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AKAD-Reihe

VWS 106
Volkswirtschaftslehre

Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 6/6

Entwicklungsländer und internationale


Organisationen
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Matthias Knecht
Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 6/6

Entwicklungsländer und internationale


Organisationen
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Matthias Knecht

Impressum

Volkswirtschaftslehre
Grundlagen 6/6
Entwicklungsländer und internationale Organisationen
Dr. Bernhard Beck unter Mitarbeit von Matthias Knecht
Umschlaggestaltung: dezember und juli, VVernetshausen
Satz und Layout: Mediengestaltung, Compendio Bildungsmedien AG
Druck: Edubook AG, Merenschwand
Redaktion und didaktische Bearbeitung: Thomas Hirt
Artikelnummer: 4022
ISBN: 3-7155-1974-6
Auflage: 3. Auflage 2004
Ausgabe: K1020
Sprache: DE
Code: VVVS 106

Alle Rechte, insbesondere die Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.


Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorgängigen
schriftlichen Zustimmung von Compendio Bildungsmedien AG.
Copyright © 1997, Compendio Bildungsmedien AG, Zürich
2 GRUNDLAGEN 6/6
Modulübersicht

Modulübersicht

Das Modul «Grundlagen» ist wie folgt aufgebaut:

Lerneinheit 1/6 • Was ist eine Volkswirtschaft?


• Grundfragen des Wirtschaftens
Grundfragen des • Wie funktionieren Märkte?
Wirtschaftens, Märkte und • Wie stellen Ökonomen den Marktmechanismus dar?
Marktmechanismen

Lerneinheit 2/6 • Wie würde eine reine Marktwirtschaft funktionieren?


• Externe Effekte
Reine Marktwirtschaft, • Welches sind die Bedingungen für freien Wettbewerb?
externe Effekte und
Bedingungen für freien
Wettbewerb

Lerneinheit 3/6 • Welche sozialen Aufgaben übernimmt der Staat?


• Wie vertritt der Staat das Gemeinwohl?
Staatstätigkeit und
Staatsversagen

Lerneinheit 4/6 • Wie erfolgreich wirtschaften wir?


• Was ist Geld und was bedeutet Inflation?
Messung der wirtschaftli- • Warum gibt es Inflation?
chen Tätigkeit, Geld und • Zahlungsbilanz, Wechselkurse und Inflation
Inflation, Zahlungsbilanz
und Wechselkurs

Lerneinheit 5/6 • Warum gibt es Arbeitslosigkeit? Strukturwandel und


Konjunkturschwankungen
Konjunktur, Arbeitslosig- • Was lässt sich gegen Arbeitslosigkeit tun?
keit und internationale • Internationale Arbeitsteilung: Chancen und Risiken
Arbeitsteilung

Lerneinheit 6/6 • Zur Ökonomie der Entwicklungsländer


• Internationale Organisationen
Entwicklungsländer und
internationale
Organisationen

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 I 3
Inhaltsverzeichnis I

Inhaltsverzeichnis

Einleitung und Lernziele 5

1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer 6

1.1 Die Kluft zwischen Arm und Reich 7


1.1.1 Wie ist der Wohlstand weltweit verteilt? 7
1.1.2 Wie ist der Wohlstand innerhalb der Länder verteilt? 11
1.1.3 Wie hängen Einkommen und Lebensqualität zusammen? 13
1.1.4 Stehen die Entwicklungsländer heute besser da als früher? 16
1.2 Eine eigene ökonomische Theorie für Entwicklungsländer? 18
1.3 Entwicklungshemmnisse 19
1.3.1 Mangel an natürlichen Ressourcen 19
1.3.2 Bevölkerungswachstum - der demographische Übergang 19
1.3.3 Ungenügende Kapitalbildung 22
1.3.4 Ungenügende Fähigkeiten 25
1.3.5 Hemmende Rahmenbedingungen 25
1.3.6 Ohne Landrechte keine Kredite 27
1.3.7 Werden Entwicklungsländer ausgebeutet?
Die Verschuldung der Entwicklungsländer 28
1.3.8 Entwicklungschancen für Nachzügler 32
1.3.9 Ein vielfacher Kreislauf der Armut 33
1.4 Entwicklungsstrategien 36
1.4.1 Märkte, rechtlicher Rahmen und Infrastruktur 36
1.4.2 Öffnung für Aussenhandel und ausländische Investitionen 37
1.4.3 Soziale und politische Reformen 38
1.4.4 Umweltpolitik 42

2 Internationale Organisationen 44

2.1 Warum gibt es internationale Organisationen? 44


2.2 Die Europäische Union 46
2.2.1 Ziele und Geschichte 46
2.2.2 Der Europäische Wirtschaftsraum EWR 47
2.2.3 Die Maastrichter und Amsterdamer Verträge von 1992 und 1993 47
2.2.4 Die bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU 48
2.2.5 Ein schweizerischer EU-Beitritt? 48
2.3 Regionale Freihandelsabkommen 50
2.3.1 Association of South East Asian Nations ASEAN 50
2.3.2 North American Free Trade Association NAFTA 50
2.4 Internationale Zollabkommen: vom GATT zur WTO 50
2.4.1 Spielregeln für den Welthandel 50
2.4.2 Die Grundsätze des GATT 51
2.4.3 Zu Ausnahmen und Mängeln des GATT 51
2.5 Der Internationale Währungsfonds IWF 52
2.5.1 Die Entstehung des IWF 52
2.5.2 Kredite an Entwicklungsländer 52
2.5.3 Wirtschaftspolitische Tätigkeiten des IWF 53
2.6 Koordination der übrigen Wirtschaftspolitik 53
2.6.1 Die G7 53
2.6.2 Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD 53
2.6.3 Die Vereinten Nationen UNO 53
2.6.4 Vereinigungen von Grundstoffproduzenten 54

ENTVVICKLUNGSLANDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


4 GRUNDLAGEN 6/6
Inhaltsverzeichnis

2.7 Entwicklungszusammenarbeit 54
2.7.1 Warum Entwicklungszusammenarbeit? 54
2.7.2 Die Weltbankgruppe 55
2.7.3 Regionale Entwicklungsbanken 56
2.7.4 Bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz 56

Zusammenfassung 59

Lösungen zu den Aufgaben 63

Volkswirtschaft in Stichworten 67

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 I 5
Einleitung und Lernziele I

Einleitung und Lernziele


Sie haben bereits die Lernhefte 1 bis 5 dieses Kurses durchgearbeitet und verfügen damit
über ein solides wirtschaftliches Grundwissen. Das vorliegende letzte Lernheft des Grund-
kurses Volkswirtschaft soll Ihnen Gelegenheit geben, Ihr Wissen zu vernetzen. Diese Ver-
netzung soll auf zwei Wegen geschehen: Sie werden Ihr Blickfeld erweitern und Sie wer-
den einen neuen Blickwinkel gewinnen.

Das Blickfeld erweitern

Im ersten Kapitel weiten wir den Blick auf die ganze Welt aus, insbesondere auf die ärme-
ren Länder, in denen über zwei Drittel der Menschheit wohnen. Bisher haben wir uns dar-
auf beschränkt, wie moderne, vorwiegend marktwirtschaftlich organisierte Volkswirt-
schaften funktionieren. Nun wählen wir ein weites und komplexes Thema aus: Die Öko-
nomie der Entwicklungsländer. Hier beobachten wir in besonderem Masse, wie Markt-
versagen und Staatsversagen zu Problemen führen. Probleme heisst in diesem Zusam-
menhang, dass Menschen leiden und in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind, durch
Arbeitslosigkeit, durch Umweltschäden oder gar durch Krankheit und Hunger. Hier stellen
sich die ökonomischen Grundfragen drängender als bei uns: Wie können die begrenzten
Ressourcen bestmöglich genutzt werden? Das heisst, WAS soll produziert werden?
WIE soll das geschehen, mit welcher Technik, wer soll an der Produktion beteiligt werden?
FÜR WEN sollen die Güter hergestellt werden? Und hier ist auch die Frage noch offener,
wie die unterschiedlichen Ziele von Milliarden von Menschen koordiniert werden sollen:
Welche Rolle sollen die Märkte übernehmen? Wo versagen sie und wo müsste der
Staat einspringen? Wo versagt der Staat?

Bevor wir in den Stoff einsteigen, sollten Sie sich klar machen: Sie lernen in dieser Lektion
kaum neue Theorie. Man spricht zwar von der Ökonomie der Entwicklungsländer. In gros-
sen Zügen werden aber die bekannten ökonomischen Theorien angewandt. Warum dann
also dieses Lernheft? Wir wollen Ihnen zeigen, dass Sie mit Ihrem ökonomischen Wissen
nun in der Lage sind, höchst unterschiedliche Themen anzugehen. Wenn Sie das folgende
Lernheft durcharbeiten, werden Sie feststellen, dass Sie die ökonomische Analyse meis-
tern können.

Im zweiten Kapitel belassen wir das weltweite Blickfeld und beschäftigen uns mit den wirt-
schaftlich bedeutendsten internationalen Organisationen. Wir fragen uns, welche Ziele
diese Organisationen verfolgen und inwiefern sie den Wettbewerb auf internationaler
Basis stärken können und somit einen Beitrag zur Verwirklichung der Chancen des inter-
nationalen Handels bieten.

Ein neuer Blickwinkel

Im letzten Teil können Sie mit einem Stichwortverzeichnis zur gesamten Volkswirtschafts-
lehre das Gelernte des ganzen Moduls neu durchkämmen. So repetieren Sie nicht nur die
wichtigsten Begriffe - die vielen Hinweise auf andere Stichworte geben Ihnen auch Durch-
blicke auf inhaltliche Zusammenhänge. Beginnen Sie bei irgendeinem Stichwort, das Sie
besonders interessiert, und verfolgen Sie die Querverweise.

Viel Vergnügen bei der Abschlussreise!

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


6 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Ein ausgebautes wirtschaftliches System, wie es in diesem Kurs beschrieben wird, haben
nur verhältnismässig wenige Länder dieser Erde, mit nur etwa einem Fünftel der Erdbevöl-
kerung. Es sind dies Westeuropa, die USA und Kanada, Japan, Australien und Neuseeland.
Diese haben in den letzten 200 Jahren ihre Güterproduktion so schnell vergrössert, dass
sich eine weite Kluft aufgetan hat gegenüber der Mehrheit der Menschheit, die ihre mate-
rielle Situation nur langsam oder gar nicht verbesserte.

Diese Mehrheit der Menschheit lebt in Entwicklungsländern oder, etwas weniger hoff-
nungsvoll gesagt, in unterentwickelten Ländern. Entwicklungsländer bezeichnet man auch
als Drittweltländer. Dieser Name stammt aus der Zeit des Kampfes zwischen den westli-
chen Industrieländern (der Ersten Welt) und den kommunistischen Industrieländern (der
Zweiten Welt), in der die aus kolonialer Abhängigkeit befreiten Länder sich als dritte
Gruppe verstanden.

Welche Merkmale zeichnen die Entwicklungsländer aus?


• Gemessen an hoch entwickelten Ländern haben sie einen niedrigen Lebensstandard
für einen Grossteil der Bevölkerung.
• Es gibt oft krasse Unterschiede im Lebensstandard zwischen den Reichen und den Ar-
men sowie zwischen Grossstädten und Landgebieten.
• Etwa ein Fünftel der Menschheit lebt in solcher Armut, dass sie hungert oder ständig
von Hunger bedroht ist.
• Die Kindersterblichkeit ist hoch und die Lebenserwartung niedrig.
• Die Bevölkerungszahl wächst schnell.
• Viele sind Analphabeten.
• Ein grosser Teil der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft.
• Die schwache wirtschaftliche Organisation zeigt sich in einer hohen Zahl von Arbeits-
losen und Unterbeschäftigten.
• Viele der Entwicklungsländer sind von den Industrieländern abhängig, beispielsweise
durch hohe Schulden.

Oft wird davon gesprochen, dass die Entwicklungsländer gesellschaftlich unterentwickelt


seien und dass ihre Kultur bedroht sei. Hier schaut man wohl zu stark durch die ökono-
mische Brille. Wie entwickelt ist denn unsere Gesellschaft im Vergleich etwa zur thailändi-
schen oder javanischen? Die thailändische Gesellschaft ist weniger entwickelt im Hinblick
auf ökonomische Effizienz, aber ist sie das auch im Hinblick auf andere Ziele? Und wie
bedroht ist die europäische Kultur im Vergleich zur nigerianischen oder indischen? Wie
dem auch sei - in diesem Ökonomiekurs beschränken wir uns auf die ökonomischen Pro-
bleme, die in den Entwicklungsländern offensichtlich sind.

So offensichtlich es ökonomisch schwach und stark entwickelte Länder gibt, kann die
Grenzlinie dazwischen nicht genau gezogen werden. Und vor allem unter den wenig ent-
wickelten Ländern herrscht eine riesige Vielfalt.
• Diese Vielfalt unter den Entwicklungsländern wollen wir aufgrund von zwei ausge-
wählten Wohlstands- und Wohlfahrtsindikatoren (dem Einkommen und der Lebenser-
wartung) genauer ansehen (Abschnitt 1.1).
• Die Analyse beginnen wir mit der Frage, ob wir die ökonomische Theorie, die für reiche
Länder entwickelt wurde, auch auf Entwicklungsländer anwenden dürfen (1.2).
• In einem langen Abschnitt gehen wir den vielfältigen Entwicklungshemmnissen in den
Entwicklungsländern nach. Wir fragen uns aber auch, ob die armen Länder aus ihrer
Nachzüglerposition Vorteile ziehen können (1.3).
• Schliesslich beschreiben wir vorgeschlagene Wege, die die Armut besiegen sollen
(1.4).

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GRUNDLAGEN 6/6 7
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1.1 Die Kluft zwischen Arm und Reich

1.1.1 Wie ist der Wohlstand weltweit verteilt?

Eine Übersicht über die weltweite Verteilung der Produktion gibt uns die folgende Tabelle
1 -1, S. 8 mit mehr oder weniger genauen Schätzungen des Bruttosozialprodukts pro Kopf
für achtzig Länder. Aufgeteilt nach vier Weltregionen, sind die Länder mit dem höchsten
Lebensstandard zuoberst platziert, die ärmsten Länder zuunterst. Allerdings sind zu dieser
Tabelle zwei kritisch-statistische Vorbemerkungen nötig:
1. Wir haben schon gesehen, dass das BSP nicht als Wohlstandsmass konzipiert wur-
de und deshalb BSP-Daten als Wohlstandsindikator entsprechend mit Vorsicht zu in-
terpretieren sind. Vorsichtig müssen wir insbesondere bei internationalen Vergleichen
sein. Denn in einfachen Gesellschaften sind die Anteile der Haushaltarbeit, Selbstver-
sorgung und «Schwarzarbeit» grösser als in hoch entwickelten - und all dies wird im
BSP nicht mitgezählt. Darum wird in unserer Tabelle der Unterschied zwischen armen
und reichen Ländern überschätzt.
2. Zudem gibt es bei internationalen Vergleichen eine zweite grosse Unsicherheit: Die
einzelnen Landeswerte müssen, um sie vergleichbar zu machen, in eine einheitliche
Währung (meist US-$) umgerechnet werden. Mit welchem Wechselkurs soll man um-
rechnen? Üblicherweise werden die einzelnen Landesvverte mit den gehandelten, offi-
ziellen Dollarkursen umgerechnet. Solche Werte werden häufig in den Medien verbrei-
tet. Die gehandelten Wechselkurse entsprechen nur selten den tatsächlichen Kauf-
kraftverhältnissen. Vielmehr werden die Währungen der armen Länder auf den Devi-
senmärkten meist stark unterbewertet. Damit erscheinen in einem internationalen Ver-
gleich die täglichen Güter in armen Ländern viel billiger als in reichen. Der Wert der in
den Entwicklungsländern produzierten Güter wird unterschätzt.

In der folgenden Tabelle sind zwar alle BSP-Daten in US-$ umgerechnet - aber es wurden
nicht die offiziellen Wechselkurse verwendet, sondern Kurse, welche die unterschiedlichen
Lebenshaltungskosten berücksichtigen. Das heisst, es wurden Umrechnungskurse ver-
wendet, die den Kaufkraftparitäten entsprechen. Diese Kaufkraftparitäten wurden auf-
grund von Gütern des täglichen Verbrauchs berechnet und nicht wie im Kapitel 4 des Lern-
hefts 4 aufgrund von international handelbaren Gütern. Unser Ziel ist ein Vergleich des
Lebensstandards in einzelnen Ländern.

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8 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

[1-1] Bruttosozialprodukt pro Kopf in 80 Ländern für 2001, in Kaufkraftparitäten-US-$ zu


Preisen von 2001

, Europa, USA, Australien Lateinamerika Süd- und Ostasien Nahost und Afrika
USA 34870
Schweiz 31320
Irland 27460 Japan 27430
Niederlande 26440 Hongkong 26050
Australien 25780
Deutschland 25530
Frankreich 25280
Finnland 25180 Singapur 24910
Grossbritannien 24460
Italien 24340 Taiwan 22000
Spanien 20150 Israel 19330
Griechenland 17860 Südkorea 18110
Portugal 17270
Tschechien 14550
Ungarn 12570 Argentinien 11690 Saudi-Arabien 11390
Polen 9280 Chile 9420 Südafrika 9510
Russland 8660 Mexiko 8770 Malaysia 8340
Weissrussland 8030 Brasilien 7450 Türkei 6640
Rumänien 6980 Kolumbien 5980 Thailand 6550 Tunesien 6450
Venezuela 5890 Iran 6230
Kasachstan 6370 Dominik. Rep. 5870 Algerien 5150
Peru 4680 Philippinen 4360
El Salvador 4500 China 4260
Ukraine 4150 Guatemala 3850 Ägypten 3790
Jamaica 3650 Sri Lanka 3560 Marokko 3690
Ekuador 3070 Syrien 3440
Indonesien 2940 Simbabwe 2340
Usbekistan 2470 Bolivien 2380 Indien 2450
Nicaragua 2100 Vietnam 2130 Ghana 1980
Pakistan 1920 Kamerun 1670
Bangladesh 1680 Senegal 1560
Haiti 1450 Nepal 1450 Elfenbeinküste 1470
Uganda 1250
Burkina Faso 1020
Kenia 1020
Tschad 930
Madagaskar 870
Nigeria 830
Sambia 790
Niger 770
Äthiopien 710
Kongo/Zaire 680
Burundi 590
Sierra Leone 480

Quellen: Weltbank, VVeltentwicklungsbericht 2003 und IWF, VVorld Economic Outlook (für Taiwan)

Hinweis Hongkong gilt zwar seit Mitte 1997 nicht mehr als eigenständiger Staat, wird aber aufgrund seiner
wirtschaftlichen Bedeutung im Folgenden von China gesondert aufgeführt.

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GRUNDLAGEN 6/6 9
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

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Oben: Maisaussaat im Sahel (Kanem, Tschad). Was für den Eigenbedarf produziert wird, erscheint
nicht im BSP. Unten: Orissa, Indien. Überschüsse, die nicht selbst konsumiert werden, gelangen
auf den Markt. Sie erscheinen im BSP - vorausgesetzt, die Statistiker können sie überhaupt erfas-
sen. Fotos: B. Beck

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10 GRUNDLAGEN 6/6
1 1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Afrika südlich der Sahara: Die Daten für das Pro-Kopf-BSP in Kaufkraftparitäten-Dollars
zeigen uns, dass die ärmsten Länder der Erde in Afrika südlich der Sahara liegen. Aber auch
in diesem ärmsten Teil der Erde sind die Unterschiede zwischen den Staaten sehr gross: In
Simbabwe ist das BSP pro Kopf mit 2340 KKP-$ fünfmal so gross wie in Sierra Leone. Im
Gegensatz dazu sind die Unterschiede zwischen den Ländern der ersten Welt kleiner. In
den USA ist das BSP pro Kopf nur zweimal so gross wie in Griechenland.

Afrika nördlich der Sahara: In Nordafrika und im Nahen Osten ist der Lebensstandard
höher (über 3600 KKP-$ für Marokko oder Ägypten, über 6000 KKP-$ für Tunesien), und
nochmals um vieles höher ist er bekanntlich in den Erdölländern.

Süd- und Ostasien: Ein fast ebenso weites Spektrum wie Afrika und der Nahe Osten wei-
sen die Entwicklungsländer Süd- und Ostasiens auf. Sehr arm sind die bevölkerungsrei-
chen Länder Indien, Pakistan und Bangladesch. Etwas höher ist der Lebensstandard in
China. Daneben scheren einige kleinere Länder Ost- und Südostasiens nach oben aus. Die
vier kleinen Tiger Hongkong, Singapur, Taiwan und Südkorea erreichen Werte, die sich mit
europäischen vergleichen lassen.

Lateinamerika: Die grossen Länder Lateinamerikas (Brasilien, Argentinien und Mexiko)


haben einen deutlich höheren durchschnittlichen Lebensstandard als Asien oder Afrika.
Hier sind es kleinere Länder wie Bolivien, Nicaragua und Haiti, die gegen unten aussche-
ren. Dennoch ist das Elend in fast ganz Lateinamerika ebenso verbreitet wie in Afrika oder
Asien. Warum das? Der nächste Abschnitt zeigt, warum: Die Einkommen innerhalb der
meisten Entwicklungsländer sind sehr ungleich verteilt.

[1-2] BSP pro Kopf (in KKP-$) einiger ausgewählter Länder

Schweiz

Deutschland

Marokko

Mali

Ghana
Tunes e

Ni er
g

Nigeria
Pole

Kamerun
kraine

Tu ke

Agyp en

Athiopien
Russland

Saudi-Arab.
<Do.

Pakistan

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ni
Hongkong

Nepal

B De,
China

Thailan
1011
41

Philip
rea
Japan

UgandaKeni Sri Lanka


Elfenbeink. 1
Malaysia
Burundi Tans nia ?Je;
Sambia

i eM
Simlbabw I
I I tfagaskar

Australien

Südafrika

Deutlich sichtbar werden auch die extremen Unterschiede zwischen den Entwicklungsländern.
Die Werte finden Sie in Tabelle 1-1, S. 8.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 11
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

Internationale Vergleiche des Pro-Kopf-BSP zeigen extreme Unterschiede zwischen Ent-


wicklungs- und Industrieländern, aber auch eine grosse Vielfalt innerhalb der
Entwicklungsländer. Folgende Gruppen lassen sich unterscheiden:
• Die ärmsten Regionen der Welt sind: Afrika südlich der Sahara, die kleineren Staaten
Lateinamerikas und die bevölkerungsreichen Länder Südasiens.
• Etwas wohlhabender (zumindest im statistischen Durchschnitt) sind die nordafrikani-
schen und die grossen lateinamerikanischen Länder, ebenso der Nahe Osten und die
meisten südostasiatischen Länder.
• Die Erdölländer sind (wiederum im Durchschnitt) sehr wohlhabend.
• Den Anschluss an Einkommen und Lebensstandard der Industrieländer haben die vier
kleinen Tiger (Hongkong, Singapur, Taiwan und Südkorea) erreicht.

Die Aussagekraft von Vergleichen aufgrund des BSP ist aus zwei Gründen beschränkt:

Erstens unterschätzt das BSP die Produktion wenig industrialisierter Länder, da hier
viele Leistungen ausserhalb des Marktsystems erbracht werden.

Zweitens verzerren die offiziellen VVechselkurse die Zahlen zugunsten der industrialisierten
Länder. Abhilfe schaffen Wechselkurse, die die Kaufkraftparitäten widerspiegeln.

Aufgabe 10 Betrachten Sie noch einmal Tabelle 1-1, S. 8!

Al Um das VVievielfache ist ein durchschnittlicher Schweizer reicher als ein durchschnittli-
cher Grieche oder als ein durchschnittlicher Ungar? Um das VVievielfache ist eine durch-
schnittliche Deutsche reicher als eine durchschnittliche Thailänderin, Ägypterin oder Ein-
wohnerin von Singapur? Rechnen Sie auf ganze Zahlen genau!

B] Innerhalb der westlichen Industrieländer sind die Einwohner des reichsten Landes (USA)
etwa doppelt so reich wie die des ärmsten Landes (Griechenland). Stellen Sie bitte die ent-
sprechenden Vergleiche an für
• Lateinamerika,
• Süd- und Ostasien,
• Nahost und Nordafrika,
• Afrika südlich der Sahara.

Rechnen Sie auch hier auf ganze Zahlen genau.

C] Warum sind Vergleiche wie unter A] und B] nur von beschränkter Aussagekraft?

1.1.2 Wie ist der Wohlstand innerhalb der Länder verteilt?

Die durchschnittlichen Pro-Kopf-BSP der Tabelle 1-1, S. 8 verdecken etwas sehr Wichti-
ges, nämlich die oft riesige Kluft innerhalb der einzelnen Entwicklungsländer. Ein Bild
über diese Kluft gibt uns die folgende Tabelle, wo wir gewaltige Ungleichheiten in der Ein-
kommensverteilung beobachten können. Vor allem in lateinamerikanischen Entwicklungs-
ländern sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich besonders krass - am krassesten
in Brasilien. Dort sind die ärmsten 10% 14-mal ärmer als der Durchschnitt oder 68-mal
ärmer als die reichsten 10% der Bevölkerung.

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12 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

[1-3] Ungefähre Einkommensverteilung in 24 Ländern

Anteile am Volkseinkommen in % Verhältnis


reichste 10% '
ärmste 10 °A reichste 10%
zu ärmsten 10 0/0
Japan (1993) 4,8 22 4,6
Finnland (1991) 4,2 22 5,2
Indonesien (1999) 4,0 27 6,8
BRD (1994) 3,3 24 7,3
Schweiz (1992) 3,2 24 7,5
Sri Lanka (1995) 3,5 28 8,0
Niederlande (1994) 2,8 25 8,9
Frankreich (1995) 2,8 25 8,9

Nepal (1995/96) 3,2 30 9,4


Tansania (1993) 2,8 30 10,7
Thailand (1998) 2,8 32 11,4
Marokko (1998/99) 2,6 31 11,9
China (1998) 2,4 30 12,5
Kenia (1997) 2,4 36 15,0
Philippinen (1997) 2,3 37 16,1
USA (1997) 1,8 31 17,2

Peru (1996) 1,6 35 21,9


Russland (1998) 1,7 39 22,9
Nigeria (1996/97) 1,6 41 26,0
Mexiko (1998) 1,3 42 32,3
Chile (1998) 1,3 46 35,4
Kolumbien (1996) 1,1 46 41,8
Südafrika (1993/94) 1,1 46 41,8
Brasilien (1998) 0,7 48 68,6

Ungefähre Einkommensverteilung in 24 Ländern. Quellen: Weltbank: VVeltentwicklungsbericht


2003, Leu/Burri/Priester: Lebensqualität und Armut in der Schweiz, Bern 1997

Armut ist mehr als Einkommensschwäche: Armut beeinflusst alle Bereiche des Lebens.
Arme sind nicht nur von Hunger bedroht, sie sind auch anfälliger für Krankheiten, sie haben
weniger Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zu Wissen, und sie müssen sich
höher gestellten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schichten unterordnen. Armut
bedeutet sehr oft den Verlust von Würde und Selbstachtung.

Vergegenwärtigen wir uns hier auch, dass es in fast allen Entwicklungsländern eine Ober-
schicht gibt, die einen äusserst luxuriösen Lebensstil führt. Sie bewohnt abgeschirmte
Quartiere mit erstklassigen Strassen, Spitälern und Schulen.

Innerhalb der einzelnen Entwicklungsländer ist die Einkommensverteilung meist sehr


ungleich. In der Regel (aber nicht immer) sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich
grösser als in den industrialisierten Ländern. Besonders krass sind die Einkommensunter-
schiede in den lateinamerikanischen Ländern.

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GRUNDLAGEN 6/6 13
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1.1.3 Wie hängen Einkommen und Lebensqualität zusammen?

Wie unterschiedlich die Lebensqualität in den einzelnen Ländern sein kann, erahnen wir
aus der folgenden Tabelle mit Daten über die Lebenserwartung in den einzelnen Ländern.

[1-4] Lebenserwartung bei der Geburt 2000 in 75 Ländern

Europa, USA Lateinamerika Süd- u. Ostasien Nahost u. Afrika


Japan 81
Schweiz 80 Hongkong 80
Singapur 78 Israel 78
Deutschland 77
USA 77
Portugal 76 Chile 76
Tschechien 75 Jamaica 75
Argentinien 74
Polen 73 Venezuela 73 Sri Lanka 73
Mexiko 73 Südkorea 73
Malaysia 73 Saudi-Arabien 73
Kolumbien 72 Tunesien 72
Iran 69
Usbekistan 70 China 70 Algerien 71
Rumänien 70 El Salvador 70 Thailand 69 Syrien 70
Ecuador 70 Vietnam 69 Türkei 69
Nicaragua 69 Philippinen 69
Ukraine 68 Brasilien 68 Ägypten 67
Marokko 67
Indonesien 66
Russland 65 Guatemala 65
Kasachstan 65 Indien 63
Bolivien 63 Pakistan 63
Bangladesch 61 Ghana 57
Nepal 59 Jemen 56
Madagaskar 55
Kambodscha 54 Senegal 52
Haiti 53 Kamerun 50
Tschad 48
Südafrika 48
Kenia 47
Nigeria 47
Angola 47
Elfenbeinküste 46
Niger 46
Kongo/Zaire 46
Tansania 44
Burkina Faso 44
Mali 42
MoQambique 42
Burundi 42
Äthiopien 42
Uganda 42
Simbabwe 40
Sierra Leone 39
Malawi 39
Sambia 38

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 2003

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


14 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Hängt die Lebenserwartung vom Einkommen ab? Die höchste Lebenserwartung haben
die reichen Länder. In den schwach entwickelten Ländern hingegen führen Unterernäh-
rung, schlechte hygienische Verhältnisse und ungenügende medizinische Versorgung wei-
terhin zu einer Lebenserwartung, die viel niedriger ist als in stark entwickelten Ländern. Am
niedrigsten ist sie in den ärmsten Ländern Südamerikas, auf dem indischen Subkontinent
und vor allem in Afrika südlich der Sahara, wo die Lebenserwartung als Folge der Aids-Epi-
demie sogar wieder abnimmt. Und was die Tabelle nicht zeigen kann: Auch innerhalb der
einzelnen Länder ist die Lebenserwartung der Armen niedriger.

Die folgende Abbildung zeigt, dass die Lebenserwartung positiv mit dem Einkommen kor-
reliert: Je höher das BSP pro Kopf, desto höher die Lebenserwartung. Erwähnenswert sind
aber Länder wie Sri Lanka oder Jamaika, in denen man sich trotz niedrigem Lebensstan-
dard auf ein sehr langes Leben einstellen kann. Diese Länder richten grosse Anstrengun-
gen auf die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse, der medizinischen Versorgung
und der Ernährung der Armen.

[1-5] BSP pro Kopf und Lebenserwartung 2000/2001

Lebenserwartung
KKP-US-$ in Jahren
Westliche Industrieländer Lateinamerika Süd- und Ostasien Nahost und Afrika
35000 — 85

80

1
30000 —
- 75
25000 — - 70

- 65
20000 —
- 60
15000 — - 55

10000 - 50

- 45
5000 -

0 11 11 ca C cm 03 -0 co
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- 40
35
Kasachstan

Saudi-Arabien
Usbekistan
Tschechien

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03

BSP pro Kopf in KKP-US-$ 2001 Lebenserwartung 2000

Daten der Tabellen 1-1, S. 8 und 1-4, S. 13.

Aus den gleichen Gründen wie das BSP ist auch das Einkommen als Masszahl für den
Lebensstandard nur bedingt geeignet. Ein alternativer Indikator ist z. B. die Lebenserwar-
tung.

Die Bewohner der ärmsten Entwicklungsländer haben auch eine geringere Lebens-
erwartung. Im internationalen Vergleich weisen jedoch auch einige arme Länder durch-
schnittliche Lebenserwartungen auf, die fast die Werte der Industrieländer erreichen. In
solchen Ländern ist die Grundversorgung der Ärmsten mit Nahrungs- und Gesundheitsgü-
tern gesichert.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 15
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

Aufgabe 1 Angenommen, Sie müssten sich entscheiden, in welchem der folgenden Länder Sie in den
nächsten Jahren leben wollten: Sri Lanka, Indonesien, Marokko, Russland oder Kolumbien.
Welche Entscheidung würden Sie jeweils treffen?

A] Sie gehen in das Land mit dem höchsten BSP pro Kopf, in $, umgerechnet zu Kaufkraft-
paritäten.

B] Sie möchten in das Land gehen, in dem die Unterschiede zwischen Arm und Reich am
geringsten sind.

C] Sie gehen davon aus, dass Sie zu den reichsten 10% gehören werden, und rechnen zu
Kaufkraftparitäten.

D] Sie gehen davon aus, dass Sie zu den ärmsten 10% gehören werden und rechnen zu
Kaufkraftparitäten.

E] Sie möchten möglichst alt werden; wie viel Sie verdienen, ist Ihnen gleich.

Aufgabe 4 Nennen Sie drei Gründe, warum in Drittweltstaaten die Lebenserwartung so tief ist.

Strassenkehrerin in Hengyang, China. Foto: B. Beck Strassenkehrerin in Maharashtra, Indien.


Foto: B. Beck

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16 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1.1.4 Stehen die Entwicklungsländer heute besser da als früher?

Auch in den heute reichen Ländern herrschte früher Armut. Im Gegensatz zu den heutigen
Entwicklungsländern ist ihre Produktion pro Kopf aber in den letzten zwei- bis dreihundert
Jahren kontinuierlich gewachsen. Heute ist Wirtschaftswachstum ein weltweites Phäno-
men. Auf dem Weg, der Armut zu entrinnen, sind die einzelnen Entwicklungsländer aber
sehr unterschiedlich erfolgreich. Dies zeigt in eindrücklicher Weise die folgende Tabelle mit
dem Wachstum des realen BSP pro Kopf seit 1965:

[1-6] Wachstum des realen BSP pro Kopf von 1965-2001 in 50 Ländern (in °/0)

Europa, USA Lateinamerika Süd- und Ostasien Nahost und Afrika


China 6,9
Südkorea 6,2
Singapur 6,1
Thailand 4,5
Indonesien 4,0
Malaysia 3,6
Portugal 3,1 Japan 3,2 Ägypten 3,4
Sri Lanka 2,9
Pakistan 2,6 Tunesien 2,9
Italien 2,4 Brasilien 2,0 Indien 2,5 Israel 2,4
Kolumbien 1,9 Marokko 1,9
Deutschland 1,8 Chile 1,8 Türkei 1,6
USA 1,6 Mexiko 1,5 Bangla- 1,7 Kamerun 1,5
desch
Russland 1,4
Polen 1,3 Kenia 1,2
Schweiz 1,2 Nepal 1,2 Burundi 0,9
Guatemala 0,8 Philippinen 0,9 Saudi-Ara- 0,7
bien
Mali 0,7
Südafrika 0,1
Peru -0,1 Nigeria 0,1
Rumänien -0,3 Bolivien -0,3 Senegal -0,1
Haiti -0,7 Ghana -0,1
Venezuela -1,1 Elfenbein- -0,7
küste
Madagaskar -1,4
Sambia -1,8
Niger -2,0
Kongo/Zaire -3,5

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsberichte, div. Jahrgänge

Die höchsten Wachstumsraten erreicht Ostasien. Mit über 6% pro Jahr stieg dort das
Pro-Kopf-BSP seit 1965 auf das Achtfache. Damit haben heute Südkorea, Singapur, Hong-
kong und auch Taiwan Anschluss an die reichen Länder gefunden.

Nach diesen vier kleinen Tigern stehen auch andere Länder an der Schwelle zu entwickel-
ten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften. Man nennt sie deshalb Schwellenlän-
der. Dazu gehören Malaysia, Thailand, der grosse Tiger China, Indonesien, Brasilien,
Kolumbien, Chile, Ägypten, Tunesien oder die Türkei.

Im Gegensatz dazu haben die Staaten südlich der Sahara und auch einige lateinamerika-
nische Staaten grosse Schwierigkeiten ihre Massenarmut zu überwinden. Beachten Sie, in
wie vielen Staaten das Pro-Kopf-BSP zurückgeht!

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GRUNDLAGEN 6/6 17
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Die Wirtschaft hat sich in Afrika und Ostasien sehr unterschiedlich entwickelt. So
hatten vor 35 Jahren Sambia und Kongo/Zaire noch das etwa gleich grosse Pro-Kopf-BSP
wie Südkorea. Heute aber ist Südkorea ein reiches Land, während die beiden afrikanischen
Staaten zu den ärmsten der Welt gehören.

Gerade die ärmsten Länder fallen zurück. Viele der Länder, die schon 1965 zu den ärms-
ten gehörten, haben seither nur ein schwaches oder sogar ein negatives Wachstum des
Pro-Kopf-BSP erreicht. Dazu gehören neben den Ländern südlich der Sahara auch einige
Länder Südamerikas. Der Abstand der ärmsten Länder zu den reichsten hat sich seit 1965
vergrössert.

[1-7] Wachstum des realen BSP pro Kopf von 1965-2001 in 25 Ländern

, 7J"

-C:29 Deutsch-
land

Venezuela Philippinen

Beispiele Massstab

/\
Singapur Saudi-
6,1 % Arabien
0,7 % Venezuela
-1,1 %

Daten aus der Tabelle 1 -6, S. 16.

Die wichtigste Frage für die nächsten Abschnitte drängt sich damit auf: Warum gelingt es
vielen Ländern bis heute nur zögernd oder gar nicht, sich aus materieller Armut zu befreien
- während andere Länder auf spektakuläre Weise erfolgreich sind? Wir werden im Folgen-
den eine Liste von Entwicklungshemmnissen studieren. Sie treten in allen Entwicklungs-
ländern auf - in den ärmsten Ländern wiegen sie am schwersten.

Gemessen am Pro-Kopf-BSP geht es den ärmsten Entwicklungsländern heute nur wenig


besser oder sogar schlechter als vor 10 Jahren. Dagegen weisen die Schwellenländer in
Lateinamerika, Nordafrika und Süd- und Südostasien Wachstumsraten auf, die gleich hoch
oder sogar höher als diejenigen der Industrieländer sind.

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18 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1.2 Eine eigene ökonomische Theorie für Entwicklungsländer?

Benötigen wir zur Erklärung der Wirtschaft von Entwicklungsländern eine eigene ökono-
mische Theorie? Früher wurde diese Frage bejaht. Es gab noch vor ein paar Jahrzehnten
eine klare Grenze zwischen reichen industrialisierten Staaten und dem Rest der Welt.

Unterdessen aber haben vier asiatische Länder (Singapur, Taiwan, Hongkong und Südko-
rea) zu den reichen aufgeschlossen, und viele ehemals mausarme Länder (wie China und
Ägypten) sind daran, ihre wirtschaftliche Lage in dramatischem Tempo zu verbessern. Die
Grenze zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern ist fliessender
geworden. Doch es gibt daneben auch Regionen (vor allem Afrika südlich der Sahara), die
weiterhin arm bleiben. Daraus resultiert eine riesige Vielfalt von ökonomischen Entwick-
lungsstadien - mit kontinuierlichen Abstufungen von den reichsten bis zu den ärmsten -
und von sich rasant entwickelnden bis zu stagnierenden Volkswirtschaften.

Weiter betont die moderne ökonomische Theorie die zentralen Rollen des Wissens, der
politischen und sozialen Institutionen sowie des technischen und organisatorischen
Wandels für die wirtschaftliche Entwicklung. Auch unter diesem Blickwinkel verwischen
sich die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Kräften, die das Wirtschaftswachstum in
ärmeren und reicheren Ländern vorantreiben.

Eine wichtige Trennlinie bleibt aber bestehen -bund zwar zwischen wachsenden Volks-
wirtschaften und armen Ländern, in denen die Einkommen seit jeher stagnieren.
Länder, die noch nie ein anhaltendes Wirtschaftswachstum erlebt haben, haben vermut-
lich gesellschaftliche und politische Strukturen, die vom Rest der Welt sehr verschieden
sind. Wenn die Menschen in solchen Ländern Wirtschaftswachstum wünschen, müssen
sie wohl fundamentale Änderungen in ihrer Gesellschaft und ihrer Wirtschaftspolitik in
Betracht ziehen.

Weil wir uns hier mit allen Entwicklungsländern befassen wollen, besprechen wir sowohl
rasant wachsende wie auch stagnierende Volkswirtschaften. Sie haben in den Übersicht-
stabellen Länder mit spektakulären BSP-Wachstumsraten angetroffen, wie auch Länder,
deren Wohlstands- und Wohlfahrtsindikatoren sich verschlechtert haben. Zur Hauptsache
konzentrieren wir uns aber auf ärmere Entwicklungsländer, und damit auf Entwicklungs-
hemmnisse und auf mögliche Strategien, diese zu überwinden.

Die Frage, warum so viele Länder arm geblieben sind und viele davon trotz grosser
Anstrengungen weiterhin arm bleiben, ist schwer zu beantworten und auch stark umstrit-
ten. Trotzdem wollen wir ein paar einfache, aber grundlegende Mechanismen beleuchten.
Dabei können wir uns bewusst machen, wie viel nötig gewesen ist, um unsere Wirt-
schaftsmaschinerie aufzubauen, und wie viel es bedarf, um sie aufrechtzuerhalten und
auszubauen. Wir gehen dabei von zwei grundlegenden Gedanken aus:
• Die Bewohner eines Landes sind wohlhabend, wenn sie viele Ressourcen zur Verfü-
gung haben. Entscheidend für den Reichtum der Europäer, Nordamerikaner, Japaner
und Australier sind dabei weniger die Bodenschätze als die Produktionsfaktoren, die
von Menschen aufgebaut wurden: eine grosse Anzahl von leistungsfähigen Kapitalgü-
tern, gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die technisches und organisatorisches Wissen,
also Know-how, vorweisen.
• Die Bewohner eines Landes sind wohlhabend, wenn diese Ressourcen effizient ein-
gesetzt werden.

Kapitalintensität, gute Ausbildung und technisches und organisatorisches Wissen und der
effiziente Ressourceneinsatz sind die entscheidenden Grundlagen für Reichtum. Darum
erstaunt es nicht mehr so, dass von der Natur so verschieden ausgestattete Länder wie das
rohstoffarme Japan und das rohstoffreiche Kanada oder das dicht besiedelte Holland und
das weite Australien etwa das gleiche Wohlstandsniveau erreichen.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 19
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

1.3 Entwicklungshemmnisse

Die Bewohner eines Landes können aus drei Gründen arm sein:
1 Sie sind arm an Ressourcen pro Kopf: Es gibt zu wenig fruchtbare Böden, zu wenig Bo-
denschätze, es fehlen ihnen Kapitalgüter, ausgebildete Arbeitskräfte, technisches und
organisatorisches Wissen. Zudem sind ihre Umweltgüter oft schwer beschädigt.
2. Sie nutzen diese Ressourcen nicht wirkungsvoll.
3. Ein Teil ihrer Ressourcen und ihrer Produktion wird ihnen auf die eine oder andere Art
weggenommen.

In den Entwicklungsländern treten häufig alle drei Gründe miteinander auf - doch betrach-
ten wir zuerst die fehlenden Ressourcen:

1.3.1 Mangel an natürlichen Ressourcen

Mangel an fruchtbarem Land: Arme Länder sind arm an Produktionsfaktoren. Viele dicht
bevölkerte Regionen (Ägypten, Pakistan, Indien, Bangladesch, Java, Philippinen, China) lei-
den unter einem starken Mangel an fruchtbaren Böden. Die meisten Bauern bearbeiten win-
zige Äcker oder müssen gar ihren Lebensunterhalt als landlose Knechte, meist nur mit sai-
sonaler Anstellung, verdienen. Und mit dem starken Wachstum der Bevölkerung dramatisiert
sich die Lage scheinbar unaufhaltsam. Zwar konnten bis heute weltweit die Ernteerträge -
vor allem dank der Entwicklung neuer, ertragreicherer oder schädlingsresistenterer Getrei-
desorten - mit der Weltbevölkerung mehr als Schritt halten. Doch die Verteilung des knappen
Landes und damit der Nahrung ist damit noch nicht gelöst -etwa ein Viertel der Menschen
in den Entwicklungsländern ist weiterhin unterernährt und von Hunger bedroht. (Auf die
Landverteilung kommen wir in den Abschnitten 1.3.5, S. 26 und 1.4.3, S. 39 zurück.)

Bodenschätze als Gefahr für wirtschaftliche Entwicklung: Einige der Entwicklungslän-


der sind allerdings reich an Bodenschätzen. Bekannt ist der märchenhafte Reichtum, den
einige kleine Ölscheichtümer oder -sultanate anhäufen können. Doch häufig gefährdet der
Reichtum an Bodenschätzen die wirtschaftliche Entwicklung, weil politische Kämpfe um
die Verfügungsgewalt an den Bodenschätzen mehr Gewinn versprechen als die Produktion
von Gütern. Die Verteilungskämpfe führen nicht selten zu Bürgerkriegen und Unruhen (wie
in Kongo/Zaire, Angola oder Ecuador) und zerrütten die Basis für anhaltendes Wirtschafts-
wachstum.

Natürliche Ressourcen sind kein Garant für wirtschaftliche Entwicklung: Reiche natür-
liche Ressourcen können zwar wirtschaftliches Wachstum fördern, doch garantieren kön-
nen sie es nicht. Neben Kongo/Zaire, Angola und Ecuador haben auch die mit natürlichem
Reichtum gesegneten Länder Uganda, Sambia, Argentinien und Russland wenig beeindru-
ckende wirtschaftliche Fortschritte gemacht - während Japan, Taiwan und auch die Schweiz
ohne Bodenschätze und besonders fruchtbare Erde zu Reichtum aufgestiegen sind.

1.3.2 Bevölkerungswachstum - der demographische Übergang

Hohes Bevölkerungswachstum verschärft die Armut: Nicht nur der Druck auf das knappe
bebaubare Land wächst. Auch die Investitionen in Kapitalgüter und Ausbildung werden
gehemmt - Hemmnisse, die fast jede kinderreiche Familie erlebt. Wer viele Kinder hat,
kann weniger sparen und weniger in die Gesundheit und die Ausbildung seiner Kinder
investieren.

In den vergangenen 250 Jahren hat sich die Erdbevölkerung auf 6 Milliarden verachtfacht,
und bis zum Jahr 2025 werden voraussichtlich fast 8 Milliarden Menschen unsere Erde
bevölkern. Wie die folgende Tabelle zeigt, tragen seit 1950 vor allem die Entwicklungs-
länder zu diesem Wachstum bei.

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20 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

[1-8] Das Wachstum der Weltbevölkerung in Mio.


Jahr Industrieländer Entvvicklungs- Weltbe-
(inkl. GUS) länder völkerung
1750 200 590 790
1800 250 730 980
1850 340 950 1260
1900 560 1090 1650
1950 830 1720 2550
2000 1270 4810 6080
2025 1350 6490 7840

Quellen: W.W. Rostovv: The Great Population Spike and After, New York 1998; US Census Bureau

Die Bevölkerungszahl der reichen Länder nimmt heute nur noch schwach zu. Hier können
wir in den vergangenen 250 Jahren vier Phasen - dargestellt in der folgenden Abbildung -
unterscheiden:
• In der vorindustriellen Phase liessen hohe Geburtenratenl l wie auch hohe Sterbera-
ten21 die Bevölkerungszahl nur schwach anwachsen. Diese Phase dauerte in Europa
bis etwa ins Jahr 1700.
• In der Frühphase der industriellen Entwicklung führten Fortschritte in der Hygiene
und der Medizin zu einem Rückgang der Sterblichkeitsraten. Die Geburtenzahlen blie-
ben aber weiterhin hoch, so dass die Bevölkerungszahl Europas und Nordamerikas von
1700 bis 1870 in die Höhe schnellte.
• In der Phase der fortgeschrittenen industriellen Entwicklung, etwa von 1870 bis
1970/80, riefen eine geringere Säuglingssterblichkeit, ein höheres Bildungsniveau und
die Etablierung der Sozialversicherungen bei vielen Ehepaaren den Wunsch nach klei-
neren Familien hervor. Die Geburtenzahlen sanken, die Bevölkerung vermehrte sich
langsamer.
• In der Reifephase werden die Geburtenzahlen erfolgreich kontrolliert, die Zahl der ge-
wollten und geborenen Kinder geht auf etwa 2 pro Familie zurück, so dass die Bevöl-
kerungszahl leicht abnimmt. Etwa 1970 sind Deutschland und Dänemark in diese Pha-
se eingetreten, seit 1975 Grossbritannien und Italien und seit 1980 auch Spanien. Ihre
Einwohnerzahl steigt heute nur noch durch Einwanderung.

[1 -91 Die vier Phasen des demographischen Übergangs

Geburtenrate
50
Sterberate
40

Wachstumsrate
30 der Bevölkerung

20

10

0
vorindustrielle Frühphase der fortgeschrittene Reifephase
Phase industriellen industrielle
Entwicklung Phase

1] Geburtenrate = Anzahl Geburten pro Tausend Einwohner.


2] Sterberate = Anzahl Todesfälle pro Tausend Einwohner.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 21
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer 1

Auch die heute reichen Länder haben also im Laufe ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eine
stürmische Bevölkerungszunahme erfahren. Mit höherem Wohlstand stagnierte aber
das Bevölkerungswachstum.

Wie die folgende Tabelle zeigt, zeichnet sich auch in den Entwicklungsländern ein Rück-
gang des Bevölkerungswachstums ab. Es wiederholt sich also nicht nur die starke Vermeh-
rung in der Frühphase, sondern auch die Verlangsamung in der fortgeschrittenen Phase:

[1-10] Die Abnahme von Geburten- und Sterberaten im Verlauf der wirtschaftlichen
Entwicklung

Geburtenrate Sterberate natürliche


Wachstumsrate
1965 2000 1965 2000 1965 2000
Angola 49 48 29 19 20 29
Mali 50 46 27 19 23 27
Indien 45 26 20 9 25 17
Brasilien 39 20 11 7 28 13
Thailand 41 17 10 7 31 10
Südkorea 35 14 11 6 24 8
Italien 19 9 10 10 9 -1
BRD 17 9 12 10 5 -1

Anmerkung: Alle Raten beziehen sich auf Tausend Einwohner. Die natürliche Wachstumsrate ist
die Differenz aus Geburten- und Sterberate. Für Angola heisst das z. B.: Die Bevölkerung wächst
2000 um 29 Köpfe je Tausend Einwohner (Differenz aus Geburtenrate 48 - Sterberate 19), und zwar
allein aufgrund natürlicher Vorgänge. Um die tatsächliche Wachstumsrate zu erhalten, müssten
noch Zu- und Abwanderungen berücksichtigt werden. Quelle: Weltbank

Angola und Mali in der 2. Phase: Die Entwicklungsländer haben heute alle die erste
Phase hinter sich gelassen. Die ärmsten Länder wie Angola und Mali sind heute in der
zweiten, in der Frühphase der industriellen Entwicklung. So werden auch heute noch wie
vor 25 Jahren um die 50 Babys pro 1000 Einwohner geboren, obwohl die Sterberate schon
1965 um einiges tiefer war als die Geburtenrate und seither weiter gesunken ist. Ihre Ein-
wohnerzahl erhöht sich darum wie nie zuvor.

Indien schon in der 3. Phase: Auch Indien, Brasilien, Thailand oder Südkorea waren 1965
alle noch in der zweiten Phase des hohen Wachstums. Heute sind Indien, Brasilien und
Thailand in der dritten Phase. Südkorea ist bereits weiter als Italien 1965. Und Italien sei-
nerseits hat unterdessen, so wie andere reiche Länder auch, das Reifestadium erreicht.

Phasen mit hohem Bevölkerungswachstum dauern oft lang: Viele Entwicklungsländer


verweilen sehr lange in den Phasen 2 und 3 mit hohem Bevölkerungswachstum. Nicht
zuletzt deshalb, weil es ihnen nicht gelingt, ihre Armut so schnell zu überwinden wie Süd-
korea - und diese Entwicklungsländer haben somit wenig Erfolg im Kampf gegen die
Armut, weil ein hohes Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung hemmt.
Armut und hohe Geburtenraten bedingen sich gegenseitig - ein fataler Kreislauf.

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22 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Der Zusammenhang von Industrialisierung und Bevölkerungswachstum lässt sich mit den
vier Phasen des demographischen Übergangs beschreiben. In der vorindustriellen Phase
(1. Phase) sind Geburten- und Sterberate hoch; insgesamt wächst die Bevölkerung wenig.
Mit Beginn der Industrialisierung (2. Phase) sinkt die Sterblichkeit. Es resultiert ein rasantes
Bevölkerungswachstum. In der 3. Phase passen sich die Familien den neuen Lebensum-
ständen an; auch die Geburtenrate beginnt zu sinken, bis sie schliesslich in der Reifephase
(4. Phase) etwa so tief wie die Sterblichkeitsrate ist.

Die vier Phasen kennzeichneten die europäische Industrialisierung - und es deutet viel dar-
auf hin, dass sie sich in den Entwicklungsländern wiederholen. Die ärmsten Länder der
Welt befinden sich noch in der 2. Phase, einige der etwas wohlhabenderen und die
Schwellenländer in der 3. Phase.

Aufgabe 6 Tragen Sie ungefähr ein, an welchen Stellen des demographischen Übergangs 1965 und
2000 sich die Länder Mali, Angola, Indien und Italien befanden. Zur Orientierung ist die
Lösung für Mali schon eingetragen.
- Mali 1965

• Mali 2000

50

40

30

20

10

0
vorindustrielle Frühphase der fortgeschrittene Reifephase
Phase industriellen industrielle
Entwicklung Phase

1.3.3 Ungenügende Kapitalbildung

Arme Länder haben weniger Geräte, Maschinen, Produktionsräume, Speicher oder Ver-
kehrs- und Kommunikationsmittel. Zudem wird in der Regel eine ältere, ineffiziente Tech-
nik verwendet. Die Maschinen und Fahrzeuge sind ungenauer gearbeitet und gehen des-
halb schneller kaputt. An vielen Orten werden sie nicht regelmässig gewartet, sondern ein-
fach dann repariert, wenn eine Panne auftritt. Bei Ersatzteilmangel stehen ganze Abteilun-
gen still und bei Stromunterbrüchen ganze Fabriken. So kann selbst ein gut ausgebildeter
Arbeiter viel weniger produzieren als sein Kollege in einem reichen Land.

Für den Aufbau von Kapitalgütern muss zuerst gespart werden. Die wichtigste Quelle zur
Finanzierung von Kapitalgütern sind die Ersparnisse von Unternehmen und Haushalten.
Zwar kann Kapital auch aus dem Ausland zufliessen. Doch will sich eine Volkswirtschaft
nicht allzu stark in ausländische Schuldenabhängigkeit begeben, muss auch im Inland
gespart werden. Sparen geschieht aber auf Kosten des Konsums, und ist der Lebensstan-
dard schon tief, ist ein Konsumverzicht besonders schwierig. So spricht man auch hier von

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GRUNDLAGEN 6/6 23
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

einem Teufelskreis der Armut: Weil ein Land über wenig Kapital pro Kopf verfügt, ist es
arm - und weil es arm ist, kann es wenig sparen, um Kapitalgüter und Wissen aufzubauen.

Einheimisches Sparen: Allerdings kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden: Ers-


tens gibt es in jedem Land eine schmalere oder breitere Mittel- und Oberschicht, die durch-
aus sparen kann. Und zweitens sparen auch arme Leute. Doch verzichten sie nur dort auf
momentanen Konsum, wo sie die Aussicht haben, ihr Leben zu verbessern. So investieren
z. B. nur Bauern, die eigenes Land besitzen, in Geräte und Saatgut. Zudem wird erspartes
Geld nur dann zur Bank gebracht und Investoren zur Verfügung gestellt, wenn man Ver-
trauen in diese Bank hat.

Schlecht funktionierende Kapitalmärkte: Die geringe Vertrauenswürdigkeit der finanzi-


ellen Institutionen ist denn auch in vielen Entwicklungsländern ein grosses Wachstums-
hemmnis. Eine Verbindung zwischen Sparern und Investoren kann so nicht zustande kom-
men, investitionsfreudige Unternehmen erhalten keine Kredite.

Erzwungenes Sparen in kommunistischen Ländern: Regierungen haben auch immer


wieder versucht, das Sparen zu erzwingen. Ein wichtiges Ziel von Wirtschaftsplänen kom-
munistischer Staaten war es, auf Kosten des Konsums das Sparen und Investieren zu för-
dern - um später umso mehr konsumieren zu können.

Erzwungenes Sparen auf Kosten der Landbevölkerung: In vielen Entwicklungsländern


war bis Anfang der 80er Jahre eine rasche Industrialisierung, finanziert durch eine hohe
Besteuerung der Landwirtschaft, die am meisten favorisierte Entwicklungsstrategie. (Diese
Auffassung wurde damals von den meisten internationalen Entwicklungsorganisationen
geteilt.) Damit entzogen die reicheren, regierenden Städte den ärmeren und rechtloseren
Landregionen systematisch Kapital. Afrikanische Staaten wie die Elfenbeinküste, Sambia
oder Ghana belasteten die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern mit 50%!

Fälschlicherweise wurde lange geglaubt, dass dies auf die Landwirtschaft keinen Einfluss
habe. Doch auch in Entwicklungsländern gilt: Erzielen die Anbieter niedrigere Preise,
wird weniger produziert. So nahm in vielen afrikanischen Staaten die Nahrungsmittelpro-
duktion ab. Der Abfluss von Einkommen aus den ärmeren ländlichen Gebieten in die rei-
cheren Städte verringerte die Zukunftsaussichten auf dem Land und verstärkte die Flucht
in die städtischen Slums. Durch die Bevorteilung der Städte wurden Spargelder in weniger
produktive Kanäle geleitet und vergeudet, wo doch auf dem Land schon kleine Investitio-
nen grosse Steigerungen beim Handwerk und bei der wichtigen Nahrungsmittelproduk-
tion hätten bewirken können.

Verschwendung von Kapital: Der Landbevölkerung abgepresste Steuergelder wie auch


ausländisches Kapital wurden von den Regierungen allzu oft verschwendet und in unren-
table nationale Fluggesellschaften und Paläste, in Stahlwerke oder überdimensionierte
Staudämme gestecktil. Hier hat der Staat seine Kräfte nicht nur überfordert - er hat sie
auch in die falsche Richtung eingesetzt. Der Staat sollte sich auf die Finanzierung und Pro-
duktion von Infrastrukturleistungen konzentrieren: Strassen, Eisenbahnlinien, Häfen,
Strom- und Wasserleitungen sowie Abwasserkanalisation. Überall, wo solche öffentlichen
Güter fehlen, ist ein anhaltendes Wachstum gefährdet. Unternehmerische Aktivität wird
entmutigt und verunmöglicht, wo die wichtigsten Infrastrukturen fehlen.

1] Es gibt viele bekannte Fälle für Verschwendungen - wie unrentable nationale Fluggesellschaften oder überdimensio-
nierte Staudämme. So kostete ein Wasserkraftwerk in Zaire fast 3 Mrd. US-$ (zu Preisen von 1990), was etwa einem
Drittel der Auslandschulden des Landes entspricht. Das Projekt war nie zu mehr als 30% ausgelastet, und anfangs der
90er Jahre musste es saniert werden, obwohl es erst 1982 in Betrieb genommen worden war.

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24 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Überfüllter Zug in Bihar. Spinnerin in Rajastan.

Schiffbau in Gujarat. Gütertransport in Ahmedabad.

Zwei Eindrücke zum Reisanbau in Uttar Pradesh. Alle sechs Fotos: B. Beck

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GRUNDLAGEN 6/6 I 25
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer 1

1.3.4 Ungenügende Fähigkeiten

Ausbildung und Erfahrung der Arbeitskräfte spielen im Wachstumsprozess die entschei-


dende Rolle.

Ungenügende Gesundheit: Vorweg soll nicht vergessen gehen, dass eine gute Gesund-
heit der Arbeitskräfte die Basis für jede Produktion legt. Schlecht ernährte und in Slums
wohnende Menschen sind oft körperlich schwach und werden öfter krank. Es geht viel
Arbeitszeit verloren und hohe Leistungen können seltener erwartet werden.

Wissensintensives Wachstum und Mangel an technischem und organisatorischem


Wissen: Heute ist ein immer grösserer Teil der Produktion wissensintensiv. Dies rückt die
Ausbildung noch stärker in den Vordergrund: Die Anforderungen reichen von Lesen,
Schreiben und Rechnen über die Fähigkeit, Computer zu bedienen und komplexe Anwei-
sungen zu befolgen, bis zu Führungskompetenzen und kreativem Können. Wo solche
Fähigkeiten zu knapp sind, wird modernes Wirtschaftswachstum gebremst. In den ärms-
ten Entwicklungsländern sind die meisten Arbeitskräfte sehr schlecht ausgebildet. So liegt
die Alphabetisierungsrate in Bangladesch, Pakistan und in vielen afrikanischen Staaten bei
den Männern um die 50% und bei den Frauen unter 30%. Auch in Indien können erst 40%
der Frauen lesen und schreiben. Noch deutlicher zeigt sich der Rückstand der Entwick-
lungsländer bei der Berufsbildung und der höheren Ausbildung.

Beispiel Landwirtschaft: Wie ungenügende Ausbildung die Produktivität schmälert, ist


unzählige Male nachgewiesen worden. So sind in der Landwirtschaft mangelhafte Kennt-
nisse über effizienten Landbau ein wichtiger Grund für niedrige Erträge. Schlecht ausgebil-
dete Landwirte sind für Neuerungen nur schwer zu begeistern. Dabei wissen die Bauern
natürlich, dass Neuerungen gefährlich sein können. Dünger beispielsweise muss mit viel
Wissen eingesetzt werden, sonst werden die Gesundheit und andere Nahrungsmittel-
grundlagen gefährdet. So können Fischbestände in Teichen leicht durch falschen Dünger-
gebrauch zerstört werden. Schliesslich gibt es in Entwicklungsländern grosse Verluste bei
der Lagerung und beim Transport von Nahrungsmitteln. In traditionellen indischen Dörfern
können Ungeziefer und Ratten bis 40% der Ernte wegfressen.

Mangel an unternehmerischen Fähigkeiten: Unternehmerische Fähigkeiten sind in


armen Ländern besonders rar. Das mag daran liegen, dass leitende Positionen in der eige-
nen Familie oder aufgrund von politischer Zugehörigkeit vergeben werden. Vielleicht ver-
hindern kulturelle Barrieren, dass durch eigene Arbeit Reichtum angehäuft wird. Oder es
kann auch an der nötigen Ausbildung mangeln.

1.3.5 Hemmende Rahmenbedingungen

Arme Länder haben nicht nur weniger Ressourcen pro Kopf, die vorhandenen Ressour-
cen werden auch schlecht genutzt. Das heisst: In einem wenig entwickelten Land wer-
den mehr Land, Bodenschätze, Kapitalgüter und Fachkräfte benötigt, um ein Produkt her-
zustellen, als in einem hoch entwickelten.

Oft verhindert der staatliche und gesellschaftliche Rahmen, dass die verfügbaren Res-
sourcen bestmöglich genutzt werden können. So liegen Ressourcen brach oder werden
nicht dort eingesetzt, wo sie den grössten Ertrag versprechen. Wie Regierungen durch
steuerliche Bevorzugung der Städter auf Kosten der Landbevölkerung und durch Förde-
rung unrentabler Unternehmen auf Kosten der Landwirtschaft knappe Ersparnisse in
wenig produktive Kanäle lenken, wurde eben gezeigt. Vier weitere Beispiele sollen ver-
deutlichen, auf welch vielfältige Weise knappe Ressourcen verschwendet werden können:

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26 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

A Forcierte Industrialisierung hinter Zollmauern

Viele Entwicklungsländer streben eine rasche Industrialisierung hinter schützenden Zoll-


mauern an. Diese Strategie birgt aber grosse Risiken. Die Industrien werden in der Hoff-
nung aufgebaut, dass sie nach der Startphase konkurrenzfähig sein würden. Ob das Expe-
riment Erfolg hat, ob das Entwicklungsland wirklich seine komparativen Vorteile in der
geförderten Industrie hat, wird erst sichtbar, wenn der Schutz verkleinert wird. Taiwan und
Südkorea beispielsweise liessen dann unrentable Unternehmen in Konkurs gehen. Viele
Länder hingegen (z. B. die Philippinen oder Indien und viele Staaten Afrikas und Lateina-
merikas) hielten die schützenden Mauern aufrecht. Hinter diesem Schutz überleben daher
Branchen, für die das Land wenig geeignet ist. Damit werden Ressourcen verschwendet,
die anderweitig besser eingesetzt werden könnten.

Schutz vor ausländischer Konkurrenz hemmt eine effiziente Nutzung der Ressourcen aber
noch aus einem weiteren Grund: Importbeschränkungen und eingeschränkte Kontakte mit
dem Ausland erschweren den Zugang zu neuem Wissen, neuen Produkten und wirkungs-
volleren Produktionsverfahren. Und wer vor ausländischer Konkurrenz geschützt ist, hat
auch weniger Anreiz, effizienteste Techniken zu verwenden sowie neue und bessere Pro-
dukte zu entwickeln.

B Markteingriffe laden zur Korruption ein

Um die Industrialisierung in die gewünschte Richtung zu lenken, haben viele Staaten ein
System von Lizenzen für neue Unternehmen, Bewilligungen für Investitionen und Importe
oder Quoten für die Produktion aufgebaut. In vielen Entwicklungsländern haben sich die
Vorschriften, mit denen die Wirtschaft gelenkt werden sollte, zu eigentlichen Dschungeln
verdichtet, die jetzt allerdings gelichtet werden. Ein Übermass an Vorschriften erschwert
und verteuert nicht nur die wirtschaftliche Tätigkeit, es überfordert auch den Staat und hält
ihn davon ab, sich seinen dringendsten Aufgaben zu widmen.

Wird eine Wirtschaft staatlich gelenkt, erhalten Politiker und Beamte aller Stufen die Mög-
lichkeit, regelmässig bei Industrieprojekten mitzuentscheiden, Lizenzen zu vergeben und
mitzukassieren. Das ist eine Einladung zur Korruption! Der entscheidende Minister oder
Chefbeamte lässt sich bezahlen, wenn der Staat Investitionen subventioniert, wenn er Aus-
landkredite vermittelt oder dafür sogar die Bürgschaften übernimmt. Kaum ein Politiker
gibt Bewilligungen gerne gratis ab. Viele Entwicklungsländer sind belastet durch eine
eigentlich parasitäre Oberschicht, die natürlich auch die oberen Chargen der Staatsverwal-
tung beherrscht. Der Staat ist unter solchen Bedingungen sehr weit davon entfernt, Ver-
treter des Gemeinwohls zu sein.

C Falsche Preissignale

In vielen Entwicklungsländern beeinträchtigt der Staat auch durch falsche Preissignale


eine effiziente Nutzung von Ressourcen: Obwohl Wasser vielerorts Mangelware ist, wird
es stark verbilligt abgegeben. Die Konsequenzen sind voraussehbar: Mit dem Wasser wird
zu verschwenderisch umgegangen, die Nachfrage nach Wasser steigt übermässig. Die
Wasserämter hingegen, wegen tiefer Preise von Finanznöten geplagt, investieren zu wenig
in neue VVasseraufbereitungsanlagen, es kommt zu häufigem Wassermangel, und zu
bestimmten Tageszeiten muss das Wasser abgestellt werden. Das Netz wird schlecht
gewartet und Wasserleitungsbrüche führen zu teuren Unterbrüchen bei Produktionen, die
auf regelmässige Wasserzufuhr angewiesen sind. Die Ärmsten, die dem Wasserleitungs-
netz am schlechtesten angeschlossen sind und denen das Wasser zuerst abgestellt wird,
müssen privat angebotenes Wasser kaufen, das in Lateinamerika bis 100-mal teurer ist als

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GRUNDLAGEN 6/6 27
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Leitungswasser. Ähnliche Preisverzerrungen gibt es auch bei Wasser für die Landwirt-
schaft, Benzin und Diesel, Holz oder Elektrizität.

D Durch ungleiche Landverteilung zur Untätigkeit verurteilt

Warum sind die Entwicklungsländer arm? Beispiele aus der Landwirtschaft sollen noch-
mals illustrieren, was zu einer ärmlichen Produktion führt: zu wenig Ressourcen pro Kopf
sowie auch deren ineffiziente Nutzung - sei es aus mangelndem Wissen oder infolge eines
ungünstigen wirtschaftspolitischen Umfelds:

Ein ungünstiges wirtschaftspolitisches Umfeld behindert sehr oft auch die Landwirtschaft:
Nicht nur in dicht besiedelten Ländern sind viele Kleinbauern oder landlose Landarbeiter
für den grössten Teil des Jahres zur Untätigkeit verurteilt, sondern auch in dünn besiedel-
ten Ländern wie Brasilien oder Paraguay. Hier lässt der Grossgrundbesitz den meisten Bau-
ern nur wenig Raum. Die extrem ungleiche Landverteilung verhindert, dass die Landbevöl-
kerung ihre Kraft voll einsetzen kann.

1.3.6 Ohne Landrechte keine Kredite

Bauern ohne Landrechte oder mit unklaren Landrechten haben keine Basis, um Kredite zu
bekommen. Deshalb können sie kaum investieren. In Afrika sind zudem viele Höfe ohne
Männer, weil diese versuchen, in den Städten Geld zu verdienen. Frauen haben aber oft
kein Landrecht und sind so von Krediten abgeschnitten. Es fehlen ihnen damit geeignete
Geräte, Dünger und ertragreiches oder den lokalen Verhältnissen angepasstes Saatgut.
Das Resultat sind niedrige Erträge pro Flächeneinheit.

Die niedrige Produktivität der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zeigt sich darin,
dass eine grosse Zahl von Leuten damit beschäftigt ist, Nahrungsmittel herzustellen. Wäh-
rend in reichen Gesellschaften 3 bis 6% der Bevölkerung von und in der Landwirtschaft
leben, sind es in Indonesien 55%, in Indien 64%, in China 72% und in Afrika südlich der
Sahara sind es bis zu 90%.

Zur Untätigkeit verurteilt: Träger in Patan, Nepal, warten auf Arbeit. Foto: B. Beck

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28 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Entwicklungsländer haben - abgesehen von Bodenschätzen - wenig Ressourcen. Es feh-


len Kapitalgüter, gute Ausbildungen und organisatorisches und technisches Know-how.

Die wenigen vorhandenen Ressourcen liegen brach oder werden nicht dort eingesetzt, wo
sie den grössten Ertrag versprechen. Die Ressourcen werden schlecht genutzt, weil Infra-
struktur oder Fachwissen fehlen und der Staat oft unüberlegt in den Markt eingreift (Quo-
ten, Preisverzerrungen, Steuern, Bürokratie). Insbesondere wird die Landwirtschaft oft sys-
tematisch benachteiligt, so dass deren Produktivität gering ist und notwendige Investitio-
nen ausbleiben.

Zusätzlich verschlechtert die Korruption die Nutzung der Ressourcen. Protektionismus und
verzerrte Preise behindern darüber hinaus den notwendigen Wissenstransfer.

Aufgabe 2 In den sechs vorangegangenen Abschnitten war von zwei Themen die Rede:
1. Entwicklungsländer haben wenig Ressourcen. 2. Entwicklungsländer nutzen ihre
Ressourcen schlecht.

A] Was wurde hier mit «Ressourcen» gemeint? Gehen Sie den Text noch einmal durch und
zählen Sie Beispiele auf!

B] Nennen Sie drei Beispiele ineffizienter Ressourcennutzung in Entwicklungsländern.


(Stichworte)

C] Welche Art von Ressourcen sind für eine grosse Güterproduktion besonders wichtig?
(Stichworte)

Aufgabe 5 Staatlich niedrig gehaltene Preise für Nahrungsmittel - gegen Hunger und Armut - bewir-
ken oft ein noch grösseres Elend auf dem Land wie auch in den Slums der Grossstädte.
Erklären Sie diesen scheinbaren Widerspruch! (ca. 3-5 Sätze)

1.3.7 Werden Entwicklungsländer ausgebeutet?


Die Verschuldung der Entwicklungsländer

Früher wurden Afrika, Lateinamerika und Asien durch die europäischen Kolonialmächte
ausgeraubt, so etwa Mexiko durch Spanien oder Bengalen durch England. Heute sind die
ehemaligen Kolonialländer politisch unabhängig, dennoch spüren sie die überlegene
Macht der ökonomisch weiter entwickelten Länder.

Kritiker sprechen von Ausbeutung. Dabei werden eine ganze Reihe von Vorwürfen an die
reichen Länder gemacht:

A Parasitäre Oberschichten gestützt

Regierungen reicher Länder (wie auch die grossen internationalen Organisationen Welt-
bank und IWF) stützen auf vielfältige Weise ausbeuterische Machteliten in armen Ländern.
Damit helfen sie mit, entwicklungshemmende Strukturen zu erhalten:
• Der Sturz von reformfreudigen Regierungen wurde von aussen aktiv unterstützt, wenn
Interessen von wichtigen Unternehmen aus reichen Ländern tangiert wurden (so,
wenn in Zentralamerika eine Regierung eine Landreform durchführen wollte).
• Im Kalten Krieg heizten Interventionen von Ost und West interne Spannungen in Ent-
wicklungsländern an und unterstützten fürchterliche Bürgerkriege (wie z. B. in Afgha-
nistan, Angola oder MoQambique).

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GRUNDLAGEN 6/6 I 29
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

• Wer mit Gewalt an die Macht kommt, wird nach heutiger internationaler Praxis als Re-
gent anerkannt und darf im Namen des Landes und seiner Bewohner Kredite aufnehmen
und Rohstoffe rechtsgültig verkaufen. Gewaltherrscher kommen so zu Geld, mit dem sie
sich (oft mit Waffenkäufen aus reichen Ländern) an der Macht halten können. Die Bevöl-
kerung kann sich gegen die von uns finanzierten Beherrscher kaum wehren. Sie wird viel-
mehr gezwungen, für die Kosten der eigenen Unterdrückung aufzukommen.

B Ressourcen geplündert

Gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung werden in Zusammenarbeit mit abhängi-
gen Regierungen und bestochenen Offiziellen natürliche Ressourcen geplündert (so etwa
bei den Waldrodungen in Sarawak/Malaysia oder Indonesien).

C Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte

Gut ausgebildete Arbeitskräfte aus armen Regionen wandern auf der Suche nach einem
besseren Lebensstandard in reiche Länder. So verlassen z. B. Tausende afrikanische Ärzte
ihre Länder in Richtung USA oder Europa.

D Externe Kosten überwälzt

Die Überfischung der Meere, die Zerstörung der Ozonschicht und auch die drohende Kli-
maveränderung sind zum grössten Teil von den reichen Ländern verursacht; die Menschen
in armen Ländern sind aber vermutlich am stärksten betroffen. Externe Kosten von riesigem
Ausmass werden hier von reichen auf arme Länder überwälzt. So würde z. B. ein Anstieg
des Meeresspiegels um einen Meter die Reisproduktion von Bangladesch halbieren.

E Einseitige Einschränkung des Welthandels

Seit jeher wird geklagt, arme Länder würden auf den internationalen Märkten benachtei-
ligt. So wurde vor allem der Import aus Entwicklungsländer behindert, wenn wichtige Son-
derinteressen in reichen Ländern tangiert waren. Zwar sind nun im Rahmen der VVTO viele
Handelshemmnisse weltweit abgebaut oder gar beseitigt. Der internationale Textilhandel
wird aber weiterhin behindert und die stärkeren reichen Länder schirmen auch heute noch
ihre Agrarmärkte vor Importen aus Entwicklungsländern weitgehend ab.

Darüber hinaus drücken insbesondere die EU und die USA die Weltmarktpreise für Nah-
rungsmittel und Baumwolle mit Subventionen an ihre Landwirtschaft. Die Handelsbarrie-
ren und Subventionen treffen die ärmsten Länder besonders hart, denn gerade bei Textilien
und Agrarprodukten haben sie komparative Vorteile.

F Schuldenabhängigkeit

Schliesslich werden ärmere Länder durch riesige Schulden abhängig gehalten und finanzi-
ell ausgequetscht.

Hier fehlt der Platz um alle Ausbeutungsvorwürfe zu verfolgen und zu beurteilen. Nur die
Geschichte der Verschuldung der Entwicklungsländer soll näher betrachtet werden. Aller-
dings ist die Verschuldung mit anderen der obigen Punkte verquickt. Denn hätten nur freie
Unternehmen und das Wohl ihrer Völker verfolgende Regierungen agiert, wären wohl
kaum so viele Entwicklungsländer in eine so lange und folgenschwere Verschuldungskrise
geraten.

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30 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Der Weg in die Verschuldungskrise: Wenn in den Entwicklungsländern Kapitalgüter feh-


len, liegt es da nicht nahe, dass Unternehmen aus reichen Ländern dort investieren? Dies
wird auch tatsächlich gemacht, denn viele Investitionen in armen Ländern versprechen
höhere Erträge als in den reichen, wo die Investoren weniger Projekte mit hohen Erträgen
finden. Allerdings fürchten sich viele Investoren aus reichen Ländern vor zu grossen Risi-
ken (wie beispielsweise politische Instabilitäten), die direkten Investitionen sind entspre-
chend klein. Hier springt die Entwicklungshilfe (jetzt auch Entwicklungszusammenarbeit
genannt) mit billigen und langfristigen Krediten ein. Grösser als diese sind aber normale
Kredite von Banken aus reichen Ländern an Unternehmen aus Entwicklungsländern.

Besonders umfangreiche Kredite wurden in den 70er Jahren vergeben. Damals wurden
die Industrieländer von einer Wirtschaftskrise geplagt, es wurde weniger investiert und
konsumiert als produziert. Was lag näher, als den Entwicklungsländern Kredite zu beson-
ders günstigen Konditionen zur Verfügung zu stellen, damit diese bei uns Investitionsgüter,
aber auch Waffen und Konsumgüter kauften? Die Entwicklungsländer sprangen in die
Nachfragelücke, die unsere zurückhaltenden Konsumenten und Investoren hinterlassen
hatten. So stieg von 1973 bis 1983 der Schuldenberg der armen Länder von 113 auf 843
Mrd. US-$, eine (nominale) Steigerung auf das Siebenfache in zehn Jahren!

Im Prinzip könnten problemlos Schulden gemacht werden, wenn damit so geschickt inves-
tiert würde, dass infolge der Investition viel mehr als früher produziert werden könnte. Die
Investitionen müssten mindestens jene zusätzlichen Einnahmen schaffen, die zur
Rückzahlung der Kredite benötigt werden. Die während der 70er und frühen 80er Jahre
von vielen Entwicklungsländern angehäuften Schulden konnten diesen Test aber vor allem
aus zwei Gründen nicht bestehen:
• Ein grosser Teil der Kredite wurde in unrentable Projekte gesteckt. In Südamerika und
in Afrika wurden teure Rüstungsgüter gekauft. Bekannt sind überzogene Grosspro-
jekte, die damals bei uns von Entwicklungsorganisationen bekämpft wurden, die aber
gegen die Übermacht der Lieferanten wenig ausrichten konnten. So baute Brasilien
Atomkraftwerke - dabei produzierten schon seine Flusskraftwerke mehr Strom, als es
benötigte. Die ineffiziente Nutzung der Ressourcen in Entwicklungsländern wurde da-
durch verstärkt, dass Bestechungen aus reichen Ländern nachhalfen, die Regierungs-
stellen der armen Länder so weit zu bringen, solchen Projekten zuzustimmen. Die
Oberschicht der armen Länder brachte dann die privat abgezweigten Gelder in reichen
Ländern in Sicherheit. Die meisten Kreditgeber unternahmen wenig, um die Verwen-
dung der Kredite zu überprüfen, und verliessen sich stattdessen auf Staatsgarantien.
Für die meisten Schulden versprach die Regierung zu haften. Die Erträge aus den In-
vestitionen, die mit den verbliebenen Geldern getätigt werden konnten, reichten in den
wenigsten Fällen aus, das ganze Darlehen zurückzuzahlen und für die ganzen Zinsen
aufzukommen.
• Doch damit nicht genug, es wurde auch falsch spekuliert: Als die grossen Kredite auf-
genommen wurden, waren die Zinsen niedrig, und niedrige Zinsen verleiten dazu,
auch weniger rentable Investitionen in Angriff zu nehmen. Zudem herrschte in den
USA eine grosse Inflation, so dass die Realzinsen für $-Schulden sogar negativ waren,
und die meisten Schulden lauteten ja auf US-$. Mit der hohen Inflation wären die
Schulden schnell geschmolzen, so dass die Entwicklungsländer sich wenig Gedanken
über Rückzahlungen hätten machen müssen. Anfangs der 80er Jahre veränderten aber
die USA diese Spielregeln: Die Inflation wurde durch hohe Zinsen gebremst. Die Zinsen
für $-Guthaben stiegen auf zweistellige Höhen. Steigen die Zinsen unverhofft, müsste
dies jene Schuldner nicht plagen, die vorsichtigerweise langfristige Schuldverträge ab-
geschlossen haben. Denn eigentlich sollte die Laufzeit von Krediten der Dauer entspre-
chen, in der ein Projekt durch seine Erträge amortisiert werden kann. Aber unglückli-
cherweise waren sehr viele Projekte nur mit kurzfristigen Krediten finanziert. Wurden
die Verträge dann verlängert, wurden die Zinsen nach oben angepasst. Die Schuldner

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GRUNDLAGEN 6/6 I 31
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

gerieten in Zahlungsschwierigkeiten, denn zweistellige Renditen erwirtschaften in der


Regel nicht einmal erstklassige Investitionen. Als dann Mexiko im Herbst 1982 die Zah-
lungsunfähigkeit erklärte, drang die Verschuldungskrise auch bei uns ins öffentliche
Bewusstsein.

Zu den Folgen der Verschuldungskrise: In der Regel müssen Gläubiger Schulden, die
nicht bezahlt werden können, einfach abschreiben - das übliche Los für jeden Bankier,
wenn er bei der Kreditvergabe die Garantien zu wenig sorgfältig prüft oder wenn er das
Risiko falsch einschätzt. Schulden, für die ein Staat garantiert, werden aber nicht so leicht
abgeschrieben - auch wenn diese Garantie auf dubiose Weise zustande gekommen ist.
Einzelne reiche Staaten und internationale Organisationen wie der Internationale Wäh-
rungsfonds stellen sich auf die Seite der Gläubiger, kaufen Privatbanken Schulden ab und
setzen Entwicklungsländer unter Druck. Auf solch umstrittenen Druck hin, und natürlich
auch um kreditwürdig zu bleiben, werden seit Jahren viele Schulden mühsam abgestot-
tert. Dabei sorgen die Machtverhältnisse in Ländern mit extrem ungleicher Einkommens-
verteilung dafür, dass weniger die Profiteure der damaligen Kredit- und Bestechungsgelder
zahlen müssen und dass nicht die milliardenschweren europäischen, amerikanischen und
japanischen Bankkonti der lateinamerikanischen und afrikanischen Oberschicht erleichtert
werden. Vielmehr werden durch Steuern und staatliche Sparprogramme die Einkommen
der armen Leute verringert. Zudem fördert die Wirtschaftspolitik den Export auf Kosten der
Produktion für den Inlandkonsum. Dadurch werden oft soziale Unruhen ausgelöst. Polizei
und Militär werden eingesetzt, um diese Politik durchzuführen. Die Geschichte der Ver-
schuldung der Entwicklungsländer ist auch die Geschichte der Bereicherung der Ober-
schicht und der Verelendung der Ärmsten.

Wie stark Lateinamerika und vor allem Afrika südlich der Sahara durch Verschuldung und
sinkende Exportpreise betroffen sind, hat uns schon die Tabelle 1-6, S. 16 im Abschnitt
1.1.4, S. 16 gezeigt: Viele Länder aus diesen Regionen sind in den vergangenen zwanzig
Jahren ärmer geworden.

Aus verschiedenen Gründen kann von Ausbeutung der Entwicklungsländer gesprochen


werden.
• Industrieländer und deren Unternehmen arbeiten mit Oberschichten aus Entwick-
lungsländern zusammen, auch gegen den Willen der dortigen Bevölkerung.
• Unter anderem plündern Unternehmen aus reichen Ländern Ressourcen in armen Län-
dern aus.
• Qualifizierte Arbeitskräfte wandern in reiche Länder ab.
• Unter den globalen externen Effekten leiden vor allem die Armen.
• Der internationale Handel wird vor allem dort eingeschränkt, wo Entwicklungsländer
profitieren können (weil die reichen Länder notwendige Umstrukturierungen scheuen).
• Arme Länder werden durch riesige Schulden abhängig gehalten.

Die Schuldenkrise hat ihre Ursprünge in den 70er Jahren. Bei den damals tiefen Dollar-Zin-
sen wurden kurzfristige Kredite in langfristige, oft unrentable Grossprojekte gesteckt. Als
dann die Zinsen in den 80er Jahren stark anstiegen, gerieten einige Länder (allen voran
Mexiko) in Zahlungsschwierigkeiten.

Begünstigt wurde die leichtsinnige Schuldenpolitik durch mehrere Faktoren:


• Die Oberschicht in Entwicklungsländern kann von unrentablen Projekten profitieren,
da der Schaden auf die arme Bevölkerungsmehrheit abgewälzt werden kann.
• Die Exportindustrie der Industrieländer bevorzugt technische Grossprojekte und kann
ihre Wünsche in Entwicklungsländern relativ leicht durchsetzen (Korruption!).
• Die westlichen Banken waren bei der Kreditvergabe nachlässig und verliessen sich auf
die Haftungsgarantien der Regierungen der Schuldnerländer.

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32 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Die Schulden der ärmsten Entwicklungsländer sind auch heute noch eine enorme Last. Wo
das geliehene Geld entweder in ineffiziente Projekte gesteckt wurde oder in die Beste-
chung der Oberschicht, hat es zur Entwicklung nichts beigetragen. Heute aber müssen
jene über Steuern für die Schuld aufkommen, die wenig oder gar nicht davon profitiert
haben. Dies bremst die wirtschaftliche Entwicklung seit zwei Jahrzehnten.

Aufgabe 9 Der Bevölkerung in Entwicklungsländern werden Güter (Ressourcen, Produkte, Umwelt-


güter) auf verschiedene Art und Weise weggenommen. Nennen Sie fünf Wege, auf denen
dies geschieht!

Aufgabe 11 Was liesse sich auf folgende Aussage erwidern:

«Im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise von Ausbeutung zu sprechen, ist falsch.
Schliesslich kann jeder Mensch frei entscheiden, ob er einen Kredit aufnehmen will oder
nicht. Nimmt er einen Kredit auf, muss er auch die Folgen tragen, wenn er ihn nicht zurück-
zahlen kann.»

1.3.8 Entwicklungschancen für Nachzügler

Die Geschichte vieler ökonomisch rückständigen Länder zeigt, wie schwierig es ist, sich
neben fortgeschrittenen Ländern zu behaupten. Anderseits können vergleichsweise arme
Länder auch von fortgeschritteneren profitieren. Um diese Wachstumschancen geht es
nun in diesem Abschnitt.

Nachzügler profitieren vom Kapitalzufluss aus reichen Ländern. Etwa zwei Drittel der Kapi-
talimporte machen heute die Direktinvestitionen aus. Bei Direktinvestitionen kauft eine
Firma aus einem fremden Land Liegenschaften oder Unternehmen, sie gründet eine Toch-
tergesellschaft und baut Produktionskapazitäten auf. Nestle beispielsweise errichtet eine
Produktionsstätte in Uganda. Noch etwa ein Drittel der Kapitalimporte von Entwicklungs-
ländern fallen heute auf Portfolioanlagen, Bankkredite und öffentliche Gelder. Mit
ihnen investieren ausländische Geldgeber nicht im volkswirtschaftlichen Sinn, sondern sie
leihen Geld an eine Firma oder an den Staat aus. So fliessen z. B. schweizerische Spargel-
der in ein neues Wasserversorgungsnetz der Stadt Bombay oder in eine indische Unter-
nehmung, die damit ihre Produktionskapazitäten erweitert.

Investitionen gerade in armen Ländern sehr rentabel: In armen Ländern können bereits
geringe Investitionen in Kapitalgüter und Wissen einen grossen Effekt erzielen. Wo noch
wenig Kapital und Ausbildung vorhanden sind, können ihre Grenzerlöse sehr gross sein. In
armen Ländern können darum Investitionen sehr rentabel sein. Das gibt Sparern aus rei-
chen Ländern einen Anreiz, einen Teil ihres Geldes in armen Ländern anzulegen oder dort
zu investieren. In Ländern mit ungenügender Kapitalbildung können gezielte Investitionen
die Produktivität stark erhöhen und das Wirtschaftswachstum entscheidend beschleuni-
gen.

Wissenstransfer mit Direktinvestitionen: Direktinvestitionen haben noch einen zweiten


positiven Effekt. Mit ihnen kann ein Entwicklungsland den neuesten Stand der Technik
kennen lernen und anwenden. Mit Direktinvestitionen fliesst nicht nur Kapital, sondern
auch technisches und organisatorisches Know-how ins Land. Und hier soll einmal mehr
betont werden, dass Wissen der zentrale Produktionsfaktor für modernes Wirtschafts-
wachstum ist.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 33
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer I

Wissen hat sich schon immer weltumspannend verbreitet, die externen Nutzen von Wis-
sen haben eine globale Reichweite. So ist die Zunahme der Lebenserwartung auch in den
ärmsten Ländern zum grossen Teil auf eine Verbreitung von Wissen über Hygiene und ein-
fache Medizin zurückzuführen. Doch heute können Informationen und Technologie leich-
ter als früher kopiert und auf den offenen Weltmärkten zugekauft werden. Neue Kommu-
nikationstechnologien, v. a. das Internet, steigern die Möglichkeiten, von neuestem Wis-
sen zu profitieren, immens.

In vergleichsweise armen Ländern wird die Produktivität schon durch geringe Investitionen
in hohem Masse gesteigert. Zudem wachsen die Möglichkeiten, vom technischen und
organisatorischen Wissen der modernen Volkswirtschaften zu profitieren. Entsprechend
gross sind die Chancen der Nachzügler, ihren Abstand zu den reichen Ländern zu verrin-
gern.

Wie Entwicklungsländer gegenüber den reichen Ländern aufholen, kann denn auch beob-
achtet werden. So hat sich in erfolgreichen Ländern die Zeitspanne, die für substanzielle
Veränderungen der Lebensqualität erforderlich ist, in den vergangenen 200 Jahren ständig
verkürzt. Grossbritannien, das erste sich industrialisierende Land, brauchte von 1780 bis
1840 ganze 60 Jahre, um seine Pro-Kopf-Produktion zu verdoppeln. Die USA benötigten
dafür ab 1840 noch 45 Jahre, und Japan schaffte es ab 1885 in 35 Jahren. Nach dem 2.
Weltkrieg verdoppelten viele Länder ihre Pro-Kopf-Produktion noch rascher als Japan: die
Türkei ab 1957 in 20 Jahren, Korea ab 1966 in 11 und China ab 1977 sogar in nur 10 Jah-
ren.

Abstand zu reichen Ländern verkleinert: Wie Sie schon der Tabelle 1-6, S. 16 entneh-
men konnten, profitieren heute vor allem die Länder Ost- und Südostasiens von ihrer Nach-
züglerposition. Ihre Wirtschaft wächst schneller, als dies je eine Wirtschaft vor ihnen getan
hat - und die vier kleinen Tiger haben die hoch entwickelten Länder ja schon eingeholt.

Abstand zu reichen Ländern vergrössert: Doch daneben gibt es viele Länder, in denen
die Pro-Kopf-Produktion nur langsam zunahm oder sogar zurückging: in fast allen Ländern
südlich der Sahara, in einigen lateinamerikanischen Staaten, in Nepal und den Philippinen.
Hier waren in den vergangenen Jahrzehnten die Wachstumshemmnisse so gross, dass der
Abstand zu den reichen Ländern wuchs. Vor allem in den ärmsten Ländern zeigt sich, dass
es nicht so einfach ist, vom Wissensvorsprung der fortgeschrittenen Länder zu profitieren.
Die hohe Technologie kann meist nicht so einfach transferiert werden. Eine intensive Schu-
lung ist nötig, um Technologien zu übernehmen und um komplizierte Anlagen in Gang zu
halten. Neue Forschung und Entwicklung ist nötig, um sie den eigenen Verhältnissen und
Bedürfnissen anzupassen. Erst recht muss ein weiter Entwicklungsweg zurückgelegt wer-
den, bis die benötigte Technologie auch selbständig entwickelt und hergestellt werden
kann.

1.3.9 Ein vielfacher Kreislauf der Armut

Warum haben die ärmsten Völker grosse Mühe, sich auszubilden, Wissen aufzubauen, in
lohnende Kapitalgüter zu investieren, die aufgebauten Ressourcen effizient zu nutzen und
so die Armut zu besiegen? Sie haben gegen unzählige Entwicklungshemmnisse anzu-
kämpfen.

Zuerst einmal sind viele Menschen so arm, dass sie körperlich schwach sind und schnell
krank werden. Schwache und kränkliche Menschen bringen aber nur noch selten die Kraft
zur Arbeit auf, die sie aus der Armut führen könnte.

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34 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Zweitens kann, wenn das Produzierte kaum die dringendsten Konsumwünsche deckt, nur
wenig gespart vverden11. Wird weniger gespart, bleibt kaum etwas übrig, um Kapitalgüter
herzustellen und Arbeitskräfte auszubilden, Forschung und Entwicklung zu betreiben und
die Organisation zu verbessern. Geringe Effizienz ist dabei in privaten und staatlichen
Unternehmen wie auch bei der öffentlichen Verwaltung anzutreffen.

[1-11] Der vielfache Kreislauf der Armut

Schwache Position gegenüber Ausbeutung durch


reichen Ländern und eigener reiche Länder und eigene
Oberschicht Oberschicht

schwache
Stellung der
Frau
geringe
Produktion,
das heisst wirtschaftliche
Armut Unsicherheit

viele Kinder

ineffiziente körperliche
Nutzung aller wenig mehr
Schwäche Ersparnisse Ersparnisse
Ressourcen
möglich nötig

wenig
Ressourcen
pro Kopf

schlechte Ausbildung
der vielen neuen
Arbeitskräfte

Nochmals erwähnt sei, dass die wirkungsvolle Nutzung der Ressourcen in vielen Ländern
zusätzlich beeinträchtigt wird durch unglückliche Wirtschaftsmassnahmen des Staates:
durch steuerliche Bevorzugung der Städter auf Kosten der Landbevölkerung, durch Förde-
rung unrentabler Unternehmen auf Kosten der Landwirtschaft oder durch eine Vielzahl von
anderen Preisverzerrungen.

Drittens verschärft das hohe Bevölkerungswachstum den Kreislauf der Armut. Wer viele
Kinder hat, kann vorerst weniger sparen, denn Kinder konsumieren ja zuerst einmal für
lange Zeit. Dann müssen sie teuer ausgebildet werden. Als Erwachsene werden sie zusätz-
lich Platz beanspruchen und Kapitalgüter benötigen, die die Elterngeneration gespart und
investiert haben sollte. Wo viele Kinder geboren werden, müsste entsprechend viel gespart
werden. Wo dies nicht geschieht, sind pro Kopf immer weniger Ressourcen vorhanden.
Die Armut wird noch grösser und damit auch die wirtschaftliche Unsicherheit. Diese hat
aber wieder hohe Geburtenraten zur Folge. Damit die Geburtenrate sinkt, müsste erst ein
gewisses Mass an Wohlstand, wirtschaftlicher Sicherheit und Bildung erreicht sein.

1] Allerdings wird in vielen Entwicklungsländern viel gespart, nicht nur in den Schwellenländern (rund 30% des Einkom-
mens), sondern auch in Indien, Kenia oder der Elfenbeinküste (mehr als 20%). In den ärmsten Ländern wie Bolivien,
Sudan oder Zaire hingegen fällt die Sparrate unter 5%.

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GRUNDLAGEN 6/6 35
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Schliesslich können die ärmsten Entwicklungsländer eher durch reichere Länder ausge-
beutet werden: Sie können sich weniger wehren dagegen, dass entwicklungshemmende
und ausbeuterische Strukturen gestützt werden, in gefährlichem Masse externe Kosten
überwälzt werden oder dass sie in Schuldenabhängigkeit gehalten werden. Vor allem die
Entwicklung in Afrika und Lateinamerika ist dadurch stark beeinträchtigt worden.

Die Armen in den Entwicklungsländern sind natürlich besonders stark im Kreislauf der
Armut gefangen, während die Mittel- und Oberschicht sich ihm entziehen kann. So entste-
hen in vielen armen Ländern geradezu zwei Sphären; man spricht von einer dualistischen
Wirtschaftsstruktur. Auch in wirtschaftlich weniger erfolgreichen Entwicklungsländern
gibt es einen recht vitalen modernen Sektor. Oft wächst aber seine Produktion gerade so
stark wie der Produktivitätsfortschritt. Mehr Leute müssen daher nicht eingestellt werden.
Wir stehen hier vor einem Verteilungsproblem: Die Produktivitätsfortschritte in der Indus-
trie erlauben zwar grösseren Reichtum für die Beteiligten, aber die Zahl der Beteiligten wird
in vielen Entwicklungsländern kaum grösser. Die wachsende Mehrheit findet keine Stelle
im modernen Sektor, verdient ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs, ist arbeitslos
und auf die Unterstützung der Familie angewiesen.

Einige Auswirkungen der dualistischen Wirtschaftsstruktur können wir uns leicht vorstel-
len, wenn wir bedenken, dass die Marktkräfte nicht auf die Bedürfnisse reagieren, sondern
auf die (durch Geld ausgedrückte) Nachfrage. Sind die Einkommensunterschiede zu gross,
werden die knappen Ressourcen allzu ausschliesslich den Reichen zugeleitet. Es werden
Privatautos fabriziert statt Busse, Luxushotels statt Arbeitersiedlungen, Cool-Drinks statt
sauberes Leitungswasser. So gibt es Herztransplantationen in Bombay, während sich auf
dem Land die Malaria ausbreiten kann.

Nicht zuletzt, um solche Entwicklungen abzuwehren, haben viele Entwicklungsländer ver-


sucht, Unternehmensgründungen, Investitionen und Produktion zu reglementieren und
mit Subventionen zu lenken. In den wenigsten Fällen wurde aber damit die soziale Gerech-
tigkeit verbessert — vielmehr haben sich diese Versuche, wie schon gezeigt, oft in hohem
Masse als entwicklungshemmend erwiesen.

In aufstrebenden Entwicklungsländern wie z. B. Indien lässt sich eine dualistische Wirtschafts-


struktur beobachten: Neben gut bezahlten Stellen in modernen Industrien gibt es unzählige Gele-
genheitsjobs, die nur ein Leben am Rande des Existenzminimums zulassen. Links: Behausung
einer Müllsammlerfamilie in Uttar Pradesh. Auch die Kinder müssen mitarbeiten. Rechts: Strassen-
händler in Maharashtra. Fotos: B. Beck

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36 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

1.4 Entwicklungsstrategien

Seit den 80er Jahren haben sich die Strategien, mit denen Entwicklungshemmnisse über-
wunden werden sollen, stark geändert. In den 60er und 70er Jahren hatten noch viele
Regierungen und Entwicklungsexperten gehofft, mit staatlichen Eingriffen in die Güter-
produktion oder Wirtschaftsplanung die Entwicklung zu beschleunigen. Doch damit
wurde der Staatsapparat in den meisten Fällen hoffnungslos überfordert, so dass er nicht
einmal mehr seine notwendigsten Funktionen erfüllen konnte. Nicht nur in armen Ländern
reicht dafür die Qualität des Verwaltungsapparats nicht aus. Die Vergabe von Lizenzen,
Krediten usw. durch Staatsbeamte und Politiker öffnet auch der Korruption Tür und Tor.
Subventionen, Preisvorschriften, Grenzzölle, Quoten und Bewilligungen haben sich in viel-
fältigster Art wohlstandsmindernd ausgewirkt. Ihr Misserfolg hat ausgedehnte staatliche
Eingriffe in Marktmechanismen unpopulär gemacht.

Heute werden vielmehr Hoffnungen auf marktwirtschaftliche Modelle gesetzt, wo der


Staat sich auf seine Grundaufgaben konzentriert und zurückhaltender und gezielter in das
Marktgeschehen eingreift.

1.4.1 Märkte, rechtlicher Rahmen und Infrastruktur

Was leistet der Markt? Seit der ersten Lektion werden Märkte mit Wettbewerb als leis-
tungsfähiger Koordinationsmechanismus beschrieben. Märkte verbinden Milliarden von
Menschen bei der Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen. Wettbe-
werb sorgt für Anreize, die Qualität, Unternehmergeist und technischen Fortschritt stimu-
lieren.

Rechtlicher Rahmen: Allerdings entstehen Märkte nicht automatisch. Märkte brauchen


einen sicheren rechtlichen Rahmen, den nur der Staat schaffen und durchsetzen kann.

Infrastruktur: Weiter wissen wir, dass Märkte auch versagen können. Darum baut der
Staat die Infrastruktur (Leitungen, Kanalisation, Strassen), er versucht Konjunkturschwan-
kungen zu glätten, schützt die Umwelt und engagiert sich in der Ausbildung und der Sozi-
alpolitik.

Zwar werden wir bei der Vielfalt der Entwicklungsländer kaum annehmen können, dass für
alle Länder gleiche Massnahmen zum Erfolg führen. Doch ist man sich einig, dass der Staat
die klassischen Grundaufgaben erfüllen muss, die er auch bei uns zu erfüllen versucht. Um
ihre Ressourcen besser zu nutzen, sind heute die meisten Entwicklungsländer daran, die
Rahmenbedingungen für ihre Märkte zu reformieren.

Wirtschaftsreformen in Richtung mehr Markt: Reformländer heben produktionshem-


mende Steuern und Subventionen auf, beseitigen einengende Vorschriften zur Produkti-
onslenkung und erleichtern die Gründung von Unternehmen. Zudem verringern sie Zoll-
mauern und kartenartige Reglemente, in deren Schutz sich unproduktive Industrien erhal-
ten haben.

Auch mit Verlierern: Solche Reformen bringen für viele, die bisher von Schutzmassnah-
men und Preisverzerrungen profitiert haben, schwere Einkommenseinbussen und für viele
Menschen grosses Elend. Unrentable Stellen sind rasch gestrichen, neue produktive
Arbeitsplätze werden nur langsam geschaffen. Häufig werden solche «Strukturanpas-
sungsprogramme» von ausländischen Kreditgebern und vom Internationalen Währungs-
fonds gefordert - als Voraussetzung für Kredite. Die Initiative geht aber auch von Regierun-
gen der Entwicklungsländer aus. Denn die Reformländer erwarten, dass die Nutzung ihrer
Ressourcen langfristig effizienter wird und dass sich damit die wirtschaftlichen Möglich-
keiten für möglichst alle Menschen verbessern werden.

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GRUNDLAGEN 6/6 37
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Verbesserter Einsatz der Ressourcen: Wo es z. B. gelingt, den staatlich gelenkten


Abfluss der auf dem Land erwirtschafteten Einkommen in die Städte zu stoppen, leiden
zwar die Stadtbewohner unter höheren Nahrungsmittelpreisen. Doch dies motiviert die
Landbevölkerung zu bleiben und zu investieren. In jenen Staaten Afrikas, die die Lebens-
mittelpreise ansteigen liessen, reagierten die Bäuerinnen und Bauern denn auch umge-
hend mit grösseren Ernten.

Investitionen in den Dörfern erzielen einen höheren Ertrag als in den Städten. Dabei wird
nicht nur in die Landwirtschaft investiert, sondern auch in dörfliche und kleinstädtische
Gewerbe und Industrien. Kommt man in den Dörfern und Kleinstädten auf einen grünen
Zweig, gibt es weniger Gründe für die Landflucht.

1.4.2 Öffnung für Aussenhandel und ausländische Investitionen

Wer mehr Markt und Wettbewerb will, öffnet sich in der Regel auch gegenüber den Welt-
märkten. Der internationale Güterhandel bietet bekanntlich Chancen wie auch Risiken. Vor
allem Entwicklungsländer, die (z. T. auf westlichen Druck) ihre Märkte dem internationalen
Wettbewerb zu brüsk öffneten, erlebten schmerzliche Anpassungen, die nicht selten in
eine lang anhaltende Depression mündeten. Sie mussten erfahren, dass international nicht
wettbewerbsfähige Unternehmen schneller Konkurs gehen, als neue Branchen aufblühen.
Die erfolgreichen Entvvicklungs- und Schwellenländer Ostasiens bauten darum ihre Ein-
fuhrbeschränkungen nur in dem Masse ab, wie neue Arbeitsplätze entstanden.

Mehr Markt bedeutet oft auch, dass die Grenzen für den internationalen Kapitalverkehr
geöffnet werden. Damit können nicht nur einheimische, sondern weltweite Spargelder
genutzt werden. Allerdings ergeben sich mit unterschiedlichen Formen von Kapitalflüssen
auch unterschiedliche Chancen und Probleme:
1. Direktinvestitionen: Heute sind die Grenzen der meisten Entwicklungsländer offen
für Direktinvestitionen, denn ihnen fliesst nicht nur Kapital zu, sondern auch techni-
sches und organisatorisches Wissen. Siedeln sich nicht einfache Plantagen- oder Berg-
baufirmen an, sondern Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, kann neues Wis-
sen konkret erfahren werden: von der Arbeitsorganisation und Managementmetho-
den über Buchhaltung und Marketing bis zu Finanz- und Kommunikationsnetzen.
Um Direktinvestitionen anzuziehen, müssen allerdings die Eigentumsrechte der aus-
ländischen Kapitalgeber gesichert sein. Dazu gehört auch, dass die Kapitalgeber Zin-
sen und Gewinne in ihr Land abziehen dürfen. Ausländische Direktinvestitionen sind
an vielen Orten derart willkommen, dass ihnen beträchtliche Steuervergünstigungen
gewährt werden - eine Strategie, die im Rahmen des Steuerwettbewerbs auch euro-
päische Staaten und sogar schweizerische Gemeinden gegeneinander anwenden.
2. Portfolioanlagen: Stärker unter Kritik sind Portfolioanlagen, d. h. Käufe von Obligatio-
nen und Aktien ohne Beteiligungsabsichten. Märkte für Wertpapiere sind ja offen für
Spekulation. Sind nun solche Märkte international geöffnet, können sie in Boomzeiten
durch Kapitalströme überschwemmt werden - und in Krisensituationen (oder auch
schon bei der kleinsten Unsicherheit) kann schnell viel Geld ins Ausland abfliessen.
Spekulative Ausschläge nach oben wie nach unten werden so enorm verstärkt.
Dabei werden auch die Wechselkurse stark in Mitleidenschaft gezogen. Bewegen
sich Kapitalströme in ein Entwicklungsland, wird seine Währung auf den Devisenmärk-
ten gesuchter, und ihr Aussenwert steigt. Umgekehrt fliesst bei einem Aktienbörsen-
krach Geld aus dem Land und reisst den Aussenwert der Währung in die Tiefe.
Deshalb stehen immer wieder Abwehrmassnahmen gegen spekulative Gelder zur
Diskussion - so z. B. eine weltweite Steuer auf Wertpapier- und Devisentransaktionen.
Als Massnahmen, mit denen einzelne Länder ihre Finanzmärkte schützen könnten,
werden obligatorische Einlagen bei der Zentralbank vorgeschlagen oder auch Kapital-
verkehrsbeschränkungen.

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38 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

3. Kurzfristige Kredite: In welche Probleme sich Schuldnerländer mit Darlehen stürzen


können, wurde schon im Abschnitt über die Verschuldungskrise besprochen. Deshalb
wird seit langem ein internationales Konkursrecht gefordert, das die Rechte der
Schuldner und Gläubiger im Fall von Zahlungsschwierigkeiten verbindlich festlegt. Da-
mit würde verhindert, dass in Panik geratene Geldgeber nach dem Rezept «Rette sich,
wer kann» ihr Geld zurückfordern und dadurch die Situation des Schuldnerlandes noch
verschlimmern. Ein Konkursrecht würde einerseits die Gläubiger stärker an den Risiken
beteiligen und anderseits die Schuldner vor der heutigen Willkür schützen und die här-
testen sozialen Konsequenzen der Verschuldung mildern.

Exkurs Export- und binnenorientierte Strategien - Was ist damit gemeint?


In Diskussionen um Entwicklungspolitik tauchen manchmal die Begriffe «exportorientierte Strate-
gie» oder «binnen(markt)orientierte Strategie» auf. Beides sind Strategien, bei denen der Staat
massiv in die Güterproduktion eingreift und die im Prinzip marktwirtschaftlichen Ansätzen wider-
sprechen.
Bei der exportorientierten Strategie wird die Exportbranche auf Kosten der einheimischen Pro-
duktion besser gestellt - durch Quoten, spezielle Bewilligungen oder Steuern. Werden z. B. Agrar-
produkte exportiert, heisst das, dass die einheimische Lebensmittelversorgung leidet. Da die Preise
verzerrt sind, werden die Ressourcen nicht effizient genutzt. Zudem werden die Exporterlöse allzu
oft von der Oberschicht für Rüstungsgüter und Luxusimporte verwendet - statt für produktive
Investitionen.
Bei der binnenorientierten Strategie wird versucht, abgekoppelt vom Weltmarkt eine eigene
Industrie aufzubauen. Einheimische Betriebe werden durch Zölle und Importbeschränkungen
geschützt, haben oft Monopole und arbeiten entsprechend unwirtschaftlich. Gleichzeitig wird der
Agrarsektor hoch besteuert - mit meist verheerenden Folgen.

1.4.3 Soziale und politische Reformen

Nur eigenständige Marktteilnehmer erzielen befriedigende Marktresultate: Marktreformen


dürfen nicht bei reduzierten Preisverzerrungen, Zollmauern oder Vorschriften stehen blei-
ben. Wenn vermehrter Wettbewerb möglichst allen Menschen Erfolg bringen soll, müssen
Frauen und Männer ihr Leben und Wirtschaften selber bestimmen können. Verstärkte
Marktkräfte können nur dort befriedigende Resultate hervorbringen, wo freie, selbstver-
antwortliche und ausgebildete Akteure mitwirken.

Gleichzeitig mit Marktreformen müssen also auch gesellschaftliche und politische


Reformen angestrebt werden. Für viele arme Länder bedeutet dies dezentralere Verwal-
tungen, örtliche und regionale Kooperativen, in denen sich Bauern und Gewerbetreibende
organisieren, mehr Rechte für Frauen (die oft die Hauptlast der Arbeit tragen, aber weniger
Rechte als die Männer haben) sowie Selbsthilfegruppen für Erziehung, Gesundheit oder
Familienplanung. Wichtig und erfolgreich sind Bildung und Ausbildung, eine effiziente
Sozialpolitik sowie Landreformen.

A Bildung und Ausbildung

Eine erstrangige Staatsaufgabe in Entwicklungsländern ist die Ausbildung der Bevölke-


rung. Denn die wichtigste Ressource der Entwicklungsländer ist ihre Arbeitskraft. Laut
Weltbank sind sowohl in der Industrie wie in den Dienstleistungen die Erträge aus Bil-
dungsinvestitionen höher als die Erträge aus Investitionen in Kapitalgüter. Besonders deut-
lich zeigt dies die Erfahrung der ostasiatischen Schwellenländer, die einen hohen Anteil
ihres Einkommens für die Ausbildung ihrer Kinder ausgeben. Ihr hohes Ausbildungsniveau
machte sie offen für die Übernahme der neuesten und wirkungsvollsten ausländischen
Produktionstechniken.

In der Landwirtschaft, wo ja die meisten Menschen in den Entwicklungsländern arbeiten,


zahlt sich eine Grundschulbildung am stärksten aus. Gebildeten Bäuerinnen und Bauern

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GRUNDLAGEN 6/6 I 39
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

fällt es leichter, effizientere Techniken anzuwenden. Untersuchungen in Afrika und Südo-


stasien zeigen, dass Bauern, die lesen, schreiben und rechnen können, mehr produzieren
als Bauern ohne Schulbildung.

Besonders wichtig ist die Bildung der Frauen - nicht nur, weil in vielen Ländern die Frauen
mehr arbeiten als die Männer. Bei der zentralen Rolle, welche die Frauen bei der Kin-
dererziehung spielen, zielt die Bildung der Frauen weit in die Zukunft. Die Kinder-
sterblichkeit ist bei gebildeten Müttern geringer (wie noch im gleich folgenden
Abschnitt D, S. 40 gezeigt wird) und zudem haben gebildete Mütter weniger Kinder.

B Sozialpolitik

Die Förderung von Bildung und Ausbildung trägt sowohl zur Produktionssteigerung wie
auch zur sozialen Gerechtigkeit bei. Stark umstritten ist aber ein weitergehendes Engage-
ment des Staates in der Sozialpolitik: Wie weit soll der Sozialstaat die Marktwirtschaft in
Richtung mehr Sicherheit und Gerechtigkeit korrigieren? Kann es sich ein armes Land leis-
ten, Almosen zu verteilen, statt zu investieren? Schaut man genauer hin, stellt sich der Kon-
flikt in armen Ländern aber nicht unbedingt in dieser Art. Denn erst gut genährte und
gesunde Menschen können eine volle Leistung erbringen.

Bei gezielten Sozialausgaben besteht somit nicht von vornherein ein Konflikt zwischen
Almosen für heute und Investitionen für morgen. Doch wo eine breite Ausbildungs- und
Gesundheitspolitik vorerst einmal den Armen zugute käme, trifft sie in der Regel auf den
Widerstand der wohlhabenden Schichten. Und die besser gestellten Schichten verfü-
gen auch in den Entwicklungsländern über die politische Macht.

Mit einer effizienten Ausbildungs- und Sozialpolitik werden mehrere Entwicklungs-


hemmnisse überwunden, die Familienplanung wird erfolgreicher und die Masse der
Bevölkerung wird leistungsfähiger. Doch müssen die leistungsfähigen Leute auch Mög-
lichkeiten finden, ihre Fähigkeiten zu gebrauchen.

Links: Schule in Nordindien. Rechts: Hausaufgaben in Südchina. Bildung und Ausbildung erfordern
geringen Kapitaleinsatz und bringen dem Land hohe Erträge. Fotos: B. Beck

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40 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

C Landreform

An wichtiger Stelle steht hier eine gerechte Verteilung des Bodens. Erst mit dem Eigentum
an Boden erhalten die Bauern selber die Früchte ihrer Anstrengung. Erst dann erhalten sie
die Möglichkeiten, ihre Kenntnisse und ihre Energie voll einzusetzen. Erfolgsgeschichten
sind die Landreformen in Taiwan und Südkorea. Sichere Eigentumsrechte legten den
Grundstein für das hohe Wachstum der Güterproduktion, mit dem diese beiden Länder
heute zu den hoch entwickelten Ländern aufgeschlossen haben.

Aber auch wenn eine Landreform die gesamtwirtschaftliche Entwicklung voranbringt, gibt
es natürlich Grossgrundbesitzer, die sich dagegen wehren. Die Grossgrundbesitzer von
Spanien über Südamerika bis zu den Philippinen waren bis heute mächtig genug, um eine
Aufteilung ihrer Ländereien zu verhindern.

Kreditwesen und Landbesitz: Zum Erfolg einer Landreform gehört, dass sich die Bäue-
rinnen und Bauern auch aus der Abhängigkeit der Geldverleiher lösen können. Oft sind die
Bauern so stark verschuldet, dass sie ihre Produkte gleich nach der Ernte billig verkaufen
müssen. Im Verlauf des Jahres müssen sie Nahrungsmittel teurer zurückkaufen. Eine
Bodenreform, die mit der Bereitstellung von fairen Krediten (beispielsweise durch eine
Kooperativbank) kombiniert ist, kann das Leben der Landbevölkerung beträchtlich verbes-
sern. Erst wenn die Bauern sehen, dass sie für ihre Produkte gute Preise erhalten, wenn es
sich also lohnt, mehr zu produzieren, werden sie es auch tun.

Erst wenn die Bauern ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können, werden sie
den Boden verbessern, neue Anbaumethoden ausprobieren und ertragreichere Sorten
anpflanzen. Erst in einem solchen Umfeld kommen übrigens auch Entwicklungshilfepro-
jekte vor allem den Ärmsten zugute, statt die sonst schon Privilegierten noch weiter zu
bevorteilen.

D Bevölkerungspolitik

In fast allen Entwicklungsländern versuchen die Regierungen das Bevölkerungswachstum


zu verringern. Sie wollen den demographischen Übergang beschleunigen und sind zu akti-
ven Geburtenbeschränkungen übergegangen: recht drastisch in China, etwas lustiger in
Thailand ]. Die Familienplanungsprogramme gehen davon aus, dass es nicht direkt die
Armut ist, die zu hohen Geburtenraten führt:
• Es ist die wirtschaftliche Unsicherheit, die so viele arme Eltern dazu bewegt, viele
Kinder zu haben. In armen Ländern müssen die Kinder für den Unterhalt sorgen, wenn
die Eltern alt sind. Je besser also die soziale Sicherheit, besonders für das Alter und bei
Arbeitslosigkeit, desto erfolgreicher wird die Geburtenkontrolle. Auch die Geburtenpla-
nung in China wurde erst dann erfolgreich, als ein genügender sozialer Schutz gewähr-
leistet wurde.

1] Das erfolgreiche thailändische Familienplanungsprogramm betont den Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachs-


tum und niedrigem Lebensstandard bzw. zwischen Familienplanung und Wohlstand. Um diese Botschaft zu vermitteln,
mussten die Tabus gebrochen werden, die die Geburtenkontrolle umgeben. Ein Karneval der Geburtenkontrolle, Spiel-
veranstaltungen, Aufblasvvettbewerbe mit Kondomen, Verlosungen, Dorfmessen und Hochzeiten wurden als Gelegen-
heit genutzt, um lustig für die Familienplanung zu werben. Am Tag der Arbeit und am Geburtstag des Königs werden
wahre Sterilisierungs-Marathone absolviert. Im Jahr 1983 vollzogen ein Team von 40 Ärzten und 80 Schwestern den
Rekord von 1190 Sterilisierungen an Männern während des eintägigen Festivals. Eingeschriebene Teilnehmer an der
Familienplanung können auch Vieh mieten, das ihren Acker pflügt - Familienplanungsbüffel -, und zwar zum halben
Preis. Über die örtlichen Familienplanungsdienste können sie einige ihrer Produkte zu Preisen verkaufen, die etwa 30%
über dem normalen Händlerangebot liegen, und sie können Kunstdünger und Saatgut 30% billiger kaufen. Im Rahmen
eines ähnlichen Programms können Dorfbewohner, die Verhütungsmethoden anwenden, ihre Produkte zu ermässigtem
Preis auf den Markt transportieren lassen oder sie erhalten Schweineferkel geschenkt. (Aus dem VVeltentwicklungsbe-
richt der Weltbank.)

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GRUNDLAGEN 6/6 41
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Allerdings hört man in Entwicklungsländern häufig, dass es schöner sei, von den eige-
nen geliebten Kindern gepflegt zu werden statt von einer staatlichen Bürokratie. So
wünscht man sich weiterhin Kinder als Trost für das Alter. Aber vier bis fünf (wie heute
noch in den ärmsten Ländern) wünscht sich vor allem, wer Angst hat, seine Kinder
könnten früh sterben. Je niedriger also die Kindersterblichkeit auch bei den ärms-
ten Menschen ist, desto eher werden Eltern überzeugt sein, dass die Familie
auch mit zwei Kindern ausreichend gesichert ist.
• Besser ausgebildete Eheleute, vor allem besser ausgebildete Frauen, haben we-
niger Kinder. Schulung, Ausbildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und gesellschaft-
liche Besserstellung der Frau sind darum ein wichtiges Instrument der Bevölkerungs-
kontrolle. So ist es nicht überraschend, dass gerade in muslimischen Ländern (in de-
nen die Stellung der Frau besonders schlecht und die Alphabetisierungsrate der Frauen
besonders niedrig ist) die Geburtenraten besonders langsam zurückgehen. Im musli-
mischen Bangladesch werden mehr Kinder pro Einwohner geboren als im vergleichba-
ren Indien. Und auch die Geburtenrate in Nordafrika ist immer noch hoch im Vergleich
etwa zu Brasilien oder gar Thailand.

Selbst wenn die Wachstumsraten in der beschriebenen Weise zurückgehen, ist das Bevöl-
kerungsproblem noch lange vordringlich. Dramatisch ist die Situation vor allem in den Ent-
wicklungsländern, die sehr lange in den frühen Phasen mit hohem Bevölkerungswachstum
verharren. Die Bevölkerungszahl wird sich auf dem indischen Subkontinent in den nächs-
ten 40 Jahren um etwa die Hälfte erhöhen. Im Nahen Osten und in Afrika wird sie sich ver-
doppeln.

Kampagne zur Geburtenkontrolle in Kalkutta, Indien. Foto: Santosh Basak, RDB

Die Phasen des demographischen Übergangs können beschleunigt werden. Viele Regie-
rungen versuchen dies auf unterschiedlichsten Wegen.

Die aktive Geburtenbeschränkung setzt auf materielle Anreize, um Verhütung bekannt und
populär zu machen. Daneben wird versucht, die Gründe der hohen Geburtenraten zu besei-
tigen. Dazu gehören:
• Beseitigung von wirtschaftlicher Unsicherheit,
• bessere Bildung der Frauen und
• Senkung der Kindersterblichkeit.

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42 GRUNDLAGEN 6/6
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Aufgabe 7 Welche der folgenden Aussagen sind richtig?


Al Um das Bevölkerungswachstum zu stoppen, reicht es, gezielte Aufklärungs- 3
kampagnen durchzuführen.
B] Um das Bevölkerungswachstum zu stoppen, reicht es, Prämien für Empfängnis- 11
verhütung zu gewähren.
C] Um das Bevölkerungswachstum zu stoppen, reicht ein grösseres BSP pro Kopf. 2
D] Mit zunehmender wirtschaftlicher Sicherheit steigt die Geburtenrate. 3
E] Mit zunehmender wirtschaftlicher Sicherheit sinkt die Geburtenrate. 3
F] Je höher das Bildungsniveau der Frauen ist, desto tiefer ist die Geburtenrate. 3
G] Je höher die Kindersterblichkeit, desto tiefer ist die Geburtenrate. El

1.4.4 Umweltpolitik

Umweltprobleme sind in den meisten armen Ländern grösser und bedrohlicher als in den
reichen. Neben der riesigen Luftverschmutzung in den Grossstädten oder der Wasserver-
schmutzung (z. B. in Java) wird eine zukünftige Entwicklung gefährdet durch die Erschöp-
fung der Wasserreserven (Naher Osten, Java), die Vernichtung von Wäldern (Malaysia,
Brasilien), den Raubbau am Boden und die Überweidung (Sahel).

Sachgerechte Gegenmassnahmen wären auch hier Preise für Umweltgüter, die die
Knappheit der Umweltressourcen widerspiegeln. Erste Schritte wären angemessene
Preise für Energie, Holz oder Wasser und die Abschaffung von weit verbreiteten Subven-
tionen, die die Umwelt schädigen, wie die Verbilligung von Dünger und Pestiziden. Weiter
werden auch externe Kosten mit Abgaben belegt werden müssen. Auch in Entwicklungs-
ländern sind in der Regel marktwirtschaftliche Lösungen der kostengünstigste Weg zur
Abwehr von Umweltschäden. Daneben werden aber auch strengere Gesetze und Vor-
schriften nötig sein.

Nicht zuletzt müssen die Umweltressourcen in die Kontrolle der betroffenen Bevölke-
rung gelangen. Diese muss über ihre Lebensgrundlage selber bestimmen können.
Dann könnte es nicht mehr passieren, dass eine weit vom betroffenen Gebiet wohnende
Oberschicht ausländischen oder einheimischen Firmen erlaubt, ganze Landstriche zu zer-
stören, so wie das etwa bei Staudämmen in Lateinamerika, Indien oder Afrika oder bei
Abholzungen auf Borneo oder im Amazonasgebiet geschieht.

Wie die Rechte der ansässigen Bevölkerung an ihren Ressourcen mit umweltschonendem
Produzieren und Konsumieren zusammenhängen, kann das Beispiel der Aluminiumpro-
duktion im Amazonasgebiet andeuten: Um die enormen Mengen an Elektrizität für die Alu-
miniumschmelzen zu gewinnen, wurden Stauseen angelegt, grosse Waldgebiete über-
schwemmt und die ansässigen Bewohner vertrieben. Giftige Abfälle verseuchen den
Boden. Würden die Rechte der Indianer gewahrt, würde die Aluminiumproduktion einge-
schränkt und verteuert. Höhere Preise führten zu einer Verringerung der Nachfrage nach
Getränkedosen, womit auch unsere Müllberge verringert würden.

Umweltschutz sei eben ein Luxus, den sich nur reiche Länder leisten können, hören
wir oft. Ein fataler Fehlschluss, denn gerade arme Länder können es sich am wenigs-
ten leisten, ihre Ressourcen zu verschwenden. So sind in den letzten zehn Jahren in vie-
len Entwicklungsländern ökologische Bewegungen entstanden. Und in Indien beispiels-
weise werden sie nicht nur von Leuten aus der Mittelschicht getragen, sondern auch von
armen Bäuerinnen und Bauern, die als Erste von Umweltkatastrophen bedroht werden.

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GRUNDLAGEN 6/6 I 43
1 Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Nicht nur globale Umweltgefahren, sondern auch die hohe Umweltgefährdung in vielen
Entwicklungsländern hat die Einsicht geweckt, dass die Mehrheit der Menschheit nie
einen Lebensstandard erreichen kann, der in gleichem Masse Umweltressourcen ver-
braucht wie heute der europäische oder amerikanische. Die heute armen Länder werden
ihre Umwelt viel stärker schützen und schonen müssen, als \dyir das mit der unsrigen bisher
getan haben. Dies muss die Entwicklungsländer aber nicht daran hindern, alle ihre
menschlichen Ressourcen, ihre Fähigkeiten und das ganze vorhandene Wissen so anzu-
wenden, dass eine vielfach breitere und tiefere Befriedigung ihrer Bedürfnisse erreicht
wird. Grenzen einer besseren Bedürfnisbefriedigung sind hier noch keine in Sicht. Aber
dann darf die ökonomische Grundregel, dass knappe Ressourcen effizient eingesetzt wer-
den müssen, nicht derart stark verletzt werden wie heute. Mit Rahmenbedingungen hin-
gegen, die den sorgsamen Umgang mit den knappen Umweltressourcen fördern, kann
wachsende Produktion von Waren und Dienstleistungen von zunehmender Umweltzerstö-
rung entkoppelt werden.

In der Entwicklungspolitik empfahl man früher gezielte Eingriffe des Staates in die Güter-
produktion oder Wirtschaftsplanung. Exportorientierte Strategien förderten exportorien-
tierte Branchen auf Kosten der Binnenwirtschaft (und speziell der Nahrungsmittelversor-
gung). Binnenmarktorientierte Strategien schützten einheimische Betriebe mit hohen Zoll-
mauern. Beide Systeme führen zu Ineffizienzen und überfordern die staatlichen Verwaltun-
gen von Entwicklungsländern.

Heute hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Märkte und Wettbewerb auch in Ent-
wicklungsländern für eine effiziente Ressourcennutzung sorgen. Die Regierungen von
Entwicklungsländern haben damit im Prinzip die gleichen Aufgaben wie diejenigen von rei-
chen Ländern: Abbau unnötiger Staatseingriffe (Preise, Zölle, Quoten, Bewilligungen),
Korrektur und/oder Verhinderung von Marktversagen sowie eine an minimalen Existenz-
bedürfnissen ausgerichtete Sozialpolitik. Diese Politik wird inzwischen auch von Instituti-
onen wie dem IWF unterstützt.

Zusätzlich kommt dem Staat eine weitere, wichtige Aufgabe zu: Er muss für Bildung (ins-
besondere der Frauen) und gerechtere Landverteilung sorgen. Ohne diese Vorausset-
zung kann keine Marktwirtschaft zu befriedigenden Ergebnissen führen. Damit sind aber
soziale und politische Reformen unerlässlich.

Auch in Entwicklungsländern gilt, dass die freie Verfügung über Umweltgüter Verschwen-
dung ist. Ressourcen werden ab- statt aufgebaut. Ein Weg ist, den betroffenen Menschen
die Verfügungsrechte über ihre Umweltressourcen zu geben.

Aufgabe 3 Können sich nur reiche Länder Umweltschutz leisten? (ca. 3-5 Sätze)

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44 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

2 Internationale Organisationen

Wie kommen amerikanische Computer nach Deutschland oder in die Schweiz? Nehmen
Sie an, Sie wollten einen Computer kaufen. Sie entscheiden sich für ein amerikanisches
Modell, das besonders einfach zu handhaben und ausserdem günstig ist.

Das amerikanische Unternehmen kann seine Computer deshalb so günstig produzieren,


weil es wesentliche Vorprodukte zollfrei aus Mexiko bezieht. Möglich macht das die nor-
damerikanische Freihandelszone NAFTA. Die für Europa bestimmten Computer werden
alle nach Amsterdam geliefert. Dabei müssen sie verzollt werden. Damit das Zollverfahren
funktioniert, bedarf es international gültiger Spielregeln. Dafür ist unter anderem die Welt-
handelsorganisation VVTO zuständig. Die WTO verhindert auch, dass über Nacht die Zölle
erhöht oder Einfuhrsperren verhängt werden.

Der Importeur muss seine Rechnung nun in Dollar begleichen. Damit der internationale
Währungshandel funktioniert, bedarf es wiederum einer internationalen Organisation - in
diesem Falle ist es der Internationale Währungsfonds IWF. Ohne den IWF wären Wechsel-
kurse und der Devisentausch unübersichtlicher und unsicherer.

Das Amsterdamer Handelsunternehmen verkauft nun alle Geräte, die für den deutschen
Sprachraum bestimmt sind, an einen Generalvertreter in Bayern. Das Amsterdamer und
das bayrische Unternehmen schliessen ihre Verträge in Euro ab. Hinter dem Euro steht
wiederum eine internationale Organisation, die Europäische Zentralbank in Frankfurt, die
EZB. Dass diesmal nicht weitere Zölle erhoben werden, ist der Organisation der EU zu ver-
danken.

Weitere internationale Abkommen stellen sicher, dass nicht nur der Computer, sondern
auch die dazugehörigen Programme amerikanischer Firmen in Deutschland, Österreich
oder in der Schweiz benützt werden können.

Der bayrische Computerhändler kann die Geräte z. B. auch problemlos nach Liechtenstein
liefern - und zwar dank dem EWR-Abkommen. Bei der Lieferung in die Schweiz (weder
EU- noch EVVR-Mitglied) wird es schon etwas schwieriger, aber auch das funktioniert dank
bilateralen Verträgen zwischen der EU und der Schweiz.

Damit haben wir noch längst nicht alle internationalen Organisationen aufgezählt, die die-
sen Handel ermöglicht haben! Damit amerikanische Computer auch an Schweizer Steck-
dosen betrieben werden können, bedarf es weiterer internationaler Regelungen. Auch
dass amerikanische Programme so exotische Buchstaben wie ä, ö oder sogar das ss ver-
stehen, ist internationalen Abkommen und Organisationen zu verdanken.

Wir wollen uns hier nicht im Detail verlieren. Wichtig ist: Ohne internationale Organisatio-
nen wäre der internationale Handel noch komplizierter. Die wichtigsten dieser Organisati-
onen sollen Sie hier kennen lernen.

2.1 Warum gibt es internationale Organisationen?

Je intensivere Kontakte die Länder miteinander pflegen, desto mehr Probleme tauchen auf,
die ein Land nicht mehr allein, sondern nur noch in Zusammenarbeit mit anderen Ländern
lösen kann. Deshalb nehmen die internationalen Organisationen ständig an Bedeutung zu.

Internationale Organisationen gibt es nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Auch militä-
rische (z. B. NATO) oder politische Interessen (z. B. UNO) können dahinter stehen. Wir wol-
len hier jedoch nur die wirtschaftlichen Gründe beleuchten. Zudem gibt es nicht nur die
hier beschriebenen staatlichen Organisationen. Eine grosse Anzahl von Nichtregierungsor-
ganisationen (NGO) engagieren sich vor allem bei Entwicklungs- und Umweltproblemen.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 I 45
2 Internationale Organisationen

Hinweis Aus der Abschaffung von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen ergeben sich bekanntlich
Chancen und Risiken. So wird, wenn ein Land Hemmnisse abschafft, ein Strukturwandel eintreten.
Ein solcher Strukturwandel ist oft schmerzlich. Bisher geschützte Betriebe geraten in finanzielle
Schwierigkeiten, müssen vielleicht sogar schliessen. Dafür haben andere Betriebe an vielleicht
anderen Orten plötzlich grosse Absatzchancen. Doch sie müssen erst einmal investieren und aus-
gebildete Arbeitskräfte finden. Das alles benötigt Zeit. Folglich können die Zölle nicht von einem
Tag auf den anderen abgeschafft werden. Es werden regionale Freihandelsabkommen und inter-
nationale Handelsabkommen geschlossen, in denen sich die beteiligten Staaten verpflichten, die
Zölle stufenweise abzubauen.

Um eine Ordnung in die Vielzahl der internationalen Organisationen zu bringen, sollen hier
fünf verschiedene Zwecke unterschieden werden. Dabei fallen auch schon die Namen der
wichtigsten internationalen Organisationen:
1. Aussenhandel bringt in der Regel allen beteiligten Ländern Vorteile. Mit regionalen
Freihandelsabkommen sollen Handelsbeschränkungen zwischen Ländern wegfallen.
Ein weltweites Freihandelsabkommen gibt es nicht; jedoch einige regional beschränk-
te Abkommen, z. B. die NAFTA, die ASEAN oder der EVVR. Auch die Geschichte der EU
beginnt mit einem Freihandelsabkommen.
Die EU wird vorab im Abschnitt 2.2 besprochen, Freihandelszonen im Abschnitt 2.3.
2. Wo es nicht möglich ist, Handelshemmnisse ganz abzuschaffen, versuchen die Staa-
ten, ihre Beschränkungen einheitlicher und durchschaubarer zu gestalten. Das ge-
schieht mit den internationalen Handelsabkommen GATT unter dem Dach der Welt-
handelsorganisation \NTO.
Die VVTO wird im Abschnitt 2.4 dargestellt.
3. Vorteile verspricht man sich auch aus der Harmonisierung der Wirtschaftspolitik. Dar-
um koordinieren Notenbanken untereinander ihre Geld- und Wechselkurspolitik.
Verträge über feste Wechselkurse wurden schon im Kapitel 4 des Lernhefts 4 analy-
siert - ebenso die Europäische Währungsunion mit der Europäischen Zentralbank EZB
und dem Euro.
Uns bleibt im Abschnitt 2.5 zu beschreiben, welche Aufgaben der Internationale Wäh-
rungsfonds IWF hat.
4. Auch die Regierungen versuchen ihre Wirtschaftspolitik abzusprechen - insbesondere
ihre konjunkturwirksame Ausgaben- und Steuerpolitik. Ein Forum dafür bieten Or-
ganisationen wie die OECD oder die G7.
Die UNO ist nicht nur eine Organisation zur Sicherung des Weltfriedens - einige ihrer
Unterorganisationen engagieren sich auch in wirtschaftspolitischen Fragen. Schliess-
lich ruft uns jede Erdölpreissteigerung die OPEC in Erinnerung.
Auf die OECD, die G7, die UNO-Wirtschaftsorganisationen und die OPEC gehen wir im
Abschnitt 2.6 kurz ein.
5. Vor allem für ärmere Länder von Bedeutung sind Organisationen, die eine beschleu-
nigte wirtschaftliche Entwicklung zum Ziel haben.
Die Weltbank sowie afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Entwicklungs-
banken finanzieren Grossprojekte in Entwicklungsländern.
Entwicklungsorganisationen sind das Thema des abschliessenden Kapitels 2.7.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


46 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

[2-1] Die wichtigsten internationalen Organisationen nach Aufgabenbereichen

Fünf Gründe für internationale Zusammenarbeit

Vorteile aus der Harmonis erung


Vorteile aus Aussenhandel der Wirtschaftspolitik

Entwicklungs-
zusammenarbeit
Einheitliche und
Abschaffung durchschaubare Wechselkurs-
von Handels- Übrige Wirt-
Handels- koordination schaftspolitik
hemmnissen hemmnisse

Anfänge der VVTO IWF als inter- G7 Weltbank


EU, nationale OECD
EVVR, ASEAN, GATT GATS TRIPS Zentralbank UNO
NAFTA u. a.
praktisch welt- Europäische OPEC regionale
regionale weit gültige Währungsunion auch EU Entwicklungs-
Freihandels- Spielregeln mit Euro banken
abkommen

2.2 Die Europäische Union

Ein Freihandelsabkommen steht am Beginn der europäischen Einigung. Doch war das Pro-
jekt der europäischen Einigung immer mehr als ein Freihandelsabkommen. Ein geeintes
Europa sollte mehr Gewicht in der Weltpolitik erhalten und weitere Kriege in Europa ver-
hindern. Hier beschränken wir uns aber auf die wirtschaftlichen Aspekte.

2.2.1 Ziele und Geschichte

Ideen und Vorschläge für eine europäische Einigung gab es schon seit Beginn des 20. Jahr-
hunderts. Und 1929 schlug der französische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträ-
ger Aristide Briand eine «europäische Union» vor. Doch mit der Weltwirtschaftskrise, die
noch im selben Jahr begann, kehrten die Staaten zu einer protektionistischen Politik
zurück.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Idee einer europäischen Einigung wieder aufgegriffen.
Vorerst ging es darum, ein Bollwerk gegen den entstehenden Ostblock zu schaffen und
das aus französischer Sicht unheimliche Deutschland wirtschaftlich stärker einzubinden.
Mit der Montanunion schufen Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder
1951 eine Freihandelszone für Kohle- und Stahl.

Mit den Römischen Verträgen von 1957 schlossen sich die gleichen sechs Länder zur
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG zusammen, um zwischen ihren Marktwirt-
schaften alle Grenzen abzuschaffen. Das damals formulierte und heute noch gültige Ziel
lautete:
• freier Warenverkehr,
• freier Dienstleistungsverkehr,
• freier Personenverkehr,
• freier Kapitalverkehr.

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GRUNDLAGEN 6/6 47
2 Internationale Organisationen

Allein die Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedsländern benötigte 10 Jahre. Die
letzten Hindernisse im Kapitalverkehr wurden gar erst 1992 abgeschafft. Seit 1993 gelten
die damals formulierten Ziele als erreicht. Seither sind auch die Personenkontrollen und
Zollabfertigungen an den Binnengrenzen abgeschafft.

1972 traten Grossbritannien, Irland und Dänemark der EWG bei, 1981 Griechenland und
1986 Spanien und Portugal. Um die Zusammenarbeit über das Wirtschaftliche hinaus zu
betonen, änderte man den Namen in Europäische Gemeinschaft EG.

2.2.2 Der Europäische Wirtschaftsraum EWR

Einige wirtschaftlich bedeutende Staaten sind bis heute nicht Mitglied der EU, z. B. die
Schweiz oder Norwegen. Mit dem Vertrag über den europäischen Wirtschaftsraum EWR
sollten die zwölf Staaten der EG mit den bisher abseits stehenden Ländern zu einem euro-
päischen Binnenmarkt zusammengeschlossen werden. Der EWR-Vertrag sieht die vier
Freiheiten der Römischen Verträge vor: freier Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und
Kapitalverkehr. Eine EWR-Mitgliedschaft kann damit als Vorstufe zu einer EU-Mitglied-
schaft gesehen werden.

Nicht alle Länder machten von den Möglichkeiten des EWR Gebrauch. Die Schweiz und
Island sind nicht Mitglied. Zwar hat die Schweiz ein grosses Interesse an einem möglichst
freien Zugang zum europäischen Markt. Doch in der Volksabstimmung vom 6. Dezember
1992 lehnte das schweizerische Stimmvolk bei einer hohen Stimmbeteiligung von 78%
einen Beitritt zum EWR mit 49,7% Ja zu 50,3% Nein ab. Liechtenstein und Norwegen
gehören dem EWR an und haben damit Zugang zum Binnenmarkt.

(Finnland, Schweden und Österreich sind inzwischen ganz der EU beigetreten.)

2.2.3 Die Maastrichter und Amsterdamer Verträge von 1992 und 1993

Mit den Maastrichter und Amsterdamer Verträgen ging man einen weiteren Schritt in der
europäischen Einigung. Die stärkere Bindung wurde auch durch eine weitere Namensän-
derung betont: Europäische Union EU. Finnland, Schweden und Österreich sind inzwi-
schen der EU beigetreten. Damit umfasst die EU 15 Staaten. Die wesentlichen Ziele im
Überblick:
• Europäische Währungsunion: Die nationalen Währungen wurden abgeschafft und
durch den Euro ersetzt. An der Währungsunion nehmen aber nur 12 EU-Mitglieder teil,
es fehlen Grossbritannien, Schweden und Dänemark.
• Europäische Wirtschaftsunion: Die Wirtschaftspolitik, auch die Konjunkturpolitik der
einzelnen Staaten soll besser koordiniert werden. Die stärkere wirtschaftspolitische
Abstimmung ist Voraussetzung für die Währungsunion.
• Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik: Eine Zusammenarbeit von Justiz und
Polizei und eine stärkere aussenpolitische Rolle der EU werden angestrebt. Es soll eine
Unionsbürgerschaft geben und bescheidene Massnahmen zur Demokratisierung der
EU-Gremien werden ergriffen.
• Europäische Sozialcharta: Es gibt in Europa einheitliche Mindest-Sozialstandards.
Damit soll vermieden werden, dass z. B. Preisvorteile auf Kosten der Arbeitnehmer er-
zielt werden. Im Binnenmarkt soll kein Wettlauf um die tiefsten Löhne beginnen.

Durch die Osterweiterung werden im Jahr 2004 noch 10 weitere Länder beitreten: Estland,
Letttland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta.
Damit wird die EU 25 Staaten umfassen.

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48 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

2.2.4 Die bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU

Bilaterale Verträge sind Verträge zwischen zwei Partnern. Nach der schweizerischen
Ablehnung des EWR-Vertrags (dem mehrere Partner angehörten) nahm die Schweiz bila-
terale, zweiseitige Verhandlungen mit der EU auf. Sie wurden Ende 1998 abgeschlossen
und im Mai 2000 vom Stimmvolk gutgeheissen.

Die Schweiz hat mit diesen Verträgen Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt - so
wie die EU-Länder Zutritt zum schweizerischen Markt erhalten:
• Mit langen Übergangsfristen öffnen die EU und die Schweiz gegenseitig die Märkte für
Agrarprodukte.
• Die EU und die Schweiz öffnen gegenseitig die Strassen-, Eisenbahn- und Flugmärk-
te. Um die erwartete Zunahme des Transit-Schwerverkehrs in Grenzen zu halten, wur-
de die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA eingeführt.
• Bei grossen öffentlichen Aufträgen in der EU dürfen Schweizer Firmen Offerten ein-
reichen - ebenso wie grosse Aufträge in der Schweiz auch in der EU ausgeschrieben
werden müssen.
• Freier Personenverkehr: Ab 2003 sollen Bürgerinnen der EU und Schweizerinnen ge-
genseitig freien Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Studium erhalten.

Zusätzlich wurden Vertragsdossiers über die Beseitigung von technischen Handelshemm-


nissen und über die Forschungszusammenarbeit abgeschlossen.

2.2.5 Ein schweizerischer EU-Beitritt?

Das Problem des Nichtmitglieds wird aber bleiben: Die Schweiz wird als Folge der grossen
Verflechtung mit der EU Gesetze und Verordnungen der EU übernehmen müssen. Schwei-
zerische Gesetze werden europakonform, europakompatibel gestaltet, wir sprechen vom
autonomen Nachvollzug. Dies, ohne dass die Schweiz auf die Gestaltung des EU-Rechts
einen Einfluss hat. Erst ein Beitritt zur EU würde der Schweiz erlauben, in der EU als gleich-
berechtigter Partner mitzuentscheiden.

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GRUNDLAGEN 6/6 49
2 Internationale Organisationen

[2-2] EU und Euroland

Jahreszahlen = Beitritt des Landes zur EU


€ = Mitglieder der Währungsunion

Finnland €
1995

Est nd
hweden 2‘04
1995
Dänemark -ettlan
1973

oss-
nnien
Niederla

Belgien €
1958

Frankreich €
1958

Spanien €
Portugal € 1986 Italien €
1986

Aufgabe 12 Welche vier wirtschaftlichen Grundfreiheiten sollen im Binnenmarkt der EU und im EVVR
gelten?

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50 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

2.3 Regionale Freihandelsabkommen

In allen Weltregionen gibt es Versuche zur Schaffung von Freihandelszonen. Vorbild ist oft
die EU. Keines dieser Freihandelsabkommen hat es bisher geschafft, alle Zölle abzuschaf-
fen; es wurden aber meist bedeutende Zollsenkungen erreicht. Die südostasiatische
ASEAN und die nordamerikanische NAFTA sind am weitesten gediehen. Sie werden vor-
aussichtlich innerhalb der nächsten 10 Jahre (fast) alle Zollbarrieren abgeschafft haben.

Die südamerikanische MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) hat


zwar schon einige Grenzbarrieren abgeschafft, steht aber erst am Anfang des Einigungs-
prozesses. Andere Assoziationen wie die APEC (Pazifik-Anrainerstaaten, USA, Mexiko,
Chile, Australien, Indonesien, China, Südkorea, Russland, Japan, Kanada u. a.) und die süd-
asiatische SAARC sind im Wesentlichen über Absichtserklärungen noch nicht hinausge-
kommen.

2.3.1 Association of South East Asian Nations ASEAN

Die ASEAN ist das älteste aussereuropäische Freihandelsabkommen und wurde 1967
gegründet. Sie besteht aus den sieben Staaten Brunei, Indonesien, Malaysia, den Philippi-
nen, Singapur, Thailand und Vietnam und umfasst 420 Millionen Menschen. Einige der
Länder haben in den letzten Jahrzehnten die weltweit höchsten Wachstumsraten aufge-
wiesen. Schon jetzt sind die Zölle zwischen ASEAN-Ländern sehr tief.

Mit Vietnam ist es gelungen, ein kommunistisches, planwirtschaftliches Land in den Ver-
band aufzunehmen. Das Gleiche wird mit den restlichen Ländern der südostasiatischen
Region geplant (Burma, Kambodscha, Laos). Ob es gelingt, deren zentral gelenkten Wirt-
schaften und repressiven Regimes in ein Freihandelsabkommen einzubinden, bleibt abzu-
warten.

2.3.2 North American Free Trade Association NAFTA

Das nordamerikanische Freihandelsabkommen ist seit 1994 in Kraft und umfasst die USA,
Kanada und Mexiko. Probleme bereiten unter anderem die grossen Lohnunterschiede zwi-
schen den USA und Mexiko. US-amerikanische Unternehmen fürchten die billige Konkur-
renz aus dem Süden. Arbeitsintensive Branchen kommen unter Druck (Strukturwandel).
Dagegen profitieren die Exporteure der USA vom NAFTA-Abkommen.

2.4 Internationale Zollabkommen: vom GATT zur WTO

2.4.1 Spielregeln für den Welthandel

Das GATT (mit Sitz in Genf) wurde 1948 als Spezialorganisation der UNO gegründet und
kann als Regelwerk des Welthandels verstanden werden. GATT bedeutet: General Agree-
ment on Tariffs and Trade (= Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen). Etwa 120 Staaten
sind unterdessen dem GATT angeschlossen. Die Schweiz ist seit 1966 Mitglied.

Das GATT ist kein Freihandelsabkommen (eher eine Vorstufe davon). Es zielt darauf ab,
Zölle einheitlich zu regeln, Zölle stufenweise abzubauen, andere Handelshemmnisse abzu-
bauen und nicht zuletzt Handelskriege (eskalierende Strafzölle und Einfuhrverbote) zu ver-
meiden.

Mittlerweile ist das GATT (das nur den Warenverkehr regelt) mit anderen internationalen
Handelsabkommen unter dem Dach der World Trade Organisation WTO zusammenge-

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GRUNDLAGEN 6/6 51
2 Internationale Organisationen

fasst. Diese Welthandelsorganisation regelt und fördert auch den internationalen Handel
von Dienstleistungen (General Agreement on Trade and Services GATS). Weiter versucht
die VVTO, das geistige Eigentum wie Urheberrechte, Patente und Markenschutz in globali-
sierten Märkten zu schützen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights TRIPS).

2.4.2 Die Grundsätze des GATT

• Einfuhrverbote und Mengenbeschränkungen sind untersagt. Wo aber auf ihren


Schutz nicht verzichtet werden kann, müssen sie in Zölle umgewandelt werden. Der
Sinn dieser Bestimmung ist: Wenn schon Handelshemmnisse, dann sollen sie wenigs-
tens transparent sein.
Auch die übrigen nichttarifären Handelshemmnisse (v. a. vom Ausland abweichen-
de Produktnormen) sollen in den nächsten Jahren stufenweise beseitigt werden.
Selbst die in der Agrarwirtschaft weit verbreiteten Produktions- und Exportsubventio-
nen kommen unter Druck. Zudem müssen grosse öffentliche Bauvorhaben internatio-
nal ausgeschrieben werden.
• Zölle können nicht willkürlich erhoben werden, sondern müssen ein bestimmtes
Verfahren durchlaufen. Auch können sie in der Regel nur alle drei Jahre verändert wer-
den. Diese Bestimmung soll Handelspartner vor unliebsamen Überraschungen schüt-
zen und mehr Sicherheit im internationalen Handel schaffen.
In mehreren Verhandlungsrunden wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Zölle
stufenweise abgebaut. Die durchschnittlichen Zollsätze der Industrieländer konnten
von 35% (1948) auf heute ca. 3% gesenkt werden.
• Mitglieder des GATT fallen ausnahmslos unter die Meistbegünstigungsklausel. Sie
besagt: Für alle (GATT-)Handelspartner gilt derselbe Zoll. Werden irgendeinem Land
günstigere Zölle zugestanden, gilt der günstigere Zollsatz automatisch für alle anderen
GATT-Länder auch. Die Meistbegünstigungsklausel verhindert damit Diskriminierung
unter den Handelspartnern.
• Ausführlich im GATT geregelt werden Sanktionsmöglichkeiten. Grundsatz ist: Streitig-
keiten sollen am Verhandlungstisch der VVTO (er steht in Genf) beigelegt werden -
und nicht, indem sich einzelne Staaten als internationale Polizei gebärden.

Beispiel Die USA untersagten den Import mexikanischen Thunfischs mit (von der Sache her berechtigten)
Tierschutzargumenten. Bei den mexikanischen Fangmethoden verenden sehr viele Delfine; in den
USA sind solche Methoden untersagt. Das GATT erklärte seinerseits das US-amerikanische Vorge-
hen für illegal. Daraufhin entbrannte in der Öffentlichkeit eine Debatte, ob das GATT die Ökologi-
sierung des Welthandels verhindere.

2.4.3 Zu Ausnahmen und Mängeln des GATT

Von den Grundsätzen des GATT gibt es eindrücklich viele Ausnahmen, vor allem im Agrar-,
Fischerei-, Textil- und Stahlsektor. Kritiker bemängeln, dass Ausnahmen vom möglichst
freien Handel genau für diejenigen Produkte gelten, bei denen Entwicklungsländer
Exportchancen haben. Versuche, Ausnahmeregeln und Handelsbeschränkungen abzu-
schaffen, scheitern nur allzu oft am Veto der USA oder der EU.

Beispiel Handel statt Hilfe


Die gleichen Länder, die ihr Engagement in der finanziellen und organisatorischen Hilfe für die Ent-
wicklungsländer herausstellen, behindern den Aussenhandel von armen Ländern. Die betroffenen
Branchen und alle, die Selbsthilfe vor Entwicklungshilfe stellen, fordern darum freien Handel auch
dort, wo Sonderinteressen in reichen Ländern tangiert werden.

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521 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

Aufgabe 13 Welche Ziele verfolgt das GATT? Kreuzen Sie an:


richtig falsch
Das GATT verbietet alle Einfuhrzölle. LIJ
Das GATT verbietet alle Einfuhrverbote und Mengenbeschränkun-
gen.
Das GATT will alle nichttarifären in tarifäre Handelshemmnisse
umwandeln.
Das GATT will alle vom Ausland abweichenden Produktnormen stu-
fenweise beseitigen.
Das GATT fordert, dass grössere öffentliche Bauvorhaben internatio- LII
nal ausgeschrieben werden.
Das GATT will Zölle stufenweise abbauen. 3
Das GATT will Streitigkeiten am Verhandlungstisch lösen und Fehl- LII
bare sanktionieren.

2.5 Der Internationale Währungsfonds IWF

2.5.1 Die Entstehung des IWF

Nach dem Zweiten Weltkrieg war zwischen den Industrienationen ein System fester
Wechselkurse mit dem Dollar als Leitwährung vereinbart worden. Der IWF (eine Spezial-
organisation der UNO) sollte die nötigen Währungskäufe und -verkäufe koordinieren und
bei Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten einspringen. Das internationale System mit fes-
ten Wechselkursen ist inzwischen abgeschafft worden - doch der IWF hat neue Aufgaben
gefunden.

Dem IWF (engl. International Monetary Fonds IMF) sind heute über 180 Länder ange-
schlossen, seit 1992 auch die Schweiz.

2.5.2 Kredite an Entwicklungsländer

Auch heute noch gewährt der IWF Kredite an Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten ste-
cken - so, wenn sie Probleme haben bei der Rückzahlung von Auslandkrediten oder bei
der Zahlung von Schuldzinsen.

Das dafür benötigte Geld erhält der IWF von seinen Mitgliedern. Die Höhe ihrer Beiträge
richtet sich nach ihrer wirtschaftlichen Kraft. Nach der Höhe der Beiträge richtet sich dafür
das Stimmrecht und der Einfluss auf die IWF-Politik.

Beispiel Der IWF funktioniert als Weltzentralbank und gibt sein eigenes Geld heraus: die Sonderziehungs-
rechte SZR. Die dem IWF angeschlossenen Notenbanken müssen zu einem bestimmten Ausmass
SZR als Geld akzeptieren und Devisen dafür hergeben. Da der IWF nur mit Notenbanken verkehrt,
erübrigt es sich für ihn, Münzen und Geldscheine herauszugeben. SZR existieren daher nur als
Buchgeld. Im täglichen Leben hat man nie mit SZR zu tun; dennoch existieren sie in grossen Men-
gen.

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GRUNDLAGEN 6/6 53
2 Internationale Organisationen

2.5.3 Wirtschaftspolitische Tätigkeiten des IWF

Vor allem Entwicklungsländer nehmen Kredite beim IWF auf. Gemessen an der Gesamt-
verschuldung dieser Länder ist das Volumen zwar gering, doch gilt ein IWF-Kredit in Ban-
kenkreisen als Bonitätsprüfung. Als Ende der 80er Jahre die ersten Entwicklungsländer
zahlungsunfähig wurden, ging der IWF dazu über, die Kreditvergabe an wirtschaftspoliti-
sche Auflagen zu knüpfen. Weil damit eine Währungsbehörde (bei der die reichen Länder
die Stimmenmehrheit haben) Entwicklungspolitik betreibt, wird der IWF heftig kritisiert.

Seit den 90er Jahren ist der IWF auch eine wichtige Finanzierungsquelle für die ehemali-
gen Ostblockstaaten. Auch hier ist die Kreditvergabe an wirtschaftspolitische Auflagen
geknüpft.

2.6 Koordination der übrigen Wirtschaftspolitik

2.6.1 Die G7

Die Gruppe der sieben grössten Industrieländer, die Group of Seven, trifft sich regelmässig
auf der Ebene der Regierungschefs oder der Minister. Hauptziel ist die Abstimmung kon-
junkturpolitischer und allgemein politischer Massnahmen. Zur G7 gehören: Deutschland,
Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA.

2.6.2 Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD

Die Organization for Economic Cooperation and Development (mit Sitz in Paris) wurde
1960 gegründet. Ihr gehören alle wichtigen Industrieländer an, zur Zeit: die westeuropäi-
schen Länder einschliesslich der Schweiz, Polen, Tschechien, Ungarn, Türkei, USA,
Kanada, Mexiko, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland.

Die OECD beschäftigt sich mit allen wirtschaftlichen Problemen der Mitgliedsländer, von
Konjunkturschwankungen bis zu Fragen des Sozialstaats. Sie beurteilt regelmässig die
wirtschaftliche Entwicklung von Ländern und veröffentlicht jährlich Berichte und internati-
onale Statistiken sowie Tausende von Studien.

2.6.3 Die Vereinten Nationen UNO

Die United Nations Organization (mit Sitz in New York) wurden 1945 gegründet und ist die
Nachfolgeorganisation des Völkerbundes. Ziel der UNO ist die Aufrechterhaltung oder
Wiederherstellung des Weltfriedens. Sie ist damit nicht primär wirtschaftlich orientiert,
aber viele Spezialorganisationen und Programme der UNO befassen sich mit wirtschaftli-
chen Fragen. Hier eine Auswahl:
• die internationale Arbeitsorganisation ILO,
• die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO,
• die Welterziehungs-, VVissenschafts- und Kulturorganisation UNESCO,
• die Weltgesundheitsorganisation WHO,
• das Weltkinderhilfswerk UNICEF,
• die UNCTAD, welche die wirtschaftlichen Interessen der Entwicklungsländer besser
als WTO, IWF und Weltbank berücksichtigen soll.
• Schliesslich sind auch die VVTO (vgl. Kapitel 2.4), der IWF (vgl. Kapitel 2.5) und die
Weltbank (wird in Kapitel 2.7 beschrieben) Spezialorganisationen der UNO.

Die Schweiz ist erst seit 2002 Mitglied der UNO, in den Spezialorganisationen arbeitet sie
aber schon lange mit.

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54 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

Zur Zeit ist die UNO die einzige mächtige Organisation zur Regelung globaler externer
Effekte. Und diese könnten auch den Weltfrieden zunehmend gefährden: Die Überfi-
schung der Meere, die Zerstörung der Ozonschicht und auch die drohende Klimaverände-
rung sind zum grössten Teil von den reichen Ländern verursacht; die Menschen in armen
Ländern sind aber vermutlich am stärksten betroffen. Externe Kosten von riesigem Aus-
mass werden hier von reichen auf arme Länder überwälzt. So würde z. B. ein Anstieg des
Meeresspiegels um einen Meter die Reisproduktion von Bangladesch halbieren.

So ist es die UNO, die Klimakonferenzen organisiert. Ein Resultat war das 1997 in Kyoto
angenommene Klimaschutzprotokoll. Darin verpflichteten sich die Industriestaaten, den
Ausstoss wichtiger Treibhausgase zu reduzieren. Durch Jen nachträglichen Widerstand
der USA ist dieses Abkommen jedoch gefährdet.

2.6.4 Vereinigungen von Grundstoffproduzenten

Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder, die Organization of Petroleum Exporting
Countries OPEC (mit Sitz in Wien) wurde 1960 gegründet. Mitglieder sind Algerien, Gabun,
Indonesien, Irak, Iran, Katar, Kuwait, Libyen, Nigeria, Saudi-Arabien, Venezuela und die
Vereinten Arabischen Emirate. Das Ziel der OPEC ist eine gemeinsame Preis- und Mengen-
politik. Damit sollen ihre Einnahmen maximiert werden.

Ausserdem gibt es Abkommen im Rahmen der UNCTAD zur Glättung der Rohstoff-
preise. Mit der Anlage von grossen Warenlagern für Kaffee, Kakao, Olivenöl, Zinn, Zucker,
Jute und Tropenholz können kurzfristige Preisschwankungen aufgefangen werden.

2.7 Entwicklungszusammenarbeit

2.7.1 Warum Entwicklungszusammenarbeit?

Entwicklungszusammenarbeit (oder Entwicklungshilfe) umfasst alle Leistungen von rei-


chen Ländern an Entwicklungsländer, mit dem Ziel, deren Lebensbedingungen zu verbes-
sern. Die Entwicklungszusammenarbeit ist breit gefächert: von Krediten für Waffenkäufe
über den Bau von Staudämmen bis zur Unterstützung von lokalen Selbsthilfeprojekten. Im
Kern sollte Entwicklungszusammenarbeit aber Hilfe zur Selbsthilfe sein. Nur Geld zu
sprechen, reicht nicht aus.

Entwicklungsländer sind Länder, deren Wirtschaft im Vergleich zu den reichen Industri-


eländern noch wenig entwickelt ist. Es handelt sich dabei vor allem um asiatische, afrika-
nische und lateinamerikanische Länder. Typische Merkmale sind u. a.
• ein niedriger Lebensstandard für einen Grossteil der Bevölkerung,
• oft krasse Unterschiede im Lebensstandard zwischen den Reichen und Armen,
• eine hohe Kindersterblichkeit,
• eine niedrige Lebenserwartung und
• eine starke Bevölkerungszunahme.

Beispiel Die Länder des ehemaligen Ostblocks werden nicht zu den Entwicklungsländern gezählt. Doch
auch bei ihnen ist Armut verbreitet, und auch sie empfangen Entwicklungshilfe.

Weniger hoffnungsvoll spricht man manchmal auch von unterentwickelten Ländern.


Und der Name Drittweltländer stammt noch aus der Zeit des Kalten Krieges, als die Län-
der Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zwischen den zwei Blöcken Ost und West standen.

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GRUNDLAGEN 6/6 55
2 Internationale Organisationen

In der Dritten Welt herrscht eine riesige Vielfalt. Es gibt riesige Unterschiede zwischen
den Ländern und es gibt riesige Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder.
• Es gibt Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten ärmer geworden sind, vor allem
in Afrika südlich der Sahara.
• Auf der anderen Seite gibt es Länder, die eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht
haben und an der Schwelle zu entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaf-
ten sind. Man nennt sie darum Schwellenländer. Dazu gehören Malaysia, Thailand,
China, Indonesien, Brasilien, Chile, Ägypten, Tunesien oder die Türkei.
• Singapur, Hongkong, Taiwan und Südkorea haben den Anschluss an die reichen Län-
der sogar schon gefunden.

Viele Länder haben ihre wirtschaftliche Situation stark verbessert. Auf der anderen Seite
sind die Probleme der Ärmsten immens. Nur schon eine ungefähre Beschreibung und Ana-
lyse der Entwicklungsländer würde den Rahmen dieses einführenden Lernhefts bei wei-
tem sprengen. Wenn jetzt die Entwicklungszusammenarbeit herausgepickt wird, darf man
die Grössenordnungen nicht vergessen: Verglichen mit den eigenen Anstrengungen
und auch mit dem Ausmass des Elends hat die heutige Entwicklungszusammenar-
beit - ihre Projekte und ihr Geld - eine fast unmerklich kleine Wirkung.

Entwicklungszusammenarbeit ist einmal eine Angelegenheit von internationalen Ent-


wicklungsbanken. Die grössten Banken werden wir hier vorstellen. Zum Schluss soll
auch noch kurz die bilaterale Hilfe erwähnt werden.

2.7.2 Die Weltbankgruppe

Hinweis IWF und Weltbank


Beide wurden nach dem 2. Weltkrieg in Bretton Woods (USA) gegründet. Der IWF konzentriert
sich auf die Schaffung eines geordneten internationalen Zahlungsverkehrs und die Weltbank finan-
ziert und koordiniert Entwicklungsprojekte. IWF und Weltbank binden ihre Kredite an wirtschaftli-
che, in den vergangenen Jahrzehnten umstrittene Kriterien. Ihre Entwicklungspolitik kommt umso
heftiger unter Beschuss, als beide von den reichen Geldgebern kontrolliert werden.

Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung IBRD, kurz Weltbank genannt,
hat ihren Sitz in Washington und wurde als Spezialorganisation der UNO 1945 gegründet,
um den Wiederaufbau der kriegszerstörten Länder zu finanzieren.

Inzwischen konzentriert sie sich auf Entwicklungspolitik. Sie finanziert und koordiniert
Investitionen in Entwicklungsländern. 1960 wurde zudem die Internationale Entwicklungs-
organisation IDA gegründet, die den ärmsten Entwicklungsländern billige Kredite gewährt.

Heute gibt es kaum ein Entwicklungshilfeprojekt, in dem die Weltbank nicht irgendwie ein-
gebunden ist. Sie publiziert viel zu entwicklungspolitischen Fragen - so den stark beachte-
ten, jährlich erscheinenden Weltentwicklungsbericht.

Während aber die Publikationen von hohem Problembewusstsein zeugen, ist die prakti-
sche Umsetzung eher mangelhaft und die Resultate sind manchmal sogar katastrophal.
Die meisten Projekte dienen den Interessen der Regierungen in den Entwicklungsländern,
und die Oberschicht profitiert in der Regel auf Kosten der Unterschichten. Ausbeuterische
Strukturen in den armen Ländern werden daher noch verstärkt. Auch die Weltbank muss
in offiziellen Publikationen eingestehen, dass oft vor der Weltbankhilfe die Situation besser
war. Die Weltbank reagiert aber auch auf Kritik, indem sie heute weniger technische Gros-
sprojekte (Staudämme, Kraftwerke) in Angriff nimmt. Dafür achtet sie mehr auf die ökolo-
gischen und sozialen Auswirkungen der Projekte.

Die Kritik trifft nicht nur die Tätigkeit der Weltbank - Entwicklungszusammenarbeit hat
ganz allgemein einen schlechten Ruf, so dass Konzepte immer wieder neu überdacht wer-
den müssen.

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56 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

2.7.3 Regionale Entwicklungsbanken

Neben der Weltbank gibt es auch Entwicklungsbanken für einzelne Weltregionen. Wie bei
der Weltbank ist die Schweiz auch hier Mitglied:
• Interamerikanische Entwicklungsbank IADB, 1959 gegründet,
• Afrikanische Entwicklungsbank AfDB, 1963 gegründet,
• Asiatische Entwicklungsbank ADB, 1966 gegründet,
• Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD, 1991 gegründet. Sie will
ehemaligen Ostblockländern mit Krediten und technischer Hilfe beim Aufbau von
Marktwirtschaften beistehen.

2.7.4 Bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz

Neben den finanziellen Beiträgen an die Entwicklungsbanken betreibt die Schweiz — als
Bestandteil der Aussenpolitik — auch eigene Entwicklungszusammenarbeit. Dabei kon-
zentriert sie sich vor allem auf die ärmsten Länder. Das sind Mali, Burkina Faso, Niger,
Tschad, Benin, Mosambik und Tansania (in Afrika), Bolivien, Peru und Nicaragua (in Latein-
amerika) sowie Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal und Vietnam (in Asien).

Für die offizielle Entwicklungspolitik (die 0.35 % des BSP ausmacht) setzt die Schweiz auf
verschiedene Strategien:
• Die wichtigste Rolle spielt die technische Zusammenarbeit.
• Auch der Handel mit den ärmsten Entwicklungsländern soll gefördert werden.
• Daneben werden Kredite zu günstigen Bedingungen gesprochen.
• Darüber hinaus engagiert sich die Schweiz weltweit bei der Katastrophenhilfe — dies ist
aber nicht mehr Entwicklungszusammenarbeit im engeren Sinn.

Zum Schluss sollen die Leistungen der vielen privaten Entwicklungsorganisationen


nicht vergessen werden. Ihr Beitrag, zum grössten Teil aus Spendengeldern, ist etwa so
gross wie jener des Staats.

Aufgabe 8 Welche der folgenden internationalen Organisationen verfolgen hauptsächlich den Abbau
von Handelshemmnissen unter den Mitgliedstaaten?
O EU E NAFTA 2 IWF 2 UNO
E EVVR GATT 12 G7 2 OPEC
3 ASEAN 3 VVTO E OECD 2 Weltbank

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GRUNDLAGEN 6/6 57
2 Internationale Organisationen

Aufgabe 14 Ordnen Sie jeder internationalen Organisation die passende Aussage zu:
GATT A] Strebt nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine
politische Union an.
IWF B] Eine Freihandelszone, die neben der EU auch andere
europäische Länder umfasst, die sich auf die vier Frei-
heiten der Römischen Verträge verpflichten, die
Schweiz ist nicht Mitglied.
Weltbank C] Ein Freihandelsabkommen zwischen südostasiatischen
Staaten.
G7 D] Ein Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko
und Kanada.
EU E] Hauptbestandteil der WTO. Regelt den internationalen
Warenhandel.
VVTO F] Regelt den internationalen Handel von Waren (GATT)
und Dienstleistungen (GATS) sowie den Schutz von
Eigentumsrechten (TRIPS). Schlichtet Handelsstreitig-
keiten.
EVVR G] Vergibt Überbrückungskredite an Mitglieder, denen die
Zahlungsunfähigkeit droht. Heute sind das vor allem
hoch verschuldete Entwicklungsländer und ehemalige
Ostblockstaaten.
NAFTA HI Gruppe der sieben grössten Industrieländer. Stimmen
u. a. ihre konjunkturpolitischen Massnahmen aufeinan-
der ab.
OECD I] Bemüht sich um die wirtschaftspolitische Koordination
der reichen Industrieländer.
UNO J] Internationale Organisation zur Sicherung des Weltfrie-
dens. Keine Wirtschaftsorganisation, viele ihrer Unteror-
ganisationen befassen sich aber mit wirtschaftlichen
Fragen.
OPEC K] Ein Kartell von Erdöl exportierenden Ländern.
ASEAN L] Vergibt billige Kredite für grosse Entwicklungsprojekte.

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58 GRUNDLAGEN 6/6
2 Internationale Organisationen

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 59

Zusammenfassung

ZUSAMMENFASSUNG
Zur Ökonomie der Entwicklungsländer

Wie kann Wohlstand, wie können Unterschiede zwischen Arm und Reich gemessen
werden?

BSP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten (KKP)


Für einen internationalen Vergleich müssen wir die KKP-Wechselkurse schätzen, weil die
offiziellen Kurse nicht die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten widerspiegeln. Aber
auch zu KKP enthält das BSP nicht die Leistungen, die ohne Markt erbracht werden. Diese
Leistungen sind in Entwicklungsländern vermutlich höher als in Industrieländern.

Der Anteil der ärmsten und der reichsten 20% am Volkseinkommen gibt eine ungefähre
Vorstellung über die Kluft, die innerhalb eines Landes herrscht. In Entwicklungsländern
sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich in der Regel grösser als in den industriali-
sierten Ländern. Besonders krass sind die Einkommensunterschiede in den lateinamerika-
nischen Ländern.

Durchschnittliche Lebenserwartung eines Landes


Im internationalen Vergleich gibt es hier bedeutende Unterschiede, die teilweise mit dem
Einkommen des betreffenden Landes zusammenhängen. Auch innerhalb eines Landes
kann es Unterschiede in der Lebenserwartung geben, die meist mit dem Einkommen
zusammenhängen.

Wie kann gemessen werden, ob es einem Land heute besser geht als früher?

Zunahme des realen BSP


Die Schwellenländer in Lateinamerika, Nordafrika und Süd- und Südostasien weisen
Wachstumsraten der BSP auf, die gleich hoch oder sogar höher als diejenigen der Indus-
trieländer sind.

Zunahme des Realen BSP pro Kopf


Gemessen am Pro-Kopf-BSP geht es aber den ärmsten Entwicklungsländern heute nur
wenig besser oder sogar schlechter als vor 10 Jahren. Der Abstand der ärmsten Länder zu
den reichsten hat sich damit vergrössert.

Benötigen wir zur Erklärung der Wirtschaft von Entwicklungsländern eine eigene
ökonomische Theorie?

Nein, denn die Grenze zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern ist flies-
sender geworden, und heute spielt in allen Ländern das Wissen, die politischen und sozi-
alen Institutionen sowie der technische und organisatorische Wandel die zentrale Rolle.

Ja, denn es gibt immer noch arme Länder, die kein Wirtschaftswachstum kennen, in
denen die Einkommen stagnieren oder sogar zurückgehen. Diese Länder haben vermutlich
gesellschaftliche und politische Strukturen, die vom Rest der Welt sehr verschieden sind.

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60 GRUNDLAGEN 6/6

Entwicklungshemmnisse
ZUSAMMENFASSUNG

Die Bewohner eines Landes können aus drei Gründen arm sein:

Wenig Ressourcen pro Kopf


• Mangel an natürlichen Ressourcen (zu wenig fruchtbares Land, zu ungleiche Vertei-
lung von fruchtbarem Land, lebensbedrohende Umweltkatastrophen). Aber reiche Bo-
denschätze können auch eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung sein.
• Ungenügende Kapitalbildung (wenig einheimisches Sparen, schlecht funktionierende
Kapitalmärkte, Verschwendung von Kapital, erzwungenes Sparen auf Kosten der Land-
bevölkerung führen zu Verelendung auf dem Land)
• Ungenügende Fähigkeiten (ungenügende Gesundheit, Mangel an technischem und or-
ganisatorischem Wissen, Mangel an unternehmerischen Fähigkeiten)
• Ein hohes Bevölkerungswachstum verringert die Ressourcen pro Kopf.
Vier Phasen des demographischen Übergangs:
1. Vorindustrielle Phase: Geburten- und Sterberate sind hoch; die Bevölkerung wächst
wenig
2. Mit Beginn der Industrialisierung sinkt die Sterblichkeit, so dass die Bevölkerung
rasch wächst.
3. Mit fortschreitender industrieller Entwicklung passen sich die Familien den neuen
Lebensumständen an und die Geburtenrate beginnt zu sinken.
4. Reifephase: Geburtenrate ist etwa so tief wie die Sterblichkeit.
Die vier Phasen kennzeichneten die europäische Industrialisierung — und es deutet viel
darauf hin, dass sie sich in den Entwicklungsländern wiederholen. Die ärmsten Länder
der Welt befinden sich noch in der 2. Phase, einige der etwas wohlhabenderen und die
Schwellenländer dagegen in der 3. Phase.

Ineffiziente Nutzung der Ressourcen


• Hemmende staatliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen (forcierte Industria-
lisierung hinter Zollmauern, Markteingriffe, die zur Korruption einladen, falsche Preis-
signale, landlose Arbeiter zur Untätigkeit verurteilt, keine Kredite an landlose Bauern)

Ein Teil ihrer Ressourcen und ihrer Produktion wird den Entwicklungsländern
auf die eine oder andere Art weggenommen
• Regierungen aus reichen Ländern stützen parasitäre Oberschichten in Entwicklungs-
ländern.
• Unternehmen aus reichen Ländern plündern Ressourcen in armen Ländern.
• Gut ausgebildete Arbeitskräfte wandern aus armen in reiche Länder ab.
• Reiche Länder überwälzen externe Kosten auf schwächere Länder.
• Der Welthandel wird einseitig zu Gunsten der reichen Länder eingeschränkt.
• Ärmere Länder werden durch Schulden abhängig gehalten und finanziell ausge-
quetscht.

Entwicklungschancen für Nachzügler oder Kreislauf der Armut?

Wissenstransfer, dank externen Nutzen oder durch Direktinvestitionen erlauben den Ent-
wicklungsländern, vom technischen und organisatorischen Wissen der modernen Volks-
wirtschaften zu profitieren. Entsprechend gross sind die Chancen der Nachzügler, ihren
Abstand zu den reichen Ländern zu verringern. Schwellenländer steigern ihre Produktion
in einem bisher nie gesehenen Ausmass.

Doch es gibt auch viele Länder, in denen die Pro-Kopf-Produktion nur langsam zunahm oder
sogar zurückging. Sie scheinen in einem vielfachen Kreislauf der Armut gefangen zu sein.

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GRUNDLAGEN 6/6 61

Entwicklungsstrategien

ZUSAMMENFASSUNG
• Märkte, rechtlicher Rahmen und Infrastruktur: Märkte sind ein leistungsfähiger Ko-
ordinationsmechanismus. Doch Märkte entstehen nicht automatisch. Sie brauchen ei-
nen sicheren rechtlichen Rahmen, den nur der Staat schaffen und durchsetzen kann.
Der Staat muss auch eine minimale Infrastruktur (Leitungen, Kanalisation, Strassen)
zur Verfügung stellen.
Reformländer heben produktionshemmende Steuern und Subventionen auf, beseiti-
gen einengende Vorschriften zur Produktionslenkung und erleichtern die Gründung
von Unternehmen. Zudem verringern sie Zollmauern und kartellartige Reglemente, in
deren Schutz sich unproduktive Industrien aufrechterhalten haben.
• Öffnung für Aussenhandel: Die Vorteile von Aussenhandel wurden schon in der
letzten Lektion besprochen: 1. Jedes Land kann sich auf jene Güter spezialisieren, die
es mit den geringsten Alternativkosten herstellen kann. 2. Intraindustrieller Handel ist
lohnend, weil man so von zunehmenden Skalenerträgen profitieren kann, und trotz-
dem nicht auf eine grösstmögliche Vielfalt von Gütern verzichten muss. 3. Der Wett-
bewerb wird intensiver. 4. Der Informationsfluss wird grösser.
Insbesondere für Entwicklungsländer kann uneingeschränkter internationaler Handel
jedoch auch erhebliche Probleme mit sich bringen: 1. Die Gefahr besteht, dass sie sich
aufgrund ihrer komparativen Vorteile auf jene Güter spezialisieren, deren Nachfrage
weltweit stagniert. 2. Die Arbeitsteilung kann zu einer starken Spezialisierung führen
und damit zu übergrosser Abhängigkeit von einem Produkt. 3. Wer sich stark speziali-
siert, trägt immer auch das Risiko, dass er die Weichen für die Zukunft falsch stellt.
• Öffnung für ausländische Investitionen: Durch Direktinvestitionen kann neues
Wissen konkret erfahren werden: von der Arbeitsorganisation und Managementme-
thoden über Buchhaltung und Marketing bis zu Finanz- und Kommunikationsnetzen —
wenn sich nicht einfache Plantagen- oder Bergbaufirmen, sondern Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen ansiedeln. Um Direktinvestitionen anzuziehen, müssen
allerdings die Eigentumsrechte der ausländischen Kapitalgeber gesichert sein.
Portfolioanlagen, d. h., Käufe von Obligationen und Aktien ohne Beteiligungsabsich-
ten sind offen für Spekulation. Dabei werden auch die Wechselkurse in Mitleidenschaft
gezogen. Abwehrmassnahmen gegen spekulative Gelder stehen zur Diskussion. Seit
langem wird ein internationales Konkursrecht gefordert, das die Rechte der Schuld-
ner und Gläubiger im Fall von Zahlungsschwierigkeiten verbindlich festlegt.
• Soziale und politische Reformen: Der Staat muss für Bildung (insbesondere der
Frauen) und gerechtere Landverteilung sorgen. Ohne diese Voraussetzung kann keine
Marktwirtschaft zu befriedigenden Ergebnissen führen. Damit sind aber soziale und
politische Reformen unerlässlich.
• Bevölkerungspolitik: Die aktive Geburtenbeschränkung setzt auf materielle Anreize,
um Verhütung bekannt und populär zu machen. Daneben wird versucht, die Gründe
der hohen Geburtenraten zu beseitigen. Dazu gehören: Beseitigung von wirtschaftli-
cher Unsicherheit, bessere Bildung der Frauen und Senkung der Kindersterblichkeit.
• Umweltpolitik: Umweltschutz ist kein Luxus, den sich nur reiche Länder leisten kön-
nen, vielmehr können gerade arme Länder sich am wenigsten leisten, ihre Ressourcen
zu verschwenden. Neben der Einführung von Umweltabgaben müssen die Umweltres-
sourcen in die Kontrolle der betroffenen Bevölkerung gelangen.

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62 GRUNDLAGEN 6/6

Internationale Organisationen
ZUSAMMENFASSUNG

Je mehr die Länder miteinander Handel treiben, desto mehr Berührungspunkte haben sie
und desto mehr beeinflussen sie sich gegenseitig in ihrem Wirtschaftsgeschehen. Dabei
tauchen viele Probleme auf, die ein Land nicht mehr allein, sondern nur noch in Zusam-
menarbeit mit anderen Ländern bestimmen kann. Deshalb nehmen die internationalen
Organisationen ständig an Bedeutung zu.

Die Gründe für die internationale Zusammenarbeit sind sehr verschieden. Entsprechend
gibt es auch zahlreiche internationale Organisationen mit unterschiedlichen Zwecken und
mit unterschiedlicher Ausdehnung. Die aus unserer Sicht wichtigsten sind in der folgenden
Abbildung dargestellt:

Gründe für internationale Zusammenarbeit

Vorteile aus Aussenhandel


Vorteile aus Vorteile aus der
VVährungs- und Harmonisierung
Einheitliche und Wechselkurs- der Wirtschafts-
Abschaffung von durchschaubare koordination politik
Zöllen Zollbestimmungen

Freihandelsab- Zollabkommen
kommen
• EU, EVVR • VVTO, GATT • Europäische • EU, Maastrichter
• ASEAN Regionaler Währungsunion Verträge
• NAFTA Frei-handel • IWF als interna- • G7
Weltweit gültige tionale Zentral- • OECD
Regionaler Frei- bank
handel Spielregeln • UNO

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GRUNDLAGEN 6/6 63

Lösungen zu den Aufgaben

LÖSUNGEN ZU DEN AUFGABEN


1 Seite 15 Die richtigen Antworten sind: A] Russland, B] Sri Lanka, C] Kolumbien, D] Russland, E] Sri
Lanka.

Die folgende Übersicht enthält die relevanten Daten für alle Länder. Das Land, das jeweils
am besten abschneidet, ist fett hervorgehoben.

Kriterien / Länder Sri Lanka Indonesien Marokko Russland Kolumbien


BSP/Kopf in KKP-US-$ 3 560 2 940 3 690 8 660 5 980
Reichste 10% / ärmste 10% 8,0 6,8 11,9 22,9 41,8
BSP/Kopf in KKP-US-$ reichste 10% 10 000 8 000 11 400 33 700 27 500
BSP/Kopf in KKP-US-$ ärmste 10 °/0 1 250 1180 960 1470 560
Lebenserwartung 73 66 67 65 72

Anmerkung: c und d erfordern etwas Rechenarbeit. Beispiel Kolumbien: Die ärmsten 10% erhalten
1,1 % des Volkseinkommens (Tabelle1-3, S. 12). Bei einem durchschnittlichen BSP pro Kopf von
5 710 $ (Tab. 1-1, S. 8) kommen sie auf 1,1%! 10% • 5 980 $ = 560$. Die reichsten 10% sind
41,8-mal so reich (Tab. 1-3, S. 12), erhalten also 329 $ 41,8 = 27 500 $.

2 Seite 28 A] Folgende Arten von Ressourcen wurden im Text genannt:


• Boden: Fruchtbare Böden, Bodenschätze
• Umwelt: Klima (Empfindlichkeit der natürlichen Umwelt), Schönheit
• Kapital: Kapitalgüter (fehlende Infrastruktur = Netze für Wasser, Telekommunikation,
Strom, Personen- und Gütertransporte), technisches und organisatorisches Wissen,
Know-how, effiziente Technik
• Arbeit: gut ausgebildete Arbeitskräfte, Kenntnisse über effizienten Landbau

B] Beispiele ineffizienter Ressourcennutzung in Entwicklungsländern:


• Durch ungleiche Landverteilung, künstlich tief gehaltene Nahrungsmittelpreise
und/oder hohe Besteuerung der Landwirtschaft wird der Faktor Boden ineffizient
genutzt.
• Auch die schlechte Ausbildung der Bauern trägt zu ineffizienter Nutzung der Res-
source Boden bei.
• Durch protektionistische Massnahmen (Zollmauern, Importquoten, Bewilligungen)
wird der Produktionsfaktor Kapital ineffizient genutzt - und zudem der Wissenstransfer
(Humankapital) erschwert.
• Durch mangelhafte Infrastruktur werden Arbeit und Kapital ineffizient genutzt (Warte-
zeiten wegen Ersatzteilmangel oder Stromunterbrüchen).
Die ausufernde oder korrupte Bürokratie führt zu ineffizientem Einsatz von Arbeit und
Kapital.

C] Wichtig für eine grosse Güterproduktion sind weniger Ressourcen in Form von frucht-
barem Boden oder Bodenschätzen, sondern Kapitalgüter, gut ausgebildete Arbeitskräfte
und technisches und organisatorisches Wissen (Humankapital).

3 Seite 44 Je ärmer ein Land, desto kostbarer sind ihm die noch verbliebenen Reserven - auch wenn
es Umweltgüter sind. Sie zu zerstören, trifft arme Länder stärker als reiche. Sie haben weni-
ger Möglichkeiten, den Verlust an Umweltqualität zu kompensieren und sie haben weniger
Mittel, sich gegen Katastrophen zu wehren.

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64 GRUNDLAGEN 6/6
LÖSUNGEN ZU DEN AUFGABEN

4 Seite 15 Unterernährung, schlechte hygienische Verhältnisse, ungenügende medizinische Versor-


gung.

5 Seite 28 Wenn die Bauern für ihre Produkte zu wenig bekommen, produzieren sie weniger. Bei
schlechter Ernte fehlen Vorräte, und es gibt eine Hungersnot. Wo Bauern auf keinen grü-
nen Zweig kommen, geben sie auf, wandern in die Städte ab und bevölkern die Slums.

6 Seite 22
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— 7)

2

Geburtenrate
50
Sterberate
40

30

20

10

0
vorindustrielle Frühphase der fortgeschrittene Reifephase
Phase industriellen industrielle
Entwicklung Phase

Wichtig ist der qualitative Verlauf der Kurve, nicht aber die genauen Raten, bei denen
die Kurve beginnt und endet. Also: In Phase 1 (vorindustriell) sind Geburten- und Sterbe-
rate etwa gleich hoch. In Phase 2 (Frühindustrialisierung) sinkt die Sterberate, die Gebur-
tenrate bleibt hoch. In Phase 3 beginnt dann auch die Geburtenrate zu sinken. In Phase 4
(Reifephase) hat die Geburtenrate ein ähnlich tiefes Niveau wie die Sterberate erreicht.
Beide Raten sind also wieder etwa gleich hoch.

7 Seite 43 Richtig sind E] und F].

8 Seite 56 Welche der folgenden internationalen Organisationen verfolgen hauptsächlich den Abbau
von Handelshemmnissen unter den Mitgliedstaaten?
EU
EWR
ASEAN
NAFTA
GATT
VVTO
IWF
G7
OECD
UNO
OPEC
Weltbank

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GRUNDLAGEN 6/6 165

LÖSUNGEN ZU DEN AUFGABEN


9 Seite 32 • Regierungen aus Industrieländern stützen ausbeuterische Diktaturen und entwick-
lungshemmende Strukturen.
• Interventionen von Ost und West heizten interne Spannungen in Entwicklungsländern
an und unterstützten Bürgerkriege.
• In Zusammenarbeit mit abhängigen Regierungen und bestochenen Offiziellen werden
natürliche Ressourcen geplündert.
• Nach den heutigen Regeln können wichtige Umweltressourcen weltweit gratis
genutzt und zerstört werden. Darum ist es möglich, dass zwar die Menschen in den
reichen Ländern einen grösseren Beitrag zu den globalen Umweltverschlechterungen
leisten - die Menschen in den armen Ländern aber wohl stärker davon betroffen wer-
den
• Oft werden die Spielregeln des ungehinderten internationalen Marktes beklagt, welche
die ärmeren Länder benachteiligen. Wo hingegen die Entwicklungsländer aus dem
freien Handel profitieren könnten, v. a. bei Textil- und Agrarexporten, wird er einge-
schränkt.
• Ärmere Länder werden durch riesige Schulden abhängig gemacht und finanziell aus-
gequetscht. Die Industrieländer hatten zu viele Darlehen für Investitionen gegeben, die
keinen Mehrertrag brachten. Die Industrieländer haben die Macht, ihre Schulden auch
einzutreiben.

10 Seite 11 A] Sinnvollerweise verwenden Sie das nach Kaufkraftparitäten berechnete Pro-Kopf-BSP


für solche Vergleiche.
Ein durchschnittlicher Schweizer (31 320 $) ist ca. doppelt so reich wie ein Durchschnitts-
grieche (17 860 $) und dreimal so reich wie ein Durchschnittsungare (12 570 $).
Die Durchschnittsdeutsche (25 530 $) übertrifft die Thailänderin (6 550 $) um das Vierfache
und die Ägypterin (3790 $) um das Siebenfache. Die durchschnittliche Bewohnerin von
Singapur (24 910 $) ist nach KKP berechnet etwa gleich reich wie Deutsche.

B] Gefragt ist, um das Wievielfache das jeweils reichste Land reicher als das ärmste ist.
• Lateinamerika: Argentinien (11 690 $) ist 8-mal reicher als Haiti (1 450 $).
• Süd- und Ostasien: Singapur (24 910 $) ist 17-mal reicher als Nepal (1 450 $).
• Nahost und Nordafrika: Israel (19 330 $) ist 6-mal reicher als Syrien (3340 $).
• Afrika südlich der Sahara: Südafrika (9 510 $) ist 20-mal so reich wie Sierra Leone (480
$).

Was auffällt: Zwischen den Entwicklungsländern sind die Unterschiede extrem.

C] Für Vergleiche aufgrund des BSP trifft dieselbe Kritik wie für das BSP selbst zu. Zwar
sind Unterschiede des Preisniveaus herausgerechnet, wenn KKP-$ verwendet werden,
aber
• in Entwicklungsländern werden viele Leistungen ausserhalb des Marktsystems
erbracht (Ernährung, Fürsorge, Tauschgeschäfte . . .)
• und besonders werden viele Marktvorgänge nicht statistisch erfasst (Schattenwirt-
schaft).

Doch selbst wenn die Versorgung mit Waren und Dienstleistungen international nach glei-
chem Massstab bewertet werden könnte, ist zu bedenken, dass Lebensqualität nicht allein
von der Güterversorgung abhängt. Nicht zuletzt ist wichtig, wie die Verteilung des Sozial-
produkts innerhalb der einzelnen Länder aussieht.

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66 GRUNDLAGEN 6/6
LÖSUNGEN ZU DEN AUFGABEN

11 Seite 32 Wo freie Menschen ein Kreditgeschäft abschliessen, besteht die Gefahr, dass der Schuld-
ner zahlungsunfähig wird und der Gläubiger sein Geld verliert. Darum sind die Kreditgeber
auch vorsichtig, wem sie Geld geben, und verlangen je nach eingeschätztem Risiko eine
kleinere oder grössere Risikoprämie.

Beim grössten Teil der Kredite in die Entwicklungsländer herrschte nicht dieser freie Markt.
Vielmehr gewährten Regierungen (bestochen von Kreditnehmern oder -gebern) eine Staats-
garantie oder die Kredite wurden über den Staat abgewickelt. Das ermöglichte den Kredit-
gebern, weniger vorsichtig zu sein. Und wo die damaligen Profiteure der Kredite nicht zu
belangen sind, müssen andere für die Schulden geradestehen: der Staat mit den Steuerzah-
lern und den Empfängern von Staatsleistungen wie Schüler oder Bedürftige.

12 Seite 49 Freier Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr.

13 Seite 52 Welche Ziele verfolgt das GATT? Kreuzen Sie an:


richtig falsch
Das GATT verbietet alle Einfuhrzölle. El
Das GATT verbietet alle Einfuhrverbote und Mengenbeschränkun- L_J

gen.
Das GATT will alle nichttarifären in tarifäre Handelshemmnisse
umwandeln.
Das GATT will alle vom Ausland abweichenden Produktnormen stu-
fenweise beseitigen.
Das GATT fordert, dass grössere öffentliche Bauvorhaben internatio-
nal ausgeschrieben werden.
Das GATT will Zölle stufenweise abbauen.
Das GATT will Streitigkeiten am Verhandlungstisch lösen und Fehl-
bare sanktionieren.

14 Seite 57 Ordnen Sie jeder internationalen Organisation die passende Aussage zu:
El GATT H] G7 B] EVVR J] UNO
G] IWF A] EU D] NAFTA K] OPEC
L] Weltbank F] WTO I] OECD C] ASEAN

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GRUNDLAGEN 6/6 67

Volkswirtschaft in Stichworten

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Weil die meisten volkswirtschaftlichen Fachtexte in englischer Sprache abgefasst sind, sind für die
Begriffe die englischen Ausdrücke aufgeführt.

Abschreibung Durch Abschreibungen wird der Verschleiss von Kapitalgütern berücksichtigt. Forderungen
depreciation gegenüber zahlungsunfähigen Schuldnern werden ebenfalls abgeschrieben.
VW 104 1.2.5

Absprachen Absprachen sind informelle Abmachungen zwischen Unternehmen, um den Wettbewerb


collusion zu verringern oder auszuschalten.
VW 102 3.1.2
- > Marktmacht

Aktie Wertpapier, mit dem der Aktionär Teilhaber einer Aktiengesellschaft ist. Pro Aktie wird ein
stock Anteil am Gewinn der Aktiengesellschaft ausbezahlt, eine Dividende. Weiter berechtigen
VW 102 1.3.3 Aktien (entsprechend der Anzahl Aktien) zur Mitbestimmung an der Aktionärsversammlung
des Unternehmens. Aktien werden an der Aktienbörse gehandelt.

-> Kapitalmärkte -> Spekulation

Alternativkosten, Entgangener Nutzen der nicht gewählten Alternative, die kostbarsten Güter und Ressour-
Opportunitätskosten cen, die aufgegeben werden müssen, um ein Ziel zu erreichen.
opportunity costs
-> Komparative Vorteile
VW 101 2.4.1
VW 105 3.3.2

Angebotsinflation Inflationsimpulse, die vom Angebot her kommen. Diese treten vor allem dort auf, wo Preise
cost-push inflation oder Löhne durch Marktmacht und gesetzlich verankerte Preisanpassungen erhöht werden
VW 104 3.2 können.

-> Preis-Lohn-Spirale oder Lohn-Preis-Spirale -> Inflation, Teuerung, Geldentwertung

Angebot Das Angebot ist jene Menge von Gütern (oder Ressourcen), die Verkäufer auf Märkten
supply absetzen wollen. In der Regel gilt: Je höher der Preis, desto höher die angebotene Menge.
VW 101 3.2, 3.5, 3.6 und 4.1

Antizyklische -> Konjunkturpolitik, Stabilitätspolitik, antizyklische Konjunkturpolitik


Konjunkturpolitik

Arbeitskraft Menschliche Arbeit ist jede körperliche und geistige Tätigkeit, mit dem Ziel, Knappheit zu
labor überwinden. Arbeit wird v. a. in Haushalten, Unternehmen und beim Staat verrichtet. Ent-
VW 101 2.3 scheidend für wirtschaftliche Entwicklung ist das technisch-organisatorische Wissen der
VW 1O2 1.1 und 1.2 Arbeitskräfte, das durch Aus- und Weiterbildung in Schulen und Unternehmen gebildet
wird (Bildungsinvestitionen).

-> Know-how

Arbeitslosenrate, Anzahl Arbeitslose in °A der Erwerbsbevölkerung (Erwerbstätige und Arbeitslose)


Arbeitslosenquote
-> Arbeitslosigkeit -> Inflationsstabile Arbeitslosenrate
unemployment rate
VW 105 1.1, 1.2, 1.5, 1.6, 2.1
und 2.2

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68 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Arbeitslosigkeit Bei Arbeitslosigkeit finden Teile der arbeitswilligen und arbeitsfähigen Bevölkerung keine
unemployment Beschäftigung in Unternehmen oder beim Staat. Je nach Dauer unterscheidet man zwi-
VW 105 1.1, 1.2, 1.5, 1.6, 2.1 schen Kurz- und Langzeitarbeitslosigkeit, je nach Ursache zwischen friktioneller, strukturel-
und 2.2 ler und konjunktureller Arbeitslosigkeit:
• Sucharbeitslosigkeit, friktionelle Arbeitslosigkeit ergibt sich, weil man beim Stellen-
wechsel wegen fehlender Transparenz nicht immer sofort wieder eine neue Stelle fin-
det.
• Bei struktureller Arbeitslosigkeit stimmt auf den Arbeitsmärkten das Angebot an Ar-
beitskräften in qualitativer oder regionaler Hinsicht nicht mit der Nachfrage überein.
• Konjunkturelle Arbeitslosigkeit ist eine Folge der für alle Marktwirtschaften typischen
Konjunkturabschwünge. In einem solchen Konjunkturabschwung stockt in praktisch
allen Branchen der Absatz, was eine schnelle Zunahme der Arbeitslosigkeit in fast allen
Branchen zur Folge hat.

- > Inflationsstabile Arbeitslosenrate -> Sockelarbeitslosigkeit

Armut Armut beeinflusst alle Bereiche des Lebens. Arme sind einkommensschwach, von Hunger
poverty bedroht, anfälliger für Krankheiten, haben weniger Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen
VW 106 1.1.2 und Wissen und müssen sich höher gestellten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Schichten unterordnen.

-> Kreislauf der Armut

ASEAN Seit 1967 bestehendes Freihandelsabkommen zwischen südostasiatischen Ländern.


Association of South East
Asian Nations
VW 106 2.3

Ausfuhren - > Exporte, Ausfuhren

Bank Eine wichtige Aufgabe von Banken ist, zwischen Sparern und Investoren zu vermitteln. Sie
bank sammeln die vielen kleiner und grossen Sparströme in Sparkonten und leiten sie v. a. den
VW 102 1.3 investierenden Unternehmern und Hauseigentümern in Form von Bankdarlehen und Hypo-
thekarkrediten zu. Dabei verdienen die Banken ihr Geld, indem sie den Kreditnehmern einen
etwas höheren Zins verlangen, als sie den Sparern weitergeben. Diese Zinsmarge deckt das
Risiko, das die Bank mit ihren Schuldnern trägt (Risikoprämie), und entschädigt die Bank
für ihre Arbeit.

-> Kapitalmärkte

Bedarfsgerechtigkeit Dieses Konzept orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen. Ein Mensch soll erhal-
justice of need, justice based ten, was er braucht. Er hat ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben, und damit auf
on need ein gewisses Wohlstandsniveau.
VW 103 1.2.2
-> Leistungsgerechtigkeit -> Sozialpolitik

Bilanz der laufenden -> Ertragsbilanz, Bilanz der laufenden Transaktionen


Transaktionen

Bilaterale Verträge der Bilaterale Verträge sind Verträge zwischen zwei Partnern. Nach der Ablehnung des
Schweiz mit der EU EWR-Vertrages schloss die Schweiz zweiseitige Verträge mit der EU ab, die einen gegen-
VW 106 2.2 seitigen freien Zugang zu bestimmten Märkten gewährleisten.

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GRUNDLAGEN 6/6 69

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
BIP —) Bruttoinlandprodukt, BIP

Bodenrente Bodenrente nennt man das Entgelt für den Produktionsfaktor Boden.
land rent, soil rent
—> Ressourcen, Produktionsfaktoren
VW 102 1.4

Boom Als Boom bezeichnet man einen starken Konjunkturaufschwung, aber auch ein hohes
boom Wachstum einzelner Wirtschaftszweige.
VW 105 1.7

Bruttoinlandprodukt, BIP Das BIP umfasst den Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb
gross domestic product/GDP eines Landes für Geld produziert werden, einschliesslich der neuen Kapitalgüter, aber ohne
VW 104 1.2, 1.3 Abzug der Abschreibungen. Eingeschlossen sind also alle Güter, welche die Unternehmen
und der Staat herstellen.

Die Hauptkomponenten der Verwendungsseite sind Konsum, Investitionen, Staatsleistun-


gen und Nettoexporte (Exporte minus Importe).

Es wird unterschieden zwischen dem nominalen BIP (das zu Preisen des jeweiligen Jahres
bewertet wird) und dem realen BIP (das inflationsbereinigte BIP). Im Anstieg des nominalen
BIP sind die Preissteigerungen in vollem Umfang mit eingeschlossen. Der Zuwachs des rea-
len BIP hingegen zeigt das mengenmässige BIP-Wachstum.

Das BIP ist zusammen mit dem BSP und dem Volkseinkommen ein Mass für die Aktivität
im Wirtschaftskreislauf und wurde für das Verständnis von Störungen in diesem Kreislauf
(Konjunkturschwankungen) konzipiert.

Bruttosozialprodukt, BSP Das BSP umfasst den Wert aller für Geld produzierten Güter, über welche die Bewohner
gross national product/GNP eines Landes während eines Jahres verfügen können (ohne Abzug der Abschreibungen).
VW 104 1.2.4, 1.4 Das BSP übersteigt das BIP um die Erträge des einheimischen Kapitals im Ausland, aber
abzüglich der Erträge des ausländischen Kapitals im Inland und abzüglich der Löhne der
ausländischen Grenzgänger.

BSP —> Bruttosozialprodukt, BSP

Deflation Sinken des durchschnittlichen Preisniveaus.


deflation
—> Preisindex
VW 104 2.3

Depression Ein besonders starker und langer Konjunkturabschwung.


depression
VW 105 1.7

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70 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Deregulierung Ein vieldeutiger und im politischen Kampf um die Staatstätigkeit gebrauchter Begriff. Allge-
deregulation mein versteht man darunter die Abschaffung, Lockerung oder Vereinfachung staatlicher
VW 103 2.4 Vorschriften. Dadurch sollen die Marktkräfte gestärkt werden. Die Motive dafür sind unter-
schiedlich: weltanschauliche Gründe, Effizienzverbesserung oder handfeste Vorteile im
Verteilungskampf durch Eindämmung der Staatsaktivitäten. Der Begriff Deregulierung ist
u. a. darum missverständlich, weil weniger Staat nicht automatisch mehr Markt zur Folge
hat, sondern auch stärkere Monopole und Kartelle, mehr Faustrecht (bei der Umwelt) oder
mehr Hilfe in der Familie (v. a. Kranken- und Altenpflege meist durch weibliche Verwandte)
bedeuten kann.

- Staatsversagen -+ Marktversagen, Marktmängel

Devisenmärkte Auf den Devisenmärkten werden Währungen verschiedener Länder untereinander gehan-
foreign exchange markets delt. Dort kommt der Wechselkurs durch Angebot und Nachfrage zustande, und dort inter-
VW 104 4.2 venieren die Notenbanken mit Käufen und Verkäufen, um die Wechselkurse zu beeinflus-
sen.

Drittweltländer - ) Entwicklungsländer, Drittweltländer

Effizienz Effizienz heisst wirkungsvoller Einsatz der knappen Ressourcen. Effizienzverluste, d. h. Ver-
efficiency schwendung, ergeben sich in einer Marktwirtschaft vor allem durch intransparente Märkte,
VW 102 1.8 Marktmacht (Monopole, Kartelle), Markteingriffe, die nicht marktkonform sind, externe
VW 103 2.4 Effekte (Umweltverschmutzung) und Konjunkturabschwünge.
VW 105 1.2
VW 1061, 1.3

Einkommen Entgelt für zur Verfügung gestellten Ressourcen. Der Einkommensstrom einer Volkswirt-
income schaft setzt sich zusammen aus Löhnen, Zinsen, Bodenrenten und Gewinnen. Das Einkom-
VW 102 1.2 men einer Person kann bestehen aus Löhnen, Zinsen, Bodenrenten und Gewinnen und
VW 103 1.2 auch staatlichen Umverteilungen.

- Volkseinkommen

Einkommensverteilung Aufteilung der Einkommen nach Produktionsfaktoren (funktionale Einkommensverteilung),


income distribution nach Personen (personelle Einkommensverteilung) oder auch nach Branchen, Regionen
VW 103 1.2, 1.4.2 usw. Man unterscheidet auch zwischen der Einkommensverteilung vor und nach staatli-
VW 104 2.4.1 chen Umverteilungsmassnahmen.
VW 106 1.1.2
- Verteilungspolitik

Entwicklungshemmnisse Verschiedene Gründe führen dazu, dass die Bevölkerung von Entwicklungsländern ihrer
retarded development Armut nicht entrinnen kann. Wir haben folgende kennen gelernt: Mangel an fruchtbarem
VW 106 1.3 Land, Verteilungskämpfe über die Rechte an Bodenschätzen, die häufig zu Bürgerkriegen
führen, starkes Bevölkerungswachstum (hohe Geburtenraten) mit den Folgen zunehmen-
der Verstädterung und sich vergrössernden Umweltproblemen, ungenügende Kapitalbil-
dung, ungenügende Fähigkeiten, ungünstige staatliche und gesellschaftliche Rahmenbe-
dingungen und verwehrte Landrechte (keine Kredite an Bauern, so dass landwirtschaftliche
Erträge pro Flächeneinheit gering ausfallen).

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GRUNDLAGEN 6/6 71

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Entwicklungsländer, Länder, deren Wirtschaft im Vergleich zu den reichen Industrieländern noch wenig ent-
Drittweltländer wickelt ist. Typische Merkmale sind u.a. ein niedriger Lebensstandard für einen Grossteil
developing countries, der Bevölkerung, oft krasse Unterschiede im Lebensstandard zwischen den Reichen und
underdeveloped countries, Armen, hohe Kindersterblichkeit, niedrige Lebenserwartung, starke Bevölkerungszunahme
third world und hohe Auslandverschuldung.
VW 106 1
-) Entwicklungszusammenarbeit
VW 106 2.7

Entwicklungsstrategien Vorgehensweisen, um Entwicklungshemmnisse zu beseitigen. Heutige Entwicklungsstrate-


strategy for development gien bauen auf marktwirtschaftlichen Modellen auf. Verschiedene Punkte haben wir behan-
VW 106 2.7 delt: Sicherstellung des rechtlichen Rahmens für das Funktionieren von Märkten, genügend
Infrastruktur, Öffnung des Aussenhandels, Öffnung für ausländische Investitionen, soziale
und politische Reformen, Bevölkerungspolitik, Umweltpolitik.

Entwicklungs- Beinhaltet sämtliche Leistungen der reichen Länder an Entwicklungsländer mit dem Ziel,
zusammenarbeit deren Lebensbedingungen zu verbessern. Sie ist breit gefächert, sollte sich aber auf die
development cooperation Hilfe zur Selbsthilfe beschränken. Fast in allen Entwicklungsprojekten eingebunden sind
VW 106 2.7 internationale Entwicklungsbanken.

- Entwicklungsländer, Drittweltländer -) Schwellenland -) Weltbank

Ertragsbilanz, Die Ertragsbilanz ist ein Teil der Zahlungsbilanz. Sie umfasst v. a.: die Käufe und Verkäufe
Bilanz der laufenden von Waren und Dienstleistungen, die über die Grenze fliessenden Zinsen und Dividenden,
Transaktionen die Einkommen von Grenzgängern sowie die Überweisungen von Fremdarbeitern.
current account
VW 104 4.1

EU - ) Europäische Union, EU

Europäische Zusammenschluss von 12 EU-Staaten, die ihre nationalen Währungen abgeschafft und
Währungsunion, EVVU durch den Euro ersetzt haben.
European Monetary Union
VW 106 2.2

Europäische Union, EU Die Europäische Union wurde mit den Maastrichter und Amsterdamer Verträgen gegrün-
European Union det. Seit dem Beitritt von Finnland, Österreich und Schweden 1995 besteht die EU aus 15
VW 106 2.2 Staaten. Die wesentlichen Ziele der EU sind:

• Europäische Währungsunion, EWU (Euro)


• Europäische Wirtschaftsunion
• Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik
• Europäische Sozialcharta

Europäischer Wirtschafts- Der EWR umfasst die 15 EU-Mitgliedstaaten und die EFTA-Staaten Liechtenstein und Nor-
raum, EWR wegen. Diese zwei EFTA-Staaten übernehmen die für den EU-Binnenmarkt geltenden
European Economic Area Regeln für den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital.
VW 106 2.2

Euro Name der gemeinsamen, einheitlichen Währung der Länder, die an der Europäischen Wäh-
VW 106 2.2 rungsunion teilnehmen.

EWR -) Europäischer Wirtschaftsraum, EWR

ENTWICKLUNGSLANDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


72 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

EWU -> Europäische Währungsunion, EVVU

Exporte, Ausfuhren Waren und Dienstleistungen, die im Inland produziert und im Ausland verkauft werden.
exports
Sie sind Bestandteil des BIP und der Gesamtnachfrage.
VW 102 1.6
VW 105 1.9.3

Externe Effekte Externe Effekte sind Kosten und Nutzen, die bei der Produktion und beim Konsum entste-
externalities, spillovers hen, jedoch nicht beim Verursacher anfallen, sondern bei Aussenstehenden. Externe
VW 102 1.8.1, 2.1 Effekte werden nicht auf Märkten ausgehandelt und sind deshalb nicht in den Marktpreisen
VW 106 2.7 berücksichtigt.

-> Externe Kosten, negative externe Effekte -> Externe Nutzen, positive externe Effekte.

Zu unterscheiden sind pseudoexterne Effekte.

Externe Kosten, Externe Kosten sind Schäden und Kosten, die sich nicht in den Marktpreisen widerspiegeln
negative externe Effekte und auf Aussenstehende abgewälzt werden. Die wichtigsten externen Kosten sind Umwelt-
negative externalities, schäden. Externe Kosten gehen nicht in die Rechnung der Verursacher ein. Diese dehnen
negative spillovers darum ihre Aktivität aus volkswirtschaftlicher Sicht zu weit aus, Ressourcen, v. a. Umwelt-
VW 102 1.8.1, 2.1, 2.3 güter, werden verschwendet. Um resultierende Wohlstandsverluste zu beheben, müsste
eine wirksame Umweltpolitik die externen Kosten den Verursachern anlasten. Diese wür-
den damit die bisher vernachlässigten Kosten in ihre Rechnung mit einbeziehen, die exter-
nen Kosten würden internalisiert und somit eher vermieden.

Externe Nutzen, Externe Nutzen sind unentgeltliche Nutzenstiftungen an Aussenstehende, an Trittbrettfah-


positive externe Effekte rer. Beispiele sind die Landschaftspflege der Bauern oder nicht patentierbare Erfindungen.
positive externalities,
Die Urheber von externen Nutzen werden von den Trittbrettfahrern nicht entschädigt und
positive spillovers
dehnen darum ihre Aktivitäten zu wenig weit aus. Güter mit externen Nutzen würden also
VW 102 1.8.1, 2.1, 2.4
aufgrund von Marktkräften zu wenig produziert und werden darum vom Staat hergestellt
oder in Auftrag gegeben.

-> Öffentliche Güter

Faktormärkte Auf den Faktormärkten (Arbeits-, Kapital- und Bodenmärkten) werden den Unternehmen
factormarkets die drei Produktionsfaktoren Arbeitsleistung, Kapitalgüter und Boden angeboten.
VW 102 1.2-1.5

Freie Güter Güter, die in so grossen Mengen vorhanden sind, dass sie eine Gesellschaft frei und gratis
free goods zur Verfügung stellen kann.
VW 101 2.4.1
- > Knappheit

Freihandelsabkommen Vertragliche Absprachen über die Beseitigung von Handelsbeschränkungen. Beispiele:


Free Trade Agreement ASEAN, NAFTA, EV\IR.
VW 106 2.3

G7 Die Gruppe der sieben grössten Industrieländer (Deutschland, Frankreich, Grossbritannien,


Group of Seven Italien, Japan, Kanada und die USA) trifft sich regelmässig auf der Ebene der Regierungs-
VW 106 2.6 chefs oder der Minister, um konjunkturpolitische und politische Massnahmen aufeinander
abzustimmen.

ENTVVICKLUNGSLANDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 73

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
GATT Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen. Das 1948 gegründete Regelwerk des Welthan-
General Agreement an dels zielt darauf ab, Zölle einheitlich zu regeln, Zölle stufenweise abzubauen, andere Han-
Tariffs an Trade delshemmnisse abzubauen und Handelskriege zu vermeiden. Die Handelsbeziehungen
VW 106 2.4 unterliegen unter anderem dem Prinzip der Meistbegünstigung (Zoll- und Handelsvorteile,
die sich zwei GATT-Mitglieder einräumen, müssen allen anderen Mitglieder auch gewährt
werden). Seit 1994 ist das GATT zusammen mit anderen Handelsabkommen unter dem
Dach der WTO zusammengefasst.

-> VVTO

Geldentwertung -> Inflation, Teuerung, Geldentwertung

Geld Geld ist alles, was allgemein im Austausch für Güter akzeptiert wird. Es erfüllt drei Funkti-
money onen: Zahlungsmittel, Wertmassstab und VVertaufbevvahrungsmittel.
VW 104 2.1
Das von der Notenbank geschaffene Geld heisst Notenbankgeld, die von den Nichtbanken
verwendeten Geldmengen M1 (Bargeldumlauf + Buchgeld), M2 (M1 + Spareinlagen) und
M3 (M2 + Termineinlagen).

Geldpolitik der Notenbank Massnahmen der Notenbank zur direkten Beeinflussung der Geldmenge, des Zinsniveaus
monetary policy und des Wechselkurses gegenüber fremden Währungen. Über das Zinsniveau und die
VW 104 2.2.1, 3.1, 4.6 Wechselkurse kann die Notenbank die Preisentwicklung, die Investitionen sowie die
VW 105 2.1.3 Exporte und Importe beeinflussen. Damit hat sie die Möglichkeit zu antizyklischer Konjunk-
turpolitik.

Gesamtangebot Das Gesamtangebot an inländischen Gütern ist die Summe aller Waren und Dienstleistun-
aggregate supply gen (Konsum- und Investitionsgüter), die von den Unternehmen und vom Staat angeboten
VW 105 2.1 werden.

- > Produktionspotenzial, mögliches Gesamtangebot, potenzielles BIP

Gesamtnachfrage Die Gesamtnachfrage nach inländischen Gütern ist die Summe aller nachgefragten Waren
aggregate demand und Dienstleistungen:
VW 105 1.9, 2.1 privater Konsum + private Investitionen + Staatsausgaben + Exporte - Importe.

Konjunkturschwankungen sind v. a. Schwankungen der Gesamtnachfrage.

Gewinn und Verlust Der Gewinn ist jener Teil des Ertrags eines Unternehmens, der nach Abzug aller Aufwen-
profit and lass dungen übrig bleibt. Gewinne sind das Entgelt für Unternehmerleistung. Gewinne sind die
VW 102 1.7 Folge erfolgreicher, Verluste die Folge glückloser unternehmerischer Tätigkeit.

- Einkommen

Gleichgewichtsmenge Angebotene und nachgefragte Menge zum Gleichgewichtspreis. Bei der Gleichgewichts-
equilibrium quantity menge können sowohl die Anbieter wie auch die Nachfrager ihre Pläne erfüllen. Hier eini-
VW 101 4.2 gen sich Käufer und Verkäufer.

- > Marktmechanismus -> Markteingriffe

Gleichgewichtspreis Preis, bei dem die nachgefragte Menge gleich gross ist wie die angebotene. Zum Gleichge-
equilibrium price wichtspreis stimmen die Kaufziele mit den Verkaufszielen überein. Zu diesem Preis können
VW 101 4.2 sowohl die Anbieter wie auch die Nachfrager ihre Pläne erfüllen, die Märkte sind geräumt.
Man spricht darum auch vom Markträumungspreis.

-* Marktmechanismus -> Markteingriffe

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


74 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Globalisierung Trend zur internationalen Ausdehnung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Aktivitä-
Globalization ten. Waren und Dienstleistungen, Kapitalströme sowie Informationen aller Art fliessen
immer ungehindeter um die Welt.

Grundfragen des Überall, wo die Ressourcen im Vergleich zu den Konsumwünschen knapp sind, muss man
Wirtschaftens sich mit drei grundlegenden, voneinander abhängigen wirtschaftlichen Grundfragen aus-
fundamental problems of einander setzen:
economic organisation • Was soll mit den begrenzten Ressourcen produziert werden? Sollen mehr Konsumgü-
VW 101 2.4 ter oder mehr Kapitalgüter hergestellt werden?
VW 102 1.7 • Wie sollen wir das tun? Wie sollen die Ressourcen eingesetzt werden? Wer kann sich
bei der Produktion beteiligen, können alle mitarbeiten oder sind einige Menschen aus-
geschlossen und arbeitslos? Arbeitslosigkeit
• Für wen soll produziert werden? Wer soll die produzierten Konsumgüter geniessen
dürfen? Wem sollen die neuen Kapitalgüter gehören?

Güter Güter umfassen Waren und Dienstleistungen. Je nach Verwendungszweck unterscheiden


goods wir Konsumgüter und Kapitalgüter, je nach Umfang der externen Nutzen private und öffent-
VW 101 2.1, 2.3 liche Güter.

-> Meritorische Güter

Handelsbilanz Die Handelsbilanz ist ein Teil der Zahlungsbilanz. Die Handelsbilanz umfasst aber nicht, wie
trade balance der Name etwa vermuten lässt, den gesamten Güterhandel mit dem Ausland, sondern nur
VW 104 4.1 die Importe und Exporte von Waren. Die Dienstleistungen sind in der Waren- und Dienst-
leistungsbilanz eingeschlossen.

Handelshemmnisse Massnahmen, mit denen eine Regierung den Aussenhandel, vor allem die Importe, ein-
trade barriers schränkt. Man unterscheidet tarifäre Hemmnisse (v. a. Grenzzölle) und nichttarifäre Schran-
VW 105 3.3.3 ken (wie Einfuhrverbote, Mengenbeschränkungen oder vom Ausland abweichende Pro-
duktnormen).

-> Wettbewerbspolitik

Haushalte Die Haushalte sind zum einen Konsumenten der Güter, die in den Unternehmen produziert
households werden. Zum anderen produzieren sie auch selber; die Haushaltarbeit wird von der Volks-
VVV 102 1.1 wirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst.
VW 104 1.4.3
In einem privatkapitalistischen System sind die privaten Haushalte Eigentümer der wich-
tigsten Kapitalgüter und des wichtigsten Teils des Bodens.

Höchstpreis Ein Höchstpreis ist eine staatlich festgelegte Preisobergrenze.


price ceiling, maximum price
Setzt der Staat einen Höchstpreis fest, der unter dem Gleichgewichtspreis liegt, verändern
VW 103 2.2.3
sich sowohl die angebotenen wie auch die nachgefragten Mengen. Je nach Preiselastizität
wird weniger angeboten und mehr nachgefragt. Die Folge ist ein Nachfrageüberschuss, ein
Gütermangel.

- > Markteingriffe

Importe, Einfuhren Güterströme aus dem Ausland ins Inland.


imports
-› Handelshemmnisse -> BIP -> Gesamtnachfrage
VW 102 1.6
VW 105 1.9.3

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 I 75

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Importe, Einfuhren Waren und Dienstleistungen, die im Ausland produziert und im Inland verkauft werden.
Imports Importe stellen somit den Güterstrom vom Ausland ins Inland dar.
VW 102 1.6
VW 105 1.9.3

Inflation, Teuerung, Als Inflation bezeichnet man eine generelle Preissteigerung, ein Ansteigen des durch-
Geldentwertung schnittlichen Preisniveaus. Die Inflation wird gemessen mit einem Preisindex, der die Preis-
Inflation steigerung repräsentiert.
VW 101 3.2
Deflation
VW 104 2.3, 3.1, 3.2
VW 105 1.7 Wie viel Inflation ist schädlich?
• Wenn Geld sich stark entwertet, wird seine VVertaufbewahrungsfunktion beeinträch-
tigt. Eine Inflation kommt oft überraschend. Dann werden Vermögen umverteilt. Vor
allem Gläubiger und Versicherungsnehmer mit langfristigen Verträgen verlieren, wäh-
rend Schuldner profitieren.
• Verändert sich der Wert des Geldes, kann es seine Funktion als Wertmassstab nicht
mehr voll wahrnehmen. Damit wird die Sicht auf unterschiedliche Preisentwicklungen
getrübt und die Einschätzung der Zukunft erschwert.
• Niedrige Inflationsraten von bis zu 2 oder 3% verursachen allerdings keine nachweis-
baren Schäden - eher umgekehrt. Vor allem können stagnierende oder gar fallende
Preise die wirtschaftliche Tätigkeit lähmen. Dies macht eine allzu weitgehende Inflati-
onsbekämpfung zu einem sinnlosen oder gar schädlichen Ziel. Dies ist umso beden-
kenswerter, als die Bekämpfung der Inflation in der Regel zu schweren Einbussen bei
der Produktion und damit zu Arbeitslosigkeit führt.

Je nach Ursache unterscheidet man zwischen einer Nachfrageinflation und einer Angebot-
sinflation.

Inflationsbereinigung Die Inflationsbereinigung ist ein statistisches Verfahren, mit dem nominale, d. h. zu laufen-
price adjustment, den Preisen bewertete Grössen (z. B. nominales BIP, Nominallöhne oder nominale Benzin-
adjustment of current prices preise) umgerechnet werden in reale oder inflationsbereinigte Werte (z. B. reales BIP, Real-
VW 104 1.3.1, 2.3 löhne oder inflationsbereinigte Benzinpreise). Dabei werden die nominalen Werte durch
einen geeigneten Preisindex (z. B. den BIP-Preisindex oder den Landesindex der Konsumen-
tenpreise) dividiert. Betrachten wir das Zusammenwirken von Angebot und Nachfrage und
Preis auf einzelnen Märkten, interessieren uns die inflationsbereinigten Preisveränderun-
gen. Und reden wir vom Wachstum der Güterproduktion, meinen wir das reale BIP.

Inflationsstabile Jene Arbeitslosenrate, die mit einer konstanten Inflationsrate vereinbar ist. Wird sie unter-
Arbeitslosenrate schritten, nimmt die Inflation zu. Sie lässt sich also mit antizyklischer Konjunkturpolitik nur
non-accelerating Inflation mit dem Risiko von Inflation verringern. Die inflationsstabile Arbeitslosenrate hat sich in
rate of unemployment / NAIRU Europa in den 70er und 80er Jahren etwa vervierfacht.
VW 105 2.2.1
Sockelarbeitslosigkeit

Investitionen Der Aufbau von Kapitalgütern (Fabriken, Wohnhäusern oder Verkehrswegen), Ausgaben
investment für Forschung und Entwicklung, Schul- und Berufsbildung (Bildungsinvestitionen).
VW 101 2.3
Die Investitionen sind Bestandteil des BIP und der Gesamtnachfrage. Die Volkswirtschaftli-
VW 105 1.9.1, 1.9.6
che Gesamtrechnung versteht unter Investitionen aber nur den Kauf von Produktionsanla-
VW 106 1.7.2
gen, Gebäuden und Lagerbeständen, eingeschlossen den privaten Hausbau, nicht aber lau-
fende Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Schul- und Berufsbildung.

Investitionsgüter -) Kapitalgüter, Investitionsgüter

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76 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

IWF Internationaler Währungsfonds. Konzentriert sich auf die Schaffung eines geordneten inter-
International Monetary Fund nationalen Zahlungsverkehrs, aber auch auf die Vergabe von Krediten an Entwicklungslän-
VW 106 2.5 der und seit den 90er Jahren an ehemalige Ostblockstaaten. Die Kreditvergabe wird an wirt-
schaftspolitische Auflagen geknüpft.

Kapital Der Begriff Kapital umfasst verschiedene Dinge:


capital • Realkapital (Kapitalgüter wie Maschinen, Gebäude, Infrastruktur),
VW 101 2.3 • Humankapital (Know-how),
VW 102 1.3 • aber auch Finanzkapital (Geld und Wertpapiere).

Kapitalgüter, Alle von Menschen hergestellten Güter, die zur Produktion von Waren und Dienstleistun-
Investitionsgüter gen eingesetzt werden, wie Maschinen, Gebäude oder Transportmittel.
capital goods
—) Ressourcen, Produktionsfaktoren —> Kapital
VW 101 2.3
VW 104 1.6

Kapitalmärkte Die Kapitalmärkte sind ein kompliziertes Marktsystem, das die Spargelder den investieren-
capital markets den Unternehmen zuleitet:
VW 102 1.3 • Auf der einen Seite des Systems stehen die Sparer als Anbieter. Sie wünschen sich ei-
nen möglichst hohen Zins bei möglichst hoher Sicherheit und evtl. auch Mitsprache-
recht im Unternehmen.
• Auf der anderen Seite stehen v. a. Unternehmen, die Geld für neue Kapitalgüter brau-
chen bei möglichst niedrigem Zins.

Angebot und Nachfrage nach Spargeldern werden über den Zins in Übereinstimmung
gebracht:
• Auf der Angebotsseite schafft der Zins Anreiz zum Sparen.
• Auf der Nachfrageseite führt der Zins die Spargelder nur jenen Produktionsprojekten
zu, die so hohe Erträge versprechen, dass die Zinsen bezahlt werden können.

—> Aktie —> Faktormärkte

Kapitalstock Das Total aller Kapitalgüter einer Volkswirtschaft.


capital stock
VW 104 1.6

Kapitalverkehrsbilanz Teil der Zahlungsbilanz; umfasst den gesamten über die Grenze fliessenden Kapitalverkehr
capital account während eines Jahres. Ihr Saldo entspricht mit umgekehrtem Vorzeichen dem Saldo der
VW 104 4.1 Ertragsbilanz.

Kartell Ein Kartell ist eine vertragliche Abmachung zwischen rechtlich selbständigen Unterneh-
cartel men, um zwischen ihnen den Wettbewerb zu verringern oder auszuschalten.
VW 102 3.1
—> Marktmacht

Kaufkraftparität/KKP Jener Wechselkurs, der einen gegebenen Warenkorb im Inland und im Ausland genau
purchasing povver parity/PPP gleich teuer macht. Nach der Theorie der Kaufkraftparität widerspiegelt der Wechselkurs
VW 104 4.3 einer Währung langfristig ihre Kaufkraft für international handelbare Güter.
VW 106 1.1.1

ENTVVICKLUNGSLANDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 77

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Knappheit Knappheit herrscht dort, wo der Wunsch nach einer Ressource grösser ist als ihre Verfüg-
scarcity barkeit. In unserer Gesellschaft werden die Bedürfnisse in hohem und steigendem Masse
VW 101 2.4.1 durch Konsumgüter befriedigt. Die daraus erwachsenden Ansprüche auf Konsumgüter sind
unabsehbar. Verglichen mit unseren Konsumwünschen sind die vorhandenen Ressourcen
knapp. Diese Knappheit ist das grundlegende Problem, mit dem sich wirtschaftende Men-
schen auseinander setzen. Wegen der Knappheit muss entschieden werden, welche Wün-
sche in welchem Masse zufrieden gestellt werden. Wirtschaftlich denken heisst also, auch
auf Alternativen hinweisen.

-> Alternativkosten, Opportunitätskosten -> Grundfragen des Wirtschaftens

Know-how Know-how ist der englische Ausdruck für technisches und organisatorisches Wissen. Dazu
VW 101 2.3 gehören das Wissen und die Fähigkeiten derArbeitskräfte, das Wissen, das in Büchern und
Datenbanken gespeichert ist, sowie die Patente und die oft geheim gehaltenen Produkti-
onsverfahren der Unternehmen. Das Know-how spielt eine überragende Rolle für die Ent-
wicklung einer Wirtschaft.

-> Ressourcen, Produktionsfaktoren

Komparative Vorteile Ein Land (oder auch eine Region, ein Unternehmen, eine Person) hat dann einen kompara-
comparative advantages tiven Vorteil, wenn es fähig ist, ein bestimmtes Gut zu niedrigeren Alternativkosten zu pro-
VW 105 3.3 duzieren als die Konkurrenz. Durch freie Märkte wird die Arbeitsteilung (innerhalb eines
Landes wie auch international) entlang der komparativen Vorteile organisiert.

Konjunkturpolitik, Mit antizyklischer Konjunkturpolitik versuchen Regierung und Notenbank Konjunktur-


Stabilitätspolitik, schwankungen zu glätten:
antizyklische
Die Regierung kann zu diesem Zweck ihre Ausgaben und die Steuern verändern.
Konjunkturpolitik
counter-/anti-cyclical policy • In einem konjunkturellen Abschwung erhöht der Staat seine Ausgaben (z. B. für Ar-

VW 105 2.1 beitsbeschaffungsmassnahmen) und senkt die Steuern.


• Droht umgekehrt in einem Aufschwung eine Inflation, verringert der Staat seine Aus-
gaben und hebt die Steuern an.

In der Schweiz allerdings spielt wegen der schwierigen Praxis die Konjunkturpolitik durch
staatliche Ausgaben und Einnahmen eine immer unwichtigere Rolle.

Die Notenbank kann die Zinsen und den Wechselkurs beeinflussen.


• In einem Abschwung senkt die Notenbank die Zinsen (v. a. um die Investitionstätigkeit
zu beleben) und interveniert zur Senkung des Wechselkurses (um Exporte zu erleich-
tern).
• Droht hingegen in einem Aufschwung eine Inflation, hebt die Notenbank die Zinsen an
und interveniert zur Hebung des Wechselkurses.

Konjunkturschwankungen Konjunkturschwankungen sind Wachstumsschwankungen der gesamtwirtschaftlichen


business fluctuations, Aktivität. Konjunkturaufschwünge (Jahre, in denen das BIP überdurchschnittlich wächst)
trade cycles, business cycles wechseln ab mit Konjunkturabschwüngen (Jahre, in denen das BIP nur schwach wächst
VW 102 1.8.4 oder gar schrumpft).
VW 105 1.7, 1.8, 2.1
Konjunkturschwankungen sind in der Regel Schwankungen der Gesamtnachfrage. Sie wer-
den hervorgerufen durch einen sich selbst verstärkenden Mechanismus von Einkommen
und Ausgaben für Konsum und Investitionen. Diese konjunkturelle Dynamik wirkt, bevor ein
Ausgleich auf den Märkten zum Abschluss kommen kann, und trifft praktisch alle Branchen
gleichzeitig.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


78 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

In einem Abschwung nimmt die konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu, während sie im Auf-
schwung wieder abnimmt. Dafür nimmt die Inflation zu, wenn in einem Boom das Produk-
tionspotenzial überschritten wird.

-> Konjunkturpolitik, Stabilitätspolitik, antizyklische Konjunkturpolitik

Konkurrenz -> Wettbewerb, Konkurrenz

Konsum Der Konsum umfasst alles, was wir zur Befriedigung unserer Konsumwünsche kaufen oder
consumption vom Staat beziehen. Er ist Bestandteil der Gesamtnachfrage.
VW 104 1.2.3
VW 105 1.9

Konsumgüter Konsumgüter sind Waren und Dienstleistungen, die direkt die Konsumwünsche der Konsu-
consumption goods, menten erfüllen - im Gegensatz zu den Kapitalgütern, die zur Produktion von Gütern ver-
consumer goods wendet werden.
VW 101 2.1, 2.3

Kreislauf der Armut Viele arme Länder bekunden grösste Mühe, erfolgreich gegen Armut anzukämpfen. Eine
viscious circle of poverty Vielzahl von sich häufig gegenseitig bedingenden Entwicklungshemmnissen lähmen den
VW 106 1.6 Kampf gegen die Armut:
• Geringe Produktion
• Geringe Ersparnisse
• Schlechte Ausbildung der Arbeitskräfte
• Wenig Ressourcen pro Kopf
• Ineffiziente Nutzung der Ressourcen
• Wirtschaftliche Unsicherheit
• Schwache Stellung der Frau
• Viele Kinder
• Schwache Position gegenüber reichen Ländern und eigener Oberschicht
• Ausbeutung durch reiche Länder und eigene Oberschicht

Lebensqualität -> Wohlfahrt, Lebensqualität

Leistungsgerechtigkeit Nach diesem Konzept soll die Belohnung der Leistung entsprechen, die für die Gesellschaft
justice of equity, justice based erbracht wird.
one equity
-> Bedarfsgerechtigkeit -> Sozialpolitik
VW 103 1.2.1

Lohn-Preis-Spirale -> Preis-Lohn-Spirale oder Lohn-Preis-Spirale

Lohn Entgelt/Preis auf den Arbeitsmärkten für Arbeitsleistung. Auf der Angebotsseite geben die
wage, pay Löhne u. a. einen Anreiz, knappe und gut bezahlte Berufe zu wählen. Auf der Nachfrage-
VW 102 1.2 seite sorgen die Löhne u. a. dafür, dass Unternehmen und Staat mit der knappen Ressource
Arbeitskraft effizient umgehen und die Arbeitskräfte dort einsetzen, wo sie möglichst pro-
duktiv sind.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 79

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Markteingriffe Der Staat greift in vielfältiger Weise in das Marktgeschehen ein. Je nachdem, ob er dabei
market interventions den Marktmechanismus weiter funktionieren lässt oder ob er ihn am Funktionieren hindert,
VW 103 2.2 unterscheidet man zwischen marktkonformen und nichtmarktkonformen Massnahmen:

Marktkonforme Massnahmen beeinflussen zwar Angebot und Nachfrage, aber sie beein-
trächtigen den Marktmechanismus selber nicht. So fliessen Steuern in das Angebot ein.
Dadurch wird das Angebot verteuert, die nachgefragte und produzierte Menge schrumpft.
In der gleichen Weise fliessen auch Subventionen in das Angebot ein. Das Angebot wird
verbilligt, die nachgefragte und produzierte Menge dehnt sich aus.

Bei diesen marktkonformen Massnahmen kann sich der Marktpreis weiterhin frei auf jene
Höhe einpendeln, bei der Angebot und Nachfrage gleich gross sind: Gleichgewichtspreis.

Das Festsetzen von Mindest- und Höchstpreisen hingegen sind typische nichtmarktkon-
forme Massnahmen des Staates. Durch Höchstpreise werden Preise tiefer gesetzt als jene,
die sich durch das freie Wirken von Angebot und Nachfrage ergeben hätten. Dadurch steigt
in der Regel die Nachfrage, während gleichzeitig das Angebot sinkt. Die Folge sind ein Man-
gel und ein Schwarzmarkt. Durch Mindestpreise werden Preise über dem Gleichgewichts-
preis festgesetzt. So weitet sich das Angebot aus, während die Nachfrage etwas sinkt.
Resultat ist eine Überschussproduktion. Die Folgen bei beiden nichtmarktkonformen Ein-
griffen sind Probleme, die nach zusätzlichen Massnahmen des Staates rufen.

Marktmacht Marktmacht ist die Fähigkeit, den Preis zu beeinflussen. Sie wird auf den Gütermärkten v. a.
market power durch Monopole, Kartelle und Absprachen ausgeübt, auf den Arbeitsmärkten durch Unter-
VW 102 3.1.4 nehmerverbände und Gewerkschaften.
VW 104 3.2.1
Infolge Marktmacht auf den Gütermärkten machen einzelne Unternehmen zusätzliche
Gewinne auf Kosten der Kunden; werden weniger Güter gekauft und produziert, verringert
sich der Anreiz zu guten Leistungen und es verringert sich die Auswahl auf den Märkten
und die Vielfalt der Unternehmenskulturen.

Marktmacht auf den Güter- und Arbeitsmärkten treibt zudem die Preis-Lohn-Spirale oder
Lohn-Preis-Spirale an.

Markt Als Markt bezeichnet man in der Ökonomie jedes Zusammentreffen von Angebot und
market Nachfrage.
VW 101 3,4
—> Marktmechanismus

Marktmechanismus Der Marktmechanismus wird durch Angebot, Nachfrage und Preis gesteuert. Wenn Wett-
market mechanism bewerb herrscht, führen Veränderungen im Angebot oder der Nachfrage zu Preisverände-
VW 101 3, 4 rungen; diese wiederum bewirken, dass Angebot und Nachfrage sich angleichen:

Ist das Angebot grösser als die Nachfrage, sinkt früher oder später der Marktpreis.
• Sinkt der Marktpreis, steigt in der Regel die Nachfrage und das Angebot sinkt.
• Solange das Angebot höher ist als die Nachfrage, wird der Preis sinken, was das An-
gebot weiter verkleinert und die Nachfrage weiter erhöht.
• Dieser Prozess setzt sich so lange fort, bis Angebot und Nachfrage übereinstimmen,
d. h., bis Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


80 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Ist umgekehrt das Angebot zu gering, steigt der Marktpreis.


• Steigt der Marktpreis, sinkt in der Regel die Nachfrage und das Angebot steigt.
• Solange das Angebot kleiner ist als die Nachfrage, wird der Preis steigen, was das An-
gebot weiter vergrössert und die Nachfrage weiter verkleinert.
• Nach einer längeren oder kürzeren Anpassungszeit stellt sich ein Gleichgewicht zwi-
schen Angebot und Nachfrage ein.

-> Gleichgewichtsmenge -> Gleichgewichtspreis

Durch den Marktmechanismus werden die Unternehmen gezwungen, jene Güter herzustel-
len, die zahlende Konsumenten wünschen, und dafür die Ressourcen/Produktionsfaktoren
möglichst effizient einzusetzen. Auf der anderen Seite muss jeder Haushalt auf den Faktor-
märkten etwas anbieten, das gefragt ist. Um zu Kaufkraft zu kommen, muss jeder Haushalt
Leistungen anbieten, die auf den Märkten honoriert werden. Alle drei Grundfragen des
Wirtschaftens können vom Marktmechanismus bestimmt werden: Die Unternehmen stellen
jene Güter her, die sich am besten verkaufen (das Was) mit Hilfe von Produktionsverfahren
und Ressourcen, die am besten geeignet sind und am wenigsten Kosten verursachen (das
Wie). Wie viel die einzelnen Haushalte konsumieren können, hängt davon ab, wie gefragt die
Ressourcen sind, die sie den Unternehmen zur Verfügung stellen können (das Für-Wen).

- > Marktversagen, Marktmängel

Marktsystem -> Marktwirtschaft, Marktsystem

Marktversagen, Marktversagen und Marktmängel sind Fehlleistungen des Marktmechanismus, welche die
Marktmängel bestmögliche Verwendung der knappen Ressourcen verhindern und zu Wohlstandsverlus-
market failures ten führen. Ursachen für Marktversagen sind externe Nutzen und Kosten, Monopole/Kar-
VW 102 1.8, 2, 3 telle/Absprachen, unzureichende Information auf den Märkten und Manipulation der Käu-
VW 103 1, 2 fer. Marktversagen zeigen sich nicht zuletzt bei der für viele Leute ungenügenden Sicher-
VW 104 2, 3 heit und Gerechtigkeit sowie bei den immer wiederkehrenden Konjunkturschwankungen
VW 105 1,2 mit Inflation und Arbeitslosigkeit. Marktversagen und -mängel können Gründe darstellen für
das Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsgeschehen.

-> Staatsaufgaben

Marktwirtschaft, Markt- Wirtschaftssystem, bei dem Märkte die Vielzahl der individuellen Pläne und Entscheidun-
system gen der einzelnen Haushalte und Unternehmen koordinieren.
market economy
-) Marktmechanismus
VW 102 1
VW 103 2.1

Meritorische Güter Güter (wie etwa Wohnungen, Gesundheitspflege oder Schulbildung), die nach Ansicht der
merit goods Gesellschaft ein Mensch, unabhängig von seiner Leistung, einfach verdient - die aber bei
VW 103 1.3.2, 1.4.1 marktwirtschaftlicher Zuteilung nicht alle kaufen könnten oder wollten. Meritorische Güter
werden bedürftigen oder allen Menschen durch einen fürsorglichen Staat verbilligt oder
gratis angeboten. Mit diesen Gütern geht der Staat im Allgemeinen wenig kostenbewusst
um. Er kennt in der Regel wenig Kriterien, wer die Empfänger sein sollen. Damit erhalten
nicht immer die «richtigen» Leute die verbilligten Güter.

-> Sozialpolitik -> Offentliche Güter

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 81

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Mindestpreis Ein Mindestpreis ist eine staatlich festgelegte Preisuntergrenze. Werden Preise höher
price floor, minimum price gesetzt als der Gleichgewichtspreis, sinkt die Nachfrage und das Angebot steigt. Die Folge
VW 103 2.2.4 ist ein Angebotsüberschuss.

—> Markteingriffe

Mögliches Gesamtangebot —> Produktionspotenzial, mögliches Gesamtangebot, potenzielles BIP

Monopol Eine Firma hat ein Monopol errungen, wenn sie die einzige Anbieterin eines Gutes ist, zu
monopoly dem es keine einfachen Alternativen gibt.
VW 102 3.1
—> Marktmacht

Die Marktkräfte unterstützen Tendenzen zur Monopolbildung dort, wo die Stückkosten


allein schon mit der Grösse eines Unternehmens sinken (sei es dank steigenden Skalener-
trägen oder weil hohe Anfangskosten auf grosse Stückzahlen verteilt werden können).
Wenn dadurch ein einziges Unternehmen die bestehende Nachfrage kostengünstiger
befriedigen kann als zwei oder mehrere Unternehmen (so wie z. B. bei der lokalen Strom-
verteilung), spricht man von einem natürlichen Monopol.

Nachfrage Die Nachfrage ist jene Menge von Gütern (oder Ressourcen), die Käufer aufMärkten erwer-
demand ben wollen. In der Regel steigt die nachgefragte Menge mit steigendem Konsumwunsch,
VW 101 3.1-3.4,4 steigendem Einkommen und sinkendem Preis. (Wichtig ist, dass wir unterscheiden zwi-
schen dem Konsumwunsch einerseits und der Nachfrage, die durch Geld ausgedrückt wer-
den muss.)

Nachfrageinflation Inflation, die durch eine überhöhte Nachfrage ausgelöst wird: Wenn gegenüber dem
dennand-pull inflation Gesamtangebot an Gütern die Gesamtnachfrage zu hoch wird, steigt das generelle Preisni-
VW 104 3.1 veau. Für eine Nachfrageinflation lassen sich im Prinzip zwei Ursachen unterscheiden:
• Die Nachfrage kann wegen einer zu lockeren Geldpolitik (zu niedrige Zinsen, zu niedri-
ger Wechselkurs) zu stark ansteigen.
• Auch die konjunkturelle Dynamik in einem Aufschwung bewirkt, dass die Gesamtnach-
frage über das Gesamtangebot hinauswächst. Diese Dynamik kann mit der Geldpolitik
verstärkt oder gebremst werden.

—> Antizyklische Konjunkturpolitik

NAFTA Seit 1994 bestehendes Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko.
North American Free Trade
Agreement
VW 106 2.3

Negative externe Effekte —> Externe Kosten, negative externe Effekte

Nettosozialprodukt/NSP Das NSP umfasst den Wert aller für Geld produzierten Güter, die alle Bewohner eines Lan-
net national product/NNP des während eines Jahres verbrauchen können. Das NSP errechnet sich aus dem BSP,
VW 104 1.2.5 abzüglich der Abschreibungen für den Verschleiss an Kapitalgütern.

Volkseinkommen

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82 1 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Notenbank, Zentralbank Eine staatliche Institution (wie die Schweizerische Nationalbank/SNB oder die Europäische
bank of issue, central bank Zentralbank/EZB). Sie stellt die Geldversorgung des Landes sicher, ohne dass sich das Geld
VW 104 2.2 entwertet (= Inflation). Mit diesem Ziel kontrolliert sie die Notenbankgeldmenge, überwacht
VW 105 2.1.3 die Kreditgebung der Banken und beeinflusst das Zinsniveau und die Wechselkurse.

-> Konjunkturpolitik, Stabilitätspolitik, antizyklische Konjunkturpolitik

OECD Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gehören alle wich-
Organization for Economic tigen Industrienationen an. Sie beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Problemen ihrer Mit-
Cooperation and Development gliedstaaten, beurteilt regelmässig die wirtschaftliche Entwicklung anhand von Berichten
VW 106 2.6 und internationalen Statistiken.

Öffentliche Güter Öffentliche Güter sind Güter mit bedeutenden externen Nutzen, so dass Trittbrettfahrer
public goods nicht ausgeschlossen werden können. Weil nicht von allen Begünstigten ein ausreichender
VW 102 2.4 Preis eingefordert werden kann, bieten gewinnorientierte Unternehmen öffentliche Güter
nicht in ausreichender Menge an. Öffentliche Güter sind die öffentliche Sicherheit, der
sichere Rahmen für das Marktsystem, Verkehrswege oder Bildung. Das Gegenstück sind
die privaten Güter, die praktisch keine externen Effekte hervorrufen.

-> Meritorische Güter

Oligopol Bei einem Oligopol bieten nur wenige Anbieter ein gleiches oder ähnliches Produkt an. Hier
oligopoly genügt oft ein stillschweigendes Einverständnis unter den Anbietern, um die Preise anzu-
VW 102 3.1.2 heben. Der Wettbewerb beschränkt sich dann vor allem auf die Werbung und die Qualität
der Produkte.

-+ Marktmacht

OPEC Die Organisation Erdöl exportierender Länder verfolgt das Ziel, die Einnahmen aus der Erd-
Organization of Petroleum ölförderung für ihre Mitgliedstaaten zu maximieren, indem sie sich an einer gemeinsamen
Exporting Countries Preis- und Mengenpolitik ausrichten.
VW 106 2.6

Opportunitätskosten -> Alternativkosten, Opportunitätskosten

Pekuniäre externe Effekte -> Pseudoexterne Effekte, pekuniäre externe Effekte

Positive externe Effekte -> Externe Nutzen, positive externe Effekte

Potenzielles BIP -> Produktionspotenzial, mögliches Gesamtangebot, potenzielles BIP

Preis-Lohn-Spirale oder Fortwährender Überwälzungsprozess von höheren Kosten auf die Preise und Löhne mittels
Lohn-Preis-Spirale Marktmacht. Mit Monopolstellungen, kartellistischen Preisabsprachen und gesetzlichen
price-wage-spiral, Preisbestimmungen werden höhere Produktionskosten auf die Verkaufspreise überwälzt,
wage-price-spiral Tarifverträge mit automatischem Teuerungsausgleich überwälzen höhere Preise weiter auf
VW 104 3.2.2, 3.2.3 die Löhne, was wiederum die Produktionskosten erhöht usw. Dieser Inflationsmechanis-
mus, einmal in Gang gekommen, ist schwer zu bremsen. Eine restriktive Geldpolitik führt in
diesem Fall nur über höhere Arbeitslosigkeit zu niedrigeren Inflationsraten.

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GRUNDLAGEN 6/6 83

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Preiselastizität von Die Preiselastizität der Nachfrage gibt an, wie empfindlich die nachgefragte Menge auf eine
Nachfrage und Angebot Preisänderung reagiert. Sie drückt die prozentuale Veränderung der nachgefragten Menge
price-elasticity of bezogen auf die prozentuale Veränderung des Preises aus.
demand and supply
Analog gibt die Preiselastizität des Angebots an, wie empfindlich die angebotene Menge
VW 101 3.4, 3.6
auf eine Preisänderung reagiert. Sie drückt die prozentuale Veränderung der angebotenen
VW 103 2.2.3, 2.2.4
Menge bezogen auf die prozentuale Veränderung des Preises aus.

Die Reaktion auf Preisänderungen braucht manchmal Zeit. Die Preiselastizität hängt stark
davon ab, ob Alternativen zur Verfügung stehen.

Preisindex Ein Preisindex zeigt die Veränderung der Durchschnittspreise einer Gütergruppe. Bei der
price index Berechnung des Durchschnitts werden die einzelnen Güter nach ihrer Bedeutung gewich-
VW 104 1.3, 2.3 tet.

Der wichtigste Index zur Messung der Inflation ist der Landesindex der Konsumentenpreise,
kurz Konsumentenpreisindex. Er erfasst die Preisbewegungen jener Waren und Dienstleis-
tungen, die für die Haushalte der Lohnabhängigen eine wichtige Rolle spielen. Andere
Preisindizes sind der Index der Produzentenpreise und der BIP-Preisindex.

-3 Inflationsbereinigung

Preis Der in Geld ausgedrückte Tauschwert eines Gutes oder einer Ressource auf dem Markt.
price
Jedes knappe Gut hat seinen eigenen Preis. In einer Marktwirtschaft hat der Preis eine zen-
VW 101 3,4
trale Steuerungsfunktion: Er lenkt die Ressourcen und die Konsumgüter an jenen Ort, wo
der höchste Preis bezahlt wird. Herrscht auf einem Markt Wettbewerb, pendelt sich der
Marktpreis nach einer längeren oder kürzeren Anpassungszeit auf jener Höhe ein, bei der
Angebot und Nachfrage gleich gross sind. Die Preisbildung wird jedoch häufig gestört
durch Marktmacht, Handelshemmnisse oder Markteingriffe, die nichtmarktkonform sind.

Private Güter Güter, deren Produktion und Konsum praktisch keine externen Effekte hervorrufen.
private goods
--> öffentliche Güter
VW 102 2.4

Produktionsfaktoren Ressourcen, Produktionsfaktoren

Produktionspotenzial, Das Produktionspotenzial von Unternehmen und Staat gibt an, wie hoch die Produktion von
mögliches Gesamtangebot, Unternehmen und Staat bei gut ausgelasteten, aber nicht überlasteten Kapazitäten sein
potenzielles BIP könnte.
potential output,
In einem Konjunkturaufschwung steigt die tatsächliche Produktion schneller als das Pro-
potential GDP
duktionspotenzial. Die Kapazitätsauslastung steigt. In einem Abschwung (in einer Rezes-
VW 105 2.1
sion) dagegen wächst die tatsächliche Produktion langsamer als das Produktionspotenzial.
Die Kapazitätsauslastung sinkt.

—) Konjunkturschwankungen

Progressive Steuern Mit progressiven Steuern werden hohe Einkommen prozentual stärker belastet als niedrige.
progressive taxes
—) Sozialpolitik —) Verteilungspolitik
VW 103 1.4.2

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84 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Pseudoexterne Effekte, Pseudoexterne Effekte wirken nicht am Markt vorbei, sondern sind eine Folge des Wettbe-
pekuniäre externe Effekte werbs auf den Märkten und haben Auswirkungen auf andere Märkte. Der Konkurrenzkampf
pecuniary spillovers, zwingt zu immer effizienterer Nutzung der Ressourcen und führt zu Umstrukturierungen.
pecuniary externalities Dadurch werden Marktchancen zunichte gemacht, man spricht von pseudoexternen Kos-
VW 102 2.2 ten. Es werden aber auch Marktchancen eröffnet. Es entstehen pseudoexterne Nutzen.

-> Externe Effekte

Ressourcen, Die für die Produktion von Gütern eingesetzten Mittel. Viele sind uns von der Natur gegeben
Produktionsfaktoren - andere sind von Menschen geschaffen. Alle Produktionsfaktoren lassen sich einer der vier
ressources, factors of folgenden Gruppen zuordnen: Arbeitskraft und das Know-how der Arbeitskräfte, ein-
production schliesslich unternehmerischer Tätigkeit, Boden und Bodenschätze, Kapitalgüter und das
VW 101 2.3 Know-how der Unternehmen.
VW 106 1.3.1, 1.3.2
-> Umweltgüter, Umweltressourcen

Rezession Ursprünglich verstand man unter einer Rezession einen leichten Konjunkturabschwung -
recession dies im Gegensatz zu einer Depression. Da aber heute das Wort Depression gerne vermie-
VW 105 1.6, 2.1 den wird, tritt der Ausdruck Rezession häufig an seine Stelle. Bei leichten Konjunkturab-
schwüngen spricht man dann lieber von Wachstumsschwächen, Abkühlungen, Dellen
oder Ähnlichem.

Risikoprämie Jener Teil des Zinssatzes, der die Möglichkeit widerspiegelt, dass der Schuldner zahlungs-
risk premium unfähig werden könnte. Je höher Geldgeber das Risiko einschätzen, dass ein Schuldner
VW 102 1.3.2 einen Kredit nicht mehr zurückzahlen kann, desto höher ist die im Zins eingeschlossene
Risikoprämie.

Schattenwirtschaft Nicht gemeldete Wirtschaftstätigkeit. Das sind sowohl Aktivitäten, die an sich legal sind,
shadow/hidden/underground/ jedoch den Steuerbehörden, Sozialversicherungen und Ausländerbehörden nicht gemeldet
black/parallel economy werden, als auch illegale Tätigkeiten wie Rauschgifthandel. Die Schattenwirtschaft wird
VW 104 1.4.3 von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst.

Schwarzmarkt Hier halten sich die Teilnehmer nicht an die staatlichen Rahmenbedingungen (wie z.B.
bleck market Preisvorschriften), sondern kaufen und verkaufen illegal (zum Preis, der sich aus Angebot
VW 103 2.2.3 und Nachfrage ergibt).

-> Markteingriffe

Schwellenland Ein Schwellenland ist im Übergang zu einer entwickelten Industrie- und Dienstleistungsge-
newly industrializing country sellschaft.
VW 106 1.1.4, 2.7
-> Entwicklungsländer, Drittweltländer

Skalenerträge Steigende Skalenerträge (Grössenersparnisse) sind Einsparungen, die entstehen, wenn


increasing returns to scale, eine Ausweitung der Produktion zu niedrigeren durchschnittlichen Kosten führt. Wo solche
economies of scale Einsparungen dank Massenproduktion möglich sind, beobachten wir eine Spirale von stei-
VW 101 3.8 gender Nachfrage und sinkenden Preisen. Wo Grössenersparnisse möglich sind, lässt sich
eine Tendenz zur Unternehmenskonzentration feststellen.

-> Monopol

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GRUNDLAGEN 6/6 85

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Sockelarbeitslosigkeit Es wird darunter Verschiedenes verstanden, z. B. jene Arbeitslosigkeit, die am Ende eines
VW 105 2.2.3 starken Konjunkturaufschwungs immer noch bestehen bleibt. Eigentlich kein Begriff der
Volkswirtschaftslehre.

--> Inflationsstabile Arbeitslosenrate

Sozialindikatoren Sozialindikatoren sind Daten, die Entwicklungen in der Gesellschaft anzeigen und die eine
social indicators Beurteilung der Lebensqualität, der Wohlfahrt, ermöglichen. Beispiele sind Daten über
VW 104 1.1 Lebenserwartung, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Luftverschmutzung, Freizeit oder Zeitungs-
konsum.

Sozialpolitik Zur Sozialpolitik gehören alle staatlichen Massnahmen, die versuchen, die wirtschaftliche
social policy und gesellschaftliche Lage einzelner oder ganzer Gruppen zu verbessern. Zum Kern der
VW 103 1 Sozialpolitik gehören Gesetze zum Schutz der sozial Schwächeren, die Sozialversicherun-
gen, das Bereitstellen oder Subventionieren von meritorischen Gütern und die kommunale
Sozialhilfe. Darüber hinaus ergreift der Sozialstaat auch Massnahmen, die Einkommen
gleichmässiger zu verteilen.

Er investiert darum in die Schul- und Berufsbildung oder besteuert hohe Einkommen pro-
zentual stärker als niedrige (progressive Einkommenssteuern). Zur Sozialpolitik im weiteren
Sinn gehört auch eine antizyklische Konjunkturpolitik, die hilft, Arbeitslosigkeit zu vermin-
dern.

-> Bedarfsgerechtigkeit -> Leistungsgerechtigkeit -> Verteilungspolitik

Sozialversicherung Sozialversicherungen sind in der Regel obligatorisch und die Leistungen entsprechen nicht
social insurance direkt den einbezahlten Prämien: ärmere Versicherte 7ah1en weniger auf Kosten der reiche-
VW 103 1.3.2 ren oder der Steuerzahler. Die wichtigsten Sozialversicherungen der Schweiz sind die
Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die Invalidenversicherung (IV), die Kranken-
grundversicherung, die Unfallversicherung SUVA und die Arbeitslosenversicherung. Der
Sozialversicherungscharakter der betrieblichen Pensionskassen ist umstritten, da hier auch
unsoziale Elemente vorkommen.

-) Sozialpolitik

Sparen Sparen bedeutet Verzicht auf Konsum. Das Sparen ermöglicht Investitionen, d. h. den Auf-
saving bau von Kapitalgütern. Gibt ein Haushalt einen Teil seines Einkommens nicht für Konsum-
VW 102 1.3.1 guter aus, kann er seine Ersparnisse selber investieren (z. B. in ein Haus) oder auf den Kapi-
VW 105 1.9.1 talmärkten den investierenden Unternehmen gegen Zins zur Verfügung stellen.

Spekulation Kauf- und Verkaufsentscheide beruhen auf Erwartungen über zukünftige Preise.
speculation
Spekulanten orientieren sich weniger am direkten Nutzen eines Gutes, sondern beobachten
VW 101 3.7
das Marktgeschehen, d. h., sie schielen «seitwärts» auf die anderen Marktteilnehmer und
VW 102 5.3.3, 5.4
versuchen daraus die Preisentwicklung vorauszuahnen.
VW 104 13.4.1
Käufe aus spekulativen Gründen können die Preise vorübergehend stark in die Höhe trei-
ben. Solche spekulativen Seifenblasen platzen oft in einem dramatischen Sturz der Preise,
einem Krach oder Crash.

Spekulation ist dort möglich, wo das Angebot preisunelastisch ist: beim Boden, bei Bildern,
Aktien oder Gold.

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86 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Staatsaufgaben Der Staat gibt der Gesellschaft, also auch dem Markt, einen Rahmen. Dabei tritt er selber
government tasks, als Produzent auf oder greift in das Marktgeschehen ein. Entsprechend den Marktversagen,
state tasks mit denen sich der Staat beschäftigt, können wir sieben (allerdings unterschiedlich grosse)
VW 102 2.4, 3.1.6 Aufgabenbereiche unterscheiden:
VW 103 1, 2 1. Der Staat produziert oder finanziert Güter mit grossen externen Nutzen, die öffentlichen
VVV 104 3 Güter.
VW 105 2.1, 3.5.5 2. Der Staat reglementiert die Handhabung der externen Kosten durch Vorschriften und
Verbote. Besonders effizient könnte seine Umweltpolitik unterstützt werden, wenn er
dafür sorgen würde, dass mit Umweltabgaben der Marktmechanismus auch auf die ex-
ternen Kosten ausgedehnt werden kann.
3. Der Staat kann mit konsequenter Wettbewerbspolitik den Marktkräften dort den Weg
ebnen, wo Marktmacht die bestmögliche Nutzung der Ressourcen verhindert.
--> Handelshemmnisse
4. Der Staat kann die Transparenz auf den Märkten fördern, manipulierende Werbung ein-
schränken oder Produkte, die süchtig machen, verbieten.
5. Mit seiner Sozialpolitik korrigiert er schliesslich die Marktwirtschaft in Richtung mehr
Sicherheit und Gerechtigkeit.
4 Verteilungspolitik --> Markteingriffe
6. Schliesslich kann der Staat mit einer antizyklischen Konjunkturpolitik Konjunktur-
schwankungen abschwächen.
--> Staatsversagen

Staatsversagen Staatsversagen sind Fehlleistungen der staatlichen Organisationen (wie z. B. in der Umwelt-
government failures oder Konjunkturpolitik), die zu Wohlstandsverlusten führen. Dafür gibt es mindestens drei
VVV 103 2.3 Gründe:
1. Sonderinteressen können sich leicht gegen das Gemeinwohl durchsetzen und nicht
alle Interessen lassen sich gleich gut organisieren.
2. Eine immer komplexere Welt kann den Staat vor unüberwindbare Informationsproble-
me stellen.
3. Der Staat erreicht seine Ziele oft nur mit unverhältnismässigem Aufwand und mit un-
geeigneten bürokratischen Mitteln.

So treten bei staatlichen Massnahmen oft Nebenwirkungen auf, neben denen das
ursprüngliche Problem verblasst.

Stabilitätspolitik -+ Konjunkturpolitik, Stabilitätspolitik, antizyklische Konjunkturpolitik

Steuern Steuern sind obligatorische Zahlungen an den Staat. Mit ihnen finanziert er hauptsächlich
taxes seine Aktivitäten. Man unterscheidet zwischen direkten und indirekten Steuern:
VW 103 1.4.2, 2.2.1 • Direkte Steuern belasten die Einkommen und Vermögen von Haushalten und die Ge-
VW 105 1.9.5 winne von Unternehmen.
• Indirekte Steuern werden erhoben entweder auf Waren (wie Importzölle und Benzin-
steuern) oder dann in moderner Art nicht nur auf Waren, sondern auch auf Dienstleis-
tungen (wie die Mehrwertsteuer).

Mit einer Steuer beeinflusst der Staat das Verhalten von Haushalten und Unternehmen. In
der Regel verringert eine Steuer die auf einem Markt gehandelte Menge. Je preiselastischer
Angebot und Nachfrage sind, desto stärker gehen Produktion und Käufe des besteuerten
Gutes zurück.

ENTVVICKLUNGSLANDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 I 87

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Der Staat versucht diese lenkende Wirkung auch einzusetzen, um ihm unerwünschte Akti-
vitäten zu verringern. Darum besteuert er beispielsweise den Alkohol- und Zigarettenkon-
sum. Darum auch die Forderung, die Benutzung von Umweltgütern zu besteuern in Form
von Umweltabgaben. Mit dem heutigen Steuersystem beachtet der Staat die lenkende Wir-
kung von Steuern noch wenig.

-) Steuerüberwälzung -) Progressive Steuern -) Markteingriffe

Steuerüberwälzung Wer trägt die Steuern, die auf Waren, Dienstleistungen, Arbeit oder Boden erhoben wer-
tax incidence den? Sind es die Anbieter oder die Nachfrager? Auf einem Markt kann das nicht von vorn-
VW 103 2.2.1 herein gesagt werden:
• Reagiert das Angebot preiselastischer als die Nachfrage, fällt die Steuer mehrheitlich
auf die Nachfrager.
• Ist hingegen die Nachfrage preiselastischer, tragen vor allem die Anbieter die Steuer.

Die Steuer fällt stärker auf jene, die auf dem besteuerten Markt weniger ausweichen kön-
nen, also auf jene, die preisunelastisch reagieren.

(Aus den gleichen Gründen werden von einer Subvention am ehesten jene begünstigt, die
auf die Subventionen nicht mit einer Ausdehnung der Menge, also unelastisch reagieren.)

Subvention Eine Zahlung des Staates, um die Produktion eines bestimmten Gutes zu unterstützen.
subsidy
Auf einem Markt lässt sich nicht von vornherein sagen, wer hauptsächlich von einer Sub-
VW 103 2.2.2
vention profitiert und wie stark sich die gehandelte Menge erhöht:
• Verliererin im Kampf um die Subventionen ist jene Seite, die ihre Gütermenge stärker
vergrössert, also preiselastischer reagiert.
• Und je preiselastischer die beiden Seiten auf die Subventionen und Preisermässigun-
gen reagieren, desto stärker steigt die gehandelte Menge.

-) Steuerüberwälzung -) Markteingriffe

Terms of Trade Verhältnis von Export- zu Importpreisen. Die Terms of Trade geben also an, wie viele Güter
terms of trade ausgeführt werden müssen, um eine bestimmte Menge von Gütern einführen zu können.
VW 105 3.5.4

Teuerung -> Inflation, Teuerung, Geldentwertung

Trittbrettfahrer Ein Trittbrettfahrer nutzt ein Gut, ohne dafür zu bezahlen.


free rider
-> Externe Nutzen, positive externe Effekte -> Öffentliche Güter
VW 102 2.1, 2.4

Umweltabgaben Umweltabgaben sind Abgaben für die Benutzung von Umweltgütern.


emission fees
Wir haben zwei Möglichkeiten, die Höhe der Umweltabgaben zu bestimmen:
VW 102 2.3
VW 103 2.5 • Wir schätzen die externen Kosten und bemessen die Höhe der Umweltabgaben da-
nach. Die Preiserhöhung hätte dann eine verringerte Menge an Umweltverschmutzung
zur Folge.
• Wir legen die zulässige Verschmutzung fest und heben dann die Umweltabgaben an,
bis die festgelegten Immissionsgrenzwerte eingehalten werden.

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88 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Mit Umweltabgaben wird unser Umweltverhalten an den Güterpreisen ablesbar. Damit wer-
den Haushalte und Unternehmen angehalten, auch Umweltgüter effizient zu verwenden.
• Wer die Umwelt überdurchschnittlich verschmutzt, wird am Ende des Monats weniger
Geld haben als bisher. Je mehr man sich die teuren Umweltgüter leisten will, desto we-
niger verbleibt für andere Güter.
• Wer hingegen umweltschonender lebt als der Durchschnitt, profitiert finanziell. Je um-
weltfreundlicher man konsumiert, desto eher bleibt etwas übrig für Dinge, die man sich
bisher nicht leisten konnte.

Die Haushalte kaufen die billigeren Alternativen, und die Unternehmen entwickeln aus
unternehmerischen Motiven heraus umweltverträgliche Produktionsverfahren und Pro-
dukte.

•> Umweltpolitik

Umweltgüter, Produktionsfaktor, der in praktisch allen heutigen Gesellschaften verschwendet wird, weil
Umweltressourcen im Unterschied zu den anderen drei Ressourcenarten hier die Eigentumsrechte nicht defi-
environmental resources niert oder nicht durchsetzbar sind.
VW 101 2.1.4
-> Externe Kosten, negative externe Effekte -> Umweltpolitik --> Umweltabgaben
VW 102 1.5

Umweltpolitik Die Umweltpolitik umfasst alle staatlichen Massnahmen, die den Schutz der Umweltgüter
environmental policy zum Ziel haben. Hauptinstrumente der Umweltpolitik sind:
VW 102 2.3 • Information, Beratung und Ausbildung. Auch Forschung und Entwicklung von Um-
VW 106 1.7.4 welttechnologie, Aufbau von Entsorgungsstellen usw.
• Gesetze und Vorschriften über Produktionsverfahren, Schadstoffgrenzwerte, Typen-
prüfungen usw.
• Marktwirtschaftliche Instrumente wie steuerliche Erleichterungen für Umweltschutz-
investitionen und v. a. Umweltabgaben

Umweltressourcen -> Umweltgüter, Umweltressourcen

UNO --> Vereinte Nationen, UNO

Unternehmerische Die Fähigkeit, die Produktionsfaktoren zu kombinieren.


Tätigkeit
Ein Unternehmer entscheidet, was wie produziert wird, er führt Neuerungen ein und er
entrepreneurship
trägt Risiken für seine Entscheidungen. Erfolgreiche Unternehmerleistungen werden mit
VW 102 1.7
Gewinn belohnt, erfolglose mit Verlust bestraft.

-> Einkommen

Verbände Interessenorganisationen von Unternehmen, Lohnabhängigen (Gewerkschaften), Bauern


federations, associations, oder Konsumentinnen, um eine Besserstellung ihrer Mitglieder zu erreichen, v. a. durch
unions, lobbies Beeinflussung staatlicher Organisationen, Absprachen auf Märkten und Information ihrer
VW 102 3.1.2 Mitglieder.
VW 103 2.3

Vereinte Nationen, UNO Weltweite Organisation mit dem vorrangigen Ziel, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten oder
United Nations wiederherzustellen. Die UNO verfügt über eine Vielzahl von Spezialorganen (z.B. WTO, IWF,
VW 106 2.6 Weltbank) und Programmen. Zur Zeit ist die UNO die einzige mächtige internationale Orga-
nisation zur Regelung globaler externer Effekte, die zunehmend den Weltfrieden gefährden
könnten (z. B. Überfischung der Weltmeere, drohende Klimaveränderung).

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GRUNDLAGEN 6/6 89

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Verlust —> Gewinn und Verlust

Verschuldung Unfähigkeit, gesprochene Kredite zurückzuzahlen. Viele Entwicklungsländer sind tief ver-
national dept schuldet, was zu einer Abhängigkeit gegenüber den Gläubigern führt.
VW 106 1.4

Verteilungspolitik Die Verteilungspolitik ist ein Teil der Sozialpolitik. Dazu gehören alle staatlichen Massnah-
distribution policy men, die versuchen, die Einkommens- und Vermögensverteilung zu beeinflussen. Es wer-
VW 103 1.4 den Umverteilungen angestrebt zwischen Alten und Jungen, Armen und Reichen, Mittel-
schicht und Reichen, Lohnempfängern und Unternehmen oder zugunsten von Randregio-
nen und bestimmten Bevölkerungsgruppen wie den Bauern oder Mietern.

Der Staat beeinflusst die Einkommen jedoch nicht nur mit sozialstaatlichen Massnahmen.
Praktisch alle Handlungen des Staates berühren die Einkommensverteilung, ob beabsich-
tigt oder nicht.
• So werden z. B. öffentliche Güter wie Strassen oder Opernhäuser von einzelnen Grup-
pen sehr unterschiedlich bezahlt und benutzt.
• Die heutige Umweltpolitik erlaubt immer noch grosse Überwälzungen von externen
Kosten auf unbeteiligte Dritte.
• Die heutige Wettbewerbspolitik erlaubt Monopolen und Kartellen Extragewinne auf
Kosten der Konsumentinnen und Konsumenten.
• Das Verbot des Heroin- und Kokainhandels verschiebt Milliarden Franken von Drogen-
abhängigen zu Drogenhändlern.

Volkseinkommen Zieht man vom Nettosozialprodukt/NSP die indirekten Steuern ab und zählt dafür die Sub-
national income ventionen dazu, erhält man das Volkseinkommen. Es entspricht dem Total aller Entschädi-
VW 104 1.2.5 gungen einer Volkswirtschaft, die während eines Jahres für geleistete Arbeit (Lohn), für die
Nutzung von Kapital (Zins) und Boden (Bodenrente) sowie für unternehmerische Tätigkeit
(Gewinn/Verlust) bezahlt werden. Zum Unterschied zwischen nominalen und realen Grös-
sen siehe nominales und reales BIP.

Volkswirtschaft Alle Einrichtungen und Verfahren, mit denen eine Gesellschaft Güter zur Bedürfnisbefriedi-
economy gung produziert und verteilt.
VW 101, 1.1
—> Grundfragen des Wirtschaftens

Volkswirtschaftliche Mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sollen die Aktivitäten im Wirtschaftskreis-


Gesamtrechnung lauf erfasst werden, v. a. um Konjunkturschwankungen und Inflation zu verstehen und zu
national accounting bekämpfen. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung weist die Höhe und Zusammenset-
VW 104 1.2 zung von Bruttoinlandprodukt/81P, Bruttosozialprodukt/BSP und Nettosozialprodukt/NSP
und Volkseinkommen aus.

Volkswirtschaftslehre, Die Lehre darüber, wie eine Gesellschaft ihre knappen Ressourcen für ihre unabsehbaren
Wirtschaftswissenschaft Konsumwünsche bestmöglich verwenden kann.
economics
VW 101 2.4.3

Währung Gesetzliches Zahlungsmittel eines Landes.


currency
—> Geld
VW 104 2.2, 4.2

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


go GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Waren- und Die Waren- und Dienstleistungsbilanz ist ein Teil der Zahlungsbilanz. Sie umfasst alle
Dienstleistungsbilanz Importe und Exporte von Waren und Dienstleistungen während eines Jahres.
balance of goods and
services
VW 104 4.1

Wechselkurs Austauschverhältnis zweier Währungen (z. B. 1 US-$ = CHF 1.50). Man unterscheidet zwi-
foreign exchange rate schen frei floatenden, gelenkten und festen Wechselkursen.
VW 104 4.2 • Frei floatende Wechselkurse werden durch Angebot und Nachfrage auf den Devisen-
börsen bestimmt.
• Gelenkte Wechselkurse werden zwar auch durch Angebot und Nachfrage bestimmt,
die Notenbanken versuchen aber den Wechselkurs in eine gewünschte Richtung zu
steuern.
• Bei festen Wechselkursen sorgen die Notenbanken durch Käufe und Verkäufe dafür,
dass die Wechselkurse praktisch unverändert bleiben.

Langfristig richten sich die Wechselkurse nach der Kaufkraft der Währungen (Theorie der
Kaufkraftparität).

Weltbank Finanziert und koordiniert Entwicklungsprojekte. Bindet die Kreditvergabe an wirtschafts-


VVorld Bank politische Kriterien (wie der IWF).
VW 106 2.7

Wettbewerb, Konkurrenz Viele informierte und selbst bestimmte Anbieterinnen und Anbieter stehen vielen informier-
competition ten und selbst bestimmten Nachfragerinnen und Nachfragern gegenüber. Die Marktteil-
VW 102 3 nehmer konkurrieren untereinander, der Zugang zu den Märkten ist offen und die Preise
werden ohne staatliche Vorschriften gebildet.

Wettbewerbspolitik Staatliche Massnahmen, die das Funktionieren der Märkte garantieren und fördern, mit
competition policy dem Ziel, durch mehr Wettbewerb zu grösserem Wohlstand zu gelangen. Wettbewerbspo-
VW 102 3.1.6 litik fördert die Markttransparenz und richtet sich v. a. gegen Handelshemmnisse und
Marktmacht. Durch vermehrten Wettbewerb verringern sich die Extragewinne der
geschützten Branchen, der Monopolisten und Kartellisten (die sie auf Kosten ihrer Kunden
machen), verbessert sich die Güterversorgung (weil infolge der niedrigeren Preise mehr
Güter gekauft und produziert werden) und wachsen die Anreize zu besseren Leistungen, die
Macht ist breiter gestreut und es vergrössert sich die Auswahl auf den Märkten.

Wirtschaftskreislauf mit Gü- Modell einer Volkswirtschaft, das die Zusammenhänge zwischen den Haushalten und
ter- und Faktormärkten, Unternehmen erklärt. In der vereinfachten Form ohne Staat werden Angebot und Nach-
Markt- und Kreislaufmodell frage von Haushalten (die ihre Konsumwünsche erfüllen wollen) und Unternehmen (die
circular flow with Gewinne machen wollen) auf zwei verschiedene Arten von Märkten aufeinander abge-
product and factor markets stimmt:
VW 102 1.7 • Auf den Gütermärkten beziehen die Haushalte von den Unternehmen Güter.
VW 103 2.1 • Auf den Faktormärkten (den Arbeits-, Boden- und Kapitalmärkten) stellen die Haushalte
VW 105 1.2 den Unternehmen ihre Ressourcen (oder Anrechte darauf) zur Verfügung.

Das Marktsystem hat allerdings ein grosses Leck: Die Rechte an den Umweltressourcen
sind nämlich weniger genau geregelt als die Rechte an den anderen Produktionsfaktoren.
Es bestehen darum dafür kaum Märkte und kaum Preise. Sie dürfen praktisch gratis genutzt
und verschwendet werden.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


GRUNDLAGEN 6/6 91

VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN
Im Markt- und Kreislaufmodell laufen gleichzeitig sowohl ausgleichende wie auch sich
selbst verstärkende Prozesse ab:
• Auf Märkten reagieren die Preise auf Änderungen in der Konsumstruktur, in der Pro-
duktionstechnik usw. Die Preisänderungen veranlassen dann Umstrukturierungen, die
früher oder später abgeschlossen sein werden.
• Bevor jedoch ein Ausgleich auf den Märkten zum Abschluss kommt, kann eine sich
selbst verstärkende konjunkturelle Kreislaufdynamik in Gang kommen. Dann führen
niedrigere Einkommen zu kleineren Ausgaben, was wiederum zu einer Verminderung
der Produktion und dann der Einkommen führt usw. Umgekehrt führen steigende Ein-
kommen zu grösseren Ausgaben, diese wiederum zu höheren Einkommen usw.

--> Konjunkturschwankungen

Wirtschaftswachstum Dieser Begriff wird mit verschiedenen Inhalten gefüllt:


economic growth • In diesem Kurs bedeutet Wirtschaftswachstum wirtschaftliche Entwicklung, die durch
VW 104 1.5 effiziente Verwendung aller Ressourcen zu mehr bzw. begehrteren Waren und Dienst-
VW 106 1.1.4 leistungen beiträgt und damit die menschlichen Bedürfnisse und Konsumwünsche
besser befriedigen kann. In diesem Sinn ist Wirtschaftswachstum gleichbedeutend mit
Wachstum des Wohlstands.
• Weil aber ein so definierter Wohlstand heute nur ungenau geschätzt werden kann, wird
Wirtschaftswachstum vereinfachend mit dem Begriff des BIP gleichgesetzt.
• Gegner einer solchen Interpretation weisen darauf hin, dass beispielsweise die Um-
weltschäden der volkswirtschaftlichen Produktion im BIP nicht oder nur unzureichend
erfasst werden.
• In diesem Konflikt hat sich der Begriff «qualitatives Wirtschaftswachstum» als sehr
konsensfähig erwiesen, weil er wenig präzise definiert ist. Jedermann kann diesen Be-
griff nach seinem Gutdünken auslegen und geht dadurch keine Verpflichtung ein.
• Will man unter qualitativem Wirtschaftswachstum ein Wirtschaftswachstum verste-
hen, das durch effiziente Umweltpolitik die Umweltgüter stärker schont als bisher, wä-
ren Begriffe angebracht wie «Wirtschaftswachstum, bei dem Umweltschäden konse-
quent dem Verursacher angelastet werden» oder «Wirtschaftswachstum unter konse-
quenter Internalisierung externer Kosten».

Wirtschaftswissenschaft -> Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftswissenschaft

Wohlfahrt, Lebensqualität Diese nicht genau definierten Begriffe umfassen in der Regel neben Wohlstand auch die
welfare, quality of life soziale Umwelt, menschliche Freiheiten und rechtliche Gleichheit. Man versucht die
VW 104 1 Lebensqualität mit Sozialindikatoren zu erfassen.
VW 106 1.1.3, 1.3.3

Wohlstand Dieser Begriff wird nicht überall gleich verwendet. Hier verstehen wir unter Wohlstand die
prosperity, affluence Verfügungsmöglichkeiten über Güter, die wir zu unserem Lebensunterhalt herstellen und
VW 104 1.4 pflegen - unabhängig davon, ob wir dafür mit Geld bezahlen oder nicht. Damit sind auch
VW 106 1.1.1, 1.1.2 die Resultate der Haushaltarbeit oder der Genuss von Umweltgütern eingeschlossen.

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


92 GRUNDLAGEN 6/6
VOLKSWIRTSCHAFT IN STICHWORTEN

Es gibt kein anerkanntes Wohlstandsmass. BIP, BSP und Volkseinkommen sind nicht dafür
konzipiert, sondern als Mass für die Stromstärke des Wirtschaftskreislaufs. Daher werden
viele Schäden, die durch unser Wirtschaften entstehen, nicht abgezogen (Arbeitsunfälle,
Berufskrankheiten, Umweltschäden), während Heilungskosten, Reparaturarbeiten und
Ersatzinvestitionen positiv verrechnet werden. Weiter sind auch Aktivitäten mitgezählt, die
kaum direkt wohlstandssteigernd sind (staatliche Vorleistungen für Unternehmen, Pendeln,
ein Teil der Werbung). Umgekehrt fehlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Leis-
tungen, die wesentlich zu unserem Wohlstand beitragen: Haushaltarbeit, ehrenamtliche
Tätigkeit und die Schattenwirtschaft.

VVTO Welthandelsorganisation. Regelt neben dem internationalen Güterhandel (GATT) auch den
VVorld Trade Organization internationalen Handel mit Dienstleistungen (GATS) und den Schutz geistigen Eigentums
VW 106 2.4 (TRIPS).

-) GATT

Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz erfasst alle Zahlungen eines Landes mit dem Ausland während eines
balance of international Jahres. Die Zahlungsbilanz umfasst v. a.: die Käufe und Verkäufe von Waren und Dienstleis-
payments tungen, die über die Grenze fliessenden Zinsen und Dividenden, die Einkommen von Grenz-
VW 104 4.1 gängern, die Überweisungen von Fremdarbeitern sowie den Kapitalverkehr (Investitionen
und Darlehen über die Landesgrenze). Teile aus der Zahlungsbilanz sind die Handelsbilanz,
die Waren- und Dienstleistungsbilanz, die Ertragsbilanz und die Kapitalverkehrsbilanz.

Zentralbank -› Notenbank, Zentralbank

Zins Der Zins ist der Preis für ausgeliehenes Geld. Er wird durch Angebot und Nachfrage auf den
interest Kapitalmärkten bestimmt. Auch die Notenbank hat über die kurzfristigen Zinsen einen Ein-
VW 102 1.3 fluss auf das Zinsniveau.
VW 104 2.2.1, 3.1.4, 3.2.2,
4.4, 4.7
VW 105 2.1.3

ENTWICKLUNGSLÄNDER UND INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


Bernhard Beck Matthias Knecht, Diplom-Volkswirt
Wirtschaftswissenschaftler und Dozent an der Hochschule für Ist Redakteur bei der Berner Tageszeitung «Der Bund», mit den
Soziale Arbeit in Zürich und der Fachhochschule Aargau in Ba- Spezialgebieten Wirtschaft, Steuern, Finanzen und Versiche-
den. Forschungstätigkeit am Seminar für Sozialökonomie der rungen. Er publiziert seit 1995 zu Wirtschaftsthemen. Bei Com-
Universität Zürich 1979 bis 1982 und an der Konjunkturfor- pendio zeichnet er als Verfasser oder Redakteur weiterer
schungsstelle der ETH 1986 bis 1990. Ausgedehnte Reisen in Lehrmittel in den Fachbereichen Rechnungswesen und Volks-
Asien und Afrika; arbeitete für das VVelternährungsprogramm wirtschaft.
der UNO im Tschad. Er ist auch Verfasser von mehreren Lehr-
mitteln, u. a. «Volkswirtschaft verstehen», vdf Hochschulverlag
(2001).

K1020 — 4022 — VWS 106

ISBN 3-7155-1974-6

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