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Gegenseitige Hilfe
Gegenseitige Hilfe
Gegenseitige Hilfe ist ein ethisches Verhaltensprinzip, an dem sich ein bestimmtes solidarisches Verhalten
unter Menschen orientiert. Dieses Prinzip spielte in der frühsozialistischen Arbeiterbewegung Frankreichs
eine Rolle und ist nach dem russischen Naturforscher und Anarchisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin auch
in der Tierwelt wirksam als ein Verhalten, das sich in der Evolution bewährt hat. Aktuell wird dem Prinzip
der gegenseitigen Hilfe in den Diskussionen um eine solidarische Ökonomie Wert zugemessen.
Inhaltsverzeichnis
Mutualismus
Gegenseitige Hilfe nach Kropotkin
Gegenseitige Hilfe als praktische Kritik der Erwerbsarbeit
Gegenseitige Hilfe als Kritik am Individualismus
Siehe auch
Literatur
Einzelnachweise
Mutualismus
Der Mutualismus als Prinzip der Gegenseitigkeit spielt sowohl in der Biologie (biologischer Mutualismus)
als auch in der Ökonomie (ökonomischer Mutualismus) eine Rolle.
Im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts bildeten in Lyon die Heimweber solidarische Organisationen der
gegenseitigen Hilfe, die sich selber Mutualisten nannten und die Basis für frühsozialistische Aufstände
bildeten. Anknüpfend an die Lyoner Tradition, die Pierre-Joseph Proudhon 1843 persönlich kennenlernte –
und wahrscheinlich auch angeregt durch eigene Erlebnisse an der Ecole mutuelle, einer Privatschule, an der
sich die Kinder gegenseitig, das heißt die Älteren die Jüngeren, unterrichteten – übernahm Proudhon das
Prinzip des Mutualismus als theoretische Grundlage seiner Sozialismuskonzeption.
Der russische Naturforscher und Anarchist Pjotr Alexejewitsch Kropotkin sah sowohl in der Tier- als auch
in der Menschenwelt das Prinzip der gegenseitigen Hilfe als Seinsgrundlage. Hierzu veröffentlichte er 1902
das entsprechende Buch Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt.
In der Tierwelt wiesen gemeinsame Jagdstrategien, die Aufzucht von Jungtieren, gegenseitiger Schutz in
Ansammlungen, Herden und Rudeln, die Sorge um kranke Artgenossen und die rituelle
Konfliktvermeidung innerhalb einer Art auf die Geselligkeit und nicht auf den Kampf ums Dasein als
Antrieb zur Evolution hin. Der Hauptaspekt sei das Naturgesetz der gegenseitigen Hilfe als Ergebnis von
Geselligkeit und Individualismus und nicht der Nebenaspekt des
Kampfes ums Dasein unter dem Druck kurzfristiger Notzeiten.
Ebenso sei die Geschichte der Menschheit immer vom Prinzip der
gegenseitigen Hilfe geprägt gewesen. Es lasse sich seiner Meinung
nach am besten in kleinen sozialen Einheiten verwirklichen, die
dezentral und gleichberechtigt vernetzt sind. Ihre
Funktionstüchtigkeit werde durch freie, jederzeit kündbare
Vertragsverhältnisse ohne übergeordnete Instanzen angetrieben,
weil die Freiwilligkeit die soziale Initiative und Lust am freien
Schöpfen stärke.
Die Gegenseitigkeit des Wirtschaftens füreinander, also ohne direkt abzurechnen (Äquivalenz), grenzt sich
ab von karitativer Hilfe: Alle können in einer arbeitsteiligen Projektgemeinschaft etwas für die anderen
beitragen. Gegenseitige Hilfe nimmt bewusst als Grundlage, was in einer wertorientierten Gesellschaft
kaum mehr zu finden ist: Die dort Aktiven helfen sich gegenseitig. Überall in der Gesellschaft sind nach
diesem Ansatz noch Reste oder Keime davon vorhanden: in den Familien, Vereinen, Freundes- und
Bekanntschaftskreisen. Das Konzept versucht, daran anzuknüpfen und dafür einen systematischen Rahmen
zu schaffen. Es sollen punktuelle gegenseitige Hilfen weiter intensiviert werden. Die Beteiligten fragen
sich: „Wer möchte freiwillig, aber verbindlich etwas für die anderen Aktiven in der jeweiligen
Gemeinschaft tun?“
Gegenseitige Hilfe wird als „praktische Kritik der Erwerbstätigkeit“ und „praktische Waren- und
Geldkritik“ begriffen. Sie versucht, hochabstrakte gesellschaftliche Verhältnisse, die über Waren und Geld
abgewickelt werden, in konkretere zwischenmenschliche Verabredungen zur gemeinschaftlichen Arbeit
umzusetzen. Ein Ziel der gegenseitigen Hilfe ist es, über solidarisches Verhalten zwischen Einzelnen
hinaus, durch die Zusammenarbeit von einzelnen Projekten eine gemeinschaftliche, verabredete
Arbeitsteilung zu entwickeln. Durch lebendige Teilgruppen, die mit einem Teil ihrer Kraft bewusst etwas
für die Gesamtgruppe beitragen, soll die Qualität der gegenseitigen Hilfe in Richtung von
Gemeinschaftsarbeit gesteigert werden. Weiteres Ziel der gegenseitigen Hilfe ist eine langfristige,
freiwillige Aktivierung in einer Projektgemeinschaft, die gleichzeitig kreative Kräfte der Einzelnen freisetzt
und die Fähigkeiten sich erfüllend und wirksam dort zu bewegen.
Siehe auch
Altruismus
Nachbarschaftshilfe
Kooperation
Reziprozität (Soziologie)
Schenkökonomie
Literatur
Peter A. Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Trotzdem Verlag,
Grafenau 1993, ISBN 3-922209-32-7.
Arthur Engelbert: Gegenseitige Hilfe. Eine Vision mit Anleitungen für Kleingruppen. Tectum
Verlag, Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2148-4.
Arthur Engelbert: HELP! Gegenseitig Behindern oder Helfen. Eine politische Skizze zur
Wahrnehmung heute. Königshausen & Neumann, Würzburg 2012, ISBN 978-3-8260-5017-
6 (Beschreibung (http://arthur-engelbert.de/publikationenglobal-images/help-gegenseitig-be
hindern-oder-helfen-eine-skizze-zur-wahrnehmung-heute/)).
Arthur Engelbert, Anna Maria Maier, Achim Trautvetter: Notes on urban Kibbutz, mutual aid
and social erotism (Hg.). Tectum Verlag, Marburg 2016, ISBN 978-3-8288-3719-5.
Dean Spade: Mutual Aid. Building Solidarity During This Crisis (and the Next). Verso
Pamphlets Series. Verso, London 2020. ISBN 9781839762123.
Einzelnachweise
1. Arthur Engelbert: HELP! Gegenseitig Behindern oder Helfen. Eine politische Skizze zur
Wahrnehmung heute. Königshausen & Neumann, Würzburg 2012, ISBN 978-3-8260-5017-
6, S. 318.
Diese Seite wurde zuletzt am 26. September 2022 um 22:05 Uhr bearbeitet.
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