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Sturm und Drang

auf der Ostalb

Heimatgeschichtliche Betrachtungen
aus dem 18. Jahrhundert

Die exemplarischen Leben des


Christian Friedrich Daniel Schubart
und des Wilhelm Ludwig Wekhrlin.

von Heiner Jestrabek


Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 2

Politische Zersplitterung im 18. Jahrhundert


Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 3

Zeitalter der Aufklärung in Schwaben Widersprüchlicher Charakter Schubarts

E
nde des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der
Aufklärung, bildete sich auch in unserer
Gegend eine Art bürgerliche Opposition
heraus. Der Heidenheimer Oberamtmann Fischer
berichtete 1790 an seinem fürstlichen Herrn, dass
die französische Revolution in allen Gemütern
eine gewisse Sensation erregt habe. In Heiden-
heim seien zehn Zeitungs-Lesegesellschaften
gebildet worden, von denen aber keine Unruhe
ausgehe. 1794 beschäftigte sich der Geheime Rat
in Stuttgart mit einer Anzeige wegen eines oppo-
sitionellen „Klubbs“ in Heidenheim. Fischer be-
stritt zwar dessen Vorhandensein, musste jedoch
zugeben, es hätten sich unter der Bevölkerung
„Gesellschaften“ gebildet, die auch ausländische
Zeitungen, darunter auch den „Straßburger Welt-
boten“, hielten. Für gefährlich hielt der Oberamt-
mann den Bürger Jakob Moser, der durch sein
„freches Raisonieren“ und die Verbreitung seiner
„französischen Grundsätze“ wohl gefährlich wer-
den könne. Bereits 1787 war er wegen „Unbot-
mäßigkeit“ im Zuchthaus gesessen. Man be-
schloss auf Moser ein strenges Auge zu haben.
Ein Mann also, so richtig nach unserem Ge-
schmack!
Die geistigen Wegbereiter der republikanischen Schubart um 1773
Ideen finden wir eben in diesen, oft geheimen,

S
Gesellschaften und im Wirken von mutigen Pub- chubart war ein Volksdichter, Musiker,
lizisten. Die beiden bedeutendsten deutschen rebellischer Untertan, „Stürmer und
Journalisten dieser Zeit finden wir gleich beide in Dränger“, mutiger Journalist, Herausgeber
unserer Gegend wirkend: Christian Friedrich Da- der „Deutschen Chronik“, prominentestes Opfer
niel Schubart (1739-1791) und Wilhelm Ludwig politischer Willkür und bekanntester Gefangener
Wekhrlin (1739-1792). Anhand von deren exemp- des Hohenasperg.
larischen Lebensläufen wollen wir einen Blick in Für uns OstwürttembergerInnen war er zudem
die Zeit vor über 200 Jahren tun. noch von besonderem Interesse, da sein haupt-
sächlicher Wirkungsbereich in unserer direkten
Umgegend war: Aalen, Nördlingen, Königsbronn
mit Heidenheim, Geislingen und Ulm. In Aalen
erinnert ein Denkmal und das „Heimat- und
Schubartmuseum“, in Geislingen das Heimatmu-
seum an den bekannten Mitbürger.

S
chubart stellt sich für uns sehr wider-
sprüchlich dar: einerseits verschenkte er
einmal sein letztes Geld einem preußi-
schen Soldaten, andererseits schrieb er leiden-
schaftlich Gedichte und Lieder gegen Krieg und
Söldnerdienst; einerseits schrieb er manchem
Fürsten Lobgedichte, andererseits war er ein re-
bellischer Untertan, scharfer Kritiker von Despo-
tismus, Kleinstaaterei und Fürstenwillkür; einer-
seits war er noch kein Republikaner, andererseits
begrüßte er leidenschaftlich die Französische
Revolution; einerseits wurde er von den Literaten
des Vormärz und der 1848er Revolution kaum
beachtet, andererseits dagegen umso mehr von
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 4

evangelischen Theologen, wie z.B. David Fried- 1740 - Eine Jugend in Aalen
rich Strauss, seinem Biographen; einerseits gibt es
Zeugnisse für Schubarts reumütige und selbstan-
klagende Frömmelei, v. a. an einigen Stellen sei-
ner Autobiographie „Leben und Gesinnungen“,
andererseits war er ein antiklerikaler Vorkämpfer
gegen den Fürstbischof von Ellwangen, die Jesui-
ten, den Dekan Zilling - der ihn sogar exkommu-
nizieren ließ - ein regelrechter Freidenker?
Einige Widersprüche werden sich lösen lassen.

1739 - Geburtsort Obersontheim

Schubarts Eltern:
Johann Jakob Schubart (1711-1774) und Johanna
Helena Julia, geb. Hörner (1714-1797)

A
ber schon ein Jahr später übersiedelte die
Familie nach Aalen, wo sein Vater als
„Präzeptor“ (ein studierter Lehrer) und
Musikdirektor tätig wurde. Über seine nunmehri-

A
m 26. März 1739 ist Schubart in Ober- ge Heimatstadt Aalen äußerte sich Schubart in
sontheim geboren. Der Ort war damals die seinen Memoiren:
Residenz des Kleinstaates Grafschaft Lim- „In dieser Stadt, die verkannt wie die redliche
purg (zwischen Schwäbisch Hall und Ellwangen Einfalt, schon viele Jahre im Kochertale genüg-
gelegen). same Bürger nährt - Bürger von altdeutscher Sitte,
bieder geschäftig, wild und stark wie ihre Eichen,
Verächter des Auslands, trotzige Verteidiger ihres
Kittels, ihrer Misthaufen und ihrer donnernden
Mundart, wurd ich erzogen ... Was in Aalen ge-
wöhnlicher Ton ist, scheint in anderen Städten
trazischer Aufschrei und am Hofe Raserei zu sein.
Von diesen ersten Grundzügen schreibt sich mein
derber deutscher Ton ...“
Über seine Schulzeit schrieb er: „In meinen jun-
gen Jahren ließ ich wenig Talent blicken, dagegen
mehr Hang zur Unreinheit, Unordnung und Träg-
heit. Ich warf meine Schulbücher in den Bach,
schien dumm und trocken, schlief beständig, ließ
mich schafmäßig führen, wohin man wollte, und
konnte im 7. Jahre weder lesen noch schreiben.
Plötzlich sprang die Rinde ... Im 8. Jahr übertraf
ich meinen Vater schon am Clavier, sang mit
Gefühl, spielte Violin, unterwies meine Brüder in
Schubartdenkmal in Obersontheim der Musik und setzte im 9. und 10. Jahre Galante-
rie- und Kirchenstücke auf ...“
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1745

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amilie Schubart bezieht das Gebäude in
der Aalener Roßgasse 4.

Schubart-Denkmal Bahnhofvorplatz Aalen

Studiosus Schubart

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Schubartmuseum in Aalen r war also halb Faulpelz, halb Wunderkind.
Er war begabt, aber recht mittellos. So
blieb ihm, wie damals üblich, kaum etwas
anderes übrig als die Theologie. Mit 14 wurde er
zur Vorbereitung auf die Universität in ein Lyze-
um nach Nördlingen geschickt.

1753 - Nördlingen

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hristian kommt an das Lyzeum nach Nörd-
lingen. Dort berichtete man über ihn, er
habe unzüchtige Billets geschrieben, allzu
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freien Umgang mit Handwerksburschen gepflegt Hofmeisterdasein im Amt Heidenheim


und seine musikalischen Fähigkeiten zur geselli-
gen Unterhaltung missbraucht. Im Umgang mit
Fiedlern und Handwerksburschen entstanden sei-
ne ersten volksliedhaften Gedichte, z.B. das
„Schneiderlied“, das sich über das Muckertum
lustig machte.

1756 - Nürnberg

N
ach drei Jahren Nördlingen kam er nach
Nürnberg. Gerade dort angekommen,
Blezingersches Haus in Königsbronn,
brach der Siebenjährige Krieg aus. Preu-
heute Gasthaus zum Weißen Rössle
ßen und Österreich kämpften um die Vorherr-

A
schaft im Deutschen Reich. Der Studiosus
ls Schubart die Universität verlassen hatte
Schubart schlug sich voll Begeisterung auf die
und nach Aalen zurückgekehrt war, hatte er
Seite Preußens. Zur selben Zeit wurden auch sei-
keineswegs das Gefühl, ein gescheiterter
ne Texte anonym gedruckt und durch ihren gas-
Theologiestudent zu sein. Einen Brief an seinen
senhauerischen Ton schnell populär.
späteren Schwager Böckh vom 9. Juni 1760 un-
terzeichnete er mit „S. S. Theol. Cand.“, er be-
trachtete sich also als Kandidat der Theologie und
1758-1760
glaubte Aussicht auf eine Anstellung als Geistli-

N
cher zu haben. Auch seine Familie sah das so:
ach Nürnberg begann für ihn eine drei-
„Mein Vater war zufrieden, daß ich predigen
jährige Vakanzzeit als Arbeitsloser bei
konnte, ziemlich fertig Latein sprach, und kühn
seinem Vater in Aalen. In dieser Zeit
und verwegen über die Revoluzionen in der
nahm er Unterricht bei Pfarrer Schülin in Lauter-
Weltweisheit zu räsonniren wußte.“ Über seine
burg und half Landpfarrern beim Predigen aus,
Befähigung zum Pfarramt dachte er übrigens kei-
wobei er seine Predigten schon mal gänzlich in
neswegs gering: „Ich hatte würklich Anlage zum
Reimen vortrug. Tadelnd wurde bemerkt, dass es
geistlichen Redner; - Feuer, Ton, Stellung, und
ihm auf der Kanzel „an Fleiß, Salbung und erns-
eine in meiner Gegend damals äusserst seltene
tem Bibelstudium“ mangele. In diesen Jahren war
Fertigkeit in der ausgebildetern deutschen Spra-
er auch tätig als bezahlter Lohndichter für Lobhu-
che, weil ich in dasigen Gegenden der erste war,
deleien von kirchlichen und weltlichen Größen,
der Aesthetik studiert hatte.“
was damals durchaus üblich war. So erhielt er für
Zunächst wollte sich jedoch in dieser Beziehung
eine solche Ode auf den Tod des Kaisers Josef I.
nichts ergeben. Die ersten Monate nach seiner
einen kaiserlichen Poetentitel, „eine Ehre, derer
Rückkehr nach Aalen widmete Schubart deshalb
schon manches Rindvieh gewürdiget worden“
hauptsächlich der Musik: „Theils aus Zeitvertreib,
war, wie Schubart dies später zähneknirschend
theils aus Neigung, sezt' ich Kirchenstükke, Sin-
feststellte.
fonien, Sonaten, Arien und andere Kleinigkeiten
1758 bricht Schubart in die Universitätsstadt Jena
in Menge auf, die hernach unter meinem und
auf, kommt allerdings nur bis Erlangen und stu-
fremden Namen in alle Welt ausflogen, ihr
diert dort Theologie. 1760 kehrt er ohne Ab-
Schmetterlingsleben lebten, und starben. Ich bil-
schluss nach Aalen zurück und verdingt sich wie-
dete auch die jezige Stadtmusik in Aalen, die
derum als Aushilfsprediger in Aalen und als
zwar aus lauter Handwerksleuten besteht; aber
Hauslehrer in Königsbronn.
doch, durch guten Vortrag und Fertigkeit im Le-
sen schon oft die Bewunderung der Fremden
war.“
Bei dem geringen Einkommen des Vaters musste
Schubart sich bemühen, selbst Geld zu verdienen.
Er ging als Hauslehrer nach Königsbronn bei
Heidenheim zu dem Industriellen Johann Georg
Blezinger. Das war vermutlich gegen Ende des
Jahres 1760 oder zu Beginn des Jahres 1761, denn
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am 20. Februar 1761 schreibt Schubart an seinen


ehemaligen Hausherrn Groß, es sei „eine ziemli-
che Zeit“, dass er in Königsbronn „in dem Hause
eines angesehenen Mannes eine Informatorstelle“
übernommen habe. Dort hatte er zwar Unterkunft
und Verpflegung, ansonsten aber war sein Gehalt
recht kärglich: „30 fl. bekomme ich vor das ganze
Jahr, und davon muß ich mich in Kleidern und
anderen Kleinigkeiten erhalten.“
Blezinger hatte im Jahre 1756 das Gasthaus zum
Weißen Rössle erworben. Schubart wohnte also
vermutlich dort, keinesfalls aber im heutigen Rat-
Heidenheim um 1750
haus, das zwar auch Blezinger gehört hatte, das
aber erst um 1775 erbaut worden ist.
Johann Georg Blezinger (1717-1795), ursprüng- Grausamkeiten und Aberglauben

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lich Gastwirt in Königsbronn, arbeitete sich aus
as Zeitalter der Aufklärung war noch kei-
bescheidenen Verhältnissen zum Großunterneh-
neswegs bis auf die Ostalb gedrungen.
mer empor, der in Königsbronn und in anderen
Auf dem hinteren Totenberg, der Richt-
Württembergischen Orten eisenerzeugende und
stätte in Heidenheim, wurde am 13. September
eisenverarbeitende Werke betrieb. Schubart war
1710 der Freidenker Neumeyer wegen Gottesläs-
sehr beeindruckt von seiner Persönlichkeit, er sei
terung vom Scharfrichter Widmann enthauptet.
„ein Mann von dem unternehmendsten Geiste, der
Sein Kopf wurde zur Abschreckung auf einen
unter günstigen Umständen der Kolbert eines
Pfahl gesteckt. Allgemein üblich war damals auch
deutschen Fürsten hätte werden können, und des-
die Folter und grässliche unmenschliche Hinrich-
sen ganze Person, bis auf die Miene der Schlau-
tungsmethoden, wie das „aufs Rad flechten“. Ein
heit, die den grossen Pachtern, wie allen Männern
Ende fanden die Hinrichtungen auf dem Heiden-
von weitgreifenden Unternehmungen beinahe
heimer Galgenberg durch durchziehende französi-
eigen zu seyn scheint - den vollen Charakter des
sche Revolutionstruppen. Diese beseitigten den
deutschen Mannes ausdrükt.“ Er dachte später
Galgen.
gern an diese Hauslehrertätigkeit zurück: „Ble-
zinger behandelte mich als Freund, ich brachte bei
ihm meine Zeit meist nüzlich und angenehm zu.“
[aus: Bernd Breitenbruch. Ch.Fr.D. Schubart bis
zu seiner Gefangensetzung 1777. Ausstellung aus
Anlaß seines 250. Geburtstags. Stadtbibliothek
Ulm 1989, S. 25f]

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n der Zeit als Hofmeister im Blezingerschen
Haus zu Königsbronn kam Schubart häufig
nach Heidenheim in Gesellschaft. In seiner
Autobiographie schrieb er: „Ich genoss in Hei- Heidenheimer Galgenberg. Geländeplan von
denheim des öftern Umgang mit den dasigen Eh- Landesgeometer Amman 1798
renmännern; Tonkunst, und helle, frische Laune
verschafften mir auch hier überall Eingang. Da- 1735 findet in Nattheim die letzte Hexenhysterie
mals lag das Bouwinghaufsche Husarenregiment mit „Untersuchungen“ statt. 1723 ist Maria
im Heidenheimer Amt, wodurch ich Gelegenheit Thumm Opfer einer „Teufelsaustreibung“ durch
bekam, mit manchem braven Offizier Bekannt- den Nattheimer Pfarrer. Auch 1763 findet so eine
schaft zu machen.“ angebliche Austreibung bei Anna Bader aus
Heidenheim zählte übrigens damals gerade 1.576 Heuchstetten statt. 1766 meldet der Heidenheimer
Einwohner, davon waren 57 auf der Wander- Dekan, in seiner Gemeinde sei es weithin üblich,
schaft, beim Landesherren im Kriegsdienst 16, bei dass man, wenn jemand von einem tollen Hund
fremden Potentaten im Dienst 15, ortsanwesend gebissen worden sei, zum nächsten katholischen
also: 1488 Einwohner. Ort laufe und den so genannten Hubertusschlüssel
hole, mit dem der Gebissene gebrannt werden
müsse. Dies sei am 10. August d. J. bei einem
Kind aus Aufhausen geschehen. Der Schmied
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selbst habe aus Waldhausen den Schlüssel geholt, im Predigen und Catechisieren. Weil er die Lei-
das Kind und in Aufhausen alles, Kinder, Hunde, chen hinaussingen muss, so muss er eine sehr gute
Vieh und Schweine gebrannt. (Ob's wohl geholfen Stimme haben. Seine Besoldung besteht aus 100
hat?) Gulden an Geld, etwas Naturalien, freie Woh-
1775 fand in Deutschland die letzte Hexenver- nung, 6 Ellen Krautland, freie Eichelmast und
brennung statt. 1776 wurde offiziell die Folter bei eine Miststätte vor seinem Haus. Den Rang hat er
Verhören in Württemberg abgeschafft. gleich nach dem Burgerstädtmeister, der gegen-
wärtig ein Gerber ist; außer dem solls den Buben
nicht erlaubt sein, ihn mit Erbsen zu schießen. Es
1763 - Schulmeisterdasein in Geislingen wäre dem Magistrat sehr lieb, wenn der Kandidat
ledig wäre. Der Vorfahr im Amt hat eine sehr
häusliche und gottesfürchtige Witwe hinterlassen.
Sie ist zwar schon eine Funfzgerin; kann aber
doch noch lange leben.“ (79. Stück vom 2. Okt.
1775).

S
chubarts Vakanzzeit hatte 1763 ein Ende,
als er nach vielen Mühen eine Stelle als
Schulmeister, Organist und Prediger in
Geislingen erhielt. Geislingen gehörte damals zur
reichsunmittelbaren Stadt Ulm und hatte rund
1.500 Einwohner. In Geislingen, wo er 1764 seine
Frau Helene, geb. Bühler (1744-1819) heiratete
und einen Hausstand gründete, musste er täglich
mindestens neun Stunden 120 bis 150 Schüler in
der deutschen und Lateinschule unterrichten. In
der Kirche hatte er Orgel zu spielen und die Mu-
Schulwesen in Württemberg
sik bei Leichenbegängen zu gestalten. Zur Weih-

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nachtszeit musste er mit seinen Schülern eine
m evangelischen Württemberg wurden nach
Woche von Haus zu Haus herumziehen und bet-
1649 die Volksschulen, mit allgemeiner
teln (Currendsingen). Jahre später beschrieb er in
Schulpflicht, eingeführt. Die Schulmeister
seiner „Deutschen Chronik“, durch eine satiri-
waren nur die Bediensteten des Pfarrers, wenig
schen Anzeige, wohl seine Geislinger Tage:
geachtet und mit einem Hungerlohn ausgestattet.
„Nachricht. Welcher Magister hat Lust Schul-
Die Schulen unterstanden der evangelischen Kir-
mann in - zu werden? - Er muss gut Latein, Grie-
che. Noch heute ist die württembergische evange-
chisch und Hebräisch verstehen; auch etwas Fran-
lische Kirche besonders stolz auf diese schulische
zösisch und Italienisch. Im Christentum, Rechnen,
Pionierleistung. Aber wie sah diese Erziehung
Schreiben, Zeichnen, Historie, Geographie, Feld-
aus? Der Fächerkanon umfasste, nach der für
messen muss er Meister sein. Informieren darf er
Württemberg gültigen Schulordnung von 1729, in
nicht mehr als Tags 12 Stunden, daneben kann er
erster Linie Memorieren von Bibelsprüchen, Ge-
sich noch mit Privatstunden was verdienen. Da
sangbuchliedern, Katechismusstücken und Gebe-
man den Organisten mit ihm ersparen möchte; so
ten. Im Jahr 1800 waren trotz Schulpflicht immer
wärs gut, wenn er die Orgel spielen, gut geigen
noch 80 % (!) der Bevölkerung Analphabeten.
und den Zinken [die Posaune] auf dem Turm bla-
Die Schule diente also nur nebenbei der Wissens-
sen könnte. Den Geistlichen assistiert er zuweilen
vermittlung. Ihr Hauptziel war vielmehr die Er-
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ziehung zu gehorsamen Untertanen. Erst nach der Aufschlussreich sind auch Schubarts selbstver-
Revolution von 1848/49 gelang es den Religions- fasste Texte für den Unterricht. So eine Fabel
unterricht auf 6 bis 7 Stunden wöchentlich zu über einen Schulmeister:
verkürzen. Erst ab dieser Zeit konnte vermehrt „In Africa ist ein Tier mit Namen Plimpplamp,
Naturwissenschaft und wirkliche Bildung vermit- von ganz wunderbarer Art. Es hat keine Galle,
telt werden. keinen Magen und doch einen vortrefflichen Tier-
Verstand. Es arbeitet von Morgen bis zum Abend
und reiniget den Wald von allem Kote, den die
jungen Bestien schmeißen. Wann es nun genug
gearbeitet hat, so riecht es dreimal in den Wind,
und lebt also würklich von der Luft. Es ist so ge-
duldig, dass es sich ganz gelassen von allen wil-
den Tieren ins Gesicht pissen lässt. Es ist immer
hungrig und frisst doch nichts; immer durstig und
trinkt doch nichts; es arbeitet beständig und hat
Dreck zum Lohne. Es hat ein gutes Gesicht und
sieht doch nichts; einen scharfen Geruch und
riecht doch nichts. Es ist im ganzen Wald das
nützlichste Tier und wird doch von den andern
Tieren für das schlechteste gehalten. Dieses arme
Tier hat in seinem ganzen Leben nur einen einzi-
gen glücklichen Tag, nämlich den Tag - wann es

S
chubart fühlte sich von seinen geistlichen verreckt. Was muss das doch für ein Tier sein?
Herren, den Ortspfarrern, arg beengt. Er Hm! Was sonst als ein verwandelter Schulmeister,
nannte sich selbst damals „den Sklaven wenigstens sind unsre Schulmeister die Moral zu
zweier tyrannischer Pfaffen“. In der Schule, und dieser Fabel.“
das wurde ihm übel genommen, verwendete der
Lehrer Schubart bisweilen zwei Stilübungen: ... und ein Anti-Kriegs-Gedicht::
„Es ist schon recht; es ist schon recht,
Also sprach der Pfaffenknecht.“ „Schiessen möcht ich hören,
und wann die Kugel noch
„Du Hauptmann von Kapernaum, Leberknöpflen wären:
Schlag diesen Pfaffen lahm und krumm, gäb es doch kein Loch.
Und schlägst du ihm die Rippen ein, Säbel sind ein Wurst.
So sollst du Oberstleutnant sein.“ Mit Bratwürsten hauen
Das ist meine Lust.
In einem Brief an Balthasar Haug (Pfarrer in Solche Krieg sind schöner
Stotzingen bei Heidenheim) vom 13. Mai 1767 Die ergötzen uns
schrieb er: Nun ich bin
„Von Clerisei und Hass umgeben Dein Diener
sing' ich von Zärtlichkeit und Ruh; ...Michel Blunz.“
ich singe von dem Saft der Reben

S
Und Wasser trink' ich oft dazu.“ chubarts sechs Geislinger Jahre, gekenn-
zeichnet von der geistiger Enge einer da-
Die Konflikte mit den Theologen haben Schubart maligen Provinzkleinstadt, endeten mit
nicht mehr losgelassen. In seiner Autobiographie seiner Anstellung als Musikus am Hof des Würt-
schrieb er: tembergischen Herzogs in Ludwigsburg. Über
„Es war überhaupt von mir die sträflichste Un- Geislingen schrieb er zum Abschied, „dass ich
klugheit, dass ich mich, aus einem gewissen inne- seithero ein armseliges Einkommen gehabt habe
ren Widerwillen, nie mit der Geistlichkeit vertra- und mich kaum vor Schulden bewahren konnte“.
gen wollte. Ich bedachte nicht, dass sie fast über-
all, zum Teil auch in protestantischen Landen,
eine furchtbare Kette bilden; man darf nur ein
Glied im Zorn entzünden: so glühen gemeiniglich
die übrigen Glieder der großen Kette alle.“
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 10

len. Allein 1769 sollen 18.400 Treiber gebraucht


worden sein, um 82 Heidenheimer Wildschweine
zu fangen. In neun Jahren soll der Herzog so auch
241 Hirsche erlegt haben. Im Oberamt Heiden-
heim mussten für die fürstliche Jagd allein 5.298
Morgen Land brach liegen gelassen werden.
Trotzdem mussten unsere Vorfahren für dieses
Land die vollen steuerlichen Abgaben entrichten.
1764 überließ der Herzog Stadt und Amt Heiden-
heim den Forst gegen ein Darlehen von 25.000
Gulden. Sobald er aber das Geld in Händen hatte,
zog er seinen Forst wieder an sich, ohne sich um
die Rückzahlung des Geldes zu kümmern.

Wildschützen

B
esonders ausgeprägt war deshalb auch das
Wildschützenwesen in den Wäldern um
Heidenheim herum. 1771 wurde beklagt,
Aus einem zeitgenössischen Flugblatt, dass das es gäbe „viele freche Wilderer“. Das Wildschüt-
Wohlleben der Pfarrer dem armseligen Dasein zenwesen war für viele Untertanen ein Ausdruck
des Schulmeisters gegenüberstellt. seiner Freiheitshoffnungen und für so manche
Arme häufig die einzige Möglichkeit an Fleisch
zu kommen. Auch für die Landwirtschaft brachte
Die Jagd des Herzogs der starke Tierbestand immense Schäden, dass
man schon einmal zur Selbsthilfe griff. Dieser
Zustand hielt an, bis in der Mitte des 19. Jahrhun-
derts die Jagdprivilegien der Fürsten abgeschafft
wurden. Allein auf dem Königsbronner Gebiet
befinden sich drei Gedenksteine für Opfer des
bisweilen blutig ausgetragenen Kampfs zwischen
Jägern und Wildschützen. Hierzu lohnt ein Aus-
flug in das sehenswerte Torbogenmuseum in
Königsbronn, das mit einem eigenen Jäger- und
Wildererraum ausgestattet ist.

D
ie Heidenheimer Umgegend war ein be-
liebtes Jagdgebiet des Herzogs von Würt-
temberg. Das Schnaitheimer Jagdschlössle
und Schloss Hellenstein waren beliebte Aufent-
haltsorte der adligen Jäger. Auch Herzog Carl
Eugen war ein guter Reiter und der Jagd zu Pferde
leidenschaftlich ergeben, mit Vorliebe hetzte er
Gedenkstein für den ermordeten Förster Süßkind
Sauen über Land. Die Heidenheimer Orte hatten
bei der Köhlerei „Großer Brenzel“
dann jeweils starke Belastungen zu tragen und
mussten zahlreiche Leute für die Treibjagd stel-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 11

1769 - Musikus in der Residenz Amt zu bemühen. Seine literarische Produktion in


den Ludwigsburger Jahre war auch sehr gering.

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chubart verbrachte in Ludwigsburg etwas Durch einen herzoglichen Erlass vom 21. Mai
mehr als dreieinhalb Jahre. Als Organist 1773 wurde Schubart wegen „einer zu Anfang
an der Stadtkirche hatte er mit dem her- dieses Jahres in das Publicum verbreiteten
zoglichen Hof zunächst nichts zu tun, doch hatte Scarteque“ und „in Rücksicht seiner von jeher
er von Anfang an Gelegenheit, in Hofkreisen Pri- bezeugten schlechten Aufführung“ seines Orga-
vatunterricht im Klavierspiel zu erteilen. nistendienstes entsetzt und aus dem Herzogtum
„Mein steter Umgang mit deutschen und wel- ausgewiesen. Dabei haben literarische Sünden bei
schen Virtuosen war beständig Oelguss in mein der Ausweisung eine Rolle gespielt: „Ein satiri-
ohnehin schon wild loderndes Feuer. Ich wurde sches Lied, das ich um diese Zeit auf Veranlas-
immer kälter gegen Tugend und Religion, las sung eines andern auf einen wichtigen Hofmann
Freigeister, Religionsspötter, Sittenverächter, und machte, noch mehr, eine Parodie der Litanei, die
Bordelscribenten - - und theilte - o meine gröste, noch schlimmer gedeutet wurde, als sie gemacht
heiseste, schwerste Sünde, - die mir Höllenqual war, bestimmte meine Vorgesezten, mir meinen
im Kerker machte theilte das Gift wieder mit, das Abschied zu geben und mir sogar das Land zu
ich einsog, Spöttereien und Zoten wurden mir verbieten.“ Man hat wohl mit Recht vermutet,
daher so geläufig, dass ich sie oft, wie die Kröte dass die Parodie auf die Litanei der Fünfzeiler auf
ihren Schaum ausgurgelte, ohne es zu wissen. Ich der aufgeschlagenen Seite der „Teutschen Chro-
stürzte von Schande zu Schande, ward unver- nik“ vom 11. Januar 1776 sei:
schämt, geil, träge zum Guten, froh dass ich die
papierne Schanze des Unglaubens zur Bedekung „Vor Advokaten, die uns zwicken,
meiner Ausschweifungen aufwerfen konnte, Vor Aerzten, die am Körper flicken,
erstikte sogar das Menschengefühl, ward ein Re- Vor Bonzen, die mit Drachenblicken
bell, der sich ... mit hohem Haupte, gegen alles Prophetisch uns zum Teufel schicken
Heilige empörte und endlich, mit allen meinen Behüt uns lieber Herre Gott!“
schönen Gaben, mir und meinen Freunden zur
Last wurde.“ Mit dem „Bonzen“ war natürlich sein Dekan
Georg Sebastian Zilling gemeint, und es ist aus
diesem und einer Reihe weiterer Gründe leicht
vorstellbar, dass er die treibende Kraft bei
Schubarts Ausweisung war. Was die Satire auf
den Hofmann betrifft, so gehen hinsichtlich ihrer
Identifizierung die Meinungen auseinander.

Schubart um 1771

S
chubarts Frau, die nicht ohne Begründung
eifersüchtig war, flüchtete zweimal für Zilling direkt gewidmet ist der Spottvers:
längere Zeit zu ihrem Vater nach Geislin- „An Zill,
gen. Zill, der Apokalyptikus
Die Musik wurde jetzt zu Schubarts Hauptbe- Bewies mit einem tapferen Schluß,
schäftigung. Er hörte auf, sich um ein geistliches Daß einstens mit den Frommen
Auch Tiere in den Himmel kommen.
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 12

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O, schrie sein altes Weib ie Untertanen des alten Württemberg
Und freut sich inniglich, konnten ihre Religion nicht frei wählen.
O, Welch ein großer Trost Der Landesherr bestimmte selbstherrlich
Für dich und mich!“ über das religiöse Bekenntnis seiner Untertanen
und hatte die Leitung der evangelischen Landes-

S
chubarts weltlicher Lebensstil in Lud- kirche in Württemberg inne.
wigsburg, war beschrieben durch „Braus- 1644 wurden in Württemberg „Kirchenkonvente“
kopf und gewaltiger Trinker, Spaßvogel eingeführt. Initiator dieser theologischen Speziali-
und genialer Unterhalter“. Dazwischen wieder tät war der Calwer Dekan Johann Valentin An-
Liebschaften und ein ständiger Konflikt mit Zil- dreae. Es waren dies örtliche Sittengerichte unter
ling, der ihn sogar wegen einer Satire „auf eine dem Vorsitz des Ortspfarrers. Diese Kirchenkon-
Standesperson“ exkommunizieren ließ und ihm vente, die erst 1891 offiziell abgeschafft wurden,
somit das Orgelspielen unmöglich machte, führ- verhandelten und bestraften die Verfehlungen der
ten schließlich zu seiner Entfernung aus Lud- Untertanen, wie z.B. Kirchensäumigkeit, Fluchen,
wigsburg. 1773 wurde er seines Postens enthoben, Sonntagsarbeit, Zaubern, Trinken, Raufhändel
durch den herzoglichen Erlass „dahero dem und das „Zusammenschlupfen“ unverheirateter
Schubart hie von die Eröffnung zu tun, mit dem Paare. Bestraft wurden auch ledige Mütter und
Bedeuten, sich aus Unsern Herzoglichen Landen Kindsgeburten vor dem neunten Monat nach Ehe-
unfehlbar zu entfernen“. schluß. Die Strafen konnten recht drakonisch sein:
Schubart folgte dem Befehl des Herzogs auf der Geldstrafen, Einsitzen und Prangerstehen mit
Stelle: „Ich ... stürmte im Unsinn der Betäubung entsprechenden Schandmasken. (Ein recht leben-
aus Ludwigsburg hinaus und hinterließ Weib und diges Bild hiervon bietet sich den Besuchern des
Kinder, von denen ich nicht einmal Abschied sehenswerten Kriminalmuseums in Rothenburg o.
nahm, in den elendesten Umständen - ... Mein d. Tauber).
eignes Vermögen womit ich in die Welt gieng, Am Sonntag und an Feiertagen herrschte Teil-
Bestand - aus einem Thaler.“ nahmepflicht beim Gottesdienst. Streng beachtet
Seine Frau begab sich wieder nach Geislingen zu wurde auch das Gebot zur Sonntagsruhe: keine
ihrem Vater. Er sollte sie erst nach fast zwei Jah- Fuhrwerke, Wirtschaftsbesuche, Tanzen und
ren wieder sehen. Spielen, Lärmen und Erledigungen. Umgänger
kontrollierten während der Gottesdienste die Häu-
ser. Hierzu musste sogar die Hausschlüssel depo-
Kirchenleben in Württemberg niert werden. Büttel beaufsichtigten in der Kirche
die Gläubigen und schauten streng nach Schläfern
und Schwätzern. Geregelt war dies in den Ver-
ordnungen der Württembergischen Landeskirche
von 1654, die alle zwanzig bis dreißig Jahre er-
neuert wurden, bis 1844. Eine folgenreiche Ver-
ordnung war auch das „Generalrescript“ von 1781
gegen die „Übelhäuser“. Jeder, der seine Land-
wirtschaft schlecht betrieb oder sein Haus „verlu-
dern“ ließ, konnte enteignet werden (!). Die Ver-
handlung hierzu fand vor dem Kirchenkonvent
statt. Gezielt wurde das Einander-Beobachten und
Verpetzen gefördert, denn der Petzer erhielt das
„Anbringdrittel“, ein Drittel der entsprechenden
Geldstrafe oder des enteigneten Besitzes. Keiner
traute sich nunmehr, seine Wirtschaft zu vernach-
lässigen. Nach außen hin musste man so tun, als
ob man niemals müßiggängig wäre und immer
schwer schaffig sei. Überbleibsel dieser „Lan-
dessitten“ sind heute noch die übertriebene Putz-
sucht und die Institution der Kehrwoche bei den
Schwaben.
Eine treffende Beschreibung dieser Zeit gelang
Hermann Kurz in seinem dokumentarischen Ro-
man „Der Sonnenwirt“. Das Schicksal des „edlen
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 13

Räubers“ Friedrich Schwan, des Sonnenwirtle richt geklagt. Der Spruch, dass „unterm Krumm-
von Ebersbach, beschreibt anschaulich die stab gut leben wäre“, galt für die Auernheimer
Scheinheiligkeit und Niedertracht dieser Kirchen- nicht. Es kam zu einer militärischen Besatzung,
konvente im Württemberg jener Zeit. (Hermann fortgesetzten Strafen, Gefängnis- und Zuchthaus-
Kurz. Der Sonnenwirt. Eine schwäbische Volks- strafen für die berechtigten Empörer.
geschichte. 1846-1855. Neuauflage Schweier- An die Auernheimer Rebellen und alle Nereshei-
Verlag, Kirchheim/Teck. 1983) mer Untertanen, die ja diesen Prachtbau finanziert
hatten, sollten die Besucher auch denken, wenn
sie die bekannten Kunstwerke des Balthasar
Neumann und Martin Kneller bestaunen.

Auernheimer Aufstand 1773 - Reiseleben

I
n den katholischen Gebieten war das geisti-
ge Leben nicht weniger beengt. Die recht
wirksame Methode der Ohrenbeichte er-
möglichte der Obrigkeit, die Untertanen gut im
Zaum zu halten. Dennoch kam es auch hier zu
offener Rebellion. Das Dorf Auernheim war 1764
von Oettingen an das Kloster Neresheim abgetre-
ten worden. 1777 erhoben sich die Untertanen zur
offenen Rebellion, dem „Auernheimer Aufstand“.
Gerade zu dieser Zeit, als der Bau der weltbe-
rühmten Neresheimer Abtei kurz vor seiner Voll-
endung stand, wollte der Abt Benedikt Maria
Angehrn die imensen Baukosten durch vermehrte
Ausbeutung seiner Untertanen auffangen. Der Abt
macht nun Anordnungen „zur Anrichtung einer
besseren Wirtschaft der Gemeinde“. Die Auern- Stationen von Schubarts „Wanderungen“
heimer aber argwöhnten darin Anschläge, ihnen (Grafik Schubartmuseum Aalen)
das Ihrige zu entziehen. Die Unzufriedenen ka-

N
men in einem Haus, dass Württemberg gült- und ach Schubarts unrühmlichem Abschied
vogtbar war, zusammen, erklärten den klösterli- aus Ludwigsburg, begann für ihn ein
chen Schultheißen und Bürgermeister für abge- langjähriges Reiseleben durch ganz Süd-
setzt und stellten aus ihrer Mitte zwei Bürger- deutschland. In Mannheim legte er sich mit den
meister auf. Außerdem drohten sie, einen anderen Jesuiten an: „Ich machte gewaltige Ausfälle ge-
Schutzherren, den von Oettingen-Wallerstein, zu gen diese schwarzen Gesellen, die aber solcher
suchen. Es wurde sogar beim Reichskammerge- papierenen Blitze nicht achteten und mich dage-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 14

gen mit bitterem Grimme verfolgten.“ In Mün- 1774 - Augsburg - Deutsche Chronik
chen blieb er einige Zeit und wäre beinahe aus
beruflichen Gründen katholisch geworden. Die
Auskünfte aus Stuttgart über ihn aber, brachten
das vernichtende Urteil, „dass ich keinen heiligen
Geist glaubte und vorzüglich deswegen das Würt-
tembergische habe räumen müssen.“ So wurde er
auch in München verabschiedet.

M
it dem Gedanken nach Schweden aus-
zuwandern kam Schubart nach Augs-
burg. Unterkunft erhielt er bei Georg
Wilhelm Zapf, der in Aalen fünf Jahre lang die
Stadtschreiberei gelernt hatte. Der Buchhändler
Conrad Heinrich Stage ermunterte Schubart, ei-
nen Roman zu schreiben. Schließlich wurde er in
Augsburg Journalist. Am 31. März 1774 erschien
die erste Ausgabe seiner „Deutschen Chronik“,
einer Zeitschrift, die „um einen billigen Preis, auf
jedem Postamte in Deutschland gekauft werden
konnte“.
Die „Deutsche Chronik“ war ein volkstümliches
Blatt, das sich mit politischen Fragen befasste und
literarische, pädagogische und poetische Beiträge
brachte. Die Chronik war außerordentlich erfolg-
reich und bald das wichtigste publizistische Organ
der bürgerlichen Opposition im ganzen Deutschen
Reich. Schubart war jetzt 35 Jahre alt und hatte
endlich einen Beruf, der Dauer und Einkommen
versprach. 1775 wurden 1.600 Exemplare ver-
Einem preußischen Invaliden gibt Schubart aus kauft. Da die Chronik viel herumgereicht wurde,
Mitleid sein letztes Geld. hatte sie bis zu 20.000 Leser. Nach nur fünf Wo-
Aus: Leben und Gesinnungen Teil I. chen wurde der Druck in Augsburg untersagt und
musste nach Ulm verlegt werden. Die katholische
Partei in Augsburg sah in Schubart ihren Haupt-
feind. So wurde Schubarts Schlafzimmer mit ei-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 15

nem Steinhagel bedacht, vor dem er nur unter sche Idee in ihren Systemen, so ersticken sies
seinem Bett Schutz fand. wieder in ihrem eignen Wuste. Ihre Moral ist
verderblich und dem Staate nachteilig und in den
schönen Wissenschaften haben sie kaum etwas
mehr getan - als gelallt.“ (Aus dem 14. Stück vom
16. Februar 1775)

B
esonders intensiv legte sich die Chronik
mit dem Orden der Jesuiten an. Diese
verbrannten sogar ein Spottgedicht des
antiklerikalen Schubart öffentlich. Schubart
schrieb in der Chronik:
„Den Geist dieses Ordens, der sich wie epidemi- Scharlatan in Ellwangen
scher Hauch im Finstern oder am hellen Mittage

A
verderbend in einem Staat verbreitet“. Und: „Die ngehörige der Jesuiten waren auch in die
Zahl der Freunde und Verteidiger des Jesuitenor- Affäre Gaßner verwickelt. Der katholische
dens vermindert sich täglich. Die Partei der Gros- Pfarrer Gaßner hatte sich mit Wunderhei-
sen und der Verständigen ist gegen sie. Dass hier lungen und Teufelsaustreibungen einen Namen
und da katholischer Pöbel noch ein Seufzerlein gemacht. Beim Fürstbischof von Ellwangen ge-
für sie gen Himmel schickt, machts nicht aus. Die lang es ihm, die geistige Residenz zu einer lukra-
Welt sieht nun einstimmig ein, dass die Verdiens- tiven Wallfahrtsstätte auszubauen. Schubart
te dieses Ordens nicht so groß gewesen, als man schrieb:
anfangs glaubte. Die Katholischen machen nun „Der Pfarrer Gaßner zu Klösterle fährt fort, den
die herrlichsten Erziehungsanstalten ohne Bei- dummen Schwabenpöbel zu blenden. Er heilt
stand der Jesuiten, und wir Protestanten haben Höcker, Kröpfe. Epilepsien - nicht durch Arznei-
schon längst in allen Teilen der Wissenschaften en, sondern bloß durch Handauflegen seiner ho-
Meister aufzuweisen, ohne unsere Weisheit aus hepriesterlichen Hand. Kürzlich hat er ein herrli-
den Schulen oder Schriften der Jesuiten geholt zu ches Buch herausgegeben, wie man dem Teufel
haben. In der Mathematik und Physik hatten sie widerstehen soll, wenn er in Menschen und Häu-
einige sehr gute und brauchbare Männer, in allen sern rumort. Und da gibt's noch tausend Men-
andern Wissenschaften aber würd' es schädlich schen um mich her, die an diese Narrheiten glau-
sein, ihre Grundsätze fortzupflanzen. Ihre Theo- ben. - Heiliger Sokrates, erbarme dich meiner!
logie ist ein weitläuftiges, scholastisches Gewirre, Wann hören wir doch einmal auf, Schwabenstrei-
das das Herz nicht bessert und den Verstand mit che zu machen?“ (74. Stück vom 18. Dezember
unnützen Subtilitäten anfüllt. Ihre Methode, die 1774).
Philosophie zu lehren, ist steif und unnütze.
Schwimmt auch hier und dar eine große Leibniz-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 16

Schubart erntete einen Schwall von Schmäh- prüfenden Anmerkungen laut zu sagen, dass er
schriften und eine Hausdurchsuchung, sowie eine bey dem ganzen Werke nichts als Blendwerk,
Arretierung. Bethörung, Betrug und Unsinn entdeckte! ... Noch
was, geneigter Leser, Gaßner hat mir versprochen,
1775 - Chronik in Ulm mich auf ein Weinfass zu bannen. Er mags thun;
aber nur auf ein Fass ächten Hochheimer oder
Niersteiner. Da wollt' ich stolzer drauf sitzen, als
Bacchus, da er im Triumphe nach Indien zog, und
die Löwen und wilden Parthe sollten wie Kinder
um mich her greinen, ihnen Göttersaft aus der
vollen Schaale zu reichen. Ich aber, mit Epheu
bekränzt, würde die Schaale hoch emporheben
und aufjauchzen: Es lebe die Vernunft! es sterbe
der Fanatismus und der Aberglaube!“ (14. Stück
vom 16. Februar 1775)

S
chubarts Beteiligung am Streit um Gaßner
war einer der Gründe für seine Auswei-
sung aus Augsburg. Nach seinem Umzug
nach Ulm im Januar 1775 glaubte er nun, sich in
dieser Angelegenheit keinerlei Zurückhaltung
auferlegen zu müssen. Schon wenige Wochen
nach seiner Übersiedlung überschüttete er Gaßner
in der „Deutschen Chronik“ mit Hohn und Spott:
„Wenns ein Buch gäbe, drein die Geschichtsmuse
mit ewigen Lettern die Geschichte des Ge-
schmacks und der Aufklärung einer jeden Nation
schriebe, und es stünde da von uns: Im Jahr 1775
gabs in Oberschwaben noch Tausende, die einem „Wunder“ in Ellwangen
irrenden Priester glaubten, der ohne Genie und

E
Gelehrsamkeit es wagte, den kaum halb aufge- ine Reise nach Ellwangen und Aalen musste
führten Tempel der Vernunft niederzureißen, und Schubart unter falschem Namen antreten.
das Volk in Wüsten zu locken, wo kein lebendiger Der Fürstprobst von Ellwangen machte noch
Quell rinnt; der Krankheiten für Teufelsbesitzun- immer die besten Geschäfte mit Wallfahrten und
gen hielt, und - den Namen Jesu, nicht zur Ver- den Wunder“heilungen“ des berüchtigten Pater
herrlichung unter uns, sondern zum Vehikulum Gaßner. Schubart berichtet:
brauchte, womit die Betrognen das Gift des Aber- „Die Strasse von Aalen nach Ellwangen wimmel-
glaubens und der Schwärmerey hinab schlürfen te eben damals von elenden Pilgrimen, welche bei
sollten; Doch gabs auch zu der Zeit einen muthi- Gaßnern Hilfe suchten. Das tausendfältige Elend
gen Wahrheitsfreund, der es wagte, aus der Mitte von zehn, zwanzig, dreißig Meilen in die Länge
der Getäuschten hervor zu treten, und in seinen und Breite schien in dieser Gegend zusammenge-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 17

drängt zu sein. Alle Herbergen, Ställe, Schafhäu- Einkommen. Er hatte vielfältige Kontakte und
ser, Zäune und Hecken lagen voll von Blinden, auch kleinere Reibereien mit den Autoritäten der
Tauben, Lahmen, Krüppeln, von Epilepsie, Stadt. Davon zeugt sein Epigramm:
Schlagflüssen, Gicht und anderen Zufällen jäm- „Befehl einer schwäbischen Reichsstadt:
merlich zugerichteten Menschen. Was Krebs, Kund und zu wissen ist:
Eiter, Grind und Krätze Ekelhaftes, Abscheuli- Ihr Bürger, macht die Strassen rein
ches, Entsetzliches hat, - selbst was die Seele Von allem Kot und Mist;
drückt und entmannt - Schwermut, Wahnsinn, Sonst legt der Magistrat sich drein!“
Tollheit, stille Wut, Raserei, teuflische Anfech-
tungen - war hier in Aalen und auf dem Wege
nach Ellwangen an Krücken, an Stecken, auf
Eseln, Pferden, Karren, in Tragtüchern, auf Ref-
fen und Bahren in einer schrecklichen Gruppe
zusammengedrängt zu sehen. O, dachte ich,
Gaßner, wenn du all diesem Jammer abhilfst, all
dies Elend im Namen Jesu wegsprichst, so will
ich auf den Knien zu dir kriechen und dir meinen
Unglauben mit gefalteten Händen abbitten. Aber
leider! kamen diese Elenden noch elender zurück;
denn da sie auf der Reise nicht selten all ihre Ha-
be verzehrt hatten, so mussten sie nun betteln und
zum Teil auf der Strasse zu Grunde gehen.“
Ironie des Schicksals: Noch heute ist Ellwangen
offizieller katholischer Wallfahrtsort für Kranke,
die sich dort Wunderheilungen versprechen!

Wichtigste Oppositionszeitschrift

D
ie Chronik entwickelte sich jetzt erst rich-
tig. Die meisten Beiträge der wichtigsten
deutschen Oppositionszeitschrift schrieb
Schubart selbst. Er vertrat darin einen Patriotis-
mus, der gerichtet war gegen die über 300 deut-
schen Länder mit Landesgrenzen und Zöllen und
gegen die Selbstherrlichkeit der Landesherren.
Sein Patriotismus zielte auf eine Wiederbelebung

D
des Reichsgedankens und gegen die teuren Hof-
ie Chronik fand Verbreitung bis nach
haltungen der Kleinfürsten. Illusionen machte er
London, Paris, Amsterdam und Peters-
sich über die politische und moralische Kraft
burg. In dieser Zeit entstand auch
Preußens. Von hier aus könnte es Impulse für eine
Schubarts Erzählung „Zur Geschichte des
Einigung des Vaterlandes geben. Politische Sym-
menschlichen Herzens“, das Schiller die Fabel für
pathien hatte Schubart für die Schweiz und den
sein späteres Drama „Die Räuber“ lieferte. Er gab
Freiheitskampf der amerikanischen Kolonien. Ein
als Musiker Konzerte und sogar die Zensur war
entschiedener Republikaner war er noch nicht. Er
ihm wohl gesonnen wie nie zuvor. Er machte sich
hoffte noch auf „aufgeklärte“ und „milde“ Fürs-
aber auch viele Feinde. über den württembergi-
ten. Die Französische Revolution begrüßte er
schen Herzog schrieb er:
später und besonders die Staatsform der 1791
„Ihr Herzog ist hier durchpassiert und war unge-
eingeführten konstitutionellen Monarchie.
mein gnädig. Er hat einen hiesigen Patriziersohn
Schubarts Patriotismus hatte vor allem aber auch
in die Sklavenplantage [die Hohe Karlsschule, wo
eine soziale Komponente. Es ging ihm um die
auch Schiller dressiert werden sollte] aufgenom-
Emanzipation der unteren Stände, die die Fürsten
men. Seine Donna Schmergalina [seine Mätresse
verhinderten um sich weiter ihr luxuriöses Leben
Franziska von Hohenheim] saß neben ihm wie
erhalten zu können.
Mariane an Achmets Seite. Aller Fürstenglanz ist
In Ulm fühlte sich Schubart sichtlich wohl. Der
wachsende Erfolg der Chronik sicherte ihm ein
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 18

in meinen Augen nicht mehr als - das Glimmen gen in Schwaben," 1834, Neudruck der Original-
einer Lichtputze - es glimmt und stinkt.“ ausgabe Weißenhorn 2001, S. 206).
Dies erregte natürlich des Herzogs Grimm. Das Herausreißen der Zunge ist eine in der "Caro-
lina" niedergelegte Bestrafungsart für Gottesläste-
rer.

1777
Unschädlichmachung eines Freigeistes

D
er unbequeme Journalist Schubart sollte
unschädlich gemacht werden. Und es be-
gann ein Komplott mit der herzoglichen
Order vom 18. Januar 1777:
„An den Kloster-Oberamtmann Scholl in Blaube-
uren (nahe Ulm) ergangen. Sie wurde eingeleitet
mit dem Hinweis, dass der gewesene Stadtorga-
nist Schubart teils um seiner schlechten und ärger-
lichen Aufführung willen, teils wegen seiner sehr
Karikatur auf das Regime an der
bösen und sogar Gotteslästerlichen Schreibart auf
Hohen Karlsschule in Stuttgart
untertänigsten Antrag des Herzoglichen Gehei-
men Rats und Consistorii seines Amtes entsetzt
und von dort weggejagt worden ... Dieser sich
Märtyrertod des Freigeistes Nickel
nunmehro zu Ulm aufhaltende Mann fährt be-

A
kanntermaßen in seinem Geleise fort, und hat es
uch mit seinen alten Widersachern, den
bereits in der Unverschämtheit so weit gebracht,
Jesuiten gab's Ärger. Ein Vorfall sollte die
dass fast kein gekröntes Haupt und kein Fürst auf
Brutalität und Gefährlichkeit dieser Kleri-
dem Erdboden ist, so nicht von ihm in seinen
kalen zeigen. Knapp außerhalb der Ulmer Stadt-
herausgegebenen Schriften auf das freventlichste
mauern, in Wiblingen, wurde Josef Nickel, ein
angetastet worden, welches Se. Herzogl. Durchlt.
entlaufener Jesuitenschüler, der sich zu den
schon seit geraumer Zeit auf den Entschluss ge-
Schriften Wielands, Lessings und Voltaires be-
bracht, dessen habhaft zu werden, um durch si-
kannt hatte, gegen den Pater Gaßner redete und
chere Verwahrung seiner Person die menschliche
offen für Schubart eintrat, unter dem Vorwurf der
Gesellschaft von diesem unwürdigen und anste-
Ketzerei verhaftet, zum Tode verurteilt und „im
ckenden Gliede zu reinigen. Sich dieserwegen an
Jahr des Heils 1776, am ersten Juni, Morgens 8
den Magistrat zu wenden, halten Höchstdielbe für
Uhr“ geköpft.
zu weitläufig und dürfte vielleicht den vorgesetz-
Schubart, der ihm einen Roman geliehen hatte,
ten Endzweck gänzlich verfehlen machen; wohin-
wurde beschuldigt, der Verursacher der „Religi-
gegen solcher am besten dadurch zu erreichen
onsbeschimpfung und Gotteslästerei“ Nickels
wäre, wenn Schubart unter einem scheinbaren
gewesen zu sein. „Dieser Zufall kerkerte mich
oder seinen Sitten und Leidenschaften anpassen-
gleichsam in Ulm ein, weil mir ein gleiches
dem Vorwande auf unstreitig Herzogl. Württem-
Schicksal drohte“.
bergischen Grund und Boden gelockt und daselbst
In der Geschichte des Klosters Wiblingen, die
dort gefänglich niedergeworfen werden könnte.“
einer der letzten überlebenden Mönche in den
30er Jahren des 19. Jh verfasste, wird über Nikel
berichtet, mit dem Ton ruhigstens Gewissens:

D
ie von langer Hand vorbereitete Intrige,
"Im Jahr 1776 wurden hier zwei Verbrecher ge-
auf Geheiß Herzog Carl Eugens und die,
fänglich eingezogen, wovon der erste: Josaeph
als wahrscheinlich geltende, Mitwirkung
Nikel, ein absolvierter Jurist, als überzeugter und
der Jesuiten bei der Denunziation und Verhaftung,
selbst eingestandener Gotteslästerer und Dieb,
lockte Schubart unter einem Vorwand nach Blau-
sein Leben durch das Schwert verlor, worauf sei-
beuren ins Württembergische. Dort wurde er ver-
ne Zunge herausgeschnitten und sein Körper auf
haftet und zum Hohenasperg geschafft. So begann
dem Scheiterhofen verbrannt und die Asche in
seine über zehn Jahre dauernde Zeit auf dem As-
den Donaufluß geworfen werden musste. " (Mi-
perg, ohne Anklage, ohne Prozess. Der mutige
chael Braig, Kurze Geschichte der ehemaligen
Schubart sollte mundtot gemacht werden und dies
vorderösterreichischen Benediktinerabtei Wiblin-
sollte zu Abschreckung für alle Freigeister im
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 19

Land dienen. Schubarts Haft begann zunächst mit

D
377 Tagen Totalisolation. Carl Eugen hielt ie Umerziehung wurde eingeleitet von
Schubart für eine Art „deutschen Voltaire“ und dem brutalen Festungskommandanten
wollte an ihm ein Exempel statuieren: seine Frei- Oberst Rieger und einem alten Bekannten,
geisterei unter allen Umständen austreiben, um Schubarts Ludwigsburger Widersacher, Dekan
den Widerstandswillen seines Volks zu brechen. Zilling. Diese beiden Leuteschinder führten einen
Er bediente sich hierzu eines pädagogischen Ex- bezeichnenden Briefwechsel über die Frage, wann
periments: Schubart sollte zu einem frommen und und wie der Sünder wieder an Tröstungen der
kirchentreuen Untertanen umerzogen werden. Ein heiligen Religion herangeführt werden sollte. Der
so gewandelter Schubart sollte wohl mehr nützen, sich als geistiger Beistand tarnende religiöse Drill
als ein hingerichteter Freiheitsmärtyrer. muss einer Gehirnwäsche gleichgekommen sein.
Schubart wurde zermürbt und verfiel in grässliche
Reueschwüre und Selbstanklagen. Er litt an De-
pressionen und kam sogar so weit, Gott für die
Gefängnishaft, als Chance zur Einkehr, zu dan-
ken. Vieles davon drückt sich in Schubarts später
geschriebenen Lebenserinnerungen aus, die voll
von deprimierenden Selbstanklagen und Selbst-
zweifeln sind. Schubart war schließlich weitge-
hend isoliert und zermürbt. Jahrelang durfte ihn
noch nicht einmal seine Frau besuchen. Wer woll-
te ihm da seine Schwäche vorwerfen?
1780 hoffte Schubart auf die Zusage zu seiner
Entlassung, wurde aber enttäuscht. Seine trotzige
Reaktion war die „Fürstengruft“:

Die Fürstengruft

D
Die Festung Hohenasperg a liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer,
Ehmals die Götzen ihrer Welt!
Da liegen sie, vom fürchterlichen Schim-
mer
Des blassen Tags erhellt!

Religiöse Gehirnwäsche Die alten Särge leuchten in der dunkeln


Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 20

Verwesungsgruft wie faules Holz; Im Felsengrab, verächtlicher als Sklaven,


Wie matt die großen Silberschilde funkeln, In Kerker eingemaurt.
Der Fürsten letzter Stolz!
Sie, die im ehrnen Busen niemals fühlten
Entsetzen packt den Wandrer hier am Haare, Die Schrecken der Religion,
Geusst Schauer über seine Haut, Und gottgeschaffne, bessre Menschen hielten
Wo Eitelkeit, gelehnt an eine Bahre, Für Vieh, bestimmt zur Fron;
Aus hohlen Augen schaut.
Die das Gewissen, jenen mächtigen Kläger,
Wie fürchterlich ist hier des Nachhalls Stimme, der alle Schulden niederschreibt,
Ein Zehentritt stört seine Ruh'! Durch Trommelschlag, durch welsche Triller-
Kein Wetter Gottes spricht mit lauterm Grimme: schläger
O Mensch, wie klein bist du! Und Jagdlärm übertäubt;

Denn ach! hier liegt der edle Fürst, der gute, Die Hunde nur und Pferd' und fremde Dirnen
Zum Völkersegen einst gesandt, Mit Gnade lohnten, und Genie
Wie der, den Gott zur Nationenrute Und Weisheit darben fiessen; denn das Zürnen
Im Zorn zusammenband. Der Geister schreckte sie; -

An ihren Urnen weinen Marmorgeister, Die liegen nun in dieser Schauergrotte


Doch kalte Tränen nur, von Stein, Mit Staub und Würmern zugedeckt,
Und lachend grub vielleicht ein welscher Meister So stumm! so ruhmlos! noch von keinem Gotte
Sie einst dem Marmor ein. Ins Leben aufgeschreckt.

Da liegen Schädel mit verloschnen Blicken, Die Weckt sie nur nicht mit eurem bangen Ächzen
ehmals hoch herabgedroht, Ihr Schaaren, die sie arm gemacht,
Der Menschheit Schrecken, denn an ihrem Nicken Verscheucht die Raben, dass von ihrem Krächzen
Hing Leben oder Tod. Kein Wütrich hier erwacht!

Nun ist die Hand herabgefault zum Knochen, Hier klatsche nicht des armen Landmanns Peit-
Die oft mit kaltem Federzug sche,
Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen, Die Nachts das Wild vom Acker scheucht,
In harte Fesseln schlug. An diesem Gitter weile nicht der Deutsche,
Der sich vorüberkeucht!
Zum Totenbein ist nun die Brust geworden,
Einst eingehüllt in Goldgewand, Hier heule nicht der bleiche Waisenknabe,
Daran ein Stern und ein entweihter Orden Dem ein Tyrann den Vater nahm;
Wie zween Kometen stand. Nie fluche hier der Krüppel an dem Stabe,
In fremdem Solde lahm.
Vertrocknet und verschrumpft sind die Kanäle,
Drin geiles Blut wie Feuer floss, Damit die Quäler nicht zu früh erwachen,
Das schäumend Gift der Unschuld in die Seele Seid menschlicher, erweckt sie nicht.
Wie in den Körper goss. Ha! früh genug wird über ihnen krachen
Der Donner am Gericht.
Sprecht Höflinge, mit Ehrfurcht auf der Lippe,
Nun Schmeichelein in's taube Ohr! Wo Todesengel nach Tyrannen greifen,
Verräuchert das durchlauchtige Gerippe Wenn sie im Grimm der Richter weckt,
Mit Weihrauch, wie zuvor! Und ihre Gräul zu einem Berge häufen,
Der flammend sie bedeckt.
Er steht nicht auf, euch Beifall zuzulächeln,
Und wiehert keine Zoten mehr, Ihr aber, bessre Fürsten, schlummert süße
Damit geschminkte Zofen ihn befächeln, Im Nachtgewölbe dieser Gruft!
Schamlos und geil, wie er. Schon wandelt euer Geist im Paradiese,
Gehüllt in Blütenduft.
Sie liegen nun, den eisern Schlaf zu schlafen,
Die Menschengeisseln, unbetraurt, Jauchzt nur entgegen jenem großen Tage,
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 21

Der aller Fürsten Taten wiegt;


Wie Sternenklang tönt euch des Richters Waage,
Drauf eure Tugend liegt.

Ach, unterm Lispel eurer frohen Brüder -


Ihr habt sie satt und froh gemacht -
Wird eure volle Schale sinken nieder,
Wenn ihr zum Lohn erwacht.

Wie wird's euch sein, wenn ihr vom Sonnenthrone


Des Richters Stimme wandeln hört:
„Ihr Brüder, nehmt auf ewig hin die Krone,
Ihr seid zu herrschen wert.“

Z
ur gleichen Zeit ging das Gerücht um,
Schubart könnte nach seiner Entlassung
Lehrer an der Hohen Karlschule werden.
Nach der Aufhebung des Schreibverbots schrieb
Schubart über dieses Ansinnen seiner Frau:
7. Januar 1781: „Im übrigen dank ich Gott, dass Söldnerhandel und Kapregiment
ich nicht in die Akademie komme. Dieser Posten

I
hat für mein Temperament und jetzigen Grunds- n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
ätzen so viel Widerliches, dass ich meinen Ekel wuchs die Zahl der als Söldner verkauften
nicht beschreiben kann. Ich taug in keine Skla- Landeskinder erheblich an. 30.000 arme
venfabrik. Lieber als Dorfschulmeister für's Reich Schlucker, hauptsächlich aus Hessen, dienten für
Jesu arbeiten als mit dem Titel eines Professors England in den amerikanischen Kolonialkriegen.
Sklav sein und Sklaven machen. Unterwürfigkeit Nur knapp die Hälfte kehrte wieder zurück.
werd' ich mir überall gefallen lassen, und das hab' Der württembergische Herzog Carl Eugen hatte
ich gewiss in meiner vierjährigen Gefangenschaft bereits 1757, ohne Einverständnis der Landes-
gelernt, aber meinem Geist Fesseln anlegen lassen stände, 6.000 Württemberger gegen drei Millio-
und selbst Geister in Ketten legen helfen, dafür nen Gulden an Frankreich, für den Kampf gegen
behüt mich, lieber Herre Gott!“ Preußen, abgetreten. Das Land sah mit großer
Dieser Brief und die schnell populär gewordene Abneigung diese Kriegsspielereien des Herzogs
„Fürstengruft“ klangen natürlich ganz anders, als und es ging bei den Truppen die Losung um:
die Bekenntnisse eines reuigen Sünders. Schubart „Nach Böhmen bringt Er uns nicht!“ Die würt-
hatte sich wohl wieder gefangen und seine Peini- tembergischen Soldaten rebellierten und desertier-
ger genarrt. Die Nachwelt mag sich selbst darüber ten. Der Herzog ließ darauf 16 Landeskinder
ein Urteil bilden, ob Isolationshaft und religiöse standrechtlich erschießen. Einer davon war der
Gehirnwäsche bei Schubart nachhaltig gewirkt Nattheimer Christof Schmid. Jetzt ließ er eine
hatten, oder ob er sie nicht alle an der Nase her- Truppe von 2.000 Mann für die Ostindische
umgeführt hatte. Kompanie ausheben, zum Schutz derer wirt-
schaftlichen Interessen. Dieses „Kapregiment“
diente 24 Jahre. Für Nachwuchs wurde gesorgt.
Carl Eugen erhielt dafür über 400.000 Gulden.
Die Truppen waren zwar offiziell Freiwillige,
insgeheim hatte man aber ganze Dörfer umstellt
und die jungen Burschen einfach zur Unterschrift
gezwungen. Aus dem Amt Heidenheim kamen
insgesamt 58 Rekrutierte nach Übersee. 44 von
ihnen starben auf See, am Kap von Südafrika oder
in Niederländisch-Indien. Von den insgesamt
3.200 Württembergern kamen 2.300 ums Leben,
nur knapp 100 (!) sahen die Heimat wieder. Die
Mannschaft des Kapregiments war zeitweilig auf
dem Asperg stationiert. Der Gefangene Schubart
schrieb darüber:
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 22

22. Februar 1787: „Künftigen Montag geht das lichkeit; der Herr Regierungsrat und Kabi-
aufs Vorgebirg der guten Hoffnung bestimmte nettssekretarius Grimm hätten ihm und seiner
württembergische Regiment ab. Der Abzug wird betagten Mutter, die Diakonussin, ausdrücklich
einem Leichenkondukte gleichen, denn Eltern, erlaubt, Serenissimo eine untertänigste Bittschrift
Ehemänner, Liebhaber, Geschwister, Brüder, eigenhändig zu überreichen.
Freunde verlieren ihre Söhne, Weiber Liebchen, Der Hofbeamte war eben wieder und endgültig
Brüder, Freunde - wahrscheinlich auf immer. Ich dabei, den zähen Stadtschreiber zur Räson zu
hab ein paar Klagelieder auf diese Gelegenheit bringen, als auf der Steintreppe des Herzogs
verfertigt um Trost und Mut in manches zagende Durchlaucht herunterstieg - hinter ihm die lange
Herz auszugießen. Der Zweck der Dichtkunst ist, Reihe der geladenen Jagdgäste, meist Herren und
nicht mit Geniezügen zu prahlen, sondern ihre nur einige Damen. Für weitere Auseinanderset-
himmlische Kraft zum Besten der Menschheit zu zungen war es nun zu spät; es hieß Haltung ein-
gebrauchen.“ nehmen und zusehen, dass das übrige klappte.
Das „Kaplied“ und das Gedicht „Für den Trupp“ Karl Eugen schien gut aufgelegt. Er zog die
wurden in einer Broschüre gedruckt und fanden frischherbe Morgenluft in die Nase, während er
ungeheure Verbreitung. Dazu vertonte Schubart von der untersten Treppenstufe befriedigt auf die
die Verse. wohlgepflegten Pferde blickte. Aus dem Haufen
des Stadtvolks schollen vereinzelte Vivats; er
griff gnädig an das bordierte Hütchen, das unter-
Gnadengesuche nehmend auf der Perücke saß.
Just als er auf seinen Schimmel zuschritt, fiel sein

I
n seinem Schubart-Roman „In Fesseln frei“ allgegenwärtiges Auge auf den Stadtschreiber und
beschreibt Heinrich Lilienfein eine Begeg- das zittrige Frauchen, das knixte und knixte, indes
nung Carl Eugens mit Schubarts Angehöri- der Sohn, die Bittschrift in der Hand, sich wieder
gen beim Schloss Hellenstein in Heidenheim: und wieder verneigte. Das Geknixe und Geneige
störte ihn.
„Immer die alte Leier!“ knurrte er in hellem Är- „Wer ist Er?“' Die Frage flog nicht gerade freund-
ger. lich zu der Schreibersfigur hin.
„Was denn für eine Leier?“ forschte sie behutsam. „Der Stadtschreiber Schubart von Aalen“, erklärte
„Als gäbe es in meinem Staat nichts Wichtigeres mit Festigkeit und vortretend der Gefragte, „und
als diese lumpigen ‚Genies’!“ zürnte er. „Weil hier meine siebzigjährige Mutter!“
mir der eine, dieser Rebell, dieser missratene Der Name fuhr Karl Eugen wie Brechreiz in die
Rotzbub, der Schiller, allem Dank zum Trotz, aus Kehle.
dem Lande gelaufen ist, muss ich den andern Immer und überall - halt die alte Leier! Am liebs-
freiwillig aus der Faust lassen!“ Die besagte Her- ten hätte er den Rücken gewandt, aber zuviel ge-
renfaust toste auf den Tisch. „Hat sich was!“ spannte Blicke ruhten auf ihm. „Hat Er was?“
Franziska wusste, dass der Unmut, der im Grunde fragte er grob weiter.
ihr und ihrer Weigerung galt, sich so oder so ent- „Ja - ein untertänigstes Memorial meiner Mutter“
laden musste, und fühlte auch, dass ihr Herzog - die alte Frau zitterte so, daß ihr der Sohn stüt-
insgeheim bereits wieder auf dem Punkte war, wo zend den Arm umlegte. „Meinen armen Bruder,
er für seine Sorgen und Ärgernisse ihre Meinung den Gefangenen auf dem Asperg, betreffend.“
und ihr Verständnis brauchte. „Handelt es sich um „Geb' Er her!“ Der Herzog riss ihm die Bittschrift
den - Schubart?“ aus der Hand. „Er darf sich mit seiner Frau Mutter
… Am Posthaus, drunten im Städtchen, wo die hier nicht aufhalten!“ belehrte er den Stadtschrei-
Treppensteige von der Burg in die Straße münde- ber ungnädig. „Nehmen Sie, Böhnen!“ Er übergab
te, standen die Reitpferde und die Kaleschen, die die Schrift, als könnt er sie nicht schnell genug
den Herzog und Gefolge zur Jagd bringen sollten. loswerden, dem nahe stehenden Kammerherrn,
Ein schnauziger Hofbeamter und ein paar Jäger- dem er einige gedämpfte Worte sagte. Sich im
burschen hielten die neugierigen Heidenheimer in Nacken schüttelnd, wie um das unliebsame Zwi-
achtungsvoller Entfernung. Nur ein auswärtiger schenspiel abzutun, schritt er auf sein Reitpferd
Stadtschreiber im sauber gebürsteten schwarzen zu und schwang sich mit einem für seine Jahre
Rock und ein altes, silberhaariges Frauchen in flotten Ruck in den Sattel.
seinem besten Sonntagsstaat ließen sich beharr- Während das herzogliche Jagdgefolge sich in Eile
lich nicht abdrängen. Er sei der Stadtschreiber auf Pferde und Wagen verteilte, war der Aalener
Schubart aus Aalen, versicherte der im schwarzen Stadtschreiber fürsorglich bemüht, seine fast
Rock dem Hofbeamten mit standhafter Eindring- ohnmächtige Mutter beiseite zu führen. Es war
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 23

mehr ein Tragen als Führen, denn der alten Dia- (aus: Heinrich Lilienfein. In Fesseln frei. Ein
konussin war es, als käme sie von Gottes Gericht. Schubart-Roman. Stuttgart 1949, S. 438ff)
- Bereitwillig öffneten die Zuschauer beiden eine
Gasse.
„Herr Stadtschreiber!“ Es war der Kammerherr
von Böhnen, der ihnen nachlief.
Der Angerufene drehte sich um und starrte den
Hofherrn an. Was um Gottes willen war ihm und
der Mutter noch an Demütigung bestimmt? Kam
die Ablehnung des Memorials oder ein anderer
Donnerkeil des Herzog-Jupiters ihnen schon
nachgeflogen?
In Böhnens Gesicht kämpfte es mitleidig und
spöttisch. Es war beim Himmel nicht angenehm,
die guten Leutchen aus Aalen noch mehr einzu-
schüchtern. Nicht zu sagen, wie Serenissimus und
die erlauchte Base von Hohenheim den armen
Schubart, und was seinen Namen trug, zu drang-
salieren beliebten! Heraus musste es doch:
„Durchlaucht lassen dem Herrn Stadtschreiber
und Frau Mutter noch mitteilen“, sagte er mit
schonender Höflichkeit. „Sie möchten sich unter
keinen Umständen bei der Frau Reichsgräfin an-
melden lassen!“
Der Stadtschreiber brachte es bloß zu einem
stummberedten Bückling und zog seine Mutter
davon ... Als ob nicht Heu genug herunter wäre!
Als ob sie dran dächten, noch die Gräfin zu be-
mühen, um ihr Unglück voll zu machen!
Die greise Diakonussin hing immer noch schwer
am Arm des Sohnes, der dem Gasthaus zum
„Rad“ zustrebte, wo sie seit gestern ihre Unter-
kunft hatten. Die alte Frau hatte zum Glück in
ihrer verängstigten Benommenheit die Botschaft
des Herrn von Böhnen gar nicht verstanden.
„Gelt, Konrad -“, hob sie schüchtern an, um
gleich wieder zu verstummen.
„Was meint Ihr, Mutter?“ Der Stadtschreiber Schiller besucht Schubart auf dem
beugte sich zu ihr. Hohenasperg
„Gelt, Konrad - er wird doch dem Christian jetzt
die Freiheit schenken - unser gestrenger Herr
Herzog?“ Das ganz gequälte Mutterherz flehte in 1787 - Wieder gewonnene Freiheit
ihrer Frage wie in ihren nassen Augen.

S
Der jüngere Schubart war die Rechtlichkeit sel- chiller war 1782 aus Württemberg geflo-
ber. Er konnte nicht lügen und mochte doch auch hen und Schubart war inzwischen zu einer
der Mutter, die sich den Bittgang hatte so sauer Legende geworden. Die ungeheure Wir-
werden lassen, nicht jede Hoffnung rauben. kung und Verbreitung der „Fürstengruft“, sowie
„Geb's Gott, dass ich's noch erleb’!“ sagte die die Tatsache, dass Schubart unrechtmäßig inhaf-
Alte matt und tonlos, als die Antwort auf sich tiert war, hatten ihn im ganzen Deutschen Reich
warten ließ. bekannt gemacht. Überall wurden seine Gedichte
Geb's Gott, dass es der Bruder noch erlebt! schrie gedruckt, sogar legal in Württemberg. Für den
es in dem Stadtschreiber. Er musste sich schier Herzog war dies sogar ein Geschäft, denn für die
die Zunge abbeißen, dass er's nicht herausschrie. Werke Schubarts strich er 2.000 Gulden ein und
Er dachte an den Christian auf dem Asperg, zu- überließ dem Autor nur 1.000 Gulden von den
allermeist, der dort nach Menschendenken für Einnahmen. Zahlreiche Prominente setzten sich
immer lebendig begraben war ... für die Freilassung Schubarts ein: Lavater, Goe-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 24

the, Campe, der Markgraf von Baden und mehrere tion wieder mit den Franzosen aus, die er oft ge-
Prinzen deutscher Herrscherhäuser. nug angegriffen hatte, „und blieb der Sache der
Am 11. Mai 1787, nach zehn Jahren und vier Freiheit, unter allen Stürmen und Umschlägen,
Monaten, wurde Schubart aus der Haft entlassen. unerschütterlich treu.“
Er erhielt als Gnadenbrot eine Stelle als Stuttgar- In seinen letzten Lebensjahren, als Stuttgarter
ter Hofpoet, Musik- und Theaterdirektor. Ein Schauspiel- und Operndirektor, konnte Schubart,
Staatsfeind im Staatsdienst war wohl weniger obwohl gesundheitlich schon schwer angeschla-
gefährlich als ein emigrierter politischer Journa- gen, viel Nützliches vollbringen. Auf sein Wirken
list. Der inzwischen 48jährige Schubart war indes führte man um 1800 zurück, dass Schulmeister
froh erstmal einen Beruf zu haben. Er genoss die und Organisten in Württemberg respektable
wieder gewonnene Freiheit und reiste in einem Kenntnisse im Instrumentenspiel und in zeitge-
Triumphzug durch die Orte seines Wirkens: Geis- nössischer Musik besaßen. Unter seiner Theater-
lingen, Ulm, Aalen. direktion ging auch erstmals 1788 eine Mozart-
Oper über die Stuttgarter Bühne, obwohl der da-
Unbeugsamer Schubart malige Kapellmeister Agostino Poli als entschie-
dener Mozart-Gegner galt. „Die Hochzeit des
Figaro“ war zudem ja gerade das beste zeitgenös-
sische Bühnenwerk mit überdeutlicher antifeuda-
ler Tendenz und Satire. Zudem erschienen mehre-
re Werke und Liedsammlungen Schubarts.
Schubart, gesundheitlich geschwächt durch seine
lange Haftzeit, seelisch arg in Mitleidenschaft
gezogen, unter Melancholie und Depressionen
leidend, allesamt Folgen von Gehirnwäsche und
Haft - aber dennoch als ein ungebeugter bürgerli-
cher Rebell - starb am 10. Oktober 1791 an
„Schleimfieber“, im Alter von nur 52 Jahren.
Begraben wurde er auf dem Hoppenlau-Friedhof
in Stuttgart.

S
echs Wochen nach seiner Entlassung er-
schien auch wieder seine Zeitung, jetzt als
„Vaterländische Chronik“, später als „Va-
terlandchronik“, dann ab 1790 nur noch als
„Chronik“. Bereits die erste Nummer machte ihm
Schwierigkeiten, wie könne es auch anders sein?
In den vier Jahren, die Schubart noch verblieben,
brachten seine kritischen Berichte unentwegt Pro-
teste der Regierungen von Dänemark, Österreich,
Preußen, Sachsen usw. 1788 wurde die Chronik in
Pfalzbayern verboten, betrieben von katholischen
Fanatikern. Schubart schrieb wütend an seinen
Bruder: „Der abscheuliche Bigott Zoglio, ein
stinkendes Exkrement Ihro päpstlichen Heiligkeit
(d.i. der päpstliche Nuntius), hat dieses Verbot
veranlasst.“
Wenn die Chronik auch nicht mehr ganz an die
Schärfe der Vor-Asperg-Zeit heranreichte, so
blieb sie dennoch ein hervorragendes Blatt. Die
Auflage stieg ständig. Begeistert begrüsste
Schubart darin den Ausbruch der Französischen
Revolution. Nach dem Zeugnis seines Sohns,
söhnte Schubart sich mit dem Beginn der Revolu-
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 25

Wilhelm Ludwig Wekhrlin und was sonst so am Wegesrand lag. Treffend


skizzierte er alles, was ihm an sozialer Unterdrü-
ckung, politischer Willkür und religiöser Intole-
ranz begegnete und warf dies mit spitzer Feder
und deutlicher Anklage aufs Papier.
„Das obere Schwaben. Es besteht aus tausend
kleinen Völkern, wovon jedes seinen eigenen
Herrn hat und die in ihrer Kleidertracht, in ihren
Gesetzen, in der Religion und in der Sprache
ebenso verschieden sind als in ihren Regierungs-
formen ... Die Bewohner wissen sehr wenig, ob
der Staat ein gemeinschaftliches Oberhaupt hat
oder ob er von Ungefähr regiert wird. Sie würden
den Namen des Landesherrn nicht kennen, wenn
sie ihn nicht zuweilen an der Spitze der Steuerpa-
tente nennen hörten. Zur Unterdrückung geboren,
erhebt sich ihr Geist, welches durch das Elend in
der Unwissenheit und durch die Unwissenhait im
Elende erhalten wird, nicht von der Erde ... Die
Kinder wachsen unter der Hand der Vorsicht auf

N
wie die Pilsen. Wenn sie groß werden, so werden
eben Schubart erlangte Wilhelm Ludwig sie von ihren Landesherren in die Dienste fremder
Wekhrlin (1739-1792) als Journalist in Höfe verkauft, oder sie wandern kolonieweis
dieser Zeit große Bedeutung. aus.“
Der am 7. Juli 1739 in Botnang, als Sohn eines

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Landpfarrers, geborene Wekhrlin, hatte nach dem n Nördlingen erschien seine Zeitschrift „Das
Gymnasium Jura studiert, sich in verschiedenen Felleisen“. Der unliebsame Publizist wurde
deutschen Städten, Strassburg, Paris und Wien, aber ausgewiesen und fand im benachbarten
als Schreiber, Hofmeister und Journalist durchge- Fürstentümchen Öttingen-Wallerstein, im Dorf
schlagen. Reisen hatten ihn auch nach Italien und Baldingen, Unterschlupf. Jetzt erschienen die
Ungarn geführt. Zeitschriften „Chronologen“ (1779-1781) und
Der Aufenthalt in Frankreich muss ihn sehr ge- „Das graue Ungeheuer“ (1784-1787). In seinen
prägt haben. Die französischen Enzyklopädisten, Vorworten legte er seine Haltung fest:
die Wegbereiter der Französischen Revolution, „Es gehört nicht viel Verstand dazu, von der herr-
und Voltaire wurden zu seinen Vorbildern. Da er schenden Meinung zu sein: aber es verrät ein gro-
es diesen Aufklärern gleich tun wollte, kam er ßes Maß, von einer Meinung zu sein, wozu sich
schnell mit der Zensur und Polizei in Konflikt, die Welt erst nach dreißig Jahren bekennen wird.“
lernte Ausweisungspraktiken und Haftbedingung
kennen. Trotzdem gab er nicht auf, schrieb Sati- Eine Hauptstossrichtung war die Auseinanderset-
ren und gründete sechs Zeitschriften, deren Texte zung mit religiösem Dunkelmännertum und kleri-
er überwiegend selbst verfasste. In der „Chronik“ kaler Reaktion. Der Freigeist Voltaire galt ihm als
schrieb Schubarts Sohn Ludwig, über den am 24. Vorbild:
November 1792 verstorbenen Wekhrlin, als „Voltaire: dessen kühne Hand
Nachruf: des Aberglaubens Thron minierte
„Wer einen ausgezeichneten Kopf zu schätzen und der, im komischen Gewand
weiß, der beklagt ihn gewiss. Wekhrlin ... wirkte des Scherzes, Lügen persiflierte;
... mit seinen Schriften weit mehr auf das Publi- dem heitere Philosophie
kum als hundert gelehrte Kompedienschreiber, des Satirs scharfe Feder führte,
denn er besaß reiche Kenntnisse, Kühnheit und dem Witz und reiche Fantasie
eine gefällige, oft hinreisende Darstellungsgabe.“ im Stil der Grazien diktierte;

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Dir, der der Vorurteile Joch
on Nördlingen aus erschienen seine wich- zerbrach - wie wenig' wagten's noch
tigsten Schriften. So „Des Anselmus Rabi- von unsern sonst so biedern Teutschen
osus Reise durch Oberdeutschland“ (er- aus Furcht vor Kerker und vor Peitschen!
schienen 1778). Er beschrieb darin seine Fahrt Die weihest eine deutsche Muse
durch Bayern, Schwaben, Württemberg, Baden ihr Lied - der Achtung Zeugnis nur -.“
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 26

V F
oltaire gleich, nimmt Wekhrlin Stellung ür Wekhrlin hagelte es Vorladungen und
gegen Hexenprozesse und Klassenjustiz, Verbote, Auslieferungsanträge, auf ihn
gegen Verfolgung von Freimaurern und ausgesetzte Kopfgelder, öffentliche Ver-
Illuminaten, gegen Verketzerung von Atheisten brennungen missliebiger Stücke seiner Zeitschrift.
und Materialisten. Er engagiert sich in der Debat- Ab 1787 wird er in Wallerstein gefangen gesetzt,
te um Spinoza und äußerte seine Überzeugung, allerdings unter so günstigen Bedingungen, die
„dass es weniger gottlos ist, keinen Gott zu glau- ihm die weitere Herausgabe seiner Zeitschriften
ben als einen theologischen.“ ermöglichen. 1788 erschienen seine „Hyperborei-
schen Briefe“ und 1790 seine „Paragraphen“.

K
rasser als seine Ablehnung der Religion, Seine Haftbedingungen ermöglichen ihm sogar
war seine Abscheu vor der Kirche als kleinere Reisen und „Urlaube auf Ehrenwort“.
Institution. Er wurde nicht müde, auf den
Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklich- 1792 reist er ins revolutionäre Frankreich und
keit hinzuweisen. Von der Spielhölle Spaa im bekundete seine Genugtuung, „Zeuge von dem
Bistum Lüttich berichtete er: „Von der Million Umschwung in Frankreich zu sein, von wo aus
Taler, welche die Bank als reinen Gewinn jährlich der erste Nationalkondex und vielleicht die An-
rechnet, kommt ein Zehntel an die Croupiers, fangslinien zu einem wahren, der Gesellschaft
zwei Zehntel an die Unternehmer, ein Zehntel an anpassenden Gesetzsystem datieren dürften“.
die Unterhaltung der Brunnen, ein Zehntel an die Seine gewonnenen Eindrücke bestärkten ihn in
Polizei, ein Zehntel an zufällige Ausgaben und seiner Parteinahme für die Revolution, jetzt auch
vier Zehntel an Pensionen. - Und an die Armut? - in Deutschland. Zurückgekehrt gab er die „Ans-
Nichts! ... Ein Bischof und eine Herde Apostel bacher Blätter“ heraus. In Ansbach, das zu Preu-
beschützen die abscheulichste Sittenverderbnis ßen gehörte, wurde er als „jakobinischer Agent“
öffentlich. In einem der Religion geweihten Lan- verhaftet. Kurz nach seiner Verhaftung, nicht
de sieht man Ausschweifungen, die der unpoli- zuletzt aus „Wut und Gram“, ereilte ihn am 24.
zierteste weltliche Staat nicht dulden würde ... Nie November 1792 sein plötzlicher Tod.
hat sich das Christentum mehr widersprochen als
zu Spaa. Nie hat es mehr zu verstehen gegeben,
dass die sogenannte Kirche nichts als ein System
der Heuchelei ist; dass Christentum, Religion,
Heiligkeit bloße Schallwörter sind, diejenigen zu
betrügen, die sich dadurch fangen lassen wollen;
und dass die Religiosität von Ewigkeit nur eine
Larve war, das Wohlleben, den Wucher, den
Raub desto sicherer zu treiben“.

Ü
ber das Verhältnis von Kirche und Staat
urteilte er: „Der Grundsatz, dass der Staat
nicht ohne Religion bestehen könne, ist
ein Steckenpferd für Tyrannen, welche kein ande-
res Vehikel haben, sich zu behaupten. Fällt dieses
Pferd um, so hört der Sohn auf, Tyrann zu sein.
Die Gesetzgebung verändert ihre Achse. Das an
der Leine führen und das Häckerlinnfüttern in der
politischen Reitschule kommt ab. Dies dürfte
allerdings eine wichtige Epoche, nämlich die
Epoche des Völkerglücks, der tugendhaften Re-
gierungen, der Menschenfreiheit und der Harmo-
nie der Gesetze sein.“
[Eine etwas idealistisch anmutende Formulierung
für die noch heute (!) nicht eingelöste politische
Forderung nach konsequenter Trennung von Kir-
che und Staat.]
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 27

Auswahl von Schubarts Mir drohten oft Geschütze


Liedern, Gedichten und Schriften: den fürchterlichsten Tod;
trank oft aus einer Pfütze
und aß verschimmelt Brot;
Heimkehr aus dem Kriege
sah manchen Kameraden
an meiner Seite tot,
musst' oft im Blute waden,
wenn es mein Herr gebot.

Bedeckt mit dreizehn Wunden,


an meine Krück' gelehnt,
hab' ich zu manchen Stunden
mich nach dem Tod gesehnt.

Und da er mich verschonst,

M
it jammervollen Blicken, werd' ich - noch fern vom Grab,
von tausend Sorgen schwer, für Kampf und Schmerz belohnet
hink' ich an meinen Krücken mit diesem Krückenstab.
in weiter Welt umher.
Nur wenn dem Vaterlande
Ich war ein froher Krieger, ein Feind mit Kriegesnot,
sang manch Soldatenlied, und unserm Volk die Schande
ich war ein stolzer Sieger, der Unterdrückung droht -
jetzt - bin ich Invalid.
dann, Kinder, greift zum Schwerte!
Weiß Gott, hab' viel gelitten, Dann schont nicht Blut, nicht Feu'r!
und hab' so manchen Kampf Dann reiniget die Erde
in mancher Schlacht gestritten, von solchem Ungeheu'r!“
gehüllt in Pulverdampf.

Stand oft in Sturm und Regen, Der Text des Liedes geht auf ein Gedicht von
in finstrer Mitternacht, Chr. F. D. Schubart zurück, das er im Gefängnis
bei Blitz und Donnerschlägen Hohenasperg 1781 geschrieben hatte. Das Lied
so einsam auf der Wacht. gegen den Söldnerdienst wurde vom Volk immer
wieder in neuen Fassungen und Varianten gesun-
Nun bettl' ich vor den Türen, gen und war weit verbreitet.“ Textfassung: Th.
ich armer lahmer Mann, Friz/E. Schmeckenbecher
doch ach, wen kann ich rühren,
wer nimmt sich meiner an?
Das Kaplied
Sie schelten mich, den Kranken
und spotten meiner Not,
und innig muss ich danken
für ein Stück hartes Brot.

Ihr Kinder, bei der Krücke,


an der mein Leib sich beugt,
bei diesem Trauerblicke,
der sich zum Grabe neigt,

beschwör ich euch, ihr Söhne,


o flieht der Trommel Ton,

A
der Kriegstrompeten Töne,
uf, auf! ihr Brüder und seid stark,
sonst kriegt ihr meinen Lohn.
Der Abschiedstag ist da!
Schwer liegt er auf der Seele, schwer!
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 28

Wir sollen über Land und Meer


Ins heiße Afrika. Wir leben drauf in fernem Land
Als Deutsche brav und gut.
Ein dichter Kreis von Lieben steht, Und sagen soll man weit und breit,
Ihr Brüder, um uns her; Die Deutschen sind doch brave Leut,
Uns knüpft so manches teure Band Sie haben Geist und Mut.
An unser deutsches Vaterland,
Drum fällt der Abschied schwer. Und trinken auf dem Hoffnungskap
Wir seinen Götterwein;
Dem bieten graue Eltern noch So denken wir, von Sehnsucht weich,
Zum letzten Mal die Hand; Ihr fernen Freunde, dann an Euch;
Den kosen Bruder, Schwester, Freund; Und Tränen fließen drein.
Und alles schweigt, und alles weint,
Totblaß von uns gewandt.
Soldatenschicksal
Und wie ein Geist schlingt um den Hals
Das Liebchen sich herum:
Willst mich verlassen, liebes Herz,
Auf ewig? und der bittre Schmerz
Macht's arme Liebchen stumm.

Ist hart! drum wirble du, Tambour,


Den Generalmarsch drein.
Der Abschied macht uns sonst zu weich,
Wir weinten kleinen Kindern gleich;
Es muss geschieden sein.

Lebt wohl, ihr Freunde! Sehn wir uns


Vielleicht zum letzten Mal;
So denkt, nicht für die kurze Zeit,
Freundschaft ist für die Ewigkeit,
Und Gott ist überall.

O
An Deutschlands Grenze füllen wir wunderbares Glück!
Mit Erde unsre Hand, Denk doch einmal zurück:
Und küssen sie, das sei der Dank Was hilft mir mein Studieren,
Für deine Pflege, Speis und Trank, viel Schulen absolvieren?
Du liebes Vaterland! Bin doch ein Sklav, ein Knecht.
O Himmel ist das recht?
Wenn dann die Meereswoge sich Schildwache muss ich stehn,
An unsern Schiffen bricht, davon darf ich nicht gehn.
So segeln wir gelassen fort; Ja, wenn die Runde käme,
Denn Gott ist hier und Gott ist dort, und sie mich nicht vernähme,
Und der verlässt uns nicht! so heißt es: „In Arrest
geschlossen hart und fest!“
Und ha; wenn sich der Tafelberg
Aus blauen Düften hebt, Vor diesem konnt' ich gehn,
So strecken wir empor die Hand, so weit mein Aug' mocht' sehn;
Und jauchzen: Land! ihr Brüder, Land! jetzt hat sich's ganz verkehret,
Dass unser Schiff erbebt. die Schildwach mir verwehret
den freien Lauf ins Feld:
Und wenn Soldat und Offizier O du verkehrte Welt!
Gesund ans Ufer springt, Schildwache muss ich stehn,
Dann jubeln wir, ihr Brüder, ha! davon darf ich nicht gehn.
Nun sind wir ja in Afrika. Ja, wenn die Runde käme,
Und alles dankt und singt. und sie mich nicht vernähme,
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 29

so heißt es: „In Arrest Ein Trieb zur Grossmut plötzlich an.
geschossen hart und fest!“ „Komm“, sprach der gnädige Tyrann
Zu allen Tieren, die in Scharen
Des Morgens um halb vier, Vor seiner Majestät voll Angst versammelt wa-
da kommt der Unteroffizier, ren;
der tut mich kommandieren „Komm her, beglückter Untertan,
vielleicht zum Exerzieren; Nimm dieses Beispiel hier von meiner Gnade an!
hab nicht geschlafen aus, Seht, diese Knochen schenk' ich euch!“
muss doch zum Bett heraus. „Dir“, rief der Tiere sklavisch Reich,
Dann kommt der Herr Sergeant, „Ist kein Monarch an Gnade gleich!“
befiehlet von der Hand: Und nur ein Fuchs, der nie den Ränken
„Polieret eure Taschen Der Schüler Machiavells geglaubt,
und wichset die Gamaschen, Brummt in den Bart: „Hm, was man uns geraubt,
den Pallach blank poliert, Und bis auf's Bein verzehrt, ist leichtüch zu ver-
dass man kein' Fehler spürt!“ schenken!“

Nun sieht uns der Offizier


und sagt uns mit Manier: Der Wolf und der Hund
„Wirst du nicht deine Sachen

Z
in Zukunft besser machen, um Hunde, der die ganze Nacht
so wird der Gassenlauf An seiner Kette zugebracht
unfehlbar folgen drauf!“ Und, wann der Tag zu grauen fing,
Nun Brüder, habt Geduld! Aufs Gay mit seinem Metzger ging,
Wer weiß, wer hat's verschuldt, Sprach einst ein Wolf: Herr Bruder, wie so mager,
dass wir so exerzieren, So schäbicht und so hager!
mit steifen Knien marschieren Du armer Hund!
n diesem Sklavenhaus! Da sieh mich an, wie froh und wie gesund
Ach, wär ich einmal raus! Ich bin! - Ich rieche nach der Luft.
Mein Wolfsbalg atmet frischen Duft,
Ich fresse dir mit gleicher Lust, Herr Bruder,
Frischlin Bald frisches Fleisch, bald Luder,
Denn leck ich klaren Quell und bin

W
o liegt Frischlin, der Bruder meines Den ganzen Tag von frohem Sinn. -
Geistes, Du aber, ach! versetzte Melak, ach!
Wo scharrten sie des Edeln Asche hin? Herr Bruder, nur gemach;
Wo ist sein Grab mit stillem Moos bewachsen? Drum bist du Wolf, ich Hund - du frei.
Wo liegt Frischlin? Ich aber in der Sklaverei.

Er schlummert nun - vielleicht auf einem Anger! Und die Moral? - o die ist jedermann bekannt
Denn Fürstenhass lag auf ihm Hügelschwer. In Deutschland und in Engelland.
Und Pfaffen brüllten über seiner Leiche:
Verdammt ist er! Erschienen im 1. Stück der „Deutschen Chronik“
1774. [Gay - Gau, altertümlich für Land im Ge-
Auf der Festung Hohenurach wurde 1590 gensatz zur Stadt. Auf den Gau gehen: in Würt-
Nicodemus Frischlin, der Humanist eingekerkert. temberg bei den Fleischern gebräuchlich gewesen
Bei einem nächtlichen Fluchtversuch stürzte er ab für: Auf das Land reisen, um Schlachtvieh einzu-
und fand den Tod. Schubart gedenkt seiner in dem kaufen.]
Gedicht, das er in den zweiten Band seiner Ge-
dichte aufnahm.
Auf eine Bastilletrümmer
von der Kerkertüre Voltaires
Der gnädige Löwe

D
ank dir, o Freund, aus voller Herzensfülle

D
er Tiere schrecklichsten Despoten Für die Reliquie der gräulichen Bastille,
Kam unter Knochenhügeln hingewürgter Die freier Bürger starke Hand
Toten Zermalmend warf in Schutt und Sand.
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 30

Einige politische Texte aus der „Chronik“:


Zertrümmert ist die Schauerklause,

J
Die einst, o Voltaire, dich in dumpfe Nacht ver- ener Mönch war zu faul oder zu dumm, sein
schloss. Gebet aus dem Herzen zu verrichten. Er
Kein Holz, kein Stein, kein Nagel bleibe von dem betete demnach alle Nacht das ABC und
Hause, setzte hinzu: Nun, lieber Gott! setz die Buchsta-
Wo oft der Unschuld Zähre sich ergoss! - ben selber zusammen. Fast möcht ich's ebenso
machen, wenn nur meine Leser Geduld genug
Drum, Biedermann, empfange meinen Segen hätten, sich ihre Neuigkeiten aus dem Alphabet
Für diese Trümmer, die du mir geschickt, selber herauszuheben. Hier sind die wenigen ein-
Sie ist mir teurer als ein goldner Degen, gegangenen Neuigkeiten: Lissabon errichtet dem
Womit einst ein Tyrann die Freien unterdrückt. verstorbenen Papst, wegen Aufhebung der Jesui-
ten, eine Ehrensäule. In Italien und in vielen Or-
ten Deutschlands hat man ihm deswegen, wo
Der exemplarische Prediger nicht öffentlich, doch heimlich, eine Schandsäule
errichtet; so verdammt der eine, was der andere

P
athetisch predigt Stax: Ihr Leute, stehlet preist ...
nicht, Die ehmaligen Jesuiten haben nun zu Mainz die
Lasst jedem, was er hat, wie es die Schrift Predigtstühle wiederum bestiegen. Auch die
befohlen. Schulanstalten werden wieder nach dem Plane
Doch was er geistreich sagt, das tut er selber dieser Herren gemacht. In Köln zeigen sich eben-
nicht; falls für den Jesuiterorden sehr günstige Aspek-
Die ganze Predigt war gestohlen. ten. Kurz, die unendlich feine Politik dieser Her-
ren hat sie hier und dar wieder zum Ansehen ge-
bracht. (Aus dem 66. Stück vom 14. November
Palinodie 1774)

W
ie? Staxens Predigt wär gestohlen?

K
Verleumdung ist's! Ich sag es frei! irchenstaat. In Italien werden jetzt die
Er ließ, ich selber stund dabei, Freiheiten der Geistlichkeit, die sie zu
Für bares Geld sie aus dem Laden holen. einem Kreis ausdehnten, der oft 's obrig-
keitliche Ansehen verschlang, sehr eingeschränkt.
Neapel, Turin, Florenz, Venedig erteilen jetzt
An einen Kritikaster solche Verordnungen, die die Gewalt der Geistli-
über Goethes Text: Schlagt den Hund tot, er ist chen ganz auf Betstuhl, Kanzel, Altar und Stu-
ein Rezensent dierzimmer reduzieren. - Kreise, die weit genug
sind für Seelen, die Ehrgeiz und Herrschsucht

W
er nichts als deinen Geifer kennt, nicht schwindlicht macht. Aber die Geistlichkeit
Der echt Verdienst zu stürzen brennt, ist mit diesen Verordnungen nicht zufrieden; sie
Ruft: der verfluchte Rezensent! nennt jeden einen Ketzer, Freigeist, Atheisten, der
Schlagt tot den Hund! schlagt tot! sich ihrer Macht widersetzt. - Es ist eine alte Ma-
Wer aber deine Ohnmacht kennt, xime der Geistlichen, die jetzt sogar der Pöbel
Wer weiß, du schimpfst ums liebe Brot, merkt, dass sie über Eingriffe in die ganze christ-
Sagt: mit dem Schlingel hat's nicht Not! liche Religion schreien, wenn man diese Herren,
Lasst ihn nur leben, er ist tot! sobald sie's verdienen, etwas unsanft bei der
Halskrause packt. Und doch brauchen sie diese
Maxime noch immer, sie sollten's doch 'nmal wie
'n abgetragnen Rock in die Lumpenkammer wer-
fen. (Aus dem 21.Stück vom 11.März 1776)

H
ier ist eine Probe der neuesten Menschen-
schatzung! - Der Landgraf von Hessen-
Kassel bekommt jährlich 450.000 Taler
für seine 12.000 tapfere Hessen, die größtenteils
in Amerika ihr Grab finden werden. Der Herzog
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 31

von Braunschweig erhält 65.000 Täler für 3.964 Und Städt und Länder zu verheeren;
Mann Fußvolks und 360 Mann leichter Reuterei, Dies ist die hohe Wissenschaft,
wovon ohnfehlbar sehr wenige ihr Vaterland se- Die Thraso Ehr und Reichtum schafft.
hen werden. Der Erbprinz von Hessen-Kassel gibt Er hat des Tigers Grausamkeit,
ebenfalls ein Regiment Fußvolk ab um den Preis Des Wolfes Raubbegierd, die List
von 25.000 Täler. 20.000 Hannoveraner sind be- Des Fuchses, eines Hundes Neid,
kanntlich schon nach Amerika bestimmt und Nicht seine Treu und Tapferkeit,
3.000 Mecklenburger für 50.000 Täler auch. Nun Und keines Menschen Herz - er ist
sagt man, der Kurfürst von Bayern werde eben- Ein trefflicher Kameralist.
falls 4.000 Mann in englischen Sold geben. Ein
fruchtbarer Text zum Predigen für Patrioten, de-
nen 's Herz pocht, wenn Mitbürger das Schicksal An den Haps
der Negernsklaven haben und als Schlachtopfer in

S
fremde Welten verschickt werden. (Aus dem 25. prichst stets von deiner Redlichkeit
Stück vom 25. März 1776) Treu, gut Gewissen, Frömmigkeit.
Pfui, Haps, musst das nicht tun!
Lass doch die Toten ruhn.

E
ine Sage. Der Herzog von Württemberg
soll 3.000 Mann an Engeland überlassen,
und dies soll die Ursache seines gegenwär- An die Freiheit 1789
tigen Aufenthalts in London sein. !!! (Aus dem

O
26. Stück vom 28. März 1776) Freiheit, Freiheit! Gottes Schoss entstie-
gen,
Du aller Wesen seligstes Vergnügen,
An die Herrscher der Erde An tausendfachen Wonnen reich,
Machst du die Menschen Göttern gleich.

S
oll wieder unsre Welt im Blute schwim-
men, Wo find' ich dich, wo hast du deine Halle?
Weil euer Herrscherstolz gebeut, Damit auch ich anbetend niederfalle,
Und euer Donnerruf die Stimmen Dann ewig glücklich - ewig frei
Der Friedenssöhne überschreit? Ein Priester deines Tempels sei.
Ach schrecklich ist's, der Menschen Mark ver-
geuden Einst walltest du so gern in Deutschlands Hainen,
Und mit der Würgehand Und ließest dich vorn Mondenlicht bescheinen,
Umwühlen in der Menschen Eingeweiden, Und unter Wodanseichen war
Vom Schlachtendurst entbrannt! Dein unentweihtester Altar.
Steckt eure Schwerter in die Scheide,
Lasst eure Donnerschlünde ruhn! Es sonnte Hermann sich in deinem Glanze,
Gibt's größern Ruhm, gibt's reinre Freude, An deine Eiche lehnt' er seine Lanze,
Als Friede geben, Gutes tun? Und ach, mit mütterlicher Lust
Nahmst du den Deutschen an die Brust.

Fürsten Bald aber scheuchten Fürsten deinen Frieden,


Und Pfaffen, die so gerne Fesseln schmieden;

I
hr Fürsten, einstens im Gedränge Da wandtest du dein Angesicht -
Der unzählbaren Menschenmenge, Wo Fesseln rasseln - bist du nicht.
Wird mancher unter euch noch an der Seite
stehn, Dann flogst du zu den Schweizern, zu den Britten;
Die ihr mit Hohn - als Bettler habt gesehn. Warst seltner in Palästen, als in Hütten;
Auch bautest du ein leichtes Zelt
Dir in Kolumbus neuer Welt.
Thraso
Und endlich, allen Völkern zum Erstaunen,

D
er Untertanen Last erschweren, Als hätt' auch eine Göttin ihre Launen,
Um seines Fürsten Schatz zu mehren; Hast du dein Angesicht verklärt
An keinen Jammer sich zu kehren Zu leichten Galliern gekehrt.
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 32

An Ihro Gnaden Verführer mit der Angel!


Sonst blutet ihr zu spät.

E
s kennen Ihro Gnaden
Redouten, Maskeraden,
Die Prüden und Koquetten
An ihren Toiletten.
Sie sprechen mit der Base
Französisch durch die Nase,
Sie können Deutschland schimpfen;
Vornehm, mit Naserümpfen;
Den Bürger stolz verachten,
Und, die nach Weisheit trachten,
Bestraft Ihr kühner Tadel? -
Mein Seel'! Sie sind von Adel!

Dies Gedicht ist nur als zeitgenössischer Einzel-


druck erschienen und konnte von Schubart wegen
der scharfen Gesellschaftskritik nicht in die Aka-
demieausgabe aufgenommen werden.

Die Forelle

I
n einem Bächlein helle,
Da schoss in froher Eil'
Die launige Forelle
Vorüber wie ein Pfeil.
Ich stand an dem Gestade
Und sah in süsser Ruh'
Des muntem Fisches Bade
Im klaren Bächlein zu.

Ein Fischer mit der Rute


Wohl an dem Ufer stand, Dieses Gedicht wurde als Lied in der Vertonung
Und sah's mit kaltem Blute, von Franz Schubert (1797-1828) weltbekannt.
Wie sich das Fischlein wand. Schubert ließ die moraldidaktische und künstle-
So lang dem Wasser ' Helle, risch stark abfallende 4. Strophe weg. Auch
So dacht' ich, nicht gebricht, Schubart selbst vertonte sein Gedicht.
So fängt er die Forelle [Launisch: Da unter „launisch“ die üble, schlechte
Mit seiner Angel nicht. Laune verstanden, von Schubart hier aber das
heitere Naturell charakterisiert wird, änderte es
Doch plötzlich war dem Diebe sein Sohn Ludwig später mit Recht in „launig“]
Die Zeit zu lang. Er macht
Das Bächlein tückisch trübe,
Und eh' ich es gedacht, Friedensgöttin komm, ich flehe
So zuckte seine Rute,

F
Das Fischlein zappelt dran, riedensgöttin komm, ich flehe
Und ich mit regem Blute Dir mit hochgehobner Hand,
Sah die Betrogne an. Komm herab von deiner Himmelshöhe,
Dich bedarf mein armes Vaterland.
Die ihr am goldnen Quelle
Der sichern Jugend weilt, Sieh, im Maienmonde wollen
Denkt doch an die Forelle; Heere ziehen in das Feld.
Seht ihr Gefahr, so eilt! Wie sie schon die Augen blutig rollen,
Meist fehlt ihr nur aus Mangel Zu verheeren eine ganze Welt!
Der Klugheit. Mädchen, seht
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 33

Freude flieht vor Mavors Rufe, Wer schmeichlen, kriechen, heuchlen kann,
Der sich schlachtendurstig naht; Der ist bei euch ein braver Mann.
Seiner kriegerischen Rosse Hufe
Stampfen, knicken unsre Frühlingssaat Ihr haschet nur nach Rauch und Dunst
Und nicht nach Wissenschaft und Kunst;
Blumen sterben, wo die Sohle Drum gilt bei euch der Gauch und Tropf
Eines ehrnen Kriegers geht; Mehr als der Weise und der Kopf.
Traurig liegt das Röschen, die Viole, Der Jüngling sitzt beim Wein so kalt,
Jedes Blümchen auf zertretnem Beet. Als wär er achtzig Jahre alt
Und säße auf der Alpen Höh
O so komm, du Friede, nieder, Mit blossem A ... im ew'gen Schnee.
Sänftige der Krieger Sinn. Ist's Wunder, wenn man euch entehrt,
Tausend Deutsche, alle brav und bieder, Als wenn ihr Yahoo wärt?
Grüssen dich, du Himmelskönigin.
Schnipst euch der Sachs und Brenne doch
[Mavor: anderer Name für den römischen Kriegs- Verächtlich unters Nasenloch.
gott Mars] O denkt einmal im Ernste nach,
Was einst Bohemus von uns sprach:
Der Schwabe wird erst spät gescheit.
Die Welt ist nun des Menschenmordens Ach denkt daran, 's ist hohe Zeit.
müde Seid klug, schon vor den vierzig Jahren,
Wie's eure braven Väter waren.

D
ie Welt ist nun des Menschenmordens Wie schön, wenn einst der Enkel spricht:
müde; Die Narrenkappe passt mir nicht.
Die Krieger ziehn aus finsterrn Streit.
Vom Himmel kommt - sein schönster Sohn, der (Erschienen im 19. Stück der „Deutschen Chro-
Friede, nik“ 1775). [Yaboo - (engl.) etwa Viehkerl, nach
Und mit ihm kommt die Fruchtbarkeit. Swifts Roman „Gullivers Reisen', in dem die
Es neigen sich vor ihm die ährenschweren Halme, Yahoos ekelhafte Tiermenschen sind. Brenne -
Die nun kein Pferdehuf zerknickt. Preusse; Bohemuf - Möglicherweise ist hier von
Schubart ein anekdotischer Ausspruch des schwä-
Und weit herum ertönen Friedenspsalmen bischen evangelischen Theologen Johann Fried-
Und Volksgesänge hochentzückt. rich Bertram gemeint.]
O seid es wert, ihr, Deutschlands Bürger,
Durch Tugend seid des Friedens wert.
Dass Mavors nicht, der höllentflohne Würger Märchen
Auf ewig euer Land verheert.

E
s starb einmal ein Bäuerlein
Sein Engel, hell, wie Sonnenschein,
An die Schwaben Mit einem güldnen Stabe wies
Dies Bäuerlein zum Paradies.

I
hr lieben Schwaben insgesamt,
Wenn noch ein Fünklein in euch flammt Es ging an den bestimmten Ort
Von Ahnenglut, so höret mich; Auf einer Morgenröte fort;
Dann biderb, frei und deutsch bin ich. Kam an das Tor von Diamant,
Unüberwindlich groß und stark, Und klopfte sittsam mit der Hand.
In ihrer Knochen Löwenmark,
War eurer großen Väter Art; St. Peter hütete die Tür Und schrie:
jetzt seid ihr zärtlich, winzig, zart, „Nun, wer ist wieder hier?“
Tragt statt der Waffe Degelein
Mit Bändern dran, gar hübsch und fein, „Ich bin ein armer Bauersmann,
Und sprecht mit eurem lieben Sohn Der auf der Erde nichts getan
Franzosensprach im Nasenton. Als seine Felder angebaut,
Ihr lauft verbuhlt um eure Weiber, Mit einem Weibe sich getraut,
Wie Maulwurf, Sperling oder Täuber, Die mir zum Stecken und zum Stab
Wer Komplimente schneiden kann, Ein Dutzend derbe Buben gab.
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 34

In meinem Leben gab ich gern „Sahst du's dann nicht“, sagt Peter drauf,
Die Steuern meinem gnäd'gen Herrn; „Ein frommer Priester schwebt' herauf?
Ich glaubte, was der Pfarrer sprach, Drum hat ob seiner Seligkeit
Kam treulich seinen Lehren nach, Der Himmel solche große Freud!“
Und zahlt' ihn redlich, wie mich deucht, „So müssen“, fiel der Bauer ein,
Für seine Predigt, Bet' und Beicht. „Im Himmel lauter Feste sein,
Weil's ja viel tausend Priester gibt,
Ich starb. Er salbte mich mit Oel; Und jeder seinen Herrgott liebt?“
Ein Engelein wies meine Seel'
Zu dir ins Paradies herauf: St. Peter lachte laut dazu,
O heil'ger Peter mach mir auf!“ Und sprach: „Du liebe Einfalt du!
Ich, der ich bald zweitausend Jahr
Nun öffnete die Pforte sich, Türhüter in dem Himmel war,
St. Peter sprach: „Ich lobe dich: Hab' vor den Pfaffen gute Ruh;
Du guter Mann verdienst gewiss Doch solche Bauernkerls wie du,
Ein Plätzchen in dem Paradies. Die kommen oft so häufig an,
Du sollst's auch haben: Aber heut, Dass ich sie nimmer zählen kann.“
Mein Bäuerlein, fehlt mir die Zeit.
Wir feiren heut ein großes Fest, Dies Märchen hat Hans Sachs erdacht,
Das mich an dich nicht denken lässt. Und es in Knittelvers gebracht:
Geh dort in jene Laube hin, Doch ärgert dich's, mein frommer Christ,
Gewölbt von himmlischem Jasmin, So denk, dass es ein Märchen ist!
Und warte, bis ich komme, da,
Beim Nektar und Ambrosia!“ Ludwig Schubart schreibt in seinem Buch
„Schubarts Charakter“ über dieses Gedicht: „Ein
Das Bäuerlein sprach: „Habe Dank!“ Märchen von ihm in Hans Sachsens Manier: Es
Setzt' sich auf eine Veilchenbank, starb einmal ein Bäuerlein etc. wurde zu Augs-
Und wartete, bis Peter rief; burg verbrannt, weil die Pfaffen etwas übel darin
Erhabne Stille herrschte tief. wegkamen, und geriet eben dadurch so allgemein
in Zirkulation, dass man es heute noch (1798) auf
Doch plötzlich sprang das goldne Tor, Bierbänken und Zunftschmäußen hören kann.“
Der ganze Himmel war Ein Chor;
Es schwammen süße Simphonien
Durch den entzückten Himmel hin;
Der Schatten eines Priesters schwebt'
Herauf, vom Lobgesang erbebt'
Der Himmel: „Leuchte wie ein Stern,
Komm du Gesegneter des Herrn!“

Mit Abraham und Isaak saß


Der Selige zu Tisch, und aß
Das erste Mal Ambrosia;
Und Amen und Hallelujah!
Sang laut der Seraphimen Chor
Um des entzückten Priesters Ohr.

Und erst am Himmelsabend kam


St. Peter vor das Tor und nahm
Mit sich den armen Bauersmann,
Und wies ihm auch sein Plätzchen an.

Der Bauer fasste wieder Mut,


Und sprach: „Herr Peter, sei so gut,
Und sag mir, warum war denn heut'
Im Himmel solche große Freud?“
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 35

Bibliographische Auswahl zu Schubart: Guther: Gerstetten und seine Nachbarn. Selbstver-


Autobiographisches: Leben und Gesinnungen. 2 lag 1984
Bde. (1791/93) Ritz: Nattheim und Oggenhausen im Kranz der
Zeitschriften: Deutsche Chronik (1774/78), Vater- Nachbargemeinden. Heidenheimer Verlagsanstalt.
ländische Chronik (a.u.d.T.: Vaterlandschronik, Königlich statistisch-topographisches Bureau.
Chronik, 1787/91). Beschreibung des Oberamts Neresheim. Linde-
Lyrik: Neujahrsschilde in Versen (1775), Gedich- mann Stuttgart 1872
te aus dem Kerker (1785); Sämtliche Gedichte. 2 Brandstätter: Asperg. Ein deutsches Gefängnis.
Bde. (1785/86). Wagenbach Berlin 1978
Ästhetische Schriften: Ideen zur Ästhetik der Th. Bolay: Der Hohenasperg. Württembergs
Tonkunst (1806) Schicksalsberg im Wandel der Zeiten. Aigner
Werkausgaben: Vermischte Schriften. Hrsg. L. Ludwigsburg 1957
Schubart. 2 Bde. (1812); Gesammelte Schriften Prinz: Das Württembergische Kapregiment 1786-
und Schicksale. 8 Bde. (1839/40); Werke (Aus- 1808. Die Tragödie einer Söldnerschar. Strecker
wahl), Hrsg. U. Wertheim/H. Böhm (1959). und Schröder Stuttgart 1932
Moersch: Ein Unterthan, das ist ein Tropf. Politi-
Bibliographische Auswahl zu Wekhrlin: sche Lieder der Schwaben aus zwei Jahrhunder-
Zeitschrifren: Das Felleisen (1778); Chronologen. ten. Neske Pfullingen 1985
12 Bde (1779/81); Das graue Ungeheuer. 12 Bde. Zupfgeigenhansel: Es wollt ein Bauer früh auf-
(1784/87); Hyperboreische Briefe. 6 Bde. stehn. Pläne Dortmund
(1788/90), Paragraphen. 2 Bde (1791); Ansbachi- 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg.
sche Blätter (1792). Calwer Verlag Stuttgart 1984
Reiseberichte: Denkwürdigkeiten von Wien. 3 Württembergisches Landesmuseum Stuttgart.
Teile (1776/77), Des Anselmus Rabiosus Reise Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons.
durch Ober-Deutschland (1778). Ausstellungskatalog Bd. 1.1., 1.2., 2.0. Cantz
Satiren: Das Leben und die Narrheiten des Don Stuttgart 1987
Pantalone Rodriguez Papefiguira (1778), Die Borst: Alte Städte in Württemberg. Prestel Mün-
abenteuerliche Historia des liederlichen Peitz- chen 1968
schenmeisters und Erzgauklers Pips von Hasen- Heidenheimer Zeitung vom 2. 11. 1988
fuss (1786) Ein anderes Deutschland. Lesebuch. Oberbaum
Werkausgaben: Leben und Auswahl seiner Schrif- Berlin 1978
ten. Hrsg. F.W. Eberling (1869).
Titelbild: Links: Ch. F. D. Schubart, Rechts: W.
Quellen, Abbildungen und weiterführende L. Wekhrlin. Mitte: Schützenscheibe mit Symbo-
Literatur: len der Französischen Revolution und am Boden
Heimat- und Schubartmuseum Aalen liegenden Symbolen der Adels- und Klerikerherr-
Schoeller: Schubart. Leben und Meinungen eines schaft von 1792 (Hällisch-Fränkisches Museum
schwäbischen Rebellen. Wagenbach Berlin 1979 Schwäbisch Hall)
Schubarts Werke in einem Band. Aufbau Berlin
1988 Die Verwendung von Zitaten und Abbildungen
Ch. F. D. Schubart. Deutsche Chronik. Eine Aus- aus Büchern dient der Dokumentation und
wahl aus den Jahren 1774-1777 und 1787-1791. versteht sich ausdrücklich als Werbung hier-
Röderberg Köln 1989 für. Alle Rechte der Autoren und Verlage blei-
Wieland. Schubart. Ausstellungskatalog. Schiller- ben ungeschmälert bestehen.
Nationalmuseum Marbach 1980
Sturm und Drang. Erläuterungen zur deutschen Impressum:
Literatur. Volk und Wissen Berlin 1983 1. Auflage 1993, erweiterte Auflage 2014
Ch. F. D. Schubart bis zu seiner Gefangensetzung Druck, Verlag und Herausgeber:
1777. Ausstellungskatalog Ulm Schwörhaus 1989 Humanistischer Freidenker-Verband Ostwürttem-
Die Französische Revolution im Spiegel der deut- berg, K.d.ö.R., Hellensteinstr. 3, 89518 Heiden-
schen Literatur. Röderberg Frankfurt 1979 heim, eMail: HFV-Ostwuerttemberg@t-online.de
Die Industrie- und Oberamtsstadt Heidenheim.
Kopp Heidenheim 1910
Bischoff-Luithen: Der Schwabe und die Obrig-
keit. Theiss Stuttgart 1978
Sturm und Drang auf der Ostalb - Schubart - Wekhrlin Seite 36

Christian Friedrich Daniel Schubarts


250. Geburtstagsfeier
(*26. März 1739)

Ein Abend zum Gedenken an den bekanntesten Volksdichter


unserer Gegend, „Stürmer und Dränger“, Musiker, Journalisten
und Gefangenen des Hohenasperg.

am Donnerstag, 2. März 1989, 20 Uhr,


Konzerthaus Heidenheim, Nebenzimmer.

• Referat über Leben und Werk Schubarts


von Heiner Jestrabek
(Arbeitskreis Stadtgeschichte Heidenheim)
• Liedern gegen Krieg und Söldnerdienst von Schubart
gesungen von Dieter Kässmeyer (Kulturgruppe Brennglas)
• Gedichten von Schubart
rezitiert von Gerhard Majer (Heidenheimer Naturtheater)

Veranstalter: Freidenker-Verband Heidenheim

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