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Die Schweizer Bildungsinstitution.


Effizient. Sicher. Individuell.

VVVS 105

Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und
internationale Arbeitsteilung
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Thomas Hirt

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Volkswirtschaftslehre
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Die Schweizer Bildungsinstitution.
Effizient. Sicher. Individuell.

Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 5/6

Konjunktur, Arbeitslosigkeit und


internationale Arbeitsteilung
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Thomas Hirt

Impressum

Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Thomas Hirt
Umschlaggestaltung: dezember und juli, Wernetshausen
Satz und Layout: Mediengestaltung, Compendio Bildungsmedien AG, Zürich
Druck: Edubook AG, Merenschwand
Redaktion und didaktische Bearbeitung: Thomas Hirt
Artikelnummer: 5271
ISBN: 978-3-7155-2368-2
Auflage: 3., überarbeitete Auflage 2004
Ausgabe: A0069
Sprache: DE
Code: VVVS 105
Alle Rechte, insbesondere die Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorgängigen
schriftlichen Zustimmung von Compendio Bildungsmedien AG.
Copyright © 2002, Compendio Bildungsmedien AG, Zürich
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Modulübersicht

Modulübersicht

Das Modul «Grundlagen» ist wie folgt aufgebaut:

Lerneinheit 1/6 • Was ist eine Volkswirtschaft?


• Grundfragen des Wirtschaftens
Grundfragen des • Wie funktionieren Märkte?
Wirtschaftens, Märkte und • Wie stellen Ökonomen den Marktmechanismus dar?
Marktmechanismen

Lerneinheit 2/6 • Wie würde eine reine Marktwirtschaft funktionieren?


• Externe Effekte
Reine Marktwirtschaft, • Welches sind die Bedingungen für freien Wettbewerb?
externe Effekte und
Bedingungen für freien
Wettbewerb

Lerneinheit 3/6 • Welche sozialen Aufgaben übernimmt der Staat?


• Wie vertritt der Staat das Gemeinwohl?
Staatstätigkeit und
Staatsversagen

Lerneinheit 4/6 • Wie erfolgreich wirtschaften wir?


• Was ist Geld und was bedeutet Inflation?
Messung der wirtschaft- • Warum gibt es Inflation?
lichen Tätigkeit, Geld und • Zahlungsbilanz, Wechselkurse und Inflation
Inflation, Zahlungsbilanz
und Wechselkurs

Lerneinheit 5/6 • Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und


Konjunkturschwankungen
Konjunktur, Arbeitslosig- • Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?
keit und internationale • Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken
Arbeitsteilung

Lerneinheit 6/6 • Zur Ökonomie der Entwicklungsländer


• Internationale Organisationen
Entwicklungsländer und
internationale
Organisationen
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Einleitung und Lernziele 5

1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen 6

1.1 Was ist Arbeitslosigkeit? Wie wird sie gemessen? 6


1.1.1 Zwei Erhebungsmethoden 6
1.1.2 Mängel der offiziellen schweizerischen Arbeitslosenstatistik 7
1.1.3 Entwicklung der Arbeitslosigkeit 7
1.2 Wie verarbeitet ein Marktsystem Veränderungen? 9
1.3 Das klassische Preissystem und der Strukturwandel 11
1.4 Die konjunkturelle Dynamik 13
1.5 Drei Gründe für Arbeitslosigkeit 15
1.5.1 Sucharbeitslosigkeit, friktionelle Arbeitslosigkeit 15
1.5.2 Strukturelle Arbeitslosigkeit 16
1.5.3 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit 18
1.6 Konjunkturabschwünge und Arbeitslosigkeit 18
1.7 Konjunkturaufschwünge und Inflation 21
1.8 Wodurch werden konjunkturelle Abschwünge ausgelöst? 23
1.9 Lecks und Zuflüsse - eine Kreislaufanalyse 26
1.9.1 Sparen und Investieren 26
1.9.2 Was erschwert den Ausgleich zwischen Sparen und Investieren? 27
1.9.3 Importe und Exporte 28
1.9.4 Was erschwert den klassischen Ausgleich im Aussenhandel? 28
1.9.5 Staatsausgaben und Steuern 29
1.9.6 Das makroökonomische Gleichgewicht 30
1.10 Welche Rolle spielen Stimmungen in der konjunkturellen Dynamik? 32

2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2.1 Was lässt sich gegen Konjunkturschwankungen tun?


Antizyklische Konjunkturpolitik 34
2.1.1 Das Prinzip der antizyklischen Konjunkturpolitik der Regierung 34
2.1.2 Die Praxis der antizyklischen Konjunkturpolitik der Regierung 36
2.1.3 Antizyklische Konjunkturpolitik der Notenbank 38
2.2 Wo sind die Grenzen der Konjunkturpolitik? 43
2.2.1 Die inflationsstabile Arbeitslosenrate 43
2.2.2 Warum ist die Arbeitslosigkeit in Europa so hoch? 45
2.2.3 Wie liesse sich die inflationsstabile Arbeitslosenrate verringern? 49

3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

3.1 Der schweizerische Aussenhandel 51


3.2 Zwei Kräfte hinter dem Aussenhandel 52
3.3 Die Theorie der komparativen Vorteile 53
3.3.1 Die Theorie der komparativen Vorteile im Modell 53
3.3.2 Die Theorie der komparativen Vorteile im Alltag 54
3.3.3 Die komparativen Vorteile der Schweiz 56
3.4 Gütervielfalt und zunehmende Skalenerträge 57
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Inhaltsverzeichnis

3.5 Freier internationaler Handel - Pro und Kontra 58


3.5.1 Wohlstandsgewinn durch Aussenhandel 58
3.5.2 Gewinner und Verlierer des Strukturwandels 59
3.5.3 Wohlstandsgewinne und Umwelt 60
3.5.4 Gewinnen alle Länder? Spezialisierung in die richtige Richtung? 60
3.5.5 Strategische Handelspolitik 62
3.6 Kann ein einzelnes Land im Umweltschutz vorpreschen? 63

Gesamtzusammenfassung 67

Lösungen zu den Aufgaben 72


Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Einleitung und Lernziele

Einleitung und Lernziele

in diesem Lernheft stehen zwei Problemkreise im Zentrum, die in den Medien grossen
Raum einnehmen: die Arbeitslosigkeit und der zunehmende internationale Handel.
• Mit der Arbeitslosigkeit beschäftigt uns in den ersten drei Kapiteln eines der drän-
gendsten Probleme europäischer Volkswirtschaften. Wie erklären Ökonomen, dass in
Europa so viele Leute arbeitslos sind, und wie könnte man dem Problem begegnen?
So viel können wir schon jetzt vorwegnehmen: Eine einhellige Antwort gibt es nicht.
Arbeitslosigkeit kann verschiedene Ursachen haben. Und so geht der Streit heute vor
allem darum, auf welche Ursachen die Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist.
Eine mögliche Ursache sind die konjunkturellen Schwankungen, d. h. die kurzfristi-
gen Auf- und Abschwünge in der Entwicklung einer Volkswirtschaft. In einem Ab-
schwung (Rezession) werden plötzlich in allen Branchen Leute entlassen. Wir fragen
deshalb, was Konjunkturschwankungen sind, wie sie entstehen und wie man sie be-
kämpfen könnte. Arbeitslosigkeit kann aber auch auf unübersichtliche Arbeitsmärk-
te zurückzuführen sein. Leute, die ihre Stelle verlieren, müssen lange suchen, bis sie
eine an sich vorhandene neue Stelle finden. Wer die Arbeitslosigkeit auf intransparente
Arbeitsmärkte zurückführt, fragt natürlich, wie mehr Transparenz erreicht werden
könnte. Und schliesslich entsteht Arbeitslosigkeit auch, weil sich Volkswirtschaften in
einem ständigen Strukturwandel befinden. Einstmals blühende Zweige werden vom
Fortschritt überholt und die dort Beschäftigten verlieren ihre Stelle. Dafür entstehen
neue zukunftsträchtige Zweige. Diese können die freigesetzten Werktätigen aber oft
nicht einfach aufnehmen, weil ganz andere Fähigkeiten nötig sind oder weil die neuen
zukunftsträchtigen Branchen an anderen Standorten entstehen als die alten niederge-
henden.
Im zweiten Teil des Lernhefts beschäftigen wir uns mit der zunehmenden Internatio-
nalisierung von Volkswirtschaften. Wir fragen, welche Chancen der internationale
Handel eröffnet und welche Auswirkungen er haben kann.

Wir wünschen Ihnen bei der Arbeit mit diesem Lehrmittel viel Spass und Erfolg!
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel


und Konjunkturschwankungen

In diesem und dem folgenden Kapitel geht es um das grosse soziale Problem vieler Markt-
wirtschaften, die Arbeitslosigkeit. Sie bedeutet für viele Betroffene grosse existenzielle
Unsicherheit. Arbeitslose plagt das deprimierende Gefühl, nicht mehr gebraucht zu wer-
den, und arbeitslosen Jugendlichen werden die Zukunftsperspektiven genommen. Einer-
seits ist Arbeit ein zentraler Wert in unserer Gesellschaft, andererseits bringen wir es aber
nicht fertig, uns so zu organisieren, dass alle Arbeitswilligen eine Arbeit haben. Daneben
ist Arbeitslosigkeit auch eine riesige Verschwendung unserer wichtigsten Ressource, der
menschlichen Arbeitskraft. So drängend das Problem ist, so unmöglich scheint es heute,
dafür grundlegende Lösungen zu finden. Doch über Lösungen denken wir erst im Kapitel
2 nach. Zuerst wollen wir uns ein Bild über die verschiedenen Mechanismen machen, die
zu Arbeitslosigkeit führen — es gibt nämlich verschiedene Gründe für Arbeitslosigkeit.

1.1 Was ist Arbeitslosigkeit? Wie wird sie gemessen?

Als arbeitslos gilt, wer keine Beschäftigung findet, obwohl er eine Anstellung sucht
und arbeitsfähig ist. Da es sich bei der gesuchten Arbeit immer um eine bezahlte
Beschäftigung in Unternehmen oder beim Staat handelt, würde man genauer von
Erwerbslosigkeit sprechen.

Das Verhältnis der Arbeitslosenzahl zur Zahl der Erwerbspersonen ergibt die Arbeitslosen-
rate oder Arbeitslosenquote (zu den Erwerbspersonen zählt man die Erwerbstätigen und
die Erwerbslosen).

1.1.1 Zwei Erhebungsmethoden

Arbeitslosenstatistiken werden stark beachtet, sie sind politisch brisant, und nicht zuletzt
darum sind sie auch stark umstritten. Die Zahl der Arbeitslosen wird auf zwei offiziellen
Wegen erhoben — zum einen mit repräsentativen Umfragen und zum anderen, indem
einfach gezählt wird, wie viele Personen bei den Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldet
sind.
• Für die Durchführung der Umfragen gibt die Internationale Arbeitsorganisation ILO
(International Labour Organization) Richtlinien heraus. Erfasst soll werden, wer nicht
erwerbstätig ist, eine Arbeit sucht und innerhalb der nächsten vier Wochen eine Arbeit
aufnehmen kann. Umfragen werden in der Regel vierteljährlich durchgeführt und sind
aufwendig. Dafür erreichen sie auch Arbeitslose, die sich nicht beim Arbeitslosenamt
registrieren wollen oder dürfen. Leider werden aber die Richtlinien von den verschie-
denen Ländern sehr unterschiedlich ausgelegt. So haben auch die statistischen Büros
der internationalen Organisationen (ILO, OECD oder EU) die grösste Mühe, die ver-
schiedenen nationalen Daten nachträglich einigermassen vergleichbar zu machen. In
den meisten europäischen Ländern werden die Umfrageergebnisse den Statistiken der
Arbeitsämter vorgezogen — erst recht dort, wo die Umfragen sogar monatlich durch-
geführt werden, wie in den USA oder Japan.
Seit 1991 unternimmt auch die Schweiz eine jährliche Schätzung ihrer Arbeitslosen-
zahl nach den internationalen ILO-Richtlinien. Die kurze Datenreihe mit dem offiziellen
Namen «Erwerbslose der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE» des Bundes-
amtes für Statistik hat aber noch wenig Akzeptanz gefunden.
• Beachtet wird hingegen die Statistik des Staatssekretariats für VVirtschaft/seco. Sie
zählt jene Arbeitslosen, die bei der Arbeitslosenkasse gemeldet und damit bei den
kantonalen Arbeitsämtern registriert sind. Seit 1993 teilt sich diese offizielle Datenreihe

6
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

auf in die Arbeitslosen im engeren Sinne und die «Stellensuchenden». Nicht mehr als
«arbeitslos», aber immer noch als «stellensuchend» gilt, wer in einem Arbeitspro-
gramm beschäftigt ist, einen Umschulungs- oder Weiterbildungskurs besucht oder
auch einem Zwischenverdienst nachgeht.

1.1.2 Mängel der offiziellen schweizerischen Arbeitslosenstatistik

Von der offiziellen schweizerischen Arbeitslosenstatistik nicht erfasst sind Stellensu-


chende, für die es sich nicht lohnt, regelmässig den manchmal deprimierenden Gang aufs
Arbeitsamt zu unternehmen: «ausgesteuerte» Stellensuchende, deren Versicherungsan-
spruch erloschen ist, Frauen, die sich unfreiwillig ins Haus zurückziehen, Frauen, die nach
einem mehrjährigen Unterbruch wieder ins Erwerbsleben einsteigen wollen. Nicht gezählt
wird auch, wer aufgrund der Beschäftigungslage frühpensioniert oder auf Kosten der IV als
arbeitsunfähig erklärt wird.

Krass unterschätzt wurde die Arbeitslosigkeit im Konjunkturabschwung von 1975/76,


denn damals waren weniger als 30% der Lohnabhängigen gegen Arbeitslosigkeit versi-
chert. Wegen fehlender Arbeitslosenversicherung zogen es etwa 250 000 arbeitslose Aus-
länder und Ausländerinnen vor, in ihr Land zurückzukehren. Infolge dieser Rückwanderung
und weil sich viele Frauen nicht als arbeitslos meldeten, lag die offizielle Arbeitslosenrate
1976 bei beschönigenden 0,7%.

Diese statistische Lücke füllt die Konjunkturforschungsstelle der ETH. Sie hat in mehreren
Studien sowohl das gesamte Angebot wie auch die gesamte Nachfrage auf dem schwei-
zerischen Arbeitsmarkt geschätzt und als Differenz das Überangebot an Arbeitskräften
errechnet. In der folgenden Abbildung wird neben der offiziellen Arbeitslosenzahl auch
dieses effektive Ungleichgewicht auf den Arbeitsmärkten abgebildet.

1.1.3 Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Die unten stehende Abbildung zeigt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den USA, der
EU und in der Schweiz.
• Auffallend ist, wie in den USA die Arbeitslosenrate schwankt. In schlechten Zeiten
kann die Arbeitslosenrate 7 bis 10% erreichen. In besseren Zeiten sinkt sie wieder auf
4 bis 5%.
• In der Schweiz stieg das Arbeitsmarktungleichgewicht dreimal stark an. Zweimal fiel
die Arbeitslosigkeit schnell wieder unter 2%, nach 1994 verharrte sie aber lange Zeit
auf hohem Niveau.
• Dramatisch ist die Lage in der EU: Die Arbeitslosigkeit stieg in schlechten Zeiten an,
ohne in guten Zeiten wieder auf das frühere Niveau zu sinken! Die Arbeitslosenrate
stieg treppenartig an und erreichte in den 90er Jahren etwa 10 °A.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

[1-1] Arbeitslosenrate USA, Schweiz und EU


Arbeitslosenquote USA
(in Prozent)

12 -

10 -

8 -

2 -

0 1 1 I I 1 1 1 1 , 1 1 1 1 I 1 1 1 1 1 1 1 I.- Jahre
1960 65 70 75 80 85 90 95 2000 05

Arbeitslosenquote Schweiz
(in Prozent)

12 -

10 - offizielle Rate der


Arbeitsmarkt- Stellensuchenden
8 - Ungleichgewicht

6 -

4 -

2 -

o 1 11 7- 1 Jahre
1960 65 70 75 80 85 90 95 2000 05

Arbeitslosenquote EU (15 Mitglieder)


(in Prozent)

12 -

10 -

4 -

1 1 1 1 1 1 1 T 1 1 -1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Jahre
1960 65 70 75 80 85 90 95 2000 05
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.2 Wie verarbeitet ein Marktsystem Veränderungen?


In einer modernen Wirtschaft leben wir mit den vielfältigsten Veränderungen — mit lang-
samen, schleichenden Entwicklungen oder auch mit unerwarteten, plötzlichen Umwäl-
zungen. Wie reagiert nun unser Wirtschaftssystem darauf? Um das zu verstehen, wollen
wir hier die Reaktionen auf eine schlagartige technische Veränderung verfolgen. Dabei ver-
einfachen wir, denn es kommt nicht auf die Genauigkeit des Beispiels an, sondern auf das
Prinzip, das wir erkennen wollen:

Betrachten wir eine grosse Branche wie das grafische Gewerbe. Hier habe man bisher nur
mit Papier, Farbstiften und Linealen gearbeitet. Nun wird es möglich, die Arbeit dreimal so
schnell zu verrichten — dank Computern und raffinierten Programmen, in die man sich
schnell einarbeiten kann. Was wird geschehen? Versuchen wir, das im Rahmen eines sehr
einfachen Wirtschaftsmodells, dargestellt in der folgenden Abbildung, zu beantworten:
• Dank den extremen Rationalisierungsmöglichkeiten braucht es dreimal weniger Be-
schäftigte. Tausenden droht die Entlassung, viele werden entlassen.
Die Produktion wird viel billiger. Zwar kosten die Computer und die Programme
Geld, die Einsparungen an Lohnkosten sind aber viel grösser, sodass grosse Gewinne
für die Unternehmen übrig bleiben.
• Grössere Gewinne regen die Produktion an. Dadurch werden wieder mehr Grafiker
und Grafikerinnen eingestellt. So finden einige wieder eine Stelle in ihrem alten Beruf
— allerdings müssen viele lange suchen, denn der Arbeitsmarkt ist unübersichtlich.
• Die meisten Arbeitslosen müssen sich neu orientieren. Einigen gelingt es, sich
selbstständig zu machen und selber Leute einzustellen. Viele schulen sich um, werden
Innenarchitektin, Tennislehrer oder arbeiten in einem Computer-Serviceladen.
• Alte wie neue Firmen bieten mehr grafische Erzeugnisse an. Das drückt die Preise.
Damit verschwinden die anfänglich hohen Gewinne, die durch die leistungsfähigere
Technik möglich wurden. Doch niedrigere Preise lassen die Nachfrage ansteigen. Die
Zeitungen werden aufwendiger gestaltet, auch der Nachbar hat jetzt eigene Visitenkärt-
chen, die Prospekte werden luxuriöser und dicker und unsere Briefkästen verstopfter.
• Das Gleiche — wenn auch abgeschwächt — geschieht in jenen Branchen, die Leute aus
dem grafischen Gewerbe aufgenommen haben. Durch das höhere Angebot von Ten-
nislehrern sinken vielleicht die Tarife etwas, was mehr Leute dazu animiert, ihr Tennis
in einem Kurs zu verbessern. Und geschmackvoll gestaltete Werbebroschüren, die im
neu eröffneten Tennisclub aufliegen, verbreiten neue Ideen; so etwa die Wohnungs-
einrichtung mit professionellem Beistand zu erneuern — usw. Auf diese Weise kann
sich die Produktion in vielen Branchen leicht erhöhen.
• Nur kurz soll erwähnt werden, dass auch die Kapital- und Bodenmärkte betroffen sind.
Spargelder fliessen jetzt vermehrt in Software-Entwicklungen. Und wo früher ein gra-
fisches Atelier eingemietet war, arbeitet jetzt eine Gruppe von Innenarchitektinnen.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und KonjunktursCwankungen

[1 -2] Der einfache Wirtschaftskreislauf mit Güter- und Faktormärkten (ohne


Umweltgüter, Staat und Ausland)

Güter- und
-0--
Ressourcenströme
Geldströme —

Und welches Fazit ziehen wir? Die grosse technische Veränderung bringt zwar Arbeitslo-
sigkeit mit sich. Aber sie wird nach kürzerem oder längerem Suchen oder nach einer
kürzeren oder längeren Umstrukturierungszeit wieder verschwinden. Auf den Arbeits-
märkten wie auch auf allen anderen Märkten werden sich früher oder später Angebot und
Nachfrage wieder ausgleichen. Auf diese Weise führt die Effizienzsteigerung in einer Bran-
che zu einer Produktionserhöhung in mehreren Branchen.

Das alles kommt Ihnen zwar bekannt vor (Kapitel 1, Lernheft 2), trotzdem haben Sie ver-
mutlich diese Ausführungen mit Skepsis gelesen und sich dabei gedacht, dass wir alle
weniger optimistisch gestimmt sind, wenn Arbeitslosigkeit auftritt. Das stimmt. Darum
machen wir — wiederum im Rahmen des einfachen Wirtschaftsmodells der Abbildung
oben — einen zweiten Versuch und fangen unsere Geschichte nochmals von vorne an:
• In einer grossen Branche wird es möglich, die Arbeit nach kurzer Umstellung dreimal
so schnell wie bisher zu verrichten.
• Darum braucht es weniger Beschäftigte. Tausenden droht die Entlassung, viele wer-
den entlassen.
Die Entlassenen haben (trotz Arbeitslosenkasse) weniger Geld. Sie kaufen weniger.
Zwangsläufig müssen sie neu beurteilen, was nötig und was weniger nötig ist.
• Auch wer nicht entlassen wird, aber Angst vor einem Stellenverlust hat, schränkt
sich ein und verschiebt grössere Anschaffungen auf später.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Es werden merkbar weniger Möbel, Autos, Kleider, Fernsehapparate usw. verkauft. In


vielen Läden und Fabriken stockt der Absatz. Die Warenlager wachsen. Es wird oit-m; -
ger produziert.
• Weit verstreut kommt es damit zu Entlassungen. Leute aus den verschiedensten Bran-
chen sind jetzt arbeitslos. Immer mehr sind verängstigt, zum Teil weil viele von ihren
Vorgesetzten nun schnöder behandelt werden.
• Noch mehr halten sich bei ihren Einkäufen zurück, weil sie damit rechnen müssen, ent-
lassen zu werden.
• Jetzt sinken die Verkäufe stärker. Das führt zu noch mehr Entlassungen. Je stärker die
Einkommen sinken, desto weniger wird gekauft und desto mehr Leute werden
entlassen.

Fazit? Eine grosse Einkommenseinbusse führt zu einer sich selbst verstärkenden Reaktion
(man spricht von einem Teufelskreis, wenn es, wie im Beispiel, immer schlimmer wird).
Kleinere Einkommen führen zu kleineren Ausgaben, diese zu Arbeitslosigkeit in verschie-
densten Branchen, worauf die Einkommen noch mehr sinken etc. Es kommt nicht zu
einem allgemeinen Ausgleich wie bei der ersten Variante.

Aber was stimmt nun? Die erste oder die zweite Variante? Beide! Unsere Analyse ist
plötzlich sehr raffiniert geworden. Wir beobachten zwei Abläufe mit grundlegend verschie-
denen Folgen für die gesamte Wirtschaft im gleichen Wirtschaftssystem zur gleichen Zeit.
Im Wirtschaftskreislauf, wie er in der vorhergehenden Abbildung dargestellt ist, laufen also
gleichzeitig zwei grundverschiedene Prozesse ab: der Marktmechanismus, der früher
oder später Angebot und Nachfrage ausgleicht, sowie eine sich selbst verstärkende Kreis-
laufwirkung. Beide Prozesse wollen wir nun genauer anschauen — zuerst den ausglei-
chenden Mechanismus und dann die sich selbst verstärkende Kreislaufwirkung.

1.3 Das klassische Preissystem und der Strukturwandel

Bis jetzt haben wir in diesem Kurs immer die ausgleichende Sichtweise gepflegt. Seit der
Begründung der modernen Ökonomie durch Adam Smith wird auf diese Weise erklärt, wie
Preise Angebot und Nachfrage ausgleichen — man spricht daher vom «klassischen» Preis-
system. Diese klassische Sichtweise wird in der folgenden Abbildung hervorgehoben. Die
Pfeile von Angebot und Nachfrage stossen auf Märkten aufeinander. Dort werden die
Preise ausgehandelt.

Die Preise bringen Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung. Dafür braucht es aber
meistens Zeit. So kann man mit dieser Vorstellung vor allem langfristige Phänomene erklä-
ren.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

[1 -3] Die klassische Betrachtungsweise: Preise führen auf einzelnen Märkten zu einem
Ausgleich. Dies führt zu einem Ausgleich im ganzen System.

Nachfrage Angebot
nach Arbeitskräften, an Arbeitskräften,
Kapital und Boden Kapital und Boden

Angebot Nachfrage
an Waren und nach Waren und
Dienstleistungen Dienstleistungen

Mit dieser Sicht verstehen wir, wie uns Veränderungen zu Anpassungen zwingen. Auf
Änderungen im Konsum, in der Produktionstechnik oder in der Umwelt reagieren die
Preise auf den verschiedensten Märkten. Die Preisänderungen geben dann Signale zu
unzählbaren Umstrukturierungen, die früher oder später vollzogen sind. Nach diesen
Umstrukturierungen, die der ausgleichende Marktmechanismus erzwingt, sind alle Res-
sourcen wieder so eingesetzt, dass unsere Konsumwünsche bestmöglich befriedigt sind.
Man schwärmt darum auch gerne von den «selbstheilenden» Kräften des Marktsys-
tems.

Allerdings verhindern eine Reihe von Marktversagen, dass sich das Gleichgewicht dort ein-
stellt, wo unsere Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden: 1. externe Nutzen und Kos-
ten, 2. Marktmacht (Beschränkungen des Wettbewerbs, wenig transparente Märkte,
Manipulation der Käufer) und 3. soziale Probleme. Bei der Analyse dieser drei Marktversa-
gen haben wir immer eine klassische, längerfristige Sicht geübt. Wir sind davon ausgegan-
gen, dass Angebot und Nachfrage früher oder später ins Gleichgewicht kommen. Und wir
haben uns auch darauf verlassen, dass das gesamte Marktsystem ins Gleichgewicht
kommt, wenn die einzelnen Märkte dies tun.

Das hier diskutierte 4. Marktversagen ist anders. Unsere bisherige klassische Ökonomie,
die davon ausgeht, dass sich früher oder später Angebot und Nachfrage ausgleichen,
reicht nicht mehr aus, um Konjunkturschwankungen zu verstehen.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.4 Die konjunkturelle Dynamik

Unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise der 30er Jahre (damals wurden in den USA 25%
aller Arbeitskräfte arbeitslos, in Deutschland sogar über 30%) hat der englische Ökonom
John Maynard Keynes (1883-1946) eine bahnbrechende Theorie entwickelt, um Kon-
junkturschwankungen zu verstehen. Seither wurde seine Sichtweise in der Diskussion von
Gegnern und Befürwortern verfeinert und neuen wirtschaftlichen Entwicklungen ange-
passt. Allen keynesianischen und neukeynesianischen Theorien ist aber eine Grundan-
nahme gemeinsam: Sie vertrauen nicht allein auf die «selbstheilenden» Kräfte des Markt-
systems, sondern analysieren auch die sich selbst verstärkenden Mechanismen im
Wirtschaftskreislauf, so wie sie in der folgenden Abbildung dargestellt sind.

[1-4] Die Kreislaufwirkung: Zunahmen und Abnahmen von Einkommen und Ausgaben
verstärken sich gegenseitig, bevor ein Ausgleich auf den Märkten zustande
kommen kann.

Einkommen
Geldstrom ......
.
Arbeitseinkommen,
Zinsen, Bodenrenten,
Gewinne

Haushalte
Unternehmen
(Haushaltsarbeit)

für Waren und


Dienstleistungen

Im Modell sind nur noch die Geldströme eingezeichnet: Einkommen- und Ausgabenströ-
me. Das Modell hebt hervor, wie niedrigere Einkommen direkt zu kleineren Ausgaben füh-
ren und diese wiederum direkt zu einer Verminderung der Produktion und der Einkommen,
worauf in einem Teufelskreis wiederum die Ausgaben sinken etc. Mit dieser neuen Sicht-
weise von Keynes verstehen wir, wie die Gesamtwirtschaft auf eine grosse Veränderung
reagiert, bevor ein Ausgleich auf den betroffenen Märkten zustande kommen kann.
Die Märkte sind darum in der Abbildung oben nicht eingezeichnet. Die Entscheide der
Unternehmen wirken direkt auf die Entscheide der Haushalte, und die Entscheide der
Haushalte wirken wiederum direkt auf die Unternehmen.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Dieses Modell hilft uns zu verstehen, wie konjunkturelle Abschwünge während Jahren
andauern und sich sogar noch verstärken können:
Stocken die Absätze, werden selten sofort die Preise gesenkt, um auf den Märkten
neue Kunden zu finden. Schneller schränken die Unternehmen die Produktion ein und
entlassen Leute.
Arbeitslose haben weniger Einkommen und kaufen weniger. Auch wer Angst vor Ar-
beitslosigkeit bekommt, schränkt sich ein.
• Die Verkäufe nehmen noch stärker ab, noch mehr Leute werden entlassen. Es wird
noch weniger gekauft usw. — ein sich selbst verstärkender Mechanismus.
• Dauert die Rezession länger, werden vermehrt auch die Preise gesenkt. Die Preisnach-
lässe können sich so ausbreiten, dass wir eine Deflation (negative Inflationsraten) erle-
ben. Bei sinkenden Preisen werden nun aber viele Käufer zuwarten. Die Produktion
muss noch stärker eingeschränkt werden usw.

Der konjunkturelle Mechanismus wirkt aber auch in die positive Richtung. Dann erleben
wir einen konjunkturellen Aufschwung:
• Verkaufen die Unternehmen viel, wachsen ihre Auftragsbestände. Es wird mehr pro-
duziert. Mehr Leute werden eingestellt.
• Die Einkommen steigen, die Angst vor Arbeitslosigkeit sinkt.
• Die Verkäufe nehmen stärker zu und noch mehr Leute werden eingestellt.
• Es wird noch mehr gekauft usw. — Wiederum ein sich selbst verstärkender Mechanismus.

Fassen wir zusammen: In einer Marktwirtschaft laufen gleichzeitig sowohl ausglei-


chende wie auch sich selbst verstärkende Prozesse ab.
• Auf den Märkten reagieren die Preise auf Änderungen in der Konsumstruktur, in der
Produktionstechnik usw. Die Preisänderungen veranlassen dann Umstrukturie-
rungen, die früher oder später abgeschlossen sein werden.
• Bevor jedoch ein Ausgleich auf den Märkten zum Abschluss kommt, kann eine sich
selbst verstärkende konjunkturelle Dynamik in Gang kommen: Sinkende Einkom-
men führen zu kleineren Ausgaben, was zu einem Sinken der Produktion und der Ein-
kommen führt usw. Umgekehrt führen steigende Einkommen zu steigenden Ausga-
ben, diese wiederum zu steigenden Einkommen usw.

Aufgabe 1 Welche der folgenden Aussagen wurden im langfristigen klassischen Gedankengebäude


gemacht? Welche sprechen kurzfristige Phänomene an: die Umstrukturierungsprobleme
und evtl. auch die konjunkturelle Dynamik? Begründen Sie Ihre Wahl.

A] «Die Computer vernichten in der Industrie unzählige Stellen. Und je mehr Leute durch
die Computer arbeitslos werden und weniger kaufen, desto mehr andere Leute verlieren
auch ihre Stelle.»

8] «Die Computer erhöhen die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Sie leisten einen
wichtigen Beitrag zur Vergrösserung unseres Wohlstandes.»

Cl «Ein starkes Erdbeben ist auch eine wirtschaftliche Katastrophe, werden doch Werte in
Milliardenhöhe zerstört.»

D] «Ein starkes Erdbeben ist wenigstens wirtschaftlich ein Segen, denn damit wird ein
Boom in dieser Gegend ausgelöst.»

El «Die Skifabriken sind in einer tiefen Krise. Es werden kaum mehr Skis gekauft, weil alle
Snowboard fahren wollen.»

F] «Die Krise ist viel schlimmer. Die Leute kaufen fast nichts mehr. Die einen haben kein
Geld mehr, die andern wollen es nicht ausgeben.»

14
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Aufgabe 8 Eine grosse Schuhfabrik, die schon lange mit Verlust arbeitet und nur schlechte Löhne
zahlt, schliesst ihre Tore. 5 000 Arbeitskräfte (das sind ein Viertel aller Arbeitskräfte in der
Region) werden entlassen.

Entwerfen Sie ein Szenario, was in dieser Region nun geschehen könnte. Unterscheiden
Sie dabei zwischen:

A] dem Erklärungsrahmen der konjunkturellen Dynamik und

B] dem Erklärungsrahmen des klassischen Gleichgewichts.

So viel zum Prinzip von Strukturwandel und konjunktureller Dynamik. Bevor wir uns ver-
tieft mit Konjunkturschwankungen befassen, wollen wir die Arbeitslosigkeit noch etwas
genauer beschreiben. In unserer einfachen Geschichte einer technischen Umwälzung wie
auch in der komplexen Wirklichkeit können wir nämlich drei verschiedene Arten von
Arbeitslosigkeit unterscheiden:

1.5 Drei Gründe für Arbeitslosigkeit

1.5.1 Sucharbeitslosigkeit, friktionelle Arbeitslosigkeit

Unsere Arbeitsmärkte sind unübersichtlich. Darum wissen viele Stellensuchende nicht


genau, wo jemand gebraucht würde. So sind nicht wenige arbeitslos, obwohl genau die
richtige Stelle für sie offen wäre. Sucharbeitslos sind vor allem Leute, die den Beruf wech-
seln oder in eine andere Gegend ziehen, Schulabsolventen und Frauen, die nach einem
Unterbruch wieder ins Berufsleben zurückkehren, wenn die Kinder grösser geworden sind.

Anstatt von Sucharbeitslosigkeit spricht man auch von friktioneller Arbeitslosigkeit. Es


gibt sie vor allem wegen der fehlenden Transparenz der Arbeitsmärkte, man findet darum
beim Stellenwechsel nicht immer sofort wieder eine neue Stelle.

Angebot und Nachfrage können aus verschiedenen Gründen nicht zueinanderfinden. Ist die Lage
unübersichtlich und intransparent, handelt es sich um friktionelle Arbeitslosigkeit. Foto: Keystone

15
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.5.2 Strukturelle Arbeitslosigkeit

Strukturelle Arbeitslosigkeit gibt es, wenn auf den Arbeitsmärkten das Angebot an Arbeits-
kräften in qualitativer oder regionaler Hinsicht nicht mit der Nachfrage übereinstimmt. Sie
entsteht, wenn einzelne Branchen schrumpfen, während andere, vielleicht an anderen
Orten, sogar wachsen. Es kommt zu einem offenen Nebeneinander von Arbeitslosigkeit
und unbesetzten Stellen.

Es gehört zum Marktsystem, dass Branchen ihre Produktion verkleinern müssen und
darum Leute entlassen werden. Dafür gibt es auf der anderen Seite rentablere Branchen,
die ihre Produktion vergrössern und neue Leute einstellen. Alte Berufe werden überflüssig,
neue entstehen. So waren die Fähigkeiten der Setzer mit der Einführung des Fotosatzes
mit einem Schlag nicht mehr gefragt, dafür eröffnet die IT immer neue Möglichkeiten. Aber
es kann viel Zeit brauchen, bis das Angebot einer bestimmten Qualifikation mit der sich
dauernd verändernden Nachfrage übereinstimmt. Wie gross der Strukturwandel zwischen
den Branchen in der Schweiz ist, zeigt die folgende Tabelle:

[1-51 Voll- und Teilzeitbeschäftigte (ab 6 Std. pro Woche) in der Schweiz nach Branchen,
1960 bis 2007 (in Tausend)

1960 Verän- 1980 Verän- 2000 Verän- 2007


derung derung derung
Land-und 409 -45% 227 -19% 184 -7% 171
Forstwirtschaft
Nahrungsmittelindustrie 78 - 7% 72 - 7% 67 - 6% 63
Energie, Wasser 15 + 37% 21 + 23% 26 + 2% 26
Textilindustrie 75 -51% 36 -58% 15 - 27% 11
Bekleidung, Schuhe, 76 -54% 35 -68% 11 - 36 % 7
Lederwaren
Papierindustrie 21 -18% 17 -10% 15 -18% 13
Grafik, Druck 53 + 14% 61 -8% 56 - 16% 48
Kunststoff 20 +19% 24 +11% 26 -2% 26
Chemie, Pharma 50 + 39% 69 - 9% 63 10% 69
Metall 102 0% 102 + 2% 104 + 2% 106
Maschinen 146 + 12% 164 - 19% 133 - 5% 127
Elektro, Elektronik 51 +34% 68 -9% 62 -6% 58
Präzisionsinstr., Uhren 99 - 16% 83 - 8% 76 19% 90
Steine, Holz, div. Ind. 139 - 13% 121 - 20 % 97 - 3% 94
Bau 363 -1% 358 -18% 295 +6% 311
Handel 350 +50% 524 +21% 632 +5% 666
Gastgewerbe 172 +23% 212 +18% 250 -1% 248
Verkehr, Kommunikation 152 +30% 197 +37% 270 +3% 278
Banken und Versiche- 51 + 148% 126 +58% 200 + 15% 230
rungen
Unterrichtswesen 89 + 71% 152 +62% 247 + 15% 284
Gesundheits- und 98 + 138% 233 + 84% 429 + 18% 506
Sozialwesen
Öff. Verwaltung, Sozial- 74 +59% 117 +36% 159 +22% 194
vers.
Diverse Dienstleistungen 119 + 115% 256 + 158% 661 + 19% 788
Total 2 801 +17% 3 276 +25% 4 080 +8% 4 412

Quellen: BFS (wvvw.bfs.admin.ch); 1960 und 1980 Schätzungen aufgrund von Daten des BFS.

In der Tabelle sehen wir, wie sich das Gewicht der einzelnen Branchen seit den 60er Jahren
entwickelt hat. Noch härter als die Landwirtschaft, die seit 1960 über die Hälfte ihrer
Beschäftigten verloren hat, wurden die Textil- und die Bekleidungsindustrie betroffen. Hier

16
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

arbeiten heute fast siebenmal weniger Leute als 1960. Stark an Bedeutung verloren hat
auch die Uhrenindustrie.

Dafür vergrösserte sich die Beschäftigung vor allem bei den Dienstleistungen. Banken,
Versicherungen, Gesundheitsdienst und die personalintensiven diversen Dienstleistungen
(Reparaturen, Beratung, Schulen, Heime, öffentliche Verwaltung) expandierten auf das
Drei- bis Fünffache.

Neben diesem Strukturwandel zwischen den Branchen gibt es zusätzlich einen starken
Wandel innerhalb der Branchen. Die Produkte werden immer forschungsintensiver und
mit ihnen zusammen werden oft auch spezielle Dienstleistungen verkauft. Und mit den raf-
finierteren Gütern verändern sich auch die Produktionstechnik und die Arbeitsorganisation.
Innerhalb der einzelnen Industriezweige gibt es immer weniger Arbeitsplätze in der Fabrik
und immer mehr Büroberufe für Verwaltung, Forschung und Entwicklung, Planung, Wer-
bung, Verkauf und Kundenbetreuung.

Die Umstrukturierungen vollziehen sich oft sehr schmerzhaft, denn die geforderte Anpas-
sung ist bei aller beruflicher und geografischer Mobilität der Arbeitskräfte nicht immer
möglich. Häufig werden Arbeiterinnen und Arbeiter durch Umstrukturierungen für längere
Zeit arbeitslos, besonders dann, wenn ganze Wirtschaftszweige oder gar ganze Regionen
von einem Nachfragerückgang betroffen sind. Diesen Arbeitslosen können dann zwar viele
offene Stellen in anderen Branchen und Regionen gegenüberstehen. So gab es beispiels-
weise Mitte der 1970er-Jahre viele arbeitslose Uhrmacherinnen im Jura, denen vorläufig
wenig geholfen war, dass überall in der Schweiz Krankenschwestern sehr gesucht waren.
Es würde eine längere Ausbildungszeit brauchen oder man müsste sogar in eine andere
Gegend umziehen, um solche Chancen wahrzunehmen. Strukturelle Arbeitslosigkeit kann
also über längere Zeit andauern.

Hier wird die Kehrseite unserer extremen Arbeitsteilung und Spezialisierung deutlich:
Sie erhöht zwar die Produktion stark, birgt aber auch die Gefahr von struktureller Arbeits-
losigkeit in sich: Millionen von Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten sind für etwas
spezialisiert, das eines Tages nicht mehr gefragt sein könnte. Oft sind Arbeitskräfte so stark
spezialisiert, dass sie nicht mehr flexibel genug sind für das heutige grosse Tempo des
Wandels. Aber auch die Ausbildung in den Unternehmen und in den staatlichen Schulen
oder die Berufsberater sind vom rasanten Strukturwandel oft überfordert. So wird es
immer wieder Arbeitslose in aussterbenden Berufen geben, während Mangel an Arbeits-
kräften mit neuen Qualifikationen herrscht.

Schliessen Zechen, nützt es den Arbeitern wenig, wenn im High-Tech-Bereich Stellen frei sind.
Hier handelt es sich um strukturelle Arbeitslosigkeit. Foto: Keystone

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Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Die friktionelle und die strukturelle Arbeitslosigkeit können wir mit der klassischen
Theorie verstehen. Doch nun gibt es noch das Phänomen, dass in der ganzen Marktwirt-
schaft die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgeht und nicht nur in einzelnen krisenge-
schüttelten Branchen oder Gegenden. Dann werden Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte
fast aller Berufsrichtungen arbeitslos, man spricht von konjunktureller Arbeitslosigkeit.

1.5.3 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit

Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit ist eine Folge der für alle Marktwirtschaften typischen
Konjunkturabschwünge. Sie sind das Thema der folgenden Abschnitte.

Fassen wir zusammen: Wir haben drei Arten von Arbeitslosigkeit mit verschiedenen
Ursachen kennengelernt:
• Friktionelle Arbeitslosigkeit, Sucharbeitslosigkeit, gibt es vor allem wegen der feh-
lenden Transparenz der Arbeitsmärkte. Auf undurchsichtigen Märkten finden sich
Anbieter und Nachfrager oft nur nach längerem Suchen: Für Stellensuchende und Un-
ternehmen ist es also oft schwierig, eine geeignete Stelle bzw. einen geeigneten Be-
werber zu finden. Je weniger transparent die Arbeitsmärkte sind, desto länger können
Stellen unbesetzt sein, obwohl es geeignete Bewerber gibt.
• Strukturelle Arbeitslosigkeit ergibt sich aus dem dauernden Strukturwandel der
Wirtschaft. Das Angebot an Arbeitskräften stimmt dann in qualitativer oder in regio-
naler Hinsicht nicht mit der Nachfrage überein. Es gibt zwar offene Stellen und Stellen-
suchende. Die Stellensuchenden können aber nicht das, was an den offenen Stellen
gefragt ist, oder die offenen Stellen sind nicht dort, wo die Stellensuchenden leben.
• Konjunkturelle Arbeitslosigkeit entsteht mit den periodischen Konjunkturab-
schwüngen.

1.6 Konjunkturabschwünge und Arbeitslosigkeit


Jahr für Jahr könnten Unternehmen und Staat mehr produzieren. Und dies aus einem dop-
pelten Grund:
• Einmal setzen wir immer mehr Ressourcen ein: Mehr Leute arbeiten mit, ihr Wissen
und ihre Fähigkeiten steigen, mehr und verbesserte Kapitalgüter werden eingesetzt
und neue Materialien werden verwendet.
• Zudem werden alle Ressourcen effizienter genutzt, weil mit immer wirksameren Verfah-
ren produziert wird, und die Arbeitsorganisation immer raffinierter wird. Es gibt weniger
Ausschuss, weniger Leerlauf, weniger Wartezeiten und das Arbeitstempo erhöht sich.

Wichtig ist nun, dass die Produktion recht regelmässig zunehmen könnte. Zwar gibt es
immer wieder spektakuläre Produktionssteigerungen, so etwa durch den Fotosatz und das
Desktop-Publishing in der Typografie (neue Technik) oder durch die schlanke Produktion
in der Autofabrikation (effizientere Arbeitsabläufe). Doch geschehen diese Sprünge in ein-
zelnen Unternehmen oder Branchen, während an Tausenden von anderen Orten nur leicht
effizienter als im Vorjahr gearbeitet wird. Über eine ganze Volkswirtschaft hinweg gese-
hen, könnte darum die Produktion recht regelmässig zunehmen - ausser wenn durch Krieg
und andere Katastrophen Ressourcen zerstört würden. Das Gesamtangebot aller Bran-
chen könnte also recht gleichmässig zunehmen.

Die folgende Abbildung zeigt die Situation für die Schweiz: Das Produktionspotenzial von
Unternehmen und Staat (das mögliche schweizerische Gesamtangebot) steigt um etwa
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

2% pro Jahr. Um rund 1 % pro Jahr nimmt die Zahl der Erwerbstätigen zu und um etwa
1 % steigt die Produktion pro Erwerbstätigen.

Damit könnten wir auch jedes Jahr 2% mehr verbrauchen, konsumieren und investieren.
Erinnern Sie sich daran, dass unsere Konsumansprüche weit über die vorhandenen Güter
hinauszielen? Der Wunsch nach noch mehr Gütern ist bei den meisten Leuten, bei armen wie
bei reichen, ungebrochen vorhanden. Und 2% (oder 1 % pro Kopf) wären erst noch unmerk-
lich wenig. Ob Sie dieses Jahr 1% mehr ausgeben als letztes Jahr, fällt Ihnen gar nicht auf.

[1-6] Produktionspotenzial, tatsächliche Produktion und Arbeitslosigkeit in der Schweiz

Mrd. Fr.
(zu Preisen von 2000)

500

480

460

440

420
Produktionspotenzial

400

380

360
BIP Arbeitsmarktungleichgewicht
(in Prozent)
340
-10
320
8

konjunk- 6
turelle
Arbeits- 4
losigkeit
2
strukturelle und friktio le Arbeitslosigkeit
5 5 I 1 1 1 9 0 1 I 1 1 9 15 I

1980 I 2000 I 05

Quellen: BFS und Schätzungen aufgrund von Daten der KOF/ETH.

Die Gesamtnachfrage nach Gütern dagegen wächst sehr unregelmässig. Seit ihrem
Bestehen werden alle marktwirtschaftlichen Systeme von immer wiederkehrenden
Abschwächungen oder gar Rückschlägen der Gesamtnachfrage geplagt. In solchen
Rezessionen wachsen die Verkäufe der Unternehmen nicht mehr entsprechend den stei-
genden Produktionsmöglichkeiten. Nicht selten — wie in den Jahren 1982, 1991 bis 1993
und 1996— gehen die Verkäufe sogar zurück.

Doch auch während einer Rezession gehen die technischen und organisatorischen
Umwälzungen in der Produktion unaufhaltsam weiter, sodass das Produktionspoten-
zial von Unternehmen und Staat ebenso unaufhaltsam ansteigt. Damit öffnet sich eine
Lücke von unausgelasteten Produktionskapazitäten mit Arbeitslosigkeit.

Stagnieren z. B. die gesamten Verkäufe ein Jahr lang und steigt gleichzeitig das Produkti-
onspotenzial um 2 %, werden etwa 2 % weniger Arbeitskräfte benötigt als im Vorjahr. Wer-

19
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

den sie entlassen, steigt die Arbeitslosigkeit um 2%. Und gehen die gesamten Verkäufe
gar um 1% zurück, werden 3% der Erwerbstätigen arbeitslos.

Auch in der Schweiz lässt sich der Zusammenhang von unausgelasteten Kapazitäten und
Arbeitslosenrate beobachten:
• Weil das BIP 1982/83 insgesamt stagnierte, wuchs die Arbeitslosigkeit in diesen bei-
den Jahren um 4%.
• Und als das BIP in den drei Jahren 1991 bis 93 um 1,4% schrumpfte, statt um 6% zu
wachsen, stieg die Arbeitslosenrate um etwa 6%.

Soll in der Schweiz bei unveränderter Arbeitszeit die Zahl der Stellen im bisherigen Umfang
zunehmen, müssen die Verkäufe von schweizerischen Waren und Dienstleistungen
wenigstens um 1,5 bis 2% wachsen. Sonst werden wir sofort von zunehmender Arbeits-
losigkeit geplagt.

Allerdings ist bis jetzt jedem Abschwung auch wieder ein Aufschwung gefolgt. Dann
wächst die Gesamtnachfrage schneller als das mögliche Gesamtangebot, und die Produk-
tionskapazitäten werden besser ausgelastet. Die Beschäftigung nimmt zu, und die Arbeits-
losigkeit sinkt. Steigt in der Schweiz die Gesamtnachfrage um mehr als 1,5 bis 2 `)/0, sinkt
die konjunkturelle Arbeitslosigkeit.

Ist das Produktionspotenzial von Unternehmen und Staat erreicht, haben aber noch nicht
alle Erwerbstätigen eine Stelle gefunden. Nur die konjunkturelle Arbeitslosigkeit ist ver-
schwunden. Es bleibt strukturelle und friktionelle Arbeitslosigkeit, die in der Schweiz viel-
leicht fast 2 % ausmacht.

Vom konjunkturellen Auf und Ab sind in der Regel alle Branchen betroffen und es werden
praktisch alle Branchen gleichzeitig von Absatzschwierigkeiten und Arbeitslosigkeit
geplagt. Im Aufschwung nimmt dann die Nachfrage nach Gütern praktisch aller Branchen
zu und es werden überall neue Stellen geschaffen.

Aufgabe 14 Al Was versteht man unter dem BIP?

B] Betrachten Sie die Abbildung S. 21 und geben Sie an, in welchen Jahren das BIP
geschrumpft ist.

Cl Wann wuchs das BIP schwächer als das Produktionspotenzial?


D] Welchen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Veränderung des BIP können
wir aus der Grafik Abbildung S. 21 herauslesen?

Aufgabe 22 Geben Sie an, um welche Art von Arbeitslosigkeit es sich in den folgenden Fällen handeln
könnte. (Möglich ist auch, dass zwei oder gar alle drei Formen gemeint sind.)

Al Ein Stellensuchender: «... Ich wäre ja mobil und würde auch den Wohnort wechseln,
um eine neue Stelle zu finden. Und obwohl passende Stellen offen wären, ist es schwierig,
davon zu erfahren.»

B1 Ein Unternehmer: «... Seit drei Monaten haben wir fünf Stellen für EDV-Spezialisten aus-
geschrieben, und obwohl die Arbeitslosigkeit ja recht hoch ist, finden wir einfach keine
Leute. Entweder ist der Arbeitsweg zu lang oder die Bewerber bringen ungenügende Vor-
aussetzungen mit.»

CI Ein weiterer Stellensuchender: «... Kein Wunder, dass es bei der gegenwärtigen Rezes-
sion schwierig ist, eine neue Stelle zu finden ...»

Dl Ein Politiker: «... Eigentlich dürfte es in unserem Land fast keine Arbeitslosigkeit geben,
denn die Unternehmen haben etwa 80 000 Stellen zu besetzen und auf den Arbeitsämtern
sind gut 90 000 Stellensuchende registriert.»

20
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Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

El Eine Zeitungsmeldung: «... Die Arbeitslosenrate ist im letzten Jahr von 4,5% auf 5%
gestiegen ...»

F] Ein Unternehmen: «.. . 30 Leute sind gemeldet, einige darunter könnten den Job auch
verrichten. Doch wir nehmen keinen, denn bei der heutigen Arbeitslosigkeit sollten wir
doch eine Top-Person finden können.»

1.7 Konjunkturaufschwünge und Inflation

In einem Aufschwung kann die konjunkturelle Dynamik die Gesamtnachfrage so stark


ankurbeln, dass sie über das Produktionspotenzial hinauswächst. Die Wirtschaft boomt,
die Auftragsbestände sind gross, die Lieferfristen lang.

Durch aussergewöhnliche Anstrengungen kann die Produktion das Produktionspotenzial


überschreiten: Zum einen werden Überstunden geleistet. Zum anderen werden intensiver
Arbeitskräfte gesucht und auch Leute eingestellt, die bei normaler Konjunkturlage nicht so
schnell eine Anstellung fänden. Sie erhalten jetzt die Chance, die nötigen Qualifikationen
während der Arbeit zu erwerben. Mit anderen Worten: In einem Boom verschwindet
nicht nur die konjunkturelle, es kann sich sogar auch friktionelle und strukturelle
Arbeitslosigkeit etwas verringern!

[1 -7] Produktionspotenzial, tatsächliche Produktion und Inflation in der Schweiz


Mrd. Fr.
(zu Preisen von 2000)
500

480

460

440

420 Produktionspotenzial

400

380

360
BIP
340 Inflationsrate
(in Prozent)
320

Quellen: BFS und Schätzungen aufgrund von Daten der KOF/ETH.


Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Boomjahre sind erfreuliche Zeiten. Doch leider gibt es auch hier ein Problem. Bei längeren
Lieferfristen heben die Unternehmen die Preise an. Und sind die Arbeitskräfte besonders
knapp, steigen auch die Löhne stärker, was die Preise noch stärker nach oben drückt. Kurz:
Eine zu grosse Gesamtnachfrage führt - wie schon im letzten Lernheft gezeigt - zu anstei-
genden Inflationsraten. Sie können sich mit der folgenden Abbildung am Fall der Schweiz
nochmals überzeugen:
• Kaum wächst das tatsächliche BIP etwas über das Produktionspotenzial hinaus, nimmt
die Inflation zu. Und die Inflationsraten steigen weiter, solange die Produktionskapazi-
täten überlastet bleiben. (Steigende Inflationsraten bedeuten, dass das Preisniveau im-
mer schneller steigt.)
• Öffnen sich aber unausgelastete Kapazitäten, sinken die Inflationsraten (d. h. das Preis-
niveau steigt immer noch an, aber jedes Jahr etwas langsamer). Manchmal verzögert
die Preis-Lohn-Spirale die Wirkung um ein Jahr.
• Eine seit den 1930er-Jahren nicht mehr erlebte Situation können wir Mitte der
1990er-Jahre beobachten: Da hat sich die Lücke zwischen dem BIP und den Produkti-
onskapazitäten so weit geöffnet, dass die Teuerung offiziell gemessen unter 1 % und
effektiv unter 0% sinkt. Das fallende Preisniveau bremst wiederum die Gesamt-
nachfrage zusätzlich. Herrscht Deflation, lohnt es sich da und dort, mit Käufen zuzu-
warten, bis die Preise weiter gesunken sind.

Während wir bisher die Nachfrageinflation als Folge von zu lockerer Geldpolitik begriffen
haben, tritt mit der konjunkturellen Dynamik ein neuer, eigenständiger Nachfrageim-
puls auf.
• Ist das tatsächliche BIP höher als das Produktionspotenzial (Boom), steigt die Inflati-
onsrate. So entsteht ein Inflationsschub auch ohne übermässig expansive Geldpolitik.
Der bargeldlose Zahlungsverkehr und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes lassen
noch viel Spielraum für ein höheres Preisniveau.
• Sinkt hingegen die Gesamtnachfrage unter das Produktionspotenzial, entsteht kon-
junkturelle Arbeitslosigkeit und die Inflationsrate sinkt. Die Lücke zum Produktions-
potenzial kann sogar so gross werden, dass eine Deflation entsteht, die den Ab-
schwung verstärkt.

Für die Erklärung von Arbeitslosigkeit und Inflationsschüben in Europa, in den USA oder in
Japan ist das Verhältnis von Gesamtnachfrage und Produktionspotenzial von Unterneh-
men und Staat zentral.

Das Produktionspotenzial einer Wirtschaft (das mögliche Gesamtangebot) wächst, weil


wir immer mehr Ressourcen immer effizienter einsetzen. Es wächst in der Regel sehr
gleichmässig und entsprechend könnte auch das BIP gleichmässig anwachsen. In der Rea-
lität stellen wir aber fest, dass das tatsächliche Wachstum des BIP Schwankungen
unterworfen ist. Solche Wachstumsschwankungen bezeichnet man als Konjunktur-
schwankungen.

Konjunkturschwankungen sind meistens die Folge von Schwankungen der Gesamt-


nachfrage, d. h. von der gesamten Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, nach
Konsum- und Investitionsgütern.
• In einem Konjunkturabschwung steigt die Gesamtnachfrage und damit die tatsäch-
liche Produktion (das BIP) langsamer als das mögliche Gesamtangebot.
Die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft sinkt dann. Und sobald die Gesamtnachfrage
kleiner ist als das mögliche Gesamtangebot, entsteht konjunkturelle Arbeitslosigkeit
(die Unternehmen benötigen dann nicht mehr alle Arbeitskräfte, um die Nachfrage-
wünsche zu befriedigen).
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

• In einem Konjunkturaufschwung wächst die Gesamtnachfrage schneller als das mög-


liche Gesamtangebot.
Die tatsächliche Produktion (das BIP) nimmt zu. Die Kapazitätsauslastung der Wirt-
schaft steigt und die konjunkturelle Arbeitslosigkeit geht zurück (die Unternehmen
benötigen mehr Arbeitskräfte, um die steigende Gesamtnachfrage zu befriedigen).

Übersteigt die Gesamtnachfrage das Produktionspotenzial, steigt das Preisniveau immer


schneller, d. h., die Inflationsrate nimmt zu. In einer Rezession sinkt die Inflationsrate, das
Preisniveau steigt jedes Jahr weniger.

Aufgabe 2 A] Was versteht man unter dem Produktionspotenzial?

BI Weshalb nimmt es ständig zu?

C] Was sind Konjunkturschwankungen?

Aufgabe 9 A] Was versteht man unter einer Rezession und wann spricht man von einer Depression?

B] Was versteht man unter einem Boom?

Aufgabe 16 Al Weshalb vermehrt sich bei Konjunkturabschwüngen die Arbeitslosigkeit?


B Wann gibt es bei Konjunkturaufschwüngen Inflation?

Aufgabe 12 In einem Konjunkturbericht wurde in der Schweiz für ein bestimmtes Jahr ein Wachstum
des BIP von 0,5% prognostiziert. Was müsste dieser Bericht folglich über die Veränderung
der konjunkturellen Arbeitslosigkeit voraussagen?
Abnahme der Arbeitslosigkeit um 0,5 % 3
Unveränderte Arbeitslosigkeit 3
Zunahme der Arbeitslosigkeit um 0,5%
Abnahme der Arbeitslosigkeit um ca. 1,5% Ei
Zunahme der Arbeitslosigkeit um ca. 1,5% El
Begründen Sie Ihre Antwort auf einem Blatt Papier.

1.8 Wodurch werden konjunkturelle Abschwünge ausgelöst?

Die Gesamtnachfrage kann durch verschiedenste schwere Störungen, durch Schocks,


brüsk verringert werden. Und zwar können solche Schocks alle Komponenten der Gesamt-
nachfrage treffen, also sowohl
• die Nachfrage der Haushalte nach Konsumgütern (die Konsumnachfrage) als auch
• die Nachfrage nach Investitionsgütern (die Investitionsnachfrage),
• die staatliche Nachfrage wie auch
• die Nachfrage aus dem Ausland (die Exporte).

Wie solche Schocks wirken können, lässt sich am leichtesten anhand des Erdölpreis-
schocks zeigen: In den 1970er-Jahren hatten sich zweimal die Erdölpreise brüsk erhöht.
Nach 1973 wie nach 1979 floss dadurch ein ansehnlicher Teil der europäischen, japa-
nischen oder indischen Kaufkraft in die Hände der Erdölproduzenten in Arabien oder
Mexiko. Alle Haushalte, die von einem Tag auf den anderen mehr Geld für Benzin und Heiz-
öl ausgeben sollten, gerieten in Budgetprobleme. Schwierigkeiten erhielten auch alle
Grundlagen 5/6
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Unternehmen, die viel Erdöl für ihre Produktion verwendeten und wegen gestiegener Kos-
ten kleinere Gewinne oder gar Verluste machten. Zwar versuchten die Unternehmen die
Kostensteigerungen auf die Preise abzuwälzen und die Haushalte versuchten, sich mit
höheren Löhnen schadlos zu halten. Dies waren aber vor allem Umverteilungsversuche
innerhalb der Erdöl importierenden Länder. An der Tatsache, dass Kaufkraft in die Ölländer
abfloss, änderte sich dadurch nichts.

Und wie gehen die Haushalte mit ihren durch die Erdölpreiserhöhung verursachten Bud-
getproblemen um? Sie versuchen zwar in der Regel ihren Konsumstandard möglichst
lange zu halten. Dies gilt am stärksten für Nahrung, Körperpflege oder Versicherungen. Bei
dauerhaften Konsumgütern jedoch, wie Autos, Stereoanlagen, Kameras, Möbel oder auch
Herrenkleidern, schieben die Haushalte ihre Wünsche eher um ein oder mehrere Jahre hin-
aus oder sie beschränken sich auf billigere Produkte.

Auf Einkommensrückgänge reagiert also der Konsum von dauerhaften Konsumgütern


sensibel. Und gehen sie brüsk zurück, kann dies einen Konjunkturabschwung auslösen.

Gehen die Konsumausgaben zurück, verdüstern sich natürlich die Absatzaussichten der
Unternehmen. Dann aber investieren sie weniger. Die Gesamtnachfrage wird also nicht
nur durch einen Rückgang der Konsumnachfrage geschmälert, sondern zusätzlich auch
durch einen Rückgang der Investitionsnachfrage. Dabei gehen Investitionen viel stärker
zurück als Konsumausgaben, sodass sie trotz ihres — verglichen mit dem Konsum — kleinen
Gewichts den Rückgang der Gesamtnachfrage sehr fühlbar mitbestimmen.

Damit verstehen Sie, wie ein Schock einen Rückgang der Gesamtnachfrage bewirken
kann. Eine ganze Reihe von Auslösern kann in Frage kommen: zum Beispiel Kriegsangst
oder auch einfach die Angst vor einem neuen Konjunkturabschwung. Wird die Zukunft
düster eingeschätzt, dann kann die Gesamtnachfrage zurückgehen. Um für die kommen-
den schlechten Zeiten gerüstet zu sein, sparen viele Haushalte und schränken ihre Konsu-
mausgaben ein; und viele Unternehmen verzichten vorläufig auf Investitionen, weil sie in
naher Zukunft mit einem Rückgang ihres Absatzes rechnen.

Platzende Spekulationsblasen können die Zukunftsaussichten stark beeinträchtigen. Ein


Preissturz im Liegenschaftenhandel ist häufig das Signal für eine beginnende Rezession.

Ein viel diskutierter Grund für einen Konjunkturabschwung ist ein Börsenkrach. Nach
einem Crash fühlen sich viele Leute ärmer als vorher. Manche, die sich vorher steinreich
fühlen konnten, haben nach einem Crash sogar Schulden. Wenn deshalb weniger konsu-
miert wird, geht die Gesamtnachfrage zurück. Dieser Rückgang kann stark genug sein, um
einen Konjunkturabschwung einzuläuten.

Vielleicht sind aber platzende Spekulationsblasen oft nicht Auslöser einer Krise, sondern
nur eine Folge von Krisenängsten. Liegenschaftenpreise und Börsenkurse reagieren ja auf
Vorstellungen über zukünftige Erträge. Gibt es also Anzeichen für einen Konjunkturab-
schwung mit niedrigeren Erträgen oder steigt auch nur die Angst davor, dann sinken die
Preise für Liegenschaften und Aktien.

Vergessen wir schliesslich nicht, dass heutige Volkswirtschaften durch internationalen


Handel eng verbunden sind. Geht in irgendeinem Land aus irgendeinem Grund die
Gesamtnachfrage zurück, importiert es weniger aus anderen Ländern; das heisst, seine
Handelspartner können weniger exportieren. Ein Konjunkturabschwung in wichtigen Han-
delsländern wie den USA, Deutschland oder Japan hat so für fast alle Länder der Welt Ver-
kaufsschwierigkeiten zur Folge. Besonders in kleinen Volkswirtschaften, bei denen die
Exporte eine besonders grosse Rolle spielen, beginnt ein Konjunkturabschwung meist
damit, dass die Exporte zurückgehen. So ist der Rückgang der Exporte gerade für die
Schweiz ein wichtiger Auslöser von Konjunkturabschwüngen.
Grundlagen 5/6
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Wichtige Auslöser von Konjunkturabschwüngen sind (äussere) Schocks, die alle Kompo-
nenten der Gesamtnachfrage treffen können, d. h. die Konsumnachfrage der Haushalte,
die Investitionsnachfrage der Unternehmer oder die Exportnachfrage.
• Ein wichtiges Beispiel sind die beiden Erdölpreisschocks aus den Jahren 1973 und
1979. Hier führte eine brüske Erhöhung der Heizöl- und Benzinpreise zu einem spür-
baren Rückgang der Konsumnachfrage. In der Folge sank auch die Investitionsnach-
frage der Unternehmen.
• Ebenso können Kriegsängste, platzende Spekulationsblasen oder die Angst vor
einem bevorstehenden Konjunkturabschwung eine Rezession verursachen, dann
nämlich, wenn die Haushalte weniger konsumieren und die Unternehmen wegen der
düsteren Aussichten weniger investieren.
• Vor allem exportorientierte Länder wie die Schweiz werden ausserdem von Rezessi-
onen wichtiger Handelspartner stark getroffen. Sinkende Exporte führen zu einer
sinkenden Gesamtnachfrage, was einen Abschwung auslösen kann.

Dass Konjunkturabschwünge durch Schocks ausgelöst werden können, ist zwar unbestrit-
ten. Irritierend ist nur, dass Konjunkturabschwünge mit einer auffälligen Regelmässig-
keit von etwa 5 bis 9 Jahren auftreten. Das ist natürlich eine Herausforderung für alle,
die in den Schocks die Hauptursache für Abschwünge sehen. Ist die Regelmässigkeit nur
Zufall? Wenn nicht, soll es dann in Abständen von 5 bis 9 Jahren immer wieder entschei-
dende grosse Schocks gegeben haben? Wer in der Regelmässigkeit der Konjunkturzyklen
mehr als Zufall sieht, sucht nach immer wiederkehrenden Gründen. Darum diskutiert man
nicht nur von aussen kommende Gründe wie die besprochenen Schocks, sondern Gründe,
die im Marktsystem selber zu suchen sind. Im Zentrum stehen dabei Vorstellungen, warum
die Investitionen immer wieder zurückgehen müssen. Wie dem auch sei, wenn wir uns nun
der nächsten Frage zuwenden, reden wir nur über Gründe, die innerhalb des Marktsystems
liegen.

Aufgabe 3 Welche vier Teilgrössen bestimmen die Gesamtnachfrage?

Aufgabe 10 Die beiden wichtigsten Handelspartner der Schweiz sind Deutschland und die USA. Wir
nehmen an, beide Länder haben einen ausgeprägten Konjunkturabschwung zu verzeich-
nen. Weshalb müssen wir nun auch in der Schweiz mit einem Konjunkturabschwung rech-
nen?

Aufgabe 17 Erinnern Sie sich daran, dass das BIP auf zwei Arten erfasst werden kann? Von der Entste-
hungsseite und von der Verwendungsseite her? Welches waren die Komponenten der
BIP-Verwendung?

Aufgabe 23 A] Wodurch könnte der private Konsum brüsk beeinträchtigt werden?

B] Wodurch die Investitionen?

C] Wodurch die Exporte?


Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.9 Lecks und Zuflüsse - eine Kreislaufanalyse

Konjunkturschwankungen sind in der Regel Schwankungen der Gesamtnachfrage. Im


Abschnitt 1.4, S. 13 wurde das An- und Abschwellen dieser Gesamtnachfrage mit einem
ganz einfachen Kreislaufmodell beschrieben: Haushalte kaufen ein, und so fliesst ein Geld-
strom für Konsum zu den Unternehmen. Unternehmen bezahlen für die Produktionsfak-
toren, womit ein Einkommensstrom zurück zu den Haushalten fliesst. Je grösser der Geld-
strom von den Haushalten zu den Unternehmen, desto grösser der Geldstrom zurück zu
den Haushalten - und umgekehrt.

Hier soll noch etwas genauer analysiert werden, wie der Geldstrom ab- und zunehmen
kann. An welchen Stellen des Kreislaufs fliesst Geld ab und wo strömt Geld zu?

1.9.1 Sparen und Investieren

In einem ersten Schritt wollen wir mit der folgenden Abbildung die beiden Ab- und Zuflüs-
se anschauen, die mit dem Sparen und dem Investieren entstehen:

[1 -8] Kreislaufmodell mit Sparen/Investieren (ohne Ausland und Staat)

Geldstrom

verfügbares
Einkommen

Gesamtnachfrage
in diesem einfachen Modell:
= privater Konsum
+ private Investitionen

Sparen

Zinsniveau

Ausgaben für
Investitionen

Absatz-
Geldzuflüsse (Geldabflüsse aussichten

• Minus Sparen: Schon besprochen haben wir, wie dem Kreislauf Kaufkraft entzogen
wird, wenn die Haushalte weniger konsumieren und mehr sparen. Durch das Sparen
entsteht ein Leck im Kreislauf. Je grösser die Ersparnisse, desto weniger Geld fliesst
für Konsumausgaben zu den Unternehmen. (Neben den Haushalten bilden auch die
Unternehmen Ersparnisse. Doch sind diese hier der Einfachheit halber in den Erspar-
nissen der Haushalte mit eingeschlossen.)
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

• Plus Investitionen: Gespartes Geld wird wieder dem Kreislauf zugeführt, wenn inves-
tiert wird. Unter Investieren versteht man hier den Aufbau von Kapitalgütern und
Know-how — und nicht etwa das Anlegen von Geld in Aktien oder sonstigen Wertpa-
pieren. Zuflüsse zum Kreislaufstrom sind also die Ausgaben für neue Gebäude, Ma-
schinen, Leitungen oder Fahrzeuge sowie für die Forschung und die Entwicklung neu-
er Produkte.

Wären Ersparnisse und Ausgaben für Investitionen die einzigen Ab- und Zuflüsse des
Kreislaufs, würden sie allein die Konjunkturlage bestimmen. In diesem einfachen Modell
ist also das Verhältnis von Sparen und Investieren wichtig: Sind die Ersparnisse grösser
als die Investitionen, wird der Kreislaufstrom dünner, die Gesamtnachfrage wächst
schwächer oder nimmt sogar ab. Sind dagegen die Investitionen grösser, schwillt
der Geldstrom an, die Gesamtnachfrage wächst stark.

1.9.2 Was erschwert den Ausgleich zwischen Sparen und Investieren?

Halten wir hier kurz inne! Der allergrösste Teil der Spargelder fliesst auf die Kapitalmärkte und
steht so für Investitionen zur Verfügung. Sorgt dort nicht die Zinshöhe dafür, dass sich Sparen
und Investieren ausgleichen? Dank diesem Ausgleich sollten doch die gesparten Gelder nie
stark abweichen von den Ausgaben für Investitionen. DieAb- und Zuflüsse zum Kreislauf wären
also immer etwa gleich gross! Das ist die langfristige, klassische Sicht des Ausgleichs auf
allen Märkten, mit der man Konjunkturschwankungen nur schwer verstehen kann.

Weshalb kommt es nicht immer zu einem Ausgleich zwischen Sparen und Investieren und
damit zu Konjunkturschwankungen? Dafür gibt es vor allem drei Gründe:
1. Absatzerwartungen: Unternehmen richten sich bei ihren Investitionsentscheiden
nicht nur nach den Zinsen, sondern auch nach dem erwarteten Absatz. Bei guten Ab-
satzaussichten wird investiert, bei schlechten wird eher zugewartet. Damit können die
Investitionen der konjunkturellen Dynamik entscheidende Impulse geben: Ver-
schlechtern sich aus irgendeinem Grund die Aussichten auf Absatz und Gewinn, wer-
den Investitionsprojekte redimensioniert oder zurückgestellt. Als Folge sinken die Ein-
kommen und es wird weniger konsumiert. So verschlechtern sich die Absatzaus-
sichten noch mehr und es wird noch weniger investiert usw. Die Investitionen können
damit über längere Zeit bedeutend kleiner sein als die Ersparnisse.
Die sich selbst verstärkende Dynamik zwischen Konsum und Investitionen wirkt natür-
lich auch im Aufschwung. Verbessern sich die Absatzaussichten, wird mehr investiert,
Einkommen und Konsum steigen, es wird noch mehr investiert usw.
2. Internationaler Kapitalverkehr: Öffnen wir unser Modell für das Ausland, wird klar,
dass Sparen und Investieren in einem Land auch langfristig nicht mehr gleich gross
sein müssen: Der internationale Kapitalverkehr macht es nämlich möglich, dass Spar-
gelder ins Ausland abfliessen oder von dort zuströmen können. So wird in der Schweiz
seit Jahrzehnten mehr gespart als investiert. Per saldo werden jedes Jahr mindestens
10 Mrd. Fr. im Ausland angelegt. In anderen Ländern, wie den USA, sind dafür seit vie-
len Jahren die Investitionen grösser als die Ersparnisse.
3. Notenbank: Schliesslich kann das Zinsniveau, das Sparen und Investieren ins Gleich-
gewicht bringen soll, von der Notenbank beeinflusst werden. Wie schon im letzten
Lernheft besprochen, kann die Notenbank mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf
schleusen, sodass die kurzfristigen Zinsen und in der Regel auch die langfristigen Zin-
sen sinken. Dank dem neuen, billigeren Geld können so die Investitionen die Erspar-
nisse weit übersteigen. Entzieht umgekehrt die Notenbank dem Wirtschaftskreislauf
Geld, steigen in der Regel nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen
Zinsen. Ein Teil der Spargelder fliesst so nicht zu den Investoren, sondern zurück zur
Notenbank. (Im folgenden Kapitel 2, S. 34 werden wir auf die Einflussmöglichkeiten
der Notenbank zurückkommen.)

27
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.9.3 Importe und Exporte

Neben dem ständig drohenden Ungleichgewicht zwischen Sparen und Investieren bringen
vor allem noch zwei weitere Ab- und Zuflüsse Unruhe in den Wirtschaftskreislauf. Diese
werden in die Abbildung unten aufgenommen:

[1 -9] Kreislaufmodell mit Sparen/Investieren und Aussenhandel (ohne Staat)

Geldstrom

verfügbares
Einkommen

Gesamtnachfrage
in diesem einfachen Modell:
= privater Konsum
+ private Investitionen

Import- Sparen
ausgaben
Zinsniveau

Wechsel- Exportein-
kurse nahmen

Geldzuflüsse (Geldabflüsse

Minus Importe: Zahlungen für Importe sind ein Leck im Kreislaufstrom. Denn kaufen wir
ausländische Waren und Dienstleistungen und unternehmen wir Auslandreisen, fliesst
Kaufkraft ins Ausland.

Plus Exporte: Dafür steigen die Verkäufe, wenn wir Waren und Dienstleistungen exportie-
ren und an ausländische Touristen verkaufen. Einnahmen aus Exporten verstärken den
Kreislaufstrom.

Der Aussenhandel prägt die schweizerischen Konjunkturschwankungen in hohem Masse


mit. Nehmen die Exporte stärker zu als die Importe (bei unverändertem Verhältnis
von Sparen und Investieren), wird auch der Kreislaufstrom stärker - die Gesamt-
nachfrage wächst stark. Nehmen hingegen die Exporte schwächer zu, schwillt der
Geldstrom ab. Die Gesamtnachfrage wächst schwächer oder nimmt sogar ab.

1.9.4 Was erschwert den klassischen Ausgleich im Aussenhandel?

Auch hier können wir uns fragen, ob die Marktkräfte nicht automatisch für einen Ausgleich
zwischen Exporten und Importen sorgen. Erinnern Sie sich, wie Wechselkurse Exporte und
Importe ausgleichen? Erzielt ein Land einen Exportüberschuss, wird seine Währung

28
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Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

gefragter und deren Wert steigt. Damit sinken die Exporte, und die Importe steigen, bis sie
ins Gleichgewicht kommen. Und umgekehrt bei einem Exportdefizit.

Doch aus drei Gründen kann der Ausgleich zwischen Importen und Exporten behindert
werden:
1. Langsame Reaktion: Importe und Exporte reagieren nur langsam auf die Verände-
rungen von Wechselkursen. Der ausgleichende Marktmechanismus benötigt also Zeit.
2. Internationaler Kapitalverkehr: Kürzerfristig werden die Wechselkurse weniger
durch den Aussenhandel als vielmehr durch die internationalen Kapitalströme be-
stimmt (vgl. letztes Lernheft). Damit können die Wechselkurse ihre ausgleichende Wir-
kung auf Importe und Exporte verlieren - oder ein Ungleichgewicht zwischen Importen
und Exporten erst hervorrufen. Erinnert sei an die spekulative Überbewertung des US$
um 1984, die den USA ein riesiges Exportdefizit bescherte.
3. Notenbank: Und natürlich hat auch die Notenbank einen Einfluss auf die Kapitalströ-
me, die Wechselkurse und damit auch auf den Aussenhandel. (Das wurde schon im
letzten Lernheft gezeigt und wird nochmals Thema des Kapitels 2, S. 34 sein.)

1.9.5 Staatsausgaben und Steuern

Zum Schluss zu Sickerverlusten und Zuflüssen, hinter denen der Staat steht:

[1-10] Kreislaufmodell zur Analyse von Konjunkturschwankungen - mit


Sparen/Investieren, Aussenhandel und Staat

Geldstrom

erwirtschaftetes verfügbares
Einkommen indirekte und direkte Steuern Einkommen
(abzügl. Subventionen und
Zahlungen der Sozialversicherungen)

Haushalte

Gesamtnachfrage
in diesem einfachen Modell:
= privater Konsum
+ Staatsausgaben Staats-
+ private Investitionen ausgaben
+ Exporte
- Importe Konsum
Sparen
Import-
ausgaben
Zinsniveau

Wechsel- Exportein-
kurse nahmen

Geldzuflüsse (Geldabflüsse
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1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Plus Staatsausgaben: Eine wichtige Komponente der Gesamtnachfrage sind die Ausga-
ben des Staates. Seine Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen verstärkt den Kreis-
laufstrom. Zudem stützt der Staat die Unternehmen und Haushalte durch Subventionen
und Zahlungen der Sozialversicherungen.
Minus Steuern: Auf der anderen Seite schöpft der Staat auch Geld aus dem Kreislauf ab,
indem er direkte und indirekte Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge aller Art
erhebt. Damit sind die verfügbaren Einkommen der Haushalte kleiner als die erwirtschaf-
teten.

Verändert die Regierung ihre Einnahmen und Ausgaben, verändert sich auch die Kreislauf-
stärke. Die Gesamtnachfrage kann also durch staatliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik
beeinflusst werden. Hier öffnen sich Möglichkeiten der Konjunkturpolitik, die wir im nächs-
ten Kapitel besprechen werden.

Der Kreislauf von Einkommen und Ausgaben ist nicht geschlossen. Vielmehr hat er ver-
schiedene grosse Lecks (Sparen, Zahlungen für Importe und Steuern) und Zuflüsse
(Investitionen, Einnahmen aus Exporten und Staatsausgaben).
• Werden die Abflüsse nicht wettgemacht durch Zuflüsse, wird der Kreislaufstrom dün-
ner. Die Gesamtnachfrage stagniert oder geht sogar zurück, Produkte bleiben unverk-
auft, die Arbeitslosigkeit steigt.
• Fliesst hingegen mehr Kaufkraft zu, als absickert, schwillt der Einkommens- und Aus-
gabenstrom an. Die Gesamtnachfrage wächst stark an, die Arbeitslosigkeit sinkt.

1.9.6 Das makroökonomische Gleichgewicht

Soll die Wirtschaft weder in eine Rezession noch in einen Boom geraten, müssen die Abflüs-
se der drei Lecks (Sparen, Zahlungen für Importe und Netto-Steuern) kompensiert, aber
nicht überkompensiert werden durch die drei Zuflüsse (Investitionen, Einnahmen aus Expor-
ten und Staatsausgaben). Die Abflussströme entsprechen dann den Zuflussströmen.

Diese einfache Modellvorstellung von einem Gleichgewicht zwischen je drei Lecks und
Zuflüssen im Wirtschaftskreislauf kann in eine ebenso einfache Formel, die Formel des
makroökonomischen Gleichgewichts, gegossen werden:

Sparen + Zahlungen für Importe + Steuern =


Investitionen + Einnahmen aus Exporten + Staatsausgaben

Oder algebraisch ausgedrückt, mit Buchstaben, die sich an den englischen Begriffen orien-
tieren (savings S, imports M, taxes T, investments I, exports X, government expenditures G):

Makroökonomisches Gleichgewicht: S+M+T=I+X+G


Grundlagen 5/6
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1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Aufgabe 4 Den folgenden Aussagen liegt das Kreislaufmodell mit Lecks und Zuflüssen zugrunde.

Richtig Falsch
Konsum und Sparen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf. 3 3
Sparen und Importe sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf. 3
Importe und Subventionen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf.
Exporte und Sparen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf. 3
Eine Kürzung der Staatsausgaben senkt den privaten Konsum.
Eine Steuersenkung führt zu niedrigerem Konsum.
Weil ein wirtschaftlicher Aufschwung erwartet wird, wird mehr 3 3
investiert. Dies führt zu einer Zunahme der Staatseinnahmen.
Eine Zunahme der Exporte führt zu höheren Staatseinnahmen. 3
Steigende Importe führen zu kleineren Einkommen. 3
Steigende Einkommen führen zu kleineren Importen.

Aufgabe 11 Welche der folgenden Begriffe machen vornehmlich Sinn im Rahmen der klassischen,
langfristigen Ökonomie, welche in der keynesianischen Konjunkturtheorie?
Klass. Konj.
Strukturreform
Umweltökonomie
Kreislaufanalyse
Antizyklische Fiskalpolitik
Antizyklische Geldpolitik
Ausgleich auf Märkten
Wettbewerbspolitik
Sich selbst verstärkend
Konsumentenstimmung
Unabsehbare Konsumwünsche
BIP
BNE
Strukturelle Arbeitslosigkeit
Friktionelle Arbeitslosigkeit
Ziel: volle Nutzung des Produktionspotenzials
Ziel: Wachstum des Produktionspotenzials

Aufgabe 18 In Frage 10 haben Sie beantwortet, weshalb ein markanter Konjunkturabschwung in


Deutschland und in den USA einen Konjunkturabschwung in der Schweiz auslösen kann.
Entwerfen Sie jetzt ein Szenario, wie sich ein Rückgang der amerikanischen und deutschen
Exportnachfrage in der Schweiz auswirken könnte. Wie werden sich die Unternehmen ver-
halten und wie werden die Haushalte darauf reagieren?
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Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

1.10 Welche Rolle spielen Stimmungen in der konjunkturellen


Dynamik?

Die konjunkturellen Berg- und Talfahrten werden in hohem Mass von Stimmungen beglei-
tet. Im Boom ist man optimistisch und in Rezessionen pessimistisch. Interessant ist, dass
diese Stimmungen ansteckend sind. So schwanken die Zukunftsvorstellungen sehr vie-
ler Leute gleichförmig mit der Konjunktur und verstärken die konjunkturelle Dynamik:

Im Aufschwung spricht man ringsum von neuen Möglichkeiten:


• Dank effizienteren Herstellungsverfahren können neue Märkte erobert werden, neue
Produkte werden verstärkt lanciert, Produktionsanlagen werden erweitert, Unterneh-
men haben Mühe, Arbeitskräfte zu finden. Darum wird geklagt, der Produktionsfort-
schritt sei zu klein, man verliere Kunden wegen zu langer Lieferfristen.
• Die Gewinne steigen, Konkurse werden seltener. Es gibt aber auch immer mehr Unter-
nehmen, die nur dank dem generellen Aufschwung überleben.
▪ Die Banken sind grosszügig und werden etwas fahrlässig bei der Kreditvergabe. Es
werden grosszügige, manchmal auch überrissene Projekte in Angriff genommen.
Die Bürger werden wohlhabender und verlangen bessere Staatsleistungen, sodass der
Staat immer mehr Aufgaben übernimmt. Im Boom fliessen ja auch die Steuereinnah-
men reichlicher.
• Die Preise steigen, auch die Immobilienpreise. Jetzt ist die Zeit für Spekulanten gekom-
men. Sie kaufen Liegenschaften, um sie kurze Zeit später sehr viel teurer weiter zu ver-
kaufen. Um sich vor der Inflation zu schützen, flüchten sich viele in Sachwerte, was die
Inflation weiter anheizt. Es lohnt sich, geplante Projekte (Produktionserweiterungen,
Strassen- und Schulbauten) lieber heute statt morgen in Angriff zu nehmen.

Eine kommende Rezession wird nur wenig in die Entscheidungen mit einbezogen. Es ist ja
auch kein Grund dafür in Sicht (ausser dass bis jetzt noch jeder Aufschwung durch einen
Abschwung beendet worden ist).

Viele Probleme, die im Boom verborgen blieben und kaum mehr wahrgenommen wurden,
treten dafür im Abschwung umso heftiger auf:
• Viele Unternehmen geraten in Schwierigkeiten, Konkurse häufen sich. Zum Teil sind
es Unternehmen, die nur dank dem Boom so lange überlebt haben, viele Unternehmen
geraten aber auch in vorübergehende, rein konjunkturelle Probleme. Natürlich ist es im
konkreten Fall nicht immer klar, ob die Probleme vorwiegend struktureller oder eher
konjunktureller Art sind. Im Abschwung tendiert man aber dazu, auch konjunkturelle
Probleme als langfristig wahrzunehmen.
• Die Banken werden zurückhaltender. Neue Projekte erscheinen riskanter und erhalten
weniger Kredit. Versetzen Sie sich einmal in einen Bankprokuristen, der die Bonität von
Unternehmen beurteilt: Wo würden Sie sich Ihre Orientierung holen? Vermutlich auch
bei Kollegen, die ebenfalls Kredite vergeben. Im Boom verglichen Sie vor allem die Kre-
ditvolumen, die abgewickelt wurden, oft war dann mehr auch besser. Jetzt im Ab-
schwung vergleicht man auch den Umfang der faulen Kredite, die abgeschrieben wer-
den müssen. Jetzt werden Sie im Zweifelsfall nein sagen, wenn auch Ihre Kollegen ver-
suchen mit allen Mitteln, grössere Verluste zu vermeiden.
Der Pessimismus der Banken verstärkt den Teufelskreise nach unten.
• Ist es im Boom zu Immobilienspekulation und Flucht in die Sachwerte gekommen,
platzt im Abschwung die spekulative Blase. Die Bodenpreise sinken, Büroräume und
auch Wohnungen stehen leer, so, wie nach 1974 und nach 1991. Dass noch mehr ge-
baut werden müsse, können sich viele nicht mehr vorstellen. So verzichtet man nicht
nur auf kurzfristige Projekte, sondern auch auf viele längerfristige.
Wer investiert, versucht eher die Kosten, auch die Lohnkosten zu senken. Steigen die
Verkäufe nicht, werden mit leistungsfähigeren Maschinen Arbeitskräfte eingespart.

32
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
1 Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und Konjunkturschwankungen

Auch Leute, die das konjunkturelle Auf und Ab schon mehrmals erlebt haben, sind be-
eindruckt, wie der organisatorische und technische Fortschritt Arbeitsplätze vernich-
tet. So taucht in längeren Abschwüngen stets das Gespenst auf, der technische Fort-
schritt nehme uns die Arbeit weg.11
• Im Abschwung sinken die Steuereinnahmen des Staats; Gemeinden, Kantone und
Bund erzielen hohe Defizite. Politiker, die nicht daran glauben wollen, dass ein Auf-
schwung wieder Überschüsse bringen würde, sparen und verstärken damit den Ab-
schwung noch. Die Rufe nach einem Abbau der Sozialversicherungen wurden im Ab-
schwung lauter. Bildungsinvestitionen gehen zurück. Das trägt dazu bei, dass die Be-
völkerung pessimistischer in die Zukunft blickt. — Wir werden das ganze nächste Kapi-
tel den staatlichen Massnahmen im Konjunkturgeschehen widmen.

In der konjunkturellen Dynamik spielen Stimmungen eine grosse Rolle. In Zeitungen,


Radio, Fernsehen und Vorträgen, bei Diskussionen in Unternehmerverbänden, Gewerk-
schaften und unter Politikern bestätigt man sich gegenseitig (wo sonst soll man sich ori-
entieren, wie anders orientiert man sich gewöhnlich als mit Gleichgesinnten?): Man rech-
net nicht mit einem baldigen Aufschwung; und wenn er doch kommen sollte, glaubt man,
er würde nie mehr so stark sein wie der vergangene.

Ist dann der Aufschwung einmal da, ändert sich die Zukunftseinschätzung nach und nach.
Man orientiert sich neu, man vergisst mit Vorteil, was man im Abschwung gedacht hat.
Ringsum spricht man jetzt von neuen Möglichkeiten . . . So, wie Sie noch manchen Auf-
und Abschwung erleben werden, werden Sie auch noch manche Änderungen in der Ein-
schätzung der Zukunft bei sich, in Ihrer Umgebung und in den Medien beobachten kön-
nen.

1) Wie sich diese Furcht im 19. Jahrhundert äusserte, zeigt etwa ein Ausschnitt aus einem Wirtschaftslexikon von 1891:
Darin wurde befürchtet, «dass die schweizerische Industrie (v. a. Textil, Uhren) ihren Höhepunkt bereits hinter sich
habe.» Eine wachsende Bevölkerung sei nur mit arbeitsintensiven Gewerben zu beschäftigen. Hervorgehoben wurden
«die gegenwärtigen Bemühungen eines Direktor Fischbach in St. Gallen um die Einführung der Teppichknüpferei, ferner
vieler Vereine und Privaten um die Einführung der Korbflechterei.» Diese Projekte hätten «alle zum Zweck, den einhei-
mischen Markt vom Ausland unabhängiger zu machen, anstelle versiegender Einnahmequellen neue zu erschliessen.»
(Furrer-Lexikon, Bd. 2, S. 63/64) Wie war es möglich, dass schon vor hundert Jahren befürchtet wurde, die Arbeit gehe
aus? Der Autor nahm die damaligen Anfänge von neuen Industrien, der Chemie oder der Elektroindustrie noch nicht
wahr. Und gänzlich unvorstellbar war wohl, wie die unabsehbar wachsenden Konsumwünsche einmal unser heutiges
Niveau erreichen würden.

33
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2.1 Was lässt sich gegen Konjunkturschwankungen tun?


Antizyklische Konjunkturpolitik

Nachdem wir eine Vorstellung über die Gründe und den Verlauf von Konjunkturschwan-
kungen bekommen haben, interessiert uns natürlich, was man dagegen tun könnte. Gelän-
ge es, das ständige Auf und Ab zu verhindern, gäbe es keine konjunkturelle Arbeitslosigkeit
mehr und wir hätten gleichzeitig eine wichtige Ursache für die Inflation ausgeschaltet.
Wenn wir uns jetzt mit der Bekämpfung der Konjunkturschwankungen auseinandersetzen,
suchen wir damit nach Rezepten, wie deren Folgen Arbeitslosigkeit und Inflation verhin-
dert werden könnten.

Wie schon bei den anderen Marktversagen ruft man auch bei den Konjunkturschwan-
kungen nach dem Staat. Er soll mit seiner Konjunkturpolitik dafür sorgen, dass die Gesamt-
nachfrage möglichst im Gleichlauf mit dem Produktionspotenzial wächst. Er soll also der
Gesamtnachfrage zu einem stabilen Wachstum verhelfen; man spricht deshalb auch von
einer Stabilitätspolitik. Ihre Ziele sind einfach:

[2-1] Die antizyklische Konjunkturpolitik

In einem Aufschwung besteht die Gefahr, dass die Gesamtnachfrage


über das Gesamtangebot hinauswächst und das Preisniveau steigt.
Dann soll der Staat die Gesamtnachfrage drosseln, d. h., er soll eine
restriktive Konjunkturpolitik betreiben.

Produkt\onspoteni3aN,
Gesarota‘lgebot

r(\6eGbes

In einem Abschwung sind die Kapazitäten einer Volkswirtschaft nicht


voll ausgelastet, Maschinen stehen still, Leute sind arbeitslos. Der Staat
soll dann die Gesamtnachfrage ausweiten. In diesem Fall verfolgt er
eine expansive Konjunkturpolitik.

Verfolgt der Staat in einem Abschwung eine expansive und in einem Aufschwung eine
restriktive Konjunkturpolitik, spricht man von einer antizyklischen Konjunkturpolitik.

Wie sieht nun ein solches staatliches Wirtschaftskrisen-Management konkret aus? Es gibt
hauptsächlich zwei Möglichkeiten, die Konjunkturschwankungen auszugleichen:
* Die staatliche Ausgaben- und Einnahmenpolitik
* Die Geldpolitik der Notenbank

2.1.1 Das Prinzip der antizyklischen Konjunkturpolitik der Regierung

Droht eine Rezession, kann die Regierung direkt eingreifen, indem sie die Gesamtnach-
frage mit Staatsaufträgen stützt. Dabei sollte sie mehr Geld ausgeben, ohne die Steuern
anzuheben, denn mit höheren Steuern würden sich ja der Konsum der Haushalte und die

34
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen wieder verkleinern. Die Regierung sollte viel-


mehr die Steuern verringern und so die Ausgabemöglichkeiten der Haushalte und Unter-
nehmen vergrössern. Mit niedrigeren Steuern steigt die Kaufkraft der Haushalte und Unter-
nehmen und diese gesteigerte Kaufkraft kann den Teufelskreis des Abschwungs brechen.

Gibt die Regierung mehr aus, während sie die Steuern senkt, wird natürlich die Staats-
rechnung defizitär. Mit ihrem Defizit versucht die Regierung, die Nachfragelücke der
Haushalte und der Unternehmen zu schliessen. Da aber ein Konjunkturabschwung nicht
ewig dauert, sollte das Staatsdefizit nur vorübergehend sein. Je schneller eine Rezession
dank einer klugen Konjunkturpolitik aufgefangen wird, je früher also ein sich selbst verstär-
kender Aufschwung einsetzt, desto kräftiger fliessen auch wieder die Steuereinnahmen.

Genau in die umgekehrte Richtung muss eine antizyklische Fiskalpolitik zielen, wenn in
einem Boom die Gesamtnachfrage über das Gesamtangebot hinauswächst und die Preise
auf breiter Front steigen: Jetzt muss die Regierung ihre Ausgaben senken. Vergibt sie
weniger Aufträge, verringert sich die Gesamtnachfrage. Zugleich müsste sie die Steuern
anheben. Damit bleibt den Investoren und Konsumenten entsprechend weniger Geld für
ihre Nachfrage.

Damit haben wir im Prinzip einen Weg gefunden, die Konjunkturzyklen antizyklisch zu
glätten:

Droht in einem Abschwung Arbeitslosigkeit, erhöht der Staat seine Ausgaben und senkt
die Steuern. Damit macht er zwar Schulden, aber er sorgt für eine Belebung der Gesamt-
nachfrage.

Droht umgekehrt in einem Aufschwung Inflation, weil die Gesamtnachfrage über das
Gesamtangebot hinauswächst, verringert der Staat seine Ausgaben und erhöht die Steu-
ern. So kann er seine Schulden aus dem letzten Abschwung abbauen und gleichzeitig die
überbordende Gesamtnachfrage dämpfen.

in der Rezession im Boom

Regierung Regierung

Arbeitslosen- Staatsausgaben Steuern werden


Staatsausgaben Staatseinnahmen
kasse stützt werden gesenkt erhöht
werden erhöht werden gesenkt
Einkommen

/
Ausgabemöglichkeiten der Ausgabemöglichkeiten der
Haushalte und Unterneh- Haushalte und Unterneh-
men werden gestützt und men werden verringert
vergrössert

zu starkes Wachstum
ungenügende der Gesamtnachfrage
Gesamtnachfrage steigt wird gebremst

Antizyklische Konjunkturpolitik der Regierung im Prinzip


Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Selbst wenn die Regierung keine aktive Konjunkturpolitik betreibt, werden Konjunktur-
schwankungen durch die Staatstätigkeit von selbst etwas gedämpft. Man spricht darum
von automatischen Konjunkturstabilisatoren:
In einer Rezession gehen die Steuereinnahmen automatisch zurück, die progressiven
Steuern sogar überproportional. Zudem steigen die Staatsausgaben, v. a. für die Ar-
beitslosenversicherung und andere soziale Aufgaben. Die Steuerentlastung und die so-
ziale Absicherung stützen die Kaufkraft für Konsum- und Investitionszwecke.
Umgekehrt gehen im Aufschwung die Zahlungen der Arbeitslosenversicherung und
der Sozialhilfe zurück. Den Haushalten und Unternehmen wird Kaufkraft entzogen,
weil die Steuereinnahmen steigen. Vor allem progressive Steuern steigen in einem
Aufschwung stark an.

Automatische Stabilisatoren sind nur dann wirkungsvoll, wenn die Regierung im Konjunk-
turverlauf ihre Politik nicht ändert. Im Abschwung dürften rückläufige Einnahmen nicht zu
höheren Steuersätzen und Sozialversicherungsbeiträgen führen und die Ausgaben dürften
nicht gekürzt werden. Analog dürften höhere Steuereinnahmen im Aufschwung kein
Anlass für höhere Staatsausgaben oder Steuersenkungen sein.

2.1.2 Die Praxis der antizyklischen Konjunkturpolitik der Regierung

So überzeugend eine antizyklische Politik im Prinzip klingt, so grosse Probleme ergeben


sich in der Praxis:

Antizyklische Massnahmen müssen selbstverständlich ihre Wirkung zum richtigen Zeit-


punkt entfalten. Ein anspruchsvolles Ziel, weil staatliche Ausgaben zeitlich stark verzögert
wirken können — und der Konjunkturverlauf sehr schwierig vorauszusagen ist. Was ankur-
belnd gedacht ist, könnte so im schlimmsten Fall seine Wirkung erst mitten im folgenden
Boom entfalten. Will eine Regierung mit Investitionen die Gesamtnachfrage ankurbeln,
müssten die Planung und die politische Entscheidung für Strassen, Eisenbahnen, Turnhal-
len, Spitäler oder Rüstungsgüter abgeschlossen und die restlichen Fragen geklärt sein. Vor
allem bei grossen Projekten könnte sich die Bauzeit weit in den nächsten Aufschwung hin-
einziehen. Doch steht der Regierung zumindest offen, jene Programme, die schon
beschlossen sind, beschleunigt in Angriff zu nehmen.

Und wie steht es mit Steuersenkungen? In Ländern, wo die Steuersätze schnell geändert
werden können, kann damit den Haushalten und Unternehmen rasch grössere Kaufkraft
überlassen werden. Doch brauchen Änderungen von Steuersätzen im politischen Prozess
oft recht viel Zeit, gerade in der Schweiz.

Zudem ist es einfacher, Steuern zu senken, als sie nachher wieder anzuheben. Ebenso sind
Ausgaben leichter erhöht als verringert. Antizyklische Fiskalpolitik kann deshalb leicht eine
Einbahnstrasse werden. Im Abschwung wächst das Staatsdefizit — wird aber im Auf-
schwung nicht im gleichen Mass abgebaut. Als Ergebnis verschuldet sich der Staat zuneh-
mend. Vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren sind die Staatsschulden in Europa, den
USA und auch Japan stark angewachsen. Unterdessen haben sich aber auch starke Kräfte
formiert, um die Schulden wieder abzubauen.

Zwar kann man sich im Prinzip auf eine Politik einigen, mit der das staatliche Budget und
dann die Finanzrechnung des Staates über einen ganzen Konjunkturzyklus hinweg etwa
ausgeglichen sein sollten. So würden im Boom Schulden aus der letzten Rezession zurück-
bezahlt oder Reserven für die nächste Rezession angelegt. Doch im Kampf um Staatsdefi-
zite und Staatsschulden ist das Ziel einer antizyklischen Fiskalpolitik in den Hintergrund
getreten.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Die schweizerische Politik verstärkte die Konjunkturschwankungen, statt sie zu glätten.


Nicht einmal die automatischen Konjunkturstabilisatoren konnten sich voll entfalten. Statt
antizyklisch wirkte die Politik prozyklisch:
Im langen Aufschwung der 1980er-Jahre (als die Steuereinnahmen reichlich flossen)
gaben Bund, Kantone und Gemeinden grosszügig Geld aus und senkten die Steuern.
Damit weiteten sie die Gesamtnachfrage im Boom aus, statt Reserven für die nächste
Rezession anzulegen.
• Den Sparzwang entdeckten Regierungen und Parlamente erst in der Rezession 90er
Jahre. Staatsaufträge und Staatsstellen wurden gestrichen. Gleichzeitig stiegen die di-
rekten wie auch die indirekten Steuern, die Beiträge für die Arbeitslosenkasse und die
Krankenkassenprämien. Das alles verringerte die Kaufkraft der Haushalte, die Gesamt-
nachfrage wurde gedrosselt, der Staat verschärfte den Abschwung. Und je länger der
Abschwung dauerte, desto spärlicher flossen die Steuereinnahmen und desto grösser
wurden die Defizite und desto eher wurde versucht zu sparen ...
Erst im Aufschwung 1997 bis 2000 wurde der Staat wieder ausgabefreudiger. Zudem
wurden Steuern gesenkt, Schulden zurückzuzahlen wurde weniger populär. Mit der
anschliessenden Rezession, jedoch, begannen wieder neue Sparmassnahmen.
Zwar verfolgt die im Dezember 2001 vom Stimmvolk angenommene Vorlage der
«Schuldenbremse» das Ziel einer zyklisch ausgeglichenen Staatsrechnung bei gleich-
zeitiger Stabilisierung der Schulden des Bundes. Explizit soll verhindert werden, dass
der Staat in Rezessionen zwar Schulden, in Boomzeiten aber keine Überschüsse
macht.
• Doch Steuerbelastung und Budget werden konkret immer noch vornehmlich vom Par-
lament beschlossen. Und hier sind Kräfte stärker, die bei guter (und manchmal sogar
bei schlechter Konjunkturlage) Steuern senken, und dann mit dem Hinweis auf die
«Schuldenbremse» die Ausgaben kürzen. Dass vor allem in Rezessionszeiten gespart
wird (weil dann Defizite hervortreten), wird in Kauf genommen. Das Ziel, die staatli-
chen Aktivitäten zurückzubinden oder zu verringern, geht hier vor.

In der Konjunkturpolitik der Regierung klafft eine grosse Lücke zwischen dem theoretisch
und dem in der Praxis Möglichen. Damit treffen wir beim Problem der Konjunkturschwan-
kungen nicht nur auf ein Marktversagen, sondern auch auf ein Staatsversagen, denn oft
sind Politiker nicht in der Lage, eine Stabilitätspolitik umzusetzen.

Im Vordergrund stehen drei Probleme:


1. Eine expansive Konjunkturpolitik könnte zu spät wirken. Anstatt den gegenwär-
tigen Abschwung zu mildern, verstärkt sie dann den nächsten Aufschwung.
2. Der Streit um die Staatsschulden verdrängt das Ziel einer antizyklischen Konjunkturpo-
litik.
3. Schliesslich profitiert oft auch das Ausland, wenn ein Staat eine wirksame expansive
Politik betreibt, weil ein Teil der angekurbelten Gesamtnachfrage als Importnachfrage
ins Ausland versickert.

Aufgabe 26 Den Politikern gelingt es oft nicht, eine antizyklische Konjunkturpolitik umzusetzen. Nen-
nen Sie die wichtigsten drei Gründe dafür.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2.1.3 Antizyklische Konjunkturpolitik der Notenbank

Die Möglichkeiten der Notenbank, mit einer expansiven Geldpolitik die Gesamtnachfrage
anzukurbeln oder sie mit einer restriktiven Politik zu dämpfen, sind Ihnen bereits aus dem
letzten Lernheft bekannt. Zusammengefasst sehen wir sie in unserem Inflationsmodell in der
folgenden Abbildung. Neu im Modell eingetragen sind die eben besprochenen konjunktu-
rellen Massnahmen, die die Regierung ergreifen kann, um die Gesamtnachfrage zu steigern.

[2-2] Antizyklische Konjunkturpolitik in einer mit der übrigen Welt verbundenen


Volkswirtschaft

Regierung Notenbank

Zinssatz der
Regierungsaufträge Notenbank sinkt,
und Steuersenkungen Geldmenge steigt

Konjunktur-
schwankungen Zinsniveau sinkt

€- und S-Zinsen
ungenügende attraktiver als CHF.-
Gesamtnachfrage Zins, €- und $-Nach-
steigt frage steigt

falls die Gesamtnach-


frage über das Gesamt- Exporte steigen,
Importe sinken €- und S-Kurs steigt
angebot hinauswächst

inländische Güter ausländische Güter


werden teurer werden teurer

allgemeines
Preisniveau steigt

Schauen wir uns die Möglichkeiten der Notenbank unter dem neuen Gesichtswinkel der
Konjunkturschwankungen nochmals an. Die linke Seite des Modells zeigt den Einfluss der
Notenbank auf die Binnenwirtschaft:
• Expansive Geldpolitik: Steckt die Wirtschaft in einer Rezession, kann die Notenbank die
kurzfristigen Zinsen senken, worauf in der Regel auch das allgemeine Zinsniveau sinkt.
Wer investieren will, kann nun mit günstigeren Zinsen rechnen. Es wird lohnender, Woh-
nungen zu bauen oder Maschinen zu kaufen. Haushalte sparen eher weniger und geben
mehr aus. Als Resultat wird die Gesamtnachfrage angekurbelt.
Allerdings könnten in einem tiefen und langen Abschwung die Absatzerwartungen der Un-
ternehmer derart sinken, dass sie sich selbst bei sehr niedrigen Zinsen kaum zu mehr In-
vestitionen verleiten lassen. Dann gibt es keine Garantie dafür, dass mit niedrigeren Zin-
sen mehr investiert wird.

38
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

• Restriktive Geldpolitik: Will die Notenbank eine Inflation bekämpfen, die ein Boom
mit sich bringt, hebt sie die kurzfristigen Zinsen an, worauf in der Regel auch die lang-
fristigen Zinsen steigen. Damit fallen viele Berechnungen von Investitionsvorhaben
weniger rentabel aus und es wird weniger investiert. Es wird weniger gebaut und auch
viele andere Investitionspläne werden wegen steigender Zinsen verschoben. Bei hö-
heren Zinsen wird eher mehr gespart und weniger konsumiert. Auto- oder Möbelver-
käufe werden gedrosselt.
Allerdings kann sich - wie Sie wissen - der Erfolg einer restriktiven Geldpolitik über
mehrere Jahre hinausziehen, weil viele Preise und Löhne durch Marktmacht und Ge-
setze mitbestimmt werden. Bremst die Notenbank eine Inflation auch dann noch mit
hohen Zinsen, wenn sich eine grosse Nachfragelücke öffnet, kann die Arbeitslosigkeit
drastisch ansteigen.

Mit einer restriktiven Geldpolitik lässt sich also die Gesamtnachfrage drosseln. Dabei zei-
gen sich höhere Arbeitslosenzahlen in der Regel schneller als verringerte Inflationsraten.
Dagegen ist der geldpolitische Erfolg weniger garantiert, wenn die Binnennachfrage aus-
geweitet werden so11.11

Besonders für kleine Länder mit entsprechend grossem Aussenhandel eröffnen sich aber
zusätzliche stabilisierende Mechanismen über die Wechselkurse. Dies zeigt die rechte
Seite des Modells in der Abbildung oben:
• Sinken die schweizerischen Zinsen, sinkt auch der Aussenwert des Frankens. (Falls
dieser Mechanismus nicht funktionieren sollte, etwa weil spekulative Geldströme da-
gegen wirken, könnte die Notenbank zur Not auch direkt am Devisenmarkt intervenie-
ren.) Sinkt der Franken, werden schweizerische Güter im Ausland billiger und finden
dort besseren Absatz. Und ausländische Güter werden in der Schweiz teurer, die Im-
porte gehen zurück, inländische Produzenten profitieren. Dass ein tiefer Franken die
Nachfrage nach einheimischen Gütern kurzfristig erhöht, ist vielfach nachgewiesen
und erprobt.
• Auch eine restriktive Geldpolitik wird über die Wechselkurse unterstützt: Steigt der
Aussenwert des Frankens, werden unsere Güter im Ausland teurer und verkaufen sich
schlechter. Die ausländischen Güter werden bei uns billiger, bremsen sehr schnell ei-
nen Teil unserer Inflation und konkurrieren die inländischen Produzenten. Ein hoher
Franken dämpft die Nachfrage nach schweizerischen Gütern.

Die Notenbank hat über Zinsen und Wechselkurse Einfluss auf die Gesamtnachfrage.
• In einem Abschwung versucht die Notenbank, das Zinsniveau und den Wert der eige-
nen Währung zu senken. Damit beleben sich Investitionstätigkeit und Konsum, Ex-
porte werden erleichtert und Importe erschwert.
• Droht hingegen in einem Aufschwung eine Inflation, versucht die Notenbank das Zins-
niveau und den Wert der eigenen Währung anzuheben. So werden Investitionen und
Konsum gedrosselt, Exporte erschwert und Importe erleichtert.

1] Darüber, dass die Geldpolitik in die lockere Richtung ungewisser wirkt als in die restriktive, gibt es verschiedene
berühmte Sprüche: «Man kann wohl an einer Schnur ziehen und so eine Notbremse einleiten - aber versuchen Sie ein-
mal, eine Schnur zu stossen.» (J. K. Galbraith) Eine Ausdehnung der Geldmenge zur Ankurbelung der Wirtschaft ist, wie
wenn Sie «zunehmen wollen und deshalb einen weiteren Gürtel kaufen.» (J. M. Keynes), oder auch: «Ich kann meine
Kühe zum Brunnen führen, aber saufen müssen die Kühe selber.» (Jo Aplanalp).

39
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Wie schwierig es ist, die geldpolitischen Instrumente erfolgreich einzusetzen, zeigt die
schweizerische Erfahrung seit 1985:
• Aus Angst, der Börsencrash von 1987 könne eine Rezession auslösen, reagierte die
Schweizerische Nationalbank mit einer lockeren Geldpolitik. Zudem überschätzte sie
die Geldmenge, die nach der Einführung eines effizienteren Zahlungssystems zwi-
schen den Banken noch nötig war.
Die expansive Politik im Jahre 1988 zeigt sich in tiefen kurzfristigen Zinsen und in
einem tiefen Frankenaussenwert. So erleichterte auf dem Höhepunkt des Booms ein
billiger Franken die Exporte und verteuerte die Importe.
Die Preise erhielten einen starken Auftrieb, doch erst 1989 begann die Schweizerische
Nationalbank einen langwierigen Kampf gegen die Inflation (vgl. Abschnitt 3.2.3, Lern-
heft 4). Die Zinsen wurden auch noch hochgehalten, als 1993 schon 200 000 Leute
ihre Stelle verloren hatten. Ein Teil dieses Stellenrückgangs war zwar die Folge eines
Konjunkturrückgangs, wie er auch in anderen Ländern einsetzte. Doch die verlängerte
Inflationsbekämpfung bis Ende 1993 hat das BIP-Wachstum derart lange gebremst,
dass vermutlich etwa die Hälfte des Stellenrückgangs auf das Konto der Inflationsbe-
kämpfung gehen könnte.
• Mit dem langen Festhalten an einer restriktiven Geldpolitik stieg auch der Frankenaus-
senwert. Zwar wurde der Franken auch durch Spekulationsgelder aus dem zukünf-
tigen Euroraum in die Höhe getrieben — doch bestehen kaum Zweifel, dass gerade der
überrestriktive Kurs der Nationalbank die Spekulationsgelder anzog. Der Franken wur-
de so stark, dass man Ende 1995 für 100 DM nur noch 80 Franken bezahlte. Gegenü-
ber den Währungen von 15 wichtigen Handelsländern der Schweiz stieg der Franken
von Anfang 1993 bis Ende 1995 um 15% (um die Inflationsdifferenzen gegenüber die-
sen Ländern bereinigt). Damit wurden die Exporte enorm erschwert und die Importe
erleichtert. Nach Ansicht der OECD war dies der Hauptgrund, warum die 1994 einset-
zende Aufschwungsdynamik sich nicht weiter entwickeln konnten. So sank das
schweizerische BIP 1996 wieder, während sich die Länder ringsum eines Auf-
schwungs erfreuten. Die offiziellen Inflationsraten sanken auf 0,5%, was effektiv eine
Deflation bedeutet. Die Zahl der effektiv Arbeitslosen stieg auf neue Rekordhöhen.
• Erst mit einem Wechsel im Notenbankpräsidium wurde die Geldversorgung lockerer.
Dem Wechselkurs zum Euro wird nun ein stärkeres Gewicht gegeben, was Währungs-
spekulanten eher abschreckt.

1] OECD-Länderbericht über die Schweiz 1996.

40
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Aufgabe 7 Füllen Sie die folgende Tabelle über die antizyklische Konjunkturpolitik der Regierung und
der Notenbank aus.

Expansive Kon- Regierung Notenbank


junkturpolitik
Ziel

Mittel

Erhoffte Wirkung

Probleme in der
Praxis
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Restriktive Kon- Regierung Notenbank


junkturpolitik
Ziel

Mittel

Erhoffte Wirkung

Probleme in der
Praxis
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2.2 Wo sind die Grenzen der Konjunkturpolitik?

2.2.1 Die inflationsstabile Arbeitslosenrate

Beginnen wir unsere Überlegungen mit einem typischen Konjunkturaufschwung:


• Die Gesamtnachfrage wächst schneller als das mögliche Gesamtangebot. Die Unter-
nehmen stellen mehr Leute ein, die Arbeitslosigkeit nimmt ab.
• Und die Inflation? Sie nimmt so lange nicht zu, wie noch eine grosse Nachfragelücke
besteht. Gibt es noch viele Arbeitslose, kann also die Gesamtnachfrage stark anstei-
gen, ohne dass die Inflation zunimmt.
• Die Inflation zieht erst an, wenn die Gesamtnachfrage grösser ist als das mögliche Ge-
samtangebot. Müsste das nicht der Moment sein, wo alle Leute wieder einer Arbeit
nachgehen?

Leider trifft das nicht zu. Die Inflation nimmt schon wieder zu, bevor alle eine Stelle haben.
Offenbar wird die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsgrenze (das Produktionspotenzial)
erreicht, obwohl es noch Arbeitslose gibt. Ein weiteres Anwachsen der Gesamtnach-
frage kann die Arbeitslosigkeit zwar weiter verringern, aber nur zum Preis einer
anziehenden Inflation. Diese Arbeitslosenrate, die nur unterschritten werden kann, wenn
man dafür eine steigende Inflation in Kauf nimmt, nennt man inflationsstabile Arbeitslo-
senrate. 1]

Wie hat sich nun die inflationsstabile Arbeitslosenrate entwickelt? Schauen wir dazu die
Abbildung unten an und vergleichen zuerst drei Perioden der amerikanischen Arbeitslo-
senkurve:

[2-3] Arbeitslosigkeit und Inflation in den USA seit 1960

(in Prozent)
tatsächliche Arbeitslosenquote
8

4
inflationsstabile Arbeitslosenquote

0 f I l I I T I I I I I I T T f 1 1 1 1 1 1 1 f f 1 1 1 1 I 1 1 1 E 1 1 I I I I I I

1960 65 70 75 80 85 90 95 2000 05

Quelle: OECD.

Dabei ent-
1) Anstelle der «inflationsstabilen Arbeitslosenrate» spricht man auch von der «natürlichen Arbeitslosenrate».
man sich meistens, dass dieser Begriff unglücklich sei, weil eine bestimmte Höhe der Arbeitslosigkeit nichts
schuldigt
Natürliches an sich habe.
Volkswirtschaftslehre.
In den Medien hört man oft von «Sockelarbeitslosigkeit». Doch ist dies eigentlich kein Begriff der
auch jene Arbeitslosigkeit, die am Ende eines starken Auf-
Es wird darunter denn auch Verschiedenes verstanden, z. B.
noch bestehen bleibt. In einem inflationären Boom wäre sie damit kleiner als die inflationsstabile
schwungs immer
Arbeitslosenrate.

43
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

• Ende der 1960er-Jahre lag die inflationsstabile Arbeitslosenrate bei etwa 4,5%. Als
nämlich in den Jahren 1966 bis 1969 diese 4,5% unterschritten wurden, stieg die In-
flation von 2 auf 6% — und sobald die Arbeitslosigkeit wieder darüber stieg, sank die
Inflationsrate auf 3%.
• Ende der 1980er-Jahre lag die inflationsstabile Arbeitslosenrate bei etwa 6%. Im Auf-
schwung nach 1983 konnte zunächst die Arbeitslosigkeit abnehmen, bei leicht sinken-
der Inflation. Als jedoch die Arbeitslosenrate im Jahr 1988 unter 6% sank, stiegen die
Inflationsraten wieder.
• Heute jedoch ist die inflationsstabile Arbeitslosenrate auf Rekordwerte gesunken.
Denn bis 1999 verringerte sich die Arbeitslosigkeit auf unter 4%, ohne dass die Infla-
tion anzog.

In Europa jedoch ist die inflationsstabile Arbeitslosenrate in den 1960er- bis 1980er-Jahren
auf das Vierfache angestiegen:

[2-4] Arbeitslosigkeit und Inflation in der EU seit 1960

(in Prozent) tatsächliche


Arbeitslosenquote

10 -

8 -

6 - inflationsstabile
zz Arbeitslosenquote

4 -

2 -

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 I i 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

1960 65 70 75 80 85 90 95 2000 05

Quelle: OECD.

• In den 1960er-Jahren hatten die Europäer mit einer Inflation von etwa 4% und einer
Arbeitslosigkeit von etwa 2 % zu kämpfen.
• Anfangs der 1990er-Jahre lag die Inflation bei etwa 5 %, nun aber bei einer Arbeitslo-
sigkeit von 8%! Und zwar wurden diese 8% nach einem langen Konjunkturauf-
schwung erreicht.

Die inflationsstabile Arbeitslosenrate ist in Europa seit den 1960er-Jahren also auf das Drei-
bis Vierfache gestiegen.

Die inflationsstabile Arbeitslosenrate ist jene Arbeitslosenrate, die nur unterschritten


werden kann, wenn man dafür eine steigende Inflation in Kauf nimmt.

Wenn ein Aufschwung gebremst wird, um eine Inflation beim ersten Anzeichen ZU
bekämpfen, bleiben Arbeitslose zurück.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

2.2.2 Warum ist die Arbeitslosigkeit in Europa so hoch?

Für das Rätsel der hohen europäischen Arbeitslosigkeit findet man verschiedene Vermu-
tungen, umstrittene Theorien und empirische Studien. Auf zwei recht verschiedene Erklä-
rungsansätze - einen klassischen und einen konjunkturellen - wollen wir hier näher einge-
hen:
• Viel diskutiert wird die Ansicht, in Europa werde der klassische Umstrukturierungs-
prozess (so, wie er in den Abschnitten 1.3, S. 11 und 1.4, S. 13 beschrieben ist) be-
hindert. Darum seien heute die europäischen Strukturprobleme grösser als in den
USA.
• Dem wird entgegengehalten, die steigende europäische Arbeitslosigkeit sei vor allem
eine Folge von Fehlern in der Konjunkturpolitik. Man bekämpfe in Europa Rezessi-
onen zu wenig effizient und würge Aufschwünge zu früh ab.

Hat die ständig steigende inflationsstabile Arbeitslosenrate in Europa friktionelle, strukturelle oder
konjunkturelle Ursachen? Foto: Keystone

A Klassische Erklärung

Die klassische Sichtweise sucht nach friktionellen oder strukturellen Gründen für das
Ansteigen der inflationsstabilen Arbeitslosenrate. Ist die friktionelle Arbeitslosigkeit, die
Sucharbeitslosigkeit gestiegen? Ist die strukturelle Arbeitslosigkeit gestiegen?
• Die Zeit, die man für die Stellensuche braucht, hat vermutlich zugenommen. Heute
gibt es viel mehr verschiedene berufliche Tätigkeiten, die Stellensuche ist kompli-
zierter geworden.
• Die internationale Arbeitsteilung hat sich stark ausgeweitet. Konkurrenten aus im-
mer mehr Ländern produzieren heute Güter, die früher aus den alten Industrieländern
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

stammten. Darum sind Europa und die USA in den 1970er- und 1980er-Jahren einem
verstärkten Strukturwandel unterworfen.
So bauten viele Branchen wie die Bekleidungs- und Textilindustrie oder die Kohle- und
die Stahlindustrie in verstärktem Mass Arbeitsplätze ab. Die hier freigesetzten Leute
fanden aber nicht ohne Weiteres eine neue Stelle in den aufstrebenden Branchen, die
auf den wachsenden internationalen Märkten viel versprechende Exportchancen nut-
zen, wie Banken, Kommunikation, Flugzeug- oder Elektronikindustrie. Zudem befinden
sich die niedergehenden Branchen oft an einem anderen Ort als die aufstrebenden. Es
ist nicht für jeden leicht, von Pittsburgh nach Kalifornien, von Liverpool nach London
oder gar von Belgien nach Stuttgart und München zu ziehen. Sei es, weil sie stark spe-
zialisiert, ungenügend ausgebildet oder in ihrer Gegend verwurzelt sind, scheinen im-
mer mehr Arbeitskräfte mit dem steigenden Tempo des wirtschaftlichen Wandels
nicht mehr mitzukommen.

Nun gelten aber die beschriebenen friktionellen und strukturellen Gründe sowohl für die
USA wie für Europa. So bleibt die Frage, warum die inflationsstabile Arbeitslosenrate in
Europa so viel stärker zugenommen hat als in den USA. In der klassischen Sicht sind es vor
allem staatliche Fesseln, die verhindern, dass in Europa die Strukturprobleme schnell
genug gelöst werden können:
• Die Löhne für Berufe oder Qualifikationen, die sich im Niedergang befinden, seien zu
hoch. Die Löhne reagierten dort zu unflexibel. Kritisiert werden Mindestlöhne, die
vom Staat vorgeschrieben, von Gewerkschaften erkämpft oder mit gesellschaftlichem
Druck durchgesetzt werden. Löhne, die klar über dem Gleichgewichtspreis liegen, nüt-
zen zwar jenen, die noch einen Job haben; wenn aber darum weniger Leute angestellt
werden, sind Mindestlöhne auch ein Grund für Arbeitslosigkeit) ]
• In Europa sind Gesetze zur Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze weit verbrei-
tet. Für die Arbeitskräfte mit einer Stelle wird dadurch das Risiko einer Entlassung klei-
ner - für die Unternehmen hingegen wird die Entlassung von Arbeitskräften teuer und
die Anstellung von neuen Arbeitskräfte risikovoller. Damit sind viele Unternehmen zu-
rückhaltend bei Neuanstellungen. In einem Aufschwung verlangen sie eher Überstun-
den, lassen den Auftragsbestand ansteigen oder heben ihre Preise an.
• Kritisiert wird der Sozialstaat, vor allem die Arbeitslosenversicherung. Dank zu
grosszügiger Unterstützung nähmen sich Europäer zu lange Zeit bei der Suche nach
einer passenden Arbeit. Dagegen spreche, dass die Arbeitslosengelder in der Zeit, in
der die Arbeitslosigkeit stieg, nicht etwa zu-, sondern abgenommen haben. Und es sei
auch nicht so, dass etwa immer mehr offene Stellen immer mehr Arbeitslosen gegen-
überstehen. Die offenen Stellen steigen nicht, nur die Arbeitslosenzahlen.
• Auch Strukturprobleme ausserhalb der Arbeitsmärkte seien nicht förderlich zur Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze. Die angeblichen oder echten Behinderungen reichen hier
von Steuern, die wirtschaftlich erwünschte Tätigkeiten zu stark belasten, über eine
Unzahl von staatlichen Vorschriften, die aufstrebende Branchen behindern, bis zu den
hohen Zinsen, die seit den 1980er-Jahren in Europa bezahlt werden müssen.

Mit den hohen Zinsen sind wir bei den Klagen über die europäische Konjunkturpolitik, denn
die hohen Zinsen sind auch die Folge einer restriktiven Geldpolitik.

1] Die Wirkung von Mindestpreisen bzw. -löhnen haben wir bereits im dritten Lernheft, Kapitel 2, untersucht. Zur Erinne-
rung: Mindestlöhne werden über den Gleichgewichtslöhnen festgesetzt (durch den Staat oder durch Gewerkschafts-
macht).

46
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

B Konjunkturelle Erklärung

In Europa waren in den letzten Jahrzehnten die Rezessionen länger und die Booms kürzer
als in den USA. Eine wichtige Ursache liegt in der unterschiedlichen Ausrichtung der Kon-
junkturpolitik: Die Europäer bekämpfen Rezessionen weniger zielstrebig als die Amerika-
ner. Die Zinsen werden weniger forsch gesenkt und auf ein ausgeglichenes Staatsbudget
wird mehr Gewicht gelegt. Zudem sind die Europäer im Boom ängstlicher, die Bekämp-
fung der Inflation hat eine hohe Priorität. In den USA hingegen halten Notenbank wie
Regierung länger an einem expansiven Kurs fest.

Dass in Europa die konjunkturelle Arbeitslosigkeit leichter hingenommen wird als in den
USA, hat gefährliche Folgen: Je länger nämlich eine Rezession dauert, desto grösser ist in
der Regel die Langzeitarbeitslosigkeit. In europäischen Abschwüngen erhalten also zu viele
konjunkturell Arbeitslose allzu lange keine Chance, in den Arbeitsprozess zurückzukehren.
Aus einer ursprünglich konjunkturellen Arbeitslosigkeit kann sich so eine hartnäckige
Arbeitslosigkeit entwickeln. Die europäische inflationsstabile Arbeitslosenrate erhöht sich
allein schon mit der langen Dauer eines Abschwungs. Jene Länder, die am wenigsten
taten, um die Leute rasch an die Arbeit zurückzuholen, leiden heute tatsächlich am meisten
unter einer hohen inflationsstabilen Arbeitslosenrate.

Dafür, dass in Europa die inflationsstabile Arbeitslosenrate mit jedem längeren Anstieg der
Arbeitslosigkeit steigt, gibt es im Wesentlichen drei Gründe:
1. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, umso mehr verlieren die Arbeitslosen ihre Be-
rufsqualifikation. Und Jugendliche, die aus konjunkturellen Gründen arbeitslos wer-
den, bekommen kaum Gelegenheit, sich an eine geregelte Arbeit zu gewöhnen. Recht
schnell kann ein grosser Teil der Arbeitslosen nicht mehr mit denen mithalten, die eine
Stelle haben. Die europäische Arbeitslosigkeit dauert nämlich viel länger als die ame-
rikanische. In den USA sind nur 6% der Arbeitslosen über ein Jahr ohne Stelle — in vie-
len europäischen Ländern hingegen sind es mehr als 50%.
Mit steigender Dauer der Arbeitslosigkeit wird auch weniger intensiv eine Stelle ge-
sucht. Viele resignieren und gewöhnen sich an einen niedrigeren Lebensstandard.
Viele Unternehmen andererseits vermeiden die Einstellung von Langzeitarbeitslo-
sen, da ihnen allein schon die Länge der Arbeitslosigkeit wenig Gutes verspricht über
die Qualifikation des Bewerbers.
So wird es möglich, dass die Unternehmen in einem Aufschwung bald keine geeig-
neten Arbeitskräfte mehr finden. Dann haben die Unternehmen eine Grenze erreicht,
wo sie ihre Preise hinaufsetzen und bereit sind, höhere Löhne zu zahlen. Die Stellen-
halter können also trotz immer noch hoher Arbeitslosigkeit schon wieder höhere Löhne
verlangen, weil es unter den Arbeitslosen kaum mehr Leute gibt, die ihre Stelle einneh-
men könnten.
2. Weiter gibt es einen Gegensatz zwischen den Insidern, die den Vorteil einer Anstel-
lung haben, und den arbeitslosen Outsidern. Steigt die Gesamtnachfrage, verbessert
sich die Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Können sie schon Lohnforde-
rungen durchsetzen, bevor alle konjunkturell Arbeitslosen wieder eine Stelle haben,
und wälzen die Unternehmen ihre gestiegenen Lohnkosten wieder auf die Verkaufs-
preise, zieht die Inflation an.
Aber warum werden dann die Insider nicht entlassen und dafür arbeitslose Outsider zu
niedrigeren Löhnen eingestellt? Dies kann ein menschlich heikles Unterfangen sein,
die Anstellung und Einarbeitung verursacht Kosten und gewerkschaftlich organisierte
Arbeiter können sich gegenüber solchen Kündigungen wehren. Verstärkt wird das In-
sider-Outsider-Problem, wenn durch Arbeitslosigkeit die Mitgliedschaft in einer Ge-
werkschaft erlischt.
3. Schliesslich passen die Unternehmen in einem Abschwung auch ihren Maschinenpark
und ihre Produktionsräume der sinkenden Gesamtnachfrage an. Je länger die Rezessi-

47
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

on anhält, desto dauerhafter verringert sich die Produktionskapazität. Hat der Ab-
schwung lange gedauert, können in einem Aufschwung nur viele neue Leute ange-
stellt werden, wenn auch viele Investitionen in neue Arbeitsplätze getätigt werden.

Warum steigt mit jedem längeren Anstieg der Arbeitslosigkeit auch die inflationsstabile
Arbeitslosenrate? Viele, die bloss aus konjunkturellen Gründen arbeitslos werden, bleiben
im folgenden Aufschwung ohne Stelle, wenn dieser Aufschwung zu lange auf sich warten
lässt. So wird ein konjunkturelles, im Prinzip vorübergehendes Problem hartnäckig.
Ursprünglich rein konjunkturelle wird zu struktureller Arbeitslosigkeit.

Im Konjunkturabschwung sitzen viele plötzlich auf dem Trockenen. Es gibt zwei Strategien, um
den Kahn wieder flottzumachen. Entweder wartet man auf die nächste Flut — oder man greift aktiv
ins Geschehen ein. Foto: Keystone

Die Gründe für die im Vergleich zu den USA besonders hohe europäische Arbeitslosigkeit
sind umstritten. Zur Hauptsache stehen sich zwei grundlegend verschiedene Erklärungs-
ansätze gegenüber.
Die Vertreter des einen Ansatzes machen die vielfältigen staatlichen Behinderungen
des Marktgeschehens verantwortlich. Deshalb könne das Marktsystem in Europa
nicht genügend schnell auf den ständigen Strukturwandel reagieren. Kritisiert
werden in diesem Zusammenhang zu hohe und zu inflexible Löhne, überrissene Sozi-
alleistungen, falsche Steueranreize, zu hohe Zinsen sowie Vorschriften, die Unterneh-
mer behindern.
Die Vertreter des anderen Ansatzes machen dagegen Fehler in der Konjunkturpolitik
für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. Je länger ein Abschwung dauert, desto
grösser ist in der Regel die Langzeitarbeitslosigkeit. Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit
werde nicht konsequent genug bekämpft und deshalb steige die inflationsstabile Ar-
beitslosigkeit mit jedem Konjunkturzyklus an.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lasst sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

Aufgabe 19 In der politischen Diskussion über die Gründe für die wachsende Arbeitslosigkeit werden
zwei Hauptrichtungen vertreten.

Al Beschreiben Sie diese beiden Richtungen mit je einem Schlagwort. Welche Richtung
argumentiert im Rahmen der klassischen (langfristigen) Theorie und welche aus der kurz-
fristigen Sicht?

Bi Welche der beiden Theorien ist richtig?

2.2.3 Wie liesse sich die inflationsstabile Arbeitslosenrate verringern?

Ist die europäische Arbeitslosigkeit nun wegen Behinderungen des Strukturwandels oder
infolge einer verfehlten Konjunkturpolitik angestiegen? Beide Analysen führen zu Vorschlä-
gen, wie die inflationsstabile Arbeitslosenrate verringert werden könnte:
• Friktionelle Arbeitslosigkeit, Sucharbeitslosigkeit, kann verringert werden, indem der
Arbeitsmarkt transparenter gestaltet wird. Sowohl Unternehmen wie Stellensuchende
müssen effiziente Informations- und Vermittlungsdienste zur Verfügung haben.
Auch Kurse für Bewerbungsschreiben kürzen manchem Arbeitslosen die Zeit der Stel-
lensuche ab.
• Wo es an der passenden Berufsqualifikation fehlt, bietet der Staat Programme zur
Schulung und Umschulung an. Doch sehr oft hilft ein Arbeitsplatz mehr. Dann ist ak-
tive Arbeitsmarktpolitik, die über die blosse Vermittlung von Stellen hinausgeht,
wirksamer. Subventionen für Arbeitsplätze leisten einen wichtigen Beitrag zur fach-
lichen Qualifikation von Arbeitslosen, vor allem bei Jugendlichen, die länger arbeitslos
waren
Wo das Angebot an Arbeitskräften in regionaler Hinsicht nicht mit der Nachfrage über-
einstimmt, kann der Staat die Leute animieren, ihren Wohnort zu wechseln. Der Staat
kann auch versuchen, zukunftsträchtige Unternehmen in Gebiete mit hoher Arbeitslo-
sigkeit zu locken.
• Allerdings könnte der Staat auch Arbeitslosigkeit bekämpfen, indem er eigene Hinder-
nisse beseitigt. Die Fragen, die hier aufgeworfen werden, sind in diesem Buch schon
mehrfach behandelt worden. Wenig umstritten ist, dass der Staat nur bei Marktversa-
gen aktiv werden soll, dass seine Massnahmen marktkonform sein sollen und dass
Märkte nur bei Wettbewerb und genügender Information befriedigend funktionieren.
Vor allem die Deregulierung von Gütermärkten, die neuen Unternehmen den Zutritt er-
leichtern würde, könnte neue Arbeitsplätze schaffen. Umstrittener ist die Forderung
nach flexibleren Arbeitsmärkten und sehr kompliziert eine Reform des Sozialstaats.
• Wer sieht, wie die inflationsstabile Arbeitslosenrate mit jeder langen Rezession steigt,
möchte vor allem lange Abschwünge verhindern und propagiert eine energischere
Konjunkturpolitik. Notenbank und Regierung müssen reagieren, bevor die Arbeitslo-
sen ihre fachliche Qualifikation und ihren Kontakt zur Arbeitswelt verlieren. Ein Boom
soll weniger früh gebremst werden, denn während eines verlängerten Booms, so wie
ihn die USA in den 1990er-Jahren genossen, würden viele Arbeitslose ihre fachliche
Qualifikation zurückgewinnen, viele Outsider würden wieder zu Insidern, und Investiti-
onen würden die Produktionskapazitäten wieder vergrössern. Mit einer expansiven
Konjunkturpolitik würde also auch ein Teil der strukturellen Arbeitslosigkeit verringert.
Die expansive Konjunkturpolitik sollte erst dann gestoppt werden, wenn die inflations-
stabile Arbeitslosenrate auf den eigentlichen, kleineren friktionellen und strukturellen
Rest zurückgesunken ist.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
2 Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?

In der wirtschaftspolitischen Diskussion werden die klassischen und konjunkturellen Positi-


onen gerne als unversöhnliche Gegensätze dargestellt: die Beseitigung von institutio-
nellen Hindernissen gegen die Ankurbelung der Gesamtnachfrage. Beim komplexen Pro-
blem der Arbeitslosigkeit ergänzen sich jedoch die besprochenen Lösungsansätze gegen-
seitig:
• So sind schmerzliche Strukturmassnahmen eher durchzuführen, wenn eine Wirtschaft
boomt. Werden Strukturreformen erst in einem Abschwung eingeleitet, werden zu
viele Leute verunsichert. Die Stimmung kann sich derart verschlechtern, dass der kon-
junkturelle Abschwung sich laufend weiter fortsetzt.
• Umgekehrt könnte man eine expansive Konjunkturpolitik eher wagen, wenn sie durch
strukturelle Massnahmen ergänzt wäre. Der Preisauftrieb (der zu erwarten ist, sobald
die inflationsstabile Arbeitslosenrate unterschritten wird) könnte durch mehr Wettbe-
werb auf den Güter- und Arbeitsmärkten eher in Schach gehalten werden.

Sind strukturelle Gründe für die zunehmende Arbeitslosigkeit verantwortlich, hilft eine
antizyklische Konjunkturpolitik wenig, um das Problem zu lösen. Vertreter dieser Richtung
fordern deshalb eine Beseitigung der strukturellen Hindernisse, die die Entwicklung der
Wirtschaft ihrer Ansicht nach behindern. Gefordert wird unter anderem: die Flexibilisierung
der Arbeitsmärkte, die Eindämmung des Sozialstaats, der Abbau staatlicher Regelungen,
die die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern, Steuersenkungen und der Abbau der
Staatsverschuldung (in der Hoffnung auf ein tieferes Zinsniveau).

Wer dagegen vor allem ein Versagen der bisherigen Konjunkturpolitik für die hohe
Arbeitslosigkeit verantwortlich macht, verlangt, dass Regierung und Notenbank in Zukunft
rascher und konsequenter auf Konjunkturschwankungen reagieren — bevor die Arbeitslo-
sen durch lange Arbeitslosigkeit ihre Qualifikation und ihren Kontakt zur Arbeitswelt verlie-
ren.

Aufgabe 24 In der wirtschaftspolitischen Diskussion hört man unter anderem folgende Argumente
immer wieder. Geben Sie jeweils an, welcher Vertreter sie vorbringen würde:
Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit v. a.
v. a. strukturell konjunkturell
A] Die Nationalbank bekämpft jeweils viel zu 3
früh eine drohende Inflation mit einer restrikti-
ven Geldpolitik.
BI Die Löhne und die Lohnnebenkosten sind
zu hoch.
C I Bei all den unzähligen Vorschriften will nie- EI
mand neue Unternehmen gründen.
D] Den Politikern gelingt die Einhaltung einer 3
antizyklischen Konjunkturpolitik nicht.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

3.1 Der schweizerische Aussenhandel


Seit dem Zweiten Weltkrieg erleben wir eine ständige Zunahme der internationalen Han-
delsverflechtung. Die Weltproduktion hat sich seither etwa verachtfacht, der Welthandel
aber verfünfzehnfacht. Der schweizerische Aussenhandel steigt allerdings nicht mehr so
rasant an, denn die Schweiz ist schon seit dem 19. Jahrhundert stark mit dem Ausland ver-
bunden. Schauen wir in der folgenden Tabelle, mit welchen Gütern die Schweiz internati-
onalen Handel betreibt:

[3-1] Schweizerische Exporte und Importe von Waren- und Dienstleistungen

2007, in Mrd. Franken Exporte Importe Saldo


Total Waren und Dienstleistungen 286.5 233.1 + 53.4
Waren 207.0 197.7 + 9.3
Energieträger (v. a. Elektrizität und Erdöl) 4.9 13.2 - 8.3
Papier, Leder, Kunststoffe, Baustoffe 10.0 15.4 - 5.4
Metalle 15.5 18.5 - 3.0
Nahrungsmittel 7.5 13.4 - 3.0
Chemikalien, Medikamente 68.8 41.3 + 27.5
Textilien, Bekleidung, Schuhe 4.6 10.0 -5.4
Maschinen, Elektronik 43.1 35.2 + 7.9
Fahrzeuge 5.7 17.1 - 11.4

Präzisionsinstrumente, Uhren, Bijouterie 35.4 13.7 + 21.7

Übrige Waren 11.5 19.9 -8.4


Dienstleistungen 79.5 354 + 44.1

Fremdenverkehr 14.6 12.3 + 2.3

Transport, Transit, Post 18.5 5.3 + 13.2

Privatversicherungen 5.8 0.6 + 5.2

Bankkommissionen 24.6 2.1 + 22.5

Übrige Dienstleistungen 16.0 15.1 + 0.9

Quelle: Eidg. Zollverwaltung (www.zoll.admin.ch) und Schweizerische Nationalbank (wwvv.snb.ch).

Als rohstoffarmes Land importiert die Schweiz in grossem Umfang Energieträger, Papier,
Leder, Kunst- und Baustoffe. Zudem hat die Schweiz auch Importüberschüsse bei Nah-
rungsmitteln, sie könnte sich mit der heutigen Produktions- und Konsumstruktur nur zu
65% selber ernähren. Grosse Importüberschüsse finden sich auch bei den Fertigpro-
dukten: Textilien, Bekleidung, Schuhen und Fahrzeugen.

Die grössten Exportüberschüsse verzeichnet die Schweiz mit chemischen Artikeln und
Medikamenten, Bankdienstleistungen, Uhren und Maschinen.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Aufgabe 5 A] Wo erzielt die Schweiz besonders grosse Exportüberschüsse, wo Importüberschüsse?

B] Im letzten Lernheft haben Sie gelernt, wie die Zahlungsbilanz aufgebaut ist. Daher hier
folgende Repetitionsfrage: Welche der beiden Grössen (Exportüberschuss oder Importü-
berschuss) trägt dazu bei, dass die Ertragsbilanz positiv ist?

3.2 Zwei Kräfte hinter dem Aussenhandel

Warum betreibt die Schweiz in diesem grossen Umfang Aussenhandel? Die Frage scheint
vorerst einfach zu beantworten: Länder treiben Handel, weil sie verschieden sind. So
tauscht die Schweiz Güter, die sie am besten und effizientesten herstellt, gegen Güter, die
sie nur mit Mühe oder gar nicht herstellen kann. Darum importiert die Schweiz beispiels-
weise Ananas aus den Philippinen oder sie bezieht Erdöl aus Libyen, und die Libyer kom-
men dafür in die Schweiz in die Skiferien. Doch nicht nur die klimatischen oder geogra-
fischen Eigenschaften der Länder sind verschieden, sondern auch die technischen, orga-
nisatorischen oder kulturellen Möglichkeiten. Darum exportiert die Schweiz St. Galler Spit-
zen und Emmentaler Käse in die USA, während sie von dort Unterhaltungsfilme importiert.

Aber die Schweiz importiert auch Güter, die sie selber sehr gut herstellen könnte. Dazu
gehören auch Güter, die sie früher mit viel Erfolg exportiert hat. Vor 30 Jahren fabrizierte
die Schweiz noch 85% ihrer Kleider selber, heute weniger als 20 %. Warum importiert die
Schweiz heute ihre Kleider aus Asien, obwohl doch die schweizerischen Schneiderinnen
immer noch produktiver sind als die asiatischen?

Eine erste Erklärung suchen wir mit der Theorie der komparativen Vorteile, die besagt,
dass es sich für die Schweiz selbst dann lohnen würde, mit einem anderen Land Handel zu
treiben, wenn sie bei allen Produkten leistungsfähiger wäre!

Interessant ist, dass innerhalb jeder Branche erhebliche Güterströme in beide Richtungen
fliessen. Das heisst, innerhalb einer einzelnen Branche, wie der Schuh- oder der Schokola-
denindustrie, treibt die Schweiz sowohl Import- wie Exporthandel. Italiener trinken Valser-
wasser und wir San Pellegrino. Deutsche kaufen Toblerone und unsere Kinder haben
Freude an Smarties. Franzosen fahren Ski im Wallis und Schweizer wandern um den Mont
Blanc. Man spricht hier von intraindustriellem Handel. Länder treiben intraindustriellen
Handel, wo die Unternehmen von zunehmenden Skalenerträgen profitieren wollen und
die Konsumentinnen und Konsumenten eine grosse Auswahl von Produkten verlangen.

Die internationalen Handelsströme widerspiegeln sowohl komparative Vorteile wie auch


zunehmende Skalenerträge und den Wunsch nach einer grossen Produktevielfalt. Gleich
im folgenden Abschnitt werden wir uns mit der grundlegenden und interessanten Theorie
der komparativen Vorteile beschäftigen. Im Abschnitt 3.4, S. 57 werden die Auswirkungen
von zunehmenden Skalenerträgen und unserer Nachfrage nach einer unübersehbaren
Gütervielfalt analysiert.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

3.3 Die Theorie der komparativen Vorteile

Ein Fussballteam besteht aus 11 Spielern, die alle gute Fussballer sind. Weshalb aber sind die einen
Stürmer und die anderen Verteidiger? Und weshalb steht einer im Tor, wo er doch geradeso gut
wäre als Aufbauer? — Eine Erklärung können wir mit der Theorie der komparativen Vorteile finden:
Jeder spielt im Idealfall dort, wo er innerhalb des Mannschaftsgefüges mit seinen spezifischen
Fähigkeiten am besten eingesetzt ist. Foto: Keystone

3.3.1 Die Theorie der komparativen Vorteile im Modell

Erinnern Sie sich noch an die abgelegene Insel aus dem 4. Lernheft? Nennen wir sie hier
Kuba. Dort wohnten 10 Bauern, die je 20 Brote pro Woche herstellten, sowie 10 Fischer, die
je 20 Fische pro Woche fingen. Jede Woche gingen sie mit der Hälfte ihrer Produktion auf
den Markt, um die ihnen fehlende andere Hälfte einzukaufen. Denn für ein anständiges Essen
gehörte zu jedem Brot ein Fisch. Ein Fisch kostete gleich viel wie eine Brot: einen Dollar.

Zwei Inseln: Diese Kubaner entdecken nun eine noch etwas weiter abgelegene grosse und
karge Insel, Japan, die von 40 Familien bevölkert ist. Hier fängt ein Fischer in einer normalen
Arbeitswoche nur 12 Fische (40 % weniger als auf Kuba). Die Bauern bringen es sogar nur
auf 4 Brote (fünfmal weniger als auf Kuba). Weil auch in Japan alle Menschen gleich viel
verdienen, kostet ein Brot dreimal so viel wie ein Fisch. Ein Fisch kostet 1 Yen, ein Brot 3
Yen. Und da auch in Japan zu jedem Brot ein Fisch gegessen wird, sind dreimal so viele
Leute mit der Herstellung von Brot beschäftigt wie mit dem Fischen. 10 Fischern stehen
somit 30 Bauern gegenüber.

Um das Inselbeispiel realistisch zu halten, wollen wir annehmen, die Auswanderung von
einer Insel zur anderen sei verboten. Die Transportkosten sind aber unbedeutend, sodass
dem Güterhandel keine Grenzen gesetzt werden. Wenn die Bewohner der beiden Inseln
ahnen würden, was jetzt auf sie zukommt! Kennen sie doch die Theorie der komparativen
Vorteile noch nicht.

Was denken Sie, welche Insel wird vom Handel profitieren - und um welche Insel müssen
wir Angst haben?
• Fürchten Sie um die karge Insel Japan? Denn das üppige Kuba ist bei Brot wie bei Fi-
schen viel leistungsfähiger und wird so Japan bei freiem Wettbewerb unterbieten und
seine Bewohner arbeitslos machen. Kuba hat absolute Vorteile beim Backen wie beim
Fischen!
• Oder sorgen Sie sich um Kuba? Denn in Konkurrenz mit Japan werden die kubanischen
Löhne auf das japanische Niveau absinken.
• Oder sehen Sie das Problem differenzierter? Wir haben ja nicht zwei, sondern vier Grup-
pen: die kubanischen Fischer, die japanischen Fischer, die kubanischen Bauern und die
japanischen Bauern. Wer gewinnt, wer verliert?

53
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Verfolgen wir nun Schritt für Schritt, wie sich der Handel zwischen den beiden Inseln ent-
wickelt: Am Anfang betrachten alle Inselbewohner einen Dollar und einen Yen als gleich-
wertig. Da lohnt es sich für die kubanischen Bauern, ihr Brot in Japan zu verkaufen, wo es
dreimal so teuer ist. Aber was sollen die Kubaner mit den Yen kaufen? Etwa Fische, die
gleich teuer sind wie die eigenen.? So sammeln sich auf Kuba Yen an, die immer weniger
begehrt sind, der Wert des Yen wird fallen. Der Wechselkurs zwischen Dollar und Yen wird
sich vielleicht auf dem Niveau 2:1 einpendeln. Damit werden die japanischen Fische halb so
teuer wie die kubanischen. Und die japanischen Brote sind nur noch 50 % teurer als die kub-
anischen.

Die Bauern Kubas verkaufen ihre Brote mit Vorliebe nach Japan und kaufen mit dem Erlös
dort billig Fische. Von einer kargen Insel, wo ein Fischer nur 12 Fische pro Woche fangen
kann, importiert man also Fische auf eine Insel, wo ein Fischer 20 Fische pro Woche fängt!

Auf Kuba leiden die Fischer natürlich unter der billigen Konkurrenz. Um ihren Absatz zu hal-
ten, senken sie ihre Preise, ihr Einkommen sinkt. Zwar verdienen sie immer noch mehr als
ihre japanischen Konkurrenten, denn sie fangen ja weiterhin mehr Fische - doch die kuba-
nischen Fischer haben eine lohnendere Alternative: Sie beginnen zu pflügen und zu backen.
Sie verkaufen ihre Brote nach Japan. Kuba spezialisiert sich auf Brote.

Drüben in Japan sind es die vielen Bauern, die sich über das billige Importbrot beklagen.
Wie sollen sie ihre Preise senken, wenn sie nur 4 Brote pro Woche herstellen können.? Auch
sie haben eine Alternative: Immer mehr Bauern versuchen sich als Fischer. Nach einer har-
ten Umstellungszeit verdienen sich alle Japaner ihren Lebensunterhalt mit Fischen.

Interessant ist ein Vergleich der Produktionsmengen der beiden Inseln vor der Aufnahme
des Handels und nach dem abgeschlossenen Strukturwandel:

Üppige Insel Kuba Karge Insel Japan


Zustand ohne Handel: 10 x 20 Brote = 200 Brote 30 x 4 Brote = 120 Brote
10 x 20 Fische = 200 Fische 10 x 12 Fische = 120 Fische
Total je 320 Brote und Fische
Zustand mit Handel: 20 x 20 Brote = 400 Brote 34 x 12 Fische = 408 Fische
6 Leute für den Transport
Total je ca. 400 Brote und Fische, also eine Steigerung um 25 `)/0!

Die kubanischen Fischer sind zwar fast doppelt so effizient wie die japanischen, aber die
kubanischen Bauern sind fünfmal wirkungsvoller als die japanischen. Die komparativen Vor-
teile Kubas liegen damit beim Brotbacken. Und die Japaner sind zwar überall weniger pro-
duktiv, aber beim Fischen noch vergleichsweise gut. Die komparativen Vorteile Japans lie-
gen also beim Fischen.

3.3.2 Die Theorie der komparativen Vorteile im Alltag

Hätten Sie das alles auch selber herausgefunden? Dann wird es Sie sicher ärgern, dass der
englische Ökonom David Ricardo Ihnen schon im Jahre 1817 zuvorgekommen ist und
dafür sehr berühmt geworden ist. Was wir aus unserem Inselbeispiel abgeleitet haben, hat
er als Theorie der komparativen Vorteile zur Begründung des internationalen Handels bei-
gezogen.

So überraschend das Resultat sein mag, so selbstverständlich geht die Theorie der kom-
parativen Vorteile in unsere alltäglichen Berufsentscheidungen ein: Übernehmen z. B. zwei
Geschwister das Malergeschäft ihres Vaters und ist die Schwester sowohl die bessere
Malerin (50% besser) wie auch die bessere Organisatorin (100% besser), macht dann die
Schwester alles und der Bruder nichts? Sicher nicht. Oder arbeiten sie je zur Hälfte in der

54
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Werkstatt und im Büro? Auch das nicht. Die Schwester wird organisieren und er malen.
Die komparativen Vorteile der Schwester liegen (im Vergleich zu ihrem Bruder) im Büro,
die komparativen Vorteile des Bruders liegen in der Werkstatt.

Der Entscheid lässt sich einfach in Alternativkosten ausdrücken: Mit der Schwester als Male-
rin und ihm als Bürolist gingen eine sehr gute Organisatorin und ein mittelmässiger Maler
verloren. (Sie würde in einem andern Unternehmen monatlich 7 00.0 und er 4 000 Franken
verdienen.) Geht sie aber ins Büro und er in die Werkstatt, kostet das den Familienbetrieb
nur eine recht gute Malerin (6000 Franken) und einen schlechten Organisator (3500 Franken
pro Monat). So sind die Alternativkosten am kleinsten, wenn er malt und sie organisiert.

Fazit? Denken wir wirtschaftlich, fällen wir unsere Entscheidungen aufgrund der
Alternativkosten. Und wählen wir jene Produktion, die mit den niedrigsten Alterna-
tivkosten verbunden ist, organisieren wir unsere Arbeitsteilung aufgrund der kom-
parativen Vorteile.

Alle Menschen haben irgendwo ihre komparativen Vorteile. Vielleicht sind Sie in allen
Gebieten überdurchschnittlich begabt. Sie sind schnell im Maschinenschreiben, haben
einen überdurchschnittlich guten Zugang zu Kindern usw. Noch überdurchschnittlicher
begabt sind Sie aber im Umgang mit Kunden. Dann liegen Ihre komparativen Vorteile dort
und man könnte Ihnen raten, im Verkauf Ihr Einkommen zu verdienen. Daneben gibt es
aber auch Leute, die haben weniger Talente.

Doch selbst wenn jemand auf der ganzen Linie unterdurchschnittlich begabt ist, zwei linke
Hände hat, schlecht rechnen kann und keine Geduld hat mit anderen Leuten, hat er doch
irgendwo seine komparativen Vorteile. Er ist nämlich nicht in allen Punkten gleich unter-
durchschnittlich begabt, sondern bei irgendeiner Tätigkeit wird er dem Durchschnitt etwas
näher kommen und dort seine Fähigkeiten am effizientesten einsetzen.

Die Theorie der komparativen Vorteile erklärt die Arbeitsteilung innerhalb einer Region,
eines Landes wie auch die internationale Spezialisierung. Denken wir wirtschaftlich, fällen
wir unsere Entscheidungen aufgrund der Alternativkosten. Und wählen wir jene Produk-
tion, die mit den niedrigsten Alternativkosten verbunden ist, organisieren wir unsere
Arbeitsteilung bei freiem Wettbewerb aufgrund unserer komparativen Vorteile.

Aufgabe 13 Erklären Sie mit eigenen Worten die Theorie der komparativen Vorteile.

Aufgabe 20 Zwei Länder (wie Spanien und die Türkei) könnten beide Wein und Weinbeeren produzie-
ren. Ihre Produktivität bei den beiden Gütern unterscheidet sich aber stark:

Wein pro Arbeitstag Weinbeeren pro Arbeitstag


Türkei: 20 I 40 kg
Spanien: 40 I 50 kg

Al Welches Land produziert welche Güter effizienter?

B] Gibt es komparative Vorteile? Wenn ja, in welchem Land liegen sie?

C] Welches Land wird sich auf welche Güter spezialisieren?

Aufgabe 25 Für ein sehr armes Land lohnt sich Aussenhandel nicht, denn es hat für kein Gut kompara-
tive Vorteile. Was sagen Sie dazu?
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

3.3.3 Die komparativen Vorteile der Schweiz

In der Praxis wird der internationale Handel auf vielfältige Weise eingeschränkt. So hat
auch die Schweiz (wie in Lernheft 2, Kapitel 3, besprochen) an den Landesgrenzen Hinder-
nisse gegen den internationalen Handel aufgerichtet. Er wird eingeschränkt durch
Importsperren (vollständige Sperren für Milch) oder durch andere Produktvorschriften, als
sie das Ausland kennt (z. B. für Medikamente). Insgesamt verlieren jedoch die Hindernisse
für den internationalen Güterhandel an Bedeutung: Zum einen ermöglichen internationale
Freihandelsverträge und gemeinsame Märkte in Europa und Nordamerika einen zuneh-
menden Handel. Zum anderen sinken die Transport- und Kommunikationskosten ständig
und massiv.

Fallen schützende Mauern gegenüber dem Ausland, können schwache Betriebe und Bran-
chen nicht mehr weiter bestehen. Importgüter werden die ineffizienten Betriebe verdrän-
gen. Billige Importgüter bedrohen auch Monopole, Kartelle und Absprachen. Ihre hochge-
haltenen Preise werden fallen müssen. Nach einer kürzeren oder längeren Umstrukturie-
rungszeit würden die Ressourcen in leistungsfähigeren Unternehmen eingesetzt.

Je stärker die einzelnen Länder untereinander verbunden werden, sei es durch den Abbau
von Handelshemmnissen oder durch billigeren Verkehr, desto stärker spezialisieren sie
sich aufgrund ihrer komparativen Vorteile.

Ein viel diskutiertes Merkmal der starken Ausweitung des internationalen Handels in den
letzten drei Jahrzehnten ist die zunehmende Bedeutung von Entwicklungsländern als
Exporteure von einfachen Konsumgütern, vor allem von Schuhen und Kleidern. Zwar sind
die schweizerischen Schneiderinnen produktiver (innovativer, modischer, besser ausge-
rüstet) als die Schneiderinnen aus asiatischen Entwicklungsländern, aber der Vorsprung ist
nur gering. In anderen Bereichen hingegen, in der Entwicklung von elektrotechnischen und
medizinischen Produkten, in der Produktion von teuren Uhren und Schmuckstücken sowie
im Banken- und Versicherungswesen, sind die schweizerischen Arbeitskräfte, unterstützt
von einer Infrastruktur auf dem neuesten Stand, enorm viel produktiver als die Arbeitskräf-
te in konkurrierenden Entwicklungsländern. Hier hat die Schweiz ihre komparativen Vor-
teile.

Dieser Sachverhalt sei mit einem einfachen Zahlenbeispiel illustriert: Gehen wir davon aus,
die schweizerische Arbeitsproduktivität sei durchschnittlich etwa fünfmal so hoch wie jene
in Malaysia. Damit wäre bei uns auch das Lohnniveau etwa fünfmal so hoch. Nun sind aber
die schweizerischen Schneiderinnen nur dreimal so produktiv wie ihre malaysischen Kol-
leginnen. Damit wären unsere Schneiderinnen nur dann konkurrenzfähig, wenn sie sich
mit dem Dreifachen der malaysischen Löhne begnügen würden. Aber selbst wenn sie das
könnten, würden sie es nicht lange tun, denn andere schweizerische Branchen zahlen ja
im Durchschnitt fünfmal so hohe Löhne wie in Malaysia, so z. B. in der Elektrotechnik. Ist
hier die schweizerische Arbeitsproduktivität zehnmal so gross wie die malaysische, kann
mit nur fünfmal so hohen Löhnen die malaysische Konkurrenz geschlagen werden.

Auch in Zukunft werden jene Bekleidungsateliers schliessen müssen, denen es nicht


gelingt, so spezielle Produkte herzustellen, dass diese sehr teuer verkauft werden können.
Nur dann können sie auch hohe schweizerische Löhne bezahlen. Im Trend werden immer
mehr Schneiderinnen in Pharmaunternehmen, Banken oder Versicherungen arbeiten wol-
len, und immer mehr Schulabgänger werden eine Bank- oder Computerlehre beginnen
statt einer Lehre als Schneiderin.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Zunehmender internationaler Wettbewerb führt zu einer zunehmenden Spezialisierung der


einzelnen Länder. Jedes Land produziert das, was es aufgrund der Theorie der kompara-
tiven Vorteile am besten kann. Deshalb findet in der Schweiz eine zunehmende Konzent-
ration auf anspruchsvolle Tätigkeiten statt, bei denen das grössere Know-how der Arbeits-
kräfte sowie der wirkungsvolle Umgang mit Kapitalgütern und mit komplexen Organisati-
onen zur Geltung kommen können.

Aufgabe 6 Al Bei welchen Gütern oder Dienstleistungen liegen die komparativen Vorteile der Schwei-
zer Wirtschaft?

BI Warum werden heute in grossen Mengen Stoffe, Kleider, Leder und Schuhe in die
Schweiz importiert, obwohl sie bei uns auch in guter Qualität und rationell produziert wer-
den könnten (und früher produziert worden sind)?

3.4 Gütervielfalt und zunehmende Skalenerträge

Bei der Analyse der komparativen Vorteile sind wir immer davon ausgegangen, es würde
mit Gütern einheitlicher Qualität gehandelt. In der Realität haben wir aber eine Vorliebe für
feine Unterschiede. Ein Auto ist nicht einfach ein Auto, und Wein nicht Wein. So wird, um
unsere anspruchsvolle Nachfrage zu befriedigen, eine überaus breite Palette von differen-
zierten Produkten angeboten.

Würde nun jedes Land eine riesige Vielfalt von Gütern herstellen und auf seinem kleinen
nationalen Markt verkaufen, könnte dies nur in kleinen Stückzahlen geschehen. Doch das
wäre in der Regel sehr teuer, die beliebte Vielfalt müsste mit einer Einbusse an Wohlstand
erkauft werden. Denn bei vielen Produkten spielen steigende Skalenerträge eine wich-
tige Rolle (vgl. Lernheft 1, Abschnitt 3.8). Um aber von Kosteneinsparungen dank Massen-
produktion zu profitieren, müssen die Absatzmärkte gross sein.

Der internationale Handel bringt hier die Lösung für die Angebots- wie die Nachfrageseite:
• Die Unternehmen können sich auf eine eingeschränkte Palette von Gütern konzentrie-
ren und von zunehmenden Skalenerträgen profitieren. Der Handel erweitert die Ab-
satzmärkte.
• Konsumentinnen und Konsumenten müssen nicht auf Gütervielfalt verzichten. Wir
können nach Lust und Laune ausgewählte Produkte aus der ganzen Welt beziehen.

So steigert selbst der Handel zwischen sehr ähnlichen Ländern den Wohlstand. In der
Folge überqueren ähnliche Güter die Grenzen in beiden Richtungen.

Der intraindustrielle Handel spielt sich vor allem zwischen den fortgeschrittenen
Volkswirtschaften ab. Ihre Produktionsstrukturen, die Ausbildung der Arbeitskräfte, die
verwendete Technologie und die Kapitalausstattung haben sich im Laufe der Zeit angenä-
hert. Innerhalb der EU und auch zwischen Japan, den USA und Europa gibt es immer weni-
ger klar ausgebildete komparative Vorteile. Der Grossteil des Welthandels geschieht darum
innerhalb einzelner Branchen, angetrieben von Skalenerträgen und der Nachfrage nach dif-
ferenzierten Produkten.

Der übrige Handel wickelt sich zwischen Ländern ab, die sich in ihren Produktions-
bedingungen unterscheiden. Die klarsten Unterschiede gibt es zwischen den reichsten
Industrieländern und den Entwicklungsländern. Hier werden komplexe Güter gegen Roh-
stoffe, Halbfabrikate und einfache Industriegüter gehandelt. Dieser Handel widerspiegelt
die komparativen Vorteile.

57
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Je ähnlicher sich aber Länder werden, desto grösser wird der Anteil des intraindustriellen
Handels. Und da er sich nicht mit der Theorie der komparativen Vorteile erklären lässt, ist
das Muster des intraindustriellen Handels kaum vorherzusagen. Sicher wissen wir nur,
dass die Länder unterschiedliche Güter herstellen werden. Warum exportiert Dänemark
Legos und Schweden Holzbahnen? Warum produziert die Schweiz Projektilwebmaschinen
und Japan Düsenspinnmaschinen? Warum hat Finnland Stärken in der Produktion von
Natels entwickelt und die Schweiz bei Swatches? Die Geschichte, Zufälle und Leistungen
einzelner Personen und Unternehmen bestimmen in hohem Mass den intraindustriellen
Handel.

Länder treiben intraindustriellen Handel, weil sie von zunehmenden Skalenerträgen profi-
tieren wollen, und trotzdem nicht auf eine grösstmögliche Vielfalt von Gütern verzichten
wollen. So steigert auch Handel zwischen sehr ähnlichen Ländern den Wohlstand. Das
Muster des intraindustriellen Handels ist aber kaum vorhersehbar.

Aufgabe 27 Wägen Sie im Folgenden die Wichtigkeit von Skalenerträgen und komparativen Vorteilen
ab:
Komparative Skalen-
Vorteile erträge
Die meisten Kameras werden in Japan hergestellt. 3
Das schweizerische Lastwagengewerbe konzentriert sich ent- 2
lang der Autobahn Al
Anders als Parma ist Turin eine Autostadt. 3
Eine Orangensaftfabrik wählte ihren Standort in der Schweiz,
weil hier Streiks sehr selten sind. Da die Ingredienzen verderblich
sind, käme ein brüsker Stillstand in der Produktion sehr teuer zu
stehen.

3.5 Freier internationaler Handel - Pro und Kontra

3.5.1 Wohlstandsgewinn durch Aussenhandel

Kehren wir zurück zur Frage, warum sich Länder spezialisieren und Aussenhandel treiben.
Zwei Gründe stehen im Vordergrund:

Spezialisierung: Länder sind verschieden ausgestattet mit Arbeitskräften, Kapital, Boden,


Bodenschätzen, Technologie. Auch ihre Kultur und die politische Ordnung unterscheiden
sich. Gleich wie der regionale und der nationale Handel eröffnet darum auch der Welthan-
del neue Möglichkeiten, den Wohlstand zu erhöhen. Mit freiem Welthandel kann sich
jedes Land auf jene Bereiche spezialisieren, in denen es komparative Vorteile hat. Dies war
das Thema des Abschnitts 3.3, S. 53.

Grössere Auswahl und zunehmende Skalenerträge: Auch Länder mit ähnlichen Pro-
duktionsbedingungen treiben Aussenhandel. Denn so geniessen sie eine immense Güter-
vielfalt und profitieren gleichzeitig von zunehmenden Skalenerträgen. Wie im Abschnitt
3.4, S. 57 gezeigt, wird mit dem internationalen Handel die Produktion vieler Güter billiger
und die Auswahl vergrössert sich.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere und nicht weniger wichtige Argumente für einen
möglichst uneingeschränkten Welthandel:

Intensiverer Wettbewerb: Die grössere Zahl von Anbietern und Nachfragern macht auch
den Wettbewerb härter. Offene Grenzen sind ein wirksames Mittel gegen Marktmacht. Sie
erschweren die Möglichkeiten von nationalen Monopolen, Kartellen und Absprachen —
allerdings beobachten wir auch eine zunehmende Monopolisierung auf globaler Ebene.

Grösserer Informationsfluss: Weiter erleichtert der internationale Handel den weltweiten


Informationsfluss. Angesichts der zentralen Bedeutung von Know-how für wirtschaftliches
Wachstum ist dies ein wichtiges Argument.

Nicht zuletzt gibt es auch politisch und kulturell viel von fremden Völkern zu lernen und zu
geniessen.

Zusammengefasst: Freie internationale Märkte eröffnen Chancen, alle unsere Ressourcen


der jeweils effizientesten Verwendung zuzuführen und unseren Wohlstand zu steigern.

Allerdings gibt es auch Gegenargumente. Auf der Basis der eben ausgebreiteten Theorie
kann durchaus auch begründet werden, wann unbeschränkter Aussenhandel schädlich ist
und warum ihm — meist vorübergehend — Schranken gesetzt werden müssten.

3.5.2 Gewinner und Verlierer des Strukturwandels

Russland hat starke komparative Vorteile in der Stahlproduktion, Indien in der Bearbeitung
von Buchhaltungen und beide Volkswirtschaften integrieren sich stärker in die Weltwirt-
schaft. Für schweizerische Stahlunternehmen kann das bedeuten, dass sie einen Teil ihrer
Produktion stilllegen müssen. Und Buchhaltungsfirmen verlegen einen Teil ihrer Produk-
tion in das Niedriglohnland Indien.

Strukturwandel in neue Branchen nötig: Dabei werden in der Schweiz Stellen abgebaut,
wenn die betroffenen Unternehmen zu wenig Vorstellungen darüber entwickeln, in welche
neue Richtung die inländische Produktion ausgeweitet werden könnte. Und wenn auch
andere Unternehmen zu wenig neue Marktchancen entdecken, steigt die Arbeitslosigkeit.

Der Strukturwandel erfordert auch grosse Anpassungsfähigkeit von den Arbeitskräften:


Wie werden sich arbeitslose Stahlarbeiter und Buchhalterinnen in die Produktion von
neuen Artikeln (etwa für reiche Russinnen und Inder) integrieren?

Strukturwandel in der Rezession besonders schmerzhaft: Befindet sich ein Land in


einer Rezession (wie die Schweiz von 1990 bis 1997), kann jedes Streichen von Stellen —
ob welthandelsbedingt oder nicht — die konjunkturelle Abwärtsbewegung verstärken, den
Glauben an neue Märkte in Frage stellen und die Risikobereitschaft zu Produktionserwei-
terungen vermindern. In pessimistischen Rezessionszeiten ist die Schaffung von neuen
Arbeitsplätzen erschwert. Gegner des freien Welthandels sind oft Vertreter von möglichen
Verlierern und schätzen die Wohlstandschancen für die gesamte Gesellschaft tief ein.

Flexible Wechselkurse hilfreich: An dieser Stelle sei noch kurz auf ein weiteres Problem
hingewiesen, das bei den Wechselkursen auftreten kann. Es lässt sich nämlich nicht immer
so flexibel lösen wie auf unseren beiden Inseln. Fälle von falsch bewerteten Währungen
wurden ja im Lernheft 4, Kapitel 3, und im aktuellen Lernheft, Kapitel 2, beschrieben: In
den 1980er-Jahren erschwerte ein überhöhter Dollarwert die Exporte der USA und in den
1990er-Jahren verringerte ein teurer Franken die Chancen der schweizerischen Exportwirt-
schaft.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Fazit: Soll der Welthandel uns Wohlstandsgewinne verschaffen, müssen die Märkte Ange-
bot und Nachfrage möglichst schnell ins Gleichgewicht bringen. Die internationale Arbeits-
teilung erfordert von den Arbeitskräften wie von den Unternehmen eine hohe Anpassungs-
fähigkeit. Zudem müssen sich die Wechselkurse auf dem richtigen Niveau einpendeln kön-
nen.

Umstrukturierungen sind aber oft sehr teuer und schmerzhaft, besonders in Rezessions-
zeiten, und es besteht die Gefahr von längerer struktureller Arbeitslosigkeit.

3.5.3 Wohlstandsgewinne und Umwelt

Der freie Welthandel eröffnet zwar Möglichkeiten, die Ressourcen weltweit bestmöglich
zu nutzen. Doch dazu sind die Weltmärkte nur in der Lage, wenn keine nennenswerten
Marktversagen auftreten. Neben den schon erwähnten konjunkturellen Problemen stehen
vor allem die externen Kosten im Vordergrund:

Stärkerer internationaler Warenhandel führt zu grösserem Verkehr. Damit wachsen


auch die Umweltschäden. Als externe Kosten werden sie nicht in die Entscheidungen der
Handel treibenden Unternehmen einbezogen. Damit werden die Umweltressourcen ver-
schwendet und der Welthandel wird zu weit ausgedehnt. Die Umweltschäden verringern
die Wohlstandsgewinne, die durch internationale Arbeitsteilung erreicht werden.

Die Marktkräfte können unsere Ressourcen nur dann bestmöglich zuteilen, wenn die exter-
nen Kosten internalisiert sind. Je stärker sich der Welthandel ausdehnt, desto nötiger wer-
den effiziente Umweltmassnahmen (z. B. eine globale CO2-Abgabe) auf internationaler
Ebene.

3.5.4 Gewinnen alle Länder? Spezialisierung in die richtige Richtung?

Die Theorie der komparativen Vorteile sagt nur, dass es den Handel treibenden Län-
dern insgesamt besser geht. Sie sagt nicht, dass alle Länder gleich stark vom Aus-
senhandel profitieren. Wie viel ein einzelnes Land gewinnt, hängt entscheidend von
zukünftigen Entwicklungen ab — Entwicklungen, die in der Regel zum Zeitpunkt der Spezi-
alisierung noch kaum abschätzbar sind.

Wie steigt die Nachfrage? Das hier angesprochene Problem betrifft vor allem Entwick-
lungsländer: Viele Länder in Afrika, Asien oder Lateinamerika haben sich auf Produkte wie
Zucker, Jute oder Kaffee spezialisiert, deren Nachfrage weltweit nicht stark zunimmt. Wei-
ten sie ihre Produktion aus, müssen sie damit rechnen, dass die Preise sinken und sie
ärmer dastehen als vorher.

Wie steigt das Angebot? Zudem haben sich die Entwicklungsländer aufgrund ihrer kom-
parativen Vorteile eher auf einfache Produkte spezialisiert. Das bedeutet, dass viele dieser
Länder sehr ähnliche Güter exportieren — und sobald sie ihre Exporte stark ausweiten,
besteht die Gefahr, dass sie sich gegenseitig die Preise drücken.

Wie sich die Wohlstandsgewinne aus dem Aussenhandel entwickeln, lässt sich am Ver-
hältnis der Exportpreise zu den Importpreisen ablesen. In der ökonomischen Fachsprache
bezeichnet man dieses Verhältnis als Terms of Trade. Wenn sich Entwicklungsländer auf
Produkte mit schwacher Nachfrage und stark steigender Konkurrenz spezialisieren, ver-
schlechtern sich ihre Terms of Trade. Sie gehören dann zu den Verlierern der internationa-
len Spezialisierung.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Neben der Spezialisierung auf wenig versprechende Produkte droht auch die Gefahr von
zu einseitiger Spezialisierung. Internationale Arbeitsteilung kann zu übergrosser Abhängig-
keit einer Region oder eines Landes von einem Produkt führen.

Einseitige Produktionsstruktur in Entwicklungsländern: Wir diskutieren viel über


unsere Abhängigkeit vom Erdölimport. Unvergleichlich stärker leiden aber viele Entwick-
lungsländer unter ihrer Spezialisierung auf wenige, meist sogar nur auf ein einziges Export-
produkt. So stammt der Exporterlös Ghanas zu 40% aus dem Kakao, für Mauretanien zu
50% aus dem Eisenerz, für Kuba zu 70% aus dem Zucker, für Burundi zu 80% aus dem
Kaffee und für Sambia gar zu 90 `)/0 aus dem Kupfer.

So gefährlich diese Einseitigkeit ist, so schwierig ist es, sich aus dieser Produktionsstruktur
(die z. T. aus der Kolonialzeit stammt) zu lösen. Denn kurzfristig ist die Produktion ihrer
angestammten Güter am lukrativsten. Das heisst, ihre komparativen Vorteile liegen heute
durchaus bei der Produktion von Rohstoffen.

Weil sie aber alles auf eine Karte setzen, sind sie den Preisfluktuationen an den Rohstoff-
börsen ausgesetzt. Rohstoffe sind enormen Preisschwankungen unterworfen, die Expor-
teinnahmen einer ganzen Volkswirtschaft können sich so von einem Jahr zum anderen ver-
doppeln oder halbieren. Wir haben im Abschnitt 3.1.5 des Lernhefts 2 gesehen, wie schon
eine Preisverdoppelung für Erdöl, das nur 3% unserer Güterimporte ausmacht, unsere
Wirtschaft in eine Rezession stürzen konnte. Um wie viel stärker muss da ein Land wie
Sambia betroffen sein, wenn der Kupferpreis von einem Jahr aufs andere auf die Hälfte
sinkt!

Einseitige Produktionsstruktur in Industrieländern: Auch Europa hat negative Erfah-


rungen gemacht mit einseitiger Spezialisierung: So leiden heute noch die ehemaligen Koh-
lenreviere in Belgien und England unter ihrer früheren Einseitigkeit. Die Schliessung der
Kohleminen wegen billigeren Erdöls hat diese Gegenden in einen Jahrzehnte dauernden
Abwärtsstrudel gerissen.

Und die Schweiz? Ende des 19. Jahrhunderts exportierte die Ostschweiz fast ausschliess-
lich Stickereien. Die Katastrophe brach über diese fleissige Region herein, als sich die
Mode in den 1920er-Jahren von den Spitzen weg bewegte. Ebenfalls seit dem 19. Jahr-
hundert war die Juraregion auf Uhren spezialisiert. Mit der Erfindung der Quarz-Unruhe
verlor die Juraregion komparative Vorteile an aufstrebende Entwicklungsländer und inner-
halb von zwei Jahren die Hälfte ihrer Industriearbeitsplätze. Vergleichsweise gering sind
heutige Konzentrationen auf Pharma und Chemie in Basel oder Banken und Versiche-
rungen in Zürich.

Die längerfristig zentralste Frage betrifft die technische Zukunft eines Landes Wer-
den mit der Spezialisierung aufgrund der momentanen komparativen Vorteile die
Weichen immer richtig gestellt?

Auf unsern beiden Inseln könnten der Fischfang und die Fischverarbeitung zukunftsträch-
tiger sein als die Brotherstellung. Dann etwa, wenn der Aufbau einer Fischindustrie viele
technische und organisatorische Impulse für die Weiterentwicklung der Wirtschaft gibt, bei
Landwirtschaft und Brotbacken jedoch nicht viel dazugelernt werden muss und kann. Durch
die Spezialisierung auf Fisch hat sich die karge Insel die Möglichkeiten für neue lukrative
Sparten offen gehalten, ihre Entwicklung wurde vielfältig stimuliert. Die üppige Insel dage-
gen hat sich mit ihrer Spezialisierung auf Brot Zukunftswege verbaut.

Unglückliche Weichenstellungen: Tatsächlich können wir in vielen Entwicklungsländern


beobachten, wie mit einer früheren Spezialisierung die zukünftigen Möglichkeiten
erschwert wurden. Die Spezialisierung auf so simple Produkte wie Kaffee, Kakao, Zucker,
Erdnüsse, Jute, Kupfer, Aluminiumerze oder auch Erdöl hat in eine wirtschaftliche Sack-
gasse geführt.

61
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

Die Gefahr, sich einseitig oder auf wenig zukunftsversprechende Produkte zu spezialisie-
ren, veranlasst viele Staaten, ihren Aussenhandel zu kontrollieren. So wollen sie eine Volks-
wirtschaft aufrechterhalten oder ausbauen, die auf möglichst viel versprechende Branchen
diversifiziert ist - eine Strategie, die das Thema des folgenden Abschnitts ist.

3.5.5 Strategische Handelspolitik

Ein wichtiger Teil des internationalen Handels ist die Folge von komparativen Vorteilen, die
von vornherein gegeben waren und fortbestehen: Kuba exportiert Tabak aus klimatischen
und Nigeria Erdöl aus geologischen Gründen, die Schweizer Berge wie auch die kenyani-
sche Tierwelt ziehen Touristen an. Warum aber produziert Japan Fotokopierer und die USA
Grossflugzeuge? Der Handel mit modernen Produkten ist schwieriger zu erklären.

Wie entstehen komparative Vorteile? In vielen Fällen bauen nämlich Industrien und
Dienstleistungen, die sich aus irgendeinem Grund einmal in einer bestimmten Gegend
etabliert haben, ihre eigenen komparativen Vorteile auf: Dies geschieht in einem sich selbst
verstärkenden Prozess, bei dem externe wie auch pseudoexterne Effekte eine zentrale
Rolle spielen:

Externe Nutzen von Wissen: Unternehmen lernen voneinander. Baut ein erfolgreiches
Unternehmen technisches oder organisatorisches Wissen auf, wird dieses spezielle Wis-
sen auf die Unternehmen der näheren Umgebung ausstrahlen. Wechseln Arbeitskräfte
ihre Stelle, werden sie einen Teil des Wissens mitnehmen und am neuen Arbeitsplatz pro-
duktiv verwenden können. Unternehmen profitieren gegenseitig von Wissen und Erfah-
rungen. Die Ausbildung erfordert aufgeschlossene Schulen, Schulen profitieren von
modernen Unternehmen und moderne Unternehmen profitieren von externen Effekten der
Schulen.

Pseudoexterne Nutzen durch grössere Märkte: Kann sich eine Branche erfolgreich
etablieren, eröffnen sich dadurch laufend neue Marktchancen. Eine sich selbst verstärken-
de Spirale von pekuniären externen Effekten kommt in Gang: Erfolgreiche Unternehmen
ziehen spezialisierte Arbeitskräfte und Lieferanten an - und eine breitere Basis von Arbeits-
kräften und Lieferanten verstärkt den Erfolg der Unternehmen.

In vielen Fällen sind die komparativen Vorteile nicht das Resultat von gegebenen Ressour-
cen, sondern eine Folge von sich selbst verstärkenden Effekten. Eine solche Entwicklung
kann durch Zufall in Gang kommen - doch sie kann durch die Regierung unterstützt wer-
den.

Mit strategischer Aussenhandelspolitik komparative Vorteile erschaffen: Muss


befürchtet werden, dass sich ein Land oder eine Region aufgrund seiner momentanen
komparativen Vorteile in eine Sackgasse hineinspezialisiert? Besteht die Gefahr, dass sich
selbst verstärkende Effekte eine Region oder ein Land von viel versprechenden Entwick-
lungen ausschliessen oder abdrängen? Dann könnte es sich lohnen, eine strategische Aus-
senhandelspolitik zu betreiben. Die Regierung könnte sich selbst verstärkende Mechanis-
men zugunsten von neuen Branchen auslösen und so neue lukrativere komparative Vor-
teile entwickeln. Ist dann der unterstützte Wirtschaftszweig einmal führend und sind die
sich selbst verstärkenden Kräfte in Gang gekommen, könnte der Staat seine Förderung
oder seinen Schutz wieder abbauen.

Entwicklungsländer wie auch hoch entwickelte Volkswirtschaften versuchen zukunftswei-


sende Wirtschaftszweige aufzubauen, in der Hoffnung, durch sie echte komparative Vor-
teile entwickeln zu können. Sie fördern diese Branchen durch Forschung, Subventionen
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

und gezielte Investitionen in die Infrastruktur. Zudem schützen Regierungen zukunftsträch-


tige Branchen durch Importbeschränkungen vor der Weltkonkurrenz.

Junge-Branche-Argument: Vor allem die ersten Schritte einer «jungen Branche» werden
häufig abgeschirmt. Komplizierte Branchen brauchen Zeit, um sich zu organisieren. Auch
bei Gütern, die in Massenproduktion hergestellt werden, braucht es Zeit, bis ein Unterneh-
men so gross ist, dass es der internationalen Konkurrenz standhalten kann. Viele Länder
praktizieren eine solche strategische Handelspolitik erfolgreich, nicht zuletzt auch Japan,
Südkorea oder Taiwan.

Problem des Missbrauchs: Ein Problem kann dann entstehen, wenn die jungen Branchen
gross geworden sind und man den Schutz wegnehmen möchte. Es gibt viele Beispiele von
Industrien in anderen, weniger erfolgreichen Ländern, die hinter schützenden Mauern nie
international konkurrenzfähig wurden, z.T. weil die komparativen Vorteile dieser Länder
eben anderswo liegen. In solchen Fällen werden Ressourcen verschwendet, die anderwei-
tig vermutlich besser eingesetzt worden wären.

Rolle von Bildung und Forschung in der Schweiz: Strategische Überlegungen zur För-
derung bestimmter komparativer Vorteile werden auch in der Schweiz gemacht: An erster
Stelle steht die Bildungs- und Forschungspolitik. Fördert der Staat die Forschung, werden
die komparativen Vorteile in science-based industries gestärkt. Die forschungsintensivste
Branche der Schweiz ist die Pharmaindustrie. Betont die Schweiz die Berufslehre gegenü-
ber einer langen Schulausbildung und fördert sie Fachhochschulen, verschafft sie sich
komparative Vorteile in skill-based industries. Dazu gehören Branchen wie der Maschinen-
bau oder die Feinmechanik, die in der Fertigung und Weiterentwicklung hoch qualifiziertes
Personal benötigen.

Aufgabe 15 Welche zwei Risiken sehen Sie für die zunehmende internationale Spezialisierung auf-
grund der komparativen Vorteile?

Aufgabe 21 In welchen Fällen ist die Abschirmung eines Wirtschaftszweiges vor der internationalen
Konkurrenz vertretbar?

3.6 Kann ein einzelnes Land im Umweltschutz vorpreschen?

Viel diskutiert werden die Folgen für ein Land, das als Pionier strengere Umweltschutz-
massnahmen einführt als andere Länder, beispielsweise mit einer Energieabgabe. Damit
leistet das Pionierland einen Beitrag zur Verbesserung der globalen Umweltsituation, wäh-
rend es umgekehrt weiterhin unter der Luftverschmutzung der anderen Länder zu leiden
hat.

Vergessen wir aber nicht, dass nur ein Teil unserer Umweltprobleme aus dem Ausland zu
uns verfrachtet wird. Die hausgemachten Probleme (wie etwa Lärm, Abfall, Bodenzerstö-
rung oder Wasserverschmutzung) können wir im Alleingang lösen — auch wenn wir mit
den dafür eingeführten Umweltabgaben gleich noch die globale Umwelt etwas schonen.

Umweltabgaben und Aussenhandel: Doch welche Folgen ergeben sich für ein Land, das
in grossem Umfang mit dem Ausland Handel treibt? Kann es strengere Umweltschutz-
massnahmen einführen als seine Handelspartner und Konkurrenten?

Stellen wir uns vor, ein Pionierland belaste die umweltschädliche Produktion mit einer
Energieabgabe, während es beispielsweise die Mehrwertsteuer und die Abgaben auf den
Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit im gleichen Umfang verringere. Damit wird die
eigene umweltschädliche Produktion teurer als die ausländische, während die eigene

63
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

umweltschonende Produktion billiger wird (für eine schonende Produktion würden nur
geringe Energieabgaben bezahlt, aber dafür weniger Steuern und Abgaben). Als Folge sin-
ken die Exporte von umweltschädlichen Produkten, und die Importe solcher Produkte stei-
gen. Gleichzeitig steigen die Exporte von umweltschonenden Produkten, und die Importe
solcher Produkte sinken.

Führt ein Land einseitig Umweltabgaben ein, verschieben sich seine komparativen Vorteile
in Richtung umweltschonende Güter. Bei freiem Aussenhandel spezialisiert sich der
Umweltpionier auf schonendere Güter, während Länder mit nachlässiger Umweltpolitik
die umweltbelastende Produktion übernehmen. Prescht ein Land im Umweltschutz vor,
geht die Produktionsumstellung besonders schnell vor sich, weil die verschmutzenden
Produkte aus dem Ausland bezogen werden können. Um brüske Entlassungen zu vermei-
den, müsste darum die Umweltabgabe mit einem besonders niedrigen Satz beginnen und
dürfte nur behutsam ansteigen.

Anders als die meisten Verschiebungen der komparativen Vorteile (infolge neuer Konkur-
renzländer und veränderter Technik) würden Verschiebungen in Richtung umweltscho-
nender Güter durch eine bewusste Politik des Staates hervorgerufen. Die Unternehmen
könnten die einseitige Umweltabgabe und die in Richtung Umweltschutz verschobenen
komparativen Vorteile auch als besondere Chance begreifen. Und zwar dann, wenn sie
davon ausgehen, dass die anderen Länder früher oder später ebenfalls eine umweltfreund-
lichere Politik einschlagen werden. So nimmt ein Pionierland nicht nur eine unvermeidliche
Entwicklung voraus, sondern es verschafft seinen Unternehmen auch einen Wissensvor-
sprung auf dem Weltmarkt. Dank ökologischen Rahmenbedingungen forschen Unterneh-
men frühzeitig nach umweltschonenden Produkten und Produktionsverfahren. Müssen
später andere Länder umweltpolitisch nachziehen, können die Pioniere ein überlegenes
technisches und organisatorisches Wissen ausspielen, das sich sehr bezahlt machen kann.

Erfolgreiche strategische Handelspolitik baut komparative Vorteile bei Know-how-inten-


siven Gütern aus. Solche Güter lassen sich teuer exportieren, während einfache Güter billig
importiert werden. Die Umwelttechnologie ist eine solche neue Know-how-intensive und
lukrative Sparte.

Keine Theorie kann exakt voraussagen, welche Effekte überwiegen: die Verluste der
Umweltgüter verschleissenden Industrien und die Kosten der ökologischen Umstrukturie-
rung oder die Gewinne der umweltschonenden Branchen und die Chancen, frühzeitig in
Zukunftsbranchen Fuss zu fassen. Interessant sind darum die Erfahrungen, die Japan
schon in den 1970er-Jahren mit pionierhaften Umweltanstrengungen gemacht hat:

Beispiel Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München, Juni 1990:


Die im Vergleich zu anderen Industrienationen wesentlich strengeren Umweltschutzregelungen
und höheren Umweltschutzinvestitionen Japans hatten im Allgemeinen günstige gesamtwirt-
schaftliche Effekte. Negative Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Geldwert-
stabilität, technischen Fortschritt und Exporte sind nicht bekannt oder aber äusserst gering. Insge-
samt überwog der gesamtwirtschaftliche Nutzen: Die strengen Regelungen zur Emissionsbegren-
zung gaben Industrie und Energieversorgungsunternehmen einen kräftigen Anstoss zu Energie-
einsparungen; dies wirkte sich nach den Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 besonders günstig aus.
Die Strategie des Ausbaus der Schwerindustrie wurde zugunsten von modernen, ressourcen- und
energieschonenden Branchen aufgegeben. Personenkraftwagen wurden schon sehr frühzeitig mit
Katalysatoren ausgestattet, weshalb die Automobilindustrie keine Exporteinbussen zu befürchten
brauchte, als die europäischen Länder striktere Abgasgrenzwerte zur Pflicht machten. Die strenge-
ren umweltpolitischen Massnahmen haben also die Wirtschaft gestärkt und entscheidende
Impulse zu einem industriellen Wandel gegeben.

Wir sehen: Umweltpioniere gewinnen komparative Vorteile bei umweltschonenden Gütern


und Verfahren. Länder mit besonders !arger Umweltpolitik hingegen verstärken ihre kom-
parativen Vorteile in umweltschädlichen Bereichen. Das heisst, solche Länder werden die

64
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Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

umweltbelastenden Industrien anziehen. Heute sind das vor allem arme Länder. Ihre
Regierungen versuchen, mit milden Umweltauflagen Unternehmen anzuziehen. Damit
degradieren sich diese Länder langfristig zum Zufluchtsort der umweltbelastenden Produk-
tion aus der ganzen Welt.

Falls jedoch eine Produktion ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nur unter Vernach-
lässigung der Umweltkosten erhalten kann, handelt es sich aus gesamtwirtschaftlicher
Sicht um ein Verlustgeschäft. Entwicklungsländer verschachern so ihre Umweltgüter und
verkaufen ihre Produkte im Ausland unter den Entstehungskosten. Auch für die ärmsten
Länder ist eine solche Wirtschaftspolitik längerfristig nicht vorteilhaft.

Ein Pionierland kann zukunftsweisende Vorteile aus der Einführung von Umweltabgaben
ziehen:

Es gewinnt komparative Vorteile bei der Herstellung von umweltschonenden Produkten.


Das gilt besonders dann, wenn Umweltabgaben in der Form zurückerstattet werden, dass
die Unternehmen steuerlich entlastet werden. Damit gewinnen Umweltpioniere Know-how
in Umwelttechnologie und einen Wissensvorsprung gegenüber anderen Ländern.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
3 Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken

66
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Gesamtzusammenfassung

Gesamtzusammenfassung

Zusammenfassung
Konjunktur und Arbeitslosigkeit

Zwei Prozesse im Wirtschaftskreislauf

Marktsysteme passen sich ständig den ändernden Umständen an. Dabei beobachten wir
im Wirtschaftskreislauf gleichzeitig sowohl ausgleichende wie sich selbst verstärkende
Prozesse mit ganz unterschiedlichen Folgen:
• Auf den Märkten reagieren die Preise auf Änderungen in der Konsumstruktur, in der
Produktionstechnik usw. Die Preisänderungen führen zu Umstrukturierungen, die frü-
her oder später abgeschlossen sind.
• Bevor jedoch ein Ausgleich auf den Märkten zum Abschluss kommt, kann eine kon-
junkturelle Dynamik in Gang kommen, bei der sich selbst verstärkende negative oder
positive Reaktionen wirken. Sinkende Einkommen führen zu sinkenden Ausgaben,
was wiederum zu einer Verminderung der Produktion und zu weiter sinkenden Ein-
kommen führt usw. Umgekehrt führen steigende Einkommen zu grösseren Ausgaben,
diese wiederum zu höherer Produktion und zu höheren Einkommen usw.

Man unterscheidet drei Arten von Arbeitslosigkeit mit verschiedenen


Ursachen

• Friktionelle Arbeitslosigkeit, Sucharbeitslosigkeit, gibt es vor allem wegen der teh-


!enden Transparenz der Arbeitsmärkte. Auf undurchsichtigen Märkten finden sich
Anbieter und Nachfrager oft nur nach längerem Suchen: Für Stellensuchende und Un-
ternehmen ist es also oft schwierig, eine geeignete Stelle bzw. einen geeigneten Be-
werber zu finden. Je weniger transparent die Arbeitsmärkte sind, desto länger können
Stellen unbesetzt sein, obwohl es geeignete Bewerber gibt.
• Strukturelle Arbeitslosigkeit ergibt sich aus dem dauernden Strukturwandel der
Wirtschaft. Das Angebot an Arbeitskräften stimmt dann in qualitativer oder in regio-
naler Hinsicht nicht mit der Nachfrage überein. Es gibt zwar offene Stellen und Stellen-
suchende. Die Stellensuchenden können aber nicht das, was an den offenen Stellen
gefragt ist, oder die offenen Stellen sind nicht dort, wo die Stellensuchenden leben.
• Konjunkturelle Arbeitslosigkeit entsteht mit den periodischen Konjunkturab-
schwüngen. Immer wenn das BIP stagniert oder sogar sinkt, beobachten wir einen
manchmal drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Beginnt das BIP wieder zu wach-
sen, dann geht auch die Arbeitslosigkeit zurück.

Die konjunkturelle Dynamik

Zwar wächst das Produktionspotenzial (das mögliche Gesamtangebot) in der Regel sehr
gleichmässig. Entsprechend könnte auch das BIP gleichmässig anwachsen. In der Realität
stellen wir aber fest, dass das tatsächliche Wachstum des BIP Schwankungen unter-
worfen ist. Solche Wachstumsschwankungen bezeichnet man als Konjunkturschwan-
kungen.
Konjunkturschwankungen sind meistens die Folge von Schwankungen der Gesamt-
nachfrage, d. h. von der gesamten Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, nach
Konsum- und Investitionsgütern.
• In einem Konjunkturabschwung steigt die Gesamtnachfrage und damit die tatsäch-
liche Produktion (das BIP) langsamer als das mögliche Gesamtangebot.

67
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Gesamtzusammenfassung

Die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft sinkt dann. Und sobald die Gesamtnachfrage
kleiner ist als das mögliche Gesamtangebot, entsteht konjunkturelle Arbeitslosigkeit
(die Unternehmen benötigen dann nicht mehr alle Arbeitskräfte, um die Nachfrage-
Zusammenfassung

wünsche zu befriedigen).
• In einem Konjunkturaufschwung wächst die Gesamtnachfrage schneller als das mög-
liche Gesamtangebot. Die tatsächliche Produktion (das BIP) nimmt zu. Die Kapazitäts-
auslastung der Wirtschaft steigt und die konjunkturelle Arbeitslosigkeit geht zurück
(die Unternehmen benötigen mehr Arbeitskräfte, um die steigende Gesamtnachfrage
zu befriedigen). Übersteigt die Gesamtnachfrage die Kapazitätsgrenzen des Gesamtan-
gebots, steigt das Preisniveau immer schneller, d. h., die Inflationsrate steigt.

Wie kommt es zu Konjunkturabschwüngen?

Wichtige Auslöser von Konjunkturabschwüngen sind (äussere) Schocks, die alle Kompo-
nenten der Gesamtnachfrage treffen können, d. h. die Konsumnachfrage der Haushalte,
die Investitionsnachfrage der Unternehmer oder die Exportnachfrage.
• Ein wichtiges Beispiel sind die beiden Erdölpreisschocks aus den Jahren 1973 und
1979. Hier führte eine brüske Erhöhung der Heizöl- und Benzinpreise zu einem spür-
baren Rückgang der Konsumnachfrage. In der Folge sank auch die Investitionsnach-
frage der Unternehmen.
• Ebenso können Kriegsängste, platzende Spekulationsblasen oder die Angst vor
einem bevorstehenden Konjunkturabschwung einen Konjunkturabschwung verur-
sachen, dann nämlich, wenn die Haushalte weniger konsumieren und die Unterneh-
men wegen der düsteren Aussichten weniger investieren.
• Vor allem exportorientierte Länder wie die Schweiz werden ausserdem von Konjunk-
turabschwüngen wichtiger Handelspartner stark getroffen. Sinkende Exporte füh-
ren zu einer sinkenden Gesamtnachfrage, was einen Abschwung auslösen kann.

Kreislaufanalyse

Der Wirtschaftskreislauf, ein Modell um die Konjunkturschwankungen zu verstehen, hat


drei Paare von Ab- und Zuflüssen:
Sparen und Investitionen
Zahlungen für Importe und Einnahmen aus Exporten
Steuern und Staatsausgaben

In einer Rezession überwiegen die Abflüsse, der Kreislaufstrom nimmt ab — in einem Auf-
schwung überwiegen die Zuflüsse, der Kreislaufstrom nimmt zu. Im makroökonomischen
Gleichgewicht wiegen sich Ab- und Zuflüsse auf. In einer Formel ausgedrückt:

Sparen + Zahlungen für Importe + Steuern =

Investitionen + Einnahmen aus Exporten + Staatsausgaben

Oder algebraisch ausgedrückt: 5+ M+T=1+X+G


Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Gesamtzusammenfassung

In der konjunkturellen Dynamik spielen Stimmungen eine grosse Rolle

In Zeitungen, Radio, Fernsehen und Vorträgen, bei Diskussionen in Unternehmerverbän-

Zusammenfassung
den, Gewerkschaften und unter Politikern bestätigt man sich gegenseitig (wo sonst soll
man sich orientieren, wie anders orientiert man sich gewöhnlich als mit Gleichgesinnten?):
Im Abschwung sind die meisten pessimistisch und glauben nicht, dass wieder gute
Zeiten kommen werden, im Aufschwung sind die meisten optimistisch und können sich
ein Ende des Aufschwungs gar nicht vorstellen.

Die antizyklische Konjunkturpolitik zum Ausgleich von


Konjunkturschwankungen (Stabilitätspolitik)

Im Prinzip haben die Regierung und die Notenbank die Möglichkeit, konjunkturelle
Schwankungen mit einer antizyklischen Politik auszugleichen.
• Die antizyklische Politik der Regierung. Droht in einem Abschwung Arbeitslosigkeit,
kann der Staat seine Ausgaben erhöhen und die Steuern senken. Damit macht er zwar
Schulden, aber er sorgt für eine Belebung der Gesamtnachfrage, was die Arbeitslosig-
keit zumindest vermindert. Droht umgekehrt in einem Aufschwung Inflation, weil die
Gesamtnachfrage über das Gesamtangebot hinauswächst, verringert der Staat seine
Ausgaben und erhöht die Steuern. So kann er seine Schulden aus dem letzten Ab-
schwung abbauen und gleichzeitig die überbordende Gesamtnachfrage dämpfen.
Automatische Konjunkturstabilisatoren: Selbst wenn die Regierung keine aktive
Konjunkturpolitik betreibt, werden Konjunkturschwankungen durch die Staatstätigkeit
von selbst etwas gedämpft. Im staatlichen System sind Mechanismen mit antizyk-
lischer Wirkung eingebaut. In einer Rezession gehen die progressiven Steuern über-
proportional zurück. Dafür steigen die Staatsausgaben, v. a. für die Arbeitslosenversi-
cherung und andere soziale Aufgaben.
In der Konjunkturpolitik der Regierung klafft eine grosse Lücke zwischen dem theore-
tisch und dem in der Praxis Möglichen. Damit treffen wir beim Problem der Konjunk-
turschwankungen nicht nur auf ein Marktversagen, sondern auch auf ein Staatsversa-
gen, denn oft sind Politiker nicht in der Lage, eine Stabilitätspolitik umzusetzen. Im
Vordergrund stehen drei Probleme:
1. Eine expansive Konjunkturpolitik könnte zu spät wirken. Anstatt den gegenwär-
tigen Abschwung zu mildern, verstärkt sie den nächsten Aufschwung.
2. Der Streit um die Staatsschulden verdrängt das Ziel einer antizyklischen Konjunktur-
politik.
3. Schliesslich profitiert oft auch das Ausland, wenn ein Staat eine wirksame expan-
sive Politik betreibt, weil ein Teil der angekurbelten Gesamtnachfrage als Importnach-
frage ins Ausland versickert.
• Auch die Notenbank kann eine antizyklische Konjunkturpolitik betreiben:
Mit einer expansiven Geldpolitik vergrössert sie die Geldmenge. Das Zinsniveau
sinkt, was zu einer Zunahme der Investitionsnachfrage und damit der Gesamtnach-
frage führen kann. Unterstützt wird eine expansive Geldpolitik über den Wechselkurs.
Der Wert des Frankens sinkt und damit werden Importgüter teurer. Das schafft einen
Anreiz, vermehrt einheimische Güter zu kaufen, was die Gesamtnachfrage weiter ankur-
belt.
Mit einer restriktiven Geldpolitik verkleinert die Nationalbank das Geldmengenwachs-
tum. Das Zinsniveau steigt. Investitionen werden teurer, die Gesamtnachfrage geht zu-
rück. Weil der Kurs des Frankens steigt, werden Importgüter billiger. Die Importe neh-
men auf Kosten der einheimischen Produktion zu. Die Gesamtnachfrage wird weiter ge-
dämpft.
Während eine restriktive Geldpolitik die Gesamtnachfrage in der Regel recht schnell
schrumpfen lässt, ist die Wirkung einer expansiven Geldpolitik unsicher.

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Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Gesamtzusammenfassung

Wie liesse sich die hohe Arbeitslosigkeit in Europa beseitigen?

Seit den 1970er-Jahren beobachten wir in Europa einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Auf-
fällig ist, dass die Arbeitslosenraten mit jedem Konjunkturzyklus grösser werden. So ist die
inflationsstabile Arbeitslosenrate in Europa (Staaten der heutigen EU) von etwa 2,5 % in
den 1960er-Jahren Schritt für Schritt auf etwa 9 % in den 1990er-Jahren angewachsen.

Beispiel Unter der inflationsstabilen Arbeitslosenrate versteht man diejenige Arbeitslosigkeit, die in einem
Konjunkturaufschwung nur unterschritten werden kann, wenn man dafür eine steigende Inflation
in Kauf nimmt. Unter der Sockelarbeitslosigkeit versteht man dagegen die Arbeitslosigkeit, die
selbst nach einem längeren Aufschwung noch bestehen bleibt.

Die Schweiz hatte nach dem langen Aufschwung der 1980er-Jahre eine Arbeitslosenrate
von fast 0%. Mit dem Abschwung zu Beginn der 1990er-Jahre begannen dann aber die
Arbeitslosenraten stark anzusteigen. Nach der offiziellen Statistik betrug die Arbeitslosig-
keit Ende 1996 knapp 5%. Zieht man dagegen in Betracht, dass die immer zahlreicheren
Ausgesteuerten und Personen, die zwar arbeiten möchten, sich aber nicht als arbeitslos
melden, in der offiziellen Statistik nicht erfasst sind, dann muss man vermuten, dass die
Arbeitslosigkeit in der Schweiz um einiges höher liegt. Gegenwärtig nähert sich die
Arbeitslosigkeit in der Schweiz also dem europäischen Niveau an.

Die Gründe für die hohe europäische Arbeitslosigkeit sind umstritten. Zur Hauptsache ste-
hen sich zwei grundlegend verschiedene Erklärungsansätze gegenüber:
• Die Vertreter des einen Ansatzes machen die vielfältigen staatlichen Behinderungen
des Marktgeschehens verantwortlich. Deshalb könne das Marktsystem in Europa
nicht genügend schnell auf den ständigen Strukturwandel reagieren. Kritisiert
werden in diesem Zusammenhang zu hohe und zu inflexible Löhne, überrissene Sozi-
alleistungen, zu hohe Steuern und Zinsen sowie weitere Vorschriften, die Unternehmer
behindern.
• Die Vertreter des anderen Ansatzes machen dagegen Fehler in der Konjunkturpolitik
für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit werde
nicht konsequent genug bekämpft und deshalb steige die inflationsstabile Arbeitslo-
sigkeit mit jedem Konjunkturzyklus an.

Ebenso umstritten wie die Gründe sind die Massnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit.

Sind strukturelle Gründe für die zunehmende Arbeitslosigkeit verantwortlich, hilft eine
antizyklische Konjunkturpolitik wenig, um das Problem zu lösen. Vertreter dieser Richtung
fordern deshalb eine Beseitigung der strukturellen Hindernisse, die die Entwicklung der
Wirtschaft nach ihrer Ansicht behindern. Gefordert wird unter anderem: die Flexibilisierung
der Arbeitsmärkte, die Eindämmung des Sozialstaats, der Abbau staatlicher Regelungen
,
die die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern, Steuersenkungen und der Abbau der
Staatsverschuldung (in der Hoffnung auf ein tieferes Zinsniveau).

Wer dagegen vor allem ein Versagen der bisherigen Konjunkturpolitik für die hohe
Arbeitslosigkeit verantwortlich macht, verlangt, dass Regierung und Notenbank in Zukunft
rascher und konsequenter auf Konjunkturschwankungen reagieren — bevor die Arbeitslo-
sen durch lange Arbeitslosigkeit ihre Qualifikation und ihren Kontakt zur Arbeitswelt
verlie-
ren.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Gesamtzusammenfassung

Was nützt der Aussenhandel?


Die internationale Handelsverflechtung nimmt ständig zu. Heute werden mehr als ein Drit-
tel aller in der Schweiz produzierten Waren und Dienstleistungen ins Ausland exportiert,
und ein Drittel aller in der Schweiz investierten und verbrauchten Güter stammen aus dem
Ausland.

Ein Teil Güter werden international gehandelt, weil sie nur in bestimmten Regionen auf der
Welt hergestellt werden können. So ist etwa die Schweiz als rohstoffarmes Land auf den
Import fast sämtlicher Rohstoffe angewiesen. Es werden aber auch Güter international
gehandelt, die eine Volkswirtschaft selbst herstellen könnte. Warum? Darauf gibt es zwei
Antworten:

Den Handel zwischen Ländern, die verschieden sind, können wir vor allem mit der The-
orie der komparativen Vorteile erklären. Danach soll jedes Land diejenigen Güter herstel-
len und exportieren, die es mit den geringsten Alternativkosten herstellen kann. Andere
Güter soll es dagegen aus Ländern importieren. Die Länder spezialisieren sich auf die Pro-
duktion von Gütern, bei denen sie komparative Vorteile haben.
Für die Schweiz bedeutet die Theorie der komparativen Vorteile eine zunehmende Spezi-
alisierung auf anspruchsvolle Tätigkeiten, bei denen das im Vergleich zu vielen anderen
Staaten gute Know-how der Arbeitskräfte sowie der wirkungsvolle Umgang mit Kapitalgü-
tern und mit komplexen Organisationen zur Geltung kommen können.

Länder, die sich ähnlich sind, treiben einen umfangreichen Handel mit ähnlichen Gütern,
man spricht von intraindustriellem Handel. Intraindustrieller Handel ist lohnend, weil
man so von zunehmenden Skalenerträgen profitieren kann, und trotzdem nicht auf eine
grösstmögliche Vielfalt von Gütern verzichten muss.
Weil zudem der Wettbewerb intensiver wird, und der Informationsfluss grösser, führt
der freie internationale Handel im Prinzip zu einer bestmöglichen Verwendung sämt-
licher Ressourcen auf der Welt.
In der Praxis kann uneingeschränkter internationaler Handel jedoch für ein einzelnes Land
auch erhebliche Probleme mit sich bringen:
• Die internationale Arbeitsteilung erfordert von den Arbeitskräften und den Unterneh-
men eine hohe Anpassungsfähigkeit. Zudem müssen sich die Wechselkurse auf
dem richtigen Niveau einpendeln können. Anpassung bedeutet dauernde Umstruktu-
rierung der Wirtschaft. Und Umstrukturierungen gehen selten ohne Schmerzen vor
sich. Vielmehr besteht die Gefahr von längerer struktureller Arbeitslosigkeit.
• Stärkerer internationaler Warenhandel führt zu grösserem Verkehr. Damit wach-
sen auch die Umweltschäden. Die Marktkräfte führen eben nur dann zu einer best-
möglichen Verwendung der Ressourcen, wenn die externen Kosten internalisiert sind.
• Die Theorie der komparativen Vorteile sagt nur, dass es den Handel treibenden Län-
dern insgesamt besser geht. Sie sagt nicht, dass alle Länder gleich stark vom Aus-
senhandel profitieren. So wurden in den letzten zwei Jahrzehnten viele Entwicklungs-
länder zu Verlierern der internationalen Spezialisierung, weil sie ihre Produktion dort
stark ausweiteten, wo die Nachfrage weltweit stagniert.
• Arbeitsteilung kann zu einer starken Spezialisierung führen und damit zu übergrosser
Abhängigkeit von einem Produkt.
• Wer sich stark spezialisiert, trägt immer auch das Risiko, dass er die Weichen
für die Zukunft falsch stellt. Sind die betreffenden Güter einmal wenig gefragt oder
werden sie durch andere zukunftsträchtigere Güter abgelöst, können die Umstruktu-
rierungsprozesse für ein Land besonders schmerzhaft sein.
• Deshalb versuchen viele Länder, junge zukunftsweisende Wirtschaftszweige, für die
sie echte komparative Vorteile entwickeln könnten, vor der Weltkonkurrenz zu schüt-
zen, bis sie der internationalen Konkurrenz standhalten können, man spricht hier von
strategischer Aussenhandelspolitik.

71
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Losungen zu den Aufgaben

Lösungen zu den Aufgaben

1 Seite 14 Ai In der Aussage A] wird eine konjunkturelle Optik eingenommen. Tatsächlich macht die
moderne Computertechnik viele Arbeitsplätze überflüssig, worauf in einem Teufelskreis
auch andere ihre Stelle verlieren könnten.

Bi Die Aussage B] entspricht dagegen der klassischen Optik. Das Zusammenwirken der
Marktkräfte sorgt für eine optimale Auslastung der Ressourcen. Die durch die Computer-
technologie freigesetzten Arbeitsplätze werden nach einer kürzeren oder längeren Über-
gangszeit in anderen Bereichen neu geschaffen.

CI Klassisch: Es werden Ressourcen zerstört, die Leute sind nach dem Erdbeben ärmer.

DIKonjunkturell: Der Wiederaufbau löst einen sich selbst verstärkenden Mechanismus von
mehr Aufträgen und Einkommen aus.

E] Klassisch: Konsumwünsche ändern, Umstrukturierung zu Snowboard.

F] Konjunkturell: Keine Strukturkrise, sondern Konjunkturabschwung. Die Leute kaufen


weniger, weil sie weniger verdienen usw.

2 Seite 23 Al Das Produktionspotenzial gibt das mögliche Gesamtangebot einer Volkswirtschaft an,
also die Leistung bei Vollauslastung der Produktionsfaktoren.

Bi Das Produktionspotenzial wächst, weil wir die Produktionsfaktoren immer effizienter


einsetzen.

C] Konjunkturschwankungen sind Abweichungen des tatsächlichen Gesamtangebots


(gemessen durch das BIP) vom Produktionspotenzial. In einem Konjunkturabschwung
wächst das BIP langsamer als das Produktionspotenzial, in einem Konjunkturaufschwung
schneller.

3 Seite 25 Die private Konsumnachfrage, die Nachfrage des Staates, die Investitionsnachfrage und
die Auslandsnachfrage.

4 Seite 31
Richtig Falsch
Konsum und Sparen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf.
3
Sparen und Importe sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf.
Importe und Subventionen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf.
2
Exporte und Sparen sind beide Lecks im Wirtschaftskreislauf.
2
Eine Kürzung der Staatsausgaben senkt den privaten Konsum.
Eine Steuersenkung führt zu niedrigerem Konsum.
Weil ein wirtschaftlicher Aufschwung erwartet wird, wird mehr
investiert. Dies führt zu einer Zunahme der Staatseinnahmen.
Eine Zunahme der Exporte führt zu höheren Staatseinnahmen.
Steigende Importe führen zu kleineren Einkommen.
2 3
Steigende Einkommen führen zu kleineren Importen.
2 2
5 Seite 52 AH Exportüberschüsse: vor allem Maschinen, Chemie/Pharma, Präzisionsins
trumente und
Bankdienstleistungen.
Importüberschüsse: in erster Linie Energieträger, Metalle, Nahrungsmittel, Halbfabrikate
,
Elektronik und Fahrzeuge.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Losungen zu den Aufgaben

Bi In der Zahlungsbilanz werden die grenzüberschreitenden Geldströme erfasst. Die


Ertragsbilanz ist die Teilbilanz der Zahlungsbilanz, in der unter anderem auch die Güter-
und Dienstleistungsexporte bzw. -importe enthalten sind. Exporte lösen einen Zahlungs-
strom in die Schweiz aus, Importe einen Zahlungsstrom aus der Schweiz. Deshalb tragen
die Exporte zu einer positiven Ertragsbilanz bei, die Importe zu einer negativen.

6 Seite 57 Al Die komparativen Vorteile der Schweiz liegen bei anspruchsvollen Tätigkeiten — bei
Gütern, die viel Know-how, den Einsatz komplizierter Kapitalgüter und Organisationstalent
erfordern.

E3j Weil die komparativen Vorteile der Schweiz nicht bei der Produktion dieser relativ ein-
fach herzustellenden Güter liegen, ist ihre Produktion gesamthaft gesehen anderswo loh-
nender.

7 Seite 41

Expansive Konjunk- Regierung Notenbank


:o
turpolitik
Ziel Ankurbelung der Gesamtnachfrage in einem Ankurbelung der Gesamtnachfrage in einem
Konjunkturabschwung zur Verhinderung von Konjunkturabschwung zur Verhinderung von
Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit.
Mittel Erhöhung der Staatsausgaben und Steuer- Ausdehnung der Geldmenge/Senkung des
senkungen. Im Abschwung nimmt der Staat Zinsniveaus durch den expansiven Einsatz der
Schulden in Kauf. geldpolitischen Instrumente.
Erhoffte Wirkung Der Staat erteilt Aufträge und belebt damit die Tiefere Zinsen machen Investitionen billiger.
Gesamtnachfrage. Dank Steuersenkungen Die Investitionsnachfrage nimmt zu. Tiefere
überlässt er den Wirtschaftsteilnehmern mehr Zinsen lassen den Frankenkurs sinken. Aus-
Kaufkraft, was die Gesamtlage ebenfalls bele- ländische Güter werden teurer; es werden
ben kann. mehr inländische Produkte gekauft, was die
Gesamtnachfrage zusätzlich belebt.
Probleme in der Pra- Die Massnahmen wirken oft zu spät und ver- Ob die Unternehmer tiefere Zinsen für neue
xis stärken damit den nächsten Aufschwung, Investitionen nützen, ist unsicher.
statt den gegenwärtigen Abschwung zu stop-
pen.
Restriktive Konjunk- Regierung Notenbank
turpolitik
Ziel Abstoppen eines Booms zur Verhinderung Abstoppen eines Booms zur Verhinderung
von Inflation und Ebben der Staatsschulden von Inflation.
aus dem letzten Abschwung.
Mittel Senkung der Staatsausgaben und Steuerer- Verknappung der Geldmenge/Erhöhung des
höhungen. Zinsniveaus durch restriktiven Einsatz der
geldpolitischen Instrumente.
Erhoffte Wirkung Durch Ausgabensenkung wird die Staats- Höhere Zinsen verteuern Investitionen. Die
nachfrage und damit die Gesamtnachfrage Investitionsnachfrage nimmt ab. Der Franken-
gedämpft. kurs steigt, weshalb die Importe steigen und
die Exportnachfrage sinkt.
Probleme in der Pra- Häufig gelingt es politisch nicht, im Auf- Zwar geht die Gesamtnachfrage in der Regel
xis schwung die Steuern zu erhöhen und die Aus- recht schnell zurück. Um eine Inflation zu
gaben zu senken. So wird die Staatsschuld bekämpfen, muss die Notenbank aber recht
ständig grösser. lange einen restriktiven Kurs verfolgen. Die
Gesamtnachfrage schrumpft dadurch weiter.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Losungen zu den Aufgaben

8 Seite 15 Al Konjunkturelle Sicht: Die Schliessung der Fabrik löst einen markanten Abschwung in
der betreffenden Region aus.
Optik der betroffenen Werktätigen: Wer von der bevorstehenden Entlassung erfährt,
wird sich natürlich sofort um eine neue Stelle bemühen. Allerdings werden die anderen
Unternehmen der Region nur eine kleine Anzahl der Entlassenen aufnehmen können. Sie
brauchen vermutlich keine Schuhspezialisten; ausserdem werden sich viele in der Region
verwurzelte Unternehmen auf kommende schwere Zeiten gefasst machen und deshalb
kaum neue Arbeitsplätze schaffen.
Ein grosser Teil der Entlassenen wird also schnell feststellen, dass vermutlich keine geeig-
nete Arbeit für sie in der Region vorhanden ist. Die Beweglicheren unter ihnen werden sich
nach einer Arbeit in einer anderen Region umsehen. Die weniger Beweglichen müssen
damit rechnen, bald ohne Einkommen dazustehen, denn auch auf die Arbeitslosengelder
können sie nur eine beschränkte Zeit lang zählen. Auf jeden Fall sind die Betroffenen ver-
unsichert und viele von ihnen werden auf einen Umzug oder einen markanten Einkommen-
sausfall hin zu sparen beginnen.
Optik der anderen Unternehmen der Region: Die Anbieter von Konsumgütern und die
Gewerbetreibenden werden rasch merken, dass ihre Kunden nur noch das Nötigste kau-
fen. Sie geraten dadurch selbst unter Druck und müssen bald auch Mitarbeiter entlassen
oder sie zu tieferen Löhnen beschäftigen. Es wird noch weniger konsumiert usw.

B] Klassische Perspektive: Längerfristig könnte sich der Niedergang der betreffenden


Region wieder ausgleichen, dann nämlich, wenn Unternehmer merken, dass hier günstige
Arbeitskräfte zu haben sind, dass günstige Räume zur Verfügung stehen usw. So beobach-
tet man heute nicht selten, dass High-Tech-Unternehmen in ehemalige Fabrikräume ein-
ziehen. Zuerst sind das kleinere Unternehmen mit nur wenigen Beschäftigten. Die erfolg-
reicheren unter ihnen werden aber wachsen. Dadurch entstehen neue Arbeitsplätze. Und
vom Sog dieses Wachstums profitieren auch die lokal ansässigen Unternehmen, denn die
neu angesiedelten Unternehmen werden ihre Konferenzen in den nahe gelegenen Restau-
rants abhalten, beziehen ihr Büromaterial von der Papeterie, lassen vom lokalen Bauunter-
nehmen ihre Geschäftsräume umbauen usw. Und die neuen Beschäftigten - auch wenn
es vielleicht nur zum kleinen Teil die Entlassenen aus der Fabrik sind - suchen sich Woh-
nungen in der Umgebung, kaufen in den lokalen Läden ein usw.

Übrigens: Sie können aus diesem Beispiel auch gut erkennen, weshalb Gemeinden in sol-
chen Situationen mit allen verfügbaren Mitteln - unter anderem auch mit steuerlichen
Anreizen - versuchen, neue Unternehmen anzulocken.

9 Seite 23 A Unter einer Rezession versteht man einen Konjunkturabschwung. Das BIP wächst dann
weniger schnell als das Produktionspotenzial.
Von einer Depression spricht man bei besonders starken und lang dauernden Konjunktu-
rabschwüngen. Der Begriff wird aber in der Öffentlichkeit nicht gerne verwendet, weil er
Angst schüren und damit den Abschwung noch verstärken kann.

B] Ein Boom ist ein besonders starker Konjunkturaufschwung, wobei die Gesamtnachfrage
möglicherweise sogar über das Produktionspotenzial hinauswächst.

10 Seite 25 Die Schweiz ist ein stark exportorientiertes Land. Wenn Deutschland und die USA, zwei
der wichtigsten Abnehmer unserer Produkte, einen Konjunkturabschwung haben, werden
sie voraussichtlich auch weniger aus der Schweiz importieren (weniger Amerikaner und
Deutsche kommen als Feriengäste in die Schweiz, weniger schweizerische Maschinen und
Uhren werden in die USA und nach Deutschland verkauft). Deshalb müssen wir mit einem
spürbaren Rückgang der Auslandsnachfrage rechnen, was auch in der Schweiz einen Kon-
junkturabschwung auslösen kann.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Losungen zu den Aufgaben

11 Seite 31
Klass. Konj.
Strukturreform El
Umweltökonomie El
Kreislaufanalyse El
Antizyklische Fiskalpolitik El
Antizyklische Geldpolitik El
Ausgleich auf Märkten El
Wettbewerbspolitik El
Sich selbst verstärkend El 111
Konsumentenstimmung El El
Unabsehbare Konsumwünsche EI
BIP El
BNE CI
Strukturelle Arbeitslosigkeit 3
Friktionelle Arbeitslosigkeit El
Ziel: volle Nutzung des Produktionspotenzials 3
Ziel: Wachstum des Produktionspotenzials

12 Seite 23 Erwarten müsste man eine Zunahme der Arbeitslosigkeit um etwa 1,5 %. Das Produktions-
potenzial der schweizerischen Wirtschaft wächst nämlich Jahr für Jahr um ca. 2%. Und
nur wenn auch das BIP um so viel wächst, kann die Wirtschaft zu den sonst gleichen
Bedingungen alle Erwerbstätigen weiter beschäftigen.

13 Seite 55 Mit der Theorie der komparativen Vorteile kann man den Vorteil der Spezialisierung
(Arbeitsteilung) erklären, und zwar international (unter verschiedenen Ländern) als auch
innerhalb eines Landes.

Jede Person (so wie jedes Land) hat seine komparativen Vorteile, d. h. seine speziellen Vor-
teile im Vergleich zu seinen sonstigen Fähigkeiten.
• Es gibt Personen (Länder), die praktisch überall effizienter sind als andere (z. B. 3-mal
effizienter). Aber in einigen Tätigkeiten sind sie besonders gut (z. B. 5-mal besser als
andere). Hier haben sie ihre komparativen Vorteile. Und es gibt Tätigkeiten, wo sie nur
mässig besser sind als andere (z. B. 2-mal). Hier haben sie dann ihre komparativen
Nachteile.
• Daneben gibt es Personen (Länder), die praktisch überall weniger effizient sind als
andere (z. B. 3-mal weniger effizient). Aber in einigen Tätigkeiten sind sie vergleichs-
weise weniger schlecht (z. B. nur 2-mal schlechter). Hier haben sie ihre komparativen
Vorteile. Am erfolgreichsten wirtschaften sie, wenn sie das tun, wo sie vergleichsweise
am wenigsten schlecht sind.

Wenn alle Personen (oder Länder) sich gemäss ihren komparativen Vorteilen spezialisie-
ren, wird die gesamte Produktion am grössten. Darum erwartet man, dass mit einer Libe-
ralisierung des Welthandels der Wohlstand insgesamt steigt.

14 Seite 20 A Das Bruttoinlandprodukt (BIP) misst, wie viele Güter und Dienstleistungen in Unterneh-
men und Staat innerhalb eines Jahres produziert wurden.

H Eine Schrumpfung des BIP können wir in den Jahren 1974-1976, 1982, 1991-1993
beobachten.

C1 Schwächer als das Produktionspotenzial wuchs das BIP 1982/83 und 1991 bis 1996.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Losungen zu den Aufgaben

D] Sobald das BIP schwächer wächst als das Produktionspotenzial, nimmt die Arbeitslosig-
keit zu. Wächst das BIP wieder schneller, nimmt (mit etwas Verspätung) die Arbeitslosig-
keit wieder ab.

15 Seite 63 Wenn Länder ihre Aktivitäten auf ihre komparativen Vorteile beschränken, führt das zu
einer zunehmenden internationalen Spezialisierung, was für die einzelnen Länder auch ein
Risiko sein kann:
• Wer sich auf wenige Produkte spezialisiert, wird stark abhängig von den schwanken-
den Weltmarktpreisen dieser Produkte. Hart zu spüren bekommen das Länder, die auf
Konsumgüter wie Kaffee, Kakao oder Zucker gesetzt haben.
Bestimmte Produkte — wie z. B. Kaffee, Kakao oder Zucker — eröffnen wenig Zukunfts-
perspektiven. Ihre Preise fallen langfristig und bei ihrer Produktion wird wenig gelernt,
das auch für kompliziertere und einträglichere Produkte nützlich wäre. Solche Länder
haben dann auch Schwierigkeiten, in neuen, zukunftsträchtigen Bereichen kompara-
tive Vorteile aufzubauen.

16 Seite 23 Al In einem Konjunkturabschwung steigt die Gesamtnachfrage und damit die tatsächliche
Produktion (das BIP) langsamer als das mögliche Gesamtangebot. Bei Vollauslastung
könnten die Unternehmen mit den gleichen Ressourcen aber mehr produzieren. Deshalb
benötigen sie nicht alle Arbeitskräfte, um die weniger stark zunehmende oder sogar sin-
kende Gesamtnachfrage zu befriedigen. So kommt es zu konjunktureller Arbeitslosigkeit.

B] Ist in einem Konjunkturaufschwung das tatsächliche Gesamtangebot nahe am Produk-


tionspotenzial und steigt aber die Gesamtnachfrage weiter an, dann beginnen sich die
Nachfrager auf den ausgetrockneten Märkten zu überbieten, ohne dass die Unternehmen
darauf kurzfristig mit einer weiteren Vergrösserung ihres Angebots reagieren könnten. Die
Preise steigen, die Inflation nimmt ständig zu.

17 Seite 25 Die Komponenten des BIP nach ihrer Verwendung sind: privater Konsum, Konsum via
Staatsleistungen, Investitionen in der Schweiz, Exporte abzüglich Importe.

18 Seite 31 Einen Rückgang der Nachfrage aus dem Ausland bekommen stark exportorientierte Unter-
nehmen (z. B. Maschinenindustrie) sofort zu spüren. Je mehr der Auftragsbestand
abnimmt, desto grösser wird der Druck, Mitarbeiter zu entlassen. Ebenso nimmt die Inves-
titionsnachfrage dieser Unternehmen ab. Betroffen werden also rasch auch die Anbieter
von Investitionsgütern. Auch ihr Absatz wird zurückgehen und auch hier kommt es zu Kün-
digungen und zu einem weiteren markanten Rückgang der Investitionsnachfrage.

Bereits ausgesprochene oder drohende Kündigungen verunsichern die Haushalte. Sie


beginnen zu sparen, sodass auch die Konsumgüternachfrage abzunehmen beginnt. Das
treibt weitere Unternehmen in die Enge, führt zu weiteren Entlassungen und zu einem wei-
teren Rückgang der Investitionsnachfrage ... usw.

19 Seite 49 A] Das zentrale Schlagwort der (langfristigen) klassischen Argumentation: Behinderung


des ständigen Strukturwandels und damit des Marktmechanismus.
Das zentrale Schlagwort der (kurzfristigen) konjunkturellen Argumentation: Fehler in der
Konjunkturpolitik vergangener Jahre.

BI Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Die Vertreter beider Richtungen kön-
nen gute Gründe für ihre Theorie anführen. Ob sie tatsächlich ausschlaggebend sind, wis-
sen wir dagegen nicht mit Sicherheit.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Lösungen zu den Aufgaben

20 Seite 55 Al Spanien produziert sowohl Wein als auch Weinbeeren effizienter.

13] Die Türkei hat ihren komparativen Vorteil in der VVeinbeerenproduktion, weil dort Spa-
nien nur wenig besser ist (25 %). Umgekehrt hat also Spanien den komparativen Vorteil in
der Weinproduktion, wo die Leistungsfähigkeit im Vergleich zur Türkei doppelt so gross ist.

C Die Türkei wird sich auf Weinbeeren spezialisieren, Spanien auf Wein.

21 Seite 63 Wenn ein Land komparative Vorteile in einem neuen Zweig aufbauen will, braucht die
betreffende Branche Zeit, um sich zu organisieren. Eine staatliche Unterstützung bis zum
Augenblick, da sie der internationalen Konkurrenz gewachsen ist, kann hier sinnvoll sein.
Sonst wird die aufstrebende Branche im betreffenden Land einfach von der ausländischen
Konkurrenz überrannt. Genau deshalb haben z. B. Japan, Südkorea und Taiwan ihre Märkte
von der ausländischen Konkurrenz abgeschottet und damit den Aufbau einer international
höchst erfolgreichen Industrie (z. B. Unterhaltungselektronik) ermöglicht.

'0
22 Seite 20 Al Hier geht es offenkundig um die Intransparenz der Arbeitsmärkte, also um friktionelle —J

Arbeitslosigkeit (Sucharbeitslosigkeit).

B] Strukturelle Arbeitslosigkeit. Die Arbeitsuchenden sind nicht richtig ausgebildet und die
richtig Ausgebildeten wohnen nicht an den richtigen Orten.

CI Konjunkturelle Arbeitslosigkeit.

D] Ob es sich um friktionelle oder/und um strukturelle Arbeitslosigkeit handelt, können wir


aus den Angaben nicht ermitteln. Konjunkturelle Ursachen können wir dagegen aus-
schliessen, weil dann das Verhältnis zwischen Stellensuchenden und Stellenangeboten
nicht so ausgeglichen wäre.

Ein Zuwachs der Arbeitslosenrate sagt nichts aus über die Ursachen der Arbeitslosig-
keit.

El Auch hier können wir nicht exakt auf die Ursache der Arbeitslosigkeit schliessen. Sie
kann konjunkturell oder strukturell sein.

23 Seite 25 A] Auslöser eines brüsken Konsumrückgangs sind allgemeine Lohneinbussen oder auch
bloss die Angst davor sowie generell alle Ereignisse, die Zukunftsängste auslösen können
(z. B. Kriege, Angst vor einer kommenden Rezession) und die Leute dazu verleiten, für kom-
mende schwere Zeiten vorzusorgen, anstatt zu konsumieren bzw. zu investieren.

Bi Die Investitionsnachfrage reagiert besonders sensibel und ausgeprägt. Sobald die


Unternehmen die Zukunftsaussichten düster einschätzen (Schocks, Rezession im Ausland,
Rückgang der Konsumnachfrage), geht die Investitionsnachfrage stark zurück.

C1 Hier stehen vor allem Konjunkturabschwünge der Volkswirtschaften wichtiger Handels-


partner im Vordergrund.
Grundlagen 5/6
Konjunktur, Arbeitslosigkeit und internationale Arbeitsteilung
Lösungen zu den Aufgaben

24 Seite 50
Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit
v. a. strukturell v. a. konjunkturell
A] Die Nationalbank bekämpft jeweils viel zu früh
eine drohende Inflation mit einer restriktiven El
Geldpolitik.
B] Die Löhne und die Lohnnebenkosten sind zu
hoch.
Ci Bei all den unzähligen Vorschriften will nie-
mand neue Unternehmen gründen. 3
DIDen Politikern gelingt die Einhaltung einer
antizyklischen Konjunkturpolitik nicht.

Bemerkung zu d): Dieses Argument könnte von beiden Richtungen vorgebracht werden.
Die Vertreter langfristiger Marktlösungen würden es als Begründung verwenden, dass eine
antizyklische Konjunkturpolitik generell zum Scheitern verurteilt ist. Die Vertreter einer
konjunkturpolitischen Sicht würden es als bisherige Schwachstelle ihrer Politik zulassen,
die es in Zukunft zu verbessern gilt.

25 Seite 55 Die Behauptung ist nicht richtig. Auch ein Land, das überall ineffizienter produziert als
seine möglichen Handelspartner, ist irgendwo (im Vergleich zu seiner sonstigen Ineffizienz)
nicht so schlecht. Dort hat es seine komparativen Vorteile. Diese Güter wird es exportieren.
Dafür kann es Güter importieren, bei denen es am wenigsten effizient ist.

26 Seite 37 Die wichtigsten drei Gründe für ein Versagen der Konjunkturpolitik:
• Expansive Konjunkturmassnahmen (Steuersenkungen und Erhöhungen der Staatsaus-
gaben) werden oft zu spät eingeleitet und wirken erst, wenn schon wieder der nächste
Konjunkturaufschwung begonnen hat. Auf diese Weise wird der Aufschwung ver-
stärkt und nicht der Abschwung gemildert.
• Den Politikern gelingt es kaum, in Zeiten eines Konjunkturaufschwungs eine restriktive
Politik einzuleiten, indem sie die Steuern erhöhen und die Ausgaben senken. So
wächst die Staatsverschuldung ständig an.
• Schliesslich würde eine effiziente expansive Konjunkturpolitik auch im Ausland exter-
nen Nutzen stiften. Wird nämlich die Gesamtnachfrage angekurbelt, kann ein ansehn-
licher Teil davon als Importnachfrage ins Ausland versickern.

27 Seite 58
Komparative Skalenerträge
Vorteile
Die meisten Kameras werden in Japan hergestellt.
Das schweizerische Lastwagengewerbe konzentriert 3
sich entlang der Autobahn Al.
Anders als Parma ist Turin eine Autostadt.
Eine Orangensaftfabrik wählte ihren Standort in der
Schweiz, weil hier Streiks sehr selten sind. Da die
Ingredienzen verderblich sind, käme ein brüsker Still-
stand in der Produktion sehr teuer zu stehen.
A1).
Die Schweizer Bildungsinstitution.
Effizient. Sicher. Individuell.

Bernhard Beck Thomas Hirt, lic. jur.


Wirtschaftswissenschaftler und Jura-Studium in Zürich; langjährige
Dozent an der Hochschule für Tätigkeit als Chefredaktor «Wirt-
Soziale Arbeit in Zürich und der schaft» des AKAD Verlags; heute
Fachhochschule Aargau in Baden. Leiter «Entwicklung» und stellver-
Forschungstätigkeit am Seminar tretender Unternehmensleiter von
für Sozialökonomie der Universität Compendio Bildungsmedien. Ver-
Zürich 1979 bis 1982 und an der fasser zahlreicher Lehrmittel und
Konjunkturforschungsstelle der Dozent auf verschiedenen Stufen
ETH 1986 bis 1990. Ausgedehnte der Erwachsenenbildung.
Reisen in Asien und Afrika; arbei-
tete für das VVelternährungspro-
gramm der UNO im Tschad. Er
ist auch Verfasser von mehreren
Lehrmitteln, u. a. «Volkswirtschaft
verstehen», vdf Hochschulverlag
(2008).

A0069— 5271 — VWS 105


ISBN 978-3-7155-2368-2

9 lo 368

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