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Neues von der orthodoxen Spurensuche

(Zusammengestellt von Vtr. Lazarus)

In den letzten Jahrzehnten haben Archäologen viele neue


Bodenfunde aus der Zeit vor dem 9. Jahrhundert erschlossen und
ausgewertet. Dadurch wird es nicht nur möglich, sondern auch
nötig, unser Geschichtsbild von den Verhältnissen des Vor- und
Frühmittelalters zu ergänzen und teilweise auch zu korrigieren.
Bekanntlich sind für die Zeit des ersten Jahrtausends im Westen
ausschließlich lateinische Schriftquellen überliefert, die i. d. R. von
römischen Klerikern verfaßt wurden. Zwar werden diese im Sinne
der Quellenkritik auch relativiert; dennoch ist es schwierig, sich von
der in Westeuropa seit 1500 Jahren tief verinnerlichten interpretatio
romana freizumachen. Schon die byzantinischen Quellen werden
meist aus weströmischer Sicht gedeutet, obwohl es es bekannt ist,
daß west- und oströmische Interessen bereits seit dem ausgehenden
4. Jahrhundert auseinander gedriftet sind, und bestimmte Ereignisse
in griechischen Quellen ganz anders dargestellt und gewertet
wurden als in den lateinischen. An germanischen Quellen aus der
Frühzeit haben wir praktisch nichts, sieht man von der Wulfilabibel
und die Skeireins aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts sowie
den wenigen althochdeutsch überlieferten Gedichten und
Bibelnachdichtungen der karolingischen Zeit ab, die keinen
historiografischen Zweck verfolgten. Was immer wir also über diese
Germanen zu wissen glauben, rührt aus einem Blick von außen her,
der in erster Linie auf die Bedürfnisse und Interessen eines
römischen Publikums bzw. auf die Interessen der fränkisch-
lateinischen Kirchenpolitik zugeschnitten ist. So sollen die östlichen
deutschen Stämme vor der fränkischen Eroberung allesamt Heiden,
oder bestenfalls „mali christiani“ (schlechte Christen, d.h. Häretiker)
und „stets bereit [gewesen] sein, alle göttlichen und menschlichen
Gesetze zu brechen.“ Fränkische Kriege und Eroberungen
gegenüber germanischen Nachbarstämmen werden mit der
Notwendigkeit begründet, diesen „Barbaren“ das richtige
Christentum zu bringen oder treulose Verräter und Reichsfeinde zu
beseitigen. Aus heutiger Sicht wird man den Versuchen
alemannischer, bayrischer, lombardischer, thüringischer oder
sächsischer usw. Herzöge, Könige, Adelsfamilien und
Kirchenmännern, ältere Institutionen, Rechte und Gewohnheiten
gegenüber der fränkischen Zentralisierungspolitik zu wahren, ihre
Berechtigung nicht mehr so einfachhin absprechen. Jeder Versuch,
einen stimmigen oder „gerechteren“ Blick auf die Dinge – gar im
idealen Sinne eines Leopold v. Ranke – zu rekonstruieren, sieht sich
mit erheblichen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten konfrontiert.
Archäologie, Namenskunde und Sprachforschung können
hier zwar keine endgültigen Antorten, aber doch wertvolle Hinweise
geben und Hypothesen bestätigen oder widerlegen. Im Verbund mit
weiteren Forschungszweigen, etwa durch kunsthistorische
Vergleiche, religionsgeschichtliche Untersuchungen sowie chemische
und genetische Untersuchungen lassen sich aus dem, was über
Jahrhunderte und Jahrtausende unter der Erde (oder „unter dem
Teppich“ interessegeleiteter Geschichtsschreibung) begraben war,
durchaus sinnvolle Schlüsse ziehen.
So werden beispielsweise in dem monumentalen von den
staatlichen Museen Berlins im Jahre 2020 herausgegebenen Band
»Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme« mehrere der
bislang gängige Topoi und Vorstellungen über die Germanen
ziemlich vernichtet und neue Perspektiven geöffnet. In seinem opus
magnum über »Die Völkerwanderung« zeigt Mischa Meier, daß es
die Völkerwanderung, wie man sie auf Historiengemälden des 19.
Jahrhunderts darstellte, bei der angeblich ganze „Völker“
aufbrachen um unter Hinterlassung menschenleerer Räume das
römische Reich zu erobern, schlicht nicht gegeben hat. Jüngst
erschien ein Werk zur Archäologie und Frühgeschichte
Niedersachsens und Sachsen-Anhalts mit dem Namen »Saxones«
des Hannoveraner und Braunschweigischen Landesmuseums. Auch
hier werfen neuere Funde und Deutungsversuche ein neues Licht
auf die Verhältnisse im angeblich heidnischen Altsachsen.
Für die orthodoxe Spurensuche ist grundsätzlich alles
interessant, was auf ein frühes volkssprachliches, an Byzanz
orientiertes Christentum hinweist, wofür vor allem die Zeit vom 5.
bis zum 8. oder 9. Jahrhundert in Frage kommt. Sodann sind die
Befunde aus den verschiedenen Bereichen und Fachgebieten
daraufhin zu prüfen, ob oder inwieweit eine Deutung im
orthodoxen Sinne stimmig oder aber abwegig ist.
Was nun in den letzten Jahren an Schätzen aus unserer Erde
geborgen worden ist, zeigt, daß insbesondere die Vorstellung, die
nichtfränkischen Germanen im 5.–8. Jahrhundert seien allesamt
Heiden gewesen, nicht zutrifft. Hat man christliche Artefakte jener
Zeit etwa im thüringischen Raume früher noch als zufällige
Handelsware eingestuft und den Beginn der Christianisierung mit
Bonifatius angesetzt, ist dies heute schon aufgrund der schieren
Masse nicht mehr möglich. Schon 1994 wies Reinhard Spehr in
einem Beitrag über »Christianisierung und früheste
Kirchenorganisation in der Mark Meißen. Ein Versuch« (in einem
Band des Landesamtes für Archäologie in Dresden über »frühe
Kirchen in Sachsen«) auf die Verbindung des heute thüringisch-
sächsischen Raumes zu den gotischen Christen Südosteuropas hin:
„Wir halten es für möglich, daß schon seit dem 4. Jahrhundert
christlich-homöisches Gedankengut auf vielfältigen Wegen in den
sächsisch-thüringischen Raum einsickerte, ja daß die religiöse
Haltung von Kulturgruppen mit Körpergräbern des Typs Leuna-
Haßleben, aber auch die nachfolgende Niemberger Gruppe von
christlichen Einflüssen bewegt war.“ Daß jenes aus dem
germanischen Südosten kommende Christentum „homöisch“
gewesen sei, kann man aus mehreren Gründen in Frage stellen. So
hat Volker Schimpff 2013 gezeigt, daß das thüringische Königshaus
„katholisch“ war. Nicht einmal der fränkische Hofberichterstatter
Gregor v. Tour hat den Thüringern Häresie nachgesagt; ihre
Orthodoxie war wohl damals noch allzu bekannt. Die hl. Radegunde
v. Thüringen war von Kind an orthodox und hat für ihre
Klostergründung vom befreundeten byzantinischen Kaiserpaar eine
Kreuzreliquie erhalten. In ihrem Dankesschreiben heißt es, daß „an
Rhone, Rhein und Elbe (!) das Konzil von Chalzedon besungen“
werde. Ihr Bruder war nach der Eroberung des Reiches durch die
Franken nach Byzanz geflüchtet.
Auch wissen wir, daß – anders als die nach Westen
abgewanderten kriegerischen Gotengruppen unter Fritigern,
Alarich, Theoderich usw., die offiziell Homöer waren – die Goten in
Südosteuropa (im heutigen Bulgarien, Rumänien, Moldawien und
Ukraine) zumeist dem orthodoxen Glauben ihrer Väter treu
geblieben waren. Auf dem 2. ökumenischen Konzil zu
Konstantinopel ist die kirchliche Autonomie dieser orthodoxen
Goten im Rahmen der theodosianischen byzantinischen
Reichskirche bestätigt worden. Von Johannes Goldmund ist
bekannt, daß er um 400 in der Pauluskirche zu Konstantinopel vor
einer gemischt griechisch-gotischen Gemeinde in einer gotisch
zelebrierten Liturgie das Evangelium aus der Wulfilabibel vortragen
ließ und gemeinsam mit gotisch-orthodoxen Prie-stern die
Abwerbungsversuche griechischer und römischer Homoianer und
Semiarianer erfolgreich abwehrte. Auch aus anderen
Zusammenhängen ist die Existenz des gotisch-orthodoxen
Christentums in Südosteuropa vielfach belegt.
Nachdem Wulfila um 340 die die Bibel und die Liturgie in die
thiudiske (deutsche) Sprache übersetzt hatte, hat sich das
Christentum im gesamten germanischen Raum schnell verbreitet.
Allerdings gab es keine flächendeckende Kirchenorganisation,
sondern die Christen lebten friedlich und unangefochten unter ihren
heidnischen Stammesgenossen. Man versammelte sich in Kirchen,
die von christlichen Adelsfamilien gebaut wurden, zu deren
Gefolgschaften dann auch Priester gehörten. Dieses Christentum
war (wie das iroschottische) wenig organisiert und entsprach eher
dem, was man später im Westen so scharf als „Eigenkirchenwesen“
bekämpft hat. Auch gehörte es eher dem griechisch-byzantinischen
Kulturkreise an, mit dem es bis zuletzt verbunden blieb. Bis ins 5.
und 6. Jahrhundert gab es auch gotisch-orthodoxe Klöster, wie etwa
die berühmte Lawra des hl. Minno (Minas) bei Sofia.
Wenigstens vor den awarischen Invasionen (um 600) hatten
die verschiedenen germanischen Stämme vieles gemeinsam (nicht
nur die Sprache), und es wird zumal im Adel sowohl einen
weiträumigen Austausch wie auch weiträumige familiäre und
Interessenverbindungen gegeben haben, die von Sachsen,
Thüringen und Böhmen (Markomannen) bis an die Nordküsten des
Schwarzen Meeres und nach Rußland reichten, deren Nachhall in
Sagen und Mythen der Völker greifbar ist. Von daher kann die
Hypothese, daß dieses ostgermanische orthodoxe Christentum bis
in den thüringischen und altsächsischen Raum hinein sich
ausgebreitet hat, durchaus eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit für
sich beanspruchen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese
Verbindung auch archäologisch erhärten läßt; immerhin gibt es
schon jetzt eine Reihe von Funden, die in diese Richtung weisen.
Nördlich des Harzes in Groß-Orden am heutigen
nordöstlichen Stadtrand Quedlinburgs fand man eine edle goldene
Filigranfibel mit gut sichtbarem Kreuzsymbol, die in die Zeit um
650-670 datiert wird. Sie gehörte zur Ausstattung einer dort auf
einem mittelalterlichen Kirchhof bestatteten Frau. Ob dort auch
eine Kirche stand, ist bisher unklar, aber nicht auszuschließen.
Am selben Orte befindet sich ein weithin sichtbarer
Grabhügel, in dem seit der Bronzezeit die Verstorbenen bestattet
wurden. Wir wissen, daß die fränkische Gesetzgebung es in den
eroberten Gebieten untersagte, bei den alten ‚heidnischen’
Grabhügeln Begräbnisse durchzuführen. Nun ist dieser
„Heidenfriedhof“ aber nachweislich bis ins 8. und 9. Jahrhundert
weiterbenutzt worden; sogar im eigentlichen Hügelkörper sind
Menschen beigesetzt worden, die aufgrund der Grabbeigaben
eindeutig als Christen zu identifizieren sind (Saxones 249, 329). Das
ist ein starker Hinweis auf ein eigenständiges thüringisches oder
altsächsisches Christentum, das sich trotz fränkischer
Oberherrschaft seit 532 in diesem Raume sichtlich von der
fränkischen Reichskirche hat unabhängig halten können und ältere
Gepflogenheiten weitertradiert hat. Das fügt sich zu den Briefen des
Bonifatius, der im Zuge seiner Mission die thüringischen (wie an
anderer Stelle die bayrischen) Christen „heidnischer Sitten“ anklagte.
Dabei mag die Beibehaltung der alten Friedhöfe auf schlichter Pietät
gegenüber den Ahnen beruht haben, und der Vorwurf „heidnischer
Sitten“ lediglich als Vorwand gedient haben, um die
nichtlateinischen Christen zu diskreditieren und die fränkische
Kirchenordnung samt lateinischer Liturgiesprache gegen den
Widerstand der einheimischen Bevölkerung durchzusetzen.
Dasselbe gilt für die Priesterehe oder die volkssprachliche Bibel und
die Liturgie. Wir wissen immerhin, daß Bonifatius in Thüringen auf
erhebliche Widerstände stieß und seine Mission letztlich scheiterte.
Nur rund 30 km entfernt liegt Hornhausen, in dessen Nähe
im 19. Jahrhundert der berühmte „Reiterstein von Hornhausen“
gefunden worden ist. Aufgrund entsprechender
Geschichtsvorstellungen ist er früher als „heidnisch“ gedeutet
worden. Inzwischen geht man davon aus, daß er zu einer Gruppe
mehrerer gleichartiger Reliefplatten gehört, die als Zierplatten einer
Altarschranke dienten. Altarschranken sind in der orthodoxen
Kirche – als sogenannte Bilderwand – allgemein üblich, gehörten
aber bis in die karolingische Zeit auch im Westen zur
architektonischen Grundausstattung einer Kirche. Mangels ähnlicher
Stücke hat man die Hornhäuser Reliefplatten mit
Altarschrankenplatten aus der Metzer Gegend verglichen, doch
unterscheiden sie sich ästhetisch und von den Motiven her
erheblich. Die Metzer Platten zeigen antikisierende Blumen- und
Kreuzmotive; die archaische Gestaltung der Hornhäuser Platten
weist hingegen eine ganz unrömische völkerwanderungszeitliche
Ästhetik auf, was insbesondere an den stilisierten ornamental
verflochtenen Drachen und der stilisierten Darstellung von Roß und
Reiter deutlich wird, wie man sie eher aus Skandinavien kennt.
Daneben könnte man vielleicht noch Steinmetzarbeiten in frühen
westgotischen Kirchen Spaniens zum Vergleich heranziehen. Der
Reiterstein zeigt drei Ebenen, die sowohl in der christlichen als auch
in der germanischen Mythologie bekannt sind: unten den Hades
(Nifelheim), symbolisiert durch die in sich verschlungenen
Schlangen; darüber die Erdenwelt (Midgard) mit dem siegreich nach
links reitenden Krieger Christi (auf dem Weg ins Jenseits oder
heimkehrend?); von der dritten, der himmlisch-göttlichen Ebene
(Asgard) darüber sind die Füße anderer Figuren erkennbar, die nach
rechts gehen. Die Deutung ist schwierig, vielleicht sind es Selige im
Paradies. Die Deutung des Reiters als Odin ist schon früher
angezweifelt worden, weil dessen Pferd Sleipnir 8 Beine haben
müßte. Heute geht man davon aus, daß wir es mit einen christlichen
Kriegerheiligen auf einem höchst natürlichen vierfüßigen Pferde zu
tun haben. Von der östlich-orthodoxen Überlieferung käme hier an
erster Stelle der hl. Minno (griechisch: Minas, gotisch: Minna) in
Frage, dessen außerordentliche Verehrung für das 4. und 5.
Jahrhundert bei den Goten im Gebiet des heutigen Bulgarien gut
belegt ist (vgl. die Literatur über das Minaskloster bei Sofia). Daß
infolge der hunnischen Eroberung des Terwingerreiches 376 ein Teil
der Goten sich nach Nordwesten in Richtung Schlesien und
Thüringen abgesetzt hat, ist bekannt; terwingischer Einfluß wird u.a.
zur Erklärung der legendären thüringischen Reiterei im 5. und 6.
Jahrhundert herangezogen. Diese Goten haben natürlich ihre
christliche Kultur und Kirchlichkeit mitgebracht, die im Kern
byzantinisch-orthodox, aber in der Ausgestaltung eigenständig
germanisch war. Aufgrund solcher Einflüsse könnte sich im
thüringisch-mitteldeutschen Raum eine eigenständige Gestalt des
Christentums gebildet haben, die bis ins frühe 9. Jahrhundert
nachwirkte, und von der die hornhäuser Reliefplatten stummes
Zeugnis geben.
Die gesamte ehemalige DDR und darüber hinaus weite
Gebiete Nord- und Ostdeutschlands, Böhmens und Bayerns
gehörten im 5. und frühen 6. Jh. zum Thüringer Reich, einem
lockeren germanischen Stammesbund. In diesem erkannten die
Franken einen mächtigen Gegenspieler, der zudem enge Kontakte
zu den italienischen Goten sowie zu Byzanz pflog. Diese
unmittelbaren Beziehungen der mittel- und ostgermanischen
Stämme nach Byzanz und Osteuropa sind seitens der Historiker
bisher nur am Rande in Erwägung gezogen worden, weil noch
immer das Bild vorherrscht, alles Christliche müsse immer und
unbedingt vom Westen, von Rom oder den Franken her kommen.
Von der Hornhäuser Gruppe unabhängig ist eine weitere
Reliefplatte mit einem großen Kreuz, der als Grabstein des 5.–7. Jh.
gedeutet wird. Dieser fand sich ebenfalls bei Quedlinburg in der
Wüstung Marsleben.
In Magdeburg-Fermersleben wurde an einer Furt zur
Überquerung der Elbe eine bronzene Amulettkapsel aus der Zeit
um 600 gefunden, die kleine Geweihabschnitte enthielt; in eines war
mit ein antikes Christusmonogramm geschnitzt. Hier hat man
mittelrheinische Herkunft angenommen (Saxones 249). Geht man
hingegen davon aus, daß es in der Gegend bereits Christen und
christliche Kultur gab, ist auch eine lokale oder regionale Herkunft
möglich.
In dem Beitrag „Frühe Christen am Hellweg“ (Saxones, 254
ff.) sind eine Reihe wunderschöner Schmuckfibeln des 6. und 7.
Jahrhunderts abgebildet, die man in größerer Menge vor allem in
Westfalen und der Umgebung des Hellweges findet, der vom Rhein
über Magdeburg weiter nach Osten führte. Die meisten dieser
Fibeln weisen die Form des gleichschenkligen (griechischen)
Kreuzes im Kreise auf oder sind damit verziert. Dieses Symbol
findet sich allerdings bereits auf Felsritzungen im südskandinavisch-
norddeutschen Bereich sowie auf Schmuckgegenständen der
Bronzezeit (2200–800 v. Chr.). Als christliches Symbol ist es seit der
Antike in Griechenland und Osteuropa bis nach Georgien hin stark
verbreitet, aber auch in Westeuropa. Das Christentum kann
religionsgeschichtlich als „Erfüllung“ des geistig hochstehenden
bronzezeitlichen „Sonnenkultes“ aufgefaßt werden, der aus
christlicher Perspektive als Vorabbild des christlichen Kultes zu
deuten wäre. Noch heute wird in der orthodoxen Kirche Jesus
Christus als „geistiger Helios“ und „Sonne der Gerechtigkeit“
verehrt.
Nahe des westfälischen Warburg fand man eine kostbare
filigranverzierte Goldfibel des 7. Jahrhunderts, die durch ihre
sorgfältige Ausführung und Qualität hervorsticht. Das wertvolle
Stück trat bei Grabungen innerhalb einer vorfränkischen (d.h.
sächsischen) Wallburganlage zutage, wo man die Fundamente eines
von West nach Ost ausgerichteteten Gebäudegrundriß freilegte.
Drei beigabenlose Gräber parallel zur Längswand des Gebäudes
sowie stratigraphische Beobachtungen weisen darauf hin, daß es
sich um ein Kirchgebäude des 7. Jahrhunderts handelt.
Im westfälischen Dülmen bei Münster stieß man bei
Ausgrabungen auf die Reste zweier Glockengüsse. Aufgrund einer
C 14 Untersuchung der Holzkohlereste in der Feuergrube werden
sie zwischen 665 und 775 datiert. Wir haben hier den
überraschenden Befund, daß die angeblich heidnischen Sachsen, die
sich dreißig Jahre lang der fränkischen Eroberungspolitik Karls des
Großen widersetzt haben, hier die größten und frühesten bisher
nachgewiesenen Kirchenglocken Europas gegossen haben. Mit
einem Durchmesser von 9o cm (die größte erhaltene karolingische
Glocke aus dem 9. Jahrhundert in St. Gallen hat einen Umfang von
30 cm) setzt sie ein stattliches Kirchgebäude und ein etabliertes und
akzeptiertes Christentum in Altsachsen voraus. Auch hier ist neben
fränkischem an ostgermanischen Einfluß zu denken, mithin ein
Christentum byzantinischer Prägung.
Schließen wir unseren Rundgang mit einem weiteren Blick
nach Thüringen. Die dort gefundenen christlichen Artefakte
datieren zum Teil ins 5. Jahrhundert. Vor einigen Jahren stand im
Schloßmuseum zu Sondershausen neben den richtig ins 5. bis 7.
Jahrhundert datierten Stücken auf einer Tafel noch zu lesen:
„Bonifatius (+754) brachte das Christentum nach Thüringen.“
Dieser offene Anachonismus im Geschichtsbild ist inzwischen
Geschichte. Ingrid Duschek, Landesarchäologin des Freistaates
Thüringen, weist in ihrem Buch „Ur- und Frühgeschichte
Thüringens“ auf die engen Beziehungen der Thüringer zu den
verwandten Goten in Südosteuropa und Italien hin.
Kulturverbindungen zu den Goten belegt auch das Grab
einer adligen Dame mit entsprechenden Beigaben in Oßmannstedt
(Lkr. Weimarer Land). Sie trug eine goldene Adlerfibel sowie eine
goldene Schnalle, die von germanischen Meistern des
Schwarzmeergebietes (!) gefertigt worden sind, einen goldenen Ring
griechisch-byzantinischer Herkunft, sowie einen Bronzespiegel und
einen Kamm mit Kreuzsymbolik aus der hunnischen Zeit (sc. vor
453). Die Grabbeigaben weisen die Dame als Christin mit
Beziehungen zum gotischen und byzantinischen Kulturkreis der
ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts aus.
Im ebenfalls alttühringischen Stößen fand man in einem
Gräberfeld mit Erdbestattungen einen kostbaren vergoldeten
byzantinischen Spangenhelm mit Weinranken und Kreuz in
gepunzter Arbeit. Der Helm muß einer hochgestellten
Führerpersönlichkeit gehört haben.
Daß der orthodoxe christliche Glaube in Thüringen nicht auf
die Königsfamilie beschränkt gewesen, zeigen zwei weitere Funde.
Anläßlich der Bauarbeiten der neuen Ortsumgehung Gotha wurden
im Jahre 2012 bei Boilstedt zwei vollständig erhaltene
Kriegerbestattungen in Holzkammergräbern des Frühmittelalters
(um 600) gefunden, die sich jetzt im Museum für Ur- und
Frühgeschichte Weimar befinden. Man barg eine der Grabkammern
in einem 17 Tonnen schweren Block und legte sie in zwölfmonatiger
Feinarbeit unter Laborbedingungen frei. So konnten die Fundstücke
unbeschädigt entnommen und die ganze Anlage gut rekonstruiert
werden. Sogar das Gesicht des sogenannten „Herrn von Boilstädt“
hat man nachgebildet, nachdem durch genetische Untersuchungen
Haar- und Augenfarbe (rotblond und hellblau) festgestellt worden.
Die hölzerne Grabkammer war ursprünglich von einem Grabhügel
mit etwa 8 Metern Durchmesser überstülpt gewesen. Zu den
Grabbeigaben gehören eine byzantinische Lampe mit christlicher
Symbolik und eine westgotische Goldmünze. Auch die übrigen
Beigaben belegen die hohe Stellung des Mannes, darunter die volle
Waffenausstattung eines Kriegers, Reiterzubehör, sowie Überreste
eines Fisches, der vielleicht die christliche Symbolik unterstreicht.
Etwas abseits waren ein Pferd und ein Hund bestattet. Das
aufwendig überhügelte Grab sowie das mitbeerdigte Pferd und der
Hund weisen auf beibehaltene vorchristliche Bräuche hin, die für
einen Angehörigen der Oberschicht womöglich als traditionelle
Auszeichnung angesehen wurden. Interessant ist aber das
Gesamtbild: um das Jahr 600 lebte bei Gotha ein christlicher Edler,
der als lokaler Fürst mit Frau, Kindern und Gefolgschaft sonntags
an der Liturgie teilnahm.
Unmittelbar westlich von Sondershausen erhebt sich der
markante Frauenberg (aus: „Entdeckungen um den Frauenberg“,
Thür. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie). Nicht nur
der Name, sondern auch alte Sagen deuten auf die Verehrung einer
Fruchtbarkeitsgottheit, vielleicht auch eine „Mägdeburg“, eine Art
vorchristliches Nonnenkloster, hin. Später errichtete man hier eine
Kapelle zu Ehren der allheiligen Mutter Gottes Maria. In der
Nekropole des 7. Jahrhunderts am Fuße des Berges geborgene
Grabbeigaben zeigen wiederum christliche Symbole. Als „Sensation
der Grabung“ wird der Grundriß eines 10 auf 5 m großen
Gebäudes inmitten des Friedhofs bezeichnet, welches mit den
damaligen Friedhofskirchen des alamannisch-bajuwarischen Raumes
verglichen wird. Auch hier findet sich mit Pferde- und
Hundebestattungen vorchristliches Brauchtum im Zusammenhang
mit eindeutig christlichen Bestattungen. Auf dem Frauenberg selbst
fand man unter dem Fundament der romanischen Wallfahrtskirche
Reste eines Vorgängerbaues des 10./11., und darunter Gräber des 7.
Jahrhunderts, und dort unter den Grabbeigaben eines Mädchens
einen goldenen Kreuzanhänger und eine silberne Fibel in
Kreuzform. Eine weitere Überraschung bot ein ehemals reich
ausgestattetes, leider beraubtes Frauengrab innerhalb des 2 auf 3m
großen Grundrisses eines Gebäudes in Pfostenbauweise. Dieser im
Mittelpunkt der späteren Kirche befindliche Bau wird derzeit als
eine der ältesten Kapellen Mitteldeutschlands angesehen. Es könnte
entweder die Grabkapelle einer jungen Martyrerin, oder aber des
geliebten Kindes einer angesehenen christlichen Familie gewesen
sein. Die Erinnerung an die Beerdigte oder ein sich daran
knüpfendes liturgisches Gedenken muß beim Bau der Kirche des
10./11. Jahrhunderts noch lebendig gewesen sein.
Die Liste der Fundstücke ließe sich weiter fortsetzen. Denken
wir an die etwa 70 bekannten Taufsteine Mecklenburgs und
Pommerns, die stilistisch ins Frühmittelalter gehören, also ebenfalls
aus einer Zeit stammen, die Jahrhunderte vor der aus den
Schriftquellen bekannten Christianisierung jener Gegenden im 12.
Jahrhundert liegt. Daß Bayern und Alemannen im 6. und 7.
Jahrhundert ziemlich flächendeckend zum dreieinen Gott beteten,
kann heute niemand mehr ernsthaft abstreiten. Daß es auch in
Thüringen, Altsachsen und weiter östlich starke christliche Gruppen
und christliche Oberschichten mit Verbindungen bis weit nach
Osteuropa und Byzanz gab, wird zunächst nur archäologisch
greifbar.
Dieses Christentum war definitiv nicht lateinisch, sondern
geht wenigstens zum Teil auf das gotische Christentum zurück,
welches seit dem frühen 4. Jahrhundert in Südosteuropa bis nach
Georgien eine allseits bekannte kulturelle Größe war. Das Gotische
war damals im gesamten festlandgermanischen Bereich gut
verständlich und diente als lingua franca (Herwig Wolfram). Infolge
der hunnischen Eroberung der gotischen Reiche im heutigen
Rumänien und der Ukraine haben sich Teile der Goten u. a. nach
Norden abgesetzt. Schon in der Mitte des 4. Jahrhunderts hatte
Wulfila die Bibel und die byzantinische Liturgie ins Gotische
übersetzt. Aus byzantinischen Quellen wissen wir, daß der
orthodoxe Kirchenvater Johannes Chrysostomos (um 400) in der
Pauluskirche zu Konstantinopel während einer gotisch zelebrierten
Liturgie vor einer gemischten griechisch-gotischen Gemeinde
gepredigt und zuvor das Evangelium aus der Wulfilabibel hat
vorlesen lassen. Nicht nur die homoianischen Stammeskirchen der
West- und Ostgoten in Italien und Spanien (5.–7. Jh.) haben diese
Übersetzungen benutzt, sondern auch die orthodoxen Goten auf
dem Balkan und am Schwarzen Meer – am Unterlauf der Donau bis
ins 9. Jahrhundert (Ostkarpaten, Tomis, Silistra), und in
Rückzugsgebieten wie der südlichen Krim bis ins 15. Jahrhundert
(Eroberung Doris durch die Türken 1475). In seiner berühmten
Rede wider die Dreisprachenhäresie nahm der hl. Methodius u.a.
ausdrücklich Bezug auf die zu seiner Zeit in Südosteuropa noch
verbreitete thiudiske (deutschsprachige) Liturgie der orthodoxen
Goten. Damit begründete er damals (im 10. Jh.) die Berechtigung
der Übersetzung der Liturgie und der Bibel ins Slawische gegenüber
jenen, die allein das Hebräische, Griechische und Lateinische als
„Heilige Sprachen“ gelten lassen wollten. Neben der Vermittlung
durch Rom ist also der andere Weg der Ausbreitung des
Christentums in den Blick zu nehmen, der für die germanischen
Stämme östlich des Merowingerreiches womöglich näher lag,
nämlich der über die früh christianisierten Goten und andere
Stämme Osteuropas, deren Sprache man verstand, mit denen man
spätestens im Zuge der sogenannten „Völkerwanderung“ in engste
Berührung gekommen war, mit denen man nach dem
Zusammenbruch der hunnischen Herrschaft 453 neue
Stammesverbände gründete, die kulturell nach Byzanz orientiert
waren, und die auch nach den awarischen Invasionen noch lange
Zeit bestanden haben müssen, ehe sie allmählich in den
Ethnogenesen der heutigen osteuropäischen Völker aufgingen.

Reiterstein von
Hornhausen
Weitere Fragmente
der Altarschranken
im Museum für
Frühgeschichte Halle
/ Saale,
bemerkenswert die
Kreuzfahne
Goldfibel aus
Warburg

ostgotischer
Kamm von
Oßmannstedt,
Thüringen
Kopie des Spangenhelms von Stößen, Thür.
In Westfalen gefundene Scheibenfibeln des 6. Jh.
Weitere Fundstücke im frühgesch. Museum zu Halle (5. - 7. Jh.)

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