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Werke für und mit Saxofon


Komponisten und Geschichten
Ein Abgesang auf die 1920er Jahre
Erwin Schulhoffs Hot-Sonate.
„Das Saxophon ist weder eine Trompete noch eine Ziehharmonika. Es sieht aus wie eine Pipe
(Marke ,Peterson‘) großen Formats und hat seinem Aussehen nach fraglos angelsächsischen
Zuschnitt. In der Nähe betrachtet gleicht es einer Ofenröhre, einem Staubsauger ,Elektrolux‘
oder einer ,Perolin‘-Luftverbesserungsspritze.“ Das alles sagt Erwin Schulhoff über das Saxofon
im Jahr 1925. Ein Grund, einen genaueren Blick auf diesen Komponisten zu werfen.
Von Niels-Constantin Dallmann

N icht nur über die Saxofone äußerte sich Schulhoff.


Die anderen Blasinstrumente, gemeint sind wahr-
scheinlich Instrumente wie Trompete, Flügelhorn, Posaune
Ende seines Lebens – er starb 1942 als Gefangener der Deut-
schen im Internierungslager Wülzburg – hatte Schulhoff gar
die sowjetische Staatsbürgerschaft inne. Zum historischen
oder Klarinette, bekamen seinen Spott weitaus deutlicher Verständnis seiner Person sollte man aber zumindest fest-
zu spüren, denn sie wären Schulhoff zufolge „meist mit halten, dass Schulhoff 1894 in Prag geboren wurde und dort
Wasserspülung versehen, was sich insoferne als höchst un- der damals recht großen deutschsprachigen Minderheit an-
praktisch erweist, da der Spieler von Zeit zu Zeit Stimmbo- gehörte. Somit musste er in der österreichisch-ungarischen
gen und Instrument umdrehen muß, woraufhin aus diesem Armee dienen und gehörte zu jener unglückseligen Genera-
und dessen integrierendem Bestandteile unaufhörlich Was- tion junger Männer, die in den Schützengräben des
ser läuft und vor dem Spieler eine ekelerregende Pfütze bil- Ersten Weltkriegs verheizt werden sollte. Nach dem Krieg
det“. Man möchte ihm glatt zurufen: „Recht hat er!“ Aber war für die überlebenden Frontrückkehrer vieles anders: Die
wer einmal auch nur Auszüge aus Schulhoffs Aufsätzen – Donaumonarchie zerfiel, der deutsche Kaiser dankte ab. Um
insbesondere aus den frühen – gelesen hat, weiß: Schulhoff die politische Nachfolge wurde erbittert gerungen. Indes kam
provoziert. Im konkreten Fall überspitzt er, teilt gegen das die Kapitulation für viele, vor allem für diejenigen, die nicht
Establishment aus und fordert von damals mehr oder we- zum Dienst an der Front verpflichtet wurden, überraschend,
niger renommierten Personen des Musikschrifttums, die denn die Schützengräben lagen fernab ihrer Heimat und die
sich kurz zuvor in einer anderen Zeitschrift über Jazzmusik Propaganda mobilisierte bis zuletzt. Vielleicht darum such-
und deren amerikanische Wurzeln geäußert haben und ten manche ihren mit der Niederlage verlorenen Stolz ir-
damit so etwas wie frühe Jazzforscher und -theoretiker gendwie zu kompensieren: Wenn es auf dem Schlachtfeld
waren: „Lassen Sie die Wissenschaft beiseite, geben Sie keinenicht gereicht haben sollte, so wollten nicht Wenige – da-
gutgemeinten Ratschläge. Die Erde dreht sich um ihre ei- runter aber sicherlich nicht Schulhoff! – doch wenigstens
gene Achse nach links und Sie werden sie nicht nach rechts die kulturelle Überlegenheit gegenüber den Siegermächten
drehen machen.“ für sich beanspruchen. Die Gesellschaft schwankte zwischen
Ohnmacht, Chaos, nationaler Verklärung und sozialistischer
Wer war dieser mal feinsinnige, mal grobschlächtige, streit- Revolution. Diese Gesamtkonstellation könnte vielleicht er-
lustige, wortgewandte Kritiker etablierter Strukturen na- klären, weshalb Schulhoff mit den sogenannten Dadaisten,
mens Erwin Schulhoff? Woher stammte er? Nun, die die man keineswegs nur als intellektuelle Blödelkünstler be-
Nationalität eines Komponisten heranzuziehen, ist für eine zeichnen sollte, sympathisierte. Dadaismus war literarische,
künstlerische Bewertung ebenso heikel wie überflüssig; eine künstlerische, musikalische Provokation und ein Bruch mit
Meinung, die Schulhoff – zeitweilig tschechoslowakischer den Konventionen der Gesellschaft – möglicherweise ein Hil-
Staatsangehöriger – sicherlich unterschrieben hätte. Am feruf einer verlorenen Generation.

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 = 66
   3   3   3  3     3   3  3
             7   
Saxophon Alto
(Es ~ Mi )   44
mp
                         
     etc. ...
    
mf
Notenbeispiel 1

Der Mainstream, um es mit heutigem Vokabular auszudrü- sein soll. Dazu bedarf es einiger erläuternder Worte. Jazz in
cken, war in den 1920er Jahren von etwas anderem bestimmt: den 1920er Jahren ist im wesentlichen Tanzmusik gewesen.
Jazz und Tanzmusik. Die mythischen Goldenen Zwanziger Schulhoff als Pianist orientierte sich allerdings auch an dem,
Jahre eben. Wilde Rhythmik, unbändige Tanzmusik, ein was man als „novelty piano“ oder „novelty ragtime“ bezeich-
Hauch von Exotik, ungeahnte Freiheiten; das alles kam den nen würde. Interessant ist, was Schulhoff selbst darüber
Dadaisten natürlich entgegen – zumindest waren Lärm und schreibt, wie er den Jazz kennengelernt hat. Er hätte nämlich
Rebellion Bestandteil ihrer Interpretation des Jazz. Und so in den nach dem Ersten Weltkrieg von Frankreich besetzten
schließt sich der Kreis: Der Dadaist Schulhoff, seines Zeichens Gebieten Deutschlands gelebt und dort „möglichst viele von
studierter Pianist, hörte und spielte Jazz – und schließlich Frankreich dorthin importierte, von Negern und Mulatten
setzte er ihn kompositorisch um. Wer heute Schulhoffs Jazz- gespielte ,Jazz‘-Bands“ angehört. Er hat also damals echte
werke hört, fragt sich vielleicht, was denn daran Jazz gewesen Feldforschung betrieben!

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 = 80
    
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         etc. ...


Saxophon Alto
(Es ~ Mi )       
mf lamentuoso ma molto grottesco sfz sfz
Notenbeispiel 2

Kunstmusik, Jazz, Dadaismus – damit scheint Erwin Jazz in die Kunstmusik zu überführen, nicht alleine da. Es
Schulhoffs musikalisches Schaffen in den 1920er Jahren gab unzählige Versuche, Jazz kompositorisch umzusetzen.
grob umrissen. Vereinigt findet man einiges davon in sei- Nun sind allerdings zwei wesentliche Strömungen zu un-
ner „Hot-Sonate“ für Alt-Saxofon und Klavier aus dem terscheiden: Die musikalische Avantgarde auf der einen
Jahr 1930. Er nennt seine Sonate aber weder Ragtime- Seite, auf der anderen Seite existierte in der Unterhal-
noch Jazz-, sondern eine Hot-Sonate. Was meinte er tungsmusik der Begriff der Jazzsymphoniker. War Schul-
damit? Das ist schwierig zu sagen. Hot war ein durch und hoff nun Avantgardist oder Jazzsymphoniker? Seine
durch schwammiger Begriff. Kein Wunder, es ist ja selbst Hot-Sonate ist sicherlich ersterer Gruppe zuzuordnen. Es
heute schwierig bis unmöglich, in wenigen Sätzen das zu handelt sich nicht um geglätteten Jazz im Sinne einer Un-
beschreiben, was Jazz zu Jazz oder Swing zu Swing terhaltungsmusik. Vielmehr ist es die Kombination kom-
macht. Hot wird in der Jazzliteratur seiner Zeit einfach plexer Rhythmik mit dem Sound avantgardistischer, kaum
mit heiß oder würzig übersetzt. Was könnte diese Würze, noch tonal gebundener Musik, die Schulhoffs Werk prägt.
der Pfeffer in seiner Musik sein? Natürlich der Rhythmus!
In Schulhoffs Hot-Sonate geht es regelrecht triolisch, Erwin Schulhoff galt noch lange nach seinem Tod als ein
quintolisch und sogar septolisch zu. Man schaue dazu nur sogenannter vergessener Komponist. Zumindest wird sei-
einmal auf die ersten Takte und stelle sich vor, dass dienem Schaffen erst in den letzten Jahrzehnten wieder mehr
Klavierbegleitung dagegen teilweise gerade Sechzehntel- Aufmerksamkeit geschenkt. Mit seiner Hot-Sonate hat er
bzw. Achtelnoten spielt (Notenbeispiel 1) und so eine musikalische Zeitgeschichte verarbeitet und den heutigen
komplexe Rhythmik entsteht. und zukünftigen Saxofonisten ein anspruchsvolles Stück
hinterlassen. Schulhoffs eigene Worte fünf Jahre vor der
Was klingt noch Hot? Vielleicht die Glissandi im dritten Veröffentlichung der Hot-Sonate fassen wohl am besten
Teil, wie in Notenbeispiel 2? Um es denkbar knapp auszu- zusammen, welche Rolle er dem Saxofon zudachte. Doch
drücken: Es waren auch die Spieltechniken, die Jazz aus- wie so oft bei Schulhoff gilt auch hier meine Warnung
gemacht haben. „Achtung dadaistische Provokation!“ Er schreibt: „Das Sa-
xophon ist aber ein Instrument, welches im Gegensatz
Der Titel gibt noch etwas anderes her: Die Sonate – also zum Flügelhorn in seinem Ausdruck nur Karikatur ist und
ein Begriff aus der Instrumentalmusik vergangener Jahr- mit charmantester Liebenswürdigkeit seinerseits jedes
hunderte, der in der musikalischen Klassik für einen be- Sentiment gänzlich wieder negiert. Die Rhythmik ist ihm
stimmten formalen Ablauf stand – wird von Schulhoff mit mehr gegeben wie die Dudeldeimelodei, die wohl für einen
zeitgenössischer Unterhaltungsmusik verknüpft. Ein Af- Augenblick zu erscheinen vermag, um sich aber sofort wie-
front? Wohl kaum. Schulhoff stand mit seinem Versuch, der in ihre rhythmischen Zubehörteile aufzulösen.“

Anzeige Letztendlich wäre es falsch, das Lebenswerk Schulhoffs


lediglich auf seine Jazzrezeption zu reduzieren. Sein kom-
positorisches Schaffen besteht – unter Berücksichtigung
der pseudonym veröffentlichten Stücke – aus fast 200
Werken. Darüber hinaus war Schulhoff ein gefragter Kla-
viervirtuose und setzte sich zeitweilig für die Viertelton-
musik von Alois Hába ein. Er konzertierte sogar auf dem
Vierteltonklavier. Trotzdem wird der Name Schulhoff wohl
weiterhin hauptsächlich eine Assoziation wecken: Jazz in
der Kunstmusik – Kunstjazz!

Schließen möchte ich diese Reihe in der kommenden Aus-


gabe mit der Betrachtung eines Werkes, das den Intentio-
nen des Saxofonerfinders Adolphe Sax möglicherweise
wieder sehr nahekommt: mit dem romantisch angehauch-
ten Konzert für Altsaxofon von Alexander Glasunow. ■

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