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Was macht ein vermummter


Staatsanwalt beim Tag X?
LTO

12–14 Minuten

Neben rund tausend Eingekesselten war auch ein


Staatsanwalt beim "Tag X" vor Ort im Einsatz, szenetypisch
vermummt. Das geht in Ordnung, sagt ein Experte. Aber hat
es eigentlich was gebracht? In Sachsen läuft die
Aufarbeitung zum Elf-Stunden-Kessel.

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Die Pressestelle der Leipziger Polizei reagiert in


Behördendeutsch auf einen Tweet mit Clownsgesicht. Seit
Dienstag macht der Tweet mit einem Foto in sozialen Medien
die Runde, es zeigt zwei Vermummte in schwarzen
Kapuzenjacken, die sich am Rande des "Leipziger Kessels"
offenbar vertraut mit uniformierten Polizeibeamten unterhalten:
"Im Hinblick auf die Medienberichterstattung" und ein "über die
sozialen Medien verbreitetes Bild vom 3. Juni 2023, 19.48 Uhr"
werde "festgestellt, dass dieses Bild von zwei vermummten
Personen, von denen zumindest eine ein Klemmbrett in Händen
hält, (…) einen Staatsanwalt und eine Kriminalbeamtin zeigt."

Ein Staatsanwalt in szenetypischer Antifa-Klamotte im Einsatz?


Damit hat die Polizei bestätigt, was Teilnehmern und
Beobachtern des "Tag X" in Leipzig, an dem zahlreiche Linke im

30.06.23, 17:29 about:reader?url=https%3A%2F%2Fwww.lto.de%2Frecht%2Fhint...


Zusammenhang mit der Verurteilung von Lina E. auf die Straße
gingen, längst klar war: Zu den Demonstranten gehören diese
beiden nicht. Seitdem beschäftigt der vermummte Staatsanwalt
die sozialen Netzwerke und die Medien, zuerst berichtete der
Journalist Edgar Lopez.

Dass Polizeibeamte auf solchen Versammlungen unerkannt


unterwegs sind, ist nicht ungewöhnlich. Aber was macht ein
Staatsanwalt in schwarzer Kapuzenjacke, Sturmmaske und mit
Klemmbrett an so einem Tag auf der Straße?

Der Staatsanwalt soll sich nicht unter


Versammlungsteilnehmer gemischt haben

Das Bild erweckt den Eindruck, die beiden vermummten


Beamten hätten sich unter die Versammlungsteilnehmer
gemischt und machten sich nun Notizen oder tauschten
Erkenntnisse mit den uniformierten Beamten aus. Polizei und
Staatsanwaltschaft bemühten sich aber, dem schnell zu
widersprechen: "Mutmaßungen, wonach diese beiden Beamten
unter den vermummten Versammlungsteilnehmern gewesen
sind und damit angeblich dazu beigetragen haben, dass der
durch die Versammlungsbehörde zunächst beschiedene Aufzug
nicht laufen durfte, entbehren jeglicher Grundlage", teilte die
Polizei mit.

Der Staatsanwalt und die Kriminalbeamtin seien zum Zeitpunkt


der Versammlung und der anschließenden gewalttätigen
Ausschreitungen noch nicht vor Ort gewesen. Die
Staatsanwaltschaft verzeichnete nach der beendeten
Versammlung ab etwa 18 Uhr am Samstagabend Angriffe auf
Polizeibeamte. Demonstranten hätten Böller, Steine und
Flaschen geworfen. Die Polizei kesselte daraufhin am Heinrich-

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Schütz-Platz eine große Gruppe ein, die sie für den
gewalttätigen Kern hielt. Sie handelt nach eigenen Angaben zur
Gefahrenabwehr, stützt sich auf das Polizeirecht, will damit
Störungen unterbinden. Die Polizei sprach zunächst von rund
300 Personen im Kessel, später wurde diese Zahl auf mehr als
1.000 korrigiert.

Zu dieser Zeit sind laut Staatsanwaltschaft vier


Bereitschaftsstaatsanwälte im Führungsstab der Polizei im
Zentrum der Stadt im Einsatz. Sie bekommen Videoaufnahmen
und Fotos der Ausschreitungen zu sehen und entscheiden,
Ermittlungen einzuleiten, nun geht es also um Strafverfolgung:
Anfangsverdacht auf Landfriedensbruch in einem besonders
schweren Fall (§ 125a Strafgesetzbuch, Strafmaß sechs
Monate bis 10 Jahre), tätlichen Angriff auf
Vollstreckungsbeamten und gefährliche Körperverletzung. In
einem Fall geht es gegen Unbekannt um den Vorwurf des
versuchten Mordes wegen eines geworfenen Molotow-
Cocktails.

Um 18.45 Uhr habe man sich entschieden, eine


Kriminalbeamtin und einen der Bereitschaftsstaatsanwälte vor
Ort zu schicken, um weitere "strafprozessuale Maßnahmen" zu
prüfen, die beiden trafen gegen 19.30 Uhr ein, wie die
Staatsanwaltschaft auf Anfrage von LTO mitteilt.

Fotos, Personalien, Beschlagnahme von


Mobiltelefonen…

Gemäß § 163b und 163c Strafprozessordnung (StPO) können


Staatsanwaltschaft und Polizeibeamte beim Verdacht auf
Straftaten Maßnahmen zur Identitätsfeststellung treffen und
dazu Strafverdächtige – und wenn das zur Aufklärung der

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Straftat geboten ist, auch unverdächtige Personen – festhalten.
Die Staatsanwaltschaft beschloss, "dass alle in der
Umschließung befindlichen Personen einer Identitätsfeststellung
sowie weiteren strafprozessualen Maßnahmen zu unterziehen
sind." Es wurden erkennungsdienstliche Fotos gemacht,
Personalien aufgenommen und rund 380 Mobiltelefone
beschlagnahmt. In rund der Hälfte der Beschlagnahmefällen
laufen Widerspruchsverfahren, nun müssen Gerichte
entscheiden.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft beantragte zu den Vorfällen


am Samstagabend außerdem sechs Haftbefehle. Die
Betroffenen wurden zunächst vorläufig festgenommen. Alle
Haftbefehle wurden mittlerweile von Richtern außer Vollzug
gesetzt, in einem Fall konnte die Identität bei der Vorführung bei
Gericht sofort geklärt werden, und der Haftbefehl wurde nicht
erlassen.

Die Maßnahmen zogen sich bis in den Morgen, der


Staatsanwalt vor Ort sei bis halb sechs am Morgen im Einsatz
gewesen.

Strafrechtler: "Staatsanwalt hätte auch im


Kostüm kommen können"

Das alles erklärt, warum der Staatsanwalt vor Ort war, aber
nicht, warum er sich szenetypisch vermummt hat. Die
Staatsanwaltschaft verweist auf den Eigenschutz: "Zum Zwecke
des Eigenschutzes verhüllten sowohl der
Bereitschaftsstaatsanwalt als auch die mit anwesende
Kriminalbeamtin nach Ankunft vor Ort ihre Gesichter." Der
Staatsanwalt – der in der Leipziger Szene bereits bekannt ist -
wollte nicht identifiziert werden. Die szenetypische Kleidung

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