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© 2019 Beltz Juventa. Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Weitergabe oder Vervielfältigung.
Arbeitsgesellschaft im Wandel
Herausgegeben von
Brigitte Aulenbacher | Birgit Riegraf
Zukunftsfähiges
Wirtschaften
Die Autor_innen
Andreas Novy, Prof. Dr., ist Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development
an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Richard Bärnthaler arbeitet am Institut für Multi-Level Governance and Development der
Wirtschaftsuniversität Wien und am Institut für Development Studies der Universität Wien.
Veronika Heimerl arbeitet am Institut für Multi-Level Governance and Development sowie
am Institut für Wirtschaftsgeographie der Wirtschaftsuniversität Wien.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroni-
sche Systeme.
1. Auflage 2020
Weitere Informationen zu unseren Autor_innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de
Lizenziert für 2405881.
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Vorwort
Mit Fridays for Future ist das Thema Zukunftsfähigkeit endlich ganz oben auf
der politischen Agenda gelandet. Dass die Welt, so wie wir sie kennen, bedroht
ist, bestimmt heute zumindest die offiziellen Reden politischer Entscheidungs-
trägerInnen und öffentlicher Debatten. Weiterhin fehlt es jedoch an Konzepten
und Ideen, wie zukunftsfähig gewirtschaftet werden kann. Wir fanden keine
Bücher und nur wenige Texte zu zukunftsfähigem Wirtschaften. Das überrascht
vor allem deshalb, weil die derzeitige Wirtschaftsweise zwar in der Vergangen-
heit wirtschaftlichen Fortschritt gebracht und sozialen Zusammenhalt gestärkt
hat, heute aber zentraler Treiber von Nicht-Nachhaltigkeit ist.
Aus diesem Grund entschlossen wir uns, eine kleine Einführung für interes-
sierte Laien zu schreiben. Wir hatten dazu ausreichend Material gesammelt, da
wir seit Jahren (mehr oder weniger stark involviert) eine Lehrveranstaltung zu
„Zukunftsfähigem Wirtschaften“ an der Wirtschaftsuniversität Wien abhalten.
Es ist dies eine Lehrveranstaltung für alle Studierenden dieser großen wirt-
schaftswissenschaftlichen Universität mit über 20.000 StudentInnen. Unser Ziel
als AutorInnen war anfangs vor allem, Neugier und Interesse der Studierenden
zu wecken, über den Tellerrand einer betriebswirtschaftlichen Problemsicht
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hinauszublicken. Mit Vorträgen und Übungen zeigten wir in der Lehrveran-
staltung, wie Klimakrise, Globalisierung und zunehmende Ungleichheit unser
aller Leben, aber auch unternehmerisches Handeln beeinflussen.
Die Erstellung dieses Buches wurde aber zu viel mehr als dem bloßen Fest-
halten dessen, was wir konkret im Hörsaal präsentierten und diskutierten. Un-
ser Wissen zu systematisieren, Argumente zu verfeinern und Beispiele zu fin-
den, hat großen Spaß gemacht. Doch es war deutlich mehr Arbeit als wir an-
fangs dachten: Was als Sammlung von Beispielen geglückter und missglückter
Zukunftsfähigkeit begann, wurde zum ambitionierten Projekt, Orientierung zu
bieten in einer unübersichtlichen Welt. Zukunftsfähig einfach mit nachhaltig
gleichzusetzen, schien uns zu eng. So erarbeiteten wir eine eigene Definition
von Zukunftsfähigkeit, die Nachhaltigkeit mit Gerechtigkeit und Verantwor-
tungsbewusstsein verbindet. Wir präsentieren in diesem Buch nicht bloß empi-
rische Fakten in verschiedenen Politikfeldern, sondern zeigen vor allem Zu-
sammenhänge auf. Angelehnt an Ludwig Flecks Theorie der Denkkollektive
wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Theorien und Konzepte unsere
Weltsicht bewusst oder unbewusst prägen. So ist das Buch nicht nur ein Plä-
doyer für Neugier und Weltoffenheit geworden, sondern gibt Impulse, wie in
einer komplexen Welt verantwortungsbewusst gehandelt werden kann.
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Wir bedanken uns bei den KollegInnen, die jahrelang zu dieser Lehrveran-
staltung beigetragen haben, allen voran Karl-Michael Brunner, Sigrid Stagl,
Ruth Simsa und Barbara Haas. Ohne die ausdauernde Unterstützung durch
Magdalena Prieler wären uns im Endspurt der Fertigstellung die Kräfte ausge-
gangen. Und ein großes Danke geht auch an diejenigen, die Teile des Manu-
skripts gelesen haben: Verena Madner, Silvia Nossek, Werner Raza, Peter Hei-
merl, Clemens Schwarcz, Elisabeth Stachel, Mathias Moser und Ernest Aigner.
Und schließlich gilt unser Dank den zahlreichen Studierenden, die uns mit
ihren Fragen zwangen, genauer zu argumentieren.
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Inhalt
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Bibliographie 187
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Die Welt ist im Umbruch. Das einzig Sichere ist, dass es nicht so bleibt, wie es
ist: So scheint der Aufstieg Asiens unausweichlich, die Vormachtstellung West-
europas und der USA wankt. Militärische Aufrüstung und neue Formen des
Autoritarismus erreichen bedrohliche Ausmaße. Die Vorhersagen zur Klima-
krise werden immer besorgniserregender, und Fachleute rufen zu einem
grundlegenden Kurswechsel in der Art zu produzieren, zu konsumieren und zu
leben auf. Grund zur Panik? In der Tat geben diese Entwicklungen Anlass zur
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Sorge und nähren die Befürchtung, die Zukunft sei auch nicht mehr das, was sie
einmal war. Über Generationen hat sich insbesondere der reiche Teil der Welt-
wirtschaft an die Vorstellung gewöhnt, die Zukunft wäre automatisch die kon-
tinuierliche Verbesserung des Bestehenden. Selbstverständlich ist dies weiterhin
möglich, aber es wird nicht von selbst passieren. Vieles deutet darauf hin, dass
die uns vertraute Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung in einer tiefen Krise
steckt. Einige zentrale Merkmale der grundlegenden Veränderungen sind die
folgenden vier Punkte.
(2) 2008 erschütterte die größte Finanzkrise seit 1929 die Welt. Der internatio-
nale Zahlungsverkehr brach kurzfristig zusammen und führte zu einem abrup-
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(3) Die USA sind als Führungsmacht auf dem Rückzug. Schwellenländer, insbe-
sondere in Asien, werden zu Global Players. Doch eine neue Weltordnung ist
nicht in Sicht. Hatten viele gehofft, mit dem Ende des Kalten Krieges 1989 und
der Demokratisierung in Ost- und Südosteuropa bräche eine neue Ära globaler
Zusammenarbeit an, so sind die Einschätzungen heute pessimistischer. Globali-
sierung wird zwar von vielen weiter als Chance und Notwendigkeit verstanden,
um Wohlstand und Frieden zu gewährleisten. Gleichzeitig mehren sich Gegen-
bewegungen und Widerstand gegen die derzeitige Form der Globalisierung.
Dies äußert sich beispielsweise in Form von Protesten gegen Handels- und
Investitionsabkommen wie TTIP und CETA. Weltweite Verbundenheit er-
scheint oftmals vor allem als Gefahr, nicht als Chance. (Vgl. Teil 2 Globalisie-
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rung im Umbruch)
(4) In den letzten Jahrzehnten hat die Ungleichverteilung von Einkommen und
Vermögen innerhalb nationaler Gesellschaften zugenommen. Damit einher
geht die Konzentration von wirtschaftlicher, politischer und medialer Macht.
Der soziale Zusammenhalt und das Vertrauen in politische und wirtschaftliche
EntscheidungsträgerInnen, die als „Establishment“ kritisiert werden, schwindet.
Die liberale Demokratie ist in der Krise. GroßspenderInnen beeinflussen Wah-
len, Lobbyisten betreiben die Privatisierung von lebenswichtigen öffentlichen
Gütern und Dienstleistungen, wie Wasserversorgung oder Gesundheitsdiens-
ten, wodurch Lebensgrundlagen zu käuflichen Waren werden. Diese gesell-
schaftlichen und politischen Veränderungen führen zu Gegenbewegungen
gegen zunehmende soziale Unsicherheit am Arbeitsplatz, unerschwingliche
Wohnungen sowie einen realen oder vermeintlichen Verlust von Heimat. (Vgl.
Teil 2 Gesellschaft im Umbruch)
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Box: Institutionen
Institutionen sind Systeme von etablierten und vorherrschenden sozialen Regeln, die
soziale Interaktionen strukturieren. Dazu zählen Rechtssysteme, Märkte, Steuersysteme,
Verhaltenskodizes wie Anstandsregeln, Tischmanieren und Routinen („nach dem Volley-
ballspielen am Mittwoch gehen wir immer auf ein Bier“).
Institutionen unterscheiden sich von Organisationen wie Unternehmen oder Behörden.
Diese Einrichtungen agieren aber innerhalb eines institutionellen Gefüges, werden von
diesem beeinflusst und beeinflussen es.
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• Die Tendenz zur Herausbildung von Unternehmen als Organisationsform mit Unterneh-
merInnen und Beschäftigten (ArbeiterInnen und Angestellte). Erstere besitzen Kapital
und Produktionsmittel, letztere verkaufen ihre Arbeitskraft für Einkommen. Dies stellt
sowohl eine unpersönliche Marktbeziehung als auch eine von Machtungleichgewichten
geprägte soziale Beziehung dar.
Marktwirtschaften organisieren wirtschaftliches Handeln primär über Märkte. Sie teilen
mit dem Kapitalismus die zentrale Funktion von Märkten, können aber auch außerhalb
des Kapitalismus existieren, wenn die restlichen Merkmale nicht erfüllt bzw. nicht domi-
nant sind. So verkauften LandwirtInnen ihre Produkte bereits über regionale Märkte, bevor
sich eine kapitalistische Produktionsweise herausbildete. Auch zukünftig sind nicht-kapi-
talistische Marktwirtschaften denkbar.
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Wohlstand im Wandel
Die aktuellen Veränderungen gehen mit Krisen einher. Das beinhaltet Gefahren
und Chancen. Sie können Wohlstand und Lebensqualität erhöhen oder senken.
Lange Zeit dominierten bei der Messung von Wohlstand (prosperity) und
Wohlbefinden (well being) monetäre Indikatoren, allen voran (1) das Volksein-
kommen, gemessen als BIP (Bruttoinlandsprodukt) und BNE (Bruttonational-
einkommen). Damit werden bestimmte Aspekte von Wohlstand inkludiert,
andere jedoch vernachlässigt. Wohlstandsmessung beruht nämlich auf An-
nahmen über die relative Bedeutung unterschiedlicher Dimensionen von
Wohlstand und Wohlbefinden. Sie sind daher immer normativ (vgl. Box Nor-
mativ und Deskriptiv). Je nachdem, was als wohlstandsverringernd oder
-erhöhend definiert wird, werden unterschiedliche Lösungswege beschritten. So
spiegelt die Messung der Kindersterblichkeit die Sorge um soziale Entwicklung
wider, das BIP misst das Wachstum materiellen Wohlstands. Indikatoren len-
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ken den Blick auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit und setzen damit Prio-
ritäten. Andere, von den jeweiligen Indikatoren nicht berücksichtigte Dimensi-
onen und Lebensbereiche erhalten weniger Aufmerksamkeit. Diese Selektivität
ist in einer komplexen Welt unvermeidbar. Multiperspektivität ermöglicht
jedoch die sinnvolle Reduktion von Komplexität auf wesentliche Aspekte. Da-
her setzen (2) Vielfachindikatoren multiple Dimensionen von Wohlstand und
Wohlbefinden in Verbindung und können auf diese Weise ökologische, wirt-
schaftliche und gesellschaftlichen Aspekte besser berücksichtigen.
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Die Volkswirtschaftliche - transid
Gesamtrechnung (VGR) ist ein- Kontensystem,
cma57090050 das die -
Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft statistisch erfasst und das BIP (Brut-
toinlandsprodukt) und BNE (Bruttonationaleinkommen) errechnet. Das BIP
erfasst den Geldwert der Waren und Dienstleistungen, die innerhalb der Lan-
desgrenzen eines bestimmten Landes hergestellt werden. Es unterscheidet sich
vom BNE, das den Geldwert der von BewohnerInnen eines Landes – Staatsbür-
gerInnen und Nicht-StaatsbürgerInnen – im In- und Ausland hergestellten
Waren und Dienstleistungen erfasst. Das BNE ist aussagekräftiger, um den
Wohlstand der BewohnerInnen zu messen. Es erfasst Einkommen von Pendler-
Innen, die ins Ausland pendeln, sowie im Ausland erwirtschaftete Gewinne
einheimischer Firmen. Das BIP des Burgenlands beispielsweise, eine klassische
Auspendlerregion, ist deutlich niedriger als sein BNE. Das BIP Wiens ist höher
als sein BNE, weil viele PendlerInnen und ausländische Firmen in der Stadt
tätig sind.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über das im Jahr 2018 erwirt-
schaftete BIP pro Kopf in ausgewählten Ländern.
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Die VGR hat eine Reihe von Schwächen. So erfasst sie nur wirtschaftliche Akti-
vitäten, welche über den Markt gehandelt oder vom Staat bereitgestellt werden.
Da nur Zahlungsströme erfasst werden, finden andere wohlstandsschaffende
wirtschaftliche Aktivitäten in BIP und BNE keine Berücksichtigung: unentgelt-
liche Hausarbeit, Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Umge-
kehrt sind manche wohlstandsmindernde wirtschaftliche Aktivitäten inkludiert
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und führen zu einer Erhöhung des BIP, beispielsweise Spitalskosten durch
Krankenhausaufenthalte, erhöhte Rechtsanwaltskosten durch Scheidungen,
Reparaturkosten bei Autounfällen oder Aufbauarbeiten nach Umweltkatastro-
phen. BNE und BIP sind Flussgrößen, vergleichbar mit der Gewinn- und Ver-
lustrechnung einer Firma. Sie sagen nichts über den Bestand, die Aktiva einer
Volkswirtschaft, aus. Öffentliches Eigentum wie Universitäten, Spitäler, Bahn-
unternehmen, Stadtwerke oder Bundesforste wären derartige Aktiva. Auch eine
intakte Umwelt kann als Teil der Aktiva verstanden werden, die durch das
Schmelzen der Gletscher, die Zerstörung der Artenvielfalt, Versteppung und
schrumpfende Trinkwasserreserven verringert werden. Dieser Rückgang
scheint jedoch in der VGR nicht auf. Daher kann die VGR nur eingeschränkt
Aussagen über den tatsächlichen Wohlstand eines Landes treffen.
Trotz aller Kritik sind BIP und BNE, vereinfacht als Volkseinkommen be-
zeichnet, bis heute die zentrale Maßgröße für Wohlstand. Wir können zum
Beispiel feststellen, dass sich 2018 das BIP Chinas um 6,5 Prozent und Öster-
reichs um 2,8 Prozent erhöht hat und in Venezuela um 18 Prozent gesunken ist.
Die weltweit weitgehend vereinheitlichte Erfassung des Volkseinkommens
ermöglicht es, auf diese Daten in wenigen Minuten zuzugreifen und sie zu ver-
gleichen. Wir haben damit einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, dass die Ent-
wicklung der Produktion und des Einkommens in Venezuela negativ ist und in
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China positiv. Doch wie viel wissen wir damit wirklich über Wohlstand, ge-
schweige denn Wohlbefinden?
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Politische Freiheit beruht auf der Möglichkeit zur Mitgestaltung der gesellschaftlichen
Regeln des Gemeinwesens. Beispiele sind Meinungs- und Glaubensfreiheit, das Recht zu
demonstrieren und das Wahlrecht. Politische Freiheit ermächtigt zu politischer Teilhabe.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Human Development Index
ausgewählter Länder im Jahr 2017.
Tabelle: HDI
Der HDI erfasst wie alle Indikatoren nur einen Teil dessen, was Wohlstand und
Wohlbefinden beinhaltet. Nicht inkludiert sind zum Beispiel Ungleichheiten
innerhalb der Bevölkerung, Sicherheits- und Teilhabebedürfnisse (z. B. Anti-
diskriminierungsgesetze oder freier Zugang zu Bildung und Gesundheit) und
soziokulturelle Armut wie beispielsweise Einsamkeit. Zusätzlich geht dieser
Indikator implizit von der Austauschbarkeit seiner Komponenten aus. So kann
beispielsweise dieselbe HDI-Bewertung mit verschiedenen Kombinationen von
Gesundheit und Einkommen erzielt werden. Eine geringere Lebenserwartung
(Wohlbefinden) könnte so mit zusätzlichem Einkommen (Wohlstand) ausge-
glichen werden. Das ist problematisch. Der HDI war der erste, breit eingesetzte
multidimensionale Indikator. Heute gibt es zahlreiche Indikatoren, die über die
Messung des Volkseinkommens hinausgehen. Einer der wichtigsten ist der
Better Life Index der OECD.
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Die SDGs halten auf globaler Ebene einen Wertekonsens der Staatengemein-
schaft fest: Ziel ist ein gutes Leben für alle Menschen. Die Agenda der Nachhal-
tigen Entwicklungsziele ist mit 169 Unterzielen komplex. Doch sie konkreti-
siert, was es bedeutet zu gewährleisten, dass alle Menschen an Rechten und
Würde gleich sind. In diesem Sinne ergänzen, aktualisieren und konkretisieren
sie die seit 1948 festgeschriebene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Doch sind die SDGs keine rechtlich bindende Resolution. Ihre Nichtbefolgung
hat keine globalen Sanktionen zur Folge. Ihr Erfolg hängt wesentlich von der
nationalen und lokalen Umsetzung ab (vgl. Teil 3 Zukunftsfähige Weltordnung).
Sie benennen jedoch konkrete Ziele und machen Zielkonflikte sichtbar.
Diese treten dann auf, wenn nicht alle Ziele gleichzeitig und im gleichen Aus-
maß erfüllt werden, weil die Erfüllung des einen Ziels der Erfüllung eines ande-
ren im Wege steht. Können zum Beispiel Ozeane, Meere und Meeresressourcen
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geschützt (SDG 14) und Klimawandel bekämpft (SDG 13) werden, wenn Wirt-
schaftswachstum weiterhin als zentrales Ziel (SDG 8) verfolgt wird (vgl. Teil 2
Wirtschaftlicher Wachstumszwang und ökologisches Gleichgewicht)? Können
verantwortungsvolle Produktionsmuster (SDG 12), die unter heutigen Rah-
menbedingungen zu höheren Kosten, sinkenden Gewinnen und in der Folge
geringeren Steuereinnahmen führen, die Finanzierung hochwertiger Bildung
(SDG 4) ermöglichen? Die Entscheidung, welches Ziel eine höhere Priorität
und welches eine niedrigere hat, ist immer eine gesellschaftliche Aushandlungs-
frage.
Das westliche Denken darüber, was ein gutes, ein gelungenes Leben sei, geht auf
die Philosophen der griechischen Antike, allen voran Aristoteles, zurück. Für
ihn war das Streben nach einem guten Leben und guter Lebensführung eine
zentrale Zielsetzung persönlicher Entwicklung sowie der Gestaltung des Ge-
meinwesens (vgl. Teil 2 Eine kurze Geschichte sozialen Fortschritts). Diese anti-
ken Ideale bestimmten lange Zeit das westliche Denken. Erst in kapitalistischen
Marktgesellschaften wird das gute Leben verengt auf die Verfügung über mate-
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rielle Güter. Die Kritik daran führte zur Suche nach einem neuen Verständnis
von Wohlstand, gemessen an Indikatoren wie dem HDI oder dem Better Life-
Index. Noch stärker angelehnt an die antike Idee eines guten Lebens sind neue
Überlegungen zu Wohlbefinden.
Erkenntnisse der Psychologie liefern wichtige Ansatzpunkte, welche As-
pekte über Materielles hinaus für Wohlbefinden sorgen. Umfangreiche empiri-
sche Forschungen (vgl. Box Empirische Fakten und Theorien) der Selbstbe-
stimmungstheorie haben drei grundlegende psychologische Bedürfnisse identi-
fiziert, deren Befriedigung Wohlbefinden schafft: Kompetenz, Autonomie
(Selbstbestimmung) und Bezogenheit (Dazugehören). Kompetenz bezeichnet
Gestaltungsfähigkeit. Sie beruht auf der Überzeugung, das, was einem wichtig
ist, effektiv gestalten zu können. Auf diese Weise können Menschen auf die
eigene Umgebung, den Arbeitsplatz oder die Gesellschaft Einfluss nehmen.
Autonomie beschreibt die Fähigkeit, das zu tun, was man selbst will. Entschei-
dungen, die einen selbst betreffen, sollen selbst getroffen werden. Es gehe da-
rum, sich selbst Ziele zu stecken. Bezogenheit benennt schließlich das Bedürfnis,
dazu zu gehören und sich sicher zu fühlen. Es geht um Orte und Situationen,
wo man sich zuhause fühlt und zurecht findet. Als soziale Wesen brauchen
Menschen Gruppen und Gemeinschaften, in denen sie wertgeschätzt werden
und zu denen sie gleichzeitig etwas beitragen, etwas leisten können. Auf welche
Art und Weise diese grundlegenden psychologischen Bedürfnisse jeweils
befriedigt werden können, hängt stark vom soziokulturellen Kontext ab. Allein
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die Befriedigung materieller Bedürfnisse ist nicht ausreichend.
Die Selbstbestimmungstheorie, welche die Kritik an materialistischen Defi-
nitionen von Wohlstand mit Hilfe psychologischer Forschung begründet, iden-
tifiziert die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse als Voraussetzung für Wohl-
befinden und Gesundheit. Die drei Grundbedürfnisse Autonomie, Kompetenz
und Bezogenheit können nicht gegeneinander ausgetauscht werden, weil sie
unvergleichbar (inkommensurabel) sind. Wichtig für ein gelungenes Leben ist
zu lernen, sich selbst Ziele zu geben (Autonomie), diese auch zu erreichen
(Kompetenz) und dabei Teil einer Gemeinschaft zu sein (Bezogenheit). Diese
Ziele sind selbstgesteckt, intrinsisch und daher individuell unterschiedlich. Sie
kommen „von innen“ und schaffen Selbstwertgefühl. Wer selbstgesteckte Ziele
hat, erreicht diese leichter als Menschen, deren Ziele „von außen“, zum Beispiel
von den Eltern oder der Gesellschaft, vorgegeben sind. „Ich will aufhören zu
rauchen!“ ist viel erfolgversprechender, als „Ich möchte mir das Rauchen abge-
wöhnen, weil meine Mutter das will!“ Empirische Forschungen zeigen, dass es
in verschiedensten Bereichen zu besseren Ergebnissen führt, intrinsische Ziele
zu verfolgen. Gleichzeitig begünstigt die derzeitige Lebens- und Wirtschafts-
weise extrinsische Motivation, da sie Wohlbefinden stark an die Höhe des Ge-
halts, materiellen Reichtum und Karriere koppelt. Je mehr Menschen von ex-
trinsischer Motivation getrieben sind, desto geringer ihr Wohlbefinden, unter
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Nachhaltigkeit
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men Armut, da gerade jene mit besonders niedrigen Einkommen öfters Ölhei-
zungen verwenden. Dieses Beispiel stellt also einen Zielkonflikt zwischen Um-
welt und Sozialem dar. Alle drei Dimensionen frühzeitig zu berücksichtigen,
kann Zielkonflikte entschärfen. Es gibt allerdings unterschiedliche Auffassun-
gen über die konkreten Wechselwirkungen zwischen den drei Dimensionen.
Die Konzepte der schwachen und starken Nachhaltigkeit liefern zwei unter-
schiedliche Antworten über das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und
Umwelt.
Schwache Nachhaltigkeit findet ihre Anwendung in der Umweltökonomik
(Environmental Economics) und basiert auf dem Prinzip der Austauschbarkeit:
Naturkapital (natürliche Ressourcen) kann durch Sachkapital (Maschinen,
materielle Infrastruktur, etc.) und Humankapital (Wissen, Know-How, etc.)
ersetzt werden. Die drei Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft existie-
ren voneinander getrennt und interagieren durch Ressourcenaustausch (vgl.
Grafik Schwache Nachhaltigkeit). Sachkapital ist in der wirtschaftlichen Sphäre
enthalten, Humankapital in der sozialen Sphäre und Naturkapital in der ökolo-
gischen Sphäre. In diesem Sinne bedeutet Nachhaltigkeit den Gesamtwert des
Kapitalbestands (die Summe der drei Arten von Kapital) konstant zu halten
und wenn möglich zu erhöhen. Natur-, Sach- und Humankapital sind mittels
einer Maßgröße, nämlich Geld, vergleichbar und gegenseitig substituierbar, das
heißt gegeneinander austauschbar. Um diesen Austausch zu vollziehen, braucht
es Methoden des Vergleichens (vgl. Kosten-Nutzen-Analyse in Teil 3 Analyse
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umweltpolitischer Effekte).
Es können aber auch Märkte geschaffen werden, auf denen die drei Kapi-
talformen gehandelt werden. Dies führt zu einer Kommodifizierung, einem Zu-
Ware-Machen ehemals freier Güter wie Luft und Wasser und damit auch so-
zialer und ökologischer Lebensgrundlagen. Es ist demnach kein Problem, wenn
heute das Naturkapital schrumpft, weil Regionen versteppen und Wälder abge-
holzt werden, solange gleichzeitig das Sachkapital, zum Beispiel durch den Bau
von Straßen, erhöht wird. Umweltschäden können, unter dem Gesichtspunkt
der Austauschbarkeit, auch durch monetäre Kompensationszahlungen ausge-
glichen werden. Wer fliegt, kann beispielsweise eine Ausgleichszahlung leisten,
welche in Projekte zur Regenwaldaufforstung fließt. Die Emissionen, die durch
den Flug entstanden sind, würden durch zusätzliche Bäume, welche Emissionen
binden, wieder „wettgemacht“.
Das Schlüsselkonzept der schwachen Nachhaltigkeit ist die Optimierung –
das Konzept der Neoklassik zur bestmöglichen Zuteilung (Allokation) knapper
Ressourcen (vgl. Neoklassik vesus Keynesianismus). Um Ressourcen optimal
zuzuteilen, müssen externe Effekte, sogenannte Externalitäten, berücksichtigt
und kalkuliert werden. Diese Externalitäten sind Folgen wirtschaftlichen Han-
delns für Unbeteiligte, welche nicht kompensiert werden. Es gibt negative und
positive Externalitäten. Sie werden von AkteurInnen verursacht, ohne dass
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diese die entstehenden Kosten tragen (negative Externalität) oder den entste-
henden Nutzen genießen (positive Externalität). Negative Externalitäten resul-
tieren unter anderem aus umweltverschmutzenden Aktivitäten: zum Beispiel
wenn verschmutzte Luft aus Schornsteinen ausgestoßen wird, ohne dass das
Unternehmen Filter einbauen oder den negativ Betroffenen Schadenersatz
leisten. Ein positiver externer Effekt entsteht beispielsweise für EigentümerIn-
nen, die infolge eines neuen U-Bahn Anschlusses Wertsteigerungen ihrer
Grundstücke erfahren, ohne für den U-Bahnanschluss gezahlt zu haben. Wer-
den Externalitäten nicht in den Preis einberechnet, entspricht das Marktopti-
mum nicht dem sozialen Optimum. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht kommt
es so zu falschen Preis- und daher Knappheitssignalen. Dies wird als Marktver-
sagen bezeichnet. Die Internalisierung externer Effekte, wie etwa die monetäre
Kompensation von Umweltschäden, ist daher das zentrale wirtschaftspolitische
Instrument im Konzept der schwachen Nachhaltigkeit: Mittels „richtiger
Preise“ werden bislang externalisierte Umweltbelastungen internalisiert, also in
Preise miteingerechnet. Beispiele sind Abgaben oder Steuern auf verschmutztes
Wasser oder Luft sowie der Handel mit Emissionszertifikaten. Schwache Nach-
haltigkeit folgt dem Verursacherprinzip: Wer ökologische und soziale Kosten
verursacht, soll diese auch tragen.
Starke Nachhaltigkeit steht im Zentrum der Debatten in der ökologischen
Ökonomik (Ecological Economics), in denen über die Reduktion von Umwelt-
problemen auf eine optimale Ressourcenallokation hinausgegangen wird.
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Starke Nachhaltigkeit basiert auf dem Prinzip der Einbettung, nicht der Aus-
tauschbarkeit: Wirtschaft ist ein Subsystem, eingebettet in die Gesellschaft und
die biophysische Sphäre (vgl. Grafik Starke Nachhaltigkeit). Starke Nachhaltig-
keit geht davon aus, dass wirtschaftliches und soziales Leben auf unersetzbaren,
miteinander verwobenen Ökosystemen beruht, die erhalten bleiben müssen.
Wirtschaftliche Aktivitäten sind mit ökologischen Grenzen konfrontiert. Die
Ersetzbarkeit von Natur durch andere Arten von Kapital ist beschränkt. An-
stelle des Optimierungsgedankens tritt bei der starken Nachhaltigkeit ein holis-
tischer und systemischer Blick auf sozialökologische Systeme und ein vernünf-
tiges Abwägen (Deliberation) zwischen Alternativen. Unter diesem Gesichts-
punkt sind die drei Bereiche Umwelt, Soziales und Wirtschaft in vielerlei Hin-
sicht unvergleichbar (inkommensurabel) und daher nicht gegenseitig aus-
tauschbar. Es gibt keine Messgröße, mittels der sie verglichen werden könnten.
So können Kompensationszahlungen für Flüge nie die Flugemissionen ausglei-
chen, da die beiden Systeme Ökologie und Wirtschaft nicht gegeneinander
aufgerechnet werden können. Sobald Emissionen ausgestoßen sind, entfalten
sie biophysische Effekte wie den Treibhauseffekt, die aufgrund ihrer Komple-
xität nie eins zu eins rückgängig gemacht werden können. Zusätzlich dazu
müssten die gepflanzten Bäume die gleiche Lebensdauer haben wie CO2-Emis-
sionen in der Atmosphäre, also mehrere tausend Jahre. Nur so wäre die Bin-
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dung der Emissionen langfristig gegeben und eine exakte Kompensation von
Flügen durch Regenwaldaufforstung möglich.
Im Verständnis starker Nachhaltigkeit ist Natur daher kein Ressourcenbe-
stand (Kapital), sondern ein komplexes Öko-System, welches die menschliche
Gesellschaft mit lebensnotwendigen Funktionen und Diensten versorgt. Natur
hat einen Eigenwert, denn es gibt qualitative Unterschiede zwischen hergestell-
tem Kapital und Natur: Ersteres ist reproduzierbar (es kann wiederhergestellt
werden), die Zerstörung der Natur oft irreversibel (sie ist selten rückgängig zu
machen). Es können neue T-Shirts produziert und neue Brücken gebaut wer-
den. Wenn hingegen eine Spezies ausgestorben ist, kann sie nicht wiederherge-
stellt werden. „Aus den Fischen eines Aquariums kann eine Fischsuppe ge-
macht werden, aus einer Fischsuppe aber keine Fische für ein Aquarium“.
Starke Nachhaltigkeit beruft sich auf das Vorsorgeprinzip: Mögliche Schä-
den bzw. Belastungen für die Umwelt, die für Menschen gefährlich werden
könnten, sind zu vermeiden oder zu verringern, auch wenn ihr Eintreten nicht
zu 100 Prozent sicher ist. Demnach ist es unverantwortlich, vollständiges Wis-
sen als Voraussetzung für Handeln zu verlangen bzw. unvollständiges Wissen
als Rechtfertigung für Nicht-Handeln vorzuschieben, wenn die Gefahr irrever-
sibler, gefährlicher Schäden besteht. Ein paar Beispiele: (1) Der Abschluss von
Alters- und Krankheitsvorsorge folgt dieser Logik, indem durch Versicherung
für mögliche zukünftige Notlagen vorgesorgt wird. Ihr Eintreten ist denkbar,
aber nicht erwiesen. (2) Das europäische Primärrecht (AEUV) und dement-
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sprechend die Europäische Kommission betonen den Stellenwert des Vorsor-
geprinzips als wesentliches Element der EU-Politik bei der Risikovorsorge im
Bereich des Umweltschutzes. (3) Auf der Konferenz der Vereinten Nationen
über Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 in Rio de Janeiro und in völker-
rechtlichen Verträgen wie der UN-Klimarahmenkonvention wurde das Vor-
sorgeprinzip zum Schutz der Umwelt auf internationaler Ebene festgehalten.
Dem Vorsorgeprinzip folgend müsste zukunftsfähiges wirtschaftliches Handeln
an den Erkenntnissen der Klimaforschung ausgerichtet sein.
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Gerechtigkeit
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zeigt die empirische Forschung, dass ein Kind einer wohlhabenden Familie in
der Schule oft besser benotet wird als ein Kind einer armen Familie. Letzteres
erhält vermutlich weniger Unterstützung von seinen Eltern, da diese selbst
keine gute Ausbildung bekamen und sich keine Nachhilfe leisten können. Bei
ersterem können die Eltern selbst durch ihren höheren Bildungsgrad bei Schul-
aufgaben helfen oder Nachhilfe bezahlen. Um zu verhindern, dass Ungleiches
gleich behandelt wird, kann durch rechtliche und sozioökonomische Maßnah-
men Chancengleichheit hergestellt werden. Im oben genannten Beispiel sind
die Bereitstellung von Gratisnachhilfe für Kinder aus ärmeren Haushalten oder
gute, leistbare öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen ein Weg, um alle
Kinder gleichermaßen bei ihren schulischen Leistungen zu unterstützen.
Struktureller Ungleichheit im Zugang zu Bildung oder am Arbeitsmarkt kann
durch positive Diskriminierung entgegengewirkt werden. Diese gibt gesell-
schaftlichen Gruppen einen Vorteil, die beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft
oder Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihres sozialen Milieus historisch und
fortgesetzt benachteiligt werden. Beispiele sind Einstellungsquoten in Unter-
nehmen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, ein geförderter Zugang zu
Studienplätzen für einkommensschwache Gruppen, Frauenquoten für Füh-
rungspositionen oder geringere Beschränkungen des CO2-Ausstoßes für jene
Weltregionen, die historisch weniger CO2 emittiert haben.
Teilhabegerechtigkeit ist ein erweitertes Konzept der Chancengerechtigkeit.
Jede Einzelne und jeder Einzelne soll die Chance erhalten, am gesellschaftlichen
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und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben. Menschen können an ihrem Gemein-
wesen, ihrer Nachbarschaft, Stadt und Gesellschaft teilhaben, wenn sie Zugang
zu Gütern, Dienstleistungen und Infrastrukturen haben und in gesellschaftliche
Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Kurz: Teilhabe umfasst Zugang
und Mitbestimmung. Infrastrukturen, die Menschen befähigen, an einem guten
Leben teilzuhaben, umfassen das Gesundheits- und Pflegesystem, öffentliche
Verkehrsmittel sowie Umwelt- und Kulturgüter. Teilhabegerechtigkeit grenzt
sich von Bedürfnisgerechtigkeit ab, sofern sich diese auf die materielle Vertei-
lung von Ressourcen reduziert. Sie umfasst mehr als bloß formale Chancenge-
rechtigkeit und die Abwesenheit von rechtlicher Diskriminierung. Zusätzlich
beinhaltet sie Leistungsgerechtigkeit, indem sie ein Wirtschaftssystem anstrebt,
in dem sich Menschen entfalten können und in dem es sich lohnt, etwas beizu-
tragen.
In den letzten Jahren hat sich durch das steigende ökologische Bewusstsein
das Verständnis von Gerechtigkeit und damit auch Teilhabegerechtigkeit er-
weitert. Es umfasst als Umweltgerechtigkeit auch die Verantwortung gegenüber
Menschen, die vom Konsum- und Produktionsmodell der wohlhabenden Teile
der Welt negativ betroffen sind. Das sind vor allem ärmere Bevölkerungs-
schichten in reichen Ländern und die Bevölkerung armer Länder. Hinzu
kommt die Generationengerechtigkeit, welche die Interessen der jungen und der
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Verantwortungsbewusstsein
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Verantwortung für Umwelt und Mitwelt, für mich und für andere, zu über-
nehmen ist eine schwierige Herausforderung angesichts rasant stattfindender
Veränderungen. Warum ändert sich das Klima, wem wird dadurch geschadet,
und was hat das mit mir zu tun? Warum braucht es den Ausstieg aus der Koh-
lewirtschaft und was kann ich tun? Was bedeutet es für mich, wenn brasiliani-
sche Großbauern den Regenwald, „die Lunge der Welt“, in großem Ausmaß
roden? Kaufe ich dann kein Fleisch aus Brasilien mehr? Breche ich als Handels-
unternehmen die Kontakte zu langjährigen brasilianischen Agrarpartnern ab,
obwohl dies herbe Umsatzeinbußen zur Folge hat? Engagiere ich mich bei Pro-
testen, die unter diesen Bedingungen kein Handels- und Investitionsabkommen
mit Brasilien wollen? Inwiefern bin ich verantwortlich für die Arbeitsbedingun-
gen der Textilarbeiterin, die mein T-Shirt hergestellt hat? Soll, muss ich mich
verändern? Und wie? Auf Fragen folgen Antworten. Ver-Antwortung sucht
Antworten auf die Herausforderungen einer komplexen Welt.
Der Anspruch, mit jeder eigenen Entscheidung Verantwortung für die
ganze Welt zu übernehmen, überfordert. Zukunftsfähigkeit heißt nicht, alleine
die ganze Welt zu retten. Problemlösungskompetenz beinhaltet auch die Kom-
petenz zu entscheiden in welcher Situation ich überhaupt Verantwortung über-
nehmen kann und wofür, worauf ich in welcher Weise effektiven Einfluss neh-
men kann. Der gute Wille, die passende Moral reicht nicht. Es braucht auch
Wissen. Zukunftsfähig zu entscheiden und zu handeln ist nur möglich, wenn
Menschen die sie umgebende Welt besser verstehen lernen. Es setzt voraus, sich
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zu informieren, verstehen zu wollen, kritisch zu hinterfragen und sich mit ver-
schiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen. Innehalten und Reflektieren
hilft dabei, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen.
Denken und handeln, Reflexion und Aktion sind verwoben. Lernen wird zu
einer Aneignung von Problemlösungskompetenz. Wissenschaft kann helfen,
Entscheidungen auf Grundlage eines bestmöglichen Wissensstands zu treffen.
Niemand besitzt die ganze Wahrheit, auch Wissenschaft ist fehlbar. Aber ohne
wissenschaftliche Expertise und Fachwissen sind in der derzeitigen arbeitsteilig
organisierten Welt keine zukunftsfähigen Entscheidungen zu treffen. Es
braucht fundierte Vorhersagen, die mit größerer oder geringerer Wahrschein-
lichkeit eintreten werden. Es braucht Modelle, um das Verhalten von Menschen
und die Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Natur zu verstehen.
Trotzdem können wir uns mit Hilfe wissenschaftlicher Verfahren der Wahrheit
nur bestmöglich annähern. Es bleiben Unsicherheiten und Interpretationsspiel-
räume.
Das mag unbefriedigend klingen für diejenigen, die sich klare Anweisungen
für zukunftsfähiges Handeln oder gar nachhaltige Geschäftsmodelle erwarten.
Es gibt aber keine Autorität, die eigenständiges Entscheiden und Handeln er-
setzt. Es bleibt die eigene Verantwortung, zwischen verschiedenen Positionen
und Informationen abzuwägen. Dies bedeutet nicht, dass Entscheidungen alle
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Multiperspektivität
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Einen „Blick von nirgendwo“, das heißt einen Blick ohne Perspektive, gibt es
nicht. Er liegt außerhalb unserer menschlichen Fähigkeiten. Die menschliche
Wahrnehmung hat nicht die Möglichkeit objektive (unvoreingenommene),
neutrale (unabhängige), und universale (allgemeine, immer und für alle gültige)
Darstellungen unserer Welt zu liefern. Unsere Ausbildung, das soziale und
kulturelle Umfeld, die Sprachen, die wir sprechen, der Freundeskreis, zu dem
wir gehören, all dies beeinflusst, was und wie wir die Welt wahrnehmen. Per-
spektiven haben Ähnlichkeit mit „Brillen“: Manche Brillen erleichtern die Sicht
in die Ferne, auf das große Ganze. Andere erlauben, das Kleingedruckte, die
Details zu identifizieren. Es gibt Brillen, durch die manches rosarot, farbenfroh
und schön, anderes grau oder gar schwarz-weiß gesehen wird. So ist der Blick
von Menschen, die gegenüber Einwanderung tendentiell skeptisch eingestellt
sind, vorrangig auf Schlagzeilen misslingender Integration gerichtet, während
Menschen, die Diversität als bereichernd erleben, eher Beispiele erfolgreichen
Zusammenlebens wahrnehmen. Durch diese selektive Wahrnehmung verstärkt
sich der Eindruck, die eigene Perspektive sei richtig und wahr. Dieses allgegen-
wärtige Phänomen, sich in Kreisen Gleichgesinnter eine Meinung zu bilden,
wird durch Social Media noch verstärkt. Dass unsere subjektiven Erfahrungen
immer aus einer bestimmten Perspektive erfolgen, bedeutet jedoch nicht, dass
sich die Welt vollkommen beliebig interpretieren ließe, wie im Kapitel Grenzen
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der Multiperspektivität ausgeführt wird.
Da keine Perspektive und keine Theorie alleine in der Lage ist, die ganze Wirk-
lichkeit zu erklären, gibt es auch nicht das eine Vorzeigemodell, das alle Pro-
bleme lösen könnte. Es gibt kein Patentrezept für zukunftsfähiges Wirtschaften.
Erneuerbare Energieträger alleine lösen die Klimakrise nicht; bessere Kleinkin-
derbetreuung für Kinder aus benachteiligten Familien alleine überwindet ver-
festigte Ungleichheiten nicht – auch wenn diese Beispiele wichtige Ansätze für
die Lösung der jeweiligen Probleme sind.
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Ludwik Fleck war ein polnischer Physiker, medizinischer Forscher und Wissen-
schaftsphilosoph, der die heute wichtige Forschungsrichtung der STS (Science
and Technology Studies) inspiriert hat. Fleck wurde 1896 in Polen geboren und
starb 1961 in Israel. 1944 wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald
deportiert und sollte dort einen Impfstoff gegen Typhus entwickeln. Als ihm
dies gelungen war, lieferte er allerdings der SS, die den Massenmord in den
Konzentrationslagern organisierte, nur ein Placebo; das echte Medikament
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verteilte er an Mithäftlinge. Er besaß Wissen und vor allem Mut, und verband
dies mit Verantwortung für die Menschen. Damit praktizierte er, was er gleich-
zeitig als Theorie entwickelte, nämlich die Werte- und Kontextabhängigkeit
von Denken.
In seinen wissenschaftlichen Arbeiten stellte sich Fleck gegen ein Bild von
Wissenschaft, wonach Wissen objektiv, neutral und universal sei. Seine These:
Produktion und Verwertung von Wissen finden in bestimmten Umgebungen
statt, was ihre jeweilige Bedeutung, Bewertung und Wirksamkeit beeinflusst. In
Konzentrationslagern wird Wissen anders eingesetzt als in NGOs, in For-
schungs- und Marketingabteilungen von Firmen anders als in Verwaltungsbe-
hörden und Universitäten. Wissen und seine Anwendung entstehen niemals im
luftleeren Raum, sondern sind immer eingebettet in bestehende Institutionen
und Machtstrukturen. Auch WissenschafterInnen sind von ihrem Umfeld und
Vorwissen beeinflusst und erkennen Dinge auf Grundlage erlernter Konzepte
und bestimmter Vorgangsweisen (Methoden).
Mit Hilfe eines gemeinsamen Denkstils „teilt“ eine Gruppe von Menschen
eine Art zu denken, eine bestimmte Perspektive, bestimmte Konzepte und
Methoden. Ob in einer Scientific Community oder in Social Media Foren, ein
Denkstil wird durch Interaktion mit anderen erlernt und angepasst. Menschen
gehören bewusst oder unbewusst bestimmten Denkkollektiven an, welche ein
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und denselben Denkstil teilen, also Konzepte und Theorien, aber auch Werte
und Vor-Urteile. Sie verwenden eine bestimmte „Brille“, die ihnen hilft, be-
stimmte Dinge zu sehen, während andere ausgeblendet werden. Denkkollektive
sind konservativ im eigentlichen Wortsinn, das heißt, dass sie heftigen Wider-
stand gegen die Änderung und Weiterentwicklung ihrer Art zu denken leisten.
Fleck betont, dass es Menschen, die unterschiedlichen Denkkollektiven angehö-
ren, nur sehr schwer möglich ist, die Gedankengänge des jeweils anderen nach-
zuvollziehen – die Art zu denken, zu argumentieren und zu verstehen ist häufig
grundlegend verschieden. Gleichzeitig haben Angehörige eines Denkstils oft
nicht die Kapazitäten, Phänomene, die den Erklärungen ihres Denkstils wider-
sprechen, überhaupt wahrzunehmen. Wenn sie doch wahrgenommen werden,
werden sie oft als unbedeutend abgetan oder geleugnet: So leugneten kirchliche
Autoritäten am Ende des Mittelalters die Erkenntnisse Galileis, und einflussrei-
che Nobelpreisträger behaupteten noch kurz vor der großen Finanzkrise 2008,
dass in modernen Marktwirtschaften keine großen wirtschaftlichen Instabilitä-
ten auftreten können.
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Sowohl Friedrich Hayek als auch Karl Polanyi waren vom „Roten Wien“ der
Zwischenkriegszeit beeinflusst. In der Zeit von 1918 bis 1934 wurden von einer
sozialdemokratischen Kommunalverwaltung neben umfassenden sozialen
Wohnbauprojekten auch weitreichende Reformen in der Gesundheits-, Sozial-
und Bildungspolitik umgesetzt. Mit dem Bau von 60.000 Gemeindewohnungen,
Freibädern, der Bereitstellung von Säuglingspaketen und einer Vielzahl weiterer
innovativer sozialpolitischer Maßnahmen schuf die Wiener Stadtverwaltung
ein Netz sozialer Sicherheit. Auf diese Weise wurden Grundbedürfnisse abseits
des Marktes befriedigt und Wohlbefinden ermöglicht. ArbeiterInnen fühlten
sich erstmals als gleichberechtigte BürgerInnen. Wie sich zeigen wird, zogen
Hayek und Polanyi allerdings grundlegend verschiedene Schlüsse aus ihren
Erfahrungen des „Roten Wiens“. Sie betrachteten Wirtschaft und Gesellschaft
aus verschiedenen Perspektiven. Sie hatten jedoch gemeinsam, dass sie Öko-
nomik als Sozialwissenschaft verstanden und sich mit den philosophischen
Grundlagen ökonomischer Theorien sowie wirtschaftlichen Handelns beschäf-
tigten. Beide beeinflussen bis heute das Denken über Wirtschaft und Gesell-
schaft.
Friedrich August von Hayek wurde am 8. Mai 1899 in Wien geboren und
starb am 23. März 1992 in Freiburg im Breisgau. Er studierte Rechtswissen-
schaft und Volkswirtschaftslehre in Wien. 1974 erhielt er zusammen mit dem
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schwedischen Entwicklungsökonomen Gunnar Myrdal den Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaften für ihre Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie
sowie ihre umfassende Analyse ökonomischer und sozialer Entwicklungen.
1944 erschien sein Hauptwerk „Der Weg zur Knechtschaft“, in welchem er
in einer geplanten Wirtschaft die Wurzel für „Tyrannei“ und den Verlust von
individueller Freiheit sah. Das „Rote Wien“ mit seiner umfassenden Sozialpoli-
tik sowie einem strengen Mietrecht, das den privaten Wohnungsmarkt stark
regulierte, empfand Hayek als einen Schritt in Richtung „Knechtschaft“, hin zu
einer bürokratisierten und verplanten Gesellschaft. Freiheit – verstanden als die
Abwesenheit von staatlichem Zwang und Bevormundung – droht so verloren-
zugehen. Nur in einer Marktwirtschaft gedeihen Freiheit und Rechtsstaat. In
einem langen kulturellen Evolutionsprozess haben sich Märkte, Eigentum und
Wettbewerb als beste wirtschaftliche Institutionen durchgesetzt, um knappe
Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Der Markt schafft eine spontane Ordnung
(kosmos), die es Einzelnen erlaubt, ihre eigenen Ziele zu verfolgen und gleich-
zeitig gesellschaftlichen Wohlstand zu schaffen. Für Hayek ist der Markt die
natürliche und einzig effiziente ökonomische Institution. Wirtschaften heißt
Marktwirtschaften. Alle anderen Institutionen sind für Hayek entweder vor-
modern oder totalitär. So erachtet er die Subsistenzwirtschaft, die auf Selbstver-
sorgung zur Sicherung des Lebensunterhaltes einer kleinen Gemeinschaft aus-
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gerichtet ist, im Vergleich zur Marktwirtschaft als „primitiv“ und dieser unter-
legen. Aber auch Wirtschaftsplanung ist in jeder Form abzulehnen, denn es gibt
zwischen freien Marktwirtschaften und totalitären Planwirtschaften keinen
Mittelweg. Zukunftsfähigkeit bedeutet demnach Wettbewerbsfähigkeit: Wirt-
schaften ist Wettbewerb am Markt.
Weil der Markt die effizienteste Informationsverarbeitungsmaschine ist, sei
es eine Anmaßung einzelner ExpertInnen und WissenschaftlerInnen, wenn sie
mit rationalen Methoden Vorschläge zur Begrenzung von Märkten umsetzen
wollen. Ihr Wissen ist immer beschränkt gegenüber dem kollektiven Wissen
des Marktes, in dem sich die Präferenzen der Individuen widerspiegeln. Roh-
stoffbörsen wissen beispielsweise mehr über die Entwicklung von Rohstoff-
märkten als der am besten informierte Rohstoffexperte. Solange wichtige Preise
wie der von Öl keine Knappheitssignale senden, ist es daher auch weder nötig
noch sinnvoll, ihren Verbrauch zu reduzieren – und sei es, um den Klimawan-
del zu bekämpfen. Märkte beschränken zu wollen, ist Hybris, Überheblichkeit,
und unterschätzt den Markt als Informationsverarbeitungsmaschine.
Alle Hoffnungen, eine Gesellschaftsordnung (taxis) planen zu können, sind
darum gefährlich. Die Wohlfahrtsstaaten der Nachkriegszeit und ihr planeri-
scher und demokratischer Gestaltungswille waren daher aus Hayeks Sicht erste
Schritte hin zu einer paternalistischen, letztlich aber totalitären Gesellschaft. So
war er ein entschiedener Kritiker des Wohlfahrtskapitalismus (vgl. Leitbilder
zukunftsfähigen Wirtschaftens und Teil 2 Historische Phasen wirtschaftlicher
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Entwicklung) und sah es als Aufgabe einer neuen Form von Marktliberalismus
– des Neoliberalismus – eine „Verfassung der Freiheit“ zu etablieren. Diese
würde die bestmögliche, effizienteste Wirtschaftsordnung schaffen, die deshalb
zukunftsfähig sei.
Dies sicherzustellen ist Aufgabe des Staates, denn Laissez-faire, das heißt die
Abwesenheit staatlicher Regulationen, führt zu Chaos. Der Rechtsstaat muss
dem Schutz der Vertragsfreiheit dienen, Polizei und Militär dem Schutz des
Privateigentums und Regulierungsbehörden der Schaffung von Märkten (z. B.
für Bildung, Gesundheitsversorgung oder heute CO2-Emissionen). Dazu muss
für Hayek Demokratie allgemein, und demokratische Wirtschaftspolitik im
Besonderen, möglichst eingeschränkt werden, um der Marktwirtschaft keinen
Schaden zuzufügen. Er schreibt in „Der Weg zur Knechtschaft“, dass ein freier
Markt eher unter einer Diktatur bestehen kann, als unter einer unbegrenzten
Demokratie. Deshalb war Hayek ein scharfer Kritiker von Mehrheitsentschei-
dungen und parlamentarischen Aushandlungsprozessen, denn diese legitimie-
ren problematische Eingriffe in die liberale Wirtschaftsordnung. So kritisierte
Hayek das strenge österreichische Mietrecht aus 1917. Regeln, die Eigentum
und eine freiheitliche Marktordnung garantieren, müssen so abgesichert wer-
den, dass keine Regierung Mehrheitsentscheidungen gegen vermögensbesit-
zende Minderheiten durchsetzen kann. Am besten kann dies eine globale libe-
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Arbeit orientierte sich vorrangig an den Rhythmen der Natur (z. B. Ernte-
rhythmen, Regen- und Trockenzeiten, Sonnenaufgang und -untergang). Im 19.
Jahrhundert verlagerte sich die Arbeit vom Land in die Stadt, da die Produktion
nicht mehr lokal, sondern in großen zentralen Fabriken stattfand, wodurch die
Bevölkerungszahl in Städten rasant anstieg. Infolgedessen standen Städte, die
meist nur für eine beschränkte Bevölkerungsanzahl konzipiert waren, unter
Druck, ihre neuen EinwohnerInnen aufzunehmen. Die Londoner Slums des 19.
Jahrhunderts waren hierfür bezeichnend. Die Wohnungsbedingungen waren
katastrophal, Unterkünfte überfüllt, Sanitäreinrichtungen kaum vorhanden,
Krankheiten weit verbreitet. Die Logik und Rhythmen der industriellen Pro-
duktion bestimmten das Leben der Arbeiterschaft. So lebten auch in den Zie-
gelfabriken rund um Wien bis zu zehn Familien in einem einzigen Raum, in
anderen Fällen mussten ArbeiterInnen sogar auf den riesigen, brennend heißen
Industrieziegelöfen schlafen. In Europa wurde die Tuberkulose zu dieser Zeit
auch als „Wiener Krankheit“ bezeichnet. In dem Arbeiterbezirk Favoriten,
gekennzeichnet durch desaströse Wohnverhältnisse, entfielen auf 1.000 Le-
bende mehr als 63 Todesfälle durch Tuberkulose.
Arbeit diente nicht mehr der Selbstversorgung, sondern wurde zur Ware,
die ArbeiterInnen an Unternehmen verkaufen mussten, um ihren Lebensun-
terhalt zu bestreiten. Um Produktivität, Effizienz und Rentabilität zu steigern
und konkurrenzfähig zu bleiben, dehnten die Unternehmen die Arbeitsstunden
auf ein Maximum aus und versuchten die Arbeit zu intensivieren. Letzteres
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führte zur Arbeitsteilung und dem fortschreitenden Einsatz von Maschinen,
wodurch die ehemals vielfältige Arbeit der Selbstversorgung, von Handwerk
und Gewerbe durch schlechtbezahlte, monotone Tätigkeiten ersetzt wurde.
ArbeiterInnen wurden aus ihren traditionellen Lebensrealitäten, die sie ge-
wohnt waren, entwurzelt. Die Anerkennung, die eine Bäuerin für ihr eigens
bestelltes Feld, der Schmied für seine selbsthergestellten Werkezeuge erhielt,
ging verloren. Anstelle dessen trat die austauschbare ArbeiterIn als Ware. So
beschreibt Charles Dickens die Arbeiterschaft in dieser Zeit in seinem Roman
„Schwere Zeiten“ bezeichnend mit dem Sammelbegriff „die Hände“, einer aus-
tauschbaren undifferenzierten Masse.
So waren die Schattenseiten der Verbesserung von Produktivität, Effizienz
und Rentabilität erzwungene Auswanderung, Krankheit, Elend und Entwurze-
lung. Anhand des Beispiels der Industriellen Revolution problematisiert Pola-
nyi, dass möglichst schnelle wirtschaftliche Verbesserungen oftmals nur um
den hohen Preis großer sozialer Verwerfungen umgesetzt werden. Nicht Ver-
änderung an sich, ihre Geschwindigkeit ist bedeutsam, um das soziale Gefüge
aufrechtzuerhalten. Als Reaktion auf zu schnelle Veränderungen sieht er die
Entstehung gesellschaftlicher Gegenbewegungen, welche zum Ziel haben, ihre
„Beheimatung“, also gewohnte Lebensweisen und Routinen, zu verteidigen
oder wiederherzustellen. Sie wollen den Markt so gestalten, dass dieser ihren
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Hayek Polanyi
Ansatz Marktliberalismus / Gemischte Ökonomie
Neoliberalismus
Institutionen Markt als die wirtschaftliche Eine Vielfalt an Institutionen
Institution schafft eine Marktge- organisiert die Lebensgrundla-
sellschaft, die Zwang minimiert gen, ohne dass alle Lebensbe-
reiche zur Ware werden
Verständnis von Marktwirtschaft entsteht spon- Wirtschaft in Gesellschaft und
Wirtschaft tan (Marktwirtschaft als „natür- Umwelt eingebettet (Marktwirt-
liche“ Ordnung) schaft als „geschaffene“ Ord-
nung)
Zukunftsfähigkeit Zukunftsfähig ist wettbewerbs- Zukunftsfähig ist nachhaltig
fähig
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Hayek Polanyi
Gerechtigkeit Marktgerechtigkeit Teilhabegerechtigkeit
Freiheit Negative Freiheit; Wirtschaftli- Positive Freiheit; Freiheit und
che Freiheit vor Demokratie Demokratie
Gestaltungs- Markt weiß mehr als ExpertIn- ExpertInnen und BürgerInnen
möglichkeiten nen, Regierungen und Mehrhei- können Gesellschaft demokra-
ten tisch gestalten
Regeln und Regeln zur Sicherung und Regeln zur Regulierung und
Regulierungen Schaffung von Märkten Begrenzung von Märkten
Slogan „There is no alternative.“ (TINA) „There are many and real alter-
natives.“ (TAMARA)
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beispielsweise Schadstoffe in den Fluss leitet, dafür zahlen oder die Kosten für
die Reinigung übernehmen. Mit derartigen Konzepten zeigt die Neoklassik die
Nützlichkeit von Märkten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. So
optimiert die Gesundheitsökonomik den Ressourceneinsatz in Spitälern, Bil-
dungsökonomik vergleicht die Wirksamkeit von Ausgaben im Bildungssektor,
etc. Dies erlaubt einen effizienten Einsatz von Ressourcen, fördert aber gleich-
zeitig die Kommodifizierung aller Lebensbereiche. So wird die Marktlogik auch
auf Bereiche angewandt, in denen das Optimierungskalkül problematische
Aspekte hat, wie zum Beispiel bei der Entscheidung, ob sich eine Hilfsaktion
„auszahlt“ oder ob es sich „lohnt“, noch etwas in eine Beziehung zu „investie-
ren“.
Mathematische Modellbildung, wie sie die Neoklassik verwendet, hilft We-
sentliches von Unwesentlichem zu trennen. Liegen Modellen gute Abstraktio-
nen und Annahmen zugrunde, können wichtige Mechanismen des Wirtschaf-
tens erfasst werden. Modelle priorisieren bestimmte Aspekte, Variablen und
Messformen und vernachlässigen andere. Sie sind kein Spiegel, der Wirklich-
keit abbildet, sondern stellen ein Phänomen aus einer gewissen Perspektive dar.
Die Neoklassik geht davon aus, dass nicht-mathematische Erklärungen unge-
nau und oftmals fehlerhaft, jedenfalls aber unwissenschaftlich, sind. Dies hat zu
dem Vor-Urteil geführt, sich nicht länger mit den Schriften der Klassiker der
Ökonomik, von Smith über Keynes bis zu Karl Marx und Joseph Schumpeter,
beschäftigen zu müssen. Darin unterscheidet sich die Neoklassik grundlegend
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von der Sozioökonomik, aber auch dem Keynesianismus. Durch dieses feh-
lende Interesse für Geschichte und Ideen früherer DenkerInnen war die Zunft
der ÖkonomInnen 2008 überrascht, dass es weiterhin tiefgehende Wirtschafts-
krisen geben kann. Sogar die britische Königin sah sich veranlasst zu fragen,
wie es möglich sei, dass eine ganze Disziplin in den entscheidenden Monaten
nach dem Konkurs der Lehman Brothers so sprach- und ratlos sein konnte.
Diesbezüglich unterscheidet sich die Ökonomik von allen anderen Geistes- und
Sozialwissenschaften wie Philosophie, Soziologie oder Politikwissenschaften, in
denen es unvorstellbar ist, die eigenen Klassiker nicht zu kennen.
Der Keynesianismus wurde von John Maynard Keynes, Brite und 1883 ge-
boren, geprägt. Dieser entwickelte seine Theorien immer als Antwort auf aktu-
elle Probleme. Einflussreich wurde seine Theorie in den 1930er Jahren. Wäh-
rend des Wohlfahrtskapitalismus bestimmte der Keynesianismus weite Teile
der europäischen und US-amerikanischen Wirtschaftspolitik. In seinem Men-
schenbild ist Keynes „klassischer“ als die Neoklassik. In Anlehnung an Adam
Smith, der oft als Gründervater der Ökonomik bezeichnet wird, ist auch für
Keynes der Mensch ein komplexes Wesen. Für Smith waren Menschen unter
bestimmten Umständen Egoisten (selfishness), aber nicht immer. Ihr Eigeninte-
resse (self-interest) beinhaltet zumeist auch das Wohlbefinden der Umgebung
und von Nahestehenden. In seinem Buch zur „Theorie der ethischen Gefühle“
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betont er, wie wichtig Anteilnahme und Sympathie für menschliches Miteinan-
der sind. Kurzum, Menschen sind vielschichtig, keinesfalls bloß Nutzenmaxi-
miererInnen. Sie sind Kulturwesen, die Gier nach Geld bezeichnet Keynes als
„krankhaftes Leiden“.
Im Unterschied zur Neoklassik geht der Keynesianismus von fundamenta-
len Unsicherheiten in der Wirtschaft aus, die wirtschaftliche Gleichgewichte zu
Ausnahmesituationen und Abweichungen vom Gleichgewicht zum Normalzu-
stand machen. Keynesianismus wird im Folgenden vereinfachend als jenes
Denkkollektiv bezeichnet, das die Rolle von Unsicherheit im Wirtschaftsge-
schehen ernst nimmt. Im Laufe der Zeit wurden einige Ansätze Keynes’ (wie
z. B. der Multiplikator) in vereinfachter Form in die Neoklassik übernommen.
Dies wird neoklassische Synthese genannt. Viele bedeutende KeynesianerInnen
sehen dies als unzureichend oder sogar falsch wiedergegeben an und bezeich-
nen diese Synthese als „Trivial-Keynesianismus“. Weit gefasst umfasst Keynesi-
anismus Keynes selbst, den Postkeynesianismus und die neoklassische Syn-
these.
Im Keynesianismus führen die mit wirtschaftlichen Dynamiken verbunde-
nen Prozesse zu Unsicherheiten. Diese sind grundlegenderer Natur als bloßes
Risiko, wie es die Neoklassik definiert. Unsicherheiten können eben nicht voll-
ständig in Zahlen und Wahrscheinlichkeiten gefasst werden. Das Verhalten von
Investoren und anderen WirtschaftsakteurInnen sieht Keynes als wesentlich
von „animal spirits“, also von Emotionen und Herdentrieb geprägt. Oft ist es
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instinkthaft oder orientiert sich an Gewohnheiten. Entschieden wird oft auf
Grundlage von Faustregeln. Zum Beispiel: „Verkaufe, bevor andere verkaufen“.
Dies kann z. B. dazu führen, dass Aktien rasant und von allen gleichzeitig ver-
kauft werden, was Panikreaktionen und Kurseinbrüche zur Folge hat. Bei Kurs-
aufschwüngen wiederum schießen Aktienkurse, also die Preise für Aktien,
regelmäßig über den tatsächlichen Wert hinaus, da AnlegerInnen stark positi-
ven Emotionen ausgesetzt sind. Der Herdentrieb veranlasst sie dazu, weiter
mitzuziehen, auch wenn der tatsächliche Wert der Aktie schon wieder am Sin-
ken ist oder die realwirtschaftlichen Eckdaten eine Rezession ankündigen.
„Animal spirits“ bestimmen das Wirtschaftsgeschehen und fördern wirtschaft-
liche Instabilität. Je nach dem institutionellen Rahmen, in den Märkte einge-
bettet sind, haben Herdentrieb oder Emotionen größere oder geringere Aus-
wirkungen. 2008 waren die Finanzmärkte weitgehend liberalisiert und deregu-
liert (vgl. Teil 2 Wirtschaft im Umbruch). So waren die durch Herdentrieb aus-
gelösten Kettenreaktionen besonders heftig.
Im Unterschied zur Neoklassik konzentriert Keynes seine Analyse auf die
Nachfrageseite, von der der Erfolg einer Volkswirtschaft abhängig sei. Löhne
und Gehälter stellen für ihn in erster Linie Kaufkraft dar, welche die Wirtschaft
ankurbelt. So führt jeder Euro an zusätzlichem Einkommen zu zusätzlichem
Konsum (in unteren Einkommensschichten ist dieser zusätzliche Konsum hö-
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Neoklassik Keynesianismus
Wirtschaftsweise Marktwirtschaft Gemischte Ökonomie
Menschenbild Mensch als homo oeconomi- Mensch als Kulturwesen mit
cus animal spirits
Menschliches Verhalten Verhalten basiert auf Nut- Verhalten basiert auf Routi-
zenmaximierung nen, Herdentrieb und Faust-
regeln
Akteure der Wirtschaft Individuen bestimmen das Auch Gruppen, Institutionen
Wirtschaftsgeschehen und Staat bestimmen das
Wirtschaftsgeschehen
Eigenschaft des Marktes Gleichgewicht des Marktes Tendenz zu Ungleichgewich-
ten am Markt
Berücksichtigung von Risiko Unsicherheit
Unvorhersehbarem
Steuerung Angebotsorientiert (Löhne als Nachfrageorientiert (Löhne als
Kostenfaktor) Kaufkraft)
Die Denkkollektive der Neoklassik und des Keynesianismus sowie jene Hayeks
und Polanyis beruhen jeweils auf bestimmten Annahmen und Analysen, die zu
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wirtschaftspolitischen Zielen, Bewertungen und Empfehlungen führen. Wir
fassen die oben beschriebenen Denkkollektive, Analysen und Empfehlungen in
vier Leitbildern zusammen. Dies sind Idealtypen, die die Vielzahl an Strategien
und Instrumenten ordnen. Die Leitbilder unterscheiden sich darin, in welchem
Ausmaß und mit welchen Mitteln sie die bevorstehende Transformation ge-
stalten wollen. Sie inspirieren unterschiedliche aktuelle Initiativen und Vor-
schläge für zukunftsfähiges Wirtschaften, die in Teil 3 Wege in die Zukunft
genauer vorgestellt werden.
Das marktliberale Leitbild, das auf den Vorstellungen Hayeks und der Neo-
klassik basiert, sieht im Markt die Institution, die individuelles Handeln und
gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt verbindet. Dies wird mit dem Bild der „un-
sichtbaren Hand“ dargestellt, die – soziologisch gesprochen – ein Beispiel für
Handeln ist, das unbeabsichtigt zu einem gesellschaftlichen Optimum führt. Sie
regelt Angebot und Nachfrage mit Hilfe des Marktmechanismus. So kann das
Verfolgen von Eigeninteressen dem Gemeinwohl besser dienen als jegliche
wirtschaftliche Planung. Der Staat ist ein Zwangsapparat, dessen Einfluss auf
konkretes wirtschaftliches Handeln minimiert werden muss. Freie Marktwirt-
schaft und Freihandel sind die besten Voraussetzungen für zukunftsfähiges
Wirtschaften. Gibt es eine funktionierende Markt- und Eigentumsordnung,
kann darauf vertraut werden, dass die anstehende Transformation spontan mit
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- orderid
Kommodi-
fizierung
- cma57090050
Ja Teilweise - transid
Teilweise - cma57090050
Nein -
Transforma- Spontane Transformation Transformation by Soziale Innovatio-
tion und Transforma- by design durch design; soziale nen mit dem Ziel
Innovation tion systemische Innovationen systemischer
Innovationen Veränderung
Unterneh- Gewinnmaxi- Verantwortung Unternehmeri- Unternehmerische,
merische mierung; gegenüber allen sche, gesell- gesellschaftliche
Verantwor- Shareholder Stakeholdern schaftliche und und ökologische
tung Value ökologische Verantwortung
Verantwortung integrieren
integrieren
Sozioökonomik
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Umwelt im Umbruch
Die Umweltbewegung und die Umweltforschung weisen seit den 1970er Jahren
auf die zunehmenden ökologischen Probleme hin, die durch die industrielle
Produktionsweise und das westliche Zivilisationsmodell hervorgerufen werden.
Im Folgenden werden (1) vielfältige ökologische Krisen kurz dargestellt, (2) die
aktuelle Klimakrise hingegen ausführlicher. Dies deshalb, weil sie zu Recht im
Zentrum der Debatte um Zukunftsfähigkeit steht. (3) Das Erfolgsmodell des
Westens, das Wohlstand für viele gebracht hat, stößt heute an seine Grenzen.
Dies wird in der Umweltforschung mittels des Konzepts der planetarischen
Grenzen diskutiert. (4) Eine Form die Übernutzung der Ressourcen des Plane-
ten darzustellen ist der ökologische Fußabdruck. (5) Das Kapitel endet mit der
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nach Steffen, W., Broadgate, W., Deutsch, L., Gaffney, O., & Ludwig, C. (2015).
(Datenbasis: Global IGBP Change – International Geosphere-Biosphere Programme, 2015)
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Die Klimakrise
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Die Folge ist ein Temperaturanstieg, welcher im globalen Durchschnitt seit der
Zeit vor der Industriellen Revolution bereits mehr als ein Grad Celsius beträgt.
Das verändert unter anderem auch den Wasserzyklus radikal. Die Erdatmos-
phäre nimmt in kürzeren Zeiträumen mehr Wasser auf, Niederschläge werden
unregelmäßiger und heftiger. Überflutungen und längere Trockenperioden,
Schneechaos, Waldbrände, Hurrikans und andere Wetterextreme sind bereits
beobachtbare Folgen. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik
(ZAMG) maß auf der Wiener Messstation der Hohen Warte in den 1980er
Jahren insgesamt 102 Hitzetage. In den 1990er Jahren waren es 152, von 2000
bis 2010 192 und von 2010 bis 2019 bereits 277.
Das Zwei-Grad-Ziel ist in der Klimapolitik zu einem zentralen, weltweit ak-
zeptierten Ziel geworden, das auf mehreren Konferenzen beschlossen wurde. Es
findet sich auch im Übereinkommen von Paris, das auf der Klimaschutzkonfe-
renz COP21 im Jahr 2015 von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen
(UNO) ratifiziert wurde: Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur gegenüber
der vorindustriellen Zeit sollte „deutlich unter 2 Grad Celsius“ gehalten werden,
1,5 Grad werden angepeilt. Bei Nicht-Einhaltung dieses Ziels drohen unvorher-
sehbare Konsequenzen wie das Überschreiten von Kipppunkten. Diese be-
schreiben Schwell- oder Grenzwerte, bei deren Überschreiten abrupte, oft un-
vorhersehbare und miteinander verbundene, sich gegenseitig verstärkende
biophysische Veränderungen eintreten. So führt die Erderwärmung beispiels-
weise zum Auftauen des Permafrosts in der Arktis, welcher organische Sub-
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stanzen enthält. Das Auftauen ermöglicht die Zersetzung von Bakterien, die
Methan als Nebenprodukt der anaeroben Atmung freisetzen. Durch diese Frei-
setzung großer Mengen von Methan wird die globale Erwärmung weiter be-
schleunigt. Das Überschreiten von Kipppunkten in der Arktis beeinflusst in
Folge des verstärkten Temperaturanstiegs auch Kipppunkte in anderen Weltre-
gionen.
So verweist der IPCC-Bericht darauf, dass der Wasserdampf in der Luft, die
Wärme in der Atmosphäre einfängt. Die Wanderung tropischer Wolken in
Richtung der Pole führt zu einem Verlust von Polareis, was den Prozess der
Erderwärmung verstärkt. Da die Eiskappen als Reflektoren wirken, die die Son-
nenstrahlen zurück in den Weltraum leiten, geht durch ihr Abschmelzen eine
Kühlfunktion verloren. Ferner bringt das Abschmelzen des Eises dunkles Was-
ser an die Oberfläche, welches mehr Wärme aufnimmt, eine stärkere Erwär-
mung auslöst und den Schmelzprozess wiederum beschleunigt. Schließlich
führt das Schmelzen von Landeis, wie in Grönland und weiten Teilen der Ant-
arktis, dazu, dass Wasser in das darunterliegende Land sickert, was den Zu-
sammenbruch von Gletschern beschleunigt. Die Konsequenz: die Erderwär-
mung beschleunigt sich weiter, was den oben beschriebenen Prozess verstärkt.
Gleichzeitig führt die Erwärmung und Versauerung der Ozeane zu einem
Absterben von CO2-fressendem und sauerstoffproduzierendem Meeresplank-
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Planetarische Grenzen
1972 veröffentlichte der Club of Rome die einflussreiche Studie „Die Grenzen
des Wachstums“ und stieß damit die umweltpolitische Debatte an. Auch wenn
die prognostizierten Entwicklungen so nicht eintraten, festigte sich eine ökolo-
gische Perspektive, die grenzenloses Wachstum problematisiert. Besonders die
Klimaforschung zeigte, dass das Überschreiten bestimmter Grenzen unvorher-
sehbare Auswirkungen hat. Das naturwissenschaftliche Konzept der planetari-
schen Grenzen beschreibt neben der Klimaveränderung auch andere Belas-
tungsgrenzen des Erdsystems. Damit der Planet Erde weiterhin gute Bedingun-
gen für menschliches Leben bieten kann, müssen diese eingehalten werden.
Berücksichtigt werden dabei neun biophysische Prozesse von Klimawandel bis
Süßwassernutzung, die miteinander in Wechselwirkung stehen (vgl. Grafik
Planetarische Grenzen für relevante Subsysteme). Für jeden Prozess wird ein
„sicherer Handlungsraum für die Menschheit“ festgelegt, der durch Kipp-
punkte begrenzt ist. Werden Kipppunkte überschritten können bis dahin statt-
gefundene Entwicklungen entweder abbrechen, die Richtung wechseln oder
sich plötzlich stark beschleunigen. Zumeist ist dies irreversibel. Ein regional
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beschränktes Beispiel ist die Ausrottung vieler großer Säugetiere am Ende der
letzten Eiszeit infolge menschlicher Einwanderung auf dem amerikanischen
Kontinent. Der mit Kipppunkten einhergehende Stabilitätsverlust lief historisch
oft chaotisch ab und gefährdet menschliche Zivilisationen. Mit der Klimakrise
bekommt dieses Konzept besondere Brisanz, weil lokale Prozesse planetarische
Auswirkungen haben können.
Da Kipppunkte im Vorhinein nicht eindeutig bestimmt werden können,
werden mit Hilfe von ExpertInnen Grenzwerte politisch festgelegt. Angesichts
der großen Unsicherheit werden große Sicherheitsabstände zu den Kipppunk-
ten angenommen. Das Vorsorgeprinzip wird angewendet, denn mögliche
Schäden für Mensch und Umwelt sollen möglichst im Vorhinein vermieden
oder verringert werden. Das Konzept der planetarischen Grenzen basiert auf
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, ist aber ausdrücklich normativ, das
heißt wertebasiert. Das Konzept soll das Bewusstsein von Entscheidungsträger-
Innen und Öffentlichkeit wecken und motivieren, auch nicht exakt vorherseh-
bare, aber wahrscheinlich desaströse Konsequenzen möglichst frühzeitig zu
bekämpfen. Als normatives Konzept gibt es Orientierung und unterstützt ver-
antwortungsbewusste Entscheidungen.
(Steffen at al., 2015; Abbildung von: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare
Sicherheit)
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wirtschaft? Fest steht, dass sich die Krise ohne politischen Willen und wirksame
Instrumente weiter zuspitzen wird.
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handenen Biokapazität von 3,6 gha pro Person (2016). Nur wenige reiche Län-
der sind „ökologisches Gläubigerländer“. So zum Beispiel Kanada, dessen Fuß-
abdruck 7,7 gha beträgt, das aber aufgrund der Größe seines Landes und der
geringeren Bevölkerungsdichte über eine Biokapazität von 15,1 gha pro Person
verfügt (2016). Kanada ist somit ein Ausnahmefall: Es ist „ökologisches Gläubi-
gerland“, obwohl es überdurchschnittlich viele Ressourcen nutzt. Die aller-
meisten Länder des Globalen Südens, vor allem in Afrika, sind „ökologische
Gläubigerländer“, weil sie wenige Ressourcen nutzen. So zum Beispiel die
Demokratische Republik Kongo mit einem Fußabdruck von 0,7 gha und einer
Biokapazität von 2,5 gha pro Person (2016).
Dass die reichen Länder ökologische Schuldner sind, liegt an der Lebens-
weise ihrer Bevölkerung. Bereiche, die die Höhe des ökologischen Fußabdrucks
vor allem beeinflussen, sind Wohnen, Ernährung und Mobilität: Wichtig sind
die Größe der Wohnung, bzw. des Hauses und seine Energieeffizienz. Bei der
Ernährung ist der Fleischkonsum ausschlaggebend, und ob und wie oft biolo-
gisch und regional eingekauft wird. Beim Mobilitätsverhalten ist entscheidend,
ob und wie oft geflogen und mit dem Auto gefahren wird. Schließlich hat auch
das Konsummuster einen Einfluss, vor allem wie oft neue Produkte gekauft
werden. Besonders bei Mobilität und Wohnen dominiert die kohlenstoffba-
sierte Infrastruktur (Heizen mit Gas und Öl, Verbrennungsmotor, Fliegen). Ein
erheblicher Anteil des ökologischen Fußabdrucks, in Österreich 1,5 gha pro
Person, ergibt sich aus dem Bau und der Erhaltung öffentlicher Infrastrukturen,
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wie öffentliche Gebäude und Verkehrswege, die allen zur Verfügung stehen.
Die dafür aufgewandten Gesamtressourcen werden hierbei gleichmäßig auf alle
BürgerInnen verteilt. Somit kann nur ein Teil des eigenen Fußabdrucks durch
Konsumentscheidungen beeinflusst werden. Es ist verständlich, dass die Länder
des Globalen Südens mit ihrem niedrigen Fußabdruck die globale Schieflage
nicht fair finden. Klimagerechtigkeit fordert einen fairen Beitrag der Reichen,
die Kosten, die ihr Lebensstil verursacht, auch zu übernehmen. Doch noch
weigern sich ökologische Schuldnerländer, wie Österreich und Deutschland,
globale Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel, indem sie in der Klima-
politik eine Vorreiterrolle übernehmen.
Kombiniert man den Human Development Index (HDI) und den ökologi-
schen Fußabdruck – versucht man also an Hand dieser zwei Indikatoren, „Ent-
wicklung“ und „Nachhaltigkeit“ zusammen zu denken – ergibt sich ein er-
nüchterndes Bild: Es gibt kein Land, das sowohl eine „sehr hohe Entwicklung“
(HDI von mindestens 0,8) als auch einen nachhaltigen ökologischen Fußab-
druck (unter der weltweiten Biokapazität von 1,7 gha pro Person bzw. einer
Erde) aufweist. Am nächsten kommen diesem Ziel die Philippinen (HDI von
0,7; Biokapazität von 1,33 pro Person), Jamaika (0,73 und 1,61), Sri Lanka (0,77
und 1,49) und Kuba (0,77 und 1,78). Dies zeigt, dass es in der derzeitigen Le-
bens- und Produktionsweise kaum möglich ist, den Zielkonflikt zwischen
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Wirtschaftlicher Wachstumszwang
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der gelungen. Meist deshalb, weil diese Länder (wie Dänemark) ihre ressour-
cenintensiven Produktionsprozesse in andere Länder (wie China) ausgelagert
haben. Global findet bisher keine absolute Entkopplung statt. So gefährdet die
expansive wirtschaftliche Dynamik die ökologische Nachhaltigkeit.
Die technologischen Anforderungen für Entkopplung sind hoch, bei abso-
luter Entkopplung riesig. Während in den letzten zehn Jahren in Österreich die
Energieeffizienz um ungefähr ein Prozent pro Jahr gestiegen ist, wuchs das BIP
um mehr als das Doppelte. Würde Österreich die Emissionsziele des IPCC bis
zum Jahr 2050 allein auf Grundlage von Energieeffizienz erreichen wollen,
müsste diese selbst bei einem stagnierendem BIP jährlich um mehr als drei
Prozent steigen, bei einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent sogar um
mehr als fünf Prozent – ein schwieriges, bisher noch nie erreichtes Unterfan-
gen. Trotzdem setzt die derzeitige wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik
darauf, mittels technologischen Fortschritts in Zukunft absolute Entkopplung
zu erreichen. So wären Win-win-Situationen möglich und Verteilungskonflikte
könnten vermieden werden. In der Realität wird das Einsparungspotential von
Effizienzsteigerungen jedoch zumeist nur teilweise verwirklicht. Einsparungen,
die durch technologischen Fortschritt erzielt werden, führen anderswo zu er-
höhtem Verbrauch. Dies wird Reboundeffekt genannt: Positive Effizienzsteige-
rungen „schlagen zurück“. So können Produkte durch technologischen Fort-
schritt billiger werden, weshalb mehr Kaufkraft für zusätzlichen Konsum ent-
steht. Wenn beispielsweise Autos weniger Benzin verbrauchen, ersparen sich
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AutofahrerInnen Geld beim Tanken, das sie möglicherweise dafür ausgeben,
längere Strecken zu fahren oder eine Flugreise zu unternehmen. Ebenso kann
billiges und überall verfügbares Carsharing motorisierten Individualverkehr
erhöhen und öffentliche Verkehrsmittel und Radfahren verdrängen (vgl. Teil 1
Eine Welt im Wandel). Durch den Reboundeffekt verringern sich die ökologi-
schen Ersparnisse effizienterer Produktionsprozesse.
Wirtschaft im Umbruch
Aufgabe zukunftsfähigen Wirtschaftens ist es, nicht nur den Erhalt der bio-
physischen Lebensgrundlagen zu sichern, sondern auch wirtschaftliche Instabi-
litäten und daraus resultierende soziale und politische Verwerfungen zu ver-
meiden. Doch beruht der wirtschaftliche und soziale Erfolg der vergangenen
200 Jahre auf Wachstum und damit fortgesetzter Veränderung, die nach
Schumpeter mit schöpferischer Zerstörung einhergeht.
Nicht nur diese innovativen Umwälzungen, auch Ungleichgewichte bis hin
zu Krisen sind ständige Wegbegleiter kapitalistischer Marktgesellschaften. Re-
gelmäßig kommt es zu konjunkturell bedingten wirtschaftlichen Abschwüngen,
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Durch Umstellung von Gleichung (4) erhält man die Saldenbeziehung zwischen den drei
Sektoren Inland privat (Haushalte und Unternehmen), Staat und Ausland:
(5) (S – I) = (G – T) + (X – M)
Die Gleichung der sektoralen Salden besagt, dass die privaten Gesamtersparnisse S
minus privater Investitionen I gleich sind dem öffentlichen Defizit (Ausgaben G minus
Steuern T) plus Nettoexporte (X – M), wobei der Nettoexport die Nettoersparnisse von
Nicht-Inländern darstellt, also des Auslandes.
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HH: private Haushalte, UNT: Unternehmen, ST: Staat, FIN: Finanzinstitute, AUS: Ausland;
Perioden der Rezession sind grau hinterlegt
(Glötzl und Rezai, 2018)
Die deutsche Leistungsbilanz hat sich seit 1999 stark verändert. Wies Deutsch-
land bis 2001, dem Jahr der Euro-Einführung, noch ein Defizit auf, so erzielte
Deutschland danach zunehmend größere Leistungsbilanzüberschüsse (siehe
Linie AUS). Länder wie Griechenland und Spanien verschuldeten sich gegen-
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über Deutschland und gleichzeitig investierte dieses weniger im eigenen Land.
Das Zusammenfallen der steigenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte
mit der Euro-Einführung ist kein Zufall. Mit einer gemeinsamen Währung
verloren die einzelnen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, ihre ehemals nationa-
len Währungen im Falle von Leistungsbilanzdefiziten abzuwerten und somit
ihre Exporte zu verbilligen (und damit ihre Exportquote zu erhöhen) und ihre
Importe zu verteuern (und damit die Importquote zu senken). Gleichzeitig
verfolgte Deutschland eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik: Löhne wer-
den als Kostenfaktor betrachtet – Arbeitsmarktmaßnahmen wie Hartz IV
schufen einen Niedriglohnsektor und die deutschen Reallöhne, also inflations-
bereinigte Löhne, sanken zwischen 2001 und 2009 um 5,7 Prozent (damit war
es das einzige EU-Land mit einem Rückgang, Österreich wies mit einem An-
stieg von 3,5 Prozent den zweitniedrigsten Wert auf). Zusammen mit Produkti-
vitätssteigerungen senkte dies seine Lohnstückkosten (d. h. die Arbeitskosten
pro produziertem Stück) im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn. Dies
erhöhte neben anderen Faktoren seine Wettbewerbsfähigkeit und in der Folge
den Leistungsbilanzüberschuss. Die Inlandsnachfrage stagnierte hingegen we-
gen der Reallohnentwicklung. Investitionen in die Infrastruktur gingen zurück,
da der Staat sparte.
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Die deutschen privaten Haushalte waren immer sparsam. Seit 1999 weist ihr
Saldo einen konstanten Überschuss, also eine Sparquote von etwa fünf Prozent
des BIPs auf. Haushalte sind traditionell meist Sparer und verborgen ihre Er-
sparnisse an andere Sektoren, meist an private Unternehmen. Diese nehmen
Kredite auf, um Investitionen zu tätigen, Unternehmen sind also traditionell
Schuldner. Doch mit Beginn der 2000er Jahre wurden die deutschen Unter-
nehmen ebenfalls zu Gläubigern. Vorsichtige Zukunftseinschätzungen machten
sie investitionsscheu, wenn sie doch investierten, wurde dies vermehrt aus dem
Eigenkapital finanziert. Dazu kam, dass selbst Produktionsunternehmen einen
zunehmenden Teil ihrer Erträge aus der finanzwirtschaftlichen Veranlagung
ihrer Überschüsse erwirtschafteten. Dies führte zu einer Finanzialisierung der
Unternehmensstrategien (vgl. Finanzialisierung und Finanzkrisen).
Anfang der 2000er Jahre gab der deutsche Staat noch mehr aus, als er ein-
nahm. Dieses Defizit des Sektors Staat wird auch (öffentliches) Haushaltsdefizit
genannt. Bis zum Ausbruch der Krise 2008 erreichte Deutschland jedoch ein
ausgeglichenes Budget, eine sogenannte „schwarze Null“, und entsprach damit
den Vorgaben des EU-Konvergenzkriteriums zur staatlichen Neuverschuldung
(pro Jahr maximal drei Prozent des BIP). In den Jahren nach der Krise führten
Bankenrettung und konjunkturfördernde, antizyklische Staatsausgaben wieder
zu einem hohen Haushaltsdefizit, insbesondere im 3. Quartal 2010 (vgl. Grafik
Finanzierungssalden Deutschlands).
Das deutsche Parlament beschloss 2009, das heißt mitten in der Finanzkrise,
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ein Verfassungsgesetz, das die Möglichkeiten der Neuverschuldung regelte und
2011 in Kraft trat. Dies wurde auch Schuldenbremse genannt und sah die Ein-
führung einer strengen Fiskalpolitik, das heißt einer drastischen Begrenzung
der Staatsausgaben, vor. Schon 2013 kam es dadurch wieder zu einer „schwar-
zen Null“. Von ihren VerfechterInnen wurde die schwarze Null zum Marken-
zeichen einer Regierungspolitik erhoben, die sparsam ist.
Tatsächlich wurde Deutschlands Staat neben Unternehmen und privaten
Haushalten zum Nettosparer, während notwendige Infrastrukturinstandhal-
tungen unterblieben. Damit kam es in Deutschland zu der besonderen Situa-
tion, dass alle inländischen Akteure – Haushalte, Unternehmen, Finanzinstitute
und Staat – „tugendhaft“ sparen. Doch können die inländischen Sektoren nur
dann fortgesetzt sparen, wenn sich das Ausland fortgesetzt verschuldet. Lang-
fristig sind dadurch außenwirtschaftliche Ungleichgewichte und daraus resul-
tierende Konflikte vorprogrammiert.
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UNT: Unternehmen, FIN: Finanzinstitute, HH: private Haushalte, AUS: Ausland; ST: Staat;
Perioden der Rezession sind grau hinterlegt
(Glötzl und Rezai, 2018)
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schen den ärmeren Ländern des Südens und Ostens Europas und den reicheren
Ländern West- und Nordeuropas. Die Reallohnsteigerungen führten zu erhöh-
ten deutschen (und österreichischen) Importen nach Spanien und Griechen-
land. Gleichzeitig erhöhten sie die Lohnstückkosten und verteuerten und senk-
ten damit spanische (und griechische) Exporte.
Die spanischen Haushalte hatten sich vor der Krise kontinuierlich verschul-
det, insbesondere für den Kauf von Immobilien. Die Kredite für den Hauskauf
wurden unter der Annahme ständig steigender Immobilienpreise vergeben, die
Kreditwürdigkeit der Haushalte deshalb oft nicht ernsthaft überprüft. Es wur-
den Kredite vergeben, die selbst unter guten wirtschaftlichen Bedingungen nur
schwer zurückgezahlt werden konnten. Als in Folge der Krise viele Menschen
arbeitslos wurden oder Einkommensverluste hinnehmen mussten, führte diese
nicht solide Hypothekarverschuldung oftmals zu Zahlungsunfähigkeit. Die
ausfallenden Kreditrückzahlungen brachten nicht nur die zahlungsunfähigen
Haushalte um ihre Wohnungen, sondern auch die Banken in Schwierigkeiten.
Die schuldenbasierte Wohlfahrtssteigerung, und damit die Angleichung der
Wohlfahrtsniveaus in Europa, kam zu einem abrupten Ende.
Um eine für das gesamte Wirtschaftssystem bedrohliche Zahlungsunfähig-
keit der Banken zu vermeiden, übernahm in vielen Ländern der Staat die Haf-
tung für „faule“ Kredite, stark verschuldete private Banken wurden teils ver-
staatlicht. Damit besicherten die SteuerzahlerInnen die Schulden der Eigentü-
merInnen der Banken. Diverse Bankenpakete, nicht nur in Spanien, brachten
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so eine große Umverteilung von der Allgemeinheit zu den EigentümerInnen
von Finanzvermögen. Dies rettete zwar den Bankensektor und trug zur Über-
windung der Krise bei, doch hatte die umfangreiche und erfolgreiche Staatsin-
tervention den hohen Preis, dass durch Bankenrettung und Konjunkturförde-
rung die Staatsausgaben explodierten. Aus der Immobilien- und Bankenkrise
wurde eine Staatsschuldenkrise. Vor der Krise hatte Spaniens Regierung die
EU-Konvergenzkriterien besser erfüllt als Deutschland: Nicht nur erzielte Spa-
nien Haushaltsüberschüsse, die öffentliche Gesamtverschuldung lag ebenfalls
deutlich unter den vorgeschriebenen 60 Prozent des BIP. Nach 2008 stieg das
öffentliche Haushaltsdefizit rapide auf über 10 Prozent des BIP.
Nach der Krise kam es im Gefolge von Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen und
dem Verlust von Wohnungen auch zu einem starken Rückgang der Importe
nach Spanien, was das Leistungsbilanzdefizit verringerte. Die hohe Arbeitslo-
sigkeit reduzierte die Verhandlungsmacht der Beschäftigten, die Löhne fielen.
Durch diesen, „interne Abwertung“ genannten, Prozess sanken die Lohnstück-
kosten und erhöhte sich die Wettbewerbsfähigkeit spanischer Unternehmen.
Ab 2013 kam es sogar zu leichten Leistungsbilanzüberschüssen. Gleichzeitig
hielten sich nun auch in Spanien die privaten Haushalte und Unternehmen
aufgrund unsicherer Zukunftsperspektiven mit Ausgaben zurück. Sie wurden
zu Nettosparern. Nun sind aber Konsum und Investitionen in kapitalistischen
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Auch der zweite Trend, wonach die FinanzmarktakteurInnen mit der Zeit
ihre Neigung erhöhen, Risiken einzugehen, hat drei Gründe: (1) Finanzinnova-
tionen schaffen stärker risikobehaftete und damit rentablere Finanzprodukte.
So wurden vor der Finanzkrise 2008 risikoreiche Immobilienkredite zu neuen,
vermeintlich sichereren Produkten gebündelt, was zu falschen Risikoeinschät-
zungen führte. (2) Erwartungen der FinanzmarktakteurInnen werden optimis-
tischer, wenn es länger keine Finanzkrisen gibt. So wurden die Kredite für den
Hauskauf in der Annahme vergeben, dass die Preise weiter steigen. (3) Die
Rahmenbedingungen erlauben immer größere Unsicherheiten, während sich
FinanzmarktakteurInnen irrigerweise an vergangenen Erfahrungen stabilerer
Rahmenbedingungen orientieren. Das Risiko einzelner Handlungen sowie die
Reichweite von Krisen wird damit systematisch unterschätzt. So konnte sich
2007/08 das Platzen der Immobilienblase zu einer Weltwirtschaftskrise entwi-
ckeln. Diese zeigte gerade wegen der immer stärkeren internationalen Ver-
flechtung von Finanzmärkten ganz konkrete, lokale Auswirkungen. Eine Krise,
die als Immobilienblase in den USA begann und danach Spanien erfasste, hatte
beispielsweise die Schließung von Schulen in einer nord-norwegischen Klein-
stadt zur Folge: Die Stadt Narvik, mit ca. 18.000 EinwohnerInnen, hatte 26
Millionen Euro ihres öffentlichen Vermögens in vermeintlich risikoarme Fi-
nanzprodukte investiert, von denen sich herausstellte, dass sie risikoreich ge-
bündelte Kredite aus den USA enthielten. Die Stadt verlor durch das Platzen
der Blase 20 Millionen Euro und musste die öffentlichen Ausgaben für Schulen,
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Gesundheitsversorgung, Pflege und Feuerwehr drastisch kürzen. Das Beispiel
zeigt: Was auf dem Finanzmarkt passiert, hat Auswirkungen auf die Realwirt-
schaft. Was am US-Immobilienmarkt passiert, kann in Europa eine Rezession
auslösen.
Schließlich erhöht die steigende Einkommens- und Vermögensungleichheit
die Instabilitäten. In der aktuellen Phase der Finanzialisierung finden verwo-
bene Dynamiken statt. Bei hoher Einkommensungleichheit wird weniger kon-
sumiert und mehr gespart, weil Menschen mit hohem Einkommen zusätzliches
Einkommen eher sparen. Sie haben eine niedrige „Konsumneigung“ und eine
hohe „Sparneigung“, während für NiedriglohnbezieherInnen das Gegenteil gilt.
Das führt dazu, dass Sparvermögen lukrative Anlagen sucht. Diese sind in der
Realwirtschaft nicht ausreichend verfügbar, was die Attraktivität neuer Finanz-
produkte wie Derivate oder risikoreich gebündelter Kredite erhöht. Weiters
verschulden sich NiedrigverdienerInnen, deren Einkommen stagnieren oder
sinken, um ihren Lebensstandard zu halten. Die riskanten Kredite in den USA,
welche die Krise auslösten, wurden vorrangig an Niedrigverdienende vergeben.
Deren Privatverschuldung kompensierte vor 2008 das Stagnieren der Real-
löhne.
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Die aktuelle Forschung im Bereich der STS betont, dass technische immer
Teil systemischer Innovationen sind. Doch hat keine Technologie nur eine
Verwendungsmöglichkeit. Sogar etwas scheinbar so Zweckmäßiges wie eine
Uhr kann entweder die Zeit bestimmen, als Mikrocomputer verwendet werden
oder ein Schmuckstück sein. Ko-Produktion benennt hierbei die dynamische
Interaktion zwischen Technologie einerseits und Gesellschaft, Politik und Wirt-
schaft andererseits: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Vorstellun-
gen, Werte, Interessen und Widerstände prägen die Entwicklung bestimmter
Technologien. Umgekehrt beeinflussen Technologien auch soziale Ordnungen
und bestimmen den Unternehmenserfolg.
So haben Technologien im Zusammenspiel mit unternehmerischer Innova-
tionskraft, politischen Aushandlungsprozessen sowie gesellschaftlichen Vor-
stellungen und Widerständen unterschiedliche Potentiale; beispielsweise:
(1) Marktanteile vergrößern, wie dies digitale Plattformen derzeit versuchen.
(2) Einflussbereiche stabilisieren: Die Erfindung von Telegraf und Dampfschiff
erleichterte die bessere Verwaltung der Kolonialreiche. Neue Infrastrukturen
der digitalen Kommunikation in Echtzeit und das auf fossilen Energieträgern
beruhende Transportwesen ermöglichten erst weltweite Vernetzung und den
globalen Einfluss von Finanzmärkten. (3) Politische Regime absichern: Im Na-
tionalsozialismus erlaubten Technologien, die große Datenmengen verarbeiten
konnten, politische Gegner aufzuspüren und Massenvernichtung industriell zu
organisieren. (4) Gesellschaftsordnungen verändern: Die Verbreitung von Haus-
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haltstechnologien im 20. Jahrhundert transformierte gesellschaftliche Ge-
schlechterverhältnisse, indem sie die geschlechterspezifische Arbeitsteilung so-
wie den Alltag und die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft veränder-
te. (5) Neue Bilder im Bewusstsein verankern: Das gegenwärtige Verständnis
einer „globalen“ Welt mit WeltbürgerInnen und globalen Märkten entstand in
Interaktion mit neuen Technologien der Kommunikation, Berechnung und
Beobachtung. Blue Marble, die bekannte, erstmalige Visualisierung der Erde
durch eine Aufnahme aus dem All im Jahr 1972, schuf ein Bewusstsein für die
Verwundbarkeit des „blauen Planeten“ als der „globalen Heimat“ des Men-
schen.
Der russische Ökonom Nikolai Kondratieff entwickelte auf Basis empiri-
scher Untersuchungen das Modell langer Wellen. An diesem Modell angelehnt
lässt sich zeigen, dass grundlegende technologische Innovationen, sogenannte
Basisinnovationen, in einem Wechselverhältnis mit Veränderungen der domi-
nanten Leitindustrien stehen. Technologische Innovationen führen demzufolge
zu systemischen Innovationen, weil sie die Wirtschafts- und Arbeitswelt verän-
dern. Gleichzeitig werden sie von vorherrschenden Vorstellungen, Machtver-
hältnissen und Interessen, wie gewirtschaftet und gearbeitet werden soll, beein-
flusst. Innovative Technologien können wirtschaftliche Veränderungen her-
beiführen und sind gleichzeitig von diesen beeinflusst. Dies führt laut Kondra-
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K1 K2 K3 K4 K5
Wann? 1780–1830 1830–1880 1880–1930 1930–1970 1970 bis heute
Was? Dampf- Eisenbahn Chemie und Petrochemie Informations-
maschine; (und Dampf- Elektrotech- und Erdöl; technologie;
Textilindustrie schiff); nik; Elektro- Automobil- und Informations-
Stahlindustrie industrie Flugindustrie, industrie
Kunststoff-
industrie
Wofür? Bekleidung Massen- Massen- Individuelle Information
transport produktion Mobilität für und Kommuni-
für Massen- die Masse kation
konsum
Wie? Fabriksystem Kleinunter- Großunter- Transnationale Netzwerke
nehmer nehmen, Unternehmen großer und
Kartelle, kleiner Firmen,
Trusts, enge Koopera-
Monopole tion (Just-in-
und Oligopole time)
Wo? UK UK (Ausbrei- USA und USA USA und Japan
tung nach Deutschland (Ausbreitung
Europa und überholen UK nach Europa)
USA)
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Globalisierung im Umbruch
Die europäische Zivilisation ist nicht nur in Bezug auf Ausbeutung und Nut-
zung der Natur expansiv. Handel, Krieg, Eroberung und Missionierung gingen
oftmals Hand in Hand. In den mittelalterlichen Kreuzzügen sollte das „Heilige
Land“ befreit werden, und seit dem 16. und 17. Jahrhundert bildete sich eine
Weltordnung heraus, in deren Zentrum das „christliche Abendland“ stand. Ein
auf Handel aufbauendes Weltsystem schuf eine globale Hierarchie von sich im
Zeitablauf verschiebenden Zentren und Peripherien. In den Zentren konzen-
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trierten sich Finanz und Industrie, während die Peripherie Rohstoffe, Agrargü-
ter und Mineralien lieferte. Ausgangspunkt der expansiven Geschichte des
kapitalistischen Weltsystems war das Reich der Venezianer, welche über das
Mittelmeer vom 13. bis zum 15. Jahrhundert große Handelswege kontrollierten.
Es folgten Genua und dann im 17. Jahrhundert die Niederlande, die ebenfalls
über große Häfen – allen voran Amsterdam – und eine mächtige Flotte verfüg-
ten. Noch ausgeprägter verband schließlich das Vereinigte Königreich seine
Seemacht mit einem für damalige Verhältnisse großen Binnenmarkt, das heißt
einem geographisch begrenzten Wirtschaftsraum, in dem Waren, Dienstleis-
tungen, Kapital und ArbeitnehmerInnen frei verkehren können. England
wurde zur Wiege der Industrialisierung. Große Gebiete Asiens, Afrikas und
Lateinamerikas wurden zu europäischen Kolonien und damit zu Absatzgebie-
ten der europäischen Industriewaren sowie Quellen für die dafür notwendigen
Rohstoffe. Mit Ausnahme Lateinamerikas erlangten die meisten Länder des
Globalen Südens ihre politische Unabhängigkeit erst nach dem Zweiten Welt-
krieg. Heute sind 193 unabhängige Staaten Mitglied der Vereinten Nationen.
Nach zwei Weltkriegen teilte sich die Welt in die Einflusssphären der USA
und der Sowjetunion. In der westlichen Einflusssphäre begann die Phase der
US-Hegemonie, die ihre Vorherrschaft auf militärische und wirtschaftliche
Macht stützte, aber gleichzeitig auch kulturell attraktiv war. Der „US-American
Way of Life“ und seine Massenkonsumgesellschaft wurden zum Vorbild im
Streben nach einem guten Leben. Rechtsstaatlichkeit, politische Demokratie
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und soziale Sicherungssysteme sollten – so das Leitbild – diese liberale Wirt-
schaftsordnung ergänzen. Europa gab sich mit der Rolle des Juniorpartners
zufrieden. Der Wohlstand kehrte mit hohen Wachstumsraten zurück, auch
wenn die politische Vormachtstellung abgetreten wurde. Doch über die letzten
drei Jahrzehnte sind die Weltmarktanteile Europas stagniert. So verändert sich
die Jahrhunderte alte ungleiche Weltordnung, von der in erster Linie die Men-
schen im Globalen Norden profitierten.
Erste Machtverschiebungen fanden in der wissenschaftlichen Debatte statt,
als 1949 erstmals eine Wirtschaftstheorie entstand, die weltweit diskutiert
wurde, aber nicht in Europa oder Nordamerika entwickelt worden war. Der
lateinamerikanische Strukturalismus erarbeitete einen eigenständigen Weg der
Modernisierung der Peripherie der Weltwirtschaft, also der nach westlichem
Maßstab wirtschaftlich weniger entwickelten, oft ausgebeuteten Gebiete. Gute
Wirtschaftspolitik unterscheide sich an verschiedenen Orten. Im Zentrum der
Weltwirtschaft mit starken und modernen Unternehmen und Institutionen sei
Freihandel vorteilhaft. An der Peripherie, in Afrika, Lateinamerika und Asien,
führe die bestehende Arbeitsteilung aber zu Nachteilen. Die Spezialisierung auf
Landwirtschaft und Bergbau eröffne keine Entwicklungsperspektiven. An der
Peripherie brauche es vielmehr eine Politik der Industrialisierung und der Stär-
kung des Binnenmarktes. Damit könne die Abhängigkeit von den ehemaligen
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Bis ins 17. Jahrhundert war Asien in Bezug auf Wirtschaftsleistung, technologi-
sche Entwicklung und Bevölkerung weltweit führend. Zwischen dem 11. und
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13. Jahrhundert zählten Kaifeng im Osten Chinas und Merv im heutigen Turk-
menistan zu den weltweit größten Städten, führende Gelehrte arbeiteten in
Bukhara und Samarkand (Usbekistan), Isfahan (Iran) und Xi’an (China). Von
1600 an verlagerte sich das Zentrum der Weltwirtschaft Richtung Europa, da-
nach in Richtung Nordamerika. Doch seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts ist eine erneute Verschiebung der Wirtschaftsleistung Richtung Asien zu
beobachten. Die chinesische Volkswirtschaft ist heute die zweitgrößte der Welt.
China ist mit 12,76 Prozent der Weltexporte (2017) der weltweit größte Expor-
teur sowie mit 10,26 Prozent der Weltimporte (2017) der zweitgrößte Impor-
teur. Als zweitgrößter Kapitalexporteur (12,61 Prozent der weltweiten ausländi-
schen Direktinvestitionen im Jahr 2016) verfügt China mit 3,14 Billionen US-
Dollar, das heißt 2.140 Milliarden US-Dollar, (2017) über riesige Devisenreser-
ven, das heißt auf ausländische Währung lautende Guthaben, einen begehrten
Inlandsmarkt und eine Währung, die zunehmend auch im internationalen
Zahlungsverkehr verwendet wird.
Vor rund 2000 Jahren verband die sogenannte Seidenstraße die chinesische
Pazifikküste mit dem Mittelmeerraum. 2013 begann China mit der Wiederbe-
lebung dieser historischen Seidenstraße. Diese Initiative wurde als „Belt and
Road Initiative“ (BRI), „One Belt, One Road“ oder auch „Neue Seidenstraße“
bekannt. Dafür gab es 2018 mit über 130 Ländern bzw. Organisationen Koope-
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(Ritchie und Roser, 2019 basierend auf: Carbon Dioxide Information Analysis Centre (CDIAC), 2017;
Quéré et al., 2018)
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Nach Jahrhunderten der Orientierung nach innen fand sich China Mitte des 19.
Jahrhunderts mit europäischen Versuchen konfrontiert, die chinesische Wirt-
schaft zu öffnen. Diplomatische und militärische Interventionen waren Teil
dieser Geschichte. Globalisierung hatte immer auch imperialistische und kolo-
nialistische Züge, denn neue Auslandsmärkte wurden und werden mit allen
möglichen Mitteln erschlossen. Ein besonders skrupelloses Beispiel stellt der
Fall des Opiumhandels dar, den das Vereinigte Königreich in China mit Gewalt
legalisierte. Die British East India Company (EIC) exportierte indisches Opium
nach China, was der chinesische Kaiser unterbinden wollte. Mit dem ersten
(1839–1842) und zweiten Opiumkrieg (1856–1860) brachen die Briten seinen
Widerstand. Der Opiumhandel wurde Profiteur des Freihandels.
Im 20. Jahrhundert dominierten lange Fremdherrschaft und Bürgerkrieg,
bis das kommunistische China unter Mao nach 1949 einen Entwicklungsweg
einschlug, der um maximale wirtschaftliche Unabhängigkeit bemüht war, um
koloniale Abhängigkeiten zu überwinden. Erst unter Deng Xiaoping, Staatschef
von 1978 bis 1992, wurde Binnenorientierung (vgl. Box Binnen- und Außenori-
entierung) und zentrale Planwirtschaft schrittweise aufgegeben. Deng öffnete
China wirtschaftlich, nicht aber politisch. Die Kommunistische Partei blieb
dominant. Doch wurden marktliberale Reformen hin zu einer „sozialistischen
Marktwirtschaft“ umgesetzt und China vernetzte sich intensiver mit dem kapi-
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talistischen Weltsystem. 2001 wurde China in die Welthandelsorganisation
(WTO) aufgenommen.
Nicht nur Chinas Entwicklung, auch die aller anderen Volkswirtschaften,
kann in unterschiedliche Phasen eingeteilt werden. Die aus Frankreich stam-
mende Regulationstheorie untersucht derartige historische Phasen wirtschaftli-
cher Entwicklung. Während der lateinamerikanische Strukturalismus eine
Theorie aus der Perspektive der Peripherie entwarf, untersucht die Regula-
tionstheorie kapitalistische Marktwirtschaften im Zentrum. Sie unterscheidet
zwischen unterschiedlichen Akkumulationsregimen und Regulationsweisen.
Ein Akkumulationsregime beschreibt eine bestimmte Organisationsweise der
Produktion, der Finanzierung und Verteilung, das heißt zum Beispiel Phasen
größerer und geringerer wirtschaftlicher Ungleichheit. Eine Regulationsweise
stabilisiert ein Akkumulationsregime durch passende Regulierungen von Geld,
Arbeit und Wettbewerb sowie unterschiedliche Arten der Einbindung in die
Weltwirtschaft, zum Beispiel eine geringere oder stärkere Abhängigkeit vom
Weltmarkt.
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(1) Die liberale Regulation vor dem Ersten Weltkrieg wird als erste Globalisie-
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rung bezeichnet (1850–1914), in welcher- ein
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international verwobener Banken- -
sektor dominierte. Unterstützt wurde die Dynamisierung des Welthandels
durch den Goldstandard (vgl. Box Goldstandard). Die Bank of England machte
damit Gold zu einer Ware, die von allen MarktteilnehmerInnen als Zahlungs-
mittel akzeptiert wurde, was internationale Transaktionen vereinfachte. Damit
definiert Gold einen stabilen Geldwert. Steigt die Menge neu geschürften Gol-
des langsamer als die Wirtschaftsleistung, gibt es Deflation, das heißt die Preise
sinken. Tatsächlich blieben die Preise in England im gesamten 19. Jahrhundert
weitgehend konstant. Gold als Zahlungsmittel erhöhte die Stabilität der Ein-
nahmen aus ausländischen Direktinvestitionen. Es beschränkte die Möglichkeit
zu importieren, ohne entsprechende Exporterlöse erzielt zu haben. Die Rechts-
ordnungen der damals vorherrschenden konstitutionellen Monarchien orien-
tierten sich an internationalen Standards, um Rechtssicherheit für Investoren
zu schaffen. Diese liberale Regulationsweise war außenorientiert, Wirtschafts-
wachstum wurde vor allem durch Exporte erzielt.
Gleichzeitig wurden Schutzzölle gegen ausländische Konkurrenz verhängt
und neue Märkte erobert und gesichert. Nationen sahen sich im ständigen
Wettbewerb anlagesuchender Rentiers. Löhne galten als Kostenfaktor. Ver-
suchten nationale Gewerkschaften höhere Löhne oder nationale Parlamente
Sozialleistungen durchzusetzen, erhöhte dies umgehend die Kosten der Export-
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güter und gefährdete die Handelsbilanz. Wenn es dadurch zum Abfluss von
Gold kam, drohten Währungskrisen. Nationale Regierungen, insbesondere in
Kleinstaaten, waren somit einer goldenen Zwangsjacke („Golden Straightja-
cket“) ausgesetzt: Jede Maßnahme, die von Investoren abgelehnt wurde, drohte
im Konfliktfall zu fehlendem Kreditzugang, steigenden Zinssätzen für Staats-
schuldscheine sowie fallenden Aktienkursen zu führen. Schon die erste Globali-
sierung ging daher über den reinen Freihandel hinaus. Das Drohpotential schuf
ein formelles, aber vor allem informelles Regelwerk, das Rechtssicherheit bei
Verträgen und gesicherte Renditen der transnational agierenden Investoren
garantierte. Dies bedeutete eine tiefe wirtschaftliche Integration, die den Spiel-
raum nationaler Gesetzgebung einschränkte. Damit waren Regierungen de facto
internationalen Investoren mehr rechenschaftspflichtig als der eigenen Bevöl-
kerung.
Box: Goldstandard
Der Goldstandard bezeichnet eine Währungsordnung, in der die Währung eines Landes
einen Anspruch auf Gold repräsentiert und daher in Gold eingetauscht werden kann. Der
Wert des Geldes ist somit an die Menge von Gold geknüpft. Jede/r, der/die über das Pa-
piergeld des jeweiligen Landes verfügt, kann es der nationalen Notenbank vorlegen und
eine vereinbarte Menge Gold aus der nationalen Goldreserve erhalten. Daher ist es für
Notenbanken riskant, mehr Geld in Form von Banknoten in Umlauf zu bringen als es über
Währungsreserven in Gold verfügt. Dies stabilisiert den Geldwert, schränkt aber politische
Handlungsspielräume ein: Der Ausgabe von Banknoten sowie der Staatsverschuldung sind
enge Grenzen gesetzt.
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1914 gipfelten die zahlreichen imperialistischen Konflikte in einem brutalen
Weltkrieg. Dessen Ende 1918 führte zur Entstehung neuer Staaten in der Form
von demokratischen Republiken, wo vorher Monarchien herrschten, und
wichtigen sozialpolitischen Errungenschaften. Die Verträge von Versailles und
Saint-Germain, die Deutschland und seinen Verbündeten die alleinige Schuld
am Ersten Weltkrieg gaben, verhinderten eine friedliche und kooperative Zu-
sammenarbeit der Sieger- und Verliererstaaten. Hohe Reparationszahlungen,
der Verlust deutscher Kolonien, das Abtreten von Anteilen der jährlichen
Ausfuhren sowie die Übergabe des Großteils seiner Handelsflotte und die Be-
schränkung des Militärs schränkte den nationalen Handlungsspielraum
Deutschlands stark ein. Als das Deutsche Reich mit den Reparationszahlungen
in Rückstand geriet, besetzten 1923 französische und belgische Truppen das
Ruhrgebiet. Als 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbrach, waren die Entschei-
dungsträger nicht vorbereitet, Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Dies dele-
gitimierte die verbliebenen demokratischen Nationalstaaten weiter. In weiten
Teilen Europas entstanden autoritäre und faschistische Diktaturen. In Russland
regierte die kommunistische Partei mit zunehmend diktatorischen Zügen. Sieg-
reich aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen, erweiterte die Sowjetunion
ihr Einflussgebiet auf weite Teile Osteuropas.
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(3) Die neoliberale Regulationsweise seit den 1980er Jahren wird als zweite
Globalisierung bezeichnet. Der von Polanyi kritisierte „Glauben an selbststeu-
ernde Märkte“ kehrte mit der Renaissance des marktliberalen Hayek’schen
Gedankenguts zurück. Die Abkehr von Kapitalverkehrskontrollen beförderte
die Finanzialisierung und eine außenorientierte Akkumulationsstrategie. Ein-
kommen und Vermögen konzentrierten sich erneut, was die Massenkaufkraft
der unteren Einkommensgruppen verringerte. Diese Politik ist angebotsorien-
tiert, indem sie die mikroökonomische Effizienz und Produktivität erhöhen
will. Instrumente sind neben Technologiepolitik die Privatisierung von Staats-
betrieben, Deregulierungen und eine strenge Haushaltsdisziplin: Staatsausga-
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(2) Es folgt die historische Analyse der Ungleichheiten von Einkommen und
Vermögen. Ihre aktuelle Zunahme innerhalb einzelner Länder ist eine wesentli-
che Ursache für den gefährdeten sozialen Zusammenhalt. (3) Verschiedene
Wohlfahrtsregime entstanden als Antwort auf historische Ungleichheiten und
existenzielle Unsicherheiten, vorrangig auf nationaler, aber auch auf lokaler
Ebene. (4) Das illustrieren wir am Beispiel Wien. (5) Abschließend widmen wir
uns explizit der Problematik von sozialem Zusammenhalt und ökologischer
Nachhaltigkeit.
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Ungleichheit „natürlich“ und „gottgewollt“ war, dominierte bis ins späte 18.
Jahrhundert.
Die Französische Revolution 1789 war Kristallisationspunkt einer Zeiten-
wende hin zur heutigen westlichen Zivilisation, die auf dem Gleichheitsgrund-
satz beruht: Alle Menschen sind gleich und frei geboren, Ungleichheit nicht
länger „gottgewollt“. Im 19. Jahrhundert verbreitete sich der Grundsatz der
Gleichheit vor dem Recht. In den entstehenden kapitalistischen Marktgesell-
schaften trat an die Stelle des Kriteriums der Geburt und den damit verbunde-
nen ständischen Privilegien die des persönlichen Verdiensts, sei es in Form von
Besitz oder Berufserfolg. An die Stelle einer Standes-trat eine Klassengesell-
schaft, in der trotz rechtlicher Gleichheit weiterhin nur ein Teil der Bevölke-
rung ein gutes Leben führen konnte. Die zunehmende Arbeitsteilung konzen-
trierte den Besitz der Produktionsmittel, das heißt des Eigentums an Fabriken
und Maschinen, in den Händen der industriellen Kapitalisten. Die Beschäftig-
ten wurden zu LohnarbeiterInnen, die unter prekären Bedingungen zu niedri-
gen Löhnen kaum genug zu essen hatten. Ein Beispiel: Die Wiener Ringstraße
mit ihren Prachtbauten wurde in dieser Zeit mit Ziegeln errichtet, die zu einem
guten Teil von tschechischen MigrantInnen unter sehr schlechten Arbeitsbe-
dingungen am Rande Wiens hergestellt wurden. Lebenschancen wurden bis ins
20. Jahrhundert wesentlich dadurch bestimmt, welcher sozialen Klasse – dem
Bürgertum, der Arbeiter- oder Bauernschaft – jemand angehörte.
Kapitalismus war aber niemals nur Ausbeutung, sondern brachte oft auch
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sozialen Fortschritt. So ist die Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert durch
verbesserte Ernährung, Fortschritte in der Medizin und städtischer Müll-, Ka-
nal- und Wassersysteme stetig gestiegen. Diese Entwicklung verlief weltweit
ungleichmäßig, der Zusammenbruch der Sowjetunion führte nach 1989 sogar
zu einem Rückgang der Lebenserwartung. Während sie in den frühindustriali-
sierten Weltregionen schon im 19. Jahrhundert stark anstieg, blieb sie im Rest
der Welt niedrig. Dies führte zu hoher vitaler Ungleichheit zwischen unter-
schiedlichen Teilen der Welt. In Asien und Afrika stieg die Lebenserwartung
erst deutlich nach dem Ersten Weltkrieg (vgl. Grafik Lebenserwartung im Ver-
gleich). Doch auch innerhalb der industrialisierten Welt gab es Unterschiede. So
sank zu Beginn der Industrialisierung in England die Lebenserwartung der
arbeitenden Bevölkerung aufgrund teils katastrophaler Wohn- und Arbeitsbe-
dingungen (vgl. Teil 1 Hayek versus Polanyi). Als Antwort entstanden vor allem
in Europa und Nordamerika Formen sozialer Absicherung, zuerst lokal, dann
national organisiert. Diese Wohlfahrtsregime schützen vor sozialen Risiken
(vgl. Wohlfahrtsregime).
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(Roser, 2019 basierend auf: Zijdeman und Ribeira da Silva, 2015; Riley, 2005; Bevölkerungsabteilung
der Vereinten Nationen, 2019)
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Wer sind die Menschen, die sich in den einzelnen weltweiten Quantilen be-
finden? In den niedrigen Einkommensperzentilen sind dies fast ausschließlich
Menschen, welche in den ärmeren Ländern der Welt leben, vorwiegend in Af-
rika und Südasien (wobei die Reichsten dieser Länder in höheren Quantilen zu
finden sind). Um die Mitte herum befinden sich aufstrebende Schwellenländer
wie China, Brasilien oder auch Russland. Zwischen dem 80. und 95. Quantil
„80“ bis „95“ befinden sich vor allem Europa und Nordamerika, also die
reichsten Länder der Welt, wobei die Menschen mit niedrigen Einkommen in
diesen Ländern um das Quantil „80“ herum zu finden sind. Sie sind zwar in ih-
ren jeweiligen Ländern relativ arm, jedoch im globalen Maßstab Teil des
reichsten Viertels der Welt. Nur etwa ein Prozent des weltweiten Einkom-
menswachstums ging an das Quantil „80“.
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Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich, wenn die anteilsmäßigen, die pro-
zentuellen Zuwächse betrachtet werden (das heißt relativ zum eigenen Ein-
kommen). Dies beschreibt die Grafik Relativer Einkommenszuwachs nach glo-
balem Einkommensniveau (1988–2008), auch bekannt als der Milanovic’sche
Elefant, da die Form des Graphen an einen Elefanten erinnert. Demnach stei-
gen die Einkommen, die weltweit gerade über dem Durchschnittseinkommen
liegen, relativ am meisten (um ca. 75 Prozent). Dies wird als die neue globale
Mittelschicht bezeichnet, welche sich vor allem in Schwellenländern herausge-
bildet hat. Aber auch relativ gesehen hat das Prozent mit dem höchsten Ein-
kommen besonders stark profitiert, es ist um ca. 65 Prozent gewachsen. Die
niedrigsten Einkommen haben in absoluten Zahlen kaum hinzugewonnen (vgl.
die „Giraffe“). Relativ gesehen stiegen sie jedoch deutlich. So ist das Einkom-
men der ärmsten fünf Prozent der Weltbevölkerung um ca. 15 Prozent gewach-
sen, jenes der zweit- und drittärmsten fünf Prozent um je 40 Prozent. So war es
durch das allgemeine Wirtschaftswachstum möglich, die absolute Armut welt-
weit deutlich zu reduzieren. Doch unterscheiden sich die Entwicklungen in
Europa und Nordamerika von denjenigen der ehemaligen Kolonien in Asien,
Afrika und Lateinamerika. In Fabriken Asiens werden bis heute ArbeiterInnen
oftmals wie LohnsklavInnen ausgebeutet, Bauern werden durch Billigimporte
von subventionierten landwirtschaftlichen Produkten die Lebensgrundlage
entzogen, viele indigene Völker wurden ausgerottet, Naturräume zerstört. Der
in Geld gemessene Lebensstandard der Ärmsten ist trotzdem deutlich gestie-
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gen. 1990 lebten allein in China und Indien noch über eine Milliarde extrem
armer Menschen, heute nur noch wenige. Laut Weltbank leben Menschen in
extremer Armut, wenn sie weniger als 1,90 Dollar pro Tag ausgeben können
und sich somit Lebensmittel und andere Artikel des täglichen Lebens nicht
leisten können. Ein Großteil der verbleibenden 650 Millionen extrem Armen
leben heute (2016) im sub-saharischen Afrika. Während 1990 noch etwas mehr
als eine Milliarde Menschen unterernährt waren, hungerten 2018 821 Millionen
Menschen. Kaum vom globalen Einkommenswachstum profitierte hingegen
das 80. Quantil, sowie das 85. und 90. Quantil. Hier befinden sich in erster Linie
Geringverdienende bis zur Mittelschicht in den reichen Ländern Europas und
Nordamerikas. Diese stagnierenden Einkommen der GeringverdienerInnen
und der Mittelschicht in Europa und Nordamerika lässt bereits auf ein An-
steigen der Einkommensungleichheit innerhalb dieser Länder schließen. Die
Forschung von Thomas Piketty und seinen KollegInnen dokumentiert dies auf
Grundlage anderer Datensätze.
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Die Phase der neoliberalen Globalisierung führte in den USA zu einer deut-
lichen Polarisierung der Einkommen, ein Trend, der sich abgeschwächt auch in
vielen anderen Ländern zeigt: der Anteil der reichsten 10 Prozent am Gesamt-
einkommen steigt, jener der unteren 50 Prozent fällt. Jedoch gibt es Unter-
schiede in Geschwindigkeit und Ausmaß. Besonders groß war der Anstieg in
Russland nach 1989. Dort sank als Folge von Armut und Arbeitslosigkeit sogar
die Lebenserwartung der Männer. In Lateinamerika und Subsahara-Afrika
stagniert die Einkommensungleichheit auf hohem Niveau. Nur im Mittleren
Osten ist sie etwas gesunken, befindet sich jedoch immer noch am weltweit
höchsten Niveau. Die großen Unterschiede zwischen den Ländern unterstrei-
chen die bedeutende Rolle von nationaler Politik und lokalen Institutionen.
Eine wichtige Ursache der steigenden Einkommensungleichheit sind die ge-
änderten Machtverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital in einer offenen
Weltwirtschaft. Kapital ist an sich mobiler als Arbeit, was die Verhandlungs-
macht der Lohnabhängigen einschränkt: Ein Großteil des Finanzkapitals kann
in Sekundenbruchteilen „wandern“, die Mobilität der Beschäftigten ist durch
Landesgrenzen, aber auch soziale Faktoren wie Familie, FreundInnen und
eventuell auch ein Eigenheim, eingeschränkt. Im Wohlfahrtskapitalismus mit
beschränkter Kapitalmobilität etablierte sich ein Kompromiss zwischen Unter-
nehmen und Beschäftigten. Löhne und Gehälter wurden kaum individuell ver-
handelt, sondern durch Kollektivverträge geregelt. Dies erhöht die Verhand-
lungsmacht der Gewerkschaften und dadurch der Arbeiterschaft. Als die Ge-
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werkschaften ab den 1980er Jahren an Macht verloren, ging die Lohnquote, das
heißt der Anteil des Erwerbseinkommens am Volkseinkommen, in den meisten
Industrienationen zurück, während der Anteil des Kapitaleinkommens stieg.
Doch auch innerhalb der Gruppe der unselbständig Beschäftigten stieg die
Ungleichheit. Dies liegt zum einen an Supergagen, Boni und andere Begünsti-
gungen von SpitzenmanagerInnen, die auf globalen Arbeitsmärkten konkurrie-
ren. Zum anderen ermöglichen Digitalisierung und Globalisierung Skalenvor-
teile und Konzentrationsprozesse in neuen Bereichen. Lange Zeit waren Fuß-
ballstars lokale Helden, bestenfalls nationale Idole, aber keine wertvollen Mar-
ken. Im Zuge der Globalisierung sind die besten SportlerInnen und Künstler-
Innen weltbekannt geworden und werden global vermarktet: mit Fanartikeln
und als Werbeträger. Das spielt Gewinne ein, die weit über den Einnahmen
durch ZuseherInnen und ZuhörerInnen liegen. Lionel Messi, Serena Williams
und Madonna sind „ihr Geld wert“. Das gleiche gilt für Influencer in sozialen
Medien, die Produkte bewerten und bewerben. Kleine Klubs und nationale
Stars hingegen verdienen deutlich weniger. Die Masse der KünstlerInnen und
SportlerInnen kann von ihrer Leistung nicht leben. Das mag nicht fair sein, ist
aber ein Ergebnis mächtiger struktureller Dynamiken in der neoliberalen Glo-
balisierung: Marktgerechtigkeit entkoppelt sich von Leistungsgerechtigkeit.
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Wohlfahrtsregime
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ten gleichermaßen für Beruf und der Teilhabe am gesellschaftlichen und politi-
schen Leben befähigt werden. Bis heute ist der Hochschulzugang im Wesentli-
chen für alle StaatsbürgerInnen frei. Dies umfasst angesichts der Nichtdiskri-
minierungsregeln auch alle EU-BürgerInnen. Doch wird dieses gemeinwohlori-
entierte Verständnis von Bildung heute in Österreich durch ein Verständnis
von Bildung als Humankapital ergänzt. Immer mehr Lehrgänge sind kosten-
pflichtig, die Universitäten verstehen sich als im Wettbewerb stehend. Auch im
Bereich der Pflege, der durch Alterungsprozesse an Bedeutung gewinnt, erfolgt
ein Übergang zu einem liberalen Regime. Das Pflegegeld wird beispielsweise als
monetäre Sozialleistung ausbezahlt, was die Schaffung von transnationalen
Pflegemärkten fördert: Migrantinnen aus Ost- und Südosteuropa pflegen alte
Menschen in Deutschland und Österreich, legal, und oft auch illegal. Der Aus-
bau dezentraler öffentlicher Pflegeeinrichtungen stockt. Menschen sind an-
gehalten, „für sich selbst zu sorgen“.
Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) analysiert
die Verteilungswirkungen des österreichischen Wohlfahrtsregimes. Sozialleis-
tungen werden in Österreich (1) als Geldleistungen, wie Pensionen, Pflege- oder
Arbeitslosengeld, und (2) als Sachleistungen wie Betreuungseinrichtungen an
die Anspruchsberechtigten vergeben. Die wesentlichen Ausgaben für öffentli-
che Geld- und Sachleistungen erfolgen in den Bereichen Bildung (28 Prozent),
Gesundheit und Pflege (44 Prozent) sowie Familie (16 Prozent). Mit Ausnahme
von Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe und bedarfsorientierter Mindestsi-
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cherung (8 Prozent) kommen diese Leistungen allen Einkommensgruppen re-
lativ gleichmäßig zugute. Besonders ausgeglichen ist die Verteilung im Bereich
Gesundheit und Bildung. Dort führen die zahlreichen Sachleistungen wie Arzt-
besuche, Spitalsaufenthalte, Schul- und Hochschulbesuch dazu, dass die Kosten
sich relativ gleichmäßig auf alle sozialen Schichten verteilen. Zusammenfassend
charakterisieren Österreichs Sozialstaat zwei Tendenzen: Noch ist er ein Wohl-
fahrtsregime „für (fast) alle“. Doch es gibt eine steigende Zahl an „Outsider“,
die nur eingeschränkten Zugang zu Leistungen haben – und marktliberale
Politiken gewinnen an Bedeutung.
Das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime dominiert in Skandinavien
(Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland). Es gewährleistet universelle
soziale Rechte und ist bestrebt, gut ausgebaute öffentliche soziale Infrastruktu-
ren, Bildung, Gesundheit und Wohnen in möglichst guter Qualität für mög-
lichst alle bereitzustellen. Dies führt zu einer (teilweisen) Dekommodifizierung
von Altersvorsorge, Bildung, Wohnen, Gesundheit, Pflege und Arbeit. Schulbe-
such ist keine zu bezahlende Dienstleistung; Gemeinde- und Sozialwohnungen
sind öffentlich gestützt. Grundprinzipien dieses Modells sind eine Politik der
Vollbeschäftigung (alle Menschen haben ein Recht auf Arbeit) und der An-
spruch, allen EinwohnerInnen (auch jenen mit guten Einkommen) soziale
Dienste und Infrastrukturen in guter Qualität anzubieten. Dieses Wohlfahrtsre-
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gime „für alle“ basiert auf dem Prinzip der Teilhabegerechtigkeit, aber auch
dem der Chancen- und der Bedürfnisgerechtigkeit. Es hatte seine Blütezeit im
Wohlfahrtskapitalismus.
Für den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Österreichs, Bruno
Kreisky (1970 bis 1983), war Schwedens Sozialstaat Vorbild. Diesem kleinen
Land gelang es im Wohlfahrtskapitalismus, nicht nur sozial, sondern auch wirt-
schaftlich erfolgreich zu sein. Doch auch der schwedische Wohlfahrtsstaat
nahm in den letzten Jahrzehnten Aspekte des liberalen Wohlfahrtsregimes an.
Anteilsmäßig ist die Ungleichheit in Schweden besonders stark gestiegen. Es
kam zu weitreichenden Privatisierungen und Liberalisierung, vor allem bei
Wohnen und Bildung. Ausgaben für soziale Sicherheit, wie Arbeitslosengeld,
Frühpensionierungen, Sozialhilfe, Krankengeld und Familienbeihilfen sanken
im Verhältnis zum BIP seit 1985 um 25 Prozent. Gleichzeitig wurde die aktive
Arbeitsmarktpolitik und damit verbundene Qualifizierungsprogramme ge-
kürzt, während einfache Lohnzuschüsse, die Unternehmen für die Beschäfti-
gung ehemals Arbeitsloser subventionieren, zunehmen. Die Finanzialisierung
von Wohnen führte dazu, dass Wohnraum vermehrt zur Vermögensanlage
wurde. GewinnerInnen waren KäuferInnen von Eigentumswohnungen, die
steuerlich begünstigt werden. Sozialstaatlich geschützt blieben Geringverdie-
nende, die weiterhin Wohnbeihilfe erhalten. Leidtragende sind insbesondere
die „In-Betweener“. Sie verdienen zu viel, um Wohnbeihilfe zu erhalten, und zu
wenig, um sich eine Eigentumswohnung leisten zu können, konkret vor allem
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Junge sowie die untere Mittelschicht. Diese leiden besonders unter den stark
steigenden Mieten am privaten Vermietungsmarkt. Das schafft Protestpoten-
tial, das populistische Parteien nützen.
Die folgende Tabelle fasst die drei Wohlfahrtsregime noch einmal zusam-
men.
Tabelle: Wohlfahrtsregime
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Die Staaten Ost- und Südeuropas, aber auch Schwellenländer wie Russland und
China wurden von Esping-Andersen in seiner ursprünglichen Studie nicht
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erfasst. Nachträglich erfolgten diverse Zuordnungen. So wurden die osteuropäi-
schen Länder als Wohlfahrtsregime im Übergang bezeichnet. Tatsächlich hat
sich Ungarn rasch von seinem kommunistischen Erbe universeller staatlicher
Versorgung wegentwickelt und weist Merkmale des konservativen Wohlfahrts-
regimes auf, insbesondere die Unterscheidung in Insider und Outsider. In Un-
garn kommen die Outsider vor allem aus der Roma-Bevölkerung, die systema-
tischer Diskriminierung ausgesetzt ist. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
führte die Regierung Orban ein liberales, residuales Wohlfahrtsregime ein.
Sozialleistungen werden niedrig gehalten, um den Eintritt in den Arbeitsmarkt
zu forcieren. Wohlfahrtsregime sind immer im Wandel. Sie verändern sich im
Zeitablauf (siehe Schweden und Ungarn) und vereinen Aspekte verschiedener
Wohlfahrtsregime (siehe Österreich).
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gemäß diverser City-Rankings – seit vielen Jahren als lebenswerteste Stadt der
Welt gilt. Ein wesentlicher Grund für die aktuell hohe Lebensqualität liegt in
seiner materiellen und sozialen Infrastruktur, also Straßen, Wasser-, Kanal-
und Energieversorgung ebenso wie Schulen, Spitälern, öffentlichen Verkehrs-
mitteln und öffentlichen Räumen.
Wien wuchs in der ersten Gründerzeit des 19. und beginnenden 20. Jahr-
hunderts sehr rasch, es gab große Armut in der Arbeiterschaft. Handwerker
und Gewerbetreibende litten unter der Konkurrenz großer kapitalistisch ge-
führter Unternehmen und Banken. Daher formierte sich massiver Widerstand
gegen diese Modernisierung, für die die liberalen Eliten verantwortlich gemacht
wurden. Es entstanden zwei Gegenbewegungen, die gesellschaftlichen Schutz
vor der ersten Globalisierung organisierten: die Christlich-Sozialen und die
Sozialdemokratie. Die Christlich-Sozialen unter der Führung Karl Luegers
waren eine antiliberale, heute würden wir sagen populistische, Partei, die die
Interessen der Mietshausbesitzer, der lokalen Unternehmen und der unteren
Mittelschicht vertrat. Da dies die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung
war, gewann Lueger 1895 die Bürgermeisterwahlen. Von 1897 bis 1910 war er
Wiens Bürgermeister. Er vertrat die ökonomischen Interessen der lokalen Un-
ternehmen und die kulturellen Interessen einer Mittelschicht, die Angst vor
antireligiöser Propaganda, sozialistischer Politik und der Teilhabe der Frauen
am sozialen Leben hatten. Angesichts der enormen Bedeutung jüdischer Fach-
leute, Künstler und Unternehmen rahmte Lueger seinen Antielitismus als Anti-
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semitismus. Gleichzeitig baute er die städtische Infrastruktur aus und kommu-
nalisierte eine breite Palette an Infrastrukturen wie Gas, Strom, Wasser, Kanali-
sierung und Straßenbahn. 1907 gründete er mit der Zentralsparkassa eine
Kommunalbank. Diese soziale und materielle Infrastruktur und die damit ver-
bundene dekommodifizierte Form des kollektiven Konsums besteht bis heute.
Sein kommunalwirtschaftlicher Zugang bestimmt die Politik auch gegenwärtig:
Kommunalpolitik ist wesentlich für die Daseinsvorsorge verantwortlich, sie
habe die Verpflichtung, zum Wohlbefinden ihrer Bevölkerung beizutragen.
1919 kam die Sozialdemokratische Arbeiterpartei an die Macht, indem sie
die große Schwäche der Lueger’schen Kommunalpolitik thematisierte: Den
meisten Wiener Wohnungen fehlten Toiletten, Wasserleitungen, eine Gasver-
sorgung oder Strom. Dennoch machten deren Miete bis zum Weltkrieg bis zu
25 Prozent des Monatslohns eines Arbeiters aus. Daher konzentrierte sich die
Sozialdemokratie auf den vernachlässigten Wohnungsbau, der durch gestaffelte
Verbrauchsteuern auf Luxusgüter wie Autos, Reitpferde, Hotelzimmer sowie
private Bedienstete finanziert wurde. Die neu eingeführte Wohnbausteuer be-
steuerte kleine Wohnungen mit zwei Prozent, Villen und Luxuswohnungen mit
bis zu 36 Prozent. Vergleichsweise geräumige Gemeindewohnungen mit ange-
gliederten Einrichtungen wie Wäschereien, Bibliotheken, Kindergärten, Ge-
schäften, Jugendzentren und medizinischer Versorgung setzten weltweit neue
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Ingolfur Blühdorn bietet eine weitere Erklärung, warum sich die westlichen
Konsumgesellschaften in einer politischen Krise befinden. Trotz tagtäglicher,
offizieller Betonung der Wichtigkeit von Nachhaltigkeit bis hin zu den Nach-
haltigen Entwicklungszielen, agieren ihre Mitglieder systematisch nicht nach-
haltig. Ein Gutteil der Bevölkerung in westlichen Konsumgesellschaften wolle
auf die materiellen Errungenschaften eines übermäßigen ökologischen Fußab-
drucks nicht verzichten – sei dies eine große Wohnung, ein Auto, Flugreisen,
die neuesten Modelle oder jeden Tag ein Stück Fleisch. Da sei es für alltägliche
Lebensentscheidungen gleichgültig, dass Naturwissenschaft und Umweltöko-
nomie beweisen, dass diese Lebensweise nicht nachhaltig ist. Blühdorn sieht in
diesen Entwicklungen eine Krise des Ideals des selbstbestimmten Individuums,
die nicht darin bestehe, dass Menschen keine selbstbestimmten Entscheidungen
treffen. Ganz im Gegenteil: Selbstbestimmung wird als Wert absolut gesetzt.
Das eigene Ich wird zum alleinigen Schiedsrichter in der Beurteilung der eige-
nen Lebensführung. Doch erfordert das Ideal der Selbstbestimmung, wie es
Immanuel Kant vertreten hat, eine moralische Grundhaltung: Der Ausstieg aus
der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ setzt die gleichen Rechte anderer
voraus: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen
kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Lange verstand sich Emanzipa-
tion als eine universelle Befreiung von traditionellen, oftmals als irrational
empfundenen Ordnungen, die von Familie, Religion oder anderen gesellschaft-
lichen Konventionen vorgegeben wurden: sich eine eigene Meinung bilden und
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dem Pfarrer nicht zu glauben, wenn er erklärte, die Erde sei in sechs Tagen
erschaffen worden; nicht zu akzeptieren, dass brave Mädchen keine Hosen
tragen. Selbstbestimmung war und ist Befreiung. Diverse Emanzipationsbewe-
gungen kämpfen bis heute genau dafür: gegen Genitalverstümmelung, religiö-
sen Fundamentalismus oder Diskriminierungen aufgrund des sozialen Ge-
schlechts.
Doch heute konstatiert Blühdorn eine neue Form von Selbstbestimmung. Er
nennt „zweite Emanzipation“ das unbeschränkte Streben nach Selbstverwirkli-
chung und Selbstoptimierung. Das derart emanzipierte Individuum akzeptiert
vorgegebene Regeln und Werthaltungen nicht, sondern strebt nach einer radi-
kalen Form negativer Freiheit, der möglichst vollkommenen Abwesenheit allen
Zwangs. War die erste Emanzipation immer verbunden mit den universalisti-
schen Idealen politischer Freiheit und Gleichheit, so sind diese Ideale in der
zweiten Emanzipation nur mehr Mittel zum Zweck der Umsetzung der eigenen
Lebenspläne. Jegliche Art des Setzens von Grenzen werde als Bevormundung
wahrgenommen. Das äußere sich beispielhaft in der Klimadebatte. Sie kennen
Aussagen wie „Ich habe es satt zu hören, dass Fleischgenuss und Autofahren
schlecht geredet werden“, „Ich kann den Pessimismus der KlimaforscherInnen
schon nicht mehr hören. Warum genießen wir nicht einfach den warmen
Sommer? Warum blicken wir nicht einfach optimistisch in die Zukunft?“ An
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Stelle des erhofften Auszugs aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit trete
daher immer öfter „die Befreiung aus der Mündigkeit“: Man will es nicht mehr
wissen, man kann es nicht mehr hören. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden
ignoriert, wenn sie Selbstoptimierung verhindern. „Fake News“ werden ge-
glaubt, wenn sie erlauben, weiter so zu handeln wie immer. Vereinfachungen
des marktliberalen Leitbilds dienen als Rechtfertigung, heute nichts tun zu
müssen, weil die unsichtbare Hand in Marktwirtschaften für gesellschaftliche
Gleichgewichte sorge. Im Teil 3 Zukunftsfähige Gesellschaft wird sich zeigen,
wie wichtig eine neue Balance aus Selbstbestimmung und Dazugehören ist.
Zukunftsfähiges Wirtschaften könnte dafür Voraussetzungen schaffen.
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Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der
Katastrophe nehmen.
Max Frisch (Schweizer Schriftsteller und Architekt, 1911–1991)
Zukunftsfähige Umwelt
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an sich, der sich nicht auf ihren Nutzen für Menschen beschränkt. Seltene Tier-
arten sind zu schützen, auch wenn sie den Menschen keinen direkten Nutzen
bringen. Die Natur ist zu erhalten – mit allen Mitteln. Diesbezüglich stellt der
Naturschutz das derzeitige Wirtschaftssystem und das westliche Zivilisations-
modell grundlegend in Frage. Insbesondere der Wachstumszwang und die
fortschreitende Kommodifizierung seien nicht nachhaltig. Dass Natur einen
Preis haben könnte, dass sie kommodifiziert, zur Ware gemacht wird, wird
abgelehnt. Der Eigenwert der Natur, die Unberührtheit der Wildnis, ihre
Schönheit und Vielfalt beruht auf absoluten Werten, die unverhandelbar sind.
Weil Wind- oder Wasserkraftwerke das Landschaftsbild und Biotope seltener
Arten zerstören, rechtfertigt Naturschutz unter Umständen auch den Wider-
stand gegen den Ausbau erneuerbarer Energieträger. Der Naturschutz ist kon-
servativ, bewahrend, aber kritisch gegenüber der derzeitigen expansiven Wirt-
schaftsweise. Naturschutz wirft Fragen von Moral und demokratischem Ent-
scheiden auf, denn wer entscheidet auf Basis welcher Kriterien, wo Tier- und
Naturschutz beginnt und endet: Dürfen Menschen in die Natur eingreifen, um
sich vor Überschwemmungen und Lawinen zu schützen? Gilt Tierschutz für
Tiger und Kühe, nicht aber für Bakterien und Krebszellen?
Klima- oder Umweltschutz stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Eine
intakte Umwelt und ein lebensfreundliches Klima sind für menschliches Leben
erforderlich. Es geht also vor allem um die Erhaltung der Umwelt und des Kli-
mas um der Menschen Willen. In welcher Weise Umwelt- und Klimaschutz
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umgesetzt wird, hängt stark davon ab, an welchem Leitbild zukunftsfähigen
Wirtschaftens sich Handlungen und Maßnahmen orientieren.
Dem marktliberalen Leitbild folgend ist der Markt das zentrale Steuerungs-
element. Um Ressourcen effizient zu verteilen, brauchen öffentliche Güter wie
Luft, Wasser und Artenvielfalt einen Preis. Wenn Wasser einen Preis hat, wird
weniger verschwendet; wenn der CO2-Ausstoß etwas kostet, wird weniger
emittiert. Daher müssen Märkte für diese Güter geschaffen oder abgesichert
werden. Um Marktversagen zu beheben, braucht es die Internalisierung exter-
ner Effekte: die VerbraucherIn oder EmittentIn hat so die tatsächlichen Kosten
ihrer individuellen Handlung zu tragen. Dem Leitbild der pragmatischen so-
zialökologischen Transformation folgend braucht es weitere Instrumente jen-
seits des Marktes, wie Steuern, staatliche Förderungen oder Verbote, wie jenes
des Kältemittels FCKW bei Kühlschränken, Fahrverbote, etc. Eine CO2-Steuer
wäre ein erster Schritt hin zu einer umfassenden ökologischen Steuerreform.
Grünes Wachstum und technischer Fortschritt kann zu Win-win-Situationen
führen, grüne Arbeitsplätze schaffen und damit sozialen Zusammenhalt ge-
währleisten. Dem Leitbild einer radikalen sozialökologischen Transformation
folgend sind Wirtschaftswachstum und ökologische Notwendigkeiten nicht
miteinander vereinbar. Es braucht eine Neugestaltung der Interaktion zwischen
Mensch und Natur. Diese Interaktion wird als gesellschaftliches Naturverhält-
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der in 30 Jahren. Der fossile Machtkomplex beruft sich auf Nordhaus, Umwelt-
schützerInnen auf Stern.
Diese Berechnungen verlieren weiter an Eindeutigkeit, wenn verschiedene
Gruppen und Generationen von externen Effekten unterschiedlich betroffen
sind: AnrainerInnen von Flughäfen erleiden die Nachteile eines Ausbaus, die
Tourismusbranche erwartet sich Umsatzsteigerungen. Auch die Berücksichti-
gung von Langzeiteffekten und die Quantifizierung komplexer Phänomene
sind schwierig: Wie ist der Verlust von Arten, Grundwasser oder Ökosystemen
sowie die Erwärmung des Planeten zu kalkulieren? Was ist der Preis für die
Rettung vom Aussterben bedrohter Arten? Wer trägt die Kosten? Auch die
Annahmen und Werturteile bezüglich der Nachhaltigkeit von beispielsweise
Flugverkehr unterscheiden sich. Für UmweltökonomInnen ist beim aktuellen
Wissensstand der Klimaforschung der Ausbau dieser fossilen Infrastruktur eine
wirtschaftliche Fehlentscheidung. Hingegen jubelt die Tourismusbranche über
kauffreudige chinesische Gäste, die kurzfristig Umsatzrekorde ermöglichen.
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Die ambitionierten Ziele der Europäischen Union für 2030 sind die Senkung
der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent (gegenüber dem Stand
von 1990), die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energiequellen auf mindes-
tens 32 Prozent und die Steigerung der Energieeffizienz um mindestens 32,5
Prozent. Umweltpolitische Instrumente helfen, derartige Ziele der Umwelt-
und Nachhaltigkeitspolitik umzusetzen. Dies zeigt sich beispielsweise an der
dänischen Energiewende. 1970 war Dänemarks Energieversorgung zu 100 Pro-
zent von importierten fossilen Brennstoffen abhängig. Als Folge der Preissteige-
rungen durch den Ölpreisschock 1973 beschloss Dänemark eine neue Energie-
politik, die auf unterschiedliche umweltpolitische Instrumente setzt. 2009 fielen
Dänemarks absolute Emissionen unter das Niveau von 1990, womit es die Ver-
pflichtungen des Kyoto-Protokolls sogar übertraf. So konnten in Dänemark
durch einen parteiübergreifenden politischen Willen und einem Mix an um-
weltpolitischen Instrumenten wichtige Veränderungen eingeleitet werden. Im
Folgenden werden diverse Instrumente genauer vorgestellt: (1) Kommunika-
tionsinstrumente, (2) eine ökologische Steuer- und Förderpolitik und (3) ord-
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trägt deren Marktanteil nur 8,5 Prozent. Am Weltmarkt ist der Anteil von Bio-
Baumwolle bloß ein Prozent. Der Erfolg von Kommunikationsinstrumenten,
die auf verantwortungsbewusste KonsumentInnen setzen, ist daher bescheiden.
Nachhaltige Produkte finden sich weiterhin zumeist in Marktnischen, die sich
einkommensschwächere Gruppen oft gar nicht leisten können. Systemische
Veränderungen werden kaum angestoßen.
Sowohl der Naturschutz als auch Klima- und UmweltschützerInnen, die
dem marktliberalen Leitbild kritisch gegenüberstehen, sehen Appelle an Ver-
nunft, Moral und schlechtes Gewissen als nicht ausreichend an. Transforma-
tion erfordert andere Routinen und andere Leitbilder. Hierzu reichen Kommu-
nikationsinstrumente, die hoffen, individuelle Präferenzen durch einen verbes-
serten Wissensstand zu verändern, nicht aus. Wirklich nachhaltiges Konsumie-
ren sollte zum Wohlbefinden, nicht nur zu Wohlstand beitragen. So setzen
Suffizienzstrategien auf weniger Konsum und mehr Zeitwohlstand. Am Abend
im Park kann die Einsicht dämmern: weniger kann mehr sein. Es kann ressour-
censchonender und gleichzeitig besser gelebt werden, wenn Bedürfnisse mit
weniger Ressourceneinsatz befriedigt werden. Weniger arbeiten und konsumie-
ren, mehr Zeit für Freunde und Familie.
(2) Mit einer ökologischen Steuer- und Förderpolitik können Ressourcen neu
bewertet und verteilt werden. Steuer- und Förderpolitik schaffen Rahmenbe-
dingungen, die zu anderen Entscheidungen führen, auch wenn sich Präferenzen
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nicht ändern. Preisänderungen setzen Anreize für geändertes Konsumverhal-
ten. Ökologisches Umsteuern beginnt mit der Abschaffung von Subventionen
in fossile Energieträger, denn dies setzt öffentliche Mittel für andere Investitio-
nen frei. Derartige Subventionen umfassen unter anderem Absatzbeihilfen wie
die „Abwrackprämie“, die Steuerbefreiung von Kerosin, die Subventionierung
nicht rentabler fossiler Infrastrukturen wie die Mehrzahl der Regionalflughäfen
sowie in Österreich die Steuerbegünstigung auf Diesel. Manchmal verstärken
Subventionen in fossile Energieträger auch Ungleichheiten, da bestehende ka-
pitalstarke Marktführer und deren nicht-nachhaltige Produktionsverfahren
subventioniert werden – zum Schaden anderer gesellschaftlicher Gruppen.
Darüber hinaus belasten sie die Leistungsbilanz und erhöhen die Abhängigkeit
von Energielieferanten (insbesondere aus Russland und dem Nahen Osten).
Gleichzeitig leiden der Nahe Osten und Teile Afrikas unter dem „Hunger“
kaufkraftstarker Gruppen nach Öl, Gas und anderen Rohstoffen.
Eine wesentliche Subventionierung für fossile Energieträger ist die globale
Transportinfrastruktur, die auf fossilen Energieträgern aufbaut. Davon profitie-
ren wesentlich transnationale Unternehmen, denn ein Gutteil des Welthandels
wird zwischen Mutter- und Tochterfirmen und in globalen Produktionsnetz-
werken abgewickelt. Die dafür notwendigen LKWs, Flugzeuge und Fracht-
schiffe sind von Straßen, Flughäfen und Häfen abhängig. KonsumentInnen
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profitieren von geringeren Preisen. Aber einen Gutteil der externen Effekte des
höhen CO2-Ausstoßes tragen weder sie noch die transnationalen Unterneh-
men. Deshalb könnte eine Abschaffung von Subventionen für fossile Brenn-
stoffe zwar zu steigenden Preisen vieler Konsumgüter führen, hätte aber gleich-
zeitig vielfältige positive Effekte. Einer IWF-Studie folgend brächte ein welt-
weiter Ausstieg aus fossilen Subventionen finanzpolitische Vorteile von vier
Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, also ungefähr drei Billionen Euro. Die
weltweiten CO2-Emissionen würden um 21 Prozent sinken – die Reduktion des
Kohleverbrauchs würde hiervon 61 Prozent ausmachen. Die Zahl der durch
Luftverschmutzung verursachten Todesfälle könnte sich, diesem Modell fol-
gend, um 55 Prozent reduzieren.
Neben einer Abschaffung fossiler Subventionen kann eine ökologische
Steuerreform das Verursacherprinzip weiter zur Anwendung bringen, was
grundsätzlich von allen Leitbildern begrüßt wird. Kostbare Ressourcen, insbe-
sondere fossile Energieträger, werden höher besteuert. Dies bringt Steuerein-
nahmen und damit öffentliche Mittel für zukunftsfähige Investitionen. So
führte Dänemark bereits 1992 eine Steuer auf Kohle, CO2, Erdgas und Schwefel
ein, wodurch die Energieeffizienz verbessert und die langfristige Rentabilität
von Investitionen in erneuerbare Energieträger garantiert wurde. Ein Großteil
der daraus erzielten Einnahmen von 25 Milliarden Euro (von 1980 bis 2005)
wurde in die Energieforschung (besonders in Windkraft) zurückgeleitet. Folg-
lich wurden die CO2-Steuern zum dänischen Wettbewerbsvorteil, da sie früh-
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zeitig zu einem Umsteuern führten.
Schließlich können aus derartigen Steuereinnahmen, ebenso wie durch die
aus der Abschaffung von fossilen Subventionen frei gewordenen Mittel, öffent-
liche Förderungen treten. Beispielsweise für kohlenstoffarme Energieerzeugung
wie Windenergie und Photovoltaikanlagen. Dies würde private Investitionsent-
scheidungen und -erwartungen zu Gunsten erneuerbarer Energien und „grü-
ner“ Jobs beeinflussen. So förderte Dänemark mit Unterbrechungen lokales
und kooperatives Eigentum an Windparks, weshalb KleinanbieterInnen we-
sentlich zur Energiewende beitragen konnten. Ebenso können Investitionen in
nachhaltige Mobilitätssysteme fließen. Da von ausgebauten öffentlichen Ver-
kehrsmöglichkeiten vor allem einkommensschwächere Gruppen profitieren,
ergeben sich positive Verteilungseffekte. Auch die Förderung eines Mobilitäts-
passes, der das Benützen aller öffentlichen Verkehrsmittel in einem Gebiet
(einer Stadt, Region oder im ganzen Land) kostengünstig anbietet, kann An-
reize setzen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen (vgl. Sozialökologische
Steuerreform). Dies wären erste Schritte hin zu einem transformierten Mobili-
tätssystem, das ohne fossile Energieträger auskommt.
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Zukunftsfähige Wirtschaft
Die derzeitige Art zu wirtschaften und zu arbeiten hat in großen Teilen der
Welt beeindruckenden sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt gebracht und
gleichzeitig viele soziale und ökologische Probleme verursacht. Es braucht da-
her die Veränderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, Institutionen und
wirtschaftspolitischer Instrumente sowie das Bewahren von erfolgreichen und
nachhaltigen Formen des Produzierens und Konsumierens. Doch was muss
bewahrt, was verändert werden? Das folgende Kapitel untersucht: (1) Strategien
zur Stabilisierung der Wirtschaft. Dazu zählt die nachhaltige Regulierung des
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Finanzsektors sowie Maßnahmen, die die Realwirtschaft stärken und Unter-
nehmen bei der Umsetzung zukunftsfähiger Geschäftsmodelle unterstützen.
(2) Verschiedene Vorschläge für einen New Deal für das 21. Jahrhundert, wel-
che ökonomische, ökologische und soziale Zielsetzungen in unterschiedlicher
Weise verbinden und verschiedenen Implementationsstrategien folgen.
(3) Degrowth als eine radikale Vision, die sich, im Gegensatz zu den Vorschlä-
gen eines New Deals, explizit von Wirtschaftswachstum verabschieden will.
(4) Soziale Innovationen, die darauf abzielen Veränderungen „von unten“ an-
zustoßen. (5) Systemische Innovationen, die Initiativen „von unten“ mit denen
„von oben“ verbinden um weitreichende Veränderungsprozesse zu befördern.
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Private (Haushalte und Unternehmen) sparen oder sparen Private, weil sich der
Staat verschuldet? Wessen Investitionen werden dabei verdrängt? Je nachdem,
wie diese Frage beantwortet wird, ergeben sich unterschiedliche wirtschaftspo-
litische Empfehlungen.
Marktliberale begründen bei dieser Frage ihre Sichtweise mit neoklassischen
Argumenten: Wenn der Staat sich verschuldet, gehen rational agierende private
AkteurInnen davon aus, dass sie deshalb in der Zukunft höhere Steuern zahlen
müssen. Deshalb sparen sie tendentiell vorausschauend. Erhöhen sie trotzdem
ihre Nachfrage, dann erhöht dies auch die Importe, was zu Leistungsbilanzdefi-
ziten führt. Weil das Haushaltsdefizit (1) zum Sparen und zu Investitionszu-
rückhaltung von privaten Akteuren und/oder (2) steigenden Leistungsbilanz-
defiziten führt, muss es beschränkt werden. Es braucht genau die Austeritäts-
politik, wie sie in den letzten Jahren durchgesetzt wurde. Die entstehenden
sozialen Kosten sind unvermeidbar, denn ohne Haushaltsdisziplin heute wären
die sozialen Kosten für die Sanierung öffentlicher Haushalte in der Zukunft
deutlicher höher.
Aus keynesianischer Perspektive ist es umgekehrt: der Staat verschuldet
sich, weil Private sparen, was darin begründet sein kann, dass sie eine Rezession
befürchten und bezüglich zukünftiger Entwicklungen verunsichert sind. Pessi-
mismus ist oft das Resultat einer verbreiteten, sich verstärkenden Stimmung
(Herdentrieb), die zu sinkender Nachfrage und in der Folge zu sinkenden
Staatseinnahmen führt. Das kann zu einem gefährlichen Teufelskreis bis hin zu
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einer Wirtschaftskrise führen. Um dies zu verhindern und die Gesamtwirt-
schaft zu stabilisieren, hat der Staat zwei Alternativen: (1) Er kann antizyklisch
agieren, seine Ausgaben aufrechterhalten und ein Haushaltsdefizit akzeptieren.
Er investiert, während Private sparen und versucht durch Staatsverschuldung
eine tiefe Rezession zu verhindern. (2) Er kann prozyklisch agieren und seine
Ausgaben ebenso wie der private Sektor kürzen. Damit verhindert er vorerst
eine Staatsverschuldung. Jedoch kommt es möglicherweise zu einer Abwärts-
spirale, die dann die Staatsverschuldung durch sinkende Steuereinnahmen
erhöht. Der Keynesianismus plädiert deshalb für Variante (1).
In der keynesianischen Analyse sind national unterschiedliche Entwicklun-
gen der Lohnstückkosten eine weitere Ursache von Leistungsbilanzdefiziten. Sie
wirken innerhalb eines gemeinsamen Währungsraums besonders destabilisie-
rend. Hat ein Land besonders niedrige Lohstückkosten, so stützt dies die eigene
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern. In letzteren sinken die Ex-
porte, die Beschäftigung und Steuereinnahmen im Inland gehen tendentiell
zurück. Wenn nun Private keine Kredite aufnehmen, um ihr Konsumniveau zu
stabilisieren, bleiben dem Staat wiederum Optionen (1) und (2). Der Staat hat
somit immer die Rolle, die Defizite bzw. Überschüsse anderer Sektoren aus-
zugleichen.
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Direkt nach der Finanzkrise 2008 intervenierte ein Großteil aller Staaten mit
beträchtlichen öffentlichen Ausgaben. Doch danach unterschieden sich die
wirtschaftspolitischen Reaktionen erheblich. Während die Länder Süd- und
Osteuropas zur Kürzung der Staatsausgaben angehalten wurden, setzte die USA
auf die Strategie, Staatsausgaben antizyklisch zu erhöhen. Die US-Regierung
sah eine erhöhte Staatsverschuldung als geringeres Übel im Vergleich zu einer
destruktiven Spirale aus sinkendem Konsum und zurückgehenden privaten
Investitionen. Auch die Strategien im Umgang mit Leistungsbilanzungleichge-
wichten unterschieden sich. Die Ungleichgewichte, welche in Teil 2 anhand von
Spanien und Deutschland dargestellt wurden, gibt es seit langem auch global.
Die USA weisen seit den 1980er Jahren, so wie Spanien bis vor wenigen Jahren,
hohe Leistungsbilanzdefizite auf. Die US-Defizite sind besonders hoch im Han-
del mit China und Deutschland. Um ihr Defizit zu senken, verteuert die US-
Regierung seit 2018 mittels Strafzöllen die Einfuhr diverser Waren, was zu Ge-
genmaßnahmen Chinas geführt hat: Zollerhöhungen auf importierte US-ame-
rikanische Waren und eine Abwertung des Yuan, der chinesischen Währung.
Außerhalb gemeinsamer Währungssysteme sind Währungsabwertungen kurz-
fristig wirksame Maßnahmen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen
und Leistungsbilanzungleichgewichte auszugleichen: Sie verbilligen die eigenen
Exporte und verteuern die Importe. Die USA kritisieren diese vermeintlich
politische Steuerung des Wechselkurses durch China als Maßnahme eines
„Wirtschaftskrieges“.
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Als Folge dieser Handelskonflikte gehen die deutschen Exporte mittlerweile
tatsächlich zurück, und es droht in Deutschland 2019 eine Rezession. Um einen
Wirtschaftseinbruch zu vermeiden, forderten deshalb hochrangige Vertreter
der deutschen Industrie ein Ende der staatlichen Sparpolitik. Ansonsten drohe
ein Wirtschaftseinbruch und erhöhte Arbeitslosigkeit. Tatsächlich gibt es bei
sinkenden Leistungsbilanzüberschüssen nur die Möglichkeit, dass Haushalte
weniger sparen (sie sind aber in Deutschland traditionellerweise Sparer), Un-
ternehmen mehr investieren oder sich der Staat verschuldet. Die deutsche Poli-
tik kann an der Politik der vergangenen Jahre festhalten und weiter Staatsver-
schuldung um jeden Preis verringern. Aus keynesianischer Perspektive droht
dann eine Rezession, die sich verstärken kann. Oder die deutsche Politik ent-
scheidet sich, aufgefordert durch hochrangige InteressenvertreterInnen, für den
US-amerikanischen Weg der Konjunkturankurbelung und verabschiedet sich
von der Austeritätspolitik. Letzteres wäre überraschend, denn es war Deutsch-
land, das die Regeln der europäischen Wirtschaftspolitik wesentlich geprägt hat:
Seit der Einführung der EU-Konvergenzkriterien in den 1990er Jahren ist die
Reduktion der Staatsverschuldung neben Wachstum ein wirtschaftspolitisches
Oberziel der EU.
Aus keynesianischer Perspektive können Leistungsbilanzungleichgewichte
innerhalb der EU langfristig nur durch eine EU-weite gemeinsame und koordi-
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nierte Geld- und Fiskalpolitik rückgeführt bzw. vermieden werden. Mit einer/
einem EU-FinanzministerIn und einem Europäischen Währungsfonds würden
erste Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die EU-Staaten ihre Finanz- und
Außenwirtschaftspolitik besser koordinieren. Hilfreich wäre beispielsweise ein
gemeinsamer Fonds zur Finanzierung antizyklischer Staatsausgaben. Durch
produktivitätsorientierte Kollektivvertragsabschlüsse und EU-weite Mindest-
löhne könnten die Lohnstückkosten unter Berücksichtigung unterschiedlicher
nationaler Produktivitätsentwicklungen angeglichen und damit Leistungsbilanz-
ungleichgewichten entgegengewirkt werden. In Ländern mit vergleichsweise
niedrigen Reallohnsteigerungen würde diese Strategie darüber hinaus die Nach-
frage stimulieren. Sanktionen sollten aus keynesianischer Perspektive auch
hohe Leistungsbilanzüberschüsse treffen, nicht nur Leistungsbilanzdefizite.
Eine weitere keynesianische Strategie zur Reduktion der Leistungsbilanzun-
gleichgewichte wäre eine Erhöhung der niedrigen Einkommen in Ländern mit
stagnierenden Reallöhnen. In Deutschland hätten Reallohnsteigerungen die
nationale Kaufkraft erhöht und damit den Absatzmarkt auch für ausländische
Exporteure vergrößert. Dies hätte die Nachfrage nach Importen aus Süd- oder
Osteuropa erhöht, was diesen Ländern wiederum geholfen hätte, ihre Krise
besser zu bewältigen.
Die Finanzialisierung war ein wichtiger destabilisierender Faktor für die
Krise 2008. Trotzdem halten Marktliberale oftmals weiterhin an einer Wirt-
schaftspolitik der möglichst weitgehenden Liberalisierung des Wirtschaftsle-
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bens fest. Demnach gilt es, die derzeitige Wirtschaftsordnung noch weiter an
das Ideal einer umfassenden liberalen Markt- und Eigentumsordnung anzunä-
hern. Die negativen Effekte der Finanzialisierung sind Folge falscher staatlicher
Interventionen gewesen: dies gilt insbesondere für die Rettung insolventer Ban-
ken durch den Staat sowie die zu lockere Geldpolitik. Demnach geht es weiter-
hin darum, die aktuelle angebotsorientierte Wirtschaftspolitik fortzusetzten
und weiter zu verbessern. Politisch motivierte Fehlallokation von Ressourcen
(z. B. durch einen Kündigungsschutz, der „teurere“, zumeist ältere Beschäftigte
schützt und die Anstellung qualifizierter junger Beschäftigter erschwert) muss
vermieden werden, um eine effizientere Wirtschaftsstruktur zu schaffen. Ober-
ziel ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Im Detail bedeutet dies (1) eine
unternehmensfreundliche Wirtschaftsordnung, die private Investitionen för-
dert und im Standortwettbewerb attraktive Bedingungen für transnationale
Unternehmen und Investoren schafft. Notwendig ist allgemein eine geringere
Steuerlast, insbesondere für Unternehmen und bei Investitionen. (2) Die
Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Deregulierung des Arbeitsmarkts sowie
die Förderung der Selbständigkeit, insbesondere durch Änderungen der Ge-
werbeordnung. (3) Eine strenge Haushaltsdisziplin der öffentlichen Hand
durch Ausgabenkürzungen, Entbürokratisierung der Verwaltung und gegebe-
nenfalls eine Erhöhung indirekter Steuern (Verbrauchssteuern). (4) Eine Pensi-
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Im Gefolge der Wirtschaftskrise 2008 reißen die Bemühungen nicht ab, einen
New Deal für das 21. Jahrhundert vorzuschlagen. Diese Vorschläge für einen
großen neuen Gesellschaftsvertrag schließen an die Reform des liberalen Kapi-
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talismus an, die US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren ein-
leitete. Kern des New Deals war eine strenge Regulierung der Finanzmärkte,
eine wachstums- und beschäftigungsfördernde Wirtschaftspolitik sowie ein
nationales System sozialer Absicherung. Auf Basis dieser historisch erfolgrei-
chen Erfahrung wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Variationen
eines neuen New Deals vorgeschlagen: (1) Im Rahmen der UN-Institutionen
erarbeitete zuerst das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) einen
Global Green New Deal und danach die Konferenz der Vereinten Nationen für
Handel und Entwicklung (UNCTAD) einen Global New Deal. (2) Es folgte ein
ambitionierter Green New Deal für die USA und (3) ein europäischer Green
Deal.
(1) UNEP propagierte direkt nach Ausbruch der Finanzkrise einen Global
Green New Deal, der dem Leitbild der pragmatischen sozialökologischen Trans-
formation folgt. Ziel war, die Wirtschaft zu beleben und gleichzeitig ökologi-
sche Herausforderungen zu meistern. Die Finanz- und Klimakrise sollte durch
eine Stärkung einer Grünen Ökonomie gelöst werden. Grünes Wachstum sollte
die Wirtschaft beleben und gleichzeitig umweltpolitische Zielsetzungen verfol-
gen. Verteilungskonflikte wurden bei diesem Vorschlag kaum behandelt.
Der Global New Deal, den UNCTAD in ihrem Handels- und Entwicklungs-
bericht 2017 vorschlägt, will die Möglichkeit eigenständiger Entwicklungswege
erhöhen. Länder sollen in der Lage sein, eigene Wirtschaftsstrategien zu verfol-
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gen. Konkret schlägt die UNCTAD unter anderem vor: die Förderung öffentli-
cher Investitionen, Mindestlöhne, ein globales Finanzregister gegen Steuerbe-
trug, erhöhte Mittel für Entwicklungszusammenarbeit sowie ein Überdenken
der Handels- und Investitionsabkommen. Nachträgliche Sozialtransfers, ergän-
zende Einkommensunterstützungssysteme und progressive Steuermaßnahmen
sollen potentiellen Verteilungskonflikten entgegenwirken. In diesem Sinne
stellt er mögliche Verteilungskonflikte, die der UNEP-Vorschlag nicht berück-
sichtigte, ins Zentrum. Seine wohlfahrtsstaatliche Ausrichtung vernachlässigt
jedoch ökologische Zielsetzungen. Der Global New Deal stellt dezidiert einen
internationalen Ansatz dar. Während nationale und regionale Ebenen in der
Regel die wichtigsten Orte für transformative Entwicklungsstrategien sind, er-
fordern die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eine länderübergreifende
politische Koordinierung. Nur so kann sichergestellt werden, dass nationaler
und regionaler Standortwettbewerb, der zumeist in einer Abwärtsspirale von
Sozial- und Umweltstandards mündet, vermieden werden. Eine Beschränkung
des unbegrenzten Kapitalverkehrs ist eine Grundvoraussetzung, um Regierun-
gen genügend Raum zu bieten, ihre Politik an die örtlichen Bedingungen und
Fähigkeiten anzupassen und Einkommen für nachhaltige öffentliche Investi-
tionen zu generieren.
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(2) Aktuell wird in den USA ein Vorschlag für einen Green New Deal disku-
tiert, der aus der Demokratischen Partei kommt und dem Leitbild einer prag-
matischen sozialökologischen Transformation folgt. Dieser New Deal soll
gleichzeitig nachhaltig und gerecht sein, Dekarbonisierung ermöglichen und
Ungleichheiten reduzieren. Märkte und neue Technologien alleine seien nicht
in der Lage, eine gerechte sozialökologische Transformation zu befördern. Mit
sozialpolitischen Maßnahmen wie dem Ausbau sozialer Sicherungssysteme
(z. B. leistbares Wohnen, Sozial- und Krankenversicherungen, Arbeitnehmer-
schutz-, Alterssicherungs- und Gesundheitssysteme), aber auch dem Recht auf
einen Arbeitsplatz („job guarentee“)‚ für jene ArbeiterInnen aus ehemals fossi-
len Energiebranchen sollen Zukunftsängste gerade bei jenen reduziert werden,
die in den vergangenen Jahrzehnten am wachsenden Wohlstand nicht teilhaben
konnten und von den notwendigen Veränderungen oftmals überproportional
betroffen sind. Ein offener und fairer Zugang zu Bildung soll helfen, die Ein-
kommen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung zu erhöhen. Damit rückt er
potentielle Verteilungskonflikte ins Zentrum. Der Green New Deal setzt erste
konkrete Schritte für eine sozialökologische Transformation wie intelligente
Stromnetze, thermische Sanierung des Gebäudebestands, technisch einfache
Lösungen, die die Kohlenstoffspeicherung im Boden erhöhen und eine aktive
sozialökologische Industriepolitik. Diese Maßnahmen sollen die heimische
Wirtschaft stärken und regionale Hochlohnjobs – „grüne Jobs“ für „gutes Geld“
– schaffen.
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Dieser derzeit in den USA propagierte Green New Deal stellt sich dezidiert
dagegen, Veränderung „von oben“ zu verordnen. Regionale und lokale Kon-
texte sind verschieden, klimatische Veränderungen betreffen Orte und soziale
Gruppen unterschiedlich (vgl. Teil 2 Planetarischen Grenzen) – dem muss bei
der Umsetzung des Green New Deals Rechnung getragen werden. Daher ist er
in vielen Aspekten kleinteilig und dezentral. Maßnahmen sollen lokal und
selbstbestimmt ausgestaltet werden, um sicherzustellen, dass unterschiedliche
Perspektiven in die Gestaltung von Transformationsprozessen miteinbezogen
werden. Zum Beispiel soll die Zusammenarbeit mit Landwirten und Viehzüch-
tern helfen, neue Landnutzungspraktiken zu erforschen und alte wiederzubele-
ben. Lokale Gemeinschaften sollen mit öffentlichen Förderungen für selbstde-
finierte Projekten und Strategien unterstützt werden.
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Degrowth
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Degrowth ist radikal, es packt die Probleme an der Wurzel. Daher ist
Degrowth modernisierungs- und kapitalismuskritisch. Es sucht nach alternati-
ven Wirtschaftsmodellen jenseits kapitalistischer Marktgesellschaften und ei-
nem Verständnis von Wohlbefinden jenseits westlicher Konsumgesellschaften.
Wirtschaftsentwicklung soll wieder vor allem auf die Produktion der Grundbe-
dürfnisse ausgerichtet werden: Kleinräumige Wirtschaftsstrukturen fördern
(„Small is beautiful“), Werbung verbieten, um Konsumismus zu bekämpfen,
die Eigenproduktion fördern, um Bedürfnisse vermehrt eigenverantwortlich zu
befriedigen. DIY-Initiativen („Do it yourself“), eine Reduktion des gesellschaft-
lichen Arbeitsvolumens und neue Formen der Arbeit, die der Erwerbsarbeit
ihren zentralen Stellenwert nehmen, gewinnen an Bedeutung. Degrowth ist
keine klar definierte Theorie oder Bewegung. Es gibt keinen vorgezeichneten
Weg. Vielmehr ist Degrowth eine Suchbewegung, die mit diversen sozialen
Innovationen experimentiert (vgl. Soziale Innovationen) und teilweise auch
staatlich-planerische Aspekte enthält (Arbeitsteilen, grüne Steuern und öffentli-
ches Geld). Sie hat Gemeinsamkeiten mit der Commons-Bewegung und der
Sharing Economy (vgl. Soziale Innovationen), der solidarischen Ökonomie
(eine Wirtschaftsform, bei welcher Geld als Bewertungs- und Zahlungsmittel
ganz oder teilweise durch andere Vereinbarungen ersetzt wird) und der Transi-
tion-Town-Bewegung (städtische Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen für
einen Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft).
Die Kritik an Degrowth richtet sich vor allem gegen das Wie der Verände-
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rungen. Marktliberale und VertreterInnen des Wohlfahrtskapitalismus kritisie-
ren, dass innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung ein Schrumpfen der
Wirtschaftsleistung direkte Auswirkungen auf Einkommen und Sozialleistun-
gen hätte. Es könne zu Wirtschaftskrisen, Rezessionen oder sogar Depressionen
kommen. Während sich so Umweltindikatoren verbessern, wären die sozialen
Kosten eines Übergangs zu Degrowth vermutlich hoch. Szenarien, wie Wohl-
stand ohne Wachstum stabilisiert werden kann, konnten noch nicht erprobt
werden. Das aktuelle Niveau an Sozialleistungen sowie staatlicher Umvertei-
lung wäre vermutlich nur schwer aufrecht zu erhalten. So bleibt unklar, wie
Degrowth ohne hohe soziale Kosten und demokratischen Widerstand um-
gesetzt werden kann.
Soziale Innovationen
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(„für weniger (Geld) mehr zu bekommen“) bis zu radikalen Formen von sozia-
ler Innovation, die eine sozialökologische Transformation anstreben. Im Fol-
genden werden vier Felder sozialer Innovationen vorgestellt, in denen dieses
Spannungsverhältnis deutlich wird: (1) Commons (2) die Ökonomie des Tei-
lens, (3) die Kreislaufwirtschaft und (4) ein neues Arbeitsverständnis.
(1) 2009 erhielt Elenor Ostrom den Nobelpreis für ihre Arbeiten zu Commons
(Gemeingüter). Commons sind Ressourcen wie Nahrung, Energiequellen, Was-
ser, Land und Wissen. Es gibt viele historische Beispiele, wie Gemeingüter ge-
meinschaftlich genutzt werden können, ohne dass knappe Ressourcen geplün-
dert werden. Es braucht jedoch klare Regeln, die Kooperation fördern und
Fehlverhalten bestrafen. Gibt es diese, dann können Ökosysteme jahrhunder-
telang gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Erfolgreiche Beispiele sind die
alpine Almwirtschaft und der Umgang mit Fischgründen. Wer darf wann mit
wie vielen Kühen in die Berge? Wer darf wann wie viele Fische fangen? Com-
mons brauchen keine perfekten Menschen. Basierend auf Regeln, die auch
festlegen, wer von der Nutzung ausgeschlossen ist, und Sanktionen für Fehlver-
halten entstehen Routinen des Wirtschaftens, in denen Zusammenarbeit im
Vordergrund steht. Commons beschreiben Wirtschaften „jenseits von Markt
und Staat“. Ostrom zeigt anhand detaillierter Fallstudien, dass sich diese histo-
rische Organisationsform nicht nur gegenüber der Bereitstellung durch Private,
sondern auch durch den Staat unter Umständen als überlegen erweist. Dass
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dies auch heute funktioniert, zeigt die Creative-Commons-Plattform, welche
kostenlose Copyright-Lizenzen anbietet, mit denen Inhalte und kreative Arbei-
ten auf einfache und standardisierte Weise geteilt und genutzt werden können.
Ostrom leistete damit einen wichtigen Beitrag zu einem sozioökonomischen
Verständnis von Wirtschaft, in dem Institutionen entscheidend sind, um Rah-
menbedingungen des Wirtschaftens festzulegen.
Die Theorie der Commons hat zu einer Commons-Bewegung geführt, de-
ren VertreterInnen oft mit der Degrowth-Bewegung sympathisieren. Laut Silke
Helfrich und David Bollier geht es darum, dass alle Mitglieder einer Gesell-
schaft Gemeingüter nutzen können und diese für zukünftige Generationen
erhalten bleiben. In dieser Version stehen weniger die Regeln, die Nutzung und
Ausschluss klären, sondern Nachhaltigkeit und die Mitverantwortung für ge-
meinsame Ressourcen im Zentrum. Der eigene Lebensraum wird gemeinsam
gestaltet und vertrauensvolle soziale Beziehungen gestärkt. So werden bei Ur-
ban Gardening auf kleinen städtischen Flächen Gärten angelegt, die gemeinsam
und eigenverantwortlich betreut werden. Dabei geht es um Praktisches wie
einen Platz im Grünen und gesundes Essen, sowie um eine neue Beziehung von
Natur und Stadt, Agri-Kultur. Im Kleinen experimentieren die Initiativen in
Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten, in intergenerationalen und inter-
kulturellen Gärten mit einem Gegenentwurf zur Vereinsamung und Vereinze-
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(2) Die Ökonomie des Teilens – die Sharing Economy – basiert auf der Idee
von „Teilen statt Besitzen“, die Grundlage einer neuen kooperativen und res-
sourcenschonenden Wirtschaftsweise sein kann. Als radikale Idee orientierte
sie sich ursprünglich am Teilen und „Genug Haben“ (Suffizienz). In Vorzeige-
modellen wurde ausprobiert, wie ein „gutes Leben“ mit weniger Konsum mög-
lich wird. Es zeigte sich, dass es viele Möglichkeiten des Teilens und der gegen-
seitigen Hilfe gibt, die im Freundeskreis schon lange üblich sind. Nachbar-
schaftshilfe aller Art, Babysitten, Auto-Teilen (Carsharing), das Verleihen der
Wohnung an Bekannte, das Austauschen von Werkzeugen, etc. Innovativ ist
die Idee von Zeitbanken, in denen Zeit, nicht Geld getauscht wird: zum Beispiel
Nachhilfe geben gegen Haare schneiden, Buchhaltung machen gegen Babysit-
ting.
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Die Sharing Economy ist eine soziale Innovation, die mit einer technologi-
schen Innovation eng verbunden ist: Digitale Plattformen vernetzen Teilneh-
mende untereinander und nutzen und verarbeiten dabei ihre Daten. Sie sind
damit effiziente Informationsverarbeitungsmaschinen, deren Wert von der
Anzahl der Teilnehmenden abhängt. Digitale Plattformen organisieren Teilen
als Markt und reduzieren die Transaktionskosten. Gibt es zentrale Anbieter,
wird es leichter, jemanden zu finden, der tauschen will: Ebay und Willhaben
sind Tauschplattformen, auf denen Güter günstig erstanden werden können.
Diese Plattformen digitalisieren Second-Hand-Läden. Produkte werden nicht
weggeworfen, sondern auf einfache Weise weitergenutzt. Damit verliert zwar
Besitzen und Eigentum an Bedeutung, nicht unbedingt aber der Konsum.
Wenn man sein Geld nicht im Besitz bindet, dann kann sogar mehr konsumiert
werden.
Digitale Plattformen entstanden als soziale Innovationen „von unten“, aus
der Zivilgesellschaft oder von innovativen UnternehmerInnen. Heute sind sie
zumeist „winner-takes-all“ Märkte, in denen erfolgreiche Unternehmen einen
großen Teil der Renten und Extra-Gewinne erzielen und MitbewerberInnen
aus dem Markt drängen. Das Geschäftsmodell von Marktführern ist die Schaf-
fung von Oligopolen (wenige Anbieter) und Monopolen (nur ein Anbieter):
Google dominiert die Internetsuche (90% der Suchanfragen weltweit), Amazon
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wickelt fast die Hälfte des Online-Handels in Österreich und Deutschland ab.
In bestimmten Bereichen hat sich eine radikal transformatorische Idee – Teilen
statt Besitzen – in ein marktliberales Modell verwandelt. Die Beliebtheit der
Plattformen beruht darauf, mit niedrigeren Kosten und auf bequeme Weise
Zugang zu Gütern zu bekommen. Der betriebswirtschaftliche Erfolg der Platt-
formen beruht wesentlich darauf, dass ein besonders kostbares Gut – die erhal-
tenen NutzerInnendaten – nicht geteilt werden, sondern Privatbesitz der Platt-
formbetreiberInnen werden.
Es gibt daher Kritik an digitalen Plattformen wie ihre Tendenz zur Konzent-
ration, Datenmissbrauch oder schlechte Arbeitsbedingungen. Es entstanden
Gegenbewegungen, die versuchen digitale Märkte zu regulieren. Zum Beispiel
versuchen Städte, Mengenbeschränkungen festzulegen, weil bestimmte Stadt-
teile massiv unter Airbnb-Vermietung und Massentourismus leiden. Airbnb
argumentiert, dies verletze den Binnenmarkt, die Stadtverwaltungen betonen
die sozialen Kosten dieses Geschäftsmodells. Gleichzeitig gibt es Versuche,
gemeinwohlorientierte Alternativen aufzubauen. Amsterdam, Venedig, Bo-
logna, Valencia und Barcelona haben ein Pilotprojekt gestartet, fairbnb.coop.
Lokale Plattform-Genossenschaften sind Alternativen zu Airbnb, Uber,
Helpling und Co. Sie schaffen lokale statt globaler Wertschöpfung, binden Sta-
keholder ein und eignen sich private Daten nicht an. Ob dieses Geschäftsmodell
betriebswirtschaftlich bestehen kann, wird sich zeigen.
Ein zweites Beispiel der Sharing Economy ist Carsharing, das die Idee, zu
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teilen statt zu besitzen, auf die Autonutzung anwendet. Die Attraktivität für
eine sozialökologische Transformation besteht darin, dass der Privatbesitz eines
PKWs hohe ökologische und ökonomische Kosten verursacht. Geteilte Nut-
zungen von Verkehrsmitteln können Geld und Ressourcen schonen. Es ist
erneut eine radikale Idee, die die Abkehr vom fossilen Mobilitätssystem unter-
stützt. Daher wird Carsharing als Beitrag zu einer sozialökologischen Trans-
formation unterstützt. Gleichzeitig sind auch große Autofirmen wie BMW und
Mercedes in den Markt eingestiegen. Eine Studie von ATKearney gibt Einbli-
cke, welche Effekte Carsharing tatsächlich hat. Zwar hat sich die Zahl der Nut-
zerInnen zwischen 2015 und 2018 weltweit von 7 auf 27 Millionen erhöht, doch
ist das Geschäftsmodell „Teilen statt Besitzen“ nur in dicht bevölkerten Stadt-
räumen lukrativ, nicht aber am Stadtrand und im ländlichen Raum. Weiters
geht das häufigere Nutzen von Carsharing auf Kosten des öffentlichen und
nicht des motorisierten Individualverkehrs. Nur fünf Prozent der deutschen
Bevölkerung sind UmsteigerInnen, die bei passenden Begleitmaßnahmen auf
ein eigenes Auto verzichten würden. Das ökologische Oberziel, den Autobesitz
einzuschränken, wird auf diese Weise nicht erreicht. Mit technischen Neuerun-
gen in innovativen Marktnischen alleine wird der Ressourcenverbrauch ver-
mutlich kaum verringert. Technische Innovationen entfalten sich konkret in-
nerhalb bestimmter Machtverhältnisse, Interessen und darauf basierenden
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(3) Mit der Entstehung der Umweltbewegung in den 1970er Jahren entstand
eine Kultur des Wiederverwertens innerhalb einer Gesellschaft, in der Weg-
werfen normal geworden war. Mit öffentlicher Unterstützung entstanden in
vielen europäischen Ländern soziale Unternehmen zur Reparatur und Wieder-
verwertung von Produkten wie Elektrogeräten und Möbeln. Diese verbinden
betriebswirtschaftliche mit gemeinnützigen Zielsetzungen wie der Reintegra-
tion von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Ein Beispiel ist RUSZ, ein
Reparaturzentrum in Wien, in dem Elektrogeräte günstig repariert werden und
damit Elektroschrott reduziert wird. In Belgien und England gibt es ähnliche
Initiativen, die in Netzwerken zusammenarbeiten. Alle diese Initiativen waren
in den 1980er und 1990er Jahren soziale Innovationen „von unten“, die ökolo-
gische mit sozialen Zielen verbanden.
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In den vergangenen Jahren wurde die Idee der Wiederverwertung auch auf
europäischer Ebene aufgegriffen. 2018 verabschiedete die EU ein Maßnahmen-
paket zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. Diese versteht sich als ökologische
Form des Wirtschaftens, die sich vom herkömmlichen linearen Produktions-
prozess verabschiedet: Extraktion natürlicher Ressourcen –> Verarbeitung und
Produktion –> Konsum –> Abfall –> Entsorgung. Dieser Gegenentwurf zur
„Wegwerfgesellschaft“ basiert auf dem Prinzip der Wiederverwertung. Abfall
wird zum kostbaren Rohstoff. In einer Kreislaufwirtschaft können Ressourcen
entweder über einen technischen oder einen biologischen Kreislauf wiederge-
nutzt werden. Dies erfolgt durch Strategien der Wiederverwendung, Reparatur,
Wiederaufbereitung oder (in letzter Instanz) Recycling, das heißt der Um-
wandlung von Abfällen in neue Materialien und Objekte. Die EU-Strategie
fördert Ressourceneffizienz in nachhaltigen Produktionsketten, wobei Müll-
vermeidung und Wiederverwendung von Plastik prioritär sind. Aber auch das
Potential von Recycling ist begrenzt, da eine 100-prozentige Rückgewinnung
aller Materialien aus fertigen Produkten in den allermeisten Fällen technisch
nicht möglich ist. Auch in der Kreislaufwirtschaft sind in den letzten Jahren
vermehrt Großunternehmen aktiv, ökonomische Effizienz gewinnt an Bedeu-
tung, soziale Zielsetzungen treten in den Hintergrund.
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Systemische Innovationen
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den. Das Verbot von FCKW bekämpfte das Ozonloch, das Verbot von DDT
machte Lebensmittel gesünder. Für Klimapolitik, die mit Dekarbonisierung
ernst macht, hieße dies, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Infrastruk-
turen weiterhin öffentlich finanziert werden: fossile Infrastrukturen wie den
Ausbau von Flughäfen oder nachhaltige Infrastrukturen wie den Ausbau des
öffentlichen Verkehrs.
Politische Entscheidungen hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu
treffen, ist aber überhaupt nur möglich, wenn politische Handlungsspielräume
vorhanden sind. Doch genau diese wurden in der neoliberalen Globalisierung
eingeengt. Im folgenden Kapitel werden Strategien untersucht, politische
Handlungsspielräume durch eine zukunftsfähige Weltordnung zurückzuge-
winnen.
Zukunftsfähige Weltordnung
In den letzten 200 Jahren haben die Wellen der Globalisierung Wirtschaften
und auch unser Alltagsleben durch Handel sowie Kommunikations- und
Transporttechnologien weltweit verbunden. Ökonomische Ungleichheiten
zwischen unterschiedlichen Nationen haben sich verringert und viele hunderte
Millionen Menschen konnten vor allem in Indien und China der schlimmsten
Armut entkommen. In vielen Weltregionen hat sich der Lebensstandard ver-
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bessert. Diese Erfolgsgeschichte kapitalistischer Marktwirtschaften hatte aller-
dings immer auch Schattenseiten. Imperialismus und Kolonialismus, der
Kampf um geopolitische Einflussnahme und Ressourcen sowie ökologische
Zerstörung waren stete Begleiter. Nach Jahrhunderten westlicher Vorherrschaft
beansprucht heute vor allem Asien erneut seinen legitimen Anteil am „Kuchen“
des globalen Reichtums, an Ressourcen und Marktanteilen. Die Verschiebung
weltweiter Raumhierarchien zulasten des Westens führt zu verstärkten politi-
schen Unsicherheiten.
Im Folgenden stellen wir (1) das Globalisierungstrilemma von Dani Rodrik
vor. Auf diesem aufbauend präsentieren wir drei politische Alternativen, wie
dieses aufgelöst werden kann: (2) den Neoliberalismus, (3) den Globalismus
und (4) die planetarische Ko-Existenz. Dabei loten wir aus, inwiefern die jewei-
ligen Strategien geeignet sind, die Weltordnung zukunftsfähig zu gestalten.
Das Globalisierungstrilemma
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(3) Nationale Selbstbestimmung folgt der Idee, dass Nationen das Recht haben,
politische Entscheidungen zu treffen, in die sich andere Nationen oder trans-
nationale Akteure nicht einmischen. Kernbereiche nationaler Selbstbestim-
mung (Souveränität) betrafen im 19. Jahrhundert vor allem Fragen der Kultur,
der Sprache und der Regelung von Migration. Im Zuge der Demokratisierung
weitete sich dies auf Wirtschafts- und Sozialpolitik aus. Parlamentarische De-
mokratie, wie sie Hans Kelsen, Architekt der österreichischen Bundesverfas-
sung von 1920, definierte, ist eine Form liberaler Demokratie im nationalen
Territorium, in dem sich StaatsbürgerInnen als politische Subjekte konstituie-
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Neoliberalismus
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Globalismus
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Planetarische Ko-Existenz
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durch diese ergänzt. Im Unterschied zum Globalismus aber mit klaren Außen-
grenzen.
Dies kann anhand der europäischen Integration gezeigt werden. Die EU
schafft eine supranationale politische Ordnung auf einem im Weltmaßstab
kleinen Subkontinent, dessen Fläche gerade halb so groß ist wie die Brasiliens.
Die Vielzahl kleiner Nationen wäre in Europa ohne internationalen Handel
nicht lebensfähig. Die Vertreter von Variante (1) sehen die EU als eine konti-
nentale Variante des Globalismus, da sie vom selben Anspruch des Kosmopoli-
tismus und der Weltoffenheit getragen ist. Tatsächlich geht es um den Aufbau
einer supranationalen Ordnung. Und doch handelt es sich um Variante (2), da
die europäische Integration ein territoriales, das heißt räumlich begrenztes,
Projekt ist. Daher ist die von Rodrik vorgenommene Zuschreibung als „euro-
päische Variante des Globalismus“ irreführend. Die EU ist eine innovative
Form des Regierens, in der sich Mitgliedsstaaten supranational zusammen-
schließen und eine neue politische Ordnung mit Außengrenzen schaffen. Das
ist grundverschieden von einer den gesamten Globus umspannenden nicht-
territorialen Ordnung. Die EU schafft keine grenzenlose Welt, sondern löst nur
interne Grenzen auf, um neue, aktuell sehr rigide Außengrenzen zu schaffen.
1993 trat der gemeinsame europäische Markt mit seinen vier Freiheiten –
Freiheit des Waren-, Personen- und Kapitalverkehrs sowie von Dienstleistun-
gen – in Kraft. Auf diesen sollte, so das Ziel des damaligen Kommissionspräsi-
denten Jacques Delors, eine Stärkung der politischen und sozialen Zusammen-
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arbeit folgen. Dazu zählt unter anderem eine Harmonisierung der Sozial- und
Steuerpolitik. Hierzu wäre keine Vereinheitlichung der national unterschiedli-
chen Steuersysteme und Wohlfahrtsmodelle notwendig, wohl aber eine Koor-
dinierung und bestimmte Mindeststandards, die Steuer- und Sozialdumping
ausschließen. Dies ist bis heute nur ansatzweise geschehen. Die wirtschaftliche
und rechtliche Integration hat sich vertieft, auch nicht-ökonomische Institutio-
nen haben sich europaweit vereinheitlicht: Zum Beispiel arbeiten Justiz und
Polizei jenseits nationaler Grenzen zusammen. Doch die politische Integration
gemeinsamer demokratischer Entscheidungsfindung ist ins Stocken geraten,
das Vereinigte Königreiche wird die EU voraussichtlich verlassen. Gleichzeitig
ist die Rückfalloption in die Ko-Existenz europäischer Nationalstaaten mit
erneuten Personen- und Warenkontrollen an allen nationalen Grenzen kein
attraktives Szenario. Eine stärkere europäische Integration bleibt erstrebens-
wert. Zu klein sind die Nationalstaaten, zu gewalttätig war die Geschichte des
Nationalismus. Eine realistische Strategie für die Stärkung eines europäischen
Gemeinwesens fehlt allerdings: Dies liegt wesentlich daran, dass das Trilemma
von politischen EntscheidungsträgerInnen innerhalb der EU ignoriert wird. Es
wird so getan, als wäre die Propagierung von Hyperglobalisierung, Freihandel
und Finanzialisierung in der europäischen Außenwirtschaftspolitik vereinbar
mit Demokratie und der fortbestehenden zentralen Rolle der Nationalstaaten.
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Roosevelt überwand mit dem New Deal in den USA der 1930er Jahre nicht
nur die Wirtschaftskrise. Er koppelte das Land, insbesondere den Finanzmarkt,
auch teilweise von der Weltwirtschaft ab. Heute würden wir sagen, er verab-
schiedete sich von der Hyperglobalisierung. Dies ging einher mit der Stärkung
nationaler Institutionen: So gab es beispielsweise vor Roosevelt weder soziale
Sicherungssysteme noch eine mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete
Bundespolizei. Vielleicht ist eine selektive ökonomische Deglobalisierung, ähn-
lich derjenigen Roosevelts, notwendig, um wirksame Schritte hin zu den Verei-
nigten Staaten von Europa zu setzen: zum Beispiel durch europaweites Kapital-
verkehrsmanagement und einem europaweiten Schutz vor Sozial- und Um-
weltdumping. Ist diese Annahme richtig, müssten Europas Entscheidungsträ-
gerInnen die Dominanz des marktliberalen Leitbilds in Frage stellen. Doch, wie
bereits in Ein New Deal für das 21. Jahrhundert diskutiert, scheint selbst der
ambitionierte Green Deal der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen die marktliberale Einseitigkeit nicht zu überwinden. Bleiben Europas
EntscheidungsträgerInnen bei dieser Sichtweise, wird die EU weiter vorrangig
ein europäischer Markt bleiben und zu keiner politischen Union werden.
Gäbe es einen ernsthaften Willen zu einer politischen Union, dann müsste
sich die Europäische Union zu einer Solidargemeinschaft weiterentwickeln:
Alle für eine/n, einer/eine für alle. Dann hätten aber in der Schuldenkrise nach
2008 Gläubiger und Schuldner die Verantwortung für die Eurokrise gemeinsam
tragen müssen. Zum Beispiel durch die Einführung von Eurobonds, das heißt
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gemeinsamen Staatsanleihen mehrerer EU-Mitgliedstaaten, oder einem Euro-
päischen Währungsfonds, der bei Leistungsbilanzproblemen Kredite vergibt.
Tatsächlich wurde die Krise nach 2008 zugunsten der Gläubiger und ihrer
kurzfristigen Interessen gelöst. Doch hat dies die europäischen wirtschaftlichen
Ungleichgewichte zwischen dem Zentrum, zu dem Deutschland und Österreich
gehören, und der Peripherie, zu der Spanien und Griechenland gehören, ver-
stärkt (vgl. Teil 2 Wirtschaftliche Ungleichgewichte und Wirtschaftskrisen). Eine
ähnliche Vorgangsweise im Umgang mit Italien könnte fatale Folgen bis hin zur
Desintegration haben.
Soll der europäische Zusammenhalt nachhaltig gestärkt werden, müsste sich
ein New Deal für das 21. Jahrhundert vom New Deal der 1930er Jahre umfas-
send inspirieren lassen und gleichzeitig über diesen hinausgehen, um ökologi-
sche Aspekte mit zu berücksichtigen. Nachhaltigkeit muss mit Gerechtigkeit
verbunden werden. Politisch bräuchte es eine Kombination aus Bewahren und
Verändern. Kelsen entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Verbindung
von parlamentarischer Demokratie und Grundrechten eine politische Ord-
nung, auf die der Wohlfahrtskapitalismus mit seiner gemischten Ökonomie
aufbaute. Damals wie heute in Opposition zur marktgerechten Demokratie des
Neoliberalismus. Alternativen zur neoliberalen Globalisierung können (1) di-
rekt an Kelsen anschließen und die Stärkung ebendieser nationalen Demokratie
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fordern. Oder sie können sich (2) von Kelsen inspirieren lassen für eine neue
territoriale Ordnung auf EU-Ebene. Dies wäre weniger ein kosmopolitisches
Projekt, sondern vielmehr eine Adaptierung nationaler Institutionen auf euro-
päischer Ebene. Eine Aufwertung des Europäischen Parlaments wäre ein erster
Schritt, ebenso ein erweitertes EU-Budget und eine stärker koordinierte Geld-
und Fiskalpolitik. Die Grundrechte sind in der EU mit der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union rechtlich gut verankert. Probleme treten hier
im Vollzug auf – wie sich an den aktuellen Konflikten der Europäischen Kom-
mission mit Polen und Ungarn zeigt.
Doch hin zu einer europäischen Demokratie ist noch ein weiter Weg. Dabei
steht zumeist die Frage im Zentrum, wie die politischen Kompetenzen inner-
halb eines europäischen Gemeinwesens aufgeteilt sind. Zweifel bestehen, ob
eine zentralisierte europäische Demokratie wünschenswert ist. Der Kern der
Auseinandersetzung zwischen Hayek und Kelsen war aber ein anderer: Steht
die Marktordnung über der Demokratie oder umgekehrt? Im Sinne Kelsens
bräuchte es eine europäische Wirtschaftsverfassung, in der auch die derzeitige
Marktordnung auf demokratischen Weg verändert werden kann. Demokrati-
sche Politik stünde dann erneut wie im Wohlfahrtskapitalismus über der
Marktordnung. Die EU könnte dann das politische Gemeinwesen sein, das in
der derzeitigen Hyperglobalisierung wirksamer als nationale Regierungen die
Marktmacht transnationaler Unternehmen und globaler Finanzmärkte be-
schränkt: Zum Beispiel kann eine Finanztransaktionssteuer kaum in Österreich
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alleine eingeführt werden, wohl aber europaweit. Transnationale Unternehmen
können den österreichischen Markt ignorieren, nicht aber den europäischen.
Somit würde die EU einen geschützten Raum schaffen, in dem nationale, regio-
nale und lokale Besonderheiten nicht an Bedeutung verlieren. In diesem Sinne
bedeutet eine Stärkung der EU nicht Zentralisierung. Nationalstaaten mit ihren
demokratischen und sozialstaatlichen Institutionen bleiben in diesem europäi-
schen Mehr-Ebenen-Modell wichtig; Städte und Regionen werden aufgewertet,
da sie durch die Einschränkung der Marktmacht transnationaler Unternehmen
eigene Entwicklungsstrategien verfolgen können. Es ist fraglich, ob politische
EntscheidungsträgerInnen und nationale Bevölkerungen bereit sind, diesen
Weg zu gehen. Und es ist fraglich, ob die derzeitige Globalisierung mit ihren
viel weitergehenden Verflechtungen politisch ähnlich gestaltbar ist wie dies im
Rahmen des Bretton-Woods-Modells möglich war.
Die stockende europäische Integration zeigt, wie ambitioniert selbst das
Projekt einer supranationalen Union in einem kleinen, historisch verbundenen
Teil der Welt ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass auf globaler Ebene die
gemeinsame Werte- und Interessensbasis nur sehr „dünn“ ist. Es braucht in der
internationalen Kooperation mehr Bescheidenheit und Respekt vor Vielfalt.
Dem trägt eine weniger hierarchische und damit multipolare Weltordnung
Rechnung. Kompetitive Formen der Krisenbearbeitung wie der Kampf um
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Sozialökologische Steuerreform
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fahrtsregimes, wurde das National Health Service (NHS) eingeführt, das allen
BewohnerInnen, nicht nur den StaatsbürgerInnen, Gesundheitsversorgung
kostenlos zur Verfügung stellt.
Doch war die Nachkriegszeit kein Paradies. Bis in die 1960er Jahre domi-
nierten starre Rollenbilder in Familie, Schule und am Arbeitsplatz. Der Sozial-
staat wurde nationalstaatlich verwaltet und tendierte zur Verbürokratisierung.
Mittels Zentralisierung sollten durch ein einheitliches Angebot gleichwertige
Lebensbedingungen hergestellt werden. Dies förderte den Paternalismus und
erschwerte die Beteiligung der BürgerInnen. Lokale Besonderheiten und unter-
schiedliche Präferenzen konnten nur eingeschränkt berücksichtigt werden. So
wuchs der Wunsch nach größerer Autonomie und einem vielfältigeren Ange-
bot an sozialen Dienstleistungen.
Das Versprechen des Neoliberalismus, durch die Privatisierung von Diens-
ten und Infrastrukturen, die Selbstbestimmung der BürgerInnen als Konsu-
mentInnen zu stärken und ein vielfältigeres Angebot herzustellen, war in die-
sem Kontext für viele attraktiv. Die Folge waren größere Unterschiede in der
Qualität der Leistungen, weil zahlungskräftige Bevölkerungsgruppen soziale
Leistungen (z. B. Bildung, Krankenversicherung) in besserer Qualität direkt am
Markt erwerben konnten.
Individuelle Selbstbestimmung kann aber nicht nur über den Markt herge-
stellt werden. Sie ist auch mit erweiterter Teilhabe vereinbar. Ein Beispiel dafür
ist „Housing First“, eine soziale Innovation, die unter Wohnungslosigkeit mehr
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versteht als das Fehlen eines „Dachs über dem Kopf“. Der konventionelle An-
satz der Wohnungslosenhilfe besteht darin, eigene Einrichtungen für Woh-
nungslose zu schaffen, die das Symptom, die Wohnungslosigkeit, wirksam
bekämpfen. Doch diese Großinstitutionen haben mit einer Reihe von Proble-
men zu kämpfen, allen voran relativ hohe Kosten und die geringe Ermutigung
zu Eigeninitiative. Bei Housing First steht die eigene Wohnung nicht am Ende
einer erfolgreichen erneuten Integration, sondern am Anfang. Mit einer eige-
nen Wohnung wird es einfacher, bei weitergehenden sozialen Unterstützungen
auf die aktive Mitarbeit der ehemals Wohnungslosen zu setzen: Angelehnt an
Theorien des Wohlbefindens ist zu beobachten, dass Menschen der Woh-
nungslosigkeit nur dann nachhaltig entkommen, wenn sie es wollen. Sie brau-
chen intrinsische Motivation. Diese wird wesentlich durch das soziale Umfeld,
Familie, Freunde, Schule und Beruf bestimmt. Wohnungslose haben hierbei
oftmals negative Erfahrungen gemacht. Daher braucht es neben dem „Dach
über dem Kopf“ ein soziales Umfeld, das Sicherheit gibt, Vertrauen schafft und
ermächtigt. Sich um die eigene Wohnung zu kümmern, selbstbestimmt Kon-
takte zu knüpfen und einen privaten Rückzugsraum zu haben, fördert Auto-
nomie, Kompetenz und Bezogenheit.
Housing First führt zu guten Ergebnissen bei der Re-Integration von Woh-
nungslosen. Diverse Pilotprojekte sind mittlerweile zu fixen Bestandteilen der
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Alltagsökonomie
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anders funktionieren als globale Märkte für Waren und Dienstleistungen: Vom
Einzelhandel, der InstallateurIn, dem Buchhandel, dem Kaffeehaus bis zu Arzt,
Wasser, Strom, Gas und Straßenbahn. Diese Sektoren repräsentieren mehr als
ein Drittel des BIPs. Gleichzeitig gibt es dafür wenig wirtschaftspolitische Auf-
merksamkeit und kaum theoretische Analysen.
Die Theorie der Alltagsökonomie versteht Wirtschaften als die Organisation
der Lebensgrundlagen: Wie essen, wohnen und erholen sich Menschen? Wie
bewegen sie sich fort, bilden und pflegen sich? Es geht also um die nachhaltige
Bereitstellung der Lebensgrundlagen „vor Ort“, im Dorf, in der Region, der
Nachbarschaft und der Stadt. Dieser Wirtschaftsbereich hat eine infrastruktu-
relle Grundlage, die zwei Bereiche umfasst: (1) Die materielle Infrastruktur
umfasst die Netzwerkinfrastruktur sowie Nahversorgung. Zur Netzwerkinfra-
struktur zählen Gas-, Strom- und Wasserleitungen, Telefon-, Straßen- und
Bahnnetz sowie Abfallentsorgung, öffentliche Räume und Grünräume. Diese
materielle Infrastruktur entstand in Grundzügen im 19. und beginnenden
20. Jahrhundert und wird heute oftmals als selbstverständlich vorausgesetzt –
zumindest bis einmal der Strom ausfällt oder die Straßenbahn nicht fährt. Und
doch muss sie regelmäßig erneuert und angepasst werden: Technologische Ver-
änderungen machen den Zugang zu digitalen Plattformen zu einer wichtigen
Voraussetzung für Teilhabe, die Klimakrise erfordert den Umbau städtischer
Infrastrukturen, um sich vor bedrohlichen Extremwettersituationen wie Hitze
und Starkregen besser schützen zu können. Die Nahversorgung umfasst Einzel-
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handelsangebote, vor allem Lebensmittelläden, Supermärkte und Märkte in der
Nachbarschaft, aber auch der Zugang zu anderen Diensten, die man regelmäßig
braucht, wie Post und Banken. (2) Die soziale Infrastruktur umfasst im Kern
Bildung, Gesundheit und Pflege und wird, je nach Wohlfahrtsregime, unter-
schiedlich organisiert.
An die im deutschen Sprachraum verwendeten Begrifflichkeiten angelehnt
kann Alltagsökonomie auch als Daseinsvorsorge plus (die weiter oben schon
beschriebene) Nahversorgung definiert werden. Beide Begriffe gibt es im Engli-
schen nicht. Daseinsvorsorge (services of general interest) ist ein juristischer
Schlüsselbegriff. Dabei geht es um die Bereitstellung von als für die Sicherung
der Lebensgrundlagen notwendig erachteten Gütern und Dienstleistungen vom
Verkehr, über Wasser- und Elektrizitätsversorgung bis zu Bildungseinrichtun-
gen, Müllabfuhr und Friedhöfen. Was dies genau bedeutet, ist wesentlich kultu-
rell bestimmt, verändert sich im Zeitablauf und ist daher umstritten: Sind
Volksschulen Teil der Daseinsvorsorge, Möglichkeiten der beruflichen Weiter-
bildung nicht? Ist ein Internetanschluss und der Zugang zu digitalen Plattfor-
men heute notwendig für die gesellschaftliche Teilhabe? Der Staat kann diese
Leistungen selber bereitstellen oder andere beauftragen. Daseinsvorsorge ist ein
Bereich, der in letzter Zeit vermehrt durch Handels- und Investitionsabkom-
men geregelt wird (vgl. Teil 2 Historische Phasen wirtschaftlicher Entwicklung).
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Die Theorie der Alltagsökonomie analysiert nicht nur, aus ihr leiten sich
auch wirtschaftspolitische Vorschläge ab, wie Wohlfahrt und Wohlbefinden
durch eine Stärkung der Alltagsökonomie anders gefördert werden können als
durch monetäre Besserstellung:
(3) Eine zeitgemäße Steuerreform muss nicht nur Arbeit geringer und Ressour-
cen höher besteuern. Es braucht auch wirksame Maßnahmen gegen Steuerbe-
trug sowie eine Besteuerung von Aufwertungsgewinnen bei Immobilien, die die
Ungleichheit von Vermögen und Einkommen erhöhen. Es braucht diese Steu-
ereinnahmen dringend, um die für den Zusammenhalt notwendige Infra-
struktur zu finanzieren.
(4) Der Staat ist oft nicht der beste Anbieter von Dienstleistungen und Infra-
strukturen. Sogenannte intermediäre Organisationen aus dem Zwischenbereich
zwischen Staat und Privatsphäre – also Einrichtungen und Unternehmen, die
weder marktwirtschaftlich-profitorientiert noch staatlich organisiert sind (z. B.
Vereine, Stiftungen und privatrechtliche Einrichtungen mit gemeinnützigen
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Sozialökologische Infrastrukturen
Es braucht gute Infrastrukturen, die ein gelungenes Leben mit geringerem Res-
sourcenverbrauch ermöglichen. Sozialökologische Infrastrukturen sind nach-
haltige, allen zugänglichen soziale und materielle Infrastrukturen, die ermögli-
chen, das Wohlbefinden zu steigern. Sie umfassen viel von dem, was sich Men-
schen mit Geld nicht leisten können: Von Begrünung in der Straße über die
Bücherei bis hin zum öffentlichen Schwimmbad. Nachhaltig bereitgestellte
öffentliche Verkehrsmittel, Grünräume sowie ein erschwinglicher Zugang zu
nachhaltiger Energieversorgung, Wasser, Wohnen, Gesundheit, Pflege und
Bildung helfen, die Bedeutung von Geld und Konsum für die Befriedigung von
Bedürfnissen einzuschränken. Damit haben diese Infrastrukturen als Sachleis-
tungen Vorteile gegenüber anderen sozialpolitischen Maßnahmen, vor allem
Geldleistungen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen. Dieses kann
wirksam Not lindern und die individuelle Selbstbestimmung stärken. Doch
haben sozialökologische Infrastrukturen ein größeres Potential, ressourcen-
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schonende Strukturen zu schaffen. Sind sozialökologische Infrastrukturen vor-
handen, können sich Lebensstile ändern. Funktioniert Nahversorgung, kann
das Alltagsleben auch ohne Autobesitz organisiert werden – wie es in dicht
verbauten Stadtteilen heute schon möglich ist. Am Stadtrand und im ländlichen
Raum braucht es noch öffentliche Investitionen in sozialökologische Infra-
strukturen, um neue Alltagspraktiken zu ermöglichen: Wenn es bequeme
Bahnverbindungen für PendlerInnen gibt, kann auf das Pendeln mit dem Auto
verzichtet werden und neue Routinen entstehen, die nachhaltige Wirkung ha-
ben.
Leistbare sozialökologische Infrastrukturen für alle bereitzustellen, bietet
Lösungen für diverse Zielkonflikte zwischen sozialen, ökologischen und wirt-
schaftlichen Zielsetzungen. Sie vermitteln Sicherheit, bieten Raum für individu-
elle Lebensgestaltung, stärken den sozialen Zusammenhalt und schaffen res-
sourcenschonende Gemeingüter. In Parks, im öffentlichen Raum und dem Bus
bringen sie tagtäglich Menschen miteinander in Kontakt, deren Lebenswelten
unterschiedlich sind. Fehlen derartige verbindende öffentlichen Räume und ist
das Schulsystem klar nach sozialen Schichten getrennt, erhöht sich die Gefahr
von Polarisierung und gesellschaftlicher Spaltung.
Konkrete politische Entscheidungen legen fest, welche Möglichkeiten Men-
schen haben. Das gilt insbesondere für Infrastrukturentscheidungen, die auf-
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Nur das Leitbild der sozialökologischen Transformation stellt sich der Auf-
gabe, die notwendigen weitreichenden wirtschaftlichen Veränderungen einzu-
leiten. Es sieht die Notwendigkeit eines Übergangs hin zu neuen Produktions-
und Lebensweisen vor, die sich wesentlich von der derzeitigen Wirtschaftsweise
unterscheiden. Pragmatische VertreterInnen dieses Leitbilds sehen die Mög-
lichkeit, im bestehenden System mit Hilfe von Grünem Wirtschaftswachstum
sozialen Zusammenhalt und ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Bis heute
gibt es allerdings weltweit keine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachs-
tum und Ressourcenverbrauch. Die Widersprüche zwischen sozialer, ökologi-
scher und ökonomischer Entwicklung bleiben bestehen. In radikalen Versionen
einer sozialökologischen Transformation liegt der Fokus auf grundlegenden
Alternativen, welche aber allzu oft in Nischen verharren. Es fehlt in der Regel
die Idee, wie unter den gegebenen Machtverhältnissen der Übergang zu einer
anderen Wirtschafts- und Lebensweise auf demokratischem Weg erfolgen
kann.
Kein Leitbild bietet alleine die Lösung. Die Phänomene, die wir in diesem
Buch beschrieben haben, sind zu komplex und zu widersprüchlich für einfache
Antworten. In einem Denkkollektiv gefangen zu bleiben oder einzig einem
Leitbild zu folgen, greift auf jeden Fall zu kurz. Anderen Sichtweisen überhaupt
die Legitimität abzusprechen, führt zu Dogmatismus und untergräbt Zu-
kunftsfähigkeit. Wichtige Aspekte der Wirklichkeit werden nicht berücksich-
tigt, was sich langfristig rächt – wie dies im Wohlfahrtskapitalismus mit ökolo-
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gischen Problemen passierte. Diese Gefahr wird durch die Tendenz unterstützt,
in „Blasen“ Gleichgesinnter zu verharren. Demgegenüber ist Zukunftsfähigkeit
die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven und Positionen zu kennen, ernst
zu nehmen, abzuwägen und danach Entscheidungen zu treffen. Dieser Ent-
scheidungsprozess läuft in vier Phasen ab: (1) Nicht alle Perspektiven sind legi-
tim – das zeigt die Diskussion um Klimawandelskepsis. Es ist Aufgabe demo-
kratischer Gemeinwesen, in demokratischer Willensbildung und mit Hilfe der
Wissenschaft die Grenze zwischen legitimen und nicht-legitimen Sichtweisen
zu ziehen. (2) Mehrere legitime Perspektiven zu berücksichtigen, erweitert den
Horizont und schafft Raum für Neues. Doch nicht alle Theorien sind gleich
relevant für alle Fragestellungen. Minskys Theorie der Finanzkrisen hilft bei-
spielsweise nicht, den Reboundeffekt zu erklären. Sie beschäftigt sich einfach
mit anderen Themen. Es gilt daher, für eine bestimmte Fragestellung nicht-
relevante Theorien auszuscheiden. (3) Die diversen Perspektiven müssen vor
dem Hintergrund empirischen und theoretischen Wissens bewertet werden.
Unsere Analyse der Finanzialisierung zeigte, dass in diesem Kontext Minskys
Theorie gut geeignet ist, die Instabilitäten auf globalen Finanzmärkten zu erklä-
ren. Sie kann dies zum Beispiel besser als die Markteffizienzhypothese. (4) Auf
Grundlage der Bewertung des Erklärungsgehalts unterschiedlicher Theorien
und Modelle können konkrete individuelle, unternehmerische oder politische
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Bibliographie
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Zukunftsfähigkeit
Nachhaltigkeit
Neumayer, E. (2003). Weak Versus Strong Sustainability: Exploring the Limits of Two Oppos-
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