Sie sind auf Seite 1von 2

DIE KULTURKIRCHEN-BEWEGUNG

WOHER SIE KOMMT, WOHIN SIE WILL, WOHIN SIE SOLLTE


FRAN K HI DDEMAN N

Es gibt Kirchen, die sind das ganze Jahr über zu groß. Nur hartnäckiger Sorgfalt dieses Wort in eine Mullbinde fä-
Weihnachten sind sie zu klein. Die Münchener St. Lukas delte. Dieses außerordentlich lange, schmale, leuchtende
Kirche gehört nicht zu diesen Kirchen. Ich vermute, auch Band teilte die Kirche horizontal und macht auch das
Weihnachten bleiben hier Plätze frei. Dieser historistische schwere Grau ihres Steins sichtbar und damit auch die
Monumentalbau mit Kuppel ist von geradezu triumphalis- schwere Bürde, die diese Kirche trägt. Als ortsspezifische
tischer Größe, obwohl die Wende zum 20. Jahrhundert Installation2 beschrieb die Arbeit das Problem dieses Rau-
auch damals keine springflutartigen Zuwächse versprach. mes mit eherner künstlerischer Logik. Und das „Jetzt“-
Problem ist im Grunde auch der Impuls, der zum Entste-
Das neugotische Gebäude ist auf Zukunft hin gebaut und hen der Kulturkirchen-Bewegung führt. Es gibt Kirchen-
hat sich seine Gestalt aus der Vergangenheit geliehen. Was räume, denen das „Jetzt“ fehlt.
ihm fehlt, ist die Gegenwart. Sie wird in neuen Nutzungen
gefunden. In seinem Keller dürfen Obdachlose wohnen, im Ich denke sofort an eine Reihe alter Kirchen, deren Baustil
Erdgeschoss zuweilen Kunst und Kultur.1 Zur Kulturkir- keiner zeitgenössischen Spiritualität mehr entspricht. Ich
chen-Konferenz „Gastspiel. Kunst und Kirche“ im April 2012 fürchte, die Neogotik gehört genauso dazu wie manche
fand hier der Abschlussgottesdienst statt. Er fing mit dem Spielarten des Barock. Und auch mancher Kirchenraum
Segen an und arbeitete sich langsam zum Introitus vor. Der aus dem 20. Jahrhundert findet wohl keinen entsprechen-
Jesuitenpater Georg-Maria Roers sagte süffisant, mit der den menschlichen Frömmigkeitstyp mehr. Das lassen je-
protestantischen Liturgie könne es nicht weit her sein, wenn denfalls die Auslagen von Firmen vermuten, die die „Re-
sie von hinten nach vorne genauso funktioniere. Er sei im- sakralisierung“ von Kirchenräumen anbieten.
mer wieder von der Qualität der protestantischen Kirchen-
musik fasziniert und von der Leidenschaft, mit der geredet Die Citykirchen-Bewegung entstand mit der Wahrneh-
werde, aber eine liturgische Form habe er bisher selten mung, dass Innenstadtkirchen größerer Städte keine nor-
beobachten können. male parochiale Mischgemeinde mehr anzogen. Deswe-
gen bauten solche Gemeinden ihre Aktionsformen aus, er-
Eine formbewusste Recherche nach Sinn und Gestalt li- öffneten Cafés, veranstalteten Kurzandachten und regel-
turgischer Elemente hatte wohl tatsächlich nicht das In- mäßige Kleinformate wie „Fünf Minuten Orgelmusik zur
teresse der Vorbereitungsgruppe geleitet, eher eine grim- Mittagszeit“,
mige Experimentierlust mit vergnügter Bereitschaft zur Des-
truktion. Eigenartigerweise gefiel der Gottesdienst vielen. Kultur-Kirchen im Sinne der Bewegung entstanden zu-
Das lag nicht zuletzt an der Kirchenmusik, aber auch an nächst dort, wo Citykirchen-Pastoren alle Hoffnung fahren
dem Amusement, das eine Verdrehung des Gewöhnlichen ließen, mit neuartigen Angeboten Gemeinden aufbauen
nun einmal mit sich bringt. zu können. Als z. B. über die Zukunft der Bremer Kirche
St. Stephani nachgedacht wurde, steckte in der Citykir-
Ein anderes Verhältnis zum Vorgegebenen suchte eine chenbewegung nicht mehr genug utopisches Potential,
ortsspezifische Installation der Künstlerin Sybille Loew. Sie um auf dieser Basis eine neue Nutzung zu entwickeln.
konfrontiert die Kirche, der die Gegenwart fehlt, mit dem
„Jetzt“. Dieses Wort hatte die Künstlerin auf eine Mullbin- Der Kirchentag 2009 in Bremen machte St. Stephani zur
de gestickt und einmal durch die Kirche gezogen. In Sicht- Kulturkirche, also zu einem Ort des kulturellen Experiments.
höhe lief also eine Binde, die durch kleine elektrische Die einzigartige Atmosphäre dieses so inszenierten Ortes
Leuchtkerzen, wie man sie für Weihnachtsbäume verwen- hatte offenbar überzeugende Kraft. Die Umnutzung einer
det, hinterlegt war. Schon die Zeitform, die bei näherer Be- Kirche, für die keine Gemeinde mehr da war, wurde in die-
trachtung dieser Veränderung in den Denkraum des Be- ser Weise realisiert, auf Dauer gestellt und als Tugend in-
trachters trat, evozierte das „Jetzt“: eine Stickerin, die mit terpretiert.3

46
ausstellen, lassen sich von der baulichen Ausstrahlung der
Kirche immer inspirieren, und die Kirchengemeinde hat
fast immer noch ein Bein in der Sache, so dass ein kleines
oft unspektakuläres Laboratorium entstehen kann, das lo-
kale Ausstrahlung gewinnt.

Auch in den Städten gibt es nicht nur Kirchen, in denen die


kulturelle Nutzung einer Umnutzung gleichkommt, sondern
auch solche, in denen eine Profilgemeinde wohnt oder
ihren dialogischen Stil vor allem mit kulturellen Formaten
pflegt. Weil die Spielarten der Bewegung also von Gebäu-
den, in denen theologisch ausgebildete Kulturmanager ar-
beiten bis zu Gemeinden, in denen nur temporär künstle-
SY B I L L E LO E W : „ J E T Z T “ , B E D R U C K T E U . B E L E U C H T E T E M U L L B I N D E rische Gäste die Gemeinde herausfordern, reichen, herrscht
Diskussions- und Klärungsbedarf.
Die Bremer Erfahrung inspirierte den Kirchentag ebenso
wie die Architekten von Profilkirchenarbeit. Schon ein Jahr Zwei Kulturkirchenkonferenzen in München verfolgten die-
später gab es beim Ökumenischen Kirchentag in München sen Zweck und wurden überraschenderweise mit Geldern
eine Kulturkirche, die ein klares Thema hatte und einen des Staatsministers für Kultur und Medien für die Refor-
programmatischen Ort. Die Allerheiligen-Hofkirche ist ein mationsdekade finanziert. War die erste im November
säkularer Raum, der als Vortrags- und Konzertsaal zu mie- 2011 noch stark von reflexiven Formaten und der Arbeit an
ten ist in und der Münchener Kulturszene als renommier- Definitionen dieser Arbeit geprägt, verlief die zweite im
ter Ort gilt. Hier wurden drei Tage lang diskursive Veran- April 2011 eher als kirchliches Kulturfestival mit diskursiven
staltungen und Kunstaktionen zum Thema „Spiritualität und Einsprengseln5 und war stärker gebaut, um die Akteure zu
Virtualität“ inszeniert. vernetzen und zu inspirieren.

Die Publikation des Berliner Kulturbüros von 2011 über Kul- Kulturkirchen-Arbeit hat das Potential, vielen Kirchen das
turkirchen4, verzeichnet 33 Orte, an denen Kulturkirchen- schmerzlich entbehrte „Jetzt“ zurückzugeben. Denn im
arbeit geschieht. Man muss sagen, dass einige der be- kulturellen Bereich werden seit je die Sinn- und Lebens-
kanntesten Stätten dieser Arbeit wie der Stuttgarter Hospi- kunstthemen der Gesellschaft ventiliert. Bei abnehmender
talhof gar nicht auftauchen, es viele mehr gegeben hätte Deutungskraft der Kirchen wird diese Funktion kultureller
und dass einige dieser Kirchen anlässlich dieser Publika- Recherche immer wichtiger werden und deshalb auch die
tion überhaupt erst zu Kulturkirchen wurden. Aber der kre- Verbindung von Kultur und Kirche. Die Pflege dieser Be-
ative Akt dieses Buches sollte deutlich machen und schaff- ziehung läuft im Hin und Her des Spiels. Aber zwischen
te das auch, welche Vielfalt kultureller Arbeit es in Kirchen den Spielen muss räsoniert werden, wie das Potential theo-
bereits gab. logischer und liturgischer Ressourcen hervorgespielt wer-
den kann, damit es nicht bloß ornamental vernutzt wird.
Besonders im Osten Deutschlands hatten Kirchbauvereine
Dorfkirchen gerettet, die im Verfall begriffen waren und
nach vollendeter Sanierung nach Nutzungsmöglichkeiten
gesucht. Nun gab es in Isseroda bei Weimar eine Kirche,
die einfach nur offen steht und in der eine Klanginstal-
lation ihr Wesen treibt, wenn nicht der Kirchbauverein ein
Muttertagskaffeetrinken veranstaltet oder die Kirchgemein-
AN M E R KU NG E N
de einen improvisierten Oster-Gottesdienst.
1 http://www.sanktlukas.de/index.php?id=kunst. Entnommen am 3. Ok-
tober 2012.
Im Sachsen-Anhaltinischen Briest dagegen gibt es schon 2 Vgl. zur installativen Kunst in Kirchen: Hiddemann, Frank. Sitespe-
seit 1986 eine Puppenspielerkirche, welche schon in den cific Art im Kirchenraum. Eine Praxistheorie. Berlin: Frank & Timme,
80er Jahren die Sympathien der örtlichen LPG gewann und 2007.
3 Auf der Website der Kirche steht: „Das Stephaniviertel liegt an der
so schon zu DDR-Zeiten saniert werden konnte, während Schnittstelle von Altstadt und Überseestadt. Mit dem Zuzug von Ra-
im Thüringischen Wandersleben in der Kirche St. Petri der dio Bremen und der Volkshochschule in das Bamberger-Haus wurde
Menantes-Preis für erotische Dichtung verliehen wird. eine rasante städtebauliche Entwicklung eingeleitet. Die Bremische
Evangelische Kirche entsprach dieser quirligen Veränderung mit der
Einrichtung der Kulturkirche St. Stephani.“
Überhaupt ist die Entdeckung des ländlichen Raumes ei- http://www.kulturkirche-bremen.de/stephaniviertel.php.
nes der hervorstechendsten Merkmale der Kulturkirchen- Entnommen am 3. Okt. 2012.
4 Bahr, Petra / Bresgott, Klaus-Martin / Langbein, Hannes. Kulturkirchen.
Bewegung. Hier werden Kirchen zu quasi säkularen Veran-
Eine Reise durch Deutschland. Leipzig: EVA, 2011.
staltungsräumen, behalten aber ihre kulturprägende Kraft. 5 http://www.ekd.de/kultur/kulturbuero/download/Gastspiel2%281%
Gruppen, die hier konzertieren oder Künstlerinnen, die hier 29.pdf. Entnommen am 3. Oktober 2012.

47

Das könnte Ihnen auch gefallen