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Wiener Hinweisschilder werden weiblich


Geschlechtertausch bei Piktogrammen - Die Stadt Wien wirbt für Gleichberechtigung und "Gender
Mainstreaming" in der Verwaltung
5 Wien – Eine Bauarbeiterin am Verkehrsschild, eine Fußgängerin auf der Ampel oder ein Vater mit Kleinkind
am Schoß auf den Aufklebern, die Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln auffordern, ihren Sitzplatz zu
überlassen – mit der Abwandlung von allgemein bekannten Piktogrammen will die Stadt Wien vor allem
das Bewusstsein schärfen für einen Begriff, der zwar mittlerweile geläufig, aber nicht leicht erklärbar ist:
"Gender Mainstreaming".
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"Wien sieht's anders"
Es gehe darum, auf unterschiedliche Lebenssituationen und Bedürfnisse von Frauen und Männern
aufmerksam zu machen und für Chancengleichheit zu sorgen, betonte Frauenstadträtin Sonja Wehsely (SP)
am Donnerstag bei der Vorstellung der Kampagne "Wien sieht's anders". "Die Macht der Zeichensprache ist
15 nicht zu unterschätzen. In Piktogrammen werden Rollen zugeordnet, die so nicht mehr stimmen." Die
Einführung von gleichberechtigten Verkehrsschildern hatte vor rund zwei Jahren schon der Linzer Grünen-
Stadtrat Jürgen Himmelhofer gefordert – und war an der Straßenverkehrsordnung gescheitert. Immerhin
sorgte er mit der Zusatzaufschrift "Ausgenommen RadfahrerInnen" auf Radwegkennzeichnungen für
Aufsehen. (...)
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M 2: Wolfgang Schneider : Die Krux mit den Sprachtabus
Political Correctness heißt das Schlagwort, das vor gut zwanzig Jahren aus Amerika zu
50 uns gedrungen ist: die Aufforderung, niemanden durch «unkorrekte» Wortwahl zu
kränken oder zu benachteiligen - nicht Krüppel zu sagen, nicht einmal Behinderter,
sondern «Person mit Mobilitätseinschränkung»; nicht Ausländer, sondern «Personen mit
Migrationshintergrund»; nicht Bürger, sondern «Bürgerinnen und Bürger», denn sonst
blieben die Frauen ja ungenannt und wären damit diskriminiert.
55 Dieser letzte, der feministische Sprachgebrauch schneidet am häufigsten und am
tiefsten in die Alltagssprache ein: Politiker und Beamte, Betriebsräte und Personalchefs
haben sich ihm unterworfen; den meisten Öffentlichkeitsarbeitern und vielen
Journalisten lassen ihre Vorgesetzten keine Wahl. Wer sich der Unterscheidung zwischen
Wählerinnen und Wählern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Überzeugung oder
60 unter Druck verpflichtet fühlt, braucht nicht weiterzulesen; auch nicht die mutmaßliche
Mehrheit derer, denen das sowieso egal ist.
Der Minderheit der engagierten Verfechter des feministischen Sprachgebrauchs aber
steht die starke Minderheit derer gegenüber, die ihn immer überflüssig, oft aber
penetrant, ja albern findet. Für diese die folgende Handreichung.
65 Zunächst die Fachwörter: Sexus (engl. «Sex») benennt das biologische Geschlecht,
Genus (engl. «gender» in seiner ursprünglichen Bedeutung) ist das grammatische
Geschlecht, vom biologischen unabhängig: der Hund, die Katze. Gender (in der neuen, der
feministischen Bedeutung) steht für das Geschlecht «als gesellschaftlich bedingten Sachverhalt»,
als soziale Zuschreibung, die über die Chancen in der Gesellschaft entscheidet. Es ist also ein
70 politischer Kampfbegriff, der indessen auf den feministisch «korrekten» Sprachgebrauch
zurückwirkt. Dazu vier Thesen.
1. Nicht benachteiligt sind die Frauen durch die grammatische Zuordnung der Geschlechter -
die beiden haben absolut nichts miteinander zu tun. Wie könnte es sonst «das Weib» heißen?
Stört es den Löwen, die Schlange, das Pferd, dass sie alle dieselben zwei Geschlechter haben?
75 Die Sprache gibt sich nicht die geringste Mühe, die biologischen Unterschiede abzubilden, und in
ihren ersten 50 000 Jahren hat das keinen gestört.
Wenn wir lesen, dass Berlin 3,4 Millionen Einwohner hat, so kommen auch Feministinnen
nicht auf die Idee, die Einwohnerinnen könnten dabei übergangen worden sein. (Wer diese
ausdrücklich ausschließen will, muss es schon sagen (...).
80 2. Trotzdem: Die Frauen sind in der Sprache benachteiligt. Dass das englische man einerseits
den Menschen und andererseits nur den Mann benennt, hat eine steinzeitliche Rangordnung in
die Gegenwart getragen, und die Bäuerin sprachlich nur als Ableitung vom Bauern vorzustellen,
ist ungerecht: Denn ihre Arbeit ist meistens die härtere.
3. Wer dies aber nach Jahrtausenden ändern will, muss einen hohen Preis dafür bezahlen:
85 Umständlichkeit immer und Lächerlichkeit oft. Wenn ein Politiker «den Wählerinnen und Wählern und
Sympathisantinnen und Sympathisanten» dankt, finden einige das ja schon ein bisschen komisch; aber
wie liest sich erst diese Arbeitsplatzbeschreibung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt:

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Wolfgang Schneider, geb. 1925, Journalist und Sachbuchautor, ist einer der bekanntesten Sprachkritiker in Deutschland, er begleitet
also den Gebrauch und die Entwicklung der deutschen Sprache mit prüfendem, oft bemängelndem Blick.
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Krux: Schwierigkeit einer Sache, Knackpunkt

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Der Intendant bzw. die Intendantin ernennt seinen Stellvertreter bzw. seine
90 Stellvertreterin bzw. ihren Stellvertreter bzw. ihre Stellvertreterin.
Laut vorgelesen wäre das nicht zu ertragen. Die Herkunft der geschriebenen Sprache aus der
gesprochenen ist hier feministisch zugemüllt.
Die Lächerlichkeit demonstriert der Duden. Um Hunderte von gleichberechtigt fettgedruckten
Stichwörtern hat er die deutsche Sprache bereichert: zur Linkshänderin die Linksabbiegerin, die
95 Linksanwältin, die Linksauslegerin, die Linksextremistin, die Linksfaschistin, die Linkssektiererin
und die Linksverbinderin; (...) da muss in der Duden-Redaktion eine Erbsenzählerin (Stichwort!)
am Werk gewesen sein. (...)
4. Und doch ist mit all diesem Furor eine Vollständigkeit nicht annähernd zu erreichen.
Warum haben wir noch ein Einwohnermeldeamt - müsste es nicht Einwohnerinnen- und
100 Einwohnermeldeamt heißen? Da der Duden außer dem Christen auch die Christin verzeichnet -
ist es nicht überfällig, vom Christinnen- und Christentum zu sprechen? Und wann entschließen
sich die Männer zum Protest, weil bei den Geschwistern die Brüder gar nicht vorkommen und
beim Brautpaar nicht der Bräutigam?
Eine entschlossene, zunächst sehr kleine Minderheit von Feministinnen hat es geschafft, die
105 deutsche Sprache weithin zu verändern. Eine Volksmeinung einzuholen hat sie nie versucht. Die
populäre Behauptung, dass die Sprache «sich» entwickle, hat sie widerlegt. Die Wünsche dieser
Minderheit zu missachten, ist jedes Deutschsprachigen gutes Recht. Und wenn eine andere
Minderheit versucht, die Barrikaden abzutragen, die die eine in der Sprache errichtet hat, sollte
man ihr auch nicht böse sein. (...)
110 Aus dem Buch: Wolfgang Schneider: Deutsch für junge Profis. Wie man gut und lebendig
schreibt. Berlin: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2011. S. 78-81.
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M 3:

Pressemitteilung des BMFSFJ (=Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)

Geschlechtersensible Sprache
Geschlechtersensibel heißt nicht nur, auf differenzierende Formulierungen zu achten, sondern auch,
ausschließlich männliche Formulierungen gerade in männlich dominierten Bereichen (wie z. B.
115 „Wissenschaftler“, „Professor“, „Chef“) bewusst zu vermeiden. [...] Verallgemeinernde Aussagen sollen durch
differenzierte Aussagen zu Männern und Frauen ersetzt werden. [...] Die Sprache muss [...] nicht um jeden
Preis männliche und weibliche Formen nutzen; geschlechtersensibler Umgang mit der Sprache heißt immer
auch zielgerichteter Umgang mit der Sprache. Ein Text, der sich ausschließlich an Männer richtet, kann
durchaus auch nur die männlichen Endungen aufweisen; ein Text, der sich ausschließlich an Frauen richtet,
120 nur weibliche. Sollen aber beide angesprochen werden oder aber sind beide Geschlechter oder auch nur
eines gemeint, ist eine zielgerichtete Auswahl zwischen männlichen und weiblichen Endungen,
Paarbegriffen und neutralen Formulierungen zu treffen. Beispiele:
Unsere Jugendlichen werden immer krimineller. -- Neutraler Begriff für eine allgemeine Aussage.

Sprayer und Scratcher nimmt die Polizei immer -- Berechtigter ausschließlich männlicher Begriff,
125 häufiger fest. wenn Mädchen/Frauen [...] Minderheit sind.

Fixerinnen und Fixer bestimmen auf öffentlichen -- Paarbegriff, denn Datenlage zeigt,
Plätzen das Bild. Mädchen und Jungen fixen gleichermaßen.

Quelle: BMFSFJ : Checkliste Gender Mainstreaming bei Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (2005)
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionGM/Pdf-Anlagen/gm-und
130 oeffentlichkeitsarbeit,property=pdf,bereich=gm,sprache=de,rwb=true.pdf/2010-07-20

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M 4: Neue Studien belegen die Notwendigkeit des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs
Bürger oder Bürgerin? Nun wurde wissenschaftlich
bestätigt, was Feministinnen schon lange kritisieren:
Die rein männliche Sprachform schließt Frauen aus.
Gerade hatten Schreib- und Sprachformen wie
135 "PilotInnen" oder "Piloten/innen" Eingang gefunden
in Texte, Dokumente und Politikerreden. Doch
immer öfter kündigen Autoren jetzt schon im
Vorwort an, dass in ihrem Text "aus Gründen der
besseren Lesbarkeit nur die männliche Sprachform
140 verwendet wird" - womit der Versuch einer
sprachlichen Umstellung nach und nach wieder
zurückgedrängt wird. Das ist eine Entwicklung, die
Frauen aufhorchen lassen sollte, denn die
Sprachform beeinflusst die Vorstellungen über die
145 beschriebene Person. Dies haben die
Wissenschaftlerinnen Dagmar Stahlberg und Sabine
Sczesny von der Universität Mannheim nun in
mehreren Studien nachgewiesen (Psychologische
Rundschau, 3/2001).
150 In einem ersten Experiment baten sie 46 männliche
und 50 weibliche Studierende in einem Fragebogen
um Auskunft über ihre persönlichen Meinungen
und Vorlieben. Der Fragebogen lag in drei
Sprachversionen vor: Während in Version 1 nur die
155 männliche Sprachform ("generisches Maskulinum")
verwendet und beispielweise nach dem "liebsten
Romanhelden" gefragt wurde, fanden in die
anderen Fragebogenversionen alternative
Sprachformen Eingang. 
160 In Version 2 wurde die geschlechtsneutrale
Formulierung "liebste heldenhafte Romanfigur" und
in Version 3 eine Benennung der männlichen und
weiblichen Sprachform ("liebste Romanheldin,
liebster Romanheld") verwendet.
165 Sowohl die weiblichen als auch die männlichen
Befragten nannten mehr weibliche Romanhelden,
wenn die neutrale Form oder beide Geschlechter
in den Fragestellungen auftauchten, als wenn die
männliche Form aus Version 1 gebraucht wurde. 
(…)

Quelle: Marion Sonnenmoser in PSYCHOLOGIE


HEUTE, Februar 2002
170 http://www.frauensprache.com/
geringer_einbezug.htm/2010-07-20

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M 5: „Das Maskulinum ist nicht mehr, was es war"
Die deutsche Sprache ist in den letzten Jahren "weiblicher" geworden. Die Linguistin Luise F.
Pusch erläutert, warum es weiterhin nötig ist, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen.
Frauensprache - ein alter Hut, eine Diskussion von vorgestern? Schließlich gibt es kein offizielles
175 Formular mehr, keine Stellenausschreibung, die nicht ausdrücklich Männer und Frauen
gleichermaßen erwähnt: der Antragsteller, die Antragstellerin, der Bewerber, die Bewerberin. Und
doch ist es immer noch so, dass in der deutschen Sprache die männliche Form als die allgemein
Gültige benutzt wird. Kurz: Die deutsche Sprache verleitet dazu, Männer in den Vordergrund zu
stellen. Die Linguistin und Autorin Luise F. Pusch findet das ungerecht und wird seit den 1980er
180 Jahren nicht müde, in Büchern und Beiträgen unser "Deutsch auf Vorderfrau" zu bringen. Gabriela
Schaaf hat mit ihr darüber gesprochen, inwieweit die Gerechtigkeitslücken in unserer Sprache
geschlossen werden konnten.
Gabriela Schaaf: Warum es denn so wichtig, in der Sprache geschlechtlich genau zu sein?
L. Pusch: Da gibt es ein ganzes Bündel von Gründen. Die deutsche Sprache ist mit ihrem
185 Genus-System und dem sogenannten generischen Maskulinum so geartet, dass wir zum Beispiel
fragen: "Wer wird der nächste Bundespräsident?". Das ist grammatikalisch korrekt. Wenn Sie
aber sagen würden: "Wer wird die nächste Bundespräsidentin?" würde es heißen: "Ja, aber
wieso denn eine Frau?" Frauen gelten als grammatikalischer Sonderfall. Das Maskulinum gilt als
neutral, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Die Normalform ist männlich und das heißt, der Mann ist
190 Norm, die Frau ist immer zweite Wahl. Sie ist nicht die Standardversion. Das ist fundamental
ungerecht, den meisten aber gar nicht bewusst. Ich sage immer, die deutsche Sprache verbirgt
oder versteckt die Frau besser als jede Burka. Unter einer Burka steckt eine Frau und in
Umrissen ist sie auch erkennbar. Aber unsere Sprache bringt die Frauen sprachlich zum
Verschwinden. Da denkt niemand mehr an Frauen, wenn wir sagen: "In diesem Chor sind 100
195 Sänger." Dabei könnten es auch 99 Sängerinnen sein und die sind grammatisch durch einen
einzigen hinzukommenden Mann eine männliche Gruppe.
(…)
Aber es hat sich auch etwas getan in den letzen Jahrzehnten. Das wollen wir jetzt nicht
verschweigen. Können Sie uns Beispiele nennen?
200 Da gibt es viele Beispiele. Wir haben die Regel eingeführt, eine Frau mit einem Femininum zu
bezeichnen und nicht mit Ratsherr oder Ratsherrin, Amtmann oder Amtmännin. Wir haben das
"Fräulein" abgeschafft. Das ist eine ganz wichtige Sache, dass die unverheiratete Frau nicht mehr
signalisiert wird als eine, die noch frei ist für den Mann. Bei der Anrede "Herr Müller" wird auch nicht
signalisiert, ob er verheiratet ist oder nicht. Das Namensrecht ist gerechter worden. Die Frau verliert
205 nicht mehr automatisch ihren Namen, wenn sie heiratet, sondern sie kann ihren Namen beibehalten.
Der Mann kann sogar ihren Namen annehmen. Und die Amtssprache ist durch Erlasse ziemlich gut
geregelt, also "gegendert" worden. Ich fasse das immer so zusammen: Das Maskulinum ist nicht mehr
das, was es einmal war.
Das Gespräch führte Gabriela Schaaf; Redaktion: Hiltrud Schoofs, veröffentlicht am 07.03.2012
Quelle: http://www.dw.de/dw/article/0,,15790822,00.html (geprüft: 05/2012)
DW = Deutsche Welle ist der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland und ist Mitglied der ARD, d.h. der Sender hat den Status als
öffentlich-rechtlicher Radiosender

M 6: Die Einstellung der Deutschen zu dem geschlechtergerechten Formulieren

210 Im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sowie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Sprachrat hat das Institut für Demoskopie Allensbach zwischen dem 4. und 17. April 2008 insgesamt
1.820 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählte Personen ab 16 Jahren mündlich-persönlich zum Thema
‚deutsche Sprache’ im weitesten Sinne befragt.
Quelle: Gesellschaft für die deutsche Sprache,
http://www.gfds.de/presse/pressemitteilungen/130608-einstellung-der-deutschen-zur-sprache/einstellung-der-deutschen-zu-
geschlechtergerechten-formulieren/ (29.04.2011)

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