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HIRNFORSCHER VERRÄT

Warum du dich dafür interessierst, was andere von dir


denken – obwohl du es nicht willst

von Susanne Schumann

Unser Gehirn ist genial, doch manchmal gibt es uns im Alltag Rätsel auf. Wieso zum
Beispiel bedeutet uns das Feedback anderer Menschen so viel, auch wenn wir am
liebsten darüber stehen würden? Der Neurobiologe Professor Doktor Martin Korte
hat es uns erklärt.

Was spielt es schon für eine Rolle, was andere Menschen über mich denken. Wie sie
meine Leistungen beurteilen. Ob sie mich sympathisch finden oder attraktiv. Was sie
von meinen Entscheidungen halten. Die Hauptsache ist doch, dass ich mit dem, was
ich tue, zufrieden bin und stolz auf mich sein kann. So weit die Theorie. Und ein
Stück weit auch mein Mantra. Denn wer möchte schon von der Meinung anderer
Menschen abhängig sein? Ich jedenfalls nicht. Schließlich teile ich die Meinung
anderer Menschen oftmals gar nicht.

Doch in der Praxis? Da kann mir manchmal schon ein einziges Kompliment den Tag
retten. Andersherum kann mir negative Kritik komplett die Laune verderben. Erwarte
ich von anderen Menschen Feedback und bekomme keines, bin ich irritiert bis
verunsichert. Lobt mich hingegen eine Person überraschend, von der ich womöglich
auch noch besonders viel halte, entzündet das eventuell ein kleines emotionales
Feuerwerk der Freude in mir. Wieso ist das so? Warum liegen Theorie und Praxis,

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Vorsatz und Wirklichkeit bei meinem Umgang mit anderer Leute Feedback teilweise
so weit auseinander? Warum kann ich, ebenso wenig wie die meisten
Menschen, nicht einfach darüber stehen, was andere über mich denken? Darüber
habe ich mit dem Hirnforscher Professor Doktor Martin Korte gesprochen.

Empathie als evolutionärer Vorteil

"Zunächst einmal ist zur Beantwortung dieser Frage wichtig zu verstehen, dass wir
Menschen nicht nur konkurrierende, aggressive Wesen sind, sondern dass wir vor
allen Dingen kooperativ sind und nach Möglichkeiten suchen, als Gruppe zu
agieren", sagt Martin Korte. "Das ist, was uns als Spezies Mensch besonders
ausmacht. Im Laufe der Evolution haben uns nicht etwa unsere langen Zähne oder
unsere Fingernägel den entscheidenden Vorteil gebracht, sondern unsere Fähigkeit,
mit anderen Menschen zu kooperieren." Dass sich unsere Vorfahren
zusammengetan, einander etwa bei der Nahrungsbeschaffung, Aufzucht von
Kindern, dem Bau von Unterkünften und dergleichen unterstützt haben, hat sie sich
gegenüber Raubtieren und anderen störenden Mit-Erdlingen durchsetzen lassen –
vielfach bekanntlich mit fatalem Ausgang für Letztere – und uns den Weg bereitet,
um in einer Welt mit Supermärkten, beheizten Wohnungen, Röhrenjeans und
Epiliergeräten leben zu können.

Allerdings gelingt eine harmonische Zusammenarbeit üblicherweise nicht so ohne


Weiteres. "Um erfolgreich miteinander zu kooperieren, ist es erforderlich, sich in die
Köpfe anderer Menschen hineinzuversetzen, es bedarf der Empathie", sagt der
Hirnforscher. Empathie wiederum, das heißt, die Fähigkeit zu erspüren, was in
anderen Menschen vorgeht, setzt voraus, dass wir uns dafür interessieren und dass
wir aufmerksam gegenüber den Signalen sind, die sie uns geben. "Man könnte
sagen, wir sind genetisch darauf geeicht, auf das Zusammenwirken mit anderen
Menschen hin zu agieren und damit immer zu versuchen zu ergründen, was sie
denken und fühlen", so Martin Korte. Und gegen so eine Eichung, die sich im Zuge
der Evolution als vorteilhaft und überlebenswichtig ergeben hat, kann der
individuelle, aus bestimmten Überlegungen und Stimmungen heraus
gefasste Beschluss, auf die Meinung anderer Menschen zu pfeifen, nur bedingt
etwas ausrichten.

Unser Gehirn reagiert auf persönliches Feedback auffällig stark

Damit es uns nun leichter fällt, die Bedeutung sozialer Anbindung und Kooperation
für unser Leben wahrzunehmen, löst das Feedback einer Person nachweislich eine
Reaktion in unserem Kopf aus, die sich schwerlich ignorieren lässt. "Erfahren wir
persönliche Wertschätzung von einem anderen Menschen, aktiviert das das
Belohnungssystem in unserem Gehirn außerordentlich stark", sagt der Neurobiologe.

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Wenn wir zum Beispiel Lob oder ein Kompliment bekommen, das uns, wohl gemerkt,
ehrlich und authentisch erscheint, reagiert ein bestimmtes Segment unseres Gehirns
namens Nucleus accumbens mit der Ausschüttung körpereigener, mit Opium
verwandter Substanzen – wir erleben eine Art High. Das gleiche passiert, so der
Hirnforscher, sobald wir zum Beispiel ein bestimmtes Ziel erreichen, das wir uns
gesteckt haben, oder schöne, rote, reife Erdbeeren essen, allerdings nicht in
derselben Intensität wie bei einem wertschätzenden Feedback. "Die
Belohnungsreaktion bei echter persönlicher Wertschätzung ist deutlich stärker als
etwa bei einer Bonuszahlung oder wenn wir Schokolade essen", sagt Martin Korte.
Gesteigert werden könne dieses Hochgefühl nur noch, wenn das Kompliment für uns
überraschend kommt – dann schenkt unser Nucleus accumbens nämlich so richtig
aus.

Abgesehen von dieser kurzfristigen Glücksreaktion, an der mit dem Nucleus


accumbens als Hauptverantwortlichen übrigens maßgeblich ein eher ursprünglicher
und archaischer Teil im vorderen Drittel unseres Gehirns unterhalb der
Großhirnrinde beteiligt ist, den wir mit anderen Säugetieren gemeinsam haben, gebe
uns Feedback von anderen Menschen langfristig Orientierung und könne unsere
Resilienz stärken, so Martin Korte. Die Erfahrung, in einer vergleichbaren Situation
Bestätigung bekommen zu haben, könne uns vor einer neuen schwierigen oder
unübersichtlichen Herausforderung Selbstvertrauen vermitteln. "Diesen Effekt kann
übrigens auch Kritik haben", sagt der Wissenschaftler, "Kinder bis 12 Jahre reagieren
vor allem auf Lob, aber Jugendliche und Erwachsene können ebenso Kritik als
wertschätzend und motivierend empfinden." Gar kein oder zu wenig Feedback auf
unser Verhalten zu erhalten, führe hingegen nahezu unweigerlich zu Unsicherheit
und Irritation. Und selbst die süßesten Erdbeeren können da kaum Abhilfe schaffen.

Glücksgefühle versus Zufriedenheit: Warum wir trotzdem nicht fremdbestimmt


leben müssen

Nun hat das auf der einen Seite etwas Tröstliches: Es liegt nicht unbedingt an
unserem außergewöhnlich schwachen Charakter oder unserer
mangelnden Willensstärke, wenn uns die Meinung anderer Menschen etwas
bedeutet und wenn wir es nicht schaffen, cool und unabhängig unser Ding zu
machen, egal was der Rest der Welt davon hält. Es liegt uns in der Natur, uns für die
Sichtweise unserer Mitmenschen zu interessieren, weil es sich für unser
(Über-)Leben bewährt hat, und wir teilen diese vermeintliche Charakterschwäche
mit vielen, vielen anderen Menschen.

Auf der anderen Seite könnten wir ein wenig deprimiert sein: Sind wir dazu
verdammt, unser Leben lang Lob und Feedback nachzujagen und das, was wir selbst
als gut, wichtig und richtig erachten, hinten anzustellen? Nein, so einfach ist es

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glücklicherweise nicht. Schließlich leben wir nicht mehr in Höhlen, sondern in
beheizten Wohnungen. Sozialer Anschluss ist für uns als menschliche Wesen nach
wie vor von zentraler Bedeutung, doch im Gegensatz zu unseren Höhlen
bewohnenden Vorfahren müssen wir nicht den Großteil unserer Zeit dem bloßen
Überleben unserer Sippe und unserer selbst widmen, sondern können darüber
hinaus nach Lebensvarianten suchen, die uns größtmögliche Zufriedenheit
bescheren – und das sind nicht zwangsläufig diejenigen mit den meisten und
intensivsten Glücksmomenten. "Ein Glücksgefühl, beispielsweise ausgelöst durch
Feedback, ist kurzfristig, wohingegen Zufriedenheit etwas ist, das sich langfristig im
Gehirn einstellt", sagt Martin Korte, "sie wird auch nicht im Nucleus accumbens
kodiert, sondern lässt sich eher in Hirnarealen in der Großhirnrinde verorten, etwa
im frontalen Cortex."

Archaische Orientierungshilfen wie gewisse Glücksgefühle, die sich durchgesetzt


haben und uns bis heute geblieben sind, weil sie unser Überleben sicherten, weisen
uns in unserer modernen Welt nicht immer den Weg, auf dem wir Zufriedenheit
finden. In ähnlicher Weise, wie wir gelernt haben, mit einem Überangebot an
Nahrung zu leben, ohne uns ständig zu überessen, sind wir in der Lage, uns an eine
komplexere Gesellschaftsstruktur und ein verändertes Sozialleben anzupassen: Wir
können zwischen Feedback differenzieren, das aus unterschiedlichen Gründen
wichtig für uns ist, und solchem, das womöglich weniger Relevanz hat, weil es
beispielsweise von einer Person kommt, deren Werte und Lebensziele sich von
unseren unterscheiden. Wir können uns Rückmeldung einholen, wenn wir uns
unsicher fühlen, doch wenn wir uns einer Sache tatsächlich hundertprozentig sicher
sind, können wir die Meinung anderer zumindest einigermaßen beiseiteschieben.
Wir können Komplimente als Stimmungsaufheller dankend annehmen, ohne uns
davon abhängig zu machen und uns zu verbiegen, um welche zu bekommen. Wir
können soziale Wesen sein, die sehr viel gemeinsam haben und miteinander teilen,
und gleichzeitig Individuen, die ihren ganz eigenen Weg und ihre eigene Weltsicht
entwickeln. Unser Gehirn wird uns dabei jedenfalls nicht in die Quere kommen. Ganz
im Gegenteil.

Professor Doktor Martin Korte ist Neurobiologe und Leiter der Abteilung "Zelluläre Neurobiologie" an der
Technischen Universität Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem zelluläre Grundlagen
von Lernen und Gedächtnis sowie Wechselwirkung zwischen Immunsystem und Gehirn bei der Entstehung der
Alzheimer Erkrankung. In seinen Büchern "Hirngeflüster“, "Wir sind Gedächtnis“ und "Jung im Kopf“ bereitet er
Erkenntnisse aus der Hirnforschung alltagsrelevant und für ein breites Publikum auf.

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