Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
glossar.neuemedienmacher.de
Der Neue deutsche Medienmacher*innen e.V. (NdM) ist ein
gemeinnütziger Verein. Wir engagieren uns bundesweit mit
zahlreichen Projekten für mehr inhaltliche und personelle
Vielfalt in den Medien. Wir freuen uns über die Unterstützung
unserer Arbeit durch eine Mitgliedschaft, eine Spende oder
aktive Mitarbeit.
Infos unter www.neuemedienmacher.de
Danke
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen danken allen beteiligten Wissen-
schaftler*innen, Expert*innen und Fachjournalist*innen sehr herzlich für ihre
Hilfsbereitschaft und die fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Glossars.
Fatih Abay, Prof. Dr. Handan Aksünger, Prof. Dr. Iman Attia, Thomas Baumann, Anna
Brausam, Claudia Dantschke, Merfin Demir, Christina Dinar, Prof. Dr. Naika Foroutan,
Prof. Eric Anton Heuser, Amelie Hoffmann, Gilda Horvath, Anetta Kahane, Bernd
Knopf, Thomas Krüppner, Robert Lüdecke, Viktoria Morasch Yassin Musharbash,
Prof. Dr. Werner Nell, Miltiadis Oulios, Sergej Prokopkin, Timo Reinfrank, Jan Riebe,
Jana Sauer, Dr. Susanne Schmidt, Ulrich Werner Schulze, Sana Shah, Dr. Yasemin
Shooman, Prof. Dr. Riem Spielhaus, Dr. Stefan Vogt, Irene Wachtel, Artur Weigandt,
Andrea Wierich, Melek Yildiz und viele andere.
Inhaltsverzeichnis
Wozu Formulierungshilfen? 4
Migration 16
Kriminalitätsberichterstattung 21
Juden*Jüdinnen 25
Muslim*innen 32
Schwarze Menschen 41
Sinti*zze und Rom*nja 50
Rechtspopulismus, Rechtsradikale
und -extreme 66
Index 74
Wozu Formulierungshilfen? 4
Als Journalist*innen1 arbeiten wir jeden Tag mit unserem Handwerkszeug, der
Sprache. Unsere Berichte sollten möglichst wertfrei, korrekt und präzise die Sach-
verhalte wiedergeben. Nicht selten passiert es aber, dass beispielsweise Begriffe
wie »Zuwanderung« und »Einwanderung« in einem Beitrag als Synonyme ver-
wendet werden. Worin sie sich jedoch unterscheiden und bei welchen weiteren
Themen ungenau formuliert wird, erläutern wir in diesem Glossar. Alle Inhalte gibt
es auch online mit komfortabler Suchfunktion unter
www.glossar.neuemedienmacher.de.
Die Alternativen, die wir hier anbieten, sollen als Hilfestellung für die tägliche
Redaktionsarbeit dienen. Wir haben sie gemeinsam mit Fachleuten und Prakti-
ker*innen entwickelt. Weil sich Sprache aber ständig verändert und auch wir dazu
lernen, wird das Glossar regelmäßig aktualisiert und erweitert.
Die Vorschläge sind unser Beitrag zu einer laufenden Debatte. Wir stellen sie gern
zur Diskussion und freuen uns über eine Einladung zum Redaktionsgespräch, zur
Blatt- oder Sendungskritik – von Kolleg*in zu Kolleg*in.
1 Obwohl es in den meisten Medien nicht zur gängigen Praxis gehört, gendern wir im NdM-Glossar mit Sternchen *.
Legende 5
→
Begriff mit
Erläuterung
mpfohlener
E
Begriff
→
Empfohlener
Begriff mit
Erläuterung
Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«? 6
Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert, sie ist vielfältiger geworden. Das
sollte sich in der Berichterstattung wiederfinden. Gleichzeitig müssen Journa-
list*innen oft vereinfachen, um komplizierte Sachverhalte kurz und verständlich
darzustellen. Manchmal führt das zu einem Dilemma: Wie beschreibe ich die
Gruppe, der jemand angehört? Wie beschreibe ich die anderen? Und wo ist diese
Trennung wirklich nötig?
Zunächst ist es sinnvoll, die Protagonist*innen zu fragen, wie sie sich selbst
nennen würden. Das ist allerdings nicht immer möglich. Zudem kann man bei der
Beschreibung von Gruppen nicht davon ausgehen, dass alle dieselbe Präferenz
haben.
Bei einer allgemeinen Bezeichnung für Eingewanderte und ihre Nachkommen
läuft man Gefahr, das Bild einer homogenen Gruppe zu erzeugen. Menschen mit
Migrationsgeschichte sind jedoch keineswegs homogen: Aussiedler*innen haben
in der Regel mit Geflüchteten aus dem Libanon so wenig gemeinsam wie kemalis-
tische Türk*innen mit kurdischen Feminist*innen. Dennoch ist es in der Bericht-
erstattung manchmal nötig, eine Gruppe pauschal zu benennen. Die vorliegenden
Erläuterungen dienen der Präzisierung von Begriffen und bieten praktische Vor-
schläge für die differenzierte Bezeichnung von Minderheiten, der Mehrheit und
natürlich auch von beiden.
21
Die Berichterstattung über Straftaten nimmt in den meisten Medien viel Raum ein.
Dabei herrscht immer noch das Vorurteil, Geflüchtete oder Eingewanderte würden
häufiger straffällig als biografisch Deutsche und ihre Herkunft hätte ursächlich da-
mit zu tun. Die folgenden Erläuterungen und Empfehlungen sollen dazu beitragen,
differenziert und diskriminierungskritisch über Straftaten zu berichten.
großen Regionen, wie Arabien, Ost- »... denn sie wissen nicht, was sie tun. Wie Journalis-
mus die Integrationsdebatte beeinflusst«, Konstanti-
europa, Asien etc. sind kaum nützlich
na Vassiliou-Enz, in »Vielfältiges Deutschland«,
für die Fahndung, dafür aber stark Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), 2014
verallgemeinernd (siehe → der*die Ge- (www.neuemedienmacher.de/denn-sie-
suchte spricht Deutsch mit türkischem wissen- nicht-was-sie-tun-wie-journalismus-die-
Akzent). integrationsdebatte-beeinflusst/)
2 Studie »Ehrenmorde in Deutschland 1996 bis 2005«
von der Kriminologischen Abteilung des Max-Planck-
Radikalismus beschreibt radikale
Instituts im Auftrag des Bundeskriminalamts. Inter-
politisch-ideologische Positionen, die view von 2014 dazu: https://mediendienst-
die Grundwerte unserer freiheitlichen integration.de/artikel/von-einem-islamrabatt-kann-
Demokratie nicht generell in Frage stel- nicht-die-rede-sein.html
len. Man kann Radikalismus als eine 3 Bundesamt für Verfassungsschutz, 2015, Glossar
Vgl. Manjana Sold, Radikalisierung und Deradika-
Art legale Vorstufe zum → Extremismus
lisiterung, Bundeszentrale für politische Bildung
betrachten. Radikale haben zum Ziel, (https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/
unsere Gesellschaftsordnung grund- bewegtbild-und-politische-bildung/reflect-your-
legend zu verändern, bewegen sich past/313952/radikalisierung-und-deradikalisierung/)
Juden*Jüdinnen 25
Vor der Machtübertragung an die Nationalsozialist*innen lebten etwa 500.000 bis
600.000 jüdische Bürger*innen in Deutschland – derzeit wird die jüdische Be-
völkerung in Deutschland auf 225.000 Personen geschätzt.1 Unabhängig davon
ist Antisemitismus auch heute noch in allen Bevölkerungsgruppen präsent, wie
zahlreiche Studien2 regelmäßig belegen. Während allerdings der rassistische Anti-
semitismus und der Antijudaismus weniger anschlussfähig an die Mehrheitsbe-
völkerung sind, dominieren mit dem israelbezogenen Antisemitismus und antise-
mitischen Verschwörungsideologien »moderne« Formen der Judenfeindschaft, die
im Folgenden ebenfalls erläutert werden.
Insgesamt gilt auch hier festzuhalten: Es gibt nicht »die Juden«. Der jüdischen
Minderheit gehören vielfältige Menschen mit individuellen Lebensentwürfen
und unterschiedlichen Auslegungen des eigenen Judentums an. Ein einheitliches
Gruppenbild zu schaffen, kann nicht gelingen. Präzise Bezeichnungen und Be-
griffe in der Berichterstattung können aber hilfreich sein, damit ein differenzierte-
res Bild in den Medien entsteht.
Antijudaismus ist kein Synonym für verwendet und löste mit rassistischen
→ Antisemitismus, selbst, wenn die Motiven den religiös begründeten
Motive sich teils überschneiden kön- → Antijudaismus ab; die damaligen Ras-
nen. Antijudaismus steht vielmehr sentheorien waren eine Grundlage der
für die religiös begründete Ablehnung Nazi-Ideologie. Öffentliche antisemi-
des jüdischen Glaubens und seiner An- tische Hetze ist heute in Deutschland
hänger*innen und wird deshalb auch strafbar. Dazu gehört auch die Leugnung
christlicher, historischer oder des → Holocaust (siehe auch → sekundä-
religiöser Antijudaismus genannt rer Antisemitismus, → israelbezogener
(siehe auch → sekundärer Antisemitis- Antisemitismus, → Israelkritik).
mus, → israelbezogener Antisemitis-
mus). Antizionismus richtet sich gegen die
Ideologie des → Zionismus und kann
Antisemitismus ist eine weit verbreitete daher implizit als Ablehnung des
Bezeichnung für Judenfeindschaft. All- Existenzrechts des Staates Israel ver-
gemein werden damit sämtliche Formen standen werden. In diesem Fall kann
von Hass, feindlichen Einstellungen, Äu- man auch von antizionistischem
ßerungen, Handlungen und Vorurteilen Antisemitismus sprechen/schreiben.
beschrieben, die sich gegen Juden*Jü- Gleichzeitig sind nicht alle, die die
dinnen und alle richten, die als jüdisch unterschiedlichen Ideen zionistischer
wahrgenommen werden. Der Begriff Strömungen kritisieren, automatisch
wurde erstmalig im 19. Jh. öffentlich gegen die Existenz Israels. So gibt es
→ Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff → Empfohlener Begriff mit Erläuterung
im innerisraelischen Diskurs jüdischen
Antizionismus, der nicht antisemi-
allem in Israel, Argentinien und
den USA.
26
tisch ist (siehe auch → israelbezogener
Antisemitismus, → Israelkritik). Davidstern ist ein sechszackiger Stern
aus zwei übereinandergelegten, gleich-
Aschkenasim / Ashkenazim sind seitigen Dreiecken und benannt nach
ursprünglich nord-, mittel- und ost- dem jüdischen König David, der etwa
europäische Juden*Jüdinnen mit 1.000 → v. d. Z. lebte. Ungefähr seit dem
gemeinsamer religiöser Tradition und 18. Jh. ist der Davidstern ein Symbol
Kultur. Der Begriff wurde im 9. Jh. von für das Judentum und schmückt seit
eingewanderten Juden*Jüdinnen für 1948 auch die Flagge des Staates Israel,
das deutschsprachige Gebiet geprägt nachdem er vorher von den National-
und breitete sich von dort aus. Heute sozialist*innen als gelber »Judenstern«
bilden Aschkenasim die größte Gruppe missbraucht wurde, um Juden*Jüdin-
im Judentum (siehe auch nen zu kennzeichnen.
→ Sephardim und → Misrachim).
Holocaust (griech. vollständig ver-
Jüdische Beschneidung von neu- brannt) bezeichnet die systematische,
geborenen Jungen ist in der → Thora massenhafte Ermordung von Juden*Jü-
vorgeschrieben und hat eine große dinnen und anderen Minderheiten
Bedeutung im Judentum. Der heb- durch die Nationalsozialist*innen.
räische Name dafür ist Brit Mila(h) Eingeführt wurde der Begriff 1979 als
(»Bund der Beschneidung«). Das Ritual Titel der amerikanischen Fernsehserie
dient der Aufnahme in die jüdische » Holocaust – Die Geschichte der
Gemeinschaft. In Deutschland ist die Familie Weiß«, die auch in Deutschland
Beschneidung von jüdischen und mus- sehr populär war. Manche Juden*Jü-
limischen Jungen erst seit 2012 gesetz- dinnen lehnen das Wort allerdings ab,
lich geregelt; laut §1631d des BGB ist sie weil das Brandopfer in der → Thora die
erlaubt, wenn sie »nach den Regeln der Obhut Gottes verspricht, und bevorzu-
ärztlichen Kunst durchgeführt« wird gen deswegen den hebräischen Begriff
(siehe auch → Beschneidung im Kapitel Shoa (auch Shoah, Schoa oder
»Muslim*innen«). Schoah), der für »große Katastrophe«
steht. Bis heute gibt es keinen eigenen
Chassidismus ist eine religiösmystische deutschen Begriff für diesen histori-
Bewegung innerhalb des → orthodoxen schen Massenmord.
Judentums, die besonders im 19. Jh. in
Osteuropa verbreitet war. Bedeutend Israelbezogener Antisemitismus be-
dabei sind → kabbalistische Konzepte zeichnet antisemitische Handlungen
und spirituelle Erlebnisse. Heute gibt oder Äußerungen gegenüber oder in
es nur noch einige hunderttausend Bezug auf Israel, dessen Politik oder
chassidische Juden*Jüdinnen, vor Bürger*innen; wenn z. B. dem Staat
Juden*Jüdinnen
Israel unterstellt wird, als heimlicher
Drahtzieher der Weltpolitik zu agieren
Wer von Geburt an jüdisch ist,
ist nicht automatisch religiös;
27
oder, wie im → sekundären Antisemitis- viele Juden*Jüdinnen sind nicht
mus, die israelische Politik gegenüber gläubig, sehen sich aber als Teil der
Palästina mit der des Nationalsozialis- jüdischen Gemeinschaft – teilweise
mus gleichgesetzt wird. Diese Form benennen sie das Judentum als ihre
antisemitischer Gesinnung findet sich kulturelle Identität statt als ihre Reli-
sowohl bei linken und rechten Grup- gion. Einige gläubige Juden*Jüdinnen
pierungen wieder, bei Menschen mit bezeichnen sich als Volk Israel. Es ist
und ohne Migrationshintergrund (siehe aber ein Irrtum, Juden*Jüdinnen, die
auch → Israelkritik, → Antizionismus). in vielen Teilen der Welt leben, mit Is-
rael*innen, also den Bürger*innen des
Israelkritik Mitunter werden Äuße- multiethnischen Staates Israel,
rungen in öffentlichen Debatten als gleichzusetzen (siehe auch → Aschke-
Israelkritik bezeichnet, die weniger auf nasim, → Sephardim).
Fakten als auf antisemitischen Ressen-
timents beruhen und die sich pauschal Kabbala ist eine mystische Tradition
gegen den israelischen Staat und des- im Judentum, bei der spirituelle Erleb-
sen Bürger*innen richten. Generell soll- nisse im Mittelpunkt stehen. Verschie-
ten Aspekte oder Akteur*innen, die im dene kabbalistische Schulen sind welt-
Zusammenhang mit israelischer Politik weit seit dem 13. Jh. entstanden. Heute
kritisiert werden, in der Berichterstat- werden kabbalistische Konzepte vor
tung konkret benannt werden. Wenn allem in → chassidischen Gemeinden in
z. B. wegen der Verfolgung des jüdi- den USA und Israel, aber auch in nicht-
schen Volks höhere moralische Maß- jüdischen Kreisen fortgeführt. So wurde
stäbe an die Politik Israels angelegt in den 1970ern das Kabbalah Center in
werden als an andere Länder, handelt es den USA gegründet, das durch Promi-
sich um → israelbezogenen Antise- nente wie Madonna bekannt wurde.
mitismus, nicht um differenzierte Kritik
(siehe auch → Antizionismus, → Islam- Kaschrut beschreibt die jüdischen Spei-
kritik). segesetze. In ihnen ist festgelegt, welche
Lebensmittel erlaubt (→ koscher) und
Juden*Jüdinnen sind dem rabbini- welche verboten (»treif«/ »trefe«/»treife«)
schen Religionsgesetz nach alle, deren sind (siehe auch → Halal und Haram im
Mutter Jüdin ist. Weil es immer mehr Kapitel »Muslim*innen«).
gemischtkonfessionelle Ehen gibt, gilt
z. B. bei progressiven Strömungen in Kippa / Kippah bezeichnet die Kopf-
den USA auch als jüdisch, wer einen bedeckung, die insbesondere während
jüdischen Vater hat und jüdisch er- des Gebets und Studiums der Heiligen
zogen wird. Ebenso ist es möglich, zum Schriften von männlichen Juden ge-
jüdischen Glauben zu konvertieren. tragen wird, in liberalen Gemeinden
manchmal auch von Frauen. Manche
tragen die Kippa auch im Alltag als
Im Gegensatz zum
→ orthodoxen Judentum sind
28
öffentliches Bekenntnis zum Judentum die Geschlechter im liberalen Judentum
oder aus Demut und Ehrfurcht vor Gott. meistens in allen religiösen Angelegen-
heiten gleichberechtigt: Dies umfasst in
Konservatives Judentum ist eine in den vielen Gemeinden auch die Ordination
USA entstandene Bewegung, deren Ur- von Frauen zu → Rabbinerinnen bzw.
sprünge allerdings in Deutschland lie- Rabba. Durch Auswanderung gelangten
gen. In den Vereinigten Staaten bildet die Kernideen des liberalen Judentums
das konservative Judentum, neben dem im 19. Jh. in die USA, wo sie als Reform-
liberalen Judentum, heute die größte judentum eine andere Entwicklung
Gruppe. Konservative Juden*Jüdinnen nahmen als in Deutschland. In Israel
legen mehr Wert auf Traditionen als ist die liberale jüdische Gemeinde recht
→ liberale, sie passen die Religionsge- klein. Auch in Deutschland verstehen
setze jedoch auch zeitgemäß an. Ähn- sich die meisten Gemeinden als
lich wie im → orthodoxen Judentum → orthodox, in jüngster Zeit entstehen
werden Gesetze wie bspw. die Speise- allerdings auch hier wieder mehr libe-
vorschriften eingehalten, sie werden rale Gemeinden. Das liberale Juden-
aber weniger streng ausgelegt. Zudem tum wird in Europa auch progressives
können Frauen im religiösen Ritus des Judentum genannt.
konservativen Judentums – je nach Ge-
meinde – mehr Rechte haben als in der Misrachim ist eine Fremdbezeichnung
Orthodoxie. Die Begriffe »konservativ«, für nicht → aschkenasische Juden*Jü-
»liberal« oder »orthodox« dürfen also dinnen, also auch für → Sephardim, die
keineswegs mit politischen Richtungs- vor allem von aschkenasischen Ju-
bezeichnungen verwechselt werden. den*Jüdinnen in Israel verwendet wird.
Sie folgen dem sephardischen Juden-
Koscher (hebr. rein, geeignet) ist alles, tum und bezeichnen sich selbst als
das religiösen jüdischen Gesetzen ent- Sephard*innen.
sprechend hergestellt oder zubereitet
wurde. Welche Speisen koscher sind n. d. Z. / nach der Zeitrechnung /
bzw. trefe, also nicht koscher, wird durch Zeitwende bzw. v. d. Z. / vor der
die → Kaschrut-Vorschriften bestimmt. Zeitrechnung / Zeitwende ist eine
Teilweise gelten die Regeln auch für Ma- Formulierung, die der Jahreszählung
terialien, wie Stoffe oder Geschirr (siehe mit Bezug auf die Geburt Jesu Christi
auch → Halal und Haram im Kapitel dient, ohne den christlichen Bezug
»Muslim*innen«). auszudrücken. Diese Bezeichnung ist
nicht nur im Judentum gebräuchlich,
Liberales Judentum bezeichnet eine sondern war zum Beispiel auch in der
Strömung, die im 19. Jh. in Deutschland DDR üblich.
in Abgrenzung zur Orthodoxie entstand.
Juden*Jüdinnen
Neo-Orthodoxie ist hauptsächlich
in Westeuropa, vor allem in England,
Linksliberale abzuwerten (siehe
auch → Xenophilie).
29
Frankreich und Deutschland, als eine
Strömung der Orthodoxie verbreitet. Pogrom (russ.: Verwüstung) benennt
Sie wurde im 19. Jh. in Frankfurt am gewaltsame Ausschreitungen gegen
Main gegründet. Wie beim → ortho- religiöse, politische, ethnische Gruppen
doxen Judentum entspringen ihre oder andere Minderheiten. Geprägt
Grundideen dem traditionellen Juden- wurde der Begriff vor allem durch die
tum, allerdings findet eine Öffnung zur Novemberpogrome 1938, als die
westlichen Kultur statt, indem z. B. am Nazis die organisierte Zerstörung von
öffentlichen Leben teilgenommen wird jüdischen Geschäften, Häusern, Syna-
(siehe auch → Ultraorthodoxie, → Chas- gogen und die Verfolgung von Ju-
sidismus). den*Jüdinnen anordneten. Während
die vom NS-Regime gelenkten Medien
Orthodoxes Judentum ist eine der gro- von der »Judenaktion« oder »Novem-
ßen Strömungen, neben dem → konser- beraktion« schrieben, bezeichnete der
vativen und dem → liberalen Judentum. Volksmund die Novemberpogrome, die
Sowohl in Deutschland als auch in Isra- den Beginn der staatlich organisier-
el ist sie die Einflussreichste. Zentrales ten Judenverfolgung markierten, als
Merkmal ist die strikte Einhaltung der »Reichskristallnacht« – eine verharm-
Vorschriften (hebr.: Mizwot), also der losende Anspielung auf die unzähligen
Gebote und Verbote, die in der → Thora Glasscherben zerstörter jüdischer Ge-
festgelegt sind. Wenn eine Gemeinde schäfte und Synagogen, die nach den
sich als orthodox bezeichnet, bedeutet Pogromen auf den Straßen lagen.
es jedoch nicht, dass alle ihre Mitglie-
der streng orthodox leben. Innerhalb Rabbiner*in (hebr.: Meister, Lehrer) ist
der Orthodoxie existieren verschiedene ein religiöser Titel, der jüdischen Ge-
Richtungen wie → Neo-Orthodoxie, lehrten verliehen wird. Sie werden von
→ Ultraorthodoxie und → Chassidismus. ihrer Gemeinde gewählt und bezahlt. Zu
ihren Aufgaben gehören Seelsorge, in-
Philosemitismus bezeichnet die posi- terkonfessioneller Dialog, Predigen und
tive Neigung zu Juden*Jüdinnen und Lehren. In → liberalen jüdischen Ge-
jüdischer Kultur, die teils wie bei meinden gibt es eine wachsende Zahl
→ Antisemitismus von einem homoge- von Rabbinerinnen. Als Rabbi werden
nen Kollektiv ausgeht, dem bestimmte seit dem Altertum jüdische Gelehrte
Eigenschaften zugeschrieben werden. bezeichnet, die die → Thora auslegen.
Ein Motiv können zum Beispiel Schuld- Heute werden die Begriffe Rabbiner und
gefühle aufgrund der NS-Verbrechen Rabbi oft synonym verwendet.
sein. Der Begriff wurde erstmals im
19. Jh. verwendet, um projüdische Sabbat / Schabbat / Schabbes ist der
siebte Wochentag, an dem, durch die
→ Thora vorgeschrieben, keine Arbeit
verrichtet werden soll. Er beginnt am
(siehe auch → Misrachim).
30
Freitagabend bei Sonnenuntergang und Talmud ist ein Gesetzeskodex und
endet am Samstagabend nach Eintritt nach dem → Tanach das bedeutendste
der Dunkelheit. Schriftwerk des Judentums. Im Talmud
steht, wie die → Thora von den ers-
Sekundärer Antisemitismus äußert ten Rabbis verstanden und ausgelegt
sich bspw. in Forderungen nach einem wurde. Er liegt in zwei Ausgaben vor,
Schlussstrich oder in dem Vorwurf, dem Jerusalemer Talmud und dem
Juden*Jüdinnen hätten eine Mitschuld Babylonischen Talmud. Wenn einfach
an der Verfolgung durch die Nazis oder vom Talmud gesprochen wird, ist in der
zögen einen Vorteil aus dem → Holo- Regel der babylonische gemeint.
caust. Das Phänomen konnte unmittel-
bar nach 1945 erstmalig beobachtet Tanach / Tenach ist die Heilige Schrift
werden. Oft ergibt sich diese Form des des Judentums. Er entstand in einem
→ Antisemitismus aus einem Schuld- 1.200 Jahre andauernden, komplexen
und Schamgefühl wegen der Shoa Prozess als Sammlung unterschied-
(siehe auch → israelbezogener Antise- licher religiöser und profaner jüdischer
mitismus, → Israelkritik). Schriften. Der Tanach wurde etwa 100
→ n. d. Z. in 24 Bücher eingeteilt und
Semit*innen ist ein sprachwissen- kanonisiert. Er erzählt die Geschichte
schaftlicher Begriff für alle, die eine der Schöpfung und des Volkes Israel
semitische Sprache sprechen, wie über einen Zeitraum von 1.300 Jahren.
hebräisch, aramäisch oder arabisch und Das Christentum hat alle Bücher des
steht nicht für eine ethnische Gruppe. Tanach, in etwas anderer Anordnung,
Ende des 19. Jh. benutzten Rassentheo- als Altes Testament übernommen.
retiker*innen den Begriff »Semiten«
synonym und abwertend für → Ju- Thora / Tora / Torah ist der erste Teil
den*Jüdinnen, woraus die Bezeichnung der Heiligen Schrift des Judentums
→ Antisemitimus für deren Ideologie (→ Tanach) und besteht aus fünf Bü-
entstand. Ansonsten ist heute nur noch chern. Sie ist der Grundstein jüdischen
in der Sprachwissenschaft von Se- Glaubens und eine Quelle für jüdisches
mit*innen die Rede. Recht, Ethik und Lebensweise. Daneben
wurde die mündlich überlieferte Lehre
Sephardim sind ursprünglich die später im → Talmud festgehalten.
Nachkommen von Juden*Jüdinnen aus
West- und Südeuropa bzw. den Mittel- Ultraorthodoxe Juden*Jüdinnen ist
meerländern, die im 15. Jh. von dort eine Fremdbezeichnung für all jene
vertrieben wurden. Heute bezeichnen orthodoxen Juden*Jüdinnen, die in
sich alle nicht- → aschkenasischen geschlossenen Gemeinschaften, ge-
Juden*Jüdinnen als Sephardim schlechtergetrennt und nach strengen
Juden*Jüdinnen
Regeln leben. Sie sind nicht berufstätig.
Die Männer studieren lebenslang die
Gründung Israels 1948 wurde
das zionistische Ziel erreicht.
31
→ Thora und werden meistens von Heute wird Zionismus als Ideologie in
Spenden oder in Israel durch den Staat Israel sehr unterschiedlich ausgelegt,
finanziert. Die meisten von ihnen leben so gibt es z. B. liberal-sozialdemokrati-
in den USA und in Israel (siehe auch schen, rechtsnationalen oder national-
→ orthodoxes Judentum, → Neo-Ortho- religiösen Zionismus. Zionismus wird
doxie). teils undifferenziert als Kampfbegriff
gegen Israels Haltung im Nahost-Kon-
Antisemitische Verschwörungsideo- flikt benutzt (siehe auch → Antizionis-
logien haben eine lange Tradition mus, → Israelkritik).
und sind heute vor allem in sozialen
Netzwerken im Umlauf. Schon aus dem
12. Jh. sind Verschwörungsmythen
bekannt, wie Legenden von Ritual-
morden oder Brunnenvergiftungen,
die immer wieder die Verfolgung von
Juden*Jüdinnen auslösten. Mindestens
seit dem Beginn des 19. Jh. existiert der
Verschwörungsglaube von dem Streben
der Juden*Jüdinnen nach der Welt-
herrschaft, welche auf den gefälschten
1 Quelle: Berman Jewish Data Bank, »World Jewish
»Protokollen der Weisen von Zion« Population, 2020«, Seite 73f.
beruht. Noch heute berufen sich → Anti- 2 Vgl. exemplarisch Ulrich, Peter/Decker, Oliver/
semit*innen auf diese Protokolle, an die Kiess, Johannes/Brähler, Elmar: »Judenfeindschaf-
bereits Adolf Hitler glaubte – sie gelten ten – Alte Vorurteile und moderner Antisemitis-
mus«, in: Friedrich-Ebert-Stiftung/ Melzer, Ralf
als Schlüsseldokument einer angebli-
(Hrsg.): »Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme
chen jüdischen Weltverschwörung. Einstellungen in Deutschland 2012«, S. 68ff., Bonn,
2012, (https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFi-
Zionismus (von Zion, dem Namen des le&t=f&f=40930&token=ed2192cf762d370ee417f-
Muslim*innen
Schwarze Menschen 41
Schwarze Menschen sind eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Interes-
sen, Ansichten und Familiengeschichten. Seit 400 Jahren leben sie in Deutsch-
land, dennoch werden sie ausgegrenzt, ihnen wird ihr Deutschsein abgesprochen,
ihre Perspektiven und Existenz werden meistens ignoriert und sie erleben psychi-
sche und physische Gewalt.
Ende der 1980er-Jahre wurden afrodeutsche Perspektiven in der Öffentlichkeit
sichtbarer. Trotzdem orientieren sich Schwarze Diskurse in Deutschland oft noch
an Debatten in den USA. Deshalb werden viele englische Begriffe auch im deut-
schen Diskurs verwendet. Eine wortwörtliche Übersetzung ist teilweise nicht
möglich oder falsch, weil US-amerikanische Verhältnisse oder Entwicklungen
nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar sind.
Dieses Kapitel wurde aus Schwarzer Perspektive geschrieben, aber natürlich gibt
es nicht die eine universelle Schwarze Stimme. Anti-Schwarzer Rassismus, seine
Mechanismen und seine Struktur sind komplex. Im Folgenden wird über vieles
aufgeklärt, aber es wird Aspekte geben, die (noch) nicht abgedeckt sind. Die Arbeit
an diesem Glossar ist ein laufender Prozess.
Afrika ist nach Asien der zweitgrößte Unabhängig vom Geburtsort der Eltern
Kontinent und entspricht mit einer oder Großeltern sind sie Teil der
Fläche von 30,2 Mio qm 22% der ge- → Schwarzen Diaspora. Um deutlich zu
samten Landfläche der Erde. Es leben machen, dass → Afrika kein Land, son-
dort 1,3 Mrd. Menschen in 55 Nationen dern ein Kontinent ist, bezeichnen sich
mit tausenden Sprachen und Kulturen. manche auch als Afroeuropäer*in.
Trotzdem wird der Erdteil oft einem
Land gleichgesetzt (»Rita kommt aus Afrohaare Oberbegriff für Haare
Deutschland, Kofi aus Afrika.«). Korrek- Schwarzer Menschen. Ihre Struktur
ter ist es, die gemeinten Länder (z. B. variiert von kleinen, spiralförmigen
Ghana, Sudan, Algerien) oder Locken (»kinky«, »coily«) bis zu größer
Regionen (z. B. Nordafrika, Westafri- geformten Locken (»curly«). Afro-
ka, südliches Afrika) zu nennen. Vgl. haare werden in verschiedenen Frisu-
→ Schwarzafrika. ren getragen (z. B. als Flechtfrisur,
→ Dreadlocks oder toupiert als
Afrodeutsche ist eine Selbstbezeich- Afro) und können ein politisches
nung von → Schwarzen Menschen in Statement sein, siehe → Black Hair
Deutschland, die sich Ende der 80er- Politics.
Jahre entwickelt hat. Afrodeutsche
haben nicht zwingend eine afrikani- Anti-Schwarzer Rassismus richtet sich
sche Einwanderungsgeschichte. spezifisch gegen Schwarze Menschen
→ Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff → Empfohlener Begriff mit Erläuterung
und entstand systematisch mit der
Versklavung sowie der Ausbeutung des
Schwarzer Menschen von Wei-
ßen mit angemaltem Gesicht
42
afrikanischen Kontinents und seiner und übertrieben dicken roten Lippen
Bewohner*innen. Um die brutale Kolo- karikiert.1 In Deutschland
nialisierung zu legitimieren, erklärten gibt es erst seit wenigen Jahren eine
Europäer*innen, darunter auch Wissen- öffentliche Debatte über Fälle von
schaftler*innen, Schwarze zu min- Blackfacing. Der Bund der Deutschen
derwertigen Menschen. Das geschah Katholischen Jugend (BDKJ) empfiehlt,
besonders anhand physischer Eigen- dass Sternsinger beim Dreikönigssin-
schaften, zum Beispiel der Körperform gen keine schwarze Schminke mehr be-
oder von → Afrohaaren. Anti-Schwar- nutzen sollten.2 In der Faschings- und
zer Rassismus führt aufgrund dieser Karnevalszeit ist Blackfacing jedoch
Sichtbarkeit des Schwarzseins, insbe- nach wie vor üblich. Asiatische Men-
sondere bei → dark-skinned Personen, schen sehen sich durch Yellowfacing
zu regelmäßigen psychischen und phy- ähnlicher Diskriminierung ausgesetzt.
sischen Gewalterfahrungen im privaten
und öffentlichen Raum. Blackfishing ist, wenn nicht-Schwarze
Menschen sich optisch verändern, um
Black Hair Politics ist ein Fachbegriff als Schwarze wahrgenommen zu wer-
für die politische Bedeutung von den. Manche Frauen schminken sich
→ Afrohaaren. Schwarze Menschen etwa dunkle Haut, überzeichnen Lippen
erfahren seit der Kolonialzeit aufgrund und Nase oder tragen ihre Haare wie
ihrer Afrohaare rassistische Diskrimi- Schwarze Menschen. Blackfishing ist
nierung – in Deutschland zum Beispiel eine Zusammensetzung aus dem Begriff
auf dem Arbeitsmarkt. In den USA war »catfishing«, der beschreibt, dass eine
das Tragen von → Dreadlocks im Militär Person auf Social Media eine andere
oder auf manchen Schulen verboten. Identität vortäuscht, und → Blackfacing.
Erst seit 2019 gibt es Gesetze gegen die- Siehe auch → kulturelle Aneignung.
se Verbote. Schwarze Menschen tragen
ihre natürlichen Haare teilweise als BPoC ist das Akronym für Black and
politisches Statement und nehmen die → People of Color. Die erweiterte
damit einhergehende Diskriminierung Selbstbezeichnung BPoC soll
in Kauf. Siehe auch → Texturism. → Schwarze Menschen mit Rassismus-
erfahrungen mit einschliessen und
Blackfacing ist eine rassistische und sie explizit benennen. Der Begriff wird
koloniale Bühnenpraxis, bei der meist jedoch kritisiert, weil darin sehr hetero-
→ weiße Darsteller*innen Karikaturen gene Gruppen ohne Differenzierung
Schwarzer Menschen spielen. Das Kon- vermengt werden. Siehe → People of
zept geht zurück auf US-amerikanische Color.
»Minstrel Shows« des 18. und 19. Jh.
Dabei wurden Sprache, Tanz und Musik
Schwarze Menschen
Colorism beschreibt eine spezifische
Diskriminierungsform, die Schwarze
diskriminiert. Dreadlocks
→ weißer Menschen werden als
43
mit dunklem Hautton (→ dark-skin- → kulturelle Aneignung kritisiert.
ned) abwertet. Colorism folgt einer Siehe auch → Black Hair Politics.
kolonialen Farbhierarchie von dunkel
nach hell, also von dark-skinned über Dunkelhäutig ist eine deutsche Fremd-
→ light-skinned bis → weißgelesen. beschreibung für Schwarze Menschen
Dark-skinned Schwarze sind stärker und PoC, die von den so Bezeichneten
von → Rassismus betroffen und medial häufig abgelehnt wird (vgl. → farbig).
weit weniger sichtbar. Colorism gibt es Der Begriff ist nicht gleichbedeutend
ebenso bei Menschen mit dunkleren mit der englischen Selbstbezeichnung
oder helleren Hauttönen in Südasien → dark-skinned.
oder in arabischen Ländern.
Exotismus Wenn → Schwarze Men-
Dark-skinned beschreibt eine Schwarze schen und → PoC oder andere Men-
Person mit dunklem Hautton. Der eng- schen, die nicht der → weißen »Norm«
lische Begriff ist nicht gleichbedeutend entsprechen wegen ihrer »Andersartig-
mit der deutschen Übersetzung keit« zur Schau gestellt oder beäugt
→ dunkelhäutig (siehe dazu → farbig). werden, ist das Exotismus. So fanden
Dark-skinned Schwarze Menschen zwischen 1870 und 1940 »Völkerschau-
sind laut Studien3 häufiger betroffen en« in deutschen Zoos statt. Exotismus
von rassistischer Gewalt und struktu- beruht auf einer rassistischen Sicht-
rellem Rassismus als → light-skinned weise auf das »Fremde« aus einer euro-
Personen. Vgl. → Colorism. zentrischen → weißen Position. Dabei
schwingt oft der Wunsch des
Dreadlocks, auch kurz Locks ge- Besitzenwollens oder ein sexuelles Be-
nannt, ist eine Frisur, bei der Haar- gehren mit.
strähnen gedreht und so bearbeitet
werden, dass sie dauerhaft verfilzen. Farbig / Farbige ist eine koloniale
Gefilzte Haare waren in verschiedenen Fremdbezeichnung, die Schwarze
Kulturen weltweit üblich, werden heute Menschen und People of Color als
aber vor allem mit Rastafaris in Verbin- Abweichung von der → weißen »Norm«
dung gebracht. Sie tragen Dreadlocks betrachtet und eine vermeintliche
aus religiösen Gründen und um sich → Hautfarbe beschreibt. Als rassisti-
bewusst gegen koloniale Schönheits- sche Bezeichnung wird sie von vielen
normen abzugrenzen. Die Abkürzung deshalb ebenso abgelehnt, wie der
»Dreads« ist problematisch, weil der Begriff → Dunkelhäutige. Zudem meint
Begriff (engl. dread) übersetzt »Furcht« »Farbige« im Deutschen nicht das
bedeutet und der Verunglimpfung der Gleiche, wie in den englischen Selbst-
Rastafari-Bewegung diente. Heute noch bezeichnungen People of Color oder
werden Schwarze Menschen mit Locks → Black and People of Color (BPoC)
ausgesagt wird und ist deshalb nicht
synonym verwendbar.
Territorien anderer Kontinente
eingenommen und eine Kolo-
44
nialherrschaft errichtet haben. Viele
Featurism zeigt sich, wenn optische Regionen und ihre Bewohner*innen
Merkmale, wie zum Beispiel eine breite- wurden in Besitz genommen, ausgebeu-
re Nasenform, abgewertet werden, weil tet und verdrängt. Die kolonialisierte
sie nicht einer → weißen »Norm« ent- Bevölkerung in → Afrika, Asien oder den
sprechen. Ähnlich wie bei → Texturism Amerikas wurde unterdrückt, versklavt
wirken in Featurism die kolonialen oder getötet. Legitimiert wurde dies
Schönheitsideale nach und sorgen auch mit pseudo-wissenschaftlichen Ras-
in Schwarzen Communitys für Aus- sentheorien und dem Glauben an die
grenzung. Siehe auch → Colorism. eigene kulturelle Überlegenheit. Eine
einheitliche Definition von Kolonialis-
Hautfarbe unterscheidet sich je nach mus ist ungenau, weil die Kolonial-
Melaningehalt. In Farben von Bunt- mächte unterschiedlich herrschten.
stiften oder Feinstrumpfhosen findet Konkreter lassen sich beispielsweise
sich in der Regel jedoch nur die Haut- der deutsche oder französische Ko-
farbe → weißer Menschen wieder. lonialismus fassen. Der Begriff Kolonia-
Eine Beschreibung von Hautfarben ist lismus beschreibt außerdem historisch
inhaltlich selten nötig, vor allem sollte das Zeitalter des Kolonialismus, das
auf die Verbindung mit Lebensmitteln mit Christoph Kolumbus 1492 begann
oder Gegenständen verzichtet werden und bis ins 20. Jahrhundert reichte. Ab
(»kohlrabenschwarz«, »schokobraun«). den 1950er Jahren setzte die sogenann-
Geht es im Bericht um → Rassismus te Dekolonialisierung ein, in der die
oder → Colorism, kann benannt werden, kolonialisierten Nationen ihre Unab-
dass Betroffene → Schwarz sind. In hängigkeit erkämpften. Kritiker*innen
keinem Fall wird eine Person zum Bei- sprechen jedoch von einem bis heute
spiel »wegen ihrer*seiner Hautfarbe« wirksamen → Neokolonialismus. Siehe
angegriffen oder »weil sie*er Schwarz auch → Postkolonialismus.
ist«, sondern ein Angriff geschieht aus
rassistischen Gründen und die betrof- Kulturelle Aneignung (engl. Cultural
fene Person ist Schwarz. Bei rassisti- Appropriation) beschreibt die Kritik
schen Erfahrungen spielen → Featurism an → weißen Menschen, die kulturelle
oder → Texturism ebenfalls eine Rolle. Errungenschaften von rassistisch dis-
Gleichzeitig können → light-skinned kriminierten Gruppen kopieren oder
Personen oder → Weißgelesene auch sich zu eigen machen, ohne selbst dafür
Rassismus erleben. diskriminiert zu werden. So sind etwa
→ Dreadlocks ein Symbol der antiko-
Kolonialismus (lat. für Niederlassung, lonialen Religion der Rastafari-Bewe-
Ansiedelung) beschreibt, dass europä- gung, wenn Weiße sie aber aus modi-
ische Kolonialmächte seit dem 15. Jh. schen Gründen tragen, gilt das als
Schwarze Menschen
kulturelle Aneignung. Siehe auch
→ Blackfishing.
→ Schwarze Eltern oder Großel-
tern haben. Der Begriff mixed
45
beschreibt Personen, die von → weißen
Light-skinned beschreibt eine Privilegien der Eltern oder eigenen
→ Schwarze Person mit vergleichs- → light-skinned Privilegien profitieren
weise hellem Hautton. Light-skinned können, beispielsweise der deutschen
Schwarze Menschen sind im Gegensatz Staatsangehörigkeit. Es ist falsch,
zu → dark-skinned Personen struktu- mixed mit → Mischling zu übersetzen.
rell weniger stark benachteiligt. Sie Die Debatte um die Bezeichnung von
profitieren von → Colorism, trotzdem Menschen mit weißen und Schwar-
können auch sie Rassismus erleben. zen Eltern ist in Deutschland allerdings
noch im Gange. Siehe auch → Colorism.
M-Wort ist seit dem 17. Jh. eine Fremd-
bezeichnung für Schwarze Menschen N-Wort ist ein → kolonial-rassistischer
und wurde zunächst mit dem Bild Begriff für → Schwarze Menschen.
einer Person verbunden, die → weiße Im Sprachgebrauch findet er sich noch
Menschen bedient und aus Marok- als N.-Kuss, vor allem aber als All-
ko oder Mauretanien stammt. Später tagsbeleidigung. In (Kinder-)Literatur
tauchte das M-Wort als Bezeichnung kommt er beispielsweise als N-Sklave
für Schwarze Menschen auch in der oder N-König vor, wie in (älteren) Aufla-
Rassenlehre auf. Der Begriff hält eine gen von Astrid Lindgrens Büchern. Die
rassistisch-romantisierte koloniale Er- Abkürzung N-Wort dient dazu, den
innerungskultur am Leben, mit der Fan- rassistischen Begriff nicht zu repro-
tasie des Schwarzen Dieners als Eigen- duzieren. Der Begriff sollte nicht ausge-
tum von weißen Menschen. Er existiert sprochen oder ausgeschrieben werden,
heute noch in Namen von Apotheken da er nie neutral gemeint war, sondern
oder Gaststätten, als Bild in Stadt- in Rassentheorien sowie der Verskla-
wappen, auf Lebensmitteln, in Stra- vung Schwarzer Menschen verwurzelt
ßennamen, als Karnevalsverkleidung, ist und Schwarze entwürdigt. Auch in
im christlichen Krippenspiel und bei Zitaten sollte darauf verzichtet werden
Sternsingern (vgl. → Blackfacing). Das oder eine Triggerwarnung vorangestellt
M-Wort sollte, wie das → N-Wort werden: »Wir zeigen ein Archiv-Stück,
nicht ausgeschrieben oder ausgespro- in dem rassistische Begriffe vor-
chen werden. Mögliche Beschreibungen kommen. Sie können verletzend oder
sind Schwarzer Mensch in dienender retraumatisierend sein«. Das N-Wort
Haltung, Darstellung eines Schwar- nicht auszuformulieren zeigt, dass die
zen Dieners, rassistisch überzeichne- Bedürfnisse Betroffener im Publikum
te Figur einer Schwarzen Person. ernst genommen werden. Siehe auch
→ M-Wort, → Anti-Schwarzer Rassis-
Mixed ist eine Selbstbezeichnung für mus.
Menschen, die → weiße und
Neo-Kolonialismus bezeichnet fort-
wirkende oder neue Formen von Ab-
schen mit) Rassismuserfah-
rungen, von → Schwarzer
46
hängigkeit und Ausbeutung nach dem Diaspora oder vom Schwarzsein die
Ende des formalen → Kolonialismus. Rede sein. Siehe auch → Ethnie.
Demnach werden ehemals kolonisierte
Gebiete heute mit neokolonialisti- Racial Profiling ist die Praxis, Men-
schen Mitteln indirekt von ehemaligen schen allein aufgrund von rassistischen
Kolonialmächten beherrscht, u. a. durch oder anderen diskriminierenden Vor-
finanzielle (z. B. durch Kredite), aber urteilen polizeilich zu kontrollieren.
auch politische, technologische, militä- Obwohl Racial Profiling gesetzlich
rische oder kulturelle Abhängigkeiten. verboten ist, belegen wissenschaftliche
Studien4, dass weiterhin solche »anlass-
Postkolonialismus (engl. Postcolonial und verdachtsunabhängigen Personen-
Studies) ist eine Forschungsrichtung, kontrollen« praktiziert werden. Häufig
die davon ausgeht, dass die Geschichte übt auch Sicherheitspersonal Racial
des → Kolonialismus mit den histori- Profiling aus, wenn → Schwarzen Men-
schen Unabhängigkeitserklärungen schen oder → PoC Zugänge verwehrt
nicht vorbei ist. Untersucht werden die werden, wie zu Diskotheken.
Folgen von bis heute fortbestehenden
kolonialen Denk- und Handlungsmus- Schwarzafrika wird als Synonym für
tern. Ebenso stellt Postkolonialismus afrikanische Länder südlich der
die Frage nach Reparationen, beispiels- Sahara genutzt. Darin schwingt eine ko-
weise in Debatten um die Rückgabe loniale Vorstellung von Nordafrika als
kolonialer Raubgüter in deutschen Mu- dem hochentwickelten weißeren Teil
seen. Siehe auch → Neokolonialismus. des afrikanischen Kontinents mit (ehe-
mals »Weißafrika«) und der vermeint-
Race wird oft fälschlich mit lich unterentwickelten, von → Schwar-
→ Rasse übersetzt. Der Begriff zen Menschen bewohnten Region.
race hat im englischsprachigen Präziser ist es, die Länder zu benennen,
Raum, besonders durch die US-ame- die gemeint sind, oder die Region als
rikanische Bürgerrechtsbewegung, südliches Afrika zu bezeichnen. Siehe
einen Bedeutungswandel vollzogen. auch → Kolonialismus.
Er beinhaltet das Wissen, dass es zwar
keine Menschenrassen gibt, aber sehr Schwarzafrikaner*in ist eine rassistische
wohl Rassismus aufgrund einer Kate- Fremdbezeichnung für → Schwarze
gorisierung in vermeintliche »Rassen«. Menschen. Bezeichnungen wie »Afrika-
Im Deutschen verweist der Begriff ner*in« sind geografisch ungenau. Es
hingegen auf angeblich biologische empfiehlt sich, konkrete Herkunftslän-
Unterschiede zwischen → weißen und der zu benennen – sofern die Nationali-
→ Schwarzen Menschen. Je nach Zu- tät inhaltlich relevant ist. In Beiträgen
sammenhang könnte von (Men- über Südafrika kann von Schwarzen
Schwarze Menschen
Südafrikaner*innen und weißen Süd-
afrikaner*innen gesprochen werden.
wurden Gruppen auf dem
afrikanischen und amerikani-
47
schen Kontinent einfach als »Stämme«
Schwarze Diaspora (altgriechisch »Zer- pauschalisiert. Die Diversität → Afrikas
streuen«). Diaspora benennt vertriebene und Amerikas blieb unsichtbar und dies
jüdische Gruppen. Abgeleitet davon wirkt bis heute nach. Sinnvoller ist es,
steht Schwarze Diaspora für Schwar- die zahlreichen Selbstbezeichnungen
ze Menschen, die nicht in den Her- zu benutzen, wie zum Beispiel für die
kunftsregionen ihrer Vorfahren leben. Gruppe der Fulbe aus Westafrika oder
Außerdem gibt es nationale Diaspora- die Kayapó aus dem Amazonasbe-
Gruppen, zum Beispiel bezeichnen sich cken.
Menschen mit ghanaischer Migrations-
biografie in Deutschland als ghanai- Texturism ist die Hierarchisierung
sche Diaspora. Der Begriff wird von unterschiedlicher Typen von → Afro-
vielen Gruppen Ausgewanderter oder haaren. Haare, die eher dem weißen
von Glaubensgemeinschaften verwen- Schönheitsideal entsprechen, wie zum
det; so gibt es die polnische Diaspora, Beispiel größere Afrolocken, werden als
die alevitische Diaspora etc. »good hair« aufgewertet und gegenüber
engen kleinen Locken (»bad hair«, »nap-
Schwarze Menschen, Schwarze*r ist py hair«) bevorzugt. Schwarze Personen
eine Selbstbezeichnung von Menschen mit enger gelocktem Haar sind oft stär-
mit beispielsweise afrikanischen, kari- ker von → Anti-Schwarzem Rassismus
bischen oder afro-US-amerikanischen betroffen. Meistens ist Texturism mit
Vorfahren. Schwarz wird in diesem → Colorism verbunden.
Zusammenhang immer groß geschrie-
ben, um deutlich zu machen, dass da- Token beschreibt eine*n Vertreter*in
mit keine Hautfarbe beschrieben wird. einer diskriminierten Gruppe, der*die
Schwarz ist vielmehr eine politische benutzt wird, um nach außen Vielfalt
Selbstbezeichnung, die gemeinsame vorzutäuschen oder diskriminierende
Erfahrungen sowie die gesellschaftspo- Haltungen zu legitimieren. Muss also
litische Position und die Lebensrealität zum Beispiel auf der Firmenwebseite
von Menschen beschreibt, die von die einzige Schwarze Mitarbeiterin
→ Anti-Schwarzem Rassismus betroffen ganz vorn aufs Teamfoto oder wer-
sind. Siehe auch → BPoC oder den Schwarze Schauspieler*innen in
→ People of Color. Filmen ausschließlich auf Nebenrollen
reduziert, fungieren sie als Tokens.
Stamm Im → Kolonialismus orientierten In ähnlichen Zusammenhängen ist
Europäer*innen sich oft an Begriffen, Deutschland manchmal von »Quoten-
die in Zusammenhang mit der Antike migranten«, »-Schwarzen« oder »-frau-
und dem Frühmittelalter standen. In en« die Rede.
Anlehnung an germanische Völker
Weiße Privilegien sind gesellschaftli-
che Vorteile, die damit einhergehen,
Situationen äußern. Siehe auch
→ White Tears.
48
→ weiß zu sein, allen voran das Privi-
leg, nicht → rassistisch diskriminiert zu White Savior (engl. weiße*r Retter*in)
werden. wird eine → weiße Person genannt, die
nicht-weißen Menschen auf eigennüt-
Weiß gelesen (engl. White Passing) ist zige Weise Hilfe leistet, um sich selbst
eine Person mit meistens sehr heller aufzuwerten. Die oft unbeabsichtigte,
Haut (→ light-skinned) und/oder wenig aber reale Folge ist eine Abwertung ar-
gelockten Haaren, die → Schwarze mer, nicht-weißer Menschen. Beispiel-
Eltern oder Großeltern hat, und als haft dafür sind Fotos oder Reiseberichte
→ weiß, also ohne afrodiasporische von Weißen und ihren Begegnungen
Migrationsgeschichte wahrgenommen mit Kindern in Armut. White
wird. In ähnlichen Fällen können auch Saviorism wird häufig bei internationa-
→ People of Color als weiß gelesen len Charity-Projekten kritisiert.
werden. Historisch konnte es große
Vorteile bringen, für weiß gehalten White Tears (engl. weiße Tränen) Wenn
zu werden und auch heute noch sind → weiße Menschen mit → Rassimus und
damit Privilegien verbunden (→ weiße ihrem Weißsein konfrontiert werden,
Privilegien). Aber auch Weißgelese- fühlen sie sich oft ungerecht behandelt
ne können beispielsweise aufgrund und lenken mit den eigenen Emotionen
ihrer Schwarzen Familie → Rassismus von den Betroffenen ab. Dieses Verhal-
erleben. Teilweise bezeichnen sie sich ten wird als White Tears beschrieben.
deshalb ebenfalls als Schwarz, PoC oder
nicht-weiß.
Sichere Drittstaaten sind die EU-Staa- Subsidiärer Schutz kann von Geflüch-
ten sowie Norwegen und die Schweiz, teten nach der Europäischen Men-
in denen Asylsuchenden »nach den schenrechtskonvention in Anspruch
verfassungsrechtlichen Vorgaben« alle genommen werden, wenn ihr Asylan-
Rechte auf Grundlage der → Genfer trag vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlingskonvention zugestanden Flüchtlinge abgelehnt wurde. Sie wer-
werden sollten. Haben Schutzsuchen- den als subsidiär Schutzberechtigte
de sichere Drittstaaten erreicht, wird anerkannt, wenn sie den Behörden
ihnen die Einreise nach Deutschland an stichhaltige Gründe dafür vorbringen
der Grenze verweigert; wer aus einem können, dass ihnen im Herkunftsland
Flucht und Asyl
ein ernsthafter Schaden droht. Dann
wird ein einjähriger Schutz gewährt,
65
mit Möglichkeit zur Verlängerung auf
drei Jahre.
Ausländer*innen mit deutschem Pass Folgen für sie hat, waren in Politik und
taucht – kaum in gegenderter Form Medien weniger präsent. Entsprechend
– aber als »Ausländer mit deutschem kann von den unterschiedlichen
Pass« erstaunlicherweise immer wieder Sorgen aller Bürger*innen berichtet
auf, ist sachlich falsch und als diskri- werden oder von den Einstellungen
minierender Widerspruch zu sehen. → islamfeindlicher Bürger*innen bzw.
Vermutlich sind damit Deutsche mit von → antimuslimischem Rassismus.
internationaler Geschichte, also mit
eigener Einwanderungserfahrung oder Bürgerlich (konservativ) wird zum Teil
→ Migrationshintergrund gemeint. als beschönigende Beschreibung illi-
Siehe auch → Passdeutsche. beraler Haltungen verwendet. Bürgerli-
cher Konservativismus in Deutschland
Besorgte*r Bürger*in ist 2014 im Zuge ist freiheitlich-demokratisch geprägt
der ersten Pegida-Demonstrationen in und nicht → radikal – anders als viele
Dresden als Euphemismus für Men- politische Positionen rechter Kreise, die
schen mit → islamfeindlichen Ein- sich selbst als bürgerlich bezeichnen.
stellungen aufgekommen. Es entstand
eine Debatte, ob »besorgte Bürger« zu Christlich-jüdisch Als solche → Leit-
selten gehört würden. Deren »Sorgen« kultur oder solches Abendland wird oft
prägten, flankiert von Sarrazins Buch eine in Deutschland vorherrschende
»Deutschland schafft sich ab« (2010), kulturelle Ordnung bezeichnet. Die
allerdings schon seit Jahren, den Dis- Verbindung dieser beiden Begriffe ist
kurs. Die Ängste der Betroffenen davor, historisch falsch (siehe → Antijudais-
dass → Rassismus in Deutschland mus) und dient häufig der Abgrenzung
allmählich salonfähig wird und reale gegenüber → Muslim*innen. Alternativ
→ Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff → Empfohlener Begriff mit Erläuterung
können z. B. verfassungsgemäße
Werte genannt werden, zu denen sich
Grenze des Sagbaren wird in
der Berichterstattung oft im
67
Gläubige aller Religionen, wie auch Kontext von gezielten sprachlichen
nicht gläubige Menschen in Deutsch- Tabubrüchen durch → Rechtsradikale
land bekennen sollten. und → Rechtsextreme erwähnt. Meist
geht es um die Frage, ob sich eine
Deutschenfeindlichkeit wird in rechts- Grenze dahin verschoben hat, dass
radikalen und -extremen Kreisen menschenfeindliche und verhetzende
benutzt, um zu behaupten, → weiße Aussagen nun sagbar seien. Allein die
Deutsche seien von → Rassismus durch Frage kommt einem Zugeständnis an
eingewanderte Menschen, insbesonde- diejenigen gleich, die versuchen, solche
re Muslim*innen betroffen. Da diesen Aussagen in die Mitte des gesellschaft-
Minderheiten strukturelle Macht in lichen und medialen Diskurses zu ho-
Deutschland fehlt, trifft der Vorwurf len. Siehe auch → Political Correctness.
nicht zu, wenn es etwa zu Beleidigun-
gen oder Mobbing kommt. Der ideo- Heimat beschreibt, als persönlich
logisch aufgeladene Begriff relativiert definierter Begriff, den Ort, an dem
tatsächlich existierenden Rassismus, Menschen sich heimisch fühlen, egal
es findet eine Täter-Opfer-Umkehr ob sie dort geboren sind oder nicht.
statt. Trotzdem taucht der umstrittene Entsprechend können → Menschen mit
Begriff seit 2020 als eigene Kategorie internationaler Geschichte eine Ver-
»deutschfeindliche Straftaten« in der bundenheit zu mehreren Heimaten
Statistik des Innenministeriums über empfinden. Politisch wird der Heimat-
politisch motivierte Kriminalität auf. begriff teils weiterhin nationalistisch
Siehe auch → Kartoffel-Rassismus. interpretiert (vgl. → Volk). Eine der we-
nigen Äußerungen des ersten Bundes-
Ethnopluralismus ist eine rassistische heimatministers Seehofer (CSU) dazu
Theorie der → Neuen Rechten, die lautete »Heimatpolitik ist stets eine
davon ausgeht, es gäbe unveränderte Politik der Vielfalt«.1 Siehe auch
kulturelle Identitäten verschiedener → Einwanderungsgesellschaft.
Völker und → Kulturkreise, die vor
Fremden zu schützen seien, um eine Heimatschutz bezieht sich heute teils
»Reinhaltung« der Kulturen zu errei- auf den Denkmalschutz (Schweiz)
chen. Ein solches Apartheids-System und ist ebenso ein militärischer Begriff.
ist in einer globalisierten Welt nicht Er ist belastet, weil → Neonazis ihn
realistisch. Darüber hinaus wurde die häufig nutzen (aus der neonazistischen
Weiterentwicklung aller Kulturen der Vereinigung »Thüringer Heimatschutz«
Welt vor allem durch Austausch be- ist der NSU entstanden). Zudem wird
fördert. Heimatschutz von → Rechtsradikalen
und → Rechtsextremen auch als Argu-
ment für mehr Umweltschutz und
daraus folgend gegen Einwanderung
vorgebracht, um die »deutsche Natur«
Eigenschaft hin. Weiße Men-
schen wurden zu keiner Zeit
68
zu erhalten. unterdrückt, weil sie weiß sind.
Inhalte des Glossars dürfen ohne schriftliche Einwilligung der Neuen deutschen
Medienmacher*innen nicht und in keiner Form, auch nicht für Lehr- und Unter-
richtszwecke, reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche
Einwilligung der Neuen deutschen Medienmacher*innen nicht gestattet.
Impressum
© 2022, 11. Auflage, Januar 2022
Herausgebende
Neue deutsche Medienmacher*innen e.V.
Potsdamer Straße 99
10785 Berlin
Redaktion
Konstantina Vassiliou-Enz,
Alice Lanzke
Gestaltung
www.renk.studio.de
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen
(NdM) sind ein bundesweiter Zusammenschluss
von Medienschaffenden mit und ohne Migra-
tionsgeschichte, die sich im gemeinnützigen
Verein seit 2009 für mehr Vielfalt in den Medien
und Einwanderungsperspektiven im öffentlichen
Diskurs einsetzen. Das Netzwerk ist politisch
unabhängig, nationalitäten- und konfessions-
übergreifend. Zu den NdM zählen sich mehr als
zweitausend Medienschaffende aus ganz
Deutschland. Sie arbeiten als feste und freie
Journalist*innen für deutsche Medien – in Print,
Online, TV und Hörfunk.