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Neugier: Die unterschätzte Erfolgseigenschaft

Wissen ist Macht. Nichtwissen aber kann genauso mächtig sein, denn es weckt

unsere Neugierde. Bei den meisten jedenfalls. Neugier – das ist der Hunger nach

Wissen, gepaart mit der Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, zu staunen, sich

auf Neues einzulassen, zu lernen. Ohne diese Eigenschaft, diesen Wissensdurst

gäbe es kaum Experimente, Innovationen oder Fortschritt. Allerdings ist diese

menschliche Ureigenschaft enorm fragil: Das Nichtwissen verunsichert ebenso viele

Menschen. Und die Unsicherheit und die daraus resultierende (soziale) Angst

blockieren dann wieder die Neugier – ein Teufelskreis entsteht…


1. Ist Neugier ein Gefühl?

Was ist Neugier überhaupt? In Neugier oder Neugierde (Synonym von Neugier)
steckt bereits die Gier, also heftiges, maßloses Verlangen. Psychologen sehen in
Neugier eine von sechs Grundemotionen: Neugier, Ekel, Freude, Angst, Ärger,
Trauer. Sie ist neben Freude das einige Gefühl, das auch positive Bedeutung hat.
Manche sehen in Neugier den Wunsch oder die Motivation, sich bewusst neuen und
ungewohnten Situationen und Denkweisen auszusetzen. Andere definieren Neugier
als Instinkt, als einen Urtrieb – bestehend aus einer Antriebskomponente, einer
Affektkomponente und einer Verhaltenskomponente. Man könnte auch sagen:
Neugier führt zum Flow-Zustand. Letztlich steckt darin auch die Bereitschaft zur
Veränderung, zum Dazulernen. Denn das Interesse und die Offenheit für Neues –
neue Erfahrungen und neue Erkenntnisse – wird uns zwangsläufig beeinflussen.

Wie entsteht Neugier?

Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass die Neugier uns angeboren ist. Die
Eigenschaft besitzen sowohl Menschen wie auch Tiere. Schon Kleinkinder haben
diesen unstillbaren Wissensdurst. Sie saugen alles auf, was ihnen die Welt bietet,
sind neugierig, wissbegierig, wollen den Dingen auf den Grund gehen, Geheimnisse
lüften, stellen Fragen – auch manche, die Eltern nerven oder in echte Erklärungsnöte
bringen können. Kinder kennen weder Konventionen noch Tabus.

Warum ist Neugier wichtig?

Mit zunehmendem Alter aber verlieren viele Menschen ihre Neugier. Sie wissen zwar
auch immer mehr, werden aber dadurch erst klug, dann altklug und schließlich
selbstgefällig. So verbauen sie sich zahlreiche Chancen und nicht zuletzt die
eigene Persönlichkeitsentwicklung. Herausforderungen, ein turbulentes Leben,
Abenteuer – das verheißt eben nicht nur Spaß, sondern auch Ungewissheiten,
Risiken, Gefahren, Fehler, Versagen. Neugier erzwingt Flexibilität und trainiert
Anpassungsfähigkeit. Nicht alle wollen das.

Manche Forscher vermuten, dass das Bedürfnis nach neuen Reizen,


nach Spontaneität und Abwechslung von den noch stärkeren Bedürfnissen nach
Geborgenheit und Idylle, nach Kontrolle und Sicherheit ( Komfortzone) überschattet
wird. Was unvorhersehbar ist, macht vielen Erwachsenen Angst – ganz im
Gegensatz zu Kindern. Hauptsache, alles bleibt beim Alten. Schade eigentlich. Denn
das Ergebnis und Gegenteil von Neugierde ist Langeweile.
2. Ist Neugier positiv oder negativ?

Neugier ist in jedem Fall ein zweischneidiges Schwert. Der britisch-kanadische


Psychologe Daniel Ellis Berlyne unterscheidet zwischen folgenden Formen:

Epistemische Neugier: Diese Form der Neugier ist wissensbezogen. Eine Person


beschäftigt sich beispielsweise gedanklich mit Problemlösung und erkennt, dass
bestimmte Informationen noch dazu fehlen. Nach Berlyne dient diese Neugier der
Orientierung. Der Wunsch ist deshalb so stark, weil Menschen das Bedürfnis haben,
ihre Situation zu verstehen.

Perzeptuelle Neugier: Demgegenüber steht die perzeptuelle oder perzeptive


Neugier. Sie beschreibt den Wunsch einer Person, Neues auszuprobieren. Diese
Neugier geht auf Reflexe und Sinneseindrücke zurück und ist auch als manipulative
oder interpersonelle Neugier (Interesse an anderen Personen) bekannt.

Zu viel Neugier ist gefährlich

Wer Neugier als positiv oder negativ beschreibt, bewertet das Gefühl. Unweigerlich
sind mit Neugier verschiedene (Warn-)Sprüche verbunden.

Curiosity killed the cat.


Der englische Spruch (zu Deutsch etwa „Neugier ist der Katze Tod“ / „Neugier hat
die Katze getötet“) deutet bereits an, dass ein übergroßer Wunsch, etwas in
Erfahrung zu bringen, gefährlich sein kann. Und Neugier hat mitunter fatale Folgen.
Neugier führt dazu, das Hände auf heißen Herdplatten landen, dass Menschen
Versuchungen suchen, fremdgehen, Drogen nehmen und sich wagemutig ins
Verderben stürzen. Neugier kann eben auch übermütig, distanzlos und vorwitzig
machen. Neugier war es auch, die mythologische Gestalten dazu brachte, die
Büchse der Pandora zu öffnen. „Pandora-Effekt“ nennen Wissenschaftler daher das
Phänomen, wenn manche Menschen entgegen ausdrücklicher Warnungen und wider
alle Vernunft dennoch offenen Auges das Unheil suchen.
3. Was ist der Unterschied zwischen Neugier und Interesse?

Oft tauchen synonym zu Neugier Bezeichnungen wie Interesse und Wissensdrang


auf. Nicht immer lassen sich die Begriffe eindeutig voneinander trennen.
Entscheidend dürfte die Motivation der neugierigen Person sein. Warum will sie
etwas wissen? Und der Gegenstand: Worauf richtet sich ihr besonderes Augenmerk?
Marie von Ebner-Eschenbach war bereits der Meinung: „Wenn die Neugier sich auf
ernsthafte Dinge richtet, dann nennt man sie Wissensdrang.“

Den neusten Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt erfahren zu wollen, kann man
schwerlich gleichsetzen mit dem Wunsch, das Universum zu begreifen. Ersteres
steht für oberflächliche Teilnahme am gesellschaftlichen Geschehen. Letzteres ist
vom Wunsch nach Erkenntnis geleitet. Das ernsthafte Interesse daran, Dinge zu
ergründen, führt zu Expertise. Je nach Ausprägung kann Neugier also neue
Entdeckungen beflügeln, die in Innovationen münden. Oder sie führt dazu, dass
Menschen ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angehen.

4. Neugierde wecken: Geht das überhaupt?

Neugierde wecken – das ist schon das Kernanliegen


jedes Bewerbungsanschreibens, jedes Bewerbungsfotos, jedes ersten
Kennenlernens oder Flirts. Und so starten die meisten eine Reihe von (nett
gemeinten) Manipulationsversuchen, um andere auf sich oder ihre Sache neugierig
zu machen. Mit meist mäßigem Erfolg.

Letztlich können Sie bei Ihrem Gegenüber vielleicht kurzfristiges Interesse wecken.
Ob die Person aber wirklich neugierig ist oder wird, liegt letztlich an der Person
selbst. Tatsächlich findet Neugier weniger im Kopf statt, als viele denken. Sie lässt
sich auch nicht willentlich erzeugen. Es ist eine Eigenschaft, die man hat und
erlernen, aber auch wieder verlernen kann.

Sie können allerdings jenen Hindernissen im Kopf auf die Schliche kommen, die der
Neugier im Weg stehen. Beobachten und erkunden Sie dazu zunächst das
Zusammenspiel von Gedanken, Emotionen und Empfindungen: Wie reagieren Sie
und Ihr Körper auf Neues, Ungewohntes, Ungelerntes: mit Lust – oder doch eher mit
Zurückhaltung und Argwohn? „Somatic Mindfulness“ heißt diese Selbsterforschung
in der Fachsprache. Dabei finden Sie nicht nur heraus, welche Erfahrungen und
welche Erwartungen da sind, sondern auch warum Sie womöglich gerade mental
dicht machen und eben so gar nicht neugierig sind.

Blockierte Neugier: Ein Beispiel

Neugier findet ausschließlich im Hier und Jetzt statt. Vergangene Erfahrungen und
künftige Erwartungen, die ins Hier und Jetzt reinfunken, können Neugier blockieren.
Daher ist ein erster Schritt in Richtung zu mehr Neugier das Erkunden und Sortieren
dessen, was da so alles im Kopf herumschwirrt. Angenommen, Sie bekommen eine
Mail vom Chef – höchste Prioritätsstufe, er möchte Sie heute noch sprechen. Leider
sagt er nicht dazu, worum es geht. Könnte gut sein, könnte schlecht sein… Sie
wissen es nicht. Ob Sie sich nun neugierig und offen in Richtung Chefbüro
aufmachen, hängt aber von zwei wichtigen Parametern ab:

Erfahrung: In der Schule wurden Sie einmal zum Direktor ins Lehrerzimmer gerufen.
Ein Mitschüler hat Sie verpetzt und Sie bekamen damals mächtig Ärger.

Erwartung: Schon seit einiger Zeit kursieren im Unternehmen Gerüchte, dass es der


Firma finanziell nicht gut geht. Womöglich stehen Entlassungen oder Kurzarbeit ins
Haus.

Das sind natürlich alles bloß Annahmen. Aber Sie merken schon, was nun im Kopf
des Betroffenen passiert. Sobald diese Gedanken erst einmal kreisen, ist es mit der
Offenheit und Neugier vorbei. Stattdessen übernehmen Angst und Stress das
Regiment – und Sie rechnen mit dem Schlimmsten… Das ist zwar ein
Extrembeispiel, ähnlich funktioniert es aber auch im Kleinen.

5. Neugierig? Wissbegierde verlängert das Leben

Unser Gehirn ist auf Neugierde programmiert. Die Evolution hat es vorgemacht: Der
Mensch entwickelt sich ständig weiter, unser Gehirn dürstet nach neuen Reizen,
danach, Neues zu lernen. Wir sollen und wollen wachsen. Nicht zufällig entwickeln
wir daraus sogar Ehrgeiz und Ambitionen. Neugier ist ein wesentlicher Motor für
Wachstum und Wissen. Und eine unterschätzte Erfolgseigenschaft.

Als etwa britische und schweizer Forscher die Daten von rund 50.000 Studenten
auswerteten, stellten sie fest: Der Intelligenzquotient (IQ) hatte für den Studienerfolg
weniger Bedeutung als angenommen. Viel entscheidender war die Neugier.
Studenten, die nur über einen mittelmäßigen IQ verfügten, dafür aber gegenüber
Neuem aufgeschlossen waren, schnitten deutlich besser ab.

Der amerikanische Psychologieprofessor Todd Kashdan von der George Mason


Universität wiederum fand heraus, dass neugierige Menschen schneller und leichter
Kontakt zu anderen finden. In der Folge hatten sie nicht nur mehr Freunde und ein
stabileres Netzwerk – sie waren auch glücklicher und besaßen
mehr Lebenszufriedenheit.

Mehr noch: Bei einer Langzeitstudie, an der rund 2000 Senioren zwischen 60 und 86


Jahren beteiligt waren, kam heraus: Neugier bescherte den Probanden eine deutlich
höhere Lebenserwartung. Das sogar unabhängig von Risikofaktoren wie Rauchen,
ungesunder Ernährung oder Erkrankungen.

6. Neugier: Warum sie manche unterdrücken


Obwohl Neugier eine der ursprünglichsten, natürlichsten und grundlegendsten
Fähigkeiten des Menschen ist, lernen diese Menschen sie früh wieder zu
unterdrücken. Sie hängen den Forscher- und Entwicklungsdrang an den Nagel und
denken nur noch in Schubladen und Schablonen, weil es bequemer ist: Kenn ich
schon, weiß ich, hab ich selber so schon erlebt, alles kalter Kaffee… Fatal! Denn
solche Menschen bleiben psychisch irgendwann stehen, ihr Geist bewegt sich, als
würde er durch schnell härtenden Zement stapfen.

Vielleicht liegt das gar im Ursprung der Neugier: Wer nicht gerade in einer
Forschungsabteilung, in der Wissenschaft oder im Journalismus arbeitet, der
verbindet die Neugierde im beruflichen Kontext eher mit Begriffen, wie: naiv,
kindisch, unbedarft. Und das sind natürlich nicht gerade Eigenschaften, die heute im
Berufsleben gefragt sind. Stattdessen betonen Stellenanzeigen landauf, landab
immer wieder Attribute, wie durchsetzungsstark, erfahren, versiert. Im Job zählen
solides Fachwissen und strenge Ratio oft mehr als Experimentierfreude,
Spontaneität und Offenheit für Neues. Vielleicht liegt es aber auch an manchen
Erfahrungen (siehe oben), die wir mit unserer Neugier in der Kindheit gesammelt
haben.

Vorteile von Neugier

Wer als Kind für allzu große Neugierde eher Rügen und Strafen kassiert hat, wird mit
dem Alter zwangsläufig vorsichtig. Die einst gesunde Neugier verkehrt sich nun in ihr
Gegenteil. Das wird erst einmal gefiltert, analysiert, geprüft und bewertet. Sicher ist
sicher. Schade. Denn Neugier ist eine Kardinaltugend, ein wesentlicher Erfolgsmotor.
Wer neugierig bleibt, der…

 entdeckt jeden Tag eine neue Welt.

 bleibt aufgeschlossen und tolerant.

 wird für andere interessant und sympathisch.

 besitzt Authentizität und Präsenz.

 inspiriert mit frischen Ideen und Gedanken.

 findet Abkürzungen und entdeckt Neuland.

 findet neue Freunde und erweitert sein Netzwerk.

 gerät so schnell nicht in die Defensive.

 wird selbstsicherer.
7. Wie Neugier und Erfolg zusammenhängen

Neugier und Wissen gehen Hand in Hand. Man kann nicht neugierig bleiben, ohne
etwas zu lernen. Und dieses Wissen irgendwann wieder weiterzugeben. Womöglich
– aber das ist nur eine These – gibt es keinen echten und erfolgreichen Experten,
der nicht zugleich neugierig geblieben wäre. Drei wesentliche Eigenschaften lassen
sich bei erfolgreichen Menschen erkennen:

Selbstreflexion

Erfolg – soweit die allgemeine Definition – heißt, seine persönlichen Ziele zu


erreichen. Dazu muss man sie allerdings erst einmal kennen. Das setzt voraus, dass
man seine Stärken und Schwächen kennt und seine Ziele danach
ausrichtet. Selbstreflexion beinhaltet aber auch, Entscheidungen bewusster zu
treffen und mehr aus Fehlern zu lernen (was bedeutet, sie zu analysieren, um sie
nicht zweimal zu begehen sowie diese emotional hinter sich zu lassen). Wer so
vorgeht, ist meist optimistischer was seine Zukunft anbelangt, denn er fühlt sich ihr
nicht ohnmächtig ausgeliefert.

Ziele

Ein klares Ziel zu haben, macht nicht automatisch erfolgreich. Was erfolgreiche


Menschen aber eint, ist, dass sie ihre Ziele strukturiert und spezifisch benennen
können. Nicht wenige schreiben sie sogar auf – wie bei Managern, deren
Zielvorgaben in messbaren Zahlen vereinbart werden. Zudem sind das keine
Fernziele, sondern eine Kette von Nahzielen, die schließlich in ein großes Ganzes
münden. So hangeln sich diese Leute von Meilenstein zu Meilenstein, erleben
Teilerfolg nach Teilerfolg und bleiben obendrein motiviert.

Neugier

Und da ist sie wieder. Erfolgreiche lernen nicht einfach nur hinzu – sie wollen lernen.
Und zwar möglichst viel. Der Motor dazu ist ihre Neugier: Warum ist das so? Was
haben andere in der Situation gemacht? Was sind die Eigenschaften, die
erfolgreiche Menschen einen? Wobei das Interesse dieser Leute stets
fachübergreifend ist: Sie sind aufgeschlossen gegenüber Politik, Management, Sport
und Religion, interessieren sich ebenso für die Börse wie für Bildungsfragen, für das
Kochen oder die Psychologie. Sie haben vielleicht keinen Doktor-Titel, aber
promovieren praktisch in allen Lebensfragen.

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