Kapitel Hochleistungsflüssigkeitschroma-
tographie in Harris [47] empfohlen. 9.4.1 Grundlagen der
Trocknungstechnologie

9.4 Trocknungsverfahren in der Trocknen beinhaltet das Entfernen von Feuchtigkeit


Bioprozesstechnik* in Form von Dampf aus einem festen, flüssigen oder
gasförmigen Trägermaterial. In der bio- und lebens-
A. Baier und C. Rauh mitteltechnologischen Prozessierung soll in den
meisten Fällen Wasser von einem Feststoff getrennt
In vielen Fällen werden Stoffe aus biotechnologischer werden. Um die Desorption des Wassers von einem
Produktion einem Trocknungsprozess unterzogen, festen Trägermaterial zu ermöglichen, muss der
um eine längerfristige Stabilität der Produktqualität Partialdruck des Wassers an der Materialoberfläche

. Abb. 9.91  Einfluss des aW-Wertes


auf die Reaktionsgeschwindigkeit
in biotechnologischen Produkten
(angelehnt an [15])
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
393 9
höher sein als der Partialdruck in der Umgebung. bestimmt, wobei sich deren treibende Kräfte im
Um die Differenz zu vergrößern und die Desorption Verlauf der Trocknung ändern. In den meisten
zu beschleunigen, muss entweder die Temperatur des Fällen lassen sich zwei charakteristische Trock-
Produktes erhöht oder der Partialdruck des Wassers nungsabschnitte erkennen (. Abb. 9.92). In Mate-
in der Umgebung des Produktes erniedrigt werden rialien mit hoher Ausgangsfeuchte ist der Massen-
[86]. Ersteres erreicht man durch die Zufuhr thermi- transport an die Partikeloberfläche ausreichend, um
scher Energie in Form von direktem Kontakt (Kon- ein konstantes Verdampfen, Verdunsten oder Subli-
duktion), Konvektion oder Strahlung (z. B. Infrarot, mieren von Feuchte an der Oberfläche zu gewähr-
Mikrowelle), letzteres durch den Anlagenbetrieb leisten. Die Trocknungsgeschwindigkeit wird in
unter Vakuum und das kontinuierliche Entfernen des diesem Abschnitt nur durch den Wärme- und Stoff-
gebildeten Dampfes aus der Produktumgebung. Zur transport an der Materialoberfläche bestimmt. Fällt
Erhöhung der Temperatur lässt sich unter anderem der Feuchtegehalt unter einen kritischen Wert, kann
auch elektrische Energie (Ohmsche Erhitzung durch nicht mehr ausreichend Feuchte durch die Kapilla-
direkten Stromfluss durch das Produkt) nutzen, was ren an die Produktoberfläche transportiert werden.
im Folgenden jedoch außer Betracht bleibt. In allen In diesem Trocknungsabschnitt wird die Geschwin-
Fällen muss ausreichend Energie zur Verfügung digkeit zusätzlich vom Wärme- und Stofftransport
gestellt werden, um den endothermen Übergang auf- innerhalb des Produktes bestimmt. Mit sinkender
grund der Phasenänderungssenthalpie in die gasför- Produktfeuchte sinkt auch die Trocknungsgeschwin-
mige Phase zu ermöglichen. digkeit, da die Triebkraft für die Diffusion, der Feuch-
Trocknungsprozesse werden somit durch den tegradient und der Diffusionskoeffizient geringer
gleichzeitigen Ablauf von Wärme- und Stofftransport werden. Der kritische Feuchtegehalt, der die beiden

. Abb. 9.92  Trocknungsabschnitte


bei der Trocknung biotechnologischer
Produkte
394 H. Chmiel

Trocknungsabschnitte teilt, ist abhängig von der Prozesstemperaturen wird eine Produktschädigung
Trocknungsgeschwindigkeit und von der Schichtdi- durch thermische oder osmotische Effekte vermie-
cke des Trocknungsgutes. Die meisten biologischen den [131]. Folglich ist diese Trocknungstechnik
Materialien sind hygroskopisch und ihre Trocknung die bevorzugte Methode zur langfristigen Stabili-
endet sobald sich ein temperaturabhängiges Gleich- sierung mikrobieller Kulturen weltweit [90], wird
gewicht zwischen Produktfeuchte und der Feuchte in aber auch zur Konservierung von Enzymen, Impf-
der Umgebung einstellt. Die Bindung dieser Feuchte stoffen und anderen Arzneimitteln, bei denen der
erfolgt über verschiedene Kräfte, unter ihnen Kapil- Erhalt einer hohen biologischen Aktivität erforder-
larkräfte und chemische Bindungen [86]. lich ist, eingesetzt. Die Gefriertrocknung pharma-
zeutischer Produkte erfolgt in der Regel diskonti-
nuierlich in Phiolen, Ampullen oder Fläschchen auf
9.4.2 Wichtige Trocknungsverfahren temperierbaren Platten. Der schematische Aufbau
in der Bioprozesstechnik einer entsprechenden Gefriertrocknungsanlage ist
in . Abb. 9.93 dargestellt. Industrielle Anlagen mit
Bei der Auswahl eines geeigneten Trocknungsver- einer Trocknungsfläche von 20 m² ermöglichen die
fahrens und der entsprechenden Prozessparame- Trocknung von etwa 400 kg feuchtem Material. Die
ter spielt, neben pragmatischen und ökonomischen derzeit größten Anlagen, die für die Pharmaindust-
Gesichtspunkten, die Produktsensitivität gegenüber rie genutzt werden, besitzen eine Trocknungsfläche
hohen Temperaturen, Oxidation und osmotischem von etwa 100 m² [126]. Dem zu trocknenden Gut
Stress eine entscheidende Rolle. Insbesondere bei wird zunächst Wärme entzogen, sodass die enthal-
9 der Trocknung biologisch aktiver Materialien ist die tene Feuchte kristallisiert. Die ursprünglich gelös-
Minimierung dieser Einflüsse von großer Bedeutung. ten Produktbestandteile sowie das daran gebundene
Eine hohe Prozesstemperatur bewirkt eine Denatu- Wasser erstarren im Glaszustand. Die Temperaturab-
rierung von Proteinen, Ribosomen und Nukleinsäu- senkung kann entweder außerhalb der Trocknungs-
ren Nuceinsäuren und eine Zerstörung der Zellmem- anlage erfolgen oder indem die Trocknungsflächen
branlipide. Die thermische Belastung des Produktes von einem passenden Kühlmittel mit Temperaturen
ist abhängig von der Temperatur, welche die Reak- bis zu –75 °C durchströmt werden [126]. Die Inakti-
tionsgeschwindigkeit bestimmt, und der Zeit, die das vierung von Mikroorganismen während der Gefrier-
Produkt dieser Temperatur ausgesetzt ist. Der ver- trocknung lässt sich zu großen Teilen auf den Kälte-
mehrte Kontakt mit Luftsauerstoff während einer schock und die Zellwandpermeabilisierung während
Konvektionstrocknung führt zu verstärkten Oxida- des Gefriervorganges zurückführen [18]. Langsame
tionsreaktionen. Die Entfernung von Wassermole- Gefriergeschwindigkeiten sind für den Erhalt der
külen kann zur Erhöhung der Phasenübergangstem- Zellvitalität von Vorteil [90]. Nach dem Gefrierpro-
peratur der Zytoplasmamembran führen und so ihre zess muss der Druck in der Trocknungskammer unter
Stabilität beeinträchtigen. Mikroorgansimen sind den Tripelpunktdruck von Wasser abgesenkt werden.
in der Lage, ihren Stoffwechsel an Änderungen der Üblich sind Prozessdrücke von etwa 0,5 mbar. Die für
Temperatur oder des osmotischen Drucks anzupas- den Phasenübergang erforderliche Energie wird dem
sen. Rapide Änderungen von Temperatur und Was- Trocknungsgut entzogen. Damit es nicht zu einem
sergehalt wirken sich somit oft negativ auf die Zell- Absinken der Gutstemperatur und somit der Trock-
vitalität aus, sehr lange Trocknungszeiten hingegen nungsgeschwindigkeit kommt, muss kontinuierlich
senken die Prozesseffizienz [38]. Wärme über die Trocknungsflächen oder eine Strah-
lungsquelle zugeführt werden. Üblicherweise wird
der Prozessdruck im letzten Viertel der Trocknung
Gefriertrocknung weiter gesenkt oder die Temperatur erhöht, um das
Die Gefriertrocknung stellt eine schonende Mög- restliche, schwer entfernbare Wasser (siehe weiter
lichkeit der Materialtrocknung dar, bei der die Guts- oben: Hygroskopie) zu entfernen und eine finale
feuchte durch Sublimation direkt vom festen in den Gutsfeuchte von 2–3 % zu erreichen [126]. Die Trock-
gasförmigen Zustand überführt wird. Durch die aus- nungszeiten unter diesen Bedingungen liegen übli-
bleibenden Konzentrationseffekte und die niedrigen cherweise bei 24–48 h. Die langen Trocknungszeiten
Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
395 9

. Abb. 9.93  Schematischer Aufbau einer Gefriertrocknungsanlage

sowie die niedrigen Prozessdrücke und -temperatu-


ren führen zu relativ hohen Betriebskosten [4].
Des Weiteren besteht die Möglichkeit, eine Vaku-
umtrocknung ohne vorherige Kristallisation des
Wassers durchzuführen. Durch Herabsetzen des
Druckes auf bis zu 10 mbar kann der Siedepunkt des
Wassers auf bis zu 8 °C reduziert und eine thermische
Belastung vermieden werden. Auch oxidative Ver-
änderungen können durch das Vakuum minimiert
werden, weswegen sich diese Trocknungsvariante gut
für sauerstoffempfindliche Produkte wie Lactobacil-
len oder Vitamine eignet [101]. Die Trocknung kann
kontinuierlich auf umlaufenden Bändern oder dis-
kontinuierlich in Trommel-, Horden oder konischen
Trocknern erfolgen [126]. Die Prozesskosten sind etwa
halb so hoch wie die einer Gefriertrocknung. Nach-
teilig sind die langen Prozesszeiten von 20 bis zu über
100 h bei diskontinuierlicher Trocknungsweise [101].

Sprühtrocknung
Die Sprühtrocknung ist eine Variante der Konvek-
tionstrocknung, bei der eine Lösung, Suspension
oder Paste in einem heißen Medium, in der Regel . Abb. 9.94  Schematischer Aufbau einer
Luft, zerstäubt und getrocknet wird (. Abb. 9.94). Sprühtrocknungsanlage
396 H. Chmiel

Die Zerstäubung kann mittels Einstoffdüse, bei der geeigneter Indikator für die thermische Belastung
das Produkt durch Drücke von 20–100 bar durch eine während der Trocknung, wobei niedrigere Austritts-
schmale Öffnung getrieben wird, mittels Zweistoff- temperaturen zu einer höheren Zellvitalität führen
düse, in der ein Gas durch seinen um das Hundert- [3].
fache größeren Volumenstrom zu einer Zerteilung
des Produktes führt, oder in Rotationsdüsen durch
Rotationsgeschwindigkeiten von 100–150 m s–1 erfol- Wirbelschichttrocknung
gen. Der pneumatische Transport der Partikel durch Bei einer Wirbelschichttrocknung werden partikuläre
die Trockenkammer kann im Gegen-, Gleich- oder Güter durch die Durchströmung mit Gas in Bewe-
Kreuzstrom erfolgen und die Transportgeschwin- gung gesetzt, was eine gleichzeitige Durchmischung
digkeit wird durch das Verhältnis Produkt- zu Luft- und Konvektionstrocknung möglich macht. Die zwei
strom bestimmt. Üblich ist hier ein Massenverhält- gängigen Bauformen von Wirbelschichttrocknern
nis von 4. Aerozyklone, Schlauch- oder Elektrofilter zeigt . Abb. 9.95. Die Trocknungsdauer erstreckt sich
ermöglichen die Trennung von Luftstrom und tro- je nach Schichtdicke von wenigen Minuten bis zu 2 h,
ckenem Produkt. Die hohen Lufttemperaturen von wobei die thermische Belastung aufgrund der niedri-
bis zu über 200 °C und die geringen Partikelgrößen gen Lufttemperaturen gering gehalten werden kann.
von 30–400 µm führen zu einer hohen Prozessef- Die Kosten für eine Wirbelschichttrocknung liegen
fektivität und kurzen Trocknungszeiten von unge- leicht unter denen der Sprühtrocknung und betra-
fähr 25 s [126]. Trotz der hohen Lufttemperaturen gen nur etwa 18 % der Betriebskosten einer Gefrier-
ist die thermische Belastung währen des 1. Trock- trocknung [101]. Die Wirbelschichttrocknung wird
9 nungsabschnittes gering, da die hohe Verdamp- zur industriellen Herstellung von Trockenhefe ein-
fungsrate der Erwärmung des Produktes entgegen- gesetzt. Übliche Prozessparameter sind hierbei eine
wirkt. Im 2. Trocknungsabschnitt kann es abhängig Trocknungsdauer von 20 Minuten bei einer Maxi-
von der Trocknerkonfiguration und den verwen- maltemperatur von 40 °C [2]. Vorherige Extrusion
deten Prozessparametern zu einer Produktschädi- liefert die für die Wirbelschicht erforderlichen Zell-
gung kommen. Die Austrittstemperatur des Gutes, pellets und reduziert die Ausgangsfeuchte zur Erhö-
üblicherweise zwischen 70–120 °C, erwies sich als hung der Trocknungseffizienz [38].

. Abb. 9.95  Schematischer Aufbau von Wirbelschichttrocknungsanlagen


Kapitel 9 · Aufarbeitung (Downstream Processing)
397 9
Walzentrocknung Abschirmung der Zellen vom Medium [18]. Die opti-
Die Walzentrocknung ist ein Kontakttrocknungs- male Zellkonzentration kann jedoch in Abhängigkeit
verfahren, bei der ein dünner Materialfilm auf die von verwendeten Schutzstoffen variieren. Schutz-
Oberfläche einer rotierenden, dampfbeheizten stoffe wie Trehalose und Saccharose wirken indem
Walze aufgetragen und nach einer Trocknungszeit sie Wassermolekülen an polaren Gruppen ersetzen
von wenigen Sekunden mit einem Messer abgeschabt und so die Struktur von Proteinen und Membranen
wird [131]. Durch die hohen Prozesstemperaturen während der Trocknung stabilisieren [77]. Eine sehr
von über 100 °C ist diese Trocknervariante für die gute Schutzwirkung zeigte sich auch bei der Ver-
Konservierung aktiver Zellen ungeeignet, wird aber wendung von rekonstituierter Magermilch [3]. Als
unter anderem für die Trocknung von Hefen zum Schutzstoffe bei der Gefriertrocknung eignen sich
Futtermitteleinsatz verwendet. Kohlenhydrate, Proteine und Polymere, da sie im
Glaszustand Abfallprodukte der Zelle aufnehmen
und ihre Mobilität auf ein Minimum einschränken
9.4.3 Weitere Einflussfaktoren können [90]. Trägermaterialien, die während der
bei der Trocknung von Trocknung zu einer Verkapselung von Mikroorga-
Mikroorganismen nismen führen, werden überwiegend bei der Sprüh-
trocknung eingesetzt [38] und bieten zusätzlich einen
Neben den zuvor beschriebenen Prozessgrößen Schutz gegenüber Magensäure oder Gallensaft, was
spielen viele weitere extrinsische und intrinsische einen Vorteil beim Einsatz von Probiotika darstellt.
Faktoren sowie die generelle Stresstoleranz des Orga- Faktoren, die biochemische Reaktionen begüns-
nismus eine Rolle für den Vitalitätserhalt bei der tigen, wie eine höhere Produktfeuchte und eine
Trocknung. Die Toleranz gegenüber äußeren Ein- höhere Temperatur, verringern die Überlebensrate
flussfaktoren variiert stark für verschiedene Spezies der Mikroorganismen währen der Lagerung [38].
und Stämme. Die Sensitivität gegenüber thermischer Im getrockneten Zustand können die Zellen Sauer-
und mechanischer Belastung ist aufgrund der dünne- stoff nicht verstoffwechseln oder aus der Zelle trans-
ren Zellwand in gramnegativen Bakterien am höchs- portieren, sodass eine Lagerung unter Stickstoff
ten, gefolgt von Hefen und grampositiven Bakterien oder Vakuum von Vorteil ist [18]. Auch eine lang-
mit der höchsten Stresstoleranz [38]. Der Rück- same Rehydratation der Zellen in einem komplexen
gang der Nährstoffverfügbarkeit und die Ansamm- Medium, das eine kontrollierte Änderung der osmo-
lung toxischer Stoffwechselprodukte in der stationä- tischen Bedingungen sowie ausreichend Nährstoffe
ren Wachstumsphase rufen eine Stressreaktion des zur Reparatur von Zellschäden bietet, führt am Ende
Organismus hervor, die auch die Toleranz gegenüber zu einer höheren biologischen Aktivität [90].
anderen Stressfaktoren erhöht [38, 90]. Eine solche Mit geeigneten Prozessparametern und unter
Stressantwort und die damit verbundene Produktion Berücksichtigung der vielen weiteren Einflussfakto-
bestimmter Proteine lassen sich auch durch die Kul- ren, lassen sich durch Trocknung biotechnologische
tivierung bei niedrigeren Temperaturen, niedrige- Produkte von hoher Qualität und langer Haltbarkeit
rem pH-Wert oder durch die Einwirkung höherer herstellen.
Temperaturen gezielt induzieren [90]. Die rich-
tige Zusammensetzung des Mediums während des
Wachstums kann zur Akkumulation von Stoffen in Literatur
der Zelle führen, die osmotische Unterschiede zwi-
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schen Zellinnerem und -äußerem ausgleichen und processes in biorefinery applications. J Membrane Sci
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9
403 10

Enzymatische Prozesse
Kathrin Castiglione und Dirk Weuster-Botz

10.1 Quervernetzte Enzymaggregate – 409


10.1.1 Herstellung von quervernetzten Enzymaggregaten – 411
10.1.2 Herstellung von Ampicillin mit Penicillin-Amidase-CLEAs – 412

10.2 Trägerfixierte Enzyme – 414


10.2.1 Trägermaterialien und Fixierung von Enzymen – 414
10.2.2 Biokatalytische Glucoseisomerisierung zur Herstellung von High
Fructose Corn Sirup (HFCS) – 416
10.2.3 Enzymatische Umesterung – 418
10.2.4 Herstellung von 6-Aminopenicillansäure – 420

10.3 Enzymeinschluss – 421


10.3.1 Mikroverkapselung und Membranen – 421
10.3.2 Asymmetrische Synthese von (R)-2-Hydroxy-4-phenylbuttersäure im
Enzymmembranreaktor – 423
10.3.3 Herstellung von L-Methionin im Enzymmembranreaktor – 424

10.4 Ganze Zellen – 425


10.4.1 Biokatalytische Herstellung von Acrylamid – 426
10.4.2 Herstellung von optisch reinem L-Carnitin – 427
10.4.3 Biotransformation von 2,5-Di-Methylpyrazin zu 5-Methyl-2-pyrazin-
carbonsäure (MPCA) – 431
10.4.4 Chemo-enzymatische Synthese von Ursodesoxycholsäure
(UDCA) – 433

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_10
10.5 Mehrphasensysteme – 435
10.5.1 In-situ Substratbereitstellung und Produktentfernung – 436
10.5.2 Asymmetrische Synthese von (S)-4-Chlor-3-
Hydroxybuttersäureethylester (S-CHBE) – 441
10.5.3 Asymmetrische Synthese von (S)-(3,4-Methylendioxyphenyl)-2-
Propanol – 443

Literatur – 445
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
405 10
Bei enzymatischen Produktionsprozessen geht es um von üblichen chemischen Katalysatoren beschleunigt
biokatalytische Stoffumwandlungen, an denen sehr werden, laufen meist bei hohem Druck in Kombi-
häufig nur ein einzelnes Enzym (Einschrittreaktion) nation mit einer deutlich erhöhten Temperatur im
oder eine überschaubare Kaskade mehrerer Enzyme nicht pH-neutralen Bereich ab. Ferner erfordern che-
beteiligt ist. Diese Stoffumwandlungen werden auch mische Katalysen oftmals den Einsatz von umwelt-
als Biotransformationen bezeichnet. Im Gegensatz unverträglichen Stoffen wie beispielsweise Schwer-
dazu werden bei mikrobiellen Prozessen, die Gegen- metallkatalysatoren. Da die meisten Enzyme unter
stand von 7 Kap. 11 sind, ganze Stoffwechselnetz- ähnlichen Bedingungen arbeiten, was im Gegensatz
werke von Zellen dazu genutzt, gewünschte Produkte zur großen Bandbreite der Reaktionsbedingungen
in der Regel ausgehend von natürlichen Kohlenstoff- von chemischen Katalysatoren steht, sind Multien-
und gegebenenfalls Stickstoffquellen herzustellen. zymreaktionen im Eintopfverfahren häufig leich-
Die Anzahl industrieller Biotransformatio- ter zu realisieren als kombinierte chemische Kata-
nen nimmt stetig zu. Vor allem auf dem Gebiet der lyseschritte. Werden sequentielle enzymkatalysierte
organischen Synthese ist diese Entwicklung darauf Reaktionen in einem Ansatz durchgeführt, müssen
zurückzuführen, dass viele Enzyme in der Lage sind, zudem keine Intermediate isoliert und ein ungüns-
Reaktionen äußerst chemo-, regio- und stereoselek- tiges Reaktionsgleichgewicht kann in Richtung des
tiv zu katalysieren. Hierbei sind Enzyme oft nicht an gewünschten Produktes verschoben werden [21, 6].
das natürliche Substratspektrum gebunden, sondern Betrachtet man die Katalysatorkosten eines enzy-
katalysieren auch die Umsetzung nicht-natürlicher matischen Prozesses, so variieren sie vor allem in
Verbindungen mit hoher Selektivität. Eine mögliche Abhängigkeit des benötigten Aufreinigungsgrads der
Konsequenz der hohen Selektivität ist eine geringere Enzyme sehr stark. Für viele Reaktionen sind Ganz-
Anzahl an Syntheseschritten im Vergleich zur kor- zellansätze oder wenig aufgereinigte Enzympräpa-
respondierenden chemischen Katalyse, wodurch rate ausreichend, was sich in moderaten Preisen für
ein Prozess effizienter und aufgrund verminderter den Biokatalysator niederschlägt. In Anbetracht der
Mengen an Abfallstoffen auch umweltfreundlicher hohen katalytischen Effizienz vieler Enzyme im Ver-
werden kann. So erreichen Enzyme eine hohe Regio- gleich zu klassischen chemischen Katalysatoren kann
selektivität ohne mit den Nachteilen der aufwändi- jedoch auch der Einsatz von teuren Biokatalysato-
gen Schutzgruppenchemie konfrontiert zu sein. Die ren ökonomisch sinnvoll sein [21]. Die Katalysator-
Biokatalyse ermöglicht darüber hinaus Zugang zu kosten können zudem weiter gesenkt werden, wenn
Reaktionen, die schwierig mit den Methoden der Enzyme immobilisiert werden und dadurch wieder-
klassischen organischen Chemie zu realisieren sind verwendbar sind.
[21]. Beispiele hierfür sind verschiedene regio- und Neben der Kostenreduktion gibt es noch weitere
enantioselektive Oxidationen durch Baeyer-Villi- Gründe, die für eine Enzymimmobilisierung spre-
ger-Monooxygenasen (EC 1.14.13.x) [33]. Enzyme chen, wie . Tab. 10.1 zeigt. Mögliche Nachteile im
sind zudem sehr effiziente Katalysatoren. Häufig Zusammenhang mit immobilisierten Enzymen sind
beschleunigen sie Reaktionen deutlich stärker als die dabei sehr stark von dem jeweiligen Enzym, der zu
korrespondierenden chemischen Katalysatoren bei katalysierenden Reaktion und der gewählten Immo-
gleichem Stoffmengenanteil (Mol-%). Enzymatisch bilisierungsmethode abhängig. Soll beispielsweise
katalysierte Reaktionen unterscheiden sich von der ein Feststoff, wie kristalline Cellulose, umgesetzt
klassischen chemischen Katalyse auch dadurch, dass werden, kann dieser aufgrund seiner Größe nur von
Enzyme ihre Aktivität meist unter milden Bedin- Enzymen auf der Oberfläche von Immobilisaten
gungen entfalten: in einem wässrigen Medium bei umgesetzt werden, weshalb hier beispielsweise eine
Atmosphärendruck, Temperaturen zwischen 20 und Enzymimmobilisierung in einem porösen Träger
40 °C und einem neutralen pH. Hierdurch werden nicht sinnvoll ist.
unerwünschte Nebenreaktionen, wie beispielsweise Immobilisierungsmethoden isolierter Enzyme
Zerfallsreaktionen oder Isomerisierungen, verhin- lassen sich prinzipiell in zwei Gruppen einteilen, je
dert und Einsparungen im Bereich der Energiekos- nachdem ob ein Enzym durch chemische Bindungen
ten erzielt. Reaktionen hingegen, die durch Zugabe fixiert oder in löslicher Form eingeschlossen wird
406 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Tab. 10.1  Gründe für und mögliche Limitierungen von Enzymimmobilisierungen

Gründe Mögliche Limitierungen

Kostenreduktion durch Wiederverwendung der Enzyme Kosten der Immobilisierung (Material und Arbeitsaufwand)
Kontinuierliche Prozessführung möglich Stofftransportlimitierungen
(Verweilzeitentkopplung)
Leichte Produktabtrennung Nur für gelöste Substrate möglich
Stabilisierender Effekt der Immobilisierung Veränderung der Enzymeigenschaften, z. B.
Aktivitätsverlust

.  Abb. 10.1). Bei der Immobilisierung durch che- Biokatalysatorträger hinein berücksichtigt werden
mische Bindungen wechselt man aus dem Bereich (siehe 7 Abschn. 3.7 und 6.3.1). Im Folgenden wird
der homogenen Katalyse, bei der Katalysator und vereinfachend von einem Wirkungsgrad η = 1 und
Reaktanden in der gleichen Phase vorliegen, in den hohen Sherwoodzahlen ausgegangen.
Bereich der heterogenen Katalyse, da die immo- Die Verwendung von ganzen Zellen als Biokata-
bilisierten Enzyme in der Regel als Feststoffe und lysatoren kann per se auch als Form der Immobili-
die Substrate flüssig oder mitunter auch gasförmig sierung betrachtet werden. Einige der Immobilisie-
vorliegen. Im Gegensatz dazu gibt es bei der Ein- rungsmethoden, die auf physikalischem Einschluss
schlussimmobilisierung auch Formen der homo- basieren, werden häufig auch auf ganze Zellen über-
genen Katalyse, beispielsweise wenn die Enzyme in tragen. Dies gilt zum einen für die Verweilzeitent-
10 Enzymmembranreaktoren eingeschlossen werden kopplung von ganzen Zellen durch die Verwendung
(7 Abschn. 10.3). Bei der heterogenen Biokatalyse von Mikrofiltrationsmembranen, wie es bereits
müssen grundsätzlich der Stofftransport aus der in 7   Abschn. 6.3.2 beschrieben wurde, und zum
Kernströmung zur Oberfläche des Biokatalysatorträ- anderen für die Mikroverkapselung in Gelmatrices
gers und der diffusive Stofftransport in den porösen (7 Abschn. 10.3.1).

. Abb. 10.1  Methoden zur Immobilisierung isolierter Enzyme


Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
407 10
Ein wesentlicher Vorteil von immobilisierten ein Enzym beispielsweise einer klassischen Michae-
Enzymen ist die Möglichkeit einer kontinuierli- lis-Menten-Kinetik (Sättigungskinetik) nach Gl.
chen Prozessführung. Dabei können immobilisierte 1.28, ergibt sich folgende Gleichung:
Enzyme in verschiedenen Reaktortypen eingesetzt
cSF − cS (c − c ) ⋅ (cS + K m)
werden. Welcher Reaktortyp für eine gegebene enzy- τ= = SF S Gl. 10.3
vmax ⋅ cS vmax ⋅ cS
matische Reaktion am besten geeignet ist, wird ent-
scheidend von der betrachteten Reaktion beein- cS + K m
flusst. Dies wird im Folgenden an den Beispielen Unter Berücksichtigung der Definition des Umsatzes
des idealen kontinuierlich betriebenen Rührkessel-
cSF − cS
reaktors und des idealen Rohrreaktors ohne axiale X=  Gl. 10.4
cSF
Rückvermischung erläutert. Die grundlegenden
Betrachtungen sind auch für andere Reaktortypen kann Gl. 10.3 auch wie folgt formuliert werden:
relevant, da ihre Charakteristik in Abhängigkeit der
Betriebsweise meist zwischen den Extremen des kon- 1  X 
τ= ⋅  K m ⋅ + cSF ⋅ X   Gl. 10.5
tinuierlich betriebenen Rührkesselreaktors und des vmax  1− X 
idealen Rohrreaktors liegen. Beispielsweise kann ein
Festbettreaktor, der sehr häufig bei immobilisierten Auf gleiche Weise erfolgt die Herleitung der Glei-
Enzymen Verwendung findet (7 Abschn. 6.3.1), bei chungen für Enzyme, die anderen Geschwindigkeits-
geringen Strömungsgeschwindigkeiten und ohne gesetzen folgen. Die resultierenden Gleichungen für
Stofftransportlimitierungen wie ein idealer Rohrre- die erweiterte Michaelis-Menten-Kinetik mit Subst-
aktor betrachtet werden. ratinhibierung (Gl. 1.70) oder kompetitiver Produkt-
Um einen Vergleich zwischen diesen beiden inhibierung (Gl. 1.66) sind beispielhaft in . Tab. 10.2
Reaktortypen zu ermöglichen, werden zunächst die zusammengestellt.
Gleichungen für die Berechnung der hydraulischen Für einen Rohrreaktor mit idealer Pfropfen-
Verweilzeit in Abhängigkeit des Umsatzes hergelei- strömung ( 7 Abschn. 3.5 ) kann das Konzentra-
tet. Die Bilanzierung eines idealen kontinuierlich tionsprofil des Substrats entlang der z-Achse im
betriebenen Rührkesselreaktors wurde ausführlich Fließgleichgewicht nach Gl. 3.78 wie folgt formu-
in 7 Abschn. 3.2.3 vorgestellt. Analog zu Gl. 3.17 kann liert werden:
die Bilanzgleichung für das Substrat einer enzymati-
schen Reaktion im Fließgleichgewicht wie folgt for- dcS L
0=− − ⋅r  Gl. 10.6
muliert werden: dz uz S
dcS
0= = D (cSF − cS) − rS  Gl. 10.1 Hierbei steht L für die Reaktorlänge und uz für die Strö-
dt
mungsgeschwindigkeit. z̃ ist eine dimensionslose Länge
Dabei bezeichnen cS und cSF die Substratkonzentra- (z̃ = z/L). Am Reaktorausgang (z = L) folgt daraus unter
tion im Reaktor beziehungsweise die Eintrittskon- Berücksichtigung des Zusammenhangs L/uz = τ:
zentration in den Reaktor, D die Verdünnungsrate
und rS die Umsetzungsgeschwindigkeit des Subs- cS, z = L c +K
cS, z = L dcS
trats. Löst man Gl. 10.1 nach der Verdünnungsrate τ = −∫ = −∫ S m ⋅ dc
S
auf und ersetzt diese durch ihren Kehrwert, die mitt-
cSF rS c
SF
v max ⋅ c S
lere hydraulische Verweilzeit τ, ergibt sich folgender Km  c 

Zusammenhang: = ⋅ ln  SF  + (cSF − cS, z= L )
vmax  cS, z= L 
cSF − cS 
τ=  Gl. 10.2  Gl. 10.7
rS

Gl. 10.2 kann nun an die betrachtete enzymatische Diese Gleichung kann ebenfalls in Abhängigkeit vom
Reaktion angepasst werden, indem rS durch die pas- Umsatz
sende Geschwindigkeitsgleichung ersetzt wird. Folgt
408 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

cSF − cS, z = L Enzymmenge cE0. Bei einer gegebenen Verweilzeit


X=  Gl. 10.8 und gegebenem Umsatz ist folglich der Reaktor vor-
cSF
zuziehen, der den geringeren Enzymbedarf hat.
formuliert werden: . Abb. 10.2 zeigt einen Vergleich des Enzymbe-
darfs im kontinuierlich betriebenen Rührkesselreak-
1 tor (eCSTR) mit dem des idealen Rohrreaktors (ePFR)
τ= ⋅ (−K m ⋅ ln (1 − X ) + cSF ⋅ X )  Gl. 10.9
vmax für eine enzymatische Reaktion, die einer Michae-
lis-Menten-Kinetik folgt. Der relative Enzymbedarf
Die korrespondieren Gleichungen für die erweiterte ist dabei zum einen vom Umsatz und zum anderen
Michaelis-Menten-Kinetik mit Substratinhibierung vom Verhältnis der anfänglichen Substratkonzent-
(Gl. 1.70) oder kompetitiver Produktinhibierung ration cSF zur Michaeliskonstante (Halbsättigungs-
(Gl. 1.66) sind auch in . Tab. 10.2 zusammengestellt. konzentration) Km abhängig. Betrachtet man den
Mit Hilfe dieser Gleichungen kann nun die erfor- Verlauf für eine niedrige Substrateingangskonzent-
derliche Verweilzeit für das Erreichen eines bestimm- ration (cSF = Km), so ist ersichtlich, dass der kontinu-
ten Umsatzes in Abhängigkeit des Geschwindig- ierlich betriebene Rührkesselreaktor schon bei nied-
keitsgesetzes des verwendeten Enzyms berechnet rigen Umsätzen einen höheren Enzymbedarf aufweist
werden. Vergleicht man zwei Reaktortypen, so ist als der Rohrreaktor. Der relative Enzymbedarf steigt
der Reaktor vorzuziehen, der bei gegebenem Umsatz umso mehr, je näher sich die Reaktion dem vollstän-
die kürzere hydraulische Verweilzeit erfordert. Da digen Umsatz nähert. Dies ist dadurch zu erklären,
die Verweilzeit umgekehrt proportional zur maxi- dass der kontinuierlich betriebene Rührkesselreaktor
malen Reaktionsgeschwindigkeit vmax und demnach unter Auslaufbedingungen arbeitet und die Substrat-
auch zur eingesetzten Enzymmenge cE0 ist (Gl. 1.27), eingangskonzentration beim Eintritt in den Reaktor
10 führt eine Verdoppelung der Verweilzeit zum glei- einer idealisierten Sprungfunktion folgt und sofort
chen Effekt wie eine Verdoppelung der eingesetzten auf die Substratkonzentration beim Austritt aus dem

. Tab. 10.2  Gleichungen zur Berechnung der mittleren hydraulischen Verweilzeit in Abhängigkeit des Umsatzes für
den idealen kontinuierlich betriebenen Rührkesselreaktor und den idealen Rohrreaktor. Beispielhaft dargestellt sind
die Gleichungen für Enzyme mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsgesetzen

Geschwindigkeitsgleichung des Idealer kontinuierlich betriebe- Idealer Rohrreaktor (PFR)


eingesetzten Enzyms ner Rührkesselreaktor (CSTR)

Michaelis-Menten-Kinetik (Gl. 1.28) 1  X  1


τ= ⋅  K m ⋅ + cSF ⋅ X  τ= ⋅ (−K m ⋅ ln (1 − X ) + cSF ⋅ X )
vmax  1− X  vmax

Michaelis-Menten-Kinetik mit  X  −K ⋅ ln (1 − X ) 


Substratinhibierung (Gl. 1.70)  K m ⋅ 1 − X + cSF ⋅ X   m 
1    c 2 
1 
τ=
vmax
⋅
 2
cSF

 τ= ⋅ + cSF ⋅ X + SF ⋅ X ⋅
+ X ⋅ (1 − X ) ⋅  vmax  2 ⋅ K5 
K5  
  
(2 − X ) 

Michaelis-Menten-Kinetik mit  X   
kompetitiver Produktinhibierung (Gl. 1.66)  K m ⋅ 1 − X + cSF ⋅ X   

1   −K m ⋅ ln (1 − X )
τ= ⋅    
vmax +c ⋅ K m ⋅ X 2   
 SF K3 (1 − X )  1   cSF 
 + cSF ⋅ X ⋅

τ= ⋅ ⋅1 + 
vmax   K3  
 
  
 K m  
1 − K  
 3
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
409 10

H&675  H&675 


H3)5 H3)5
 

 

 

 

 

 
     
     
8PVDW]
8PVDW]

. Abb. 10.2  Enzymbedarf des kontinuierlich betriebenen . Abb. 10.3  Enzymbedarf des kontinuierlich betriebenen
Rührkesselreaktors (eCSTR) im Vergleich zum idealen Rührkesselreaktors (eCSTR) im Vergleich zum Rohrreaktor (ePFR)
Rohrreaktor (ePFR) für eine enzymatische Reaktion, die für eine enzymatische Reaktion mit Substratinhibierung.
einer Michaelis-Menten-Kinetik folgt. Dargestellt ist der Dargestellt ist der relative Enzymbedarf in Abhängigkeit des
relative Enzymbedarf in Abhängigkeit des Umsatzes bei Umsatzes für unterschiedlich starke Inhibierungen. Schwarze,
verschiedenen Eingangssubstratkonzentrationen. Schwarze, durchgezogene Linie: sehr starke Inhibierung (K5 = 0,1 · Km);
durchgezogene Linie: cSF = Km; rote durchgezogene Linie: rote, durchgezogene Linie: starke Inhibierung (K5 = Km);
cSF = 10 · Km; gestrichelte Linie: cSF = 100 · Km gestrichelte Linie: schwache Inhibierung (K5 = 10 · Km). In
allen Fällen gilt: cSF = 10 · Km

Reaktor fällt. Dadurch ist die mittlere Substratkonzen- besser an den Enzym-Substrat-Komplex bindet als
tration, bei der das Enzym arbeitet, deutlich niedriger an das freie Enzym (K5 = 0,1 · Km), ist die Verwen-
als beim Rohrreaktor, bei dem die Substratkonzent- dung eines Rührkesselreaktors bis zu einem Umsatz
ration erst während der Passage durch den Reaktor von 99,8 % von Vorteil. Je schwächer die Substrat-
sinkt. Wie in 7 Abschn. 1.4.1 erläutert wurde, liegt bei inhibierung ausgeprägt ist, desto mehr nähern sich
Substratkonzentrationen, die sich deutlich unterhalb die Kurven dem Verlauf für Enzyme mit klassischer
des Km befinden, eine Reaktion erster Ordnung vor, Michaelis-Menten-Kinetik an und bei umso nied-
bei der die Reaktionsgeschwindigkeit linear von der rigeren Umsätzen lohnt sich die Verwendung eines
Substratkonzentration abhängt. Bei hohen Substrat- Rohrreaktors.
konzentrationen (cSF = 100 · Km) hingegen liegt über In . Abb. 10.4 sind die Kurvenverläufe für ein
weite Umsatzbereiche näherungsweise eine Reaktion Enzym mit kompetitiver Produktinhibierung dar-
nullter Ordnung vor, bei der die Reaktionsgeschwin- gestellt. Unabhängig vom Umsatz und der Stärke der
digkeit unabhängig von der Substratkonzentration ist, Inhibierung ist der Rohrreaktor die bessere Wahl,
da stets alle aktiven Zentren der Enzyme besetzt sind. da sich hier die negativen Effekte der gleichbleibend
Daher ist auch der Enzymbedarf in beiden Reaktoren niedrigen Substrat- und hohen Produktkonzentra-
über weite Umsatzbereiche identisch. tion im Reaktionsgemisch des kontinuierlich betrie-
Anders sehen die Verhältnisse aus, wenn benen Rührkesselreaktors addieren.
ein substratinhibiertes Enzym eingesetzt wird
(. Abb. 10.3). Bei sehr starker Substratinhibierung
ist ein kontinuierlich betriebener Rührkesselre- 10.1 Quervernetzte Enzymaggregate
aktor dem Rohrreaktor bis zu sehr hohen Umsät-
zen überlegen, da die mittlere Substratkonzentra- Die Quervernetzung von Enzymaggregaten gehört
tion im Reaktionsgemisch deutlich geringer ist. Im zu den Immobilisierungsmethoden durch chemische
gewählten Beispiel, bei dem das Substrat 10-mal Fixierung (. Abb. 10.1). Im Gegensatz zur Bindung
410 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

H&675  stammen dabei zumeist von exponierten Lysinres-


H3)5 ten. Interessant sind trägerfreie Immobilisierungs-

strategien vor allem deswegen, da durch den Verzicht

auf ein zusätzliches Trägermaterial kein katalytisch
inaktiver Ballast in eine Synthesereaktion einge-
 bracht wird [21].
Die Anfänge der kovalenten Quervernetzung
 von Enzymen liegen in den 60er Jahren, in denen lös-
liche Enzyme zu sogenannten cross-linked enzymes

(CLEs) verbunden wurden [57]. CLEs wiesen jedoch

einige Nachteile auf, wie beispielsweise eine geringe

      mechanische Stabilität, einen geringen Aktivitätser-
halt und eine schwierige Handhabung aufgrund der
8PVDW]
gelartigen Konsistenz [13].
Die Herstellung von quervernetzten Enzym-
. Abb. 10.4  Enzymbedarf des kontinuierlich betriebenen
Rührkesselreaktors (eCSTR) im Vergleich zum Rohrreaktor (ePFR) kristallen (cross-linked enzyme crystals (CLECs))
für eine enzymatische Reaktion mit Produktinhibierung. stellte eine Weiterentwicklung dar, mit der viele
Dargestellt ist der relative Enzymbedarf in Abhängigkeit des Nachteile der CLEs überwunden werden konnten.
Umsatzes für unterschiedlich starke Inhibierungen. Schwarze, Hierbei werden Enzyme zunächst zur Kristallisa-
durchgezogene Linie: sehr starke Inhibierung (K3 = 0,1 · Km);
tion gebracht und anschließend in ihrer kompak-
rote, durchgezogene Linie: starke Inhibierung (K3 = Km);
gestrichelte Linie: schwache Inhibierung (K3 = 10 · Km). In allen ten, kristallinen Form quervernetzt. Die resultieren-
Fällen gilt: (cSF = 10 · Km) den Immobilisate sind aufgrund ihrer mechanischen
10 Stabilität einfach zu handhaben und haben häufig
eine sehr hohe katalytische Aktivität. Darüber hinaus
an vorgefertigte Trägermaterialien erfolgt diese zeigen die Enzyme eine erhöhte Stabilität gegenüber
Immobilisierung trägerfrei, da die Proteine unmit- Hitzedenaturierung und organischen Lösemitteln
telbar untereinander mit Hilfe von bifunktionellen [66]. Dies ist eine Folge der Fixierung des Enzyms
Reagenzien quervernetzt werden. Hierfür wird am im Proteinkristall sowie der zusätzlichen kovalen-
häufigsten Glutardialdehyd verwendet, das reaktive ten Quervernetzung, die eine Entfaltung des Proteins
NH2-Gruppen auf Proteinoberflächen miteinander erschweren. Auch eine verbesserte Resistenz gegen-
verbindet, wie . Abb. 10.5 zeigt. Die NH2-Gruppen über Proteolyse wurde festgestellt. Diese liegt darin

. Abb. 10.5  Quervernetzung von Proteinen mit Hilfe von Glutardialdehyd


Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
411 10
begründet, dass die Enzymkristalle von dünnen präzipitieren die Enzyme in ihrer nativen Konfor-
Kanälen mit einem typischen Durchmesser von mation zu unlöslichen Aggregaten, die dann ebenso
2.5 nm durchzogen sind, in die Proteasen aufgrund wie CLEs und CLECs durch die Zugabe von Glutar-
ihrer Größe nicht eindringen können. Substrate für dialdehyd quervernetzt werden können.
enzymatische Reaktionen mit molekularen Massen Die Fällung von Proteinen wird schon seit
unter 3000 g mol–1 können jedoch in das Kristall- langem als ein früher Schritt in der Proteinreini-
innere diffundieren [76, 51]. Um starke Diffusions- gung eingesetzt (siehe 7 Abschn. 9.3.1.1). Bei intra-
limitierungen zu vermeiden, werden daher Mikro- zellulär produzierten Proteinen ist dieses Verfahren
kristalle mit typischen Größen im Bereich zwischen beispielsweise direkt im Anschluss an Zellaufschluss
1 und 100 µm quervernetzt. und Abtrennung der Zellbruchstücke ideal und wird
Wesentliche Nachteile der Herstellung von in der Regel in Form einer Ammoniumsulfatfällung
CLECs sind die Notwendigkeit der Identifikation durchgeführt. Da verschiedene Proteine bei unter-
von Kristallisationsbedingungen und die dafür benö- schiedlichen Salzkonzentrationen ausfallen, kann
tigte hohe Reinheit des zugrundeliegenden Enzyms. durch eine schrittweise Erhöhung der Ammo-
Beide Aspekte können jedoch bei der Herstellung niumsulfatkonzentration eine fraktionierte Fällung
von quervernetzten Enzymaggregaten (cross-linked erzielt werden, die zur einer partiellen Reinigung und
enzyme aggregates (CLEAs)) vernachlässigt werden, Konzentrierung des Zielproteins führt. Aus diesen
welche die neueste Generation an trägerfreien Gründen kann die Herstellung von CLEAs auch mit
Enzymimmobilisaten darstellen. sehr unreinen Enzymlösungen erfolgen.
Einer der wichtigsten Aspekte bei der CLEA-
Herstellung ist der Aktivitätserhalt des präzipitierten
10.1.1 Herstellung von quervernetzten Enzyms. Wird ein Salz verwendet, sollte es anti-chao-
Enzymaggregaten trop (kosmotrop) und am linken Ende der sogenann-
ten Hofmeister-Serie zu finden sein (. Abb. 10.6).
Die Präzipitation von Proteinen in Lösung kann Kosmotrope Salze, wie das bereits erwähnte Ammo-
durch die Zugabe von Salzen, mit Wasser misch- niumsulfat, verstärken hydrophobe Wechselwirkun-
baren organischen Lösemitteln oder (nicht)-io- gen und fördern das Aussalzen eines Proteins in der
nischen Polymeren hervorgerufen werden. Dabei nativen Konformation. Im Gegensatz dazu wirken

. Abb. 10.6  Auszug aus der Hofmeister-Serie [27]. Anion und Kation von Ammoniumsulfat ((NH4)2SO4) sind rot markiert
412 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

chaotrope Salze solubilisierend und denaturierend, Hyperaktivierung, wodurch die Enzyme im Immo-
was für die Herstellung von CLEAs unerwünscht ist. bilisat eine deutlich höhere Aktivität als im löslichen
Zahlreiche Beispiele in der Literatur zeigen Zustand zeigen (. Tab. 10.3). Die Zugabe verschie-
jedoch, dass auch mit Hilfe von wassermischbaren dener Additive kann bei Enzymen eine konforma-
organischen Lösemitteln wie Aceton, Ethanol und tionelle Änderung bewirken, die anschließend im
Dimethoxyethan oder verschiedenen Polymeren wie CLEA fixiert wird [43].
Polyethylenglykol oder Polyethylenimin sehr aktive Ein weiterer interessanter Aspekt der CLEA-
CLEAs erhalten werden können. Da die Eignung Technologie ist die Möglichkeit zur Herstellung soge-
eines Fällungsmittels für ein bestimmtes Enzym nannter Kombi-CLEAs, die durch Co-Präzipitation
nach dem momentanen Stand der Technik nicht und Quervernetzung mehrerer Enzyme entstehen.
vorhersagbar ist, werden in der Regel verschiedene Hierdurch können Enzyme, die beispielsweise ver-
Fällungsmittel getestet [70]. Wie am Beispiel zweier schiedene konsekutive Reaktionen katalysieren, in
Lipasen (EC 3.1.1.3) in . Tab. 10.3 ersichtlich wird, einem Schritt immobilisiert werden [70].
kann das optimale Fällungsmittel selbst für Enzyme
aus der gleichen Enzymklasse unterschiedlich sein.
Die Quervernetzung hat einen zusätzlichen Ein- 10.1.2 Herstellung von Ampicillin mit
fluss auf die Enzymaktivität und nicht immer hat Penicillin-Amidase-CLEAs
die CLEA-Präparation, die mit der optimalen Fäl-
lungsmethode hergestellt wurde, auch die höchste Obwohl das Potential von CLEAs für den Einsatz in
Aktivität nach der Quervernetzung, sodass es sich industriellen Biotransformationen von verschiede-
häufig lohnt, verschiedene Präzipitate zu vernetzen nen Firmen als sehr hoch eingestuft wird [59], gibt
und die Aktivitäten der resultierenden CLEAs zu es bislang noch keine veröffentlichten Daten über
10 vergleichen. einen industriellen Prozess, der sich dieser Technolo-
Vor allem bei der Herstellung von Lipase- gie bedient. Gründe hierfür könnten in der mitunter
CLEAs kommt es mitunter zu dem Phänomen der schwierigen Abtrennbarkeit kleiner CLEAs [13] und

. Tab. 10.3  Relative Aktivität verschiedener Enzyme nach Präzipitation durch Zugabe von 90 Volumenprozent des
angegebenen Fällungsmittels und erneuter Solubilisierung durch Verdünnung (1:10). Alle Werte beziehen sich auf
die Aktivität vor der Fällung, die in reinem Puffer gemessen wurde. Die höchste Aktivität ist rot hervorgehoben. In
Klammern ist zusätzlich die Aktivität der resultierenden CLEAs nach Quervernetzung mit Glutardialdehyd angegeben.
Daten aus [62]

Fällungsmittel

Enzym Puffer tert-Butanol DME g Ethyllactat (NH4)2SO4 h PEG i

Alkoholdehydrogenasea 100 13 7 4 100 (20) 44


Glucoseoxidaseb 100 116 113 127 (100) 101 114
Laccasec 100 139 78 108 139 186 (50)
Lipase RmLd 100 934 (934) 561 14 133 102
Lipase CaLAe 100 142 231 (263) 86 101 115
Phytaseb 100 88 95 123 (100) 52 80
Trypsinf 100 148 142 142 186 (51) 153

Enzyme aus aRhodococcus erhythropolis, bAspergillus niger, cCoriolus versicolor; dRhizomucor miehei, eCandida
antarctica, fSchwein.
gDimethoxyethan; hgesättigte Ammoniumsulfatlösung; iPolyethylenglykol.
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
413 10

. Abb. 10.7  Enzymatische Ampicillinsynthese

ihrer Neigung zur Verklumpung nach Filtration oder Produktivität. Das Verhältnis von Synthese zu Hyd-
Zentrifugation liegen, was sich negativ auf ihre kata- rolyse des Produkts ist bei den CLECs am gerings-
lytische Aktivität auswirkt [17]. ten, was auf eine Diffusionslimitierung innerhalb
Ein im Labormaßstab untersuchtes Anwen- der Enzymkristalle hinweisen kann [64]. Während
dungsbeispiel für quervernetze Enzymaggregate ist sich das trägerfixierte Enzym und das quervernetzte
die Herstellung des ß-Lactam-Antibiotikums Ampi- Enzymaggregat in diesem Punkt kaum unterschei-
cillin mit immobilisierter Penicillin-Amidase (EC den, ist die spezifische Produktivität erwartungsge-
3.5.1.11) [12]. Ein wesentliches Problem bei der mäß bei dem trägerfixierten Enzym am geringsten,
Ampicillinherstellung ist die Konkurrenz zwischen da ein großer Anteil katalytisch inaktiver Ballast in
der Synthesereaktion (. Abb. 10.7) und der Hydro- die Synthese eingebracht wird. Die Penicillin-Ami-
lyse des D-Phenylglycinamids sowie des gebildeten dase-CLEAs produzierten in vergleichbarer Zeit
Antibiotikums. am meisten Produkt pro eingesetztem Biokatalysa-
. Tab. 10.4 zeigt einen Vergleich der Ampicillin- tor (kg kg–1 h–1) und konnten auch erfolgreich für
synthese im wässrigen Medium mit freiem Enzym, die Synthese weiterer ß-Lactam-Antibiotika ein-
quervernetzten Enzymkristallen, quervernetzten gesetzt werden, wie beispielsweise für die Herstel-
Enzymaggregaten und auf einem Träger immobi- lung des Cephalosporins Cefalexin [29]. Bei der Syn-
lisierter Penicillin-Amidase. Während der erzielte these von Cefalexin zeigte das trägerfixierte Enzym
maximale Umsatz jeweils in einem ähnlichen Bereich zwar eine fünffach höhere Raum-Zeit-Ausbeute,
liegt, gibt es deutliche Unterschiede bei dem Verhält- was hauptsächlich einer geringeren Diffusionsli-
nis von Synthese zu Hydrolyse und der spezifischen mitierung zugeschrieben wurde, jedoch hatte das

. Tab. 10.4  Ampicillinsynthese im wässrigen Medium mit verschiedenen Penicillin-Amidase-Immobilisaten im


Vergleich zum freien Enzym. Daten aus [12]

Biokatalysator Maximaler Umsatz (%) Verhältnis von Synthese Relative spezifische Pro-
zu Hydrolyse duktivität (%)a

Freies Enzym 88 2,0 100


CLEC 72 0,71 39
CLEAb 85 1,58 151
Trägerfixiertes Enzymc 86 1,56 0.8

a Bestimmt als kg –1 –1
Produkt kgBiokatalysator h im Verhältnis zum freien Enzym berechnet zum Zeitpunkt des maximalen
Umsatzes
b Mit tert-Butanol präzipitiert und mit Glutardialdehyd quervernetzt
c Auf Polyacrylamid immobilisiert
414 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

CLEA-Präparat eine bedeutend höhere Stabilität gegebenen Partikeldurchmesser wird die innere
unter Prozessbedingungen, die in einer 3,4-fach län- Oberfläche durch die Porosität, also durch das Ver-
geren Halbwertszeit resultierte. hältnis von Hohlraumvolumen zu Gesamtvolumen
des Partikels, und den Porendurchmesser bestimmt.
Bei der Wahl eines geeigneten Porendurchmessers
10.2 Trägerfixierte Enzyme müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Zum
einen nimmt die innere Oberfläche mit zunehmen-
Die Bindung von Enzymen an vorgefertigte Träger- dem Porendurchmesser ab. Zum anderen dürfen
materialien gilt als klassischste Methode der Immo- die Poren jedoch nicht zu klein werden, damit die
bilisierung. Erste Berichte über die Adsorption von Enzyme effizient in das Partikelinnere gelangen und
Proteinen an Materialien wie Aktivkohle datieren dort immobilisiert werden können und geringe Dif-
auf den Beginn des letzten Jahrhunderts [49]. Ver- fusionslimitierungen von Substraten und Produk-
stärkte Forschungsaktivitäten zur Entwicklung und ten auftreten. Da der Durchmesser von Enzymen
Nutzung von trägergebundenen Enzymen setzten mit technischer Anwendung meist im Bereich zwi-
dann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts schen 4–8 nm liegt, sollte der Porendurchmesser aus
ein [11]. Seitdem ist eine große Vielfalt an verschie- den genannten Gründen nicht kleiner als 20 nm sein.
denen Trägermaterialien und Bindungsstrategien Typische Porengrößen liegen im Bereich zwischen
untersucht worden, deren wichtigste Vertreter im 30 und 60 nm [9].
folgenden Kapitel näher dargestellt werden. Es gibt eine große Vielzahl an verschiedenen Trä-
germaterialien für Enzymimmobilisierungen, die
sich im Wesentlichen in drei verschiedene Klassen
10.2.1 Trägermaterialien und Fixierung einteilen lassen: anorganische Trägermaterialien und
10 von Enzymen natürliche oder synthetische Polymere. Beispiele für
häufig verwendete Trägermaterialien sind [9, 65]:
Für Immobilisierungen geeignete Trägermateria- 55 Anorganische Trägermaterialien
lien müssen einige Anforderungen erfüllen. Sie 44Glas
sollten eine hohe chemische Stabilität und eine 44Keramik
geringe Quellung aufweisen. Wesentliche mecha- 44Kieselgur (Celite)
nische Eigenschaften sind eine hohe Druckstabilität 44Silica-Materialien
und geringe Kompressibilität. Soll ein Immobilisat 44Titandioxid (TiO2)
in einem Rührkesselreaktor verwendet werden, ist 55 Natürliche Polymere
zudem ein gewisses Maß an Elastizität von Vorteil, 44Polysaccharide (und ihre Derivate):
um Abrieb durch das Rührorgan zu vermeiden. Das Cellulose, Dextran, Agarose
Trägermaterial sollte darüber hinaus nicht teuer sein, 44Proteine: Kollagen, Albumin
um die Kosten der Immobilisierung möglichst gering 55 Synthetische Polymere
zu halten [9]. 44Polystyrol
Besondere Bedeutung kommt den morpholo- 44Polyacrylate
gischen Eigenschaften des Trägermaterials zu. Die 44Polymethacrylate
Partikel sollten eine einheitliche Form und eine 44Polyacrylamid
enge Größenverteilung haben, da beispielsweise 44Polyamide
der Druckabfall in Festbettreaktoren mit der Breite 44Polypropylen
der Partikelgrößenverteilung deutlich zunimmt. In
der Regel werden kugelförmige, poröse Träger mit Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Träger-
typischen Durchmessern im Bereich zwischen 0,2 materialien sind Nanopartikel aus Magnetit (Fe3O4),
und 1,0 mm verwendet [9]. Um Immobilisate mit die aufgrund ihrer magnetischen Eigenschaften sehr
hoher spezifischer Aktivität zu erhalten, muss eine einfach abzutrennen sind [52], und sogenannte Sti-
große innere Oberfläche vorhanden sein, die idea- mulus-responsive Polymere, die mit großen kon-
lerweise mehr als 100 m2 g–1 beträgt [10]. Bei einem formationellen Änderungen auf vergleichsweise
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
415 10
geringe Änderungen der Umgebungsbedingungen besonders häufig verwendetes hydrophiles Träger-
(wie beispielsweise pH, Ionenstärke oder Tempera- material ist Kieselgur (Celite), das aus den Silicium-
tur) reagieren. Das bekannteste Beispiel ist das ther- dioxidschalen fossiler Kieselalgen, sogenannter Dia-
moresponsive Polymer Poly-N-isopropylacrylamid tomeen, besteht [23].
(Poly-NIPAM), das eine kritische Entmischungstem- Die Adsorption auf hydrophoben Trägern erfolgt
peratur von 32 °C aufweist. Enzymatische Reaktio- aufgrund von Van-der-Waals-Kräften und hydro-
nen mit an Poly-NIPAM immobilisierten Enzymen phober Interaktion. Die wesentliche thermodyna-
werden bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt, mische Triebkraft ist der Entropiegewinn, der aus der
bei denen sich das Polymer im löslichen Zustand Verdrängung von Wassermolekülen aus dem Bereich
befindet. Dadurch werden Effekte, die durch den zwischen zwei lipophilen Grenzflächen resultiert.
Träger hervorgerufen werden, wie beispielsweise Typische Trägermaterialien sind unter anderem
Diffusionslimitierungen oder Aktivitätsverluste, Octyl-Agarose oder Polypropylen. Während die
minimiert. Durch die Erhöhung der Temperatur auf meisten Enzyme eine sehr hydrophile Oberfläche
Werte über 32 °C am Ende des Prozesses präzipitiert aufweisen, sind hydrophobe Oberflächenbereiche
das Polymer und kann einfach abgetrennt und wie- ein typisches Merkmal von Lipasen, da diese Enzym-
derverwendet werden [65]. klasse an Öl/Wasser-Grenzflächen aktiv ist. Ein wei-
Die Fixierung von Enzymen an Trägermateria- terer Grund, warum Lipasen häufig durch Adsorp-
lien kann auf der Basis verschiedener physikalischer tion immobilisiert werden, ist ihre mitunter hohe
Wechselwirkungen (Adsorption, ionische Wechsel- Toleranz gegenüber organischen Lösemitteln. Das
wirkung oder Komplexbildung) oder durch kova- Auswaschen von Enzymen aus dem Träger in wäss-
lente Bindung erfolgen (. Abb. 10.8). rigen Medien stellt einen wesentlichen Nachteil der
Für die adsorptive Bindung von Enzymen adsorptiven Immobilisierung dar und kann durch
können sowohl hydrophile als auch hydrophobe die Verwendung der Immobilisate in organischen
Träger verwendet werden. Bei hydrophilen Trägern Lösemitteln verhindert werden [23].
werden Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Für die Immobilisierung von Enzymen durch
hydrophilen Oberflächenbereichen des Enzyms und ionische Wechselwirkungen spielt der isoelektrische
dem Trägermaterial ausgebildet. Da Zuckerreste die Punkt (pI) des Proteins eine entscheidende Rolle, da
Hydrophilizität von Enzymen erhöhen, sind Gly- Proteine oberhalb ihres pI eine negative und unter-
kosylierungen für die Interaktion von Vorteil. Ein halb eine positive Nettoladung tragen. Als Faustregel

. Abb. 10.8  Verschiedene


Methoden zur Enzymbindung an
Trägermaterialien
416 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

gilt bei einer Immobilisierung an einem Anionen- werden häufig epoxy-funktionalisierte Acrylate
tauscher, dass der vorherrschende pH höher als pI (Eupergit C) als Träger verwendet (. Abb. 10.9a).
+1 sein sollte. Analog dazu sollte der pH bei einem Andere funktionelle Gruppen auf der Enzymober-
Kationentauscher mehr als eine Einheit unter dem pI fläche, wie Carboxygruppen (. Abb. 10.9b) oder
des Enzyms liegen. Ein Beispiel für ein häufig verwen- Zuckerreste, können jedoch auch für die Kopplung
detes Ionenaustauschmaterial ist der schwache Anio- an einen Träger genutzt werden. [23].
nentauscher Diethylaminoethyl (DEAE)-Cellulose. Im Vergleich zu den Immobilisierungsmethoden
Bindungen durch Komplexbildung werden in auf Basis physikalischer Wechselwirkungen kann es
den meisten Fällen durch Metallchelate vermittelt. bei der kovalenten Bindung zu größeren Konforma-
Hierfür wird ein Chelatligand, in der Regel Nitrilo- tionsänderungen der Proteine kommen, die Aktivi-
triessigsäure (NTA) oder Imidodiessigsäure (IDA), tätsverluste der Enzyme nach sich ziehen. Zudem ist
am Träger immobilisiert. Divalente Ionen von Über- die kovalente Immobilisierung in der Regel ungerich-
gangsmetallen (z.B. Ni2+, Cu2+, Zn2+ oder Co2+) tet, was ebenfalls zu inaktiven Enzymen führen kann,
werden von den Liganden so gebunden, dass noch wie . Abb. 10.10 zeigt. Wesentliche Vorteile sind hin-
eine oder mehrere Koordinationsstellen für eine gegen, dass es zu keinem Biokatalysatorverlust durch
Wechselwirkung mit den Imidazolringen von His- Auswaschen kommen kann und dass multiple kova-
tidinresten zur Verfügung stehen und Enzyme mit lente Bindungen zu einer Rigidifizierung (Verstei-
exponierten Histidinen oder artifiziellen Polyhis- fung) des Proteinmoleküls führen und somit einen
tidin-Ankern immobilisiert werden können. Die stabilisierenden Effekt haben können [5].
Nutzung von sehr spezifischen Interaktionen zwi-
schen Enzymen und geeigneten Affinitätsliganden
kann prinzipiell auch zur gleichzeitigen Reinigung 10.2.2 Biokatalytische
10 und Immobilisierung genutzt werden, jedoch stehen Glucoseisomerisierung zur
die hohen Kosten der Materialien einer breiten Herstellung von High Fructose
Anwendung entgegen [28, 63]. Corn Sirup (HFCS)
Die kovalente Immobilisierung führt zur stärks-
ten Bindung eines Enzyms an einen Träger. Das High Fructose Corn Sirup (HFCS) ist eine flüssige
Verfahren ist vergleichsweise aufwändig und teuer, Süßungsmittelalternative zu Saccharose, die seit
da eine Funktionalisierung der Trägermaterialien 1967 auf dem Lebensmittelmarkt ist [14]. Heutzutage
nötig ist. Meistens werden exponierte Aminogrup- wird HFCS in großem Umfang für die Produktion
pen der Enzyme, beispielsweise von Lysinresten, für von Getränken, Backwaren, Milchprodukten und
die Kopplung genutzt. In diesem Zusammenhang anderen verarbeiteten Lebensmitteln verwendet. Dies

. Abb. 10.9  Beispiele für die kovalente Bindung eines Enzyms an ein Trägermaterial. (oben) Bindung eines Enzyms mit einer
exponierten Aminogruppe an einen epoxy-aktivierten Träger. (unten) Bindung eines Enzyms mit exponierter Carboxygruppe
mit Hilfe eines Carbodiimids an einen amino-funktionalisierten Träger
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
417 10

DNWLYHV (Q]\P

NRQIRUPDWLRQHOO YHU]HUUWHV
WHLODNWLYHV (Q]\P

VFKOHFKW ]XJ¦QJOLFKHV (Q]\P

LQDNWLYHV (Q]\P

. Abb. 10.11  Wichtige Reaktionen, die von der D-Xylose-


. Abb. 10.10  Effekte der ungerichteten kovalenten Isomerase (D-XI) katalysiert werden
Immobilisierung auf die enzymatische Aktivität

Temperaturen (~95 °C) durch thermostabile α-­


liegt unter anderem daran, dass HFCS günstiger ist als Amylasen (EC 3.2.1.1) in lösliche Oligosaccharide
Saccharose und einige vorteilhafte Eigenschaften hat, gespalten, die dann in der Verzuckerung durch Glu-
da der Sirup unter anderem geschmacksverstärkend, coamylasen (EC 3.2.1.3) bei ~ 60 °C zu Glucose hyd-
gefrierpunktserniedrigend und haltbarkeitsverlän- rolysiert werden [2].
gernd wirkt [24]. Das momentane Marktvolumen Bei gleicher Masse besitzt Glucose eine 25 %
übersteigt 107 Tonnen pro Jahr und wird ausschließ- geringere Süßkraft als Saccharose. Da Fructose
lich biokatalytisch mit Hilfe immobilisierter D-Xylo- hingegen 1,6-mal so süß ist wie Saccharose, wird
se-Isomerase (EC 5.3.1.5) hergestellt [19]. immobilisierte D-Xylose-Isomerase dazu verwen-
D-Xylose-Isomerase hat eine breite Substratspe- det, Glucose in Fructose umzuwandeln [19]. Die
zifität und katalysiert die reversible Aldose-Ketose- Isomerisierungsreaktion ist leicht endotherm (ΔH
Isomerisierung verschiedener Monosaccharide mit = 3 kJ mol–1) und reversibel. Daher bestimmt das
fünf oder sechs Kohlenstoffatomen. Da die höchste thermodynamische Gleichgewicht zwischen Glucose
katalytische Effizienz typischerweise bei der Kon- und Fructose bei einer gegebenen Reaktionstempe-
version von D-Xylose zu D-Xylulose erzielt wird, ist ratur die höchste erzielbare Fructosekonzentration
diese Reaktion entscheidend für den systematischen im Sirup. In momentanen industriellen Prozessen
Namen des Enzyms. Viel häufiger wird jedoch der werden Temperaturen bis zu 60 °C für die Isome-
Name Glucoseisomerase verwendet, da das Enzym risierungsreaktion verwendet. Dies entspricht der
bei der industriellen Herstellung von HFCS die Iso- oberen Grenze der Temperaturstabilität der ver-
merisierung von D-Glucose zu D-Fructose kataly- wendeten D-Xylose-Isomerasen, die unter diesen
siert (. Abb. 10.11) [2]. Bedingungen Halbwertszeiten von mehr als 100
Der Großteil der HFCS-Produktion nutzt Mais- Tagen haben [40]. Daraus resultiert ein HFCS mit
stärke als Ausgangsmaterial, jedoch kann auch Stärke 42 % Fructose, der hauptsächlich für die Produk-
anderer Herkunft wie Reis- oder Weizenstärke ver- tion von Backwaren und Milchprodukten verwen-
wendet werden. Die Stärkehydrolyse zu Glucose- det wird. Für die meisten Anwendungsbereiche von
monomeren erfolgt in zwei getrennten enzymati- HFCS, wie beispielsweise die Herstellung von Soft-
schen Schritten: Verflüssigung und Verzuckerung. drinks, wird eine Fructosekonzentration von 55 %
Bei der Verflüssigung wird die Stärke bei hohen benötigt, um bei äquivalenter Stoffmenge die Süße
418 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Tab. 10.5  Momentan kommerziell erhältliche D-Xylose-Isomerase-Produkte [19]

Handelsname Ursprungsorganismus der Hersteller Beschreibung


Isomerase
Sweetzyme® Bacillus coagulans Novozymes Mit Glutardialdehyd
Streptomyces murinus quervernetztes
Zellhomogenat
mit zusätzlichem
anorganischen
Trägermaterial
GENSWEET® SGI Streptomyces rubiginosis Genencor/DuPont Lösliche Enzyme für
die Bindung an den
Anionentauscher
Diethylaminoethyl (DEAE)-
Cellulose
GENSWEET® IGI Streptomyces rubiginosis Genencor/DuPont Mit Polyethylenimin/
Glutardialdehyd
quervernetzte ganze
Zellen, gemischt
mit anorganischem
trägermaterial
(Tonmineralien, Kieselgur)

10
von Saccharose zu erreichen. Die Erhöhung der Fruc- 10.2.3 Enzymatische Umesterung
tosekonzentration wird durch chromatographische
Anreicherung erzielt. Fette und Öle sind Esterverbindungen zwischen dem
Im Laufe der Jahre wurden einige verschiedene dreiwertigen Alkohol Glycerin und drei langkettigen,
D-Xylose-Isomerase-Immobilisate kommerziell gesättigten und/oder ungesättigten Monocarbonsäu-
vertrieben. In den letzten Jahren kam es zu einer ren, den Fettsäuren. Die physikalischen Eigenschaften
Marktkonsolidierung, sodass momentan die Pro- eines Triglycerids werden durch die Kettenlängen und
dukte GENSWEET® und Sweetzyme® den Markt durch die Häufigkeit von C=C-Doppelbindungen in
beherrschen (. Tab. 10.5) [19]. den Fettsäureresten beeinflusst. Doppelbindungen in
Die immobilisierten Enzyme werden in paral- natürlichen Fetten und Ölen besitzen fast ausschließ-
lelen Festbettreaktoren eingesetzt, die aufgrund der lich cis-Konfiguration. Ungesättigte Fettsäuren mit
fortschreitenden Deaktivierung der Enzyme indi- Doppelbindungen in der trans-Konfiguration treten
viduell erneuert werden. . Abb. 10.12 zeigt einen hingegen in besonderem Maße in industriell gefertig-
Überblick über die HFCS-Produktion. Vor der ten Lebensmitteln auf. Gesundheitlich bedenkliche
Isomerisierung muss der Glucosesirup in mehre- trans-Fette entstehen vor allem bei der Herstellung
ren Schritten gereinigt werden, um ein Zusetzen (halb)fester Fette mit bestimmten Schmelzeigenschaf-
der Festbettreaktoren zu verhindern und Substan- ten, wie Margarine oder Backfette. Hauptursache ist
zen zu entfernen, die inhibierend auf die Isomerase dabei die Fetthärtung durch katalytische Hydrierung
wirken. Da D-Xylose-Isomerasen divalente Katio- mit Hilfe von Nickelkatalysatoren. Aus diesem Grund
nen für maximale Stabilität und Aktivität benöti- werden teilgehärtete Fette in zunehmendem Umfang
gen, wird vor dem Eintritt in die Festbettreaktoren durch umgeesterte Fette ersetzt [56].
MgSO4 zugegeben. Mit Hilfe von Natriumcarbonat Im Vergleich zur chemischen Umesterung mit
wird der pH der Lösung auf Werte zwischen pH 7,5 Hilfe von Natriummethylat erlaubt die enzymati-
und pH 8,0 eingestellt. sche Umesterung mit Hilfe von sn-1,3-spezifischen
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
419 10
. Abb. 10.12  Prozessschema
zur Herstellung von High
Fructose Corn Sirup (HFCS): Nach
der Stärkeverzuckerung und
Konditionierung der Glucoselösung
(400–500 g L–1) erfolgt die teilweise
Glucoseisomerisierung mit Hilfe
immobilisierter D-Xylose-Isomerase
in parallelen Festbettreaktoren
(rot). Um eine gleichbleibende
Produktqualität mit 42 % Fructose
trotz kontinuierlicher Deaktivierung
der Enzymimmobilisate (Halbwertzeit
~ 100 Tage) zu erzielen, werden
die parallel angeordneten
Festbettreaktoren (Höhe 4–8 m,
Druckverlust bis 3 bar) zeitlich versetzt
in Betrieb genommen. Nach jeweils
rund 3 Monaten Betrieb müssen
die Festbettreaktoren mit neuem
D-Xylose-Isomerase-Immobilisat
beladen werden

Lipasen eine deutlich bessere Kontrolle über die Es gibt mittlerweile verschiedene industrielle
Produktzusammensetzung, wie . Abb. 10.13 zeigt. Produktionsprozesse, die enzymatische Umeste-
Im Gegensatz zu unspezifischen Lipasen tauschen rungen mit sn-1,3-spezifischen Lipasen zur Her-
sn-1,3-spezifische Lipasen die Fettsäure an der sn-2 stellung trans-freier Fette durchführen. Insgesamt
Position aufgrund sterischer Hinderung nicht aus. werden zurzeit 10 5 Tonnen Speisefette pro Jahr
Bei langen Reaktionszeiten kann es jedoch durch int- durch enzymatische Umesterung hergestellt [19].
ramolekulare Umlagerungsreaktionen von Diglyce- Ein häufig verwendeter Biokatalysator ist die Lipase
rid-Intermediaten auch zu Modifikationen an der sn- aus dem thermophilen Pilz Thermomyces lanugino-
2-Position kommen [73]. sus, die durch eine Kombination aus Adsorption auf
420 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

3 6 Silica-Partikeln und Granulierung mit Hilfe eines


2  2 organischen Binders immobilisiert wird (Lipozyme®
3 6 TL IM von Novozymes) [16]. Dieses immobilisierte
Enzym wird unter anderem von der Archer Daniels
1DWULXPPHWK\ODW Midland Company (ADM) in Festbettreaktoren zur
VQVSH]LILVFKH RGHU
/LSDVH XQVSH]LILVFKH
Herstellung von trans-freien Fetten für Margarine
/LSDVH und Backfette eingesetzt [19].

3 6 3 3 6 2 10.2.4 Herstellung von


2 2 2 3 6 2 6-Aminopenicillansäure
3 6 6 3 6 2
3 6 2
Antibiotisch wirksame Substanzen, die sich struk-
3 6 2
turell von der 6-Aminopenicillansäure ableiten,
2 2 3 werden als Penicilline bezeichnet. Neben natürli-
3 6 2
chen Penicillinen, wie beispielsweise dem 1928 von
2 2 3
Alexander Fleming entdeckten Penicillin G aus dem
3 6 2 Schimmelpilz Penicillium chrysogenum, sind teilsyn-
3 6 2
thetische Penicilline, wie unter anderem Ampicil-
3 6 2
lin und Amoxicillin, von großer Bedeutung für die
6 3 6 Behandlung verschiedener bakterieller Infektionen.
3 6 2
Die Synthese erfolgt ausgehend von der 6-Amino-
10 6 3 6
penicillansäure, die durch die enzymatische Hydro-
3 6 2 lyse von Penicillin G durch eine Penicillin-Amidase
3 6 2
(EC 3.5.1.11) gewonnen werden kann (. Abb. 10.14).
2 3 6
In der Regel wird eine kovalent immobilisierte
6 2 3 Penicillin-Amidase aus Alcanigenes faecalis, Bacil-
lus megaterium oder Escherichia coli verwendet. Es
. Abb. 10.13  Produkte der Umesterung zweier können unterschiedliche Trägermaterialien zum
verschiedener Triglyceride mit Hilfe von chemischer Katalyse Einsatz kommen [9]. Ein Beispiel sind epoxy-funk-
oder einer unspezifischen Lipase im Vergleich zu einer
tionalisierte Acrylate (Eupergit C) [40]. Der Prozess
sn-1,3-spezifischen Lipase. S: Stearinsäure, O: Ölsäure, P:
Palmitinsäure. Modifizierte Abbildung nach [73]
wird von verschiedenen Firmen unter anderem in
repetitiven Satzverfahren durchgeführt, wobei die
immobilisierten Enzyme durch geeignete Siebe
zurückgehalten werden [40]. Aufgrund der ent-
stehenden Säuren ist die Kontrolle des pH durch

. Abb. 10.14  Herstellung von 6-Aminopenicillansäure


Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
421 10
Basenzugabe wichtig, da der Gleichgewichtsumsatz beträchtlicher Volumenzunahme quellen. Verwen-
bei einem pH < 7,5 niedrig ist. Bei einem pH > 9 hin- dete Materialien umfassen sowohl synthetische Poly-
gegen sind die Substrate und Produkte nicht stabil. mere wie Polyvinylalkohol (PVA) und Polyethylen
Der Umsatz liegt im Bereich von 98–99 %, die Aus- imin (PEI) als auch natürliche Polymere wie Chi-
beute bei 86–93 % [9]. tosan oder Alginat. Die synthetischen Polymere
zeichnen sich dabei durch eine höhere chemische
und mechanische Stabilität sowie eine höhere Resis-
10.3 Enzymeinschluss tenz gegenüber mikrobiellem Abbau aus [61]. Für
die Synthese von PVA-Hydrogelen unter milden
Bei der Einschlussimmobilisierung erfolgt die Bedingungen wird häufig eine Mischung aus PVA
Verweilzeitentkopplung löslicher Enzyme entwe- und Polyethylenglykol verwendet, mit der soge-
der durch Mikroverkapselung oder mit Hilfe von nannte LentiKats, linsenförmige Hydrogelpartikel
Enzymmembranreaktoren. Der Begriff „Mikrokap- mit Durchmessern zwischen 3 und 4 mm und einer
sel“ ist definiert als „hohles Mikropartikel, bestehend Dicke zwischen 200 und 400 µm, hergestellt werden
aus einer festen Hülle, die einen Kern-bildenden können [36]. Starke Diffusionslimitierungen von
Raum umgibt, der dauerhaft oder temporär einge- hydrophilen Substraten spielen bei Hydrogelen nur
schlossenen Substanzen zur Verfügung steht“ [71]. in Ausnahmenfällen eine Rolle [61]. Während Hyd-
Die Techniken zur Mikroverkapselung können noch rogele häufig für die Immobilisierung von Zellen ver-
weiter unterteilt werden in solche, bei denen eine wendet werden, werden sie seltener für die Immo-
wirkliche Kern-Hülle-Verkapselung erfolgt, wie bei- bilisierung von Enzymen eingesetzt. Das liegt vor
spielsweise beim Einschluss in Liposomen, und in allem daran, dass die meisten Enzyme zu klein
Matrixverkapselungen, bei denen der Einschluss sind, um effektiv zurückgehalten zu werden. Um
durch die Ausbildung von polymeren Netzwerken dem Katalysatorverlust entgegenzuwirken, werden
realisiert wird. Für Anwendungen in enzymatischen Enzyme entweder vor der Verkapselung quervernetzt
Prozessen sind Matrixverkapselungen wesentlich (7 Abschn. 10.1) oder die Hydrogele werden in orga-
bedeutender als Kern-Hülle-Verkapselungen, wes- nischen Lösemitteln verwendet, was die Vergröße-
wegen im Folgenden nur auf den ersten Aspekt ein- rung der Gelporen durch Schwellung verhindert
gegangen wird. [61].
Der Einschluss von Enzymen in hochporö-
sen Silica-Sol-Gelen erfolgt meist durch die hyd-
10.3.1 Mikroverkapselung und rolytische Polymerisierung von Tetraalkoxysilanen
Membranen (Si(OR)4), wie Tetramethylorthosilicat (TMOS) oder
Tetraethylorthosilicat (TEOS) (.Abb. 10.15). Zur
Es wurden verschiedene Methoden für die Mikrover- Erzeugung hydrophober Gele werden Alkoxysilane
kapselung von Enzymen in organischen oder anorga- der Form XSi(OR)3 verwendet, wobei X für einen
nischen Polymernetzwerken entwickelt, jedoch ist die hydrophoben organischen Rest steht.
Verwendung von Hydrogelen und Silica-Sol-Gelen Die erhaltenen Silica-Sol-Gele können vor der
am weitesten verbreitet. Gerade bei der Verwendung Verwendung getrocknet werden. Die Trocknungs-
von polymeren Netzwerken ist die Abgrenzung zur methode hat einen entscheidenden Einfluss auf die
Trägerfixierung (7 Abschn. 10.2) häufig nicht scharf. Gel-Morphologie. Man unterscheidet dabei Xero-
Der wesentliche Unterschied ist, dass bei der Trägerfi- gele, Aerogele und Ambigele [61]:
xierung vorgefertigte Materialien verwendet werden, 55 Xerogele: Trocknung hydrophiler Gele durch
während sich das Polymernetzwerk beim Enzymein- Evaporation (Raumtemperatur), Kontraktion
schluss erst in Gegenwart des Enzyms bildet [64]. der Poren (typischerweise um 70 %)
Hydrogele sind Netzwerke aus quervernetzten 55 Aerogele: Trocknung hydrophober oder
Polymeren, die sehr stark hydrophile Polymerkom- hydrophiler Gele durch überkritisches CO2,
ponenten enthalten, weswegen sie in Wasser unter unveränderte Porenstruktur
422 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Abb. 10.15  Für die Herstellung


von hydrophilen Silica-Sol-Gelen
häufig verwendete Tetraalkoxysilane

55 Ambigele: Trocknung hydrophober Gele durch Membranmodul von der Reaktionslösung abge-
Evaporation (Raumtemperatur), unveränderte trennt und in den Reaktor zurückgeführt werden, wie
Porenstruktur . Abb. 10.17 zeigt. Externe Membranmodule sind
wegen der bedeutend größeren Membranfläche
Eine alternative Methode für die Enzymimmobilisie- meist vorzuziehen und können auch mit anderen
rung durch Einschluss in Polymernetzwerken ist die Reaktortypen kombiniert werden, wie beispielsweise
Verwendung von semipermeablen Membransyste- mit Rohrreaktoren oder Rührkesselreaktorkaskaden.
men. Im Gegensatz zu den beschriebenen Hydroge- Membranmodule sind prinzipiell in unterschied-
10 len und Sol-Gelen haben Enzymmembranreaktoren lichen Konfigurationen erhältlich, bei isolierten
auch schon breitere Anwendung in industriellen Pro- Enzymen werden jedoch zumeist Hohlfasermodule
zessen gefunden. Enzymmembranreaktoren werden verwendet [9].
dabei in der Regel konvektiv betrieben, da der diffu- Für die effiziente Rückhaltung von Enzymen
sive Betrieb aufgrund der Langsamkeit von Diffu- kommen Ultrafiltrationsmembranen zum Einsatz,
sionsprozessen zu deutlich niedrigeren Produktivi- die durch die jeweilige Größenausschlussgrenze cha-
täten führt (. Abb. 10.16). rakterisiert sind. Bei den meisten Membranherstel-
Es gibt unterschiedliche Konfigurationen kon- lern ist sie definiert als die molekulare Masse, bei
vektiv betriebener Membranreaktoren. Bei der der mindestens 90 % eines gelösten Stoffes von der
Verwendung von Rührkesselreaktoren können die Membran zurückgehalten werden. Das Rückhalte-
Enzyme entweder innerhalb des Reaktors durch eine vermögen, die sogenannte Retention, wird wie folgt
Membran zurückgehalten oder in einem externen berechnet (siehe auch 7 Abschn. 9.3.1):

. Abb. 10.16  Prinzipskizzen der konvektiven (a) und diffusiven (b) Betriebsweise von Enzymmembranreaktoren (EMR). Die
Membran ist jeweils rot gekennzeichnet. S: Substrat, E: Enzym, P: Produkt
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
423 10

5 


cRetentat/c5HWHQWDW

5 

5 

. Abb. 10.17  Rührkesselreaktoren mit integrierter 


Membran (a) oder externem Membranmodul (b). Die 5 
Membran ist jeweils rot gekennzeichnet. S: Substrat, E: Enzym, 
P: Produkt       
1
. Abb. 10.18  Relative Katalysatorkonzentration im
c − cPermeat Retentat in Abhängigkeit vom Rückhaltevermögen R und der
R = Retentat  Gl. 10.10 Anzahl der Verweilzeiten N
cRetentat
zu gewährleisten sollte die Retention deutlich über
Hierbei stehen cRetentat und cPermeat für die Konzen- 99 % liegen.
trationen des zurückzuhaltenden Stoffes im Reten-
tat beziehungsweise Permeat. Der Katalysatorverlust
in einem kontinuierlichen Prozess in einem Mem- 10.3.2 Asymmetrische Synthese
branreaktor kann mit Hilfe von Gl. 10.11 berechnet von (R)-2-Hydroxy-4-
werden: phenylbuttersäure im
Enzymmembranreaktor
cRetentat
= e−(1−R)⋅ N  Gl. 10.11
cRetentat,0
(R)-2-Hydroxy-4-phenylbuttersäure ist ein wichti-
ges Intermediat in der Synthese von Inhibitoren des
cRetentat,0 entspricht der anfänglichen Katalysator- Angiotensin-konvertierenden Enzyms (Angioten-
konzentration und N der Anzahl an mittleren hyd- sin Converting Enzyme, ACE). Dieses Enzym ist Teil
raulischen Verweilzeiten, die man durch Division der des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, das den
Prozesszeit t durch die mittlere hydraulische Verweil- Blutdruck im menschlichen Körper reguliert. ACE-
zeit τ erhält: Hemmer werden daher als Therapeutika zur Behand-
lung von Bluthochdruck, chronischer Herzinsuffi-
t
N=  Gl. 10.12 zienz und koronaren Herzerkrankungen eingesetzt.
τ
(R)-2-Hydroxy-4-phenylbuttersäure kann durch
enantioselektive Reduktion von 2-Oxo-4-phenylbut-
. Abb. 10.18 zeigt den Katalysatorverlust über die tersäure mit Hilfe einer NADH-abhängigen D-Lac-
Membran in Abhängigkeit des Rückhaltevermö- tatdehydrogenase (EC 1.1.1.28) aus Staphylococcus
gens der Membran und der Anzahl der Verweilzei- epidermis hergestellt werden. Da eine stöchiomet-
ten. Würde man für die Rückhaltung eines Enzyms rische Zugabe des teuren Cofaktors NADH unwirt-
eine Membran einsetzen, deren Größenausschluss- schaftlich wäre, wird eine Formiatdehydrogenase
grenze der molekularen Masse des Proteins ent- (EC 1.2.1.2) aus Candida boidinii zur Cofaktorrege-
spricht (R = 0,900), wäre nach sieben Verweilzei- nerierung eingesetzt, die das kostengünstige Cosubs-
ten die Hälfte des Biokatalysators ausgewaschen. trat Formiat zu Kohlendioxid umsetzt. . Abb. 10.19
Um eine effektive Rückhaltung des Biokatalysators gibt einen Überblick über das Reaktionssystem.
424 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

2 2+
2+ '/'+ 2+

2 2

2[RSKHQ\OEXWWHUV¦XUH 1$'+ 1$' 5 +\GUR[\SKHQ\OEXWWHUVlXUH

&2 +&22ದ
)'+

. Abb. 10.19  Zwei-Enzym-System zur biokatalytischen Produktion von (R)-2-Hydroxy-4-phenylbuttersäure. D-LDH:


D-Lactatdehydrogenase, FDH: Formiatdehydrogenase

Die Ciba Spezialitätenchemie AG (heute BASF weitere (unveröffentlichte) Prozessoptimierungen


Schweiz AG) hat diesen Biotransformationsprozess konnte die Raum-Zeit-Ausbeute noch weiter auf
unter Nutzung eines Enzymmembranreaktors indus- 400 g L–1 d–1 gesteigert werden [40, 22].
trialisiert. Hierbei ist ein kontinuierlich betriebener
Rührkesselreaktor mit einem externen Membran-
modul im Einsatz. Eine Ultrafiltrationsmembran mit 10.3.3 Herstellung von L-Methionin im
10 einer Größenausschlussgrenze von 10.000 Dalton Enzymmembranreaktor
sorgt für die Rückhaltung der Enzyme, während der
Cofaktor (665 Dalton) die Membran passieren kann L-Methionin ist eine essentielle, proteinogene Ami-
und folglich aus dem Reaktor ausgetragen wird. Bei nosäure, die in enantiomerenreiner Form unter
einer mittleren Verweilzeit von 4,6 h wird jedoch eine anderem für Infusionen und als Nahrungsergän-
total turnover number (Mol Produkt pro Mol Cofak- zungsmittel bei bestimmten Erkrankungen wie
tor) von TTN = 103 erreicht, was die Voraussetzung Leberstörungen oder Harnwegsinfekten benötigt
für einen ökonomischen Cofaktoreinsatz ist. Bei chi- wird. Obwohl der Großteil der proteinogenen Ami-
ralen Produkten ist der erzielte Enantiomerenüber- nosäuren heutzutage fermentativ produziert wird, ist
schuss (ee) ein besonders wichtiges Gütekriterium die Herstellung von L-Methionin im Enzymmem-
für einen Prozess. Er ist wie folgt definiert: branreaktor unter Nutzung einer Aminoacylase
(N-Acyl-aliphatische-L-Aminosäureamidhydrolase,
nE1 − nE2 EC 3.5.1.14) aus Aspergillus oryzae kosteneffizienter
ee = ⋅100 %  Gl. 10.13
nE1 + nE2 [39]. Ausgangsstoff ist N-Acetyl-D,L-Methionin,
das durch Acetylierung des Aminosäureracemats
wobei nE1 und nE2 für die Stoffmengen der beiden in einer Schotten-Baumann-Reaktion gewonnen
Enantiomere (mol) stehen. Bei einem racemischen werden kann (. Abb. 10.20a). Die Aminoacylase
Gemisch liegt ein Enantiomerenüberschuss von 0 % spaltet selektiv das N-Acetyl-L-Methionin, während
vor, während eine enantiomerenreine Verbindung das D-Enantiomer unangetastet bleibt. Ein derartiges
einen Enantiomerenüberschuss von 100 % aufweist. Trennverfahren, das auf der unterschiedlichen Reak-
Industrielle Biotransformationen sollten als generelle tivität eines Enzyms gegenüber zweier Enantiomere
Richtlinie einen Produkt-Enantiomerenüberschuss basiert, wird als kinetische Racematspaltung bezeich-
von mindestens 99 % erzielen. Bei der enzymati- net. Für die Rückhaltung des Enzyms wird eine Ult-
schen Synthese von (R)-2-Hydroxy-4-phenylbut- rafiltrationsmembran aus Polyamid mit einer Grö-
tersäure liegt der Enantiomerenüberschuss des Pro- ßenausschlussgrenze von 10.000 Dalton verwendet.
dukts bei 99,9 % (R) bei einem Umsatz von 91 % und Die freie Aminosäure kann durch Kristallisation
einer Raum-Zeit-Ausbeute von 165 g L–1 d–1. Durch (siehe 7 Abschn. 9.3.2) abgetrennt werden, da sie eine
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
425 10
D
2
2 2
 1D2+ 6
6  2+
2+ &O ದ 1D&O
+1 2
1+ ದ +2

'/0HWKLRQLQ $FHW\OFKORULG 1$FHW\O'/0HWKLRQLQ

E
2 LPPRELOLVLHUWH 2
$PLQRDF\ODVH 2
6 6 2
2+ (05 2+ 6
2+ 
+1 2 +1 2 2+
1+

N-Acetyl-D,L-Methionin 1$FHW\O'0HWKLRQLQ /-Methionin Essigsäure

5DFHPLVLHUXQJ
$EWUHQQXQJ GXUFK
.ULVWDOOLVDWLRQ

. Abb. 10.20  Herstellung von L-Methionin. (a) Synthese des Ausgangsmaterials durch eine Schotten-Baumann-Reaktion.
Als Alternative zum Acetylchlorid kann auch Essigsäureanhydrid verwendet werden. Die Reaktion ist nur unter Basenzugabe
(hier: NaOH) möglich. (b) Kinetische Racematspaltung des N-Acetyl-D,L-Methionins zur Gewinnung von enantiomerenreinem
L-Methionin

signifikant geringere Löslichkeit besitzt als das Subs- entfallen bis gegebenenfalls auf eine Fest-Flüssig
trat. Im Anschluss wird das verbleibende N-­Acetyl- Trennung nach der Herstellung der Zellen im Bio-
D-Methionin mit Hilfe einer Racemase oder che- reaktor völlig. Diese Kostenvorteile werden noch
misch isomerisiert und erneut als Substrat eingesetzt weitaus bedeutender, wenn mehrere Syntheseen-
(. Abb. 10.20b). zyme gleichzeitig im Zytosol einer Zelle bereitge-
Das beschriebene Verfahren wurde von der stellt werden können. Der Einsatz von Ganzzellbio-
Degussa AG (heute Evonik) etabliert und wird zur katalysatoren ist darüber hinaus von Vorteil, wenn
Synthese von mehreren hundert Tonnen L-Methio- Teile des natürlichen Stoffwechsels für die Synthe-
nin pro Jahr verwendet. Das Produkt wird mit einem sereaktionen mitgenutzt werden können. Ein Bei-
Enantiomerenüberschuss von 99,5 % bei einer Aus- spiel ist die Nutzung von in der Zelle vorhandenen
beute von 80 % und einer Raum-Zeit-Ausbeute von Transportmetaboliten wie beispielsweise NAD(P)H,
592 g L–1 d–1 erhalten [40, 39]. sodass diese nicht mehr zum Reaktionsansatz hinzu-
gefügt werden müssen.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen
10.4 Ganze Zellen ruhenden und metabolisierenden Zellen bei einer
Biotransformation. Bei ersteren handelt es sich im
Die Verwendung von integralen Zellen (ganzen Grunde genommen um mikrobielle „Enzymsäcke“,
Zellen) mit im Zytosol überexprimiertem Synthese- bei denen der Stoffwechsel der Ganzzellbiokatalysa-
enzym kann eine sehr effiziente Strategie zur Enzym- toren inaktiv ist. Der Reaktionsansatz ist in der Regel
immobilisierung sein. Kosten für die Isolierung, Auf- sehr einfach zusammengesetzt: Puffer und Subst-
reinigung und Immobilisierung des Syntheseenzyms rat. Meist ist noch nicht einmal ein sterilisierbarer
426 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

Bioreaktor für die Biotransformation erforderlich. Superabsorber (Windeln) oder als Trägermate-
Damit können ruhende Zellen in der Regel zeitlich rial (Gelelektrophorese) verwendet wird. Acryl-
und örtlich unabhängig von der Ganzzellbiokataly- amid lässt sich durch Wasseranlagerung an Acryl-
satorproduktion zum industriellen Einsatz kommen. nitril darstellen. Diese C-O-Knüpfung kann
Metabolisierende Zellen im Biotransformations- entweder chemisch mit Hilfe von Kupferionen
ansatz stellen dagegen sehr viel höhere Anforderun- als Katalysator oder enzymatisch mit einer Nitril-
gen an das Reaktionssystem. Neben dem eigentlichen hydratase erfolgen. Die Bildung verschiedener
enzymatisch umzusetzenden Substrat müssen alle Nebenprodukte, unerwünschte Teilpolymerisa-
Substratkomponenten für die gewünschten Stoff- tionen von Substrat und Produkt und der unvoll-
wechsel(teil)reaktionen – beispielsweise auch Sauer- ständige Umsatz bei der chemischen Katalyse
stoff bei atmenden Zellen – bereitgestellt werden. führten zur Entwicklung und industriellen Rea-
Häufig findet daher die Biotransformation gleich- lisierung verschiedener biokatalytischer Prozesse
zeitig oder direkt im Anschluss an die Herstellung zunächst bei Nitto Chemical Industry in Japan
der Ganzzellbiokatalysatoren in demselben Biore- [74]. Heute wird Acrylamid über Ganzzellbioka-
aktor statt, der für die Herstellung der Ganzzellbio- talyse mit Rhodococcus rhodochrous-Stämmen im
katalysatoren genutzt wurde. mehrere 100.000 Jahrestonnenmaßstab hergestellt
Nachteile bei der Verwendung von Ganzzell- (siehe . Abb. 10.21), die eine Kobalt-abhängige
biokatalysatoren sind zum einen konkurrierende Acrylnitrilhydratase (H-NHase, EC 4.2.1.84) in
Enzymaktivitäten nativer Enzyme in den Zellen hohen Mengen enthalten (>50 % des zellinternen
oder unerwünschte enzymkatalysierte Folgereak- löslichen Proteins). Um eine hohe Expression des
tionen. Hier kann in der Regel einfach durch Dele- Nitrilhydratasegens zu erreichen, werden Harnstoff
tion der entsprechenden nativen Enzyme Abhilfe als Induktor und Kobaltsalze zur Herstellung der
10 geschaffen werden. Zum anderen kann der Stoff- Rhodococcus rhodochrous Ganzzellbiokatalysatoren
transport von Substrat und/oder Produkt über die im Zulaufverfahren mit Glucose als Kohlenstoff-
Zellmembran geschwindigkeitslimitierend werden. quelle eingesetzt [74, 35]. Die mit der Kobalt-abhän-
Eine Teilpermeabilisierung von Zellmembranen mit gigen Nitrilhydratase gefüllten Ganzzellbiokataly-
Tensiden oder mit Wasser mischbaren organischen satoren werden nach der fermentativen Herstellung
Lösemitteln kann hier helfen. Dies führt jedoch auch über Fest-Flüssig-Trennung vom Medium abge-
zur Freisetzung und damit Verdünnung zellinterner trennt. Vor dem biokatalytischen Einsatz hat sich
Transportmetabolite. Ein gezielterer Ansatz ist die eine Stabilisierung der ganzen Zellen in Polyacryl-
Expression von spezifischen Transportproteinen bei amid als sinnvoll erwiesen, um die Produktqualität
der Herstellung von Ganzzellbiokatalysatoren. bei der Biotransformation mit ruhenden Zellen zu
Im Folgenden werden beispielhaft zwei Pro- verbessern (Reduktion der Färbung, der Trübung
zessbeispiele mit ruhenden Ganzzellbiokatalysato- und der Leitfähigkeit) [34].
ren (7 Abschn. 10.4.1 und 10.4.4) und zwei Beispiele Die biokatalytische Umsetzung von Acrylnitril
mit metabolisierenden Zellen (7 Abschn. 10.4.2 und und Wasser findet im Zulaufverfahren mit den sta-
10.4.3) dargestellt. bilisierten Ganzzellbiokatalysatoren im Rührkessel-
reaktor bei niedrigen Temperaturen (<10 °C) statt,
da das gebildete Acrylamid bei höheren Tempera-
10.4.1 Biokatalytische Herstellung von turen zur Polymerisation neigt. 400 g L–1 Acrylamid
Acrylamid lassen sich so innerhalb von 5 h mit einem Acryl-
nitril-Umsatz von über 99,99 % und einer Acryl-
Acrylamid ist eine Grundchemikalie, die zur Her- amid-Ausbeute von ebenfalls über 99,99 % bei einer
stellung verschiedener wasserlöslicher Polymere Raum-Zeit-Ausbeute von fast 2000 g L–1 d–1 im
mit Anwendungen beispielsweise in der Erdöl- Rührkesselreaktor produzieren [74]. Nach Abtren-
förderung, Abwasserreinigung oder Papierher- nung der Ganzzellbiokatalysatoren kann die wässrige
stellung und zur Herstellung verschiedener nicht Acrylamid-Produktlösung direkt ohne weitere Auf-
wasserlöslicher Polymere mit Anwendungen als arbeitungsschritte (wie Entsalzung, Ultrafiltration
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
427 10

. Abb. 10.21  Schema zur biokatalytischen Herstellung von Acrylamid aus Wasser und Acrylnitril. Rhodococcus rhodochrous‑
Ganzzellbiokatalysatoren werden im Zulaufverfahren unter Expression von Nitrilhydratase hergestellt, durch Einschluss in
Polyacrylamid stabilisiert und als ruhende Zellimmobilisate zur Acrylamidsynthese bei niedrigen Reaktionstemperaturen im
Rührkesselreaktor eingesetzt. Die Produktlösung mit 400 g L–1 Acrylamid kann ohne weitere Aufreinigungsschritte direkt zur
Polyacrylamid-Herstellung genutzt werden

und Entfärbung) zur kommerziellen Polyacrylamid- Membran nicht direkt durchdringen. Verschiedene
Herstellung eingesetzt werden [34]. Carnitin-Acyltransferasen aktivieren die Fettsäu-
In den letzten Jahren wurde vielfach versucht, ren durch kovalentes Binden an L-Carnitin. Die
Nitrilhydratasen mit verschiedenen etablierten und Acyl-Carnitin Derivate werden anschließend mit-
effizienten Expressionssystemen (Escherichia coli, hilfe von weiteren Enzymen in die mitochondriale
Pichia pastoris oder Corynebacterium glutamicum) Matrix transportiert, wo die Fettsäure wieder freige-
im Hochzelldichteverfahren rekombinant bereit- setzt wird. In der Mitochondrienmatrix durchlau-
zustellen, da die Ganzzellbiokatalysatorproduk- fen die Fettsäuren eine ß-Oxidation und erzeugen
tion mit Rhodococcus rhodochrous 3–5 Tage dauert Energie in Form von ATP [3]. Die zwei natürlichen
und dabei nur Zelldichten von 20–30 g L–1 Bio- Quellen von L-Carnitin bei Menschen sind endo-
trockenmasse erreicht werden. Die biomassespe- gene Synthese und Nahrungsaufnahme [47]. Im
zifischen Nitrilhydrataseaktivitäten waren jedoch Ernährungskontext wird L-Carnitin als vitamin-
bisher deutlich geringer als bei Rhodococcus rho- ähnlicher Nährstoff eingestuft. Zudem wird L-Car-
dochrous [31]. nitin in der Kosmetik, Pharmazie und Medizin ein-
gesetzt [32].
In den 80er Jahren entwickelte Lonza einen vier-
10.4.2 Herstellung von optisch reinem stufigen chemischen Prozess für die Synthese von
L-Carnitin L-Carnitin auf der Grundlage von billigen Rohstof-
fen wie Epichlorhydrin (. Abb. 10.22) [58].
Marco Antonio Mirata und Diego Schmidhalter Im ersten Schritt wird in einer Reaktion von Epi-
chlorhydrin mit Trimethylamin und L-Weinsäure in
L-Carnitin ist eine natürliche Verbindung, die aus Methanol rohes (S)-Bis[(3-Chlor-2-hydroxypropyl)-
den Aminosäuren L-Lysin und L-Methionin in der trimethylammoniumchlorid] L-tartrat hergestellt,
Leber synthetisiert wird. Die Verbindung spielt eine das aus diesem Gemisch durch Zugabe von Aceton
essentielle Rolle beim Energiestoffwechsel im Mus- kristallisiert wird. Umkristallisation mit Methanol
kelgewebe von menschlichen und tierischen Zellen. und Aceton liefert das reine Diastereomeren salz.
Langkettige Fettsäuren können die mitochondriale Durch Zugabe von wässerigem Natrium-Cyanid
428 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Abb. 10.22  Chemische Synthese von L-Carnitin ausgehend von Epichlorhydrin. DSP: down stream processing

entsteht das lösliche (R)-(3-Cyano-2-hydroxypropyl) milden Bedingungen (Temperatur, Druck) und


trimethylammoniumchlorid. Die Abtrennung des mit Wasser als Lösungsmittel, mit hoher Ausbeute
L-Tartrats erfolgt mittels Calciumchlorid, wobei das und hohem Enantiomerenüberschuss zu L-Carni-
in Wasser unlösliche Calciumtartrat gebildet wird. tin umgewandelt. Hierbei handelt es sich um ein
Abtrennung des Calciumtartrats, Einengen der lös- Zulaufverfahren unter Verwendung von Agrobac-
lichen Fraktion, Trocknung des Rückstandes und terium/Rhizobium HK1349 als Ganzzellbiokataly-
10 Umkristallisation aus Ethanol liefert (R)-(3-Cyano- sator. Dieser Stamm enthält vier Enzyme, die diese
2-hydroxypropyl)-trimethylammoniumchlorid, Umwandlung katalysieren ( . Abb. 10.23 ). Nach
welches durch saure Hydrolyse mit Salzsäure in Aufnahme des γ-Butyrobetains durch die Zellen,
L-Carnitin ((R)-3-Hydroxy-(trimethylammonium)- wird es durch das Enzym γ-Butyrobetain-CoA
butanoat) umgewandelt wird. Ein Aktivkohle- und Synthetase unter Bildung von γ-Butyrobetainyl-
Anionenaustauschschritt reinigt das Produkt weiter CoA aktiviert. In einem zweiten Schritt führt die
auf. Das Ionentauschereluat wird konzentriert und γ-Butyrobetainyl-CoA Dehydrogenase eine Dop-
in Isobutanol umkristallisiert. Die Gesamtausbeute pelbindung in das Zwischenprodukt ein, wobei
liegt bei 22 %. Crotonyl-betainyl-CoA entsteht. Die zwei nachfol-
Die Nachteile dieses Prozesses sind eine niedrige genden Schritte resultieren in einer regio- und ste-
Ausbeute, die Notwendigkeit die Weinsäure (2,3 kg/ reospezifischen Einführung einer Hydroxylgruppe
kg L-Carnitin) zu rezyklieren, Lösungsmittelabfälle und der Freisetzung von L-Carnitin aus L-Carnitin-
im Umfang von 4,5 kg/kg L-Carnitin und ein D-Car- CoA [37]. L-Carnitin wird mit einem Enantiome-
nitin-Verunreinigungsanteil von 0,5 %. Es ist wün- renüberschuss von mehr als 99,9 % gebildet und ins
schenswert, L-Carnitin frei von D-Carnitin zu pro- Medium ausgeschieden. Dies ist ein sehr Energie-
duzieren, da es mit L-Carnitin im aktiven Transport und Cofaktor-intensiver Prozess, der lebende Ganz-
konkurriert [58]. zellbiokatalysatoren benötigt, um den Energiebe-
Obige Nachteile gaben den Anstoß zur Entwick- darf für die Reaktionen und das Cofaktor-Recycling
lung des heutigen Biotransformationsprozesses, der sicherzustellen.
das prochirale 4-Butyrobetain in L-Carnitin umwan- Nach der biokatalytischen Umsetzung werden
delt, dies bei hoher Konzentration und einem hohen die Ganzzellbiokatalysatoren durch Ultrafiltra-
Enantiomerenüberschuss (ee). Die hohe Ausbeute, tion entfernt. Anschließend werden die Salze durch
völlig frei von D-Carnitin, vereinfacht die anschlie- Elektrodialyse (siehe 7 Abschn. 9.3.4.1) abgetrennt
ßende Isolierung. und farbige Bestandteile und organische Verbin-
Chemisch gesehen wird γ-Butyrobetain in einer dungen mittels Aktivkohle abgereichert. Aufkon-
Ein-Topf multi-biokatalytischen Kaskade, unter zentrieren und Trocknung liefert L-Carnitin für
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
429 10
. Abb. 10.23  Der Abbau von
Butyrobetain und Crotonobetain
durch den Wildtyp stamm
Agrobacterium/Rhizobium HK4. Im
Produktionsstamm ist die L-Carnitin-
Dehydrogenase deaktiviert, was
zur Anreicherung von L-Carnitin im
Medium führt [58]

Tierfutteranwendungen. Ein zusätzlicher Umkris- Kulla und seinem Lonza-Team gelang das Kunst-
tallisationsschritt in einem Isobutanol/Methanol stück, einen Mikroorganismus aus Bodenproben zu
Gemisch liefert L-Carnitin für Lebensmittel- und isolieren und zu kultivieren, der die notwendigen
pharmazeutische Anwendungen. Die Umkristal- Enzyme enthält, die am Abbau von γ-Butyrobetain
lisation ist notwendig, um die Spezifikation für γ-­ über L-Carnitin-CoA und den Tricarbonsäurezy-
Butyrobetain zu erreichen [25]. . Abb. 10.24 zeigt klus beteiligt sind. Logischerweise produziert der
alle Verfahrensschritte von γ-Butyrobetain bis zum Wildtyp nur Spuren von L-Carnitin. Eine Muta-
isolierten L-Carnitin. tion war erforderlich, um die L-Carnitin Dehydro-
Die Entwicklung dieses biokatalytischen Pro- genase zu inaktivieren, die das gebildete L-Carni-
zesses begann mit der erfolgreichen Isolierung des tin in der Zelle weiter metabolisiert (. Abb. 10.23).
Stamms Agrobacterium/Rhizobium HK4. Hans Diese Veränderung allein erlaubt aber noch keine
430 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

quantitative Umwandlung von großen Mengen von


γ-Butyrobetain und resultiert in einem wirtschaftlich
tragfähigen Prozess [37].
Ursprünglich wurde ein kontinuierlicher Prozess
mit Zellrezyklierung entwickelt, der eine hohe volu-
metrische Produktivität (Raum-Zeit-Ausbeute) unter
Ausnutzung des Erhaltungsstoffwechsels ermöglichte.
Hohe metabolische Aktivität bei niedriger Wachs-
tumsrate stellt sicher, dass die Energie, die für den
eigentlichen biokatalytischen Prozess erforderlich
ist, nicht zur Produktion von Biomasse verschwen-
det wird [58]. Der Nachteil dieses kontinuierlichen
Verfahrens ist die unvollständige Umsetzung von γ-
Butyrobetain (Ausbeute 92 %). Da L-Carnitin und γ-
Butyrobetain ähnliche physio-chemische Eigenschaf-
ten haben, beeinträchtigt die notwendige Trennung
von L-Carnitin und γ-Butyrobetain die Prozessöko-
nomie erheblich (. Tab. 10.6).
Als wirtschaftlichere Alternative erwies sich die
Entwicklung des Zulaufverfahrens, das zwar eine
viermal geringere volumetrische Produktivität,
dafür aber eine Ausbeute von >99 % aufweist [25,
10 46, 75]. Das entwickelte Zulaufverfahren integriert
darüber hinaus upstream- und downstream-Aspekte
optimal. Dies war ein weiterer wichtiger Aspekt, um
. Abb. 10.24  Verfahrensschritte zur Produktion von
L-Carnitin aus γ-Butyrobetain [46] einen wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Pro-
duktionsprozess zu erreichen. Beispielsweise resul-
tierte der Austausch der für die pH-Kontrolle im bio-
katalytischen Prozess verwendeten Phosphorsäure
hohe Produkt-Anreicherung in der biokatalyti- durch Schwefelsäure in einer höheren Effizienz des
schen Umsetzung. Der Stamm wurde einem wei- Elektrodialyse-Schritts, da für die Entfernung der
teren Stammentwicklungsprogramm unterzogen Sulfatsalze 30 % weniger Zeit aufgewendet werden
mit dem Ziel eine hohe Produktkonzentrations- muss als für Phosphatsalze. Der Austausch von γ-
Toleranz bei gleichzeitig hoher γ-Butyrobetain- Butyrobetain und Glycerin (Kohlenstoffquelle)
-Affinität zu gewährleisten. Dies erlaubt eine technischer Qualität durch reinere Substrate im

. Tab. 10.6  Vergleich des kontinuierlichen Prozesses mit Zell-Rezyklierung mit dem Zulaufverfahren für die
Konvertierung von γ-Butyrobetain zu L-Carnitin [58]

Parameter Kontinuierlicher Prozess mit Zulaufverfahren


Zell-Rezyklierung
Volumetrische Produktivität (g/(L · d)) 130 30
Ausbeute der Biokonversion (mol %) 92 99,5
Enantiomerenüberschuss (ee) >99.9 % >99.9 %
D-Carnitin Nicht nachweisbar Nicht nachweisbar
Kosten der Ganzzellbiotransformation und Isolierung von 100 60
L-Carnitin (Kennzahl ohne Einheit)
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
431 10
Reaktionsmedium reduziert gefärbte Komponen- werden, das wiederum die Grundlage für die Ent-
ten und führt zu Kosteneinsparungen bei der Ent- wicklung einer spezifischen Prozesskontrollstrate-
färbung im Aktivkohleschritt. gie liefert (siehe 7 Kap. 8). Teil der Kontrollstrategie
Die im Zulaufverfahren erreichte Zunahme der sind unter anderem auch die on-line-Bestimmung
Ausbeute und die Änderungen in der Qualität der relevanter Prozessgrößen in Kombination mit
Rohstoffe hatten zur Folge, dass auf einen Kristal- at-line-Bestimmungen der Konzentrationen des
lisationsschritt, der vorher auch für L-Carnitin für Eduktes, von Zwischenprodukten, Metaboliten und
Futtermittel-Anwendungen notwendig war, ver- des Produkts.
zichtet werden konnte. All diese Verbesserungen Dies soll am Beispiel der selektiven Oxidation
führten konsequenterweise auch zu deutlich redu- einer Alkylgruppe an einem Heteroaromaten zur
zierteren Produktionskosten [25, 46, 75] (siehe entsprechenden Monocarboxylsäure aufgezeigt
. Tab. 10.6). werden [4]. Das Produkt 5-Methyl-2-pyrazincar-
Von großer Bedeutung war die ganzheitliche bonsäure (MPCA) dient als chemischer Baustein
(holistische) Vorgehensweise bei der Prozessent- für die Herstellung von Pharmazeutika wie das blut-
wicklung und -optimierung, die Verbesserungen zuckersenkende Glipizid zur Behandlung von Dia-
bei der chemischen Synthese von γ-Butyrobetain, betes mellitus Typ 2. Die Ganzellbiotransforma-
Verbesserung der Stammeigenschaften (Ganzzell- tion von 2,5-Dimethylpyrazin (DMPy) zu MPCA
biokatalysator), Verbesserung der Qualität der kri- nutzt die auf dem TOL-Plasmid kodierten Oxida-
tischen Mediumskomponenten, Änderungen in der tionseigenschaften von Pseudomonas putida mt-2
biokatalytischen Prozessführung von kontinuierli- (. Abb. 10.25). Das Edukt DMPy wird durch die glei-
cher Betriebsweise zu einem Zulaufverfahren und chen katabolen Enzyme transformiert, wie die ein-
Optimierungen in der Produktisolierung umfasste. gesetzte Kohlenstoffquelle Xylol.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lonza-Pro- Ein Prozessmodell für die Ganzzellbiotransfor-
zessentwicklungsexperten hier ein Biotransforma- mation von DMPy zu MPCA durch P. putida muss
tionsverfahren entwickelt haben, das vier Biotrans- nachfolgende Elemente berücksichtigen:
formationsschritte mit einem Ganzzellbiokatalysator A. Xylol ist notwendig für die Induktion der
in einem Bioreaktor bei hoher Raum-Zeit-Ausbeute gewünschten Enzyme und wird im beschrie-
erlaubt. Die Reduktion von Verfahrensschritten benen Verfahren als einzige Kohlenstoff- und
(engl. unit operations) bei der Produktisolierung bei Energiequelle eingesetzt.
gleichzeitiger Reduktion von Abfallströmen wirkt B. Die Biotransformation funktioniert nur mit
sich sehr positiv auf Prozessökologie und Prozess- physiologisch aktiven, wachsenden Zellen.
ökonomie aus. Wachstum und Biotransformation sind
gekoppelt und müssen kontrolliert parallel
verlaufen, wobei die Kohlenstoff- und Energie-
10.4.3 Biotransformation von quelle Xylol und das Edukt DMPy kompetitiv
2,5-Di-Methylpyrazin zu die Bindungsstellen der ersten drei Enzyme
5-Methyl-2-pyrazincarbonsäure des oberen Toluol-Abbauweges besetzen
(MPCA) (. Abb. 10.25). Im Gegensatz zu p-Toluylsäure
[48] ist MPCA kein Substrat für das erste
Diego Schmidhalter und Marco Antonio Mirata Enzym des weiteren Abbaus, dessen Gene
ebenfalls auf dem TOL-Plasmid lokalisiert sind.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Prozessent- C. Xylol ist in wässrigen Medien kaum löslich.
wicklung ist ein gutes Verständnis der metaboli- Bei Ausbildung einer zweiten Phase (im
schen Abläufe und der Zusammenhänge zwischen 100 mg/L Bereich) zeigt Xylol toxische Wirkung
prozessrelevanten Parametern, wobei sowohl Pro- auf die Zellen. Auch das Edukt DMPy mit
duktivitätsaspekte als auch Produktqualitätsaspekte einer Inhibierungskonstante KI,DMPy im g
im Auge behalten werden müssen. Aufbauend auf L–1-Bereich und das Produkt MPCA mit
diesem Wissen kann dann ein Prozessmodell erstellt einer Inhibierungskonstante KI,MPCA im
432 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Abb. 10.25  (a) Xylol/Toluol-Abbauweg von Pseudomonas putida mt-2. Xylol wird über p-Toluylalkohol
(4-Methylbenzylalkohol) und p-Toluylaldehyd (4-Methylbenzaldehyd) zur p-Toluylsäure (4-Methylbenzoesäure) oxidiert.
XMO, Xylolmonooxygenase; BADH, Benzylalkoholdehydrogenase; BZDH, Benzaldehyddehydrogenase. (b) Biotransformation
des substituierten aromatischen N-Heterozyklus 2,5-Dimethylpyrazin (DMPy). Im Gegensatz zu p-Toluylsäure ist 5-Methyl-2-
pyrazincarbonsäure (MPCA) kein Substrat für das erste Enzym des weiteren Abbaus

zweistelligen g L–1-Bereich beeinträchtigen die


Zulaufverfahren zudosiert werden. Als Leitpara-
physiologischen Funktionen von Pseudomonas
10 putida. Dies zeigt sich darin, dass die Biotrans-
meter bietet sich die Gelöstsauerstoffkonzentra-
tion gemessen als Sauerstoffpartialdruck pO 2
formation bei Überschreitung der kritischen
an, da sowohl die Metabolisierung von Xylol und
Konzentrationen insbesondere von Xylol abrupt
als auch die Transformation von DMPy Sauer-
zusammenbricht. Sequentielle MPCA-Zugaben
stoff verbrauchen. Sobald genügend Biomasse
zeigten eine Beeinträchtigung der Biotrans-
im Rührkesselreaktor vorhanden ist, wird Xylol
formationsaktivität bei Konzentrationen um
über eine spezielle „PID ein/aus“-Regelung (siehe
20 g L–1. Werden die Zellen langsam an eine
7 Kap. 8) mit dem pO2 als Eingangssignal kontrol-
zunehmende MPCA-Konzentration herange-
liert zudosiert (. Abb. 10.26). Übersteigt der pO2
führt, wie das während der Biotransformation
einen oberen Grenzwert, wird die Dosierung von
der Fall ist, dann adaptieren sich die Zellen auch
Xylol gestartet, was Sauerstoffverbrauch und eine
an weitaus höhere Konzentrationen.
Erniedrigung des pO2 zur Folge hat. Bei Unterschrei-
ten eines unteren Grenzwertes stoppt die Xylolzu-
Diese Erkenntnisse führen zu zwei Schlussfolge- fuhr und der Zyklus beginnt von neuem. Da eine zu
rungen: (1) Biomasseproduktion und Ganzzellbio- hohe Xylolkonzentration im Medium die Zellen irre-
transformation müssen simultan verlaufen und (2) versibel schädigt, wird Xylol als schwerlösliche, aber
die Konzentrationen von Xylol und DMPy müssen leicht flüchtige Komponente im Abgasstrom mittels
sorgfältig kontrolliert werden. Rohner und Meyer Infrarotmessung gemessen und damit übergeordnet
zeigten auf, wie diese Kenntnisse in ein numeri- überwacht. Letzterer Kontrollmechanismus ist vor
sches Prozessmodell, als Voraussetzung für eine allem in der Anfangsphase des Zulaufverfahrens bei
in-silico-Prozessmodellierung, umgesetzt werden geringer Biomassekonzentration wichtig.
können [60]. Die DMPy (Edukt)-Konzentration wird voll
Als Induktor, Kohlenstoff- und Energiequelle automatisiert mittels at-line-HPLC (siehe 7 Kap. 8)
ist Xylol eine notwendige Mediumskomponente. gemessen und zudosiert, sodass der Sollwert kont-
Aufgrund ihrer inhibierenden Wirkung müssen rolliert wird (. Abb. 10.26). Mit einer Abtastzeit von
sowohl Xylol als auch DMPy kontrolliert in einem 8 Minuten wird über HPLC kontinuierlich filtrierte,
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
433 10

. Abb.10.26  Prozesskontrollbild des Leitsystems bei der Produktion von MPCA im 15 m3 Maßstab. pXylol: Xylolkonzentration
im Abgas, Infrarotsignal; pO2: Gelöstsauerstoffkonzentration im Medium (gestrichelte Linie: oberer und unterer Grenzwert);
.
Ṁ Xylol: Massenstrom der Xylol-Zudosierung; cDMPy: DMPy-Konzentration im Medium, HPLC-Signal (Sollwert in grau); M DMPyl:
Massenstrom der DMPy-Zudosierung. Übersteigt der pO2 den oberen Grenzwert (a), wird die Dosierung von Xylol gestartet. Bei
Unterschreiten des unteren Grenzwertes des pO2 (b) wird die Xylolzufuhr beendet

zellfreie Fermentationslösung auf ihre DMPy-Kon- behördlicher Vorschriften durchgeführt werden


zentration hin analysiert. Die so bestimmte DMPy- kann.
Konzentration ist das Ist-Signal für einen PID-Reg-
ler, der die DMPy-Dosierung so regelt, dass der
Sollwert (Sättigungskonzentration KS,DMPy < Soll- 10.4.4 Chemo-enzymatische Synthese
wert < Inhibierungskonstante K I,DMPy) im Rühr- von Ursodesoxycholsäure
kesselreaktor eingehalten wird. Der Verfahrenser- (UDCA)
folg beruht darauf, dass Xylol und DMPy auf der
Grundlage von on-line- und at-line-Messsignalen Ursodesoxycholsäure (UDCA) ist ein Wirkstoff für
kontrolliert und geregelt zudosiert werden. Dies die Behandlung von einer Vielzahl von Leber- und
ermöglicht die Aufrechterhaltung der Lebensfähig- Gallenerkrankungen. Zur chemischen Synthese von
keit und die maximale Biotransformationsaktivität UDCA ist ausgehend von Cholsäure ein siebenstu-
von Pseudomonas putida-Ganzzellbiokatalysatoren figer Prozess erforderlich [26]. Die große Anzahl an
im Produktionsreaktor. Prozessschritten wird bei der chemischen Synthese
Bei der Bioverfahrensentwicklung wurden der durch die schwierige Stereochemie verursacht, was
mittlere pO2, die Belüftungsrate, der Leistungs- zu geringen Gesamtausbeuten von rund 30 % UDCA
eintrag (Rührgeschwindigkeit) und der Druck ausgehend von Cholsäure führt [15].
im Rührkesselreaktor – dieser beeinflusst unter Die Einbindung von biokatalytischen Schritten
anderem auch die Xylol-Löslichkeit –, die Tem- in den Syntheseprozess stellt aufgrund der hohen Ste-
peratur, der Edukt-Sollwert (DMPy) und andere reoselektivität von Enzymen einen prinzipiell inter-
Prozessparameter so optimiert, dass die Produk- essanten Ansatz dar Synthesewege zu verkürzen und
tion von MPCA im 15 m 3 Maßstab robust (ohne damit Ausbeuten und Produktionskosten zu redu-
Ausfälle), bei hoher spezifischer und volumetri- zieren. Ein chemo-enzymatischer Ansatz wurde
scher Produktivität und bei minimalem Austrag des hierfür bereits 1992 vorgeschlagen [15]: Hierbei wird
aromatischen Kohlenwasserstoffs unter Einhaltung Cholsäure zunächst chemisch zu Dehydrocholsäure
434 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

2+ 2+
2+

 2  2
&KHPLVFKH 6\QWKHVH

 
+2 2+ +2 2+

&KROV¦XUH 8UVRGHR[\FKROV¦XUH
2+ 2+
2 2
&U2
 2  2 :ROII.LVFKQHU
5HGXNWLRQ
˞+6'+ ˟+6'+
   
2 2 +2 2+

'HK\GURFKROV¦XUH .HWR8UVRGHR[\FKROV¦XUH

. Abb. 10.27  Herstellung von Ursodesoxycholsäure (UDCA) aus Cholsäure: Chemische Synthese (nur angedeutet)
im Vergleich zur chemo-enzymatischen Synthese mit einer 3α-Hydroxysteroiddehydrogenase (3α-HSDH) und einer 7β-
Hydroxysteroiddehydrogenase (7β-HSDH)

oxidiert, wobei sämtliche Hydroxygruppen zu Keto- die Glucosedehydrogenase aus Bacillus subtilis
gruppen umgewandelt werden (siehe . Abb. 10.27). exprimiert, da dieses Enzym beide Transportme-
Anschließend erfolgen zwei enzymatische regio- tabolite mit vergleichbarer Geschwindigkeit bei
und stereoselektive Reduktionsschritte mit einer Vorlage von Glucose als Cosubstrat regenerieren
10 3α-Hydroxysteroiddehydrogenase (3α-HSDH) und kann (siehe . Abb. 10.28). Die Herstellung dieses
einer 7β-Hydroxysteroiddehydrogenase (7β-HSDH) Ganzzellbiokatalysators erfolgt effizient im Hoch-
zu 12-Keto-UDCA, das wiederum durch eine che- zelldichteverfahren (siehe 7 Kap. 3 und 11). Die
mische Reduktion (Wolff-Kishner-Reduktion) in Aufarbeitungskosten sind gering, da lediglich eine
UDCA umgesetzt werden kann. Hierdurch lässt Zellabtrennung erfolgen muss, bevor der Ganzzell-
sich zwar die Gesamtsynthese auf vier Schritte ver- biokatalysator als ruhende Zelle im Biotransfor-
kürzen, allerdings ist neben dem Einsatz der beiden mationsprozess in einem einfachen Satzverfahren
Syntheseenzyme 3α-HSDH und 7β-HSDH jeweils genutzt werden kann.
ein zusätzliches Enzym für die Regenerierung der Sowohl die Einstellung der Enzymaktivitäten
beiden Elektronentransportmetabolite NADH und im Ganzzellbiokatalysator als auch die Identifika-
NADPH erforderlich. Um die Biokatalysatorkosten tion geeigneter Reaktionsbedingungen für die voll-
zu reduzieren bietet sich der Einsatz eines Ganzzell- ständige biokatalytische Umsetzung von Dehydro-
biokatalysators an, der alle für die biokatalytischen cholsäure zu 12-Keto-UDCA erfolgte auf der Basis
Schritte erforderlichen Enzyme und Transportme- eines mechanistischen Modells des vorliegenden
tabolite enthält. Dreienzymsystems, bei dem jedes der beteiligten
Durch die intrazelluläre lösliche Expression Enzyme über zwei konkurrierende Substrate verfügt,
geeigneter Enzyme in Escherichia coli gelang die die sich darüber hinaus gegenseitig kompetitiv inhi-
Konstruktion eines solchen Ganzzellbiokataly- bieren (siehe . Abb. 10.28). Nach Aufklärung der
sators [7, 68]. Um die Regenerierung der unter- Enzymmechanismen und Herleitung der zugehöri-
schiedlichen Transportmetabolite NADH und gen Geschwindigkeitsgleichungen (King-Altmann-
NADPH der ausgewählten Hydroxysteroidde- Verfahren, siehe 7 Kap. 1) erfolgte für jedes der betei-
hydrogenasen (3α-HSDH aus Comamonas tes- ligten Enzyme die individuelle Identifikation der
tosteroni und einer neuen 7β-HSDH aus Col- kinetischen Modellparameter über Verlaufskurven-
linsella aerofaciens [41] mit einem einzigen analysen. Die mechanistischen Einzelenzymkine-
Regenerierungsenzym zu ermöglichen, wurde tiken wurden nachfolgend zu einem Prozessmodel
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
435 10

. Abb. 10.28  Vereinfachtes Reaktionsschema (Prinzipskizze) für einen Ganzzellbiokatalysator zur Herstellung von
12-Keto-Ursodeoxycholsäure aus Dehydrocholsäure mit den überexprimierten Enzymen 3α-Hydroxysteroiddehydrogenase
(3α-HSDH) aus Comamonas testosteroni, 7β-Hydroxysteroiddehydrogenase (7β-HSDH) aus Collinsella aerofaciens
und Glucosedehydrogenase (GDH) aus Bacillus subtilis. Glucose wird als Cosubstrat eingesetzt. Edukt, Produkt und
Zwischenprodukte werden über die Zellmembran transportiert. Die notwendigen Produktausbeuten von über 99 % sind
nur möglich, wenn die Zwischenprodukte 3,12-Diketoursodeoxycholsäure und 7,12- Diketoursodeoxycholsäure von den
rekombinanten E. coli-Zellen wieder vollständig aufgenommen und stöchiometrisch umgesetzt werden

vereint und das Gesamtmodell experimentell vali- wurde damit gegenüber dem etablierten, siebenstufi-
diert, bevor dieses für Simulationsstudien zum Auf- gen, chemischen Syntheseprozesses nahezu verdop-
finden geeigneter Expressionsverhältnisse und Reak- pelt. 2015 wurde dieses neue chemo-biokatalytische
tionsbedingungen eingesetzt werden konnte [67]. Produktionsverfahren in den industriellen Maßstab
Im Vergleich zur Literatur konnten damit die übertragen.
12-Keto-UDCA-Konzentration um bis zu Faktor
8 und die Raum-Zeit-Ausbeute der zweistufigen
Reduktion von DHCA um bis zu Faktor 27 erhöht 10.5 Mehrphasensysteme
werden. Die Gesamtausbeute der jetzt dreistufi-
gen chemo-biokatalytischen Umsetzung von Chol- Enzyme, Enzymimmobilisate oder Ganzzellbiokata-
säure zum Wirkstoff UDCA (chemische Oxidation lysatoren entfalten in der Regel nur im Lösungsmittel
von Cholsäure, biokatalytische regio- und stereose- Wasser ihre katalytische Aktivität. Ausnahmen bilden
lektive Doppelreduktion mit einem Ganzzellbioka- Lipasen, die auch im organischen Lösemittel kataly-
talysator und chemische Wolff-Kishner-Reduktion) tisch aktiv sein können, wenn sie dort in hydratisierter
436 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

Form, also umgeben von einer Wasserhülle vorlie- Phase mit dem Biokatalysator im organischen Löse-
gen. Die Anwendung biokatalytischer Umsetzungen mittel muss hierbei genügend mechanische Leistung
in rein wässrigen Reaktionsmedien – im Folgenden eingetragen werden. Bei Zusatz von Tensiden kann es
auch als „erste Phase“ bezeichnet – ist in vielen Fällen zur Ausbildung von stabilen Mikroemulsionen oder
jedoch nur eingeschränkt möglich, wenn reversen Micellen kommen, wodurch hohe volu-
55 höhere Substrat- und/oder Produktkonzentra- menbezogene Phasengrenzflächen erreicht werden
tionen inhibierend wirken, können. Dem Bioreaktor muss zusätzlich eine Pha-
55 Substrat und/oder Produkt schlecht wasser- sentrennung (flüssig-flüssig oder fest-flüssig) nach-
löslich sind, geschaltet werden, um beide Phasen voneinander zu
55 Konkurrenz- beziehungsweise Folgereaktionen trennen und das Produkt aus der zweiten Phase (nicht
insbesondere bei höheren Substrat- und/oder wassermischbares Lösemittel oder Adsorbentien) zu
Produktkonzentrationen in der wässrigen gewinnen.
Phase auftreten oder Kriterien zur Auswahl geeigneter nicht mit
55 das thermodynamische Gleichgewicht nicht Wasser mischbarer Phasen für die in-situ-Substratbe-
weit genug auf der Produktseite liegt. reitstellung und/oder in-situ-Produktextraktion sind:
55 geeignete Verteilungskoeffizienten von Substrat
Teilweise können diese Einschränkungen durch und/oder Produkt zwischen den beiden
verfahrenstechnische Maßnahmen wie beispiels- flüssigen Phasen oder geeignete Sorptionsiso-
weise die Anwendung von Zulaufverfahren bei thermen bei fest-flüssig-Systemen,
Vorliegen einer Substratüberschussinhibierung 55 keine oder nur geringfügige Beeinflussung des
oder dem Einsatz von kontinuierlich betriebenen Biokatalysators durch die zweite Phase und
Rohrreaktoren bei Vorliegen einer Produktinhi- 55 einfache Phasentrennung nach Abschluss der
10 bierung angegangen werden. Eingeschränkte Was- biokatalytischen Umsetzung.
serlöslichkeiten von Substrat oder Produkt können
in gewissem Maße auch durch Löslichkeitsver-
mittler wie beispielsweise wasserlösliche organi- Verteilungskoeffizienten von Substrat
sche Lösemittel oder Tenside überwunden werden, und/oder Produkt
wenn diese Löslichkeitsvermittler selbst die bio- Der Verteilungskoeffizient Ki* beschreibt die Vertei-
katalytische Reaktion nicht negativ beeinflussen. lung von Substrat oder Produkt zwischen den beiden
flüssigen Phasen und ist definiert als

10.5.1 In-situ Substratbereitstellung xiII ⋅ γiII


Ki* =  Gl. 10.14
und Produktentfernung xiI ⋅ γiI

Mehrphasensysteme, also der disperse Einsatz geeig- wobei xi den Molanteil von Substrat oder Produkt
neter nicht mit Wasser mischbarer Lösemittel oder in der ersten (I) oder zweiten Phase (II) darstellen
fester Phasen (Adsorbentien) – im Folgenden auch als und γi die zugehörigen Aktivitätskoeffizienten von
„zweite Phase“ bezeichnet – haben den Vorteil, dass Substrat oder Produkt in den jeweiligen Phasen. Der
die oben genannten Einschränkungen selbst im ein- Verteilungskoeffizient Ki* ist von Temperatur und
fachen Satzbetrieb im Rührkesselreaktor überwunden Druck abhängig. Bei starker Verdünnung von Subs-
werden können. Die zweite, nicht mit Wasser misch- trat oder Produkt nähern sich die Aktivitätskoeffizi-
bare Phase kann dabei sowohl zur in-situ-Substratbe- enten 1 an, und der Verteilungskoeffizient kann über
reitstellung dienen, als auch zur in-situ-Produktext- die molaren Substrat- oder Produktkonzentrationen
raktion genutzt werden (Prinzipskizze siehe . Abb. ci in den beiden Phasen bestimmt werden:
10.29). Zur Dispergierung der zweiten Phase (nicht
wassermischbares Lösemittel oder Adsorbentien) ciII
Ki =  Gl. 10.15
im wässrigen Reaktionsmedium oder der wässrigen ciI
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
437 10

. Abb. 10.29  Flüssig-flüssig-Zweiphasensystem zur in-situ-Substratbereitstellung und Produktextraktion: Substrat und


Produkt lösen sich besser in der zweiten, nicht mit Wasser mischbaren (organischen) Phase, sodass die Konzentrationen
von Substrat und Produkt in der biokatalytischen Wasserphase so niedrig sind, dass keine Inhibierungen auftreten können.
Um einen guten Stofftransport über die Phasengrenzen zu erreichen, muss eine der beiden Phasen durch genügenden
mechanischen Leistungseintrag in der anderen Phase fein dispergiert werden

Bei Vorliegen einer starken Substrat- und/oder V II


α=  Gl. 10.17
Produktinhibierung, wie sie häufig bei der bioka- VI
talytischen Umsetzung insbesondere von nicht-na-
türlichen Chemikalien auftreten können, stellen Bei Berücksichtigung der thermodynamischen
hohe Verteilungskoeffizienten ein wichtiges Aus- Gleichgewichtskonstante für das rein wässrige System
wahlkriterium für die zweite, nicht mit Waser
mischbare Phase dar (Ki > 100–1000). Dadurch
cPI
können Substrat- und/oder Produktkonzentratio- K eq =  Gl. 10.18
cSI
nen auch im einfachen Satzverfahren bei Vorlage
hoher Substratkonzentrationen in der zweiten
Phase (üblicherweise mehrere 100 mM bis über lässt sich Gl. 10.16 umformen zu:
1 M) in der wässrigen Phase niedrig gehalten 1 + KP ⋅ α
eq
werden. Analoges gilt für die Produktkonzentra- K total = K eq ⋅  Gl. 10.19
1 + KS ⋅ α
tion zum Prozessende.
Die Möglichkeiten zur Verschiebung des Reak- Die relative Verschiebung des Reaktionsgleichge-
tionsgleichgewichts durch in-situ-Produktextraktion wichts im Zweiphasensystem ist in . Abb. 10.30 als
lassen sich anschaulich darstellen, wenn die ther- Funktion des Phasenverhältnisses α für verschiedene
modynamische Gleichgewichtskonstante Keq einer Verteilungskoeffizienten Ki gezeigt.
1-Substrat/1-Produktreaktion für ein Zweiphasen- Ist das Produkt in der zweiten Phase sehr viel
system definiert wird: besser löslich als in der Wasserphase, verschiebt sich
mit zunehmendem Phasenverhältnis α das Reak-
eq cPI ⋅ V I + cPII ⋅ V II tionsgleichgewicht im Gesamtsystem Gl. 10.6 immer
K total =  Gl. 10.16
cSI ⋅ V I + cSII ⋅ V II mehr auf die Produktseite (rote Linie in . Abb. 10.30
bei KP = 200 und KS = 2). Dies ist jedoch nur möglich,
Neben den molaren Konzentrationen von Substrat cS wenn das Produkt möglichst selektiv extrahiert wird.
und Produkt cP in den beiden Phasen spielt hierbei auch Steigt auch die Löslichkeit des Substrates in der
das Volumenverhältnis der beiden Phasen eine Rolle: zweiten Phase, verringert sich die Verschiebung des
438 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Abb. 10.30  Verschiebung


des Reaktionsgleichgewichts im
Zweiphasensystem bei in-situ-
Produktextraktion: Verhältnis
von Gl. 10.19 zu Keq als Funktion
des Phasenverhältnisses α im
Zweiphasensystem mit den
Verteilungskoeffizienten KP = 200 und
KS = 2 (rot), sowie KP = 200 und KS = 20
bei einer 1-Substrat/1-Produktreaktion

Reaktionsgleichgewichts deutlich (schwarze Linie in ändert und auch bei Veränderung der Phasenver-
. Abb. 10.30 bei KP = 200 und KS = 20). hältnisse konstant bleibt.
In vielen Fällen wird beobachtet, dass sich bei
Erhöhung des Phasenverhältnisses zwischen der
10 Beeinflussung des Biokatalysators zweiten, nicht mit Wasser mischbaren (organi-
durch die zweite Phase schen) Phase und der biokatalytischen Wasserphase
Neben der Auswahl einer zweiten nicht mit Wasser die Halbwertzeit des Biokatalysators verschlech-
mischbaren Phase mit geeigneten Verteilungskoef- tert, also eine verstärkte irreversible Inaktivierung
fizienten für Substrat und/oder Produkt müssen die auftritt (siehe 7 Abschn. 1.7). Dies ist auf die soge-
Wechselwirkungen zwischen der zweiten Phase und nannte „Phasentoxizität“ zurückzuführen. Die
dem Biokatalysator bekannt sein. Häufig kommt es Tertiär- und Quartärstrukturen von Proteinen,
zum einen zu Veränderungen von spezifischer Akti- die sich an den Phasengrenzflächen flüssig-flüs-
vität und gegebenenfalls zu Veränderungen in der Ste- sig anreichern, können durch Grenzflächenkräfte
reospezifität. Zum anderen wird oftmals eine verstärkte irreversibel zerstört werden. Die betroffenen Pro-
irreversible Inaktivierung des Biokatalysators beobach- teine denaturieren. Da bei Zunahme der sich im
tet. Das bedeutet, die Halbwertzeit des Biokatalysators Rührkesselreaktor ausbildenden Phasengrenzflä-
wird in Gegenwart der zweiten Phase geringer. chen flüssig-flüssig, beispielsweise durch Erhöhung
Wechselwirkungen der zweiten, nicht mit Wasser des Phasenanteils der zweiten organischen Phase
mischbaren Phase mit dem Biokatalysator können im Reaktor bei konstantem Leistungseintrag, die
mit der Restlöslichkeit der organischen Phase im Wahrscheinlichkeit der Kontakte der Biokatalysa-
Lösemittel Wasser zusammenhängen. Auch wenige toren mit der Phasengrenzfläche ansteigt, wird auch
in Wasser gelöste Lösemittelmoleküle können wie deren Halbwertzeit absinken. Beide Effekte – rever-
andere Inhibitoren die Enzymaktivität auf moleku- sible Inhibierung durch molekulare Wechselwir-
larer Ebene in vielfältiger Weise beeinflussen (siehe kungen der in Wasser gelösten Lösemittelmoleküle
7  Abschn. 1.6.3). Im Zweiphasensystem bleibt die und irreversible Denaturierung aufgrund der Pha-
Konzentration des organischen Lösemittels in der sentoxizität – sind in . Abb. 10.31 für zwei unter-
Wasserphase konstant, sodass sich nach Zugabe und schiedliche Phasenverhältnisse gezeigt. Bei Erhö-
Dispersion der nicht mit Wasser mischbaren zweiten hung der Phasengrenzfläche im Rührkesselreaktor
Phase unmittelbar die spezifische Enzymaktivität verringert sich die Halbwertzeit des Biokatalysators,
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
439 10
. Abb. 10.31  Aktivitätsänderung eines
Biokatalysators in einem Flüssig-Flüssig
Zweiphasensystem bei unterschiedlichem
Phasenanteil: Die reversible Inhibierung
erfolgt unmittelbar nach Dispergierung der
zweiten Phase. Die durch „Phasentoxizität“
hervorgerufene irreversible Denaturierung
des Biokatalysators an der Phasengrenze
steigt mit zunehmendem Phasenanteil der
zweiten (organischen) Phase (schwarze
Linie: Halbwertzeit 100 h; rote Linie:
Halbwertzeit 50 h)

die Abnahme der relativen Enzymaktivität erfolgt wahrscheinlich durch eine starke Anreicherung der
schneller. organischen zweiten Phase in der hydrophoben Zell-
Beide Effekte sind auch beim Einsatz von Ganz- membran verursacht, die zur (partiellen) Auflösung
zellbiokatalysatoren in Zweiphasensystemen zu beob- der Zellmembran und damit zur Permeabilisierung
achten. In Wasser gelöste (hydrophobe) Lösemittelmo- der Ganzzellbiokatalysatoren und dem Verlust insbe-
leküle werden in der Regel diffusiv über Zellmembran sondere von Cofaktoren führen kann.
transportiert und zeigen dieselben molekularen Wech- Neben nicht oder schlecht mit Wasser mischba-
selwirkungen mit den bei der Ganzellbiokatalyse int- ren organischen Lösemitteln wie beispielsweise Cyc-
razellulär bereitgestellten Syntheseenzymen. Die lohexan, Hexan, Heptan, n-Butylacetat, Ethylace-
Phasentoxizität wird bei Ganzzellbiokatalysatoren tat, Ethyldecanoat, Ethyloleat, 1-Octanol, 1-Octen,

. Abb. 10.32  Beispiele für Kationen


(schwarz) und Anion (rot) zur Bildung von
biokompatiblen, hydrophoben ionischen
Flüssigkeiten (IL) zum Einsatz bei der
Biokatalyse
440 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

Methyl-tert-Butylether (MTBE), Diisopropylether Biokompatibilität der zweiten Phase ist eine effizi-
und vielen anderen mehr wird auch die Verwen- ente Phasentrennung nach Abschluss der biokata-
dung von nicht mit Wasser mischbaren flüssigen lytischen Umsetzung essentiell.
organischen Salzen (ionische Flüssigkeiten) vorge- Fest-flüssig-Zweiphasensysteme lassen sich
schlagen. Die Eigenschaften ionischer Flüssigkeiten in der Regel einfach durch Größenausschlussver-
(IL) können durch die Wahl von Kation und Anion fahren (Filtration) oder Sedimentationsverfahren
über weite Bereiche gezielt eingestellt werden. Daher voneinander trennen. Die flüssig-flüssig-Phasen-
werden diese auch als ‚designer solvents‘ bezeichnet. separation erfolgt in der Regel über Sedimenta-
Beispiele für Kationen und Anion mit denen biokom- tion im Schwere- oder Zentrifugalfeld. Wichtig ist
patible und nicht-wassermischbare ionische Flüssig- eine ausreichende Dichtedifferenz zwischen den
keiten gebildet werden können, sind in . Abb. 10.32 beiden Phasen. Problematisch ist die Ausbildung
dargestellt. von stabilen Emulsionen während der biokatalyti-
Nicht mit Wasser mischbare ionische Flüs- schen Umsetzung. Diese Stabilisierung der disper-
sigkeiten wie [BMIM][NTF], [HMIM][NTF], sen Phase wird oftmals als Folge von Proteindena-
[BMPL][NTF] oder [HMPL][NTF] zeigen in der turierungen an den Phasengrenzflächen oder durch
Ganzzellbiokatalyse bei Phasenanteilen von 20–40 Moleküle mit Tensidwirkung, wie sie beim Einsatz
Volumenprozent (IL/Wasser) keine Veränderun- von Ganzzellbiokatalysatoren auftreten können,
gen der Membranintegrität im Vergleich zum Ver- beobachtet. Zur Emulsionsspaltung müssen die
halten der Zellen im Lösemittel Wasser – ganz im Abstoßungskräfte zwischen der stabilisierten dis-
Gegensatz zu vielen klassischen, nicht mit Wasser persen Phase beispielsweise durch Zugabe von
mischbaren organischen Lösemitteln [55, 72]. Viele Demulgatoren verringert werden, sodass im Zen-
organische Substrate und Produkte lösen sich sehr trifugalfeld eine schnelle Phasentrennung ermög-
10 gut in diesen ionischen Flüssigkeiten, sodass Ver- licht werden kann.
teilungskoeffizienten Ki von über 100–1000 gemes- Die Zugabe von Demulgatoren ist nicht sinn-
sen werden [8]. Dies macht auch die Umsetzung voll, wenn die zweite disperse Phase wiederverwen-
von stark inhibierenden Substraten und Produk- det werden muss, wie es bei teuren Lösemitteln wie
ten im einfachen Satzverfahren möglich. Beispiels- hydrophoben ionischen Flüssigkeiten (IL) der Fall
weise können so mit einem Phasenanteil von 20 % ist. Diese ionischen Flüssigkeiten bilden, wenn sie
IL Ausbeuten und Raum-Zeit-Ausbeuten um mehr entsprechend biokompatibel sind, auch im Ganz-
als den Faktor 10 gegenüber dem rein wässrigen zellansatz in der Regel keine stabilen Emulsionen
Ansatz bei der asymmetrischen Synthese von (S)- aus. Bei ausreichend großer Dichtedifferenz zur
4-Chlor-3-hydroxybuttersäureethylester (S-CHBE) wässrigen Phase ist eine Phasenseparation damit
aus 4-Chlor-3-oxobuttersäureethylester (COBE) sowohl im Schwerefeld, als auch schneller im Zen-
mit rekombinanten Escherichia coli-Zellen im ein- trifugalfeld einfach möglich. Bei Ganzzellbio-
fachen Satzverfahren im Rührkesselreaktor gestei- transformationen bildet sich zwischen der schwe-
gert werden [72]. Wesentlicher Nachteil ionischer ren IL-Phase mit dem darin gelösten Produkt und
Flüssigkeiten ist der im Vergleich zu klassischen der leichteren Wasserphase eine wässrige Zwi-
organischen Lösemitteln um 1–2 Zehnerpotenzen schenphase mit den Ganzzellbiokatalysatoren aus
höhere Preis. (. Abb. 10.33). Die hohe thermische Stabilität dieser
hydrophoben ionischen Flüssigkeiten und deren
nicht messbarer Dampfdruck erlauben die rück-
Phasentrennung nach Abschluss der wirkungsfreie Verdampfung der extrahierten Pro-
biokatalytischen Umsetzung dukte, sodass die ionischen Flüssigkeiten einfach
Neben geeigneten Verteilungskoeffizienten bei flüs- wiederverwendet werden können. Dies wurde am
sig-flüssig-Phasensystemen oder geeigneten Sorp- Beispiel der asymmetrischen Synthese von (R)-2-
tionseigenschaften beim Einsatz von Adsorbern Octanol aus 2-Octanon mit Hilfe rekombinanter
im biokatalytischen Prozess, sowie ausreichender Escherichia coli-Ganzzellbiokatalysatoren gezeigt
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
441 10

. Abb. 10.33  Prinzipskizze zur Wiederverwendung hydrophober ionischer Flüssigkeiten bei Biotransformationen
am Beispiel der asymmetrischen Synthese von (R)-2-Octanol aus 2-Octanon mit Hilfe rekombinanter Escherichia coli
Ganzzellbiokatalysatoren (Details siehe [18])

[18]. Auch nach 25-fachen Einsatz von [HMPL] Blutdrucksenker (β-Blocker) verwendet [42]. Die
[NTF] konnten im einfachen Satzverfahren diesel- industrielle Herstellung von S-CHBE erfolgt über
ben Umsätze und Produktausbeuten von durch- die asymmetrische Reduktion der prochiralen
schnittlich 98,5 % bei einem gleichbleibendem Verbindung 4-Chlor-3-oxobuttersäureethylester
Enantiomerenüberschuss von über 99,5 % erzielt (COBE) mit Hilfe geeigneter Carbonylreduktasen.
werden (Verfahrensschema siehe . Abb. 10.33). Carbonylreduktasen ermöglichen die Herstellung
Im Folgenden werden stellvertretend zwei verschiedenster chiraler Intermediate, die zur Syn-
industrielle Prozessbeispiele zum Einsatz von Flüs- these von unterschiedlichen Pharmazeutika benö-
sig-Flüssig ( 7 Abschn. 10.5.2 ) und Flüssig-Fest tigt werden (neben Cholesterin- und Blutdrucksen-
Zweiphasensystemen (7 Abschn. 10.5.3) zur Prozess- kern auch Antidepressiva, β-Lactam-Antibiotika
intensivierung bei der Biokatalyse dargestellt. und weitere [42]).
Zur asymmetrischen Reduktion von COBE
eignet sich besonders eine Alkoholdehydrogenase
10.5.2 Asymmetrische Synthese aus dem Milchsäurebakterium Lactobacillus brevis
von (S)-4-Chlor-3- (LBADH) [45], da die Regeneration des Elektronen-
Hydroxybuttersäureethylester transportmetaboliten NADPH (Cofaktorregenerie-
(S-CHBE) rung) hier mit demselben Enzym durch Oxidation
von kostengünstigen Isopropanol (Cosubstrat) zu
Der enantiomerenreine chirale Alkohol (S)-4- Aceton möglich ist.
Chlor-3-hydroxybuttersäureethylester (S-CHBE) Um die Kosten für den Biokatalysator gering zu
wird als chiraler Baustein zur Synthese des Cho- halten, bietet sich die Verwendung von Ganzzellbio-
lesterinsenkers Atorvastatin und verschiedener katalysatoren (7 Abschn. 10.4) mit hoch exprimierter
442 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

. Abb. 10.34  Prinzipskizze zur asymmetrischen Ganzzellreduktion von 4-Chlor-3-oxobuttersäureethylester (COBE) mit Hilfe
einer in Escherichia coli exprimierten Alkoholdehydrogenase aus Lactobacillus brevis (LBADH) zur biokatalytischen Herstellung
des chiralen Alkohols (S)-4-Chlor-3-hydroxybuttersäureethylester (S-CHBE) mit Isopropanol als Cosubstrat zur Regenerierung
von NADPH. Als organische Phase wird n-Butylacetat verwendet

löslicher LBADH an. Dies ist mit Escherichia coli Ohne Filterhilfsmittel wird innerhalb von 24 h nur
10 einfach, schnell und kostengünstig möglich. ein Umsatz von knapp über 50 % erreicht. Das Fil-
Um die Hydrolyseinstabiltät des prochiralen terhilfsmittel stabilisiert den Ganzzellbiokataly-
Substrats COBE in wässriger Phase [20] auch im ein- sator während der Biotransformation und erhöht
fachen Satzverfahren überwinden zu können, ist die die Raum-Zeit-Ausbeute. Die Produktisolierung
Anwendung eines Zweiphasensystems erforderlich. ist denkbar einfach: Nach Zellabtrennung über
Hier hat sich ein flüssig-flüssig-Zweiphasensystem Filtration, Waschen der Zellen mit weiterem n-
mit n-Butylacetat als organische, nicht mit Wasser Butylacetat und direkter Destillation des erhalte-
mischbare Phase als besonders geeignet erwiesen. nen Filtrats lässt sich der chirale Alkohol in hoher
Das organische Lösemittel dient im Satzverfahren Reinheit gewinnen.
somit als Substratreservoir (und in-situ-Extraktions- Die wesentlichen Erfolgsfaktoren zur industriel-
mittel), sodass bei geeignetem Phasenverhältnis und len Realisierung asymmetrischer Synthesen mit Car-
Reduktionsaktivität die Verweilzeit von COBE in der bonylreduktasen sind [53]:
wässrigen Phase minimiert werden kann (Prinzip- 55 Verwendung von kostengünstigen Ganzzellbio-
skizze siehe . Abb. 10.34). katalysatoren mit Carbonylreduktasen, die ein
Bei 40 % organischer Phase (n-Butylacetat breites Substratspektrum besitzen
mit COBE) und 60 % Wasser/Isopropanol-Phase 55 hohe Enantioselektivität (ee >99 %)
(Puffer mit hohem Isopropanolanteil) lassen sich 55 hohe chemische Stabilität der Ganzzellbio-
selbst bei geringen Ganzzellbiokatalysatorkon- katalysatoren (50–80 % des Reaktorvolumens
zentrationen von 1 g L –1 Biotrockenmasse im stehen für Edukt, organisches Lösemittel und
einfachen Satzverfahren im Rührkesselreaktor Cosubstrat Isopropanol zur Verfügung)
innerhalb von 24 Stunden bei Raumtemperatur 55 hohe Edukt-/Produktanteile von bis zu 500 g L–1
Ausbeuten von >99 % bei einem Enantiomeren- bei Umsätzen von über 90 % innerhalb von 24
überschuss von ebenfalls >99 % des chiralen Pro- Stunden in einfachen Satzverfahren und damit
duktes S-CHBE herstellen, wenn das Filterhilfsmit- hohe Raum-Zeit-Ausbeuten im biokatalyti-
tel (20 g L–1 Diatomeenerde) von Anfang an zum schen Prozess und einfache Produktisolierung
Biotransformationsansatz hinzugegeben wird [54]. nach Zellabtrennung durch direkte Destillation
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
443 10
55 geringer Einsatz von kostengünstigen Ganzzell- MDPP wiederum wird durch Reduktion der prochi-
biokatalysatoren im einfachen Satzverfahren ralen Carbonylverbindung 3,4-Methylendioxypheny-
(Reduktion der Katalysatorkosten) laceton (MDPA) durch ganze Zellen der Hefe Zygo-
55 Verwendung von Isopropanol als kostengüns- saccharomyces rouxii (Z. rouxii) nebenproduktfrei
tigem Reduktionsmittel produziert [1] (. Abb. 10.35). Die Hefezellen besit-
55 Nutzung einfachster Standard-Rührkesselre- zen eine äußerst enantioselektive NADPH-abhängige
aktoren wie sie in der chemischen Produktion Alkoholdehydrogenase, welche die Reaktion kataly-
gebräuchlich sind (Umgebungsdruck, siert [38].
Umgebungstemperaturen, keine pH-Kontrolle) Eine besondere Schwierigkeit bei der Synthese
55 einfache Wiederverwendung des Ganzzellbio- von (S)-MDPP ist die Toxizität von Substrat und
katalysators nach Filtration/Sedimentation als Produkt. Obwohl sich Z. rouxii bei einem Vergleich
zusätzliche verfahrenstechnische Option, um verschiedener Mikroorganismen schon als sehr tole-
die Biokatalysatorkosten weiter zu reduzieren rant gegenüber diesen Stoffen erwiesen hat [77], liegt
55 Acetonstripping bei reduziertem Druck die maximal einsetzbare Substratkonzentration bei
während der biokatalytischen Umsetzung 6 g L–1. Bei höheren Konzentrationen scheint der
als weitere verfahrenstechnische Option, um Biokatalysator nicht mehr zur zellinternen Cofak-
gegebenenfalls das thermodynamische Gleich- torregenerierung fähig zu sein, die durch die Zugabe
gewicht zur Produktseite (chiraler Alkohol) zu von Glucose zum Biotransformationsansatz ange-
verschieben und damit den Umsatz zu erhöhen. regt wird. Während der toxische Effekt des Substrats
vergleichsweise einfach durch ein geeignetes Zudo-
sierungsprofil umgangen werden könnte, kann die
10.5.3 Asymmetrische Synthese von Toxizität des Produktes nur durch in-situ-Produkt-
(S)-(3,4-Methylendioxyphenyl)- entfernung vermieden werden.
2-Propanol Das Pharmaunternehmen Eli Lilly hat einen
Prozess entwickelt, bei dem das Adsorberharz
Talampanel ist eine pharmakologisch aktive Subs- XAD-7 als Substratreservoir und in-situ-Produk-
tanz aus der Familie der Benzodiazepine, die in ver- textraktionsmittel eingesetzt wird [69]. XAD-7 ist
schiedenen klinischen Studien als Wirkstoffkandi- ein Polymethacrylat-Granulat mit mittlerer Polari-
dat zur Behandlung von Epilepsie [44], bösartigen tät, das für MDPA und MDPP eine ähnliche Affini-
Hirntumoren [30] und Amyothropher Lateralskle- tät aufweist. Durch die Adsorption von 80 g Substrat
rose (ALS) [50] untersucht wurde. Talampanel kann pro Liter XAD-7 kann eine Substratkonzentration
in einer sechsstufigen chemischen Synthese aus (S)- von bis zu 40 g L–1 im gesamten Reaktionsvolumen
(3,4-Methylendioxyphenyl)-2-propanol ((S)-MDPP) erreicht werden, wobei sich maximal 2 g L–1 in der
hergestellt werden. Der chirale Synthesebaustein wässrigen Phase befinden.

. Abb. 10.35  Asymmetrische Synthese von (S)-3,4-Methylendioxyphenyl-2-propanol durch ganze Zellen von
Zygosaccharomyces rouxii (Z. rouxii) unter Zuhilfenahme des Adsorberharzes XAD-7. Das entstehende Produkt ist ein
Synthesebaustein bei der Herstellung von Talampanel [1]
444 K. Castiglione und D. Weuster-Botz

10

. Abb. 10.36  Prozesschema der asymmetrischen Synthese von (S)-3,4-Methylendioxyphenyl-2-propanol durch ganze Zellen
von Zygosaccharomyces rouxii (Z. rouxii) unter Zuhilfenahme des Adsorberharzes XAD-7 [69]

. Abb. 10.36 gibt einen schematischen Überblick Gründen als empfindlich gegenüber hohen Rührer-
über den Biotransformationsprozess. Die Z. rouxii- drehzahlen während der Biotransformation erwie-
Zellen, die zuvor in einem unabhängigen Satzver- sen haben, kann der Reaktionsansatz nur bei gerin-
fahren hergestellt wurden, werden für die Biotrans- gem Leistungseintrag homogenisiert werden. Die
formationen im 300-L-Satzverfahren eingesetzt. Als wahrscheinlichste Ursache für diese Sensitivität
Reaktor dient ein Filter/Trockner-System mit einem liegt darin, dass die Zellen durch den hohen Anteil
eingebauten Rührorgan, das normalerweise für die an suspendiertem Feststoff wie in einer Art Kugel-
Filtration und Trocknung kristalliner Materialien mühle aufgeschlossen werden. Es konnten jedoch
verwendet wird. Auf diese Weise können die Bio- nur sehr geringe Mengen an Zellbruchstücken detek-
transformation und die anschließende Produktauf- tiert werden, was zumindest gegen eine vollständige
arbeitung im gleichen Behälter durchgeführt werden. Desintegration der Zellen spricht [69]. Am Ende
Nach einer Reaktionszeit von 8–12 h bei 33–35 °C der Reaktion sind 85–90 % des Produkts an XAD-7
wird das Produkt mit einer Ausbeute von >99 % und adsorbiert, während die Gleichgewichtskonzentra-
einem Enantiomerenüberschuss von >99.9 % erhal- tion in der wässrigen Phase bei zusätzlichen 2–3 g L–1
ten. Da sich die Zellen aus nicht eindeutig geklärten liegt. Für die Produktisolation werden die Hefezellen
Kapitel 10 · Enzymatische Prozesse
445 10
zunächst durch Filtration unter leichtem Rühren [11] Cao L (2005) Introduction: Immobilized enzymes: Past,
present and prospects in carrier-bound immobilized
vom Adsorberharz getrennt. Da die Hefezellen mit
enzymes: Principles, application and design. Wiley-VCH,
einem Durchmesser von 5 µm um zwei Größenord- Weinheim
nungen kleiner sind als die sphärischen Adsorber­ [12] Cao L, van Langen LM, van Rantwijk F, Sheldon RA (2001)
harzpartikel, die einen mittleren Durchmesser von Cross-linked aggregates of penicillin acylase: Robust cata-
500 µm aufweisen, können sie sehr effektiv durch lysts for the synthesis of β-lactam antibiotics. J Mol Catal B
Enz 11:665–670
einen Edelstahlfilter mit einem Porendurchmesser
[13] Cao L, van Langen L, Sheldon RA (2003) Immobilised
von 150 µm abgetrennt werden. Die Desorption des enzymes: carrier-bound or carrier-free? Curr Opin Bio-
Produktes vom Adsorberharz erfolgt durch Waschen technol 43: 1019–1032
mit Aceton. Durch die zusätzliche Gewinnung des [14] Carman HF (1982) A trend projection of high fructose corn
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449 11

Mikrobielle Prozesse
Christoph Syldatk, Rudolf Hausmann und Horst Chmiel

11.1 Mikrobielle Produktionsprozesse – 450

11.2 Mikrobielle Stoffproduktion – 453


11.2.1 Biomasse – 453
11.2.2 Primärmetabolite – 455
11.2.3 Spezielle Produkte – 462
11.2.4 Rekombinante Proteine – 471
11.2.5 Ausblick – 476

11.3 Mikrobielle Abwasserreinigung – 478


11.3.1 Biologische Abwasserreinigung – 478

Literatur – 487

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_11
450 C. Syldatk et al.

Mikrobielle Prozesse spielen seit langer Zeit in vielen Bei den in der . Tab. 11.1 aufgeführten Massen-
Bereichen des täglichen Lebens eine wesentliche chemikalien hängt der Produktpreis insbesondere
Rolle. Sowohl im Bereich der Lebensmittelherstel- ab von
lung als auch in der Umwelttechnik werden biolo- 55 den Kosten für das verwendete Kulturmedium
gische Prozesse traditionell genutzt. Seit Mitte des und Substrat,
20. Jahrhunderts haben mikrobielle Verfahren eine 55 der maximal erreichbaren
Schlüsselstellung bei der Herstellung von pharma- Produktkonzentration,
zeutischen Produkten erlangt. 55 der maximal erreichbaren Produktausbeute,
55 der Zeit, in der die Produktbildung erfolgt (die
so genannte „Raum-Zeit-Ausbeute“),
11.1 Mikrobielle Produktionsprozesse 55 dem Vorliegen des Produktes in extrazellulärer
oder intrazellulärer Form, und
In der Stoffproduktion werden mikrobielle Verfah- 55 der Zahl und Art der Verfahrensschritte, die zu
ren bereits seit Anbeginn der Menschheit traditio- seiner Aufarbeitung notwendig sind.
nell bei der Produktion von Lebensmitteln (Brot,
Milchprodukten und Speiseessig), alkoholischen Zur Kultivierung der Mikroorganismen im indust-
Getränken (Wein und Bier) und Tierfutter (Silage) riellen Maßstab werden bevorzugt preiswerte Roh-
eingesetzt. In der Umwelttechnik werden diese zur stoffe und wenn möglich Reststoffe verwendet.
Behandlung von Abfällen (Vergärung und Biogas- Als gut verwertbare Kohlenstoffquellen werden
herstellung) und Behandlung von Abwasser (tradi- Glucose aus Stärkehydrolysaten, Saccharose und
tionelle Pflanzenkläranlage) verwendet. Stärke eingesetzt. Daneben finden Reststoffe wie
Mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn Glycerin, Zuckerrohr- oder Zuckerrübenmelassen
in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert Verwendung. Als Stickstoffquellen werden neben
wurden mikrobielle Prozesse zunehmend unter defi- den kostengünstigen Verbindungen Ammoniak,
11 nierten, reproduzierbaren und kontrollierten Bedin-
gungen durchgeführt, in den großen Maßstab über-
Nitrat und Harnstoff auch komplexe Substanzge-
mische wie Maisquellwasser oder Proteinhydro-
tragen und industriell genutzt. lysate verwendet. Diese Praxis steht im Gegensatz
Das heutige Anwendungsspektrum von mit bio- zu der in der Forschung üblichen Verwendung von
technischen Prozessen mikrobiell hergestellten Pro- Reinchemikalien.
dukten reicht derzeitig von der Verwendung als preis- Um Inhibierungen und „Overflow“-Stoffwechsel
werte Energieträger und Lösungsmittel (Bioethanol) durch zu hohe Substratkonzentrationen zu verhin-
über Grundchemikalien (Succinat), Haushaltsche- dern sowie um Sauerstofflimitierungen zu vermeiden
mikalien (Speiseessig, Zitronensäure), Feinchemika- und trotzdem hohe Zell- und Produktkonzentratio-
lien (chirale Verbindungen), Futtermittel (Phytasen, nen im Bioreaktor erreichen zu können, werden die
L-Aminosäuren), Lebensmittel (Backhefe, L-Gluta- Substrate häufig während der Kultivierung zugefüt-
mat) bis hin zu Aromastoffen, Vitaminen (Ribofla- tert („feed-batch“- oder „fed-batch“- Verfahren). Oft
vin, Vitamin B12), Antibiotika (Penicillin) und bio- ist es notwendig, für ein optimales Wachstum der
pharmazeutischen Peptiden und Proteinen (Insulin, Mikroorganismen noch vitamin- und aminosäure-
menschlicher Wachstumsfaktor). Die wichtigsten haltige Mediumskomponenten wie z. B. Hefeextrakt
derzeit in einer Menge über 1000 t jährlich mikrobi- zuzusetzen. Bei der Herstellung spezieller Produkte
ell hergestellten Produkte sind in . Tab. 11.1 klassi- wie z. B. Antibiotika werden zusätzlich oft gezielt
fiziert nach ihrer geschätzten Weltjahresproduktion chemisch hergestellte Vorstufen („Precursor“) zum
aufgeführt. [36] Medium dazugegeben.
Die Weltmarktpreise für mikrobiell herge- Die klassischen und bereits schon zum Ende des
stellte Produkte variieren dabei stark in Abhän- 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierten
gigkeit der jeweiligen Anwendung und des Herstellungsverfahren (Backhefe, Bioethanol, Essig-
Herstellungsverfahrens. säure, Zitronensäure) wurden anfangs noch nicht als
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
451 11

. Tab. 11.1  Weltjahresproduktion wichtiger mikrobiell in Mengen über 1000 t/a hergestellter Produkte
[Quellenangaben im Text bzw. nach nach Straathof (2014)]

Produkt Weltjahresproduktion Anwendungsbereich


(geschätzte Menge)

Bioethanol 100 Mio. t Kraftstoff, Lösungsmittel, chemische Industrie


Futterhefe 3 Mio. t Futtermittel
Backhefe 2 Mio. t Lebensmittel
L-Glutamat 2,5 Mio. t Lebensmittel, chemische Industrie
Zitronensäure 1,7 Mio. t Lebensmittel, Waschmittel
L-Lysin 1,4 Mio. t Lebensmittel, Futtermittel, chemische
Industrie
n-Butanol 500.000 t Lösungsmittel, chemische Industrie
Milchsäure 370.000 t Lebensmittel, Leder- und Textilindustrie
Polyhydroxybuttersäure (PHB) 300.000 t chemische Industrie
L-Threonin 230.000 t Futtermittel
Essigsäure 190.000 t Lebensmittel, Reinigungsmittel
Aceton 150.000 t Lösungsmittel, chemische Industrie
1,2-Propandiol 150.000 t chemische Industrie
Gluconsäure 100.000 t Lebensmittel, Textil-, Metall- und Bauindustrie
Waschmittelenzyme 100.000 t Waschmittel
Ascorbinsäure (Vitamin C) 100.000 t Lebensmittel, Pharma
Itaconsäure 80.000 t Kunststoff- und Klebstoffherstellung,
Papierindustrie
β-Lactam-Antibiotika 75.000 t Pharma
Bernsteinsäure 50.000 t chemische Industrie
Xanthan 50.000 t Lebensmittel
1,3-Propandiol 45.000 t chemische Industrie
Vitamin B2 (Riboflavin) 30.000 t Lebensmittel
1,4-Butandiol 20.000 t chemische Industrie
L-Asparaginsäure 15.000 t Lebensmittel (Aspartam), chemische
Industrie
L-Phenylalanin 15.000 t Lebensmittel (Aspartam), Pharma
Erythritol 10.000 t Zuckerersatz und Kosmetik
Antibiotika (Spezialitäten) 5000 t Pharma
L-Tryptophan 4500 t Futtermittel, Lebensmittel, Pharma
Antibiotika (Tetracycline) 4500 t Pharma
L-Arginin 3000 t Pharma
L-Valin 1100 t chemische Industrie
452 C. Syldatk et al.

Reinkulturen und ohne entsprechende Steriltechnik anschließend eine meist aufwändige Reinigung zum
durchgeführt. Dieses änderte sich erst ab Mitte der Entfernen von Zelltrümmern und anderen Zellbe-
1940er Jahre mit der Etablierung industrieller Ver- standteilen erforderlich ist (siehe 7 Abschn. 9.2).
fahren zur Herstellung von Antibiotika. Für diese Die Entwicklung immer besserer Produktions-
Verfahren waren hygienische Bedingungen und der und Hochleistungsstämme, die heutzutage gezielt
Ausschluss von unerwünschten Fremdkeimen unbe- mit gentechnischen Methoden durchgeführt wird,
dingt erforderlich, womit die Entwicklung der ent- erfolgte bis in die 1980er Jahre hinein noch mit tra-
sprechenden und heute für alle industriellen Ver- ditionellen Methoden („Mutation“ durch UV-Licht
fahren im großen Maßstab bis zu mehreren 100 m3 oder Chemikalien und anschließende „Selektion“
Volumen üblichen Steriltechnik begann. von Mutanten mit verbesserten Eigenschaften).
In den 1960er-Jahren kamen vor allem durch Die heute mikrobiell hergestellten Produkte
japanische Arbeiten mit der erstmaligen Herstellung lassen sich dabei in mehrere Gruppen einteilen, wie
von Aminosäuren für den Lebensmittel- (L-Gluta- . Tab. 11.2 zeigt.
mat), Futtermittel- (L-Lysin) und Pharmabereich Eine wichtige Produktgruppe ist dabei mikrobi-
(L-Tryptophan) sowie von verschiedenen Vitami- elle Biomasse, wobei damit sowohl lebende Zellen
nen neue wichtige Stoffklassen dazu. Durch gezielte (Backhefe, Starterkulturen für die Milch- und
Beeinflussung der hierzu verwendeten Mikroorga- Fleischverarbeitung) als auch abgetötete Biomasse
nismen gelang die Überproduktion und Sekretion (Futterhefe) gemeint sein kann. Die so genannten
von intrazellulär und nur in niedrigen Konzentra- klassischen mikrobiellen Produkte wie Bioethanol,
tionen vorliegenden Primärmetaboliten als Produkte Milchsäure und Essigsäure, aber auch Gluconsäure,
in das Medium, was ein entscheidender Fortschritt Aceton und Butanol sind Primärmetabolite und
für die Produktaufarbeitung war. Für die anschlie- Endprodukte des Energiestoffwechsels der jeweili-
ßende Produktisolierung und Aufarbeitung ist es gen Mikroorganismen. Sie werden von diesen meist
von großer Bedeutung, ob ein mikrobielles Produkt zur Entgiftung in das Medium ausgeschieden und
11 extra- oder intrazellulär vorliegt: Bei einem extrazel-
lulär vorliegenden Produkt kann dieses nämlich nach
liegen also bereits natürlicherweise extrazellulär vor.
Ebenso liegen auch viele technische Enzyme, die z.
zuvor erfolgter Abtrennung der Zellen durch Zen- B. in Waschmitteln verwendet werden wie Amyla-
trifugations- oder Filtrationsverfahren meist bereits sen, Cellulasen, Proteasen und Lipasen, extrazellu-
in wenigen Schritten durch Fällung oder Extrak- lär vor, da sie von den jeweiligen Mikroorganismen
tion aus dem zellfreien Kulturüberstand isoliert und als sogenannte „Exoenzyme“ ausgeschieden werden,
weiter aufgereinigt werden, während bei intrazellu- um damit komplexe und ungelöst vorliegende Subs-
lär vorliegenden Produkten ein Zellaufschluss und trate zunächst außerhalb der Zelle zu hydrolysieren

. Tab. 11.2  Die Klassifizierung mikrobiell durch Fermentation hergestellter Produkte

Produktgruppe Beispiele

Rekombinante Peptide und Proteine Humaninsulin, Interferon


Technische Enzyme Waschmittelenzyme
Primärmetabolite (als Intermediär-Produkte des Vitamin B12, Vitamin B2, Aminosäuren, Zitronensäure,
Stoffwechsels) Itaconsäure
Primärmetabolite (als Endprodukte des Stoffwechsels) Bioethanol, Milchsäure, Essigsäure, Gluconsäure
Spezielle Produkte Speicherstoffe (Dextran), Exopolysaccharide (Xanthan),
Biotenside (Rhamnolipide), Farbstoffe (Carotinoide),
Aromastoffe (2-Phenylethanol), Sekundärmetaboliten, (β-
Lactamantibiotika)
Mikrobielle Biomasse Backhefe, Futterhefe, Starterkulturen
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
453 11
und vorzuverdauen. Intermediärprodukte sind Zwi- aus dem Zellaufschluss abtrennen und hochrein dar-
schenprodukte des Stoffwechsels. Diese liegen in der stellen zu können.
Regel intrazellulär und nur in niedrigen Konzentra- Bezüglich der Mechanismen zur Bildung mik-
tionen vor (z. B. Metaboliten des Citratzyklus, Ami- robieller Produkte erkannte Gaden [12] Gesetzmä-
nosäuren, Vitamine). Zu ihrer Überproduktion ist es ßigkeiten und formulierte aus der Beobachtung der
notwendig, entsprechende Hochleistungsstämme zu klassischen mikrobiellen Produktionsverfahren drei
verwenden, deren Stoffwechsel gezielt zuvor beein- grundsätzliche Fermentationstypen, die heute immer
flusst wurde. Als spezielle Produkte werden tradi- noch weitgehend Geltung haben und für die jeweilige
tionell solche Verbindungen bezeichnet, die nur bei Prozessführung von Bedeutung sind.
bestimmten Mikroorganismen vorkommen und Man unterscheidet demnach folgende mikrobi-
häufig auch nur unter speziellen Kultivierungs- elle Produktbildungstypen: Typ I, bei dem sich das
bedingungen gebildet werden. Dazu gehören z. B. Produkt direkt aus dem Primär- und Energiestoff-
mikrobiell hergestellte Exopolysaccharide wie etwa wechsel ableitet und bei dem Substratverbrauchs-,
das Xanthan, das von den produzierenden Mikro- Wachstums- und Produktbildungsrate prak-
organismen ausgeschieden wird, um sich vor pH-, tisch parallel zueinander verlaufen und ein direk-
Salz- oder Temperaturstress zu schützen, oder die ter stöchiometrischer Zusammenhang zwischen
mikrobiellen Biotenside, die von bestimmten Mik- dem Substratverbrauch und der Produktbildung
roorganismen gebildet werden, um wasserunlösliche besteht, Typ II, bei dem sich das Produkt zwar auch
Substrate zu emulgieren und diese so leichter in die aus dem Primärstoffwechsel ableitet, die biochemi-
Zelle aufnehmen zu können. Die meisten Antibio- sche Bildung jedoch über Seiten- bzw. Nebenwege
tika liegen ebenfalls extrazellulär vor, hier ist jedoch des Stoffwechsels erfolgt, was dazu führt, dass in ver-
unklar, ob der Grund dafür z. B. in einer Entgiftung schiedenen Zeitphasen des Prozesses unterschied-
für den jeweiligen Produzentenstamm oder in einer liche Maxima für Substratverbrauchs-, Wachstums-
Abwehr von Nahrungskonkurrenten liegt. Ist keine und Produktbildungsrate zu beobachten sind. Bei
direkte Funktion für den betreffenden Produzenten- Typ III schließlich sind Wachstum und Primärstoff-
stamm erkennbar, wie bei bestimmten Antibiotika wechsel zeitlich eindeutig von der Produktbildung
oder Alkaloiden, spricht man häufig von sekundä- entkoppelt.
ren Stoffwechselprodukten. Als Beispiele für int-
razellulär vorliegende spezielle Produkte können
mikrobielle Speicherstoffe wie die Polyhydroxybut- 11.2 Mikrobielle Stoffproduktion
tersäure oder die so genannten Single cell oils genannt
werden, intrazellulär gebildete Triglyceride, die bei Exemplarisch werden in den folgenden Abschnitten
bestimmten Hefen und Pilzen unter Stickstofflimi- an Beispielen industrielle Verfahren zur mikrobiel-
tierung gebildet werden. Die in . Tab. 11.2 genannten len Stoffproduktion vorgestellt.
rekombinanten heterologen Produkte liegen in der
Regel ebenfalls intrazellulär, häufig sogar in unlösli-
cher Form als so genannte Inclusion Bodies vor. Auch 11.2.1 Biomasse
hier sind zur Isolierung zunächst ein Zellaufschluss
und je nach gewünschter Produktreinheit eine Reihe Mikrobielle Biomasse wird für eine Vielzahl von
von mehr oder weniger aufwendigen Aufreinigungs- Anwendungen im Pharma-, Lebensmittel- und Fut-
schritten erforderlich, die in die späteren Produkt- termittelbereich sowie in der Umwelttechnik und
kosten eingehen. Angestrebt wird heute daher die Landwirtschaft produziert. Dieses reicht von speziel-
Entwicklung von Produktionsstämmen und -verfah- len Kulturen für die Regenerierung der Darmflora
ren, die eine Sekretion der rekombinanten Produkte nach einer Antibiotikabehandlung über die Herstel-
in das umgebende Medium erlauben bzw. mit der lung von Backhefe, Hefen für die Bier- und Weinher-
Modifizierung der rekombinanten Produkte durch stellung, Starterkulturen für die Käse-, Jogurt- und
hochspezifische „Tags“ am C- oder N-Terminus der Kefirproduktion, für die Fleischverarbeitung bis
betreffenden Peptide und Proteine, um diese einfach hin zur Herstellung von Bioinsektiziden (Bacillus
454 C. Syldatk et al.

5RKPDWHULDOLHQ

$QVHW]HQXQG0LVFKHQ
GHU.XOWXUPHGLHQ S+.RUUHNWXUPLWWHO 1lKUVWRII]XGRVDJH

,PSINXOWXU %HOIWXQJ
)HVWVWRIIDEWUHQQXQJ

8OWUDNXU]]HLWVWHULOLVDWLRQ )HUPHQWDWLRQ

.KOHQXQG.DOWODJHUXQJ
GHU.XOWXUEUKH

$VHSWLVFKH=HQWULIXJDWLRQRGHU
8OWUDILOWUDWLRQGHU.XOWXUEUKH

6WDQGDUGLVLHUXQJGHU%LRPDVVH

*HIULHUWURFNQXQJXQG 6SUKWURFNQXQJXQG (LQIULHUHQXQG


11 JHNKOWH/DJHUXQJ
GHU%LRPDVVH 3XOYHU
JHNKOWH/DJHUXQJ
GHU%LRPDVVH 3XOYHU
7LHIWHPSHUDWXUODJHUXQJ
GHU%LRPDVVH 3DVWH

. Abb. 11.1  Schematischer Ablauf der Produktion von Starterkulturen

thuringiensis) und Starterkulturen für Kompost- und die möglichst schnelle Bereitstellung hoher Biomas-
Silageherstellung, um nur einige Beispiele zu nennen. sekonzentrationen in gleichbleibender Qualität. Als
Mit großem Abstand Hauptprodukt ist weltweit die Stammkulturen werden dafür in der Regel als Lebens-
Produktion der Backhefe Saccharomyces cerevisiae mittel und Futtermittel zugelassene „GRAS“-Mikro-
in unterschiedlichen Varianten mit geschätzten organismen verwendet (= Generally regarded as safe),
1,8 Mio. t/a. Während für die genannten Anwendun- von denen keinerlei schädliche Effekte auf Mensch,
gen lebende und aktive mikrobielle Kulturen erfor- Tiere und Pflanzen bekannt sind und die keine toxi-
derlich sind, wird abgetötete bzw. pasteurisierte und schen oder unerwünschten Nebenprodukte bilden
ggf. getrocknete Biomasse häufig als vitaminreiches sollten. Sie sollten weiterhin tolerant gegen pH-
Lebens- und Futtermittel oder nach Aufschluss der und Temperaturschwankungen sein, nicht lysieren
Mikroorganismen als komplexe vitamin- und ami- und während der Kultivierung möglichst nicht zur
nosäurereiche Mediumskomponente angeboten Schaumbildung neigen, so dass auf die Zugabe von
(Hefeextrakt, Bacto-Pepton). Antischaummitteln weitgehend verzichtet werden
Die Herstellung von mikrobieller Biomasse kann. Für ihre Kultivierung werden Minimal- oder
erfolgt in der Regel unter aeroben Bedingungen in Komplexmedien mit definierter Zusammenset-
Bioreaktoren bis zu 500 m3 Volumen. Zielsetzung ist zung meist mit Kohlenhydraten wie Glucose oder
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
455 11
Saccharose als C-Quelle verwendet. Diese müssen im Bioethanol
Lebensmittelbereich jedoch für die spätere Verwen- Hans-Jörg Menger
dung der mikrobiellen Kulturen ebenfalls bestimm-
ten Anforderungen genügen und sind daher häufig Die mikrobielle Herstellung von Ethanol (Bioetha-
zertifiziert (z. B. für Starterkulturen zur Milch- und nol) hat in den letzten Jahren eine große Bedeutung
Fleischverarbeitung). Um in kurzer Zeit hohe Zell- als Kraftstoffkomponente durch die Erneuerbare-
konzentrationen erreichen zu können und gleichzei- Energien-Richtlinie der EU gewonnen, wodurch die
tig Wachstumsinhibierungen durch zu hohe Subst- Mineralölindustrie verpflichtet ist, einen festen und
ratkonzentrationen oder Sauerstofflimitierungen zu anwachsenden Mindestanteil von Biokraftstoffen in
vermeiden, wird die C-Quelle während der Kultivie- den Verkehr zu bringen.
rung häufig im „fed-batch“-Verfahren zugefüttert. In 2014 war in Europa eine Produktionskapazität
Nach Erreichen der maximalen Zellkonzentration für Bioethanol von ~ 3.600.000 t installiert, davon ca.
werden die Kulturen dann meist in der Übergangs- 20 % in Deutschland. Mehr als 98 % der installier-
phase des Wachstums beendet und die Zellmassen, ten europäischen Kapazität sind Anlagen, die sich
ggf. nach Kühlen und Zwischenlagern, entsprechend der Technologie der sogenannten ersten Genera-
weiter aufgearbeitet. Je nach Eigenschaften der ver- tion bedienen, also der Verarbeitung von raffinier-
wendeten Mikroorganismen können diese unter ten Zucker und zuckerhaltigen Rohstoffen.
Erhalt der Lebensfähigkeit und Aktivität durch Zen- Als Rohstoffe wurden 2014 in diesen Bioraf-
trifugation oder Filtration abgetrennt und nach Ein- finerien Mais (42 %), Weizen (33 %), Zuckerrü-
dickung gekühlt gelagert werden (Backhefe). Es ben (18 %) und weitere Getreidearten wie Gerste,
kann eine schonende Trocknung erfolgen oder eine Roggen, Triticale (7 %) verarbeitet. Dies entspricht
Gefriertrocknung durchgeführt werden (bei vielen ca. 2 % des europäischen Getreideanbaues und 8 %
Milchsäurebakterien). . Abb. 11.1 zeigt den schema- der Zuckerproduktion.
tischen Ablauf der Produktion von Starterkulturen. Ein wichtiger ökonomischer Bestandteil dieser
Bioethanol-Anlagen, ist die Ausnutzung aller entste-
henden Prozessströme (s. . Abb. 11.2). Die Anlagen
11.2.2 Primärmetabolite sind daher als Bioraffinerien zu verstehen, welche
neben Bioethanol große Mengen an Lebens- und
Primärmetabolite sind niedermolekulare Substan- Futtermitteln wie Kleie, Gluten, Trockenschlempe
zen, die für die Produktionsorganismen als Zwi- (Distillers Dried Grains with Solubles = DDGS) und
schen- oder Endprodukt des Metabolismus eine CO2 produzieren. Im Prinzip findet hier eine Ver-
wichtige Rolle spielen. Während Endprodukte wie edlung von minderwertigen Getreideprodukten in
Ethanol, Milchsäure und Essigsäure natürlicherweise hochwertige Lebens- und Futtermittel statt.
bereits extrazellulär in ausreichenden Konzentratio- Die viel diskutierte zweite Generation von Bio-
nen vorliegen ist das bei Intermediärprodukten wie ethanol aus Lignocellulose-haltiger Biomasse oder
Bernsteinsäure, Zitronensäure und den proteinoge- weiterführend die Technologie der dritten und
nen L-Aminosäuren nicht der Fall. Normalerweise vierten Generation ist aktuell in nur wenigen groß-
liegen diese intrazellulär und in geringen Konzentra- technischen Produktionsanlagen vertreten. Haupt-
tionen vor. Deren Überproduktion erfordert die Ver- gründe hierfür sind noch zu hohe Produktionskosten
wendung ausgewählter Mikroorganismen. Aufgrund und die Sicherstellung einer kontinuierlichen Versor-
der in der Regel geringen Wertschöpfung dieser Pro- gung mit den nötigen Rohstoffen.
dukte ist bei den Produktionsverfahren auf kosten- Die aktuelle Herstellung von Bioethanol mit Sac-
günstige Substrate wie Glucose und Stärke sowie charomyces cerevisiae (Backhefe) auf Basis von Stärke
preiswerte Reststoffe (Melasse, Maisquellwasser, etc.) ist in . Abb. 11.2 dargestellt. Sie beginnt mit dem
zurückzugreifen. Außerdem sind die Aufarbeitungs- Mahlen des Getreides. Die mechanische Zerkleine-
kosten niedrig zu halten. rung der Getreidekörner dient zur Herauslösung des
456 C. Syldatk et al.

=XFNHU
ELRJHQHV 'HVWLOODWLRQ
VLUXSH
&2 5HNWLILNDWLRQ
9HUPDKOXQJ 9HU]XFNHUXQJ
)HUPHQWDWLRQ
'HK\GUDWDWLRQ
 :DVVHU  +HIH 0DLVFKH (QWZlVVHUXQJ
*HWUHLGH  (Q]\PH

 9RO
%LRHWKDQRO

7URFNQXQJ 3HOOHWLHUXQJ
:HL]HQVFKURW
=XFNHU
''*6 +HIH
%LRHWKDQRO
&2
(LQGLFNXQJ

)OVVLJVFKOHPSH

. Abb. 11.2  Schematische Darstellung der Herstellung von Bioethanol und von DDGS aus Getreide und Zuckersirupen

Stärkeanteils und stellt somit den ersten Prozess- als Gärungsumsetzer, sondern reichert auch den
schritt da. Einerseits kommt hier die Vermahlung Proteingehalt dieses Produktstromes an, was für die
mit klassischen Hammermühlen zur Anwendung, erzeugten Futtermittel sehr wertgebend ist.
11 bei denen das zermahlene Korn mit all seinen
Bestandteilen eingemischt wird. Der Einsatz erfolgt
Die Reingewinnung des Ethanols aus der wäss-
rigen Fermentationsbrühe erfolgt durch Destillation
in Anlagen, die nach der Destillation die nicht fer- über mehrere Prozesskolonnen bis zur gewünsch-
mentierbaren Inhaltsstoffe entweder trocknen und ten Produktqualität. Die erforderliche Trocknung des
als DDGS und/oder als flüssiges Futtermittel auf Ethanols wird mittels Molekularsieb-Dehydrierung
den Markt bringen. Alternativ wird die aus der Mül- durchgeführt. Das Endprodukt erreicht eine Reinheit
lereitechnologie bekannte Technik der Vermahlung von bis zu 99,95 % w/w.
mit Walzenmühlen eingesetzt. Diese Vermahlung Die verbleibende Schlempe wird zwecks Ener-
erlaubt ein Abtrennen von Spelzen/Schalenteilen, gierückgewinnung teilweise im Prozess rezykliert,
welche separat verkauft werden können. Die Tech- der Rest wird in der Eindampfung aufkonzentriert.
nologie wird meist in Anlagen eingesetzt, welche Feste Rückstände aus der Getreidealkoholerzeugung
eine Stärkemilch für die Fermentation produzieren, werden zu Trockenschlempe (DDGS) verarbeitet, die
sowie Gluten, das in den Lebens- oder Futtermittel- als Tierfutter Verwendung findet. Die konzentrierte
markt geht. Melasse aus der Zuckerverarbeitung wird eben-
In dem nächsten Prozessschritt, der nahezu falls als Tierfutterzusatz eingesetzt oder als Dünger
anaeroben Fermentation, die auch in nicht sterilen ausgebracht.
Medien erfolgen kann, wird die zuvor enzymatisch Da es sich bei der Herstellung von Bioethanol,
zu Glucose verzuckerte Stärke durch Hefe in Ethanol, Futter- und Lebensmittel in einer Bioraffinerie um
CO2 und Wärme umgewandelt. Man unterschei- einen sehr energieintensiven Prozess handelt, ist es
det in der Praxis die klassische batch-Fermentation für die Ökonomie eines Werkes unabdingbar, dass
und die kontinuierliche Fermentationstechnologie. die energetische Integration und die Maßnahmen zur
Je nach anfänglicher Zuckerkonzentration können Energierückgewinnung auf einem maximal mögli-
Titer bis zu 15 % Ethanol erreicht werden. Die Hefe chen Niveau sind um hier Ressourcen schonend zu
erfüllt in diesem Prozessschritt nicht nur die Aufgabe produzieren. [31]
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
457 11
Organische Säuren Kulturmedien. Als preiswerte Substrate werden hier
Jochen Büchs und Dirk Kreyenschulte vor allem Abfallsubstrate wie Stärkehydrolysate, Sac-
charose sowie Zuckerrüben- und Zuckerrohrmelasse
Organische Säuren gehören zu den klassischen mik- verwendet.
robiellen Produkten. Sie haben bereits seit langem in Die Produktion der organischen Säuren leitet
verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens eine sich direkt aus dem mikrobiellen Primärstoffwech-
wichtige Bedeutung, insbesondere in Lebensmit- sel ab und zwar in der Regel entweder aus der Glyko-
teln und Haushaltsprodukten. Zu den biotechnolo- lyse oder dem Citratzyklus. In der Regel werden die
gisch hergestellten organischen Säuren gehören Zit- organischen Säuren in das Medium ausgeschieden
ronensäure, Milchsäure, Gluconsäure, Itaconsäure und liegen extrazellulär vor. Während die Milchsäure
und Bernsteinsäure sowie Essigsäure, die in diesem ein Endprodukt ist, das als Resultat einer Gärung
Buch an anderer Stelle behandelt ist. Das mit Abstand mit verschiedenen Lactobacillus species durch die
wichtigste Produkt mit einer geschätzten Weltjahres- Reduktion von Pyruvat am Ende der Glykolyse ent-
produktion von 1,7 Millionen Tonnen ist dabei die steht, ist im Gegensatz dazu die Gluconsäure ein
Zitronensäure, die hauptsächlich als Säuerungsmit- Endprodukt einer unvollständigen Oxidation von
tel in der Lebensmittelherstellung und als Komplex- Glucose.
bildner in Waschmitteln eingesetzt wird. Zitronensäure als Intermediärprodukt liegt nor-
Die traditionelle Verwendung mikrobiell herge- malerweise intrazellulär und nur in geringen Kon-
stellter organischer Säuren liegt im Lebensmittelbe- zentrationen vor, kann aber durch Wahl geeigneter
reich. Diese Produkte haben seit längerem zuneh- Prozessbedingungen mit verschiedenen Aspergillus
mend eine wichtige Bedeutung als Bestandteile species und Hefe-Stämmen unter aeroben Bedin-
von Waschmitteln, Reinigungsmitteln, in der Bau- gungen überproduziert und in das Kulturmedium
industrie oder sogar als umweltfreundliches Streu- sekretiert werden. Itaconsäure entsteht als ein
salz gewonnen. Itaconsäure wird ausschließlich in Nebenprodukt des Citratzyklus. Bei der Herstellung
der Kunststoff-, Papier- und Klebstoffindustrie ver- beider Verbindungen spielen anaplerotische Reak-
wendet. Inzwischen hat auch die chemische Industrie tionen eine wichtige Rolle. Bernsteinsäure als weite-
mikrobiell hergestellte organische Säuren als mög- rer Metabolit des Citratzyklus schließlich wird mit
liche alternative Ausgangsmaterialien zur Synthese einem rekombinanten Escherichia coli- bzw. einem
von Plattformchemikalien und Polymeren iden- mit gentechnisch bearbeiteten Saccharomyces cere-
tifiziert. Die Europäische Union zählt diese neben visiae-Stamm in speziellen Verfahren ebenfalls unter
anderen Verbindungen zu den wichtigsten 13 Platt- Nutzung der anaplerotischen Reaktionsequenzen
formchemikalien, die zukünftig auf Basis nachwach- unter anaeroben Bedingungen produziert [4].
sender Rohstoffe hergestellt werden können. Bei- Als Beispiel einer mit Pilzen hergestellten orga-
spielhaft dafür ist die Etablierung neuer Verfahrens nischen Säure wird die Herstellung der Itaconsäure
zur Herstellung von Bernsteinsäure. hier detailliert beschrieben. Die Itaconsäure oder
Die Verfahren zur industriellen Produktion orga- Methylenbernsteinsäure ist eine ungesättigte C5-
nischer Säuren im großen Maßstab wurden überwie- Säure mit konjugierten Doppelbindungen und zwei
gend erst im 20. Jahrhundert erarbeitet und standen Carboxylgruppen. Die Itaconsäure wurde erstma-
bzw. stehen dabei zum Teil immer noch in Konkur- lig 1836 als thermisches Zerfallsprodukt der Zit-
renz zur chemischen Herstellung dieser Verbin- ronensäure bei trockener Destillation beschrieben
dungen auf Erdölbasis wie z. B. Bernsteinsäure. Der (BAUP). Als Nebenprodukt des Citratzyklus wurde
Vorteil der biotechnologischen Produktion besteht sie erstmals 1931 als Stoffwechselprodukt von Asper-
jedoch zunehmend in der Unabhängigkeit von gillus itaconicus nachgewiesen. In den Jahren 1939
Erdölprodukten. bis 1946 wurde gezeigt, dass auch einige Stämme von
Entscheidend für die Herstellungskosten sind Aspergillus terreus Itaconsäure ausscheiden. Che-
dabei neben den jeweiligen erreichbaren Endpro- misch eng mit Methacrylsäure verwandt findet die
duktkonzentrationen und den Raum-Zeit-Aus- Itaconsäure vielfältige Anwendungsmöglichkeiten,
beuten vor allem die Kosten für die verwendeten etwa in Harzen, Fasern, Kunststoffen und Tensiden.
458 C. Syldatk et al.

Hauptanwendungsgebiet ist derzeit die Produktion Optimal für die Itaconsäurefermentation sind
von Styrol-Butadien-Kautschuk. Die Produktion von hohe Glucosekonzentrationen zwischen 120 und
Itaconsäure ist seit 2000 von 15.000 auf ca. 40.000 180 g/L. Ähnlich der Zitronensäureproduktion
Tonnen pro Jahr in 2011 gestiegen, wobei der Preis führen bereits kurze Phasen unzureichender Sauer-
von ca. 3,8 €/kg auf 1,6–1,8 €/kg gesunken ist. stoffversorgung dazu, dass keine Itaconsäure mehr
Die Biosynthese der Itaconsäure ist sehr ähnlich produziert wird. Nach dem Auskeimen der Sporen
der Zitronensäure und erfolgt zunächst über Glyko- und einer Ansäuerung des Mediums auf pH-Werte
lyse und den Tricarbonsäurezyklus. Ein spezielles von ca. 2 wird Itaconsäure gebildet. 180 g/L Glucose
Enzym, die cis-Aconitsäure-Decarboxylase, ist für werden innerhalb von 7 Tagen zu ca. 86 g/L Itacon-
die Decarboxylierung der cis-Aconitsäure verant- säure umgesetzt. Eine anfängliche Phase mit gerin-
wortlich. Dieses Enzym ist im Zytoplasma lokalisiert. gem pH wird dabei benötigt, um das zur Itaconsäu-
Als Vorstufe von Itaconsäure wird cis-Aconitsäure reproduktion benötigte Enzymsystem zu bilden.
durch den putativen mitochondrialen Transporter Im weiteren Verlauf der Kultivierung kann der pH
MttA aus den Mitochondrien in das Zytoplasma jedoch ohne negative Effekte auf höhere Werte ein-
transportiert. Als unerwünschtes Nebenprodukt gestellt werden. Diese Strategie wurde 1962 durch
kann bei geringen pH-Werten neben Bernsteinsäure Pfizer in einem Prozess umgesetzt, in dem der pH
Itaweinsäure gebildet werden. Durch Calciumzugabe nach 24 Stunden durch die Zugabe von Calcium-
kann die dafür verantwortliche Itaconsäureoxidase carbonat von 3,1 auf 3,8 erhöht wurde. Im Jahr
jedoch gehemmt werden. 2014 konnte durch diesen pH-Shift in einem opti-
In den modernen Produktionsverfahren werden mierten Medium eine maximale Produktkonzentra-
heute ausschließlich Aspergillus terreus-Stämme ver- tion von 146 g/L erreicht werden, wobei zusätzliche
wendet, die sich von einem einzigen Stamm ablei- Glucose zugefüttert wurde.
ten, der bereits 1939 in einer gezielten Suche isoliert Die Aufarbeitung der Itaconsäure besteht aus
wurde. Nach anfänglicher Herstellung im Oberflä- fünf Schritten. Die Kultur wird zunächst filtriert, um
11 chenverfahren war ein entscheidender Schritt zur
industriellen Herstellung von Itaconsäure die Ent-
das Pilzmycel zu entfernen. Anschließend wird das
Filtrat durch Verdampfen auf etwa 350 g/L Itacon-
wicklung eines Submersverfahrens mit frei suspen- säure aufkonzentriert. Aus diesem Konzentrat wird
dierter Biomasse. In dieser Verfahrensweise wird seit die Itaconsäure durch Kristallisation bei 15 °C gewon-
1955 Itaconsäure industriell mit Aspergillus terreus- nen. Der nach der ersten Kristallisation verbleibende
Stämmen in 100 m3-Bioreaktoren hergestellt. Die Überstand wird ein weiteres Mal eingedampft und
Produktionsverfahren zur Herstellung von Itacon- kristallisiert, um die Ausbeute zu erhöhen. Diese
säure arbeiten wie bei der Herstellung von Zitronen- Kristalle können anschließend wieder gelöst und
säure mit Komplexmedien und kohlenhydrathaltigen durch Behandlung mit Aktivkohle entfärbt werden.
Substraten. Auch hier werden verschiedene Aus- Nach Rekristallisierung aus dem wiederum konzen-
gangsmaterialien wie Stärkehydrolysate, Saccharose trierten Überstand wird die Itaconsäure getrocknet
in verschiedenen Reinheitsstufen, Zuckerrohr-Sirup und anschließend abgepackt. Die Ausbeuten liegen
mit bis zu zwei Dritteln in Invertzucker überführter bei 95 % für den Filtrationsschritt, bei 98 % für den
Saccharose, Zuckerrohr-Melasse oder Rübenzucker- Konzentrationsschritt, 95 % für die Kristallisations-
Melasse als Substrate verwendet. Werden Hydroly- schritte, so dass eine Gesamtausbeute bei der Auf-
sate oder Sirupe eingesetzt, wird zur Entfernung von arbeitung von etwa 80 % erreicht wird. Die erzielte
inhibierenden Metall-Ionen eine Vorbehandlung mit Reinheit liegt dabei zwischen 97 % und 99 %. Werden
Fällungsmitteln wie Kaliumhexacyanoferrat oder mit höhere Reinheiten benötigt können sich weitere Auf-
Kationenaustauschern durchgeführt. Ebenso kann reinigungsschritte anschließen. Während Verdamp-
mit 39–42 °C bei deutlich höheren und für Pilze fungskristallisation und Fällung zur Itaconsäureauf-
ungewöhnlichen Temperaturen gearbeitet werden, reinigung somit bereits etabliert sind, gibt es noch
wodurch Kühlkosten gespart werden können. Die diverse andere potentiell geeignete Methoden, die
Temperaturtoleranz der Produktionsstämme wurde noch nicht in industriellen Prozessen angewandt
durch Mutageneseprogramme erreicht. werden. Neben Umkehrosmose und Elektrodialyse
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
459 11
(s. 7 Abschn. 9.3.4) stellt die Reaktivextraktion von Syntheseenzymen durch die entsprechenden Ami-
Itaconsäure mittels aliphatischer Aminverbindungen nosäuren oder die Kontrolle der Transkriptionsini-
oder Phosphorsäureestern wie Tri-n-butyl-phosphat tiation durch den Beladungszustand der tRNA oder
hier eine mögliche Alternative dar. [24] auch globale Regulationsmechanismen. Deswegen
werden Mutantenstämme gewonnen, die die Ami-
nosäure verstärkt synthetisieren. In der klassischen
Aminosäuren Stammentwicklung werden die Zellen dazu ungerich-
Lothar Eggeling tet, z. B. durch UV-Bestrahlung, mutagenisiert, und in
großangelegten Screenings wird der Stamm mit der
Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine und besten Aminosäureausscheidung ausgewählt.
damit für alle Lebewesen lebensnotwendig. Aller- Heutzutage bieten molekulare rekombinante
dings besitzen Mensch und Tier nur begrenzte Syn- Techniken die Möglichkeit, gezielt Mutationen in
thesemöglichkeiten dafür. So kann der Mensch acht das Chromosom einzuführen oder Gene überzuex-
der 20 proteinbildenden Aminosäuren nicht syn- primieren. Dies zielt darauf ab, den gesamten Stoff-
thetisieren. Diese essentiellen Aminosäuren sind fluss einschließlich der Transportvorgänge in Rich-
die drei verzweigtkettigen Aminosäuren L-Leucin, tung der gewünschten Aminosäure zu erhöhen, die
L-Isoleucin und L-Valin, zusammen mit L-Threonin, Bildung unerwünschter Nebenprodukte zu verrin-
L-Lysin, L-Methionin, L-Phenylalanin und L-Tryp- gern und globale Kontrollmechanismen zu überwin-
tophan. Von herausragender wirtschaftlicher Bedeu- den. Dies setzt natürlich Kenntnisse zu den jeweili-
tung sind Aminosäuren in der Futtermittelindustrie. gen molekularen Mechanismen voraus, die erforscht
Die Zugabe von Aminosäuren zu Futtermitteln führt werden müssen. Zusätzlich verwenden molekulare
zu einer ausgewogenen Aminosäurezusammenset- Techniken oft Gene, die, wie erwähnt, aus klassisch
zung, die dem tatsächlichen Bedarf angepasst ist. gewonnenen Stämmen stammen. Darüber hinaus
Weizen als Futtermittel hat z. B. einen niedri- können klassisch gewonnene Stämme auch die Basis
gen L-Lysinanteil, sodass die anderen Aminosäuren bilden, um durch molekulare rekombinante Techni-
nicht vollständig genutzt werden können. Zugabe ken eine Produksteigerung zu erreichen.
von L-Lysin erhöht den Anteil der Verwertung der L-Lysin ist nach L-Glutamat die wichtigste fer-
anderen Aminosäuren. Aufgrund zunehmenden mentativ hergestellte Aminosäure auf dem Welt-
Fleischkonsums werden vermehrt Aminosäuren markt. Es wird hauptsächlich für Schweine- und
für die Bereitstellung als Futtermittelzusatz benötigt. Hühnerfutter-Formulierungen benutzt. Die Ami-
Insbesondere sind dies L-Lysin, D,L-Methionin und nosäure wird mit C. glutamicum, z. T. aber auch mit
L-Threonin, deren Bedarf jährlich um 5–7 % steigt. E. coli produziert. Bausteine des Kohlenstoffskeletts
Mit Ausnahme von Glycin, D,L-Methionin und von L-Lysin sind Oxalacetat und Pyruvat die im Zen-
L-Aspartat werden Aminosäuren mikrobiell herge- tralstoffwechsel bereitgestellt werden. Oxalacetat
stellt. Als Aminosäureproduzenten werden Coryne- wird zunächst durch Transaminierung zu L-Aspar-
bacterium glutamicum oder Escherichia coli-Stämme tat umgewandelt (. Abb. 11.3). Aspartat ist Substrat
benutzt. E. coli hat den Vorteil, dass sein Tempera- der Aspartatkinase, die ein sehr wichtiges Kontroll-
turoptimum von 37 °C geringere Kühlungskosten bei element der Synthese darstellt. Im Wildtyp von C.
der Fermentation erfordert als bei der Kultivierung glutamicum ist die Aspartatkinaseaktivität bei gleich-
von C. glutamicum, dessen Temperaturoptimum bei zeitiger Anwesenheit von L-Lysin plus L-Threonin
etwa 30 °C liegt. Demgegenüber sind Fermentationen in einer Konzentration von je etwa 1 mM nahezu
mit C. glutamicum unempfindlich gegenüber Phagen- vollständig gehemmt. Eine weitere wichtige Kont-
infektionen was bei E. coli, besonders in tropischen rolle innerhalb des verzweigten Synthesewegs findet
Ländern, ein großes Problem sein kann. Die Wildty- auf der Stufe des Aspartatsemialdehyds statt. Aspar-
pisolate von E. coli und C. glutamicum bilden jeweils tatsemialdehyd wird einerseits mit Pyruvat durch
nur die Mengen an Aminosäure die sie selbst zum die Dihydrodipicolinatsynthase in den spezifischen
Wachstum benötigen. Dies bewirken effiziente Kon- L-Lysinsyntheseweg eingeschleust, andererseits für
trollmechanismen, wie die allosterische Kontrolle von die Synthese von L-Threonin, L-Methionin und
460 C. Syldatk et al.

. Abb. 11.3  Schema zur L-Lysin-


Synthese

11

L-Isoleucin verwendet. An dieser Verzweigung wird z. B. im Boden der Fall ist, da die Dehydrogenase nur
der Fluss in die Lysinsynthese durch eine begren- eine geringe Affinität zu Ammonium hat. Bei hoher
zende Dihydrodipicolinatsynthase Aktivität limi- Ammoniumkonzentration erfolgt die Lysinsynthese
tiert. Der Fluss in Richtung Threoninsynthese wird über den Dehydrogenaseweg, wogegen bei niedriger
durch Hemmung der Homoserindehydrogenaseak- Ammoniumkonzentration der aufwändigere Trans-
tivität durch L-Threonin kontrolliert, und zusätzlich aminaseweg benutzt wird.
noch durch Repression des entsprechenden hom- Das in der Zelle synthetisierte L-Lysin wird
Gens durch L-Methionin. Ausgehend von Piperidin- durch das Exportprotein LysE aktiv ausgeschieden.
dicaboxylat erfolgt in der weiteren L-Lysinsynthese Da L-Lysin positiv geladen ist, ist eine passive Diffu-
der Einbau der zweiten Aminogruppe. Dies geschieht sion von L-Lysin über die Zytoplasmamembran nicht
entweder über den Dehydrogenase- oder den Trans- möglich. Das Exportprotein ist mit einem Moleku-
aminaseweg. Im Dehydrogenaseweg wird in einer largewicht von 25081 relativ klein und besitzt sechs
Einschrittreaktion die Aminogruppe direkt über transmembrane Helices. Höchstwahrscheinlich ist
die Dehydrogenase eingebaut. Im Transaminaseweg der Exporter als Dimer aktiv, da bekannt ist, dass
dagegen wird Glutamat als Aminodonor benutzt, Transporter zur Funktion mindestens 10 transmem-
und der Weg erfolgt insgesamt über 4 Schritte und ist brane Helices besitzen müssen, und für verwandte
deswegen aufwändiger. Die parallelen Wege ermög- Proteine von LysE der Aufbau als Dimer nachgewie-
lichen C. glutamicum eine sehr flexible Anpassung sen ist. Die Synthese von LysE wird durch den Regu-
an unterschiedliche Stickstoffverfügbarkeit wie es lator LysG kontrolliert. Erst bei erhöhter zellinterner
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
461 11
L-Lysinkonzentration von über 20 mM bewirkt dieser Stickstoffquelle dient Ammoniumsulfat oder wäss-
Regulator die Transkription des Exportergens und riges Ammoniumhydroxyd. Zusätzlich wird Biotin
damit die Synthese des Exportproteins. Wie weiterge- zugefügt, da C. glutamicum dieses Coenzym nicht
hende Untersuchungen zeigten, dient dieses System selbst synthetisieren kann, sowie Glycinbetain zur
im Wildtyp dazu, eine Akkumulation von L-Lysin osmotischen Stabilisierung der Zellen. Ausgehend
in der Zelle zu verhindern, wenn L-Lysin aus extern von einem Schüttelkolben erfolgen Vorkultivierun-
verfügbaren Peptiden stammt. Wie viele Bakterien gen in Bioreaktoren zunehmender Größe bis hin
nimmt C. glutamicum Peptide auf und hydrolysiert zum für die Produktion benutzten Reaktor, der bis
sie zu ihren Aminosäurebausteinen. Ist aber zu viel zu 750 m3 umfassen kann. Dabei liegt die Animpf-
L-Lysin aus solchen Quellen vorhanden, kann es zell- dichte über 0,1 g Zellmasse pro Liter, da andernfalls
intern zu hohen wachstumshemmenden Konzentra- die lag-Phase des Prozesses zu lang ist. Die Stämme
tionen von über 1 M L-Lysin kommen, da C. glutami- zeigen eine hohe spezifische Produktionsrate, die die
cum diese Aminosäure nicht abbauen kann. Folglich bei entsprechenden Biomassekonzentrationen 4 g L-1
trägt LysE zur Regulation der zytosolischen L-Lysin- h-1 Raum-Zeit Ausbeute erreichen kann.
konzentration unter natürlichen Bedingungen bei, Ferner haben sie eine hohe Toleranz bezüglich
wenn Peptide verwertet werden, wogegen andere der hydrostatischen Druckunterschiede und der
Bakterien dies durch Abbau von L-Lysin erreichen. Scherkräfte im Fermenter, sodass im Allgemeinen
Eine signifikante L-Lysinbildung von etwa 20 g/L eher die technischen Möglichkeiten des Reaktor-
wurde schon vor vielen Jahren mit Mutanten von C. systems wie z. B. Kühlung und Sauerstoffversor-
glutamicum erhalten, die Homoserin-auxotroph gung limitierend sind, als die des Produktionsstam-
sind. In diesen Stämmen kann das Zwischenprodukt mes. Nach Verbrauch des anfänglich vorgelegten
Aspartatsemialdehyd nur noch zu Lysin umgesetzt Zuckers wird dieser kontinuierlich zugefügt und
werden. Bei Zugabe niedriger Threoninkonzentra- L-Lysin akkumuliert in Konzentrationen bis weit
tionen zum Medium wird dann die Aspartatkinase über 170 g/L. Durch Verwendung von Ammonium-
trotz hoher Lysinkonzentration nicht gehemmt. Eine sulfat als Stickstoffquelle wird die ausgeschiedene
Überproduktion von Lysin erhält man außerdem mit Aminosäure im Verlauf der Fermentation neutrali-
Mutanten von C. glutamicum, bei denen die Aspar- siert, sodass L-Lysin als Sulfatsalz vorliegt. Die Pro-
tatkinase nicht mehr gehemmt wird. Solche Mutan- duktivität der gesamten Anlage kann weiter erhöht
ten kann man unter Nutzung des Lysin-Antime- werden, wenn nach Erreichen der gewünschten End-
taboliten (S)-Aminoethylcystein (AEC) isolieren. konzentration, oder auch des maximalen Füllstan-
AEC bindet im Wildtyp wie Lysin an das allosteri- des des Reaktors, dieser nicht vollständig entleert
sche Zentrum der Aspartatkinase, wodurch es zur wird, sondern 10–20 % des Volumens verbleiben,
Wachstumshemmung kommt. In AEC-resistenten was dann direkt als Inokulum für einen erneuten
Mutanten ist dagegen das allosterische Zentrum der fed-batch-Prozess dient. Dadurch fällt die Anwachs-
Aspartatkinase so verändert, dass weder AEC noch phase weg. Diese Effizienz steigernde Verfahren wird
Lysin binden. Eine so veränderte Aspartatkinase als repeated fed-batch bezeichnet, setzt aber voraus,
unterliegt somit keiner Feedback-Hemmung mehr, dass der benutzte Produktionsstamm stabil ist. Auf-
und entsprechend scheiden diese Mutanten von C. grund des hohen Kostenanteils für den Zucker, sind
glutamicum unter optimalen Kulturbedingungen bis die Ausbeuten für die Effizienz des Gesamtprozesses
zu 50 g/L Lysin ins Medium aus. ganz wesentlich. Sie liegen deutlich höher als 55 g
In der großtechnischen Produktion von L-Lysin L-Lysin pro 100 g Glucose. Theoretisch sind bis zu
mit Mutanten von C. glutamicum wurde in der 75 g L-Lysin pro 100 g Glucose möglich. Aufgrund
Vergangenheit hauptsächlich Melasse als Kohlen- des hohen Kostendrucks ist eine sehr gute Repro-
stoff- und Energiequelle eingesetzt. Melasse aus der duzierbarkeit erwünscht, sodass trotz der großen
Zuckerindustrie enthält aber neben dem Zucker Volumina und der verschiedenen Flüssigkeitsströme
auch Abfallprodukte und variiert saisonal stark, beim Gesamtprozess Schwankungen üblicherweise
sodass keine gute Reproduzierbarkeit des Prozesses unter 5 % liegen.
gegeben ist. Deswegen wird heute vornehmlich reine Zur Aufarbeitung des L-Lysins sind zwei Ver-
Glucose oder Saccharose als Substrat benutzt. Als fahren etabliert (. Abb. 11.4). Die Gewinnung von
462 C. Syldatk et al.

. Abb. 11.4  Schema zur


Aufarbeitung der Aminosäure L-Lysin
und dem als Futtermittel verwendeten
Produkt Biolys

11

kristallinem L-Lysin erfolgt nach dem Abtren- Anfangs wurden nur bescheidene Konzentrationen
nen der Zellen durch Ionenchromatographie, mit erreicht und nur geringe Mengen produziert. Der
anschließender Einengung und Kristallisation sowie Bedarf steigt allerdings immens. Es ist deswegen
abschließender Verpackung. L-Lysin wird dabei als verständlich, dass die Produktionsverfahren ständig
L-Lysin HCl Salz gewonnen und vertrieben, weil verbessert werden müssen. Hier werden hohe Anfor-
es weniger hygroskopisch ist als (L-Lysin)2SO4. Im derungen gestellt, die molekulare, bioinformatische
konkurrierenden Verfahren wird das gesamte Fer- und prozesstechnische Aspekte vereinen. Dadurch
mentationsmedium, einschließlich der Zellen, durch wird die optimale Nutzung nachwachsender Roh-
Sprühtrocknung eingeengt und durch Granulie- stoffe zur konkurrenzfähigen Aminosäuregewin-
rung und Trocknung verkaufsfertig aufbereitet. Da nung gewährleistet. [18]
C. glutamicum ein GRAS Organismus ist (Generally
Recognized As Safe), ist der Organismus selbst als
Futtermittel verwendbar, wodurch ein zusätzlicher 11.2.3 Spezielle Produkte
Gewinn für die Futtermittelformulierung entsteht.
Der Prozess ist sehr kostengünstig bezüglich der Als „spezielle Produkte“ von Mikroorganismen
Investitionskosten, da z. B. keine Chromatographie- werden Verbindungen bezeichnet, die nicht direkt
säulen benötigt werden, keine Abfallprodukte anfal- dem Energiestoffwechsel angehören und in der Regel
len und geringe Verluste garantiert sind (. Abb. 11.4). gattungs- oder sogar artspezifisch gebildet werden.
Das gewonnene Produkt wird als Biolys gehandelt. Diese werden von Wildtypstämmen in der Regel
Die Produktion von L-Aminosäuren ist ein klas- nur in geringen Konzentrationen gebildet. Hierzu
sischer Prozess in der mikrobiellen Biotechnologie. gehören zum Beispiel Speicherstoffe wie Dextran,
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
463 11
Polyhydroxybuttersäure (PHB), Exopolysaccharide z. B. zur Solubilisierung von Schmutz, zur Schaum-
wie Xanthan und Schizophyllan, Biotenside wie bildung und zum Emulgieren von nicht mischba-
Rhamnolipid und Sophoroselipide und Farbstoffe ren Flüssigkeiten bei. Aufgrund dieser Eigenschaf-
wie mikrobielle Carotinoide. ten kommen sie in vielen Bereichen des täglichen
Als „sekundäre Stoffwechselprodukte“ oder Lebens zur Anwendung. Wasch-, Reinigungs- und
„Sekundärmetaboliten“ von Mikroorganismen kosmetische Mittel enthalten beispielsweise einen
wird eine Gruppe spezieller Produkte bezeich- großen Anteil an Tensiden. Die über Jahrhunderte
net, bei denen für die Produzenten die Funktion genutzten Seifen (Salze von Fettsäuren) wurden im
häufig unklar ist, und die für diese nicht lebens- 20. Jahrhundert zum Großteil durch petrochemisch
notwendig sind. Eine Bildung erfolgt häufig erst in basierte Tenside abgelöst. In den vergangenen Jahr-
der stationären Phase des Wachstums. „Antibio- zehnten wurden ehemals petrochemische Kompo-
tika“ sind Sekundärmetaboliten, die bereits in nied- nenten der chemisch-synthetischen Tenside wieder
rigen Konzentrationen das Wachstum von Mikro- zunehmend durch biobasierte Komponenten, haupt-
organismen hemmen oder diese sogar abtöten. Die sächlich Fettsäuren und Derivate, ersetzt. Aufgrund
bekanntesten Beispiele hierfür sind Penicilline und der in den letzten Jahren stark gestiegenen Nachfrage
Cephalosporine. nach vollständig biobasierten und bioprozessierten
Produkten, die alle Anforderungen an eine nachhal-
tige Kreislaufwirtschaft erfüllen, erfolgte in letzter
Biotenside am Beispiel der mikrobiellen Zeit zunehmend die Entwicklung und Vermarktung
Produktion von Sophorolipiden von Biotensiden. Biotenside werden mittels mikro-
Martin Schilling, Moniec Van-Logchem und bieller Fermentation gewonnen.
Hans Henning Wenk Sophorolipide . Abb. 11.5) sind Glycolipide, die
mittels mikrobieller Fermentation mit der Hefe Star-
Tenside sind grenzflächenaktive Verbindungen merella bombicola (früher Candida bombicola) her-
mit einem hydrophilen und hydrophoben Teil. Sie gestellt werden. Bei den auf dem Markt verfügbaren
lagern sich an Grenzflächen an und erniedrigen Produkten handelt es sich um Mischungen aus struk-
dadurch die Grenzflächenspannung. So tragen sie turell ähnlichen Molekülen, die sich jedoch in ihren

. Abb. 11.5  Struktur der Sophorolipid-Säureform (links) und des acetylierten Lactons (rechts). Die auf Ölsäure basierenden
Hauptformen sind dargestellt, es können aber auch andere Fettsäuren eingebaut werden. Die nicht acetylierte Säureform wird
durch die vollständige Hydrolyse des acetylierten Lactons erhalten. Wird lediglich eine Teilhydrolyse durchgeführt, wird eine
komplexe Produktmischung aus teilweise acetylierter und vollständig acetylierter Lacton- und Säureform erhalten
464 C. Syldatk et al.

physikochemischen Eigenschaften teilweise stark


unterscheiden. Der Grundkörper besteht immer
aus einer Sophoroseeinheit, an die eine Hydroxyfett-
säure (hauptsächlich Hydroxyölsäure) glykosidisch
gebunden ist. Die Sophorose kann teilweise acety-
liert sein, und das gesamte Sophorolipid liegt entwe-
der in zyklischer Form als Lacton oder als die freie
Säure vor. Sophorolipide schäumen als Einzeltenside
relativ schwach, können aber als Schaumbooster für
andere Tenside agieren und haben hervorragende
Solubilisierungseigenschaften für Schmutz.
Starmerella bombicola ist in der Lage, aus Glucose
und Triglyceriden (z. B. Pflanzenölen) in einem fer-
mentativen Verfahren hohe Sophorolipidtiter zu pro-
duzieren (>100 g/L). In der Literatur sind sogar Titer
>400 g/L beschrieben. Es können auch andere Zucker
und hydrophobe Komponenten umgesetzt werden, die
Struktur und Zusammensetzung des Produktes lässt
sich dadurch aber nur in geringem Maße verändern.
Die zentralen Schritte der Biosynthese sind die Frei-
setzung von Fettsäuren aus den Triglyceriden durch
extrazelluläre Lipasen, die intrazelluläre Hydroxylie-
rung der Fettsäuren durch eine P450-Monooxyge- . Abb. 11.6  Bioreaktorkultivierung mit der Hefe
nase und die anschließende, zweifache Glykosylierung Starmerella bombicola. Bei niedrigem pH-Wert setzen
sich die gebildeten Sophoroselipide nach Beendigung der
11 durch Glykosyltransferasen, wodurch die Sophorose-
einheit auf der Hydroxyfettsäure aufgebaut wird. Es
Kultivierung ab und können einfach von der Kulturbrühe
abgetrennt werden
folgt die Acetylierung und die Sekretion ins Medium.
Schließlich wird durch eine extrazelluläre Lipase das
Lacton gebildet, wodurch das Produkt unlöslich wird Produkt nach dem Ende der Fermentation mit
und in der Brühe ausfällt. Die aerobe Fermentation dem Abschalten des Rührers als untere, ölige Phase
erfolgt über mehrere Tage, meist in einem Komplex- abscheidet. Bei einem nahezu vollständigen Umsatz
medium. Sie wird in eine Wachstums- und eine Pro- des hydrophoben Substrates und einem besonders
duktbildungsphase unterteilt. Die Wachstums- bzw. hohen Lactonanteil kann das Produkt auch als Fest-
Biomassebildungsphase endet, wenn Stickstoff limi- stoff ausfallen. Die Biomasse bildet eine Interphase
tierend wird, wodurch gleichzeitig die Produktbil- zwischen Produktphase und der Fermentationsbrühe
dungsphase eingeleitet wird. Das hydrophobe Subst- als oberer Phase. Die Phasentrennung kann entwe-
rat wird, ebenso wie die Glucose, zugefüttert, wodurch der im Schwerefeld erfolgen oder durch den Einsatz
ein Mehrphasensystem erhalten wird. Der pH-Wert eines Separators beschleunigt werden. Anschlie-
des Mediums sinkt auf einen Bereich zwischen 3,5 ßend wird die Produktphase abgetrennt und optio-
und 4. Während der Fermentation wird hauptsäch- nal filtriert, um Zellreste abzutrennen. Dann wird das
lich das zweifach acetylierte Lacton gebildet, welches Zwischenprodukt in einen Hydrolysetank überführt.
schlecht wasserlöslich ist und nicht schäumt. Aus Hier erfolgt die teilweise oder vollständige Hydro-
diesem Grund, kann bei der Herstellung von Sopho- lyse des Lactons und der Acetylreste durch Zugabe
rolipiden, im Gegensatz zur Herstellung anderer Bio- von Lauge, z. B. NaOH. Es wird eine wasserlösliche,
tenside, auf den Einsatz von Entschäumern bzw. Anti- stärker schäumende Mischung an Produkten erhal-
foam verzichtet werden (. Abb. 11.6). ten, die über das Sophorolipid-Säure/Lacton Verhält-
Die schlechte Wasserlöslichkeit des Produk- nis beschrieben werden kann und die sich einfach in
tes erleichtert auch die Aufarbeitung, da sich das Formulierungen einarbeiten lässt. [35, 40]
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
465 11
Biotechnologische Aromastoff- Biotechnologische Verfahren im Aromen- und
Herstellung Parfümeriebereich sind sehr vielfältig; relevante
Jens-Michael Hilmer Anwendungsbeispiele finden sich in folgender Über-
sicht (. Tab. 11.3).
In den vergangenen fast 150 Jahren ist die Aromen- Im Folgenden werden beispielhaft zwei biotech-
und Riechstoffindustrie zu einem global agierenden nologische Verfahren beschrieben, die die Entwick-
Wirtschaftszweig gewachsen mit jährlichen Umsät- lung in der industriellen Biotechnologie zur Her-
zen in der Größenordnung von über 22 Mrd. €. Sie stellung von Aromastoffen aufzeigen: Vanillin und
nimmt neben den Bereichen Pharma, Pflanzen(bio) Nootkaton. [34, 37]
technologie und Agrochemie eine zunehmend
bedeutende Rolle im Rahmen derjenigen Industrie- Produktion von Vanillin
zweige ein, die auch mithilfe moderner biotechno- Vanillin gehört neben Menthol nicht nur zu den
logischer Verfahren Produkte entwickeln und pro- bekanntesten, sondern auch zu den bedeutendsten
duzieren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum und meist eingesetzten Aromastoffen. Der jährliche
einen bieten die Methoden der modernen Biotech- Bedarf liegt bei etwa 15.000 t (Menthol: ca. 20.000 t).
nologie und synthetischen Biologie ein großes Poten- Der größte Anteil des Vanillins wird zwar synthetisch
tial an technologischen Möglichkeiten, um Roh- hergestellt, aber der Bedarf an natürlichem Vanil-
stoffe und Produkte zu generieren, die üblicherweise lin steigt stetig mit dem Verbraucherwunsch nach
nur schwer zugänglich sind und damit nur synthe- natürlichen Lebensmitteln. Neben der Herstellung
tisch sehr aufwändig und kostenintensiv hergestellt von Vanillin aus Vanilleschoten spielt die biotech-
werden können. Zum anderen ist die Verfügbarkeit nologische Produktion dabei eine bedeutende Rolle.
von natürlichen Ressourcen zunehmend beschränkt Diese ist seit Mitte der 1990er Jahre im industriellen
bzw. aus Nachhaltigkeitsgründen und Naturschutz Maßstab relevant.
die Nutzung von Rohstoffen aus seltenen Tier- und Es sind in der Literatur etliche Verfahren zur bio-
Pflanzenarten nicht mehr möglich. Dafür müssen technologischen Herstellung von Vanillin beschrie-
(biotechnologische) Alternativen entwickelt werden. ben, ausgehend von Rohstoffen wie Ferulasäure,
Prominente Beispiele für die Nutzung biotechnolo- Eugenol, Isoeugenol, Lignin. Die meisten dieser Ver-
gischer Verfahren sind die Herstellung der pflanzli- fahren einschließlich der Produktion mit Hilfe von
chen Produkte Vanillin und Nootkaton sowie Safran Pflanzenzellen haben sich als nicht wirtschaftlich her-
und Stevia. ausgestellt. Wichtige Aspekte und Herausforderun-
Ein weiterer Beweggrund, biotechnologische gen diesbezüglich sind im Folgenden aufgeführt und
Methoden im Bereich der Lebensmittelherstellung stellen eine zu überwindende Hürde dar, die über den
einzusetzen, ergibt sich aus der Gesetzgebung in wirtschaftlichen Erfolg des Prozesses entscheiden:
diesem Bereich sowie ethnischen Anforderungen. 55 Zytotoxizität der Edukte und des Vanillins
So ist zum einen der Bereich der Aromastoffe und 55 Bildung unerwünschter Nebenkomponenten
Aromen der einzige Bereich, zu dem es eine gesetz- 55 (zunächst unerwartete) weitere
mäßige Definition zum Begriff der „Natürlichkeit“ Metabolismuswege
gibt (Verordnung EG 1334/2008). In diesem Zusam- 55 Effektivität des Downstream Processing (DSP)
menhang sind explizit enzymatische und fermenta-
tive Verfahren als zulässige Verfahren benannt, um Das am meisten verbreitete mikrobielle Verfahren
natürliche Aromastoffe und Aromen herzustel- zur Herstellung von (natürlichem) Vanillin besteht
len („herkömmliche Lebensmittel-Zubereitungs- in der Biotransformation von Ferulasäure zu Vanil-
verfahren“). Ferner spielen im Lebensmittelumfeld lin in einem einzigen Fermentationsschritt (s. bei-
ethnische Anforderungen wie „koscher“ und „halal“ spielsweise EP 0761817). Die dafür eingesetzte Feru-
eine zunehmend wichtige Rolle, gerade im globalen lasäure wird zumeist aus Reisspelzen gewonnen, die
Wettbewerb. Dies ist auch bei der Auswahl geeigne- bei der Reisverarbeitung als Nebenprodukt anfallen.
ter Enzyme zu berücksichtigen. Die Umsetzung von Ferulasäure zu Vanillin gelingt
466 C. Syldatk et al.

. Tab. 11.3  Wirtschaftlich bedeutende Aromastoffe und Aromen aus biotechnologischer Produktion (modifiziert
nach: Klein und Hilmer [23])

Aromastoff Rohstoffe Biokatalysatoren (Beispiele)

Vanillin Ferulasäure Amycolatopsis species


Streptomyces setonii
Pseudomonas putida
Escherichia coli
Saccharomyces cerevisiae
Carbonsäuren, Die analogen Alkohole Gluconobacter species
z. B. 2-Methylbuttersäure, (diese fallen beispielsweise als
Buttersäure, Isobuttersäure, Nebenprodukte bei der Ethanol-
Propionsäure, Essigsäure Fermentation an; sogenannte
Fuselalkohole)
Carbonsäureester Carbonsäure + Alkohol oder Lipasen,
Ester + Alkohol oder Ester + Carbonsäure z. B. aus Candida antarctica
Gamma-Decalacton Ricinolsäure, Rizinusöl Yarrowia lipolytica
Ketone, Fettsäuren Fermentation von Fettsäuren mit
z. B. Methylketone Penicillium roqueforti Kulturen

t-2-Hexanal Leinsaatöl, Pflanzenöl Lipoxygenase


Hydroperoxid Lyase
cis-3-Hexenol Leinsaatöl, Pflanzenöl Lipoxygenase

11 Hydroperoxid Lyase
Diacetyl-(2,3-Butandion) Milch, Molke Fermentation mit Streptococcus
diacetilactis, Streptococcus lactis
Phenylethanol Phenylalanin Saccharomyces cerevisiae
Ethyldecadienoat Pflanzenöl Lipasen, z. B. aus Candida antarctica
Pyrazine Melasse; Pyrazine entstehen bei der Saccharomyces cerevisiae
Alkoholfermentation aus Aminosäuren
Menthol Menthylbenzoat Lipase (racemische Spaltung)
Nootkaton Valencen Pleurotus sapidus
Pichia pastoris

in besonders hohen Ausbeuten mit Bakterien der um 2 Kohlenstoffatome verkürzte Fettsäure gebil-
Gattung Amycolatopsis, die zu den Actinomyceten det wird. Eine weitere Verstoffwechselung führt zur
zählen. Vanillinsäure.
Zunächst wird aus Ferulasäure unter Katalyse Demgegenüber erfolgt die Bildung des Vanillins
der Feruloyl-CoA Synthetase (fcs) mit Coenzym ausgehend von Ferulasäure in der Vanillepflanze in
A der entsprechende Thioester gebildet. Die Enoyl einem einzigen Schritt, katalysiert von der Vanillin-
CoA Hydratase/Aldolase (ech) katalysiert im fol- synthase (VpVAN). Eine aktuelle Alternative stellt
genden Schritt die Oxidation unter Abspaltung von die de novo-Biosynthese von Vanillin ausgehend von
Acetyl-CoA zum Vanillin (. Abb. 11.7). Dies erfolgt Glucose dar. Seit 2009 wurden entsprechende in vivo
in Analogie zur β-Oxidation der Fettsäuren, bei Stoffwechselwege für Bakterien wie E. coli beschrieben
der ebenfalls unter Bildung von Acetyl-CoA eine sowie auch in Hefen wie S. cerevisiae und S. pombe.
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
467 11

. Abb. 11.7  Reaktionskaskade von Ferulasäure über Vanillin zu Vanillinsäure (in Amycolatopsis species HR 197) (modifiziert
nach: [30] Overhage)

Aufgrund der Toxizität des gebildeten Vanillins von Enzymen darstellen. Das Verfahren wurde mit
wird dieses zunächst glucosyliert zum Vanillin-β- Enzymen des Speisepilzes Pleurotus sapidus entwi-
D-Glucosid („Glucovanillin“). In einem Folgeschritt ckelt (EP 2352814).
wird dieses dann wieder in das Vanillin überführt Eine weitere Alternative der mikrobiellen Trans-
formation von Valencen zu Nootkaton gelingt mit
Nootkaton Pichia pastoris, denen eine Cytochrom-P450-Reduk-
Das Sesquiterpenoid Nootkaton kommt typischer- tase (CPR) aus Arabidopsis thaliana integriert wurde.
weise in Grapefruit und Pomelo vor und gibt deren Bei den biotechnologischen Prozessen zur geziel-
charakteristischen Geruch. Nootkaton kann aus ten Herstellung von Riech- und Aromastoffen han-
Grapefruit isoliert oder durch Oxidation des struk- delte es sich bisher im Wesentlichen um Biotrans-
turell verwandten Valencen gewonnen werden formationen, ausgehend von strukturell ähnlichen
(. Abb. 11.8). Valencen wird aus Orangen gewon- Naturstoffen (beispielsweise Vanillin aus Ferula-
nen und ist preiswert verfügbar, allerdings ist das säure, Nootkaton aus Valencen, Carbonsäuren aus
chemische Verfahren aufwändig und die Regiose- den entsprechenden Alkoholen). Diese wichtigen
lektivität der Oxidation teilweise sehr gering. Aus Rohstoffe werden vor allem von Firmen der Aromen-
diesem Grund bieten sich enzymatische Verfah- und Riechstoffindustrie produziert und eingesetzt,
ren mit einer hinreichenden Selektivität an. Dafür wie beispielsweise den Firmen Symrise, Givaudan,
kommen Laccasen, Lipoxygenasen oder P450-Mo- Firmenich oder IFF. Die dafür verwendeten Mikro-
nooxygenasen infrage oder die entsprechenden organismen sind in der Regel Isolate aus der Natur,
Mikroorganismen. die nicht gentechnisch modifiziert wurden. Damit ist
Beispielsweise wurde ein Prozess auf Basis von sichergestellt, dass die damit hergestellten Produkte
Enzymaktivitäten aus Basidiomyceten entwickelt, nicht als „gentechnisch modifiziert“ oder „mit gen-
die als hochentwickelte Pilze eine vielfältige Quelle technisch modifizierten Organismen hergestellt“ zu

. Abb. 11.8  Oxidation von Valencen zu Nootkaton


468 C. Syldatk et al.

kennzeichnen sind, sofern bei der Rohstoffauswahl


ebenfalls darauf geachtet wird. 2
+
Mit der rasanten Entwicklung in der synthe- 1 6
+2
tischen Biologie haben sich die technologischen 1+ 2 1 2
Möglichkeiten in letzter Zeit erheblich erweitert. 2
Mittlerweile ist es möglich, recht komplexe Biosyn- 2
2 2+
thesewege vornehmlich aus dem pflanzlichen Ana-
bolismus in Organismen wie Hefen zu integrieren.
. Abb. 11.9  Chemische Struktur des Cephalosporin C
Damit wird die Möglichkeit eröffnet, aus einfachen,
preiswerten Substraten wie Zuckern (beispielsweise
Glucose) zielgerichtet komplexe Moleküle wie bei-
spielsweise Farnesol, Vanillin (über Glucovanil- Gruppe. Der weitverbreitete Einsatz von Antibio-
lin) oder Valencen in einem einzigen Fermenta- tika als Leistungsförderer in der Tiermast ist umstrit-
tionsschritt aufzubauen. Der wirtschaftliche Erfolg ten, da diese Praxis zur Verbreitung multiresistenter
dieser Prozesse steht und fällt dabei mit der erreich- Keime beiträgt.
baren Ausbeute im Fermentationsschritt sowie der Cephalosporine (. Abb. 11.9) bilden eine Gruppe
Komplexität der notwendigen Aufarbeitungsschritte von Breitband-Antibiotika und gehören, wie Penicil-
(Downstream-Processing). lin, zu den β-Lactam-Antibiotika die sich durch den
Auf Basis dieser Technologie der synthetischen typischen, viergliedrigen Lactamring, sowie einen
Biologie speziell auch für den Einsatz zur Herstel- sechsgliedrigen Thiazinring auszeichnen.
lung von Produkten der Aromen- und Riechstoffin- Die Cephalosporine wirken wie Penicilline bak-
dustrie haben sich in den vergangenen Jahren etliche teriostatisch, indem sie bei sich teilenden Bakterien
Biotechnologie-Firmen gegründet wie Amyris (USA, den Neuaufbau der Zellwände, durch Inhibierung
gegründet 2003), Evolva (Schweiz, 2004), Ginkgo der hierfür notwendigen Enzyme, unterbinden.
11 BioWorks (USA, 2008) und Isobionics (Nieder-
lande, 2008).
Giuseppe Brotzu, zu seiner Zeit als Medizi-
ner und Politiker beschäftigt, entdeckte und iso-
Konsequenterweise wird die Entwicklung bio- lierte 1945 aus Wasserproben an der sardischen
technologischer Verfahren zur Herstellung von Küste den Schimmelpilz Acremonium chrysogenum
zunehmend komplexer aufgebauten Naturstoffen und erkannte dessen Eigenschaften zur Bildung
rasant weitergehen. eines Antibiotikums, das später in Cephalosporin
C umbenannt wurde. Die Entdeckung erwies sich,
über 15 Jahre nach der Entdeckung des Penicillins
Antibiotika durch Alexander Fleming, als weiterer großer Mei-
Guido Melzer und Michèle Delbé lenstein in der Medizin, denn hatte man doch neben
dem bis dato bereits auf dem Markt etablierten Peni-
Antibiotika sind mikrobiell gebildete Wirkstoffe, die cillin G, dessen pharmakologische Wirkungsspek-
andere Mikroorganismen am Wachstum hindern trum sich ausschließlich auf gram-positive Bakte-
oder gar abtöten. Sie werden seit den 1940er Jahren rien beschränkte, nun ein weiteres Antibiotikum
medizinisch erfolgreich zur Bekämpfung von Infek- im Repertoire, das auch gram-negative Bakterien
tionskrankheiten eingesetzt. Als metabolische wie beispielsweise Salmonellen bekämpfen konnte.
Vorstufen dienen Zwischenprodukte des Primär- Zudem zeichnete sich das Cephalosporin C durch
stoffwechsels, die über komplexe und regulierte eine höhere Säureresistenz sowie eine erhöhte Sta-
Biosynthesesequenzen gebildet werden. Antibio- bilität gegenüber β-Lactamasen aus [6].
tika werden meist artspezifisch in der stationären Die chemische Struktur von Cephalosporin C
Wachstumsphase gebildet und ausgeschieden. Mit wurde 1961 aufgeklärt. Die Cephalosporine haben
einer Produktion von mehr als 75.000 Tonnen pro eine nur schwache pharmakologische Wirkung und
Jahr sind die β-Lactam-Antibiotika die wichtigste sind zwar in ihrer natürlichen Struktur unbedeutend,
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
469 11
klassischen Stammentwicklung, beitragen konnte.
+ 1 6 Der Gehalt an essentiellen Spurenelementen, Vitami-
nen, Mineralien, aber auch diversen Aminosäuren,
macht diesen Rohstoff so unentbehrlich und zugleich
1 2 aber auch so geheimnisvoll.
2 In den ersten zwei Stufen des Fermentations-
2 prozesses wird vor allem Biomasse gebildet. Dabei
2 2+ dient unter anderem Glycerin, als günstiger Roh-
stoff mit positiven Eigenschaften auf das Wachstum,
als wesentliche Kohlenstoffquelle für den Produk-
. Abb. 11.10  Chemische Struktur der
7-Aminocephalosporinsäure tionsorganismus. In der Hauptstufen-Fermentation
(dritte Prozessstufe) werden des Weiteren Glucose-
lösung und pflanzliche Öle wie Raps- oder Sojaöl als
erlangten aber großes pharmakologisches und wirt- wichtige Kohlenstoffquellen, semi-kontinuierlich
schaftliches Interesse, da sie als Grundsubstanz zur im fed-batch-Betrieb zugegeben. Zusätzlich werden
Synthese weiterer semi-synthetischer Cephalospo- Stickstoff- und Schwefelquellen benötigt, die meist in
rine dienen. Die wichtigste Grundsubstanz bildet Form von einer Ammoniumsulfatlösung zugegeben
die 7-Aminocephalosporinsäure (7-ACA), die aus werden. Im Ansatz liegen zudem Harnstoff und freie
der Abspaltung der Seitenkette Amino-Adipin- Aminosäuren vor, die als weitere wichtige Stickstoff-
säure des Cephalosporin C gewonnen werden kann quellen dienen. Wichtig hierbei ist die Vermeidung
(. Abb. 11.10). Die erste Markteinführung erfolgte einer Kataboliten-Repression durch die schnelle Auf-
in den sechziger Jahren. [6, 11] nahme und Umsetzung von leicht verstoffwechselba-
ren Metaboliten wie Glucose und Ammoniumionen.
Biotechnologische Produktion der 7-ACA Aus diesen Gründen ist der Einsatz von komplexeren
Der Herstellungsprozess der Grundsubstanz 7-ACA Rohstoffen wie Sojaöl oder Stärke, die zuerst enzyma-
setzt sich im Wesentlichen aus zwei großen Prozess- tisch abgebaut werden müssen, von Vorteil.
schritten zusammen. Im ersten Schritt erfolgt die fer- Eine große Besonderheit in der verfahrenstech-
mentative Herstellung des Cephalosporin C (CPC) nischen Betrachtung liegt in der morphologischen
im industriellen Maßstab durch den filamentösen Gestalt des Produktionsorganismus. So ist bekannt,
Pilz Acremonium chrysogenum (Upstream-Proces- dass der Pilz während des Prozessverlaufs in den
sing), gefolgt von der Aufreinigung des Cephalospo- Vorstufen sowie in den ersten Stunden der Haupt-
rin C aus dem Kulturbrei sowie der enzymatischen/ stufe anfangs vor allem in hyphenartigen Myzelien
chemischen Umsetzung und anschließenden Kristal- vorliegt, dann mit der Aufnahme und Verstoffwech-
lisation zu 7-ACA (Downstream-Processing). selung von pflanzlichen Ölen, die Arthrosporenbil-
Die Fermentation erfolgt typischerweise in Rühr- dung initiiert und damit gleichzeitig die Cephalospo-
kesselreaktoren (stirred tank reactors, STR) mit nicht rin C-Synthese beschleunigt. Arthrosporenbildung
selten Maßstäben von über 100 m³. Der Produktions- und Cephalosporinsynthese stehen somit im engen
organismus Acremonium chrysogenum wird hierzu Zusammenhang.
erst in einem zweistufigen Prozess im Labor in Schüt- Der gesamte Prozess zeichnet sich durch einen
telkolben, dann in einem dreistufigen Produktions- hohen Bedarf an Sauerstoff aus. Dieser ist zum
verfahren in Rührkesselreaktoren in komplexen einen für das Wachstum und den Energiestoffwech-
Nährstoffmedien produziert. sel notwendig, zugleich aber auch zur Reoxidation
Im Nährlösungsansatz kommt unter anderem großer Mengen an Reduktionsäquivalenten wie
der Verwendung von Maisquellwasser eine beson- NADH, die infolge der der β-Oxidation der aufge-
dere Bedeutung zu, da in frühen Arbeiten gezeigt nommenen Fettsäuren anfallen. Dieser biochemi-
werden konnte, dass dieser Rohstoff zu einer signifi- sche Prozess ist dabei hochkomplex und interessan-
kanten Steigerung der Produktausbeute, neben der terweise von der ATP-Synthese abgekoppelt. Denn
470 C. Syldatk et al.

würden sonst NADH und ATP intrazellulär in zu des Sauerstoffpartialdruckes bzw. der Gelöstkonzen-
hoher Konzentration vorliegen, käme es auch dann tration) gesteuert werden kann.
zur Kataboliten-Repression mit der Folge des Erlah- Nach Fermentationsende erfolgt die Herstellung
mens des zentralen Stoffwechsels und somit auch der 7-ACA im sogenannten Downstream-Prozess.
der Cephalosporinproduktion. Somit ist während Dieser beinhaltet alle Prozessschritte von der Abtren-
der Fermentation die Regelung eines Sauerstoffge- nung des Biomasseanteils aus dem Fermentations-
haltes mit einem pO2-Wert von 40–50 % der maxi- brei über die Aufreinigung der CPC-Lösung und die
malen Sättigung im Kulturmedium wünschenswert, chemische Reinigung oder, alternativ, die enzyma-
welcher durch technische Maßnahmen wie der Stei- tische Spaltreaktion zu 7-ACA bis hin zur Kristal-
gerung des Leistungseintrages durch Drehzahlerhö- lisation, Trocknung und Abfüllung des Wirkstoffes
hung (Zerkleinerung der Blasen und Erhöhung der mit Reinheiten von über 95 %. Die Prozessschritte
Stoffaustauschfläche), Erhöhung der Belüftungsrate werden kontinuierlich durchlaufen und sind sche-
(Erhöhung des Gasanteils/Durchsatzes) oder durch matisch in . Abb. 11.11 dargestellt. Zur Abtrennung
Erhöhung des Fermenter-Innendruckes (Erhöhung der Biomasse können tangentiale Mikrofiltration

11

. Abb. 11.11  Schematische Darstellung der 7-ACA Herstellung


Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
471 11
oder klassische Filterpressen (Dead end filtration) Faustregel kann davon ausgegangen werden, dass
zum Einsatz kommen. Die Tangentialfiltration bakterielle Enzyme am besten in Bacillus und pilz-
ermöglicht eine kontinuierliche Fahrweise und ver- liche Enzyme am besten in Aspergillus und Tri-
hindert eine frühzeitige Verblockung der Membran choderma exprimiert werden. Dementsprechend
durch den Filterkuchen. Zur Aufreinigung des Klar- werden bakterielle Proteasen und Amylasen mit
laufs kommen verschiedene Chromatographiever- Bacillus hergestellt und pilzliche Cellulasen, Amy-
fahren zum Einsatz, sodass nach Abtrennung der lasen, Lipasen und Laccasen mit Aspergillus und
Nebenprodukte aus dem Fermentationsprozess Trichoderma. Während die ersten Produktions-
eine konzentrierte CPC-Lösung vorliegt. Dabei stämme noch mit Plasmiden und Antibiotika-Re-
ist ein wichtiger Aspekt die initiale Konzentration sistenzmarkern arbeiteten, setzten sich nachfolgend
an Nebenprodukte aus dem Fermentationsbrei. In immer mehr die Verfahren durch, die auf Integra-
den sich anschließenden enzymatisch katalysierten tion des Zielgens ins mikrobielle Genom basier-
Reaktionen wird durch die finale Abspaltung der Sei- ten. Die gentechnischen Konstruktionen umfassen
tenkette CPC zu 7-ACA umgesetzt. Nach Kristalli- heute nicht nur Promotoren, die die gezielte Über-
sation, Waschen und Trocknen wird am Ende des expression der Zielgene gewährleisten, sondern
Downstream-Prozesses kristalline 7-ACA als Zwi- auch den knock out von unerwünschten Nebenak-
schenprodukt für die Weiterverarbeitung zu semi- tivitäten oder der Verstärkung oder Einführung von
synthetischen Cephalosporinen abgefüllt und für Aktivitäten, die die optimale Nutzung der techni-
den Verkauf verpackt. schen Medien sichern.
Die Fermentation erfolgt in der Regel in Sub-
mersverfahren. Das Medium setzt sich aus Kohlen-
11.2.4 Rekombinante Proteine hydratquellen, Stickstoffquellen und Mineralsalzen
zusammen, die einerseits kostengünstig, ande-
rerseits von geprüfter Qualität aus nachwachsen-
Technische Enzyme den Rohstoffen sein müssen. Damit verbunden ist
Karl-Heinz Maurer meist eine mehr oder weniger komplexe chemische
Zusammensetzung vor allem der Stickstoffquellen.
Unter dem Begriff technische Enzyme werden Als C- Quellen kommen Weizenmehl, Maismehl,
Enzyme für technische Anwendungen zusammen- Stärke, Glucose und andere Zucker zum Einsatz.
gefasst. Typische Anwendungen erfolgen in Wasch- Als N-Quellen Sojamehl, Gluten, Maisquellwasser,
und Reinigungsmitteln, in der Textil und Papier- Casein, Kartoffelprotein und Ammoniumsalze. Die
industrie und als Biokatalysatoren in der chemischen Fermentation erfolgt in der Regel in großen Fer-
Industrie. Technische Enzyme werden inzwischen mentern, die ein Nennvolumen von 60 bis 150 m3
nahezu ausschließlich mit rekombinanten Produk- haben, aber auch größer sein können. Die Wachs-
tionsorganismen hergestellt. Im Vergleich mit nicht tumsgeschwindigkeit ist am höchsten bei Bakterien
rekombinanten, sogenannten klassischen Produk- wie z. B. Bacillus species, die teilweise nur 36 bis 48
tionsstämmen erlauben diese die Herstellung von Stunden kultiviert werden. Pilze wie Aspergillus
Monokomponenten-Enzymen, bei denen relevante species (A. niger, A. oryzae) und Trichoderma reesei
Nebenaktivitäten ausgeschaltet oder vernachläs- wachsen deutlich langsamer und werden zwischen 6
sigbar gering sind. Diese Produktionsstämme sind und 14 Tagen fermentiert. Auch die Zusammenset-
dadurch gekennzeichnet, dass die Zielenzyme aktiv zung der Medien, die Art von fed-batch-Fermenta-
sekretiert werden, was die technische Aufarbeitung tion, die Art der Verfahrensführung richtet sich nach
ungemein erleichtert. den verwendeten Mikroorganismen. Bei fed-batch-
Typische Produktionsorganismen rekrutie- Fermentationen wird eine oder mehrere Rohstoff-
ren sich aus den Familien Bacillus (Bacillus sub- quellen im Verlauf der Fermentation zugefüttert,
tilis, Bacillus licheniformis, Bacillus amyloliquefa- falls gleichzeitig auch Volumen entnommen wird
ciens), Aspergillus (Aspergillus oryzae, Aspergillus (fill and draw) kann dabei auch über das normale
niger) und Trichoderma (Trichoderma reesei). Als Arbeitsvolumen des Fermenters hinausgegangen
472 C. Syldatk et al.

werden. Damit kann aus einer Fermentation für Pharmazeutische Proteine


den Preis einer mäßigen Verdünnung entspre- Christoph Kiziak
chend mehr Produkt gewonnen werden. Die Kon-
zentration des Zielenzyms im Fermenterbrei einer Die Produktion von heterologen pharmazeutischen
Fermentation liegt bei Bakterien im Bereich bis zu Proteinen dient der Bereitstellung des rekombinan-
25 g/L und bei pilzlichen Produktionssystemen bis ten Produkts in ausreichender Menge und Qualität,
zu 100 g/L. jedoch auch in einer für den weiteren Prozess geeig-
Eine typische Aufarbeitung von techni- neter Form und Weise zu einem für den Gesamtpro-
schen Enzymen erfolgt in folgenden Schritten zess tragfähigen Preis. Dazu werden in der Mehr-
(s. 7 Abschn. 9.1): Zunächst wird die Biomasse abge- zahl Gram-negative oder Gram-positive Bakterien,
trennt. Dies erfolgt durch Separatoren, durch Rota- eukaryotische Hefen oder Säugertierzellen verwen-
tionstrommelfilter oder geschlossenen Kammerfil- det. Diese Systeme sollen im Nachfolgenden an Hand
terpressen. Zur Unterstützung der Zellabtrennung des in der jeweiligen Gruppe dominierenden Wirts-
können Flockungs- oder Fällungshilfsmittel oder Fil- organismus E. coli, Bacillus subtilis, Pichia pastoris
terhilfsmittel hinzugefügt werden. Mikrofiltration und CHO (Chinese Hamster Ovary) Zellen näher
wird eingesetzt, um die vollständige Entfernung der beschrieben und vergleichend diskutiert werden. Die
rekombinanten Mikroorganismen zu gewährleisten. Produktionsprozesse unterscheiden sich dabei maß-
Dies geschieht nicht nur unter dem Aspekt der Abwe- geblich und sollen an Hand der drei typischen Prozess-
senheit von Produktionsorganismen, sondern dient entwicklungsschritte, Stammentwicklung, Fermen-
auch dem Schutz des geistigen Eigentums, das die tation und Aufreinigung näher beschrieben werden.
Produktionsorganismen darstellen. Das wichtigste Entscheidungskriterium für die
Der zellfreie Überstand wird in der Regel auf- Verwendung eines dieser Systeme ist jedoch das Ziel-
konzentriert. Dies kann durch Dünnschichtver- protein selbst. Dessen generelle Eigenschaften wie
dampfer oder durch Ultrafiltration erfolgen. Ein das Vorhandensein von Disulfidbrücken oder einer
11 alternatives Verfahren besteht in der Aufkonzentrie-
rung durch Kristallisation der Enzyme. Die Kristalle
erwünschten oder unerwünschten Glykosylierung,
die Art der N-terminalen Aminosäure, die pH-Sta-
werden von der Mutterlauge abgetrennt und später bilität oder auch die intrinsische Faltungskapazität
wieder gelöst. Hierdurch können Produkte erzielt haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl
werden, die nahezu farblos sind. Andere Verfahren des Wirtsorganismus und des zur Produktion ver-
zur Abtrennung der gelben bis braunen Farbkompo- wendeten Zellkompartiments bzw. einer intrazellu-
nenten können mit hohem technischem Aufwand lären oder sekretierten Produktion. Hierbei ist eben-
verbunden sein. falls zu beachten, dass es auch umgekehrt durch die
Die konzentrierte Enzymlösung kann entwe- Verwendung eines Produktionssystems zu einer
der durch Sprühtrocknung (s. 7 Abschn. 9.4) oder Modifikation am Zielprotein kommen kann. Bei-
durch Granulierung in pulverförmige Produkte spielsweise kann die Glykosylierung zwar für die
umgewandelt werden. Für die Bereitstellung flüssi- Funktion eines Proteins irrelevant sein und daher
ger Enzymprodukte wird in der Regel der Zusatz von die bakterielle Produktion prinzipiell möglich sein,
Stabilisatoren und Konservierungsmitteln gegenüber jedoch kann das Fehlen solcher Zuckerstrukturen die
enzymatischem oder mikrobiellem Abbau notwen- Löslichkeit eines in der Natur glykosylierten Proteins
dig. Die Konzentration des Enzyms in technischen stark negativ beeinflussen und zur Inclusion body-
Produkten liegt häufig bei 4–5 %, sie kann aber auch Bildung führen.
deutlich niedriger (1 %) und bis zu 20 % eingestellt Eine essentielle Voraussetzung für die Gene-
werden. Für Haushaltsprodukte dürfen beim Ver- rierung eines hochproduzierenden Stammes ist
braucher keine Enzymstäube auftreten, die zu all- neben der Verwendung eines geeigneten Promo-
ergischen Reaktionen führen können. Daher wird ters / Induktionssystems die Bereitstellung einer
das Enzym-Pellet mit einer Wachsschicht überzogen hohen Kopienzahl eines gene of interest (GOI) im
(Coating). [26] Wirtszellhintergrund.
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
473 11
Die kann einerseits durch Transformation Produktionsstamm mindestens eine niedrige vier-
einer Wirtszelle mit einem autonom replizieren- stellige Zahl von Klonen gescreent werden. Daher ist
den Plasmid oder durch die (multiple) Integration im Gegensatz zu bakteriellen Systemen eine einfache
des GOI in das Chromosom der Wirtszelle erfol- Analytik für das Zielprotein für das Screening unab-
gen. Plasmid-basierte Systeme sind typisch für E. dingbar. Ein großer Vorteil ist, dass die Mehrzahl der
coli, während für Bacillus beide Vorgehensweisen Produkte im Kulturüberstand produziert wird, da der
beschrieben sind. Bei eukaryotischen Systemen Zellaufschluss im Hochdurchsatz eine nicht zu unter-
dominiert mit Ausnahme des 2-Micron-Plasmids für schätzende Hürde ist. Neben den analytischen Anfor-
Saccharomyces die chromosomale Integration, wobei derungen bedingt die hohe Zahl zu analysierender
Kleinmengenproduktion mit transienten Zelllinien Klone ein reproduzierbares Screeningverfahren dem
immer stärkeres Interesse erlangt. – neben der generellen Fragestellung der Übertrag-
Diese beiden prinzipiellen Möglichkeiten der barkeit der Ergebnisse eines im batch-Modus durch-
Einbringung des Zielgens haben weitreichende Kon- geführten Screenings auf eine fed-batch-Fermenta-
sequenzen, nicht nur für das Prozedere der Stamm- tion – bei Pichia die schwierigere Handhabung des
herstellung und die Selektion eines hochproduzie- weithin verwendeten Methanol-induzierten AOX1
renden Stammes, sondern beispielsweise auch auf die System entgegensteht. Entsprechend gibt es hier
genetische Stabilität und damit die Robustheit eines inzwischen auch induzierbare Systeme, die auf die
Prozesses. Ebenso ist die Stabilität eines Stammkons- Verwendung von Methanol verzichten.
trukts eine unabdingbare Voraussetzung für die Ent- Bei plasmid-basierten Produktionsorganismen
wicklung kontinuierlicher Fermentationsverfahren. wie E. coli werden durch die Kombination eines
Beide Möglichkeiten sollen daher an Hand einer bestimmten Wirts mit einem bestimmten Plasmid
typischen Vorgehensweise einer chromosomalen Klone generiert, die identische Eigenschaften besit-
Integration für Pichia pastoris und eines plasmid-ba- zen sollten. Variabilität wird im Wesentlichen durch
sierten Produktionsstamms für E. coli näher beleuch- die Variation von Wirtszelle und Plasmid erzeugt.
tet werden. Daher übersteigt die Zahl der zu testenden Kombi-
Die Zielgene müssen in Pichia chromosomal ein- nationen selten den zweistelligen Bereich. Trotz des
gebracht werden und im Regelfall muss nach einem Nachteils des nötigen Zellaufschlusses ist also auch
Stamm mit einer idealen Genkopienzahl (gene copy die Verwendung aufwändigerer Analysemethoden
number, GCN) gescreent werden. Für Säugertierzel- für ein Primärscreening möglich.
len ist zudem der Integrationsort von großer Bedeu- Typische Variationen sind die Verwendung von
tung. Die Genkopienzahl liegt dabei für intrazelluläre verschiedenen Wirtszellen wie den E. coli K12-Isola-
Produkte in der Regel höher als für sekretierte Pro- ten W3110 oder RV308 und den B-Isolaten wie BL21,
teine, da die Prozessierung über ER und Golgi eine wobei oft auch Derivate dieser Stämme mit Protea-
Limitierung (bottleneck) darstellen kann. Da nach sedeletionen oder auch überexprimierten Helferfak-
einer Transformation von Pichia geschätzt nur 1-10% toren wie Chaperonen und Disulfid-Isomerasen ein-
der Klone eine höhere Kopienzahl tragen, muss ent- gesetzt werden.
weder schrittweise die Konzentration des Selektions- Bezüglich Variation der verwendeten E. coli-
markers erhöht werden oder direkt mit höheren Kon- Plasmide und der Kombination von Faktoren wie
zentrationen selektioniert werden. Ebenso kommt Kopienzahl, Promotoren und verschiedener Helfer-
es immer wieder zum Auffinden sogenannter „Joker faktoren gibt es inzwischen eine fast unerschöpfli-
Klone“ mit unerwartet höherer Produktivität, was che Anzahl von Möglichkeiten. Allen gemeinsam ist
beispielsweise durch nicht-homologe Integration jedoch die im Vergleich zu chromosomalen Systemen
des Zielgens bedingt sein kann. Dies macht den schlechtere Stabilität. Während dies in einer frühen
Prozess der Stammherstellung aufwändiger und Phase eine oft untergeordnete Rolle spielt, kann es
eine höhere Anzahl gescreenter Klone erhöht die bei einem hohen Selektionsdruck des Zielproteins
Erfolgswahrscheinlichkeit für einen hochproduzie- kombiniert mit einer Hochzelldichtefermentation im
renden Stamm. Als Richtwert sollten für einen guten Prozess zu einem Plasmidverlust kommen. Dabei ist
474 C. Syldatk et al.

der Titerverlust selbst oftmals weniger ein Problem. speziellen Stämmen wie CyDisCo (cytoplasmic disul-
Vielmehr ist die Aufrechterhaltung einer idealer- fide bond formation in E. coli) nur die Möglichkeit
weise 100-%igen Plasmidstabilität ein wesentlicher der Sekretion. Bei Gram-negativen Bakterien und
Faktor für eine konsistente Fermentationsausbeute Eukaryoten existieren Kompartimente wie der peri-
ohne Streuung (batch-to-batch variation) und damit plasmatische Raum oder das endoplasmatische Reti-
eines robusten Prozesses. Daher sollten Plasmide mit kulum mit Helferfaktoren, die für die Faltung von
einer hohen segregationellen Stabilität oder eventuell Proteinen unter oxidierenden Bedingungen oder
sogar spezielle Elemente zur Plasmidstabilisierung auch für die Assemblierung von heteromultimeren
wie Toxin-Antitoxin Konstrukte oder Auxotrophien Proteinen geeignet sind. Bei Gram-positiven Bakte-
eingesetzt werden. Ein Vorteil kann auch die Ver- rien wie Bacillus ist das Zusammenwirken von Sekre-
wendung eines geeigneten Induktionssystems bieten. tion, Faltung und Ausbildung von Disulfidbrücken
Für E. coli werden fast ausschließlich induzierbare noch sehr viel weniger verstanden. Das mag auch
Promotoren verwendet, wobei lac-Derivate und T7 ein Grund dafür sein, dass Gram-positive Bakterien
immer noch eine maßgebliche Rolle spielen. Inzwi- trotz hoher Produktivität und sehr guten Wachs-
schen gibt es unzählige Varianten dieser Promotoren, tumseigenschaften und der prinzipiellen Möglich-
bei denen insbesondere die ungünstige Basalexpre- keit zur Sekretion bisher nicht für biopharmazeuti-
sion und die schlechte Regulierbarkeit deutlich ver- sche Produktionen mit typischerweise komplexeren
bessert wurden. Daneben spielen positiv regulierte Proteinen verwendet werden.
Systeme wie Arabinose oder insbesondere L-Rham- Für die periplasmatische oder sekretierte Pro-
nose eine immer größere Rolle. Diese zeichnen sich duktion wird dem gene of interest die Sequenz eines
durch eine geringe Basalexpression und ein sanfteres Signalpeptids vorgeschaltet. Beim Übertritt ins bak-
Induktionsprofil aus, was einem Plasmidverlust oder terielle Periplasma oder der eukaryotischen Prozes-
auch einer möglichen Bildung von inclusion bodies sierung im Endoplasmatischen Retikulum und Golgi
entgegenwirken kann. findet eine Abspaltung des Signalpeptids statt, so dass
Im Weiteren soll der Einfluss unterschiedlicher
11 Zellkompartimente bzw. der Sekretion beschrieben
jede gewünschte N-terminale Aminosäure erzeugt
werden kann. Diese Abspaltung ist in der Regel sehr
werden, die wiederum auf den Qualitätsaspekt einer effizient und exakt, wobei Pichia mit dem meistver-
Proteinproduktion einen wesentlichen Einfluss haben. wendeten alpha-mating-Faktor-Signalpeptid eine
Die Wahl des zellulären Kompartiments ist dabei eine Ausnahme bilden kann. Im Gegensatz zu beispiels-
in der Regel vom Zielprotein vorgegebene Entschei- weise einer bakteriellen Signalpeptidase, die nach der
dung. Hier weisen Zytosol und Periplasma bzw. sekre- in der Primärstruktur verankerten Erkennungsse-
tierte Produktion verschiedene Vor- und Nachteile quenz Ala-x-Ala schneidet, kann es bei Pichia bei
auf. Im reduzierenden Milieu des Zytoplasmas findet Spaltung mit der Preprotein Konvertase Kex2 zu
keine Ausbildung von Disulfidbrücken statt, gleich- N-terminaler Variabilität und damit zu Qualitäts-
zeitig werden jedoch oxidationsempfindliche Proteine einbußen beim Zielprotein kommen.
geschützt. Ebenso gibt es Proteine mit hoher intrin- Diese Ausführungen zeigen, dass es ein fast
sischer Faltungskapazität, die sich für die Sekretion unbegrenztes Spektrum an Möglichkeiten und Facet-
nur sehr bedingt eignen. Ein Nachteil der bakteriel- ten gibt, um Proteine in löslicher Form oder größe-
len zytoplasmatischen Produktion kann die fehlende ren Mengen produzieren zu können. Ein häufiges
oder unvollständige Abspaltung des aminoterminalen Dilemma besteht daher in einem unzureichenden
(Formyl-) Methionins in Abhängigkeit von der zweiten Stammscreening, so dass kritische Stämme in auf-
Aminosäure und dem erzielten Produkttiter sein, so wändigen Fermentationsentwicklungen optimiert
dass in diesen Fällen keine Aminosäuren-genaue Pro- werden ohne dass vorab die ganze Palette mögli-
duktion erfolgen kann oder produktverwandte Verun- cher Optimierungen des Produktionsstamms aus-
reinigungen auftreten, was in Abhängigkeit von der geschöpft wurden.
angestrebten Verwendung des Zielproteins einen kri- Zentraler Punkt für die Fermentation ist die Pro-
tischen Qualitätsfaktor darstellen kann. duktlokalisation. Ganz generell ist bei Systemen wie
Für Zielproteine mit Disulfidbrücken gibt es E. coli durch die intrazelluläre Produktion im Zyto-
mit Ausnahme von Inclusion body-Prozessen oder plasma oder Periplasma die Produktivität an die
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
475 11
Biomasse gekoppelt, so dass eine höhere Biomasse Die Aufreinigung der Zielproteine hängt im
in der Regel auch zu einem höheren Produkttiter Wesentlichen von deren späterer Anwendung ab.
führt. Typische fed-batch-Fermentationen von E. Für viele Anwendungen wie der Biokatalyse ist es
coli erreichen Biotrockenmassen von 35-60 g/L in zudem möglich, die Zielproteine mit einem Affini-
2–3 Tagen Gesamtfermentationszeit; bei Bacillus täts-tag zu versehen, um die Aufreinigung wesent-
können diese Werte noch höher liegen. Bei bakte- lich zu vereinfachen. Ebenso können hier Verunrei-
riellen Systemen werden bei der zytoplasmatischen nigungen durch Wirtszellproteine problemlos sein,
Produktion im Extremfall sehr hohe Ausbeuten von während bei der biopharmazeutischen Produktion
über 20 g/L erzielt. Dagegen ist die Produktivität im nicht nur die Abreinigung der Wirtszellproteine,
periplasmatischen Raum von Gram-negativen Bak- sondern auch die Aminosäuren-genaue Reinheit
terien insgesamt geringer und es werden nur Titer im des Produkts gefordert ist. Entsprechend sind dort
niedrigen einstelligen g/L-Bereich erreicht. Unklar Produkt-verwandte Verunreinigungen durch bei-
ist, ob es sich hier um eine physikalische Limitierung spielsweise N-terminale Modifikation oder Falsch-
des Periplasmas handelt. Als Sonderfall der periplas- einbau nicht-proteinogener Aminosäuren wie Nor-
matischen Produktion bei E. coli wird in vielen Fällen leucin kritische Parameter und müssen innerhalb der
die Freisetzung des Zielproteins in den Kulturüber- Aufreinigung betrachtet werden. Ebenso kann es vor
stand beschrieben. Dies basiert auf einem nicht voll- oder im Aufreinigungsprozess selber zu Modifikatio-
ständig verstandenen Prozess der Vesikulierung der nen wie Oxidation, Deamidierung oder Carbamoy-
äußeren Membran, wobei ein hoher Titer des Ziel- lierung kommen.
proteins eine wichtige Rolle für die Freisetzung spielt. Wegen der unterschiedlichen Anforderungen
Ebenso gibt es Stämme die eine solche Freisetzung in an die Reinheit soll an dieser Stelle nur kurz auf die
den Überstand begünstigen, wobei in beiden Fällen wesentlichen Unterschiede für die Aufreinigung
zu beachten ist, dass die Qualität des Zielproteins basierend auf der Wahl des Produktionsorganismus
durch eine lange Verweilzeit im Kulturüberstand eingegangen werden. Unabhängig von periplasmati-
beeinflusst werden kann. Auch sind in der Regel scher und zytoplasmatischer Produktion bei Gram-
angepasste Fermentationsregimes von Nöten, um der negativen Bakterien muss auf Grund der fehlenden
Instabilität dieser Wirtszellen Rechnung zu tragen. großtechnischen Umsetzbarkeit eines selektiven
Die Hefe Pichia nimmt eine interessante Zwi- periplasmatischen Aufschlusses in beiden Fällen
schenstellung zwischen bakteriellen und Säugetier- die Wirtszelle vollständig aufgeschlossen werden.
zellsystemen ein. Hier scheint die metabolische und Dadurch ist das Zielprotein immer stark durch
sekretorische Leistung an das Zellwachstum gekop- potentiell immunogene Wirtszellproteine und auch
pelt zu sein. Dies führt generell zu Prozessen mit sehr Endotoxin verunreinigt bzw. es können für bioka-
hohen Biomasseausbeuten, deren Abtrennung tech- talytische Anwendungen Nebenaktivitäten vorhan-
nisch anspruchsvoll ist. Die Produkttiter im Kultur- den sein. Daher ist die Aufreinigung hier beson-
überstand können inzwischen auch mehrere Gramm ders anspruchsvoll und es sollte immer überprüft
pro Liter erreichen, wobei der hohe volumetrische werden, ob das Zielprotein eventuell stark unter-
Anteil der Biomasse am Gesamtvolumen beach- schiedliche physikochemische Eigenschaften zum
tet werden muss. Die Fermentationsdauer mit dem Wirtszellhintergrund aufweist. Beispielsweise kann
oftmals verwendeten AOX1 Induktionssystem mit bei einer erhöhten Temperatur- oder pH-Stabilität
Methanol beträgt 5-7 Tage. bereits ein großer Teil der Wirtszellproteine durch
Säugetierzellsysteme dagegen haben sehr hohe einfache Grundoperationen wie Präzipitation abge-
Sekretionsleistungen trotz niedrigem Zellwachstum. trennt werden.
Dadurch entstehen Prozesse mit hohen Produkt- Durch den Zellaufschluss kommt es zum Kontakt
ausbeuten von mehreren Gramm pro Liter, jedoch des Zielproteins mit Proteasen, wobei hier oftmals
einer typischen Fermentationsdauer im Bereich von ompT als sehr stabile Protease der äußeren Membran
2 Wochen. Die trotzdem niedrigen Biomassen und eine Rolle spielt und daher viele Produktionsstämme
damit verbundenen niedrigen Transferraten machen ompT-negativ sind.
diese Systeme so zu Vorreitern bei der Verwendung Gram-positive Organismen wie Bacillus sekre-
von Einwegbioreaktoren. tieren oft eine Vielzahl von Proteasen und es ist auch
476 C. Syldatk et al.

oft nicht möglich, die Gene aller diese Proteasen im fossilen Ressourcen hergestellt. Mit der drohen-
Wirtsorganismus zu deletieren, ohne die Leistungs- den Verknappung und dem daraus resultierenden
fähigkeit des Stamms zu vermindern. Daher kann es Anstieg der Rohstoffpreise, den zunehmenden Pro-
zu Deletionen am Zielprotein kommen. Durch das blemen durch die hohen anthropogenen CO2-Emiss-
Fehlen von Endotoxinen kann Bacillus in den Fällen ionen und dem damit verbundenen Treibhauseffekt
eine Lösung sein, in denen das Zielprotein an Endo- findet inzwischen jedoch ein Umdenken in Politik
toxin bindet. und Wirtschaft in Richtung einer biobasierten Wirt-
Bei Pichia führen die hohen Biomassekonzent- schaft statt.
rationen zu technischen Limitationen hinsichtlich In technologiepolitischen Programmen und in
deren Abtrennung. Dagegen ist die Degradation des der gesellschaftspolitischen Diskussion wird dabei
Zielproteins im Überstand die Ausnahme und die mit dem Begriff „Bioökonomie“ in jüngerer Zeit
Sekretion in Pichia kann bei geeigneter Fermenta- die Entwicklung einer biobasierten, nachhaltigen
tionsführung bereits zu Reinheiten des Zielproteins und hocheffizienten Wirtschaft und Landwirtschaft
von 60-70% führen. Allerdings kann es neben der bezeichnet, die erneuerbare biologische Ressourcen
durch eine Änderung der Aminosäuresequenz ver- zur Herstellung von Produkten nutzt.
meidbaren N-Glykosylierung auch zu einer nicht Als Ergebnis wurden mit dem Beginn des 21.
vorhersagbaren O-Glykosylierung des Zielproteins Jahrhunderts zunächst intensive Anstrengungen
kommen. Eine Abreinigung ist hier sehr schwierig unternommen, flüssige fossile Brennstoffe durch
und neben der potentiellen Immunogenität können Kraftstoffe aus erneuerbaren Rohstoffen wie Bio-
auch funktionell wichtige Epitope betroffen sein. diesel und Bioethanol zu ersetzen, was jedoch auf
Neben der bereits erwähnten inakkuraten Prozes- Grund der wachsenden Nutzung von Zuckern
sierung des N-Terminus kann es durch die lange Ver- sowie Stärke- oder Triglycerid-haltigen pflanzli-
weilzeit des Zielproteins im sauren Kulturüberstand chen Rohstoffen zu einer „Tank oder Teller“-De-
zu chemischen Modifikationen kommen. batte führte, die noch nicht abgeschlossen ist und
11 Säugetierzellen kommen in der Regel nur für
hochpreisige und human glykosylierte Proteine für
zu Bestrebungen geführt hat, Lignocellulose oder
sogar CO und CO2 zur Produktion von Biokraft-
den biopharmazeutischen Sektor zur Anwendung. stoffen zu nutzen.
Daher ist hier die Virusinaktivierung als besondere Neben diesen Bestrebungen zu einer Energie-
Grundoperation innerhalb der Aufreinigung zu wende gibt es in der chemischen Industrie zuneh-
nennen. mend auch ernst zu nehmende Bestrebungen für
Abschließend soll . Tab. 11.4 nochmals einen eine Rohstoffwende von fossilen hin zu nachwach-
Gesamtüberblick über die wesentlichen Eigenschaf- senden Rohstoffen. In beiden Fällen bestehen die
ten und Parameter für die Produktion rekombinanter größten Herausforderungen bei der Entwicklung
Proteine mit unterschiedlichen Produktionsorganis- von grünen und nachhaltigeren Produktionsprozes-
men geben. [42] sen darin nicht mehr in der Lebensmittelkonkurrenz
zu stehen und CO2-neutral oder sogar CO2-reduzi-
erend zu arbeiten.
11.2.5 Ausblick Aus biotechnologischer Sicht arbeiten alle bisher
etablierten Verfahren, wie oben beschrieben, mit
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden aus- Zucker- und Stärke-basierten Medien. Diese wurden
schließlich nachwachsende Rohstoffe als Ausgangs- z.T. über Jahrzehnte bezüglich mikrobiellem Wachs-
stoffe in der chemischen Industrie verwendet, um tum, Produktausbeute und Kosten optimiert. Die
Plattformchemikalien, Zwischenprodukte, Indus- Verfügbarkeit dieser Substrate ist jedoch nur ausrei-
trie- und Konsumprodukte zu synthetisieren, bis chend für die heutigen mikrobiellen Fermentations-
sie Mitte des 20. Jahrhunderts fast vollständig von verfahren (Tab. 11.1), wodurch die Notwendigkeit
fossilen Ausgangsmaterialien ersetzt wurden. Im für neue Rohstoffe für die Herstellung von Biokraft-
Moment werden nach Schätzungen ca. 95% der stoffen und Chemikalien besteht, um dem Bedarf in
Grundbausteine in der chemischen Industrie aus Zukunft gerecht zu werden.
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
477 11

. Tab. 11.4  Vergleich der typischen Eigenschaften und Parameter für die Produktion rekombinanter Proteine mit
unterschiedlichen Produktionsorganismen (zytopl. = zytoplasmatisch; perpl. = periplasmatisch)

Gram-negativ Gram-positiv Hefen Säugetierzellen


(E. coli) (Bacillus) (Pichia pastoris) (CHO)

Induktion Induziert Induziert Induziert/ Konstitutiv Konstitutiv


Lokalisation des GOI Plasmid Plasmid/ Chromosomal Chromosomal
Chromosomal
Genetische Stabilität Mittel Niedrig/Hoch Hoch Hoch
Screeningaufwand Niedrig Niedrig Hoch Sehr hoch
Stammentwicklung 4–6 6–8 8–12 16–24
incl. Screening
(Wochen)
Fermentationsdauer 2–3 2–3 4–7 14
fed-batch (Tage)
Biotrockenmassen 35–50 40–60 100–150 10
(g/L) im Fermenter
Typische 1–10 (zytopl.), 1–10 0,5–5 0,5–5
Fermentationstiter 0,5-2 (peripl.)
(g/L)
pH Neutral Neutral 4–6 Neutral
Typische Lokalisation Intrazellulär Kulturüberstand Kulturüberstand Kulturüberstand
des Zielproteins
Ausbildung von Nein (zytopl.), Ja (Ja) Ja Ja
Disulfidbrücken (peripl.)
Glykosylierung Nein Nein Ja, potentiell Ja
immunogen
Weitere kritische (Formyl-) Sekretion, Proteasen N-terminale Virusinaktivierung
Parameter Methionin im Überstand Prozessierung,
(zytopl.), Biomasseabtrennung
Endotoxin

Bislang ist Lignocellulose die einzige erneuerbare Ansätze zur biotechnologischen Produktion von Bio-
organische Kohlenstoffquelle, die nicht in Lebens- ethanol auf dieser Basis.
mittelkonkurrenz steht. Sie hat damit das Poten- Große Bedeutung gewinnt auch die Konstruk-
zial, als nachhaltige Energie- und Kohlenstoffquelle tion von Produktionsstämmen mit neuen Biosynthe-
zu dienen, wobei jedoch die Lignocellulose-Vor- sewegen mit Methoden der Synthetischen Biologie.
behandlung ein wichtiges Thema ist, das nicht ver- Im Gegensatz zur Herstellung rekombinanter Pro-
nachlässigt werden kann. Dies erfordert zusätzliche teine, die jeweils als einziges Genprodukt produziert
Prozessschritte, wie z. B. die erfolgreiche Hydrolyse werden, ist die heterologe Etablierung kompletter
und Fraktionierung in Cellulose, Hemicellulose und Biosynthesewege, mit zahlreichen Biosynthesegenen,
Lignin und deren anschließende Hydrolyse in die noch eine große Herausforderung. Erste Produkte,
entsprechenden Monomere. Ein Meilenstein könnte wie etwa Propan-1,3-Diol sind jedoch schon seit
daher die mikrobielle Nutzung von CO2, CO und H2 einer Dekade auf dem Markt. In allen Fällen erfor-
als Substrat sein. Hier gibt es bereits erste erfolgreiche dert die zukünftige Entwicklung von neuen und
478 C. Syldatk et al.

innovativen Verfahren, eine immer stärkere inter- Mischung vieler verschiedener Inhaltsstoffe mit
disziplinäre Zusammenarbeit von Ingenieuren, Che- wechselnden Konzentrationsverhältnissen. Zum
mikern, Biologen und Informatikern. anderen ist die Biozönose der Anlage eine Misch-
kultur mit einer großen mikrobiellen Diversität,
was aus der Zusammensetzung des Substrats und
11.3 Mikrobielle Abwasserreinigung den Prozessbedingungen resultiert. In Deutschland
werden zurzeit ca. 10,1 Mrd. m³/a Abwasser (kom-
Martin Denecke und Leon Steuernagel munal) in über 9600 Kläranlagen (KA) gereinigt.
Der Anteil der industriellen Abwasserreinigung ist
Neben der Stoffproduktion ist ein weiteres Einsatz- mit ca. 3000 Anlagen und ca. 920 Mio. m³/a deut-
gebiet mikrobieller Prozesse die Behandlung von lich geringer.
Abfällen, Abluft und Abwässern. Historisch gesehen Die zu entfernenden Inhaltsstoffe lassen sich in
ist in Verbindung mit der Agglomeration von Men- drei übergeordnete Gruppen einteilen: organische
schen in Siedlungen neben der Aufgabe der Versor- Verbindungen, gemessen als CSB oder BSB, Stick-
gung mit Nahrung und Wasser auch die Notwendig- stoff (N) in Form von Ammonium, Nitrit, Nitrat
keit der Fäkalienentsorgung und Wasserreinhaltung und Norg, sowie Phosphate (P) wie z. B. Ortho-
entstanden. Verstärkt wurde der Problemlösungs- phosphat und Porg . Grundsätzlich müssen ein-
druck seiner Zeit durch das massenhafte Auftreten geleitete Abwässer bezüglich ihrer Herkunft zwi-
von Infektionskrankheiten, die als direkte Folge der schen „kommunal“ und „industriell“ differenziert
Unterlassung von Entsorgungsmaßnahmen, insbe- werden. Kommunale Abwässer weisen die genann-
sondere der Wasserreinigung, entstanden sind. ten Inhaltsstoffe größtenteils in konstanten Konzen-
Diese Probleme sind in den Industriestaaten trationen von ca. 5–300 mg/L auf. Bei industriellen
durch die biotechnologisch basierte Reinigung von Abwässern hingegen können die Konzentrationen
Zivilisationsabwasser und -abfällen weitgehend zwischen wenigen mg/L bis hin zu einigen g/L vari-
11 gelöst, sodass Flüsse und Seen Stück um Stück ihren
Gleichgewichtszustand wieder erreichen konnten.
ieren. Zukünftig wird die Entfernung von Spuren-
stoffen (Xenobiotika) wie z. B. Pharmazeutika, etc.
Demgegenüber erhöht sich in den Schwellen- und (Konzentrationen im ng/L- bis µg/L-Bereich) eben-
Entwicklungsländern der Verschmutzungsgrad von falls als Kriterium einer erfolgreichen Abwasser-
Wasser, Boden und Luft drastisch. reinigung herangezogen werden. Die Einleitwerte
für kommunale und industrielle KA werden in der
Abwasserverordnung (AbwV) in den entsprechen-
11.3.1 Biologische Abwasserreinigung den Anhängen geregelt.

Historisch gesehen war die Hygiene der wichtigste


Motor für die Abwasserreinigung. Heute spielt die Stufen der Abwasserreinigung
Erhaltung der Gewässergüte durch die Entfernung Die Abwasserreinigung hat sich während der letzten
Sauerstoff-zehrender und eutrophierender Stoffe die 150 Jahre entwickelt und begann zunächst mit der
wichtigste Rolle. Die Hauptziele der Abwasserreini- 1. Stufe, der Mechanischen Reinigung. Hier werden
gung liegen in der Erhaltung des Wasserangebotes durch mechanische Prozesse wie Sedimentation,
und der Gewässergüte. Flotation oder Siebung feste Bestandteile oder auf-
Anders als bei produzierenden Bioprozessen schwimmende Flüssigkeiten entfernt. Alle Kläranla-
verfolgt die Abwasserreinigung das Ziel, umwelt- gen haben eine 1. Reinigungsstufe.
belastende und unerwünschte Stoffe zu entfer- Die 2. Stufe dient dem Abbau von organischen
nen oder in unbedenkliche Stoffe umzuwandeln Kohlenstoffverbindungen und der teilweisen Oxi-
[15]. Des Weiteren unterscheidet sich die biologi- dation von Ammonium über Nitrit zu Nitrat (Nitri-
sche Abwasserreinigung von anderen Bioprozes- fikation). Da dieser Schritt durch Mikroorganismen
sen durch zwei wesentliche Kriterien: Zum einen katalysiert wird, spricht man von einer biologischen
besteht das Substrat der Mikroorganismen aus einer Reinigung.
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
479 11
Vollbiologische KA verfügen über eine 3. Stufe, räumlich vom Belebungsbecken als sidestream
bei der eine vollständige Nitrifikation und eine nach- MBR (sMBR) getrennt oder direkt in das Becken
folgende Denitrifikation für den Abbau von Stick- als immersed MBR (iMBR) eingehängt. Je nach
stoffverbindungen sorgen. Des Weiteren wird hier Bauform und Einbauort werden die Membranen
die Entfernung von Phosphorverbindungen durch schlammseitig mit Überdruck (sMBR) oder ablauf-
die Fällung mit Metallsalzen und/oder einer bio- seitig mit Unterdruck (iMBR) beaufschlagt [20]. Das
logischen Phosphorelimination (Bio-P-Verfahren) behandelte Abwasser fließt ab, der aufkonzentrierte
erreicht. In Deutschland ist die 3. Stufe Stand der Belebtschlamm (ca. 10 g TS/L) wird zurück in das
Technik. Sowohl die Kohlenstoff-, Stickstoff- als auch Belebungsbecken gepumpt. Um die Biomassekon-
Phosphorelimination wird hauptsächlich durch Bak- zentration im Prozess konstant zu halten, muss ein
terien katalysiert. Teil des Belebtschlamms kontinuierlich aus dem
Die 4. Stufe dient der Entfernung von Spuren- System abgezogen werden (Überschussschlamm
stoffen, die auf KA nur unzureichend abgebaut oder ÜS). Der ÜS wird aufkonzentriert (ca. 25 g TS/L)
zurückgehalten werden. Durch die Heterogenität der und für ca. 3 Wochen anaerob bei ca. 35 °C gerührt.
vielen tausend Stoffe ist ein einheitliches Verfahren Aus einer Tonne ÜS entstehen ca. 150 m³ Biogas (ca.
nicht möglich. Im Rahmen von Forschungs- und 40 Vol.-% CO2 und 60 Vol.-% CH4), die meist in
Pilotvorhaben haben sich die folgenden Verfahren Blockheizkraftwerken genutzt werden. Nach dem
bzw. Kombinationen davon als vorteilhaft erwie- Anaerobprozess wird entwässert, das Endprodukt
sen: Oxidationsverfahren (meist Ozon), Adsorption ist Klärschlamm mit ca. 350 g TS/L. Dieser wird ver-
mit Aktivkohle und Membranverfahren. Weiterhin brannt oder landwirtschaftlich genutzt.
kann man den biologischen Abbau durch ein hohes Neben dem BSV gibt es Biofilmverfahren, bei
Schlammalter unterstützen. denen die abbauenden Bakterien als Biofilm auf einer
Für die biologische Reinigung hat sich das Oberfläche fixiert sind. Dazu gehören z. B. die Tropf-
Belebtschlammverfahren (BSV) durchgesetzt, körper (TK). TK haben keine anoxischen Zonen,
bei dem ein flockulärer Schlamm (3–5 g TS/L) in können also nicht denitrifizieren und sind nicht
einem System aus Belebungs- und Nachklärbecken besonders gut steuer- und regelbar. Da das Abwas-
im Kreislauf gepumpt wird. Der Begriff „Belebt- ser durch die TK rieselt, muss nicht belüftet werden,
schlamm“ wird in der Abwassertechnik genutzt, wodurch sich Energie einsparen lässt. Weiterhin
um die am Prozess beteiligten Mikroorganis- haben TK-Verfahren ein sehr hohes Schlammal-
men zu bezeichnen. Das BSV ist ein kontinuier- ter, was den Abbau schwer abbaubarer Substanzen
licher Prozess. Durch die Kreislaufführung wird begünstigen kann.
der Belebtschlamm etwa 10 Tage (Schlammalter)
im Gesamtsystem gehalten. Die hydraulische Ver-
weilzeit des Abwassers beläuft sich dagegen nur auf Aerober Abbau von BSB
ca. einen Tag. BSV sind robust und sehr gut steuer- Organische Verbindungen machen die dominante
und regelbar. Sie verfügen fast immer über aerobe Fraktion aller Abwasserinhaltsstoffe aus, was deren
Zonen für die Nitrifikation/C-Abbau und über Entfernung zum Primärziel jeder Abwasserreini-
anoxische Zonen für die Denitrifikation. Durch den gungsanlage macht. Der biologische Sauerstoff-
Abbau von C, N und P entsteht Biomasse. In der bedarf (BSB) ist ein Summenparameter, der als
Nachklärung wird eine physikalische Trennung des Maß für die Konzentration an biologisch abbau-
gereinigten Abwassers vom Belebtschlamm durch baren organischen Abwasserinhaltsstoffen dient.
Sedimentation – oder seltener – durch Membran- Ein Großteil des ungelösten BSBs wird durch die
filtration erreicht (. Abb. 11.12). Beim Einsatz von mechanische Reinigung des Abwassers vor Ein-
Membranen spricht man vom sogenannten Memb- tritt in die biologischen Stufen entfernt. Der gelöste
ranbelebungsreaktor (MBR), in dem die Biomasse BSB wird von fakultativ aeroben chemoorganohe-
mithilfe von Mikro- bzw. Ultrafiltrationsmembra- terotrophen Mikroorganismen vieler verschiedener
nen in Hohlfaser- oder Plattenbauweise abgeschie- Spezies im Abschnitt der biologischen Reinigung
den wird. Die Membranmodule werden entweder zu CO2 und Biomasse abgebaut. Vollbiologische
480 C. Syldatk et al.

. Abb. 11.12  Verfahrensschema des Belebtschlammverfahrens mit Biomasseabtrennung durch (a) Sedimentationsverfahren
11 oder (b) Membranfiltration

Abwasserreinigungsanlagen erreichen dabei durch Anabolismus:


ihren Verfahrensaufbau eine BSB-Eliminationsrate
von über 95 %. Der abgebaute Kohlenstoff wird von 
C6H12O6 + O 2 + NH3 + Nahrstoffe

den Mikroorganismen sowohl für Katabolismus als heterotropheBakterien
 C5H 7O 2N + CO 2 + H 2O
auch Anabolismus genutzt. Der heterotrophe Anteil

der Belebtschlammbiozönose ist hochdivers und
kann mehrere tausend Spezies aufweisen. Im Allge- Bei optimaler Temperatur und pH-Werten können
meinen gilt der aerobe Abbau von organischen Koh- Wachstumsraten von µmax = 4–8 d–1 erreicht werden.
lenstoffverbindungen als der stabilste Prozessschritt Diese kontinuierlich neu gebildete Biomasse muss
bei der biologischen Reinigung, da er die gerings- durch den Abzug von Überschussschlamm aus dem
ten Einschränkungen gegenüber Schwankungen Prozess entfernt werden.
von pH-Wert, Temperatur, Redox-Potenzial und
Gelöstsauerstoffgehalt sowie potenziellen Hemm-
stoffen aufweist. Stickstoffelimination
Katabolismus: Stickstoff ist sowohl in organischen als auch anorga-
nischen Verbindungen im Abwasser vertreten, deren
C18H19O9N + 17, 5 O 2 + H+ Entfernung eine wichtige Aufgabe des Belebtschlamm-
heterotropheBakterien prozesses ist. Die Stickstoffelimination wird durch
 18 CO + 8 H O + NH+ 
2 2 4 eine Reihe von mikrobiellen Reaktionen in der Bele-
bungsstufe der Kläranlage erreicht. Bereits im Zulauf-
(C18H19O9N: Allgemein verwendete Summenformel kanal werden die meisten organischen Stickstoffver-
für Abwasser) bindungen in anorganischen Ammonium-Stickstoff
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
481 11
umgewandelt (Ammonifikation). Im aeroben Teil des Abwasserinhaltsstoffen [14]. Des Weiteren kann
Prozesses wird der Ammoniumstickstoff zu Nitrat eine erhöhte Konzentration des AOB-Substrats den
oxidiert (Nitrifikation). Der Nitratstickstoff wird NOB-Stoffwechsel hemmen und umgekehrt [1, 39].
anschließend zu elementarem Stickstoff reduziert
(Denitrifikation). Die Stickstoffelimination findet Denitrifikation
parallel zum BSB-Abbau statt. Die beiden folgenden Unter biologischer Denitrifikation versteht man den
Abschnitte erläutern den konventionellen Abbau der dissimilatorischen, reduktiven Abbau von Nitrat über
anorganischen Stickstoffspezies genauer. Nitrit zu elementarem, gasförmigem Stickstoff. Unter
anoxischen Bedingungen nutzen fakultativ aerobe
Nitrifikation chemoorganoheterotrophe Mikroorganismen Nitrat
Ein Großteil des während der Ammonifikation und Nitrit – an Stelle von molekularem Sauerstoff
gebildeten Ammoniums wird bei der Nitrifikation – als Elektronenakzeptor um leicht abbaubare orga-
durch fakultativ aerobe chemolithoautotrophe Mik- nische Verbindungen zu oxidieren. Dieser Eigen-
roorganismen in zwei Schritten biologisch oxidiert. schaft bedient man sich im Belebtschlammprozess
Im ersten Schritt („Nitritation“) wird Ammonium um zugleich die Konzentration an Nitrat, Nitrit und
durch ammoniumoxidierende Bakterien (AOB) wie organischen Verbindungen im Abwasser zu redu-
z. B. Nitrosomonas und Nitrosococcus in Nitrit umge- zieren, ohne zusätzlichen Sauerstoff bereitstellen zu
wandelt, welches im zweiten Schritt („Nitratation“) müssen [13]. In den unten aufgeführten Reaktions-
durch nitritoxidierende Bakterien (NOB) wie z. B. gleichungen werden sowohl der Gesamtreaktions-
Nitrococcus und Nitrospira zu Nitrat umgewandelt weg der Nitratreduktion zu elementarem Stickstoff
wird. als auch die beiden wichtigsten Schritte der Denitri-
Nitritation durch AOB fikation anhand der Oxidation von Acetat dargestellt.
Nitrosomonas
2 NH 4+ + 3 O 2  2 NO 2− + 4 H+ Nar Nir Nor Nos
2 NO3− → 2 NO 2− → 2( NO) → N 2O → N 2 
+ 2 H 2O ∆G0 : 240 −350kJ/mol
5 CH3COOH + 8 NO3− → 4 N 2 + 10 CO 2
Nitratation durch NOB + 6 H 2O + 8 OH− 

Nitrobacter 3 CH3COOH + 8 NO 2− → 4 N 2 + 6 CO 2
2 NO 2− + O 2 2 NO3−
+ 2 H 2O + 8 OH− [28] 
∆G0 : 65 −90 kJ/mol [19]

AOB und NOB nutzen diese Reaktionen als Energie- Eine aerobe Oxidation von 5 Mol Acetat würde
quelle für die Fixierung von CO2 über den Calvin- 12 Mol Sauerstoff erfordern, die durch die Nutzung
Benson-Bassham-Zyklus um Zellsubstanz zu synthe- des Nitrats als Elektronenakzeptor eingespart
tisieren [8, 32]. Diese Art der Kohlenstofffixierung werden. Dies kann zur Senkung von Betriebskosten
erfordert verglichen mit heterotrophem Anabolis- durch verringerte Belüftungsleistung führen.
mus deutlich mehr Energie, was eine geringe Wachs- Der Prozessschritt „Denitrifikation“ wird abhän-
tumsrate der Nitrifikanten zur Folge hat. gig vom Anforderungsprofil der Anlage an unter-
AOB: [d–1]
schiedlichen Stellen im Anlagenverlauf eingesetzt.
µ max = 0, 47 * 1,103(T −15) In . Abb. 11.13 sind die beiden gängigsten Varianten
für einstufige Belebungsanlagen dargestellt.
NOB: [d–1] [22]
µ max = 0, 78 * 1, 06(T −15) In . Tab. 11.5 sind die Prozessbedingungen
zusammengefasst, die für die oben beschriebenen
Prozesstechnisch gesehen ist die Nitrifikation Teilprozesse des Belebtschlammverfahrens vorteil-
empfindlich gegenüber pH-Wert- und Tem- haft sind und die entsprechende mikrobielle Biozö-
p eraturs chwan kungen s ow ie hemmenden nonse stabilisieren.
482 C. Syldatk et al.

. Abb. 11.13  Verfahrensvarianten zur Stickstoffelimination: (a) vorgeschaltete Denitrifikation (b) kaskadierte Denitrifikation
11
Anaerober Abbau von BSB möglich. Anaerobe Verfahren eignen sich insbe-
Alternativ zur aeroben Abwasserbehandlung, welche sondere für Abwässer mit einem großen C/N-Ver-
einen hohen Energiebedarf aufgrund belüfteter Pro- hältnis, vorausgesetzt der Kohlenstoff ist biologisch
zessstufen hat, ist ein biologischer Abbau von BSB leicht abbaubar. Dies trifft vor allem auf die Abwäs-
auch bei der Abwesenheit von sowohl molekula- ser der Getränke- und Lebensmittelindustrie [3]
rem als auch gebundenem Sauerstoff (anaerob) sowie die der Papier- und Zellstoffhersteller zu, die

. Tab. 11.5  Vorteilhafte Prozessbedingungen für den Belebtschlammprozess

Parameter Aerober Nitrifikation Denitrifika- Bio-P-elimi- Einheit Quelle


Abbau tion nation
org. Verb.

DO 1,5–2 3–4 <0,5 1. anaerob mg/L [22, 38]


2. aerob >1
pH 6,5–7,5 7,2–7,8 7–8,5 <6,5 –/– [5, 17, 41]
Temperatur 20–42 30–35 20–42 20 °C [16, 22]
Redox-Potenzial > +200 > +300 –100 bis +150 –150 bis –300 mV [19]
Trockensubstanzgehalt 2,5–4,5 2,5–4,5 2,5–4,5 – g/L [22]
Schlammalter 1–5 8–15 10–20 2,5 d [10, 15, 38]
Schlammbelastung 0,3 0,15 0,15 – kgBSB5/ [15]
kgTS
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
483 11
sich durch einen CSB von mehr als 1500 mg/L aus- hydraulische Verweilzeit liegt bei Abwasser mit leicht
zeichnen [2]. Weiterhin werden Anaerobreaktoren abbaubarem CSB (Lebensmittelindustrie) bei einigen
auf fast allen größeren Kläranlagen zur Stabilisie- Tagen, während bei der anaeroben Schlammbehand-
rung von Überschussschlamm eingesetzt. Größter lung auf Kläranlagen drei bis vier Wochen üblich
Vorteil des Verfahrens ist die Gewinnung von sind. Der pH-Wert liegt meist im neutralen Bereich,
Energie in Form von Methangas. Die Gasausbeute kann aber bei einer Hemmung der Methanogenese
ist abhängig vom eingesetzten Substrat. Bezogen auf durch die Akkumulation der Säuren auf ungefähr pH
das Edukt „Kohlenhydrate“ liegt die mittlere spe- 5 absinken. Die Schlammbelastung (BTS) liegt zwi-
zifische Gasausbeute bei 800 L/kg Substrat [29]. In schen 0,1 und 0,5 (kg CSB/kg TS/d).
der Praxis ist die Ausbeute meist wesentlich geringer.
Der Methangehalt liegt zwischen 50 und 60 Vol.-%. Anaerobe Deammonifikation
Der mikrobielle anaerobe Abbau kann grob in vier Alternativ zum konventionellen Nitrifikations/
Phasen eingeteilt werden: I Hydrolyse, II Acido- Denitrifikations-Verfahren wird mit zuneh-
genese, III Acetogenese und IV Methanbildung mender Häufigkeit der Anammox-Prozess zur
. Abb. 11.14). Grundsätzlich können Anaerobver- Stickstoffelimination eingesetzt (Anammox =
fahren ein- oder zweistufig konzipiert werden. Zwei- Anaerobe Ammonium-Oxidation). Hierbei
stufige Verfahren trennen die Säurebildung von der wird ein Teil des zu entsorgenden Ammoniums
Methanbildung und sind deshalb etwas stabiler, aber lediglich zu Nitrit oxidiert und mit dem übrigen
aufwändiger. Ammonium unter anaeroben Bedingungen durch
. Tab. 11.6 zeigt beispielhaft die Stöchiometrie chemolithoautotrophe Anammox-Bakterien bei
des Abbaus von Glucose der Reaktionen R1 bis R4. Temperaturen über 20 °C zu molekularem Stick-
Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist stoff synproportioniert.
die Hydrolyse (Teil I in . Abb. 11.14), der sensibelste
die Methanogenese (Teil IV in . Abb. 11.14). Ver- 1 NH 4+ + 1, 32 NO 2− + 0, 066 HCO3− + 0,13 H+
fahrensstörungen in einstufigen Verfahren treten Anammox − Bakterien
 1, 02 N + 0, 26 NO −
meist durch zu schnelle Säurebildung und damit 2 3
einhergehendem pH-Abfall ein (Teil II und III in + 0, 66 CH 2O0,5N 0,15 + 2, 03 H 2O
. Abb. 11.14) [25]. Bei der anaeroben Schlammsta-
bilisierung geht der größte Teil des im System vor-
handenen Kohlenstoffs in die Gasphase über und Die Vorteile des Anammox-Prozesses liegen im
wird nicht für den mikrobiellen Anabolismus ver- reduzierten Bedarf an Sauerstoff für die Stickstoffe-
wendet, sodass kaum Überschussschlamm anfällt. limination, was im Vergleich zum klassischen Ver-
Der Betrieb ist meist kontinuierlich bei Temperatu- fahren eine mögliche Betriebskosteneinsparung
ren um 35 °C. Da nicht belüftet werden muss, ist es bei der Beckenbelüftung bedeuten kann. Nachteile
möglich, erhöhte Biomassekonzentrationen mit TS- des Prozesses sind das langsame Wachstum und die
Gehalten bis zu 30 g/L im Prozess zu verwenden. Die Bildung von 0,26 mol NO3- pro mol NH4+ (siehe

. Abb. 11.14  Schematische Darstellung der Abbauschritte bei anaeroben Prozessen (nach Schattauer und Weiland, 2004 [33])
484 C. Syldatk et al.

. Tab. 11.6  Beispielreaktionen für den anaeroben Abbau von Glucose (nach Denac et al [7])

R1 C6H12O6 → CH3(CH2)2COOH + 2 CO2 + 2 H2


C6H12O6 + 2H2 → 2CH3CH2COOH + 2 H2O
C6H12O6 + 2H2O → 2CH3COOH + 4 H2 + 4 H2 + CO2
R2 CH3(CH2)2COOH + 2H2O → 2CH3COOH + 2 H2
CH3CH2COOH + 2H2O → CH3COOH + CO2 + 3 H2
R3 CH3COOH → CH4 + CO2
R4 4H2 + CO2 → CH4 + 2H2O

Gleichung oben). Das heißt, dass der Prozess selber zum Massenstrom an Bakterien, der aus dem Prozess
keinen vollständigen N-Abbau realisieren kann. abgeführt wird.
Nitrat entsteht im Rahmen der Fixierung von CO2
im autotrophen Metabolismus. Nitrit wird zu Nitrat VBB ⋅ xTS
θx ≈  BB

oxidiert und CO2 wird zu organischem Kohlenstoff Q ⋅ xTS + Q ⋅ xTS
e 
US
reduziert. Durch die Symbiose von Anammox-Bak-
terien mit heterotrophen Bakterien kann das entstan- Durch seine Variation kann die Zusammen-
dene Nitrat denitrifiziert werden. setzung der Biozönose beeinflusst werden und
somit bestimmte Bioreaktionen begünstigen oder
hemmen. Bei einem geringen Schlammalter (1–3
Schlammbelastung und Schlammalter Tage) kann es beispielsweise zu einer unvollständi-
11 Damit der Belebtschlammprozess die geforderte
Aufgabe erfüllt, müssen neben den konventionellen
gen Nitrifikation kommen, da die Nitrifikanten bei
hoher Überschussschlammabfuhr aufgrund ihrer
Prozessparametern wie z. B. pH, T und O2 zusätz- geringen Wachstumsraten aus dem Prozess ausge-
liche, unmittelbar auf die Mikroorganismen bezo- waschen werden. Dies wird begünstigt durch eine
gene Prozessparameter kontrolliert und gesteuert hohe Schlammbelastung, da mit einem erhöhten
werden. Nährstoffangebot entsprechend mehr Überschuss-
schlamm abgeführt werden muss und somit das
Schlammbelastung Schlammalter sinkt [27]. Bei kontinuierlichen Pro-
Um eine Überlastung der Biozönose und eine damit zessen ohne Schlammrückführung entspricht die
einhergehende reduzierte Eliminationsrate der hydraulische Verweilzeit dem Schlammalter.
Abwasserinhaltsstoffe zu vermeiden, ist die Kont-
rolle der Schlammbelastung im Prozess von großer
Wichtigkeit (. Abb. 11.15). Sie ist das Maß für die Industrielle Abwasserreinigung
täglich zu entsorgende Masse an biologisch abbau- Im Gegensatz zur kommunalen Abwasserreinigung
baren Abwasserinhaltsstoffen, die pro kg zur Verfü- ändert sich die Menge und Zusammensetzung des
gung stehender Biomasse (TS) in den Prozess ein- industriellen Abwassers in Abhängigkeit von den
geleitet wird. jeweiligen Produktionsprozessen. Industrielle Klär-
anlagen werden z. T. als Verbundanlagen (z. B. in
Schlammalter Chemieparks) oder als Anlagen für einen Prozess
Als Schlammalter bezeichnet man die durchschnitt- (z. B. Brauerei) eingesetzt. Meist sind sowohl die
liche Verweilzeit der in der Anlage befindlichen CSB- als auch die Nges.-Konzentrationen um eine bis
Belebtschlammbakterien. Es beschreibt das Ver- zwei Größenordnungen höher als im kommunalen
hältnis der Masse an Bakterien im Belebungsbecken Bereich. Des Weiteren weicht das Substratverhältnis
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
485 11
. Abb. 11.15  Abhängigkeit
der BSB5-Eliminationsrate von der
Schlammbelastung

C/N häufig von dem häuslicher Abwässer ab. Viele In der chemischen Industrie (Anhang 22 AbwV)
Industriebetriebe reinigen ihr Abwasser selber, um fallen im Rahmen von chemischen, biochemischen
es dann entweder als Indirekteinleiter in den öffent- und physikalischen Prozessen große Mengen hoch-
lichen Kanal abzugeben oder als Direkteinleiter in belasteter Abwässer an. Aufgrund der Abwasser-
ein Gewässer. Die Anforderungen für Direkteinlei- zusammensetzung sind Anlagen mit getrennten
ter sind in den Anhängen der Abwasserverordung Schlammkreisläufen sinnvoll, um hohe Frachten
(AbwV, 1997) festgelegt. Industrielle Abwasserreini- an organischem Kohlenstoff und Stickstoff adäquat
gung ist zum einen Bedingung für die Wasserwieder- zu behandeln [9] (siehe . Abb. 11.17). Getrennte
verwendung und zum anderen Erfüllung gesetzli- Schlammkreisläufe führen zu spezialisierten Biozö-
cher Vorgaben (AbwV) zum Einleiten von Abwasser nosen z. B. für den Kohlenstoffabbau und die Nitri-
in ein Gewässer. Weiterhin fordert der Gesetzgeber fikation. Dadurch werden in beiden Stufen optimale
immer eine Abwasserabgabe, die sich durch die Abbauraten erzielt.
Reduktion der Schadstofffrachten entsprechend Es wird deutlich, dass für zwei Schlammkreis-
mindert (AbwAG, 1976). Drei Beispiele für indust- läufe auch zwei Nachklärstufen notwendig sind.
rielle Abwasserreinigung zeigen im Prinzip, welche Aufgrund der Strippung potenziell gefährlicher
biologischen Prozesse eingesetzt werden können. Abwasserinhaltsstoffe ist eine Abluftentsorgung für
In der Lebensmittelindustrie (z. B. Schlacht- industrielle Kläranlagen typisch.
höfe, Brauereien, Molkereien, Fruchtsafthersteller) Abwasser fällt auch bei allen Deponien in Form
fallen immer große Mengen leicht abbaubarer orga- von Deponiesickerwasser an und ist nach Anhang
nischer Kohlenstoffe an, so dass sich hier Anaerob- 51 (AbwV) zu reinigen. Typischerweise ist das
verfahren anbieten. Beispielhaft wird im Folgenden C/N-Verhältnis ungünstig für eine klassische Nit-
die Kläranlage einer Brauerei vorgestellt. Abwässer rifikation mit Denitrifikation, so dass entweder mit
fallen hier im Wesentlichen durch Brüdenkonden- externen C-Quellen oder mit anaerober Deammo-
sate (Sudhaus) und Spülwässer an. Weiterhin fällt aus nifikation gearbeitet werden muss. Viele Anlagen
der Reinigung mit Natronlauge verschmutze CIP- sind inzwischen von der klassischen Nitrifikation/
Lauge an (cleaning in place, CIP). CIP-Lauge eignet Denitrifikation ( . Abb. 11.18) auf die anaerobe
sich zur Neutralisierung der Säuren, die beim anae- Deammonifikation umgestiegen. Eine Nachreini-
roben Abbau in der ersten Stufe des Prozesses ent- gung mit Aktivkohle hält einen Großteil von AOX
stehen (siehe . Abb. 11.16). und nicht abgebautem CSB zurück. Weiterhin kann
486 C. Syldatk et al.

. Abb. 11.16  Verfahren zur Reinigung eines Brauereiabwassers. Vermerk: Abwasser- und Laugenströme einer Brauerei nach
Kaschek et al [21]

11

. Abb. 11.17  Verfahren zur Reinigung eines Abwassers aus der chemischen Industrie

auf der Aktivkohle eine weitere Stufe mit anaerober ist die Entfernung der Stoffe zurzeit Gegenstand
Deammonifikation mittels granulärem Anammox- intensiver Forschung. Auf einigen KA existieren
Schlamm etabliert werden, so dass die Stickstoffver- bereits Pilotanlagen zur Entfernung der Stoffe. Spu-
bindungen fast vollständig abgebaut werden. renstoffe, die in relativ hohen Konzentrationen vor-
kommen, sind neben besonders umweltrelevanten
Stoffen in einer Liste zu prioritären Stoffen zusam-
Entfernung von Spurenstoffen mengefasst (WRRL 2000/60/EG, 2000). Die Entfer-
Neben den oben beschriebenen Schadstoffen nung von Spurenstoffen erfolgt durch oxidativen
kommen im Abwasser auch sogenannte Spuren- Abbau (advanced oxidation processes, AOP), Adsorp-
stoffe vor. Definiert werden Spurenstoffe als anthro- tion an Aktivkohle, Rückhalt durch Membranen oder
pogene organische Schadstoffe (DWA, 2008), wie z. entsprechenden Kombinationen. Viele Stoffe werden
B. Human- und Veterinärpharmaka, Industrieche- biologisch nicht oder wenig abgebaut. Der biologi-
mikalien, polyzyklisch aromatisierte Kohlenwas- sche Abbau kann im Einzelfall aber durch Vorbe-
serstoffe (PAK), Körperpflegemittel und Duftstoffe, handlung mit AOP in Kombination mit einem hohen
Waschmittel, Nahrungsmittelzusatzstoffe sowie Schlammalter eine Rolle spielen. Aktivkohle kann
Fungizide, Herbizide und Pestizide. Die primäre pulverförmig oder granuliert verwendet werden. Die
Wirkung dieser Stoffe ist meist zu vernachlässigen. Kombination von Pulveraktivkohle mit Membran-
Durch Akkumulation in der Umwelt oder in Orga- verfahren sorgt für den ganzheitlichen Rückhalt der
nismen können jedoch Probleme entstehen. Deshalb beladenen Aktivkohle.
Kapitel 11 · Mikrobielle Prozesse
487 11

. Abb. 11.18  Verfahren zur Reinigung von Deponiesickerwasser

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489 12

Kultivierung von
­Säugetierzellen
Ralph Kempken, Franz Walz und Michael Howaldt

12.1 Eigenschaften von Tierzellen – 491


12.1.1 Kultur von Primärzellen – 491
12.1.2 Etablierung von Zelllinien – 493

12.2 Zellcharakterisierung – 499


12.2.1 Herstellung von Zellbanken – 499
12.2.2 Freigabe und Charakterisierung von Zellbanken – 500
12.2.3 Wirtszelllinien – 501

12.3 Die Umgebung von Zellen in Kultur – 506


12.3.1 Zellkulturmedien – 507

12.4 Zellkultivierungsmethoden – 510


12.4.1 Rührkesselreaktoren (stirred tank reactor, STR) – 512
12.4.2 Weitere Reaktoren – 514
12.4.3 Systeme zur Zellrückhaltung – 514

12.5 Prozessführung bei Säugerzellkulturen – 515


12.5.1 Sterilisation – 515
12.5.2 Medienfiltration – 515
12.5.3 Zellkultivierungsverfahren – 515
12.5.4 Prozessparameter und Prozessmonitoring – 516
12.5.5 Methoden der Zellabtrennung – 518

12.6 Prozessentwicklung und Scale-up – 520


12.6.1 Aufgaben der Prozessentwicklung – 520
12.6.2 Quality by design-Konzept bei der Prozessentwicklung – 521
12.6.3 Entwicklung und Optimierung von Zellkulturverfahren – 521
12.6.4 Charakterisierung von Zellkulturverfahren – 522

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_12
12.6.5 Methoden zur Prozessentwicklung – 524
12.6.6 Prozesstransfer und Maßstabsvergrößerung – 528

12.7 Großtechnische biopharmazeutische Produktion – 529


12.7.1 Aufbau und Organisation einer großtechnischen biotechnischen
Produktionsanlage – 529
12.7.2 Prozessvalidierung und Lebenszyklus biopharmazeutischer Prozesse
und Produkte – 532
12.7.3 Good Manufacturing Practice bei biopharmazeutischen
Prozessen – 536
12.7.4 Betrieb einer großtechnischen Produktionsanlage – Wechselwirkun-
gen zwischen Prozessformat und Anlagendesign – 537
12.7.5 Entwicklung eines Folgeprozesses und daraus resultierender Ände-
rungsaufwand – 539

Literatur – 540
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
491 12
Die Kultivierung von Säugetierzellen hat in Verbin- Im Gegensatz hierzu haben die Keimzellen von
dung mit der industriellen Anwendung der Gen- Tieren und Pflanzen die Fähigkeit, aus einer ein-
und Biotechnik eine enorme medizinische und zigen Zelle einen differenzierten Organismus zu
wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Eine stetig stei- bilden. Im lebenden System (in vivo) kommen Tier-
gende Zahl von Proteinen, die in tierischen Zellen zellen bzw. Pflanzenzellen in Gemeinschaft vor und
exprimiert werden, ist bereits für die Anwendung am bilden Gewebe, d. h. größere abgegrenzte Verbände
Menschen zugelassen bzw. wird für ihre Eignung als von gleichartig differenzierten Zellen mit gleicher
Arzneimittel geprüft. Im Jahr 1987 wurde Actilyse® Funktion. Tierzellen sind meistens hoch speziali-
für die Therapie des Herzinfarktes in den Markt ein- siert: Nervenzellen übertragen elektrische Impulse,
geführt, als eines der ersten Medikamente dieser Leberzellen können Proteine, Fette und Zucker
Art, das aus Säugetierzellkulturen gewonnen wurde. umbauen, Muskelzellen können sich zusammenzie-
Seitdem wurden viele weitere Proteine als Medika- hen und ausdehnen, Knochenzellen scheiden eine
mente zur Therapie von Krankheiten aus Zellkul- Knochensubstanz aus Collagen und Calciumsalzen
turen hergestellt, die inzwischen eine große wirt- aus. Tierzellen der Haut, des Herzmuskels, der Leber,
schaftliche Relevanz erreicht haben. Vier der fünf des Rückenmarks unterscheiden sich stark in ihrem
umsatzstärksten Medikamente im Jahr 2014 wurden Aufbau und ihrer Funktion. Werden ausdifferen-
auf Basis der Säugetier-Zellkulturtechnologie herge- zierte Gewebezellen aus Pflanzen entnommen und
stellt (. Tab. 12.1). Auch die Diagnose-Möglichkei- auf geeigneten Nährböden kultiviert, können sie sich
ten konnten durch gentechnische Verfahren erheb- wieder zu embryonalen (totipotenten) Zellen entdif-
lich erweitert werden. Viele Substanzen, die zuvor ferenzieren. Dagegen behalten ausdifferenzierte tie-
aufwendig und meist unwirtschaftlich aus tieri- rische Zellen auch in der Zellkultur ihren Differen-
schen und menschlichen Geweben extrahiert werden zierungsstatus bei. Tierzellkulturen entstehen also in
mussten, können inzwischen gezielt und sicher aus den meisten Fällen aus Einzelzellen von bestimmten
Säugetierzellkulturen hergestellt werden. Gentech- Geweben.
nisch erzeugte Impfstoffe ermöglichen zunehmend
die maßgeschneiderte Herstellung ausschließlich der
für die Immunisierung erforderlichen Substanzen 12.1.1 Kultur von Primärzellen
(Antigene), sodass Nebenwirkungen der Impfung
verringert werden. Für zahlreiche Krankheiten, bei Primärzellkulturen sind in vitro-Züchtungen von
denen es noch keine kausale Therapiemöglichkeiten Organen, Geweben oder Zellen, die direkt aus einem
gibt, können mithilfe der Tierzellkultur die Schlüs- Organismus entnommen wurden.
selmoleküle, die Krankheiten auslösen oder steuern, Bei der Organkultur sollen die Struktur und
isoliert und auf ihre Wirksamkeit getestet werden. Organisation der einzelnen Zellen und Gewebe des
In jüngster Zeit gewinnt auch die Zelltherapie für Organs möglichst gut beibehalten werden. Organ-
unterschiedliche Indikationsgebiete immer mehr an kulturen in vitro können zur Prüfung pharmako-
Bedeutung. In diesem Kapitel wird im Wesentlichen logischer, physiologischer oder toxikologischer
nur auf die Herstellung therapeutischer Wirkstoffe Fragestellungen angewendet werden. Sie werden
aus Säugetierzellkulturen eingegangen. Der Fokus hauptsächlich für Kurzzeit-Experimente eingesetzt
liegt dabei auf einer qualitativen Darstellung. Zur und bilden meistens einen Kompromiss zwischen der
Vertiefung einzelner Themen wird auf andere Kapitel hohen Komplexität eines Organismus und der ver-
dieses Buches bzw. auf Fachliteratur verwiesen. gleichsweise geringen Komplexität einer Zellkultur.
Besonders schwierig ist jedoch die Aufrechterhal-
tung von geeigneten Umgebungsbedingungen. Der
12.1 Eigenschaften von Tierzellen Zustand des kultivierten Organs kann fast nur mit
indirekten Methoden nachverfolgt werden. Je nach
Die meisten Bakterien und Pilze, die in der Bio- Organ bzw. Tierspezies können die Verbrauchs- und
technologie verwendet werden, kommen in vitro, Bildungsraten von Nährstoffen bzw. Stoffwechselpro-
d. h. im Reagenzglas bzw. im Bioreaktor, als Einzel- dukten im Medium gemessen und zur Abschätzung
zellen vor und durchlaufen keine Differenzierung. des Organzustands verwendet werden. Beispiele für
492 R. Kempken et al.

. Tab. 12.1  Top 5 Biopharma-Produkte [95]

Produkte (Handelsnamen) Firmen Umsatz im Jahr 2016 (in Mrd. US $)

Humira AbbVie 16,08


Enbrel Amgen, Pfizer 8,87
Rituxan/MabThera Roche, Biogen 8,58
Remicade Johnson & Johnson, Merck & Co 7,83
Avastin Roche 6,75

Stoffwechselprodukte sind Glucose, Lactat, Ammo- (adhärente Kultivierung). Diese vermehren sich in
nium, Harnstoff, Lactat-Dehydrogenase (LDH). der Regel nur nach ihrer Spreitung auf Oberflächen
Für eine erfolgreiche Kultivierung von Organen ist (7 Abschn. 12.4).
es in der Regel notwendig, von Zeit zu Zeit einen Die Kultivierung von Hautgewebe in vitro
Mediumwechsel vorzunehmen oder eine Perfusion wurde für medizinische Anwendungen, vor allem
durchzuführen, d. h. eine kontinuierliche Entnahme zur Transplantation nach großflächigen Verbren-
von verbrauchtem Medium und Ersatz des entnom- nungen und zur Beschleunigung der Wundheilung,
menen Volumens durch frisches Nährmedium aus Primärgewebe erfolgreich durchgeführt. Je nach
(7 Abschn. 12.5.3). Dadurch werden auch Stoffwech- Herkunft bezeichnet man das transplantierte Haut-
selprodukte entfernt, ehe sie im Medium stark ange- gewebe als homolog (= vom gleichen Organismus),
reichert und somit zu Schadstoffen werden. Solche als allogen (= von einem anderen Individuum der
Wechsel des Mediums sollten aber nicht zu häufig gleichen Spezies) oder als heterolog (= von einer
erfolgen, weil aus dem Organ oder dem Gewebe oder anderen Spezies). Die Erwartungen an die Regenera-
den Zellen auch Substanzen mit fördernden Eigen- tive Medizin sind groß; einige davon konnten bisher
schaften für Zellwachstum und Überlebensfähigkeit erfüllt werden [102].
12 in das umgebende Medium ausgeschieden werden Die Kultivierung von Bindegewebszellen (Fib-
können (konditioniertes Medium). roblasten) in vitro ist aufgrund ihres geringen Diffe-
Bei der Gewebekultur wird ein Teil oder eine renzierungsgrades relativ einfach möglich. Mensch-
Probe eines Organs entnommen (Biopsie) und kleine liche Fibroblasten können als Primärzellkulturen in
Stücke der Gewebeprobe in sterilen Kulturmedien vitro etwa bis zu 50 Zellteilungen vollziehen, ehe sie
gezüchtet. dann absterben.
Bei Primärzellkulturen wird die entnommene Die Kultivierung von Leberzellen (Hepatozy-
Gewebeprobe durch mechanische oder enzyma- ten) in vitro ist aufgrund ihres komplexen bipola-
tische Einwirkung in Einzelzellen dissoziiert. Fol- ren Aufbaus dagegen schwierig. In Suspensionskul-
gende Enzyme sind gebräuchlich: Trypsin, Colla- tur verlieren Hepatozyten ihre natürliche Funktion
genase, Dispase, Pronase, Elastase, Hyaluronidase innerhalb weniger Stunden [44]. Bei Oberflächen-
und DNAse [75]. Zum Ende der enzymatischen kulturen, z. B. in Hohlfaser-Ultrafiltrationsmodulen
Dissoziierung sollten die Primärzellen gewaschen, bzw. Dialyse-Modulen, wird die natürliche metaboli-
d. h. Zentrifugieren der Zellen und Aufnahme der sche Funktion der Hepatozyten erheblich verlängert
sedimentierten Zellen in frisches Medium, und die und die Zellen leben länger. Noch geeigneter ist die
Kultivierung bei wesentlich höherer Einsaatdichte Kultivierung der Leberzellen in sogenannten Kapil-
begonnen werden, als dies bei normaler Subkultur larmembranreaktoren [43]. Hier bilden die Hepato-
von etablierten Zelllinien üblich ist. zyten kleine Zellaggregate (Spheroide) und werden
Primärzellkulturen, die nicht aus Tumor- zum Teil an den Kapillarmembranen immobilisiert.
gewebe oder aus Blutzellen stammen, benöti- Infolgedessen reorganisieren sie sich zu dreidimen-
gen geeignete feste Substrate für ihre Anheftung sionalen Gruppen, die in Struktur und Funktion den
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
493 12
Hepatozyten in vivo ähneln. Elektronenmikroskopi- Oberfläche dieser fremden Strukturen und sorgen,
sche Untersuchungen haben gezeigt, dass Monolayer- ggf. mit Unterstützung anderer Zellen des Immun-
Kulturen von Leberzellen ihre Polarität verlieren und systems, für deren Eliminierung. Die genetische
dass Leberzellen in Multilayer-Kulturen eine Selbstag- Unterschiedlichkeit der lymphoiden Zellen wird
gregation vollziehen, die zu einer dreidimensionalen durch ein hohes Maß an somatischer Genrekombi-
Zellstruktur, einer Rekonstitution der Gallenkanäle nation und Mutation während der Differenzierung
und der Polarität der Zellen sowie zu einer Reorien- der Zellen und ihrer Antigen-erkennenden Moleküle
tierung der Zellorganellen führt [72]. Für präklini- erreicht [110].
sche Sicherheits- und Effektivitäts-Prüfungen werden Die Transplantation von Knochenmarkzellen
aktuell human-on-a-chip-Systeme entwickelt und als wird bereits erfolgreich für die Therapie von Leu-
Alternative für Tierversuche getestet. Hierbei werden kämie-Patienten angewendet. Hierbei wird dem
Proben von verschiedenen menschlichen Geweben als Patienten Knochenmark-Substanz entnommen
„miniaturisierte Organe“ (etwa im Maßstab 1:100.000 und von leukämischen Zellen gereinigt. Durch eine
zum menschlichen Körper) mit einem künstlichen Ganzkörperbestrahlung, teilweise in Kombination
Blutkreislauf verbunden. Mit diesem System könnten mit einer Chemotherapie, werden dann alle leuk-
Stoffwechselvorgänge und Krankheitsabläufe authen- ämischen Zellen im Körper des Patienten zerstört.
tisch nachgestellt werden [80]. Weil außer den Krebszellen auch die Stammzellen
und Zellen des Blutsystems empfindlich auf radio-
aktive Strahlung reagieren, ist eine Transfusion der
Differenzierung von Zellen entnommenen Knochenmarkzellen in den Patien-
Ein Beispiel für die vielfältigen Entwicklungs- ten notwendig, damit die Entwicklung von Blutzel-
möglichkeiten und das Verhalten normaler Säu- len (Hämatopoese) weiterhin stattfinden kann. Für
getierzellen ist die Differenzierung der Zellen des Forschungszwecke zur Krebstherapie und für mög-
Immunsystems. Diese Zellen sind darauf speziali- liche Anwendungen zur Gentherapie wird die Kulti-
siert, körperfremde Antigene und Mikroorganis- vierbarkeit von pluripotenten Stammzellen und die
men zu erkennen und zu eliminieren. Alle Zellen Erforschung und Steuerung der Differenzierungs-
des tierischen und des menschlichen Immunsys- vorgänge dieser Zellen untersucht [73, 77, 114].
tems stammen von pluripotenten haematopoeti- Im Gegensatz zu Primärzellkulturen aus anderen
schen Stammzellen aus dem Knochenmark ab. Das Geweben können Blutzellen in Suspension, d. h.
bedeutet, dass sich diese Stammzellen zu vielen ver- ohne ein festes Substrat zur Anheftung der Zellen,
schiedenen Blutzellen entwickeln können, wenn sie kultiviert werden. Prinzipiell sterben Blutzellen in
geeigneten Bedingungen ausgesetzt werden [104]. Kultur relativ schnell ab. Um diese in vitro norma-
Die Differenzierung erfolgt zunächst in die myelo- lerweise nicht proliferierenden Zellen zur Teilung
tischen und die lymphoiden Vorläuferzellen. Aus anzuregen, werden die Blutzellen mit sogenannten
den myelotischen Zellen entwickeln sich Zellen, die Mitogenen, z. B. Lectine oder Lipopolysaccharide,
körperfremde Zellen oder Teile davon einschließen, stimuliert. Nach Zugabe der Mitogene teilen sich
verdauen oder anderweitig eliminieren können Blutzellen einige Male und sterben danach meist ab.
(Monozyten, Thrombozyten, Makrophagen, Mast- Die erfolgreiche Kurzzeit-Kultivierung primärer tie-
zellen, Neutrophile, Basophile, Eosinophile). Aus rischer Zellen ist fast nur in serumhaltigen Vollme-
den lymphoiden Zellen entwickeln sich die T-Zel- dien möglich (7 Abschn. 12.3).
len (im Thymus) und die B-Zellen (in der Leber bzw.
bei Säugetieren im reifen Knochenmark). In diesen
Organen erwerben die T- und B-Zellen ihre Fähig- 12.1.2 Etablierung von Zelllinien
keit zur Erkennung von Antigenen, und infolgedes-
sen vermögen sie eine enorme Vielfalt spezifischer Normale Zellen in Kultur haben eine begrenzte
Antikörper gegen diese Antigene auszubilden. Die Lebensdauer [54]. Manchmal erhalten Zellen in
Antikörper erkennen körperfremde Zellen und Anti- Kultur die Fähigkeit zu permanenter Zellprolife-
gene, binden an die spezifischen Rezeptoren an der ration, insbesondere wenn sie aus Tumorzellen
494 R. Kempken et al.

stammen. Daraus können Zelllinien mit relativ Ein klassisches Beispiel ist die Herstellung von Hyb-
homogener Zellpopulation entstehen, die sich per- ridzellen zur Produktion von Antikörpern.
manent vermehren und bei geeigneten Umgebungs-
bedingungen potenziell unbegrenzt lange in vitro z z Hybridoma-Technik
subkultiviert werden können. Etablierte Zelllinien Dies ist ein Zellfusionsverfahren zur Gewinnung von
mit homogener Zellpopulation, möglichst ausge- Hybridzellen, die Eigenschaften beider Elternzellen
hend von einem Zellklon, sind für die industrielle aufweisen (. Abb. 12.1). Dabei wird eine normale
Anwendung der Zellkulturtechnik von essenzieller Zelle von begrenzter Lebensdauer und Teilungsfähig-
Bedeutung. keit, aber mit der besonderen Eigenschaft der Expres-
sion z. B. eines Antikörpers, mit einer Tumorzelle
fusioniert, z. B. durch Zugabe von Polyethylengly-
Transformation von Säugetierzellen kol, PEG 1500. Die Tumorzelle besitzt als potenziell
Zellen, die der homöostatischen Kontrolle (Feed- immortale Zelle eine ständige Proliferationsaktivität.
back-Regulation) dauerhaft nicht mehr folgen, Durch die Fusion entsteht zunächst eine Zelle mit
werden als „abnorme“ Zellen (Tumor- oder Krebs- zwei Zellkernen (Heterokaryon), die dann in eine
zellen) bezeichnet. Den Übergang von einer norma- einkernige Zelle mit zwei verschiedenen Chromo-
len Zelle in eine abnorme Zelle nennt man Trans- somensätzen übergeht (Synkaryon). Bei den folgen-
formation. Die Zelle verliert ihr zellkooperatives den Zellteilungen verlieren die Hybridzellen einzelne
Verhalten im Zellverband, unterliegt nicht mehr der Chromosomen, bis sie von jedem ein Chromosom
Kontaktinhibition und den Feedback-Regulations- nur noch eines aus einer der elterlichen Zellen ent-
mechanismen, sondern sie wächst in vivo über die halten. Es entsteht eine Population verschiede-
Gewebegrenzen und in vitro über die Monolayer-An- ner Hybridzellen, die sich dadurch unterscheiden,
ordnung der statischen Kultur hinaus. welche Chromosomen von welcher Elternzelle in
Die Transformation einer Zelle ist kein einstufi- der Zelle verblieben sind. Diejenigen Zellen, die die
ger Prozess. Sie ist eine Abfolge zellulärer Verände- gewünschten Eigenschaften der normalen Produk-
rungen, die den Phänotyp und auch den Genotyp tionszelle, nämlich die Expression eines Antikörpers
betreffen können. Verschiedene Phasen der Trans- mit der dauerhaften Proliferation der Tumorzelle, in
12 formation ähneln Reaktionen, die auch normale sich vereinigen, werden vereinzelt heraussortiert
Zellen bei der Differenzierung und Reifung durch- (selektioniert). Sie werden dann als Zellklon, d. h.
laufen. Die Zelldifferenzierung ist ein Vorgang, bei als genetisch identische Zellen, weiter gezüchtet und
dem Veränderungen von Zellstrukturen und -funk- können als Zellbank eingefroren werden (7 Abschn.
tionen durch das An- und Abschalten von Genen 12.2). Diese Zellen werden als Hybridomazellen (hyb-
entstehen. Unter Zellreifung versteht man Verände- ridoma) bezeichnet, mit deren Hilfe monoklonale
rungen des Phänotyps der Zelle im Laufe ihrer ohne Antikörper (monoclonal antibodies) erzeugt werden.
Zellteilung erfolgenden Alterung. Die Transforma-
tion wird mit einer „Entdifferenzierung“ der Zelle z z HAT-Selektion
verglichen: Die tierische Zelle wird pluripotent, d. h. Eine bewährte Vorgehensweise für die Selektion
sie erlangt die Fähigkeit, vielfältige Funktionen aus- von Zellhybriden bzw. Hybridoma-Zelllinien ist
zuüben, und sie entwickelt bioaktive Strukturen, die die HAT-Selektion [105]. Man verwendet ein Selek-
denen normaler embryonaler Zellen gleichen oder tionsmedium, das Hypoxanthin, Aminopterin und
ähnlich sind. Thymidin enthält (HAT-Medium). Das enthaltene
Aminopterin verhindert die Synthese von Purinen
und somit die Bildung von Bausteinen für DNA und
Zellfusion und Hybridomazellen RNA in den Zellen. Wenn bei der einen Elternzelle
Abnorme Zellen sind für die Zellkulturtechnik 1 für die Hybridzelle die Fähigkeit zur Bildung von
wegen ihrer potenziellen Immortalität, ihrer relativ Thymidinkinase fehlt (TK−) und bei der anderen
problemlosen Handhabbarkeit und ihrer vielfältigen Elternzelle 2 die Fähigkeit zur Bildung des Enzyms
Verwendungsmöglichkeiten von großer Bedeutung. Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
495 12

. Abb. 12.1  Hybridoma-Technik und HAT-Selektion


496 R. Kempken et al.

(HGPRT) fehlt (HGPRT−), dann können im HAT- wird dann in Vektoren eingebaut, die sich in Bakte-
Medium die fusionierten Zellen vom gleichen Typ rienzellen vermehren können. Eine cDNA lässt sich
sowie die nicht-fusionierten Zellen nicht überle- so beliebig vervielfältigen (klonieren).
ben. Es überleben jedoch diejenigen fusionierten Diese klonierten Kopien der cDNA werden dann
Zellen, die aus den zwei verschiedenen Chromoso- in vitro in einen Expressionsvektor eingebaut. Vek-
mensätzen das HGPRT-Gen der Elternzelle 1 und toren sind Nucleinsäuren, die als Träger von Fremd-
das TK-Gen der Elternzelle 2 übernommen haben. DNA dienen. Mit dem Vektor wird diese Fremd-
Das Enzym HGPRT ermöglicht tierischen Zellen die DNA in das Genom der Wirtszellen eingebracht, wo
Nutzung der im HAT-Medium enthaltenen Purin- sie dann exprimiert wird. Ein solcher Vektor enthält
base Hypoxanthin für den Nucleinsäure-Stoffwech- vor allem die folgenden genetischen Elemente: Repli-
sel. Bei Zellen ohne HGPRT ist daher im HAT-Me- kations-Origin, Enhancer, Promotor, Restriktions-
dium keine ausreichende Bildung von Nucleinsäuren schnittstellen zum Einbau der Fremd-DNA durch
zur DNA-Synthese möglich, wodurch die Zellteilung Rekombination, Terminator sowie ein oder mehrere
dieser Zellen selektiv gehemmt wird. Infolgedessen Selektionsmarkergene. Der Vektor ermöglicht die
sterben diese Zellen ab. Das im HAT-Medium enthal- Rekombination fremder DNA an einer Restriktions-
tene Thymidin bietet die Möglichkeit, die Blockade schnittstelle, die den Vektor so schneidet, dass seine
der Umwandlung von dUMP zu dTMP, die von Replikation nicht beeinflusst wird.
Aminopterin hervorgerufenen wird, zu umgehen. Anschließend wird der Expressionsvektor in den
Das Enzym Thymidin-Kinase (TK) kann Thymi- Wirtsorganismus eingeführt (Transformation). Die
din aus dem HAT-Medium direkt phosphorylieren Übertragung (Transfer) von Expressionsvektoren
und somit für die DNA-Synthese verfügbar machen. in die aufnehmende Wirtszelllinie kann ausgelöst
Durch Kultivierung der HGPRT- bzw. TK-Zellen in werden durch:
HAT-Medium können daher nur die Zellen überle- 55 chemische Hilfssubstanzen, wie z. B. Calcium-
ben, die ein aktives Gen mit Hilfe der Fremd-DNA phosphatpräzipitation, DEAE-Dextrane,
erhalten haben. Die HAT-Selektion ist somit gut Polyethylenglykol-Schock;
geeignet, die Transformation von eukaryotischen 55 Mikrokapseln (vesicles), z. B. rekonstituierte
Zellen mit fremder DNA zu verfolgen und entspre- Virushüllen (envelopes), Liposomen;
12 chende Klone zu selektieren. 55 Zellfusion;
55 virale oder bakterielle Vektoren (Retroviren,
Ti-Plasmid von Agrobacterium);
Rekombinante DNA-Technologie 55 physikalische Kräfte (Elektroporation, direkte
Die Grundlage für viele gentechnische Verfahren ist Mikroinjektion).
der Einbau eines fremden Gens in einen Expressions-
vektor sowie die stabile Integration dieser Expres- Auf diese Weise können DNA-Abschnitte, ein
sionsvektoren in die tierischen Zellen (Wirtszelllinie) Expressionsvektor oder auch andere Makromole-
und die Optimierung der Kulturbedingungen dieser küle in Tierzellen eingeschleust und ihre Wirkun-
Zellen zur Herstellung des Produktes, für das das gen auf definierte Bereiche der inneren Zellstruktu-
„fremde“ (heterologe) Gen codiert. Dieses Produkt ren untersucht werden.
kann z. B. ein therapeutisch wirksames Protein sein. Schließlich muss der aufgenommene Expres-
Auf diese Weise können wertvolle biologische Subs- sionsvektor in das Genom der Wirtszelllinie stabil
tanzen relativ kostengünstig und bis zu viele Hundert eingebaut werden, vorzugsweise an Stellen, die eine
Kilogramm pro Jahr produziert werden. hohe Transkriptionsaktivität aufweisen. Dies bewirkt
Die DNA-Sequenz für das gewünschte Produkt eine intensive Ablesung der genetischen Information
wird zuerst in eine dazu passende, komplemen- zu mRNA, die dann nach den Regeln des genetischen
täre mRNA (messenger RNA) umgeschrieben Codes in die Aminosäuresequenz des Proteins umge-
(. Abb. 12.2). Diese mRNA wird extrahiert und in setzt wird. Die Stabilität des Vektors, die Anzahl der
vitro wieder zurück in komplementäre cDNA-Stü- Kopien der rekombinanten DNA pro Zelle und die
cke (complementary DNA) geschrieben. Die cDNA Transkriptionsaktivität sind entscheidend für die
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
497 12

mRNA (mit Zielgen)

Isolierung des Zielgens

Plasmid (Klonierungsvektor) mit eingebauter Fremd-


DNA (rekombinante DNA mit dem Zielgen)

Einbau (Transformation) des Plasmids in Bakterien


zur Vervielfältigung des Zielgens

Vermehrung des Plasmids in Bakterien, dann


Isolierung des Zielgens und Einbau in einen
eukaryotischen Expressionsvektor

wachsenden Zellen. Anlage einer Master-Zellbank.

. Abb. 12.2  Rekombinante DNA-Technologie


498 R. Kempken et al.

Expression des gewünschten Proteins. Ein geziel- mit steigender MTX-Konzentration kann man Zell-
ter Einbau des Vektors in vordefinierte Stellen in populationen erhalten, die bis zu mehrere Hundert
bestimmten Chromosomen der Wirtszellen (targe- Kopien des DHFR-Gens besitzen.
ted integration, 7 Abschn. 12.2.3) ist noch nicht ver- Eine gemeinsame Transfektion und Integration
lässlich etabliert, sodass in der Regel eine Population von Plasmiden, die den DHFR-Marker bzw. das Gen
von transfizierten Zellen entsteht, die unterschied- für das gewünschte Produkt (Zielgen, gene of inter-
liche Eigenschaften aufweisen können. est) tragen, an der gleichen Stelle im Genom führt
Durch Selektion müssen aus der großen Zahl zur Co-Amplifikation beider Gene. Dies führt in
der transfizierten Zellen diejenigen herausgesucht der Regel zur Produktion einer großen Menge des
werden, die eine hohe Transkriptionsaktivität auf- andersartigen (heterologen) Proteins in der co-trans-
weisen, die eine große Anzahl an Kopien der rekom- fizierten Zelllinie [67]. Ob der hohe Expressions-
binanten DNA im Genom der Wirtszellen integriert grad dann auch ohne MTX, d. h. in Abwesenheit
haben, an Orten, an denen dieser Eingriff keine nega- des Selektionsdruckes, beibehalten werden kann, ist
tiven Folgen für die Wirtszell-Funktionen hat, und durchaus unterschiedlich für jede transfizierte Zelle
die diese Kopien stabil integriert besitzen. Für die und ist vor allem abhängig von der Klonalität der
Isolierung der bestgeeigneten Zellen und zur Auf- Zellpopulation und vom Integrationsort der ampli-
rechterhaltung des Selektionsdruckes bei Langzeit- fizierten heterologen Gensequenzen [70, 89]. Daher
Kultivierungen können geeignete Selektionsme- ist eine sorgfältige Auswahl, Prüfung und Charak-
chanismen eingesetzt werden (. Abb. 12.2). Zwei terisierung der Produktionszelle aus den Pools der
bekannte Mechanismen zur Selektion und Amp- transfizierten und amplifizierten Zellen sehr wichtig,
lifikation, d. h. Vervielfachung der Kopienzahl um eine stabile und hochproduzierende Zelllinie zu
der rekombinanten DNA, werden im Folgenden etablieren.
vorgestellt. Die Häufigkeit und die Konsistenz der Expres-
sion kann gesteigert werden, indem das DHFR-Gen
z z Selektion mithilfe von DHFR und Methotrexat gemeinsam mit dem Zielgen in die gleiche Expres-
Dies ist die am häufigsten angewendete Methode sions-Kassette ‒ d. h. in dasselbe Genfragment ‒
zur Selektion und Genamplifikation bei CHO-Zell- eingebaut wird, anstatt zwei einzelne Plasmide zu
12 linien (7 Abschn. 12.2.3). Das Enzym Dihydrofola- co-transfizieren. Wenn nach erfolgreicher Integra-
treduktase (DHFR) katalysiert die Umwandlung von tion ein solcher Expressionsvektor abgelesen wird
Folat zu Tetrahydrofolat, einem Katalysator für die (Transkription), wird eine bicistronische mRNA
Synthese von Glycin, Thymidinmonophosphat und erzeugt und daher die Produktion des gewünsch-
Purinen. Wenn CHO-Zellen durch chemische Muta- ten Proteinproduktes eng an die MTX-Resistenz
genese die Fähigkeit zur Expression von DHFR ver- gekoppelt [66].
lieren [119], dann können sie nicht mehr in Zellkul- Eine hoch exprimierende Zelllinie wird von
turmedien wachsen, die keine Nucleoside enthalten. transfizierten und anschließend amplifizierten
Wenn sie ein funktionelles DHFR-Gen durch Trans- Zellpools erhalten. Wenn die maximale Stufe der
fektion erwerben, erlangen sie diese Fähigkeit wieder. Amplifikation erreicht ist, d. h. wenn der Produkt-
In dieser Weise transfizierte Zellen können weiter titer durch weitere Erhöhung der MTX-Konzentra-
selektioniert werden auf Amplifikation (Vervielfäl- tion nicht mehr gesteigert werden kann, werden die
tigung) des DHFR-Gens durch schrittweise Erhö- Zellen rekloniert. Bei der Reklonierung werden aus
hung der Konzentration von Methotrexat (MTX) der Mischung der genetisch nicht identischen Zell-
im Medium. population einzelne Zellen isoliert. Methoden für
MTX ist ein Folsäure-Analogon. Es bindet an diese Isolation sind:
das Enzym DHFR und inhibiert es dadurch stöchio- 55 Picken von Klonen mit einer fein ausgezogenen
metrisch. Deswegen zwingt MTX die transfizierten Pipette;
Zellen zu Gen-Rearrangements und Amplifika- 55 starke Verdünnung der Zellen und Verteilung
tion, damit diese in Gegenwart von MTX überle- auf 96-Loch-Mikrotiterplatten, sodass sich mit
ben können. Durch mehrere Stufen der Selektion hoher Wahrscheinlichkeit in jeder Vertiefung
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
499 12
der Platte maximal eine Zelle befindet (limiting GS-Expressionsvektors im Genom der Wirtszellli-
dilution); nie ausreichend für eine hohe Expression des hete-
55 maschinelle Sortierung über Durchfluss- rologen Produktes. Das bedeutet auch, dass wenig
zytometrie (FACS, fluorescence activated cell Aufwand für die Amplifizierung erforderlich ist, um
sorting). hohe Produkttiter zu erreichen.

Die isolierten Einzelzellen werden dann separat von


den anderen Zellen und meistens unter geringem 12.2 Zellcharakterisierung
Selektionsdruck, z. B. ein Zehntel der beim Amplifi-
zieren verwendeten MTX-Konzentration, vermehrt. Im Folgenden wird auf die Herstellung von Zellban-
So entsteht ein Zellklon (cell clone), eine Zellpopula- ken und auf deren Charakterisierung eingegangen.
tion mit genetisch identischen Zellen. Die vermehr- In Forschung und Entwicklung ist es vorteilhaft, dass
ten klonalen Zellen werden dann als Master-Zell- ein reproduzierbarer Startpunkt für die verwendete
bank (MCB) angelegt (7 Abschn. 12.2.1) und dienen tierische Zelllinie in Form einer Zellbank etabliert
so als reproduzierbarer Startpunkt für Forschungs- wird. Für die Produktion von Biopharmazeutika mit
und Produktionszwecke mit diesen Zellen. Zellkulturen ist dies ausdrücklich vorgeschrieben.
Die anschließende Charakterisierung der Zellbanken
z z Selektion mithilfe von Glutamin-Synthetase dient dem Nachweis von Sicherheitsmerkmalen, z.
Dies ist eine elegante und häufig angewendete B. Identität und Abwesenheit von infektiösen Orga-
Methode zur Selektion und Genamplifikation bei nismen, sowie der phänotypischen und genetischen
NS0-und CHO-Zelllinien (7 Abschn. 12.2.3). Das Stabilität der Zellen.
Enzym Glutamin-Synthetase (GS) katalysiert die
Bildung von Glutamin aus Glutaminsäure und
Ammonium. Dies ist für tierische Zellen der einzige 12.2.1 Herstellung von Zellbanken
Stoffwechselweg für die Synthese von Glutamin. Wenn
also Glutamin im Zellkulturmedium fehlt, dann ist GS Zellbanken für tierische Zellen werden meist aus
ein essenzielles Enzym für das Überleben der Zelle. selektionierten und reklonierten Zelllinien ange-
Einige tierische Zelllinien, z. B. Maus-Myelom- legt, d. h. ausgehend von einem Zellklon. Man unter-
Zelllinien wie NS0, exprimieren nicht genügend GS, scheidet verschiedene Arten von Zellbanken: SCBs
um ohne Glutamin im Zellkulturmedium überle- (Safety Cell Banks), MCBs (Master Cell Banks), WCBs
ben zu können. Für diese Zelllinien kann ein trans- (Working Cell Banks) und PPCBs (Post-Production
fiziertes GS-Gen als ein selektiver Marker verwendet Cell Banks). Zellklone mit guten Wachstums- und
werden, weil damit ein Wachstum in glutaminfreien Produktbildungseigenschaften können als SCBs
Medien ermöglicht wird [6]. angelegt werden. Wenn einer der besten Zellklone als
Andere tierische Zelllinien, wie z. B. CHO-Zell- Kandidat für die MCB ausgewählt wird, dann wird
linien, besitzen genügend aktive GS, um in gluta- aus dessen SCB eine Kultivierung begonnen, um die
minfreien Zellkulturmedien überleben zu können. Zellen zu vermehren, und meist schon nach wenigen
Für diese Zellen kann ein spezifischer GS-Inhibitor Passagen eine MCB mit etwa 100 bis 300 Vials oder
‒ Methionin-Sulphoximin (MSX) ‒ dem Zellkultur- Ampullen angelegt. Aus einem oder wenigen Vial(s)
medium zugegeben werden. MSX inhibiert die zell- der MCB wird jeweils eine WCB mit wiederum meh-
eigene GS-Aktivität, sodass nur die transfizierten reren Hundert Vials angelegt. Die Produktion von
Zellen mit zusätzlicher GS-Aktivität in glutamin- biopharmazeutischen Wirkstoffen startet jeweils von
freien Medien überleben können [7]. einer WCB ausgehend.
Dieses System hat seine Effizienz und Eignung Zum Einfrieren werden die herangewachsenen
bereits im industriellen Maßstab bewiesen. Bei Zellen meist gepoolt, durch Zentrifugation vom Kul-
einem gemeinsamen Einbau des GS-Gens mit dem turmedium getrennt und die sedimentierten Zellen
Zielgen in die gleiche Expressions-Kassette sind in einem Einfriermedium resuspendiert, sodass
bereits wenige erfolgreich integrierte Kopien des die Zelldichte meist bei etwa zehn bis 40 Millionen
500 R. Kempken et al.

Zellen pro Milliliter liegt. Diesem Einfriermedium 12.2.2 Freigabe und Charakterisierung
wird etwa 10 % DMSO (Dimethylsulfoxid) als cryo- von Zellbanken
protektives Agens zugegeben. DMSO erniedrigt den
Gefrierpunkt, bewirkt eine langsamere Abkühlung Master- (MCB) und Working Cell Banks (WCB)
der Zellsuspension, schützt die Zellen vor Schäden werden umfangreich geprüft und charakterisiert.
durch Eiskristalle, Dehydrierung, zu hoher Kon- Hierzu gehören Prüfungen zur Identität der Zell-
zentration von Elektrolyten, pH-Änderungen und linie, zur Abwesenheit von Kontaminanten wie z.
Denaturierung der Proteine. Früher wurde zusätz- B. Mikroorganismen oder Viren, zur Kultivierbar-
lich Serum oder BSA (bovine serum albumin, Rin- keit, sogenannte „Auftaukontrollen“, und zur Lang-
derserumalbumin) zugegeben. Inzwischen ist es bei zeit-Stabilität (phenotypic stability) z. B. für vier oder
vielen Zelllinien möglich, nicht-bovine Substanzen 16 Wochen, je nachdem wie lange man die Zellen
wie Glycerin, Methylcellulose oder auch konditio- nach dem Auftauen eines Zellbank-Gefäßes stabil in
niertes Medium als Ersatz für Serum oder BSA zu vitro kultivieren möchte. Die Tests und die erwarte-
verwenden. Die Zellen werden dann in spezielle ten Resultate für eine Freigabe der Zellbank sind in
sterile Einfriergefäße (cryo-vials) oder Ampul- . Tab. 12.2 aufgeführt.
len pipettiert, meist etwa 1‒2 mL Zellsuspension je Wenn eine Zellbank als Ausgangspunkt zur Her-
Gefäß, und eingefroren. DMSO ist toxisch für tieri- stellung biopharmazeutischer Produkte verwendet
sche Zellen, daher müssen die Arbeitsschritte von werden soll, dann wird im Rahmen der Zulassungs-
der DMSO-Zugabe bis zum Einfriervorgang relativ dokumentation (7 Abschn. 12.7.3) eine genetische
rasch ablaufen. Zum Einfrieren können die Einfrier- Charakterisierung (genetic stability) der Zellbank
gefäße in einem Styroporbehälter bei −70 °C einge- gefordert. Hierbei wird mit molekularbiologischen
froren und nach etwa einem Tag in einen Zellbank- Methoden nachgewiesen, ob der Expressionsvektor
Lagerbehälter überführt werden. Alternativ werden korrekt in das Wirtszell-Genom integriert wurde
die Einfriergefäße mit einem Einfriergerät eingefro- (mittels Nucleotidsequenzanalyse), ob das RNA-
ren, wobei die Cryo-Vials bzw. Ampullen um etwa Transkript die erwartete Größe besitzt (mit Nort-
1 °C je Minute abgekühlt werden. Wenn die Gefäße hern-Blot-Analyse), welche ungefähre Kopienanzahl
auf etwa −40 °C abgekühlt sind, werden sie in einen der rekombinanten Gene pro Wirtszelle auftreten
12 Zellbank-Lagerbehälter überführt. Hier können die (mit Southern-Blot-Analyse) und ob die Anzahl
Zellen praktisch unbegrenzt in der Gasphase über der Genkopien sowie die Integrationsorte bei unter-
flüssigem Stickstoff, d. h. bei ca. −130 °C bis −196 °C, schiedlichem Zellalter stabil bleiben (ebenfalls mit
aufbewahrt werden. Southern-Blot-Analyse).
Weiterentwicklungen zu der hier beschriebe- Für die genetische Charakterisierung von
nen Herstellung von Zellbanken zielen auf eine Ver- MCBs, die für biopharmazeutische Produktions-
kürzung der Zellanzucht-Zeit vom Auftauen einer prozesse eingesetzt werden, müssen in der Regel
Bank bis zur Einsaat großer Bioreaktoren. Hierbei sogenannte PPCBs angelegt werden. Hierfür wird
wird mehr Zellmasse in die Einfriergefäße verpackt, am Ende der Produktionsstufe eine kleine Menge
sodass nach dem Auftauen der Zellbank die erste Zellsuspension entnommen, die ggf. noch einige
Passage der Zellkultivierung in größeren Volumina Male weiter passagiert werden muss, bis eine aus-
erfolgen kann. Im Erfolgsfall werden dann mehrere reichend hohe Zellvitalität erreicht ist, um erfolg-
Passagen der Zellanzucht, mit etwa zwei bis vier reich eine Zellbank anlegen zu können und um
Tagen Kulturdauer pro Passage, übersprungen. Zur schließlich als PPCB eingefroren zu werden. Die
Umsetzung der größeren Zellmasse pro Einfrierge- Einfriermethode ist die gleiche wie für MCBs und
fäß wird entweder die einzufrierende Zellsuspen- WCBs (7 Abschn. 12.2.1). Mithilfe der PPCB lässt
sion noch höher konzentriert als oben beschrie- sich nachweisen, ob die genetische Information
ben, oder man verwendet größere Einfriergefäße und die Kopienzahl des heterologen Gens sowie
mit mehr Volumen. Hochzelldichte-Zellbanken mit die Integrationsorte im Genom der Wirtszelle am
ca. 100 Mio. Zellen pro mL wurden von mehreren Ende der Produktionsphase noch die gleichen sind
Gruppen erfolgreich hergestellt [115, 125]. wie in der MCB.
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
501 12

. Tab. 12.2  Tests für Zellbanken (am Beispiel für MCBs)

Parameter Testergebnisse

Identität Isoenzym-Muster entspricht der Referenz-Zelle (z. B. Hamster oder Maus);


alternativ: DNA-Fingerprinting
Sicherheitsprüfung Sterilität (Test gemäß Arzneibuch)
–  keine Mycoplasmen nachweisbar,
–  keine Viren gemäß Adventitious Virus Test (AVA) in vitro
erweiterte Sicherheitsprüfung HAP = Hamster-Antikörper-Test oder
MAP = Maus-Antikörper-Test
–  keine Viren gemäß Adventitious Virus Test (AVA) in vivo
–  keine infektiösen Viren gemäß S+L-Test sowie XC-Plaque-Test
–  keine RT(Reverse Transcriptase)-Aktivität
– keine Kontaminanten (außer VLP = virus-like particles) sichtbar gemäß
Elektronenmikroskopie
Stabilität (phenotypic stability) Zellwachstum, Zellvitalität, Produktbildung
zusätzliche Untersuchungen für die Langzeit-Stabilität: phänotypische Stabilität über längere Zeit, genetische
Produktionsverfahren Stabilität (siehe 7 Abschn. 12.2.2)

12.2.3 Wirtszelllinien CHO-Zellen (Chinese hamster ovary). Diese Zell-


linie ist im Jahr 1957 durch Biopsie (Gewebeent-
Als Wirtsorganismen für rekombinante Produkte nahme) aus dem Ovar eines Chinesischen Hams-
sollten Säugetierzellen folgende Eigenschaften ters entstanden. Sie wurde als CHO-K1-Zelllinie
haben: schnelles Zellwachstum, Wachstum in preis- etabliert. Aus der CHO-K1-Zelllinie entstand die
werten und möglichst chemisch definierten Kul- CHO-dhfr–-Zelllinie, die durch Mutagenese etabliert
turmedien, effiziente Aufnahme von Expressions- wurde [119]. Bei dieser Zelllinie sind beide Allele
vektoren und deren Beibehaltung in Kultur sowie des Gens für das Enzym Dihydrofolatreduktase
keine schädlichen oder pathogenen Eigenschaften. (DHFR) inaktiviert. Die CHO-dhfr–-Zelllinie ist bis
Ein Vorteil der eukaryotischen Zellen besteht darin, heute die wichtigste und am häufigsten verwendete
dass sie schon die komplexen RNA- und posttransla- Wirtszelllinie für die Produktion rekombinanter Pro-
tionalen Prozessierungssysteme besitzen, die an der teine. Mit einem Expressionsplasmid, das ein funk-
Synthese von Genprodukten in höheren Organismen tionelles DHFR-Gen enthält, und einem Selektions-
beteiligt sind. Beispiele hierfür sind die Glykosylie- medium, das Guanidin, Hypoxanthin und Thymidin
rung, das ist der Kohlenhydratanteil an der Amino- (GHT) enthält, steht ein effizientes Selektionssystem
säurekette des Proteins, der vor allem für die Wirk- zur Verfügung (7 Abschn. 12.1.2). Für viele rekombi-
samkeit und Verweilzeit vieler Proteinwirkstoffe in nante Proteine aus CHO-Zellen wurde gezeigt, dass
vivo wichtig ist, und die Phosphorylierung. Für die ihre Glykosylierung derjenigen des humanen Pro-
industrielle Herstellung biopharmazeutischer Wirk- teins entspricht bzw. sehr nahekommt. CHO-Zellen
stoffe haben sich vor allem die Zelllinien CHO, NS0, haben deshalb eine hohe Akzeptanz für die Produk-
SP2/0 sowie BHK bewährt. tion rekombinanter Glykoproteine zur Anwendung
am Menschen.
NS0-Zellen und SP2/0-Zellen sind Myelomzellen
Säugetier-Zelllinien der Maus. Myelome sind Krebszellen, die aus B-Lym-
Alle nachstehend beschriebenen Zelllinien sind phozyten entstanden sind. B-Lymphozyten vermö-
transformierte Zelllinien, die sich permanent teilen gen Antikörper in großen Mengen ins Kulturme-
und vermehren. dium auszuscheiden. Maus-Myelom-Zelllinien sind
502 R. Kempken et al.

daher als „professionelle“ sekretorische Zellen für die HeLa-Zellen. Die HeLa-Zelllinie ist eine mensch-
Expression von monoklonalen Antikörpern und liche Tumorzelle, die aus einem Cervix-Karzinom, d.
auch von Glykoproteinen gut geeignet. Die Glyko- h. aus Gebärmutterhals-Krebszellen, isoliert und als
sylierung von Produkten aus Maus-Zelllinien unter- Zelllinie etabliert wurde. Sie wurde für viele Arbei-
scheidet sich allerdings meist wesentlich von der Gly- ten in der Tumorforschung verwendet, wofür eine
kosylierung von Produkten aus Hamster-Zelllinien. Vielzahl von Zellstämmen mit speziellen Eigen-
BHK-Zellen (baby hamster kidney) sind aus den schaften erzeugt wurde. Für die Herstellung rekom-
Nieren eintägiger Goldhamster abgeleitet. Es wurde binanter Proteine hat diese Zelllinie allerdings keine
ein Zellklon mit kontinuierlicher Proliferationsak- Bedeutung.
tivität isoliert und als Zelllinie BHK-21 C13 ange-
legt. Mit BHK-Zellen begann die Kultivierung von
Säuger-Zelllinien im industriellen Maßstab. Seit Insekten-Zelllinien
1967 wird sie vor allem für die Herstellung von Impf- Die Insekten-Zelllinien können ebenso wie Säuger-
stoffen gegen Maul- und Klauenseuche (MKS) ver- Zelllinien in vitro kultiviert werden. Die Kultivie-
wendet. Die BHK-21-Zelllinie ist auch eine wichtige rungsbedingungen sind allerdings aufgrund ihrer
Wirtszelle für die Produktion rekombinanter Pro- Herkunft anders als bei den Säugetier-Zelllinien.
teine, denn sie ist effizient transfizierbar und gestat- Die optimale Kultivierungstemperatur für Insekten-
tet eine hohe Expression. Zelllinien liegt bei etwa 28 °C und das pH-Optimum
HEK-293-Zellen (human embryonic kidney). Die bei ca. 6,2. Die Kulturmedien sind der Insektenhä-
HEK-293-Zelllinie wurde aus transformierten emb- molymphe nachempfunden. Sie enthalten eine etwa
ryonalen menschlichen Nierenzellen gewonnen und zehnfach höhere Konzentration der Aminosäuren
als Zellklon etabliert [48, 52]. HEK-293-Zelllinien gegenüber Medien für Säugerzellkulturen, das Ver-
werden häufig für die transiente Expression von Gly- hältnis der Natrium- und Kalium-Ionen ist nahezu
koproteinen verwendet, d. h. der Expressionsvek- ausgeglichen, und für die Pufferung der Medien
tor wird nicht stabil in die Wirtszelllinie eingebaut, wird Phosphatpuffer anstelle des Kohlendioxid/
sondern der Vorgang der Transfektion bzw. Auf- Bicarbonatpuffers verwendet. Ein weit verbreitetes
nahme des Expressionsvektors in die Wirtszelle erfolgt Medium für Insektenzellen ist das Grace-Medium
12 bei jeder Fermentation von Neuem. Auf diese Weise (7 Abschn. 12.3).
können sehr schnell und mit geringem Aufwand Häufig verwendete Insekten-Zelllinien sind die
kleine bis mittlere Mengen von Proteinen für For- Sf9-Zellen und die Sf21-Zellen. Beide Zelllinien
schungs- und Entwicklungszwecke erzeugt werden. wurden aus Ovarien des Puppenstadiums des Insek-
Diese Vorgehensweise wurde in Bioreaktoren bis zum tes Spodoptera frugiperda gewonnen und als Zellklon
100-Liter-Maßstab erfolgreich eingesetzt [45]. etabliert.
COS-Zellen (CV1 Origin SV40). Die COS-Zellli- Insekten-Zelllinien werden am häufigsten in Ver-
nie ist aus der Affennieren-Zelllinie CV1 hervorge- bindung mit dem Baculovirus-Expressionssystem
gangen. Sie besitzt einen SV40-Provirus mit defek- zur Gewinnung von rekombinanten Proteinen ver-
tem Replikationsursprung (Origin). SV40 (Simian wendet. Dabei werden zunächst die Insektenzellen
Virus 40) ist ein DNA-Tumorvirus, das in Hams- als Suspensionskulturen in Bioreaktoren vermehrt.
tern Tumoren induziert. Modifizierte SV40-Viren Die Produktion des rekombinanten Proteins wird
werden häufig als Vektoren in der Gentechnik ein- erst dadurch begonnen, dass der Insektenzellkultur
gesetzt. COS-Zellen sind empfindlich für Infektio- noch während der logarithmischen Wachstumsphase
nen mit SV40 und ermöglichen Vermehrungszyk- der Zellen ein rekombinanter Baculovirus zugege-
len für SV40-Viren mit früher Genexpression und ben wird in einer Konzentration von etwa 1‒5 mg
anschließender Lyse der Zellen. COS-Zellen sind Virus pro Liter Insektenzellsuspension. Im Virus-
daher Wirtszellen für SV40-Vektoren, deren frühe Genom wurde das Gen für das gewünschte Protein
Region ‒ d. h. die Genabschnitte, die nach der Virus- integriert. Die Viren befallen die Insektenzellen und
infektion zuerst abgelesen und exprimiert werden ‒ lassen diese eine große Menge des rekombinanten
durch heterologe DNA ersetzt ist [13, 27]. Es handelt Proteins produzieren. Es handelt sich also um eine
sich also um eine transiente Expression (siehe oben). transiente Expression. Viele der posttranslationalen
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
503 12
Modifizierungsmechanismen für Glykoproteine aus kultiviert und für industrielle Zwecke verwendet
Säugetierzellen gibt es auch bei den Insektenzellen, werden.
sodass die Produkte aus Insektenzellen den nativen Auch für die Herstellung human- und tiermedi-
humanen Proteinen ähnlich sind [109], im Detail zinischer Impfstoffe werden zunehmend neue tieri-
aber durchaus Unterschiede aufweisen [60]. Die sche Zelllinien eingesetzt. Diese sollen die traditio-
immer wiederkehrende, ebenfalls transiente Erzeu- nelle Herstellweise mithilfe befruchteter Hühnereier
gung der rekombinanten Viren und deren Lagerung möglichst ablösen. Bisher werden viele Millionen von
bedeuten einen erheblichen Aufwand für industrielle Hühnereiern, die von hygienisch streng überwachten
Anwendungen. Beides kann zu einer höheren Hete- Tieren gelegt werden, einzeln mit dem Erreger, z. B.
rogenität der Herstellverfahren mit Insektenzellen einem Grippevirus, beimpft. Für viele Anwendungen
führen. liefert jedes Ei am Ende nur eine einzige Impfdosis.
Die rekombinanten Viren entstehen durch Die Herstellung mithilfe tierischer Zellkulturen ver-
Einbau eines Vektors, der das Zielgen enthält, in die kürzt die Herstelldauer um bis zu 50 % und ermög-
lineare DNA des Baculovirus-Genoms, die anschlie- licht kürzere Reaktionszeiten auf neue Varianten von
ßende Transfektion von Insektenzellen (Sf9, Sf21 Krankheitserregern [10, 42, 87].
u. Ä.) mit diesem Genkonstrukt und die Ernte der Bei der Verwendung der tierischen Zelllinien als
rekombinanten Baculoviren aus den Zellen. Hersteller-Organismus für Biopharmazeutika wird
ein optimales Zusammenwirken von Wirtszellen
und Expressionsvektoren angestrebt. Ein vorrangi-
Design neuer Wirtszelllinien ges Ziel hierbei ist der gezielte, ortsspezifische Einbau
Es gibt nach wie vor eine starke Tendenz, auf den der rekombinanten DNA im Genom der Wirtszelle
bisher etablierten Wirtszelllinien zu beharren, denn (targeted integration). Hierbei wird der Expressions-
aus den letzten Jahrzehnten liegen viele Kenntnisse vektor an definierten Stellen im Genom eingebaut
und Erfahrungen vor, dass diese Zelllinien keine (7 Abschn. 12.1.2). Diese Stellen sollen sich für eine
besonderen Risiken für Mensch, Umwelt oder Pro- stabile Integration fremder DNA als geeignet erwie-
dukte bergen. Dennoch wird daran gearbeitet, neue sen haben und außerdem leicht und häufig abgelesen
Wirtszelllinien und modifizierte Expressionssys- werden können. Gegenüber dem zufälligen Einbau
teme zu entwickeln. Diese reichen von ganz neuen, (random integration) der DNA verspricht ein orts-
nicht aus Tumorgewebe stammenden Zelllinien bis spezifischer Einbau höhere und verlässlichere Pro-
zu verbesserten Möglichkeiten der Transformation duktausbeuten sowie stabilere und einheitlichere
und Integration von Expressionsvektoren in tieri- Produktqualitäten [3, 17, 83].
schen Zelllinien. Die gezielte Einfügung oder Entfernung von
Neue permanente Zelllinien wurden aus anderen Genen durch Mutation (indel: induced targeted
Tierspezies als Hamster oder Maus gewonnen und insertion/deletion mutation) ist möglich durch maß-
für die Entwicklung biopharmazeutischer Wirk- geschneiderte, künstlich hergestellte Endonucleasen
stoffe, z. B. für Impfstoffe und für therapeutische mit bestimmbarer Erkennungssequenz, z. B. Zink-
Proteine einschließlich Antikörper und Genthe- finger-Nucleasen (ZFNs), Transcription Activator-
rapie-Produkte, eingesetzt. Ein erfolgreiches Bei- like Effector Nucleasen (TALENs) und das CRISPR/
spiel hierfür ist die sogenannte PER.C6®-Zelllinie. Cas-System (CRISPR: clustered regularly interspa-
Sie wurde von einer einzelnen menschlichen Reti- ced short palindromic repeats, Cas: CRISPR-asso-
nazelle abgeleitet und mithilfe der rekombinanten ciated endonuclease) [18]. Endonucleasen sind Res-
DNA-Technologie immortalisiert [63]. Der gesamte triktionsenzyme, die DNA an bestimmten Positionen
Weg der Entstehung dieser Zelllinie wurde vom Her- erkennen und sie dort durch Spaltung einer Phos-
steller umfassend dokumentiert, sodass eine Nach- phodiesterbindung schneiden können. Zinkfinger-
vollziehbarkeit der Herkunft, Entstehung, Identität Nukleasen enthalten eine Zinkfinger-Domäne, die an
und Sicherheitsmerkmale dieser Zelllinie gegeben DNA bindet, und eine Nuklease-Domäne, die DNA
ist. PER.C6® kann, wie die oben genannten perma- schneidet. Die Zinkfingerdomäne kann so gebaut
nenten Zelllinien aus Hamster und Maus, als Einzel- werden, dass sie eine bestimmte DNA-Sequenz
zellen in Suspension unter serumfreien Bedingungen erkennt. Infolgedessen wird mit ZFN ein komplexes
504 R. Kempken et al.

Genom an einer ganz bestimmten Stelle geschnit- werden, wie z. B. aus Prokaryoten (Bakterien), Hefen,
ten und somit ein zielgerichteter Einbau von fremder transgenen Pflanzen, Pflanzenzellkulturen oder
DNA ermöglicht. TALENs sind Fusionsproteine aus transgenen Tieren.
einer DNA-bindenden TAL-effector-Domäne und Mithilfe von Bakterien können rekombinante
einer Endonuclease. Die TAL-effector-Domäne Wirkstoffe gewonnen werden, falls die Wirkstoffe
ermöglicht eine sequenzspezifische Bindung, die relativ klein und einfach aufgebaut sind und keine
Endonuclease das Schneiden der DNA. Für die Ver- posttranslationalen Prozessierungen, wie z. B. Gly-
wendung in tierischen Zellen sind einige TAL-effec- kosylierung, erforderlich sind. Beispielsweise wird
tor-Domänen nicht spezifisch genug, sodass Doppel- rekombinantes Insulin mit einem Molekulargewicht
strangbrüche an anderen DNA-Sequenzen entstehen von 11,5 kDa als Zink-Komplex, bestehend aus zwei
können. Beim CRISPR/Cas-System wird durch Cas Peptidketten mit 30 bzw. 20 Aminosäuren, drei Disul-
sequenzspezifisch doppelsträngige komplementäre fidbrücken, aber ohne Glykosylierung aus Bakterien
DNA geschnitten, sodass gezielte Deletionen oder und aus Hefen gewonnen. Interferon- α, Interfe-
Insertionen erzeugt werden können. ron- β, Interferon- γ und der humane Wachstumsfak-
Anstelle der gezielten Integration rekombinan- tor sind weitere bekannte rekombinante Wirkstoffe
ter DNA in natürliche Chromosomen der Wirtszel- aus Bakterien, wobei meist Escherichia coli (kurz E.
len ist auch die Verwendung künstlicher Chromoso- coli) als Produktionsorganismus eingesetzt wird.
men vorstellbar. Diese Chromosomen könnten ohne Hefen als Produktionsorganismen bieten eine
Selektion stabil in den Wirtszellen repliziert und die weitere Alternative zu tierischen Zellen und Bak-
dort eingebauten Gene regulierbar transkribiert terien. Hefen stellen, ähnlich wie Bakterien, relativ
werden. Die künstlichen Chromosomen müssen geringe Ansprüche an die Kultivierung und die
Centromere besitzen, sodass sie bei jeder Zellteilung Nährstoffe. Sie sind aber als eukaryotische Orga-
stabil mitotisch an die Tochterzellen weitergegeben nismen prinzipiell befähigt, Proteine zu glykosy-
werden und damit autonom in den Zellen existie- lieren. Die Hefeart Pichia pastoris wird bevorzugt
ren. Ihre Enden sollten mit Telomeren versehen sein, als Wirtszelle für die Herstellung rekombinanter
damit sie von den Wirtszellen nicht als DNA-Bruch- Proteine eingesetzt aufgrund ihrer Befähigung,
stücke angesehen und infolgedessen abgebaut oder die erzeugten rekombinanten Proteine zu sezer-
12 an irgendeiner Stelle im eigenen Genom eingebaut nieren, d. h. in das Kulturmedium auszuscheiden.
werden. Ein großer Vorteil der künstlichen Chro- Für Pichia, Hansenula, Saccharomyces und andere
mosomen ist ihre enorme Kapazität. Es können voll- Hefegattungen muss jedoch noch ein entscheiden-
ständige Gene oder Gendomänen in das künstliche der Nachteil überwunden werden: Hefen glykosy-
Chromosom integriert werden, d. h. die codieren- lieren Proteine mit extrem vielen mannosereichen
den Bereiche des Gens (Exons) sowie die ggf. regu- Glykanen (Hyperglykosylierung). Diese Produkte
latorisch wirksamen Bereiche dazwischen (Introns). entsprechen daher nicht den „nativen“ menschli-
Dies ermöglicht eine kontrollierte Genexpression. chen Proteinen und würden beim Menschen mögli-
Prinzipielle Herausforderungen bei der Entwick- cherweise eine Immunantwort hervorrufen. Erheb-
lung künstlicher Chromosomen sind die schwierige liche Änderungen des Glykosylierungsstoffwechsels
Handhabung der sehr langen DNA, die repetitiven sind erforderlich, um Glykoproteine aus Hefen mit
Sequenzen der Centromere und der Telomere und vergleichbarer Glykanstruktur wie beim Menschen
die Einschleusung der Chromosomen in die tieri- herzustellen.
schen Zellen [76]. Transgene Pflanzen bieten prinzipiell eine kos-
tengünstige und leicht skalierbare Quelle zur Herstel-
lung rekombinanter Produkte [117]. Bisher werden
Alternative Wirtszellen und Organismen folgende Quellen betrachtet: die Blätter von Tabak-
In Ergänzung, teilweise auch als Konkurrenz, zur pflanze, Sojabohne und Salat; die Samen von Reis,
klassischen Produktion aus der Kultur von Säuge- Weizen, Mais, Erbse und Sojabohne; die Früchte
tierzellen können Wirkstoffe auch aus alternativen von Tomaten, Bananen und Raps. Es gibt allerdings
Quellen bzw. durch alternative Technologien erzeugt noch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, bis
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
505 12
Produkte aus transgenen Pflanzen als Alternative zu Transgene Tiere, die ein heterologes Protein in
entsprechenden Produkten aus Zellkulturen kon- ihrer Milch herstellen, werden erzeugt durch Mik-
kurrenzfähig sind. Dies sind unter anderem Unter- roinjektion des rekombinanten Genkonstrukts
schiede bei den posttranslationalen Modifikationen (Transgen) in befruchtete, reife Oozyten. Das Trans-
von Glykoproteinen, z. B. in den Glykanstrukturen, gen ist ein Genabschnitt mit der genetischen Infor-
gegenüber den Glykoproteinen aus tierischer Quelle, mation für das gewünschte Protein, gekoppelt mit
die unzureichende oder unvollständige Sekretion in einem Milch-Promotor-Gen, welches die Bildung
die Speicherorgane, der Abbau oder Teilverdau der und Ausschleusung des Proteins in die Milchdrü-
gebildeten Produkte noch in den Pflanzen und die sen vermittelt. Der einzellige transgene Embryo wird
Variabilitäten aufgrund schwankender Umweltein- dann in ein weibliches Empfänger-Tier (recipient
flüsse, insbesondere Bodenbeschaffenheit, Feuch- female) implantiert und von dieser „Leihmutter“ bis
tigkeit, Klima, Jahreszeiten, Einfluss von Pflanzen- zur Geburt ausgetragen. Wenn das Transgen in das
krankheiten und -schädlingen. Genom des Embryos integriert wurde, was bei etwa
Prinzipiell können biotechnische Produkte auch 5‒10 % der mikroinjizierten Oozyten geschieht, dann
mit Pflanzenzellkulturen hergestellt werden. Aus wird es zu einem dominant vererbten Gen, das von
Pflanzen im Feldanbau oder z. B. in Gewächshäu- dem ursprünglichen transgenen Tier an seine Nach-
sern werden natürliche Wirkstoffe gewonnen. Durch kommenschaft weitergegeben wird. Infolgedessen
Züchtung, Infektion oder gentechnische Eingriffe produzieren das herangewachsene transgene Tier
(transiente oder stabile Expression) können art- und seine weibliche Nachkommenschaft, welche
fremde Produkte in Pflanzengeweben hergestellt das Transgen besitzen, das rekombinante Protein in
werden, z. B. in den Blättern von Tabakpflanzen. Dies Mengen von mehreren Gramm pro Liter Milch.
wird bereits für Impfstoffe und für Antikörper durch- Ziegen und Kühe sind aus folgenden Gründen
geführt. Therapeutische Proteine aus Pflanzen zur besonders effiziente transgene „Produktionssysteme“:
Anwendung am Menschen werden am ehesten mit 55 hoher Proteingehalt ihrer Milch;
Hilfe von Pflanzenzellkulturen produziert, aufgrund 55 große und konstante Milchproduktion;
der Kompatibilität zu den Methoden und Systemen 55 gut etablierte Techniken zur Milchgewinnung;
für tierische Zellkulturen sowie zu den bestehenden 55 einfache Tierhaltung in Herden.
behördlichen Rahmenbedingungen (regulatory fra-
mework) Die industrielle Produktion rekombinan- Nachteile der transgenen Tiere sind:
ter Proteine in Pflanzenzell-Bioreaktoren wird insbe- 55 die lange „Entwicklungszeit“ von mehreren
sondere mit Disposable Bioreaktoren durchgeführt. Jahren von der Mikroinjektion bis zur fertigen
Hierfür werden beispielsweise Zellen von Karotten, Etablierung einer gesunden Herde reifer, d. h.
Tabakpflanzen, Wasserlinsen oder Moosen verwen- Muttermilch mit Produkt produzierender,
det [92]. transgener Tiere;
Transgene Tiere sind Tiere, deren Genom in der 55 regulatorische Herausforderungen zum
frühen Embryonalentwicklung verändert wurde, gesamten Konzept, wenn cGMP-Anforderungen
indem entweder ein heterologes Gen hinzugefügt (7 Abschn. 12.7.3) aus der Zellkultivierung in
(additiver Gentransfer) oder ausgeschaltet wurde, Bioreaktoren in analoger Weise für transgene
z. B. bei Knock-out-Mäusen. Transgene Tiere mit Tiere gelten und angewendet werden sollen.
additivem Gentransfer sind prinzipiell eine effizi-
ente Quelle zur Herstellung rekombinanter Produkte Das Potenzial transgener Pflanzen und Tiere zur
[127]. Das gewünschte Produkt, z. B. ein monoklo- Senkung der Herstellkosten rekombinanter Pro-
naler Antikörper für therapeutische oder diagnosti- dukte scheint begrenzt zu sein. Nach Erzeugung des
sche Zwecke, wird in der Milch der transgenen Tiere Proteins bleiben die Schritte für die weitere Prozes-
ausgeschieden. Diese Technik wurde bei den Labor- sierung des Rohproduktes, nämlich die proteinche-
tierarten Maus, Ratte, Kaninchen und bei den land- mische Reinigung, Formulierung, Abfüllung, Verpa-
wirtschaftlichen Nutztieren Schaf, Ziege und Rind ckung und die hiermit verbundenen Aufwendungen
erfolgreich angewendet. und Kosten bestehen.
506 R. Kempken et al.

Sehr komplexe Wirkstoffe können ex vivo nur Größe weiter in Gewebe vordringen zu können, die
mithilfe tierischer Zellkulturen hergestellt werden. relativ hohe Stabilität, die einfachere Administration
Bekannte Beispiele sind das Glykoprotein Faktor in Patienten sowie die weniger komplexe Herstell-
VIII der Blutgerinnung mit 2332 Aminosäuren weise [51].
und einer relativ instabilen Konsistenz [120] sowie Es gibt jedoch zahlreiche Anwendungen, die
rekombinantes t-PA (tissue Plasminogen Activator) vollständige Antikörper benötigen, vor allem wenn
mit 527 Aminosäuren, 17 Disulfidbrücken und drei infolge der Antigenbindung an der Domäne VH und
Bindungsstellen für Oligosaccharidketten [123]. Eine VL eine durch den Fc-Teil des Antikörpers vermit-
nicht glykosylierte Variante des human-identischen telte Effektorfunktion ausgelöst wird. Prominentes
t-PA wird in E. coli hergestellt [107]. Beispiel ist die Antikörper-abhängige zelluläre Zyto-
Bei Antikörpern besteht die Möglichkeit, Anti- toxizität (antibody-dependent cellular cytotoxicity,
körper-Fragmente mit den variablen Bereichen der ADCC), die eine wichtige Rolle bei der Vernichtung
schweren Kette VH und der leichten Kette VL, also von zellulären Infektionserregern, Virus-infizierten
den kleinsten Antigen-bindenden Einheiten der Zellen und Tumorzellen einnimmt [111].
Antikörper, in Bakterien zu exprimieren. Dies ist Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs, Anti-
interessant für Anwendungen, für die nur die Anti- body Drug Conjugates) sind prinzipiell geeignet, die
gen-bindende Aktivität benötigt wird. Dann kann Wirksamkeit am spezifischen Bindungsort zu stei-
nämlich auf den Fc(fragment crystallizable)-Teil des gern. Ein ADC ist ein monoklonaler Antikörper,
Antikörpers verzichtet werden. der über einen chemischen Linker an ein zytoto-
Durch proteolytischen Verdau von Antikörpern xisches Molekül gekoppelt wurde. Der Antikörper
mit dem Enzym Papain sind Fab-Fragmente herstell- bindet spezifisch an eine Zielzelle, beispielsweise eine
bar (Fab steht für fragment antigen binding). Ein Fab- Krebszelle, das ADC wird durch Endozytose ins Zell-
Fragment besteht aus einer vollständigen leichten innere aufgenommen und dort das Toxin abgespal-
Kette (VL und CL) sowie einer VH- und einer CH1- ten. Durch die Freisetzung wird das Toxin wirksam
Domäne der schweren Kette des Antikörpers. Noch und verursacht das Absterben der Zelle [94]. Dieser
kleinere Fragmente mit Antigen-bindenden Eigen- therapeutische Ansatz verspricht eine bessere Kont-
schaften können mithilfe der Gentechnik rekombi- rolle der Pharmakokinetik durch exakte Anlieferung
12 nant erzeugt werden, z. B. das scFv-Fragment (single des Toxins an die Zielzelle bei minimiertem Kontakt
chain fragment variable) mit einem Molekularge- zu gesunden Zellen.
wicht von etwa 30‒40 kDa. Beim scFv-Fragment sind
eine VH-Domäne und eine VL-Domäne mittels Pep-
tid-Linker miteinander kovalent verbunden [55, 56]. 12.3 Die Umgebung von Zellen in
Die kleinstmöglichen Einheiten mit vollständi- Kultur
ger variabler Domäne sind die sogenannten Nanobo-
dies, auch single domain antibodies oder VHH anti- Tierzellen in Kultur sind von vielen äußeren Fak-
bodies genannt. VHH steht für variable domain of toren abhängig, die wichtig sind für die Erhaltung
the heavy-chains of heavy-chain-only antibodies. Die ihrer Lebensfunktionen, ihrer spezifischen geneti-
variable Domäne der schweren Kette wird also als schen, morphologischen und physiologischen Eigen-
Antigen-bindende Einheit verwendet. Mit einem schaften sowie für die Expression von eigenen und
Molekulargewicht von etwa 12‒15 kDa haben Nano- ggf. transgenen Substanzen. Die wichtigsten dieser
bodies nur ungefähr ein Zehntel der Größe vollstän- Faktoren sind: Temperatur, osmotischer Druck,
diger IgG-Antikörper (150‒160 kDa). pH-Wert, Nähr- und Puffersalze, essenzielle Nähr-
Nanobodies eröffnen die Chance, Vorteile voll- stoffe und Stoffwechsel-Zwischenprodukte, wie z. B.
ständiger Antikörper, wie die hohe Spezifität und Kohlenhydrate, Aminosäuren, Peptide, Proteine,
Affinität für das Ziel-Antigen mit wesentlichen Fette, Fettsäuren, Coenzyme, Nucleoside, Nucleo-
Eigenschaften kleiner Pharmawirkstoffe zu kombi- tide, gelöste Gase, Hormone, Wachstumsfaktoren,
nieren. Im Einzelnen sind das die größere struktu- Spurenelemente sowie ggf. eine Matrix, auf der die
relle Flexibilität, das Potenzial, durch die geringere Zellen wachsen.
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
507 12
Die meisten dieser Faktoren werden in den 55 Glasgow-MEM [78],
Eigenschaften des Zellkulturmediums festgelegt. 55 Grace-Medium [47],
Das Zellkulturmedium hat daher eine entscheidende 55 NCTC-135 [32],
Bedeutung für den Zellkulturprozess. 55 BME = Basal Medium Eagle [26],
55 Ham’s F-12 Nutrient Mixture [49],
55 RPMI 1640 [82],
12.3.1 Zellkulturmedien 55 IMDM = Iscoves modifiziertes Dulbecco-
Medium [59].
Ein gutes Kulturmedium (Nährmedium, Züchtungs-
medium) soll die wesentlichen Rohstoffe und die In . Tab. 12.3 ist die Zusammensetzung des Basalme-
Umgebungsbedingungen für die kultivierten Zellen diums DMEM/Ham’s F12 (1:1) wiedergegeben, das
in einer Art zur Verfügung stellen, die den natür- für die Kultivierung einer ganzen Reihe von Tierzel-
lichen Zellen im Körperverband möglichst ähnlich len erfolgreich eingesetzt wurde. Diese verschiedenen
sind. Die Verhältnisse in vivo können von Zelle zu Basalmedien enthalten bereits etwa 30 bis 80 Kom-
Zelle sehr verschieden sein und sich auch zeitab- ponenten, vor allem anorganische Salze, Aminosäu-
hängig verändern, z. B. beim pH-Wert oder beim ren, Peptide, Vitamine, Coenzyme, Fettsäuren, eine
Hormonspiegel in der Zellumgebung. Verständli- Zucker- und Eisenquelle, Spurenelemente, Puffer-
cherweise gibt es daher kein universelles oder „gene- substanzen und ggf. weitere Komponenten.
risches“ Kulturmedium für Säugetierzellen, sondern Die unterschiedlichen Basalmedien benötigten
eine Vielfalt von Kulturmedien. allerdings noch einen hohen Anteil von ca. 10 bis
Das Medium muss, in Verbindung mit Zugaben 20 % an Blutserum, um eine gute Zellkultivierung
(feeds) während der Kultivierung, trotz seiner kons- in vitro zu ermöglichen. Hierfür können folgende
tanten und möglichst definierten Zusammensetzung Arten von Seren eingesetzt werden: fötales Kälber-
eine ausreichende Anpassungs- bzw. Pufferungsfä- serum (fetal calf serum = FCS), Serum aus neugebo-
higkeit haben gegenüber Änderungen infolge der renen Kälbern (newborn calf serum = NCS, stammt
andauernden Kultivierung der Zellen, z. B. infolge von Tieren bis zu einem Alter von wenigen Wochen),
von Vermehrung, Induktion, Alterung und Differen- Rinderserum, Pferdeserum und Serum von anderen
zierung der Zellen sowie Expression und Sezernie- Tierarten (Ziegen, Hühner, Schweine, Lämmer,
rung von Metaboliten und Produkten. Kaninchen). Alle enthalten wertvolle Wachstumsfak-
Bei der Herstellung rekombinanter Produkte kann toren für Zellen in Kultur. Aufgrund der biologischen
es nützlich sein, für die Anzuchtstufen ein gutes Wachs- Variabilität der Spendertiere, ihrer Ursprungs- und
tumsmedium zu wählen, aber in der Produktionsstufe Ernährungsbedingungen, ihrer Gesundheits- und
ein Medium mit anderen Eigenschaften einzusetzen, Umwelteinflüsse ist es nahezu unmöglich, eine stan-
das die Zellen z. B. durch osmotischen Stress, Tempera- dardisierte Qualität und Zusammensetzung von
tur- oder pH-Wechsel oder durch die Zugabe bestimm- Seren zu erhalten. Daher werden Seren für Zellkul-
ter Substanzen zu vermehrter Produktbildung anregt. turmedien meist von ausgewählten Herden gesun-
Dabei kann durchaus akzeptiert werden, dass die der Spendertiere und aus wenigen geographischen
Zellen unter diesen Bedingungen an Vitalität verlieren Regionen gewonnen. Dies ist sowohl für eine gleich
und nicht lange kultivierbar oder subkultivierbar sind. bleibende Qualität der Serum-Chargen als auch als
Vorsichtsmaßnahme gegenüber potenziell in tieri-
schen Komponenten enthaltenen Krankheitserre-
Serumhaltige Zellkulturmedien gern wie z. B. BSE (bovine spongiforme encephalo-
Die ersten Kulturmedien ähnelten noch weitgehend pathie) und anderen vorteilhaft. Anwender, die auf
dem Blutserum. Ab Ende der 1950er-Jahre gab es eine sehr gute Vergleichbarkeit der Zellkultur-Er-
etliche Basalmedien; die bekanntesten davon sind: gebnisse mit serumhaltiger Kultivierung angewie-
55 MEM = Minimum Essential Medium [25], sen sind, können sich große Mengen von Serum aus
55 DMEM = Dulbeccos modifiziertes Eagle- einer Charge reservieren lassen. Es ist auch möglich,
Medium [24], sich vor einem Chargen-Wechsel vorab Muster von
508 R. Kempken et al.

. Tab. 12.3  Zusammensetzung des Mediums . Tab. 12.3  Fortsetzung


DMEM/F12 (1:1)
Bestandteil Konzentration [mg/L]
Bestandteil Konzentration [mg/L]
D-Ca-Pantothenat 2,24
Aminosäuren Cholinchlorid 8,98
L-Alanin 4,45 Folsäure 2,65
L-Arginin · HCl 147,5 i-Inositol 12,6
L-Asparagin · H2O 7,5 Niacinamid 2,02
L-Asparaginsäure 6,65 Pyridoxal · HCl 2,031
L-Cystein · HCl · H2O 17,56 Riboflavin 0,219
L-Cystin · 2HCl 31,29 Thiamin · HCl 2,17
L-Glutaminsäure 7,35 Thymidin 0,365
L-Glutamin 365,0 Vitamin B12 0,68
Glycin 18,75 Weitere Bestandteile
L-Histidin · HCl · H2O 31,48 D-Glucose 3151,0
L-Isoleucin 54,47 Na-Hypoxanthin 2,39
L-Leucin 59,05 Linolsäure 0,042
L-Lysin · HCl 91,25 DL-68-Thiocitinsäure 0,105
L-Methionin 17,24 Phenolrot 8,1
L-Phenylalanin 35,48 Na-Putrescin · H2O 0,081
L-Prolin 17,25 Natriumpyruvat 55,0
L-Serin 26,25
L-Threonin 53,45
12 L-Tryptophan 9,02 neuen Serum-Chargen für vergleichende Prüfungen
L-Tyrosin · 2Na · 2H2O 55,79 mit Zellkulturen liefern zu lassen. Für viele Anwen-
dungen ist es üblich, jede Serum-Charge vor Einsatz
L-Valin 52,85
auf ihre Eignung zu testen.
Salze
Auf Verlangen der biopharmazeutischen Indust-
CaCl2 116,6 rie und der Gesundheitsbehörden führen die Serum-
CuSO4 · 5H2O 0,0013 Hersteller eine lückenlose Dokumentation über den
Fe(NO3)3 · 9H2O 0,05 Ursprung des Serums (serum audit trail), mit vete-
FeSO4 · 7H2O 0,417 rinärärztlichem Zertifikat über die Tiergesundheit
und den Ursprung des Rohserums, mit den Schrit-
KCl 311,8
ten der Prozessierung des Rohserums bis zum End-
MgCl2 28,64
produkt, der Vergabe der Chargennummer und der
MgSO4 48,84 Freigabe der Chargen.
NaCl 6995,5 Die Gewinnung von FCS beginnt mit der Ent-
NaH2PO4 · H2O 62,5 nahme des Blutes durch Herzpunktion. Man lässt das
Blut gerinnen und trennt dann durch Zentrifugation
Na2HPO4 71,02
das Blutplasma vom Blutserum. Die Blutserum-Por-
ZnSO4 · 7H2O 0,432
tionen werden zu einer Charge vereinigt, sterilfilt-
Vitamine riert und in kleinen Portionen, z. B. 500-mL-Gebin-
Biotin 0,0035 den, abgefüllt und tiefgefroren.
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
509 12
Für besondere Anforderungen kann das Serum Serumfreie Zellkulturmedien
weiterbehandelt werden. Beispielsweise kann Serum Eine wesentliche Weiterentwicklung wurde erst
mithilfe von Membranen mit Ausschlussgrößen von möglich durch die Verwendung von Serum-Ersatz-
ca. 10‒50 kDa gegen Salzlösungen dialysiert werden, stoffen wie Rinder-Transferrin, Rinderserumalbu-
um niedermolekulare Substanzen aus dem Serum zu min (bovine serum albumin, BSA), Rinder-Insulin
entfernen. Wenn Serum von jungen oder erwachse- und Rinder-Lipoproteinen. Transferrin dient als
nen Tieren für die Produktion von Antikörpern ein- Transportprotein für Eisen [1]. Serumalbumin ist ein
gesetzt wird, kann die Anwesenheit von Immunglo- Transportprotein für Fettsäuren, Lipide, Peptide, Ste-
bulinen, vor allem IgG, im Serum Probleme bei der roide, Hormone und Spurenelemente [126]. Zusätz-
Aufarbeitung hervorrufen. Mithilfe chromatographi- lich wirkt es auf die Zellen durch Bindung von Deter-
scher Verfahren können Immunglobuline aus dem genzien und Endotoxinen. Insulin stimuliert die
Serum entfernt werden. Glucoseaufnahme, die Fettsäure-und DNA-Syn-
Zur Inaktivierung von möglichen Krankheits- these. Insulin und IGF-1 (insulin-like growth factor
erregern, die als Verunreinigungen (Kontaminanten) 1) binden an IGF-1-Rezeptoren auf der Zelloberflä-
im Serum enthalten sein könnten, werden viele Seren che und stimulieren die DNA-Synthese [103]. Lipo-
zusätzlich zur Sterilfiltration mit Hitze oder Bestrah- proteine dienen als Transportproteine für Phospholi-
lung behandelt. Eine Hitze-Inaktivierung wird meist pide und Cholesterin [112] und erfüllen eine Vielzahl
für ca. 30 Minuten bei über 50 °C durchgeführt. Zur von regulatorischen Funktionen [88].
Inaktivierung potenziell vorhandener Viren ist vor Durch die Substitution des Serumanteils im Zell-
allem die Gammabestrahlung des Serums geeignet. kulturmedium durch definierte Substanzen konnte
Mit Virus-Spike-Experimenten wurde nachgewie- der Proteinanteil von etwa 20 g/L auf etwa 0,5 g/L
sen, dass eine Dosis von etwa 25 bis 35 kGy für eine reduziert werden (. Tab. 12.4). Die Entwicklung der
verlässliche Inaktivierung einer großen Vielfalt von serumfreien Medien in den 1980er-Jahren wurde
Viren um bis zu sechs Log-Stufen ausreicht [99]. dann in den 1990er-Jahren erfolgreich in Forschung
Die komplexe und variable Zusammenset- und Industrie für die Kultivierung von Säugetierzel-
zung, das Restrisiko von Krankheitserregern, die len angewendet.
begrenzte Verfügbarkeit und der hohe Preis führten Es gelang sogar, das gebrauchte Medium von
zu Anstrengungen, Serum zu ersetzen. Eine einfa- Säugerzellkulturen nach Analyse und Supplemen-
che, aber zeitraubende und nicht immer ausreichend tierung der verbrauchten Nährstoffe zu rezyklieren,
reproduzierbare Möglichkeit war die Adaptation der d. h. für dieselbe Bioreaktor-Kultivierung wiederzu-
kultivierten Zelltypen an serumreduzierte Medien. verwenden [69]. Dies wurde zum Recycling wert-
Hierdurch konnten viele Zellen durch schrittweise voller Serum-Substitute und Medienkomponen-
Ausdünnung von Serum in Medien mit 2 % bis zu ten und damit zur Reduktion der Kosten für das
0,1 % Serumgehalt stabil kultiviert werden. Medium angestrebt. Aufgrund der im Folgenden

. Tab. 12.4  Entwicklung von Zellkulturmedien für Suspensionskulturen

Zeitraum Produkt-Konzentration Typische Bestandteile dieser Proteingehalt der Medien


Zellkulturmedien

1985 bis 1990 20 bis 200 mg/L serumhaltige Medien 20 g/L


1990 bis 1995 50 bis 500 mg/L Proteine aus tierischer Quelle 0,5 g/L
1995 bis 2000 300 bis 1000 mg/L Proteinhydrolysate 0,01 g/L
2000 bis 2005 1000 bis 5000 mg/L chemisch definierte Substanzen <0,01 g/L
nach 2005 1000 bis >10.000 mg/L keine oder gut charakterisierte <0,01 g/L
Proteinhydrolysate
510 R. Kempken et al.

beschriebenen Weiterentwicklung der Medien sind Hydrolysaten und Extrakten zur Reinigung von
solche Maßnahmen nicht mehr nötig. Das Medium- bevorzugten Fraktionen oder zur de novo-Synthese
recycling-Konzept bietet jedoch eine gute Möglich- der wichtigsten Komponenten, z. B. Oligopeptide,
keit, die Effekte von Zellwachstumsfaktoren, Zellrei- führen [22, 40].
fungsfaktoren und Stoffwechselprodukten, die von Am Ende dieser Entwicklung stehen aktuell die
den Zellen selbst gebildet und in das Kulturmedium chemisch definierten Zellkulturmedien. Sie enthal-
abgegeben werden, zu untersuchen [15]. ten gar keine oder nur sehr geringe Proteinanteile
(<0,01 g/L). Anstelle der nur teilweise bekannten und
in ihrer Konzentration chargenabhängigen Serum-
Chemisch definierte Zellkulturmedien bestandteile werden definierte, hochreine, in ihrer
Der entscheidende Schritt auf dem Weg zu Medien, Art und Qualität reproduzierbare, seitens Ursprung
die chemisch definiert sind und keine direkt aus tie- und Stoffklasse unproblematische Rohstoffe als Ein-
rischer Quelle enthaltenen Substanzen mehr auf- zelsubstanzen eingesetzt.
weisen, wurde durch folgende Weiterentwicklun- Inzwischen ist eine Vielzahl von käuflichen Stan-
gen erreicht: dardmedien und von individuell auf spezifische For-
55 Substitution von Transferrin durch Eisensalze schungs- oder Produktionszelllinien optimierten Kul-
oder Eisenkomplexe; turmedien für Säugetierzellen etabliert, welche aus
55 Substitution von Insulin durch rekombinant- den Katalogen der Medienhersteller bezogen werden
humanes Insulin oder IGF-1; können [39]. Die meisten Medien sind in Pulverform
55 Substitution der Lipoproteine durch chemisch erhältlich und werden in hochreinem, entionisiertem
definierte Lipidkonzentrate; Wasser gelöst. Eine Weiterentwicklung der klassischen
55 gezielte Zugabe von Vorstufen (precursors) oder Pulvermedien sind Granulate [38, 100]. Für Labora-
stimulierenden Substanzen wie Fettsäuren, torien, die nicht über eigene Ressourcen zur Medien-
Biotin, Cholin, Glycerin, Ethanolamin, Thiole, Einwaage, -Herstellung und -Sterilfiltration verfügen,
Hormone, Vitamine. sind auch Flüssigmedien in Medienbeuteln (bags) in
Größen von ca. 5 bis 1000 L lieferbar. . Tab. 12.4 zeigt
Für viele Zelllinien ist der Zusatz von Substanzmi- die Entwicklung von Zellkulturmedien für Suspen-
12 schungen aus definierter und nicht-tierischer Quelle sionskulturen von serumhaltigen bis zu chemisch
hilfreich, z. B. Peptonhydrolysate oder Hefeextrakte. definierten bzw. charakterisierten Medien.
Deren Zusammensetzung ist jedoch komplex und Für die Kultivierung von Primärzellen, für
kann je nach Herkunft der Rohstoffe und ihrer Ver- Grundlagenforschung mit Zellkulturen und für die
arbeitung von Charge zu Charge variieren. Durch Herstellung von Impfstoffen sind noch immer relativ
sorgfältige Auswahl der Rohstoffe und Standar- komplexe Kulturmedien üblich bzw. bisher nicht
disierung der Herstellweise gelang es, ein engeres ersetzbar. Für die Kultivierung von Zelllinien und
Spektrum der Inhaltsstoffe dieser Hydrolysate und für die biopharmazeutische Produktion mit Zell-
Extrakte zu erzielen. Eine zusätzliche Veredelung kulturen hat sich jedoch der Trend zu serumfreien,
dieser Substanzen erreichte man mit der Abtrennung bovinfreien und chemisch definierten Kulturmedien
von Inhaltsstoffen durch Ultrafiltration oder Erhit- eindeutig durchgesetzt.
zen. Diese relativ unspezifischen Methoden führten
zur Abreicherung hochmolekularer Rohstoffanteile
und Verunreinigungen ‒ z. B. Endotoxine ‒ bzw. 12.4 Zellkultivierungsmethoden
zur thermischen Denaturierung von Verunreini-
gungen ‒ z. B. Enzyme. Inzwischen wurden Inhalts- Die Auswahl der geeigneten Methode für die Kul-
stoffe von Hydrolysaten und Extrakten identifiziert tivierung von Säugerzellen richtet sich nach der
und bestimmte Fraktionen in Zellkulturtests auf ihre Art der Zelle und dem Zweck der Kultivierung.
förderlichen Eigenschaften für Zellwachstum und Grundsätzlich werden die Zellarten unterschie-
Produktbildung geprüft. Die nächste Stufe der Wei- den in adhärent oder in Suspension wachsend. Ent-
terentwicklung könnte von den „charakterisierten“ sprechend ihres Verwendungszwecks werden sie in
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
511 12
ganz unterschiedlichen Maßstäben gezüchtet, von kommen im kleinen Maßstab häufig T-Flaschen
der Mikrotiterplatte für biologische Tests bis zu (t-flasks) oder Rollerflaschen (roller bottles) zum
20.000-Liter-Reaktoren zur Herstellung von thera- Einsatz. Die normalerweise hydrophobe Oberflä-
peutischen Proteinen für die Humananwendung. che wird durch Vorbehandlung polar und hydrophi-
Adhärent wachsende Kulturen (anchorage-de- ler. Gebräuchlich sind Plastikgefäße aus Polystyrol,
pendent cells) haften und vermehren sich nur auf Polycarbonat, Polyethylen, Polypropylen, Polytetra-
geeigneten Oberflächen (Oberflächenkulturen), fluorethylen und Polyacrylamid als Einmal-Artikel.
die den natürlichen Oberflächen im Zellgewebe (in Im größeren Maßstab erfolgt die Zellzüchtung auf
vivo) möglichst ähnlich sein sollten. Dabei werden Mikrocarriern (dies sind massive oder poröse Kugeln
die Zellen von dem jeweils spezifischen flüssigen von etwa 50 bis 300 µm Durchmesser) in Suspen-
Nährmedium umspült. Die Zellen aller Wirbeltiere sion bzw. als fluidized bed oder in Festbettreaktoren
tragen auf ihrer Oberfläche ungleichmäßig verteilte in kontinuierlicher Kultur (.  Abb. 12.3a). Auf der
negative Ladungen. Oberfläche der Mikrocarrier, bei porösen Mikro-
Geeignete Oberflächen sind beispielsweise Dex- carriern auch in den Poren, können die adhärenten
trane, Glas, Kunststoffe und Metall, die häufig noch Zellen zu beinahe gewebeähnlichen Zelldichten her-
spezifisch modifiziert sind. Sie dürfen keine toxi- anwachsen. Für Festbettreaktoren kommen je nach
schen Gruppen wie z. B. Schwermetalle enthalten, Maßstab vor allem Hohlfaser- oder auch Keramik-
müssen eine verteilte, aber nicht zu dichte elektri- module infrage. Ist die Zelle das Produkt, wie z. B.
sche Ladung aufweisen und hydrophil sein. Um bei der Züchtung von Hautzellen zur Behandlung
eine effiziente Anhaftung zu gewährleisten, können von Brandverletzungen, werden diese auf speziellen
die Oberflächen mit Anhaftungsfaktoren (adhesion Trägern in geeigneten Kunststoffschalen vermehrt.
factors) wie z. B. Kollagen, Fibronectin, Globulinen, Meistens muss vor der Subkultivierung der Zell-
Glykoproteinen oder Serum vorbehandelt werden. verband durch die Zugabe von Trypsin aufgelöst
Die Anhaftung adhärenter Zellen ist ein komple- werden. Die Züchtung adhärenter Zellen ist daher
xer Prozess und erfolgt über die Stufen Adsorption, prozesstechnisch aufwändig und vom Scale-up her
Kontakt, Anhaftung und Spreitung (spreading). begrenzt. Dieser Zelltyp wird daher im Allgemeinen
Unter geeigneten Kultivierungsbedingungen ver- nur für spezifische Anwendungen eingesetzt.
mehren sich die Zellen je nach Zelltyp als Monolayer Industriell von derzeit wesentlich größerer
(bei Kontaktinhibition) oder als Polylayer. Bedeutung sind die Suspensionskulturen, die als
Zur Kultivierung adhärenter Zellkulturen werden Einzelzellen oder in kleinen Aggregaten direkt im
je nach Zweck und Zelltyp verschiedene Kultivie- Nährmedium gezüchtet werden (. Abb. 12.3b). Für
rungssysteme verwendet. Werden die Zellen z. B. für die Herstellung von Glykoproteinen werden fast aus-
die Herstellung von Proteinen oder Viren eingesetzt, schließlich Suspensionszellen eingesetzt, es sei denn

a b
. Abb. 12.3  Zellen, die auf (a) Mikrocarriern bzw. (b) in Suspension wachsen
512 R. Kempken et al.

das Produkt ist wie z. B. bei Faktor VIII sehr empfind- Da Säugerzellen keine feste Zellwand besitzen, sind
lich gegenüber einem proteolytischen Abbau. In den sie relativ scherempfindlich gegenüber der hydrody-
meisten Fällen kommen rekombinante Zellen wie die namischen Scherung und Schädigungen durch Luft-
CHO- oder NS0-Zellen zum Einsatz, die „unsterb- blasen. Dieser Eigenschaft lässt sich durch eine für
lich“ sind und unbegrenzt vermehrt werden können, jede Zelllinie spezifische Medienzusammensetzung
soweit es deren genetische Stabilität zulässt. Für die und Prozessführung in den verschiedenen Maßstä-
Vermehrung von Volumen unter 10 L kommen ben begegnen. Das Ausmaß einer potenziellen Zell-
neben Spinnerflaschen und zunehmend Schüttel- schädigung hängt ab vom Reaktordesign, der Bega-
kolben vor allem Rührkesselreaktoren (stirred tank sungsart und auch vom physiologischen Status der
reactor, STR) zum Einsatz. Im Maßstab über 1000 L Zellen.
werden fast ausschließlich STR eingesetzt, weil sie Durch die Zugabe eines nicht-ionischen, ober-
die vielfältigen Anforderungen, die sich aus den flächenaktiven Copolymers, wie z. B. Pluronic F68,
verschiedenen industriellen Anwendungen ergeben lassen sich Zellschädigungen durch Blasen minimie-
hinsichtlich Flexibilität, Anforderungen ans Steril- ren, was besonders unter serumfreien Bedingungen
design, Maßstabsvergrößerung (upscaling), variable von Bedeutung ist. Durch Zugabe von Serum lässt
Prozessführung und schnelle Entwicklungszeiten, sich eine ähnliche Schutzwirkung erzielen. Obwohl
immer noch am besten erfüllen. die Zellrespiration von Säugerzellen gering ist und sie
deshalb im STR mit im Vergleich zu Mikroorganis-
men geringen Luftmengen begast werden, ist trotz-
12.4.1 Rührkesselreaktoren (stirred dem eine ausreichende Begasung unter anderem zum
tank reactor, STR) Austreiben des von den Zellen gebildeten Kohlendi-
oxids erforderlich (CO2 stripping). In kleinen Reak-
Obwohl die Zellkultivierung in STR im Wesentli- toren kann unter Umständen der Gasstrom durch
chen mit der Fermentation von Mikroorganismen die Luftbegasung zu gering sein, um genügend CO2
vergleichbar ist, gibt es doch spezifische Anforde- auszutreiben, sodass eine zusätzliche Begasung mit
rungen für den Einsatz bei Säugerzellen. Sie unter- Stickstoff erforderlich wird. Durch die Zuführung
scheiden sich von Mikroorganismen vor allem durch von reinem Sauerstoff zur Luftbegasung wird die
12 ihr vergleichsweise langsames Wachstum (12 bis 24 Versorgung bei großen Reaktoren oder bei Hoch-
Stunden Verdopplungszeiten) bei normalerweise dichte-Zellkulturen wesentlich verbessert bei noch
relativ geringen maximal erreichbaren Zelldichten, tolerierbaren Begasungsraten.
durch die hohen Ansprüche an das Nährmedium In den industriell eingesetzten STR werden für
(7 Abschn. 12.3.1) und die Empfindlichkeit gegen- die Gasverteilung Begasungsrohre (point- oder open
über äußeren Einflüssen. Details zu Bioreaktoren tube sparger) oder Begasungsringe eingesetzt, zum
sind in 7 Kap. 6 beschrieben. Teil auch Fritten aus gesintertem Edelstahl. Der
Stoffübergang mittels Frittenbegasung ist durch die
sehr kleinen Blasen zwar hervorragend, und das
Begasung und Rührung Optimum zwischen Sauerstofftransfer und CO 2
Obwohl der Sauerstoffbedarf der Säugerzellkultu- stripping kann über die Porengröße im Bereich von
ren mindestens um den Faktor 10 geringer ist als 2‒5 µm eingestellt werden. Nachteilig können aber
beispielsweise der einer Hefekultur, werden beson- die schwierigere Reinigbarkeit unter GMP-Bedin-
dere Anforderungen an die Rührung und Begasung gungen (7 Abschn. 12.7.3) und das Risiko einer stär-
gestellt. Dabei müssen folgende Faktoren berücksich- keren Schaumbildung sein. Weit verbreitet sind das
tigt werden [79]: Begasungsrohr und der Begasungsring, weil sie am
55 Faktoren, die eine physikalische Schädigung besten zu reinigen und zu sterilisieren sind, obwohl
der Zellen verursachen können; die Blasengröße kaum zu steuern und der Sauerstoff-
55 Konzentrationsgefälle aufgrund ungenügender eintrag relativ ineffizienter ist.
Durchmischung; Die Rührung in Bioreaktoren ist von erhebli-
55 Probleme im Zusammenhang mit einem cher Bedeutung und mit zunehmender Reaktor-
unzureichenden Gas-Flüssig-Stoffübergang. größe schwieriger optimal zu bewerkstelligen. Es
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
513 12
werden im Allgemeinen schonende Rührorgane ver- werden, wodurch blasenbedingte Zellschädigungen
wendet, um die Scherbeanspruchung und den Ener- vermieden werden. Die Oberflächenbegasung beruht
gieeintrag möglichst klein zu halten. Dazu eignen auf der Diffusion an der Grenzfläche zwischen der
sich Marine- und Rushtonimpeller sowie spezielle Luft im Kopfraum des Reaktors und der Flüssigkeit.
Schrägblattrührer („Elefantenohr“) die je nach Reak- Der Stoffübergang ist proportional zur Grenzfläche
tortyp und -größe einzeln oder in Kombination ein- Luft-Flüssigkeit und wird mit zunehmendem Reak-
gesetzt werden (. Abb. 12.4). In der Regel beträgt torvolumen ineffizienter. Daher ist die Oberflächen-
der Rührerdurchmesser ein Drittel bis die Hälfte des begasung nur in kleinen Kultivierungssystemen wie
Reaktordurchmessers. T-Flaschen, Rollerflaschen, Spinnerflaschen (<1 L)
Mit diesen Rührern können lokale turbulente Strö- oder Schüttelkolben ausreichend. Obwohl die Mem-
mungen und Mikrowirbel, die bevorzugt an den Rühr- branbegasung bis zu einem Maßstab von 150 L nach-
blättern entstehen und potenziell zellschädigend sind, weislich möglich ist [122], konnte sie sich wegen der
minimiert werden (7 Kap. 6, . Abb. 6.7). Allerdings Schwierigkeiten einer weiteren Maßstabsvergröße-
muss die Durchmischung effektiv genug sein, um rung und des hohen technischen Aufwands für die
möglichst keine Nährstoff-, pH- und Sauerstoffgra- industrielle Anwendung nicht durchsetzen.
dienten entstehen zu lassen. Dies ist zwar mit zuneh- Rührkesselreaktoren müssen so ausgelegt sein, dass
mendem Reaktorvolumen und hohen Zelldichten sie mindestens die Sauerstofftransferrate (oxygen
immer schwieriger zu erreichen; Studien mit indus- transfer rate, OTR) erreichen, die erforderlich ist,
triell verwendeten Zelllinien haben jedoch gezeigt, um die Sauerstoffaufnahmerate (oxygen uptake rate,
dass die Zellen doch nicht so empfindlich gegenüber OUR) bei maximaler Zellmasse abzudecken. Die
Scherstress sind wie ursprünglich angenommen [19]. OTR ist direkt proportional zum Stoffübergangsko-
Die Durchmischung kann verbessert werden durch effizient kLa und abhängig von der Reaktorgeomet-
55 die Erhöhung der Rührerdrehzahl, rie, Gasverteilung, Rührung, dem Reaktordruck und
55 die Verwendung von zusätzlichen der Nährmedienzusammensetzung. Die physikali-
Rührorganen, schen Grundlagen sind ausführlich in 7 Abschn. 5.3
55 die Vergrößerung des Rührerdurchmessers und beschrieben.
55 den Einbau von Strömungsbrechern. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften und
Anforderungen von Säugerzellen haben sich beim
industriell eingesetzten STR vor allem die erwähn-
Stoffübergang ten Marineimpeller und/oder auch Schrägblattrüh-
Außer der beschriebenen Submersbegasung kann rer sowie Rushtonimpeller als Rührorgane durch-
der Stoffübergang in STR auch durch Oberflächen- gesetzt. Gleichzeitig wird die Begasungsrate relativ
begasung oder die Verwendung von gaspermeablen gering gehalten und bei Bedarf mit Sauerstoff ange-
Membranen zur blasenfreien Begasung erreicht reichert. Damit lässt sich auch die Schaumbildung

. Abb. 12.4  Beispiel für (a) einen


typischen Schrägblattrührer
(„Elefantenohr“) und (b) einen
Rushton-Marineimpeller
514 R. Kempken et al.

in Grenzen halten, die bei Bedarf noch mit geringen überströmt werden, wachsen die Zellen bei Hohlfa-
Mengen an Antischaummittel, meist auf Silikon-Ba- sermodulen auf der Außenseite und sind durch die
sis, beseitigt werden kann. semipermeable Membran vom mit Sauerstoff ange-
reicherten Nährmedium getrennt.
Sowohl Wirbelschicht- als auch Festbettreakto-
12.4.2 Weitere Reaktoren ren werden meist im kontinuierlichen Betrieb gefah-
ren. Beiden Reaktortypen ist gemeinsam, dass ein
In jüngster Vergangenheit hat die Entwicklung und upscaling nur in einem begrenzten Umfang möglich
der Einsatz von Einweg-Bioreaktoren (disposible/ ist und die Prozessführung aufgrund der Gradien-
single use bag bioreactors) für die Kultivierung von ten, der Inhomogenitäten und der nur eingeschränkt
tierischen Zellkulturen stark zugenommen. Details möglichen Prozesskontrolle schwierig ist.
hierzu sind in 7 Abschn. 6.6.1 beschrieben.
Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Reak-
tortypen, die aber meist nur für spezifische Anwen- 12.4.3 Systeme zur Zellrückhaltung
dungen eingesetzt werden. Hier sind Airlift-Fer-
menter, Membranreaktoren, Wirbelschichtreaktoren Um die Zelldichten von Suspensionskulturen auf
(fluidized bed reactor) oder verschiedene Varianten mehr als 10 und bis zu 100 Millionen Zellen pro Mil-
von Festbettreaktoren zu nennen. liliter zu erhöhen, können verschiedene Systeme zur
Beim Wirbelschichtreaktor werden die Zellen, die Zellrückhaltung eingesetzt werden. Hierbei werden
entweder in Form von Aggregaten wachsen oder an die Zellen permanent mit frischem Nährmedium
Oberflächen bzw. in porösen Partikeln haften, durch versorgt und im Gegenzug die gleiche Menge an
die Anströmung mit der Nährlösung in Schwebe Zellkulturüberstand abgenommen (Perfusionskul-
gehalten ( 7 Abschn. 6.3.1 ). Bei Einsatz poröser tur, perfusion culture). Dieser enthält neben dem
Träger muss das Trägermaterial eine hohe Porosität Produkt zum Teil toxische Metabolite und ist verarmt
mit genügend großen Poren aufweisen, um die innen an Nährstoffen. Hierbei werden ausschließlich Tech-
wachsenden Zellen ausreichend mit Nährstoffen und nologien verwendet, die nach Größe bzw. Dichte
Sauerstoff zu versorgen und die Stoffwechselendpro- trennen, wobei das geeignete Verfahren in Abhän-
12 dukte zu entfernen. Hierfür eignen sich Materialien gigkeit vom Maßstab und der spezifischen Anwen-
aus Kollagen, Keramik, offenporigem Glas oder ver- dung ausgewählt werden muss [121].
schiedenen Polymeren. Sie müssen eine möglichst Verbreitet eingesetzt werden externe, an den
große Oberfläche bieten und eine solche spezifische Reaktor angeschlossene Membranmodule (Hohlfa-
Dichte besitzen, dass sie leicht in Schwebe zu halten ser- oder Flachbettmembranen), die als cross-flow-
sind. Kommerzialisiert wurde das Verax®-System, bei oder Tangential-Fluss-Filtration (TFF) betrieben
dem die Zellen in sogenannten Microspheres aus Rin- werden. Dabei wird die Zellkultur mittels Pumpe
der-Kollagen gezüchtet werden [106]. permanent rezirkuliert und die Zellkulturflüssigkeit
Zellen, die in Festbettreaktoren kultiviert im Membransystem abgetrennt. Vereinzelt werden
werden, sind auf einem Trägermaterial fixiert und auch Spinfilter eingesetzt.
werden durch das vorbeiströmende Nährmedium Andere Entwicklungen basieren auf der Zellre-
versorgt. Damit können zwar hohe Zelldichten pro tention mittels Dichte. Hierfür eignen sich prinzipiell
Volumen erreicht werden, allerdings ist die Versor- statische bzw. Ultraschall-Settler, aber auch Zentri-
gung der innenliegenden Zellen aufgrund von Kon- fugen und Hydrozyklone. Das derzeit auf dem Markt
zentrationsgradienten und Inhomogenitäten stark befindliche BioSep®-System nutzt z. B. Ultraschall-
limitiert. Neben keramischen Matrices [8] und Edel- wellen im Megahertz-Bereich zur Sedimentation
stahlspiralen [124] kommen vor allem Hohlfaser- („akustischer Filter“) und hat je nach Modell eine
module aus Membranfasern mit einem cut-off von Leistung von 1‒150 L pro Tag [128].
10‒100 kDa zum Einsatz (. Abb.  6.47). Während bei Eine andere, relativ neue Technologie zur Zell-
Oberflächenreaktoren die Zellen direkt mit Medium und Produktzurückhaltung ist die „Alternierende
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
515 12
Tangentiale Fluss-Technologie“ (alternating tangen- 12.5.2 Medienfiltration
tial flow filtration, ATF). Diese Technologie basiert auf
einer alternierenden Filtration mithilfe einer scher- Die üblichen Zellkulturnährlösungen müssen ste-
kraftarmen Diaphragmapumpe, wobei zellhaltiges rilfiltriert werden, da einige Komponenten wie Vit-
Medium aus dem Reaktor durch ein Hohlfasermo- amine, bestimmte Aminosäuren oder Proteine ther-
dul abgezogen und auf gleichem Wege wieder in den molabil sind und nicht mit Hitze sterilisiert oder
Reaktor zurückgedrückt wird. Hierbei variiert die autoklaviert werden können. Hierzu werden ste-
Flussrichtung des Mediums durch die Filtermembran rilisierte Membranfilter mit einer Porenweite von
des Hohlfasermoduls in beide Richtungen, wodurch maximal 0,2 µm verwendet, die in verschiedenen
zellfreies Medium abgezogen wird und gleichzeitig Filtergrößen, Membrantypen und -materialien wie
Zellen, die sich an der Membran absetzen, abgespült Polyethersulfon (PES), Nylon, Polyvinyldifluorid
werden [68]. Diese Technologie ist robust, scher- (PVDF) und Celluloseacetat erhältlich sind. Mitt-
stressarm und außerdem gut skalierbar. Es werden lerweile werden zunehmend 0,1-µm-Sterilfilter ein-
Zelldichten bis zu 200 Mio. Zellen/mL erreicht. Auf- gesetzt, um auch das Risiko einer Mycoplasmenkon-
grund dieser positiven Eigenschaften wird die ATF tamination zu minimieren. Die Filterkonfiguration
derzeit kommerziell bis zu einem Maßstab in der muss für die jeweilige Filtration angepasst sein, um
Größenordnung von 1000 L eingesetzt [98]. sicherzustellen, dass die Filter nicht verblocken,
keine Nährstoffe adsorbiert werden und die Filtration
auch von Medienvolumina bis zu 20.000 L innerhalb
12.5 Prozessführung bei weniger Stunden durchführbar ist. Vereinzelt werden
Säugerzellkulturen angesetzte Nährlösungen in der kommerziellen Pro-
duktion auch noch zusätzlich für 10–15 Sekunden
Um Säugerzellen optimal kultivieren zu können, auf ca. 102 °C erhitzt (high-temperature short-time,
müssen bestimmte Rahmenbedingungen hinsicht- HTST), um potentiellen Kontaminationen zusätz-
lich des Reaktors und der Prozessführung ein- lich vorzubeugen, die sich nicht sicher über Filtra-
gehalten werden. Dies gilt im besonderen Maße tion entfernen lassen [97]. Dabei liegt der Fokus vor
für die großtechnische Herstellung von Protei- allem auf der Vermeidung potentieller Kontami-
nen oder Impfstoffen unter cGMP-Bedingungen nationen mit exogenen Viren. Für die Anwendung
(7 Abschn. 12.7.3) für die Anwendung am Menschen. einer HTST-Behandlung müssen die Nährlösungen
spezifisch entwickelt werden, da nicht alle Kompo-
nenten hitzestabil sind bzw. einzelne Komponenten
12.5.1 Sterilisation präzipitieren können.

Da Säugerzellen langsam wachsen und nährstoff-


reiche Medien benötigen, besteht immer das Risiko 12.5.3 Zellkultivierungsverfahren
der Kontamination mit Mikroorganismen. Daher
kommt der sterilen Prozessführung eine große Säugerzellen werden sowohl im batch-, fed-batch-
Bedeutung zu. Bei der Zellzüchtung im Labormaß- als auch im kontinuierlichen Betrieb gezüchtet. Im
stab sind vor allem das sterile Arbeiten unter der batch-Verfahren werden zu Beginn Nährmedium
Sterilwerkbank sowie die Verwendung steriler oder und Zellen in ein Kultivierungssystem gegeben und
autoklavierter Materialien essenziell. Im Großmaß- unter geeigneten Bedingungen ohne weitere Mani-
stab (large scale) sind das aseptische Design der Bio- pulationen bis zum Ende der Kultivierung inkubiert.
reaktoren einschließlich der gesamten Peripherie Diese Verfahrensweise ist relativ einfach und risiko-
sowie die angewandten Verfahren zur Reinigung, arm und wird deswegen in vielen Fällen als Standard-
Sterilisation und Prozessführung entscheidend. In verfahren bei der großtechnischen Vermehrung von
7 Kap. 7 sind die Grundlagen der Sterilisation und Suspensionszellen eingesetzt. Dabei durchlaufen die
Steriltechnik ausführlich beschrieben. Zellen die typischen Wachstumsphasen: lag-, log-,
516 R. Kempken et al.

stationäre- und Absterbephase. Die Kultivierungs- 100 Millionen Zellen pro Milliliter) und Produkt-
zeit beträgt bei batch-Verfahren mit den industriell mengen pro Volumen und Zeit erreicht werden. Sie
verwendeten Zelllinien in der Regel zwei bis vier sind die Regel bei Produktionsverfahren mit adhä-
Tage. Wegen der systembedingten Beschränkun- renten Zellen (7 Abschn. 12.4). Suspensionskultu-
gen aufgrund von Nährstofflimitierungen und/oder ren können nur mithilfe von geeigneten Verfahren
Anreicherung von toxischen Stoffwechselproduk- der Zellzurückhaltung im Perfusionsmodus betrie-
ten sind die zu erreichenden Zelldichten und Pro- ben werden (7 Abschn. 12.4.3). Aufgrund der hohen
duktkonzentrationen (Titer) beschränkt. Sie liegen Zelldichten können die Reaktoren kleiner dimen-
im Bereich von etwa ein bis fünf Millionen Zellen sioniert werden. Perfusionskulturen kommen zum
pro Milliliter und erreichen in der Regel einen Titer Einsatz bei der Produktion von labilen Proteinen
unter 200 mg/L. (z. B. Faktor VIII) oder wenn hohe Zelldichten
Eine bessere Kontrolle der Kulturführung benötigt werden. Sie kann aber auch als unmittel-
erreicht man über fed-batch-Verfahren, bei denen bare Vorstufe für eine fed-batch-Produktionskultur
während der Kultivierung zusätzlich Nährstoffe, eingesetzt werden, um diese mit einer viel höheren
Wachstumsfaktoren oder die Produktbildung stei- Einsaatdichte zu starten und damit die Produktivi-
gernde Substanzen aseptisch zugegeben werden. tät zu erhöhen.
Damit lassen sich z. B. die Bildung von wachstums- Bei den meisten Verfahren, die heute in der Her-
hemmenden Metaboliten wie Lactat oder Ammo- stellung von rekombinanten Proteinen Anwendung
nium minimieren, indem z. B. die Anfangskonzen- finden, hat sich das fed-batch-Verfahren durchge-
tration von Glucose bzw. Glutamin verringert und setzt. Die Vorteile sind:
diese Substanzen im Laufe der Kultivierung nach 55 Es ist schnell zu entwickeln (time to market ist
Bedarf zugegeben werden. Außerdem kann die ökonomisch bedeutend);
Nährstofflimitierung durch Zugabe von Glucose und 55 eine flexible Produktion ist möglich, vor allem
Aminosäuren vermieden werden und damit besse- in einer Mehrproduktanlage;
res Wachstum, höhere Zelldichten und eine Verlän- 55 eine hohe Produktkonzentration ist erreichbar
gerung der Kultivierungszeit erreicht werden. Durch (relativ teure Medien werden genutzt, und die
Zugabe von Buttersäure kann die spezifische Produk- initiale Aufarbeitung ist effizient);
12 tivität der Zellen (Menge an Produkt pro Zelle und 55 die Prozessvalidierung ist vergleichsweise
Tag) signifikant gesteigert werden. Mit optimierten einfach und schnell;
fed-batch-Verfahren für die Herstellung monoklona- 55 die Verfahren sind auch im großtechnischen
ler Antikörper lassen sich Zelldichten von weit über Maßstab robust genug.
zehn Millionen Zellen pro Milliliter und in Einzel-
fällen Titer von 10 g/L und mehr erreichen bei Kul- Die Grundlagen der Kultivierung und Prozessfüh-
tivierungszeiten von bis zu drei Wochen. Fed-batch- rung sind ausführlich in 7 Kap. 3 beschrieben.
Verfahren sind dementsprechend weit verbreitet bei
der Produktion von Proteinen.
Im Gegensatz zur fed-batch-Kultivierung wird 12.5.4 Prozessparameter und
bei den kontinuierlichen Verfahren permanent Prozessmonitoring
oder periodisch in dem Maße Zellkulturlösung ent-
nommen, wie frische Nährlösung zugegeben wird, Säugerzellen sind ein äußerst komplexes biologisches
wobei das Reaktorvolumen konstant bleibt und die System und werden dementsprechend von vielen
Zellen im Reaktor verbleiben. Diese als Perfusion Faktoren beeinflusst. Die Grundvoraussetzung für
bezeichnete Betriebsweise ermöglicht optimale die Vermehrung von Säugerzellen sind geeignete
und weitgehend konstante Kultivierungsbedingun- Nährmedien (7 Abschn. 12.3.1) und biophysikalische
gen über die gesamte Laufzeit, die bis zu mehrere Umgebungsbedingungen, deren Einhaltung beson-
Monate betragen kann [113]. Mit Perfusionskul- ders wichtig ist, wenn serum- oder gar proteinfreie
turen können die höchsten Zelldichten (bis über Nährmedien eingesetzt werden.
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
517 12
Prozessparameter Ohne eine ausreichende Versorgung mit Sauer-
Zu Beginn einer Kultur muss im Gegensatz zu Mik- stoff können die Zellen nicht wachsen. Obwohl
roorganismen mit einer relativ hohen Einsaat- sie nur eine relativ niedrige Sauerstoffaufnahme-
dichte ‒ in der Regel mindestens 105 Zellen pro rate (OUR) haben, ist die ausreichende Versorgung
Milliliter ‒ inokuliert werden, um vor allem unter mit Sauerstoff wegen der Scherempfindlichkeit vor
serumfreien Bedingungen ein sicheres Anwachsen allem bei large scale-Bioreaktoren nicht trivial. Der
der Kultur zu gewährleisten. Es wird angenommen, Sauerstoffgehalt in den Kulturen kann variieren und
dass hier die von den Zellen selbst gebildeten Wachs- wird je nach Maßstab und Reaktor mittels Oberflä-
tumsfaktoren eine Rolle spielen und deshalb eine chen- oder Submersbegasung mit Luft oder zusätz-
Mindestmenge an konditioniertem Medium mitge- lichem Sauerstoff sichergestellt (7 Abschn. 12.4.1).
führt werden muss. Wie beim pH wird auch die Sauerstoffkonzentra-
Da Säugerzellen keine stabile Zellwand, sondern tion normalerweise in geregelten Systemen kons-
nur eine empfindliche Zellmembran besitzen, ist der tant gehalten.
osmotische Druck des Mediums ein wichtiger Para- Alle hier aufgeführten Parameter beeinflussen
meter. Ohne spezielle osmo-protektive Substanzen sich gegenseitig und müssen bei der Prozessentwick-
liegt die Osmolalität meist im Bereich von 250 bis lung möglichst optimal austariert werden.
400 mOsm. Eine Erhöhung der Osmolalität vermin-
dert häufig das Wachstum, kann aber bei bestimmten
Zellen die Produktivität steigern. Prozessmonitoring
Zellen wachsen in der Regel bei einer Tempera- Um die Kultivierung von Säugerzellen konsistent
tur von 37 °C am besten. In manchen Produktions- bewerkstelligen zu können, kommt der Prozess-
verfahren wird die Temperatur zu Beginn oder im überwachung (Monitoring) und Prozesskontrolle
Verlauf um mehrere Grad Celsius gesenkt (Tem- eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei gilt es, die
peraturshift). Damit wird das Wachstum verlang- in 7 Abschn. 12.5.4 beschriebenen Parameter zuver-
samt bzw. gestoppt und der Metabolismus in Rich- lässig zu messen und in definierten Grenzen (process
tung Produktbildung verlagert. Schon geringfügige operating ranges) zu halten.
Abweichungen von weniger als 1 °C von der Soll- Am besten gelingt dies mit on-line zu messenden
temperatur können einen erheblichen Effekt auf das Parametern wie Temperatur, pH und pO2. Während
Wachstum und die Produktivität haben. die Temperaturmessung über Pt100 ausreichend
Der pH-Wert muss sich ebenfalls in einem präzise und zuverlässig unter den erforderlichen Ste-
relativ engen Band von ca. 6,7 bis 7,4 bewegen, um rilbedingungen ist, haben die pH- und pO2-Sonden
ein akzeptables Zellwachstum zu ermöglichen. Das ein gewisses Ausfallsrisiko bzw. können im Verlauf
von den Zellen während der Kultivierung in unter- der Fermentation driften und falsche Messwerte
schiedlichen Phasen und Konzentrationen gebildete anzeigen. Deshalb werden diese Sonden vor allem
Kohlendioxid, Lactat und Ammonium beeinflussen in large scale-Reaktoren entweder redundant oder
den pH-Wert entsprechend. Bei Kulturen, die nicht mit Wechselarmaturen eingesetzt. Es sind auch aus-
pH-kontrolliert werden, muss die Pufferkapazität gereifte Sonden für die Messung des pCO2 verfügbar,
des Mediums ausreichend sein oder aber die Inku- die vor allem im Rahmen der Entwicklung und des
bation bei einem Luft/CO2-Gemisch von 90:10 bzw. Scale-up wertvoll sein können.
95:5 erfolgen. Dies ist in der Regel im small scale bei Für die on-line-Messung der Parameter pH und
T-Flaschen, Schüttel- und Spinnerkulturen der Fall. pO2 gibt es inzwischen auch optische Sensoren, die
In geregelten Bioreaktoren wird der pH-Wert durch z. B. für Screening-Assays interessant sind [21, 62].
die Zugabe von meist Kohlendioxid und Carbonat Spezifische Fluorophore werden am Boden von
in den vorgegebenen Grenzen gehalten. Die exakte transparenten Kulturgefäßen fixiert, die in Abhän-
Einhaltung eines engen pH-Bandes kann entschei- gigkeit vom jeweils zu bestimmenden Parameter
dend sein für die konsistente Produktqualität von ihre Fluoreszenz ändern und damit on-line bestimmt
Glykoproteinen. werden können.
518 R. Kempken et al.

Der Einsatz von Trübungs- und Kapazitätsson- wie z. B. CEDEX durchgesetzt, weil damit präzisere
den zur indirekten Bestimmung der Zellmasse bzw. Ergebnisse erzielt werden. Um Informationen zum
des Zellvolumens hat den Eingang in die Routine Grad der Apoptose oder der Zellzyklusverteilung zu
bisher nur vereinzelt gefunden, weil die Korrelation erhalten, kann die Durchflusszytometrie (flow cyto-
zur Zellzählung oft nicht im gesamten Messbereich metry) eingesetzt werden [29, 50]. Durch entspre-
gegeben ist und die Messung von Partikeln oder Luft- chende Probenaufbereitung kann mit dieser vielsei-
blasen gestört wird. tigen Methode unter anderem auch der intrazelluläre
Da die verfügbare on-line-Messtechnik nach pH-Wert, die Proteinsekretion, der Ionenfluss und
wie vor ungenügend ist, um einen Zellkulturprozess die Chromosomenzahl bestimmt werden. Diese
ausreichend genau und zeitnah zu analysieren, wird Messtechnik ist jedoch relativ aufwendig und damit
an der Entwicklung neuer Biosensoren gearbeitet für ein Routine-Monitoring nur bedingt geeignet.
[118]. Vor allem im Bereich der UV-, Fluoreszenz- Die für das Prozessmonitoring bzw. die Kultur-
und NIR-Spektroskopie gibt es interessante Ansätze. führung relevanten Nährstoffe und Stoffwechselpro-
Zum Beispiel könnten mit der NIR-Spektroskopie dukte können ausreichend genau und zuverlässig
(7 Abschn. 8.2.6), gleichzeitig Metabolite wie Glucose, off-line mittels enzymatischer und photometrischer
Lactat, Ammonium und Glutamin sowie die Zell- Methoden bestimmt werden. Dazu können Analy-
dichte und Produktbildung bestimmt werden. Vor- senautomaten eingesetzt werden, die für klinisch-
aussetzung ist allerdings eine aufwendige mathema- chemische Routinetests entwickelt wurden, wie z. B.
tische Modellierung der spezifischen Spektren zur Blutgasanalysatoren für CO2, O2 und Analysengeräte
Kalibrierung der zu messenden Parameter [108]. für Glucose, Lactat, Glutamin, Ammonium, Amino-
Der Einsatz der Massenspektrometrie ist für die säuren und andere Metabolite.
Bestimmung der Sauerstoffaufnahmerate (OUR) Die Bestimmung der Produktkonzentration
und Kohlendioxidproduktionsrate (carbon dioxide (Titer) erfolgt mit spezifischen immunologischen
production rate – CPR), sowie für metabolische Flux- Methoden wie ELISA (enzyme-linked immunosor-
Analysen beschrieben [14, 86], hat sich aber noch bent assay), Oberflächenplasmonenresonanzspek-
nicht für das Routine-Monitoring etabliert, weil troskopie (surface plasmon resonance spectroscopy,
häufig die Zelldichten zu niedrig sind. Da inzwi- SPR-Spektroskopie) [46] und chromatographischen
12 schen deutlich höhere Zelldichten erreichbar sind, Methoden wie HPLC.
wird auch der Einsatz der Massenspektrometrie Auf die Mess- und Regeltechnik wird in 7 Kap. 8
zunehmend interessanter. Das sich in der Entwick- vertieft eingegangen.
lung befindliche in situ-Mikroskop kann in einen
Reaktorstutzen eingebaut werden und soll es ermög-
lichen, on-line die Zellzahl, Zellgröße und den Aggre- 12.5.5 Methoden der Zellabtrennung
gationsgrad der Zellkultur zu bestimmen [61].
Beim Einsatz von Sonden zur on-line-Messung Für die Abtrennung der Zellen von der produkthal-
muss allerdings der Nutzen für die Prozesskontrolle tigen Zellkulturflüssigkeit werden bei Suspensions-
gegen das damit verbundene höhere Kontamina- kulturen die Filtration und die Zentrifugation einge-
tionsrisiko und den Aufwand abgewogen werden. setzt. Je nach Kultivierungsmaßstab werden einmal
Andere Parameter können derzeit nur off-line verwendbare Membran- oder Tiefenfilter (bis ca.
sicher gemessen werden. Die Bestimmung der Zell- 1000 L) oder mehrfach verwendbare Querstrom-Mi-
dichte und Vitalität erfolgt mittels mikroskopischer krofiltrationssysteme eingesetzt. Dabei kommen ver-
Zählung in einer Zählkammer bei entsprechen- schiedene Membrantypen aus Polymeren, wie z. B.
der Verdünnung, wobei die Zugabe eines Farb- Propylen, PVDF, oder aus Keramik (7 Kap. 9) zum
stoffes (z. B. Trypanblau) die Unterscheidung zwi- Einsatz. Die Produktausbeuten sollten bei allen Ver-
schen lebenden und toten Zellen ermöglicht. Diese fahren bei über 90 % liegen.
Messung ist entsprechend ungenau und kann im Die Tiefenfilter werden im dead-end-Filtrations-
Einzelfall bis zu ± 20 % variieren. Inzwischen haben modus betrieben, wobei die Filtertypen hinsichtlich
sich automatisierte bildgestützte Zellzählsysteme Abscheiderate und Filterfläche prozessspezifisch
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
519 12
. Abb. 12.5  Large scale-
Mikrofiltrationsanlage zur
Zellabtrennung

ausgewählt werden müssen. Bei den Mikrofiltersys- Die Zellabtrennung bei Hochzelldichtekultu-
temen werden sowohl Hohlfasermodule als auch ren oder bei Kulturen mit geringer Vitalität stößt
Flachbettkassetten im Tangential-Fluss-Modus mit zunehmend an die Grenzen der Leistungsfähigkeit
Porenweiten zwischen 0,2 und 0,65 µm eingesetzt der Mikrofiltration und kann zu Ausbeuteverlusten
(. Abb. 12.5). Die Filterfläche richtet sich nach dem führen. Deshalb wird inzwischen weitgehend die
Erntevolumen und liegt im Bereich von ca. 10‒15 m2 Zentrifugation eingesetzt. Dies wurde möglich durch
pro m3 Kulturvolumen. Meist folgt noch eine Klärfil- die Entwicklung von speziellen und besonders zell-
tration mit Tiefen- und Membranfiltern, um die Par- schonenden Zentrifugen, die inzwischen für alle rele-
tikellast für den initialen Aufarbeitungsschritt weiter vanten Maßstäbe erhältlich sind (. Abb. 12.6). Neben
zu minimieren. der größeren Leistungsfähigkeit bietet die Zentrifuge

. Abb. 12.6  Großtechnischer


Zellseparator (mit freundlicher
Genehmigung der Fa. Westfalia)
520 R. Kempken et al.

den Vorteil, dass sie besser zu reinigen ist, sterilisiert 55 Bestätigung (consolidation) des Verfahrens in
werden kann und die Zellen im once-through-Modus kleinem technischen Maßstab (z. B. 80 L);
nur einmal die Zentrifuge durchlaufen und damit das 55 Maßstabsvergrößerung (Scale-up) des
Risiko der Zellschädigung und Verkeimung geringer Verfahrens und Herstellung von Produkt für
ist. Bevor das produkthaltige Zentrifugat aufgerei- klinische Studien im technischen Maßstab
nigt werden kann, muss auch hier die Partikelfracht (z. B. 2000 L);
mittels Klärfilter reduziert werden. 55 bei Bedarf Optimierung des Verfahrens im
Aufgrund des Feststoffgehalts von Säugerzellkul- Labormaßstab, im Hinblick auf die kommer-
turen, der etwa 1‒10 % beträgt, verwendet man vor- zielle Produktion;
zugsweise Tellerseparatoren für die Zentrifugation. 55 Übertragung (transfer) des optimierten
Die Funktionsweise der Tellerseparatoren, deren sca- kommerziellen Verfahrens in eine Produk-
le-up z. B. über die Kennzahl Q/Σ (das Verhältnis tionsanlage (z. B. 10.000 L) sowie Charakte-
von Durchflussrate zur äquivalenten Klärfläche) und risierung des Verfahrens (hauptsächlich im
die Herleitung der Formel für Σ sind ausführlich in Labormaßstab);
7 Abschn. 9.1 beschrieben. 55 Festlegung der Betriebsbedingungen für das
Durch die wesentlich höheren Zelldichten, die kommerzielle Verfahren.
inzwischen erreicht werden, stößt auch die Zentri-
fugation plus Klärfiltration an ihre Grenzen. Deshalb Weitere Arbeiten und Anforderungen für die kom-
werden zunehmend Filtrationshilfen wie z. B. syn- merzielle Nutzung von Herstellverfahren mit Säuge-
thetische Polymere eingesetzt, die die Zellabtren- tierzellkulturen sind in 7 Abschn. 12.7.2 beschrieben.
nung und Klärfiltration effizienter machen. Im Folgenden wird auf die einzelnen Elemente
Eine spezielle Technologie ist die EBA-Chroma- der Entwicklung eingegangen: Aufgaben und Kon-
tographie (expanded bed adsorption chromatogra- zepte der Prozessentwicklung, Charakterisierung
phy; 7 Abschn. 9.3.7). Sie vereinigt die Zellabtren- der Zellkulturverfahren, Klassifizierung von Pro-
nung und initiale Proteinreinigung in einem einzigen zessparametern und Festlegung der Betriebsbedin-
Prozessschritt. Dabei wird die Zellkultur von unten gungen sowie Prozesstransfer und Maßstabsvergrö-
durch eine mit einem spezifischen Adsorber gefüllte ßerung. Außerdem werden verschiedene Methoden
12 Chromatographiesäule im fluidized bed-Modus gelei- für die Prozessentwicklung vorgestellt.
tet. Während das Produkt an den Adsorber bindet,
werden die Zellen ausgewaschen. Anschließend wird
der Adsorber sedimentiert und das Produkt eluiert 12.6.1 Aufgaben der
[12]. Diese Methode hat sich im Großmaßstab nicht Prozessentwicklung
durchgesetzt.
Die Entwicklung von Herstellprozessen für tierische
Zellkulturen ist eine komplexe Aufgabe, die nur im
12.6 Prozessentwicklung und Zusammenwirken vieler Fachdisziplinen gelingen
Scale-up kann. Im Folgenden werden die Herstellschritte mit
Beteiligung tierischer Zellkulturen betrachtet, die
Für eine erfolgreiche großtechnische Produktion häufig mit dem Begriff upstream bezeichnet werden
von Biopharmazeutika mit Säugetierzellkulturen (7 Abschn. 12.7.1).
(7 Abschn. 12.7) ist die Entwicklung eines geeigne- Für die Prozessentwicklung im upstream müssen
ten Herstellverfahrens erforderlich. die Elemente Expressionssystem, Wirtszelllinie,
Diese Entwicklung verläuft in der Regel in fol- Medienoptimierung, Zellkultivierungsmethode,
genden Schritten: Betriebsbedingungen der Fermentation und Pro-
55 Entwicklung eines Basis-Verfahrens im zessführung (z. B. Zugabe von Nährstoffen, pH-Än-
Labormaßstab; derungen) gut aufeinander abgestimmt werden. Das
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
521 12
entwickelte Zellkulturverfahren bildet wiederum die durch neue Ergebnisse und Erkenntnisse aufgebaut
Basis für die Entwicklung der Ernte-, Aufarbeitungs-, und ergänzt. Am Ende der Entwicklung und Cha-
Formulierungs- und Abfüllverfahren sowie der benö- rakterisierung des Herstellverfahrens wird ein mul-
tigten analytischen Methoden zur Charakterisierung, tidimensionaler Versuchsraum oder Rahmen (design
Freigabe- und Stabilitätsprüfung des Produktes. Je nach space) definiert. Solange der Prozess in diesem design
Anforderungen an Zeit, Kosten und Qualität werden space betrieben wird, sollen Produkt- und Prozess-
die arbeitsintensiven Teile der Entwicklung entweder qualität den festgelegten Anforderungen entspre-
in frühen oder späten Stadien des Lebenszyklus eines chen [28].
Produktes durchgeführt. Grundlegende Prozessände- Während der kommerziellen Nutzung des Pro-
rungen im upstream sollten in späten Entwicklungs- zesses wird das Prozessverständnis kontinuierlich
phasen mit Sorgfalt und Augenmaß umgesetzt werden, erweitert und kann gleichzeitig bereits zur Über-
denn die nachfolgenden Einheiten Wirkstoffaufarbei- prüfung (monitoring) der Prozessrobustheit (process
tung, Endproduktherstellung und Qualitätskontrolle robustness) dienen. Damit ist eine wertvolle Wissens-
benötigen für die Entwicklung und Charakterisierung basis für den gesamten Lebenszyklus (life cycle) eines
ihrer eigenen Herstellschritte bzw. der Analytik sowie Produktes 7 Abschn. 12.7.2) entstanden.
Produktcharakterisierung ein repräsentatives und
reproduzierbares Material aus dem upstream.
12.6.3 Entwicklung und Optimierung
von Zellkulturverfahren
12.6.2 Quality by design-Konzept bei
der Prozessentwicklung Die Prozessentwicklung umfasst alle Bereiche, die
einen Einfluss auf die Erzeugung des Produktes,
Die Prozessentwicklung wird aktuell bevorzugt nach z. B. eines therapeutischen Wirkstoffes, haben. Dies
dem Prinzip QbD (quality by design) geplant, durch- beginnt bei den Expressionssystemen und Nährme-
geführt und dokumentiert. Quality by design ent- dien und reicht bis zum Abschluss der Zellkultivie-
stand aus dem Verständnis, dass die Qualität eines rungen einschließlich Zellernte.
Produktes in das Verfahren hinein entwickelt werden
muss. Schon in frühen Phasen der Entwicklung neuer
Arzneimittel wird ein hinreichendes Verständnis der Expressionssysteme
Herstell- und Kontrollprozesse gefordert [116]. Ein Die Eigenschaften und Leistungen der Expressions-
Herstellverfahren baut demnach auf einem tiefge- systeme und Wirtszelllinien wurden bereits in den
henden Prozessverständnis (process understanding) 7 Abschn. 12.1 und 12.2 beschrieben und verglichen.
und auf einem risikobasierten Ansatz (risk-based Beiträge der Molekularbiologie und der Zellbiolo-
approach; 7 Abschn. 12.6.5) auf. Mit diesen beiden gie für die Prozessentwicklung sind unter anderem:
Komponenten sollen die Untersuchungen auf die 55 Entwicklung leistungsfähiger Vektoren zur
Einflussgrößen ausgerichtet werden, die relevant für Expression des Produktes;
die Produktqualität und Prozessleistung sind, und 55 Modifizierung genetischer Elemente, z. B. zur
dadurch eine solide Grundlage für einen gut kon- Verbesserung der Transkription;
trollierbaren und robusten Prozess gelegt werden. 55 Optimierung von Methoden zur Transfektion
QbD wird von der amerikanischen Gesund- (7 Abschn. 12.1.2);
heitsbehörde FDA (U.S. Food and Drug Administra- 55 Targeted integration (7 Abschn. 12.1.2);
tion) [33] nachhaltig gefördert und in ihrem Bericht 55 Optimierung der molekularen Stoffwech-
„Pharmaceutical cGMPs for the 21st Century: A selwege zur Regulierung von Wachstum,
Risk-Based Approach“ beschrieben [36]. Transportvorgängen und Zelltod;
Das Prozessverständnis wird im Laufe der Pro- 55 Screening-Methoden zur schnellen Auswahl
zessentwicklung und -charakterisierung ständig von gut produzierenden Zellklonen;
522 R. Kempken et al.

55 Auswahl von Zellklonen mit guter phäno- und Arbeitsweise klassischer Bioreaktoren im Labormaß-
genotypischer Stabilität; stab abbildet). Zur Entwicklung und Optimierung
55 Auswahl von Zellklonen, die Produkt mit des Fermentationsverfahrens werden Bioreaktoren
akzeptabler Qualität erzeugen; im Labormaßstab eingesetzt, die analog zu den Bio-
55 Optimierung der Ausschleusung des Produktes reaktoren zur großtechnischen Produktion über die
in das umgebende Kulturmedium. Regelung und das Monitoring wichtiger Führungs-
größen und Prozessparameter verfügen.
Bei der Prozessentwicklung und -optimierung
Zellkulturmedien wird unter anderem der Einfluss folgender Parame-
Für verschiedene Zelllinien können die Ansprüche ter untersucht:
an Zusammensetzung und Verfügbarkeit von Medien 55 Zellparameter (z. B. Zelldichte);
und Zugaben sehr unterschiedlich sein (z. B. Feed- 55 physikalische Parameter (z. B. pH-Wert);
Zugaben bei fed-batch-Verfahren; 7 Abschn. 12.5.3). 55 biochemische Parameter (z. B. Gehalt an
Eine Medienentwicklung, die spezifische Ansprü- Nährstoffen und Stoffwechselprodukten);
che der Produktionszelllinie erfüllt und die Limi- 55 prozesstechnische Parameter (z. B.
tierung wesentlicher Nährstoffe und Cofaktoren Rührerdrehzahl);
vermeidet, bietet einen wertvollen Beitrag zur Pro- 55 Zusammensetzungen, Mengen und Zeitpunkte
zessoptimierung und zur weitgehenden Ausschöp- von Zugaben (z. B. Nährstoffkonzentrate,
fung des Potenzials von Zelle und Herstellverfahren Puffersubstanzen);
(7 Abschn. 12.3.1). 55 Maßnahmen zur Stimulierung und Steigerung
der gewünschten Leistung der tierischen Zelle
(z. B. Produktbildung).
Zellkulturverfahren
Ein leistungsfähiges, reproduzierbares und robustes Einzelheiten zur Maßstabsvergrößerung (Scale-up)
Zellkulturverfahren stellt ein weiteres Element für und zur Übertragung von Herstellverfahren aus der
die erfolgreiche Entwicklung eines Biopharma-Pro- Entwicklung in die kommerzielle Produktion werden
duktes dar. Die anwendbaren Zellkultivierungsme- in 7 Abschn. 12.6.6 angegeben.
12 thoden und dafür geeignete Bioreaktoren wurden
bereits in 7 Abschn. 12.4 beschrieben. Für Hoch-
zelldichte-Kultivierungen mit hoher Produktivität 12.6.4 Charakterisierung von
haben sich vor allem die fed-batch-Verfahren und die Zellkulturverfahren
Perfusionsverfahren (7 Abschn. 12.5.3) durchgesetzt.
Neben der Hardware, also Bioreaktoren und Eine Charakterisierung von Zellkulturverfahren
ihre Peripherie, werden ihre Betriebsbedingungen für die biopharmazeutische Wirkstoffherstellung
(z. B. pH-Wert, Regler-Eigenschaften der Prozess- sollte als Grundlage für die Prozessvalidierung
steuerung) und die Prozessführung (z. B. Tempera- (7 Abschn. 12.7.2) vor Markteinführung des Produk-
turprofile, Zugaben) entwickelt und optimiert. Die tes bzw. Herstellverfahrens durchgeführt werden. Sie
Möglichkeiten der Prozessführung, -steuerung und dient der Prozessrobustheit und sichert die Grenzen
-überwachung sind in 7 Abschn. 12.5 beschrieben. ab, in denen der künftige Produktionsprozess ver-
Die Entwicklungsarbeiten für Herstellverfahren laufen soll. Die Prozesscharakterisierung wird im
mit tierischen Zellkulturen werden hauptsächlich im Labormaßstab mithilfe eines geeigneten Scale-down-
Labormaßstab durchgeführt. Für viele Screening- Modells durchgeführt.
Arbeiten sind einfache Kultursysteme ausreichend,
z. B. statische Zellkulturflaschen (T-flasks), Schüttel-
kolben (shake flasks), gerührte Kulturflaschen (spinner Scale-down-Modell
flasks), wave bags (7 Abschn. 6.6.1 und 12.4.2) oder Vor Beginn der eigentlichen Charakterisierungs-
AMBR (ein automatisiertes, miniaturisiertes Bioreak- experimente wird das Scale-down-Modell etabliert
torsystem (z. B. 15 mL oder 250 mL Volumen), das die und verifiziert [101]. Hierfür wird geprüft, ob das im
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
523 12
Großmaßstab definierte Verfahren in den wesent- failure) überschritten (. Abb. 12.7). In diesem Fall
lichen die Prozessleistung und die Produktqualität müssen die betroffenen Experimente mit engeren
maßgeblich beeinflussenden Parametern im Labor- Betriebsbedingungen (Untergrenze, Obergrenze)
maßstab abgebildet werden kann (7 Abschn. 6.3.1.5). wiederholt werden, um Prozessgrenzen zu finden,
Das Scale-down-Modell sollte auch auf wesentliche die zu einer akzeptablen Prozessleistung und Pro-
Änderungen der „normalen“ (erwarteten) Prozess- duktqualität führen.
parameter ähnlich reagieren wie der Prozess im kom- Innerhalb der PAR liegen die NOR (normal ope-
merziellen Maßstab. Einflüsse von vorangehenden rating ranges). Das kommerzielle Herstellverfahren
und unterstützenden Prozessschritten, wie z. B. Roh- sollte unter normalen Bedingungen innerhalb der
stoffe und Medien, Vorkulturführung und Prozess- NOR durchgeführt werden können. Im Falle von
technik, auf die zu untersuchende Produktionsstufe Abweichungen, d. h. Unterschreitung einer Unter-
sollten minimiert werden. grenze, Überschreitung einer Obergrenze) können
die Studien zur Prozesscharakterisierung und Pro-
zessrobustheit eine wertvolle Hilfe zur Beurteilung
Experimente zur der Konsequenzen solcher Abweichungen sein.
Prozesscharakterisierung
Auf Basis einer Risikoanalyse (7 Abschn. 12.6.5) werden
im Scale-down-System die Studien zur Prozesscharak- Klassifizierung der Prozessparameter
terisierung und Prozessrobustheit durchgeführt. Sie Nach Auswertung der Studien zur Prozesscharak-
finden als einzelne Experimente oder als DoE-Ansätze terisierung werden die Input-Parameter eingeteilt
statt (7 Abschn. 12.6.5). Die Prozessparameter (input in kritische Parameter (critical process parameter,
parameter) werden mit Absicht unterhalb und ober- CPP) und nicht-kritische Parameter (non-critical
halb der normalen Betriebsbedingungen eingestellt. process parameter). CPP bedeutet hierbei, dass bei
Als Kontrollen dienen Läufe unter normalen Betriebs- Nichteinhaltung des PAR für diesen Input-Parameter
bedingungen [74]. die kritischen Qualitätsattribute eines Produkts (cri-
Nach Auswertung der Ergebnisse können die tical quality attribute, cQA) gefährdet sein können.
getesteten Betriebsbedingungen jeweils von der Die non-critical process Parameter können wiede-
Untergrenze (lower limit) über den Sollwert (set rum eingeteilt werden in wesentliche Parameter (key
point) bis zur Obergrenze (upper limit) als PAR process parameter, KPP) und nicht-wesentliche Para-
(proven acceptable ranges) bezeichnet werden, meter (non-key process parameter, non- KPP). KPP
sofern bei den zugehörigen Experimenten die Pro- bedeutet hierbei, dass bei Nichteinhaltung des PAR
zessleistung und vor allem die Produktqualität in für diesen Input-Parameter zwar kein Einfluss auf die
einem akzeptablen Bereich lagen. Bei Ergebnissen Produktqualität gegeben, aber ein negativer Einfluss
mit nicht akzeptabler Prozessleistung und/oder auf die Prozessleistung möglich ist. Die non-KPP-
Produktqualität war die Akzeptanzgrenze (edge of Parameter haben innerhalb der getesteten PAR weder

. Abb. 12.7  Klassifizierung der


Prozessparameter: Sollwert (set point, 3URYHQ $FFHSWDEOH5DQJH 3$5
target), Bereiche (ranges) und Grenzen
(limits). LL = Untergrenze (lower limit);
UL = Obergrenze (upper limit) 1RUPDO2SHUDWLQJ5DQJH 125

6HW 3RLQW
IRULQSXWV
7DUJHW
(GJHRI IRURXWSXWV (GJHRI
)DLOXUH (R) // // 8/ 8/ )DLOXUH (R)
524 R. Kempken et al.

negativen Einfluss auf die Produktqualität noch auf Formulierung unter den vorgesehenen Lagerbedin-
die Prozessleistung. gungen analytisch zu bestätigen. Für die Routine-
Die Klassen CPP, non-CPP, KPP, non-KPP bezie- produktion und die Freigabe von Produktchargen
hen sich auf Input-Parameter, d. h. auf Variable oder wird ein Methodenspektrum verwendet, das einem
Betriebsbedingungen des Herstellverfahrens, die Ausschnitt aus dem Spektrum für die Produktcha-
direkt eingestellt bzw. gesteuert und kontrolliert rakterisierung entspricht [23]. . Tab. 12.5 zeigt bei-
werden können. Output-Parameter sind Variable spielhaft das umfangreiche Methodenspektrum zur
oder Ausgabewerte des Herstellverfahrens, die nicht Qualitätskontrolle und Charakterisierung eines mit-
direkt eingestellt, gesteuert oder kontrolliert werden hilfe tierischer Zellkulturen hergestellten Produktes.
können, sondern aus der gewählten Prozessfüh-
rung resultieren. Sie zeigen an, dass der Prozess wie
gewünscht abgelaufen ist. Entsprechend gibt es auch 12.6.5 Methoden zur
für die Output-Parameter eine Einteilung in kriti- Prozessentwicklung
sche Parameter (critical process indicators, CPI) sowie
wesentliche Parameter (key process indicators, KPI) Dieses Kapitel erläutert Methoden, die für eine effek-
und nicht-wesentliche Parameter (non-key process tive Prozessentwicklung angewendet werden.
indicators, non-KPI).

Konventionelle Versuchsplanung
Festlegung der Betriebsbedingungen Bei der konventionellen Versuchsplanung für Zell-
Wenn die Studien zur Prozesscharakterisierung kultur-Entwicklungsarbeiten wird eine konserva-
ausgewertet sind und die Einteilung der Parame- tive Strategie verfolgt und hierfür eine Vielzahl von
ter betreffend Auswirkung auf Produktqualität und Experimenten angesetzt. Oft werden jeweils nur ein
Prozessleistung erfolgt ist, werden das Prozessformat bzw. wenige Parameter gleichzeitig geändert, sodass
und die Betriebsbedingungen für das kommerzielle eine eindeutige Wirkung dieser Änderung(en) auf
Herstellverfahren festgelegt. Die hierbei festgelegten die Zellkultur erkannt werden kann. Bei tierischen
Sollwerte (set points), NOR und PAR für die jeweili- Zellen bewegen wir uns allerdings in einem kom-
12 gen Input-Parameter bilden eine wichtige Grundlage plexen Netzwerk vieler einander beeinflussender
zur Prozessvalidierung des Zellkulturverfahrens für Faktoren. Dies zeigt schon ein Blick in die Zusam-
die Produktion von Marktware [90]. menhänge des Zellstoffwechsels [81]. Infolgedessen
führt diese empirische Vorgehensweise zu sehr vielen
Experimenten, die jedoch nur einen beschränkten
Überprüfung der Produktqualität Informationsgewinn bringen und vor allem keine
Die upstream-Arbeiten zur Entwicklung und Cha- Quantifizierung der Wechselwirkungen verschie-
rakterisierung von Herstellverfahren sind durch dener Parameter untereinander gestatten.
aussagekräftige Untersuchungen der Produktqua-
lität zu begleiten. Hierfür wird eine Vielzahl analy-
tischer Methoden entwickelt und angewendet. Die Design of Experiments (DoE)
Charakterisierung des Produktes beinhaltet auch Eine wesentliche Verbesserung gegenüber der kon-
die Analyse und Quantifizierung von Varianten, ventionellen Prozessentwicklung wurde mit dem
Aggregaten und Fragmenten des Produktes sowie Prinzip DoE (design of experiments) erzielt, das
das Verhältnis zwischen seiner Struktur und seiner weit verbreitet in vielen Industrien genutzt wird
biologischen Wirkung. Letztere wird sowohl mit ana- und auf Entwicklungsarbeiten mit Säugetierzellen
lytischen Methoden als auch mithilfe nicht-klini- übertragen wurde. Während bei der konventionel-
scher und klinischer Studien untersucht. Zusätzlich len Versuchsplanung jeweils nur ein Faktor vari-
ist die Stabilität des Produktes in der entwickelten iert und damit eine direkte Korrelation zwischen
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
525 12

. Tab. 12.5  Analytische Methoden zur Qualitätskontrolle und Charakterisierung von Glykoproteinen, die mithilfe
tierischer Zellkulturen hergestellt wurden

Art der Prüfung Methode

Gehalt/Konzentration UV-Absorption
Proteinbestimmung
Immuno-Quantifizierung
quantitative Aminosäurenanalyse
Aktivität Bioassay in vivo, in vitro
spezifischer Bindungstest
Enzymaktivitätsmessung
Reinheit RP-HPLC
Gelpermeationschromatographie
SDS-Gelelektrophorese
Wirtszellprotein-ELISA
Immunoblot-Verfahren
DNA-Bestimmung
Endotoxin-Bestimmung
Pharmazeutische Qualität Aussehen
Klarheit
Partikelzählung
Rekonstitution
pH, Osmolarität
Kalorimetrie
mikrobiologische Prüfungen
Virus-Prüfungen
Größe/Form Elektrophorese
Gelpermeationschromatographie
Laser-Lichtstreuung
Massenspektrometrie
Form Zirkularer Dichroismus
Epitop-Kartierung
Fluoreszenzspektroskopie
Oberflächenladung Isoelektrische Fokussierung
Kapillargelelektrophorese
Ionenaustauschchromatographie
Struktur/Identität N- und C-terminale Sequenzanalyse
Aminosäurenanalyse
Peptidkartierung
Oligosaccharidkartierung
Massenspektrometrie
526 R. Kempken et al.

Veränderung der Input-Variablen und dem Einfluss Proteomanalyse


auf die Output-Variable(n) nachgewiesen wurde, Für einige Arbeiten zur Prozessentwicklung ist die
nutzt der DoE-Ansatz die statistische Versuchspla- Proteomanalyse (Proteomik, proteomics) anwend-
nung, indem mehr als eine Input-Variable gleich- bar. Dabei geht es um eine möglichst vollständige
zeitig verändert wird. Dadurch wird zum einen die und systematische Erfassung von Genprodukten,
Anzahl der erforderlichen Versuche signifikant redu- d. h. Proteinen und Peptiden, mit der Absicht, ihre
ziert, zum anderen können multivariate Analysen Eigenschaften, ihre Funktion und ihre Regulierung
durchgeführt und damit auch Wechselwirkungen in komplexen biologischen Systemen zu erfassen
zwischen verschiedenen Input-Parametern erkannt und zu verstehen [91]. Diese Systeme können Zellen,
werden. Organe oder ganze Organismen sein. Durch geeig-
Bei der praktischen Durchführung von DoE- nete analytische Techniken, z. B. eine Kapillarelekt-
Studien wird eine Sammlung (set) von Experimen- rophorese zur Trennung der Substanzen der Probe
ten in wohlgeordneten Abständen um die Ausgangs- mit nachfolgender Massenspektroskopie zur Iden-
situation, d. h. Standard-Bedingung bzw. Kontrolle, tifizierung der Molekülgröße, können die Konzen-
gruppiert und dieses Set gemeinsam mit den Kon- tration und die Masse von mehr als 1000 Peptiden
trollen durchgeführt. Diese strukturierte und sys- und Proteinen gleichzeitig in einer einzigen Analyse
tematische Vorgehensweise hilft, Wechselwirkun- bestimmt werden [53]. Durch Vergleiche mit Mar-
gen der untersuchten Faktoren zu erkennen und zu ker-Substanzen oder durch Interpretation der Mole-
bewerten [71]. kulargewichte sind manche Substanzen sogar ein-
Je nach Anzahl und Art der Faktoren können deutig identifizierbar. Für die Interpretation der
die DoE-Ansätze in die drei Kategorien „Screening“, Proteomanalyse-Daten ist eine umfangreiche statis-
„Optimierung“ und „Robustheitsprüfung“ eingeteilt tische Auswertung nötig.
werden. Nach Auswertung des ersten experimentel- Die Proteomanalyse wird beispielsweise zur
len Sets kann um das beste erhaltene Ergebnis herum Diagnose von Erkrankungen oder von Krank-
ein neues Set festgelegt und experimentell geprüft heitsverläufen verwendet [53]. Sie kann ebenfalls
werden. In dieser Weise gelangt man relativ zügig zu für Prozessoptimierungen mit tierischen Zellkul-
einem Optimum für den jeweils aufgespannten Ver- turen eingesetzt werden. Auch bei noch komple-
12 suchsraum [31]. xeren Aufgaben wie der Systembiologie ( 7 Kap.
Bei großer Anzahl von Faktoren kann es erfor- 13), die sich um das vollständige und quantitative
derlich werden, eine unvollständige Matrix von Fak- Verständnis ganzer biologischer Systeme bemüht,
toren zu untersuchen (fractional factorial design), um findet sie Anwendung. Hierfür werden Ergebnisse
die Anzahl der Experimente gering zu halten. Diese der Proteomanalyse und ergänzender Techniken
elegante Variante hat allerdings den Nachteil, dass wie Genomik (genomics; Analyse der DNA-Struk-
die Ergebnisse der Experimente nicht mehr einzel- tur, DNA-Funktion und Genaktivität), Transkripto-
nen Ursachen (factors) eindeutig zugeordnet werden mik (transcriptomics; Analyse der Genexpression),
können. Es gibt dann eine Vergesellschaftung mehre- Metabolomik (metabolomics; Analyse der Stoff-
rer Faktoren (confounding) für die meisten der expe- wechselaktivität) in Verbindung mit aufwendigen
rimentellen Ergebnisse (effects). Um dieses „confoun- statistischen Auswerteverfahren und Simulationen
ding of effects“ aufzulösen, sind weitere Experimente angewendet [91].
nötig. Dennoch ist diese Vorgehensweise für die Für die Prozessentwicklungen sind zeitabhän-
Prüfung vieler Faktoren effektiver als eine experi- gige Verläufe und Änderungen sowie induzierbare
mentelle Untersuchung der vollständigen Matrix und regulierbare Vorgänge besonders interessant.
(full factorial design). Wenn also Proben im zeitlichen Verlauf einer Kul-
Um die Erkenntnisse aus der Prozessoptimie- tivierung gemessen werden, können Änderungen
rung abzusichern, ist eine Überprüfung der opti- der Genexpression (upregulation, downregulation)
mierten Parameter im Labormaßstab wichtig. Diese oder die Bildung und der Verbrauch von Genpro-
Maßnahme wird oft als Prozessfixierung oder Kon- dukten (Proteine, Peptide, Zwischenprodukte) ver-
solidierung bezeichnet. folgt werden. Üblicherweise werden Ergebnisse der
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
527 12
Proteomanalyse als zweidimensionale Polypep- Charakterisierung von Herstellverfahren auf diejeni-
tidkarten dargestellt. Beim oben genannten Bei- gen Themen und Bereiche gelenkt und konzentriert
spiel der Kombination von Kapillarelektropho- werden, die am ehesten Einfluss auf die Produkt- und
rese (CE) und Massenspektroskopie (MS) wird auf Prozessqualität haben.
der x-Achse die Laufzeit der CE-Analyse und auf
der y-Achse das Molekulargewicht der MS-Ana- z z Risikoanalyse (FMEA, HACCP, HAZOP)
lyse aufgetragen. Durch diese Art der Darstellung Vor Beginn der eigentlichen Charakterisierungs-
werden Muster (screens) von Genprodukten in experimente sollte vorab eine Risikoanalyse bzw.
Feldern (Arrays) erzeugt. Im Idealfall wird jedes Fehleranalyse für das Verfahren durchgeführt
einzelne Genprodukt durch einen spezifischen werden. Es gibt verschiedene Methodiken, z. B.
Punkt (dot) in der Matrix, definiert durch seine FMEA (failure mode and effects analysis), HACCP
Position im Array, gekennzeichnet und identifi- (hazard analysis and critical control points), HAZOP
zierbar. Durch den Vergleich verschiedener Mes- (hazard and operability study). Alle diese Metho-
sungen mit Proben aus verschiedenen Stadien der den dienen dem Ziel, die Auswirkung der Ver-
Zellkultivierung, Proben bei verschiedenen Kultur- änderung von Parametern auf das Verhalten des
bedingungen sowie Proben aus unterschiedlichen Prozesses und letztlich auf die Produktqualität zu
Kampagnen lassen sich Änderungen bei den Gen- bewerten. Für Zellkulturprozesse wird häufig die
produkten erkennen, quantifizieren und manch- FMEA angewendet und für eine Risikoabschätzung
mal sogar einem phänotypisch sichtbaren Effekt (risk assessment) der Robustheit des Herstellver-
zuordnen. fahrens genutzt. Die FMEA soll offenlegen, welche
Die Verstärkung oder Verminderung der Intensi- Prozessparameter (Input-Parameter) bei erhebli-
tät von dots und das Auftreten neuer bzw. Verschwin- cher Abweichung vom Sollwert ein Risiko für die
den bisher vorhandener dots gibt Auskunft über Prozess- und/oder Produktqualität darstellen. Sie
Änderungen (profiling) auf molekularer bzw. zellbio- bildet außerdem einen systematischen und doku-
logischer Ebene infolge der absichtlichen Änderung mentierten Nachweis, welche Input-Parameter in
von Prozessbedingungen oder infolge unbeabsichtig- Studien zur Prozesscharakterisierung untersucht
ter Auslöser durch prozesstechnische Veränderun- werden sollen.
gen. Diese Veränderungen geben wertvolle Hinweise Bei der FMEA wird bewertet, wie schwerwie-
auf Effekte bei Versuchen zu Screening und Optimie- gend sich die Abweichung vom Sollwert voraus-
rung von Zellkulturprozessen. sichtlich auf die Produkt- oder Prozessqualität aus-
wirkt (severity, S), wie häufig diese Abweichung
voraussichtlich auftreten kann (occurence, O) und
Risk-based Approach, Risikoanalyse wie gut und zuverlässig diese Abweichung vorab
Der risikobasierte Ansatz ist ein wesentliches erkannt werden kann (detection, D). Das Produkt
Element des QbD-Prinzips (7 Abschn. 12.6.2). Die S · O · D wird als RPN (risk priority number) bezeich-
Risiken für den vorgesehenen Prozess werden iden- net und dient zur Gewichtung der betrachteten
tifiziert und bewertet. Zunächst sollen alle Parameter Input-Parameter.
erkannt werden, die kritisch für die Produktqualität Wenn jeweils ein großes Arbeitspaket der Pro-
sind (7 Abschn. 12.6.4). Für die kritischen Parame- zessentwicklung bzw. -optimierung abgeschlossen
ter ist dann sicherzustellen, dass ihre Variabilität im und das Prozessverständnis erweitert wurde, emp-
Prozess beherrscht werden kann. Schließlich wird die fiehlt es sich, die Risikoanalyse zu wiederholen.
erforderliche Produktqualität im design space zuver- Damit wird die weitere Arbeit zur Prozessverbes-
lässig eingestellt. Die Risikoanalyse ist im folgenden serung auf diejenigen Aspekte gelenkt, die für Pro-
Abschnitt erklärt. Sie kann sich sowohl auf den anzu- duktqualität und Prozessqualität besonders wichtig
wendenden Prozess als auch auf die Gegebenhei- sind. Durch mehrere Phasen von Untersuchungen
ten der Herstellanlage beziehen, in der der Prozess und Risikoanalysen kann die Prozessentwicklung
durchgeführt werden soll. Mithilfe der Risikoana- und -charakterisierung effizient und im Sinne von
lyse können die Bemühungen zur Entwicklung und QbD gestaltet werden.
528 R. Kempken et al.

Plattform-Technologien 55 der Transfer vom 80-Liter-Maßstab in den


Für die frühen Phasen der Prozessentwicklung ist Pilotmaßstab (hier der 2000-Liter-Maßstab);
es vorteilhaft, bei den Technologien und Metho- 55 der Transfer in den Produktionsmaßstab (hier
den auf Plattformen aufzubauen [16, 20]. Idealer- der 10.000-Liter-Maßstab).
weise werden viele verschiedene Produktkandida-
ten mit der gleichen Wirtszelllinie und dem gleichen Insbesondere Prozesstransfers, die mit einer Maß-
Expressionsvektor als Plattform entwickelt. Bei- stabsvergrößerung (Scale-up) einhergehen oder bei
spiele sind das GS-Expressionssystem [5] und das denen sich die Anlagen unterscheiden, sind poten-
BI-HEX-Expressionssystem [65]. Für die jeweilige ziell kritisch und mit entsprechender Sorgfalt zu
Expressions-Plattform kann eine passende Medium- planen. Die 7 Kap. 5 und 6 beschreiben die grundle-
Plattform entwickelt werden. Sie kann auf kommer- gende physikalische Problematik der Maßstabsver-
ziellen Medien aufbauen oder maßgeschneidert für änderung sowie die Lösungsansätze. Bei der Kulti-
die betreffende Zelllinie und den Zellkulturprozess vierung von Säugetierzellen kommt als zusätzliche
abgestimmt sein. Der Zellkulturprozess ist ebenfalls Komplexität das Verhalten der Zellen hinzu, die auf
als Plattform-Prozess entwickelbar. die in unterschiedlichen Maßstäben vorherrschen-
Die Nutzung dieser Plattform-Elemente ermög- den Bedingungen unterschiedlich reagieren können.
licht ein gutes Zusammenwirken der einzelnen Kom- Ein Beispiel ist die Durchmischung: Mit zuneh-
ponenten, etwa in der Art, wie Stücke eines Puzzles mender Größe des Fermenters erhöht sich bei gleich
sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. In vielen bleibendem Leistungseintrag auch die Mischzeit;
Fällen funktioniert die Anwendung der Plattformen dies ergibt sich aus den in 7 Kap. 6 gezeigten Korre-
zufriedenstellend bis gut. Dies verkürzt die Arbei- lationen (siehe auch . Abb.  6.11). Wenn Reynolds-
ten für frühe Entwicklungsstufen und reduziert die zahl Re bzw. Leistungseintrag P in den verschiede-
Kosten. Wenn anhand präklinischer und erster kli- nen Maßstäben gleich gehalten werden, so ist doch
nischer Studien die Verträglichkeit und Wirksam- der Rührerdurchmesser d in den größeren Reakto-
keit des Wirkstoffmoleküls (proof of concept) abseh- ren größer und damit die Drehzahlen n kleiner. Bei
bar ist, erfolgt in der Regel eine Prozessoptimierung gleich bleibender Mischzeitkennzahl NM bedeutet
des Basisverfahrens mit dem Ziel, ein leistungsfähi- dies, dass sich wegen · n = NM die Mischzeit · erhöht.
12 ges und robustes kommerzielles Herstellverfahren Damit halten sich die Zellen in großen Fermentern
zu entwickeln [23]. längere Zeit in schlechter durchmischten Zonen auf
als in kleinen Fermentern (7 Abschn. 6.1.5). In diesen
schlechter durchmischten Zonen treten eher Sauer-
12.6.6 Prozesstransfer und stoffverarmungen bzw. CO2-Anreicherungen auf als
Maßstabsvergrößerung in den gut durchmischten Zonen, und diese unter-
schiedlichen Umgebungsbedingungen können auch
Mit Prozesstransfer wird die Übertragung eines die Funktion des Minireaktors „Zelle“ beeinflussen.
Prozesses von einer Anlage in eine andere Anlage In 7 Kap. 5 sind diese Transportvorgänge ausführ-
bezeichnet. In vielen Fällen ist damit auch eine Ver- lich dargestellt.
änderung des Maßstabs verbunden, teilweise auch Für jeden Prozesstransfer sind die Prozessbedin-
eine Änderung der Technologie, wie z. B. der Wechsel gungen in der neuen Anlage im Detail zu fixieren.
von flexiblen wave-Fermentern auf Edelstahlfer- Prozessspezifische Parameter werden nach Möglich-
menter oder von Filtration als Erntetechnologie auf keit konstant gehalten, während reaktorspezifische
die Zentrifugen-Technologie. Während des Lebens- Parameter in der Regel angepasst werden müssen.
zyklus eines Prozesses ( 7 Abschn. 12.7.2) finden Wenn Parameter verändert werden, muss hierfür
diverse Prozesstransfers statt: eine Rationale vorliegen. Beim oben angeführten
55 Transfer vom Kleinmaßstab, in dem die Beispiel der Rührung werden unter anderem der
ersten Versuche stattfinden (z. B. Klein- Leistungseintrag oder die Rührerspitzengeschwin-
fermenter im Maßstab bis zu ca. 5 L), in den digkeit als Scale-up-Kriterien verwendet. Für den
80-Liter-Maßstab; Fall, dass der spezifische Leistungseintrag konstant
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
529 12
gehalten wird, muss in Abhängigkeit vom Rührer- des Wirkstoffes (Active Pharmaceutical Ingredient –
durchmesser und der Begasungsrate die Drehzahl API) und Herstellung des pharmazeutischen End-
angepasst werden. produktes besteht. Dieses Unterkapitel beschreibt
Neben der physikalischen Bewertung ist eben- Aufbau und Betrieb einer großtechnischen Wirk-
falls eine Bewertung des biologischen Systems stoffanlage zur Produktion von Proteinen für den
erforderlich. Es wird geprüft, ob bereits Transfer- therapeutischen Einsatz und adressiert dabei die
erfahrungen mit der verwendeten Zelle bzw. dem relevanten technischen und regulatorischen Aspekte.
verwendeten Vektor vorliegen oder ob dies der erste Jede großtechnische Produktion muss im Hin-
Fall ist, in dem ein solcher Transfer erfolgt; des Wei- blick auf Umweltverträglichkeit und Risiken bewer-
teren, ob die Zelle empfindlich auf Veränderungen tet werden. Die Herstellung von Wirkstoffen in vitro
ihres Umfelds reagiert, was sich in einem veränder- mithilfe tierischer Zellkulturen ist eine umwelt-
ten Prozessverhalten oder veränderter Produktqua- freundliche Technologie. Die Zellen können auf-
lität niederschlagen kann. Abhängig von der Bewer- grund ihrer natürlichen Eigenschaften nur in saube-
tung all dieser Parameter kann ein Transfer mit wenig rer, schadstoffarmer und physiologisch verträglicher
Absicherung erfolgen, während bei Änderungen mit Umgebung kultiviert werden. Daher sind in der
höherem Risiko unter Umständen erst Transfer- Regel sowohl die Rohstoffe als auch die Erzeugnisse
Läufe ‒ auch engineering runs genannt ‒ zur Absi- und Reststoffe (Abgas, Abwasser, Zellmasse) der
cherung durchgeführt werden, bevor das Verfahren Zellkultivierung nicht umweltbelastend. Durch Ver-
im neuen Maßstab endgültig fixiert wird. Diese Absi- wendung von Wirtszellen und Vektorsystemen ohne
cherung wird umso wichtiger, je weiter man sich auf Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt, z. B.
dem Weg von der Entwicklung eines Prozesses hin entsprechend der Sicherheitsstufe 1 gemäß dem
zur Zulassung eines Produktes bewegt. deutschen Gentechnikrecht, trifft dies auch für die
gentechnisch veränderten Zellen selbst zu.

12.7 Großtechnische
biopharmazeutische Produktion 12.7.1 Aufbau und Organisation einer
großtechnischen biotechnischen
Der großtechnische Einsatz der Säugerzelltechnik Produktionsanlage
konzentriert sich auf die pharmazeutischen Anwen-
dungen, im Wesentlichen die Herstellung von Arz- In . Abb. 12.9 ist schematisch der Ablauf einer
neimitteln und Impfstoffen. In . Abb. 12.8 ist die konventionellen und sehr häufig kommerziell
Prozesskette zur Produktion eines Arzneimittels dar- angewandten fed-batch-Produktion mit tieri-
gestellt, die aus den zwei großen Blöcken Herstellung schen Zellen in Suspensionskultur dargestellt. Der

. Abb. 12.8  Prozesskette zur


Herstellung eines biotechnischen %LRSKDUPD]HXWLVFKH3UR]HVVNHWWH
Wirkstoffes und Weiterverarbeitung
zum pharmazeutischen Endprodukt %LRWHFKQLVFKH %LRSKDUPD]HXWLVFKH
:LUNVWRIIKHUVWHOOXQJ 3URGXNWKHUVWHOOXQJ

3URWHLQ 6WHULO
)HUPHQ 9HU
&KHPLVFKH )RUPX DEIOOXQJ
WDWLRQ SDFNXQJ
$XI OLHUXQJ /\RSKLOL
DUEHLWXQJ VDWLRQ

'LUHNWH$EKlQJLJNHLWEHL3UR]HVVDEOlXIHQ
)XQNWLRQDOJHWUHQQWH(LQKHLWHQ
530 R. Kempken et al.

Klimatechnik

Upstream Processing Downstream Processing

IPC-Fermentation Zellen
IPC-Proteinchemie
zur
Inakti-
Pr Pr Pr Pr
vierung
Zell- Fermentation Proteinchemische Aufarbeitung Formu-
Ernte
bank lierung
Z
C
Inocu- ZS PL Hitze PL FB
lum 80 L 400 L 2 000 L 10 000 L UF C UF C UF
ZS pH
M M M P P
Medieneinwaage/-herstellung Puffereinwaage/-herstellung

GW Reinst- WfI CIP Prozess- Druckluft Gase


dampf kälte

FB = formulierter Bulk; M = Medium; GW = gereinigtes Wasser; P = Puffer; PL = Produktlösung; Pr = Probe; Wfi = water for injection;
Z = Zellen; ZS = Zellsuspension; UF = Ultrafiltration; C = Chromatographie; IPC = in process control

. Abb. 12.9  Hauptbereiche einer großtechnischen Anlage zur biotechnischen Wirkstoffherstellung im 10.000-Liter-Maßstab

Produktionsbereich ist aufgeteilt in verschiedene, Fermentation


räumlich voneinander getrennte Bereiche, von denen Sämtliche Medien werden zunächst in der Medien-
jeder im Wesentlichen einer Hauptfunktion dient. einwaage gemäß den vorgegebenen Rezepturen für
Das Upstream Processing besteht aus den Kern- die verschiedenen Prozessschritte abgewogen. In
12 bereichen Zellbank, Inoculum und Fermentation. der Medienherstellung werden die abgewogenen
Periphere Produktionsbereiche sind Medieneinwaage Medien in die Medienansatzbehälter eingebracht, in
(media weighing/dispensing), Medienherstellung WfI oder GW gelöst und ggf. physikalische Parameter
(media preparation, media batching) und IPC-Fermen- wie pH-Wert, Ionenstärke, Osmolarität etc. justiert.
tation (IPC fermentation; IPC = in process control). Die Im Inoculum werden die Zellen zu Beginn in ein-
Zellernte (cell harvest) kann sowohl als Teil der Fermen- fachen Kultivierungsgefäßen wie Kunststoff- oder
tation, da noch mit Zellen umgegangen wird, als auch Glasbehältern kultiviert. Zunächst wird ein Aliquot
als erster Schritt der Aufreinigung betrachtet werden. aus der Arbeits-Zellbank WCB (7 Abschn. 12.2.1), die
Das Downstream Processing besteht aus den in der Gasphase über flüssigem Stickstoff gelagert
Kernbereichen proteinchemische Aufarbeitung und wird, entnommen, aufgetaut und in eine T-Flasche,
Formulierung. Periphere Produktionsbereiche sind einen Schüttelkolben oder einem Spinner im Brut-
Puffereinwaage (buffer weighing/dispensing), Puffer- raum kultiviert. In der Regel nach zwei bis fünf Tagen
herstellung (buffer preparation, buffer batching) und werden die Zellen dann in das nächstgrößere Kulti-
IPC-Proteinchemie (IPC protein chemistry). vierungsgefäß, sei es ein Spinner, wave- oder Edel-
Des Weiteren existieren Bereiche für die Gebäu- stahlbioreaktor transferiert, bis etwa zu einer Grö-
detechnik (Klima, Strom), Lager sowie die soge- ßenordnung von 10‒20 L.
nannten Prozess-Utilities, in denen Reinstwasser Diese Kultivierungsgefäße werden als Vorstufen
(WfI, water for injection), Reinstdampf (clean steam), der Zellvermehrung im Edelstahlfermenter verwen-
gereinigtes Wasser (GW; engl. purified water, PW), det. Die in . Abb. 12.9 dargestellte Anlage besteht aus
CIP-Anlagen (cleaning in place) untergebracht sind den Anzuchtfermentern mit 80 L, 400 L und 2000 L
und die die verschiedenen Produktionsbereiche über Nennvolumen sowie Produktionsfermentern mit
komplexe Rohrleitungssysteme versorgen. 10.000 L Nennvolumen, d. h. es liegt ein Scale-Faktor
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
531 12
von ca. 5 vor. Die mögliche Verdünnung wird maß- werden und damit die Sicherheit des Produktes
geblich durch die Einsaatdichte bestimmt, wobei gewährleistet ist. Trotz dieser wirkungsvollen Maß-
bei vielen Zelllinien eine Dichte von weniger als 105 nahme zur Arzneimittelsicherheit ist es nicht zuläs-
Zellen pro Milliliter als kritisch betrachtet wird. Bei sig, Fermentationsläufe für die Wirkstoffproduktion
vielen Anlagen für Säugerzellen variiert der Verdün- zu verwenden, bei denen tatsächlich Virus nachge-
nungsfaktor zwischen 3 und 10. wiesen wurde. Sollte daher der Zellüberstand vor
Die Anzuchtfermenter dienen allein dem Zweck, Ernte im sogenannten Adventitious Virus Test einen
möglichst schnell hohe Zellzahlen zu erzeugen, positiven Befund zeigen, so kann der gesamte Lauf
damit der Produktionsfermenter nach möglichst nicht verwendet werden, unabhängig davon, wie
kurzer Zeit mit einer hohen Einsaatdichte inokuliert hoch die Viruskonzentration und wie stark die Viru-
werden kann. Im Produktionsfermenter steht hin- sabreicherung in der Aufarbeitung ist.
gegen die Produktgewinnung im Vordergrund, und Aufarbeitungsverfahren für Proteine aus Säu-
die Zellzahl ist nur insofern von Bedeutung, dass bei gerzellen enthalten in der Regel als initialen Auf-
gleich bleibender spezifischer Produktivität höhere arbeitungsschritt eine Konzentrierung, um die
Zellzahlen zu höheren Titern führen. In einigen Pro- relativ geringe Produktkonzentration zu erhöhen
zessen wird die letzte Stufe vor dem Produktions- und die Volumina zu reduzieren. Bei Verwendung
fermenter als Perfusionsprozess gefahren, um die von Chromatographie-Gelen, die hohe Flussraten
Zellzahlen über das Maß hinaus zu erhöhen, das mit erlauben, kann der Zellkulturüberstand auch ohne
einem reinen fed-batch-Betrieb möglich ist. Teilweise vorgeschalteten Konzentrierungsschritt weiter pro-
erfolgt direkt vor dem Transfer in den Produktions- zessiert werden. Da Säugerzellen-Proteine in vollem
fermenter ein Medientausch, falls Bestandteile des Umfang und in der korrekt gefalteten Form aktiv ins
Wachstumsmediums oder Stoffwechselprodukte Medium sezernieren, entfällt der bei Bakterien übli-
der Zellen nicht in die Produktionsstufe transferiert cherweise notwendige Schritt des Zellaufschlusses.
werden sollen. Die Hauptreinigungsschritte sind säulenchromato-
In der Zellernte werden die Zellen vom Medium graphische Verfahren; die gängigsten sind Ionenaus-
abgetrennt. Hier kommen Membranverfahren (Tan- tausch-, Affinitäts-, Hydrophobe Interaktions- (HIC)
gential-Fluss-Filtration und teilweise auch dead- und Gelfiltrationschromatographie (7 Abschn. 9.3.7).
end-Filtration) sowie Zentrifugation zum Einsatz Als Filtrationsverfahren kommt einmal die Ultrafil-
( 7   Abschn. 12.5.5 ). Wichtig ist eine schonende tration zum Einsatz, die als Tangential-Fluss-Filtra-
Abtrennung der Zellen, damit der Zellüberstand tion mit unterschiedlichem cut-off der Membranen
nicht zusätzlich mit intrazellulären Proteinen ver- zwischen 10 und 300 kDa betrieben wird. Sie wird
unreinigt wird, denn all diese Verunreinigungen meist zur Konzentrierung und Umpufferung einge-
müssen im nach geschalteten Downstream Proces- setzt. Außerdem kommen spezielle Einweg-Mem-
sing wieder entfernt werden. branfilterkerzen mit Porengrößen bis hinunter zu
20 kDa zur Abreicherung von potenziell vorhande-
nen Viren zur Anwendung [64].
Proteinchemische Aufarbeitung und Die Formulierung ist ein von der Aufarbeitung
Formulierung abgetrennter Bereich, in dem das Protein in die end-
In der proteinchemischen Aufarbeitung erfolgt der gültige Konzentration bzw. den endgültigen Puffer
überwiegende Teil der Reinigung bis hin zu Rein- gebracht wird. Meist wird eine Ultra-Diafiltration
heitsgraden von über 99 %. In . Abb. 12.9 ist sche- eingesetzt, teilweise auch ein Chromatographie-
matisch ein Aufarbeitungsprozess mit den unter- schritt. Alle Virus-abreichernden Schritte sollten
schiedlichen Verfahrensschritten dargestellt, im bereits vor der Formulierung erfolgt sein.
wesentlichen Chromatographie- und Filtrations-
schritte (7 Abschn. 9.3). Des Weiteren enthält jeder
Aufarbeitungsprozess eines biopharmazeutischen Aufteilung in Bereiche
Produktes Virus-abreichernde bzw. Virus-inakti- Jedem Raum ist eine Reinheitsklasse zugewiesen,
vierende Schritte, damit potenziell im Zellüberstand die sich aus den prozesstechnischen Anforderun-
enthaltene Viren sicher abgereichert bzw. inaktiviert gen ableitet und deren Einhaltung messtechnisch
532 R. Kempken et al.

überprüft wird. So stellen beispielsweise die Edel- und zeitnah zum Einsatz geliefert werden. Bei kon-
stahlfermenter geschlossene Systeme dar, die in situ sequenter Umsetzung dieses Prinzips können nicht
gereinigt (cleaning in place, CIP) und sterilisiert (ste- nur Einwaage-, Puffer- und Medienherstellungsbe-
rilisation in place, SIP) werden können. Im Inocu- reiche signifikant verkleinert werden, sondern es
lum hingegen werden Arbeiten am offenen System entfallen viele Rohrleitungen, da die Beutel direkt
durchgeführt. Als Konsequenz aus dem Unterschied an den Ort ihres Einsatzes gebracht werden und die
offenes – geschlossenes System folgt, dass im Inocu- Flüssigkeit über an den Beuteln befestigte Einweg-
lum höhere Reinheitsanforderungen an die Umge- Schläuche transferiert wird. Damit verringert sich der
bung allgemein und insbesondere an die Arbeiten am Aufwand für CIP- und SIP-Operationen signifikant
offenen System ‒ nämlich unter einer Sterilwerkbank und die Automatisierung wird wesentlich einfacher,
(laminar flow hood) ‒ gestellt werden. Unter einer sodass solche Anlagen in der Regel kostengünsti-
Sterilwerkbank herrscht die höchste in der Biophar- ger erstellt werden können als Anlagen im traditio-
mazie übliche Reinheitsklasse vor: Klasse A gemäß nellen Design. Dem gegenzurechnen sind die in der
EU-Einteilung; Klasse 100 gemäß FDA-Einteilung ; Regel höheren Kosten für die hinzugekauften Medien
ISO 5 gemäß DIN EN ISO 14644-1. und Puffer sowie die starke Abhängigkeit von einem
Neben den prozesstechnischen Gründen spielen externen Lieferanten. Außerdem sind die gängigen
aber auch gesetzliche und regulatorische Vorgaben bags derzeit auf wenige Kubikmeter begrenzt, sodass
eine große Rolle für die Auftrennung in Bereiche, bei Bedarf größerer Mengen viele bags gehandhabt
insbesondere: werden müssen, was neben dem erhöhten Aufwand
55 Pharmazeutische Sicherheit (AMG [2], auch ein erhöhtes Risiko birgt. Hinzu kommt, dass
PharmBetrV [96]), die Haltbarkeit je nach Art des Flüssigmediums selbst
55 Biologische Sicherheit (GenTG) [41], unter gekühlten Lagerbedingungen meist nur wenige
55 Arbeitssicherheit (ArbSchG [4], BetrSichV [9]), Wochen bis Monate beträgt, was den Logistikauf-
55 Umweltsicherheit (BImSchG [11]). wand signifikant erhöhen kann.
Die Entwicklung hin zu Hochtiter(high-titer)-
Beispielsweise fordert das Gentechnikgesetz eine Prozessen mit Titern von mehr als 5 g/L bringt die
Kennzeichnung und Meldung der Bereiche, in derzeitig verfügbare Aufarbeitungstechnologie an
12 denen mit gentechnisch veränderten Organismen ihre Grenzen. Die begrenzte Löslichkeit der Pro-
gearbeitet wird. Dies sind in der Regel die Zell- teine führt zwangsläufig zu entsprechend großen
bank, das Inoculum, die Fermenter-Bereiche, die Prozessvolumina und Säulendimensionen von bis
Zellernte und die Zellinaktivierungsanlage. Alle zu 2 m im Durchmesser. Der erforderliche Puffer-
anderen Bereiche, auch die zum Fermentationsbe- bedarf ist beträchtlich und kann für eine Fermenta-
reich gehörende Medieneinwaage und Medienher- tionscharge bis zu mehr als 100.000 L betragen. Die
stellung, fallen nicht unter das GenTG. Eine klare daraus resultierenden längeren Prozesszeiten können
räumliche Trennung erleichtert die Kennzeichnung einen signifikanten Einfluss auf die Anlagenkapazität
und Registrierung. haben (7 Abschn. 12.7.4).

Einsatz von Flüssigmedien in Einweg- 12.7.2 Prozessvalidierung


Behältnissen und Lebenszyklus
Die in diesem 7 Abschn. 12.7.1 beschriebene fed-batch- biopharmazeutischer Prozesse
Produktion besitzt ein konventionelles Design in dem und Produkte
Sinne, dass ein hohes Maß an vertikaler Integration
vorliegt, also weitgehende Eigenfertigung von Medien Pharmazeutische Produktionsprozesse sind in detail-
und Puffern und wenig Zukauf von fertigen flüssigen lierten Vorschriften beschrieben, und die Einhaltung
Einsatzstoffen. Inzwischen gibt es einen Trend, ins- dieser Vorgaben wird von den Überwachungsbe-
besondere bei kleineren Anlagen, dass fertige Medien hörden streng kontrolliert, um ein möglichst hohes
und Puffer von darauf spezialisierten Herstellern in Maß an Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Ein
Einweg-Behältnissen wie Beuteln (bags) hinzugekauft weiteres Kernelement pharmazeutischer Prozesse
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
533 12
stellt die Validierung dar. Zur Erläuterung seien Anders als in der Vergangenheit, als die Vali-
zunächst zwei Definitionen zur Prozessvalidierung dierung eines Prozesses im Wesentlichen durch die
vorangestellt: erfolgreiche Produktion mehrerer aufeinander fol-
gender Chargen im endgültigen Produktionsmaß-
» Establishing documented evidence which stab gezeigt wurde, bezeichnet die FDA jetzt die Pro-
provides a high degree of assurance that a zessvalidierung als die „Erfassung und Bewertung
specific process will consistently produce von Daten, beginnend bei der Prozessdesign-Stufe
a product meeting its pre-determined über die gesamte Dauer der Produktion, die wissen-
specifications and quality attributes [35]. schaftliche Evidenz schaffen, dass ein Prozess in der
Lage ist, konsistent Produkt der definierten Qualität
Process validation is the documented evidence zu produzieren“ [37].
that the process, operated within established Die einzelnen Stufen der Prozessvalidierung
parameters, can perform effectively and werden wie folgt definiert:
reproducibly to produce an intermediate or 55 Prozessdesign (process design): Der kommer-
API (active pharmaceutical ingredient) meeting zielle Prozess wird in dieser Phase auf Basis des
its pre-determined specifications and quality Wissens festgelegt, das während der Prozess-
attributes [58]. entwicklung und der Scale-up-Aktivitäten
gewonnen wurde.
Das Prinzip der Validierung wird seit den 1980er- 55 Prozessqualifizierung (process qualification):
Jahren konsequent in pharmazeutischen Prozes- Während dieser Phase wird bestätigt, dass das
sen angewendet, und eine erfolgreiche Validierung Prozessdesign geeignet ist für eine reprodu-
ist Voraussetzung für die Erteilung einer Zulassung zierbare kommerzielle Herstellung.
und damit für die Vermarktung eines Produktes. Das 55 Kontinuierliche Prozessverifikation (continued
Validierungskonzept blieb in diesem Zeitraum nicht process verification): Durch diese Überwachung
statisch, sondern wurde weiterentwickelt. Eine neue während der Routineproduktion wird sicher-
Phase begann im Jahr 2008, als die amerikanische gestellt, dass der Produktionsprozess unter
Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Admi- Kontrolle bleibt.
nistration) eine „Guidance for Industry – Process
Validation: General Principles and Practices“ publi- Nachdem im 7 Abschn. 12.6 bereits die Entwi-
ziert hat, die dann im Jahr 2011 als Empfehlung für cklungs- und Scale-up- bzw. Prozesstransfer-Akti-
die Biopharmazeutische Industrie ausgesprochen vitäten beschrieben sind, werden hier die Aspekte
wurde [37]. Prozessdesign, Prozessqualifizierung und kontinu-
Diese Richtlinie schlägt den Bogen von den ierliche Prozessverifikation behandelt.
frühen Entwicklungsarbeiten über die Auslegung
eines Prozesses, seine Qualifizierung bis hin zur kon-
tinuierlichen Verifikation für die gesamte Lebens- Prozessdesign
zeit eines Produktionsprozesses und fordert damit Unter Prozessdesign wird die Definition bzw. Festle-
einen integrierten, durchgängigen Ansatz über den gung des kommerziellen Herstellprozesses verstan-
Lebenszyklus eines Produktes bzw. Prozesses. Primä- den. Ziel ist es, den Prozess für die Routineproduk-
res Ziel dieses Vorgehens ist die Sicherstellung, dass tion so zu entwickeln, dass er konsistent ein Produkt
alle produzierten Chargen die Akzeptanzkriterien liefert, das die Qualitätsattribute jederzeit erfüllt [37].
bezüglich Identität, Wirkstoffgehalt, Reinheit und Diese Vorgaben werden in den sogenannten Her-
Wirksamkeit treffen und damit der Patient repro- stellvorschriften und Prozesskontrollvorschriften
duzierbar immer genau die Medikamentenqualität festgeschrieben. Sie beschreiben im Detail, welche
erhält, die er bekommen soll. Dabei geht die Behörde Schritte in welchem Anlagenteil wie durchzuführen
davon aus, dass Qualität nicht in ein Produkt „hinein sind. Des Weiteren wird festgelegt, welche Proben zu
geprüft“ werden kann, sondern dass sie „hinein ziehen und zu analysieren sind. Neben den durch-
entwickelt“ wird. Der Validierung eines Prozesses zuführenden Aktivitäten werden auch die Ziel-
kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. werte für einzelne Messgrößen sowie das erlaubte
534 R. Kempken et al.

Schwankungsintervall fixiert. Beispiele hierfür sind wie die Akzeptanzkriterien für jeden Test definiert
die Festlegung des pH-Wertes einer Fermentation sind. Im Report werden die Ergebnisse der durch-
auf 6,95 ± 0,20 bei 36,0 ± 1,0 °C, die Dauer der Fer- geführten Aktivitäten dokumentiert und bewertet;
mentation in einem Vorfermenter auf 3,0 ± 0,5 Tage nach Möglichkeit sollen hierbei statistische Metho-
oder die Einsaatdichte auf 0,30 ± 0,15 · 106 Zellen pro den eingesetzt werden.
Milliliter. Solche Messparameter werden als IPC (in
process control)-Werte bezeichnet, denn sie dienen z z Design und Qualifizierung der Anlage und des
der Prozesssteuerung bzw. -regelung. Equipments sowie der Prozess-Nebenanlagen
Dieses Vorgehen basiert auf der Annahme, dass Folgende Stufen müssen vor der Prozessvalidierung
ein Prozess reproduzierbar Produkt gleich bleibend erfolgreich durchlaufen werden:
guter Qualität liefert, sofern er sich in den „erlaub- 55 Design Qualification, DQ: Design der
ten“ Prozessgrenzen bewegt. Der Festlegung, welche Prozessanlage bzw. der Anlagenbestandteile
Parameter sich in welchem Bereich bewegen dürfen, (equipment) sowie der Prozess-Nebenanlagen
kommt damit große Bedeutung zu. (WfI, GW, CIP, Reinstdampf) inklusive der
In der Prozessentwicklung (7 Abschn. 12.6) wird Spezifikation der Materialien, der Leistungs-
der Ablauf des Prozesses fixiert. In der nachfolgen- merkmale und der Betriebsweise;
den Prozesscharakterisierung wird der Zusammen- 55 Installation Qualification, IQ: Verifikation,
hang zwischen Variation der Input-Größen und den dass Prozessanlage und Prozess-Nebenanlagen
resultierenden Output-Größen untersucht. Nach in Übereinstimmung mit den Design-Spezi-
Abschluss der Prozesscharakterisierung werden die fikationen gebaut, installiert, verbunden und
Zielwerte aller Messgrößen einschließlich der erlaub- kalibriert wurden;
ten Schwankungsbreite unter Berücksichtigung der 55 Operational Qualification, OQ: Verifikation,
gewonnenen Erkenntnisse angepasst. dass Prozessanlage und Prozess-Nebenanlagen
All diese Versuchs- und Studienergebnisse sind in den für den späteren Betrieb erwarteten
zu dokumentieren, und mit diesen Erkenntnissen aus Betriebszuständen korrekt funktionieren. Dies
der Prozessentwicklung und der Prozesscharakteri- beinhaltet den Betrieb unter Last sowie das
sierung wird dann das Prozessformat für den kom- Stoppen und Wiederanfahren entsprechend
12 merziellen Prozess festgeschrieben, und die Stufe des dem späteren Betrieb.
Prozessdesigns ist abgeschlossen.
Die Qualifizierung der Anlage umfasst neben den
mechanischen Aspekten auch die Automatisierung,
Prozessqualifizierung da die bestimmungsgerechte Funktion komplexer
In der Qualifizierungsphase der Prozessvalidierung Anlagen sich in der Regel nur aus dem korrekten
wird nachgewiesen, dass der kommerzielle Prozess Zusammenspiel aller installierten Anlagenbestand-
in der Lage ist, reproduzierbar Produkt in der gefor- teile ergibt.
derten Qualität herzustellen. Diese Bestätigung wird
in zwei Gruppen unterteilt: z z Process Performance Qualification (PPQ)
55 Design und Qualifizierung der Anlage bzw. Die Verfahrensqualifizierung kombiniert die quali-
der Anlagenbestandteile (equipment) sowie der fizierte Anlage (Prozess-Equipment und Nebenanla-
Prozess-Nebenanlagen (utilities), gen) mit dem kommerziellen Herstellprozess (Her-
55 Verfahrensqualifizierung (Process Performance stellvorschriften und Prozesskontrollvorschriften),
Qualification,PPQ). um kommerziell verwendbares Produkt herzustellen.
Eine erfolgreiche PPQ bestätigt damit das Prozessde-
In dieser Phase steigen die Anforderungen an die sign und zeigt, dass der kommerzielle Herstellprozess
korrekte Dokumentation. Es werden für definierte sich wie erwartet verhält.
Aktivitäten ein Plan (protocol) und ein Bericht Eine Prozessvalidierung wird generell als erfolg-
(report) gefordert. Im Qualifizierungsplan wird reich angesehen, wenn drei PPQ-Produktionschar-
detailliert festgelegt, was untersucht werden soll und gen konsekutiv erfolgreich durchgeführt worden
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
535 12
sind [37]. Aus dieser Interpretation entstand die welchen Prinzipien und Prozeduren die Auswertung
Kurzform „n = 3“. Da die PPQ eines biotechnolo- erfolgt, um eine Veränderung der Prozesslage feststel-
gischen Prozesses ein sehr aufwendiges und lang- len zu können [37]. Dies ist kein trivialer Prozess, denn
wieriges Verfahren ist, in dem eine hohe Anzahl von biologische Prozesse weisen eine inhärente Variabili-
Werten erfasst wird, treten gelegentlich Abweichun- tät auf, die sich aus der biologischen Natur der Pro-
gen vom Plan auf, die zu bewerten sind. Der Bericht zesse, der teilweise variierenden Qualität der einge-
schließt mit einer expliziten Aussage dazu, ob der setzten Rohstoffe sowie der Schwankung der Analytik
Prozess die im Plan definierten Akzeptanzkriterien ergibt. Die Statistik bietet Methoden, die es erlauben,
erfüllt und sich unter Kontrolle befindet (sufficient eine Veränderung der Prozesslage bzw. einen Trend
state of control). Wenn dies der Fall ist, so ist die PPQ zu erkennen und von der normalen Schwankung des
erfolgreich und die PPQ-Chargen können kommer- Prozesses abzugrenzen, wie z. B. Nelson-Regeln [84,
ziell verwendet werden. Der Prozess wird dann als 85] bzw. die Prozessfähigkeit (Capability of the process,
validiert bezeichnet. Cp [93]). Diese kontinuierliche Überwachung des Pro-
Eine Validierung muss auch für die verwendeten zesses mit statistischen Methoden wird als Prozess-
analytischen Methoden, die Standzeiten von Gelen monitoring bezeichnet (siehe auch 7 Abschn. 12.5.4
und Filtern, kritische Rohstoffe und die Abreiche- zur Beschreibung der Technologie).
rung von Kontaminanten durchgeführt werden, um Eine Veränderung der Prozesslage kann nicht
nur einige der wesentlichen weiteren Prozesse und ausgeschlossen werden, denn trotz des hohen Auf-
Systeme zu nennen. Der Großteil der Prozessvali- wands, der in die Entwicklung und Charakterisie-
dierung wird normalerweise im Produktionsmaß- rung eines biopharmazeutischen Prozesses investiert
stab während der PPQ durchgeführt. Einige Validie- wird, können nicht alle möglichen Kombinationen
rungsaktivitäten können aus technischen Gründen getestet werden. Des Weiteren gibt es das inhärente
nicht im Produktionsmaßstab durchgeführt werden. Maßstabsproblem, das die Gültigkeit der im Klein-
Beispiele hierfür sind die Validierung der Virus- oder maßstab gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die
DNA-Abreicherung. In diesen Fällen finden die Vali- Übertragbarkeit für den Großmaßstab einschrän-
dierungen im Labor- oder Pilotmaßstab statt. ken kann.
Neben der Prozessvalidierung kommt der Reini- Damit die Validierung erfolgreich ist, muss
gungsvalidierung hohe Bedeutung zu. Sie soll sicher- bereits während der Prozessentwicklung entspre-
stellen, dass die Anlagen nach Benutzung reprodu- chendes Augenmerk auf die Robustheit der Prozesse
zierbar gereinigt werden und somit kein Risiko einer gerichtet werden. Die Forderung nach Robustheit
Verschmutzung oder Kontamination vor Beginn betrifft sowohl die Durchführung des eigentlichen
der nachfolgenden Produktion besteht. In Multi- Prozesses als auch die analytische Qualität des mit
Produktanlagen ist dieser Aspekt noch wichtiger, diesem Prozess erzeugten Produktes. Robustheit
da hier eine Kreuzkontamination, d. h. Verunrei- ist ein weiter und nicht genau definierter Begriff; er
nigung eines Produktes oder Ausgangsstoffes mit umfasst Faktoren wie:
einem anderen Material oder Produkt, vermieden 55 Medien und Puffer, die sich leicht in reprodu-
werden muss [57]. zierbarer Qualität herstellen lassen;
55 stabile WCBs, die sich leicht und reprodu-
zierbar auftauen und kultivieren lassen;
Kontinuierliche Prozessverifikation und 55 Unempfindlichkeit des Prozessverlaufs
Prozessmonitoring gegenüber geringfügigen Schwankungen bei
Diese Aktivität soll sicherstellen, dass der Prozess der Prozessführung innerhalb eines definierten
sich nicht von seinem validierten Zustand entfernt Bereichs;
bzw. dass jede Veränderung der Prozesslage (process 55 konstante Produktqualität auch bei leicht
drift) zeitnah entdeckt wird und bei Bedarf adäquate variablen Prozessverläufen;
Gegenmaßnahmen ergriffen werden. 55 konstante Ausbeuten;
Hierzu muss ein System etabliert sein, das fest- 55 definierte Nährmedien mit konstanter,
legt, welche Daten wie häufig erfasst werden und nach kontrollierter Qualität;
536 R. Kempken et al.

55 Gele und Filter, die langzeitstabil sind, ihre Version der cGMP-Richtlinien herausgegeben
unempfindlich gegenüber Reinigungen und (FDA: CFR Code of Federal Regulations, EU: Guide
mechanischen Beanspruchungen; to Good Manufacturing Practice).
55 Prozessformate, die wenig Möglichkeiten für
Fehler sowohl menschlicher als auch techni-
scher Art bieten; Registrierung
55 Einsatz bewährter Technologien bzw. Einsatz Um die Vertriebserlaubnis für ein Produkt zu erhal-
neuer Technologien nur dann, wenn der ten, muss ein Behördendossier (Marketing Autho-
resultierende Vorteil das Risiko rechtfertigt, das rization Application, MAA, in Europa bzw. Biolo-
mit dem Einsatz einer nicht erprobten Techno- gics License Application, BLA, in den USA) erstellt
logie einhergeht. und bei den Behörden eingereicht werden. Darin
sind unter anderem das Produkt, der Herstellpro-
Validierte Prozesse sind grundsätzlich fixiert und zess, die Produktcharakterisierung inklusive analyti-
dürfen nicht verändert werden. Aufgrund der Daten scher Methoden, die Validierung sämtlicher Systeme,
aus dem Prozessmonitoring können sich jedoch Methoden und Prozesse und die Ergebnisse der kli-
Ansätze ergeben, wie der Prozess robuster gestaltet nischen Prüfungen in einem hohen Detaillierungs-
bzw. eine Veränderung der Prozesslage rückgängig grad darzustellen. Der Aufwand hierfür ist sehr hoch.
gemacht werden kann. Je nach Umfang der Änderung Nach erteilter Genehmigung kann das Produkt in
bzw. nach dem erwarteten Einfluss auf das Prozess- den Verkehr gebracht werden.
verhalten oder die Produktqualität können zusätzli-
che Prozessdesign- und PPQ-Aktivitäten erforderlich
sein, bevor solch eine Änderung dauerhaft im Pro- Spezifikationen und Prozessgrenzen
duktionsmaßstab eingeführt werden kann. In dem Behördendossier sind die Produktspezifi-
Neben dem kontinuierlich durchgeführten Pro- kationen, IPC-Spezifikationen und Prozessgrenzen
zessmonitoring muss regelmäßig ein Jahresbericht angegeben. Diese Werte werden wesentlich durch
erstellt werden, der die Produktion des zurücklie- die Ergebnisse der Prozessentwicklung und Pro-
genden Berichtzeitraums zusammenfassend darstellt zesscharakterisierung (7 Abschn. 12.6.4 und 12.7.2)
12 und bewertet im Hinblick auf Prozess-Performance, bestimmt. Die relevanten analytischen Produktspe-
Produktqualität, Abweichungen und Änderungen zifikationen finden sich im Analysenzertifikat (Cer-
der Prozesslage. Für den Gültigkeitsbereich der ame- tificate of Analysis, CoA); Prozessgrenzen können z.
rikanischen Gesundheitsbehörde FDA ist dies der B. die Dauer des Fermentationsprozesses (z. B. 9‒11
APR (Annual Product Review), für den europäischen Tage) oder die maximale Beladungsdichte eines
Raum der PQR (Product Quality Review). Chromatographie-Gels (z. B. max. 15 mg Produkt/
mL Gel) sein. Wenn eine Produktionscharge die
Spezifikationen nicht trifft, kann das Produkt in der
12.7.3 Good Manufacturing Practice Regel nicht freigegeben werden. Wenn Prozessgren-
bei biopharmazeutischen zen überschritten werden, generiert dies zunächst
Prozessen eine Abweichung. Abhängig von der Auswirkung
auf die Produktqualität muss entschieden werden, ob
In 7 Abschn. 12.7.2 wurde bereits aufgeführt, dass diese Charge für die Verwendung freigegeben werden
pharmazeutische Produktionsprozesse detailliert kann oder gesperrt wird.
beschrieben sind und die Einhaltung der Vorgaben
streng kontrolliert wird. Im Folgenden wird auf die
produktionsrelevanten Aspekte eingegangen, die Vorschriften und Dokumentation
sich unter dem Schlagwort cGMP (current Good Analog zu den strengen Regelungen bei der Zulas-
Manufacturing Practice) zusammenfassen lassen. sung eines (bio)pharmazeutischen Produktes unter-
Sowohl die FDA als auch die EU / EMEA [30] haben liegt auch die Herstellung des Wirkstoffes und des
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
537 12
Endproduktes [34] strengen Auflagen. Alle Produk- Abweichung einen negativen Einfluss auf die Stabili-
tionsschritte und relevanten Handhabungen sind in tät der Chargen und damit auf das Verfallsdatum hat.
Vorschriften (Standard Operating Procedures, SOPs)
festgeschrieben. Für jede Produktionscharge wird
der Herstellbericht (batch record) produktionsbeglei- 12.7.4 Betrieb einer großtechnischen
tend ausgefüllt, sodass alle relevanten Produktions- Produktionsanlage –
schritte korrekt und aussagekräftig dokumentiert Wechselwirkungen
sind. Die korrekte Dokumentation hat einen hohen zwischen Prozessformat und
Stellenwert. Anlagendesign

Die 7 Abschn. 12.7.1, 12.7.2 und 12.7.3 geben einen


Abweichungen Eindruck von der Komplexität großtechnischer
Im Abschnitt Prozessspezifikationen und Prozess- Anlagen zur Herstellung eines pharmazeutischen
grenzen ist bereits kurz auf Abweichungen eingegan- Wirkstoffes. Solche Anlagen sind in der Regel auto-
gen worden. Vor dem Hintergrund des Leitgedan- matisiert, d. h. die Prozessführung erfolgt über ein
kens der Validierung muss jede Abweichung vom Prozessleitsystem (PLS) (distributed control system,
definierten Verfahren bewertet werden. DCS). Komplexität und Grad der Automatisie-
rung variieren stark, da hier unterschiedliche Phi-
z z Beispiel für eine Abweichung im upstream: losophien möglich sind: Von „alles automatisiert
Der Produktionsfermenter wird im fed-batch-Mo- und daher bestmöglich kontrolliert und reprodu-
dus betrieben; an den Tagen 2, 5 und 8 wird die Feed- zierbar“ bis zu „KISS (keep it safe and simple)“, d. h.
lösung A dazugegeben, die Fermentation endet am so wenig Automatisierung wie möglich, damit die
Tag 10 mit der Zellernte. Aufgrund eines Mitarbei- Komplexität reduziert wird und gleichzeitig die
terfehlers ist am Tag 5 nur ca. 30 % der Feedlösung Anlage flexibel bleibt. Auch das Prozessleitsys-
zugegeben worden. Die Zellen erreichen im weiteren tem muss qualifiziert bzw. der Gesamtprozess mit
Verlauf der Fermentation eine ca. 20 % niedrigere PLS muss validiert werden, und der Validierungs-
Zellzahl, und die Vitalität beträgt am Erntetag nur aufwand steigt mit zunehmender Komplexität des
30 % statt der sonst üblichen 50 %. Automatisierungskonzeptes.
Wie in 7 Abschn. 12.5.4 erläutert, sind neben den
z z Beispiel für eine Abweichung im downstream: on-line gemessenen Größen auch off-line erzeugte
Das Eluat der Protein-A-Säule eines Prozesses zur Daten nötig zur Kontrolle und Bewertung eines Pro-
Herstellung eines monoklonalen Antikörpers wird duktionsprozesses. Bei den off-line-Daten wird zwi-
für 90 Minuten einer Säurebehandlung bei pH schen zeitkritischen Daten unterschieden, die zur
3,5 zur Virusinaktivierung unterzogen. Nach den Steuerung des Prozesses benötigt werden ‒ Beispiele
90 Minuten wird die Produktlösung wieder auf einen sind die Zellzahlen, die z. B. für das Einleiten eines
neutralen pH-Wert eingestellt. Aufgrund eines tech- Transfers von Zellsuspension in den nächstgrößeren
nischen Problems wird die maximal zulässige Ein- Fermenter benötigt werden, oder Titerbestimmun-
wirkzeit bei pH 3,5 um 60 Minuten überschritten. gen, die für die Berechnung des Beladungsvolumens
Die Bewertung einer Abweichung muss jeden auf Chromatographiesäulen erforderlich sind ‒, und
möglichen Einfluss auf den Prozessverlauf und den Daten, die zwar zur Bewertung eines Produktions-
damit letztlich auf die Produktqualität abdecken. In laufs benötigt werden, die aber nicht prozesssteuernd
den beiden beschriebenen Abweichungen wird ein sind. Beispiele hierfür sind die Titer an den verschie-
besonderer Fokus auf der Produktqualität liegen. denen Tagen im Produktionsfermenter oder die SDS-
Voraussichtlich sind weitere analytische Unter- Gele auf Prozess-Zwischenstufen im downstream.
suchungen nötig, um dies abzuklären. Eventuell Die Labors für die prozesssteuernde off-line-Analytik
müssen zusätzliche analytische Untersuchungen befinden sich deshalb in der Regel in der Nähe der
durchgeführt werden, um auszuschließen, dass die Produktion, um lange Transportwege zu vermeiden.
538 R. Kempken et al.

Anlagenauslastung, Prozessformat und Erreichung des Titers erforderliche Prozesszeit ist


Anlagendesign ebenso wichtig wie das Design der Produktionsan-
Voraussetzung für eine wirtschaftliche Produktion lage, in der der Prozess realisiert werden soll. Letzt-
ist eine hohe Anlagenauslastung, d. h. die Produk- endlich lässt sich die Güte einer Prozessentwick-
tionskapazitäten der verschiedenen Produktions- lung nicht am Titer, sondern an der sogenannten
bereiche müssen aufeinander abgestimmt sein: Dies Raum-Zeit-Ausbeute der Produktionsanlage bzw.
gilt innerhalb der Wirkstoffherstellung für die drei letztendlich anhand der Herstellkosten bewerten.
Bereiche Fermentation – Aufarbeitung – Formu- Die Raum-Zeit-Ausbeute beschreibt, wie viel Kilo-
lierung, aber auch für die beiden großen Bereiche gramm Produkt pro Zeiteinheit in dem verfügbaren
Wirkstoffherstellung und Endproduktherstellung. Produktionsvolumen (Fermentervolumen) herge-
Prozessformat und Anlagendesign müssen zueinan- stellt werden.
der passen. Folgendes Beispiel soll die Abhängigkei- In der Fermentation stellt die Produktbildungs-
ten verdeutlichen: kinetik einen wichtigen Parameter zur Optimierung
Die Anlage enthält zwei Produktionsfermenter, der Raum-Zeit-Ausbeute dar: Wenn diese über die
die zwei Wochen turn-around-Zeit haben, d. h. alle gesamte Fermentationsdauer linear ist, dann sind
zwei Wochen wird ein neuer Produktionsfermenter lange Fermentationszeiten sinnvoll. Wenn jedoch
gestartet. Die turn-around-Zeit umfasst sowohl die zum Ende der Fermentation die Produktbildungs-
Zeit für die Vorbereitung der Fermentation, die rate abnimmt, weil z. B. die Vitalität der Zellkul-
eigentliche Fermentationszeit als auch die Zeit für tur abnimmt, dann kann eine kürzere Fermenta-
die Nachbereitung. Die beiden Fermenter werden tionsdauer zu einer höheren Raum-Zeit-Ausbeute
mit einer Woche Zeitversatz betrieben, sodass pro führen, weil im gleichen Zeitraum mehr Fermenta-
Woche eine Ernte stattfindet. Um den Wirkstoff tionen gestartet werden können. In . Abb. 12.10 sind
aus dem Fermenterüberstand aufzureinigen, steht diese beiden Fälle veranschaulicht: Bei der nicht-li-
somit ebenfalls eine Woche zur Verfügung. Wenn nearen Produktbildungskinetik ist es günstiger, den
die turn-around-Zeit des Produktionsfermenters nur Prozess nach 14 Tagen mit 4 g/L zu beenden, als ihn
eine Woche beträgt, dann stehen für die Aufarbei- 21 Tage laufen zu lassen, um 5 g/L zu erreichen. In
tung nur 3,5 Tage zur Verfügung, oder es muss ein Bezug auf sechs Wochen Produktionszeit ergäbe dies
12 zweiter, unabhängiger Aufarbeitungsbereich etab-
liert werden. Für die Betrachtung der Anlagenkapa-
zität ist die Formulierung in der Regel unkritisch,
da sie meist kürzer als die Aufarbeitung dauert und
deshalb nicht limitierend ist.
Die Zahlen in diesem Beispiel lassen sich vielfäl-
tig variieren, und je nach Kombination befindet sich
der zeitbestimmende Engpass (bottle-neck) entwe-
der im upstream oder im downstream. Durch Anpas-
sung der Schichtmodelle der Produktionsmitarbeiter
können die Auswirkungen von Engpässen verringert
werden. So kann die effektive Kapazität der Aufarbei-
tung verdreifacht werden, wenn vom Ein-Schicht-
Modell auf das Drei-Schicht-Modell gewechselt wird.
Aufgrund dieser Betrachtung ergeben sich inte-
ressante Konsequenzen auf die Prozessentwick-
lung. In der Literatur wird inzwischen von Titern
von 10 g/L und mehr gesprochen, für Säugerzel-
len hohe Werte. Die Angabe des erzielten Titers ist
jedoch in Bezug auf Anlagenproduktivität und nied- . Abb. 12.10  Einfluss der Produktbildungskinetik auf die
rige Herstellkosten nur die halbe Wahrheit: Die zur Raum-Zeit-Ausbeute
Kapitel 12 · Kultivierung von S­ äugetierzellen
539 12
bei einem 1000-Liter-Produktionsfermenter 12 kg Zusätzlich erfolgt üblicherweise bei jedem Produkt-
Produkt im Fermenter beim 14-Tage-Prozess versus wechsel durch Probenahme und entsprechende Ana-
10 kg Produkt beim 21-Tage-Prozess. Diese Betrach- lytik der Nachweis, dass die Anlage sauber ist und
tung ist vereinfacht, da die Zeiten für Vor- und Nach- kein Kreuzkontaminationsrisiko des Folgeproduktes
bereitung des Fermenters vernachlässigt wurden; das durch das Vorgängerprodukt besteht.
Grundprinzip gilt nach wie vor. Je nach Effektivität Filter und Gele dürfen nicht unbegrenzt einge-
der entsprechenden Produktionsanlage kann der setzt werden. Zum einen gibt es die Haltbarkeits-
Zeitraum für Vor- und Nachbereitung jeweils zwi- vorgaben des Herstellers, zum anderen muss der
schen einem, zwei, drei oder noch mehr Tagen betra- Anwender den Einsatz für jeden einzelnen Prozess
gen. Je länger der Zeitraum für Vor- und Nachberei- validieren. Das heißt, er muss in dem realen Prozess
tung ist, desto günstiger werden Prozesse mit langer nachweisen, dass z. B. ein Chromatographie-Gel 20-,
Fermentationszeit in Bezug auf die Optimierung der 50-, 100- oder 200-mal eingesetzt werden kann, ohne
Raum-Zeit-Ausbeute. dass die Qualität des Produktes negativ beeinflusst
Wenn eine existente Produktionsanlage genutzt wird. Bei Erreichen der Einsatzgrenze wird das Gel
werden soll, dann ist die Verfahrensentwicklung bzw. der Filter verworfen.
gefordert, Prozesse so zu entwickeln, dass die vor- Aus all diesen Gründen wird eine Multi-Pro-
handenen Kapazitäten optimal genutzt werden. duktanlage sinnvollerweise in Kampagnen gefah-
Wenn hingegen eine neue Anlage gebaut werden ren, d. h. zum Beispiel auf zehn Produktionsläufe
soll, dann muss im Vorfeld das Prozessformat der mit Produkt A folgen 30 Läufe mit Produkt B, dann
Prozesse festgelegt werden, die in dieser Anlage her- drei Läufe mit Produkt C, darauf wieder zehn Läufe
gestellt werden sollen, und dann das Anlagendesign mit Produkt A usw. Um die optimale Betriebsweise
entsprechend erfolgen. einer Multi-Produktanlage festzulegen, müssen alle
in diesem Kapitel erwähnten Effekte berücksichtigt
werden. Zur Optimierung der Raum-Zeit-Ausbeute
Kampagnen-Produktion mit sind deshalb möglichst wenige, lang andauernde
Rüstwechseln Kampagnen mit der optimalen Prozesszeit (Fermen-
Bei Säugerzell-Prozessen beansprucht die Aufarbei- tation und Aufarbeitung) sinnvoll, da so Effektivi-
tung meist wesentlich weniger Zeit als die Fermen- tätsverluste durch Rüstwechsel vermieden werden.
tation, sodass in vielen Anlagen, speziell den größe- Wenn hingegen auch die Minimierung der Lager-
ren Anlagen, mehrere Produktionsfermenter einem bestände ein Ziel ist, dann sind viele kurze Kampa-
Aufarbeitungsbereich zugeordnet sind. Während die gnen sinnvoller als wenige lange Kampagnen. Letzt-
Fermentation von Produkt zu Produkt im Wesent- endlich muss für jede Anlage und jeden Produkt-Mix
lichen in den gleichen Fermentern durchgeführt die optimale Produktionsstrategie ermittelt werden.
wird, gilt für die Aufarbeitung nahezu das Gegenteil:
Nicht nur können sich die Aufarbeitungsprozesse für
unterschiedliche Produkte signifikant voneinander 12.7.5 Entwicklung eines
unterscheiden, sondern aus GMP-Gründen dürfen Folgeprozesses und
Chromatographie-Gele und Filterkerzen/Filterkas- daraus resultierender
setten nicht für verschiedene Produkte verwendet Änderungsaufwand
werden. Man spricht von dedicated matrices, da sie
einem bestimmten Produkt gewidmet sind. Jeder In 7 Abschn. 12.6 sind die wesentlichen Anforderun-
Produktwechsel bedingt also eine größere Rüstakt- gen an eine Prozessentwicklung aufgeführt. Idealer-
ion, bei der Chromatographiesäulen aus der Auf- weise ist bereits der Originalprozess so ausgereift,
arbeitung entfernt, neu gepackt und dann wieder dass es keinerlei Änderungsbedarf gibt. In der Reali-
neu aufgestellt werden. Gleiches gilt für die Filter tät hingegen gibt es eine Vielzahl von Gründen, die zu
in der Aufarbeitung und Formulierung, aber auch einer Prozessänderung führen können (. Tab. 12.6).
für die Filter, die in der Ernte mit Tangential-Fluss- Aus Sicht der Behörden sind solche Änderungen zu
(cross-flow) Filtrationstechnik eingesetzt werden. bevorzugen, die die Produktqualität z. B. im Sinne
540 R. Kempken et al.

. Tab. 12.6  Beispiele für Gründe, die zu Änderungen des zugelassenen Prozesses bzw. der Methoden führen

Regulatorische Gründe Auflagen der Behörden, wie z. B. der Ersatz von Serum oder anderen bovinen Rohstoffen
zur Minimierung des BSE-Risikos. Da die Qualität des Produktes durch die Art und
Qualität der eingesetzten Rohstoffe signifikant beeinflusst werden kann, kann dies eine
wesentliche Änderung sein.
Post-Approval Commitments; das sind Auflagen, die im Rahmen der Erteilung
der Zulassung der produzierenden Firma auferlegt werden. Beispiele hierfür
sind die Einführung verbesserter analytischer Methoden oder die Durchführung
produktionsbegleitender Validierungsstudien, z. B. zur Standzeit von Gelen.
Signifikante Änderungen an der genehmigten Anlage, z. B. Veränderungen des WFI-
Systems
Veränderungen der Prozesslage
Verlagerung der Produktion von einer Anlage in eine andere Anlage
Verbesserung der Produktqualität, z. B. durch Einführen eines weiteren
Chromatographieschritts
Wirtschaftliche Gründe Erhöhung der Ausbeute (höherer Titer in gleicher Zeit oder gleicher Titer in kürzerer
Zeit), die durch außerhalb der Zulassung liegende Änderungen der Prozessbedingungen
erreicht werden
Technologische Gründe Veränderung der Technologie, z. B. Zellernte mit Zentrifuge statt mit Querstromfiltration
Wechsel eines Chromatographie-Gels

von Konstanz bzw. Verringerung von Kontaminan- und der Produkteigenschaften, desto höher ist die
ten bzw. die Robustheit des Prozesses verbessern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Prozessänderungen erfolg-
pharmazeutische Firma hat neben diesen regulato- reich sind. Andererseits muss berücksichtigt werden,
rischen Aspekten ebenfalls die Wirtschaftlichkeit dass trotz der erheblichen Fortschritte der letzten
12 im Fokus, also die Verbesserung der Ausbeute bzw. Jahre im Bereich Zellkulturtechnik viele Aspekte
Senkung der Herstellkosten. des komplexen Wechselspiels Zelle – Zellumgebung
Wenn ein Folgeprozess (second generation noch nicht vollständig verstanden sind. Hier weitere
process) entwickelt wird, steht zusätzlich zu den in Fortschritte zu erzielen, ist eine der großen Heraus-
7 Abschn. 12.6 genannten Anforderungen an obers- forderungen, die gleichzeitig die Faszination der Säu-
ter Stelle die Forderung nach vergleichbarer Pro- gerzelltechnologie ausmacht.
duktqualität. Alle Änderungen in der Produktqua-
lität bergen das Risiko, dass klinische Prüfungen
wiederholt werden müssen. Im besten Fall ist dies Literatur
eine sogenannte bridging study, bei der in einer
[1] Aisen P, Listowsky I (1980) Iron transport and storage pro-
Studie mit einer geringen Patientenzahl nachgewie- teins. Ann Rev Biochem 49:357–393
sen wird, dass die Eigenschaften im Patienten ver- [2] AMG (Arzneimittelgesetz): Gesetz über den Verkehr mit
gleichbar sind. Im anderen Extrem bedeutet dies eine Arzneimitteln. 11.12.1998 (BGBl. I S. 3586). 14. Artikel 1
Wiederholung der gesamten klinischen Entwicklung, Zwölftes ÄndG vom 30.06.2004 (BGBl. I, Nr. 41, S. 2031)
die mit entsprechend hohen Kosten und Zeitverlus- [3] Amoils S (2006) Targeted integration. Nat Rev Microbiol 4:87
[4] ArbSchG: Gesetz über die Durchführung von Maßnah-
ten verbunden ist. men des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit
Anhand dieser Punkte wird deutlich, dass jede und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der
Änderung eines registrierten Prozesses mit erhebli- Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) vom 7. August 1996 (BGBl.
chem Aufwand, Risiko und Kosten verbunden ist. Je I Nr. 43 vom 20.08.1996, S. 1246) zuletzt geändert am 5.
Februar 2009 durch Artikel 15 Abs. 89 des Gesetzes zur
besser das Verständnis der eingesetzten Zellen, Vek-
Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienst-
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Systembiologie in der
­Bioverfahrenstechnik
Ralf Takors

13.1 Einführung in die Systembiologie – 546


13.1.1 Definition der Systembiologie – 546
13.1.2 Metabolic Engineering - Systembiologie – Synthetische
Biologie – 547
13.1.3 Bioprozesstechnik im Wandel der Zeit – 548

13.2 Aufgaben der Systembiologie für die


Bioprozessentwicklung – 548

13.3 Metabolische Ebene – 551


13.3.1 Stöchiometrische Stoffflussanalysen (metabolic flux analysis,
MFA) – 551
13.3.2 Stoffflussanalysen auf der Basis von Markierungsinformation – 554
13.3.3 Metabolic Engineering Strategien aufgrund stationärer
Systemanalysen – 558
13.3.4 Metabolische Kontrollanalyse (metabolic control analysis,
MCA) – 558

13.4 Zelluläre Regulation – 563

13.5 Subpopulationen – 564

13.6 Scale-up – 565

Literatur – 566

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8_13
546 R. Takors

13.1 Einführung in die genomesonline.org/) – Tendenz nach wie vor stark


Systembiologie steigend. Diese stetig zunehmende Fülle an Genom-
information geht einher mit der gleichermaßen
Die Systembiologie ist eine Wissenschaft, die sich rasant ablaufenden Technologieentwicklung zur
nach wie vor rasant entwickelt [85]. Sie verfolgt Bestimmung von Transkriptom, Proteom und Meta-
den Ansatz, ein biologisches System holistisch, bolomdaten – um nur einige, weit verbreitete Daten-
d. h. ganzheitlich zu betrachten und quantitativ zu formate zu nennen. Unter Transkriptomdaten wird
beschreiben. Dabei steht die Interaktion der einzel- die Gesamtheit aller zellulären Transkripte (mRNA,
nen Module (Moleküle, Zellen, Regulationsmecha- messenger RNA) verstanden, die den genomweiten
nismen oder Populationen) im Vordergrund der Genexpressionsstatus der Zelle beschreibt. Das
Untersuchungen. Folgerichtig setzen sich systembio- Proteom repräsentiert die Gesamtheit aller (mess-
logische Studien aus unterschiedlichsten Facetten der technisch) zugänglichen Proteine, und das Meta-
Forschungsthemen zusammen und adressieren viel- bolom umfasst die analoge Menge aller intra- und
fältige Themenfelder der Biologie und Medizin. Das extrazellulären Metabolite. Diese umfassenden
nachfolgende Kapitel stellt nur einen kleinen Teilas- Datensätze werden zudem durch diverse andere
pekt in den Vordergrund: nämlich die systembiolo- Techniken ergänzt, sodass heute eine noch nie da
gischen Aspekte in der Bioverfahrens- bzw. Biopro- gewesene Fülle an Messinformation zur Beschrei-
zesstechnik. Weitere Themenfelder werden z. B. in bung des zellulären Zustands erfassbar ist.
den Übersichten [42, 47, 66] vorgestellt. Die zweite Wurzel der Systembiologie reicht zeit-
lich noch weiter in das letzte Jahrhundert zurück und
wird durch die Basisarbeiten zur Thermodynamik
13.1.1 Definition der Systembiologie von Nicht-Gleichgewichtszuständen [65] begrün-
det. Grundzüge der Nicht-Gleichgewichtsthermo-
Die Systembiologie ist eine vergleichsweise junge dynamik sind in heute verwendeten Modellierungs-
Disziplin. Nach Westerhoff und Palsson [102,103] ansätzen berücksichtigt. Andere Meilensteine sind
könnte deren Beginn um das Jahr 2000 datiert beispielsweise die Identifizierung von Feedback-Re-
werden. Zu diesem Zeitpunkt liefen zwei unabhän- gulationsmechanismen [93], die Formulierung von
gige, wesentlich länger zurückreichende Strömungen Grundzügen der Genregulation am Beispiel des lac-
zusammen, die als „Symbiose“ die Systembiologie Operons [7, 26, 27] sowie erste Arbeiten zur dynami-
13 gründeten. Diese Strömungen sind der datengetrie- schen Modellierung der Glykolyse [18, 34]. Mitte der
bene, molekular- und messtechnische Zugang zu bio- 70er-Jahre wurden die Methoden der metabolischen
logischen Systemen einerseits sowie deren Modellie- Kontrollanalyse (MCA) entwickelt [31, 39]. Diese
rung andererseits. sind bis heute ein wichtiges Werkzeug zur quanti-
Eine Wurzel der Systembiologie wird daher tativen Untersuchung der metabolischen Kontrolle
in der kontinuierlichen Erweiterung der moleku- in Zellen. Mit Beginn der 90er-Jahre traten verstärkt
larbiologischen Wissensbasis (Identifizierung der topologische Netzwerkuntersuchungen in den Mit-
DNA-Struktur durch Watson und Crick, 1953), telpunkt des Interesses. Diese zielten unter anderem
der Entwicklung der rekombinanten Technolo- darauf ab, intrazelluläre Stoffflüsse im Fließgleich-
gien in den 1960er- und 70er-Jahren und der sich gewichtszustand (steady state) zu bestimmen [94].
explosionsartig perfektionierenden Techniken zur Damit werden intrazelluläre Raten quantitativ
DNA-Sequenzierung gesehen. Einen zwischen- bestimmt, die ansonsten nicht zugänglich wären.
zeitlichen Höhepunkt fand Letztere in der Fertig- Um das Jahr 2000 vereinigten sich beide Strö-
stellung des humanen Genomprojektes (HUGO) mungen, d. h. die genomweite Datenerhebung und
im Jahr 2000, doch wurde bereits 1995 Haemophi- die detaillierte Modellierung biologischer Systeme,
lus influencae erstmals sequenziert. Bis heute sind zu dem neuen Wissenschaftszweig Systembiologie.
mehr als 50.000 Genome prokaryotischen und euka- Diese zielt darauf ab, ein holistisches (d. h. ganz-
ryotischen Ursprungs (teil-) sequenziert (www. heitliches) quantitatives Systemverständnis von den
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
547 13
betrachteten biologischen Systemen zu erhalten. Die Modelle zeichnen sich in der Regel dadurch aus,
Kernaufgabe der Systembiologie besteht demnach dass die Vernetzung und Hierarchie zellulärer Regu-
darin, die Interaktion aller Komponenten eines bio- lation möglichst umfassend beschrieben wird. Ein
logischen Systems nicht isoliert, sondern in ihrem generelles Problem ist dabei die Wahl des geeigne-
in vivo-Kontext quantitativ zu verstehen und zu ten Ansatzes. So ist prinzipiell die Entscheidung zu
beschreiben. Die biologischen Systeme reichen dabei treffen, ob das zu erstellende biologische Modell
von „einfachen“ Prokaryoten über höhere Zellen einem top down- oder einen bottom up-Ansatz folgt
(z. B. Säugerzellen), Organen und sogar Multi- [72]. Top down-Ansätze zeichnen sich dadurch
Organ-Systemen. Dementsprechend findet die Sys- aus, dass ein möglichst umfassendes Bild durch ein
tembiologie Anwendung für bioprozesstechnische, genomskaliges Modell formuliert wird. Die mecha-
medizinische und pharmazeutische Fragestellungen. nistische Beschreibung einzelner Details tritt dabei
zugunsten der genomskaligen Modellierung in
den Hintergrund. Dies versuchen bottom up-Ans-
13.1.2 Metabolic Engineering - ätze zu umgehen. Sie zielen darauf ab, ein mecha-
Systembiologie – Synthetische nistisch konsistentes Bild des betrachteten biologi-
Biologie schen (Teil-)Systems zu erhalten. Dabei fokussieren
bottom up-Ansätze beispielsweise nur auf einzelne
Eine wichtige Wurzel der Systembiologie ist das Stoffbereiche und deren metabolische und transkrip-
Metabolic Engineering, das sich in den 1990er-Jah- tionelle Regulation. Die Topologie, d. h. der struktu-
ren entwickelte [5, 16]. Es umfasst die gezielte Ver- relle Aufbau eines genomskaligen Modells, ist daher
änderung zellulärer Eigenschaften durch Anwen- in den bottom up-Ansätzen nur zum Teil berücksich-
dung von Rekombinationstechnologien, sodass eine tigt. Aus diesem Grund werden auch verstärkt Hyb-
im Sinne der Zielvorgabe optimierte Zelle entsteht. ridmodelle eingesetzt, die synergistisch die Vorzüge
Dies berücksichtigt sowohl die Verbesserung exis- des top down-Ansatzes mit dem bottom up-Ansatz
tierender wie auch die Etablierung neuer Zelleigen- zu verknüpfen versuchen [72].
schaften. Neben den dafür notwendigen molekular- Oftmals wurde im Metabolic Engineering die
biologischen Technologien verwandte das Metabolic Erfahrung gemacht, dass lokale Veränderungen
Engineering die zu diesem Zeitpunkt zugänglichen z. B. in Biosynthesewegen eine mehrfache, kom-
quantitativen Analysewerkzeuge für eine quanti- plexe Systemantwort zur Folge haben [6]. Umge-
tative Vorhersage entsprechender Ziele gentechni- kehrt sind häufig mehrere Veränderungszyklen
scher Veränderungen. Zu diesen Werkzeugen zählen notwendig, um gewünschte Verbesserungen der zel-
die metabolische Kontrollanalyse, die metabolische lulären Leistungsdaten zu erhalten. Dies führte zu
Stoffflussanalyse sowie auch andere modellierungs- der heutigen Sichtweise des systems metabolic engi-
technische Ansätze [88]. Obwohl die ursprüngliche neering [17, 48, 109]. Im Kern bedeutet dies, dass
Definition des Metabolic Engineering die gesamte die gezielte Verbesserung zellulärer Leistungsdaten
Zelle im Blickpunkt hatte, fokussierte die Mehrzahl nur durch das Verständnis des gesamten zellulären
der in der Folgezeit durchgeführten Untersuchun- Kontextes möglich ist. Klassische Metabolic Engi-
gen auf die metabolische Zellebene. Entsprechende neering Ansätze werden in die systemische Betrach-
Zellmodelle berücksichtigten den intrazellulären tung integriert.
Stoffwechsel hauptsächlich in Form von Reaktions- Wie auch die Systembiologie so hat auch der
stöchiometrien mit geeigneten enzymkinetischen sich etwa seit dem Jahr 2000 immer stärker entwi-
Ansätzen. Einflüsse z. B. der transkriptionellen Kon- ckelnde Wissenschaftszweig der Synthetischen Bio-
trolle waren darin häufig nicht beinhaltet. logie eine seiner Wurzeln im Metabolic Engineering.
Mit der oben beschriebenen rasanten Entwick- Ein Kerngedanke der synthetischen Biologie ist es,
lung in den omics-Technologien wurde diese anfäng- die in anderen Ingenieurdisziplinen übliche Vor-
liche Limitierung aufgehoben und zu einem neuen gehensweise der (1) Problemspezifikation, (2) Sys-
Wissenschaftszweig definiert. Systembiologische temmodularisierung, (3) Simulation, (4) Integration
548 R. Takors

und (5) Systemtestung auf die Optimierung und Ent- 13.1.3 Bioprozesstechnik im Wandel
wicklung biologischer Systeme zu übertragen. Dies der Zeit
verlangt nach einer Möglichkeit zum orthogonalen
Transfer „biologischer Module“ über die jeweiligen Im Vergleich zu den relativ jungen Disziplinen des
Systemgrenzen hinweg. Aktuelle Arbeitsgebiete der systems metabolic engineering, der Systembiologie
synthetischen Biologie sind z. B. die chemische Syn- und der Synthetischen Biologie ist die Bioprozess-
these von Genen und Genomen, die Entwicklung technik (Biochemical Engineering) eine vergleichs-
von Minimalzellen und artifiziellen Systemen, das weise alte Wissenschaft. Wenngleich ein typischer
optimale Design ausgewählter Stoffwechselwege und Startzeitpunkt für das Biochemical Engineering
die Schaffung orthogonaler Biosysteme (Module). nicht benannt werden kann, sollte beachtet werden,
Beispiele für letztere sind artifizielle Regelkreise dass bereits 1880 Backhefe nach dem Lufthefever-
oder Sensoren, die eine neue Funktion in die Zellen fahren hergestellt wurde und ein Jahr später bereits
implementieren. erste Ansätze zur Milchsäureherstellung technisch
Einige dieser Arbeitsfelder decken sich somit realisiert wurden. Während des Ersten Weltkrieges
mit originären Tätigkeitsgebieten des Metabolic wurden die ersten Anlagen zur Aceton-Butanol-
Engineering. Andere bieten eine vollkommen neue, Ethanol Herstellung in Betrieb genommen und im
DNA-getriebene Sichtweise auf die Funktionali- Zweiten Weltkrieg begann 1942 die Herstellung von
tät und Veränderbarkeit von biologischen Zellen. Antibiotika, z. B. Penicillin mit Penicillium chrysoge-
. Abb. 13.1 versucht den Zusammenhang von Meta- num im technischen Maßstab. In dieser Zeit war die
bolic Engineering, Systembiologie und Synthetischer Bioprozessentwicklung noch stark durch die chemi-
Biologie grafisch zu veranschaulichen. sche Reaktionstechnik geprägt. Insofern Modellie-
rungsansätze für die Bioprozesse verwandt wurden,
handelte es sich um nicht strukturierte (black box)
Ansätze für Bilanzierungszwecke. Eine inhaltlich
substanzielle Erweiterung erfuhr die Bioprozesstech-
.RPSOH[LW¦W

nik durch das Metabolic Engineering, das verstärkt in


den 1990er-Jahren in den Mittelpunkt des Interesses
rückte. Ähnliches gilt für die Systembiologie, die seit
6\VWHPELRORJLH

g OLF
LQ R

ca. 2000 zu einer weiteren inhaltlichen Erweiterung


HU WDE
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13
JL 0

der Bioprozesstechnik (Biochemical Engineering)


(Q PV
H

beitrug. In analoger Weise gilt dies für die Synthe-


VW
6\

ORJLH tische Biologie. . Abb. 13.2 versucht diesen histori-


H %LR
LVFK schen Ablauf zu veranschaulichen.
WKHW
6\Q

13.2 Aufgaben der Systembiologie


6WDPPYLHOIDOW
für die Bioprozessentwicklung

. Abb. 13.1  Vereinfachte Darstellung der Arbeitsfelder des


Die Systembiologie zielt auf ein quantitatives, holis-
systems metabolic engineering, der Synthetischen Biologie und
der Systembiologie aufgeteilt nach betrachteter Komplexität
tisches Verständnis der betrachteten biologischen
der Zellen und der Anzahl neuer Stammkonstrukte. Die Systeme ab. Dieses sehr anspruchsvolle Ziel ver-
Systembiologie richtet sich vorrangig auf die mechanistische langt grundlagenorientierte Forschungsarbeiten. Da
Beschreibung der zellulären Komplexität. Dieses Wissen es sich bei der Bioprozesstechnik um eine anwen-
dient als Basis für die zielgerichteten Stammverbesserungen
dungsorientierte Forschung handelt, stellt sich die
des systems metabolic engineering. Die synthetische Biologie
modularisiert die Zellbetrachtung in einzelne, individuell
Frage, inwieweit die Systembiologie für eine effizi-
veränderbare Einheiten, was zu einer Vielzahl von neuen ente Bioprozessentwicklung Beiträge liefern kann.
biologischen Systemen führt Zu deren Beantwortung dient . Abb. 13.3.
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
549 13

0HWDEROLF(QJLQHHULQJ a

%LRFKHPLFDO (QJLQHHULQJ
&KHPLFDO (QJLQHHULQJ

6\VWHPV%LRORJ\
a

6\QWKHWLF%LRORJ\

6\VWHPV
0HWDEROLF
(QJLQHHULQJ

. Abb. 13.2  Bioverfahrenstechnik im Wandel der Zeit: Während die ersten bioverfahrenstechnischen Prozesse noch
wesentlich durch die Herangehensweise der chemischen Verfahrenstechnik geprägt waren, entwickelte sich daraus ein
eigenständiger Zweig, der in den 1990er-Jahren durch das Metabolic Engineering und seit ca. 2000 durch die Systembiologie
und die Synthetische Biologie inhaltlich erweitert wird. In jüngster Zeit rückt die systemische Betrachtung im Metabolic
Engineering als systems metabolic engineering in den Vordergrund

In der Bioprozessentwicklung beginnt die sys- die unterschiedlichen Regulationsebenen mitein-


tembiologische Betrachtung der Produzentenzellen ander zu vernetzen und die die Rückkopplung auf
meist auf der metabolischen Ebene. Das intrazellu- das Reaktionsnetzwerk beschreiben, sind somit cha-
läre Reaktionsnetzwerk wird stöchiometrisch bzw. rakteristisch für die Komplexität systembiologischer
kinetisch modelliert. Daraus werden Hinweise für Modelle der nächsthöheren Skala.
Stammverbesserungen und/oder Wechselwirkun- Zelluläre Kulturen sind nicht homogen, sondern
gen mit dem Bioprozess abgeleitet. heterogen [58]. Mögliche Gründe mögen in unter-
Durch Fokussierung auf die metabolische Ebene schiedlichen Zellzyklusstadien, nicht-symmetri-
werden übergeordnete Regulationsmechanismen schen Zellteilungen oder auch extrazellulären Fakto-
zwangsläufig ausgeblendet. Beispiele sind die tran- ren wie unterschiedlichen Substratverfügbarkeiten,
skriptionale oder die post-translationale Regula- Wachstumsbedingungen etc. zu finden sein. Phäno-
tion, die schlussendlich auf die Menge und Aktivität typisch macht sich dies durch das Auftreten von Sub-
der vorhandenen Enzyme und damit auf das Reak- populationen bemerkbar. Diese können beispiels-
tionsnetzwerk einwirken. Ansätze, die versuchen weise die Leistungsdaten einer gesamten Kultur im
550 R. Takors

. Abb. 13.3  Skalenübergreifende Fragestellungen der Systembiologie entlang der Bioprozessentwicklung – Eine Vielzahl
systembiologischer Applikationen betrachtet die metabolische Ebene zellulärer Systeme, d. h. die Interaktion intrazellulärer
Metabolite in Reaktionsnetzwerken. Durch die Vernetzung unterschiedlicher Regulationsebenen wird die nächsthöhere
Komplexitätsstufe erreicht. Die Interaktion von biologischen Systemen (z. B. mikrobielle Produzenten) in Populationen ist ein
weiterer Skalenschritt. Für einen Produktionsprozess stellt die Betrachtung der Heterogenität im großvolumigen Maßstab die
höchste Komplexitätsstufe dar

Vergleich zur integrierten Betrachtung individueller 1. Vollständige Realisierung des Produktions-


Zellen verschlechtern. Die Beschreibung der Interak- potenzials: Auf der Basis stöchiometrischer
tionen einzelner Zellen bzw. Subpopulationen ist eine Zellmodelle ist es möglich, theoretische
weitere Steigerung der untersuchten Systemkomple- Maxima von Produkt/Substrat-Ausbeuten
xität. Daher sind entsprechende Modellierungsan- oder Produktbildungsraten abzuschätzen
sätze auf der nächsthöheren Skala angesiedelt. (7 Abschn. 13.3). Auch industrielle Produk-
Bekanntermaßen sind großvolumige Produk- tionssysteme haben diese Optima oftmals
tionsreaktoren inhomogen vermischt [38, 91]. Gra- noch nicht erreicht. Dies hat unter anderem
13 dienten für pH, gelöste Gase (O2, CO2) und Subst- damit zu tun, dass zu deren Realisierung
rate wechselwirken mit den Produzentenzellen. Es eine äquilibrierte, aufeinander abgestimmte
bilden sich Zonen unterschiedlicher Zellaktivität aus, Verstärkung bzw. Abschwächung ausgewählter
was die Gesamtleistung des Reaktors oftmals negativ Zielgene notwendig ist. Je näher das theore-
beeinflusst. Systembiologische Studien versuchen, tische Maximum erreicht werden soll, umso
die Folgen dieser extrazellulären Einflüsse auf den mehr Zielgene müssen gleichzeitig betrachtet
intrazellulären Stoffwechsel zu spezifizieren und zu werden. Mehrere interagierende Stoffwech-
quantifizieren. Entsprechende Modelle umfassen die selwege müssen typischerweise einander
zuvor genannten Skalen der Komplexität und werden angepasst werden, was in einer systembiologi-
zusätzlich um die räumliche Inhomogenitäten der schen Fragestellung mündet.
zellulären Umgebung ergänzt. Sie verlangen daher 2. Eingriffe in die globale Regulation: Nicht
eine sehr komplexe Systembetrachtung und stehen selten ist es Ziel bei der Entwicklung und
auf der höchsten Skala der Systemkomplexität. Optimierung von Produktionssystemen, z. B.
Unter Berücksichtigung der Skaleneinteilung alternative Substrate oder die Verwendung
systembiologischer Modelle können daher eine weniger komplexer Substratquellen (und damit
Reihe von Aufgaben für die Systembiologie als die Vermeidung zur Bedürftigkeit spezieller
Bestandteil einer Bioprozessentwicklung formuliert Cosubstrate) anzustreben. Dieser Wechsel
werden (Anmerkung: Die nachfolgende Liste erhebt der Substratbedürftigkeit greift nicht nur
keinen Anspruch auf Vollständigkeit): unmittelbar in den Zentralstoffwechsel ein,
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
551 13
sondern ist auch oftmals an die anabole bzw. aber auch via Man in die Zelle gelangt, wird
katabole Reduktionskraft der Zellen und an das für Glucose spezifische PT-System bei
den Energiehaushalt gekoppelt. Aufgrund der extrazellulären Konzentrationen von 1 μM
globalen Bedeutung ist damit die Notwen- nur noch geringfügig genutzt, zugunsten des
digkeit für systembiologische Betrachtungen verstärkt exprimierten MglBAC-Importers,
gegeben. der die Glucose nun über LamB und OmpF
3. Optimierung multipler Zelleigenschaften: erhält. Fällt die extrazelluläre Glucose noch
Zur Verbesserung von Produktionsprozessen weiter auf unter 0,1 μM, geht damit nicht
kann es darüber hinaus interessant sein, die nur eine signifikante Reduktion der Wachs-
Zellhandhabung im technischen Prozess zu tumsrate einher, sondern auch eine veränderte
verbessern. Hierzu zählt beispielsweise die Expression der verwendeten Porine OmpC,
Erhöhung der Robustheit eines Prozesses, OmpF und LamB. Die Zuckeraufnahme ins
was z. B. als fehlende Sensitivität der zellu- Zytosol findet nun wiederum via PtsG und
lären Produktion gegenüber ungewollten, MglBAC statt. Dieses Beispiel verdeutlicht die
technisch bedingten Einflüssen auf einen Adaptationsfähigkeit der Zellen (hier E. coli)
Produktionsprozess verstanden werden kann. an sich ändernde, extrazelluläre Bedingungen.
Mögliche Ziele einer Stammentwicklung Inwieweit derartige Zelladaptationsvorgänge
könnten z. B. eine erhöhte Toleranz gegenüber auch in Scale-up-Prozessen eine Rolle spielen,
Schwankungen des pH-Wertes, der Tempe- ist bislang nur geringfügig untersucht. Die
ratur, der Sauerstoffverfügbarkeit, der Substrat- Anwendung systembiologischer Werkzeuge
verfügbarkeit etc. sein. Auch fallen Frage- kann helfen, die häufig bei Scale-up-Verfahren
stellungen zur Verringerung der zellulären beobachteten Leistungsverluste des Prozesses
Maintenance-Bedürfnisse in diese Kategorie [46] besser zu verstehen.
[52]. Aufgrund ihres globalen Charakters
für den Stoffwechsel sollte eine Realisierung
entsprechender Stammeigenschaften mit 13.3 Metabolische Ebene
systembiologischen Methoden erfolgen.
4. Zell-Prozess-Wechselwirkung: Produktions- Wie in . Abb. 13.3 dargestellt, beginnen systembiolo-
prozesse im technischen Maßstab werden gische Studien bereits auf der metabolischen Ebene –
oftmals in Volumina von 10 m3 bis 500 m3 und d. h. das Reaktionsnetzwerk der Zellen steht im Mit-
größer durchgeführt. Mischzeiten im Minuten- telpunkt der modellgetriebenen Untersuchungen.
bereich sind für diese Ansätze typisch. Zellen, Dabei werden Methoden zur Auswertung (pseudo-)
die in den großvolumigen Prozessen kultiviert stationärer oder dynamischer Prozesssituationen
werden, sind daher Gradienten an Gelöst- angewandt, die nachfolgend vorgestellt werden.
sauerstoff/-CO2, pH, Temperatur, Substrat-
verfügbarkeit etc. ausgesetzt. Aufgrund der in
den Reaktoren herrschenden Strömungsver- 13.3.1 Stöchiometrische
hältnisse erfahren die Zellen wiederkehrende, Stoffflussanalysen (metabolic
extrazelluläre Stimuli, die intrazellulär sowohl flux analysis, MFA)
metabolische als auch transkriptionelle
dynamische Veränderungen hervorrufen [12, Bereits Ende der 1970er-Jahre verfolgten Aiba und
41, 46, 53, 83]. Beispielhaft sei die Zuckerauf- Matsuoka [1] den Gedanken, den Kohlenstofffluss
nahme von E. coli in Abhängigkeit der extra- im Citronensäurezyklus von Candida lipolytica über
zellulären Glucosekonzentration genannt (z. B. die quantitative Analyse der Reaktionsstöchiomet-
[25]). Während unter Zuckerüberfluss-Be- rie von insgesamt 18 Reaktionsraten (Stoffflüssen)
dingungen (Konzentration: 1 M) der Großteil in Kombination mit sechs experimentell ermittelten
der Glucose über das verstärkt exprimierte Aufnahme- und Produktbildungsraten zu bestim-
Porin ompC und dann hauptsächlich via PtsG men. Es gelang z. B. durch Fixierung der Aktivität
552 R. Takors

des Glyoxylat-Weges das aufgestellte Reaktionsnetz- −1


v calc = −( Scalc
T
) ⋅ Smes
T ⋅v
werk eindeutig zu bestimmen und damit intrazel- mes  Gl. 13.5
luläre Reaktionsraten zu ermitteln, die anders nicht
zugänglich gewesen wären. Dieser Vektor beinhaltet alle intrazellulären Flüsse,
Diese Vorgehensweise charakterisiert im Wesent- die zusammen mit den gemessenen Aufnahme-
lichen das Kernstück der metabolischen Stofffluss- und Produktbildungsraten vmes die gesamte Fluss-
analyse (MFA). Sie zielt darauf ab, n intrazelluläre lage des betrachteten biologischen Systems eindeu-
Reaktionsraten, ausgedrückt im Vektor v, durch tig definieren.
Stoffbilanzierung der m intrazellulären Metabolite x Mathematisch ist Gl. 13.5 nur lösbar, wenn
quantitativ zu erfassen und darüber Rückschlüsse auf det ( Scalc
T
) ≠ 0, d. h. (Scalc
T
) nicht singulär und der
intrazelluläre Stoffflussverteilungen zu ermöglichen. Rang der Matrix voll ist. Übertragen auf das bioche-
Anfang der 1990er-Jahre wurde dieses Konzept durch mische Reaktionssystem bedeutet dies, dass keine
die stöchiometrische Analyse des Zentralstoffwechsels linear abhängigen Reaktionsgleichungen bei der
eines L-Lysin produzierenden Bakteriums ‒ Coryne- Formulierung von S berücksichtigt werden sollen.
bacterium glutamicum ‒ maßgeblich verfeinert und Linear abhängige Reaktionsgleichungen können
nachhaltig etabliert [94]. Wertvolle Übersichtsbeiträge jedoch bei der Berücksichtigung typischer Cofak-
zur MFA sind bei Bonarius et al. [10], Stephanopoulos tor-Paare, wie z. B. ATP/ADP, NAD+/NADH oder
et al. [88], Wiechert [105] und Sauer [75] zu finden. NADP+/NADPH, dadurch auftreten, dass deren
Ausgehend von der allgemeinen Stoffbilanz für Gesamtgehalt (z. B. NAD+ + NADH) als konstant
die intrazellulären Metabolite angenommen wird (conserved moieties) und die
Cofaktoren mit unterschiedlichen Vorzeichen an
dx den Reaktionen teilnehmen. Um dies zu vermeiden,
= rx − µ ⋅ x
dt  Gl. 13.1 kann z. B. immer nur ein entsprechender Reaktions-
partner berücksichtigt werden.
in der der Term μ · x deren Verdünnung aufgrund Der Freiheitsgrad F des Reaktionssystems aus
von Wachstum beschreibt und wegen seines gerin- Gl. 13.3 bezeichnet dessen Bestimmtheit:
gen Beitrags gegenüber den Nettoumsatzraten rx
oftmals vernachlässigt werden kann, kann Gl. 13.1 F = n−m  Gl. 13.6
unter Annahme eines Fließgleichgewichts (steady
13 state) vereinfacht werden zu: Ist F = 0, existieren genauso viele m linear unabhän-
gige Reaktionsgleichungen, wie n Flüsse (Reaktionsra-
dx ten) bestimmt werden sollen, d. h. das System ist ein-
= 0 = rx
dt  Gl. 13.2 deutig bestimmt. Für F > 0 (unterbestimmt) benötigt
das System zusätzliche Flussinformationen für eine
Unter Berücksichtigung der Reaktionsstöchiometrie eindeutige Bestimmung (siehe Beispiel von Aiba und
(ausgedrückt in Matrix S) folgt daraus: Matsuoka [1]); für F < 0 liegt eine Überstimmung vor,
d. h. zusätzliche Messinformation kann z. B. in einer
rx = S T ⋅ v = 0  Gl. 13.3 Redundanzmatrix zur Überprüfung der gemessenen
Flüsse oder zur Bestimmung von vcalc über eine Feh-
Dies ist die Grundgleichung der stöchiometrischen lerquadratminimierung herangezogen werden [88].
Stoffflussanalyse. Zerlegt man Gl. 13.3 in die Anteile, Reaktionsnetzwerke biologischer Systeme sind
die gemessen (Index mes) und die berechnet werden oftmals so komplex, dass nicht genügend Messinfor-
(Index calc), so folgt daraus: mation für eine eindeutige Bestimmbarkeit vorhan-
T ⋅v T den ist. Um dennoch eine Lösung für das Gleichungs-
Smes mes + Scalc ⋅ v calc = 0  Gl. 13.4 system zu erhalten, werden Methoden der linearen
Optimierung angewandt, die eine besondere Ausprä-
Gl. 13.4 kann eindeutig für den gewünschten Fluss- gung durch die flux balance analysis (FBA) erfuhren
vektor vcalc gelöst werden: [98]. Varma et al. [97] untersuchten beispielsweise
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
553 13
ein E. coli-Netzwerk mit 107 Metaboliten, die in 95 Polyhedron-Lösungsraumes (extreme pathways),
reversiblen (d. h. 190) Reaktionen auftraten. Dieses der durch zuvor definierte (biochemische) Grenzen
System hat 83 Freiheitsgrade, die nur durch wenige der reversiblen Flüsse vorgegeben wird [106]. Aus
Angaben zur Biomassesynthese und zu ATP-Ver- der Literatur sind einige Beispiele bekannt, in denen
bräuchen angereichert wurden. Ein vollständiger sich biologische Systeme diesen extremen Stofffluss-
Flussvektor vcalc konnte dennoch dadurch ermittelt lagen annähern [36]. Um sicherzustellen, dass die mit
werden, dass eine Zielfunktion (objective function) vcalc ermittelten Lösungen auch thermodynamisch
fobj zur optimierten Berechnung aller Flüsse vorge- möglich sind, kann zudem die Rahmenbedingung
geben wurde. Während es in dem zitierten Beispiel für die freie Gibbsʼsche Reaktionsenthalpie der Reak-
die Maximierung der Wachstumsrate war, können tion i (ΔGri < 0) bei der Lösungsfindung berücksich-
ebenso andere Funktionen wie beispielsweise die tigt werden [23, 32, 43].
Maximierung einer Produkt/Substrat-Ausbeute für Wie in Gl. 13.2 aufgeführt, werden die biologi-
die lineare Optimierung herangezogen werden. schen Systeme stöchiometrisch oft unter (pseudo-)
Allgemein sollte demnach ein Gewichtungsvek- stationären Bedingungen untersucht. D. h. Ände-
tor a definiert werden, der eine Linearkombination rungen der bilanzierten Metabolit-Pools finden
aller freien Flüsse darstellt und z. B. Flüsse in die Bio- nicht statt, die errechneten Reaktionsraten (Flüsse
massesynthese oder in die Produktbildung favori- v i) sind für den betrachteten Arbeitspunkt kons-
siert. Unter Beachtung von Gl. 13.3 wird dann ein tant. Reale Produktionsprozesse werden häufig im
Lösungsvektor vcalc ermittelt gemäß: fed-batch-Modus betrieben mit einer anfänglichen
Biomassebildung (. Abb. 13.4, 7 Abschn. I) und
min/ max(a ⋅ v calc) einer wachstumslimitierten Produktbildungsphase
STv=0  Gl. 13.7 (7 Abschn. III). Durch geeignete Wahl von Beobach-
tungszeiträumen lassen sich in diesen Phasen meist
Eine Lösung für das stöchiometrische Reaktions- repräsentative Zeitfenster finden, die den Bedin-
netzwerk S mit seinen Flüssen v wird demzufolge gungen der (pseudo-)Stationarität entsprechen. Die
durch Minimierung (oder auch Maximierung) zuvor beschriebenen Methoden zur intrazellulären
eines gewichteten Vekors a · vcalc erreicht. Dadurch Stoffflussanalyse können angewandt werden. Analog
werden je nach verwendetem Optimalitätskrite- gilt dies für die Untersuchung von kontinuierlichen
rium ‒ optimale Systemzustände beschrieben. Die Prozessen, die im steady-state betrieben werden.
resultierenden Systemlösungen vcalc befinden sich Darüber hinaus kann es aber auch von Interesse
an den Kanten bzw. Eckpunkten eines konvexen sein, den dynamischen Bereich II stoffflusstechnisch

. Abb. 13.4  Stöchiometrische Netzwerkanalyse für (pseudo-)stationäre bzw. dynamische Bedingungen. In der
anfänglichen batch-Wachstumsphase (I) eines fed-batch-Prozesses nimmt die Substratkonzentration cS exponenziell ab
und die Biomassekonzentration cX entsprechend zu, was zu pseudo-stationären Flussbedingungen für die Raten vS und
vX führt. Während der späteren Produktionsphase (III) sind rS und rX meist im Rahmen geeigneter Zeitfenster konstant. Die
Übergangsphase (II) ist dynamisch
554 R. Takors

zu untersuchen. Dazu wird die Stoffbilanz in der dass bakterielle Systeme auch unerwartete
Form Energieverbräuche (futile cycles) aufweisen,
die oftmals nicht in den stöchiometrischen
dn Ansätzen berücksichtigt sind.
= S ⋅v*
dt  Gl. 13.8 2. Die stöchiometrische Stoffflussanalyse kann
verzweigte Stoffwechselwege dann nicht
betrachtet. Wie in . Abb. 13.4 dargestellt, beruht auflösen, wenn keine Messinformation zu
die dynamische Stoffflussanalyse (DMFA) im Kern den einzelnen Stoffwechselwegen vorliegt.
auf einer linearen Interpolation der variablen Flüsse Ein Beispiel ist die Synthese von L-Lysin
v zu den Zeitpunkten 1 und 2. In der von Leighty in Corynebacterium glutamicum [87], bei
et al. [49] vorgestellten Methode, werden Stoffmen- der die Synthese der Aminosäure über zwei
genänderungen für den gesamten Bioreaktor bilan- parallele Reaktionswege erfolgen kann, die
ziert, was in entsprechenden volumetrischen Stoff- in einer gemeinsamen L-Lysin-Bildungsrate
flüssen v* mündet. Diese können retrospektiv auf die münden.
jeweilige Biomasse bezogen werden, um biomasse- 3. In Analogie dazu können Nettokreislaufflüsse
spezifische Stoffflüsse zu erhalten. in einem Reaktionszyklus nicht allein über die
Bestimmung der Ein- und Austrittsflüsse des
Zyklus ermittelt werden. Dies gilt in ähnlicher
13.3.2 Stoffflussanalysen auf der Basis Weise für bidirektionale Flüsse. Diese können
von Markierungsinformation über die stöchiometrische Stoffflussanalyse
maximal als Nettofluss identifiziert werden.
Die metabolische Stoffflussanalyse unter ausschließ- Eine Auflösung in Hin- und Rückreaktion
licher Verwendung stöchiometrischer Netzwerke ist erlaubt die Technik nicht.
ein wertvolles Werkzeug, um intrazelluläre Reak-
tionsraten in biologischen Systemen sichtbar zu Die Einschränkungen der stöchiometrischen Stoff-
machen. Allerdings ist dieser Ansatz hinsichtlich flussanalyse haben dazu geführt, dass zusätzliche
seiner Anwendbarkeit (ad 1.) und analytischer Auf- Messinformation verwendet wird, um zumindest
lösung (ad 2.‒3.) eingeschränkt: einen Teil der unter den oben genannten Punkten
1. Zur umfassenden Beschreibung der 1. bis 3. genannten Einschränkungen aufzuheben.
13 katabolen Stoffwechselregulationen ist auch Dazu werden stabile Isotope wie z. B. 13C eingesetzt,
die Bilanzierung von Energie (ATP) und wenngleich die Ursprünge der Markierungstechnik
Reduktionsäquivalenten (NADH, NADPH zur quantitativen Flussbestimmung auf 14C-Mar-
etc.) notwendig (siehe auch conserved moieties). kierung beruhen [9]. Ein häufiger Anwendungs-
Die Kopplung an den Energiehaushalt der fall ist dabei die Verwendung von 13C-markierter
Zelle geschieht oftmals durch Vorgabe von Glucose, die an verschiedenen Positionen inner-
P/O-Verhältnissen, d. h. durch Vorgabe der halb des C-6-Kohlenstoffgerüstes markiert sein
ATP-Bildung bei Sauerstoffverbrauch in der kann.1
Atmungskette. Zu beachten ist, dass die theore- Die generelle Vorgehensweise bei der Stofffluss-
tisch erzielbaren Maximalwerte von P/O = 3 analyse auf der Basis von 13C-Markierungsinforma-
(in einigen Eukaryoten) und P/O = 2 (häufig tion ist:
für Prokaryoten anzutreffen [63]) praktisch 55 Metabolisierung eines entsprechend
nicht erreicht werden. Auch unterliegen markierten Substrates (z. B. Glucose)
diese Verhältnisse der Wechselwirkung des durch die Zellen unter geeigneten
biologischen Systems mit den Kultivierungs- Kultivierungsbedingungen;
bedingungen, sodass die Vorgabe adäquater
P/O-Verhältnisse sensibel ist und daher sehr 1 Zu beachten ist, dass 13C mit einer natürlichen Verbrei-
sorgfältig erfolgen muss. Darüber hinaus haben tung von 1,13 % auch in „nicht“-markierten Substraten
Ergebnisse von z. B. Petersen et al. [68] gezeigt, vorkommt.
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
555 13
55 nachfolgende Analyse des Schicksals der gefunden. . Abb. 13.5 gibt einen Überblick über die
einzelnen 13C-Atome durch messtechnische prinzipielle Vorgehensweise bei der 13C-basierten
Markierungsanalyse von Stoffwechselinter- Stoffflussanalyse. Übersichtsartikel zu dieser Thema-
mediaten oder -produkten; tik sind z. B. von Stephanopoulos et al. [88], Szyperski
55 Simulation dieser Markierungsmuster durch [90], Christensen und Nielsen [19], Wiechert [105],
geeignete Stoffwechselmodelle. Sauer [75] und Tang et al. [92] erschienen.
Die Methode geht implizit davon aus, dass die
Wird im letzten Schritt eine Stoffflusslage so ermit- untersuchten Zellen keinen Unterschied in der Meta-
telt, dass die gemessenen Markierungsmuster aus- bolisierung des markierten zum unmarkierten Subs-
reichend genau simuliert werden, so ist der gesuchte trat „merken“, d. h. das Ergebnis der Stoffflussbe-
Vektor v calc der intrazellulären Stoffflussraten rechnung ist auch auf Nicht-Markierungszustände

. Abb. 13.5  Stoffflussbestimmung


EDWFK
in Markierungsexperimenten. 0DUNLHUXQJV
Unter Beachtung der IHGEDWFK DXIJDEH
Rahmenbedingung, dass sich das
&KHPRVWDW
biologische System metabolisch im
Fließgleichgewichtszustand befindet
(dx/dt = 0 = rx), was durch geeignete 3UREHQ
Kultivierungsbedingungen in batch-, QDKPH
fed-batch- oder kontinuierlichen (z. B.
Chemostat) Fermentationen erreicht
werden kann, wird die 13C-markierte
,QWUD]HOOXOlUH ([WUD]HOOXlUH
Kohlenstoffquelle verstoffwechselt
0DUNLHUXQJV )OXVV5DWHQ
und die resultierenden
EHVWLPPXQJ EHVWLPPXQJ
Markierungsmuster (siehe Text)
ermittelt. Zusammen mit den
zusätzlich gemessenen Aufnahme- 5HDNWLRQV
und Produktbildungsraten, VW|FKLRPHWULH
der Information über die
Reaktionsstöchiometrie, der
Markierungsweiterleitung und ,VRWRSRPHU
der ab initio-Schätzung von 0RGHO
Startflussverteilungen werden
intrazelluläre Stoffflüsse nachfolgend
so lange optimiert, bis eine gute DELQLWLR
Übereinstimmung zwischen den sich )OXVVYHUWHLOXQJ
so ergebenden Markierungsmustern
$QSDVVXQJXQ]XUHLFKHQG

und den Messwerten erhalten wird

6LPXODWLRQ
0DUNLHUXQJ

9HUJOHLFK
6WLPXODWLRQ0HVVXQJ

)OXVVYHUWHLOXQJ
556 R. Takors

übertragbar. Ferner gilt auch für die isotopenba- positionsspezifische Analyse der Markierung eines
sierte Stoffflussanalyse die Randbedingung der Kohlenstoffgerüstes, was erfolgreich erstmals für
Gl. 13.3, nach der sich die Zellen zumindest in einem Stoffflussanalysen durch Marx et al. [57] eingesetzt
(quasi) Fließgleichgewichtszustand (steady state) wurde. Eine verfeinerte Methode der NMR-Technik
befinden sollen. Dieser metabolisch (quasi-)statio- wurde durch die 13C-NMR-Analyse für Stoffflussbe-
näre Zustand (dx/dt = 0) wird z. B. in kontinuierli- rechnungen eingeführt. In Abhängigkeit von dem
chen Experimenten mit konstanter Wachstumsrate Markierungszustand benachbarter C-Atome gibt
erreicht, phasenweise in einer batch-Fermentation die 13C-NMR-Technik verschiedene Peaksignale, die
während des exponentiellen Wachstums (µ = µmax = eine detailliertere Auflösung der 13C-Markierungs-
konstant) oder auch in speziellen fed-batch-Fermen- muster erlauben [80]. Auch die Kombination beider
tationen, bei denen die Feedrate zeitlich so variabel Ansätze in der zweidimensionalen NMR-Analyse ist
eingestellt wird, dass die resultierende Wachstums- möglich [89].
rate konstant bleibt. Als eine Alternative zu den NMR-Technologien
Zur Beschreibung der markierten Stoffwech- entwickelten sich die heute sehr stark verbreiteten
selmetabolite wurde der Begriff Isotopomer ein- Ansätze zur Massenspektrometrie (MS). Anwen-
geführt [56]. Dieser Term ist eine Kombination dung finden hier Ansätze mit GC-MS [20], LC-MS
der Ausdrücke Isotop und Topomer und charak- [21] und auch MALDI-TOF-MS [108]. Bei Verwen-
terisiert einen der verschiedenen Markierungszu- dung von GC-MS-Methoden müssen die zu unter-
stände, in denen der jeweilige Metabolit auftreten suchenden Proben im Vorfeld chemisch derivati-
kann (. Abb. 13.6). siert werden, um die resultierenden, derivatisierten
Prinzipiell stehen mehrere unterschiedli- Fragmente nach GC-Trennung massenspektrome-
che Isotopomer-Analysentechniken zur Verfü- trisch erfassen zu können. Diese Vorbehandlung
gung, um die Markierungsinformation der Zellen kann bei LC-MS-Ansätzen entfallen. Generell sollte
messtechnisch zu erfassen. Ein Ansatz ist der 1H- beachtet werden, dass die Stoffflussanalyse bei MS-
oder Proton-NMR-Ansatz, in dem einfach proto- Daten auf Massenisotopomeren basiert, wogegen
nierte C-Atome untersucht werden. Die Kernreso- NMR-Signale positionsspezifische Informatio-
nanzspektroskopie(NMR)-Signale erlauben eine nen liefern (.  Abb. 13.6). Die Verwendung dieser

13

6SH]LHV 6SH]LHV 6SH]LHV P P P P

DOOHQ )UDFWLRQDOHQULFKPHQW + 3URWRQ 105 0DVVHQ,VRWRSRPHUH


,VRWRSRPHUH PLVVW&0DUNLHUXQJXQDEKlQJLJ
YRP1DFKEDU&$WRP

. Abb. 13.6  Isotopomere. Wird ein Kohlenstoffgerüst aus drei C-Atomen betrachtet, so können theoretisch 23
= 8 verschiedene Markierungszustände erreicht werden. Die NMR-basierte Analysentechnik erlaubt prinzipiell die
positionsspezifische Auflösung einzelner Markierungen, während massenspektrometrische Ansätze einzelne Massenfraktionen
zusammen betrachten
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
557 13
unterschiedlichen Peaksignale muss im Rahmen der Die Nachverfolgung des Markierungssignals
Simulation der Markierungsmuster entsprechend im stöchiometrischen Netzwerk führt sehr schnell
angepasst werden. zu komplexen, oftmals nicht linearen Isotopomer-
Die Anfänge der 13C-basierten Stoffflussanaly- Bilanzgleichungen, die für längerkettige Kohlen-
sen fokussierten auf die Auswertung der Markie- stoffgerüste in ihrer Komplexität überproportional
rungsinformation in den proteinogenen Amino- ansteigen. Eine analytische Möglichkeit zur effizi-
säuren der Biomasse. Das heißt die Zellen mussten enten Lösung dieser Matrixgleichungen wurde von
so lange in einem metabolisch stationären Zustand Wiechert et al. [107] vorgeschlagen. Eine alternative
gehalten werden (gemäß Gl. 13.3), wie es dauerte, um Vorgehensweise zur Vereinfachung des Rechenauf-
die Zusammensetzung der Biomasse markierungs- wands bei der Auswertung großer Kohlenstoffske-
technisch in einen stationären Zustand zu verset- lette wurde in Form der EMU(elementary metabo-
zen. Dies führt zu verhältnismäßig langen Markie- lite units)-Netzwerkzerlegung von Antoniewicz et al.
rungszeiträumen über mehrere Generationszeiten [2] verfolgt.
hinweg. Um den Markierungszeitraum zu verkür- Festzuhalten ist, dass die 13C-basierte Stofffluss-
zen, verwenden heutige Arbeiten meist die Mar- analyse inhaltlich auf der rein stöchiometrischen
kierungsinformation von Intermediaten des Stoff- Stoffflussanalyse aufbaut, jedoch einige Limitie-
wechsels. Deren intrazelluläre Pools haben weitaus rung (wie z. B. ein festzulegendes P/O-Verhältnis)
schnellere Austauschraten (turn over-Raten), was aufhebt. Darüber hinaus kann dieser Ansatz auch die
dazu führt, dass sich eine Markierungsinforma- unter den oben genannten Punkten 2 und 3 genann-
tion wesentlich schneller im Stoffwechsel äquilib- ten Flussszenarien teilweise analysieren. Durch die
riert verteilt. In bakteriellen Systemen können so Fokussierung auf die Auswertung metabolisch sta-
stationäre Markierungszustände im Minuten- bis tionärer, aber markierungstechnisch instationärer
maximal Stundenbereich erzielt werden. Aktu- Zustände konnte die notwendige Markierungszeit
elle Arbeiten von Nöh et al. [64] und Schaub et al. entsprechender Experimente drastisch reduziert
[77] gehen noch einen Schritt weiter, indem zwar werden, was die prinzipielle Anwendbarkeit dieser
die Bedingung der metabolischen Stationarität für Methode für prozesstechnisch relevante fed-batch-
die Stoffflussanalyse nach wie vor aufrechterhalten Bedingungen erlaubt [3].
bleibt, jedoch die zeitlich transiente Markierungs- Prinzipiell können die erhaltenen Stofffluss-
anreicherung in den untersuchten Metaboliten des karten verwendet werden, um den metabolischen
Stoffwechsels genutzt wird, um entsprechende Stoff- Zustand von Zellen unter verschiedenen Prozess-
flussverteilungen für diesen beobachteten Zeitraum bedingungen vergleichend zu bewerten oder um
zu berechnen. Die Technologie reduziert die not- verschiedene Zellen unter ähnlichen Prozessbe-
wendige Markierungszeit in bakteriellen Systemen dingungen zu vergleichen. Dies lässt Rückschlüsse
bis auf wenige Minuten. auf z. B. Maßnahmen für eine weitere Stamm- und/
Wie dargestellt, basiert die 13C-Stoffflussanalyse oder Prozessverbesserung zu. Darüber hinaus
auf der detaillierten Analyse von Markierungsmustern sollte beachtet werden, dass die Stoffflussana-
in Zellproben, die durch geeignete Stoffflussmodelle lyse prinzipiell eine quantitative Bestimmung der
in einem retrospektiven Analyseschritt analog simu- Interaktion von Genen, Proteinen und Metaboli-
liert werden müssen. Neben der Kenntnis der Reak- ten erlaubt und damit auch für fundamentale sys-
tionsstöchiometrie ist für die erfolgreiche Simulation tembiologische Fragestellungen eingesetzt werden
der Markierungsanteile die Verfolgung einzelner mar- kann [75]. Die Methode eignet sich daher eben-
kierter C-Atome im Reaktionsnetzwerk unumgäng- falls für die Auswertung von high-throughput-
lich. Dies geschah erstmalig durch die Einführung von Parallelansätzen, auf der Basis relativer Flussän-
atom mapping matrices (AMM) [112] bzw. nachfol- derungen. Beispielsweise verdeutlichten Blank
gend durch das Konzept der isotopomer mapping Mat- et al. [8] in einer großskaligen 13C-Flussanalyse
rizen (IMM) [79]. Dadurch wurden stöchiometrische (741 Reaktionen) die Robustheit von Saccharo-
Reaktionsgleichungen mit der Weiterleitung des Mar- myces cerevisiae durch entsprechende Studien an
kierungssignals in Matrizenform verbunden. Knock-out-Mutanten.
558 R. Takors

13.3.3 Metabolic Engineering Burgard et al. [13] entwickelte OptKnock-Algorith-


Strategien aufgrund stationärer mus war vermutlich der erste dieser Art. Er koppelt
Systemanalysen die Maximierung eines Zielflusses (z. B. die Produkt-
synthese) an das Wachstum der Zellen und die Auf-
Die Methoden der Stoffflussanalyse zielen darauf ab, rechterhaltung deren Maintenance-Bedürfnisse. In
intrazelluläre Reaktionsraten zu ermitteln, die ander- einem verschachtelten Optimierungsverfahren wird
weitig nicht zugängig sind. Damit wird ein Fenster so eine Gruppe von 2-3 knock-out-Genen identifi-
nicht nur zur Bewertung existierender Stämme und ziert, die für die Überproduktion eines Metaboliten
Prozesse sondern auch zu deren Neuentwicklung charakteristisch sind. In OptStrain [69] wurde der
aufgestoßen. Suchraum für die Identifizierung optimaler Mutan-
Einhergehend mit der stetig wachsenden Zahl tenstämme durch Hinzunahme einer metagenomi-
bekannter Genomsequenzen nimmt auch die Kom- schen Datenbank stark erweitert. Da die somit for-
plexität stöchiometrischer Modelle für die Stoff- mulierten Optimierungsprobleme immer komplexer
flussanalyse zu. Genomskalige Stoffwechselmodelle wurden, hat man nachfolgend effiziente Optimie-
bestehen typischerweise aus 500–1000 Reaktions- rungsverfahren implementiert (OptGene) [67].
gleichungen. Es ist leicht einzusehen, dass deren Neben der alleinigen Vorhersage von Gendele-
Freiheitsgrad F ≫ 0 ist, d. h., das Modellierungs- tionen wurden ebenfalls Algorithmen zur kombi-
problem ist stark unterbestimmt. Daher kommt den nierten Prädiktion von Gendeletionen und -überex-
entsprechenden Bestimmungsmethoden für unter- pressionen entwickelt. Diese gehen in der Regel von
bestimmte Systeme in der Praxis eine hohe Bedeu- einer Proportionalität zwischen Genverstärkung und
tung zu. Flusserhöhung aus. Beispielsweise ist dies in OptReg
Das von Segré et al. [84] vorgestellte MOMA- [70] realisiert. Einen etwas anderen Ansatz verfolg-
Prinzip (minimization of metabolic adjustement) ten Bordel und Nielsen [11]. Deren Algorithmus
richtet sich insbesondere an die Vorhersage von basiert auf der Identifizierung von Stoffflusslagen
Stoffflussverteilungen in Gen-knock-out Stämmen. mit maximierter Entropieproduktion. Die zugrunde
Der MOMA-Algorithmus versucht die sich durch liegenden Netzwerke dienen als ‚Blaupause‘ für die
die Gendeletionen ergebenden Stoffflussände- Realisierung von Gendeletionen bzw. notwendigen
rungen gegenüber einem nicht-deletierten Refe- Verstärkungen.
renzsystem zu minimieren. Im Gegensatz zu einer Eine weitere Möglichkeit, die stöchiometrischen
13 Flussprädiktion laut FBA befindet sich das Opti- Reaktionsnetzwerke auszuwerten, stellt die Bestim-
mierungsergebnis damit nicht auf einer Ecke des mung von Elementarmoden dar. Aufgrund ihrer
Nullraums, sondern in der Entfernung des kleins- Definition als kleinste, nicht mehr zerlegbare Reak-
ten euklidischen Abstands zum Optimum des Refe- tionssysteme repräsentieren sie ebenfalls kleinste
renzsystems. Dahinter verbirgt sich die Annahme, funktionale Grundeinheiten des biologischen
dass das Ausschalten einzelner Gene nicht gleich- Systems [82]. Reale Stoffflusslagen können somit als
bedeutend ist mit der Elimination dazugehöriger, Überlagerung einzelner Elementarmoden interpre-
übergeordneter Regulationsmechanismen. Es gibt tiert werden, was im Fall der Optimierung eines Pro-
daher noch eine ‚Erinnerung‘ an den alten System- duktionsstamms der optimierten Verwendung ent-
zustand. MOMA hat seine Qualität zur Prädiktion sprechender Elementarmoden gleichkommt.
von ‚kurzfristigen‘ Stoffflussverteilungen in knock-
out-Stämmen gezeigt. Langfristige Stoffflussvorher-
sagen werden allerdings besser durch FBA-Ansätze 13.3.4 Metabolische Kontrollanalyse
realisiert. Ein alternatives Distanzmaß zur Bewer- (metabolic control analysis,
tung des Abstands zwischen Stoffflussverteilungen MCA)
des Referenzsystems und der knock-out Mutante
wurde durch Shlomi et al. [86] vorgestellt (ROOM). Die metabolische Kontrollanalyse ist ein wichti-
Stöchiometrische Netzwerkmodelle können ges Werkzeug des Metabolic Engineering. Sie zielt
auch dazu verwendet werden, neue Konstruktionen darauf ab, die metabolische Kontrolle in Stoffwech-
für Produzentenstämme vorzuschlagen. Der von selwegen quantitativ zu erfassen. Dadurch können
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
559 13
enzymatische Reaktionsschritte (bzw. codierende Enzymmenge und der resultierenden Reaktionsrate
Gene) identifiziert werden, die für eine weiterfüh- und der vollständigen Bilanzierung des betrachte-
rende Stammverbesserung besonders Erfolg ver- ten Reaktionssystems ohne Vernachlässigung z. B.
sprechend sind. Ein quantitatives metabolisches von Substratquellen oder Produktsenken. Fell [24],
Kontrollmodell ermöglicht somit die gezielte Iden- Nielsen et al. [63], Stephanopoulos et al. [88] sowie
tifizierung von Kandidaten zur Genüberexpression Visser und Heijnen [100] bieten einen Überblick
bzw. -abschwächung, um den gewünschten Kohlen- über die Grundzüge der MCA.
stofffluss in ein Stoffwechselprodukt zu erhöhen. Im Wesentlichen verwendet die MCA globale
Die Wurzeln der heutigen metabolischen Kon- und lokale Parameter. Zur ersten Gruppe zählen die
trollanalyse gehen auf die unabhängig von Kacser Kontroll- (C) und die Antwort-Koeffizienten (R)
und Burns [39] bzw. Heinrich und Rapoport [31] (control und response coefficients), die die System-
entwickelten Ansätze zurück, die 1985 eine Verein- antwort als Folge der oben aufgeführten Perturba-
heitlichung fanden [14]. Die Ansätze zielen darauf tionen beschreiben. Die lokal definierten Elastizitä-
ab, die sich ergebenden Veränderungen eines Fließ- ten ε fokussieren auf einzelne Reaktionsschritte.
gleichgewichtzustands (= Referenzzustand 0) für Die . Tab. 13.1 gibt eine Übersicht über die übli-
intrazelluläre (Kohlenstoff-)Flüsse und Metabolit- cherweise definierten Kontrollgrößen. Hierin bedeu-
konzentrationen als Folge ausgewählter Anregungen ten xk(k = 1, 2, …, m) die m unabhängigen intra-
(z. B. durch Erhöhung der aktiven Enzymmenge, zellulären Metabolite eines Stoffwechsels, cl(l = 1, 2,
Veränderung von Reaktionsparametern oder äußerer …, r) die r unabhängigen extrazellulären Metabolite
Stimuli) zu beschreiben. Dabei wurde zunächst der und ei(i = 1, 2, …, n) die n (aktiven) Enzyme mit den
Fall infinitesimal kleiner Perturbationen betrachtet, dazugehörigen Reaktionsraten v i. Jbeschreibt den
um die Gültigkeit der nachfolgend durchgeführten Stofffluss durch einen linearen Stoffwechselweg, der
Linearisierung der nicht-linearen Systemantwort im Fließgleichgewicht einer individuellen Reaktions-
zu rechtfertigen. Zusätzlich geht die MCA noch rate eines Enzyms in diesem linearen Weg entspricht.
von weiteren Annahmen aus, wie beispielsweise der Das Suffix 0 gibt den Bezug zum Referenzzustand an.
Proportionalität zwischen der Erhöhung der aktiven (Die Nomenklatur lehnt sich an Wu et al. [111] an.)

. Tab. 13.1  Übersicht über typische Kontrollgrößen. Zur Definition der Parameterbezeichnung siehe Text

Lokale Größen Globale Größen

0 0
xk0  ∂vi  e 0j  ∂J   ∂ ln J 0
εikx0 =   C Jj 0 =   =  
J 0  ∂xk  J 0  ∂e j   ∂ ln ei 

Elastizität für xk
Fluss-Kontrollkoeffizient

0 0 0
e 0j  ∂vi  e 0j  ∂xk   ∂ ln xk 
εije0 = ⋅   Ckjx0 = ⋅   =  
   
J  ∂e j 
0 xk  ∂e j   ∂e j 
0

Elastizität für ej Metabolit-Kontrollkoeffizient

0 0 0
cl0  ∂vi  c 0j  ∂J   ∂ ln J 
εilc0 = ⋅   R Jj 0 = ⋅   =
 
J 0  ∂cl  
J 0  ∂c j   ∂ ln c j 
Elastizität für cl Fluss-Antwortkoeffizient

0 0
cl0  ∂xk   ∂ ln xk 
Rklx0 = ⋅   =  
 
xk  ∂cl   ∂ ln cl 
0 

Metabolit-Antwortkoeffizient
560 R. Takors

Die in . Tab. 13.1 aufgeführten Kontrollgrößen Enzymmenge abhängig. Werden alle Enzyme um den
sind durch den jeweiligen Bezug zum Referenzzu- gleichen Faktor α = dej/ej erhöht, dann erhöht sich
stand 0 dimensionslos. Die Kontrollkoeffizienten damit proportional die Rate aller Enzymreaktionen
beschreiben, wie eine infinitesimal kleine Ände- und damit der gesamte Kohlenstofffluss dieses Weges
rung der Enzymkonzentration eine Veränderung des um den gleichen Anteil α = dJ/J. Die Konzentrationen
Stoffflusses J oder der intrazellulären Metabolitkon- der Metabolite bleiben dabei konstant. Die gesamte
zentration x hervorruft. Die Antwortkoeffizienten Änderung des Kohlenstoffflusses dJ ergibt sich aus
korrelieren die Veränderung von externen Parame- der individuellen Änderung der Teilreaktionen i
tern wie z. B. die extrazelluläre Metabolitkonzentra-
tion c mit der Antwort der internen Größen J bzw. x.
1  dJ 
n
dJ
Grafisch können diese Kontrollgrößen als Tan- = ∑   dei  Gl. 13.9
genten – d. h. Linearisierung ‒ der üblicherweise J J  de 
i =1  i  e j j =1,…, n und j ≠i
nicht linearen Funktionen des Kohlenstoffflusses und
der Metabolitkonzentration von der Enzymkonzen- Unter Berücksichtigung der in . Tab. 13.1 angege-
tration e am Referenzzustand 0 interpretiert werden benen Definition für den Fluss-Kontrollkoeffizien-
(. Abb. 13.7). ten C folgt daraus
Zusätzlich zu diesen Kontrollgrößen umfasst die
metabolische Kontrollanalyse auch einige wesentli- dJ
n  de 
= ∑ CiJ  i   Gl. 13.10
che Theoreme (zur mathematischen Herleitung siehe J  ei 
i=1
z. B. [71]).
Kacser und Burns [39] waren die Ersten, die was unter Berücksichtigung von α = dej/ej und α =
das Summationstheorem für Fluss-Kontrollkoeffi- dJ/J zum Summationstheorem führt:
zienten formulierten. Anschaulich lässt sich dieses
n
wie folgt erklären: In einem linearen Stoffwechsel-
weg seien die einzelnen enzymatischen Reaktions-
∑ CiJ = 1  Gl. 13.11
i =1
geschwindigkeiten proportional von der jeweiligen
Das Theorem besagt, dass die Flusskontrolle eines
linearen Stoffwechselweges auf die einzelnen Reak-
tionsschritte verteilt ist. Es gibt demnach nicht einen
13 - einzelnen „reaktionslimitierenden Schritt“, sondern
mehrere Reaktionen, die mehr oder weniger stark
den Fluss kontrollieren. Nur in dem theoretischen
- Fall, dass ein Fluss-Kontrollkoeffizient 1 und der
Rest 0 wäre, hätte dieser die hundertprozentige Stoff-
flusskontrolle. Experimentelle Belege dafür wurden
0

∂-, jedoch nicht beobachtet [24]. Anzumerken ist eben-

HM
-


6WHLJXQJ&LM  
∂HM falls, dass Fluss-Kontrollkoeffizienten negativ werden
-L

können. Dieser Fall tritt beispielsweise bei verzweig-
ten Stoffwechselwegen auf, wenn sich die Aktivitäts-
erhöhung eines Enzyms negativ auf den Fluss durch
den abzweigenden Weg auswirkt.
H H
In Analogie zum Summationstheorem des Stoff-
flusses kann ein entsprechendes Theorem für Kon-
zentrations-Kontrollkoeffizienten hergeleitet werden:
. Abb. 13.7  Fluss-Kontrollkoeffizient. Die Definition des
Fluss-Kontrollkoeffizienten entspricht einer Linearisierung m
der üblicherweise nicht linearen Funktion des Flusses
J in Abhängigkeit von der Enzymkonzentration e am
∑ Cix = 0  Gl. 13.12
i =1
Referenzpunkt 0
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
561 13
Diese Formulierung beinhaltet, dass zumindest
einer der Metabolite des linearen Stoffwechselweges ˢ ˢ
eine negative Konzentrationskontrolle ausübt. Das
&- &-
heißt, dessen Konzentration verringert sich, wenn ; ; ;
die Enzymaktivität erhöht wird. Y Y
Die Elastizitäten ε beschreiben den Einfluss
von Metabolitkonzentrationen oder (aktiven) . Abb. 13.8  Beispiel eines linearen Stoffwechselweges
Enzymmengen auf eine einzelne Nettoreaktions- mit den Elastizitäten für den Metaboliten X2 sowie Fluss-
rate. εikx0 < 0 bedeutet beispielsweise, dass die Erhö- Kontrollkoeffizienten der zu- und abführenden Reaktion
hung der Metabolitkonzentration xk aus dem Refe-
renzzustand 0 die Nettoreaktionsrate vi verringert.
Dies kann z. B. bei einer reversiblen Michaelis-Men- Das relative Verhältnis zweier aufeinanderfolgender
ten-Reaktion bei Erhöhung der Produktkonzentra- Fluss-Kontrollkoeffizienten wird demnach durch
tion der Fall sein. die Elastizitäten des Produktes und des Substrates
Für den Fall einer einfachen Michaelis-Menten- (und damit durch die kinetischen Eigenschaften der
Kinetik mit v = v max · xS/(xS + KM) errechnet sich beteiligten enzymatischen Reaktionen) bestimmt.
die Elastizität zu Offensichtlich treten hohe Flusskontrollen zusam-
men mit geringen Elastizitäten auf. Umgekehrt sind
xS ∂v KM  Gl. 13.13 hohe Elastizitäten bei Reaktionen mit geringer Fluss-
εx = ⋅ =
v ∂xS ( xS + K M ) kontrolle anzutreffen. Letzteres gilt beispielsweise für
enzymatische Reaktionen, die nahe am thermodyna-
Das heißt für Konzentrationen x S ≪ K M ist das mischen Gleichgewicht arbeiten.
System mit dem Grenzwert der Elastizität von 1 In der Regel sind die betrachteten Reaktionssys-
relativ sensibel für Änderungen in der Substrat- teme so komplex, dass eine Formulierung der oben
konzentration. Für Werte xS ≫ KM dagegen sind die angegebenen MCA-Theoreme in Matrix-Notation
resultierenden Elastizitäten deutlich kleiner als 1, was notwendig wird. Daher werden die entsprechen-
die geringe Sensitivität gegenüber Konzentrationsän- den Vektoren x (intrazelluläre Metabolite), c (extra-
derungen in diesen Bereichen dokumentiert. zelluläre Metabolite), v (intrazelluläre Flüsse) und
Das Konnektivitätstheorem (connectivity theorem) e (aktive Enzymmengen) eingeführt. Die Kontroll-
verbindet Elastizitäten mit Fluss-Kontrollkoeffizienten. koeffizienten und Elastizitäten werden in Matrizen-
n form C und E angegeben. I bezeichnet die Einheits-
∑ CiJ ⋅ ε xji = 0  Gl. 13.14 matrix. Deren Verwendung führt zur Formulierung
der Theoreme wie folgt:
i =1

Es beschreibt damit, wie enzymkinetische Eigen- C J0 ⋅ I = 1 Flusskontrolltheorem  Gl. 13.16


schaften (ausgedrückt in den Elastizitäten) den Fluss
kontrollieren. Durch die Verknüpfung von Elastizi- 
C X0 ⋅ I = 0 Konnektivitatstheorem  Gl. 13.17
täten mit Fluss-Kontrollkoeffizienten besitzt es eine
besondere Bedeutung bei der Identifizierung dieser Wie in Visser und Heijnen [100] gezeigt, können
Größen aus experimentellen Daten. unter Berücksichtigung der Reaktionsstöchiome-
Wird beispielsweise das einfache Reaktionssys- trie in Matrix S und der Theoreme Gl. 13.16 und
tem der . Abb. 13.8 betrachtet, so kann das Konnek- 13.17 die Kontrollkoeffizienten wie folgt bestimmt
tivitätstheorem wie folgt formuliert werden: werden:

CJ ε C J0 = E x0 ⋅ C X0 + I  Gl. 13.18
C1J ⋅ ε11 + C2J ⋅ ε12 = 0 ⇒ 1J = − 12
C2 ε11 −1
C x0 = −( S  J o  E X0 ) ⋅ S  J 0   Gl. 13.19
 Gl. 13.15
562 R. Takors

Die MCA-Anwendung zur Systemanalyse auf expe- unmittelbaren Interpretation der identifizierten
rimenteller Datenbasis war Gegenstand vielseitiger Parameter im Kontext der angenommenen Reak-
Studien (z. B. [24]). Allerdings zeigte sich, dass die tionsmechanismen. Andererseits lassen die großen
Bedingung einer „infinitesimal“ geringen Pertur- Unterschiede zwischen den in vitro-Bedingungen
bation experimentell nur schwer umsetzbar ist. So enzymkinetischer Studien und den realen in vivo-
sollten intrazelluläre Änderungen der Metabolit- Bedingungen in Zellen Zweifel daran aufkommen,
oder Enzymkonzentration nur moderat sein, um inwieweit in vitro-Enzymkinetiken zur in vivo-
der Theorie-immanenten Homöostase-Bedingung Modellierung herangezogen werden können [54,
Rechnung zu tragen. Unerwünschte Sekundäref- 99, 110]. Auch ist die Identifizierbarkeit enzymki-
fekte wie z. B. unspezifische Enzymreaktionen oder netischer Parameter anhand experimenteller Daten
enzyme crowding sollen vermieden werden. Darüber oftmals eingeschränkt.
hinaus ist es notwendig, das betrachtete biologische Die von Hatzimanikatis et al. [29, 30] und Hatzi-
System im (angeregten) Fließgleichgewichtszustand manikatis und Bailey [28] vorgestellten Ansätze wie
zu untersuchen, was oftmals die mehrfache Verände- auch die von Visser und Heijnen [101] vorgestell-
rung von Genexpressionen bzw. Enzymmengen zur ten lin-log-Kinetiken repräsentieren eine Alternative
erfolgreichen Realisierung eines stabilen steady state- zu den zuvor genannten Modellansätzen. Sie zielen
Referenzzustands notwendig macht. Demgegen- darauf ab, mit vergleichsweise wenig Parametern die
über steht die Tatsache, dass gerade die quantitative Dynamik eines metabolischen Reaktionssystems
Analyse einer (starken) dynamischen Systemantwort hinreichend genau zu beschreiben. Der Ansatz ist
ein wertvoller Baustein für ein quantitativ-mecha- motiviert durch grundlegende Arbeiten zur Nicht-
nistisches Systemverständnis darstellt. Diese dyna- Gleichgewichtsthermodynamik [65], die in der Fol-
mische Systemanalyse widerspricht jedoch offen- gezeit von anderen Autoren aufgegriffen und für
sichtlich dem ursprünglichen MCA-Gedanken, der biochemische Reaktionen untersucht wurden [62,
durch die Gültigkeitsbedingung der oben angegebe- 73, 96, 104]. So haben beispielsweise van der Meer
nen Linearisierung geprägt ist. et al. [96] gezeigt, dass durch Einführung der Affi-
Eine alternative Vorgehensweise ist daher die nität als Differenz der chemischen Potenziale von
Anwendung der MCA-Werkzeuge (Elastizitäten, Produkt und Substrat einer reversiblen Michaelis-
Kontrollgrößen und Theoreme) auf der Basis nicht- Menten-Funktion, diese innerhalb 75 % der mög-
linearer Modelle. Vorausgesetzt, dass deren Para- lichen Reaktionsraten mit einer Abweichung unter
13 meter durch repräsentative Studien (z. B. in vivo- 15 % des „originalen“ Verlaufs approximiert werden
Analysen) für das betrachtete biologische System kann. Eine Reaktion des Typs
ausreichend identifiziert wurden, können die resul-
tierenden Modellaussagen mit den zuvor genannten 2⋅ X S ↔ X P  Gl. 13.21
MCA-Werkzeugen untersucht werden. Eine Mög-
lichkeit der Systembeschreibung sind die in 7 Kap. 3 würde demnach unter Verwendung der freien
aufgeführten mechanistischen Enzymkinetiken. Gibbs’schen Reaktionsenthalpie Gl. 13.22 mit der
Diese besitzen typischerweise die Form Affinität A zu

v = vmax⋅ f (x, e, c )  Gl. 13.20 A = ∆GR0 + 2 ⋅ R ⋅ T ⋅ ln( xS) − R ⋅ T ⋅ ln( xP)  Gl. 13.22

Das heißt die enzymkatalysierte Reaktion hängt beschrieben werden. Aufgrund der Annahme,
von intrazellulären Metabolitkonzentrationen x, der dass die resultierende Reaktionsrate v proportio-
Enzymmenge e sowie Effektoren c ab. Alternative nal zur (aktiven) Enzymenge e und der Affinität
Modellierungsansätze sind beispielsweise die S-Sys- A ist, können somit Reaktionsraten als Funktion
teme [74] oder die convenience-Kinetiken [51]. dieser Größen formuliert werden. Um einen grö-
Die Verwendung mechanistischer Enzymki- ßeren Freiheitsgrad in der Beschreibung bioche-
netiken zur Beschreibung metabolischer Reak- mischer Reaktionen zuzulassen, heben Visser und
tionen eröffnet prinzipiell die Möglichkeit zur Heijnen [101] die Restriktion zur Verwendung der
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
563 13
stöchiometrischen Koeffizienten zur Formulierung oder Hemmung von Enzymreaktionen abzubilden.
der Affinität auf. Der steady state-Fluss J°Für die Beispiele sind die Reaktionskinetik 1. Ordnung einer
Reaktion (13.21) wird somit beschrieben als Michaelis-Menten Reaktion für Konzentrationen im
Affinitätsbereich des Substrates oder feedback-In-
J 0 = e 0 ⋅ (a + b ⋅ ln xS0 + c ⋅ ln xP0 )  Gl. 13.23 hibierungen. Letztere treten häufig in Aminosäure-
Biosynthesewegen auf und wirken als Produkthem-
Unter Verwendung der Definition der Elastizitäten mung auf ein Eingangsenzym der Biosynthese.
(. Tab. 13.1) wird daraus Metabolische Regulationsmechanismen sind
entsprechend der Reaktionsdynamik sehr schnell.
e  x x  Antworten auf extrazelluläre Stimulationen werden
= 0 ⋅ 1 + εS0 ⋅ ln S0 + εS0 ⋅ ln P0   Gl. 13.24
v
J 0 e  xS xP  innerhalb weniger Sekunden in den Zellen sichtbar
[53]. Sie können daher als Bestandteil der taktischen
oder in allgemeiner Schreibweise: Stoffwechselregulation betrachtet werden.
Darüber hinaus besitzt die Zelle aber auch Mög-
v e x c lichkeiten, sich langfristig z. B. auf nutritive Man-
= (1 + Ex0 ⋅ ln 0 + Ec0 ⋅ ln 0 )  Gl. 13.25
J 0 e0 x c gelsituationen einzustellen. Die damit verbundenen
Mechanismen sind Bestandteil der strategischen
Darin sind v und J° Vektoren der Größe n zur Regulation. Diesbezügliche Wechselwirkungen
Beschreibung der Nettoreaktionsraten bzw. der Refe- spielen sich auf der transkriptionalen oder auch post-
renzflüsse, e/e° kennzeichnet eine Diagonalmatrix translationalen Ebene ab. Unter Berücksichtigung
der relativen Enzymgehalte, E x0 und Ec0 reprä- der Tatsache, dass mRNA-Halbwertszeiten meist nur
sentieren die nxmx,c Elastizitätsmatrizen für die mx wenige Minuten betragen, kann davon ausgegangen
Metabolitkonzentrationen und mc Effektoren und werden, dass entsprechende Regulationsmechanis-
ln(x/x°) bzw. ln(c/c°) sind die entsprechenden Vek- men ebenfalls im Minuten- bis Stunden-Zeitfenster
toren der Metabolite bzw. Effektoren. aktiv werden. Die schnellsten strategischen Regula-
Unter Verwendung dieses Modellierungsansat- tionsantworten liegen damit in der gleichen Größen-
zes ist es somit möglich, dynamische experimentelle ordnung wie z. B. Mischzeiten in großvolumigen Bio-
Daten für die Identifizierung eines entsprechen- reaktoren (siehe 7 Abschn. 13.6).
den Modells zu nutzen, welches implizit wichtige Eine Möglichkeit zur verknüpften Analyse zwi-
Größen der MCA enthält – namentlich die Elast- schen metabolischer und transkriptionaler Regu-
izitäten. Diese können via Gl. 13.18 und 13.19 zur lation stellt die transkriptionale Flussbilanzanalyse
Bestimmung von Kontrollkoeffizienten herangezo- (tFBA) von van Berlo et al. [95] dar. Die tFBA geht
gen werden. Damit lassen sich wichtige Kontrollme- von der Grundannahme aus, dass intrazelluläre
chanismen auf der Basis von dynamischen Experi- Stoffflussveränderungen proportional in den Tran-
menten bestimmen. skriptionsniveaus der beteiligten Enzym-kodieren-
den Gene sichtbar sein sollten. Dies impliziert, dass
post-translationale Regulationen inklusive Protein-
13.4 Zelluläre Regulation aktivierungen bzw. -inaktivierungen genauso von
untergeordneter Bedeutung sind, wie Veränderun-
Die in 7 Abschn. 13.3 vorgestellten Ansätze fokus- gen der intrazellulären Poolgrößen, die metabolische
sieren auf die systembiologische Analyse der zellu- Regulationen auslösen könnten. Die tFBA übersetzt
lären metabolischen Ebene. Im Vordergrund stehen somit unterschiedliche Transkriptionsniveaus in
(pseudo-)stationäre stöchiometrische Netzwerke, die Unter- und Obergrenzen der entsprechenden Stoff-
keinerlei Information über intrazelluläre Poolgrößen flüsse. Im mathematischen Sinn wird dadurch der
berücksichtigen. Diese fließt erst bei entsprechen- Lösungsraum für die tFBA verkleinert.
den dynamischen Betrachtungen (siehe z. B. linlog- Darüber hinaus bestehen natürlich vielfach Mög-
Gleichung) mit ein. Dadurch ist es möglich meta- lichkeiten, die heterogenen Datensätze systembio-
bolische Regulation wie beispielsweise Aktivierung logischer Experimente miteinander zu vergleichen,
564 R. Takors

um zugrundeliegende Regulationsmechanismen zu Durchflusszytometrie (in Kombination mit Zellsor-


identifizieren. So können beispielsweise Werkzeuge tierungstechniken). So wurde beispielsweise die GFP
der multivarianten Statistik eingesetzt [76] oder Zeit- vermittelte Fluoreszenz an die Aktivierung des zen-
reihen aus transkriptionalen Daten und Stoffflussver- tralen Stress-Sigma-Faktors rpoS::gfp [22] oder an
teilungen miteinander verglichen werden, um sensi- die Plasmidstabilität und -kopienzahl [37] gekop-
tive Prozessphasen zu untersuchen [81]. pelt. Mustafi et al. (2014) [59] untersuchten mittels
Fluoreszenz (eYFP) die L-Valin-Produktion in C.
glutamicum, wodurch eine starke Heterogenität der
13.5 Subpopulationen Kultur sichtbar wurde.
Wie in Lencastre Fernandes et al. [50] und
Mikrobielle Populationen in Bioprozessen sind nicht Henson [33] dargelegt, können segregierte Popula-
homogen, sondern heterogen [58]. Dies trifft in ana- tionsmodelle prinzipiell in zwei Klassen aufgeteilt
loger Weise auch auf Säugerzellkulturen in pharma- werden: population balance models (PBM) oder cell
zeutischen Produktionsprozessen zu [37]. Mögliche ensemble models (CEM). Erste versuchen segregierte
Ursachen der Heterogenität sind der Einfluss des Populationsbilanzen zu erstellen, indem individu-
Zellzyklus, des Zellalters und/oder externer Stress- elle Wachstumsraten und Verteilungsfunktionen für
faktoren [50, 58]. Darüber hinaus wird auch die Zellteilungsraten (breakage function b) bzw. charak-
Bedeutung stochastischer Genexpressionen disku- teristische Zelleigenschaften (partitioning function p)
tiert [4]. Asymmetrische Größenverteilungen nach formuliert werden (siehe Formel 13.26).
Zellteilung, unterschiedliche Phasen der Zellzyklus-
Zugehörigkeit und variable Systemantworten auf ∂f (y, t )
+ ∇y (r ⋅ (y, t ) ⋅ f (y, t )) = 2 ⋅ ∫ b (y, t ) ⋅ p (y, y*, t )
extrazelluläre Stresseinwirkungen aus der Mikroum- ∂t
Vy
gebung der Zellen sind die Folge. Als Konsequenz
⋅f ( y*, t ) dy* − b (y, t ) ⋅ f (y, t ) − D ⋅ f (y, t )
wurden z. B. während des exponentiellen Wachstums
bzw. in der stationären Phase einer E. coli Kultur 5  Gl. 13.26
bzw. 10 Subpopulationen detektiert [55].
Die Aufteilung in Subpopulationen kann für Hierin bezeichnet y einen Zustandsvektor, der zur
einen mikrobiellen oder zellbiologischen Produk- Vereinfachung meist auf eine einzige skalare Eigen-
tionsprozess Auswirkungen auf die Qualität haben. schaft beschränkt wird. Beispielsweise ist dies das
13 Integrale Leistungsdaten eines Bioprozesses wie Zellvolumen als Spiegelbild der Wachstumsrate. Die
volumetrische Produktivität, Produkt/Substrat-Aus- breakage function b beschreibt die Wahrscheinlich-
beute, Produkttiter und -reinheit ergeben sich aus der keit mit der eine Zelle des Zustands y sich im nächs-
Summe der Einzelbeiträge der Subpopulationen. Ist ten Zeitintervall teilt. Die partitioning function p steht
die Produktbildung einer Subpopulation verringert, für die Wahrscheinlichkeit, dass Zellen der Eigen-
wird dadurch das Ergebnis des gesamten Prozesses schaft y im nächsten Intervall gebildet werden. D
in Mitleidenschaft gezogen. Daher ist es von hohem entspricht der Durchfluss- bzw. Verdünnungsrate
Interesse, die Mechanismen von Subpopulationsdy- des bilanzierten Systems. Gl. 13.26 ähnelt somit einer
namiken zu verstehen, um so deren mögliche Leis- ‚Stoff ‘-bilanz für ein offenes System zur Beschrei-
tungsminderende Wirkung durch Stamm- und/oder bung des zeitlichen Verlaufs der Verteilungsfunk-
Prozessveränderungen zu begegnen. tion f für die Eigenschaft y.
Zur Untersuchung der Populationsheteroge- Intrazelluläre Stoffwechseleigenschaften bleiben
nität sind eine Reihe von unterschiedlichen Mess- in den PBM Ansätze unberücksichtigt. Dies unter-
methoden bekannt [50]. Zu nennen sind beispiels- scheidet sie von CEMs, die z. B. Stoffwechseldynami-
weise rep-Fingerprinting (repetitive bakterielle ken über Differentialgleichungssysteme beschreiben.
Genomelemente werden detektiert), Gen-Reporter Subpopulationen werden durch heterogene Startbe-
Systeme (z. B. via β-Galaktosidase, fluoreszieren- dingungen bzw. unterschiedliche Systemparameter
der Proteine, Proteininteraktionen, FRET), mikro- erzeugt. Beide, PBM- und CEM-Ansätze, werden
skopische Verfahren, Raman-Spektroskopie oder heute eingesetzt, um etwas Licht in die bislang noch
Kapitel 13 · Systembiologie in der ­Bioverfahrenstechnik
565 13
wenig verstandenen Mechanismen der Subpopula- Produktionszellen metabolisch sehr schnell und
tionsausprägung und deren Prädiktion zu werfen. zellspezifisch auf extrazelluläre Gradienten reagie-
ren [60, 61, 91].
Wie bereits in 7 Abschn. 13.4 dargestellt, liegen
13.6 Scale-up schnelle transkriptionale Antworten und Mischzei-
ten eines großvolumigen Bioreaktors in ähnlichen
Wird ein Bioprozess aus dem Labor- in den Produk- Zeitskalen. Die transkriptionelle Zellantwort auf
tionsmaßstab übertragen, gilt es eine Vielzahl von Inhomogenitäten eines 20 m3-Reaktors wurde erst-
chemischen, biologischen und physikalischen Ein- mals durch Schweder et al. [83] anhand der Expres-
flussgrößen zu beachten [91]. Deren Zusammenwir- sion ausgewählter Stressgene (dnaK, clpB – Hitze-
ken kann dazu führen, dass Leistungsdaten der groß- stress; clpB – Hungerstress; proU – osmotischer
volumigen Produktion (>10.000 L) schlechter sind Stress, ackA – Glucoseüberschuss; frd, pfl – Sauer-
als diejenigen des zugrundeliegenden Laborverfah- stofflimitierung) für E. coli untersucht. Im ‚mittle-
rens [46]. Die Wirtschaftlichkeit des gesamten Pro- ren‘ und ‚oberen‘ Reaktorbereich wurde eine erhöhte
zesses – bestehend aus Fermentation und Aufarbei- Expression dieser Gene festgestellt. Dazugehörige
tung (up- und downstream) – ist das entscheidende durchflusszytometrische Messungen von Hewitt et
Kriterium für dessen Realisierung. Werden bei- al. [35] offenbarten, dass die wechselnde Sauerstoff-
spielsweise in der Fermentation wegen unerwarteter und Glucoseverfügbarkeit in einem 20 m3-Reaktor –
Nebenproduktbildung nicht die erwarteten Produk- trotz reduzierter Biomassebildung – zu relativ hoher
treinheiten erzielt und das Aufarbeitungsverfahren Zellvitalität führt. Für Corynebacterium glutamicum,
dadurch aufwändiger, kann dies zum wirtschaftli- einem häufig verwendeten industriellen Aminosäu-
chen Aus des Prozesses führen. Über Erfolg oder reproduzenten, zeigten Käß et al. [40, 41] dessen
Misserfolg eines neuen Produktionsverfahrens ent- Robustheit gegenüber Substrat- und Sauerstoffgra-
scheiden somit in erster Linie wirtschaftliche Kenn- dienten. Gleichzeitig offenbart dieser Stamm sehr
zahlen. Diese beruhen meist auf den Labordaten. schnelle transkriptionale Antworten in Gegenwart
Ziel eines erfolgreichen scale-up sollte es daher von pCO2 Gradienten [12], welche in industriellen
sein, die Leistungsdaten aus dem Labor im Produk- Reaktoren ebenfalls auftreten.
tionsmaßstab mindestens zu erreichen. System- Art und Ausprägung der Gradienten in indus-
biologische Untersuchungen können dabei helfen, triellen Bioreaktoren sind daher sehr vielschichtig.
das komplexe Zusammenwirken zwischen biologi- Dies spiegelt sich ebenso in der komplexen System-
schen, chemischen und physikalischen Parametern antwort wider. Dadurch wird eine a priori Abschät-
zu beleuchten. zung der Leistungsdaten eines großvolumigen Pro-
Ein besonderes Augenmerk wurde bislang auf die zesses ausgehend vom Laborergebnis erschwert.
Wechselwirkung von Gradienten im Bioreaktor [38] Entsprechende systembiologische Untersuchun-
mit dem zellulären Stoffwechsel gelegt. Aufgrund gen zielen daher darauf ab, ein quantitatives, modell-
der Schnelligkeit metabolischer Reaktionen ist es gestütztes Verständnis für die scale-up-bedingten Sti-
naheliegend, dass lokale Inhomogenitäten, z. B. der mulus/Response-Phänomene zu erlangen. Parallel
Sauerstoff- oder der Substratverfügbarkeit, die Stoff- dazu werden Ansätze verfolgt, Inhomogenitäten
wechselaktivität unmittelbar beeinflussen. Studien großvolumiger Reaktoren durch computational fluid
aus dem Jahr 1998 mit einem 12 bzw. 20 m3-Reaktor dynamics (cfd)-Ansätze zu simulieren. Neben der
offenbarten bis zu 400-fach überhöhte, lokale Gluco- Simulation der Hydrodynamik und des Stofftrans-
sekonzentrationen, die zur erhöhten Acetatbildung ports werden metabolische Aktivitäten der Zellen
und einer um ca. 20 % verringerten Biomassebil- mit einbezogen. So erfolgten durch Schmalzriedt
dung von E. coli führten [15]. In der Folgezeit wurden et al. [78] und Vrabel et al. [102] erste Multi-Kom-
überwiegend scale-down-Untersuchungen durchge- partment-Simulationen mit Bacillus subtilis und E.
führt, in denen die großskaligen Gradienten in geeig- coli. Diese zunächst auf Euler-Euler Ansätzen beru-
neten Versuchsanlagen simuliert wurden. Eine Viel- henden Simulationen wurden in der Folgezeit durch
zahl von Untersuchungen belegen, dass mikrobielle Euler-Lagrange Ansätze ersetzt. Charakteristisch ist
566 R. Takors

dabei, dass Zellen individuell betrachtet werden und [13] Burgard AP, Phakya P, Maranas CD (2003) OptKnock, a
bilevel programming framework for identifying gene
nicht länger im Kontinuum der Flüssigkeit gebun-
knockout strategies for microbial strain optimization.
den sind. Lapin et al. [44, 45] waren die ersten, denen Biotechnol Bioeng 84:647‒657
es dadurch gelang, segregierte Populationsmodelle [14] Burns JA, Cornish-Bowden A, Groen AK, Heinrich R,
für Saccharomyces cerevisiae und E. coli im Bioreak- Kacser H, Porteous JW, Rapoport SM, Rapoport TA,
tor zu erstellen. Es ist davon auszugehen, dass diese Stucki JW, Tager JM, Wanders RJA, Westerhoff HV (1985)
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Ansätze zukünftig weiter entwickelt werden, um so
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Serviceteil
Symbolverzeichnis – 572

Indizierung – 578

Stichwortverzeichnis – 579

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018


H. Chmiel, R. Takors, D. Weuster-Botz (Hrsg.), Bioprozesstechnik,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54042-8
572

Symbolverzeichnis

A [m²] Oberfläche, Austauschfläche, Klärfläche


A Stöchiometrische Matrix der Elemente
a Gewichtungsvektor zur Optimalitätsberechnung
a´ [m-1] spezifische Austauschfläche, bezogen auf den Reaktorinhalt
B* Mikrobiologischer Behandlungseffekt
B Vektor der Bedingungen
Bi Biot-Zahl
Bo Bodensteinzahl
CPPI Contaminant-specific Purification Performance Index
c [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration
cp [kJ/(kg K)] spezifische Wärme bei konstantem Druck
C Kontrollkoeffizient
C [KBE/ml]; [mol/l]; [g/l] Keimzahl (Koloniebildende Einheiten), Konzentration
C* chemischer Behandlungseffekt
Cv Kavitationszahl
C w, cw Widerstandsbeiwert
D [1/h] Verdünnungsrate, Durchflussrate
D Matrix zur Beschreibung des dynamischen Prozessverhaltens
D, d [m] Durchmesser
Da Damköhlerzahl
De Deborahzahl
D [m²/s] Diffusionskoeffizient, Dispersionskoeffizient
Dax [m²/s] axialer Dispersionskoeffizient
Dϑ [s]; [min] D-Wert bei der Temperatur ϑ
dp [m] Partikeldurchmesser
[E] [kg/m³]; [mol/m³] Enzymkonzentration
[EI] [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration des Enzym-Inhibitor-Komplexes
[ES] [kg/m³]; [mol/m³] Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes
E [V/m] elektrische Feldstärke
E Elastizitätsmatrix
E Anreicherungsfaktor
E a, EA [kJ/mol] Aktivierungsenergie
Es [J/mol] scheinbare Aktivierungsenergie
E<z> Erwartungswert der Größe z
e (aktive) Enzymmenge, Enzymbedarf
ee Enantiomerenüberschuss
eeff [C]; [A s] effektive Ladung eines Teilchens
e(t) Regelabweichung zum Zeitpunkt t
F [C/mol] Faradaykonstante
F Freiheitsgrad des Reaktionssystems
F [s]; [min] F-Wert, Verweilzeitsummenfunktion
F [N] Kraft
Fo Fourierzahl
Fr Froudezahl
F(t) Jacobi-Matrix von f() zum Zeitpunkt t
F [l/h] Zulaufstrom (feed)
FT(t) die transponierte Matrix von F(t)
f Reibungsbeiwert
fM [s/m1/3] Manningfaktor
f(x,θ) Reaktionsvektor
G [kJ/mol] Gibbs-Potenzial (freie Enthalpie)
G [Pa] elastischer Schermodul
573
Symbolverzeichnis

Ga Galileizahl
Gr Grashofzahl
G* [Pa] komplexer Schermodul1
G‘ [Pa] Realteil von G* (Speichermodul)
G” [Pa] Imaginärteil von G* (Verlustmodul)
ΔG# [kJ/mol] Aktivierungsenergie/ -enthalpie
ΔG°/ [kJ/mol] biologisch verfügbare Energie (Standardbedingungen)
ΔGri freie Gibb’sche Reaktionsenthalpie der Reaktion i
g [m/s²] Erdbeschleunigung
H [mol/(m3 bar)] Henryscher Verteilungskoeffizient, Henry Konstante
H, h [m] Höhe
H(t) Jacobi-Matrix zum Zeitpunkt t
[I] [kg/m³]; [mol/m³] Inhibitorkonzentration
I [mol/m³] Ionenstärke
I Einheitsmatrix
J [mol/s] Stoffstrom, Fluss
IP Isoelektrischer Punkt
i Multiplikationsfaktor
i(t) Istwert zum Zeitpunkt t
J Stofffluss eines linearen Stoffwechselweges
Jp [m³/(m2s)]; [kg/(m2s)] Membranfluss/Flux
j Colburnzahl
K Aussalzungskonstante
K Aufschlussgeschwindigkeitskonstante
K Kalman-Verstärkung
K Verstärkungsfaktor des PID-Reglers
K Flusskonsistenzindex (im Fließgesetz von Ostwald und de Waele)
Ka Assoziationskonstante, Bindungskonstante
Kd Dissoziationskonstante
K E, Ki Verteilungskoeffizient
Keq thermodynamische Gleichgewichtskonstante
KH [mol/(m3 bar)] Henry-Konstante
Ki Gleichgewichtskonstante, Dissoziationskonstante
KiP Produktinhibierungskonstante
KiS Substratüberschussinhibierungskonstante
Kl [m/s] Gesamtstofftransportkoeffizient
Km Michaelis-Menten-Konstante, Sättigungskonzentration (Enzymkinetik)
KMO Proportionalitätskonstante
KS [mmol/l]; [g/l] Sättigungskonzentration des Substrats, Parameter im Monod-Modell
KI [mmol/l]; [g/l] Inhibierungskonstante, Inhibierungskonzentration des Substrats
KS Verteilungskoeffizient des Substrates
K´ Kapazitätsfaktor
k Boltzmann-Konstante
k [1/s] Geschwindigkeitskonstante
kcat [1/s] Wechselzahl
kg [m/s] Stoffübergangskoeffizient gasseitig
k l, kL [m/s] Stoffübergangskoeffizient auf der Flüssigseite
k La [1/s] Volumenbezogener Stofftransportkoeffizient gas - flüssig
kls Stoffübergangskoeffizient von flüssiger zu fester Phase
kw [kJ/(m² s K)] Wärmetransportkoeffizient
L, l [m] Länge
M diverse statistisches Moment
M, m [kg] Masse
M [kg/mol] molare Masse
M [Nm] Drehmoment
M Mischgüte
M* [Nm] komplexes Drehmoment1
574 Symbolverzeichnis

MAFR [mol/s]; [lN/s] Massenflussrate eines Gases


Mi [mol/m³] Molarität der Ionen
m Anzahl der Reaktionsgleichungen
m gemessener Endwert
m [kg] Masse
mS [g/(g h)] Zellspezifische Substrataufnahmegeschwindigkeit für den
Erhaltungsstoffwechsel
m·((Punkt [kg/s] Massenstrom
direkt über m
setzen))
N Trennstufen- / Bodenzahl
Ne Leistungskennzahl (Newtonzahl)
Nu Nusseltzahl
n [1/s] Drehzahl
n Anzahl
n Reaktionsordnung
.
n [mol/s] Molstrom
OD optische Dichte
OTR [kg/(m³ s)] Sauerstoffeintragsrate (oxygen transfer rate)
OUR [kg/(m³ s)] Sauerstoffaufnahmerate (oxygen uptake rate)
o [kg/m³] Gelöstsauerstoffkonzentration
o* [kg/m³] Sauerstoffsättigungskonzentration
[P] [mol/m³] Produktkonzentration
P [W/s] Leistung
P [l/(m² h bar)] Permeabilität
P Ladungsmatrix
PAR photosynthetisch nutzbare Wellenlängen des Lichts
PCE Photokonversionseffizienz
PPI purification performance index
Pe Pécletzahl
Ph Phasenzahl
Pr Prandtlzahl
P(t) Schätzfehler(ko)varianz zum Zeitpunkt t
p [kg/m³] Produktkonzentration
p [Pa] Druck
p [Pa] Flächenbelastung eines angeströmten Bauteils
p Infektionsrisiko
Δp [Pa] Druckdifferenz
pdf(z) Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Größe z
Q Gasdurchsatzkennzahl
Q Prozessrauschleistungsmatrix
((Q mit Punkt [m³/s] Volumenstrom
darüber))
((Q mit Punkt [kJ/s] Wärmestrom
darüber)) W
q [kg] adsorbierte Menge
qCO [m³/(kg s)] biomassespezifische CO2-Produktionsrate
2

qF [m³/(m² h)] Klärflächenbelastung


qG [m³/s] Gasstrom
qi i. Parameterwert des digitalen PID-Reglers
qO [kg/(m³ s)]; [s-1] biomassespezifischer Sauerstoffverbrauch
2
qo+
2 [m³/(kg s)] biomassespezifische Sauerstoffaufnahmerate
qo’
2 [kg/(m² s)] Sauerstoffstromdichte
qP [kg/s] biomassespezifische Produktbildungsrate
qS [s-1] biomassespezifische Substratverbrauchsrate
R [J/(mol K)] universelle Gaskonstante
575
Symbolverzeichnis

R Rückhaltevermögen einer Membran, Retention


R Messrausch(ko)varianz
R Antwort-Koeffizient
R, r [m] Radius
Ra [µm] Rauwert (Oberflächen)
Re Reynoldszahl
Rm maximal freisetzbarer Proteingehalt
Rv Rücklaufverhältnis
RZA [kg/(L h)] Raum-Zeit-Ausbeute
RQ Respirationsquotient
r [kg/(m³ s)]; [mol/(m³ s)] Reaktionsgeschwindigkeit
r [m] radiale Ortskoordinate
r Vektor aller Nettoumsatzraten
rK Verhältnis von Kis zu Km
is
rK Verhältnis von Kip zu Km
ip

rP [kg/(m³ s)] volumenbezogene Produktbildungsgeschwindigkeit


rS [kg/(m³ s)] volumenbezogene Substrataufnahmegeschwindigkeit
rs k Verhältnis der anfänglichen Substratkonzentration zu Km
0 m
rX [kg/(m³ s)] volumenbezogene Wachstumsgeschwindigkeit
[S] [mol/m³] Substratkonzentration
S Löslichkeit eines Proteins
S Selektivität
S stöchiometrische Reaktionsmatrix
SCI [€/g] separation cost indicator
Sc Schmidtzahl
Sh Sherwoodzahl
Str, Sr Strouhalzahl
S# [kJ/mol] Energiewert des Substrates im Übergangszustand
SL Sterilitätskriterium
s, S [kg/m³] Substratkonzentration
s(ti) Messrauschen zum Zeitpunkt ti
T [K] absolute Temperatur
T Score-Matrix
TD Vorhaltezeit
TI Nachstellzeit
TTS [d] Schlammalter bezogen auf das Volumen des Belebungsbeckens
t [s] Zeit
t1/2 [s] Halbwertszeit
td [s] Verdopplungszeit
tg [s] Generationszeit
u [m/s] Strömungsgeschwindigkeit, Leerrohrgeschwindigkeit
uB [m/s] Blasenaufstiegsgeschwindigkeit
U [kg/kg]; [mol/mol] Umsatz
U [µmol/min] Enzymaktivität (unit of activity)
u(t) Eingangsgröße zum Zeitpunkt t
V [m³] Volumen
((V mit [m³/s] Volumenstrom
einem Punkt
darüber))
VBB [m³] Volumen Belebungsbecken
v [m/s] Geschwindigkeit
v Prozessrauschen
v [mol/(m³ s)] Reaktionsgeschwindigkeit
vm Molvolumen
vS [m/s] Sinkgeschwindigkeit
576 Symbolverzeichnis

((v mit [m/s] mittlere Geschwindigkeit


einem Strich
darüber))
We Weberzahl
Wn Weissenbergzahl
w Messrauschen
w(t) Sollwert zum Zeitpunkt t
X [kg/kg]; [mol/mol] Umsatz
X Datenmatrix
x Ortskoordinate
x [kg/m³] Konzentration der Zellmasse
x Molanteil einer Komponente
x Zustandsgröße
x Reinheit
x Vektor aller intrazellulären Metabolite
x Systemzustandsvektor
x^F(ti) gefilterter Schätzwert der Zustandsgröße zum Zeitpunkt ti
XTSBB [kg/m³] Konzentration der Trockensubstanz im Belebungsbecken
XTSe [kg/m³] Konzentration der Trockensubstanz im Ablauf der Nachklärung
XTSÜS [kg/m³] Konzentration der der Trockensubstanz im Überschusschlamm
Y Womersley Parameter
Y Ausbeute, Ausbeutekoeffizient
y [m] kartesische Ortskoordinate
y Messgröße
z, zi Ladungszahl, Wertigkeit eines Ions
Zϑ [K]; [°C] Z-Wert bei der Temperatur ϑ
α relative Retention (Trennfaktor, Selektivität)
α Verhältnis vom Volumen der organischen Phase zum Volumen der
wässrigen Phase
α Wärmeübergangszahl
βP Selektivität für Produkt
βS Selektivität für Substrat
γ [Grad] Deformationswinkel
γ genereller Reduktionsgrad
γ Deformation
((γ mit Punkt [1/s] Scherrate
darüber))
((γ mit Punkt [1/s] komplexe Scherrate1
darüber))*
.
γrep [1/s] repräsentative Schergeschwindigkeit
Γ [1/s] shift Parameter
Δψ [mV] transmembrane Ladungsdifferenz
ε Elastizität
ε Vektor der Residuen
ε [m²/s³] lokale Energiedissipation
ε L, εG Flüssigkeitsanteil, Gasanteil
((ε mit Strich [m²/s³] mittlere Energiedissipation
darüber)), εϕ
ζ Widerstandsbeiwert
η [Pa s] dynamische Viskosität
η Wirkungsgrad
ηd [Pa s] Dehnviskosität
η* [Pa s] komplexe Scherviskosität1
η' [Pa s] Realteil der komplexen Scherviskosität
η'‘ [Pa s] Imaginärteil der komplexen Scherviskosität
Η [Pa s] shift Parameter
θ Parametervektor
577
Symbolverzeichnis

θX [d] Schlammalter
ϑ [C°] Temperatur
κ [€/kJ] produktspezifische Kosten
λ [kJ/(m² s K)] Wärmeleitfähigkeit
λm [s] Spannungsrelaxationszeit
λv [s] Retardationszeit
µ [s-1] biomassespezifische Wachstumsgeschwindigkeit
ν spezifische Teilungsrate
ν Reaktionsrate
ξ Reaktionslaufzahl
πn dimensionslose Größen
ϱ [kg/m³] Dichte
Δϱ [kg/m³] Dichtedifferenz
θX [s] Mischzeit zur Erzielung eines Homogenitätsgrades x
σ [N/m] Oberflächenspannung
σSP Selektivität einer Reaktion
σx [Pa] = σxx = Normalspannung in x-Richtung
σy [Pa] = σyy = Normalspannung in y-Richtung
σz [Pa] = σzz = Normalspannung in z-Richtung
τ [s] mittlere hydraulische Verweilzeit
τ [Pa] Schubspannung
τ* [Pa] komplexe Schubspannung1
Φ [V] Galvanisierspannung (Standardbedingungen)
Χ (einzelne) Metabolitkonzentration
Χ Umsatz
Φ Thielemodul
Φ Phasenverhältnis
φ [Grad] Winkel
φ relative Luftfeuchte
φG relativer Gasgehalt
ν [m²/s] kinematische Viskosität
ω [rad/s] Kreisfrequenz
Ω [s–1] Winkelgeschwindigkeit
ζD Deckschichtwiderstand
ζM Membranwiderstand

1 Größen mit * betreffen entweder einen Behandlungseffekt oder stellen komplexe Zahlen dar. Der Realteil einer

komplexen Größe wird mit ´, der Imaginärteil mit ´´ gekennzeichnet. Die Angabe der Einheit bezieht sich dabei auf den
Betrag.
578

Indizierung
0 Anfangskonzentration zum Zeit- R  Reaktor, Retenat
punkt t0
ref Referenz
0 Ausgangsmaterial
RL Rücklauf
0 Referenzzustand
S,s Substrat
a Auftrieb
SF  Substrat im Zulauf (feed)
a Volumen-spezifische Stoffaustausch-
oberfläche T  absolute Temperatur

app  apparent, scheinbar TM Transmembran

calc  berechnete Werte V Verunreinigung

E Eintritt W Wand

eff effektiv w  wässrige Phase, Widerstand

ES Enzym-Substratkomplex X Biomasse

F  Filtrat, Feed x Metabolit

f Zielwert XS,μ wahre Biomasse/Substrat Aus-


beute
G,g Gas
z Weglänge
Ges  Gesamt, bezogen auf alle Phasen
Z Zielsubstanz
i, j, k Laufvariablen

in eintretend

J Fluss

L,l Flüssigkeit

M Membran

max maximal

mes  gemessene Werte

O2 Sauerstoff

org  organische Phase

out austretend

P Produkt
579 A– C

Stichwortverzeichnis

γ-Butyrobetain  428 amperometrische Messung  267 Behandlungseffekt B*


π-Größen Ampholyte  374 –– mikrobiologischer  236
–– dimensionslose  132 Ampicillin  413 Behandlungseffekt C
(S)-(3,4-Methylendioxyphenyl)-2-pro- Amplifikation  498 –– chemischer  236
panol  443 anaerobe Ammonium-Oxidation  Belebtschlammverfahren  479
(S)-4-Chlor-3-hydroxybuttersäureethy- 483 Beweglichkeit  372
lester  441 anaerober Abbau von BSB  482 BHK-Zellen  502
(S)-CHBE  441 Analogie zwischen den Transportvor- Binodale  360
(S)-MDPP  443 gängen  151 Bioethanol  455
3C-basierte Stoffflussanalyse  555 Anfangsreaktionsgeschwindigkeit  11 Biofilm  92
3α-HSDH (3α-Hydroxysteroiddehyd- Anfangsreaktionsgeschwindigkeits- BioLector  211
rogenase)  434 muster  35–36 Biologie
3α-Hydroxysteroiddehydrogenase (3α- Anionenaustauscher  379 –– synthetische  547
HSDH)  434 Anreicherungsfaktor  333 biologischer Sauerstoffbedarf  479
5-Methyl-2-pyrazincarbonsäure Antibiotika  468 –– anaerober Abbau  482
(MPCA)  431 Antikörper Biomasseproduktion
6-Aminopenicillansäure  420 –– monoklonale  494 –– mikrobielle  453
7-Aminocephalosporinsäure  469 Anzuchtfermenter  530 bioREACTOR48  213
7β-HSDH (7β-Hydroxysteroiddehyd- Apparat Bioreaktor  205
rogenase)  434 –– hygienegerecht gestalteter  246 –– nicht-idealer  94
7β-Hydroxysteroiddehydrogenase (7β- Arbeits-Zellbank WCB  530 Biosensor  279
HSDH)  434 Aromastoff  465 Biotin  65
Arrhenius-Ansatz  61 Biotransformation  405
Arrhenius-Gleichung  17 Biotzahl  151
A Assoziationskonstante  5
at-line-Analyse  264
Blasensäule  91
Blasensäulenreaktor  175
Ablaufsteuerung  291 ATR-Sonde  274 –– Leistungseintrag  177
Abtastrate  291 Aufarbeitung Blasenströmung
Abwasserreinigung  478 –– proteinchemische  531 –– heterogene  176
–– industrielle  484 Aufkonzentrierungsfaktor  338 –– homogene  176
–– Stufen  478 Auflösung  376 Böden
ACE-Hemmer  423 Aufnehmer  359 –– theoretische  376
Acrylamid  426 Aufreinigungsschritt Bodenzahl  376
Acrylnitrilhydratase  426 –– Kristallisation  327 Briggs-Haldane-Gleichung  8
adhärent wachsende Kultur  511 Ausbeute  338 BSB (biologischer Sauerstoffbe-
Adsorbentien  377 Außer-Phase-Bedingungen  200 darf )  479
Adsorption  342 Ausführung –– anaerober Abbau  482
Adsorption/Chromatographie  375 –– hygienegerechte  249 Bubble-Point-Test  244
adsorptive Bindung von Enzymen  415 Aussalzeffekt  320 Buckingham’schesπ-Theorem  132
Affinität  5 Aussalzen  320
Affinitätschromatographie  379 Auswaschpunkt  76
Affinitätsextraktion  367
Affinitätsmakroligand  323
Automatisierung  290
Axialdiffusion  376
C
Affinitätspräzipitation  323 Calcium  64
Aktivitätsausbeute  334 Carbonylreduktase  441
akustische Kavitation  312
Albumin  318
B Cephalosporin  468
charakteristische Materialzeit  138
Allosterie  28 Bakterien  504 charakteristische Systemzeit  138
Aminoacylase  424 Bandenverbreiterung  373 chemischer Behandlungseffekt C  236
Aminosäuren  459 batch-Verfahren  515 chemo-biokatalytische Umset-
Ammonifikation  481 Begasungsrührer  165 zung  435
Ammonium-Oxidation Behälterfertigung  249 Chemostat  83
–– anaerobe  483 Behälterplanung  249 CHO-Zellen  501
580 Stichwortverzeichnis

Chromatographie Dreistoffsystem  359 –– Ribozym  3


–– präparative annulare  387 Druck –– Stabilität  25
Chromosomen –– osmotischer  517 –– technisches  471
–– künstliche  504 Druckdifferenz –– trägergebundenes  414
CIP-Prozess  253 –– transmembrane  341 –– zweiphasige Inaktivierung  23–24
Citronensäure  457 druckgetriebenen Membrantrennver- Enzymaggregat  411
Clark-Elektrode  267 fahren  341 Enzymaktivierung
CLEAs (cross-linked enzyme aggrega- Druckhaltetest  246 –– essentielle  24
tes)  411 Durchflusszytometrie  272 –– nichtessentielle  24–25
CLECs (cross-linked enzyme cry- Durchlichtmessungen  273 Enzymaktivität
stals)  410 Durchmischungskennzahl  167 –– Einfluss der Ionenstärke  19
Cleland-Diagramm  34–35 Durchsatz  312 –– Einfluss der Puffersubstanz  18
CLEs (cross-linked enzymes)  410 dynamische Dichtung  255 –– Einheit Katal  9
CO2-Emissionsrate  89 Dϑ-Wert  234 –– Einheit Unit  9
Colburnzahl  152 –– pH-Abhängigkeit  18
COS-Zellen  502 –– pH-Optimum  18
Coulter-Counter  272
CRISPR/Cas  503
E –– spezifische  9
–– Temperaturabhängigkeit  17
Cross-Flow-Filtration  240 Eadie-Hofstee-Darstellung  14–15 –– Temperaturoptimum  17
cross-linked enzyme aggregates(CLE- EBA-Chromatographie  520 enzymatische Umesterung  418
As)  411 Effektivitätskoeffizient  148 Enzymbedarf
cross-linked enzyme crys- Einsaatdichte  517 –– relativer  408
tals(CLECs)  410 Einsalzeffekt  320 Enzymhemmung Siehe Enzyminhibie-
cross-linked enzymes(CLEs)  410 Einschlussimmobilisierung  421 rung  19
cut-off<k>  338 Einstellung von Regelparametern  293 Enzymimmobilisierung  405
Cyanocobalamin  66 Einsubstratreaktion –– Trägermaterial  414
–– reversible  10 Enzyminhibierung  19
Einweg-Bioreaktor  217, 514 –– gemischte  21
D Eisen  64
elektrokinetische Trennverfahren  372
–– irreversible  19, 23
–– kompetitive  19–20
D-Xylose-Isomerase  417 Elektroosmose  373 –– nichtkompetitive  20–21
Dampfsterilisation Elektrophorese  372 –– partiell kompetitive  21–22
–– direkte  238 elektrostatische Van-der-Waals-Kräf- –– partiell nichtkompetitive  21
Dead-End-Filtration  240 te  319 –– partiell unkompetitive  21
Deborahzahl  138 Elementarmodus  558 –– partielle  21–22
Dehnviskosität  122 Eluieren  378 –– reversible  19, 23
Dekanter  303 Elution –– Rückkopplungshemmung  28
Denitrifikation  481 –– im Gradienten steigender Salzkon- –– Substratüberschussinhibierung  20
Diafiltration  351 zentration  378 –– unkompetitive  20
Diagnose  491 Elutionsmittel  378 –– vollständige  22
Dialyse  350 Elutionsvolumen  376 Enzymmembranreaktor  422
Dichtung Elutionszeit  376 Erhaltungsstoffwechsel  53
–– dynamische  255 Emulsionsspaltung  440 Ertragskoeffizient  53
diffuse Doppelschicht  373 Enantiomerenüberschuss  424 ex situ-Sensor  263
Diffusionstest  244 Energiedissipationsrate expanded bed adsorption<k>  384
dimensionslose Kennzahl  132 –– maximale  202 exponentielle Phase  48
dimensionsloseπ-Größen  132 Enzym Extrakt  360
Dirac-Impuls  96 –– adsorptive Bindung  415 Extraktionsmittel  359–360
direkte Dampfsterilisation  238 –– EC-Nummer  3 Extraktstoff  359
Dispersionsmodell  98 –– Inaktivierung  23, 25
Dissoziationskonstante  5 –– katalytische Effizienz  9
Dixon-Diagramm  22
Doppelschicht
–– Klassifizierung  3–4
–– Mikroverkapselung  421
F
–– diffuse  373 –– Nomenklatur  3 F-Wert  234
Downstream Processing  530–531 –– promiskuitives  3 Fällungsmittel
Dreiecksdiagramm  359 –– regulatorisches  27–28, 32 –– Auswahl  323
Stichwortverzeichnis
581 D–I
FBA (flux balance analysis)  552 Froudezahl  135 Henry’sches Gesetz  144
fed-batch-Verfahren  516 Führungsgröße  291 hermetisch abgedichtete Rührerwel-
feedback inhibitionSiehe Rückkopp- Fuzzy-Regler  296 len  258
lungshemmung  28 heterogene Blasenströmung  176
Feedvolumenstrom  338 HFCS (High Fructose Corn Sirup)  416
Fehlerquadratminimierung  100
Feldeffekttransistor
G High Fructose Corn Sirup(HFCS)  416
Hill-Gleichung  28–29
–– pH-sensitiver  270 Galileizahl  142 Hill-Koeffizient  28
Feldsprungelektrophorese  374 Ganzzellbiokatalysator  425 Hitzebehandlung  321
Feldstärkesprung  374 Gas-induzierende Rührorgane  214 hoch spezialisierte Tierzellen  491
Fermentation Gas/Feststoff  143 Hochdruckhomogenisator  313
–– hochzelldichte  81 Gas/Flüssigkeit  142 hochzelldichte Fermentation  81
Festbettreaktor  182, 514 Gasanteil  177 Hohlfasermodul  348
FIA (Fließinjektionsanalyse)  282 Gasdurchsatz  335 homogene Blasenströmung  176
Filterintegritätstest  244 Gasdurchsatzkennzahl  140 Homogenisierdruck  313
Filtermittel  304–305 Gase Homogenisierventil  313
Filtration  304 –– überkritische  368 Hooke’scher Körper  120
FIR (Ferninfrarotbereich)  276 Gaskolbenströmung  176 Hybridomazellen  494
Flashing-Light-Effekt  190 Gaslift-Reaktor  175 hydraulische Verweilzeit in Abhängig-
Fließbett Gastrennung  346 keit des Umsatzes  407
–– Porosität  184 Gasverteiler  176 hydrodynamischer Zellaufschluss  312
Fließbettadsorption  384 Gefriertrocknung  394 hydrodynamisches Kavitationsver-
Fließbettreaktor  182 Gelöstkohlendioxidelektrode  269 fahren  315
Fließgleichgewicht  6, 34 generelle Liganden  380 Hydrogel  421
Fließinjektionsanalyse (FIA)  282 genetischer Algorithmus  68 hydrophobe Interaktionschromato-
Flotation Geschwindigkeitskonstante  4 graphie  378
–– und Schaumseparation  332 Gesetz hydrophobe Wechselwirkung  378
Fluid –– Henry'sches  144 hygienegerecht gestalteter Appa-
–– newtonsches  119 –– Newton'sches  108 rat  246
Fluidchromatographie –– Stokes`sches  301 hygienegerechte Ausführung  249
–– superkritische  383 Gewebekultur  492 Hyperaktivierung  412
Fluidextraktion Gewebekulturschalen  220 hyperthermophiler Temperaturbe-
–– superkritische  368 Gleichgewichtsdiagramm  359 reich  61
Fluoreszenzspektroskopie  275 Gleichgewichtskonstante  11 Hyphen  58
Fluss Gleitringdichtung  162, 255
–– transmembraner  341 Globulin  318
Flussbilanzanalyse (FBA)  552
Flüssigkeit
Glucosedehydrogenase  434
Glucoseisomerase  417
I
–– ionische  360 Grashofzahl  135 Immobilisierung
–– viskoelastische  110 grenzflächenaktive Substanz  332 –– kovalente  416
Flüssigkeit/Feststoff  143 Größenausschlusschromatogra- Impedanzmesssystem  273
Flüssigkeit/Flüssigkeit  143 phie  381 Impfstoff  491
Flüssigkeiten Grundelektrolyt  373 in vitro  491
–– ionische  440 Güte eines Reglers  295 in vivo  491
Flüssigmembrantrennung in-situ-Mikroskopie  274
in-situ-Produktextraktion  436
H
–– trägergestützte  350
Fokussierung in-situ-Sensor  263
–– isoelektrische  374 in-situ-Substratbereitstellung  436
Folgeelektrolyt  374 Hagen-Poiseuille’sches Gesetz  112 indirekte Sterilisation  239
Formulierung  531 Halbwertszeit  26 induced fit-Hypothese  31
Formulierungsschritt Haldane-Beziehung  11 industrielle Abwasserreinigung  484
–– Kristallisation  329 Hanes-Woolf-Darstellung  14–15 Infrarot-Analysator  266
Fotobioreaktor  188 Hauptkomponentenanalyse  288 Infrarotspektroskopie  276
Fouling  342 Hauptkomponentenregression  289 Inoculum  530
Free-Flow-Elektrophorese  373 Hefen  504 Interaktion
Freiheitsgrad  552 HEK-293-Zellen  502 –– unspezifische  377
Freisetzungssystem  211 HeLa-Zellen  502 interaktiv komplementäre Substrate  54
582 Stichwortverzeichnis

Ionenaustauschchromatographie  379 Kristallisationsverfahren  324 –– Ping-Pong-Mechanismus  33


Ionenstärke  19 kritische Stellen  245 –– rapid equilibrium-Mechanismus  34
ionische Flüssigkeit  360, 440 Kryopräzipitation  322 –– rapidequilibrium-Mechanismus  38
isoelektrische Fokussierung  374 Kugelmühlen  310 –– sequentieller Mechanismus  33
isoelektrische Präzipitation  321 –– konventionelle  310 –– steady state-Mechanismus  34, 39
isoelektrischer Punkt  320 Kultur –– Stöchiometrie  33
Isomerisierungsreaktion  417 –– adhärent wachsende  511 –– Substratbindungordered  33
Isotachophorese  374 künstliche Chromosomen  504 –– Substratbindungrandom  33
Isotopeneffekt Kurzschlussströmung  97 –– Unterscheidung  35–38
–– kinetischer  38 Membran-Bioreaktor
Isotopomer  556 –– submerser  341
Itaconsäure  457 L Membranbioreaktor  185
Membrancharakterisierung  338
L-Carnitin  427 Membranfluss/Flux  338
K L-Lysin  459
L-Methionin  424
Membranfouling  185
Membranmaterial  336
Kalman-Filter  284 Laserstreulichtsensor  274 Membranseparation  335
Kapazitätsfaktor  376 leichte Reinigbarkeit  246 Membranstruktur  336
Kapillarmodul  348 Leistungscharakteristik, Rührorga- Membrantrennverfahren
Kassettenmodul  348 ne  165 –– druckgetriebene  341
Katalysatorverlust  423 Leistungseintrag mesophiler Temperaturbereich  61
Kationenaustauscher  379 –– in Blasensäulenreaktoren  177 Messfehler
Kavitation  312 –– in Mikrotiterplatten  200 –– systematischer  101
–– akustische  312 –– in Schüttelkolben  197 Messgrößen in der Bioprozesstech-
Kavitationsverfahren Leistungskennzahl  136 nik  264
–– hydrodynamisches  315 Leitelektrolyt  374 Messung
Keimbildung Lichteintrag  188 –– amperometrische  267
–– und metastabiler Betrieb  325 Liganden Metabolic Engineering  547
Kennzahl –– generelle  380 metabolische Kontrollanalyse  558
–– dimensionslose  132 Ligandenbindung  5 metabolische Kontrollgrößen  559
kinetische Racematspaltung  424 Lin-log-Modell  26–27 metastabiler Betrieb
kinetischer Isotopeneffekt  38 lineare Modelle  100 –– und Keimbildung  325
King-Altman-Verfahren  39–42 Lineweaver-Burk-Darstellung  14–15 Methoden der Proteinfällung  319
Komplexbildner  65 Lösungsmittel-Präzipitation  321 Metzner-Otto-Verfahren  137
komplexe Viskosität  120 Michaelis-Menten-Gleichung  6–8
Kondensatableiter  246
M
–– Fließgleichgewicht  6
Konnektivitätstheorem  561 –– integrierte  16
Konode  360 –– kinetische Parameter  8
kontinuierliche Prozessverifikation  533 Magnesium  64 –– Linearisierungsverfahren  13, 15
kontinuierliche Verfahren  238, 516 Mahlguttemperatur  311 –– Michaeliskonstante  7–8
Kontrollanalyse Mahlkörper  310 –– rapid equilibrium-Annahme  8
–– metabolische  558 Mahlkörperfüllungsgrad  311 –– steady state-Annahme  6, 8
Kontrollgrößen Markierungsstudie  95 mikrobielle Biomasseproduktion  453
–– metabolische  559 Maßstabsvergrößerung der Protein- mikrobiologischer Behandlungseffekt
konventionelle Kugelmühlen  310 kristallisation  330 B*  236
Konzentration der Zellsuspension  314 Materialzeit Mikrofiltersystem  519
Konzentrationspolarisation  343 –– charakteristische  138 Mikrofiltration  341
Kooperativität  28 maximale Energiedissipationsrate  202 Mikrokonstante  35
–– Sequenz-Modell  31–32 Medieneinwaage  530 Mikrotiterplatten
–– Symmetrie-Modell  29–31 Medienherstellung  530 –– als Bioreaktor  205
Körper Medikamente  491 –– Leistungseintrag  200
–– Hooke´scher  120 Mehrphasensysteme  436 Mikroverkapselung von Enzymen  421
Korrosionswiderstand  247 Mehrsubstratreaktion MIR (Mittelinfrarotspektroskopiebe-
kovalente Immobilisierung  416 –– geschwindigkeitslimitierender reich)  276
Kristallisation  324 Schritt  34 Mischgüte  167
–– als Aufreinigungsschritt  327 –– Inhibierung  34 Mischzeit  167
–– als Formulierungsschritt  329 –– Irreversibilität  34 –– Schüttelkolben  204
–– Nomenklatur  34 mittlere Umfangsgeschwindigkeit  311
Stichwortverzeichnis
583 K–R
mobile Phase  375 paramagnetische Sauerstoffmes- Produktbildungsrate  56
Modell sung  266 Produktinhibierung  52
–– empirisches  26 Parameter-adaptiver Regler  296 Produktinhibitionsmuster  36–37
–– mechanistisches  26 Parametervektor  57 Produktionsfermenter  530
–– semi-mechanistisches  26 PCA (principal component analy- Produktisolation  317
MOMA-Prinzip  558 sis)  288 Produktklassen  452
monoklonale Antikörper  494 PCR (principal component regres- Produktkonzentrierung  317
MPCA (5-Methyl-2-pyrazincarbonsäu- sion)  290 Produktreinigung  317
re)  431 Penetrationsmodell  145 Produktselektivität  56
Penicillin-Amidase  413, 420 Produktspezifikation  536
PER.C6-Zelllinie  503 Protein
N Perfusion  516
Perfusionsreaktor  221
–– pharmazeutisches  472
proteinchemische Aufarbeitung 
Nanofiltration  341 permanente Zellenvermehrung  494 531
Natrium  64 Permeabilität  338 Proteinfällung
Nephelometrie  273 Permeatvolumenstrom  338 –– Methoden  319
newtonsches Fluid  108, 119 Pervaporation  346 Proteinkristallisation  326
newtonsches Gesetz  108 Pflanze –– Maßstabsvergrößerung  330
Newtonzahl  136 –– transgene  504 protonenmotorische Kraft der
Niacin  66 Pflanzenzellkultur  505 Zelle  62
nicht interaktiv komplementäre Subs- pH-Einstabmesskette  269 Prozessdesign  533
trate  55 pH-sensitiver Feldeffekttransistor  270 Prozessgrenze  536
nicht-idealer Bioreaktor  94 pH-Wert  62, 517 Prozessmodell  73
nicht-ionogene Polymere  322 pharmazeutisches Protein  472 Prozessmonitoring  535
nichtnewtonsche Flüssigkeit  109 Phase Prozessqualifizierung  533
NIR (Nahinfrarotbereich)  276 –– mobile  375 Prozesstransfer  528
Nitrifikation  481 –– stationäre  375 Prozessverifikation
Non-Equilibrium-Term  376 Phasen-ZahlPh  201 –– kontinuierliche  533
Nootkaton  467 Phasentoxizität  438 psychrophiler Temperaturbereich  61
Normalphasenchromatographie  377 Phosphor  63 Punkt
NS0-Zellen  501 Photo-Konversions-Effizienz  189 –– isoelektrischer  320
Nusseltzahl  152 photosynthetisch nutzbare Wellen- Pyridoxin  66
Nutristat  86 länge  189
PI-Regler  292

O
PID-Regler  292
Plateau-Borders  332
R
Plattenmodul  348 Rabinowitsch-Mooney-Beziehung  112
Oberflächenerneuerung Plattenreaktor  192 Racematspaltung
–– Theorie  145 pO2-Elektrode  267 –– kinetische  424
Oberflächenfiltration  304–305 Polymere Raceway Ponds  191
off-line  518 –– nicht-ionogene  322 Radius
on-line  517 Populationsheterogenität  564 –– repräsentativer  117
on-line-Analytik  264 Porosität des Fließbetts  184 Raffinat  359–360
on-line-Probenahme  251 Prandtlzahl  152 RAMOS (Respiration Activity Monito-
OptKnock-Algorithmus  558 präparative annulare Chromatogra- ring System)  209
Optode  278 phie  387 Reaktion
Organ-on-a-Chip  222 Präzipitation  318 –– erster Ordnung  4
organische Säure  457 –– isoelektrische  321 –– nullter Ordnung  5
Organkultur  491 Primärblasengröße  178 –– pseudo-erster Ordnung  5
osmotischer Druck  517 Primärzellkultur  492 –– zweiter/höherer Ordnung  4
Oxygentransferrate  146 principal component regression  289 Reaktionordnung  4
Probenahme  283 Reaktionsvektor  57

P –– on-line  251 Reflexionsmessung  273


Probenahmeventil Regelgröße  291
–– steriles  252 Regelparameter
P-CAC  387 –– Einstellung  293
Processing
Paddelrührer  215 Regelstrecke  291
–– Downstream  530–531
Pantothensäure  66 Regelung  290
–– Upstream  530
584 Stichwortverzeichnis

Regler –– paramagnetische  266 Stellgröße  291


–– Güte  295 Sauerstofftransferkapazität  203 steriles Probenahmeventil  252
–– Parameter-adaptiver  296 Sauerstofftransportkoeffizient  179 Sterilfilter  239, 304
Regression Sauerstoffübertragungsrate  170 Sterilisation  232
–– lineare  13 Säulenqualitätsfaktor  376 –– indirekte  239
–– nichtlineare  13 Säure Sterilisation-in-Place  245
Reinigbarkeit –– organische  457 Steuerung  291
–– leichte  246 scale-down  171 Stickstoffelimination  480
Reklonierung  498 scale-up  171, 565 Stoffflussanalyse  552, 555
Relationenpostulat  133–134 scale-up-Kriterien  172 Stokes’sches Gesetz  301
relativer Enzymbedarf  408 Scaling  342 Strahlungsintensität  189
repräsentative Scherrate  117 Schaumseparation Stufen der Abwasserreinigung  478
repräsentativer Radius  117 –– und Flotation  332 submerser Membran-Bioreaktor
Respirationsquotient  90 Scheibenrührer  165 (SMBR, submerged membrane
Response-Surface-Methode  67 Scherrate bioreactor<k>)  341
Retardationszeit  139 –– repräsentative  117 Substanz
–– Spektrum  140 Schlammalter  484 –– grenzflächenaktive  332
Retentatvolumenstrom  338 Schmidtzahl  135 Substrataufnahmerate  53
Retention  422 Schüttelkolben  196 Substratlimitierungsphase  49
Revers-flow-Diafiltration  186 –– Leistungseintrag  197 Substratüberschussinhibierung  50
Reversed-Phase-Chromatogra- Schwefel  64 Summationstheorem  560
phie  378 Sedimentation/Zentrifugation  301 supercritical fluid extraction<k>  368
reversible Einsubstratreaktion  10–11 Selektion  498 superkritische Fluidchromatogra-
Reynoldszahl  132 –– von Zellhybriden  494 phie  383
Riboflavin  66 Selektivität  338, 376 superkritische Fluidextraktion  368
Röhrenzentrifuge  302 Sensor  263 Suspensionskonzentration  311
Rohrmodul  348 –– spektroskopischer  274 Suspensionskultur  511
Rohrreaktor  90, 194 Sf21-Zellen  502 synthetische Biologie  547
rotating wall vessel reactor  221 Sf9-Zellen  502 systematischer Messfehler  101
Rotor-Stator-Homogenisator  312 Sherwoodzahl  135, 150 Systembiologie  546
Rückhalt  338 Siderophor  64 systems metabolic engineering  547
Rückhaltevermögen  338 Siebfiltration  304 Systemzeit
Rückkopplungshemmung  28 Silica-Sol-Gel  421 –– charakteristische  138
Rührer-Rheometer  118 simulated moving bed chromatogra- Systemzustandsvektor  57
Rührerwellen phy<k> (SMB)  385
–– hermetisch abgedichtete  258 Sinkgeschwindigkeit  184
Rührkesselkaskade  97
Rührorgane  163
SIP-Prozess  253
size-exclusion chromatogra-
T
–– Gas-induzierende  214 phy<k>  381 Talampanel  443
–– Leistungscharakteristik  165 Softwaresensor  284 TALEN (Transcription Activator-like
Rührreaktor  160 Solventextraktion  359, 371 Effector Nucleasen)  503
Rührwerk  161 Sophorolipid  463 targeted integration  503
Rührwerksgeometrie  312 SP2/0-Zellen  501 technisches Enzym  471
Rührwerkskugelmühlen  310 Spannungsrelaxationszeit  139 Technologie
spektroskopischer Sensor  274 –– umweltfreundliche  529
Spektrum von Retardationszeiten  140 Tellerseparator  302
S Spinnerflasche  221
Spore
Temperatur  517
Temperaturbereich
S-Rührer  216 –– thermische Stabilität  232 –– Mikroorganismenklassifizierung  61
Sättigungskinetik  50 Sprühtrocknung  395 Temperaturkoeffizient  18
Sättigungskonzentration  50 Sprungantwort  292 Tensid  463
Satzverfahren  73 Spurenelement  65 Tensidkonzentration  335
Sauerstoff  517 Stantonzahl  152 theoretische Böden  376
Sauerstoffaufnahmerate  88 Starterkultur  455 Theorie der Oberflächenerneue-
Sauerstoffbedarf  170 stationäre Phase  48, 375 rung  145
–– biologischer  479 statistische Momente  96 thermische Stabilität von Sporen  232
–– biologischer, anaerober Abbau  482 statistische Versuchsplanung  66 Thermokonvektion  373
Sauerstoffeintrag  87 Stellen thermophiler Temperaturbereich  61
Sauerstoffmessung –– kritische  245 Thiamin  65
Stichwortverzeichnis
585 S–Z
Thiele-Modul  94, 148 Vanillin  465 Zellhybriden
Tiefenfilter  518 Verdrängungschromatographie  389 –– Selektion  494
Tiefenfiltration  305 Verfahren Zellreifung  494
Tiere –– batch-Verfahren  515 Zellrückhaltung  78
–– transgene  505 –– fed-batch-Verfahren  516 Zellsuspension
Tierspezies –– kontinuierliches  238, 516 –– Konzentration  314
–– Zellliniengewinnung  503 –– Metzner-Otto-Verfahren  137 Zelltherapie  491
Tissue Engineering  218 Verlaufskurvenanalyse  16 Zellzyklus  46
Totvolumen  97 Vermehrung  46 Zentralkomplex  34
trägergebundenes Enzym  414 Verteilungskoeffizient  436 Zentrifugation  519
trägergestützte Flüssigmembrantren- Verweilzeit Zetapotenziale  305
nung  350 –– hydraulische  407 Zetapotenzialmessung  305
Trägermaterial für Enzymimmobilisie- Verweilzeitdichtefunktion  96 ZFN (Zinkfinger-Nuclease)  503
rungen  414 Verweilzeitfunktionen  95 Zinkfinger-Nuclease  503
Transformation  494 Verweilzeitsummenfunktion  96 Zirkulationszellen  179
Transgen  505 Verzögerungsphase  48 Zirkulationszellenmodell  180
transgene Pflanzen  504 viskoelastische Flüssigkeit  110 Zonenelektrophorese  373
transgene Tiere  505 Viskosität Zulaufverfahren  74
transmembrane Druckdifferenz –– komplexe  120 –– wiederholtes  82
(TMP)  341 Zustandsgrößen  58
transmembraner Fluss (TMF)  341 Zwei-Film-Modell  87
Transportvorgänge
–– Analogie  151
W Zweifilmtheorie  144
Zweiphasenextraktion
Trennfaktor  376 Wachstum  46 –– wässrige  363
Trenngrenze  338 Wachstumsmedien  66 Zweipunktregler  292
Trennstufenzahl  376 Wachstumsrate  49 zϑ-Wert  234
Trennverfahren Walzentrocknung  397
–– elektrokinetische  372 Wärmeübertragung  151
Trikanter  303 wässrige Zweiphasenextraktion  363
Trocknungsverfahren  394 Wave Bioreactor  217
Tropfkörperreaktor  182 WCB (working cell bank)  530
Turbidimetrie  273 Weberzahl  135
Turbidostat  85 Wechselwirkung
turnover number(Wechselzahl)  8 –– hydrophobe  378
Wechselzahl  8
Weissenbergzahl  138
U Wellenlänge
–– photosynthetisch nutzbare  189
Übergangskomplex  34 wiederholtes Zulaufverfahren  82
überkritische Gase  368 Wirbelschichtreaktor  514
Ultrafiltration  341 Wirbelschichttrocknung  396
Ultraschallverfahren  312 Wirtszelllinie  496
Umesterung working cell bank(WCB)  530
–– enzymatische  418
Umfangsgeschwindigkeit
–– mittlere  311
Umkehrosmose  342
X
Umkehrphasenchromatographie  378 X/D-Diagramm  77
umweltfreundliche Technologie  529 XAD-7  443
unspezifische Interaktion  377

Z
Upstream Processing  530
Ursodesoxycholsäure (UDCA)  433

Zellaufschluss  309

V –– hydrodynamischer  312
Zellaufschlussverfahren  317
van-Deemter-Gleichung  376 Zellbank  499
Van-der-Waals-Kräfte Zelldifferenzierung  494
–– elektrostatische  319 Zellernte  531

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