Sie sind auf Seite 1von 30

Memorandum

Kooperation der
Gesundheits­berufe

Qualität und Sicher­stellung


der zukünftigen
Gesundheits­versorgung
3

Memorandum
Kooperation der
Gesundheits­berufe

Qualität und Sicher­stellung


der zukünftigen
Gesundheits­versorgung
4 Vorwort 5

Vorwort

Die öffentliche Gesundheitspf lege ist ein zentrales Eigenverantwortung der einzelnen Berufe ebenso in das die Ergebnisse verschiedener Expertisen Die Robert Bosch Stiftung dankt den Mitgliedern der
Thema der Robert Bosch Stiftung. Seit ihrer Grün- berücksichtigt wie ineinandergreifende Zuständig- eingef lossen sind: Aus juristischer Sicht wurden Expertengruppe, die das Memorandum in einem
dung vor fast 50 Jahren fördert sie fremde und eigene keiten. Der inzwischen erschienene Tagungsband von Prof. Dr. Gerhard Igl die Möglichkeiten und konstruktiven Prozess und im respektvollen Mitein-
Programme und Projekte, die sich zum Ziel gesetzt »Ausbildung für die Gesundheitsversorgung von mor- Grenzen der Kooperation der Gesundheitsberufe ander frei von Interessenspolitik verfasst haben, für
haben, ausgewählte Strukturfragen des Gesundheits- gen« kann bei der Robert Bosch Stiftung angefordert aufgezeigt. Ein systematischer Review der Univer- deren fruchtbare und intensive Zusammenarbeit und
wesens zu bearbeiten und zur Verbesserung und werden. sität Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Heinz für das große Engagement beim Transfer der Ergeb-
Sicherung der Qualität der Versorgung kranker und Rothgang untersuchte die bestehende Evidenzlage nisse und Empfehlungen. Unser Dank gilt darüber
pflegebedürftiger Menschen beizutragen. Diesem Die Diskussion um die Zusammenarbeit der verschie- zur interdisziplinären Kooperation. Eine Übersicht hinaus den Gutachtern, den Kommentatoren und
Ziel dient bis heute die Förderung der Verbesserung denen Leistungsträger und um die Verteilung der über internationale Modelle der Kooperation zwi- Frau Karin Höppner für ihre redaktionelle Mitarbeit.
der Ausbildung der Ärzte, der Pflegekräfte und Aufgaben zwischen den Gesundheitsberufen ist nicht schen den Gesundheitsberufen von Prof. Dr. Andreas
anderer Gesundheitsberufe. Neben der Erarbeitung neu und erfährt, auch angestoßen durch das Gut- Büscher verwies auf erfolgreich praktizierte Ansätze Stuttgart im Oktober 2011
der Denkschrift »Das Arztbild der Zukunft« (1989) achten des Sachverständigenrats zur Begutachtung aus dem Ausland. Die vollständigen Expertisen stehen
und der Unterstützung der Reform der Mediziner- der Entwicklung im Gesundheitswesen (2007) mit zum Herunterladen auf der Homepage der Robert
ausbildung konzentrierte sich die Förderung vor dem Kapitel »Die Entwicklung der Zusammenarbeit Bosch Stiftung ebenso bereit wie eine Sammlung aus- Robert Bosch Stiftung
allem auf die Einführung akademischer Strukturen der Gesundheitsberufe als Beitrag zu einer effizi- gewählter Beispiele interprofessioneller Praxisan-
in der Pflege, interdisziplinärer Forschungsvorhaben enten und effektiven Gesundheitsversorgung«, eine sätze in Versorgung, Austausch und Wissenschaft.
sowie auf die Ausbildungsreform in der Pflege, wozu Intensivierung. Die durch das Gutachten ausgelös-
die Stiftung mit den beiden Denkschriften »Pflege ten kontroversen Diskussionen konzentrieren sich Das Memorandum wurde von den Mitgliedern der
braucht Eliten« (1992) und »Pflege neu denken« (2000) allerdings meist nur auf die Frage von Delegation und Expertengruppe im Rahmen des Symposiums »Die
die theoretischen Grundlagen geschaffen hat. Diese Substitution. Dies greift angesichts der vielfältigen Gesundheitsversorgung von morgen« (November 2010)
münden aktuell in Aktivitäten, die der Verbesserung neuen Herausforderungen für das Gesundheitswesen vorgestellt und dabei von Fachexperten kommentiert:
der Koordination und Kooperation der Gesundheits- zu kurz. In einem stark arbeitsteiligen System ist zu Die konstruktiven Anmerkungen von Frau Prof. Dr. Ur-
berufe untereinander sowohl bei der Ausbildung, auf klären, welcher Gesundheitsberuf für welche Auf- sula Walkenhorst von der Hochschule für Gesundheit in
Hochschulebene als auch bei der Berufsausübung gaben mit welcher Kompetenz in der Gesundheitsver- Bochum zur Förderung der Kooperation durch Bildung,
dienen sollen. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass sorgung zuständig ist oder in der Zukunft zuständig von Prof. Dr. Norbert Schmacke von der Universität Bre-
nur durch koordiniertes und disziplinübergreifen- sein sollte. Zu fragen ist, wie Kooperation in der Pra- men zu organisatorischen und institutionellen Voraus-
des Handeln zwischen den Gesundheitsberufen eine xis umgesetzt werden kann, wer die Verantwortung setzungen für die Kooperation sowie von Uwe Borchers
qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung des dafür trägt, welche neuen Konzepte für kooperatives vom Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirt-
Einzelnen erreicht und die Schnittstellen zwischen Lernen erarbeitet werden können und ob die Aus- schaft Ostwestfalen-Lippe zur interprofessionellen
den Angeboten und Einrichtungen des Gesundheits- bildung, insbesondere an Hochschulen, neu zu struk- Kooperation im regionalen Kontext haben wichtige
wesens besser überwunden werden können und dass turieren ist. Insbesondere müssen Fragen rechtlicher Impulse für die Endredaktion der Texte gegeben und
dies wiederum durch interdisziplinäres Lernen und und beruflicher Kompetenzen geklärt werden. zur Schärfung und Profilierung der Weichenstellungen
Forschen vorbereitet werden muss. des Memorandums beigetragen. Die Diskussion wäh-
Bei dem von der Stiftung durchgeführten Sympo- An dieser Stelle setzt das vorgelegte Memorandum an. rend des Symposiums führte dazu, einen ergänzenden
sium »Ausbildung für die Gesundheitsversorgung Beitrag von Dr. Klaus Jacobs vom Wissenschaftlichen
von morgen« ( Juni 2010) wurden, von einer inte- 2008 hat die Robert Bosch Stiftung eine Experten- Institut der AOK zu ökonomischen Aspekte der Koope-
grierten Gesundheitsversorgung ausgehend, die gruppe einberufen, um zu analysieren, ob und wie ration in das Memorandum aufzunehmen.
Zusammenarbeit und das interdisziplinäre Handeln eine Sicherung und Verbesserung der Versorgungs-
der Gesundheitsberufe abgeleitet und notwendige qualität durch Interdisziplinarität, Interprofessio- Das Memorandum will zur Diskussion auf politischer,
Veränderungen der Ausbildungsgänge aller Gesund- nalität und Kooperation in den Gesundheitsberufen gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene
heitsberufe herausgearbeitet – weg von der nur erreicht werden kann und welche Voraussetzungen zum Thema Gesundheitsberufe und ihrer Zusammen-
monoprofessionellen und hin zu einer interprofes- dafür benötigt werden. Daraus ist das Memorandum arbeit beitragen und für eine Umsetzung der vor-
sionellen Ausbildung, die die Eigenständigkeit und »Kooperation der Gesundheitsberufe« entstanden, geschlagenen Weichenstellungen und konkreter
Handlungsmaßnahmen werben.
6 7

Inhalt

Mitglieder der Expertengruppe und Verfasser Gutachter Die Idee des Memorandums »Kooperation der Gesundheitsberufe« – Einleitung 9
des Memorandums
Prof. Dr. Andreas Büscher Wie lehrt und lernt man Kooperation? 15
Prof. Dr. Mark Dominik Alscher Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften,
Ärztlicher Direktor, Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH Hochschule Osnabrück Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts 21
Stuttgart
Prof. Dr. Gerhard Igl Organisatorische und institutionelle Voraussetzungen schaffen 29
Prof. Dr. Andreas Büscher Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa,
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Kooperation durch Bildung fördern 35
Hochschule Osnabrück
Prof. Dr. Heinz Rothgang Interprofessionelle Zusammenarbeit im regionalen Kontext 41
Dipl. Päd. Gerd Dielmann Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt Ergänzende Anmerkungen zum Memorandum aus ökonomischer Sicht 47
und Kirchen, ver.di – Vereinte Dienstleistungs-
gewerkschaft Bundesverwaltung Kommentatoren Weichenstellungen – Forderungen – Maßnahmen 51

Manfred Hopfeld M.A. Uwe Borchers


Referatsleiter, Ressortkoordination Ministerium Geschäftsführer, Zentrum für Innovation in der
für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Gesundheitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe, Bielefeld
Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen
Dr. Klaus Jacobs
Prof. Dr. Heidi Höppner Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin
Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit,
Studiengang Physiotherapie, Fachhochschule Kiel Prof. Dr. Norbert Schmacke
Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheits-
Prof. Dr. Gerhard Igl forschung, Universität Bremen
Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Prof. Dr. Ursula Walkenkorst
Studiengang Ergotherapie, Hochschule für Gesundheit
Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey Bochum
Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie,
Charité-Universitätsmedizin Berlin

Dipl. Med. päd. Ursula Matzke


Pflegedirektorin, Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH,
Stuttgart

Dr. Almut Satrapa-Schill


Bereichsleiterin, Sonderbereich »Zukunftsfragen
der Gesundheitsversorgung«, Robert Bosch Stiftung
9

Die Idee des Memorandums


»Kooperation der Gesundheitsberufe«
– Einleitung
Adelheid Kuhlmey

Die Aufgaben der Gesundheitsversorgung werden Die Auflösung dieses Widerspruchs liegt sicherlich
mit der zunehmenden Alterung der Patienten, dem nicht in der Preisgabe der Vorteile der Spezialisierung,
gewandelten Krankheitsspektrum, aber auch durch sondern nur in einer Vernetzung, die zu mehr Versor-
die geänderten Bedürfnisse der Nutzer sowie den ver- gungsqualität für die Patienten führt bei gleichzeitig
stärkten Einsatz von Medizintechnik immer aufwän- größerer Zufriedenheit bei den Gesundheitsberufen.
diger und komplexer. Arbeitsteilung, Fragmentierung
und Spezialisierung waren über viele Jahre unsere Leider ist für den Aufbau und die Pflege der Zusammen-
Antworten auf solche Herausforderungen. Den Effekt arbeit im deutschen Gesundheitswesen strukturell
dieses vermeintlichen Fortschritts formulierte Hans noch immer niemand verantwortlich. So bleibt das
Georg Gadamer (1994) in einem Aufsatz zum Thema Motto: Wer nicht will, der muss auch nicht. Damit ist
»Über die Verborgenheit der Gesundheit«: »So viel ist interdisziplinäre Kooperation ohne Leben, wenn nicht
jedenfalls klar, der Begriff der »Ganzheit« ist ein gerade ein persönliches Interesse und das Engagement
kunstvoller Ausdruck, der durch seinen Gegenbegriff, Einzelner Blüten treiben. Ökonomischer Druck forciert
die »Spezialisierung« überhaupt erst »notwendig … zwar heute eine oberflächliche Zusammenarbeit.
geworden ist«. Hier setzt unser Memorandum an, es Die Risiken sind jedoch hoch, dass dadurch zwar eine
will einen Beitrag auf dem Weg zurück in die Zukunft monetäre Prozessoptimierung gelingt, die Interessen
einer neuen Ganzheit der Gesundheitsver- von Patienten und Mitarbeitern aber nachrangig be-
sorgung leisten. trachtet und damit langfristig zu einem Qualitätsver-
lust führen kann. Die aktuellen Anforderungen der
Mit diesem Anliegen stehen wir nicht allein: Koopera- Gesundheitsversorgung drängen auf eine inhaltlich
tion, Vernetzung, Schnittstellenüberwindung, Inter- systematische Herausbildung eines Mehr an Koope-
disziplinarität erleben begrifflich seit vielen Jahren ration. Bei verbesserter Qualität und Akzeptanz von
eine Inflation. Diese Tatsache zeigt, dass Arbeits- Seiten der Patienten folgt der wirtschaftliche Erfolg.
teilung und Spezialisierung zwar eine optimalere
Bewältigung von Teilproblemen erlaubten, doch auch
zu einer Zerstückelung von Arbeitsprozessen führten,
die nicht mehr vereinbar ist mit den Erwartungen der
Patienten an eine kontinuierliche, ganzheitliche und
auf sie abgestimmte Versorgung.

Kooperation und Interdisziplinarität


Kooperation wird allgemein als eine enge und harmonische Interaktion zwischen gleichberechtigten Partnern
bzw. Organisationseinheiten mit gemeinsamen Zielvorstellungen definiert (Zelewski 1993).

Während Kooperation sowohl auf der mono- als auch auf der multiprofessionellen Ebene stattfinden kann,
setzt Interdisziplinarität immer die Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsberufe voraus.
10 Die Idee des Memorandums Die Idee des Memorandums 11

dort Probleme, wo z. B. die Pflege nicht selbstständig Einige Beispiele:


Gesundheitsberufe, Gesundheitsfachberufe, Heilberufe in der Lage ist, Pflegehilfsmittel oder bestimmte Medi- :: 
Ergebnisse eines Reviews, in dem Maßnahmen zur
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR 2007) hat Gesund- kamente zu verordnen. Eine mangelhafte interdiszi- Verbesserung der Zusammenarbeit von Ärzten und
heitsberufe als Berufe innerhalb des Versorgungssystems definiert, deren Tätigkeitsinhalte unmittelbar da- plinäre Standardisierung von Versorgungsverläufen Pflegenden im stationären Bereich untersucht wur-
rauf abzielen, Krankheiten oder gesundheitliche Beeinträchtigungen zu diagnostizieren, zu heilen, zu lindern erschwert die Zusammenarbeit und führt für die Pa- den, zeigen, dass tägliche, multidisziplinäre Visiten
oder zu verhüten. Da eine allgemeine, einheitliche und systematisch aufgebaute Begrifflichkeit für die im tienten zu unerwünschten Versorgungsschnittstellen. (team ward rounds) aller in den Versorgungsprozess
Gesundheitswesen beteiligten Berufe nicht vorliegt, wird der vom Sachverständigenrat verwendete Begriff involvierten Berufsgruppen Effekte auf eine Ver-
des Gesundheitsberufes auch in diesem Memorandum zugrunde gelegt. Und dennoch bleibt zu fragen: Können wir sicher sein, kürzung der Krankenhausverweildauer (von 6.06
dass eine verbesserte interdisziplinäre Kooperation Tagen auf 5.46 Tage), eine Kostenreduktion (von US
Nach diesem Verständnis stellt der Begriff Gesundheitsberuf einen Oberbegriff für die im Gesundheitsversor- der Gesundheitsberufe auch zu einer höheren $ 8090 auf US $ 6681) und eine höhere Arbeitszu-
gungssystem tätigen Berufsgruppen dar. Im Zentrum der Gesundheitsberufe stehen dabei die Heilberufe, bei Versorgungsqualität und zu mehr Zufriedenheit bei friedenheit der Beschäftigten hatten (Zwarenstein
denen zwischen ärztlichen und anderen Heilberufen unterschieden wird. Weiter bezeichnet die Kategorie den Gesundheitsberufen führt? Können wir die und Bryant 2000).
Gesundheitsfachberuf diejenigen Gesundheitsberufe, die über eine staatlich geregelte Ausbildung verfügen, Vorteile kooperativer Versorgung gegenüber der :: 
In den Projekten der Leuchtturminitiative Demenz
wie medizinische Fachangestellte, Gesundheits- und Krankenpfleger oder Therapeuten (z. B. Physio- und nicht kooperativen belegen? des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG)
Ergotherapeuten oder Logopäden). wurden alle an der Versorgung dementer Menschen
in Heimen beteiligten Berufsgruppen sowie die ver-
Können Auswirkungen von besserer Kooperation schiedenen organisatorischen Ebenen in Qualifizie-
Was sind Ursachen für heutige Kooperationsdefizite? ist ein wesentliches Merkmal einer Profession. Zu den auf die Versorgung belegt werden? rungsmaßnahmen mit einbezogen. Darüber hinaus
Neben Informationsdefiziten, d. h. einem mangelnden weiteren Merkmalen gehören: Expertenwissen, das Einerseits mussten wir im Ergebnis unserer Analyse war auch die Beteiligung Angehöriger gewährleis-
Wissen über die Kompetenzen des je anderen Gesund- Vorhalten der Leistungen als Monopol, die kollegiale eine schwache, methodisch noch wenig belastbare tet. Es zeigte sich, dass dadurch die pflegerischen
heitsberufs, unterschiedlichen Ausbildungs- und Eigenkontrolle und ein hohes Sozialprestige. Diese empirische Basis konstatieren, was uns zu folgender Abläufe und der Umgang der Mitarbeiter mit den
Qualifizierungsverläufen spielen rechtliche, aber auch klassischen Professionsmerkmale treffen alle auf Weichenstellung führte: dementen Bewohnern verbessert werden kann, wie
strukturelle Rahmenbedingungen eine wesentliche die Ärzteschaft zu. Viele Gesundheitsberufe, u.a. die auch die Wahrnehmung der eigenen Kompetenz
Rolle für die nicht gelingende Zusammenarbeit. Pflege, zählen aber nicht zu den Berufen, die in der und Sicherheit im Umgang bei den Mitarbeitern.
Darum fordert das Memorandum generell zur Über- Soziologie als klassische Professionen definiert wer- Weichenstellung 14: Stärkung interdisziplinärer Es ließen sich aber ebenso Effekte an körperlichen
windung struktureller, finanzieller, rechtlicher und den. Die Pflege – diese Berufsgruppe sei beispielhaft Ansätze durch Forschungsförderung Parametern der Studienteilnehmer, wie z. B. die
konzeptioneller Hindernisse bei der Realisierung gewählt – hat sich aber im zeitlichen Verlauf der letzten Forschungsförderer sollen multiprofessionelle Ernährungssituation, belegen.
einer sektorenübergreifenden Versorgung auf. hundert Jahre von der Berufung zum Beruf entwickelt Anträge, insbesondere zur Versorgungs- und :: 
I n einer Evaluationsstudie des Instituts für
und optimiert seit langem die professionellen Ressour- Bildungsforschung, berücksichtigen und einfordern. Medizinische Soziologie der Charité-Universitäts-
cen. Gerade dieser Entwicklungsprozess zeigt aber Die Gremien zur Begutachtung von Forschungs- medizin Berlin zeigte sich, dass mehr Koordina-
Weichenstellung 1: Überwindung der Hindernisse auch: Es braucht Zeit und es braucht Strukturverände- anträgen sind interdisziplinär zu besetzen. tion und Kooperation zu einer Verbesserung der
zur Realisierung einer sektorenübergreifenden rungen, wenn einer zunehmenden innerberuflichen Versorgungsqualität führt. Beim Modellprojekt
Versorgung Identität von Pflegenden oder anderen Gesundheits- »Pflege und Wohnberatung in Ahlen« ging es um
Es gilt, Hindernisse, die einer sektorübergreifenden berufen auch gesellschaftliche Anerkennung und Künftige Studien – so unsere Position – sollten die die Beratung pflegebedürftiger Menschen sowie
Kooperation der Gesundheitsberufe entgegen- professionelle Statusverbesserungen folgen sollen. intendierten Zielsetzungen interdisziplinärer Praxis die Vernetzung aller notwendigen Dienste. Die
stehen, durch Entwicklung professioneller Konzepte zum Ausgangspunkt der Untersuchung machen und Evaluation des Modellvorhabens bewies, dass die
zur Fallsteuerung sowie Schaffung rechtlicher und Solche unterschiedlichen Professionsentwicklungen dabei nicht lediglich die Analyse von Bestehendem in Nutzer der koordinierten Versorgung in Ahlen
finanzieller Rahmenbedingungen zu beseitigen. der Gesundheitsberufe führen heute zu Mängeln in den Mittelpunkt stellen. im Vergleich zu einer Kontrollgruppe länger
ihrer Kooperation und nicht zuletzt zu Einbußen bei in der Pflegestufe 1 verblieben, damit seltener
der Versorgungsqualität (vgl. SVR 2007). So ist die Ver- Andererseits zeigten aber die meisten der bislang einen Heimplatz in Anspruch nehmen mussten
Kooperationsdefizite entstehen nicht zuletzt durch teilung der Tätigkeiten zwischen den Berufsgruppen vorliegenden Befunde auf das große Potenzial inter- und länger in der eigenen Häuslichkeit verbleiben
Unterschiede in der Professionsentwicklung einzelner oft nicht mehr effektiv und effizient. So zeigt die disziplinärer kooperativer Gesundheitsversorgung. konnten.
Gesundheitsberufe. Autonomie bei der Berufsausübung Arztzentriertheit der deutschen Krankenversorgung
12 Die Idee des Memorandums Die Idee des Memorandums 13

:: 
Das Potenzial der interdisziplinären Kooperation Zentral könnte bei einer wirklich flächendeckenden Literatur Zelewski, H., 1994:
wird weiterhin durch ein telemedizinisches Projekt und nicht in Modellprojekten steckenbleibenden Gadamer, H.-G., 1994: Grundlagen. In: Corsten, H. (Hrsg.): Betriebswirt-
in der integrierten Schlaganfall-Versorgung (TeM- interdisziplinären Versorgung die Beachtung und Über die Verborgenheit der Gesundheit. Frankfurt schaftslehre. München: Oldenburg, S. 127-132.
PIS) verdeutlicht, das die Versorgung im ländlichen kontinuierliche Umsetzung einiger grundsätzlich a.M.: Suhrkamp Verlag.
Raum verbessert. Das Projekt zeigt eine signifi- neuer Regeln der Versorgung sein. Zu diesen gehört Zwarenstein, M., Bryant, W., 2000:
kant höhere Überlebensrate sowie einen stärkeren die in der 2. Weichenstellung formulierte konsequente Robert Bosch Stiftung, 1989: Interventions to promote collaboration between
Erhalt der Selbstständigkeit bei den so Versorgten. Patientenorientierung. Das Arztbild der Zukunft. Analysen künftiger An- nurses and doctors. Cochrane Database of
Positive Outcomes von Kooperation wurden in der forderungen an den Arzt. Konsequenzen für die Systematic Reviews, Issue 2.
stationären Langzeitversorgung gefunden: Dort, wo Ausbildung und Wege zu ihrer Reform. Abschluss- Art. No.: CD000072. DOI: 10.1002/14651858.CD000072.
Teamarbeit und kooperative Planung der Versor- Weichenstellung 2: Neuausrichtung arbeitsteiliger bericht des Arbeitskreises Medizinerausbildung der
gung praktiziert wurde, war die Überlebenszeit der Versorgungsprozesse an der Perspektive des Robert Bosch Stiftung – Murrhardter Kreis. Gerlingen:
Patienten länger. Patienten Bleicher Verlag.
:: 
Noch eindeutigere Ergebnisse stammen aus einem Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitsberufe
akutklinischen Setting: Eine Studie an der Georg sind aufgefordert ihre Versorgungsprozesse konse- Robert Bosch Stiftung, 1992:
Washington University belegt, dass die Sterberaten quent patientenorientiert auszurichten. Pflege braucht Eliten. Denkschrift der »Kommission
in der Intensivstation mit dem Zustand der Bezie- der Robert Bosch Stiftung zur Hochschulausbildung
hungen zwischen dem medizinischen Personal und für Lehr- und Leitungskräfte in der Pflege«. Gerlingen:
Pflegepersonal klar zusammenhingen. Sterberaten Den Autorinnen und Autoren des Memorandums ist Bleicher Verlag.
verminderten sich, wenn kooperative Beziehungen bewusst, dass die Umsetzung der zwanzig Weichen-
herausgebildet werden konnten (Rubenstein et al. stellungen ein Prozess mit vielen Schritten ist, der Robert Bosch Stiftung, 2000:
1984). allerdings möglichst schnell in eine konzeptionelle Ge- Pflege neu denken. Zur Zukunft der Pflegeausbildung.
samtfügung eingebunden werden sollte. Diese könnte, Stuttgart: Schattauer Verlag.
Die Bedürfnisse und Erwartungen, insbesondere so unsere Empfehlung, wie folgt entwickelt werden:
chronisch kranker Menschen, sollten Ansporn und Robert Boscht Stiftung und Forum Pflegewissenschaft,
die aufgezeigten Untersuchungsergebnisse Ermuti- 2009: Memorandum. Für eine Verankerung der Pflege-
gung sein für eine neue Kultur des Zusammenarbei- Weichenstellung 20: Enquete-Kommission zur wissenschaft und Pflegeforschung an Medizinischen
tens, der es gelingt, die gegenwärtigen Hemmnisse im Zukunft der gesundheitlichen Versorgung und Fakultäten und Universitätskliniken in Deutschland.
Haftungsrecht, in den Qualifikationsstrukturen oder Qualifikation der Gesundheitsberufe Bremen.
dem berufsständischen Denken beiseite zu schieben. Der Bundestag wird aufgefordert, eine Enquete-
Diesem Gedanken fühlt sich das Memorandum ver- Kommission einzurichten. Themen sind die sektoren- Robert Bosch Stiftung, 2011:
pflichtet. Es will Weichenstellungen aufzeigen, die zur übergreifende, auf Kooperation ausgerichtete Ausbildung für die Gesundheitsversorgung von
strukturellen Etablierung interdisziplinärer Koopera- Gesundheitsversorgung und die Anforderungen morgen. Stuttgart: Schattauer Verlag.
tion im deutschen Gesundheitswesen führen und die an eine Qualifizierung der Gesundheitsberufe.
Idee des Miteinanders zu jedem einzelnen Mitarbeiter Rubenstein, L., Josephsen, K., Wesland, G. et al., 1984:
bringen. Es reicht nicht, lediglich strukturelle Voraus- Effectiveness of a geriatric evaluation unit.
setzungen von außen zu schaffen und den Informa- New England Journal of Medicine, 311: 1664-1670.
tionsfluss technisch zu verbessern. Wir alle müssen
Kooperation und Kommunikation lernen und die Sachverständigenrat zur Begutachtung der
Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit fördern – nicht Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR), 2007:
zum Selbstzweck, sondern orientiert am Ziel einer Gutachten 2007. Kooperation und Verantwortung als Vo-
Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der raussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversor-
Versorgung und der Erhöhung der Arbeitszufrieden- gung. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/6339; http://
heit der Berufsgruppen. dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/063/1606339.pdf
15

Wie lehrt und lernt man Kooperation?


Heidi Höppner und Andreas Büscher

Kooperationskompetenz ist eine zentrale, jedoch nicht ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung?
die einzige Bedingung für mehr Zusammenarbeit im Werden die eigenen Kompetenzen ausreichend
Gesundheitswesen. Sie ist Ziel der Aus- und Weiterbil- gewürdigt?
dung sowie der Personalentwicklung. Doch wie kann
Kooperationskompetenz erworben und verbessert Operationalisiert bedeutet dies für die Aus- und
werden? Weiterbildung, dass die Gesundheitsberufe in folgen-
den Kompetenzdimensionen befähigt werden sollten:
Aktuelle Lerntheorien verdeutlichen die Prozesse 1. Rollenklarheit und Reflexionsfähigkeit
eines kreativen und individuellen Kompetenzerwerbs 2. Fähigkeit zu zielgerichteter Kommunikation
und haben eine dualistische Vorstellung von Lehren 3. Auseinandersetzungsfähigkeit und -bereitschaft
und Lernen bzw. Lehrenden und Lernenden verlas- 4. Selbstbewusstsein und Offenheit
sen. Es gilt, Bedingungen für Aneignungsprozesse in 5. Wissen um die Kompetenz anderer Disziplinen
Aus- und Weiterbildung, aber auch im Berufsfeld zu 6. Wertschätzung gegenüber den Partnern
ermöglichen. Somit werden Lehrende zum Coach und
Gestaltenden von Lernorten und -situationen, die den Kommunikations- und Konfliktfähigkeit setzt die
Kompetenzerwerb fördern. Kompetenzen gehen über Kenntnis und Nutzung theoretischer Kommunikations-
eine Wissensvermittlung (z. B. über andere Berufe modelle voraus (Elzer 2009). Aus- und Weiterbildung
im Gesundheitswesen) hinaus. Sie umfassen auch sollten jedoch vor allem auf eine handlungsbezogene
Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie eine reflektierende Vermittlung zielen. Alle genannten Dimensionen
professionelle Haltung. Kompetenzorientierung in sprechen sich für eine stark reflexive und selbstbil-
Konzepten der Aus- und Weiterbildung zielt daher dende Komponente in Bildungsprozessen aus, z. B.
auf die Förderung von Fach-, Methoden-, Sozial- und der Entwicklung von Selbstbewusstsein, Offenheit und
Selbstkompetenz (Bals 2009). Wertschätzung gegenüber der eigenen Arbeit, aber
auch gegenüber der Arbeit der Partner. Auseinander-
Gellert und Nowak (2010) haben Bedingungen für setzungsbereitschaft erfordert Toleranz, wenn eigene
selbsttragende Kooperation wie folgt beschrieben: Denkmuster in Frage gestellt werden. Erwähnenswert
ist auch die notwendige Belastbarkeit der Einzelnen in
1. Geklärte Beziehungen und Rollen, z. B.: Sind die den konkreten Aushandlungsprozessen um Ziele und
Rollen im Team klar und transparent? Inwieweit Strategien in der Kooperation mit anderen Berufen.
sind Arbeitsstile miteinander vereinbar? Schwelen
Beziehungskonflikte?
2. Ü bereinstimmung der Interessen, Ziele und Prio- Weichenstellung 9: Ausbildung von Kompetenzen
ritäten, z. B.: Ist Kooperation an dieser Stelle und zur Zusammenarbeit
zu diesem Thema sinnvoll? Wird ein gleiches Maß Die Ausbildungseinrichtungen müssen durch ihr
an Zeit und Ressourcen investiert? Inwieweit hilft Lehr- und Lernangebot Voraussetzungen für inter-
Zusammenarbeit bei der Erreichung individueller/ disziplinäre Kompetenz schaffen.
kollektiver Ziele?
3. Fehlende Konkurrenz, z. B.: Konkurrieren die Be-
teiligten in Bezug auf Zuwendung, Ressourcen und Eine wichtige Frage für das Erlernen interdisziplinärer
Positionen? Wird Wissen bewusst zurückgehalten? Kooperation ist der Zeitpunkt. Wann sollte damit begon-
4. Vertrauen in die Kompetenz der Kooperationspart- nen werden? Hier gibt es widerstreitende Positionen:
ner, z. B.: Werden die Teammitglieder für ausrei- Folgt die Fähigkeit zu interprofessioneller Kooperation
chend kompetent gehalten? Besteht Vertrauen in oder Interdisziplinarität der disziplinären Sicherheit?
16 Wie lehrt und lernt man Kooperation? Wie lehrt und lernt man Kooperation? 17

Oder schärfen sich disziplinäre Kompetenzen ins- Bochum ist beispielsweise die Etablierung interdiszi- das Curriculum im Rahmen des PACE-Programms in tiver Kompetenz in der Ausbildung beeinflusst. Sie
besondere in der Auseinandersetzung mit anderen plinärer Ausbildungswege. Hier sind die Ausbildungen den USA (siehe Kasten). Es vereint die genannten As- resultiert auch aus den Erfahrungen, die die Mitglie-
Professionen und im interdisziplinären Kontext? für Gesundheits- und Krankenpflege, Hebammen- pekte zum Erlernen von interdisziplinärer Kompetenz, der eines Teams in der Vergangenheit mit Teamarbeit
wesen, Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie indem es, ausgehend von der theoretischen Vermitt- sammeln konnten und aus der jeweiligen Persönlich-
Es kann davon ausgegangen werden, dass inter- unter einem Dach vereint. Weitere Beispiele sind die lung, die Studierenden Schritt für Schritt näher an die keitsstruktur.
disziplinäre Kompetenzen Integration der Pflegewissenschaft in medizinische Praxis der interdisziplinären Kooperation heranführt.
:: 
auf fachlicher, berufsgruppenspezifischer Fakultäten (wie z. B. in Witten/Herdecke oder Halle/ Bei der Einführung von Teamarbeit kann also nicht
Kompetenz aufbauen, die entsprechend angelegt Wittenberg) oder als Bestandteil der Gesundheitswis- selbstverständlich von gegebenen Voraussetzungen
sein muss; senschaften/Public Health (wie in Bielefeld). Weichenstellung 5: Förderung von Teambildungs- ausgegangen werden. Schulungseinheiten zu Team-
:: 
sich in interdisziplinären Zusammenhängen ent- Interdisziplinäre Ausbildung erfordert es, dass ge- prozessen durch Schulung und Strukturen arbeitskompetenzen und eine entsprechende Pro-
wickeln, die als Lernfeld erschlossen werden meinsame Lernabschnitte sinnvoll in die Ausbildung Die Gesundheitseinrichtungen müssen der interdis- zessbegleitung erscheinen in diesem Zusammenhang
müssen und integriert werden. Je länger die Dauer dieser gemein- ziplinären Kooperation durch Strukturelemente wie bedeutend. So lassen sich Statusunterschiede, die
:: 
der Reflexion professioneller Einstellungen, samen Lernmodule ist, desto größer sind die kon- Team- oder Fallbesprechungen einen Rahmen geben verschiedenen Qualifikationshintergründe und die
Perspektiven und Herangehensweisen bedürfen. zeptionellen und organisatorischen Vorbereitungen. und dadurch Teambildungsprozesse befördern. verschiedenen Substrukturen, aus denen die Team-
Barrie-ren stellen hier die in den Ausbildungsgesetzen mitglieder kommen, in das neu zu bildende Team
Die Ausbildung dieser Fähigkeiten bedarf interdis- sehr unterschiedlich formulierten Ausbildungsziele integrieren (Carter und West 1999). Teambildungs-
ziplinärer Lernzusammenhänge. Bislang greifen dar. Lernprozesse sind grundsätzlich so zu initiieren Die beste Vorbereitung für interprofessionelle Zusam- prozesse erfordern Zeit, die von den Verantwortli-
Hochschulen diese Überlegungen allerdings noch und zu gestalten, dass darin ein interdisziplinärer menarbeit in der Ausbildung ist vergebens, wenn die chen innerhalb der Organisation in ausreichendem
unzureichend oder nur zögerlich auf. Dazu trägt auch Dialog in Theorie und Praxis möglich ist. Neben den in- organisatorischen Rahmenbedingungen des späteren Ausmaß eingeräumt werden muss. Erleichtert wird
die Trennung akademischer und fachschulischer dividuellen oder gruppenbezogenen Faktoren ist auch Arbeitsfeldes diese nicht fördern oder gar eliminieren. Teamarbeit durch eine einheitliche Dokumentation
Ausbildung bei. Allerdings hat an einigen Stellen ein eine Sensibilisierung für Grenzen der Kooperation Erlernte Rollenverteilung ist berufsbiographisch prä- und für alle Berufsgruppen zugängliche Information.
Umdenken bereits eingesetzt. Markenzeichen der im Kontext hinderlicher Strukturen zu vermitteln. gend. Neue Mitglieder treten in etablierte Handlungsge- Eine Verständigung über Regeln und Verfahren der
neugegründeten Hochschule für Gesundheit in Ein Beispiel für das Erlernen von Kooperation bietet meinschaften (bzw. Teams) ein und übernehmen nach Zusammenarbeit ist empfehlenswert und sollte pro-
einer gewissen Zeit deren Wertvorstellungen, Regeln fessionelle Praxis sein, damit Lernprozesse im Team
und Routinen – auch in Bezug auf die Kooperation inner- transparent werden.
Das PACE-Curriculum halb des Teams und darüber hinaus (Fabry 2008).
Das Curriculum des PACE-Programms (Programm of All-Inclusive-Care for the Elderly) bietet einen didak- Individuelle Fähigkeiten allein reichen jedoch nicht
tischen Rahmen zum Erlernen und Verinnerlichen von interdisziplinärer Praxis. Über das Curriculum sollen die Für die Verstetigung interdisziplinärer Zusammenar- aus. Es gilt, tragfähige und nachhaltige Kooperations-
notwendigen Kompetenzen zur Beteiligung an interdisziplinären Teams im Rahmen der Langzeitversorgung beit sind Teambildungsprozesse darum unverzichtbar. strukturen zu sichern. Personalverantwortliche be-
erworben werden (National PACE Association 2010). Es besteht aus drei didaktischen Modulen, die theo- Sie werden in verschiedenen, teils wiederkehrenden nötigen systemisches Wissen um Teambildungspro-
retisch vermittelt werden. Das erste Modul behandelt die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammen- Phasen durchlaufen (Drinka/Clark 2000; Minkmann et zesse und institutionelle Kooperationsbedingungen,
arbeit auf einer generellen Ebene und schafft damit die Grundlage für das zweite Modul, in dem es um die al. 2009). Die Analyse solcher Prozesse wird vor allem für die die Voraussetzungen für den Einsatz individueller
Besonderheiten des interdisziplinären PACE-Ansatzes geht. Das dritte Modul befasst sich mit der Effektivität diejenigen hilfreich und notwendig, die mit dem Aufbau, Kompetenzen bilden. Bedeutende Faktoren der Um-
der interdisziplinären PACE-Teams und vermittelt dazu Einsichten in die notwendigen Teamstrukturen und der Koordination und Begleitung interdisziplinärer setzung hinsichtlich der Sicherung einer Tragfähigkeit
-organisation zur Umsetzung der auf die Nutzer vereinbarten Ziele. In diesem Modul werden auch die Beiträge Teams befasst sind. Dabei sind verschiedene Faktoren zu von Kooperation und der Ermöglichung von Teambil-
der einzelnen beteiligten Berufsgruppen behandelt. berücksichtigen: persönliche und professionelle Hinter- dungsprozessen sind:
gründe der Beteiligten, Teamstrukturen und -prozesse,
Die Teilnahme an diesen Modulen ist die Voraussetzung für die Beteiligung an den praxisbezogenen Modulen, die Teamphilosophie sowie verfügbare Ressourcen. Zu :: 
d ie Definition gemeinsamer Ziele und Verant-
von denen sich das erste auf berufsgruppenspezifische Versorgungsaspekte bezieht. Erst im zweiten Praxis- den persönlichen Faktoren zählt die Bereitschaft zur wortlichkeiten,
modul erfolgt die Beteiligung an interdisziplinären Teambesprechungen und die Aufnahme eines neuen Nut- Teamarbeit. Trotz optimaler Rahmenbedingungen für :: 
d ie Organisation der Binnenstruktur, z. B. Team-
zers, zu der auch die Bedarfserhebung und interdisziplinäre Versorgungsplanung gehören. Im dritten Modul Teamarbeit kann sie nicht erzwungen werden, sondern und Leitungsstrukturen festlegen und reflektieren,
schließlich lernen die Teilnehmer die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den PACE-Nutzern und ihren geschieht auf freiwilliger Basis (Sicotte et al. 2002).
(pflegenden) Angehörigen in der Erhebung des individuellen Bedarfs und der Planung sowie Umsetzung der Diese Bereitschaft wird durch die Schulung koopera-
vereinbarten Versorgung.
18 Wie lehrt und lernt man Kooperation? Wie lehrt und lernt man Kooperation? 19

:: 
I nstitutionalisierung von Informationen und Aus- Minkman, M.M.N.; Ahaus, K.T.B. und Huijsman, R., 2009:
tausch (z. B. Dokumentation, Fallbesprechungen A four phase development model for integrated care
organisieren, interdisziplinäre Problemanalysen services in the Netherlands. BMC Health Services
durchführen) Research, 9: 42-52.

Die Ausführungen unterstreichen die Komplexität Sicotte, C.; D`Amour, D. und Moreault, M., 2002:
von Veränderungen im Gesundheitswesen und fordern Interdisciplinary collaboration within Quebec
Professionelle und Organisationen zu lebenslangen community health care centers. Social Science &
Lernprozessen heraus. Medicine, 55, 991-1003.

Literatur
Bals, T., 2009:
Wege zur Ausbildungsqualität. Stand und Perspek-
tiven in den Gesundheitsfachberufen. Paderborn:
EulsVerlag.

Carter, A.J. und West, M.A., 1999:


Sharing the Burden: Teamwork in Health Care Settings.
In: Firth-Cozens, J. und Payne, R.L. (Hrsg.): Stress in
Heath Professionals: Psychological and organisational
issues. Chichester: Wiley-Blackwell, S. 583-601.

Drinka, T.J.K. und Clark, P.G., 2000:


Health Care Teamwork. Interdisciplinary practice and
teaching. Westport. Connecticut: Auburn House.

Elzer, M., 2009:


Kommunikative Kompetenzen in der Physiotherapie –
Lehrbuch der Theorie und Praxis verbaler und
nonverbaler Interaktion. Bern: Verlag Hans Huber.

Fabry, G., 2008:


Medizindidaktik. Ein Handbuch für die Praxis.
Bern: Verlag Hans Huber.

Gellert, M. und Nowak, C., 2010:


Teamarbeit-Teamentwicklung-Teamberatung –
Ein Praxisbuch für die Arbeit in und mit Teams.
4. erweiterte Auflage. Meezen: Limmer Verlag.
21

Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts


Gerhard Igl

Gesundheitsberufe im System des Rechts der Berufe bestimmte Leistungen von bestimmten Gesundheits-
berufen erbracht werden sollen. Es ist weiter gegeben
im Ordnungsrecht, so z. B Heimrecht des Bundes und
Zur Terminologie der Berufe im Gesundheitswesen – nach der Föderalismusreform – in den Nachfolgege-
Für die Herstellung einer Terminologie der Berufe setzen der Länder. Das zivile Haftungsrecht und das
im Gesundheitswesen und für ihre begriffliche Strafrecht beeinflussen die Berufsausübung ebenfalls
Ordnung liefern das Gesundheitsrecht und andere indirekt.
darauf bezogene Gesetze und Vorschriften nur wenige Bei der Unterscheidung zwischen direktem und
Anhaltspunkte. Zur terminologischen und begrif- indirektem Recht handelt es sich nicht um eine ver-
flichen Ordnung soll als Bezugspunkt das gesamte fassungsrechtlich diktierte Unterscheidung, sondern
Gesundheitswesen genommen werden.1 um eine Zuordnung im Sinne einer Strukturierung des
Rechtsgebiets. Das Verfassungsrecht unterscheidet in
Art. 12 Abs. 1 GG zwischen Berufswahl im Sinne der
Strukturmerkmale des Rechts der Gesundheitsberufe Berufszulassung, zu der auch die Berufsausbildung
Das Recht der Gesundheitsberufe folgt keinem rechnet, und Berufsausübung, wobei Einigkeit darüber
einheitlichen, an bestimmten systematischen Erfor- besteht, dass die Übergänge fließend sind.
dernissen ausgerichteten Plan oder Muster. Es weist
jedoch zum Teil durchaus konsistente Strukturmerk- Zum Verhältnis von direktem zu indirektem Berufsrecht
male auf. Im Folgenden sollen zum besseren Verständ- auf dem Gebiet der Gesetzlichen Krankenversicherung
nis des komplizierten und unübersichtlichen Rechts (SGB V)
der Gesundheitsberufe diese Strukturmerkmale Das indirekte Berufsrecht der Gesundheitsberufe wird
kenntlich gemacht werden. ganz wesentlich vom Sozialleistungsrecht, insbeson-
dere dem Leistungserbringungsrecht des Kranken-
Direktes und indirektes Berufsrecht versicherungsrechts (Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch
Ein erstes Strukturmerkmal liegt in der Unterschei- – SGB V), dominiert. Dabei überlagert das indirekte
dung zwischen direktem und indirektem Berufsrecht. Berufsrecht der Leistungserbringung nach dem SGB V
Diese Unterscheidung dient dazu, die verschiedenen das direkte Berufsrecht oft in einer Weise, dass das
Regelungsbereiche, die sich mit den Gesundheits- direkte Berufsrecht kaum mehr wahrgenommen wird.
berufen befassen, zu ordnen.
Zum direkten Berufsrecht gehören in erster Linie die Gesundheitsberufe, die nicht als direkte Leistungs-
Berufsausbildung, die Berufszulassung und die Berufs- erbringer der Gesetzlichen Krankenversicherung
ausübung, sodann die Verfassung der Berufe z. B. in zugelassen sind, aber indirekt im Zusammenhang mit
Kammern, die Berufsordnung, aber auch Bereiche wie einer Leistungserbringung auf diesem Gebiet tätig
die Registrierung von Berufen. werden, z. B. medizinisch-technische Assistenten,
Mindestens ebenso bedeutend wie das direkte Berufs- sind mit einer eigenartigen Situation konfrontiert.
recht ist das indirekte Berufsrecht. Damit ist dasjenige Ihr berufliches Handeln wird zwar ihnen gegenüber
Recht gemeint, das mit seinen Regelungen an den vom direkten Berufsrecht bestimmt, da sie aber in
Berufen anknüpft, aber keine Auswirkungen auf den der Regel im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines
berufsrechtlichen Status hat. Dieses indirekte Be- zugelassenen Leistungserbringers, z. B. eines
rufsrecht ist im Sozialleistungsrecht gegeben, wenn Arztes, wirken, sind sie über dessen Tätigkeit in das

1
Nachfolgend wird primär der Begriff Gesundheitsberuf verwendet. Dieser Begriff stellt keinen Rechtbegriff dar, s. zur begrifflichen
Abgrenzung von Gesundheitsberuf, Gesundheitsfachberuf und Heilberuf den einleitenden Beitrag von A. Kuhlmey.
22 Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts 23

Leistungserbringungssystem und dessen rechtlichen .. Wahrnehmung der beruflichen Interessen Rechtsquellen für das Berufsrecht Krankenversicherung (SGB V) einschlägig. Speziell für
Anforderungen eingebunden. Allerdings kommen (durch Berufsverbände oder Kammern) Normenhierarchisch betrachtet ist das direkte Berufs- die Pflegeberufe gilt dies auch für die Soziale Pflege-
sie nicht in den Genuss derjenigen Vorteile, die eine .. Selbstorganisation des Berufes (z. B. in Kammern). recht der Gesundheitsberufe in der Hauptsache auf versicherung (SGB XI). Dabei ist zu betonen, dass diese
direkte Zulassung als Leistungserbringer mit sich vier Ebenen geregelt: Unionssrecht, Verfassungsrecht, Gebiete nicht die einzigen sind, in denen leistungser-
bringt, z. B. eigene vergütungsrechtliche Bestim- Das direkte Berufsrecht der Gesundheitsberufe hat Bundesrecht und Landesrecht. bringungsrechtliche Vorschriften die Berufsausübung
mungen für die Leistungserbringung oder die Siche- vor allem die Ausbildung und die Führung der Berufs- der Pflegeberufe bestimmen. Im Sozialleistungsrecht
rung des Marktzugangs für die Erbringung bestimm- bezeichnung zum Gegenstand. Wegen der unionsrechtlich zu gewährleistenden ist dies auch noch das Sozialhilferecht (SGB XII), das
ter Leistungen. Auch besteht noch nicht für alle dieser Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit spielt die Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII)
Berufe eine Artikulationsmöglichkeit in den norm- Die meisten Gesundheitsberufe unterliegen für die unionsrechtliche Regulierungsebene für die Gesund- und das Recht der Rehabilitation und Teilhabe behin-
setzenden Institutionen der Gesetzlichen Kranken- Führung ihrer jeweiligen Berufsbezeichnung der heitsberufe eine wichtige Rolle. Dies wurde beispiels- derter Menschen (SGB IX – Erster Teil). Auch das
versicherung, so im Gemeinsamen Bundesausschuss. Erlaubnispflicht. Die Erlaubnis – die der Approbation weise zuletzt mit dem Gesetz zur Umsetzung der Heimgesetz des Bundes und die Nachfolgegesetze
beim Beruf des Arztes entspricht – wird nach Absolvie- Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments der Länder, die jetzt für die Gesetzgebung bis auf das
rung einer gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildung und des Rates über die Anerkennung von Berufs- Wohn- und Betreuungsvertragsrecht zuständig sind,
Weichenstellung 18: Sozialrechtliche Verankerung und Prüfung erteilt. Diese Erlaubnis ist nicht gleichzu- qualifikationen der Heilberufe vom 2. Dezember 2007 haben Einfluss auf die Berufsausübung.
eigenständiger Leistungserbringung verschiedener setzen mit einem Berufs- oder Tätigkeitsschutz in dem deutlich.
Gesundheitsberufe Sinn, dass nur die Träger dieser Berufsbezeichnung Das Leistungserbringungsrecht des SGB V ist selbst für
Damit Angehörige von Gesundheitsberufen als die Tätigkeiten ausüben dürfen, für die sie ausgebildet Im Verfassungsrecht sind vor allem das Grundrecht der den kundigen Sozialrechtler oft ein Buch mit sieben
eigenständige Leistungserbringer tätig werden worden sind. Vielmehr darf jeder andere diese Tätig- Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie die Gesetzge- Siegeln, dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens ist
können, bedarf es einer Öffnung der Zulassung zur keiten, allerdings ohne diese Berufsbezeichnung, aus- bungskompetenzvorschrift in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die Materie schon im Gesetz meist unsystematisch
Leistungserbringung in der Gesetzlichen Kranken- führen. Die Erlaubnis hat für die Träger der jeweiligen einschlägig. und sehr unübersichtlich dargestellt; zweitens gibt es
versicherung. Berufsbezeichnung aber einen zweifachen Wert: Sie gerade im Leistungserbringungsrecht eine Reihe von
eröffnet grundsätzlich Beschäftigungschancen, wenn Aufgrund der Zuständigkeit des Bundes für die untergesetzlichen Regelungstypen (Empfehlungen,
dem Arbeitgeber daran gelegen ist, Fachpersonal zu Gesetzgebung zur Berufszulassung, die auch die Min- Richtlinien, Verträge mit unterschiedlichen Beteilig-
Wenn Gesundheitsberufe bestrebt sind, als eigenstän- gewinnen. Noch hilfreicher ist die Situation, wenn ein destanforderungen an die Berufsausbildung umfasst, ten), mit denen ein weiterer Beitrag zur Normierungs-
dige Leistungserbringer der Gesetzlichen Kranken- Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, Fachpersonal werden zentrale Bereiche des Berufsrechts durch vielfalt und damit zur Unübersichtlichkeit geleistet
versicherung zugelassen zu werden, ist zu bedenken, einzustellen, oder wenn – wie im Sozialleistungsrecht Bundesgesetze geregelt. Das Landesrecht ist für die wird. Der Zugang zu diesem Rechtsgebiet erschließt
dass eine solche Rolle nur tragen kann, wenn wirk- – Sozialleistungen davon abhängen, dass sie durch berufliche Ausübung zuständig. Die Länder haben sich daher am besten mit einem strukturierenden
kräftige eigene Verhandlungsmacht gegenüber den bestimmtes Fachpersonal erbracht werden. hierzu Heilberufsgesetze erlassen. Das direkte Ansatz, der im Folgenden vorgestellt wird:
Krankenkassen aufgebaut werden kann und wenn der Berufsrecht besteht daher aus einer Kombination von :: Zulassung zur Leistungserbringung
Berufsstand insgesamt über ein Professionalisierungs- Da der Bezeichnungsschutz nicht mit einem Berufs- Bundes- und Landesrecht. :: Art des Zugangs zur Leistungserbringung
potenzial verfügt, das ihn zum ebenbürtigen Player oder Tätigkeitsschutz gleichzusetzen ist, bedarf es :: Leistungsgestaltung:
unter den Akteuren des Krankenversicherungs- besonderer Regelungen für den Berufsschutz oder Bei den verkammerten freien Berufen spielt das .. Leistungseinschluss/Leistungsausschluss
systems ertüchtigt. für den Schutz einzelner Tätigkeiten im Sinne, wenn Satzungsrecht der Kammern für die Kammermit- .. Konkretisierung des Inhalts und des Umfangs
diese exklusiv wahrgenommen werden sollen. Berufs- glieder eine Rolle. Nicht verkammerte Berufe können :: Qualitätssicherung
Strukturierung des direkten Berufsrechts schutz oder vorbehaltene Tätigkeit haben – mit einigen ihre Angelegenheiten durch freiwillige Zugehörigkeit :: Vergütung
Das direkte Berufsrecht der Gesundheitsberufe Ausnahmen – aber nur Wirkung für die berufliche zu einem Berufsverband regeln, in deren Satzung :: Nutzerstellung
bezieht sich vor allem auf folgende Gegenstände: Ausübung, nicht für die nichtberufliche Ausübung. Verpflichtungen zur Einhaltung z. B. von Qualitäts- :: Beteiligung der Berufe an der Normsetzung.
:: Berufsausbildung Diese Unterscheidung ist immer dann wichtig, wenn standards oder zur Absolvierung von Fortbildungs-
:: Berufsbezeichnung / Schutz der Berufsbezeichnung Personen, z. B. Angehörige, sonstige Nahestehende, maßnahmen enthalten sein können. Das Leistungserbringungsrecht des SGB V ist für die
:: Berufsausübung oder bürgerschaftlich oder sozial Engagierte eine Gesundheitsberufe jenseits der ärztlichen Berufe von
.. Schutz der Berufsausübung gesundheitsbezogene Tätigkeit ausüben. Strukturierung des indirekten Berufsrechts sehr unterschiedlicher Relevanz. Teilweise sind die
.. Beschreibung der beruflichen Tätigkeit, auch Für die Gesundheitsberufe ist insbesondere das Berufe als Leistungserbringer eingebunden, vor
im Verhältnis zu anderen Gesundheitsberufen Leistungserbringungsrecht der Gesetzlichen allem als Erbringer von Heilmitteln, teilweise sind sie
24 Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts 25

Akteure im Leistungsgeschehen nur vermittelt über Kooperations- und Koordinationsverhältnisse auch Eine dritte Form des Vorbehalts ist der prioritäre Vor-
Weichenstellung 19: Anpassung des Haftungs-
einen anderen Leistungserbringer, vor allem über den nicht einfach zu finden. behalt. Er stellt eigentlich eine Unterform des relativen
rechts an die kooperative Leistungserbringung
Arzt oder das Krankenhaus. Vorbehalts dar. Der prioritäre Vorbehalt bezeichnet
Für das Haftungsrecht empfehlen sich gesetzliche
Damit ist eine besonders komplizierte Lage gegeben, den Vorrang der berufsmäßigen Ausübung der vor-
Regelungen, die den besonderen rechtlichen
Weiter ist zu beachten, welche Beteiligungen für die die drei Dimensionen aufweist: behaltenen Tätigkeit für eine bestimmte Berufsgruppe
Anforderungen der Kooperation der Gesundheits-
Normsetzung im System der Leistungserbringer des :: 
Die Komplexität und Differenziertheit der prakti- unter bestimmten Voraussetzungen. Eine solche
berufe Rechnung tragen.
SGB V vorgesehen sind (Gemeinsamer Bundesaus- schen Handlungsanforderungen bilden sich in den Regelung findet sich in § 4 Abs. 1 HebG im Verhältnis
schuss, Spitzenverbände, verschiedene Vertragspart- öffentlich-recht­lichen Anforderungen des direkten zwischen Ärzten und Hebammen.
ner etc.) und mit welchen rechtlichen Instrumenten die Berufsrechts oft nicht ab. Vorbehaltene und vorrangige Tätigkeiten
Regelungen getroffen werden (Richtlinie, Empfehlung, :: 
Das zivilrechtliche Haftungsrecht orientiert sich in Das Kooperationsverhältnis einiger Gesundheits- Der Klarheit halber sei noch auf die folgende Ab-
Vertrag u.a.). seinen Haftungsmaßstäben an den öffentlich-recht- berufe wird auch von der Einräumung sog. vorbe- grenzung von Tätigkeiten hingewiesen: Von den
lichen Anforderungen an die handelnden Berufe. haltener Tätigkeiten bestimmt. verschiedenen Arten der vorbehaltenen Tätigkeit zu
Zu unterscheiden ist bei einer Einbindung in das :: 
Damit ist eine Inkongruenz zwischen faktischem unterscheiden ist eine Tätigkeit, für die eine be-
Normsetzungssystem des SGB V zwischen der Wahr- Handeln, öffentlich-rechtlichen Handlungsgeboten Arten vorbehaltener Tätigkeiten stimmte Berufsgruppe eine spezielle Fachlichkeit
nehmung berufsständischer Interessen und der und haftungsrechtlichen Maßstäben gegeben. Im Nachstehenden werden die verschiedenen Arten erworben hat, so z. B. die Angehörigen der Alten- und
Interessen in der Funktion als Leistungserbringer. der vorbehaltenen Tätigkeiten inhaltlich und begriff- Krankenpflegeberufe für die Grundpflege nach § 14
Eine der Möglichkeiten, diese Diskrepanzen zu- lich unterschieden. Obwohl diese Unterscheidungen Abs. 4 SGB XI. Wenn Angehörige einer anderen
mindest teilweise aufzulösen, besteht darin, die im schon de lege lata in den verschiedenen Gesetzen Berufsgruppe, die hierfür keine besondere Ausbildung
Kooperationsverhältnisse in den Gesundheitsberufen direkten Berufsrecht verankerten, d. h. in den Aus- angelegt sind, ist – soweit ersichtlich – bisher noch genossen haben, solche Tätigkeiten qua Herkommen
bildungszielen beschriebenen Tätigkeitsprofile der kein Versuch unternommen worden, für diese unter- und Übung oder qua fachlicher Nähe ausüben, werden
Probleme der rechtlichen Regulierung Gesundheitsberufe, den realen Verhältnissen anzu- schiedlichen Arten der vorbehaltenen Tätigkeiten eine diese wie Laien tätig. Ein irgendwie geartetes
Zurzeit wird der Thematik der Kooperations- oder passen. Dies ist eine rechtspolitische Aufgabe. Dabei Benennung zu finden. Vorbehaltsverhältnis besteht in diesem Fall nicht.
Koordinationsverhältnisse bei den Gesundheits- sind zwei Wege zu gehen: Die Tätigkeitsprofile sind
berufen hohe Bedeutung beigemessen. Dies beruht in den Berufsgesetzen realitätsgerecht zu beschrei- Vorbehaltene Tätigkeiten können absolut und rela- Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt
unter anderem – nicht ausschließlich – darauf, dass im ben, und die berufliche Ausbildung muss den realen tiv wirken. Der absolute Vorbehalt bedeutet, dass die die prioritär vorbehaltene Tätigkeit den mildesten
deutschen Gesundheitswesen, vorgeprägt durch den Anforderungen entsprechen. Letzterer Weg wird von Vornahme der Tätigkeit erstens nur einer bestimm- Eingriff im Verhältnis zu den anderen Berufsgruppen
(nur) im Krankenversicherungsrecht vorgesehenen den Berufsverbänden bereits seit einiger Zeit einge- ten Berufsgruppe zugewiesen ist; zweitens dürfen und zu den Laien dar, da sie am wenigsten ausschlie-
Arztvorbehalt (vgl. § 15 Abs. 1 SGB V), dem Arzt die schlagen. Hierfür stehen die vielfältigen Bemühungen, diese Tätigkeit nicht nur andere Berufsgruppen nicht ßend wirkt. Diese Form der vorbehaltenen Tätigkeit
zentrale Steuerungsfunktion im kurativen Bereich, die Ausbildung der Gesundheitsberufe zu optimieren. berufsmäßig ausüben, sondern diese Tätigkeit ist – wird den Kooperationserfordernissen zwischen den
also vor allem in der Krankenbehandlung, zugewiesen Der weitere Weg, die Anpassung der Tätigkeitsprofile außer in Notfällen – auch allen anderen untersagt. an der gesundheitlichen Versorgung Beteiligten dann
ist. Diese Steuerungsfunktion bildet sich dann auch in in den Berufsgesetzen, wird ebenfalls beschritten. Ein in diesem Sinne absolut wirkender Vorrang für eine am ehesten gerecht, wenn aus rechtlichen Gründen
der Haftungsverantwortlichkeit ab. Allerdings sehen sich die Gesundheitsberufe hier mit bestimmte Tätigkeit nur einer Berufsgruppe ist bis auf nicht ein relativer Vorbehalt, z. B. beim Kernbereich
großen berufspolitischen Widerständen, insbesondere ganz wenige Ausnahmen nicht ersichtlich. Selbst der des ärztlichen Handelns, gegeben ist.
Fragen der Kooperation und Koordination der seitens der Vertreter der Ärzteschaft, konfrontiert. Arztvorbehalt ist häufig mit Ausnahmen versehen.
Interventionen der Gesundheitsberufe haben eine Teilweise sind auch Schwierigkeiten bei der Positionie- Berufliche Qualifikationen und vorbehaltene
haftungsrechtliche Dimension. In der Praxis tauchen rung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe unter- Ein relativer Vorbehalt beschränkt sich hingegen Tätigkeiten
diese Fragen immer mehr auf. Erschwert wird die einander zu verzeichnen. auf die Abgrenzung nur im Verhältnis zu anderen Die Einrichtung vorbehaltener Tätigkeiten muss im
Situation dadurch, dass sich die tatsächlichen Koope- Berufsgruppen, wenn die Angehörigen dieser Berufs- Verhältnis von ärztlicher Tätigkeit zur Tätigkeit
rations- und Koordinationsverhältnisse in der Praxis Schließlich ist auch eine Anpassung des Haftungs- gruppen berufsmäßig tätig werden. Im Verhältnis zu anderer Gesundheitsberufe auf der Ebene gleicher
angesichts zum Teil hochkomplexer Versorgungswei- rechts erforderlich. Laien besteht dieser Vorbehalt nicht. Dies gilt für und auf der Ebene ungleicher, d. h. der höheren und
sen oft von den gebotenen rechtlichen Anforderungen die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde nach dem der anderen Qualifikation, betrachtet werden.
wegentwickelt haben. Heilpraktikergesetz (§ 1 HeilprG) und nach der Sind der Arzt und der Angehörige des anderen Ge-
Mitunter sind die rechtlichen Antworten auf diese Bundesärzteordnung (§ 2 Abs. 5 BÄO). sundheitsberufs in gleicher Weise für eine Tätigkeit
26 Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts Die rechtliche Sicht: Wirkungen des Berufsrechts 27

formell und materiell qualifiziert, so ist ein qualifi- Heilberufen wird der ärztliche Beruf als wichtigster Definition der Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche
Weichenstellung 17: Berufsrechtliche Klärung
katorisch gleicher Rang gegeben, der sich auch in der Heilberuf herausgestellt. Zu den Ärzten gehören der der verschiedenen Heilberufe
von Kooperation
Zusammenarbeit der Berufe ausdrücken sollte. Arzt, der Zahnarzt und der Tierarzt. Der Begriff des Für jeden Heilberuf ist zunächst zu definieren, welche
Der Bundesgesetzgeber hat im Berufsrecht aller
Hier wird es der organisatorischen Einheit, in der die Heilberufs wird sehr weit ausgelegt und umfasst auch Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche für ihn einschlägig
Heilberufe Vorgaben für eine interdisziplinäre
beiden Berufe handeln, überlassen bleiben, dieses die helfende Betreuung von Menschen mit gesund- sind. Sodann ist festzulegen, für welche Aufgaben-
Zusammenarbeit zu formulieren. Ein Allgemeines
Zusammenwirken zu regeln. heitlichen Problemen. Heilpraktiker und Psychothera- und Tätigkeitsbereiche ein Heilberuf im Verhältnis zu
Heilberufegesetz soll auch Vorschriften zu Auf-
peuten rechnen dazu, auch wenn sie keine ärztliche anderen Heilberufen ausschließlich oder vorrangig
gaben- und Tätigkeitsbereichen, auch im Sinne
Sind der Arzt und der Angehörige des anderen Ge- Ausbildung genossen haben. Auch die pflegerischen zuständig ist.
vorbehaltener und vorrangiger Tätigkeiten, enthal-
sundheitsberufs nicht qualifikatorisch gleichrangig, und therapeutischen Berufe und die medizinisch-
ten und die Tätigkeiten der Heilberufe im Verhältnis
z. B. wenn er für bestimmte Tätigkeitsbereiche eine technischen Assistenzberufe rechnen hierher. Einweisungsvorschriften
zueinander beschreiben.
spezialisiertere formelle und materielle Qualifikation Die gesetzgeberische Technik der Einweisungsvor-
aufweist, ist es sinnvoll, hier der Person mit der Regelungsdefizite schriften stammt aus dem Sozialgesetzbuch (SGB I).
höheren Qualifikation für die Tätigkeit den Vorrang zu Regelungsdefizite für die Heilberufe ergeben sich Regelungsmöglichkeiten Dort sind in den §§ 18 bis 29 die besonderen Sozial-
geben (prioritärer Vorbehalt). Im Hebammengesetz in folgender Hinsicht: Aufbau eines Allgemeinen Heilberufegesetzes leistungsgesetze genannt. Einweisungsvorschriften
gilt dies für das Verhältnis Arzt und Hebamme :: 
Es fehlt eine den heutigen Notwendigkeiten der Ein Allgemeines Heilberufegesetz könnte wie folgt geben also eine Übersicht über besondere Gesetze
(§ 4 HebG). Ein relativer Vorbehalt würde bedeuten, gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung aufgebaut sein: eines Rechtsgebietes.
die Person mit der geringeren Qualifikation ganz von entsprechende Definition des Begriffs der Heilkunde. :: Begriff der Heilkunde
dieser Tätigkeit auszuschließen. Nach wie vor wird ein Begriff der Heilkunde zu- :: Begriff des Heilberufes und Aufzählung der Solche Einweisungsvorschriften für die Bundesgesetze
grunde gelegt, der aus dem Heilpraktikergesetz aus Heilberufe der Heilberufe würden ebenfalls die Übersichtlichkeit
Versehen Angehörige der anderen Gesundheitsberufe dem Jahre 1939 stammt. :: Definition der Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche, erleichtern.
Tätigkeiten, für die sie eine Qualifikation im Rahmen :: 
Entsprechend der Neudefinition des Begriffs auch im Sinne vorbehaltener und/oder vorrangiger
der Heilkunde erworben haben, für die Ärzte nicht der Heilkunde ist eine Definition des Begriffs der Tätigkeiten
ausgebildet werden, erscheint es sinnvoll, hier eine Heilberufe zu bilden. :: Einweisungsvorschriften für die besonderen
vorbehaltene Tätigkeit für die Angehörigen dieser :: 
Es fehlt an einer öffentlich-rechtlichen Festlegung Heilberufsgesetze.
Berufe einzurichten. Eine ärztliche Allzuständigkeit der Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche der Heilberufe.
für alle Bereiche der Heilkunde ist dann nicht geboten. Die Tätigkeit der Heilberufe ist zwar in den Ausbil- Begriff der Heilkunde
dungsgesetzen als Ausbildungsziel beschrieben. Der Begriff der Heilkunde ist in Richtung auf die ver-
Schließlich ist noch auf Tätigkeiten zu verweisen, Damit entsteht jedoch keine Festlegung von bes- schiedenen Bereiche der gesundheitlichen Versorgung
die außerhalb der Heilkunde liegen und für die Ange- timmten Aufgaben und Tätigkeiten. zu erweitern (Gesundheitsförderung/gesundheit-
hörige anderer Gesundheitsberufe eine Qualifikation :: 
Der Festlegung von bestimmten Aufgaben und liche Prävention; Kuration; Rehabilitation; Pflege;
erworben haben. Hier ergibt sich gegenüber den Tätigkeiten der Heilberufe muss zum Zweck der Palliation).
Ärzten kein Vorbehalts- oder Vorrangproblem. Herstellung von Klarheit in der Kooperation der
Heilberufe die Festlegung wesentlicher Kernbereiche Weiter bietet sich an, den Begriff an die international
eigener Aufgaben und Tätigkeiten folgen, auch im gebräuchlichen verwandten Begrifflichkeiten anzu-
Möglichkeiten eines Heilberufegesetzes Sinne der Beschreibung vorrangiger und/oder vor- passen (Gesundheitsbegriff der WHO; Behinderungs-
behaltener Tätigkeiten. begriff nach der ICF).
Terminologisches zu den Heilberufen
Unter den Gesundheitsberufen stehen die Heilberufe Begriff der Heilberufe
im Zentrum. Die Angehörigkeit eines Gesundheits- Der Begriff der Heilberufe ist entsprechend der
berufs zu einem Heilberuf ist für die Gesetzgebungs- Neudefinition des Begriffs der Heilkunde anzupassen.
zuständigkeit von Bedeutung, da der Bund für die
Zulassung zu einem Heilberuf die Gesetzgebungs-
zuständigkeit hat (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG). Unter den
29

Organisatorische und institutionelle


Voraussetzungen schaffen
Mark Dominik Alscher und Ursula Matzke

Weichenstellung 3: Ausrichtung von Leitungs- Interdisziplinäre Teams bedürfen einer Leitung oder
strukturen an inhaltlichen Zielen statt an Koordinierung. Eine klare Zieldefinition des Teams ist
Statusfragen die Grundlage für die Bestimmung der Leitungsrolle
Gesundheitseinrichtungen müssen Leitungs- und die Entscheidung über die Profession oder Person,
strukturen nach sachlichen Aspekten und nicht der diese Rolle übertragen wird. In einer etablierten
nach Statusfragen festlegen und damit das pro- Kooperation in kleineren und überschaubaren Teams
fessionsübergreifende Arbeiten wirkungsvoll unter- im Gesundheitswesen erfüllt die Leitung oftmals
stützen. Die Erfüllung der Leitungsfunktion in inter- die Rolle der Koordination, wohingegen in größeren
disziplinären Teams bedarf einer entsprechenden Teams klare Leitungsstrukturen mit entsprechenden
Qualifikation. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erforder-
lich sind. Für größere interdisziplinäre Zusammen-
hänge, in denen die beteiligten Gesundheitsberufe,
Neue Rollenverteilungen führen zu Konflikten. Wer möglicherweise sogar räumlich getrennt, über ver-
Macht abgibt, kämpft in der Regel dagegen, wer Macht schiedene Sektoren hinweg zusammenarbeiten, kann
erhält, dafür. Die ärztliche Profession, die im 19. Jahr- die komplexe Koordinierungs- und Leitungsaufgabe
hundert die Schlüsselposition im Gesundheitswesen auch an eine zentrale Koordinierungsstelle übertragen
hatte, ist damit neuen Rollenverteilungen gegenüber werden (Bartel et al. 2010).
eher kritisch. Es kommt erschwerend hinzu, dass
die Rolle des Arztes aktuell in vielen Richtungen Veränderungen und Wandel erfordern immer Perso-
fundamentalen Änderungen unterworfen ist. nen, die die Initiative ergreifen und vorangehen. Viele
interdisziplinäre Teams bilden sich weniger aufgrund
Aufgrund einer zunehmenden Ökonomisierung von struktureller Anforderungen und Festlegungen, son-
Gesundheitsdienstleistung werden Prozesse und dern durch die Initiative Einzelner. Je nach Situation
Optimierungsstrategien entscheidend für den be- ist die Leitungsperson aufgefordert, von einer neuen
triebswirtschaftlichen Erfolg und damit häufig für das Vision von Interdisziplinarität zu überzeugen, die
Überleben einer Organisation im Gesundheitswesen. Teammitglieder in der Umsetzungsphase zu motivie-
Der Arzt, der im 19. Jahrhundert als nahezu absolutis- ren und zu unterstützen oder entsprechende organi-
tischer Herrscher in seinem Reich entschied, muss sich satorische Rahmenbedingungen zu gestalten (San
plötzlich ein- und unterordnen. Im günstigsten Fall Martin-Rodriguez et al. 2005).
gestaltet er die Prozesse.
In der folgenden Abbildung ist dargestellt, dass die
Aufgrund u.a. auch der Informationstechnologien Prozesse der Gesundheitsdienstleistung eingebettet
werden Patienten zunehmend kompetenter und sind in ökonomische Rahmenbedingungen. Ignoriert
rücken heute ins Zentrum des Leistungsgeschehens. man diese, führt das zum Verlust von fachlicher
Der Arzt ist hinsichtlich seines Fachwissens, aber auch Freiheit. Im Extremum wird die Existenzgrundlage
seiner Autorität zunehmend in Frage gestellt. für eine Institution genommen. Für die Institution
bedeutet dies, dass die Interdisziplinarität und
Die Erweiterung der Wissensbasis führt ergänzend Interprofessionalität innerhalb der Organisation
dazu, dass der Arzt als Experte nicht mehr die Eviden- gefördert werden muss.
zen komplett parat hat, er verwendet bei Regelent-
scheidungen häufig Leitlinien, Standards (SOPs)
und klinische Pfade. Dies bedeutet aber auch, dass
interdisziplinäre Teams Teile der ärztlichen Tätigkeit
übernehmen können.
30 Organisatorische und institutionelle Voraussetzungen schaffen Organisatorische und institutionelle Voraussetzungen schaffen 31

Kooperative Leitungsstrukturen für kooperatives Handeln im Patientenprozess


Verzahnung und Aufbau Steigerung der Partnerschaft
und Verbundenheit der nieder- Steigerung der Seit 1997 ist am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart die »Duale Abteilungsleitung« etabliert und im
integrativer Strukturen mit
niedergelassenen Ärzten gelassenen Ärzten Fallzahlen / Organisationsstatut des Krankenhauses verankert. Die Leitung einer Abteilung obliegt damit dem Chefarzt
des Marktanteils und der zugeordneten Pflegedienstleitung. Mit Eröffnung der Klinik für Geriatrische Rehabilitation im Jahr
bei ambulanten
Leistungen 1998 wurde das duale Leitungsprinzip für diese um die Gesamtleitung des nicht-ärztlichen Therapiebereiches
... ... Patientenzufriedenheit mit
erweitert. Die Zuordnung der Chefärzte zu den jeweiligen Abteilungen wird vom Dienstvertrag geregelt, die
individueller, maßgeschneiderter
Diagnostik und Behandlung pflegerischen Abteilungsleitungen werden auf Vorschlag des Pflegedirektors vom Krankenhausdirektorium im
Anspruchsgruppen Steigerung der Einvernehmen mit dem jeweiligen Chefarzt benannt. Das Organisationsstatut verpflichtet die beiden Lei-
Fallzahlen des tungen bei gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, wobei die
Marktanteils
jeweilige berufliche Verantwortung gewahrt bleibt. Die dualen Leitungen sind für das wirtschaftliche Ergebnis
bei stationären
Leistungen der Abteilung und die Einhaltung der vorgegebenen Budgets verantwortlich. Zudem tragen sie gemeinsam
... Enge interdisziplinäre ...
Zusammenarbeit Verantwortung für Prozesse der Qualitätsentwicklung, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung
in ihrer Abteilung. Dieses System erweitert die in den Krankenhäusern fest etablierte Linienorganisation
... ... Strukturierte / transparente Reduzierung der verantwortlichen Berufsgruppen um eine kooperative Leitungsstruktur unter Wahrung des jeweiligen
Behandlungabäufe der Kosten fachlichen Expertensystems.
Prozesse

Die Abteilungsleitungen aller Berufsgruppen werden in den regelmäßig stattfindenden Strategieworkshops


Schaffung
des Krankenhauses frühzeitig in strategische Entscheidungen eingebunden. In ihren Abteilungen haben die
Qualifikation des med. und ... ... von Liquiditäts- dualen Leitungen Kommunikationsstrukturen, wie beispielsweise Regelkommunikation zwischen Chefarzt und
pfleg. Personals reserven Pflegedienstleitung sowie interdisziplinäre Abteilungsbesprechungen eingerichtet. Jährliche Leistungsverein-
barungen der Abteilungen werden gemeinsam mit dem kaufmännischen Direktor getroffen.
... Hohe Motivation und
Patientenorientierung der MA Für den unmittelbaren Patientenprozess entfaltet sich die kooperative Leitungsstruktur besonders in der
Potenziale Finanzen gemeinsamen Initiierung und Steuerung von interdisziplinären Projekten, die auf eine Verbesserung der
Versorgungsqualität abzielen. Beispiele hierfür sind die Etablierung eines interdisziplinären Schmerzmanage-
ments in allen operativen Abteilungen der Klinik oder die Umsetzung eines interdisziplinären Entlassungsma-
Dezentralisierte und flexible Strukturen bilden das nagements.
Weichenstellung 4: Aufbau von Organisationen
Fundament für Teamarbeit, denn sie erzwingen
mit Blick auf Versorgungsziele und Förderung
geradezu eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Darüber hinaus konnten in einzelnen Abteilungen unter Moderation von Mitarbeitern der Abteilung Quali-
von Zusammenarbeit
Getragen wird eine Neugestaltung der Organisations- täts- und Veränderungsmanagement Abläufe auf den Stationen neu geordnet werden. Die interdisziplinär
Kooperation erfordert eine Abkehr von streng
struktur von einer entsprechenden Organisations- zusammengesetzte Projektgruppe hatte bei der Neuordnung der Abläufe immer den Patientenprozess im
hierarchischen zugunsten flacherer Organisations-
philosophie. Werte wie Partizipation, Fairness, Blick. Letztlich konnte ein Soll-Prozess entwickelt und umgesetzt werden, der sicherstellt, dass die einzelnen
strukturen, die sich an den Zielvorgaben orientieren.
Meinungsfreiheit, Wertschätzung der Sichtweisen Berufsgruppen mit ihren jeweiligen Kernkompetenzen zum richtigen Zeitpunkt die für den Patienten notwen-
anderer oder gegenseitiges Vertrauen befördern dabei dige Aufgabe einzeln oder auch gemeinsam erfüllen.
Organisationale Aspekte mit Auswirkung auf das eine interdisziplinäre Praxis (San Martin-Rodriguez
interdisziplinäre Arbeiten sind mannigfaltig: et al. 2005).
Beispiele sind die Arbeitsumgebung der Teams, die
Struktur und Philosophie der Einrichtung, Ressour-
cen, die für eine Teamarbeit zur Verfügung gestellt
werden, unterstützende administrative Strukturen
sowie Kommunikations- und Koordinations-
mechanismen (San Martin-Rodriguez et al. 2005).
32 Organisatorische und institutionelle Voraussetzungen schaffen Organisatorische und institutionelle Voraussetzungen schaffen 33

Weichenstellung 7: Erstellung von Leitlinien Sie können eine Grundlage zur Abbildung des Literatur
unter Einbeziehung aller Betroffenen pflegerischen Beitrags an der interdisziplinären Bartel, S.; Bethge, M.; Streibelt, M.; Thren, K. und 
Die Fachgesellschaften aller Gesundheitsberufe Kooperation darstellen. Bislang wurden sie so jedoch Lassahn, C., 2010:
sind aufgefordert, die interdisziplinäre Leitlinien- kaum verwendet. Erfolgsfaktoren integrierter Versorgungsprozesse
erstellung zu fördern. in der Endoprothetik: Ergebnisse einer qualitativen
Prozessanalyse. Rehabilitation, 49(3): 138-146.
Weichenstellung 13: Schaffung von Verant-
Wichtiges Instrument für eine Standardisierung in- wortungspartnerschaft für eine gute Praxis der Sachverständigenrat zur Begutachtung der
terprofessioneller Teamarbeit sind interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR), 2007:
Leitlinien. Sie können die einzelnen Versorgungs- Die Vertragspartner im Gesundheitswesen müssen Gutachten 2007. Kooperation und Verantwortung
schritte in systematisierter Reihenfolge darstellen, die Verantwortung für das Gelingen einer sektorüber- als Voraussetzungen einer zielorientierten Gesund-
mögliche Übertragungen von Aufgaben abbilden und greifenden und den regionalen Bedingungen heitsversorgung. Deutscher Bundestag, Druck-
insbesondere bei komplexen Versorgungsanforderun- angepassten Versorgung übernehmen. Daher muss sache 16/6339; http://dipbt.bundestag.de/dip21/
gen die Arbeitsverteilung zwischen den Gesundheits- sich die Vertragspartnerschaft im Gesundheits- btd/16/063/1606339.pdf
berufen aufzeigen (s. auch SVR 2007). Damit können wesen zu einer Verantwortungspartnerschaft aller
sie eine Orientierungshilfe schaffen, die auch die Zu- Beteiligten weiterentwickeln. San Martin-Rodriguez, L.; Beaulieu, M.D.;′D`Amour, D.
sammenarbeit erleichtert. Als Untergruppe der Leitli- und Ferrada-Videla, M., 2005:
nien sind interne, institutionelle Leitlinien anzusehen, The determinants of successful collaboration: a review
zu denen auch Behandlungspfade zählen. Sie sind für Es ist notwendig, dass die Vertragspartner Verantwor- of theoretical and empirical studies. J. Interprof. Care,
die Mehrzahl einer Patientengruppe mit definierter tung für das Gelingen einer auf interprofessioneller 19, Suppl 1: 132-47.
Diagnose konzipiert und beschreiben deren Behand- Kooperation ausgerichteten, sektorübergreifenden
lungsabläufe innerhalb eines Versorgungssektors oder und den regionalen Bedingungen angepassten Ver- Schrappe, M., 2005:
sektorübergreifend aus berufsgruppenübergreifender sorgung übernehmen. Dies bedeutet, dass sie in der Clinical Pathways, in: Hart, D. (Hrsg.), Klinische
Sicht (Schrappe 2005). Seit der Einführung von DRG Pflicht stehen, für die Entwicklung und Implementie- Leitlinien und Recht. Baden-Baden: Nomos, S. 163–171.
(Diagnosis Related Groups) kommt ihnen im statio- rung längerfristig wirkender kooperativer Versor-
nären Sektor eine zunehmende Bedeutung zu. Durch gungsstrukturen zu sorgen. Dabei spielt Monitoring
ihren prozessorientierten Charakter helfen Behand- eine wichtige Rolle, wofür geeignete Erhebungsin-
lungspfade im stationären Bereich, die ineffizienten strumente zu entwickeln sind. Damit ließen sich dann
Matrixstrukturen der Kliniken zu überwinden. Leitli- Defizite erkennen und Maßnahmen zur Förderung
nien sollten nicht nur die Aufgaben der verschiedenen günstiger Bedingungen regional und national
Gesundheitsberufe thematisieren, wichtig ist auch, eruieren.
wie sie erstellt werden. Sinnvoll erscheint eine inter-
disziplinäre Leitlinienerarbeitung unter Einbeziehung Den Gesundheitsberufen kommt dabei eine besondere
aller betroffenen Berufsgruppen. Dies gilt sowohl für Rolle zu. Sie stehen unmittelbar in der Versorgungs-
Leitlinien als auch für Behandlungspfade. Nach wie vor praxis und sind oft erste Ansprechpartner für die
werden jedoch viele Leitlinien noch monoprofessionell Patienten. Aktiv an der Etablierung interprofessionel-
erarbeitet. Zwar werden zunehmend alle betroffenen ler Kooperationsstrukturen mitzuwirken, muss darum
ärztlichen Disziplinen beteiligt, jedoch ist die Einbe- ein Teil ihres professionellen Handelns werden.
ziehung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe noch
als unzureichend anzusehen. Für die Pflege existieren
monoprofessionell erarbeitete Expertenstandards.
35

Kooperation durch Bildung fördern


Gerd Dielmann

Weichenstellung 6: Beschreibung von Berufs- Die in der Ausbildung zu erwerbenden Kompeten-


profilen mit eindeutig zugewiesenen Kompetenzen zen sind in den Ordnungsmitteln ausdrücklich zu
und Verantwortlichkeiten benennen. Die Vorgaben sehr allgemein formulierter
Berufsverbände und der Gesetzgeber sind auf- Ausbildungsziele und die Festlegung von Fächern,
gefordert, klare Berufsprofile mit eindeutig Themenbereichen und Einsatzgebieten reichen nicht
zugewiesenen Kompetenzen und Verantwortlich- aus. Qualifikationserfordernisse für Aufgaben, die
keiten festzuschreiben. eigenverantwortlich oder in Kooperation mit anderen
Berufen ausgeführt werden sollen, sind differenziert
und eindeutig zu beschreiben, auch und gerade in den
In der Gesundheitsversorgung gibt es vor allem im Bereichen der Heilkunde.
Bereich der Assistenzberufe zahlreiche überlappende
Qualifikationsprofile mit unterschiedlichen Anforde- Klare Berufsprofile können zur Entwicklung einer
rungen und variierender Ausbildungsdauer (z. B. eigenen Berufsidentität beitragen, die wiederum eine
Altenpflegehelfer/-innen, Krankenpflegehelfer/-innen wichtige Voraussetzung für eine gleichberechtigte
Sozialhelfer/-innen, Ausbildungsgänge in Pflege- und Kooperation darstellt.
Serviceassistenz). Die Gesundheitsberufe sind über-
wiegend im Rahmen der Regelungskompetenz des Berufs- und Fachverbände sind gefordert, unterhalb
Bundes zur »Zulassung zu ärztlichen und anderen der Ebene der Rechtssetzung zur Profilbildung bei-
Heilberufen« auf Grundlage von Berufszulassungs- zutragen, wenn es etwa um das berufliche Selbstver-
gesetzen geregelt. Diese Berufsgesetze regeln jedoch ständnis geht. Dazu zählen beispielsweise die Fragen,
nicht die Berufsausübung, sondern beschränken sich ob Gespräche mit Angehörigen zum ärztlichen Berufs-
auf den Schutz der Berufsbezeichnungen und definie- bild gehören und vom Arzt oder der Ärztin selbst zu
ren die ausbildungsrechtlichen Voraussetzungen, die führen sind oder ob es Aufgabe der Pflegefachkraft
für die Erlaubnis zur Führung der jeweiligen Berufs- ist, die Ganzkörperwäsche bei schwer Kranken selbst
bezeichnung erfüllt werden müssen. Sie enthalten vorzunehmen. Auch die Frage, ob und inwieweit
keine ausführlichen Vorschriften zum Ausbildungs- heilkundliche Tätigkeiten übernommen werden sol-
berufsbild, zur inhaltlichen Gestaltung der Ausbildung len, kann Gegenstand berufspolitischer Erörterung
und den zu vermittelnden Kompetenzen. In der Praxis und Standortbestimmung sein. Für Ausbildungsgänge
führt das zu Problemen in der Arbeitsorganisation, auf unterschiedlichen Niveaus können eindeutige
in der Zuweisung und Übernahme von Verantwort- Definitionen der zu vermittelnden Kompetenzen und
lichkeiten und zu rechtlichen Problemen in der gemeinsam von allen Beteiligten entwickelte Stellen-
Zusammenarbeit. Fragen der Übertragung ärztlicher beschreibungen zur Klärung der Aufgaben- und
Tätigkeiten auf Pflegepersonal oder die Übernahme Arbeitsteilung beitragen.
pflegerischer Aufgaben durch un- und angelerntes
Servicepersonal werden kontrovers diskutiert und
führen zu Reibungsverlusten in den betrieblichen Weichenstellung 8: Beschreibung und rechtliche
Abläufen bis hin zu rechtlichen Auseinander- Verankerung der in Aus- und Weiterbildung zu
setzungen. vermittelnden beruflichen Kompetenzen
Die anhand des europäischen und deutschen Quali-
Die jeweils zuständigen Gesetzes- und Verordnungs- fikationsrahmens kompetenzorientiert entwickelten
geber sind daher aufgefordert, klare Berufsprofile Ausbildungsprofile müssen in den berufs- und
zu definieren und sie mit eindeutig zugewiesenen berufsbildungsrechtlichen Grundlagen verankert
Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zu versehen. werden.
36 Kooperation durch Bildung fördern Kooperation durch Bildung fördern 37

Mit der Entwicklung des Europäischen – EQR (2008) Kooperation der Gesundheitsberufe entgegenstehen in den jeweiligen Schulen vermittelt, obwohl sie bereits
Weichenstellung 11: Berichterstattung über
und des Deutschen Qualifikationsrahmens – DQR können. Sie erschweren den Erwerb von Kenntnissen organisatorisch unter einem Dach zusammengefasst
Kennzahlen der Ausbildung, der Nachfrage und
(2009) werden sich an Kompetenzen und am Ergeb- über die anderen Berufe, ihre Ausbildung und Quali- sind. Gemeinsame Ausbildungsveranstaltungen in
Beschäftigtenzahlen der Gesundheitsberufe
nis (output) orientierte Qualifikationsprofile auch fikationsprofile ebenso wie die frühzeitige Entwick- Theorie und Praxis könnten hier Abhilfe schaffen und
In der deutschen Gesundheitsberichterstattung
hierzulande durchsetzen. Die Erfahrungen mit der lung von Formen der Zusammenarbeit und sinnvoller zu einem gemeinsamen Verständnis für eine koopera-
sollte ein regelmäßiger Ausbildungsbericht integriert
Erprobung des DQR im Bereich der Gesundheitsbe- Arbeitsteilung. Eine weitere Folge dieser vielfältigen tiv ausgestaltete Gesundheitsversorgung führen.
sein, in dem die Kennzahlen der Ausbildung, der
rufe haben gezeigt, dass die Ordnungsmittel in dieser Strukturen sind sehr unterschiedliche Anforderun- Sinnvoll ist eine Kooperation von Hochschulen,
Nachfrageentwicklung und der Beschäftigtenzahlen
Hinsicht vielfach unzureichend sind. Eine angemes- gen an die Qualität der Ausbildungsgänge. Die Unter- Schulen und Betrieben nicht nur bei dual organisierten
der Gesundheitsberufe zusammengetragen werden.
sene Zuordnung zu den jeweiligen Qualifikationsni- schiede betreffen nicht nur die verschiedenen Berufe, Bildungsgängen. Berufsübergreifend und interdiszi-
Die Zahlen sind regional differenziert auszu-
veaus setzt eine kompetenzorientierte Beschreibung auch innerhalb jedes einzelnen Ausbildungsberufs plinär zusammengesetzte Lehrkörper machen berufs-
weisen, um kommunale und regionale Planung zu
in den ausbildungsrechtlichen Grundlagen voraus. gibt es ein relativ breites Qualitätsspektrum – wegen übergreifende Kooperation auch in der Lehre erlebbar
ermöglichen.
Hergebrachte Formulierungen von Ausbildungsin- differierender Vorgaben nicht nur zwischen den Län- und sind in der Lage, Interdisziplinarität zu fördern,
halten, Fächern und Fachgebieten reichen hierfür dern, sondern mangels hinreichender Vorschriften ohne die eigene Berufsidentität aufzugeben. Gemein-
nicht aus. Die Berufszulassungsgesetze beschränken auch innerhalb eines Landes von Schule zu Schule. same Fortbildungsveranstaltungen für die Lehrkräfte Bislang ist wenig bekannt über die Angebots- und
sich zumeist auf eine mehr oder weniger ausführliche Einheitliche Qualitätsstandards und Ausbildungs- tragen zur Entwicklung kooperativen Denkens in Nachfrageentwicklung in den Bereichen der Ausbil-
Beschreibung der Ausbildungsziele oder verzichten strukturen auf einer gemeinsamen Rechtsgrundlage, Lehre und Berufspraxis bei. Berufs- und fachübergrei- dung und Beschäftigung der Gesundheitsberufe sowie
ganz darauf, wie das Logopädengesetz (LogG) oder das z. B. eines einheitlichen »Heilberufegesetzes«, könnten fende Ausbildungs- und Forschungsverbünde fördern deren regionale Verteilung. Dies hängt mit fehlenden
Ergotherapeutengesetz (ErgThG). Im Physiotherapeu- dazu beitragen, die Entwicklung der durch Aus-, Fort- ein gemeinsames Verständnis für die Erfordernisse Statistiken aus dem Ausbildungsbereich zusammen.
tengesetz heißt es beispielsweise »Die Ausbildung soll und Weiterbildung zu vermittelnden Kompetenzen einer Gesundheitsversorgung, das weder Gruppen-
entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbe- auch sicherzustellen. egoismen noch Kastendenken verpflichtet ist, sondern Es gibt bundesweit keine Ausbildungsberichterstat-
sondere dazu befähigen, durch Anwenden geeigneter die Versorgungsinteressen der Patientinnen und tung. Selbst die Ausbildungsstatistik des Statistischen
Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Patienten in den Mittelpunkt stellt. Bundesamtes wird nicht von allen Bundesländern mit
Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Weichenstellung 10: Vernetzung der Ausbildungs- den erforderlichen Daten versorgt. Daten zur Nach-
Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung stätten verschiedener Gesundheitsberufe Die wissenschaftliche Qualifikation unterschiedlicher frage nach Ausbildungsplätzen werden oft gar nicht
aller Funktionen im somatischen und psychischen Da berufliche und wissenschaftliche Sozialisation Gesundheitsberufe sollte auch die Fähigkeit zur erst erfasst. Wenn die für die gesundheitliche Ver-
Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen und Qualifikation der Gesundheitsberufe auf eine späteren interdisziplinären Forschungsarbeit bein- sorgung der Bevölkerung notwendige Nachwuchsge-
Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen spätere, interdisziplinäre Berufspraxis vorbereiten halten. Die komplexen Fragen der Gesundheits- und winnung in den Gesundheitsberufen nicht den Markt-
(Ausbildungsziel)« (§ 8 MPhG). Kompetenzorientierte sollen, müssen Forschung und Ausbildung inter- Versorgungsforschung bedingen eine solche wissen- entwicklungen und oft kurzsichtigen ökonomischen
Beschreibungen der Ausbildungsziele finden sich le- disziplinär und kooperativ angelegt sein. Dafür schaftliche Qualifikation des Forschungsnachwuch- Interessenlagen überlassen bleiben sollen, müssen die
diglich ansatzweise in den Berufszulassungsgesetzen ist eine Vernetzung der Ausbildungsstätten der ses. Dazu muss neben einer Methodenkompetenz auch erforderlichen Daten erhoben und zusammengetragen
der Pflegeberufe (AltPflG, KrPflG). Die in der Aus- verschiedenen Gesundheitsberufe erforderlich. die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit unter- werden, um gegebenenfalls regulierend eingreifen zu
bildung zu entwickelnden Kompetenzen sind differen- schiedlichen theoretischen Perspektiven ausgebildet können.
ziert zu beschreiben. Für die geforderte Zuordnung werden.
zu Niveaustufen reichen diese Beschreibungen jedoch Die Weichenstellung nach einer besseren Vernetzung Eine regionale Gesundheitsberichtserstattung dient
nicht aus. Die Festlegungen alle Kompetenzbereiche der Ausbildungsstätten trifft auf eine Situation, in der als Grundlage für eine bedarfsorientierte kommunale
der Fachkompetenz (Wissen und Fertigkeiten) und der ohnehin ein Trend zur Zusammenführung der Aus- Gesundheitspolitik. Sie stellt eine wichtige Informa-
personalen Kompetenz (Sozial- und Selbstkompetenz) bildungsstätten am Krankenhaus besteht. Immer tionsbasis dar, denn sie ermöglicht transparente
zu umfassen. häufiger werden nicht nur an den Universitätskliniken Planungsentscheidungen. Ein regelmäßiger Ausbil-
größere Einheiten von Ausbildungsstätten verschiede- dungsbericht sollte die zentralen Kennzahlen der Aus-
Die Vielfalt der strukturellen Vorgaben und die Unter- ner Ausbildungsberufe und oft auch einschließlich bildung der Gesundheitsberufe zusammentragen und
schiedlichkeit in der Gestaltung der Ausbildungs- der Bereiche für Fort- und Weiterbildung etabliert regional differenziert darstellen. Quantitative Daten
berufe im Gesundheitswesen führen auch zu großen (Bildungsakademien, Zentralschulen). Gleichwohl sind vor dem Hintergrund veränderter Versorgungs-
Unterschieden in der Berufssozialisation, die einer werden identische Ausbildungsinhalte noch getrennt bedarfe und -prozesse zu analysieren (z. B. des demo-
38 Kooperation durch Bildung fördern Kooperation durch Bildung fördern 39

graphischen Wandels, reduzierter stationärer Die Organisation der Arbeitsteilung, die Weiterent- Zum anderen sind Fragen des Versorgungsmixes zu Dielmann, Gerd:
Kapazitäten, verkürzter Liegezeiten, schnellerer wicklung sowie Neuentstehung von Berufsbildern und erörtern. Dabei sollte geklärt werden, welcher Gesund- Deutscher Qualifikationsrahmen soll Transparenz
Entlassung und Weiterbehandlung im ambulanten Tätigkeitsfeldern haben zu Überschneidungen und heitsberuf am besten geeignet ist, welche Aufgaben schaffen. In: Die Schwester Der Pfleger, Jahrg. 49,
Bereich, veränderter Ausbildungen von Gesundheits- Rechtsunsicherheiten in der Berufsausübung geführt, zu übernehmen. Für bestimmte Aufgaben z. B. Case Heft 7/2010, S. 714 - 716, Melsungen 2010.
berufen). Dieser Bericht verhilft den Ausbildungs- und die der Klärung bedürfen. Auch Anforderungen an Management lassen sich keine eindeutigen Zuständig-
Kostenträgern zu einer objektiven Entscheidungs- verschiedene Versorgungsbedarfe und den Kompe- keiten zuordnen, sondern verschiedene Berufsgrup- Erdle Helmut/Igl, Gerhard: Recht der Gesundheits-
grundlage für ihre Kapazitätsplanungen und mögli- tenzmix (skill mix) sind zu erörtern. pen in den jeweiligen Handlungsfeldern identifizieren, berufe der Gesundheitsfachberufe, Heilpraktiker und
che Veränderungen der Organisationsstrukturen der die geeignet sind. sonstigen Berufe im Gesundheitswesen. Heidelberg.
Ausbildungsstätten. Zum einen können Versorgungs- Zentrale Fragen der zukünftigen interdisziplinären Loseblatt.
engpässe frühzeitig erkannt und es kann entspre- Zusammenarbeit bedürfen einer intensiven Diskus-
chend darauf reagiert werden. Zudem können soziale sion unter den Angehörigen der Gesundheitsberufe. Literatur Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Ungleichheiten in Bildungschancen sichtbar werden. Bislang werden diese Auseinandersetzungen jedoch Bundesärztekammer / Kassenärztliche Bundes- des Landes Nordrhein-Westfalen, 2010:
Die Ausbildung für Gesundheitsarbeit ist teilweise primär innerhalb der einzelnen Berufsgruppen, nicht vereinigung: Landesberichterstattung Gesundheitsberufe 2009 –
fast ausschließlich dem freien Markt überlassen, was jedoch gemeinsam geführt. Zusammenkünfte aller an Persönliche Leistungserbringung – Möglichkeiten Situation der Ausbildung und Beschäftigung in
Effekte auf die Versorgungsqualität haben kann, wenn der Berufsbildung beteiligten Akteure könnten dazu und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen. Nordrhein-Westfalen. Online verfügbar unter
nicht genügend Ausbildungskapazitäten zur Ver- beitragen, konsensfähige Lösungen zu finden. Zu Stand: 29. August 2008 http://services.nordrheinwestfalendirekt.de/broschu-
fügung gestellt werden. Auch die Arbeitsagenturen denken ist an die Sozialpartner, Berufs- und Fach- in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 105, Heft 41, A 2173-2177. erenservice/download/70505/gesundheitsberufekom-
könnten diese Informationen bei ihrer Beratung zu verbände, Vertreter der Gesundheitseinrichtungen plett.pdf (Zugriff am 15.5.2011).
Ausbildungsmöglichkeiten und Beschäftigungsaus- und Ausbildungsstätten, der Schulen, Hochschulen, Bundesärztekammer (Hrsg.) Konferenz der
sichten in den verschiedenen Gesundheitsberufen Bildungsträger und nicht zuletzt der Parteien und Fachberufe im Gesundheitswesen bei der Bundes-
einsetzen. Letztendlich dienen Ausbildungsberichte Ministerien auf Bundes- und Landesebene. ärztekammer:
allen Akteuren des Gesundheitswesens als Ent- Prozessverbesserung in der Patientenversorgung
scheidungsgrundlage bei der Weiterentwicklung von Zuständig für die Initiierung des Berufegipfels wären durch Kooperation und Koordination zwischen den
kooperativen und sektorenübergreifenden Versor- die für die Heilberufe zuständigen Bundesministerien, Gesundheitsberufen, o.J.
gungsstrukturen im Gesundheitswesen, die den das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das
regionalen Gegebenheiten angepasst sind. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges
(Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium für Bil- Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher
Landes Nordrhein-Westfalen 2010). dung und Forschung (BMBF). Inhaltlich sollte sich der Qualifikationsrahmen (AK DQR) am 22. März 2011.
Berufegipfel zum einen mit Fragen der Qualifizierung http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de
auseinandersetzen, wobei auch didaktische Überle-
Weichenstellung 12: Berufegipfel zur Klärung von gungen angestellt werden sollten. Es sind Antworten Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (Hrsg.)
Fragen der Gesundheitsberufebildung auf die Frage zu finden, wie Kooperationskompetenz Offermanns, Matthias/Bergmann, Otto: Neuordnung
Die zuständigen Bundes- und Landesministerien vermittelt und erworben wird, welche Qualifikation von Aufgaben des Ärztlichen Dienstes – Bericht des
werden aufgefordert, einen Berufegipfel zu initiie- und Kompetenzen der Ausbilderinnen und Ausbilder Deutschen Krankenhausinstitutes, Düsseldorf, April
ren, bei dem die wesentlichen Fragen der zukünf- dabei erforderlich sind, welche Lernformen und Lern- 2008.
tigen interdisziplinären Zusammenarbeit, der Aus-, orte angemessen sind, wie sich Theorie- und
Fort- und Weiterbildung sowie der Berufsausübung Praxiseinheiten zur interdisziplinären Kooperation Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (Hrsg.)
auf breiter Basis diskutiert werden. am besten in die bestehenden Qualifikationsstruktu- Offermanns, Matthias/Bergmann, Otto: »Neuordnung
ren integrieren lassen und welche Gewichtung von Aufgaben des Pflegedienstes unter Beachtung
mono- und interprofessionelle Qualifikationsmodule weiterer Berufsgruppen« – Bericht des Deutschen
einnehmen sollten. Krankenhausinstitutes, Düsseldorf, Mai 2010.
41

Interprofessionelle Zusammenarbeit
im regionalen Kontext
Andreas Büscher und Manfred Hopfeld

Weichenstellung 16: Stärken der regionalen Das Ziel einer solchen Analyse ist die Erstellung eines
Planung und Förderung von Versorgungsnetzen Profils der kommunalen Gesundheitsversorgung,
Die Länder und Kommunen werden aufgefordert, zu der neben den Einschätzungen der bestehenden
interdisziplinäre Kooperation in der regionalen Bedarfslagen (z. B. Anzahl von Personen mit chroni-
Gesundheitsversorgung zu initiieren, zu unter- scher Krankheit, Anzahl Pflegebedürftiger) auch die
stützen und ihr eine Plattform zu bieten. vorhandenen Ressourcen (z. B. Anzahl und Art nieder-
gelassener Arztpraxen, Physiotherapeuten oder
Beratungsstellen) zählen. Es ist empfehlenswert,
Die Frage der regionalen, kommunalen und lokalen entsprechende Analysen nicht nur einmalig vorzu-
Umsetzung von Kooperation in der Gesundheitsver- nehmen, sondern mit ihrer Initiierung ein Verfahren
sorgung hat im Prozess der Entwicklung und Formu- zu etablieren, wie die Datenbasis – unter Berücksichti-
lierung des Memorandums kontinuierlich eine Rolle gung des Datenschutzes – fortlaufend auf einem
gespielt. Angesichts demographischer Veränderungen aktuellen Stand gehalten werden kann. Dies ist sowohl
und zunehmend komplexerer Krankheitsverläufe aus inhaltlichen wie auch aus ökonomischen Gründen
stehen die Kommunen vor großen Herausforde- anzuraten, da der Aufwand einer solchen Analyse
rungen bei der gesundheitlichen Versorgung einer nicht unbeträchtlich ist und es neben den strukturel-
älter werdenden Bevölkerung (Deutscher Verein 2010, len Voraussetzungen auch der individuellen Kompe-
Naegele 2010). Umschreiben lässt sich diese Heraus- tenz Einzelner zur Durchführung einer solchen
forderung mit der englischen Wortschöpfung des Analyse bedarf. Anhaltspunkte für entsprechende
»Think and act glocally«, mit der ausgedrückt wird, Analysen finden sich auf kommunaler Ebene im Be-
dass viele Probleme der gesundheitlichen Versor- reich der Altenhilfe, wo Erfahrungen mit kommunalen
gung global vorhanden sind, jedoch immer auf einer Bedarfsplanungen gesammelt wurden (Blaumeiser et
lokalen Ebene bewältigt werden müssen. Daher sind al. 2002). Hilfreich können auch Anleihen bei interna-
innovative Lösungsansätze für regionale und lokale tional verwendeten Verfahren wie einem Community
Netzwerke gefragt, in die alle Verantwortungspartner Health Assessment (Cassells 2007) oder die Einbe-
eingebunden sind und die den jeweiligen ländlichen ziehung der Expertise von Geographen zur Quartiers-
oder städtischen, den räumlichen und personalen forschung sein (Schnur 2008). Zudem gibt es Bestre-
Besonderheiten einer Region Rechnung tragen. bungen zur Stärkung quartiersorientierter Ansätze in
Deutschland, z. B. das Netzwerk‚ Soziales neu gestalten
Vor diesem Hintergrund ist die Weichenstellung des (SONG 2009).
Memorandums zu sehen, die regionale Planung zu
stärken und Versorgungsnetze zu fördern. Sie richtet Neben den genannten Entscheidungsträgern kommt
sich an kommunale Entscheidungsträger wie Land- auch anderen Akteuren wie den Angehörigen der
räte, Gesundheitsdezernenten oder Bürgermeis- Gesundheitsberufe eine wichtige Rolle im Rahmen
ter und konkretisiert sich in zwei Aufgabenfeldern. regionaler Bündnisse bei der Entwicklung von
Zum einen impliziert sie die Durchführung von Lösungen für kommunale Bedarfslagen zu. Damit ist
Analysen der kommunalen Versorgungsstrukturen als zweites Aufgabenfeld der Kommunen die Initiie-
nach einheitlichen Kriterien als Ausgangspunkt zur rung, Flankierung und Moderation der Kooperation
Entscheidungsfindung. Eine solche Analyse setzt das der Gesundheitsberufe angesprochen. Diese geschieht
Vorhandensein einer Datenbasis über die gesundheit- als Teil weiter gefasster Aufgaben, die sich den Kom-
liche und pflegerische Versorgung voraus und, was munen im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge
oftmals noch entscheidender ist, bedarf der sinnvollen stellen, und kann nicht losgelöst davon betrachtet
Zusammenführung dieser Daten zur Interpretation. werden. Die Initiierung der Kooperation kann in Form
42 Interprofessionelle Zusammenarbeit im regionalen Kontext Interprofessionelle Zusammenarbeit im regionalen Kontext 43

von Gremien wie kommunalen Gesundheits- und/ Weichenstellung 15: Nutzung von Telemedizin Bewusst ist im Memorandum nicht die Telemedizin Produktentwicklung im Vordergrund steht, sondern
oder Pflegekonferenzen wahrgenommen werden, in und Informationstechnologien für die Vernetzung allein, sondern auch der gesamte Bereich der Tele- die tatsächliche Problemlösung nicht vergessen wird.
denen es vorrangig darum geht, die unterschiedlichen aller Beteiligten am Versorgungsprozess matik angesprochen, da es um die Nutzung unter-
Akteure in einem gemeinsamen Forum zusammen- Die Nutzung in der Regelversorgung ist zu ermög- schiedlicher Technologien für die Gestaltung von Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die
zuführen und dadurch Gelegenheiten für die gemein- lichen und durch ein gesichertes Qualitätsmanage- Versorgungsprozessen geht. Neben der Erfassung Stärkung der regionalen Zusammenarbeit und die
same Auseinandersetzung zu schaffen. Die instituti- mentverfahren zu begleiten, bei dem fachliche, und elektronischen Übertragung von Vitalparame- Einführung telemedizinischer und anderer tech-
onalisierte Zusammenarbeit in Gremien kann damit technische, ethische und (datenschutz-) rechtliche tern bietet moderne Technologie auch Optionen zur nologischer Innovationen eingebunden ist in einen
zum Ausgangspunkt werden, auch anlassbezogen bei Standards zu berücksichtigen sind. 24-stündigen Anbindung der Nutzer an Versorgungs- gesundheitswirtschaftlichen Kontext, zu dem neben
der Lösung von Versorgungsproblemen, wie z. B. der instanzen (wie z. B. Krankenhäuser, Arztpraxen oder den versorgenden Organisationen und Personen
Versorgung chronisch Kranker mit Medikamenten, zu ambulante Pflegedienste), auch über große Entfer- auch patientenferne Bereiche, wie z. B. die Wohnungs-
kooperieren. Entsprechende regionale Gremien sind In einem engen Zusammenhang zur Stärkung der nungen. Potenzial haben technische Entwicklungen wirtschaft, gehören. Ob und in welchem Ausmaß
zudem dazu geeignet, die zentrale Frage der Versor- regionalen Kooperation steht die Nutzung von Tele- zudem in der Erhöhung der Sicherheit chronisch es gelingt, durch neue Unternehmensformen die
gungssteuerung zu diskutieren, bei der es nicht zuletzt medizin und Informationstechnologie für die Ver- kranker und pflegebedürftiger Menschen in ihrem regionale Handlungsfähigkeit sicherzustellen, ist
um die Verteilung von Macht und Verantwortung netzung aller am Versorgungsprozess Beteiligten. Wohnumfeld. Zu fordern ist daher, dass die bisheri- ein Aspekt, der für die nachhaltige Etablierung
zwischen den Gesundheitsberufen geht. Stärker als bislang gilt es, die telemedizinischen gen umfangreichen Bemühungen zur Entwicklung entsprechender Strukturen verantwortlich zeichnet.
Möglichkeiten zur Verbesserung der gesundheitlichen telemedizinischer oder den Alltag unterstützender
Die Betonung der regionalen Bedeutung impliziert die Versorgung der Bevölkerung, zur Steigerung der Ver- Produkte noch stärker mit realen Versorgungs-
Akzeptanz unterschiedlicher Herangehensweisen in sorgungsqualität und zur Kostensenkung in regulären prozessen verzahnt werden und somit nicht nur die
verschiedenen Regionen. Während beispielsweise in Versorgungsprozessen zu berücksichtigen und sie
einigen ländlichen Regionen manche infrastruktu- in diese zu integrieren. Dafür ist ein konzertiertes
rellen Voraussetzungen bereits fehlen und es darum sektoren-, professionen- und fachgebietsübergreifen- Telemedizinisches Projekt in der integrierten Schlaganfallversorgung
geht, überhaupt eine Versorgung zu organisieren und des Vorgehen unerlässlich. Zudem ist die Einhaltung Das Telemedizinische Projekt in der integrierten Schlaganfallversorgung (Projekt TEMPiS) wurde entwickelt,
aufrechtzuerhalten, geht es in vielen städtischen technischer Standards ein zentrales Element, um eine um die Qualität der Schlaganfallversorgung in der Region Südostbayern zu verbessern. Es ist vorwiegend
Regionen darum, den potenziellen Nutzern Entschei- möglichst offene Kommunikation und Anbindung an für kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum konzipiert, in denen die Etablierung einer kostenintensiven
dungs- und Orientierungshilfen zu geben, um sich in bestehende Netzwerke zu ermöglichen. Stroke Unit unwirtschaftlich ist. Zunächst wurden 12, inzwischen 15 regionale Kliniken mit den beiden Schlag-
der Vielfalt der Angebote zurechtzufinden. Neben Barrieren zur stärkeren Implementierung teleme- anfallzentren in München Harlaching und an der Universität Regensburg vernetzt. Für schwierige klinische
Entscheidungen zur gesundheitlichen Versorgung eig- dizinischer Anwendungen liegen in fehlenden admi- Fragestellungen können die lokalen Ärzte jederzeit in Telekonsultation zu den Experten der Schlaganfallzen-
net sich die kommunale Ebene auch für die Umsetzung nistrativen Rahmenbedingungen, durch die Anreize tren treten. Zusätzlich hat jedes Versorgungskrankenhaus eine eigene, multidisziplinär besetzte Schlaganfall-
präventiver Maßnahmen. Ob und welche präventiven zum Einsatz entsprechender Ansätze gesetzt werden. station in kleinem Maßstab aufgebaut. Beteiligt sind dabei Ärzte, Pflegekräfte, Logopäden, Ergotherapeuten
Maßnahmen sinnvoll erscheinen, kann oftmals nur Hier ist der Gemeinsame Bundesausschuss gefordert, und Physiotherapeuten.
angesichts lokaler Verhältnisse entschieden werden, Lösungen zu entwickeln. Zudem besteht ein Bedarf,
die in hohem Maße durch soziale Determinanten die Bekanntheit telemedizinischer Anwendungen für Die neu gebildeten Teams werden gezielt qualifiziert, wobei auch gemeinschaftliche Lehrinhalte vorgesehen
charakterisiert sind. Entsprechend sollten präven- verschiedene Zielgruppen (z. B. Patient, Klinikarzt, sind. Weiterhin werden auch Maßnahmen ergriffen, um die Kommunikation im Team zu fördern, gemeinsame
tive Maßnahmen an den regionalen und lokalen Klinikgeschäftsführer, Hausarzt u.a.) zu verbessern. Visiten durchgeführt und ein Newsletter für die Teammitglieder erstellt. Die Telekonsultationen, die bei
Verhältnissen ausgerichtet sein und diese zum Dies gilt sowohl für die Bedarfslagen der Nutzer wie vordefinierten Kriterien obligatorisch, ansonsten aber freiwillig sind, fördern den intradisziplinären ärztlichen
Ausgangspunkt präventiver Maßnahmen machen. auch für die Effekte entsprechender Anwendungen. Dialog und sollen dem Arzt vor Ort Hilfestellung bei der Diagnose und Behandlungsstrategie geben. Dafür
Hier ist die Versorgungsforschung gefordert, aber stehen in den beiden Universitätskliniken von anderen Aufgaben freigestellte Neurologen rund um die Uhr zur
auch die Hersteller entsprechender Produkte stehen in Verfügung.
der Pflicht.
Seit Anfang 2003 wurden im Rahmen von TEMPiS jährlich ca. 3000 Telekonsile durchgeführt. Mehr als
200 Patienten pro Jahr erhielten nach telekonsiliarischer Indikationsstellung eine medikamentöse Gerinnsel-
auflösung, was einer Verzehnfachung der vorher erreichten Lyserate entspricht. Seit 2006 ist das Projekt
durch Beschluss der Bayerischen Staatsregierung in der Regelversorgung.
44 Interprofessionelle Zusammenarbeit im regionalen Kontext Interprofessionelle Zusammenarbeit im regionalen Kontext 45

Literatur Netzwerk. Soziales neu gestalten (SONG), 2009:


Blaumeiser, H.; Blunck, A.; Klie, T.; Pfundstein, T; Lebensräume zum Älterwerden – für ein neues
Wappelshammer, E., 2002: Handbuch Kommunale Miteinander im Quartier. Memorandum des Netz-
Altenplanung. Grundlagen – Prinzipien – Methoden. werks: Soziales neu gestalten. Gütersloh. Verfügbar
Frankfurt: Deutscher Verein für öffentliche und unter: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/
private Fürsorge. rde/xbcr/SID-104EB3B5-6E1618AB/bst/xcms_bst_
dms_27817_27818_2.pdf
Cassells, H., 2007: Community Health Assessment. (letzter Zugriff: 04.06.2011).
In: Nies, M.A.; McEwen, M. (Hrsg.): Community/Public
Health Nursing. Promoting the Health of Populations. Schnur, O. (Hrsg.), 2008:
St. Louis: Saunders Elsevier, 74-88. Quartiersforschung. Zwischen Theorie und Praxis.
Wiesbaden: VS-Verlag.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
e.V., 2006: Selbstbestimmung und soziale Teilhabe
vor Ort sichern! Empfehlungen des Deutschen Vereins
zur Gestaltung einer wohnortnahen Pflegeinfra-
struktur. DV 05/10 AF IV. Verfügbar unter:
http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/
empfehlungen_archiv/2010/pdf/DV%2005-10.pdf
(letzter Zugriff: 04.06.2011).

Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst


des Landes Nordrhein-Westfalen.
Vom 25. November 1997, geändert 13.12.2010,
hier § 26 Landesgesundheitskonferenz.
http://gesundheit.nrw.de/content/e19/e2803/e4570

Körtke, H.; Gräfe, B.; Frisch, S.; Secer, S.; Hoffmann-


Koch, A.; Paluszkiewicz, L : Telemedizin am Beispiel
praktischer Modelle in der medizinischen Versorgung
Herz-Kreislauf-Erkrankter. 2011: In: e-Health 2011,
Duesberg, F. (Hrsg.) Solingen, 2011, S. 30-36.

Lohmann/Preusker (Hrsg.): Kollege Computer. 


Moderne Medizin durch Telematik, 2009,
Economica-Verlag.

Naegele, G., 2010: Kommunen im demographischen


Wandel. Thesen zu neuen An- und Herausforderungen
für die lokale Alten- und Seniorenpolitik. Zeitschrift
für Gerontologie und Geriatrie 2: 98-102.
47

Ergänzende Anmerkungen zum Memorandum


aus ökonomischer Sicht
Dr. Klaus Jacobs, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin

Wenn es darum geht, die Ursachen für vielfältige Umsetzung der genannten Schritte am Ende tatsäch-
Qualitäts- und Effizienzdefizite in der Gesundheits- lich ausreichen kann, um die angestrebten Ziele zu
versorgung in Deutschland zu benennen, erreichen. Damit es tatsächlich zu einer Überwindung
herrscht unter Experten meist Einigkeit: Verwiesen der zahlreichen Hindernisse für wirksame patienten-
wird in aller Regel auf gravierende angebotsseitige orientierte Versorgungskooperationen kommt,
Friktionen im Versorgungssystem. Das betrifft insbe- reichen bloße Appelle an die Einsicht der Beteiligten
sondere die weitgehend strikt getrennten Sektoren der nach allen Erfahrungen nicht aus; notwendig ist viel-
ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung mehr die Installierung eines ökonomischen Gesamt-
mit jeweils unterschiedlichen Sicherstellungsregula- interesses in Bezug auf das Patientenwohl, dem die
rien sowie Finanzierungs- und Vergütungsregelungen. Partikularinteressen der einzelnen Beteiligten nicht
Dies betrifft aber auch die Gesundheits- und Pflege- entgegenstehen dürfen.
versorgung, die in die Finanzierungszuständigkeit
von zwei eigenständigen Sozialversicherungszweigen So besteht zwischen dem Interesse eines Kranken-
mit ganz unterschiedlich ausgestalteten Leistungs- hauses an möglichst hohen Fallzahlen und dem Patien-
und Steuerungsstrukturen fallen und deshalb noch teninteresse, auf eine Krankenhausbehandlung nach
stärker voneinander abgeschottet sind. Daneben gibt Möglichkeit zu verzichten, a priori kein Gleichklang.
es unübersehbare Friktionen mit erkennbar nachteili- Bei einem ambulant tätigen Arzt, der unter Budget-
gen Auswirkungen für Qualität und Wirtschaftlichkeit druck gerät, erfolgt eine Über- oder Einweisung oft-
der Versorgung, aber auch im Zusammenwirken von mals frühzeitiger, als es aus der Behandlungsperspek-
Angehörigen verschiedener Gesundheitsberufe. tive des Patienten notwendig und sinnvoll erscheint.
Die ökonomischen Kalküle der einzelnen Leistungs-
Als Folge dieser Friktionen steht meist nicht der erbringer – hier: des Krankenhauses in Bezug auf die
Patient mit seinen häufig simultanen Versorgungs- Fallzahlsicherung bzw. des ambulant tätigen Arztes
erfordernissen »ganzheitlich« im Zentrum eines auf hinsichtlich der Budgeteinhaltung – prägen letztlich
ihn abgestimmten Versorgungshandelns, sondern das Versorgungshandeln entscheidend und lassen sich
es erfolgt vielmehr umgekehrt eine »Zerlegung« der nicht »appellativ« außer Kraft setzen.
erforderlichen Versorgung in einzelne Bestandteile –
je nach den meist institutionell begründeten Partiku- Was zur Installierung eines ökonomischen Gesamt-
larzuständigkeiten unterschiedlicher Systeme, Sek- kalküls im Patienteninteresse zwingend notwendig
toren und Berufe. Vor diesem Hintergrund adressiert ist, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der
das Memorandum »Kooperation der Gesundheitsbe- Entwicklung im Gesundheitswesen (2009) in seinem
rufe« der Robert Bosch Stiftung ein ganz zentrales Gutachten »Koordination und Integration – Gesund-
gesundheitspolitisches Handlungsfeld. Angesichts der heitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren
demographischen Entwicklung mit einer Zunahme von Lebens« im Schlusskapitel »Zukunftskonzept einer
Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit wird dessen koordinierten Versorgung mit regionalem Bezug«
Bedeutung überdies noch erheblich wachsen. prägnant formuliert. Danach ist es »notwendig, auch
die finanziellen Anreize so zu setzen, dass chronisch
Die in dem Memorandum im Einzelnen reklamierten kranke, ältere Patienten mit ihrem Behandlungsbedarf
»Weichenstellungen zur Umsetzung interdisziplinärer eine optimal koordinierte und auf dem Stand der medi-
Kooperation im Gesundheitswesen« markieren zinischen Erkenntnis befindliche Betreuung erhalten.
allesamt wichtige Schritte zur Überwindung der an- Populationsbezogene Modelle (Einschreibung und
gesprochenen Friktionen. Gleichwohl müssen aus Capitation) sind grundsätzlich eher geeignet als die
ökonomischer Sicht Zweifel angemeldet werden, ob die rein episodische Vergütung einzelner, oft auf einzelne
48 Ergänzende Anmerkungen zum Memorandum aus ökonomischer Sicht Ergänzende Anmerkungen zum Memorandum aus ökonomischer Sicht 49

Indikationen bezogener Leistungen (fee-for-service). besteht hier – zumindest bei ehrgeizigen Versorgungs- und die damit verbundenen Voraussetzungen für mehr
(...) Während die risikoadjustierte Pauschale auch alle formen wie populationsbezogenen Vollversorgungs- interdisziplinäre Kooperation zugunsten der Patien-
Kosten für die Infrastruktur sowie die Dokumentation modellen – ein besonderer Investitionsbedarf, und ten unterentwickelt bleiben.
und (teamorientierte) Koordination der Versorgung zum anderen ist die speziell für Verträge der integrier-
umfasst, sollen zusätzliche risikoadjustierte Boni den ten Versorgung zuvor bestehende Anschubfinanzie-
potenziellen Nachteilen einer kontaktunabhängigen rung Ende 2008 ersatzlos ausgelaufen. Literatur
Pauschalierung (Unterversorgung) gezielt entgegen- Sachverständigenrat zur Begutachtung der
wirken (...). Eine Capitation mit Populationsbezug Der gerade schon genannte besondere Investitions- Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR), 2009:
würde auch starke Anreize (und neue Möglichkeiten) bedarf für Versorgungsmodelle der integrierten Voll- Gutachten 2009. Koordination und Integration –
zur Überwindung der Sektorengrenzen und zur versorgung, die sich organisatorisch und nicht zuletzt Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des
umfassenden Kooperation von Fachdisziplinen und auch medizin-betrieblich – ein hierzu passendes Stich- längeren Lebens. Deutscher Bundestag, Druck-
Berufsgruppen beinhalten. Statt der Behandlung wort aus dem Memorandum lautet »Neuausrichtung sache 16/13770; http://dip21.bundestag.de/dip21/
episodenbezogener Diagnosen würde der Fokus – wie arbeitsteiliger Versorgungsprozesse« – deutlich von btd/16/137/1613770.pdf
in modernen Versorgungskonzepten ohnehin bereits den hergebrachten sektoralen Versorgungsstrukturen
angelegt – auf die umfassende und kontinuierliche unterscheiden, ist natürlich auch ein wesentlicher Hin-
Betreuung von Menschen verschoben« derungsgrund für verstärkte Aktivitäten auf Seiten der
(SVR 2009, Textziffer 1181). Leistungserbringer. Schon deshalb erschiene es höchst
kontraproduktiv, wenn es finanzkräftigen Investoren
Nun mag eingewendet werden, dass entsprechende aus dem In- und Ausland in Zukunft erschwert würde –
Handlungsoptionen – zumindest im Rahmen der wie verschiedentlich gefordert –, als Träger von
gesetzlichen Krankenversicherung – in Gestalt der Medizinischen Versorgungszentren zu fungieren.
integrierten Versorgung doch längst bestehen.
Was hindert Krankenkassen und Leistungserbringer, Allerdings verweist diese Weichenstellung auf ein
hiervon verstärkt Gebrauch zu machen, mehr (Selek- grundsätzliches Problem: Dass potenzielle Investoren
tiv-) Verträge zur populationsbezogenen Integrations- in der Gesundheitsversorgung – im Unterschied zu
versorgung zu schließen, bei denen die Vergütung auf anderen Branchen – nicht etwa gezielt angelockt und
der Grundlage risikoadjustierter Pauschalen erfolgt gefördert, sondern stellenweise sogar geradezu dis-
und dadurch das geforderte ökonomische Gesamt- kreditiert werden – so hat etwa der bayerische Gesund-
kalkül installiert wird? heitsminister Markus Söder explizit vor »internatio-
nalen Medizin-Heuschrecken« gewarnt –, unter-
Bei den Krankenkassen ist zwar mit der Anfang 2009 streicht, dass den Interessen der Leistungserbringer
erfolgten Einführung des morbiditätsorientierten an einem gesicherten Auskommen in hergebrachten
Risikostrukturausgleichs eine wichtige Anreiz-Bedin- Organisations-, Betriebs- und Erwerbsstrukturen von
gung für entsprechende Aktivitäten geschaffen der Politik letztlich ein höherer Stellenwert beigemes-
worden, doch bewirkt die zeitgleich eingeführte neue sen wird als den Interessen der Patienten an koopera-
Finanzierungskonstruktion der GKV – Gesundheits- tiven Versorgungsformen, die auf ihre Versorgungs-
fonds plus kassenindividuelle Zusatzbeiträge – zumin- bedürfnisse zugeschnitten sind. Es genügt nicht, wenn
dest in ihrer Einführungsphase einen unübersehbaren der Gesetzgeber selektivvertragliche Möglichkeiten
Attentismus in Bezug auf Vertragsaktivitäten, die auch für neue Formen der populationsbezogenen Integra-
nur die leiseste Gefahr in sich bergen, das Risiko eines tionsversorgung schafft; solange die »kollektive
Zusatzbeitrags zu vergrößern. Das gilt für Selektiv- Hängematte« in der tradierten sektoralen Versorgung
vertragsaktivitäten generell, betrifft die integrierte hinreichend bequem bleibt, werden Anzahl und Inten-
Versorgung jedoch in besonderem Maße: Zum einen sitätsgrad von Managed-Care-Aktivitäten begrenzt
51

Weichenstellungen – Forderungen – Maßnahmen

Die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe wird zu 3. 


Ausrichtung von Leitungsstrukturen an
einer immer wichtigeren Voraussetzung für eine quali- inhaltlichen Zielen statt an Statusfragen
tativ hochwertige und sichere Gesundheitsversorgung. Gesundheitseinrichtungen müssen Leitungsstruk-
Zwar forciert ökonomischer Druck eine oberflächliche turen nach sachlichen Aspekten und nicht nach
Zusammenarbeit, doch für die Etablierung tragfähiger Statusfragen festlegen und damit das professions-
Formen der integrierten und kooperativen Gesund- übergreifende Arbeiten wirkungsvoll unterstützen.
heitsversorgung bedarf es weiterer Voraussetzungen Die Erfüllung der Leitungsfunktion in inter-
und Anstrengungen. Erforderlich ist eine neue disziplinären Teams bedarf einer entsprechenden
Kultur des Zusammenarbeitens, die die gegenwärtigen Qualifikation.
Hemmnisse in den rechtlichen Rahmenbedingungen,
den Qualifikationsstrukturen und dem berufsständi- 4. A
 ufbau von Organisationen mit Blick auf Ver-
schen Denken beiseite schiebt. Da im Gesundheits- sorgungsziele und Förderung von Zusammenarbeit
wesen niemand für den Aufbau und die Pflege der Kooperation erfordert eine Abkehr von streng
Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen hierarchischen zugunsten flacherer Organisations-
strukturell verantwortlich ist, bleibt die Interdiszipli- strukturen, die sich an den Zielvorgaben
narität bisher ohne Leben. Das Memorandum will orientieren.
Wege aufzeigen, wie die Kooperation der Gesundheits-
berufe im deutschen Gesundheitswesen strukturell 5. 
Förderung von Teambildungsprozessen
etabliert werden kann und sie zum Bestandteil des durch Schulung und Strukturen
beruflichen Selbstverständnisses jedes einzelnen Die Gesundheitseinrichtungen müssen der inter-
Mitarbeiters wird. In dem Memorandum wird verdeut- disziplinären Kooperation durch Strukturelemente
licht, welche Hindernisse der Kooperation der Gesund- wie Team- oder Fallbesprechungen einen Rahmen
heitsberufe im Wege stehen und welche Weichen- geben und dadurch Teambildungsprozesse
stellungen und Maßnahmen daher zu ihrer Förderung befördern.
ergriffen werden müssen.
6. Beschreibung von Berufsprofilen mit
Weichenstellungen zur Umsetzung interdisziplinärer eindeutig zugewiesenen Kompetenzen und
Kooperation im Gesundheitswesen Verantwortlichkeiten
Berufsverbände und der Gesetzgeber sind auf-
1. 
Überwindung der Hindernisse zur Realisierung gefordert, klare Berufsprofile mit eindeutig zuge-
einer sektorenübergreifenden Versorgung wiesenen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
Es gilt, Hindernisse, die einer sektorübergreifenden festzuschreiben.
Kooperation der Gesundheitsberufe entgegenste-
hen, durch Entwicklung professioneller Konzepte 7. E
 rstellung von Leitlinien unter Einbeziehung
zur Fallsteuerung sowie Schaffung rechtlicher und aller Betroffenen
finanzieller Rahmenbedingungen zu beseitigen. Die Fachgesellschaften aller Gesundheitsberufe
sind aufgefordert, die interdisziplinäre Leitlinien-
2. N
 euausrichtung arbeitsteiliger Versorgungs- erstellung zu fördern.
prozesse an der Perspektive des Patienten
Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitsberufe 8. B
 eschreibung und rechtliche Verankerung
sind aufgefordert, ihre Versorgungsprozesse der in Aus- und Weiterbildung zu vermittelnden
konsequent patientenorientiert auszurichten. beruflichen Kompetenzen
Die anhand des europäischen und deutschen
52 Weichenstellung – Forderungen – Maßnahmen Weichenstellung – Forderungen – Maßnahmen 53

Qualifikationsrahmens kompetenzorientiert 13. Schaffung von Verantwortungspartnerschaft vorbehaltener und vorrangiger Tätigkeiten, enthalten
entwickelten Ausbildungsprofile müssen in den für eine gute Praxis der Zusammenarbeit aller und die Tätigkeiten der Heilberufe im Verhältnis
berufs- und berufsbildungsrechtlichen Grundlagen Gesundheitsberufe zueinander beschreiben.
verankert werden. Die Vertragspartner im Gesundheitswesen müssen
Verantwortung für das Gelingen einer sektorüber- 18. Sozialrechtliche Verankerung eigenständiger
9. 
Ausbildung von Kompetenzen zur Zusammen- greifenden und den regionalen Bedingungen Leistungserbringung verschiedener Gesundheits-
arbeit angepassten Versorgung übernehmen. Daher muss berufe
Die Ausbildungseinrichtungen müssen durch sich die Vertragspartnerschaft im Gesundheits- Damit Angehörige von Gesundheitsberufen als
ihr Lehr- und Lernangebot Voraussetzungen für wesen zu einer Verantwortungspartnerschaft aller eigenständige Leistungserbringer tätig werden
interdisziplinäre Kompetenz schaffen. Beteiligten weiterentwickeln. können, bedarf es einer Öffnung der Zulassung zur
Leistungserbringung in der Gesetzlichen Kranken-
10. Vernetzung der Ausbildungsstätten verschiedener 14. Stärkung interdisziplinärer Ansätze durch versicherung.
Gesundheitsberufe Forschungsförderung
Da berufliche und wissenschaftliche Sozialisation Forschungsförderer sollen multiprofessionelle An- 19. Anpassung des Haftungsrechts an die kooperative
und Qualifikation der Gesundheitsberufe auf eine träge, insbesondere zur Versorgungs- und Bildungs- Leistungserbringung
spätere, interdisziplinäre Berufspraxis vorbereiten forschung, berücksichtigen und einfordern. Die Für das Haftungsrecht empfehlen sich gesetzliche
sollen, müssen Forschung und Ausbildung interdis- Gremien zur Begutachtung von Forschungsanträgen Regelungen, die den besonderen rechtlichen Anfor-
ziplinär und kooperativ angelegt sein. Dafür ist sind interdisziplinär zu besetzen. derungen der Kooperation der Gesundheitsberufe
eine Vernetzung der Ausbildungsstätten der Rechnung tragen.
verschiedenen Gesundheitsberufe erforderlich. 15. Nutzung von Telemedizin und Informations-
technologien für die Vernetzung aller Beteiligten 20. Enquete-Kommission zur Zukunft der gesund-
11. Berichterstattung über Kennzahlen der Ausbil- am Versorgungsprozess heitlichen Versorgung und Qualifikation der
dung, der Nachfrage und Beschäftigtenzahlen der Die Nutzung in der Regelversorgung ist zu ermögli- Gesundheitsberufe
Gesundheitsberufe chen und durch ein gesichertes Qualitätsmanage- Der Bundestag wird aufgefordert, eine Enquete-
In der deutschen Gesundheitsberichterstattung mentverfahren zu begleiten, bei dem fachliche, Kommission einzurichten. Themen sind die
sollte ein regelmäßiger Ausbildungsbericht inte- technische, ethische und (datenschutz-)rechtliche sektorenübergreifende, auf Kooperation ausgerich-
griert sein, in dem die Kennzahlen der Ausbildung, Standards zu berücksichtigen sind. tete Gesundheitsversorgung und die Anforderungen
der Nachfrageentwicklung und der Beschäftigten- an eine Qualifizierung der Gesundheitsberufe.
zahlen der Gesundheitsberufe zusammengetragen 16. Stärken der regionalen Planung und Förderung
werden. Die Zahlen sind regional differenziert von Versorgungsnetzen
auszuweisen, um kommunale und regionale Planung Die Länder und Kommunen werden aufgefordert,
zu ermöglichen. interdisziplinäre Kooperation in der regionalen Ge-
sundheitsversorgung zu initiieren, zu unterstützen
12. Berufegipfel zur Klärung von Fragen und ihr eine Plattform zu bieten.
der Gesundheitsberufebildung
Die zuständigen Bundes- und Landesministerien 17. Berufsrechtliche Klärung von Kooperation
werden aufgefordert, einen Berufegipfel zu initi- Der Bundesgesetzgeber hat im Berufsrecht aller
ieren, bei dem die wesentlichen Fragen der zukünf- Heilberufe Vorgaben für eine interdisziplinäre
tigen interdisziplinären Zusammenarbeit, der Aus-, Zusammenarbeit zu formulieren. Ein Allgemeines
Fort- und Weiterbildung sowie der Berufsausübung Heilberufegesetz soll auch Vorschriften zu Auf-
auf breiter Basis diskutiert werden. gaben- und Tätigkeitsbereichen, auch im Sinne
54 55

Weitere Informationen sowie die folgenden Anlagen


zum Memorandum finden Sie unter www.bosch-stiftung.de
Gutachten zum Memorandum
:: Prof. Dr. Andreas Büscher, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Hochschule Osnabrück
:: Prof. Dr. Gerhard Igl, Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
:: Prof. Dr. Heinz Rothgang, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Sammlung
:: interprofessioneller Praxisansätze in der Versorgung, Ausbildung und Wissenschaft.
Exemplarische Praxisbeispiele aus dem In- und Ausland
:: ausgewählter Praxisbeispiele aus der Förderung der Robert Bosch Stiftung 2000 – 2010

Veranstaltungen
:: Symposium »Ausbildung für die Gesundheitsversorgung von morgen« (10. bis 12. Juni 2010, Stuttgart),
publiziert im Schattauer Verlag 2011
:: Symposium »Die Gesundheitsversorgung von morgen« (25. und 26. November 2010, Stuttgart)
Herausgeber
Robert Bosch Stiftung GmbH
Heidehofstraße 31
70184 Stuttgart
Telefon 0711/46084-0
info@bosch-stiftung.de
www.bosch-stiftung.de

Umschlaggestaltung
Grafik, Robert Bosch Stiftung GmbH

Layout
siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart

Copyright
Robert Bosch Stiftung GmbH, Stuttgart, 2011
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-939574-25-5

Das könnte Ihnen auch gefallen