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Distinktion und Entgrenzung: Der

Hipster als Sozialtypus


Von Robert Zwarg · 18.09.2011

http://www.beatpunk.org/stories/distinktion-und-entgrenzung-ueber-den-hipster-als-sozialtypus/

5 [Abruf: 13.03.14]

[…]

Der Hipster ist ein Phantom der westlichen Metropolen. Linke Sozialwissenschaftler und ein
kulturaffines Feuilleton versucht ihm verzweifelt Herr zu werden.4 Kaum jemand möchte
dazugehören, doch alle kennen sie ihn; deswegen ist »Hipster« zunächst und vor allem ein
10 Distinktionsbegriff. Auf Dutzenden Blogs, Stickern und Graffitis schlägt dem Hipster ein
Ressentiment entgegen, das überrascht. So rät ein sogenanntes Berliner »Szenemagazin«
seinen Lesern: »Niemals, niemals, niemals, darf man sich selbst als ’Hipster’ oder ’Scenester’
bezeichnen. Hipster müssen für den krampfhaften Versuch, ’cool’ oder ’in’ sein zu wollen,
verachtet und verurteilt werden, da jeder Versuch auf das Defizit in ihrer Authentizität
15 hinweist.«5 Eine falsche, ja, geheuchelte Individualität, eine simulierte Originalität werfen
ihm jene vor, die im Sozialen wie im Kulturellen auf der Suche nach Ursprünglichkeit zu sein
scheinen. Abneigung erfährt auch sein ausgeprägtes Spezialisten- und Geschmäcklertum. Als
eine solche Negativfolie und Hassobjekt zeugt der Hipster vom Verfall der Subkulturen in
den Metropolen. Die Kritisierenden und die Kritisierten – unterstellt man einmal, das beim
20 Hipster der humanistische Wunsch jemand zu sein, tatsächlich vorhanden ist – behaupten und
verteidigen, was die Kulturindustrie längst geschluckt hat. Was das Besondere verbürgen soll,
ist vor allem der eklektische Rückgriff auf die Vergangenheit.

Dies geschieht allerdings nicht, weil Elemente der Tradition tatsächlich als der Rettung
würdig befunden werden. Vielmehr erfolgt der Rückgriff, das modische Spiel mit dem Stil,
25 vor allem vermittels der Kernattitüde der Postmoderne: der Ironie. Von außen betrachtet
symbolisiert der Hipster den Beginn des 21. Jahrhunderts als Beliebigkeit und Entgrenzung.
Im Fashion-Patchwork verschwimmt der Stil, der einst eine soziale Klasse markierte, um zur
neuen Mode einer gebeutelten Mittelschicht zu werden. Plötzlich zieren sich die
spätgeborenen Kinder mit dem Chic südstaatlerischer Rednecks: Truckermütze, metallne,
30 großformatige Gürtelschnallen, Flanellhemd, Shirts von möglichst unbedeutenden
Provinzcolleges oder kleinen Betriebe des mittleren Westens. In ironischer Äquidistanz
dominiert eine ästhetische Androgynisierung. Nur in einem duldet der Hipster keine Ironie, in
den Fragen des (vornehmlich Musik)Geschmacks.

Das ästhetische Kokettieren mit der Mode einer längst verschwundenen Arbeiterklasse reibt
35 sich an der tatsächlichen Stellung des Hipsters zum Produktionsprozess. Waren Flaneur und
Dandy – jene Figuren eines aufstrebenden und selbstbewussten Bürgertums, die Walter
Benjamin so eindrücklich beschrieben hat–, noch der zum Sozialtypus geronnene Protest
gegen die Produktivität, sind die Hipster des 21. Jahrhunderts einsame Konkurrenten um die
letzten Anteile an einer sich verflüchtigenden Arbeitswelt. Die historische Bohème beruhte
40 auf der durch Wohlstand freigewordenen Zeit für sich und für andere und stellte durch ihren
offensiv präsentierten Müßiggang den Gegenpart zur aufstrebenden Bourgeoisie dar. Die
Digitale Bohème, mit der der Hipster häufig assoziiert wird, war von Anfang an ein mehr
oder minder effektiv verkleidetes Krisenphänomen. Weil ihnen wie so vielen anderen in
jedem Moment der Absturz droht, stellen sie sich in ihrer Formbarkeit und Anschmiegsamkeit
45 ganz in den Dienst der Produktion; nur darf es nicht so aussehen. Dass im Café arbeitet, wer
sich kein Büro leisten kann oder wer auf den fragwürdigen Status des Freiberuflers
zurückgeworfen ist, der üblicherweise mit einem kaum mehr zu bremsenden Ineinanderfallen
von Arbeit und Freizeit bezahlt wird, verschwindet hinter dem Unabhängigkeitspathos der
digitalen Bohemiens. Dass die Spiesser-Redakteurin sich dies nur durch Schmarotzertum
50 erklären kann, zeigt nur, dass es ihr scheinbar nicht anders geht.

Als Phänomen einerseits und als Negativfolie anderseits befindet sich der Hipster einer
ökonomisch-subjekttheoretischen Schnittstelle und nur das macht ihn eigentlich interessant:
Als Objekt des Ressentiments und des Spotts führt der Hipster unweigerlich den Verfall von
Individualität vor Augen. Der Hass auf dem Hipster scheint der Ahnung zu entspringen, dass
55 gleichsam niemand mehr jemand ist, weswegen die unterstellte Pose des Hipsters umso mehr
aufreizt. Er selbst ist nicht minder ein Sozialtypus in der Defensive, ein
Kompensationsprodukt. Denn wo ökonomisch prekäre Verhältnisse sich immer mehr
verallgemeinern und die Menschen einander immer mehr angleichen, dort bleibt dem Subjekt
wenig mehr als die Pflege dessen, was gesellschaftlich irrelevant ist, seinem Geschmack.
60 Dabei handelt es sich nicht nur um einen letzten Versuch, Individuum zu sein, sondern auch
um die Hoffnung, gerade ein ausgeprägter Geschmack und die entsprechenden
Sekundärtugenden Flexibilät, (Selbst)Organisationstalent und ein zielsicheres Manövrieren
durch den Dschungel des Underground mögen schließlich die Pforten öffnen zu einer
finanziell abgesicherten Existenz; nämlich im Business von Medien, Mode und Musik.

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Phänomenologie und Geschichte


Der Begriff des Hipsters ist keineswegs neu. Bereits 1948 veröffentlichte Anatole Broyard in
der Zeitschrift Partisan Review »A Portrait of a Hipster«. Nicht mal zehn Jahre später folgte
Norman Mailers kontroverser Essay »The White Negro«, mit dem das Adjektiv »hip« und die
70 dazugehörige Personenbezeichnung endgültig prominent und kulturkritisch verortet wurden.
Ursprünglich handelte es sich um ein Phänomen der schwarzen Subkultur in Amerika. Doch
sowohl Broyard als auch Mailer begriffen den Hipster schon damals als ein als
Krisenbewältigungsphänomen. Der Hipster, so Broyard, machte aus der Not seiner
gesellschaftlichen Isolation eine Tugend und bildet eigene Codes, eine eigene Sprache, Stil
75 und ein geheimes Wissen aus. Bebop, eine im damaligen kulturellen Klima mindestens
verstörende Musik, wurde zur paradigmatischen kulturellen Ausdrucksform des Hipsters.

Ob erwünscht oder nicht, das Ergebnis dieser Abgrenzunggeste und der Kultivierung des
Arkanen war Integration. Norman Mailers Essay »The White Negro« hat nicht zufällig die
Faszination des weißen Hipsters für seinen schwarzen Gegenpart zum Thema. Unter dem
80 Eindruck der nationalsozialistischen Konzentrationslager und dem amerikanischen
Atombombenabwurf verstand Mailer die Nachkriegszeit als sozialpathologische Ära des
Konformismus und der Stagnation. Die sogenannte Beat-Generation war vielleicht die erste
Gruppe, die der Anästhesie des durch den New Deal induzierten Wohlstandes eine poetische
und phänomenologische Gestalt verliehen. »Beat« – geschlagen, erschöpft und
85 heruntergekommen –; darin hallt noch ein Stück der Bedrückung nach, mit der diese Zeit
charakterisiert wurde. Was auch heute im Spott über den Hipster mitschwingt – die Sehnsucht
nach Authentizität – war auch zu Norman Mailers Zeiten charakteristisch für den neuen
weißen Hipster. Was an den schwarzen Hipstern am meisten faszinierte, war die für den
Rassismus typische imaginierte Ursprünglichkeit. Wie sie wollte man nun auf die Stagnation
90 mit einer existenziellen Geste reagieren, einem Sprung nach vorne. Im Zuge dessen begann
sich auch die Bedeutung des Wortes »beat« aufs rhythmische, bewegte und pulsierende, zu
verschieben. »Hip« wurde zur Denomination dessen, was aus der Masse hervorstechen und
gleichzeitig nur Eingeweihten zugänglich sein sollte. Als Zentrum dieser gestischen
Verweigerung machte Norman Mailer Körper und Sexus aus. Nicht zu Unrecht wurde ihm
95 diesbezüglich eine romantisierende Anverwandlung rassistischer Stereotype vorgeworfen. In
einer kruden Melange aus Wilhelm Reichs populärer Theorie der sexuellen Befreiung und
Bonmots wie dem vom »Jazz als Orgasmus« reproduzierte er die Vorstellung des naturhaften
Wilden, dem sich der Hipster als moderne und weiße Kopie desselben anschmiegt.

Liest man heute die Beschreibung von Norman Mailer, wird der historische Hipster als
100 postmodernes Phänomen avant la lettre deutlich, das Ende der 90er Jahre in der Mittelschicht
der westlichen Metropolen zu sich selbst kommen sollte. Narzisstisch enthoben von der
Gesellschaft und ihren geläufigen politischen Beschreibungsmodi, gestisch rebellierend aber
ohne klares Feindbild, verliebt in die Komplexität, getragen von unendlichen Fragen und
keinen Antworten. Was in Mailers »White Negro« noch als eine durchaus ernst gemeinte
105 existenzielle Pose beschrieben wurde – und nicht umsonst war der Existenzialismus in den
50er und 60er en vogue –, wurde beim Hipster des ausgehenden 20. Jahrhunderts fast zur
Gänze durch Ironie ersetzt. Mit dieser Strategie – wie bewusst oder unbewusst sie auch sein
mag – wurde eine merkwürdige Überblendung historischer Zeiten möglich. Das Neue, das der
Hipster symbolisieren möchte, vollzieht sich über Embleme und kulturelle Artefakte der
110 Vergangenheit. Die Kulturindustrie hält hierfür die Worte »Retro« und »Vintage« bereit.

Vor allem die 80er Jahre feierten als historischer Bezugsrahmen sowohl modisch als auch
musikalisch ein überraschendes Comeback. Auch die Bildästhetik des Hipsters, sein Auge –
historisch bestimmt wie nur irgendein Organ – vollzieht diese Bewegung in die
Vergangenheit. Heute, da das Wissen, wie ein Film in die Kamera gelegt wird,
115 geschweigeden wie er zu entwickeln sei, im Verschwinden begriffen ist, kehrt vermittelst
modernster Technik die Ästhetik der Photographie von vor 30 Jahren wieder. Bilder im Stile
der Lomo oder Polaroid-Sofortbildkamera lassen sich bequem mit dem treffenderweise
»Hipstamatic« genannten App auf dem Iphone erzeugen oder nachträglich am Computer
generieren. Tausendfach reproduziert findet sich die Bilderwelt des Hipsters heute im Vice
120 Magazine oder den Werbekampagnen von American Apparel. Stand der Flaneur in Walter
Benjamins Passagenwerk schon dem Begriff nach für Bewegung, scheint der der postmoderne
Hipster eher eine Figur des Stillstands zu sein. Still gestellt auf Millionen von Bildern im
Retro-Chic, die ihn sitzend im Café oder stehend auf der Party zeigen. Nicht zufällig begann
der Hype um den Hipster mit der Website lastnightsparty.com, die sich einzig und allein der
125 Dokumentation und Ästhetisierung hedonistischer Exzesse im Polaroidformat widmete.

Was sich am Verhältnis zu Tradition und Geschichte zeigt – Entdifferenzierung – scheint für
den Hipster allgemein zu gelten. Verschwommen sind nicht nur die Differenzen im Bereich
der Mode – was sich gleichzeitig auf die Inszenierung des Geschlechterverhältnisses überträgt
–, auch in der Emblematik politischer und klassenspezifischer Zugehörigkeit verschwimmen
130 beim Hipster die Grenzen. College-Shirts und Hornbrillen markieren ihre Träger einerseits als
die ewigen Studenten, anderseits kehren mit dem südstaatlichen Redneck-Style Accessoires
einer eher als reaktionär wahrgenommen Klasse von Arbeitern und Farmern wieder. Das
weiße Unterhemd heisst nicht umsonst im Englischen »wifebeater« und zeigt an, welche
Schichten und Milieus man ursprünglich einmal mit dem Kleidungsstück verband. So siedelt
135 sich der Hipster irgendwo zwischen den Klassen an, in einer stillstehenden Zwischenwelt von
lolitahafter, ewiger Jugendlichkeit für die weiblichen Vertreterinnen und einzig durch den
Oberlippenbart gebrochene Spätadoleszenz bei den Männern.
Hass und Selbsthass des Hipsters
Wenn der Hipster aber bloß eine unbedeutende und beliebige Collage ist, was ist es dann,
140 dass an ihm so abstößt? Was einem als despektierliche Geste hier und da auf einer Party, im
Gespräch mit Freunden oder im Szenecafé begegnet, wird dort manifest, wo wirklich jeder
sich äußern kann, in der Welt der Blogs: Der Hipster ist ein Hassobjekt. So wirbt die Website
Diehipster.com mit der Unterzeile: »Ein Ort für echte New Yorker, um sich Luft zu machen
über die Invasion aufmerksamkeitssüchtiger, nutzloser Erwachsener, die wir als Hipster
145 kennen.« Manche stellen gar Hipster-Fallen in den New Yorker Straßen auf (als Köder
fungieren eine pinke Sonnenbrille, eine Fahrradkette und eine Büchse Bier der Marke Papst
Blue Ribbon).6

Offensichtlich geht vom Phantom des Hipsters etwas Irritierendes, ja Abstoßendes aus. Dabei
ähneln das Ressentiment durchaus jenem, dass zu Zeiten eines aufstrebenden Bürgertums dem
150 Adel entgegenschlug: Dünkelhaftigkeit, Hochnäsigkeit, Unproduktivität, alles in allem eine
falsche weil oberflächliche Individualität. Dass Adel und Bohème gleichsam synonym mit
Urbanität waren, wiederholt sich heute, allerdings unter verkehrten Vorzeichen. So werden
heutzutage Hipster immer wieder mit dem Schreckgespenst aller »alternativen« Stadtviertel,
der Gentrifizierung, assoziiert. Ein Kuriosum wie der Berliner Verband Kritischer Hipster
155 wendet das sogar selbstkritisch: »Der Verband Kritischer Hipster ist ein lockerer
Zusammenschluss von Menschen, die im Prenzlauer Berg wohnhaft sind und sich mit den
gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrem eigen Umfeld kritisch auseinandersetzen. Dabei
verstehen wir uns auch als Teil der kritisierten Gruppen.«7 Was früher mit dem Land- und
Dorfleben verbunden wurde, Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Familiarität, wird heute
160 umstandslos auf den Lieblingskiez in Berlin projiziiert und der Hipster für dessen Zerstörung
verantwortlich gemacht.

Der Vorwurf, beim weißen Hipster handele es sich um nicht nur um die Vorhut, sondern um
den zum Sozialtyp geronnenen Ausdruck dessen, was man Gentrifizierung nennt, ist durchaus
nicht zu weit hergeholt. So zog in den 90er Jahren in Amerika die weiße Mittelklasse in
165 Scharen in jene urbanen Zentren zurück, die sie in den 70er Jahren, der Zeit der white flight
verlassen hatten. Der New Yorker Stadtteil Williamsburg beispielsweise in den letzten
Jahrzehnten nicht nur eine gravierende Wandlung und Kommerzialisierung durchgemacht,
sondern greift derzeit auch immer mehr in ethnisch stärker bestimmte und sozial niedriger
rangierende Stadtviertel aus. Was dennoch kaum einer zugeben möchte – und hier zeigt der
170 öminöse Verband Kritischer Hipster durchaus Einsicht –, ist, dass so ziemlich jeder die
kosmopolitisch oder gar multikulturell markierten Viertel denen der sogenannten
Unterschichten vorziehen würde.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Vorwurf des Oberflächlichen und Unauthentischen, der
den Hipster immer wieder ereilt. Aus dem Blick gerät dabei nicht nur, dass die Kritiker des
175 Hipsters phänomenologisch selbst diesem Kosmos zuzurechnen sind, sondern auch, dass sich
der Wunsch, Individuum zu sein, vor allem vermittels Ironie vollzieht. Der Hipster ist also
gerade nicht einfach nur der »Terror des Authentischen«, wie Philipp Goll im antideutschen
Lifestyle-Magazin Hate schreibt. Vielmehr ist er die als Ironie verkaufte Absage an alles
Authentische und wird deswegen von all jenen gehasst, die in sich – ob bewusst oder nicht –
180 noch ein Fünkchen Sehnsucht nach (sub)kultureller Wärme verspüren. Gerade der von allen
vollzogene und allzu oft von allen bemerkte Bruch zwischen Habitus und Alltag – wie Skater,
Musiker, Künstler aussehen aber nichts davon zu sein – ist es, der am Hipster immer wieder
abstößt. Wo, wie unterstellt wird, bloße Oberfläche ist, da wird sich immer ein Fürsprecher
des Wahren, Tiefen und Ursprünglichen finden, der kitten möchte was niemand mehr kitten
185 kann.
Die Ironie ist tatsächlich die stärkste Waffe des Hipsters. So fand kürzlich in Berlin eine
Hipster-Olympiade statt, bei der das Online Musik-Magazine Kultmucke die Berliner Hipster,
jene die es sind und die die es nicht sein wollen gegeneinander antreten ließ; unter anderem in
den Disziplinen Starbucks- Becher- um- die- Wette- Rollen, Club-Mate-Kisten Wettrennen,
190 Latte- Macchiato- Kekse- Stapeln und Hornbrillen- Weitwurf. Dabei wurde betont: »Die
Olympiade ist jedoch keine Spaßveranastaltung. Bei der Hipster-Olympiade handelt es sich
um eine Ironische Demonstration gegen zunehmende Gentrifizierung und damit
einhergehende Homogenisierung von Lebensstilen in Berliner Innenstadtbezirken.«8

Im Gegensatz zur klassischen – und das heißt vornehmlich antiken – Ironie handelt es sich
195 hierbei aber tatsächlich um eine leere Pose. Nur dass die Leere keine ist, die der subjektiven
Oberflächlichkeit des Hipsters entspringt, sondern sie ist objektiv. Dass hinter der Fassade
kaum noch etwas zu entdecken ist, Künstlichkeit, Bewegung, das Verdampfen alles
Stehenden und Ständigen zur bürgerlichen Gesellschaft gehört wie das Gewitter zur Wolke,
das ist die Tragik, die der Vorwurf des Unauthentischen zu kompensieren sucht. Ironie war
200 als rhetorische Figur vor allem List, die auf einen Wahrheitskern verwies, der sich durch
Verstellung und Verkehrung hindurch den Zuhörenden dennoch erschließen sollte. Das
geteilte Wissen, das Ironie zu einer sinnvollen Strategie werden ließ, ist heute weitgehend
verschwunden oder mindestens unklar. So verweist die Hipster-Olympiade auf nichts anderes
als das, wogegen sie sich – ironisch – richtet. Sie hat keinen Gegenpart, keine Wahrheit die
205 sich durch ihr Gegenteil hindurch entziffern ließe. Inszeniert als Event, treffen sich stattdessen
die Protagonisten des Konformismus zur kollektiven Autosuggestion, gerade sie seien anders
als die anderen.
[…]
Es sind nicht zufällig diese Bereiche der Produktion, in die es den Hipster treibt, lassen sie
210 sich doch vorzüglich verbinden mit seiner Kernkompetenz, seinem Geschmack. Damit setzt
auch eine eigentümliche Verkehrung dessen ein, was Benjamin über den Flaneur des 19.
Jahrhunderts geschrieben hatte. Während dieser in seinem Müßiggang und dem scheinbar
interesselosen Umherstreifen einen Protest gegen den Produktivitätsfetischismus des
aufsteigenden Kapitalismus darstellte17, sind Hipster und digitaler Bohemien die zeitgemäßen
215 Ausdrücke der Produktionsverhältnisse. Bei der Digitalen Bohème als Nonkonformismus
daherkommende Überaffirmation dessen, was sowieso geschieht, beim Hipster als auf immer
höhere Metaebenen gesteigerte »ironische« Brechung des Verfalls von Individualität, handelt
es sich in beiden Fällen um Kompensations- und Verdrängungsprojekte. Wer sich im
Vergleich dazu einmal in den entsprechenden Stadtteilen New Yorks bewegt und vielleicht
220 ein paar Gespräche geführt hat, der spürt den Menschen wenigstens eine Ahnung von der
Schlechtigkeit eines Lebens an, das zwischen zwei »Day Jobs« und den mühevoll
abgerungenen Stunden als Künstler, Musiker oder Graphiker stattfindet. Während der Hipster
die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit, ein Individuum zu sein, offenlegt, verrät,
wer das Leben in diesen Verhältnisse mit der Rede von der Bohème schmückt, die Idee eines
225 guten Lebens, die früher einmal mit den Antagonisten der Bourgeoisie verbunden war.

1. www.stylishkidsinriot.com(↩)
2. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,782552,00.html(↩)
3. http://www.spiesser.de/artikel/brief-den-berliner-szene-hipster(↩)
4. Vgl. Greif et al. (Hrsg.), What was the Hipster, New York 2010(↩)
230 5. http://www.spreeblick.com/2010/03/08/der-berliner-szenemensch/(↩)
6. http://uk.gawker.com/5781582/someone-is-setting-hipster-traps-in-new-york(↩)
7. http://verbandkritischerhipster.wordpress.com/der-vkh-stellt-sich-vor/(↩)
8. http://www.kultmucke.de/hipsterolympiade/(↩)
9. http://www.taz.de/1/nord/kultur/artikel/?ressort=ku&dig=2011%2F02%2F08%2Fa0122&cHash=cdb4a3a57d/(↩)
235 10. http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/493964(↩)
11. Gerade als diesen kritischen Konsumente möchte Aram Lintzel den Hipster auch prompt retten.(↩)
12. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt a.M: 1987, 279(↩)

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