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Proseminar Einführung in das Studium der Neueren Geschichte: Die Revolutionen von 1848
Wintersemester 2020/21
12.03.2021
Jonas Freitag
6569042
jonas-freitag@stud.uni-frankfurt.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ............................................................................................................................................... 1
Nassau ..................................................................................................................................................... 1
Bürgertum............................................................................................................................................ 2
Revolution! ...................................................................................................................................... 2
Revolution? ..................................................................................................................................... 3
Landbevölkerung ................................................................................................................................. 5
Fazit ..................................................................................................................................................... 6
Die Agrarbewegung............................................................................................................................... 8
Revolution? ....................................................................................................................................... 11
Folgen ................................................................................................................................................ 12
Fazit ...................................................................................................................................................... 14
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................ 16
Quellenverzeichnis............................................................................................................................... 18
Eigenständigkeitserklärung ................................................................................................................ 19
Einleitung
Woran scheiterte die Revolution 1848/49? Diese Frage stellt sich mit Blick auf die deutsche Revolution.
Im vorliegenden Text soll nun versucht werden, diese Frage für das Herzogtum Nassau, einen der vielen
Nassau
Das Herzogtum Nassau war erst 1806 durch die (Wieder)Vereinigung der beiden Fürstentümer Nassau-
Usingen und Nassau-Weilburg entstanden. Diese beiden waren schon 1803 durch die Mediatisierung
und Säkularisierung des Reichsdeputationshauptschlusses vergrößert worden, wobei der Fürst von Nas-
sau-Usingen zum Herzog aufstieg.1 In diesem jungen Herzogtum, in dem 1839 der Herzog Adolph die
Herrschaft angetreten hatte, lebten zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Fläche von 4 700 qkm etwa
420 000 Einwohner. Über 80% auf dem Land, also in Dörfern oder Kleinstädten unter 2 000 Einwoh-
nern, die einzige größere Stadt war Wiesbaden mit 14 500 Einwohnern.2 Mit etwa 70% war der Großteil
der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig.3 Ansonsten war Nassau vom kleingewerblichen Hand-
werk geprägt, in Wiesbaden war das Kur- und Badewesen der wichtigste Gewerbezweig.4 Frühindust-
rielle Betriebe spielten nur eine untergeordnete Rolle, eine Entwicklung in diese Richtung wurde durch
die staatliche Zersplitterung im Rhein-Main-Raum und die fehlende Finanzkraft und wirtschaftliche
Weitsicht des Herzogtums blockiert. Stattdessen wurde der Agrikultur und dem Handwerk Vorrang ein-
geräumt und die schlechte Infrastruktur, die einzige Eisenbahnstrecke verband Wiesbaden mit Frankfurt,
wurde nicht ausgebaut.5 Wieso brach nun aber in diesem kleinen, rückständigen Herzogtum die Revo-
lution mit einer solch großen Wucht aus, dass dem Herzog keine andere Wahl als die vollständige Be-
1
Vgl. Rösner, Landtag, S. VII: Dieser übernahm als Gesamtoberhaupt des Hauses Nassau nicht nur die Herzogs-
würde, sondern auch die Herrschaft über das neue Herzogtum Nassau, da er aber selbst kinderlos war, wurde der
vormals souveräne Fürst von Nassau-Weilburg sein Nachfolger.
2
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 157; Eichler, Bürger, S. 7.
3
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 3.
4
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 17.
5
Vgl. Wettengel, Rhein-Main-Raum, S. 14-15; Wettengel, Herzogtum, S. 157; Zimmermann, Bewegung, S. 7.
6
Vgl. Müller-Henning, Einführung, S. 3; Riehl; Chronik, S. 20: Damit wurde Nassau zum ersten Staat des Deut-
schen Bundes, in dem die Volkserhebung friedlich triumphierte und der Fürst persönlich die Forderungen aner-
kannte.
1
Rollen der unterschiedlichen Schichten in der Märzrevolution
Doch kann Folgendes festgestellt werden: „Die Märzrevolution fand in drei nach Zielen und Mitteln
verschiedenen Bewegungen statt“7, wie schon die Französische Revolution. Diese drei Gruppen waren
auch in Nassau das städtische Bürgertum, die bäuerliche Landbevölkerung und – im eingeschränkten
Rahmen – die städtischen Unterschichten.8 Wie sich die Motive und Ziele dieser Gruppen unterscheiden,
Bürgertum
Zunächst soll das Verhalten der Nassauer, das heißt der Wiesbadener, Bürger näher betrachtet werden.
Revolution!
Bereits am 28. und 29. Februar 1848 verbreiteten sich in Wiesbaden die Nachrichten vom Sieg der
Februarrevolution in Frankreich und der Ausrufung der Republik am 24. Februar wie ein Lauffeuer.9 Im
städtischen Bürgertum Wiesbadens war schon im Vormärz eine verzweigte liberale Opposition entstan-
den, die, wie sich in der Besetzung der Wiesbadener Honoratiorenämter zeigte, durchaus den Rückhalt
der Bürger besaß. Sie entstand neben dem Streben nach liberalen Ideen vor allem aus dem Filz und der
liberale Opposition um den Landtagsabgeordneten August Hergenhahn ergriff nun nach dem Vorbild
der Badener am 1. März die Initiative: Sie riefen die Bevölkerung zu Ruhe und Ordnung auf und ver-
fassten die Forderungen der Nassauer, die am 2. März von einer Volksversammlung durch lauten Jubel
gebilligt wurden.11
7
Wettengel, Rhein-Main-Raum, S. 50.
8
Vgl. ebd., S. 50-51.
9
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 159; Wettengel, Bürgerwehr, S. 18.
10
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 17-18; Wettengel, Herzogtum, S. 158-159; Riehl, Chronik, S. 1, S. 8-9: Riel
spricht den Bürgern jede politische Intention ab, ihre Unmutsäußerung im März führt er allein auf die Nassauer
Verwaltung zurück; dagegen Schüler, Nachwort, S. 124f.; sowie Wettengel, Vereinswesen, S. 206:
Riehls Schriften müssen aufgrund seiner klaren Parteinahme für die Konservativen und Konstitutionellen in der
Beurteilung der Revolution und ihrer Hintergründe mit Vorsicht bewertet werden.
11
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 159-160; Riehl, Chronik, S. 10; Eckhart, Einigkeit, S. 21; Wettengel, Bürger-
wehr, S. 18.
2
„Die Forderungen der Nassauer!“
Die Forderungen der Nassauer stellen die nassauische Version der überall in den deutschen Staaten an
die Herrscher gerichteten Forderungskataloge – die sogenannten Märzforderungen – dar. Im ersten Teil
dieses Dokuments wird vor der Gefahr durch die französische Februarrevolution gewarnt. Gegen diese
werde sich die geeinte deutsche Nation stellen müssen. Hierfür seien viele Schritte nachzuholen, auf-
grund der Dringlichkeit der aktuellen Lage aber werde zunächst nur die sofortige Erfüllung der folgen-
den neun Forderungen erwartet: Die allgemeine Volksbewaffnung, die Pressefreiheit, die Einberufung
eines deutschen Parlaments, die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung, die Vereinigungsfreiheit,
die Einsetzung von öffentlichen Schwurgerichten, die Umwandlung der Domänen zu Staatseigentum,
der Entwurf eines neuen Wahlrechts, das Wählbarkeit nicht vom Vermögen abhängig macht, und
schließlich noch die Durchsetzung der Religionsfreiheit.12 Damit stellt die Forderung nach der Verstaat-
lichung der herzoglichen Domänen den einzigen Unterschied zwischen den Forderungen der Nassauer
und den Märzforderungen anderer Staaten dar.13 Sie war auch die einzige Forderung, die kein rein bür-
Revolution?
In Abwesenheit des Herzogs, der in Berlin weilte,15 übergaben die Abgesandten der Bürger diese For-
derungen dem Staatsminister Emil August Freiherr von Dungern, der zunächst in eigener Verantwortung
der Pressefreiheit, der Volksbewaffnung und der sofortigen Einberufung des Landtags, der ein neues
Wahlgesetz beschließen sollte, zustimmte. Bezüglich der anderen Forderungen gelang es ihm, die Bür-
ger auf die Rückkehr des Herzogs zu vertrösten.16 Die liberale Opposition konstituierte sich am 3. März
durch die Wahl des sogenannten Sicherheitskomitees, das de facto die Staatsgewalt von den überforder-
ten Behörden übernahm. Zudem hatte es den Oberbefahl über die sich gerade bildende Bürgerwehr. 17
Es war in Anlehnung an die Wohlfahrtsausschüsse der Französischen Revolution gebildet worden und
12
Vgl. Die Forderungen der Nassauer, abgedruckt in Bürger, S. 12.
13
Vgl. Breier, Freiheit, S. 22
14
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 32
15
Vgl. Riehl, Chronik, S. 10; Wettengel, Herzogtum, S. 161.
16
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 20; Riehl, Chronik, S. 13.
17
Vgl. Riehl, Chronik, S. 15-16; Wettengel, Herzogtum, S. 163; Zimmermann, Bewegung, S. 97-98;
Wettengel, Bürgerwehr, S. 23.
3
damit eine eindeutig revolutionäre Institution.18 Das Sicherheitskomitee rief nun die Landbevölkerung
Nassaus dazu auf, sich der Wiesbadener Bewegung anzuschließen, auch weil seiner Führung bewusst
war, dass sie die Landbevölkerung und ihr revolutionäres Potential benötigten, um durch die schiere
Menschenmasse ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wohl auch deshalb wurde die Forderung
nach der Verstaatlichung der Domänen mitaufgenommen.19 Den Wiesbadener Bürgern schwebte, auf-
grund ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen zum Fürstenhof,20 statt eines kompletten Umsturzes der
Herrschaftsverhältnisse, die friedliche Durchführung einiger liberaler Reformen vor, durch deren Erfül-
lung der unter dem Schock der Ereignisse in Frankreich stehende Herzog sein Volk für sich und für die
erwartete Verteidigung Deutschlands gegen die Franzosen gewinnen sollte.21 Als sich jedoch am Vor-
mittag des 4. März über 30 000 Menschen vor dem Wiesbadener Stadtschloss versammelten, kippte die
Stimmung aufgrund der durch die Abwesenheit des Herzogs eingetretenen Verzögerung und auftreten-
den Gerüchten über die gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Das Sicherheitskomitee verlor die
Kontrolle und die Proteste eskalierten: Nassauische Flaggen wurden zerrissen und es wurde versucht,
das Zeughaus und das Staatstheater zu stürmen.22 Das nassauische Linienmilitär reagierte nicht, wohl
um die Menschenmenge nicht weiter zu reizen, aber auch aus Misstrauen in die Loyalität der eigenen
Truppen.23 Stattdessen war es die Bürgerwehr, die die Meute mit Gewalt und vorgehaltener Waffe von
Plünderungen, der Stürmung und Inbrandsetzung des Schlosses abhielt.24 Die Rückkehr des Herzogs
um 16:30 Uhr, der von einer Bürgerwehreskorte zum Schloss geleitet wurde, und vom Balkon des
Schlosses alle Forderungen bewilligte, wendete die allgemeine Stimmung in Jubel und die Menge zer-
streute sich.25
18
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 96; Riehl Chronik, S. 15, 24.
19
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 164; Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 54; Zimmermann, Bewegung, S. 23;
Riehl, Chronik, S. 11-13.
20
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 166; Wettengel, Bürgerwehr, S. 28.
21
Vgl. Riehl, Chronik, S. 10; Wettengel, Herzogtum, S. 161-162; Wettengel, Bürgerwehr, S. 21.
22
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 24; Wettengel, Herzogtum, S. 165-166; Wettengel, Bürgerwehr, S. 23-24.
23
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 165; Zimmermann, Bewegung, S. 24-25; Wettengel, Bürgerwehr, S. 24.
24
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 24; Wettengel, Bürgerwehr, S. 24.
25
Vgl. Eckhart, Einigkeit, S. 22; Zimmermann, Bewegung, S. 25; Wettengel, Bürgerwehr, S. 25-27; Riehl,
Chronik, S. 18.
4
Städtische Unterschichten
Lediglich in Wiesbaden gab es eine nennenswerte städtische Unterschicht aus Kleinmeistern, Gesellen
und Lehrlingen, Dienstboten und Tagelöhnern. Diese artikulierten zwar Forderungen nach sozialen Re-
formen, die vor allem aus wirtschaftlichen Zwängen und vor allem im Kleinhandwerk existenten Ängs-
ten vor sozialem Abstieg und der Zukunft, die für die Lehrlinge und Gesellen wenig Aussichten auf ein
gutes Auskommen bereithielt, resultierten.26 Aufgrund ihrer vergleichsweisen geringen Anzahl spielten
sie jedoch in Nassau nur eine kleine Rolle. Entgegen der Darstellungen von Riehl, waren aber Teile der
Landbevölkerung
Als letztes soll auf die bei weitem größte Bevölkerungsgruppe Nassaus, die vor allem aus einem homo-
Die Landbevölkerung befand sich in einer prekären Lage: Die Realerbteilung führte infolge des Bevöl-
kerungswachstums zu immer kleineren, nicht mehr einträglichen Höfen,28 hohe Abgaben aus Steuern
und dem Zehnt, hohe Verschuldung, die zum Großteil aus der hohen Zehntablöse29 resultierte, und durch
Wildschäden bedingte schlechte Ernten plagten die Bauern.30 Sie verfolgten, auch ohne überregionale
Organisationsstrukturen, alle zumindest ähnliche Ziele, die, anders als die intellektuellen liberalen For-
derungen der Bürger, an denen die Bauern nicht interessiert waren, eher materieller Natur und in der
Lebenswirklichkeit der Landbevölkerung relevant waren:31 die Verstaatlichung der Domänen, die Auf-
hebung der Jagdfronen und des Jagdverbots32, die Wiederherstellung der Holzleserechte, die
26
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 158; Wettengel, Bürgerwehr, S. 17.
27
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 27; Riehl, Chronik, S. 17: Die Krawalle und Gewaltakte gingen von Personen
aus den umliegenden Großstädten und nicht von Nassauern aus.
28
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 10.
29
Vgl. ebd., S. 21: Diese betrug das fünfundzwanzigfache des Jahresertrags und lag damit deutlich über der Ab-
löse, die in den umliegenden Staaten des Deutschen Bundes erbracht werden musste.
30
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 157-158, S. 168-169; Wettengel, Vereinswesen, S. 206; Riehl, Chronik, S. 1.
31
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 32.
32
Wettengel, Herzogtum, S. 168-169; Zimmermann, Bewegung, S. 35-36: Das Jagdrecht stand in Nassau alleine
dem Herzog zu. Die große Jagdpassion Herzog Adolphs– sein Leibgehege (Jagdgebiet) umfasste ein Viertel des
gesamten Herzogtums – erforderte eine übermäßige Wildhege, die entstehenden enormen Wildschäden an den
Ernten der Bauern, die sich der Bedrohung nicht erwehren durften, wurden aber nur teilweise entschädigt.
5
Selbstverwaltung der Gemeinden und die Aufhebung des Zehnten.33 Ihrer Neugier über die revolutio-
nären Ereignisse in der Hauptstadt oder dem Ruf des Sicherheitsrats folgend, zogen zahlreiche Dörfer
geschlossen nach Wiesbaden.34 Sie waren die Träger der friedlichen Märzrevolution, aber auch an den
Unruhen beteiligt.35
Fazit Landbevölkerung
Zur Rolle der Landbevölkerung in der Märzrevolution lässt sich festhalten, dass sie keine eigenen For-
derungen durchsetzen konnten, aber ohne die Massen der Landbevölkerung das Einlenken des Herzogs
Auch die Rolle des Herzogs in der Märzrevolution sollte Beachtung finden. Er bewilligte zwar die For-
derungen, spielte aber ein doppeltes Spiel. So schrieb er dem Prinz Wilhelm von Preußen: „Es gibt nur
ein Mittel mehr, das monarchische Prinzip in Deutschland zu retten, […] dies ist: die Fürsten müssen
sich an die Spitze der Bewegung stellen und so suchen sie in die Hand zu nehmen.“37
Fazit
Zunächst muss der Darstellung der Märzrevolution, nach der die Revolution in Nassau durch revolutio-
näre Agitatoren von außen angestoßen und fortgetrieben wurde,38 widersprochen werden. Stattdessen
lässt sich schon im Vormärz eine weit verbreitete Missstimmung in allen gesellschaftlichen Schichten
feststellen, die wie oben gezeigt, verschiedene Ursachen hatte. So war die Februarrevolution lediglich
der Auslöser der Revolution im Herzogtum.39 Aber während die Landbevölkerung Nassaus, wie sich in
den Unruhen vom 4. März zeigte, bereit war, gemeinsam mit den städtischen Unterschichten eine
33
Vgl. Wettengel, S. 168-169; Zimmermann, Bewegung, S. 32.
34
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S.164; Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 54; Zimmermann, Bewegung, S. 23;
Riehl, Chronik, S. 11-13.
35
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 164.
36
Vgl. Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 55; Beier, Freiheit, S. 16: Damit war Nassau der einzige Staat im
Deutschen Bund, in dem die Landbevölkerung den Ausschlag zum Gelingen der Revolution gab.
37
Brief Herzog Adolphs an Prinz Wilhelm von Preußen, abgedruckt in Pastor, Leben, S. 457.
38
Vgl. Riehl, Chronik, S. 17.
39
Vgl. Wettengel, Rhein-Main-Raum, S. 50.
6
vollständige und soziale Revolution durchzuführen und den Herzog zu stürzen,40 wollte die liberale
Bürgerschaft lediglich die allgemeine Missstimmung, die Februarrevolution als warnendes Beispiel und
die Landbevölkerung als friedliche aber drohende Masse nutzen, um den Herzog zur Durchführung von
liberalen, aber keinen sozialen, Reformen, zu bewegen.41 Dies wird aus den Forderungen der Nassauer
deutlich. So zeigt der den eigentlichen Forderungen vorausgestellte Text, dass die Vorgänge in Nassau
nicht als Solidaritäts- oder Nachahmungsbewegung der Pariser Februarrevolution verstanden werden
können. Vielmehr wird vor der „neusten französischen Revolution“42 gewarnt, wobei die Julirevolution
von 1830, vor allem aber die Französische Revolution von 1789 gemeint sein dürfte. Die zeitliche Nähe
und die Formulierung des Klopfen der Revolution an den Pforten Deutschlands, sprechen dafür, dass
hier, aus Furcht vor einer Wiederholung der historischen Ereignisse der Französischen Revolution und
ihrer Folgen, zu denen die vor knapp 35 Jahren beendete Besetzung der deutschen Staaten zählte, eine
klar ablehnende Haltung gegenüber der Februarrevolution seitens des liberalen Bürgertums eingenom-
men wird.43 So war auch die aus der Forderung der Volksbewaffnung heraus gebildete Bürgerwehr nicht
nur als revolutionäre Nationalgarde, die die revolutionären Errungenschaften schützen sollte, sondern
auch zur Abwehr des äußeren Feindes (Frankreich) und, wie sich während der Märzereignisse in Wies-
baden zeigte, zum Schutz des Eigentums und der inneren Ordnung vor Anarchie und inneren Feinden
gedacht.44 Damit blieb die bürgerliche Märzrevolution in Nassau ein Zwitterwesen zwischen Treue ge-
genüber der Obrigkeit und konservativen Ansichten – die Staatsform und Gesellschaftsordnung betref-
fend – und dem Bestehen von eigentlich revolutionären Institutionen wie dem Sicherheitskomitee –
wenn auch dessen Wahlspruch „Freiheit, Ordnung und Recht“45 nicht gerade revolutionär anmutete –
und der Bürgerwehr.46 Die eigentliche revolutionäre Tragweite ihrer Handlungen war den Bürgern nicht
bewusst.47 So waren es auch nicht die Bauern, die vor dem Thron haltgemacht hatten,48 sondern die
Bürger, die ihn mit Gewalt verteidigt hatten. Dass sich das Sicherheitskomitee „lieber zu sterben, als
40
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 205; Wettengel, Bürgerwehr, S. 27.
41
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 166; Wettengel, Bürgerwehr, S. 28; Riehl, Chronik, S. 4, S. 17, S. 25.
42
Die Forderungen der Nassauer, abgedruckt in Bürger, S. 12.
43
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 166; Wettengel, Bürgerwehr, S. 20-21.
44
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 162-163; Zimmermann, Bewegung, S. 98; Wettengel, Bürgerwehr, S. 12-13,
S. 20-23.
45
Nassauer!, abgedruckt in Bürger, S. 23.
46
Vgl. Riehl, Chronik, S. 25; Zimmermann, Bewegung, S. 97.
47
Vgl. Riehl, Chronik, S. 26.
48
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 205; Wettengel, Bürgerwehr, S. 27.
7
den Sturz der Monarchie zuzulassen“49 schwor, verdeutlicht dies nochmals.50 Die Bürger konnten sich
mit ihren Reformplänen schließlich durchsetzen. Zwar war ihr liberales Programm kein abschließendes
und ausdrücklich nur als minimaler Sofortmaßnahmenkatalog angelegt, aber über die Durchsetzung so-
zialer und agrarischer Forderungen wurden keine konkreten Zusagen gemacht.51 Dies mag auch damit
zusammenhängen, dass die Bürger kein Verständnis für die Lage und die Hintergründe der Forderungen
der Landbevölkerung aufbrachten.52 Zudem hätte die Erfüllung der Forderungen der Bauern erhebliche
finanzielle Kosten und Steuererhöhungen für die Bürger bedeutet. Aber auch die zeitliche Komponente,
die Bauern schlossen sich der Bewegung der Bürger ja erst knapp zwei Tage später an und hatten dem-
entsprechend keine Mitsprache bei der Auswahl der Forderungen am 2. März, spielte eine Rolle. Zudem
fehlte es den Bauern an einer überregionalen Interessenvertretung, die ihre Forderungen, die sich oftmals
glichen, generalisierend einfordern hätte können.53 Die Aufnahme der Domänenfrage zu den Forderun-
gen betraf zwar auch die Interessen der Bürger, aber auch die der Bauern, so sollte diese die Bauern zum
Zug nach Wiesbaden bewegen und sie hinter der bürgerlichen Revolution versammeln. Zudem war in
dieser Sache eine Kompromisslösung wahrscheinlicher als etwa in der Frage der Zehntablösung.54 Aber
auch die Bauern konnten ihrerseits nichts mit den abstrakten liberalen Forderungen des städtischen Bür-
Die Agrarbewegung
Während sich die Revolution von Wiesbaden aus in Nassau ausbreitete, herrschte Ungewissheit darüber,
welche Regeln und Gesetze nun noch anzuwenden seien und vielfach setzten die Bauern ihre Forderun-
gen einfach selbst, in einer fast ritualisierten Weise und in fast allen Dörfern gleich, um: Schultheißen,
Jäger und Forstbeamte wurden teils mit Gewalt davongejagt, Wild, das die Ernten bedrohte, wurde
49
Zimmermann, Bewegung, S.24.
50
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 27; Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 58; Zimmermann, Bewegung, S. 24;
Riehl, Chronik, S. 17, S. 24.
51
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 168; Wettengel, Bürgerwehr, S. 22; Beier, Freiheit, S. 20.
52
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 206, 208; Wettengel, Herzogtum, S. 169: Die Forderungen und auch die
(später) erfolgte (Selbst-)Umsetzung der Forderungen durch die Bauern, wurde moralisch abgelehnt.
53
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 33.
54
Vgl. ebd.
55
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 208; Riehl, Chronik, S. 22; Zimmermann, Bewegung, S. 87-88: Die Land-
bevölkerung versuchte, die abstrakten Begriffe auf ihre Lebensrealität anzuwenden: So wurde unter der Vereini-
gungsfreiheit, die Heirat (Vereinigung) von Christen und Juden, unter der Pressefreiheit, die Freiheit von Abga-
ben, die den Bauern von den Grundherren abgepresst wurden, verstanden.
8
geschossen und die alten Holzleserechte wieder angewendet. Anstelle des Schultheißen wurde ein neuer
Gemeindevorsteher, der Bürgermeister,56 gewählt.57 Für die Forst- und Wildfrevel wurde am 7. März
eine Amnestie erlassen.58 Anschließend beruhigte sich die Lage auf dem Land kurzfristig, erst die Zehnt-
frage führte wieder zu Unruhen, hierbei spielten demokratische Vereine, die häufig von städtisch gebil-
deten Autoritätspersonen wie Lehrern oder Pfarrern ausgingen, eine wichtige Rolle.59 Den Forderungen
der Landbevölkerung lagen verschiedene Legitimationsursprünge zugrunde. So beriefen sich die Bauern
hinsichtlich der Selbstverwaltung der Gemeinden auf die Tradition des seit dem Bauernkrieg herrschen-
den Unabhängigkeitsstrebens der Gemeinden,60 aber zum Teil auch auf Rechte, die die Bewohner der
säkularisierten und mediatisierten Gebiete zum Teil innehatten, bevor ihre Verwaltung an die des rest-
lichen Herzogtums Nassau angeglichen wurde.61 Hinsichtlich des Jagdrechts und des Holzleserechts
wurde gefordert, zu alten feudalrechtlichen Regelungen, die das Herzogtum zugunsten einer modernen
Forstwirtschaft abgeschafft hatte,62 zurückzukehren.63 Die Verstaatlichung der Domänen wurde von den
Bauern, als Aufteilung des Landes des Herzog unter der Bevölkerung verstanden.64 Sie wurde ebenso
wie die Verringerung der Ablösung, oder sogar die ersatzlose Abschaffung, des Zehnt aus revolutionä-
rem Recht begründet.65 Die erhobenen Forderungen zeigen, dadurch, dass sie sich überall gleichen, dass
die agrarische Bewegung keine spontane Unmutsbekundung war, sondern die Folge einer langfristigen
56
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 48: Die Institution Schultheiß war so unpopulär geworden, dass eine Umbe-
nennung des Amtes nötig war.
57
Vgl. Eckhart, Einigkeit, S. 24; Wettengel, Herzogtum, S. 168; Wettengel, Vereinswesen, S. 208; Zimmer-
mann, Bewegung, S. 35, S. 46, S. 47-48; Riehl, Chronik, S. 22-23.
58
Vgl. Riehl, Chronik, S. 26; Zimmermann, Bewegung, S. 38.
59
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 209-210, S. 214.
60
Vgl. Riehl, Chronik, S. 4; Zimmermann, Bewegung, S. 49; Wettengel, Herzogtum, S. 169.
61
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 51.
62
Vgl. ebd., S. 40-44: Diese Reformen hatten zur Holzknappheit und Verarmung der Landbevölkerung beigetra-
gen, da nun die Landbevölkerung – anders als früher – für ihr Holz bezahlen musste.
63
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 86; Wettengel, Herzogtum, S. 169; Zimmermann, Bewegung, S. 45, S. 47:
Die Landbevölkerung erkannte auch die Anwendbarkeit des Eigentumsbegriffs auf die Bäume nicht an.
64
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 32; die Bürger dagegen, so Zimmermann, Bewegung, S. 28, wollten die Do-
mänen von der Person des Herzogs lösen und damit die Trennung von Staat und Monarch vorantreiben.
65
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 86; Wettengel, Herzogtum, S. 168-169.
66
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 212; hiergegen Riehl, Chronik, S. 1: Die Revolution entstand allein aus
Hunger und wirtschaftlicher Not der Armen.
9
Die weitere Rolle der Bauern
Die Forderungen der Bauern beinhalteten, anders als es die Bürger wahrnahmen, nicht etwa nur materi-
elle Dimensionen.67 Dies wird in den oben genannten verschiedenen Legitimationstraditionen ihrer For-
derungen deutlich. Damit kann das Ausscheiden der Bauern aus der revolutionären Bewegung nach dem
Erreichen einiger monetärer Vorteile nicht als logische Entwicklung angesehen werden.68 Welche Ur-
sachen der Rückzug der Bauern stattdessen haben dürfte, soll später behandelt werden.
Im Laufe des Frühlings und Sommers 1848 verstärkten sich die Gegensätze zwischen den sich differen-
zierenden politischen Parteien, nachdem noch unmittelbar nach den Märzereignissen galt „es gab nur
eine Partei, es gab nur freiheitsbegeisterte Leute“69 in Nassau.70 So warfen Konservative und Konstitu-
tionell-Liberale den Republikanern und demokratischen Liberalen vor, die Bevölkerung radikalisieren
zu wollen, um die Revolution weiter zu treiben.71 Demokraten und Republikaner kritisierten dagegen
die antirevolutionäre Haltung72 und forderten weitgehendere Reformen.73 Ihre Erwartungen wurden je-
doch vom erst am 16. April 1848 zum Staatsminister ernannten August Hergenhahn enttäuscht, der den
Boden der Forderungen der Nassauer nicht verlassen wollte.74 Zwar wurden entscheidende Reformen
auf den Weg gebracht,75 aber lange Verwaltungs- und Verfahrenswege, Unerfahrenheit des Parlaments
67
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 213: Dem Bürgertum mangelte es am Verständnis für die Forderungen und
die Situation der Landbevölkerung außerhalb der Domänen- und, was die Republikaner und Demokraten anging,
der Zehntfrage; So wurde die Dezimierung des Wildbestands etwa der „Jagdlust“ der Bauern zugeschrieben, s.
Wettengel, Herzogtum, S. 169; Zimmermann, Bewegung, S. 47: Gerade bei den nach den Forstfreveln erfolgten
Holzauktionen zeigt sich, dass die Landbevölkerung nicht auf Gewinn abzielte, sondern auf das gesicherte Aus-
kommen aller Gemeindemitglieder.
68
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 49: Wie etwa Riehl meinte feststellen zu können.
69
Riehl, Chronik, S. 22.
70
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 43; Riehl, Chronik, S. 31; Wettengel, Herzogtum, S. 180ff.: konstitutionelle,
republikanische, demokratische, katholische Vereine etc.
71
Vgl. Wettengel, Vereinswesen, S. 206; Zimmermann, Bewegung, S. 64-67: Dies geschah bei der Zehntfrage,
die, da Fortschritte bei anderen Forderungen erzielt wurden, in den Mittelpunkt rückte; Riehl, Chronik, S. 58:
Dies war „die goldene Zeit der Wühler“; auch wenn, wie oben bereits erwähnt, fraglich erscheint, inwieweit
Riehl hier übertreibt.
72
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 172; Zimmermann, Bewegung, S. 97; Wettengel, Bürgerwehr, S. 49-50.
73
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 48.
74
Vgl. Riehl, Chronik, S. 35-37: Dieser im Vergleich zu anderen deutschen Staaten späte Wechsel hin zu den
sogenannten Märzministern, sollte sich für Hergenhahn in der Folgezeit als Belastung darstellen, da von ihm als
Liberalen noch weiterführende Reformen als vom konservativen von Dungern erwartet wurden.
75
Vgl. Friedel, Presse, S. 54; Zimmermann, Bewegung, S. 59; Eckhart, Einigkeit, S. 24-25; Wettengel, Herzog-
tum, S. 174; Riehl, Chronik, S. 79-81.
10
und immer wieder auftretende formale Diskussionen über die Frage, ob die Märzforderungen lediglich
einen Zusatz zur alten Verfassung von 1814, oder den Grundstein für eine neue Verfassung bildeten und
damit einhergehend, ob der Landtag auch eine konstituierende Versammlung sei,76 verzögerten die Re-
formen jedoch. Dies führte zu Unzufriedenheit und beginnender Resignation bei allen Nassauern.77 Am
16. Juli 1848 eskalierte die angespannte Lage: Auslöser war die Drohung mit einer gewaltsamen Erhe-
bung seitens einer Delegation des Wiesbadener Demokratenvereins gegenüber einem Oberst der nas-
sauischen Artillerie.78 Daraufhin alarmierte die Regierung die Bürgerwehr, um die drei Delegierten zu
verhaften. Die Bürgerwehrführung beging jedoch den Fehler, einen dieser Männer, der als Hauptmann
einer Bürgerwehrkompanie befehlsgemäß mit seiner Kompanie angetreten war, vor dieser verhaften zu
wollen. Die drohende Schießerei zwischen zwei loyalen und drei sich widersetzenden Kompanien,
konnte durch das Einlenken der Gesuchten zwar aufgelöst werden, aber der Symbolcharakter der Bür-
gerwehr, die auf Bürgerwehr anlegte, war für die Einigkeit des Bürgertums verheerend.79 Am nächsten
Tag verweigerten die drei Kompanien, ihre Waffen abzugeben. Stattdessen befreiten sie die Verhafteten
und zogen mit größtenteils jungen Mitgliedern der Unterschicht, also Gesellen und Lehrlingen, zum
Regierungssitz Hergenhahns, lösten sich aber nach dem Eintreffen des Linienmilitärs friedlich auf und
feierten ihren Sieg.80 Am 18. Juli marschierten in aller Frühe preußische und österreichische Bundes-
truppen aus Mainz in Wiesbaden ein. Sie waren von Hergenhahn angefordert worden und überrascht,
als es entgegen ihrer Vorbereitung zu keinem Widerstand oder einem Barrikadenkampf kam.81
Revolution?
Fraglich ist nun, ob es sich bei den Julikrawallen um eine geplante Revolution oder um einen unvorbe-
reiteten, spontanen Unmutsausbruch der städtischen Unterschichten handelte. So gab es wenige Versu-
che, das revolutionäre Potential der Landbevölkerung, welches die Republikaner im Rahmen der Zehnt-
frage für sich entdeckt hatten, und das gerade aufgrund dieser durchaus groß war, im Vorfeld der
76
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 113; Riehl, Chronik, S. 51-53, S. 64-65.
77
Vgl. Riehl, Chronik, S. 37-39.
78
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 50; Riehl, Chronik, S. 66: Dieser war zuvor der Wunsch nach Entlassung arre-
tierter Soldaten verweigert worden.
79
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 51; Riehl, Chronik, S. 67; dabei war doch die Bürgerwehr zu Beginn der Re-
volution das Symbol der Zusammengehörigkeit der Nassauer Bürger gewesen, s. Wettengel, Bürgerwehr, S. 3.
80
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 52-53; Riehl, Chronik, S. 70-71.
81
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 178; Wettengel, Bürgerwehr, S. 53-54.
11
Unruhen zu mobilisieren.82 Auch wurden nach dem Sieg, den die Unruhestifter mit der Befreiung der
Gefangenen am Abend des 17. Julis davongetragen hatten, keine Maßnahmen ergriffen, um diesen zu
sichern oder gar auszuweiten.83 Angesichts dieser Ruhe erscheint es wahrscheinlich, dass hier kein Ver-
such einer Revolution von demokratischen und republikanischen Kräften vorlag. Vielmehr scheinen die
Regierung und die Bürgerwehrführung einen unkoordinierten Protest aus Angst vor einer sozialen Re-
volution falsch eingeschätzt zu haben und mit der Anforderung der Soldaten überreagiert zu haben.84
Allerdings wäre es auch möglich, dass Hergenhahn den Anlass nutzen wollte, um die vermeintliche
Bedrohung durch eine soziale Revolution im Keim zu ersticken, die demokratische und republikanische
Folgen
Mit diesem Schachzug, egal aus welcher Motivation heraus, hatte Hergenhahn seine Macht gegen die
linke Opposition festigen können, machte er sich von rechts angreifbar, da er sich mit der politischen
Linken und der revolutionären Masse seiner, wie sich in der Märzrevolution gezeigt hatte, wichtigsten
Verbündeten gegen die Monarchie beraubte, die Warnungen der konservativ-monarchistischen Partei
vor einer sozialen Revolution bestätigte, diese damit stärkte und sich politisch von ihr abhängig
machte.86 Damit war Herzog Adolph der große Profiteur der Juliunruhen, während die Einheit des libe-
ralen Bürgertums gespalten, Hergenhahn und Republikaner geschwächt,87 und die Bürgerwehr durch
ihre Uneinsetzbarkeit in der Krise als Gesamtkonstrukt gescheitert war.88 In den folgenden Monaten
begann die Reaktion auch in Nassau an Boden zu gewinnen und die Reformer und Revolutionäre gerie-
ten zunehmend in die Defensive: Die Bürgerwehr wurde entwaffnet, neu organisiert und von nun an
82
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 53, S. 56: Vereinzelte Versuche, die Landbevölkerung zu mobilisieren, scheint
es erst nach der Besetzung Wiesbadens gegeben zu haben; Riehl, Chronik, S. 75-76: Die Drohung der Wester-
wälder Bauern nach Wiesbaden zu marschieren, sollten die Unruhen nicht befriedet werden, stellt keine konser-
vative Haltung dar, sondern lässt sich mit deren Gegnerschaft zur freien Zehntablösung, da sie bereits zehntfrei
waren und eine Steuererhöhung befürchteten, erklären, s. Zimmermann, Bewegung, S. 73-74.
83
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 71ff.; Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 266; anders Riehl, Chronik, S. 72.
84
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 56, S. 61-62; Wettengel, Rhein-Main-Gebiet, S. 266; anders Riehl, Chronik,
S. 68 ff., der Hergenhahns Vorgehen rechtfertigt.
85
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 58; Wettengel, Herzogtum, S. 179.
86
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 179; Wettengel, Bürgerwehr, S. 56, S. 58.
87
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 58; Wettengel, Herzogtum, S. 179.
88
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 9; Riehl, Chronik, S. 71; Wettengel, Bürgerwehr, S. 58.
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allein zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingesetzt. 89 Es kam zu einer Verhaftungswelle
und an den Krawallen Beteiligte wurden zu harten Strafen verurteilt.90 Auch die Agrarproteste wurden
in den folgenden Monaten durch Einquartierung von Soldaten in aufständischen Dörfern befriedet.91
Nach der Niederschlagung der Revolution in Wien und des reaktionären Umschwungs in Preußen wuchs
in Nassau bei Konstitutionell-Liberalen und Republikanern die Angst vor dem Verlust der Errungen-
schaften der Märzrevolution.92 Die von der Nationalversammlung zum Schutz der Verfassung ins Leben
gerufene Reichsverfassungskampagne begann, nachdem der Herzog seine Unterstützung für die Verfas-
sung widerrufen hatte, zu bröckeln. So verließen zunächst die Konstitutionell-Liberalen und als offen-
sichtlich wurde, dass die Verteidigung der Verfassung Gewalt erfordern würde, auch die demokratischen
Liberalen die Bewegung.93 Versuche der nassauischen Demokraten und Republikaner, wie etwa der
ren stand das Linienmilitär der Monarchen gegenüber.94 Versuche die Landbevölkerung zu mobilisieren,
scheiterten daran, dass diese nicht bereit war, für abstrakte politische Ideen in den Kampf zu ziehen und
zu sterben, hatten sie doch erst die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erreicht. Hier zeigt sich, dass
die Republikaner und Demokraten daran gescheitert waren, konkrete Forderungen der Landbevölkerung
mit ihren demokratischen Ideen zu verknüpfen.95 Ebenso schlug der Versuch fehl, die Bürgerwehren zur
Verteidigung der Revolution aufzubieten: Zum einem war etwa die Wiesbadener Bürgerwehr seit ihrer
Umorganisation eine reine Hilfspolizei, auch hatte die Kampfmoral der Bürgerwehren nach einem Jahr
der Wehrübungen und des Wachdienstes enorm gelitten.96 Zum anderen fehlte eine überregionalen Or-
ganisation der Bürgerwehren.97 Ebenso scheiterte der Versuch, das Rumpfparlament und die Badener
Revolutionäre mit Freischaren zu unterstützen.98 Die Reichsverfassungskampagne war Mitte Juni 1849
89
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 54, S. 62.
90
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 107; Wettengel, Bürgerwehr, S. 61-62.
91
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 169-170; Riehl, Chronik, S. 95.
92
Vgl. Eckhart, Einigkeit, S. 28; Wettengel, Herzogtum, S. 192; Wettengel, Bürgerwehr, S. 85.
93
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 193; Wettengel, Bürgerwehr, S. 92, S. 97.
94
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 194-195; Wettengel, Bürgerwehr, S. 99.
95
Vgl. Zimmermann, Bewegung, S. 106.
96
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S. 113.
97
Vgl. ebd., S. 94-95.
98
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 194-195; Wettengel, Bürgerwehr, S. 99.
13
in Nassau beendet.99 Mit dem nun einsetzenden Politikwechsel hin zur Reaktion trat Hergenhahn als
Staatsminister zurück.100 In den folgenden Jahren wurde ein Großteil der Reformen wieder abgebaut,
Fazit
Die Schuld am Scheitern der Revolution könnte infolge einer oberflächlichen Betrachtung den Bauern
zugewiesen werden, für die die Revolution mit der verbilligten Zehntablöse und der Abschaffung der
Jagdfronen den Abschluss der in Nassau verschleppten Bauernbefreiung bewirkte und die soziale Situ-
ation verbesserte. Durch das Erreichte befriedigt waren sie in der Stunde der Reichsverfassungskam-
pagne nicht bereit zu kämpfen. Tatsächlich waren es aber die Nassauer Bürger, die die Revolution schon
im März in Wiesbaden gehemmt hatten. Im Laufe des Frühsommers vergaßen sie zudem, dass sie die
Bewilligung der Märzreformen in erster Linie der Massenbewegung der Bauern zu verdanken hatten.
So führten politische Grabenkämpfe innerhalb der Bürgerschaft zur Verschleppung von Reformen. Dies
und die fehlende Sensibilisierung der Bauern durch die Bürger, dass sie den –durch liberale Errungen-
schaften der Märzbewegung mächtiger gewordenen – Bürgern die Erfüllung ihrer Forderungen zu ver-
danken hatten, ließ das revolutionäre Potential der Landbevölkerung sinken. Als Ursache hierfür kann
die fehlende Erfahrung der neuen Landtagsabgeordneten angeführt werden. Viel wichtiger erscheint
aber die Tatsache, dass die Mehrheit der Bürgerschaft schon im März nicht bereit war, eine wirkliche,
auch die Sozialstrukturen umwälzende Revolution durchzuführen. Stattdessen war ihnen die Erfüllung
der liberalen Reformen genug. Die Forderungen der Bauern, die sich als finanziell kostspielig erwiesen,
hätten zudem ein Loch in die Staatskasse gerissen. Dieses hätte über Erhöhung der Steuern, auch für die
Bürger, die aber ihrerseits unter den wirtschaftlichen Folgen der Revolution für Handel, Gastronomie
und Badewesen litten, gestopft werden müssen. Daher waren die Bürger nicht oder erst zu spät bereit,
die Forderungen der Bauern umsetzen. Zudem war auch den Bürgern die ursprünglich für den Herzog
gedachte Drohkulisse der revolutionären Bauern zu gefährlich geworden, sie befürchteten eine soziale
99
Vgl. Wettengel, Bürgerwehr, S 100; Wettengel, Herzogtum, S. 196.
100
Vgl. Eckart, Einigkeit, S. 30; Wettengel, Herzogtum, S. 194, S. 196; Wettengel, Bürgerwehr, S. 98: Wechsel
des Herzogs ins preußische Lager, Hergenhahn wollte die neue Politik des Herzogs nicht mittragen.
101
Vgl. Wettengel, Herzogtum, S. 196-197; Friedel, Presse, S. 1; Eckhart, Einigkeit, S. 30-31; Zimmermann,
Bewegung, S. 214
14
Revolution, die ihre begrenzten Reformen bedrohte. Diese Drohkulisse und die, hier wahrscheinlich
nicht konkrete, Gefahr einer sozialen Revolution hatte Hergenhahn durch den Einsatz der Bundestrup-
pen im Juli 1848 zerstört. Doch hiermit hatte er auch den einzigen Grund dafür, dass er Staatsminister
war, beseitigt. Denn indem dieses Potential der Bauern immer weiter sank, wuchs die Machtstellung des
Herzogs wieder, der sich, wie er im Brief an Prinz Wilhelm ausgeführt hatte, aus taktischen Gründen
mit seiner Annahme der Forderungen an die Spitze der liberalen Bewegung der Bürger gestellt hatte. Im
Juli nun konnte die Reaktion, unter dem Deckmantel des Vorgehens gegen die soziale Revolution, durch
die Überführung der Bürgerwehr in den Staatsapparat und das gezielte Vorgehen gegen Republikaner
und weitere an den Unruhen Beteiligte eingeläutet werden. Somit war zum Zeitpunkt der Reichsverfas-
sungskampagne die Revolution schon verloren. Die Bauern waren nicht bereit, für die Revolution und
ihre Lebensrealität nicht berührende politische Forderungen zu kämpfen, die Bürger dagegen fürchteten
die soziale Revolution zu sehr, als dass sie in größerer Anzahl für die Weiterführung der Revolution
gekämpft hätten. Die Bürgerwehren schließlich hätten, auch wenn sie nicht de facto verstaatlicht worden
wären und ein zentrales Oberkommando gehabt hätten, den regulären Truppen nichts entgegenzusetzen
gehabt. Die Revolution in Nassau war damit schon in den ersten Monaten nach der Märzrevolution
schrittweise, aber eindeutig nach den Wiesbadener Julikrawallen, in erster Linie an der Furcht und dem
15
Literaturverzeichnis
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16
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Wilhelm Heinrich Riehl, Nassauische Chronik des Jahres 1848, Wiesbaden 1849, neu hrsgg. von Mül-
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Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Hausarbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als
der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe. Sie ist auch nicht in einem anderen Studiengang
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