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ALFONS KNOLL

GLAUBE
UND KULTUR
BEI
ROMANO
GUARDINI

Ferdinand Schöningh
Paderborn • München • Wien • Zürich
Diss. 94.1732

I Bayerische j
( Staatsbibliothek I
l München 1

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Knüll. Alfons:
Glaube und Kultur bei Romano Guardini / Alfons Knoll.
Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 1994
Zugl.: Tübingen. Univ., Diss., 1993
ISBN 3-506-74659-6

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem


und alterungsbeständigem Papier ©

© 1993 Ferdinand Schöningh, Paderborn


(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz 1,
D-33098 Paderborn)

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben


sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den
gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustim-
mung des Verlages nicht zulässig.

Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn

ISBN 3-506-74659-6
Für meine Eltern
in dankbarer Verbundenheit
Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1992/93 von der Katholisch-


Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertations-
schrift angenommen. Für die Drucklegung habe ich die wichtigste seither erschienene
Literatur, soweit dies möglich war, eingearbeitet, sowie den Text selbst noch einmal
durchgesehen und leicht bearbeitet. Das erste Kapitel und der Schluß wurden neu
gefaßt. Ebenso wurden Register erstellt, die den Umgang mit dem Buch erleichtern
sollen. Dabei griff ich gerne den Vorschlag auf, neben dem Personen- und dem Sach-
register auch noch ein Werke-Register beizufügen. Auf diese Weise läßt sich sehr
rasch ein Überblick über die von mir behandelten Schriften Romano Guardinis
gewinnen.
Mein Dank gilt in erster Linie der obengenannten Fakultät, sowie allen, die den
Fortgang dieser Arbeit mit Rat und Tat unterstützt haben. Ich denke dabei an erster
Stelle an den ehemaligen Professor Dr. Walter Kasper, der meine Beschäftigung mit
dem Werk Romano Guardinis gutgeheißen und mich besonders auf die Problem-
stellung "Glaube und Kultur" hingewiesen hat. Nach seiner Weihe zum Bischof hat
mich Professor Dr. Peter Hünermann in den Kreis seiner Doktoranden aufgenommen
und war in großzügiger Weise bereit, meine Arbeit weiter zu betreuen. Dafür möchte
ich ihm noch einmal herzlich danken. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Bernd
Jochen Hilberath für die Erstellung des Zweitgutachtens, sowie Herrn Professor
Dr. Alfons Auer, der mir in vielen Gesprächen und Begegnungen wertvolle Impulse
für mein theologisches Studium und meinen priesterlichen Dienst gegeben hat. Wich-
tig waren mir auch die Begegnungen mit Priesteramtskandidaten und Studierenden
der Theologie während meiner Tätigkeit als Repetent am Tübinger Wilhelmsstift und
am Rottenburger Priesterseminar. Sie gehören zur Entstehungsgeschichte dieser
Arbeit ebenso wie die anschließenden pastoralen Erfahrungen in den fünf Starzacher
Kirchengemeinden. Mein Dank gilt insbesondere den Kollegen, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern im kirchlichen Dienst, die mir in den letzten Jahren die Erfahrung
christlicher "communio" ermöglichten. Ohne sie hätte ich mir mein bisheriges theo-
logisches Arbeiten nicht vorstellen können.
Wer sich mit Romano Guardini beschäftigt, findet früher oder später auch den Weg
zur Burg Rothenfels am Main. Dort wird das Studium dieses Werkes bis heute
gepflegt, was insbesondere auch auf das Engagement seines derzeitigen Bildungs-
referenten, Herrn Ludger Bradenbrink, zurückzuführen ist. Die Teilnahme und Mitar-
beit an Guardini-Tagungen, sowie die anregenden und engagierten Diskussionen im
Romano-Guardini-Studienkreis haben meine eigene Beschäftigung mit diesem Autor
wesentlich gefördert und meinen Blick entscheidend geweitet. Dies lag nicht zuletzt
8

an der fundierten Begleitung durch Frau Professorin Dr. Hanna-Barbara Gerl und
Herrn Professor Dr. Arno Schilson. Besonders dem zuletzt Genannten, der mir in der
Abschlußphase des Promotionsstudiums manche Ermutigung zukommen ließ, möchte
ich meinen aufrichtigen Dank abstatten. Für die inhaltliche Profilierung meiner
Untersuchung war außerdem die Benutzung des Romano-Guardini-Archivs der
Katholischen Akademie in Bayern von großer Bedeutung, wofür ich Herrn Direktor
Dr. Franz Henrich und Herrn Professor Dr. Hans Mercker eigens danken möchte.
Dankbar bin ich auch dem Schöningh-Verlag Paderborn für die Bereitschaft, meine
Arbeit zu veröffentlichen. Vor allem aber danke ich meiner Diözese Rottenburg-
Stuttgart, der Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels und der Katholischen
Akademie in Bayern für ihre großzügige Unterstützung bei der Drucklegung. Für die
endgültige Gestaltung des Textes und die Erstellung der Register konnte ich außer-
dem auf die Hilfe zuverlässiger Mitarbeiter zählen. Besonderen Dank schulde ich
dabei Frau Ana Smidt, sowie den alten "Mitstreitern" Gerald Schupp und
Hans-Michael Schneider für ihre mühsame Arbeit am Detail und ihr konstruktives
Mitdenken.
Dieses Buch wurde abgeschlossen in den Tagen zwischen Weihnachten und dem
Erscheinungsfest. Der Wechsel vom Schreibtisch in die weihnachtlich geschmückten
Kirchen war anstrengend und zugleich wohltuend. Er erinnerte mich daran, daß Theo-
logie nicht nur geschrieben, sondern auch gefeiert werden will. Dies gilt besonders in
diesem Fall, wo sich die Feier der Geburt Christi mit dem Versuch kreuzt, Glaube
und Kultur miteinander in Beziehung zu bringen.
Denn die Inkarnation Gottes ermöglicht die Inkulturation des Glaubens.
Nichts Menschliches bleibt unberührt, wenn Gott Mensch wird.

Starzach-Börsti ngen,
am Fest der Erscheinung des Herrn 1994

Alfons Knoll
Inhaltsverzeichnis

Einleitung 15
1. Der Begriff "Kultur" 15
2. Der Begriff "Glaube" 18
3. Das Werk Romano Guardinis 20
4. Zur Vorgehensweise 27

Kapitel I
Das Umfeld: Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch 29

1. Das Kulturideal des deutschen Bildungsbürgertums und


die Isolation des Katholizismus 30
a. Kultur und Bildung 30
b. Katholiken im Bildungsrückstand 33
2. Die Kulturkrise und ihre Folgen 35
a. Neue Kräfte im Bildungsbürgertum 35
aa. Vom "Idealismus" zum "Realismus" 35
bb. Kulturreform 37
cc. Die Jugendbewegung 39
b. Umbruch im Denken 40
aa. Kant, die Psychologie und das "Leben" 40
bb. Husserl, die "Phänomene" und die menschliche "Existenz" 44
c. Annäherungen an den Katholizismus 46
3. Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 48
a. Eine verpaßte Gelegenheit: Die Tragik des "Modernismus" 48
b. Ein neues Selbstbewußtsein: Katholische "Bewegungen"
nachdem Ersten Weltkrieg 51
aa. Die Liturgische Bewegung 53
bb. Die katholische Jugendbewegung 54
cc. Die Akademikerbewegung 57
dd. Der theologische Aufbruch 59
c. Triumphalistischer Ausklang? Der Katholizismus zwischen Glaube und Kultur 60

Kapitel II
Die Anfänge: Interesse am Leben 65

1. Das frühe Ringen 66


a. Fremdheit und Schwermut 66
b. Verstehende Psychologie 68
c. Bindung an die Kirche 70
2. Das Gegensatzdenken: Die lebendige Konkretheit menschlicher Existenz 74
a. Die Idee des Gegensatzes und der Versuch einer Typenlehre 75
10

aa. Geistesgeschichtlicher Ausgangspunkt: Die romantische "Polarität" 75


bb. Systematische Ausarbeitung: "Gegensatz und Gegensätze" (1914) 78
b. Auf dem Weg zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten 81
aa. Das Gegensatzbuch von 1925 81
bb. Beiträge zum philosophischen Gespräch: Die Wende
zum "Lebendig-Konkreten" 84
(1) Phänomenologie: Die Wende zum "Objekt" 85
(2) Lebensphilosophie: Die Ganzheit des "Lebens" 87
(3) Kierkegaard: Die Grenzen des "Gegensatzes" 90
(4) Anthropologie: Die Existenz des Menschen 92
(5) Kultur und Gemeinschaft 93
(6) Erkenntnistheorie: "Anschauung" des "Lebendig-Konkreten" 95
3. Liturgie und Kirche: Der Glaube als Lebensraum 100
a. Vom "Geist" der Liturgie 100
aa. Der Weg zur Liturgie 100
bb. Befreiende "Objektivität" 103
cc. Liturgie als "Kultur" 106
dd. Die Begründung im "Mysterium" 109
b. Vom "Sinn" der Kirche 114
aa. Kirche als Autorität 114
bb. Selbsthingabe und Selbstbewahrung 117
cc. "Katholizität" als lebendige Ganzheit 121
dd. Theologische Vertiefungen 128
4. Ergebnis 130

Kapitel III
Die Weichenstellung: Katholischer Glaube als Weltanschauung 133

1. Theologische Suchbewegungen 134


a. Die Gestalt der Theologie 134
b. Das Wesen der Theologie 138
2. Der neue Blickwinkel: Die Berliner "Antrittsvorlesung" (1923) 142
a. Das Problem: "Katholische Weltanschauung" in Berlin 142
b. Die Ausgangsfrage: Was ist "Weltanschauung"? 150
c. Der Perspektivenwechsel: "Weltanschauung" vom Glauben her 158
d. Kritische Zwischenreflexion 162
3. Die Vorlesungstätigkeit 164
a. Der Charakter der Vorlesungen 164
b. Die Themen 167
c. Von Berlin nach München 171
d. Resümee 173

Kapitel IV
Die Konkretisierung: Der Blick auf die Kultur 175

1. Der Zustand der Kultur 175


a. Der Maßstab des Mittelalters 176
b. Die Herausforderung des Menschen durch die Technik 183
aa. Wehmut und Abscheu 183
bb. Bereitschaft zur Zukunft 189
11

cc. Gläubige Mitverantwortung 191


c. Die Aufgabe personaler Bildung 193
aa. Die neue Tiefenkraft 193
bb. Hoffnungsträger 195
cc. Soziale Ordnung und politisches Handeln 196
2. Die Bedeutung der Kultur in der "Welt" des Menschen 201
a. Der Begriff "Welt" 201
b. "Kultur" und "Natur" 203
aa. Zwei Aspekte von "Welt" 203
bb. Der menschliche Geist - die Wurzel der "Kultur" 204
cc. Rückkehr zur "Natur"? 206
c. Die "Kulturwelt" des Menschen 210
3. Christentum und Kultur 214
a. Hinweise in den frühen Schriften Guardinis 214
aa. Kultur als Ausdrucksmittel des Glaubens 214
bb. Glaube als prägender Bestandteil der Kultur 217
cc. Die kritische Funktion des Glaubens gegenüber der Kultur 219
b. Ansätze im kirchlichen und theologischen Umfeld 221
aa. Vom "Kulturprotestantismus" zur "Dialektischen Theologie" 222
bb. Vom "Kulturkatholizismus" zur "Unterscheidung des Christlichen" 225
cc. Natur und Gnade 229
c. "Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur" (1926) 235
aa. Die Fragestellung 235
bb. Religion und Kultur 237
cc. Christentum und Kultur: Die "Antinomie" in der "Analogie" 242
(1) Die "definitive" Offenbarung und die Kultur 242
(2) Die Antinomie: "Lebensnähe" und "Ärgernis" des Glaubens 244
(3) Die "Analogie": Ähnlichkeit bei je größerer Unähnlichkeit 246
(4) Die Grundsatzfrage: "Hat vor dem Christlichen
das Natürlich-Kulturelle einen eigenen Wert?" 250
(5) Die erste Variante: "Kann das Christliche in das Kulturelle
hineingetragen werden?" 251
(6) Die zweite Variante: "Kann das Kulturelle in das Christliche
hineingetragen werden?" 252
(7) Die relative Eigenständigkeit der "Natur" 253
dd. Die Neuartigkeit christlicher Existenz: "Pneuma" und "Reich Gottes" 254
ee. Ausblick: Das Hineintragen des "Christlichen" in die Kultur 258

Kapitel V
Die Entfaltung: Interpretation als Begegnung mit der Kultur 261

1. Ausgangspunkt und Methode der Interpretation 262


a. Die Frage nach der "Existenz" 262
b. Das Interesse an einer "Begegnung" 265
c. Das Suchen der "Kultur" 269
d. Die Wahrheit der "Weltanschauung" 271
e. Der "Blick" des Glaubens 275
2. Ergebnisse der Interpretation: Konsequenzen für Glaube und Kultur
in der Gegenwart 278
a. Dostojewskij und die neuzeitliche Emanzipation vom Glauben 278
aa. Die Nähe zu "Natur" und "Volk" 279
12

bb. Die Grundproblematik der Neuzeit


cc. Konturen einer künftigen Glaubensgestalt
b. Modelle gläubiger Existenz
aa. Der neue "Blick" des Glaubens (Pascal)
bb. Die Bindung an Gott (Augustinus)
cc. Christliche Bejahung der Endlichkeit (Dante)
c. Hölderlins nachchristliche Religiosität
aa. Der Weg zu Hölderlin in "dürftiger Zeit"
bb. Weltbild und Frömmigkeit
cc. Heimweg zu Christus?
d. Rilke und die "Säkularisierung" des Glaubens

Kapitel VI
Die Standortbestimmung: Die Kultur am Ende der Neuzeit

1. Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit


a. Die Fragestellung: Illegitimität der Neuzeit?
b. Das Ja zu einer "relativen Autonomie"
aa. Gehorsam und Bindung
bb. Innerweltliche Autonomie
cc. Autonomie und Theonomie
dd. Autonome Moral?
c. "Welt und Person" (1939)
aa. Das "Dasein": "Natur" oder "Schöpfung"?
bb. Die "andere" Seite der Endlichkeit: "Nichts" oder "Gott"
(1) "Innerlichkeit" und "Höhe"
(2) Die "Grenze" der "Welt"
(3) Erlöste Schöpfung
cc. Personalität: Eigengehörigkeit durch Gottbezogenheit....
(1) Das Gegenüber der "Welt"
(2) Phänomenologische Annäherung
(3) Theologische Begründung
(4) Keine Heteronomie
d. Konkretisierungen in der christlichen Existenz
aa. Geschichte und Vorsehung
bb. Freiheit - Gnade - Schicksal
2. Der Wille zur Macht und die Aufgabe der "Nach-Neuzeit"....
a. Die bedrückende Lage
b. Die geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
c. Die Bändigung der Macht
3. Orientierung und Wegweisung am "Ende" der Neuzeit
a. Die Neuzeit am "Ende"
aa. Das Mittelalter
(1) Abhebung von der Antike
(2) Abhebung von der Neuzeit
(3) Kritische Rückfragen
bb. Die Neuzeit
(1) Die Charakterisierung der Epoche
(2) Einwände und Präzisierungen
cc. Die Gegenwart
(1) Das "praktische" Interesse
(2) Das "Ende" der "Natur"
13

(3) Zwischenreflexion: Die Einteilung in kulturelle Epochen 412


(4) Das "Ende" der "Persönlichkeit" 414
(5) Zwischenreflexion: "Ende" oder "Vollendung" der Neuzeit? 417
(6) Das "Ende" einer "humanen" Kultur 418
(7) Das Schicksal des Glaubens 421
dd. Folgerungen: Die "Gefährdung" der Kultur und die
"Unvollständigkeit" des Menschen 424
b. Befähigung zum Handeln 428
aa. Die christliche Verantwortung 429
(1) Spielt der Glaube keine Rolle? 429
(2) Theologie der "Macht" 431
(3) Einordnung in die spätere Diskussion 435
bb. Perspektiven für den Menschen der Gegenwart 438
(1) Noch einmal: Verzicht auf das Spezifisch-Christliche? 438
(2) Die Bedeutung der "Sinne" 442
(3) Stärkung des Personalen 443
(4) "Regieren" als Kunst 443
(5) Männliche und weibliche Sichtweise 444
(6) Möglicheinstanzen 445
(7) Kontemplation 445
(8) Askese 447
(9) Rehabilitierung der Tugend 448
(10) Europa 450
(11) Neue Chancen für den Glauben? 451
(12) Ausblick 452
Kapitel VII
Das Ziel: Erschließung des Glaubens 455

1. Glaube als "Anfang" 457


2. Biblische Mystagogie: Glaube als Begegnung 462
a. Hermeneutische Prinzipien theologischer Schriftauslegung 462
b. Die Predigt als Ort biblischer "Mystagogie" 467
c. Begegnung mit dem "Herrn" 473
3. Die Suche nach einer "anderen" Theologie 477
a. Kulturelle Herausforderungen 477
b. Christologische Versuche 482
c. Offenbarung und Personalität 485
d. Theologie und menschliche Existenz 488
e. Die bleibende Bedeutung der Kirche 494
4. Die Zukunft des christlichen Glaubens 499
a. Späte Akzentsetzungen 500
b. Glaubensgestalt und Glaubenserfahrung am "Ende" der Neuzeit 504
aa. Der Glaube in der Reflexion 504
bb. "Realisierung" des Glaubens in der Zukunft 507
cc. "Nihilistischer" Glaube 509
c. Die Frage nach der Liturgiefähigkeit 512
aa. Die Fragestellung 512
bb. Stationen eines Weges 514
(1) Im Aufwind der zwanziger Jahre 514
(2) Die Epiphanie Christi in der Liturgie 515
(3) Reform der Liturgie 517
cc. Eine ungelöste Aufgabe 519
14

5. Fazit 521

Schluß 523
1. Ein Blick zurück 524
2. Versuch einer Bilanz 535
a. Inhaltliche Schwerpunkte 535
aa. Drei Phasen der Werkgeschichte 535
bb. Drei Schwerpunkte im Verhältnis von Glaube und Kultur 536
b. Stärken und Schwächen 538
aa. Die Beheimatung des Menschen im Glauben 538
bb. Gläubige Interpretation der Kultur 538
cc. Der gemeinsame Dialog über die Zukunft des Menschen 540
3. Ausblicke 542
a. "Postmoderne" Realität 542
b. "Postmodernes" Denken 544
c. "Postmoderne" Theologie 545
d. Offener Blick und fester Stand 546
e. Akzente und Fragestellungen 548
aa. Die Beheimatung des Menschen im Glauben 548
bb. Gläubige Interpretation der Kultur 549
cc. Der gemeinsame Dialog über die Zukunft des Menschen 551

Abkürzungen 555
Literaturverzeichnis 557
I. Schriften Romano Guardinis 557
II. Literatur zum Werk Romano Guardinis 570
III. Sonstige Literatur 580
Register der zitierten Schriften Romano Guardinis 597
Personenregister 601
Sachregister 610
Einleitung

"Leben", "Welt", "Kultur", "Neuzeit":


Das sind Stichworte, die im Werk Romano Guardinis (1885-1968) ständig wieder-
kehren.
Bei einem Autor, der konsequent vom christlichen Glauben aus zu denken versuch-
te, ja sich dezidiert als Interpret seiner Kirche verstand, mag dies zunächst überra-
schen. Doch schon als Seelsorger und Pädagoge, als Mitinitiator der katholischen
Aufbruchsbewegungen nach dem Ersten Weltkrieg (besonders der Jugend- und der
Liturgischen Bewegung), als dogmatischer Theologe, als Dozent für
"Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung", sowie als theologischer und
geistlicher Schriftsteller hat sich Guardini der konkreten Wirklichkeit menschlicher
Existenz, die in den genannten Begriffen aufscheint, mit allem Ernst gestellt. Noch
eindeutiger freilich geschah das in seinem Gegensatzdenken, in den pädagogischen
und anthropologischen Reflexionen, den interpretatorischen Schriften und in den
kulturkritischen Stellungnahmen, die sein gesamtes Werk durchziehen. Aber auch
hier, wo Guardini sich direkt auf die menschliche Lebenswirklichkeit bezog, vergaß
er keineswegs seinen christlichen Ausgangspunkt. Sein ganzes Werk war vielmehr
von dem Bemühen geleitet,
"die Unbedingtheit des gläubigen Denkens mit dem unbefangenen Blick auf die
Wirklichkeit der Dinge und den Reichtum der Kultur ins Verhältnis zu brin-
gend
Bevor wir dieses fundamentale Bemühen in seinen vielfältigen Ausdrucksweisen und
Aspekten im Einzelnen nachzeichnen, sind einige Bemerkungen vorauszuschicken,
die den Ansatzpunkt und das Ziel der hier vorgelegten Untersuchung markieren.
Dabei geht es zunächst um die Begriffe "Kultur" und "Glaube", dann um das Werk
Romano Guardinis im Ganzen und schließlich um die konkrete Vorgehensweise.

1. Der Begriff" Kultur"

Der Begriff "Kultur" kann in unserem Sprachgebrauch Verschiedenes bedeuten: die


landwirtschaftliche Pflege und Bebauung des Bodens; junge Bestände von Forst-
pflanzen; die Zucht von Bakterien und anderen Lebewesen auf Nährböden; eine ver-
feinerte Lebensweise und Bildung; die Erzeugnisse wissenschaftlichen und künstleri-
schen Schaffens; schließlich die Gesamtheit aller menschlichen Bemühungen um die

Berichte, 86.
16 Einleitung

Bewältigung der Natur, die Regelung zwischenmenschlicher Verhältnisse, sowie die


leibliche und geistig-seelische Entfaltung des Menschen.2 Den zuletztgenannten um-
fassendsten Kulturbegriff setzt die vorliegende Untersuchung voraus. Auf ihn hat sich
auch das II. Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution über die "Kirche in der
Welt von heute" ("Gaudium et Spes") bezogen:
"Unter Kultur versteht man alles, wodurch der Mensch seine vielfältigen geisti-
gen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet; wodurch er sich die ganze
Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesell-
schaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im
moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er
endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen im Lauf der Zeit in
seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht - zum
Segen vieler, ja der ganzen Menschheit."(GS 53,2)
Der hier vorliegende Sprachgebrauch hat sich auf der Basis des landwirtschaftlichen
Kulturbegriffs (lat. "cultura" = "Ackerbau") und im Zusammenhang der neuzeitlichen
Bildungstradition (im Rückgriff auf Cicero: "cultura animi" = "Pflege des Geistes",
geistige "Bildung") entwickelt, was in der Mehrdeutigkeit des Begriffs bis heute
nachklingt.3 "Kultur" in diesem umfassenden Sinn des Wortes kann sich sowohl auf
den Vorgang, wie auf das Ergebnis menschlichen Schaffens beziehen, wobei die
"objektive" Kultur auf dem Wege geschichtlicher Tradierung weitergegeben wird.
Der Begriff wird zum Bestandteil der Anthropologie, insofern der Mensch durch
seine Kulturfähigkeit Leistungen vollbringt, die ihn grundsätzlich von anderen
Lebenwesen unterscheiden. Im Plural wird der Kulturbegriff dazu benutzt, um die
bunte Vielfalt menschlicher Lebensäußerungen zu ordnen und die "Kulturen" ver-
schiedener geschichtlicher Epochen bzw. unterschiedlicher Landschaften, Völker,
Sprachgemeinschaften und anderer sozialer Gebilde miteinander zu vergleichen.
Auch diesen Aspekt hat das II. Vatikanische Konzil besonders einprägsam hervorge-
hoben:
"Denn aus der verschiedenen Weise des Gebrauchs der Sachen, der Arbeitsge-
staltung, der Selbstdarstellung, der Religion und der Sittlichkeit, der Gesetzge-
bung und der rechtlichen Institution, der Entfaltung von Wissenschaft, Technik
und Kunst entsteht eine Verschiedenheit der gemeinschaftlichen Lebensformen
und Gestalten, in denen die Lebenswerte zu einer Einheit zusammentreten. So
bildet sich aus den überlieferten Einrichtungen ein jeder menschlichen Gemein-
schaft eigentümliches Erbe. So entsteht für den Menschen jedweden Volkes und
jeder Zeit auch eine abgegrenzte und geschichtliche Umwelt, in die er eingefügt
bleibt und von der her er die Werte zur Weiterentwicklung der menschlichen
und gesellschaftlichen Kultur empfängt." (GS 53,3)
In solche Beschreibungen schleicht sich allerdings nicht selten ein normatives Kultur-
verständnis ein, denn jeder "Versuch einer Bestimmung dessen, was Kultur ist, ist
2
Bewußt habe ich für diese erste Umschreibung zwei Lexika herangezogen, die mir eher zufällig in die
Hände kamen: Der Große Duden, Bd. 5, Fremdwörterbuch, bearb. v. K.-H. Ahlheim, 2., verb. u. verm. Aufl.,
Mannheim-Wien-ZUrich, 1966, 393; Das neue Fischer Lexikon in Farbe, Bd. 5, Frankfurt/M. 1981, 3483f.
3
Vgl. dazu Perpeet, Kultur; Brugger, Kultur; Hauser, Kultur; Rodi, Kultur; Niedermann, Kultur. Zur
neuzeitlichen Begriffsgeschichte vgl. Kapitel I,l,a.
Einleitung 17

auch immer schon eine Stellungnahme zu dem, was Kultur sein sollte, und stellt
schon wieder eine, wenn auch sehr geringfügige Modifikation von Kultur dar."4
Die Bedeutung, die der Kulturbegriff innerhalb des neuzeitlichen Weltverständnis-
ses und vor allem im deutschen Bildungsbürgertum gespielt hat (vgl. dazu Kapitel I),
läßt es als gerechtfertigt erscheinen, ihn aus den eingangs genannten Stichworten
herauszuheben und nach seinem Vorkommen im Werk Romano Guardinis zu fragen.
Dafür spricht auch, daß dieser selbst in der Betrachtung der "Kultur" eine Konkreti-
sierung dessen gesehen hat, was er mit dem Projekt einer "katholischen Weltanschau-
ung" beabsichtigte (vgl. dazu Kapitel IV). Für das II. Vatikanische Konzil führte die
Standortbestimmung der "Kirche in der Welt von heute" unweigerlich auf eine
Betrachtung der menschlichen Kultur, auch wenn dieser Begriff schließlich dann
doch nicht zum einheitlichen Leitfaden der Pastoralkonstitution geworden ist.5 Schon
bald nach dem Konzil wurde aber immer nachdrücklicher die Forderung nach einer
"Inkulturation" des Glaubens erhoben - vor allem von den Katholiken der sogenann-
ten "Dritten Welt"6. Sie entdeckten die Besonderheit ihrer eigenen "Kultur", die im
Zuge der Christianisierung allzu unüberlegt zugunsten einer abendländischen Ein-
heitskultur unterdrückt worden war - oft genug in verhängnisvoller Verquickung mit
rücksichtslosen politischen Eroberungsfeldzügen.
Aber auch in Europa stellt sich am Ende des zweiten Jahrtausends die Aufgabe
einer neuen "Inkulturation". Die abendländische Kultur, an deren Entstehung das
Christentum maßgeblich beteiligt war, präsentiert sich heute in einer säkularisierten
Gestalt, der die christlichen Kirchen immer fremder gegenüberstehen. So erhebt sich
die Forderung nach einer "Neuevangelisierung" Europas.7 Auch sie kann nicht mehr
einfach auf die alte "abendländische" Einheit von Christentum und Kultur zurückgrei-
fen, sondern muß die Herausforderungen der eigenen Epoche zum Ausgangspunkt
wählen.8 Darum ist die Frage nach der "Kultur", die Romano Guardini gerade auf

4
Schupp, Glaube - Kultur - Symbol, 9f.
5
Von seiner sehr grundsätzlichen Definition her könnte das Thema "Kultur" eigentlich den II. Hauptteil
eröffnen, in dem es - nach den grundsätzlicheren anthropologischen Ausführungen im I. Hauptteil - um
konkrete Einzelfragen wie Ehe und Familie, Wirtschaftsleben, politische Tätigkeit, sowie Frieden unter den
Völkern geht. "Kultur" erscheint nun als ein Bereich menschlichen Lebens neben anderen (II. Kapitel des II.
Hauptteils!), obwohl sie den Definitionen nach eigentlich als jenes fundamentale Medium betrachtet werden
müßte, "das allen politischen, ökonomischen, sozialen und internationalen Gegebenheiten zugrundeliegt"
(Moeller, Pastoralkonstitution, 271).
" Vgl. A. A. Roest Crollius, Inkulturation als Herausforderung, in: M. Sievernich/G. Switek (Hg.), Ignatia-
nisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu, Freiburg 1990, 613-623; HUnermann, Evangelisierung
und Kultur (1986); H. Waldenfels, Inkulturation, in: U. Ruh/D.Seeber/R. Walter (Hg.), Handwörterbuch reli-
giöser Gegenwartsfragen, Freiburg 1986, 169-173; Kehl, Kirche, 246-257. Zur Übertragung des Prinzips der
Inkarnation auf die Verkündigungstätigkeit der Kirche vgl. Tucci, Einleitung und Kommentar (zur Pastoral-
konstitution), 465.
7
Zum Begriff der "Evangelisierung" vgl. Paul VI., Apostolisches Mahnschreiben "Evangelii nuntiandi"
vom 8. 12. 1975, bes. Nrn. 18-20 (vgl. DH 4574-4578); 3. Generalversammlung des lateinamerikanischen
Episkopats in Puebla (Mexiko) "La evangelizaciön" vom 13. 2. 1979, bes. Nrn. 444-457 (vgl. DH 4621-4625);
W. Kasper, Evangelisierung und Neuevangelisierung. Überlegungen zu einer neuen pastoralen Perspektive,
Rottenburg 1990.
8
Vgl. dazu schon Pius XII.: "Eine Rückkehr zum Mittelalter? Kein Mensch träumt davon!" (Ansprache
vor den Mitgliedern des X. Internationalen Kongresses der Geschichtswissenschaften vom 7. 9. 1955, in:
AAS 47 [1955], 678f.; zit. bei Congar, Einleitung und Kommentar, Anm. 10a, 401).
18 Einleitung

dem Hintergrund der neuzeitlichen Entwicklungen gestellt hat, von großer Bedeutung
für die Zukunft des Christentums in einem Europa, das politisch und wirtschaftlich
immer fester zusammenwächst.

2. Der Begriff "Glaube"

In der Alltagssprache bezeichnet "Glaube" eine subjektive Überzeugung irgendwo


zwischen "Meinen" und "Wissen", allerdings auch eine personale Beziehung ("Ich
glaube dir" - "Ich glaube an dich").9 In unserem Zusammenhang interessiert allerdings
gleich die religiöse Bedeutung des Begriffs, der einerseits ein bestimmtes
"Fürwahrhalten" transzendenter Gegebenheiten, andererseits frommes Vertrauen und
feste Zuversicht einschließt und in dieser noch sehr allgemeinen Form in allen Reli-
gionen, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung, vorkommt.10 Auch im christli-
chen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort einerseits die Glaubensinhalte ("fides quae
creditur"), andererseits den Akt des Glaubens selbst ("fides qua creditur"), der
freilich unterschiedlich bestimmt werden kann (vom Erkenntnisvermögen her, vom
Willen her, als Zustimmung, als Vertrauen usw.). Er rückt wie in den übrigen Offcn-
barungsreligionen (Judentum, Islam) in den Mittelpunkt des religiösen Lebens, das ja
hier wesentlich von Gottes Sclbstoffenbarung ausgeht und auf die (glaubende!)
Antwort des Menschen zielt. Glaube ist jetzt das "Ja" zu Gott, der sich im Offenba-
rungsgeschehen selbst erschließt, zugleich aber auch das "Ja" zu den Inhalten, die
sich daraus ergeben. Theologie als Glaubenswissenschaft aber setzt dieses fundamen-
tale "Ja" voraus, um von daher das Erkennen und Wissen über den Glauben, das
Wissen und Verstehen im Glauben, sowie das Wissen aus dem Glauben in metho-
disch geordneter und wissenschaftlich verantworteter Weise zu vertiefen.11
Vom Begriff des Glaubens unterscheidet sich derjenige der "Religion". In der
Antike auf kultische Gottesverehrung eingeschränkt, bei Augustinus auf die "vera
religio" der Kirche (Gottesverehrung und Gotteserkenntnis!) bezogen, ist der Begriff
heute im Blick auf eine Vielzahl von "Religionen" zu einem allgemeinen Oberbegriff
geworden, dessen genaue Definition je nach Standpunkt und Interesse stark diffe-
riert.12 In seinem allgemeinreligiösen Sinn erscheint der "Glaube" daher als Bestand-
teil der "Religion", im spezifisch christlichen, auf das Offenbarungsereignis bezoge-
nen Sinn tritt er den übrigen "Religionen" gegenüber und hebt sich von ihnen als
eigene Größe, nämlich als "Christentum", ab.13 Allerdings ist dieses Phänomen nicht
nur ein Aspekt des Glaubens, sondern auch ein Bestandteil der Kultur. Ähnlich wie
y
Vgl. P. Neuner, Der Glaube als subjektives Prinzip der theologischen Erkenntnis, HFTh 4 (1988), 51-67,
hier 51 f.
10
Vgl. G. Lanczkowski, Glaube. I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 13 (1984), 275-277, hier 275.
1
1 Vgl. Seckler, Glaubenswissenschaft, 196-215, bes. 196-199.
12
Vgl. dazu R. Schaeffler, Auf dem Weg zu einem philosophischen Begriff der Religion, in: HFTh 1
(1985), 57-72; M. Seckler, Der theologische Begriff der Religion, ebd., 173-194.
13
Vgl. F. König/J. Kremer, Christentum, in: F. König/H. Waldenfels, Lexikon der Religionen, Freiburg-
Basel-Wien 1987, 105-116, bes. 105.
Einleitung 19

bei den Begriffen "Katholizismus" oder "Protestantismus", die bereits eine Konfes-
sionalisierung des "Christentums" voraussetzen, ist besonders die äußere Gestalt des
christlichen Glaubens gemeint, die freilich immer wieder auf ihr "Wesen"14 hin zu
befragen ist. Auch der "Katholizismus" ist nicht einfach mit dem "katholischen
Glauben", nicht einmal mit der "katholischen Kirche" identisch, sondern umschreibt
jene geschichtlichen Lebensäußerungen im kulturellen, politischen und sozialen
Bereich, die zwar im katholischen Glauben gründen und mit der katholischen Kirche
in einem wesentlichen Zusammenhang stehen, zugleich aber immer auch auf eine
bestimmte kulturelle Gesamtsituation bezogen sind.15
Romano Guardini hat außer den genannten Begriffen noch den der "katholischen
Weltanschauung" verwendet und ihm einen ganz bestimmten Sinn gegeben. Wir
werden im Laufe dieser Untersuchung noch ausführlich auf die Bedeutung dieses
Terminus eingehen (vgl. Kapitel III). Vorläufig sei festgestellt, daß er ein qualitatives
Verständnis von "Katholizität" voraussetzt, aus dem eine ganz besondere Weise des
Weltbezugs folgt. Ob die wissenschaftliche Form dieser "Weltanschauung" noch als
Theologie bezeichnet werden kann, oder ob sie nur irgendein unbestimmtes Etwas
zwischen Theologie einerseits und Philosophie, Literaturwissenschaft oder anderen
Einzelwissenschaften andererseits darstellt, hat immer wieder zu Irritationen geführt
und die theologische Rezeption von Guardinis Werk erschwert (vgl. dazu Abschnitt 3
dieser Einleitung). Soviel kann jedoch schon jetzt festgehalten werden: Ausgangs-
punkt bleibt stets der Glaube in einem streng christlich-theologischen Sinn, nicht
irgendeine allgemeinmenschliche oder -religiöse Grundhaltung, die sich auch anders
herleiten ließe. Von daher hat "katholische Weltanschauung", wie immer man sie
auch wissenschaftlich einordnen möchte, auf jeden Fall ein theologisches Fundament.
Haben wir somit den "Glauben", wie er in unserer Themenstellung gemeint ist, von
anderen Bezeichnungen des religiösen bzw. christlichen Lebens abgehoben, so ist
doch jetzt darauf hinzuweisen, daß in unserem Zusammenhang keine allzu enge Ein-
grenzung des Themas sinnvoll sein kann. Wenn Guardini über "Liturgie" und
"Kirche" spricht, wenn er das "Wesen katholischer Weltanschauung" bzw. das
"Wesen des Christentums" thematisiert, wenn er das Verhältnis von "Christentum und
Kultur" reflektiert - dann gehört das alles ebenfalls zum Bereich unserer Untersu-
chung über "Glaube und Kultur". Gerade dort, wo es um das Verhältnis zur "Kultur"
geht, kommt der "Glaube" zunächst ja immer in seiner "Außengestalt" in den Blick.
Dennoch gingen die Überlegungen am Thema vorbei, würde nicht immer wieder
hinter diese äußere Gestalt zurückgefragt auf das "Unterscheidend-Christliche" des
Glaubens und seiner Ausdrucksformen.

Vgl. dazu K. Rahner, Christentum, in: LThK2 II (1958), 1100-1115.


Vgl. zu dieser Definition Rahner, Katholizismus, 89; Lehmann, Katholizismus, 1499.
20 Einleitung

3. Das Werk Romano Guardinis

Die Frage nach "Glaube und Kultur" richtet sich in unserer Untersuchung an das
schriftlich vorliegende Werk Romano Guardinis. Dieses präsentiert sich sowohl
quantitativ wie auch inhaltlich als äußerst reichhaltig. Erhalten sind Zeitschriftenauf-
sätze, Monographien, Sammelbände, Kleinschriften und Veröffentlichungen aus dem
Nachlaß, die in der wichtigen Bibliographie von Hans Mercker (bis 1976) insgesamt
1849 Nummern umfassen.16 Hinzu kommen viele unveröffentlichte Notizen, Texte
und mehr oder wenig ausgearbeitete Manuskripte.17 Dem, der mit der Lektüre
beginnt, kann sich leicht der Eindruck aufdrängen, den Hans Urs von Balthasar
einmal geäußert hat:
"Es dürfte kaum möglich sein, eine exakte Geschichte der Grundgedanken Guar-
dinis zu schreiben; sie quellen auf in Gesprächen, Lektüren, werden bei Tagun-
gen, in Vorlesungen ein erstes Mal durchgeprobt, gewinnen schließlich, früher
oder später, einen ersten publizistischen Niederschlag, der vielleicht Anlaß zu
einem zentralen, sorgfältig durchgearbeiteten Werk wird; aber auch dieser
zusammengeronnene Strom kann sich später wieder in mannigfache Kanäle
unterteilen."18
In meiner Beschäftigung mit Guardini wollte ich freilich an diesem Punkt nicht stehen
bleiben. Die "Enttäuschung" Hans Urs von Balthasars über die "äußere Werkge-
stalt"19 sollte nicht das letzte Wort behalten. Seine Behauptung, eine namhafte
Entwicklung, gar eine Änderung der Grundpositionen habe es bei Guardini nicht
gegeben,20 wurde immer wieder einer Prüfung unterzogen und erwies sich mehr und
mehr als verfehlt oder zumindest irreführend. Zwar schälte sich ein einheitliches Ziel
heraus (eine "Vision"21), aber es wurden bald auch sehr deutlich voneinander abzuhe-
bende Schritte erkennbar, in denen der Autor auf dem Weg zu diesem Ziel voran-
schritt.
Es galt zunächst, das vorliegende Material zu sichten und im Hinblick auf das
gestellte Thema auszuwerten. Das unveröffentlichte Material wurde dabei nur in dem
Maße herangezogen, als es einen Bezug zum schriftlichen Werk erkennen ließ. Es ist
ja kein Zufall, wenn Guardini manche Fragmente nicht veröffentlicht haben wollte
bzw. wenn eine solche Ausarbeitung eines Themas auch nach längeren Anläufen
nicht recht gelingen wollte. Diese Versuche können daher keinesfalls gleichrangig
neben die veröffentlichten treten.22 Dennoch haben für den Gang meiner Guardini-

16
Vgl. Mercker, Bibliographie (1978); ergänzt durch Gerner, Nachtrag (1987).
'' Den größten Fundus besitzt das Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern; ergänzend
dazu die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek München (Ana 342, kurz: Stabi), sowie auf Burg Rothen-
fels. Im Unterschied zu den veröffentlichten (auch den aus dem Nachlaß veröffentlichten) Schriften wird in
dieser Untersuchung der Kurztitel mit einem Sternchen [*] versehen; vgl. Literaturverzeichnis I,d.
18
Balthasar, Guardini, 32f.
19
Vgl. Balthasar, Guardini, 33.
20
Vgl. Balthasar, Guardini, 11 und 33.
21
Balthasar, 33.
22
Vgl. dazu auch Henner, Pädagogik, 36f. - In gewisser Hinsicht gilt das auch von den posthum veröffent-
lichten (freilich von Guardini selbst schon bis zu einem gewissen Grad dazu vorbereiteten) Werke; vgl. v. a.
Einleitung 21

Interpretation einige Texte aus dem Nachlaß, vor allem aus dem Guardini-Archiv der
Katholischen Akademie in Bayern, eine besondere Bedeutung gewonnen, weil sie -
etwa im Hinblick auf die Gegensatzlehre, aber auch in Bezug auf Guardinis Stellung
zur nationalsozialistischen Ideologie und sein Kulturverständnis - einige neue
Perspektiven beisteuern können. Sie geben Einblicke in die "Werkstatt" des Autors
und die Genese seines Denkweges, ohne deswegen die größere Bedeutung dessen zu
schmälern, was von ihm als zur Veröffentlichung reifes Ergebnis seiner
"Suchbewegungen" betrachtet wurde.
Das veröffentlichte Werk wurde dagegen vollständig durchgearbeitet, ohne daß
bestimmte Texte aufgrund ihrer Themenstellung von vornherein ausgeschlossen
worden wären. Dabei erwies es sich als hilfreich, die einzelnen Schriften in ihrer
chronologischen Reihenfolge zu lesen und den Kontext, innerhalb dessen sie
erschienen (z. B. in den "Schildgenossen", der von Guardini mitherausgegebenen
quickbornnahen Kulturzeitschrift) und auf den sie sich bezogen (z. B. die lebensphi-
losophisch getönte Stimmung der zwanziger Jahre), mitzubeachten. Auf dieser Basis
ging mir auch die Relevanz solcher Themen auf, die zunächst relativ abgelegen
erschienen waren. Mehr und mehr entdeckte ich die Beziehung von Glaube und
Kultur als die eigentliche Triebfeder im Leben und Schaffen von Romano Guardini,
die Reflexion über "katholische Weltanschauung" aber als das programmatische
Konzept eines lebenslangen Bemühens, durch das "Kultur" wieder zu einem Thema
des Glaubens, der "Glaube" aber umgekehrt zu einem neuen Thema der "Kultur"
werden sollte.
Natürlich beginnt meine Arbeit nicht am Nullpunkt. Gerade seit dem Jubiläumsjahr
1985, in dem Guardinis 100. Geburtstag begangen wurde, häufen sich Untersuchun-
gen und Beiträge zu einzelnen Aspekten seines Werkes. Die wichtigsten Erträge
dieser Neuentdeckung sind einmal die biographisch-werkbiographische Er-
schließung, zu der neben der grundlegenden Darstellung von Hanna-Barbara Gerl
auch die Veröffentlichung von Briefen und autobiographischen Aufzeichnungen bei-
getragen hat.23 Zum andern wird mehr und mehr die theologische Relevanz von
Guardinis Schriften erkannt.24 Auch nichttheologische Guardini-Interpreten müssen
nun feststellen: "Ohne die theologische Grundlage kann das Denken Romano Guar-
dinis nicht angemessen wiedergegeben werden."25 Für eine Arbeit, die sich im

Existenz (1976), und neuerdings Ethik (1993). Gerade die Ethik muß allerdings noch eingehend ausgewertet
werden, was im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht möglich war.
23
Vgl. Gerl, Guardini (1985); Guardini, Berichte (1984); ders., Herwegen (1985); ders., Casel (1986);
ders., Buytendijk (1986). Zuvor bereits die Tagebuchnotizen 1942-1964: Wahrheit des Denkens (1980). - Die
Sekundärliteratur wird künftig durch die Angabe des Verfassernamens und des Kurztitels zitiert (vgl. Litera-
turverzeichnis II), die Primärliteratur nur durch den Kurztitel (vgl. Literaturverzeichnis I). Wenn es zur
besseren Übersicht hilfreich erscheint, wird außerdem noch das Erscheinungsjahr hinzugefügt. Schriften, die
sich nicht direkt auf das Werk Guardinis beziehen, aber den Kontext beleuchten, sind im Literaturverzeichnis
unter einer eigenen Rubrik aufgelistet (III).
24
Vgl. dazu v. a. Kleiber, Glaube (1985); Schilson, Perspektiven (1986); Mercker, Weltanschauung
(1988); Lechner, Theologie des Maßes (1991); Faber, Kirche (1993).
25
Henner, Pädagogik, 66.
22 Einleitung

Rahmen katholischer Dogmatik bewegt, ist diese Feststellung natürlich von besonde-
rer Tragweite.
Dies wurde allerdings nicht immer so klar gesehen. Lange Zeit galt Guardini nicht
nur als theologischer, sondern überhaupt als wissenschaftlicher Außenseiter, der in
kein gängiges Schema paßte. Die meisten seiner Schriften wurden wohl eher dem
journalistischen oder "geistlichen" Genre zugeordnet - hoch geschätzt, aber doch in
ihrer wissenschaftlichen Relevanz wenig beachtet.26 Ernsthafte Impulse erwartete
man sich offenbar am ehesten vom Gegensatzbuch (1925) - sicher Guardinis
"wissenschaftlichste" Leistung, aber für sein Gesamtwerk doch nicht ganz repräsen-
tativ. Mit ihm beschäftigte sich aber die philosophische Dissertation von Karl Wuche-
rer-Huldenfeld (1953).27 Auch Heinrich Fries hob das Gegensatzdenken hervor, als
er bei der Untersuchung der katholischen Religionsphilosophie (im Anschluß an Max
Scheler) unter anderem auf Guardini zu sprechen kam (1948).28 Fries war es auch,
der die Gedanken der Berliner "Antrittsvorlesung" über das "Wesen katholischer
Weltanschauung" erstmals vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Weltanschau-
ungsproblematik erschloß (1953).29 Die philosophisch-religionsphilosophische
Guardini-Interpretation bestimmte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
unserem Autor für lange Zeit, während Theologen eher reserviert blieben.30 Unter
den Dogmatikern war es lediglich Michael Schmaus, der auf Guardinis Werk wenig-
stens immer wieder in Fußnoten hinwies.31
Es war ein evangelischer Theologe, Ulrich Kühn, der in einer Untersuchung über
katholische Neukonzeptionen des Natur-Gnade-Verhältnisses erstmals gründlich nach
theologischen Grundprinzipien in Guardinis Werk fragte und dieses mit den Ansätzen
von Eschweiler, Söhngen, Schmaus, Przywara, Rahner und Balthasar verglich.32
Katholischerseits folgte ihm Bernhard Langemeyer, der Guardini unter die Vertreter
eines "dialogischen Personalismus in der evangelischen und katholischen Theologie
der Gegenwart" einreihte.33 Diese Einordnung wurde aber wiederum eher von Philo-
sophen und philosophisch interessierten Pädagogen aufgegriffen als von Theologen.34

2
" Eine Ausnahme bildet die fundierte Untersuchung von Ludwig A. Winterswyl: Romano Guardini.
Eigenart und Ertrag seines theologischen Werkes (1937).
27
Vgl. Wucherer-Huldenfeld, Gegensatzphilosophie 1953/1968.
28
Vgl. Fries, Religionsphilosophie, 272-287.
29
Vgl. Fries, Nachwort.
30
Vgl. dazu auch Gerner, Bildungslehre, 30 (hier in Bezug auf das Gegensatzbuch).
31
Vgl. etwa das Personenregister in: M. Schmaus, Katholische Dogmatik, Bd. I, 5. erw. Aufl.,
München 1953, 631 (insgesamt 19 Nennungen). In diesem Band zitiert Schmaus z. B. aus Guardinis Vater-
unser-Auslegung (238f.; vgl. Gebet des Herrn), übernimmt aus dem Aufsatz "Der Heiland" ein Zitat des Reli-
gionsphänomenologen W. F. Otto (345) und zitiert nach der einschlägigen Monographie Guardinis einen Satz
von Pascal (444). Entsprechendes ist auch in den anderen Bänden der "Katholischen Dogmatik" zu finden.
32
Vgl. Kühn, Natur und Gnade (1961), 54-65.
33
Vgl. Langemeyer, Der dialogische Personalismus (1963), 247-266. Auch Kühn war vom Personver-
ständnis Guardinis ausgegangen (vgl. die vorhergehende Anm.).
34
Vgl. Menke, Das Gegenstands-Verständnis personaler Pädagogik (1964); Nosbüsch, Das Personproblem
in der gegenwärtigen Philosophie (1965), 76-80; Gerner, Persongerechte Erziehung (1966); Berning-
Baldeaux, Person und Bildung im Denken Romano Guardinis (1968); Böckenhoff, Begegnungsphilosophie
(1970), 151-153; Splett, Person-Begriff (1985). Die ausführlichste Darstellung des Personbegriffs bietet:
Börsig-Hover, Das personale Antlitz (1987). Andere pädagogische Grundbegriffe werden untersucht bei:
Salier, Die Begriffe Dienst, Sachgerechtigkeit, Bildung und Begegnung in der Pädagogik Romano Guardinis
Einleitung 23

Pädagogen beschäftigten sich erneut mit der Gegensatzlehre Guardinis35, stießen


aber auch auf eine den reinen "Personalismus" weit übersteigende anthropologische
Grundkonzeption.36 Dies öffnete Paul Schmidt den Blick für die Frage nach den
kulturphilosophischen Voraussetzungen Guardinis, nach dem Zusammenhang mit den
kulturkritischen Ansätzen seiner Zeit und nach der Stoßrichtung der These vom "Ende
der Neuzeit"; dabei kamen vor allem die ethischen Implikationen in den Blick, die
vom Werk Guardinis für eine anthropologisch orientierte Pädagogik ausgehen
können.37 Bis in die Gegenwart hinein hält das pädagogische Interesse an Guardini
an, 38 wobei neuerdings auch die spezifisch re/7gi'onspädagogische Fragestellung
Beachtung findet.39
Mit den Würdigungen von Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar40 schien sich
dann aber doch die Rezeption Guardinis innerhalb der katholischen Theologie zu
intensivieren. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete Fridolin Wechsler, der Guardini
als "Kerygmatiker" würdigte und dabei neben der Gegensatzphilosophie und der
Neuzeitkritik erstmals ausführlicher die theologischen Grundeinsichten des Autors
breiter darlegte.41 Er tat dies vom Gesichtspunkt der Praktischen Theologie aus, wäh-
rend das Interesse der Systematiker weiter auf sich warten ließ. Nachdem aber mit
Uwe Gerber nochmals die evangelische Seite sich mit Guardini beschäftigt und
dessen Glaubensbegriff in den Kontext der theologischen Entwicklung seit dem I.
Vaticanum eingeordnet hatte,42 folgte mit einigem Abstand katholischerseits Peter
Eicher, der die verschiedenen Offenbarungskonzeptionen zwischen dem I. und dem
II. Vatikanischen Konzil kritisch untersuchte und darin auch Guardini ein längeres
Kapitel widmete.43 Elmar Fastenrath beschäftigte sich dann mit der Eschatologie,44
bevor Hansruedi Kleiber das Verhältnis von Glaube und religiöser Erfahrung, Hans
Mercker das Problem der "christlichen Weltanschauung" und Eva-Maria Faber die
Ekklesiologie (im Vergleich mit Erich Przywara) untersuchte.45 Arno Schilson fügte
dem nicht nur wertvolle Überblicke zu den christologischen, ekklesiologischen und

(1969). Zur Wiederentdeckung von Guardinis früher Schrift zur "Grundlegung der Bildungslehre" (1928)
nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Gerner, Bildungslehre, 53-73.
35
Vgl. dazu Speck, Gegensatzlehre; Gerner, Bildungslehre, 34-38.
36
Vgl. Höltershinken, Anthropologische Grundlagen personalistischer Erziehungslehren (1971); Schmidt,
Die pädagogische Relevanz einer anthropologischen Ethik (1973).
37
Vgl. Schmidt, Die pädagogische Relevanz.
38
Die umfassendste Darstellung legte kürzlich Günter Henner vor: Die Pädagogik im Denken Romano
Guardinis (1990).
39
Vgl. Schreijäck, Bildung (1989). Die neuere Arbeit von Dorothee Fischer (Wort und Welt [1993])
konnte von mir nicht mehr eigens herangezogen werden, da sie unmittelbar vor Abschluß meines Manu-
skripts erschien.
40
Vgl. Rahner, Romano Guardini (1965; Würdigung anläßlich von Guardinis 80. Geburtstag); Balthasar,
Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung (1970; urspr. 1969 anläßlich des 1. Jahrestages von Guardinis
Tod vorgetragen und dann überarbeitet).
41
Vgl. Wechsler, Romano Guardini als Kerygmatiker (1973). Wechsler hat recht, wenn er die Darstellung
Balthasars nur als erste Annäherung an Guardinis theologisches Werk betrachtet (vgl. ebd., Anm. 2, II).
42
Vgl. Gerber, Glaubensbegriff (1966), 159-168.
43
Vgl. Eicher, Offenbarung (1977), 261-292.
44
Vgl. Fastenrath, In Vitam Aeternam (1982), 727-747.
45
Zu diesen und anderen wichtigen Arbeiten seit 1985 vgl. Anm. 24.
24 Einleitung

anthropologischen Schriften hinzu, sondern beschäftigte sich auch intensiv mit den
liturgischen und sakramententheologischen Zusammenhängen.46 Trotz einiger ein-
schlägiger Darstellungen47 fehlt freilich immer noch eine umfassende Monographie
zu Guardinis Liturgieverständnis, sowie eine ausführlichere Behandlung der Themen
Schöpfungslehre, Gotteslehre, Christologie, Gnadenlehre und Anthropologie.48
Der bisherige Überblick über die Guardini-Literatur, der natürlich längst nicht alle
Untersuchungen und erst recht nicht alle kleineren Aufsätze und Kurzportraits erfaßt
hat, erweckt den Eindruck einer trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen letzt-
lich doch sehr kontinuierlichen Beschäftigung mit dem Werk unseres Autors. Des-
wegen muß auch noch an den nach Guardinis Tod im Jahre 1968 "jäh einsetzenden
Bedeutungs- und Effizienzverlustes"49 hingewiesen werden.
"Sieht man von den Nachrufen ab, die zunächst wochenlang die Zeitungen füll-
ten, so ist doch bald zu beobachten, daß das Werk, damit aber auch die Person
Guardinis für die Öffentlichkeit mit seinem Ableben unter den Schleier der Ver-
gangenheit und des Vergessenwerdens gerieten."50
Dies hing in erster Linie sicher mit dem "Verfall der Aura" zusammen, die den
verehrten Universitätslehrer vor allem in der letzten Lebensphase umgeben hatte.51
Die außerordentliche Wirkung Guardinis war aber von Anfang an nicht nur an die
Ausstrahlung seiner Persönlichkeit gebunden, auch wenn diese - vor allem für den
nicht geringen Kreis jener, die ihn als "Jugendbewegte", als Studenten und als
Predigthörer einmal persönlich erlebt hatten - nicht zu unterschätzen ist. Wenn sich
Guardinis Resonanz auf diese direkte Wirkung beschränkt hätte, wäre die große
Verbreitung seiner Bücher - weit über den unmittelbaren Hörerkreis hinaus - nicht zu
erklären. Diese beruht auch auf einer Sprache und Gedankenföhrung, die in der Lage
war, über die persönliche Begegnung hinaus zu beeindrucken. Daß dieselbe Art des
Schreibens freilich zehn Jahre nach Guardinis Tod keine neuen Interessenten mehr
gewinnen konnte,52 hängt mit einer grundlegend veränderten Geistessituation zusam-
men, die nicht nur ein neues Denken, sondern auch eine neue Sprache hervorgebracht
hatte. Die Neuaufnahme der marxschen Feuerbachkritik in der Zeit der
"Studentenrevolte" führte nämlich jetzt zu einer grundsätzlichen Ablehnung jeder
bloßen "Theorie", die nicht unmittelbar gesellschafisverändernd war; eine Sprache,

40
Vgl. außer dem in Anm. 24 genannten Sammelband v. a.: Schilson, Mysterientheologie (1986); ders.,
Erneuerung der Sakramententheologie (1987); ders., Romano Guardini und die Liturgische Bewegung
(1989).
47
Vgl. außer den Arbeiten Schilsons: Troyan, Das heilige Schweigen in der Liturgie (1985); Marschall, In
Wahrheit beten (1986).
48
Vgl. Schilson, Perspektiven, 15.
49
Biser, Interpretation, 13.
50
Gerl, Guardini, 369.
51
Vgl. Biser, Interpretation, 11-15. Der Terminus stammt von Walter Benjamin und war hier zunächst
auf die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks bezogen; Biser deutet im Anschluß daran die Möglichkeit einer
"rezeptionsästhetischen" Betrachtungsweise von Guardinis Werk an, in die auch die Kategorien der
"Originalität", der "Ausstrahlung" und der "Rolle" einbezogen werden müßten (vgl. Interpretation, 15).
52
Typisch dafür ist das Erscheinen der nachgelassenen Schrift "Die Existenz des Christen" (1976). Sie
vermittelt nach Biser "zwar ein Erinnerungsbild an die kommunikationsstiftende Faszination, die von dem
Lehrer und Kerygmatiker Guardini ausging; doch erreicht ihre eigene Aussage nicht jene Dichte, die es dahin
bringt, daß der zündende Funke überspringt" (Interpretation, 12).
Einleitung 23

die noch von Jugendbewegung und Spätexpressionismus, Lebens- und Wertphiloso-


phie geprägt, sich aber auch an der Dichtung von Goethe bis Rilke "gebildet" hatte,
mußte nun endgültig antiquiert erscheinen.53
Die Wiederentdeckung der Aktualität Guardinis, für die Eugen Biser in seiner
Schrift "Interpretation und Veränderung" die Richtung vorgab, konnte nur mit einer
Aufarbeitung dieses Wirkungsverlustes beginnen und mußte daher notwendig kritisch
sein: "Mit Beschwörungen der 'Größe' ist es im Fall Guardinis nicht getan."54 Auch
Heinz-Robert Schlette meint:
"Ich glaube nicht, daß die Gefahr groß ist, Guardini könnte vergessen werden.
Größer scheint mir die Gefahr, daß das Gedächtnis Guardinis verfälscht, daß
sein Werk und seine Person in ungeschichtlicher Weise und aus Interesse
harmonisiert und stilisiert werden, daß man die schöpferische Initiative und den
Willen zur Veränderung beschwichtigt, die Guardini von Anfang an erfüllt
haben."55
Beide Autoren plädieren dafür, Guardinis Werk vor allem geschichtlich einzuordnen
und auf diese Weise die eigentliche Leistung, aber auch die zeitbedingte Grenze deut-
lich zu machen.56 Mag es im Jahre 1970, als es die umfassende Bibliographie Hans
Merckers noch nicht gab, entschuldbar gewesen sein, sich von einer genauen werk-
chronologischen Einordnung zu dispensieren,57 so darf es sich eine spätere Untersu-
chung, die inzwischen auf eine ganze Reihe biographischer Details und den un-
veröffentlichten Nachlaß zurückgreifen kann, nicht mehr so einfach machen. Wieder
war es Eugen Biser, der an einigen Stellen auf interessante Akzentverschiebungen der
Werkgeschichte hingewiesen hat, die auch dann wichtig bleiben, wenn sich zeigt, daß
die wesentlichen Grundentscheidungen dieselben geblieben sind.58 Dennoch er-
wecken vor allem philosophische, weniger pädagogische und theologische Arbeiten
der jüngsten Vergangenheit den Eindruck, als stehe Guardinis Werk wie ein
monolithischer Block vor dem heutigen Leser, und man müsse nur durch intuitives
Eindringen eine immanente Systematik herausarbeiten, um es zu verstehen.59
In solchen neueren Arbeiten entsteht der Eindruck einer neuen "Gleichzeitigkeit"
mit unserem Autor, für die auch die gesteigerte Nachfrage nach Guardinis Büchern zu
sprechen scheint. Darum konnten sich auch die Verlage Schöningh und Grünewald an
eine "Werkausgabe" wagen, ohne damit freilich den Bedarf nach einer wissen-

53
Vgl. Schlette, Guardini 1973/1985, 33; Joeckle, Guardini-Rezeption, bes. 97.
54
Biser, Interpretation, 10.
55
Schlette, Guardini 1970, 285; vgl. auch ebd., 265f.
56
Vgl. Biser, Interpretation, 9f; Schlette, Guardini-Literatur, 441f. Vgl. außerdem dazu: Gerner, Bil-
dungslehre, 121 f.
57
Vgl. Balthasar, Guardini, 11 f.: "So wird ihm gegenüber die Entscheidung leicht; zu distinguieren ist
wenig; man stimmt ihm zu oder lehnt ihn ab. Die Frage stellt sich nicht, ob er heute anders geurteilt hätte als
gestern und vorgestern. Es lohnt sich, den Hauptwerken entlang, kurz, in Kennworten, seine bekannten Posi-
tionen der Zeit gegenüber ins Gedächtnis zu rufen, bis zu denen er vordrang und bei denen er - stehenblieb."
58
So verwies Biser auf die Verschiebung von dem Problem "Person und Welt" zu "Person und Macht" und
auf die (freilich näher zu prüfende) Tatsache, daß die "Geschichtlichkeit" in "Ende der Neuzeit" noch nicht
beachtet werde, wohl aber in "Die Annahme seiner selbst" (vgl. Wegweiser, 226-230). Guardini habe sich zu
sehr "nachhaltigen Selbstkorrekturen" durchgerungen (ebd., 232). Dazu Schlette, Guardini-Literatur, 449.
59
Dies gilt v. a. für Schmucker-von Koch, Autonomie (1985); Börsig-Hover, Das personale Antlitz
(1987); dies., Zeit der Entscheidung (1990).
26 Einleitung

schaftlichen Ansprüchen genügenden kritischen Edition abzudecken.60 Der Denker,


der ursprünglich "zwischen allen Stühlen" gesessen hatte, wird unterdessen gleich von
mehreren Disziplinen als der "Ihre" beansprucht und wie selbstverständlich sowohl
unter die philosophischen, wie auch unter die pädagogischen und theologischen61
Größen gerechnet. Sicher haben die biographischen und autobiographischen
Veröffentlichungen dazu beigetragen, daß die Person Guardinis wieder interessanter
wurde und daß manchmal auch wieder etwas von der alten "Aura" wiederkehren
konnte. Außerdem ist in der kirchlichen Öffentlichkeit das Bedürfnis nach einer
lebensnahen Theologie gewachsen, die man bei Guardini zu finden hofft. Vor allem
aber ist die erneute Änderung der kulturellen Großwetterlage ins Feld zu führen, die
neuerdings in einem weiteren Sinne als "postmodern" bezeichnet zu werden pflegt. In
dieser Atmosphäre erwacht neu das Interesse für einen Denker, der schon längst über
die Neuzeit hinausschreiten wollte und in seinem liturgischen und philosophischen
Schaffen immer wieder gegen die Vorherrschaft des Rationalismus die Bedeutung des
ganzen Menschen betont hatte.62
Gerade in einer solchen Situation erweist sich aber ein geschichtlich orientierter
Zugang zu Guardini als dringend notwendig und - durch die verbesserte Quellenlage
und den "Verfall der Aura" - auch mehr als früher möglich. Es zeigt sich,
"daß ein hermeneutisch sorgfältig vorgehendes Mit- und Weiterdenken, wenn
nötig auch über Guardini hinaus, seinen Gedanken, Hinweisen, Urteilen, Versu-
chen, Befürchtungen, Vorblicken eher gerecht wird als eine zu undistanziert, zu
unkritisch operierende Rezeption und Applikation, die zudem zahlreiche philo-
sophische und theologische Konzeptionen und Bemühungen schlicht ausblen-
det."63
Der gegenwärtige Forschungsstand bietet nun bereits eine Fülle von Anknüpfungs-
punkten zur Untersuchung des Verhältnisses von Glaube und Kultur. Bisher wurde

w
Eine einheitliche Ausgabe von Werken Guardinis ist zweifellos verdienstlich und kommt jedem entge-
gen, der sich durch die verwirrende Vielfalt verschiedenster Auflagen und Seitenzählungen quälen muß. Auf
die bereits erschienenen Bände greife auch ich gerne zurück (vgl. dazu Literaturverzeichnis I,b). Allerdings
wäre eine Bandnumerierung wohl hilfreicher gewesen als die bloße Einteilung in thematische Blöcke. Ich
versuche diesem Mangel selbst ein wenig abzuhelfen, indem ich eine eigene Zählung einführe; siehe dazu die
Vorbemerkung im obengenannten Teil des Literaturverzeichnisses! Ferner ist zwar nachzuvollziehen, daß die
Herausgeber sich jeweils konsequent für den Abdruck der zuletzt erschienenen Auflage entscheiden; eine
genauere Überprüfung der vorangegangenen Auflagen hätte sich manchmal aber doch gelohnt (zu einigen
Ungenauigkeiten beim ersten Band der Werkausgabe siehe Kap. VI,3,a,aa [Anm. 43] dieser Arbeit).
Schließlich ist zu befürchten, daß die Werkausgabe aus verlagstechnischen Gründen - oder weil inzwischen
andere Ausgaben vorliegen - wichtige Werke (wie etwa: Vom Geist der Liturgie) nicht enthalten wird und
damit das Gesamtbild von Guardinis Werk verzerrt. Vgl. auch die Rezension Schilsons in: ThGl 81 (1991),
395f.
61
Vgl. Schmucker-von Koch, Guardini (in der Reihe "Grundprobleme der großen Philosophen"!); März,
Guardini (in: ders., Klassiker christlicher Erziehung!); Dettloff, Guardini (in: Klassiker der Theologie II!).
62
Vgl. Biser, Glaubensprognose, 23-33 ("Zwei Deuter des Epochenendes: Guardini und Lyotard"); ders.,
Wegweiser (später unter dem Titel: "Romano Guardinis ruckwärtsgewandte Deutung des Epochenendes.
Überlegungen zu einer kritischen Guardini-Rezeption"). Zur konservativen Inanspruchnahme Guardinis -
gegen die "Kulturrevolution" der sechziger Jahre - vgl. bes. Kuhn, Philosoph der Sorge (1987); vgl. auch
ders., Kirche im Zeitalter der Kulturrevolution (1985).
63
Schlette, Guardini-Literatur, 446 (zu: Schmucker-von Koch, Autonomie). - Einen Einblick in die
gegenwärtige Guardini-Foschung bietet jetzt: Schilson, Konservativ mit Blick nach vorn (1994).
Einleitung 27

aber entweder nach dem Glauben64 oder nach Aspekten der Kultur65 gefragt, ohne die
Kultur als Ganze in den Blick zu nehmen und diese auf den Glauben zu beziehen.
Hier hat Hans Mercker eine neue Situation geschaffen, indem er Guardinis Konzept
einer "christlichen Weltanschauung" kritisch reflektierte, es als theologischen Neuan-
satz würdigte und an konkreten Einzelanalysen das Verhältnis von Glaube und Kultur
überprüfte.66 Indem er hierbei nach der "Grundstruktur" im Denken Guardinis fragte,
lenkte er den Blick auf die zentrale Bedeutung unseres Themas für eine Gesamtdeu-
tung seines Werkes. Da diese "Grundstruktur" aber nur an ausgewählten Textbeispie-
len aufgezeigt wird,67 bleibt das Desiderat einer umfassenderen Untersuchung beste-
hen. Diese hätte die konkrete Durchführung der "Grundstruktur" im Blick auf das
Gesamtwerk zu überprüfen und vor allem dessen Vielschichtigkeit im Hinblick auf
die Kulturbeziehung des Glaubens deutlich zu machen.
Dieser Aufgabe möchte sich die vorliegende Arbeit stellen. Trotz ihres theologi-
schen Interesses möchte sie es vermeiden, Guardini in Gegenreaktion auf die frühere
Einseitigkeit jetzt ausschließlich als "Theologen" zu reklamieren. Daß das Interesse
an ihm auch von philosophischer und pädagogischer Seite immer noch anhält, zeigt
zur Genüge, daß er nicht einfach einer bestimmten wissenschaftlichen Disziplin
vorbehalten bleibt. Gerade die Vielschichtigkeit seines Ansatzes verweist auf Guardi-
nis Bemühen, den eigenen Glaubensstandpunkt mit der Kultur im umfassenden Sinne
des Wortes in Beziehung zu setzen.

4. Zur Vorgehensweise

In der folgenden Darstellung verbinden sich systematische Fragestellungen


(Gegensatzlehre, Liturgie, Kirche, Glaube und Kultur usw.) mit historischen
Gesichtspunkten68: In welchen Phasen schreitet Guardinis Werk voran? Wie sind die
jeweiligen Aussagen in den kulturellen und kirchlichen Kontext einzuordnen?
Wodurch hängen sie mit der Biographie des Autors zusammen? Schon der Begriff
"Kultur" führte zurück zu den besonderen Entwicklungen im deutschen Bildungsbür-
gertum, in dem auch Guardini tief verwurzelt war. Bald zeigte sich, daß auch die im
Umfeld des Bildungsbürgertums etwa seit der Jahrhundertwende auftretenden
Krisenphänomene und Neuorientierungen ihre Wirkungen auf Guardinis eigene
Stellungnahmen zur Kultur nicht verfehlten. Dasselbe gilt für sein Verständnis des
christlichen Glaubens, das ohne den Rückgriff auf die damalige Gestalt des deutschen

64
Vgl. v. a. Gerber, Glaubensbegriff, 159-168; Schmidt, Glaubenserfahrung und Glaubenskritik; Eicher,
Offenbarung; Kleiber, Glaube und religiöse Erfahrung. In diese Rubrik gehören aber im Grunde sämtliche
Arbeiten über einzelne Aspekte des christlichen Glaubens, ob diese nun die Kirche, die Liturgie, die Eschato-
logie o. a. betreffen.
65
Vgl. Becher, Mensch und Technik; Watzal, Das Politische.
66
Vgl. Mercker, Weltanschauung.
67
Mercker wählt bewußt bislang eher übersehene Texte und greift auch auf autobiographisches Material
zurück; dadurch gewinnt seine Darstellung an Profil.
68
Vgl. dazu den wichtigen hermeneutischen Hinweis bei Schilson, Ekklesiologie, 202.
28 Einleitung

Katholizismus nicht genügend deutlich wird. Da zudem alle katholischen Neuorien-


tierungen immer wieder auf die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Kultur
zurückkamen, drängte sich der Brückenschlag vom untersuchten Werk zu anderen
katholischen Stellungnahmen auf Schritt und Tritt geradezu auf.
- Aus diesem Grund beobachten wir zunächst ausführlich das spannungsreiche
Ringen deutscher Katholiken in der Begegnung mit der zeitgenössischen Kultur
(Kapitel I).
- Vor diesem Hintergrund erfahren wir, wie ein einzelner Theologe am epochalen
Neuaufbruch in Kirche und Kultur partizipiert und gleichzeitig darüber hinauszu-
gehen versucht (Kapitel II).
- Wir begegnen einem Wissenschaftler, der "katholische Weltanschauung" betreiben
möchte - und zwar, ganz wörtlich verstanden, als den Versuch, aus dem Glauben
heraus die "Welt" "anzuschauen" (Kapitel III).
- Wir folgen seinem Bemühen, vor dem Hintergrund einer ganz bestimmten Kultursi-
tuation einen eigenen Kulturbegriff zu entwickeln und diesen mit dem
"Christentum" in Beziehung zu setzen (Kapitel IV).
- Von hier aus untersuchen wir die interpretatorischen Schriften, in denen Guardini
die kulturellen Entwicklungen der späten Neuzeit mit konkreten Modellen gläubi-
ger Existenz in Beziehung setzt (Kapitel V).
- So können wir anschließend besser nachvollziehen, warum Guardini die Neuzeit
kritisiert, ja sogar von einem "Ende" dieser kulturellen Epoche sprechen kann
(Kapitel VI).
- Zum Schluß stellen wir die Frage, was bei all dem mit dem Glauben passiert - in
welcher Weise er erschlossen wird und wie sich von ihm her Konturen einer
"anderen" Theologie, sowie einer "neuen" Glaubensgestalt abzeichnen
(Kapitel VII).
Auf diese Weise soll ein Gesamtbild entstehen, das nicht nur Einblicke in ein
besonders interessantes Kapitel der Theologiegeschichte bietet, sondern auch das
Thema selbst für unsere noch einmal gewandelte Situation - am Übergang zum dritten
Jahrtausend - aufbereitet.
Kapitel I

Das Umfeld:
Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

Im Jahre 7923, als die junge Weimarer Republik eben von schweren Erschütterungen
heimgesucht wurde,1 kam Romano Guardini in die Reichshauptstadt Berlin, um dort
seinen neuen Lehrauftrag für "Religionsphilosophie und katholische Weltanschau-
ung" zu übernehmen.2 Was dieser Schritt im Hinblick auf unser Thema - das
Verhältnis von Glaube und Kultur im Werk Romano Guardinis - näherhin bedeutet
(vgl. Kapitel III), wird nur dann hinreichend deutlich, wenn zuvor der kulturelle und
kirchliche Kontext beleuchtet worden ist, innerhalb dessen sich unser Autor bewegte.
Nach dem Ersten Weltkrieg nämlich erreichte in Deutschland einerseits eine seit
langem schwelende tiefe kulturelle Krise ihren Höhepunkt; andererseits aber bot der
Katholizismus ein bisher völlig ungewohntes Bild optimistischer Zukunftshoffnung.3
Wie kam es zu dieser merkwürdigen Gegenläufigkeit? Welche Folgen hatte sie für
die Standortbestimmung des Katholizismus insgesamt und insbesondere für Romano
Guardini, der sich trotz seiner italienischen Herkunft bewußt in den Kontext der deut-
schen Geistesgeschichte stellte?4 Auf diese Fragen soll im folgenden Kapitel eine
Antwort versucht werden.

1
Zur politisch-gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Möller,
Weimar; Laqueur, Weimar. Zu den Krisenerscheinungen des Jahres 1923 bes. Möller, a.a.O., 154-159. - Zur
deutschen Geschichte des 19. und 20. Jh. insgesamt wurden für dieses Kapitel v. a. folgende Gesamtdarstel-
lungen herangezogen: Faber, Deutsche Geschichte; Schieder, Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich;
Mann, Deutsche Geschichte; Schnabel, Deutsche Geschichte; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918,
Bd. I. - Zur kirchlich-religiösen Entwicklung, besonders aber zur Geschichte des Katholizismus vgl. Schnabel,
Deutsche Geschichte, IV; Nipperdey, a.a.O., 428-530; HUrten, Kurze Geschichte; ders., Deutsche Katholiken;
HKG(J) VI/1 (1971) und VI/2 (1973); ÖKG III (1974), 93-302.
2
Dazu vgl. v. a. Gerl, Guardini, 140-144 und 277-279.
3
Zwei Werke der Weltliteratur, beide 1924 erschienen, sind für diese Gegenläufigkeit typisch. Es handelt
sich einmal um Thomas Manns zweiten großen Roman "Der Zauberberg" (Berlin 1924), die "Riesenmetapher
einer moribunden bürgerlichen Gesellschaft im komfortablen Sanatorium, wo man nicht geheilt werden kann,
sondern sterben soll und zumindest auch will" (Mayer, Zauberberg, 60). Dagegen standen Gertrud von le
Forts optimistische und ungebrochen katholische "Hymnen an die Kirche" (München 1924) - Zeugnis eines
"Heimwegs" zur Kirche, den die Dichterin selbst bald darauf mit vielen anderen Persönlichkeiten des öffentli-
chen Lebens vollzog (siehe unter 2,c).
4
Zu den biographischen Daten vgl. stets Gerl, Guardini.
30 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

1. Das Kulturideal des deutschen Bildungsbürgertums


und die Isolation des Katholizismus

Jede Epoche ist geprägt von Leitvorstellungen, die als typisch und unverwechselbar
gelten und es überhaupt erst ermöglichen, eine bestimmte Zeitspanne in kultureller
Hinsicht als "Epoche" von anderen "Epochen" abzugrenzen. Der vorliegende Über-
blick benennt in seinem ersten Schritt eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe - das
deutsche "Bildungsbürgertum" - als Träger einer solchen epochalen Leitvorstellung
und beschreibt die Entwicklung dieses spezifischen "Kulturideals" - und das
Verhältnis der deutschen Katholiken dazu - bis zu jenem Punkt, an dem neue gesell-
schaftliche Herausforderungen die alten Ideale in Frage stellten und deren Weiter-
entwicklung forderten.

a. Kultur und Bildung


Mit der Wende vom "Mittelalter" zur "Neuzeit"5 erhielt der Begriff der "Kultur" ein
Gewicht, das er so vorher nie besessen hatte. In ihm verdichtete sich nun nämlich das
Streben nach einer möglichst weitgehenden Emanzipation von religiösen bzw. kirchli-
chen Autoritäten, das immer mehr Bereiche des wissenschaftlichen und geistigen
Lebens ergriffen hatte ("Autonomie"6). Der Maßstab, an dem der Wert und die
Bedeutung der vielfältigen menschlichen Aktivitäten und ihrer Früchte gemessen
werden konnte, wurde nun nicht mehr der Tradition entnommen, sondern der
menschlichen "Natur" selbst.
Der Begriff "Natur" meint zunächst noch - in der Tradition der klassischen Meta-
physik - die Beschaffenheit, das "Wesen", das fundamentale Bewegungs- und Akti-
onsprinzip eines bestimmten Seienden.7 Der "Natur" des Menschen wurde dabei - vor
allem unter dem Einfluß der theologischen Diskussionen über die göttliche und
menschliche "Natur" Christi - Entelechie und Zielgerichtetheit in Welt und
Geschichte zuerkannt. Verwies diese Ausrichtung in mittelalterlicher Auffassung
noch selbstverständlich auf Gott und seine vollendende "Gnade" ("gratia supponit
naturam et perficit eam"8), so wurde das im Naturbegriff implizierte "Ziel" in der
Neuzeit, ohne damit eine "übernatürliche" Finalität grundsätzlich auszuschließen,
mehr und mehr unabhängig von dieser gedacht, der "übernatürlichen" Ordnung also
eine geschlossene "natürliche" Ordnung vorgeschaltet. Dies geschah in einer wechsel-
seitigen Beeinflussung des neuzeitlichen Autonomiestrebens einerseits und der Fort-

5
Zu diesen Epochenbezeichnungen siehe Kap. VI, bes. Abschn. 3,a ,bb [1].
6
Zu diesem Begriff und seiner Bedeutung siehe unter Kap. VI,l,a.
7
Vgl. zum folgenden Ganoczy, Natur, 390.
8
Vgl. Kraus, Natur und Gnade (Lit.); B. Stoeckle, "Gratia supponit naturam". Geschichte und Analyse
eines theologischen Axioms, Rom 1962.
Bildungsbürgertum und Katholizismus 31

entwicklung der mittelalterlichen Theologie zur Barock- und Neuscholastik mit ihrer
"Zwei-Stockwerke-Theorie" andererseits.9
Im Laufe der Neuzeit rückte nun - vor allem seit Reni Descartes- immer mehr der
"Gmt"-Begriff in den Vordergrund des anthropologischen Interesses. Parallel dazu
veränderte sich unter dem Einfluß der "Natur"-Wissenschaft die Bedeutung des
Begriffs "Natur", der nun auch die Gesamtheit aller organischen und anorganischen
Erscheinungen bezeichnete, "sofern sie Gegenstand von sinnlicher Erfahrung, rationa-
ler Erforschung und technischer Bearbeitung sind"10. Damit wurde "Natur" - als das
"Physische", "Dingliche" - zu einem Gegensatz des "Geistigen", während "Kultur"
positiv all das bezeichnete, was als Vollzug oder Ergebnis "geistigen" Schaffens ver-
standen werden konnte.1'
Bereits in der Renaissance hatte man auf Cicero zurückgegriffen, der den ursprüng-
lich landwirtschaftlichen Terminus "cultura" (in der Bedeutung "Ackerbau") im über-
tragenen Sinne verwendet und von "cultura animi" (Pflege des Geistes) gesprochen
hatte.12 Besonders die Aufklärung machte die Bildung, das "Kultivieren" des Geistes,
zur zentralen Aufgabe des Menschen - eine Forderung, die vor allem im deutschen
Bildungsbürgertum weiterwirkte. Nach und nach wurde aus dem prozessual-funktio-
nalen Begriff die Bezeichnung für "einen \dea\zustand sowohl des Individuums als
auch ganzer Völker und Gesellschaften"13. Samuel PufendorfUefi 1686 erstmals das
Genitivattribut weg und stellte "Kultur" dem "status naturalis" gegenüber, von dem
sich der Mensch kraft seines Geistes zu befreien habe. Es war dann vor allem Herder,
der dem "ergologischen" (Kultur als "Werk") und "soziativen" Element (Kultur als
Bestandteil im Leben einer Gemeinschaft) den Gedanken der Historizität hinzufügte
und von der zunehmenden Kultur eines Volkes bzw. von der Kultur als der "Blüte"
seines Daseins sprach.14
Gegen das Kulturideal der Aufklärung formierte sich aber bald eine Kulturkritik,
welche das Natur-Kultur-Verhältnis genau umdrehte und nicht im kulturellen Fort-
schritt, sondern in "Natürlichkeit" und "Naturnähe" das Erstrebenswerte erblickte.
Dabei wurde der Naturbegriff noch einmal verändert; hatte er bisher nur eine rohe,
noch zu kultivierende Natur bezeichnet, so jetzt die "gesunde" Schlichtheit primär
ländlich-archaischer Lebensformen, also durchaus bereits eine bestimmte, eben natur-

™ Vgl. etwa die Definitionen bei Diekamp-JUssen, Dogmatik II ( 1 1 ' 1 2 1959): "Die natürliche Ordnung ist
demnach die Bestimmung der Gesamtheit aller Geschöpfe zu dem ihrer Natur entsprechenden Endziele und
ihre der Erreichung dieses Zieles angemessene Ausstattung. Sie umfaßt alle Güter und Vorzüge, Tätigkeiten
und Wirkungen, die über den Naturanspruch (debitum naturae) nicht hinausliegen." (ebd., 44) Übernatürlich
ist demgegenüber dasjenige, "was weder als Bestandteil zu der Natur gehört, noch notwendig oder zufällig aus
ihr hervorgeht oder hervorgehen kann, noch zu ihrem Bestände, ihrer Entwicklung und Zielerreichung erfor-
derlich ist, sondern über die Ansprüche und Anlagen der Natur hinausliegt." (ebd., 45)
10
Ganoczy, Natur, 390.
1
' Zum Kulturbegriff insgesamt vgl. auch bereits oben in der Einleitung, Abschnitt 1.
12
In ähnlicher Weise wurde der Begriff in den christlichen Sprachgebrauch übernommen und im Sinne
von "Verehrung" verstanden ("cultura Christi", "cultura Christianae religionis", "cultura dolorum" etc.); vgl.
Perpeet, Kultur, 1309. "Cultura" ist als lat. substantivum actionis eine feminine Nebenform des viel gebrauch-
ten "cultus"; beide Begriffe konnten noch bis ins 18. Jh. hinein gegenseitig ausgetauscht werden; vgl. Rassem,
Kultur, 746.
13
Rodi, Kultur, 179.
14
Vgl. Perpeet, Kultur, 1309.
» Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

verbundene, Gestalt von "Kultur".15 Diese von Jean Jacques Rousseau angestoßene
Auffassung bestimmte nicht nur den deutschen "Sturm und Drang" und die Epoche
der "Romantik", sondern bildete von nun an eine immer wieder aufflackernde Gegen-
strömung zum dominierenden Kulturoptimismus.
Es war das Anliegen der deutschen Klassik, die rechte Balance von "Natur" und
"Kultur" zu erreichen und somit einerseits rationalistische, andererseits irrationalisti-
sche Extrempositionen zu verhindern. Die Natur sollte nun nicht mehr, wie die
Aufklärungsphilosophen noch meinten, die ursprüngliche Natur des Menschen
einfach zähmen und überwinden; sie sollte vielmehr zur Entfaltung der in ihr liegen-
den Möglichkeiten gebracht werden, damit der Mensch "mit der höchsten Fülle von
Dasein die höchste Selbständigkeit und Freiheit verbinde"16. Diese "Humanität"11
hatte ihr Modell aber nicht in einem archaischen Naturzustand wie bei Rousseau,
sondern in einem Kunststil, den Winckelmann als "edle Einfalt" und "stille Größe"
beschreiben konnte und den die führenden Geistesgrößen der Goethe -Zeit vor allem
in der Antike verwirklicht sahen. Die Kunst wurde so zum Medium, durch das die
Ganzheit im Menschen und die Korrespondenz mit der erneuerungsbedürftigen
Gesellschaft hergestellt werden sollte.18 "Klassik" kann überhaupt beschrieben wer-
den als der Versuch, "die Polarität, die alle Lebenswirklichkeit durchzieht, ästhetisch
auszugleichen oder zu mildern, gleichviel, ob es sich um den Gegensatz von Verstand
und Gefühl, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Innen- und Außenwelt oder um Natur und
Kunst, Moderne und Antike, Immanenz und Transzendenz handelt."19 Ihr Ziel ist die
"Persönlichkeit", das höchste Ideal "des zur Selbstvervollkommung berufenen
Menschen."20
"Kultur" war somit durch die Bildungsvorstellungen der deutschen Klassik vollends
zu einem normativen Begriff geworden, dem man sich künftig verpflichtet wußte. In
ihm fanden die deutschen Gebildeten das, was in Westeuropa vor allem im Begriff
der "Zivilisation" mitschwang. Während dieser jedoch neben geistigen Werten auch
soziale und technische Errungenschaften umschloß, sah der Deutsche eher verächtlich
auf seine westlichen Nachbarn herab, die im Laufe der Industrialisierung die "wahre"
Kultur zugunsten einer - als "Barbarei" bewerteten - "Zivilisation" bereits hinter sich
gelassen hatten.21
Dennoch entwickelte sich unter dem Einfluß Herders, aber auch der romantischen
Geschichtsphilosophie neben dem normativen auch ein deskriptiver Kulturbegriff, der
sich weniger auf die subjektive Bildung, als vielmehr auf die geschichtlichen
Ausdrucksformen bestimmter Völker und Epochen bezog. In diesem Sinne konnte

15
Vgl. Rodi, Kultur, 181.
16
F. Schiller, Briefe zur ästhetischen Erziehung, in: ders., Sämtliche Werke. Säkular-Ausgabe, hg. v. E. v.
d. Hellen u. a., 16 Bde., Stuttgart 1904/05, hier Bd. XII, 48; zit. bei Rodi, Kultur, 179.
17
Vgl. dazu: Herms, Humanität. - Der Begriff wurde von Herder in die Geschichtsphilosophie und Sozi-
alethik des neuzeitlichen europäischen Bürgertums eingeführt - im Rahmen einer Reflexion auf die Stellung
und Funktion des Menschen im System der geschaffenen Natur (vgl. ebd., 661).
18
Vgl. Keller, Klassik, 232.
19
Keller, Klassik, 235 (im Anschluß an Schlegels Diktum, Klassik sei kein Muster, sondern eine
Tendenz).
20
Fuhrmann/Reble, Neuhumanismus, 1416f. (Fuhrmann).
21
Vgl. dazu Rodi, Kultur, 180f.
Bildungsbürgertum und Katholizismus 33

man nun auch von einer Vielzahl von "Kulturen" sprechen und sie zum Gegenstand
philosophischer, historischer oder empirischer Forschungen machen. Daraus entstan-
den um die Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene "Kulturkreis"- bzw.
"Kulturzyklentheorien", die schließlich in den Kulturtheorien von Leo Frobenius,
Oswald Spengler und Arnold Toynbee kulminierten.22 Auch in ihnen wirkten die
Wertungen nach, die sich aus dem Kulturideal des deutschen Bildungsbürgertums
ergaben. Doch mit ihrem geschichtlichen Ansatz waren sie bereits das Ergebnis eines
realistischeren Denkens, das im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weitere Kreise
zog.

b. Katholiken im Bildungsrückstand
Die deutschen Katholiken hatten seit dem Abklingen des "barocken" Geistes und
abgesehen von einem kurzen "Comeback" im Zusammenhang mit der "Romantik"
wenig Anteil an der Mitgestaltung der deutschen "Kultur" im Sinne des geschilderten
neuhumanistischen Bildungsideals gehabt. Die Französische Revolution, das Ende
der Reichskirche und vor allem die im Gefolge dieser Ereignisse vorgenommene
"Säkularisation"23 hatte im Bewußtsein ihrer Führungsschichten ein tiefes Trauma
hinterlassen, das durch die entstandene gesellschaftliche Sondersituation innerhalb
der neugebildeten deutschen Staaten noch vertieft wurde und eine unbefangene
Beteiligung an der "humanistischen" Bildung des 19. Jahrhunderts für lange Zeit
blockierte.24 Katholiken waren nun nämlich fast überall in der Minderheit und gehör-
ten vor allem der Unter- und Mittelschicht an; die Anzahl der katholischen Akademi-
ker, Beamten und Unternehmer unter ihnen blieb im ganzen 19. Jahrhundert im
Vergleich mit den Protestanten äußerst gering.25
Unproblematisch war freilich auch das Verhältnis des Protestantismus zu der
entstehenden Bildungskultur nicht. Schon Friedrich Schleiermacher mußte sich mit
seinen "Reden" über die Religion an die "Gebildeten unter ihren Verächtern" (1799)
wenden, und die Anfragen, die aufgeklärte oder "liberale" Geister an das Verständnis
der Bibel richteten, brachte gerade die evangelischen Kirchen im 19. Jahrhundert in
schwere Zerreißproben. Dennoch schaffte es hier eine kluge
26
"Vermittlungstheologie", persönliche Frömmigkeit und wissenschaftlichen Fort-
schritt miteinander zu vereinbaren. So entstand ein "Kulturprotestantismus", der sich
als einer der maßgeblichsten Faktoren innerhalb der neuzeitlichen Geisteskultur

22
Vgl. Rodi, Kultur, 182; Roth, Kulturmorphologie; Cloeren, Kulturzyklus.
23
"Saecularizatio" bedeutete ursprünglich die Entlassung eines Ordensangehörigen aus dem Verband
klösterlichen Lebens und seine Rückkehr in die "Welt". Später wurde der Begriff, zum erstenmal in den
Vorverhandlungen zum Westfälischen Frieden (1648), auf den Entzug von Kirchengütem durch den Staat
angewandt. Diese Maßnahmen erreichten ihren Höhepunkt in der durch den Reichsdeputationshauptschluß
von 1803 verordneten Säkularisierung der Reichskirche, durch die die Fürsten für ihre verlorenen linksrheini-
schen Gebiete entschädigt werden sollten. Vgl. etwa E. Hegel, Säkularisation, in: LThK2 IX (1964), 248-273.
24
Zu dieser Ausgangslage vgl. Hurten, Kurze Geschichte, 11 -32.
25
Vgl. Bauer, Deutscher Katholizismus, 42; 52f.
26
Vgl. Schott, Vermittlungstheologie.
34 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

verstehen konnte27 - in denkbar größtem Kontrast zu dem in die kulturelle Isolation


geratenen "Katholizismus".
Der Begriff "Katholizismus" meint, wie bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit
betont wurde, die Gesamtheit der von diesem Glauben geprägten Menschen und ihrer
kulturellen Ausdrucksformen.28 Als ideenpolitisches Korrelat des "Protestantismus"
ist er erst nach dem kirchengeschichtlichen Einschnitt der Reformation sinnvoll
anwendbar.29 Erst jetzt setzt sich der "Katholizismus" vom "Protestantismus" und von
anderen "kulturellen" Kräften bewußt ab oder wird von diesen ausgegrenzt. Insofern
ist es nicht ganz abwegig, erst im 19. Jahrhundert von einem "Katholizismus" im
eigentlichen Sinne sprechen zu wollen.30 Jetzt erst ist nämlich auch die
"Säkularisierung" des Staates, die bereits im mittelalterlichen Investiturstreit begon-
nen und durch die Konfessionalisierung des Christentums neue Triebkraft erhalten
hatte, in eine entscheidende Phase getreten; erst die Französische Revolution bringt
den rein "politischen" Staat hervor, für den "Katholizismus" und "Protestantismus"
gesellschaftliche Größen neben anderen sind.31 Und erst in dieser Situation formieren
sich in vielen Ländern die überzeugten Christen zu konfessionellen Subkulturen
innerhalb einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft.32
Durch eine immer größere Geschlossenheit nach innen konnte freilich auch der
deutsche Katholizismus zu einem wichtigen, wenn auch unbequemen Faktor inner-
halb der kulturellen Entwicklung werden. In der romantischen Epoche, als für kurze
Zeit unter den "Gebildeten" eine ernsthafte Hinwendung zum katholischen Glauben
zu beobachten war, entstand nämlich eine "katholische Bewegung", die eine starke
Basis im Volk besaß und bald zu einer fast ausschließlich politisch-sozialen Interes-
senvertretung wurde.33 Die Unabhängigkeit von staatlicher Bevormundung suchte
man vor allem durch eine starke Rückbindung an den Papst in Rom zu erreichen, was
von Seiten der "Liberalen" als unerträgliche Einmischung von außen empfunden
wurde ("Ultramontanismus"). Die Päpste, die durch die Verteidigung ihres Kirchen-
staates einseitig vorbelastet waren, traten zum Kampf gegen "liberale" Ansätze in
Staat und Kirche gleichermaßen an und gaben dadurch der antikatholischen Stim-
mung, die schließlich im "Kulturkampf voll entbrannte, immer neue Nahrung.34

11
Vgl. zum Ganzen Greschat, Verhältnisbestimmung.
28
Vgl. Rahner, Katholizismus, 89; Lehmann, Katholizismus, 1499.
29
Vgl. Hurten, Katholizismus, 373f.; Kaufmann, Katholizismus, 1487. Der Begriff "Frühkatholizismus"
stellt demgegenüber eine spätere Rückprojektion dar.
30
Vgl. HUrten, Kurze Geschichte, 7-10.
31
Vgl. Böckenförde, Entstehung des Staates.
32
Vgl. Kehl, Kirche, 173f. Zum internationalen Zusammenhang vgl. Köhler, Katholizismen.
33
Vgl. zum Ganzen v. a. Hurten, Kurze Geschichte; Buchheim, Katholische Bewegung; ders., Ultramon-
tanismus; Lill, Anfänge; ders., Restauration.
34
Vgl. R. Aubert, Die Römische Frage, in: HKG(J) VI/1 (1971), 696-705; ders.. Innerkatholische
Kontroversen im Blick auf den Liberalismus, ebd., 738-760; ders.. Römische Reaktion; Weitlauff, Papsttum
und moderne Welt, 380f.; Lill, Kulturkampf.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 35

Während die Katholiken im politischen Leben und im sozialen Engagement eine


gegenläufige, aber durchaus nicht unbeachtete Rolle spielten, waren sie in jenen
kulturellen Bereichen, die für das humanistische Bildungskonzept eine herausragende
Rolle spielten (Wissenschaft, Bildung, Kunst), weiterhin Außenseiter. Ja -jenen Insti-
tutionen, die für die Berührung zwischen Katholizismus und Kultur wohl die größte
Bedeutung hatten, - die katholisch-theologischen Fakultäten innerhalb der staatlichen
Universitäten - wurde von radikalen "Ultramontanen" mehr und mehr die Berechti-
gung aberkannt.35 Dies führte zwar unter den katholischen Theologen zu einer
Abspaltung der Gem<ä/?igr-"Ultramontanen"; aber der Position der Katholiken inner-
halb der Kultur war die ganze Debatte alles andere als zuträglich.
So war die Situation der Katholiken äußerst problematisch, als das I. Vatikanische
Konzil die Dogmen von der Unfehlbarkeit und dem Jurisdiktionsprimat des Papstes
verkündete. Dies schien der Höhepunkt einer Entwicklung zu sein, in der die katholi-
sche Kirche sich immer deutlicher als Gegenkultur und "societas perfecta" formierte
und schließlich sogar bereit war, die Brücken zur "modernen" Kultur endgültig abzu-
brechen.36

2. Die Kulturkrise und ihre Folgen

a. Neue Kräfte im Bildungsbürgertum


aa. Vom "Idealismus" zum "Realismus"
Wilhelm von Humboldt stellte bereits im Jahr 1815 fest, es präge sich nun eine
Menschenart aus, die mehr an die "Wirklichkeit" gebunden sei als seine oder Goethes
Generation, welche ein Leben über der Wirklichkeit, in der Idee, zu führen ver-
mochte.37
Diese Entwicklung zeigte sich vor allem in Bezug auf die Betrachtung der
Geschichte, für die Humboldt selbst, aber auch Hegel und die Romantik wichtige
Impulse geliefert hatten. Hier erfolgte die entscheidende Wende von der philoso-
phisch erkannten "Idee" der Geschichte zu den exakt nachweisbaren "Tatsachen", wie
sie in historischen Quellen kritisch erschlossen werden konnten.38 In dieser
"Realistik" gewann das geschichtliche Denken dann aber jene überragende Bedeu-
tung, die als "Historismus" in allen nicht-naturwissenschaftlichen Disziplinen Einzug
35
Vgl. Aubert, Licht und Schatten, bes. 683-695: "Scholastiker und Germaniker gegen die 'Deutschen
Theologen'".
36
Wichtigste Stationen dieses päpstlichen "Antiliberalismus": die Enzykliken "Mirari vos" (1832), "Qui
pluribus" (1846) und "Quanta cura" (1864) mit dem daran angehängten "Syllabus" (1864). Vgl. R.Aubert/R.
Lill, Der Sieg des Ultramontanismus, in: HKG(J) VI/1 (1971), 761-796.
37
Vgl. Martini, Literaturgeschichte, 352. Zur "realistischen" Wende seit den vierziger Jahren des 19. Jh.
vgl. auch Weite, Strukturwandel.
38
Vgl. Schulz, Philosophie, 508-513; ferner Hünermann, Durchbruch des geschichtlichen Denkens, 54-
68.
36 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

hielt. Die Philosophie verlor jetzt ihre Position an der Spitze der Wissenschaften; sie
schien sich in die verschiedenen Einzelwissenschaften aufzulösen bzw. nur noch als
Historik ihrer selbst fortzuleben. Einen noch schwereren Stand hatte jetzt auch die
Religion, die ihre eigenen Grundlagen nicht nur durch den Historismus, sondern auch
durch eine materialistische Kritik am Gottesglauben in Frage gestellt sah. Aber auch
wo man die Religionskritik Feuerbachs , Marx' und Nietzsches nicht teilen wollte,
gingen doch viele praktisch den Weg eines religiösen Indifferentismus oder waren
von dem Pathos eines Auguste Comte erfüllt, der das Zeitalter der Theologie und das
darauffolgende der Metaphysik endgültig von dem des gegenwärtigen "Positivismus"
abgelöst sah.39
Das Zurückdrängen jeden "Idealismus" war durch den Siegeszug der exakten
Naturwissenschaft entscheidend beschleunigt worden.40 Immer deutlicher ersetzten
naturwissenschaftliche Theorien philosophische Systeme, wie man vor allem an der
Entwicklungstheorie Charles Darwins und ihrem Einfluß auf materialistische und
"monistische" (Ernst Haeckel) Weltanschauungen sehen kann. Zugleich begann mit
der Ausbreitung der Dampfmaschine auch eine fundamentale Neugestaltung des
sozialen Lebens, die sogenannte "erste technische Revolution". Mehr und mehr trat
die Naturwissenschaft in den Dienst der Technik, die im Verlauf der Jahrzehnte
immer weitere Lebensbereiche erfaßte. Der Fortschrittsoptimismus, der im neuzeitli-
chen Kulturbegriff impliziert war und im geschichtlichen Denken des 19. Jahrhun-
derts neue Nahrung erhielt, konnte sich nun gerade an diesen naturwissenschaftlich-
technischen Errungenschaften festmachen und so zum alles bestimmenden Dogma
werden.41
So machten sich unaufhaltsam auch in Deutschland jene Phänomene bemerkbar, die
in England und Frankreich längst zu den einschneidenden und von den deutschen
"Bildungsbürgern" abschätzig beurteilten Veränderungen geführt hatten. Aber erst
nach 1871 vollzog sich hier - unaufhaltsam und erheblich rasanter als in den westli-
chen Ländern - der Weg von der Agrar- zur Industriegesellschaft.42 Die moderne
Großstadt und die "Masse" der industriellen Arbeiterschaft wurden nun zu Realitäten,
die die Bildungsideale nachhaltig veränderten. Zwar bildete auch jetzt noch die
humanistische Bildung (mit dem entsprechenden akademischen Titel) das Statuskri-
terium schlechthin, und der "Gebildete" besaß immer noch ein Ansehen, das im
Vergleich zu anderen Ländern einzigartig war.43 Außerdem blieb bis zum Jahre 1901
das "humanistische Gymnasium" die einzige Schulform, die zum Besuch der Hoch-
schule berechtigte.44 Die Tatsache jedoch, daß die gewaltige Leistungskraft der Wirt-
schaft im allgemeinen Bewußtsein nun erheblich höher rangierte als die "geistigen"
Werte der "klassischen" deutschen Kultur, mußte zu einer tiefgreifenden Identitäts-
krise des Bildungsbürgertums führen, das erst jetzt als deutlich abgrenzbare

39
Vgl. Hirschberger, Philosophie, II, 426-449, sowie 483f.; Oesterreich, Philosophie, 314-331, sowie 309.
40
Vgl. Gerlach, Naturwissenschaft.
41
Vgl. Ritter, Fortschritt, 1043.
42
Vgl. Freyer, Industrielle Gesellschaft, 285f.
43
Vgl. Mann, Deutsche Geschichte, 410f.
44
Vgl. Breithaupt/Rüegg, Humanismus, bes. 174f.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 37

"subkulturelle" Gruppierung in Erscheinung trat.45 Aus ganz anderen Gründen als im


Katholizismus entstand hier nun (fast) ein weiteres kulturelles "Ghetto", und es hing
wohl auch mit dieser neuen Parallelität zusammen, daß die beiden so verschiedenen
"Subkulturen" sich in den nächsten Jahrzehnten wieder näherkamen.

bb. Kulturreform
Zunächst jedoch verliefen die Wege noch getrennt. Während der Katholizismus sich
in den besonders industrialisierten Regionen auf sozialem Gebiet durchaus den neuen
Realitäten stellte,46 suchte das allgemeine deutsche "Bildungsbürgertum" eher den
Weg zu einer Alternativkultur und griff dazu auf die kulturkritische Linie (Rousseau!)
seiner eigenen Tradition zurück.
Die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts um sich greifende Kunsterziehungs-
bewegung etwa verstand sich als pädagogische Alternative zu einer als lebensfremd
verstandenen Wissenschaft.47 Die ähnlich einflußreiche Schulreformbewegung erhob
das "Natürliche" zur "Kampfparole gegen den Intellektualismus und Verbalismus";
das "Lebendige", "Organische", "Wahrhaftige" sollte an die Stelle bloßer Konvention
und Tradition treten.48 Streben nach "Natürlichkeit" - etwa durch Verzicht auf Alko-
hol, Nikotin- und Fleischgenuß oder durch Befürwortung von luft- und lichtdurchläs-
siger Kleidung usw. - war auch der entscheidende Grundzug der Lebensreformbewe-
gung, die ebenfalls kurz vor der Jahrhundertwende entstand.49
Neben den ernstzunehmenden reformpädagogischen Ansätzen, die weit über die
damalige Situation hinaus von Bedeutung blieben, gab es natürlich auch eine Fülle
übersteigerter und unrealistischer Reformvorschläge. Die Enttäuschung über eine
lebensfern gewordene Wissenschaft und die negativen Früchte des modernen Fort-
schrittsglaubens legte vielen die Flucht ins Irrationale nahe. In den neunziger Jahren
gewannen daher auch "völkische" Bewegungen an Bedeutung, die sich oft mit einer
sowieso vorhandenen nationalistischen Hochstimmung verbanden. "Volk", "Rasse",
"Deutschtum", "Nation" - in solchen Werten schien sich für manche wieder ein neues,
über das "Realistische" hinausweisendes "Ideal" zu Wort zu melden.
Eine eigenartige Erscheinung dieser Jahre ist auch der sogenannte
"Rembrandtdeutsche" August Julius Langbehn. Sein 1890 anonym veröffentlichtes
Buch "Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen" erreichte in wenigen Monaten
eine ungeheuer große Zahl von Auflagen. Fast ohne Gliederung entwarf der Autor
eine Analyse "deutscher Kunst", "deutscher Wissenschaft", "deutscher Politik",
"deutscher Bildung" und "deutscher Menschheit", die zwischen Kritik am Bestehen-
den und Vision des Zukünftigen wechselte und von manchmal geradezu überschäu-
mendem Pathos geprägt war. Wissenschaft und Intellektualismus hätten die deutsche

45
Vgl. Aufmuth, Wandervogelbewegung, 120f. Ferner H. J. Henning, Das Westdeutsche Bürgertum in der
Epoche der Hochindustrialisierung 1860-1914, Wiesbaden 1972; Vondung, Bildungsbürgertum.
46
Vgl. Hurten, Kurze Geschichte, 160-174.
47
Vgl. Scheuert, Kunsterziehung; ferner G. Kratzsch, Kunstwart und Dürerbund. Ein Beitrag zur
Geschichte der Gebildeten im Zeitalter des Imperialismus, Göttingen 1969.
48
Vgl. Scheuert, Schulreform, 1574f.; Aufmuth, Wandervogelbewegung, 136; femer H. Nohl, Die
pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1982.
49
Vgl. Siegmund, Lebensreformbewegung; Frecot, Lebensreformbewegung.
38 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

Kultur zerstört, und diese könne nur durch ein Wiederaufleben der Kunst erneuert
werden; sie bedeute die "Erlösung von dem papiernen Zeitalter", die "Rückkehr zur
Farbe und Lebensfreudigkeit, zur Einheit und Feinheit, zur Innigkeit und Innerlich-
keit".50 Das deutsche Volk müsse nach "historischen Idealen" Ausschau halten, die
ihm als Erzieher dienen könnten; unter diesen rage Rembrandt hervor - der
"individuellste" unter allen deutschen Künstlern, der "deutscheste aller deutschen
Maler", ja der "deutscheste aller deutschen Künstler"51.
Zu den Kulturkritikern jener Zeit gehört auch Paul de Lagarde, der in seinen
"Deutschen Schriften" bereits in den siebziger und achtziger Jahren gegen Positivis-
mus, Materialismus und Fortschrittsglauben zu Felde gezogen war.52 Eine nachhalti-
gere Wirkung freilich konnte Friedrich Nietzsche verbuchen, dessen Werk ebenfalls
erst in den neunziger Jahren in weiteren Kreisen bekannt wurde.53 Seine Kritik drohte
freilich auch die ganze "neuhumanistische" Bildung hinwegzufegen - zusammen mit
dem Christentum, ja mit der gesamten abendländischen Geistesgeschichte seit Sokra-
tes, die für Nietzsche insgesamt nur eine Geschichte des "Niedergangs", der
"ddcadence", des "Nihilismus" war. Seit Sokrates habe das "Apollinische" die Ober-
hand gewonnen und das "Dionysische", die Triebkraft der vorsokratischen Zeit,
verdrängt. Jetzt solle wieder das "Dionysische" zu seinem Recht kommen; an die
Stelle der "Ratio" solle wieder das "Leben" treten, an die Stelle der "Religion des
Mitleidens" der "Wille zur Macht". Mit diesen Hinweisen ist die gewaltige Tiefe von
Nietzsches Schriften nicht ausgeschöpft; angesprochen sind aber jene Schlagworte,
die die Rezeption Nietzsches bestimmten und ihn für die verschiedenartigsten Rich-
tungen zum Propheten einer neuen Kultur werden ließen.
Ein Sammelbecken für die vielfachen Erneuerungsbestrebungen wurde der Verlag
Eugen Diederichs'.54 Gerade hier fällt auch ein neues Interesse für die Religion auf,
das sich allerdings mit einer bewußten Distanzierung vom konfessionellen Christen-
tum verband. Weil der Verleger eine solche "unkirchliche" Religion für fähig hielt,
Trägerin einer neuen Einheitskultur (im Sinne der vielfältigen Reformbestrebungen)
zu werden, machte er sich selbst zum "Organisator der außerkirchlichen religiösen
Bewegung".55 In der Monatszeitschrift "Die Tat" besaß Diederichs außerdem ein ein-
flußreiches Organ, das verstärkt auch konkrete politisch-soziale Problemfelder in den
Blick nahm.

5U
Langbehn, Rembrandt, 3.
5
' Langbehn, Rembrandt, 9.
52
Vgl. Lagarde, Deutsche Schriften (in einem Bd. 1886); dazu J. Schmid, Lagarde, in: LThK 2 VI (1961),
730f.; Stern, Kulturpessimismus, 26-50.
53
Vgl. R. F. Krummel, Nietzsche und der deutsche Geist [Bd. I]. Ausbreitung und Wirkung des Nietz-
scheschen Werkes im deutschen Sprachraum bis zum Todesjahr des Philosophen Ein Schrifttumsverzeichnis
der Jahre 1867-1900, Beriin-New York 1974 (= Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, hg. v. M.
Montinari u. a., Bd. 3); Kaufmann, Nietzsche, 1-19 (zur "Nietzsche-Legende"). -"... aber seit den 90er Jahren
gab es keine geistig bewegte bürgerliche, ja intellektuelle Jugend, die nicht im Schatten Nietzsches wuchs"
(Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918,1, 514f).
54
Vgl. Mulert, Diederichscher Verlag; HUbinger, Kulturkritik und Kulturpolitik des Eugen-Diederichs-
Verlags im Wilhelminismus.
55
Brief Diederichs' an Carl Jatho vom 14. 7. 1911, zit. in: HUbinger, Kulturkritik, 92. Zur neuen
"unkirchlichen" Religiosität an der Wende vom 19. zum 20. Jh. vgl. auch Nipperdey, Deutsche Geschichte
1866-1918,1,507-528.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 39

cc. Die Jugendbewegung


Es war vor allem die studierende Jugend, die aus der bildungsbürgerlichen Identi-
tätskrise der Elterngeneration positive Konsequenzen ziehen wollte. Die Schülerwan-
derungen um den Berliner Jurastudenten Hermann Hoffmann(-Fölkersamb) waren die
Initialzündung für eine Bewegung, die bis in die zwanziger Jahre hinein maßgebliche
Teile der späteren Führungsschichten zutiefst prägte.56
Auffälligstes Kennzeichen war zunächst das Wandern, von dem die
"Jugendbewegten" in der ersten Phase auch ihren Namen bekamen ("Wandervögel").
Mag es zunächst bloße Naturbegeisterung gewesen sein - nach und nach wurde die
"Fahrt" als Möglichkeit begriffen, zu Schule und Elternhaus in Distanz zu treten und
unter Gleichaltrigen eine neue Identität als "Jugend" zu gewinnen.57 Eine starke
romantische Grundstimmung, die sich etwa im Ideal des "Fahrenden Sängers", in der
Erneuerung des Volkslieds oder in der Suche nach "Einfachheit" und "Natürlichkeit"
ausdrückte,58 verband sich dabei mit dem Prinzip der jugendlichen Selbsterziehung,
das sehr schnell das Interesse von Reformpädagogen und Lebensreformern weckte.
So war es der Steglitzer Oberlehrer Ludwig Gurlitt, der die Ideale des
"Wandervogels" erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachte, und Gustav
Wyneken, der Gründer der "Freien Schulbewegung Wickersdorf, verband mit dem
Phänomen der "Jugendbewegung" die Hoffnung auf eine neue, auch die Erwachsenen
erfassenden "Jugendkultur" , 59
Die Kritik der Jugend richtete sich aber nicht nur gegen die engen Erziehungsme-
thoden der wilhelminischen Epoche, sondern auch gegen die Strukturen und Symbole
der modernen technisch-industriellen Welt. Dabei waren bei der bürgerlichen Jugend
weniger Fabrik und Arbeitswelt im Blick, als vielmehr die Großstadt mit ihrem
Verkehr, ihrem Asphalt, ihrem bürgerlichen Komfort. Demgegenüber ermöglichte das
Wandern die Erfahrung der eigenen Leiblichkeit und Vitalität, sowie die Begegnung
mit dem von industrieller Großstadtkultur noch unberührten "Volk".60
Im Oktober 1913 wurde dann bei einem Jugendtreffen auf dem Hohen Meißner das
Selbstbewußtsein der neuen Jugend in eine programmatische Formel gekleidet:
"Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verant-
wortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Frei-
heit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. '*'
Der Erste Weltkrieg wirkte freilich ernüchternd gegenüber einer allzu subjektivi-
stisch-idealistischen Auslegung dieses Programms. Die sich nun neu formierende

56
Wichtige Dokumentationen: Kindt, Grundschriften; ders., Wandervogelzeit; ders. Jugendbewegung
1920-33. Sekundärliteratur: Gurian, Jugendbewegung (1923); Schelsky, Die skeptische Generation (1957),
58-66; Laqueur, Jugendbewegung (1962); Eller, Jugendbewegung (1963); Aufmuth, Wandervogelbewegung
(1979). Ferner: Uhsadel, Jugendbewegung (RGG).
57
Vgl. Aufmuth, Wandervogelbewegung, 221-228.
58
Vgl. Aufmuth, Wandervogelbewegung, 169. Zur Bedeutung Eichendorffs vgl. Eller, Jugendbewegung,
103-107.
59
Vgl. G. Wyneken, Schule und Jugendkultur, Jena 1913; ders., Was ist Jugendkultur?, München 1913;
ferner Linse, Jugendkulturbewegung.
60
Vgl. Gurian, Jugendbewegung, 28-33.
61
Zit. nach G. Mittelstraß, Der Verlauf des Freideutschen Jugendtages, in: Kindt, Wandervogelzeit, 494-
497, hier 495f.
40 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

"Bündische Jugend" wurde sich mehr und mehr ihrer Verantwortung für das "Ganze"
von Kultur und Volk bewußt. Nicht die "ferne Wandervogelherde", sondern die
"harte, heroische Kampfschar" stand nun vor Augen. 62 Nun formierte sich ein links-
radikaler und ein völkischer Flügel, und schließlich löste eine "politische Jugend" die
ursprünglich eher unpolitische "Jugendbewegung" ab - nicht ohne freilich viele ihrer
Ansätze zu übernehmen.63
Die Wegbereiter des Nationalsozialismus nutzten aber auch andere kulturreformeri-
sche Impulse für ihre Zwecke aus. Der kulturpessimistische Grundzug dieser Bewe-
gungen, deren Ziele oftmals eher verschwommen formuliert waren und ins Irrationale
abglitten, machte einen solchen Mißbrauch nicht schwer.64 Die verschiedenartigen
Ansätze, die aus einer Art Notwehrreaktion des deutschen Bildungsbürgertums
hervorgegangen waren, blieben ja meist bei einer negativen Stellungnahme zur tech-
nisch-industrialisierten Kultur stehen, während die Ideologen der neuen "Bewegung"
demgegenüber den Anspruch erhoben, die gesellschaftlichen Probleme Deutschlands
auch wirklich lösen zu können.

b. Umbruch im Denken
aa. Kant, die Psychologie und das "Leben"
Während sich im kulturellen Leben neue Kräfte formierten, kam auch in das wissen-
schaftliche Denken neue Bewegung.
Zunächst gelang es der Philosophie, dem Ansatz Kants neue Bedeutung zu verlei-
hen. Ähnlich wie der französische Positivismus (Auguste Comte) und der englische
Neuempirismus (John Stuart Mill, Herbert Spencer), ging es den verschiedenen
Schulen des deutschen Neukantianismus darum, der Philosophie eine neue, auch im
Zeitalter der Naturwissenschaft unentbehrliche, Aufgabe zuzuweisen - die Aufgabe
einer Theorie des wissenschaftlichen Erkennens selbst.65 Wertvolle Beiträge konnte
dafür auch die Psychologie liefern, mit deren Hilfe es gelingen sollte, die Grundstruk-
turen menschlichen Denkens zu erheben und zu einer allgemeinen Theorie auszuar-
beiten.
Erst kurz zuvor hatte sich die Psychologie aus der Obhut der Philosophie gelöst und
naturwissenschaftlichen Methoden geöffnet. Unter Gustav Theodor Fechner und
Wilhelm Wundt entstand so die eigenständige Disziplin einer "experimentellen
Psychologie", die in den folgenden Jahrzehnten eine rasante Entwicklung nahm und
eine bedeutende Rolle im Wissenschaftsbetrieb des 20. Jahrhundert spielen sollte.66
Edmund Husserl hatte noch vor allem die Neukantianer im Visier, als er sich gegen

** Vgl. das Zitat bei Eller, Jugendbewegung, 54.


63
Vgl. Schelsky, Generation, 66-84. Zur Anknüpfung der "Hitlerjugend" an die Ideale der Jugendbewe-
gung vgl. Uhsadel, Jugendbewegung, 1017.
64
Vgl. dazu v. a. Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr.
65
Vgl. Hirschberger, Phüosophie, II, 489-492.
66
Vgl. Oesterreich, Philosophie, 483-491; Janssen, Psychologismus; Haendler, Psychologismus.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 41

den "Psychologismus" seiner Zeit wendete.67 Aber die wissenschaftliche Bedeutung


korrespondierte mit der enormen Rolle, die das "Seelenleben" innerhalb des kulturel-
len Bewußtseins überhaupt spielte, so daß der "Psychologismus" in gewisser Weise
den "Historismus" des 19. Jahrhunderts zu beerben schien. Diese Tendenz konnte
man im literarischen Bereich ebenso feststellen wie in den neuen Werken der Bilden-
den Kunst. Hier trat an die Stelle einer "naturalistischen" und "historischen" Malerei
der neue sensible Stil des "Impressionismus" - die flüchtigen "Eindrücke" der Wirk-
lichkeit im individuellen Gefühl des Künstlers.68 Es folgte die Wendung nach außen -
der kraftvolle "Ausdruck" seelischer Empfindungen im Medium der Kunst:
"Expressionismus" heißt "Exstase, Schrei, Verzückung, bis aufs äußerste angespann-
ter Wille zum Ausdruck, lauteste Projektion der Wünsche des Ich, Überzeichnung bis
zur Verzerrung."69
Der Psychologie schenkte auch Wilhelm Dilthey seine Aufmerksamkeit, als er -
vom "Historismus" herkommend - nach einer wissenschaftlichen Begründung der
"Geisteswissenschaften" im Unterschied zu den "Naturwissenschaften" suchte.70
Allerdings vertrat er die Auffassung, es müsse neben der "konstruktiven",
"erklärenden", naturwissenschaftlichen eine eigene geisteswissenschaftliche Psycho-
logie geben, die in eine "beschreibende und zergliedernde" und eine "vergleichende"
aufgeteilt werden könne.71 Sie sei in der Lage, die psychische Verfassung des Men-
schen herauszuarbeiten, auf welchen sich die Gesamtheit der Geisteswissenschaften
als ihren hervorbringenden Grund beziehe."72 Von ihr aus ließen sich dann auch
verschiedene geschichtliche "Typen" unterscheiden, um so die Interpretation
geschichtlicher Zeugnisse auf eine neue Basis zu stellen. Der junge Psychiater Karl
Jaspers, dem es - von seiner Disziplin her - ebenfalls um eine Relativierung des rein
naturwissenschaftlichen Ansatzes ging, prägte den Begriff einer "verstehenden
Psychologie", der Diltheys Bemühungen weitgehend entsprach.73
Auch Jaspers suchte nach einer "Typologie" und legte eine "Psychologie der Welt-
anschauungen" vor, die lediglich die vorhandenen Systeme von ihren Wurzeln in der
"Struktur" des Menschen her verstehen, nicht mehr aber über die objektive Wahrheit
bestimmter Aussagen entscheiden wollte.74 Dilthey allerdings ging in seiner Abhand-

" ' Vgl. dazu Haendler, Psychologismus, 705.


68
Vgl. Art. Impressionismus, in: Jahn/Haubenreißer, Wörterbuch der Kunst, 360f.; Martini, Literaturge-
schichte, 478-489.
69
Netzer, Revolution in der Kunst, 207. - Vgl. Art. Expressionismus, in: Jahn/Haubenreißer, Wörterbuch
der Kunst, 360f.; Martini, Literaturgeschichte, 535f.
70
Zu Dilthey insgesamt vgl. HUnermann, Durchbruch, 133-291; Coreth, Philosophie des 20. Jahrhunderts,
73-75.
71
Vgl. W.Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie [1894], in: ders.,
Schriften V, 139-240; ders., [Über vergleichende Psychologie].Beiträge zum Studium der Individualität
[1895/96], in: ebd., 241-316.
72
Vgl. HUnermann, Durchbruch, 236.
73
Vgl. Jaspers, Psychopathologie [1913], 145-152; ders., Psychopathologie [81965], 250-260, bes. Anm.
1, 250f. Bereits vor Erscheinen dieses Werkes hatte Jaspers die Kategorie des "Verstehens" in die psychiatri-
sche Praxis einzuführen gesucht; vgl. Wisser, Jaspers, 363. Auch Dilthey unterschied bereits früher (im
Anschluß an Droysen) geisteswissenschaftliches "Verstehen" und naturwissenschaftliches "Erklären"; vgl.
HUnermann, Durchbruch, 106-108, sowie 152-155; Landmann, Geisteswissenschaften, 268.
74
Jaspers betont später (1954), daß eine solche Betrachtungsweise den Einzelnen nicht etwa von notwen-
digen Entscheidungen dispensiere. "Zwar wird ihm nicht eindeutig gesagt, was wahr ist, aber in ihm erregt,
42 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

lung über die "Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysi-
schen Systemen"75 schon wieder einen Schritt über ein nur "psychologisches" Fragen
hinaus. Bestimmend war jetzt der Begriff des "Lebens", der weder biologistisch noch
vitalistisch gemeint war. Er bezeichnete vielmehr den gesellschaftlichen und
geschichtlichen "Funktions- und Strukturzusammenhang, in dem sich die Menschen
bereits handelnd und interagierend vorfinden und verstehen."76 Es ist£in sich selbst
"verstehendes" bzw. "interpretierendes" Leben, das von Religion, Kunst und Meta-
physik je auf ihre Weise expliziert wird. Mit diesem "hermeneutischen" Ansatz77
gehört Dilthey in die Strömung einer "geisteswissenschaftlichen Lebensphilosophie",
der auch Georg Simmel, Rudolf Eucken und Ernst Troeltsch zugerechnet werden
können.78
"Leben" war schon ein Schlüsselbegriff im Denken Nietzsches gewesen. Zu den
herausragenden Vertretern der Lebensphilosophie gehört aber vor allem der Franzose
Henri Bergson.19 Dieser identifizierte "Leben" mit "Sein" und entwickelte daraus
eine ausgesprochene "Metaphysik des Lebens". Ausgangspunkt war für ihn freilich
zunächst die Realität, die wir im Bewußtsein erfahren: Leben als beständigen Fluß,
als stetes Werden und Wachsen, getragen und vorangetrieben von einem "61an vital";
Zeit als "Dauer", als jener ständige Wandel, in dem Einmaligkeit und Unwiederhol-
barkeit des Einzelnen und der Geschichte gründen.80 Diese Realität erschließe sich
uns im beständigen Miterleben, in der "Intuition", die sich vom rationalen Erkennen
unterscheide, ja ins "Irrationale" und "Vorrationale" gehöre.
"Die wahre Wirklichkeit eröffnet sich uns nur, wenn wir uns einfühlen in den
Fluß der Geschehnisse, wenn unsere Begriffe sozusagen auch flüssig werden
und mitgehen."81
Nietzsche und Bergson waren nur die herausragendsten und tiefgründigsten Vertreter
der neuen philosophischen Richtung, die im übrigen bald popularisiert wurde. Dabei
wurde "Leben" oft ganz naturalistisch verstanden, so etwa bei Oswald Spengler und
Ludwig Klages. Letzterer identifizierte "Leben" mit der "Seele", dem "Unbewußten"
im Menschen. Gegen die Vorherrschaft des "Geistes" (im Sinne des neuzeitlichen
Rationalismus) als des "Widersachers der Seele" trat Klages für die Rettung jener
Wirklichkeit ein, die im "Leben" der Pflanzen, der Tiere, des Kleinkindes und der
Primitiven noch unverbraucht vorliege.82 Im Gefolge der Lebensphilosophie

was ihn zu Entscheidungen veranlassen kann" (Weltanschauungen, XI). Darin zeigt sich bereits der entschei-
dende Grundansatz, der Jaspers konsequent von der Psychologie über die verstehende Psychologie zur
Existenzphilosphie führte (vgl. ebd.).
75
Die Arbeit erschien 1911. Vgl. auch ders., Das geschichtliche Bewußtsein und die Weltanschauungen,
in: ders., Weltanschauungslehre, 3-71. Dazu auch HUnermann, Durchbruch, 235-238.
76
Bodammer, Geisteswissenschaften, 49.
77
Vgl. dazu HUnermann, Durchbruch, 239-283.
78
Vgl. Hirschberger, Philosophie, II, 533f.
79
Zur Lebensphilosophie insgesamt vgl. Hirschberger, Philosophie, II, 519-541.
80
Vgl. Coreth, Philosophie des 19. Jahrhunderts, I40f.
81
Hirschberger, Philosophie, II, 521.
82
Vgl. Hirschberger, Philosophie, II, 537. - Vgl. auch den flammenden Protest von Klages gegen den
"Untergang der Seele" auf dem Jugendtreffen am Hohen Meißner (Mensch und Erde, 14); ferner ders., Der
Geist als Widersacher der Seele, 3 Bde., Leipzig 1929-1932.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 43

versuchte aber auch der Biologe Hans Driesch, der darwinistischen Evolutionslehre
einen neuen "Vitalismus" gegenüberzustellen, der auf der "Autonomie" des Lebens
und der Vorstellung einer "Entelechie" als Prinzip organischer Ganzheit beruhte.
"Das Leben ... ist nicht eine besondere Anordnung anorganischer Ereignisse; die
Biologie ist daher nicht angewandte Physik und Chemie; das Leben ist eine
Sache für sich und die Biologie ist eine unbhängige Grundwissenschaft."^
Nun schien überhaupt eine "biozentrische Metaphysik" heraufzuziehen,84 und es war
nicht verwunderlich, wenn die nationalsozialistische Ideologie ebenfalls auf
"biologische" Kategorien ("Blut", "Rasse", "Volk") zurückgriff, um auf diese Weise
ihren "Mythus des 20. Jahrhunderts" zu konstruieren.85 In dieser
"lebensphilosophischen" und "vitalistischen" Grundstimmung des Denkens, zu der
auch die "romantischen" Sehnsüchte der jungen Generation das Ihre beitrugen, kamen
Kulturkritiker wie Nietzsche und Langbehn unter den Intellektuellen zu neuen
Ehren.86 Die Aufmerksamkeit richtete sich auch erneut auf die theoretischen Schrif-
ten der deutschen Romantik, die von dem östereichischen Soziologen Othmar Spann
besonders in gesellschaftstheoretischer Hinsicht ausgewertet wurden.87 Man rezi-
pierte jetzt auf breiter Front die Unterscheidung von "Gemeinschaft" und
"Gesellschaft", die der Soziologe Ferdinand Tönnies aufgebracht hatte, und propa-
gierte ein "ganzheitlich" verstandenes Gemeinschaftsbewußtsein.88
So ist es nicht verwunderlich, daß sich die Sehnsucht nach kultureller Erneuerung,
die sich aus der Krise des Bildungsbürgertums ergeben hatte, nicht etwa in den poli-
tischen Formen der jungen deutschen Demokratie wiederfand. Diese wurde vielmehr
gerade mit der "rationalistischen" und "individualistischen" Vergangenheit in Zusam-
menhang gebracht und verlor unter den intellektuellen Führungsschichten immer
mehr an Ansehen. Damit fehlte aber der wichtigste Rückhalt gegenüber der immer
bedrohlicher anwachsenden völkisch-nationalsozialistischen Ideologie.89 Die
"konservative Revolution" schürte geradezu die antidemokratischen Umtriebe in
Deutschlands, was besonders eklatant an Oswald Spenglers "Untergang des Abend-

83
Driesch, Philosophie des Organischen (1909; 21921), 138.
84
Vgl. Getzeny, Biozentrische Metaphysik (1926).
85
Vgl. bes. A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestal-
tenkämpfe unserer Zeit, München 1930.
86
Vgl. etwa die Schriften von E. Bertram (Nietzsche. Versuch einer Mythologie, Berlin 1918; 7., Uberarb.
Aufl.: 21000 Exemplare!), A. Baeumler (Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 1931; darin
verschiedene Beiträge zu Nietzsche), K. Hildebrandt (bes. Wagner und Nietzsche. Ihr Kampf gegen das
Neunzehnte Jahrhundert, Breslau 1924). Zu Langbehn vgl. B. M. Nissen, Der Rembrandtdeutsche Julius
Langbehn. Von seinem Freunde, Freiburg i. Br. 1926. Nissen gab jetzt auch eine Reihe von bisher unveröf-
fentlichten Schriften seines verstorbenen Freundes neu heraus.
87
Neu herausgegeben wurden etwa die Werke Franz von Baaders, Adam Müllers, Josef Görres' und
Novalis. Vgl. auch Baumgartner, Gemeinschaft, 18f., sowie 30-38 ("Die Ganzheitslehre Othmar Spanns als
neuromantischer Versuch einer Sozialphilosophie").
88
Vgl. F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, 3. Aufl., Berlin
1920 (1. Aufl. 1887); dazu Baumgartner, Gemeinschaft, 39-54.
89
Vgl. bes. A. Rosenberg (s. o. Anm. 85), sowie A. Moeller van den Brück, Das dritte Reich, Berlin
1923. Zur ganzen Problematik vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik.
Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1968.
44 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

landes" deutlich wird.90 Der Autor verband in seinem zweibändigen Werk die
Lebensphilosophie nietzsche'scher Prägung mit den morphologischen Ansätzen
Goethes und der Frage nach den Gesetzmäßigkeiten kultureller Entwicklungen. Alle
Kulturen seien, als Subjekte der Weltgeschichte, Organismen vergleichbar, alle von
gleichem Rang, gleicher Lebensdauer eines Jahrtausends und gleicher Ablaufgesetz-
lichkeit. Nach Entfaltung, Rationalisierung und Verwirklichung ihrer im "Ursymbol"
angelegten Möglichkeiten gehe jede Kultur in ihre Endphase, die "Zivilisation" über,
deren Dauer von der Schaffung einer imperialen Schutzordnung abhänge.
"Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur. Hier ist der
Gipfel erreicht, von dem aus die letzten und schwersten Fragen der historischen
Morphologie lösbar werden."91
Die gegenwärtige kulturelle Wirklichkeit und eine möglicherweise kommende
Gewaltherrschaft erschien damit zwar nicht gerade als erstrebenswert - die bildungs-
bürgerliche Verachtung gegenüber dem "Zivilisatorischen" kam auch hier deutlich
zum Tragen! -, wurde aber doch als unausweichlich und schicksalhaft verstanden und
somit indirekt gerechtfertigt. Vor allem aber bestärkte der Titel die pessimistische
Grundstimmung, die in der Öffentlichkeit herrschte und die tragische Hilflosigkeit,
mit der viele deutsche Intellektuellen den Zeitereignissen gegenüberstanden.

bb. Husserl, die "Phänomene" und die menschliche "Existenz"


Doch die denkerischen Bemühungen jener Jahre verliefen auch in ruhigeren, nüchter-
neren Bahnen. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferte Edmund Husserl.92 Wie im
Neukantianismus und im Psychologismus (aber auch der Lebensphilosophie im Sinne
Bergsons) ging es ihm in erster Linie um die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen
Bewußtseins. Ansatzpunkt sollte aber jetzt nicht mehr allein die menschliche Subjekti-
vität sein, sondern das jeweilige, von ihr wahrgenommene "Phänomen" - das also,
was sich - jeder theoretischen Konstruktion vorausgehend - von sich her "zeigt".
Durch Ausschaltung oder "Einklammerung" ("Epoche") aller Vormeinungen und
Urteile ("phänomenologische Reduktion") sollte dieses "Phänomen" in den Blick
kommen, damit dann in einer zweiten ("eidetischen") "Reduktion" unter Ausschei-
dung des Besonderen und Zufälligen sein "Wesen" erkannt werden konnte.93
Darin lag - gegen Kant - eine Wendung "zu den Sachen selbst", auch wenn Husserl
selbst in einer dritten "transzendentalen Reduktion" eher die Fragestellung Kants fort-
setzen wollte. Seine Schüler dagegen wollten die Wende "zu den Sachen" konsequent
weiterführen und auf diesem Wege zu einer neuen umfassenden Ontotogie bzw.

w
2 Bde. (1918 und 1922); schon während des Krieges niedergeschrieben. Vgl. die Bemerkung des Litera-
turwissenschaftlers Hans Mayer: "Ich habe die beiden dicken weißen, grobgedruckten Bände als Kind in
jedem bürgerlichen Wohnzimmer entdeckt, wohin ich in Begleitung der Eltern gehen durfte. Man sprach
davon allenthalben und unablässig" (Zauberberg, 60). Mayer verweist ebd. auch auf den Einfluß des Buches
auf den "Zauberberg'-Roman Thomas Manns.
91
Spengler, Untergang, I, Anm. 1,65.
92
Zur Phänomenologie vgl. Oesterreich, Philosophie, 504-528; Hirschberger, Philosophie, 541-552; Strö-
ker. Phänomenologische Philosophie. Zu Husserl vgl. Stegmüller, Gegenwartsphilosophie, 49-95.
93
Vgl. Kuhn, Phänomenologie, 298; Coreth, Philosophie des 20. Jahrhunderts, 17-22.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 45

wenigstens zu "regionalen" Ontologien gelangen.94 Die größte Wirkung entfaltete


dabei Max Scheler, der etwa das Phänomen des "Fühlens" untersuchte und mit der
Entdeckung eines eigenen "Wertreiches" den "Formalismus" der kant'schen Ethik
zugunsten einer "materialen Wertethik" überwinden wollte.95 An der Spitze der
Werthierarchie rangierten für Scheler die Personwerte. Der Personbegriff wurde über-
haupt zu den fundamentalsten Kategorien seiner Philosophie, wenn auch nicht in der
substantiellen Deutung der scholastischen Tradition, sondern in einem dynamisch-
aktualistischen Sinne.96
Dies verband Scheler mit den von anderen Voraussetzungen her kommenden
Vertretern eines "dialogischen Personalismus" (Franz Rosenzweig, Martin Buber,
Ferdinand Ebner). Für sie wurde der Mensch erst wirklich menschliche "Person" im
"Begegnungserlebnis", in der "Gegenseitigkeit", im "Dialog", letztlich in der Begeg-
nung mit Gott.97 Eine andere Strömung, die sich der spezifisch menschlichen Form
des Daseins zuwandte, wird in der Regel unter den Oberbegriff "Existenzphilosophie"
zusammengefaßt. Ihr großer Anreger ist Sören Kierkegaard, der in seinen Analysen
der "Angst", der "Verzweiflung" und der "Krankheit zum Tode" gerade die gegen-
wärtige Existenzsituation zu treffen und durch sein Wort vom "existierenden", an die
Stelle des "abstrakten" oder "systematischen" Denkers vom Typ Hegels tretenden
Denker den "Umbruch des Denkens"98 schon im 19. Jahrhundert vorweggenommen
zu haben schien.99
"In einer Zeit, wo alle festen Ordnungen sich aufzulösen begannen und alle
sonst als unverbrüchlich geltenden Werte sich als zweifelhaft erwiesen, in einer
Zeit also, wo der Relativismus nicht mehr eine Angelegenheit des einsamen
Denkens war, sondern die objektiven Lebensordnungen selbst zu zersetzen
begann, da mußte notwendig das Verlangen nach einem letzten, unbedingten
Halt erwachen, der von der allgemeinen Auflösung nicht mehr ergriffen werden
konnte."100
Dies war die "Existenz", der innerste Kern des Menschen, der allem inhaltlich
Angebbaren vorauslag und nicht abstrakt, sondern nur in konkreten "existentiellen"
Akten selbst zum Vorschein kam.
Karl Jaspers schloß sich dieser Wende zur "Existenz" entschieden an und bezog sie
in seine großangelegte "Philosophie" von 1932 ein, die von der "Weltorientierung"
zur "Existenzerhellung", und von dort schließlich zur "Metaphysik" führte.101 Ebenso

y4
Vgl. Kuhn, Phänomenologie, 300.
95
Zu Scheler vgl. etwa StegmUller, Gegenwartsphilosophie, 96-134 ("Angewandte Phänomenologie: Max
Scheler").
96
Vgl. Nosbüsch, Personproblem, 45-52.
97
Vgl. Nosbüsch, Personproblem, 72-88, bes. 81-88; Casper, Das dialogische Denken.
98
Vgl. Steinbüchel, Umbruch des Denkens (1936), hier bezogen auf den Personalismus Ferdinand Ebners.
99
Der Verlag Eugen Diederichs veröffentlichte zwischen 1909 und 1922 die erste deutsche Gesamtaus-
gabe der Werke Kierkegaards (12 Bde.). Wichtig wurden auch die Übersetzungen und Interpretationen Theo-
dor Haeckers: Sören Kierkegaard und die Philosophie der Innerlichkeit, München 1923; S. Kierkegaard, Der
Begriff des Auserwählten. Übers, u. Nachw. v. Th. Haecker, Hellerau 1917; S. Kierkegaard, Die Tagebücher.
Ausgew. u. übers, (u. m. Vorw. vers.) v. Th. Haecker, 2 Bde., Innsbruck 1923.
100
Bollnow, Existenzphilosophie, 12f.
101
K. Jaspers, Philosophie, 3 Bde., Berlin 1932.
46 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

wird Martin Heidegger teilweise zu den Existenzphilosophen gerechnet, weil auch er


bei einer Analyse des menschlichen Daseins ansetzte - und zwar in einer Weise, die
immer wieder an Kierkegaard erinnert.102 Doch ist seine Grundabsicht in erster Linie
vom phänomenologischen Ansatz her zu interpretieren; in seinem Hauptwerk "Sein
und Zeit" (1927) ging es ihm darum, nach jahrhundertelanger "Seinsvergessenheit"
wieder die Frage nach dem "Sinn von Sein" aufzunehmen. Ausgehend vom menschli-
chen "Dasein", dessen "Sein" eben "Existenz" war,103 sollte eine neue Ontologie
entworfen werden. Auf die Suche nach einer solchen machte sich auch der vom
Neukantianismus herkommende Nicolai Hartmann; sein "kritischer Realismus", der
die phänomenologische Methode aufnahm, verzichtete ebenfalls auf die alten meta-
physischen Prinzipien.104
Max Scheler, der seinen phänomenologischen Ansatz auch mit lebensphilosophi-
schen Gedanken verband,105 wurde inzwischen auch zum Initiator einer philosophi-
schen Anthropologie, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die natürliche
Beschaffenheit des Menschen und seiner Stellung im Ganzen der belebten Natur auf-
greifen und philosophisch reflektieren wollte.106 Zuvor bereits hatte er sich auch dem
Phänomen der Religion zugewandt und war zum Anreger einer neuen Religionsphilo-
sophie geworden.107 Seine Konversion zum Katholizismus war außerdem ein unüber-
sehbares Signal dafür, daß sich für das deutsche Bildungsbürgertum im Zuge der
notwendigen Reform von Leben und Denken auch die Frontstellungen der Kultur-
kampfzeit aufzulösen begannen.

c. Annäherungen an den Katholizismus


Nicht nur bei Eugen Diederichs war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neues religiö-
ses Interesse zu beobachten. Auch Franz Marc, einer der führenden deutschen
Expressionisten, rückte sein künstlerisches Schaffen in engen Zusammenhang mit
einer "religiösen" Wende. Die Gruppe der "Wilden", zu der sich auch der Münchner
Künstlerkreis um Marc zählte, versuchten nämlich, "ihrer Zeit Symbole zu schaffen,
die auf die Altäre der kommenden geistigen Religion gehören und hinter denen der
technische Erzeuger verschwindet."108 In ihren Ausstellungen sei nichts weniger als
eine "Neugeburt des Denkens" zum Ausdruck gekommen.

IOZ vgl. etwa Bollnow, Existenzphilosophie.


103 yg] jjgj Heidegger, Sein und Zeit, 12 und 15. Zum ganzen Werk vgl. bes. Pöggeler, Heidegger;
Stegmüller, Gegenwartsphilosophie, 135-194.
104
Vgl. Hirschberger, Philosophie, II, 556f.; Stegmüller, Gegenwartsphilosophie, 243-287.
105 vgl. v. a. Scheler, Philosophie des Lebens.
106
Vgl. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos (1927); dann: H. Plessner, Die Stufen des Orga-
nischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (1928), 2. Aufl., Berlin 1965; A.
Gehlen, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940. Dazu: Halder, Philosophische
Anthropologie.
107
Vgl. bes. Scheler, Vom Ewigen im Menschen (1921). Dazu Fries, Religionsphilosophie, 31-156.
108
Marc, Die "Wilden", 31.
Die Kulturkrise und ihre Folgen 47

"Die Mystik erwachte in den Seelen und mit ihr uralte Elemente der Kunst."109
Eine neue Aufgeschlossenheit für "Mystik" und "Religion" war auch sonst deutlich
wahrzunehmen.110 Im wissenschaftlichen Bereich wurde durch Rudolf Otto eine neue
Situation geschaffen; sein Buch "Das Heilige" initiierte eine breite religionsphänome-
nologische Forschung, die das religiöse "Phänomen" nicht einfach auf andere, empiri-
sche Gesetzmäßigkeiten zurückführte, sondern in seiner spezifischen Eigenart zu
bestimmen suchte.111 Die RcUgionsphänomenologen im Gefolge Ottos und die Reli-
gionsphilosophen im Gefolge Schelers nahmen das Anliegen Schleiermachers wieder
auf - jetzt aber nicht mehr allein in Verbindung mit der kant'schen Erkenntnistheorie,
sondern auf dem Boden einer neuen, den "Sachen selbst" zugewandten Betrachtungs-
weise. Dabeirichtetesich die Aufmerksamkeit, falls sie nicht gleich auf östliche Reli-
gionen oder (wie in der "Anthroposophie" Rudolf Steiners) auf theosophische Tradi-
tionen auswich, eher auf den Katholizismus als auf den Protestantismus. Bezeichnend
dafür ist eine Äußerung des Religionsphänomenologen Friedrich Heiler aus dem
Jahre 1920:
"Der Katholizismus ist die Heimstätte einer unendlich feinen, zarten und tiefen
Frömmigkeit, die nur wenige Analogien in der Religionsgeschichte besitzt; in
ihm hat die Mystik ihre schönste und reichste Ausbildung erfahren."112
Angesichts des Zusammenbruchs "moderner" Ideale im Chaos des Ersten Weltkriegs
mußte aber nicht nur die Innenseite katholischen Lebens Interesse wecken, sondern
auch die imponierende und vom allgemeinen Zerfall gerade nicht angefochtene äuße-
re Gestalt. Der Scheler-Schüler Paul Ludwig Landsberg schrieb nun ein Buch über
das Mittelalter;11* und mit der Neuentdeckung dieser Epoche, zu der auch die
Jugendbewegung das Ihre beitrug, erschien nun auch jene Institution wieder inter-
essant, die noch besonders "mittelalterlich", d. h. von der "neuzeitlichen" Entwick-
lung unberührt, war. Auch der soziologische "Universalismus" Othmar Spanns sah
sich in der Nähe "katholischer" Ideen; und der in Deutschland einflußreiche Gesell-
schaftstheoretiker Carl Schmitt, der bald in bedenkliche Nähe zum Nationalsozialis-
mus geriet, suchte am Katholizismus die "politische Form" der Zukunft abzulesen - in
deutlicher Abgrenzung zur Weimarer Verfassung.114

l w
Marc, Die "Wilden", 30. - Zur Ähnlichkeit dieses Satzes mit Guardinis Rede vom "Erwachen der
Kirche in den Seelen" vgl. Lutz-Bachmann, Kirche, 62-68. Siehe auch unter 3,b.
110
Vgl. Maaß, Mystik; ferner Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, I, 521-528; H. D. Zimmer-
mann, "Privatmythologie". Zur Rezeption der Mystik in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, in:
Schilson, Weisheit, 247-270; W. Mogge, Naturmystik und kosmisches Lebensgefühl. Religiöse Vorstellungen
in der deutschen Jugendbewegung, in: Schilson, Weisheit, 231 -246.
111
Vgl. Otto, Das Heilige (1917). Zu erwähnen sind femer die Schriften Friedrich Heilers (Das Gebet.
Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung, München 1918), L. Levy-Bruhls (La
mentalis primitive, Paris 1925; L'äme primitive, Paris 1927) Walter F. Ottos (Die Götter Griechenlands. Das
Bild des Göttlichen im Spiegel des griechischen Geistes, Bonn 1929) und G. van der Leeuws
(Phänomenologie der Religion, Tübingen 1933).
112
Heiler, Wesen, 47.
113
Vgl. Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosopischer Versuch über den
Sinn des Zeitalters (1922).
114
Vgl. C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1923); die 2. Aufl. dieser Schrift
erschien als Bd. XIII der vom kath. Akademikerverband hg. Reihe "Der Katholische Gedanke" (1925).
48 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

Nicht zufällig war nach dem Ersten Weltkrieg auch ein enormer Anstieg von
Konvertiten zu verzeichnen. Einige von ihnen waren im kulturellen Leben der zwan-
ziger Jahre besonders exponiert: Theodor Haecker, Edith Stein, Reinhard Johannes
Sorge, Werner Bergengruen, Ruth Schaumann, Gertrud von le Fort und Edzard
Schaper.115 Die größte Wirkung jedoch erzielte die bereits erwähnte Konversion Max
Schelers, der - zumindest für wenige Jahre - den Ruf eines führenden Phänomenolo-
gen mit dem einer katholischen Leitfigur vereinbaren konnte.116 Es war also kein
Wunder, wenn protestantische Kreise etwas sorgenvoll in die Zukunft blickten:
"Neulich fiel in einer großen Versammlung das Wort: 'Es geht jetzt durch ganz
Deutschland ein Schluchzen: ach, daß wir doch alle wieder katholisch wären!'
Das ist in der Tat eine weit verbreitete Stimmung ...".117
War aber der Katholizismus wirklich die Speerspitze der neuen Kultur der Zukunft,
die man in der allgemeinen Krisenstimmung ersehnte? War diese lange ins Abseits
geratene gesellschaftliche Gruppierung überhaupt in der Lage, den enormen Erwar-
tungen, die von manchen in sie gesetzt wurden, gerecht zu werden?

3. Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft?

a. Eine verpaßte Gelegenheit: Die Tragik des "Modernismus"


Auch der Katholizismus war seit dem allgemeinen geistigen Umbruch, der sich in der
Mitte des 19. Jahrhunderts vollzogen hatte, nicht einfach stehengeblieben. Aber die
Kräfte, die um Anschluß an die kulturelle Entwicklung bemüht waren, kämpften mehr
und mehr auf verlorenem Posten. So mußte der Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus
nach dem Ende des I. Vatikanischen Konzils bitter feststellen, daß vom "liberalen
Katholizismus" in der Gegenwart nur noch "Trümmer" übriggeblieben seien.118
Derselbe Autor notierte freilich schon zwei Jahre später in sein Tagebuch,
115
Vgl. Iserloh, Ghetto, 247f.; ferner (aus dieser Zeit selbst) E. Reinhard, Der Siegeszug der katholischen
Kirche. Die Konversionsbewegung in Deutschland in den letzten 100 Jahren, Dortmund 1920. - Bereits um
die Jahrhundertwende war auch der "Rembrandtdeutsche" August Julius Langbehn zum katholischen Glauben
übergetreten (vgl. dazu auch unten in den Vorbemerkungen zu I,3,b).
116
Ab 1915 veröffentlichte Scheler nicht nur im "Jahrbuch ftlr Philosophie und phänomenologische
Forschung", sondern auch im "Hochland", so v. a.: Soziologische Neuorientierung und die Aufgabe der
deutschen Katholiken nach dem Krieg, ebd. 13 (1915/16), I, 385-406 und 682-700; ebd., 11, 257-294; Die
christliche Gemeinschaftsidee und die gegenwärtige Welt, ebd. 14 (1916/17), I, 641-672, Vom kulturellen
Wiederaufbau Europas, ebd. 15 (1917/18), I, 497-510 und 663-681; Zur religiösen Erneuerung, ebd. 16
(1918/19), 5-21 (- Vom Ewigen im Menschen, 103-123); Der Friede unter den Konfessionen, ebd. 18
(1920/21), I, 140-147 und 464-486. Außerdem erschien von Scheler: Deutschlands Sendung und der katholi-
sche Gedanke, Berlin 1918 (später in: Gesammelte Werke, Bd. 4).
117
K. Heim, Das Wesen des evangelischen Christentums, Leipzig 1925, 6.
118
Kraus an Lady Charlotte Blennerhassett (26. 9. 1874): "Sie haben ein warmes, unvergängliches Inter-
esse an der heiligen Sache des liberalen Katholizismus, dessen Trümmer wir sind ..." (zit. bei Loome, Trüm-
mer, 203).
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 49

"daß die latenten Elemente des liberalen Katholizismus viel verbreiteter, mächti-
ger und zukunftsreicher sind, als ich es noch zu hoffen wagte. Ein Trost in der
entsetzlichen Lage der Gegenwart, wo die Partei, welche sich der kirchlichen
Leitung bemächtigt hat, täglich anmaßender und toller wird."119
Es war also keine neue Partei, gegen die Papst Leo XIII. am Ende seines Pontifikats
antrat und die unter seinem Nachfolger Pius X. die Bezeichnung "Modernismus"
erhielt. Vielmehr meldeten sich hier die alten "liberalen" Anliegen innerhalb des
Katholizismus nur noch einmal in verstärkter Weise zurück.120 Der antimodernisti-
sche Kampf galt daher auch zunächst vor allem jenen, die - wie der französische
Exeget Alfred Loisy121 - Schrift und Tradition mit historisch-kritischen Methoden zu
untersuchen begannen. Er griff jedoch bald auf alle Versuche über, hinter denen man
irgendwie eine Anpassung an die Gesetzmäßigkeiten der "modernen" Kultur vermu-
ten konnte. Auf diesem Wege kamen auch die Reformschriften des Würzburger
Dogmatikers Herman Schell - und seine theologischen Hauptwerke gleich mit dazu -
auf den gefürchteten Index.122 Gerade in Deutschland ging es jedoch den Wenigsten
um ein neues theologisches System. Als "Modernist" wollte kaum einer gelten, auch
wenn er sich zu einem "Reformkatholizismus" bekannte.123 Es ging nämlich in erster
Linie - wie bereits in der berühmten Rede des Zentrumspolitikers Georg von Hertling
im Jahre 1896124- um die Überwindung der "kulturellen Inferiorität", die man in
Deutschland besonders schmerzlich erfuhr und für die der "politische Katholizismus"
ultramontaner Prägung allein nicht mehr ausreichen wollte.
Eine größere Partizipation der Katholiken an der kulturellen Entwicklung erforder-
te nämlich auch eine größere Freiheit von kirchlicher Bevormundung und die Bereit-
schaft zu einer innerkirchlichen Pluralität in Bezug auf jene Bereiche, die nicht
unbedingt als spezifisch-religiös zu bezeichnen waren. Von diesem Ziel waren nicht
nur die Reformschriften Schells geleitet,125 sondern auch die "Spectator-Briefe" von
Franz Xaver Kraus und die programmatische Abhandlung über den "Katholizismus

119
F. X. Kraus, Tagebücher, hg. v. H. Schiel, Köln 1957, 374 (5. 11. 1876); zit. nach Loome, Trümmer,
204.
120
Zu dieser Deutung des Modernismus-Phänomens vgl. v. a. Aubert, Modemismus; Loome, Trümmer;
ders., Liberal Catholicism, Reform Catholicism, Modernism. A contribution to a new orientation in Modernist
Research, Mainz 1979 (= TTS 14); Schwaiger, Aufbruch; Weitlauff, Modernismus; Reinhardt, Modernismus,
bes. 276-278.
121
Vgl. v. a. dessen Buch "L'Evangile et L'Eglise" (Paris 1902); zum Autor vgl. Aubert, Modernistische
Krise, 450-455.
122
Dies geschah am 15. 12. 1898 (vgl. Aubert, Modernistische Krise, 442).
123
Der Begriff stammt wohl von Joseph Müller, dem Herausgeber der Zeitschrift "Renaissance"; vgl.
ders., Der Reformkatholizismus als die Religion der Zukunft, Würzburg 1899. Dazu Hagen, Reformka-
tholizismus, 18; Aubert, Modernistische Krise, 438. Zum Ganzen vgl. Schroeder, Aufbruch; Spael, Das
katholische Deutschland, 148-175; Aubert, a.a.O., 437-446.
124 vgl. G. v. Hertling, Der deutsche Katholizismus und die Wissenschaft, in: Jahresbericht der Görres-
Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland für das Jahr 18%, Köln 1897, 16-21;
ders., Das Prinzip des Katholizismus und die Wissenschaft. Grundsätzliche Erörterungen aus Anlaß einer
Tagesfrage, 2.-3. Aufl., Freiburg i. Br. 1899.
125
Vgl. Schell, Katholicismus (1897); ders.. Die neue Zeit (1898). Zum Autor vgl. v. a. G. Bleickert,
Hermann Schell (1850-1906), in: Fries/Schwaiger, Katholische Theologen, III, 300-327; Berning, Neubesin-
nung; Schroeder, Aufbruch, 370-372.
50 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

und das 20. Jahrhundert", die der Kirchenhistoriker Albert Ehrhard vorlegte.126 In die
gleiche Richtung zielten aber auch die Aufsätze Karl Muths, der die Öffnung der
Katholiken für das literarische Schaffen der Gegenwart forderte; die von Muth
gegründete Zeitschrift "Hochland" war der gelungene Versuch, diese Forderungen
einzulösen, erntete jedoch immer wieder Kritik in Bezug auf die für damalige
Verhältnisse recht "liberale" Auswahl der abgedruckten Texte.127 Für den politischen
Katholizismus forderte der Zentrumspolitiker Julius Bachern im Jahre 1906: "Wir
müssen aus dem Turm heraus!"128 Und auch daran entzündeten sich innerkatholische
Auseinandersetzungen ("Zentrumsstreit", "Gewerkschaftsstreit"), in denen sich
"Reformer" und "Integralisten" gegenüberstanden.129
Letztere bekämpften vor allem die Aufteilung in spezifisch-religiöse und neutral-
kulturelle Bereiche; die kirchliche Autorität konnte nach ihnen auf keinen Fall nur auf
erstere eingeschränkt werden, um in den anderen Freiheit und Pluralität zuzulassen.
Leo XIII. hatte den Anspruch der katholischen Kirche zur Lösung kultureller Fragen
ja gerade eben erst dadurch untermauert, daß er die kirchliche Soziallehre zur
Grundlage gesellschaftlicher Erneuerung erhoben und die Philosophie des Thomas
von Aquin als den universalen Weg für die Probleme der Gegenwart bezeichnet
hatte.130 Pius X. galt im Gegensatz zu seinem "politischen" Vorgänger dagegen als
"religiöser" Papst, von dem man erwartete, er werde sich ganz auf die innere Erneue-
rung der Kirche konzentrieren und im kulturellen Bereich eine größere Freiheit
walten lassen.131 In der Tat begann das neue Pontifikat mit innerkirchlichen Reform-
vorhaben; besonders die Anstöße zur eucharistischen Frömmigkeit und zu einer
liturgischen Erneuerung schienen darauf hinzudeuten, daß mit dem Papst eine neue
Ära beginnen würde. Doch zur inneren Erneuerung gehörte für Pius X. genauso wie
bei seinem Vorgänger auch die Verurteilung theologischer "Abweichungen", die er
schon von Anfang an in aller Entschiedenheit vorantrieb.132
Dieser Kampf gegen den "Modernismus" erreichte seinen ersten Höhepunkt in dem
Dekret "Lamentabili" vom 3. Juli 1907 (DH 3401-3466) und in der Enzyklika
"Pascendi" vom 8. September des gleichen Jahres (DH 3475-3500). Im ersten Doku-
ment wurden 65 Thesen aus den Büchern Loisys, im darauffolgenden das System des
"Modernismus" im Ganzen verurteilt. Darin wurden die unterschiedlichen theologi-
schen Abweichungen als ein einheitliches System dargestellt, das auf Agnostizismus
und Immanenzphilosophie beruhte und den Glauben auf ein diffuses Gefühl redu-

12b vgl. F. X. Kraus, Hermann Schell. Seine Reformschriften und seine Indizierung, in: ders., Liberaler
Katholizismus. Biographische und kirchenhistorische Essays, komm. u. hg. v. Christoph Weber, Tübingen
1983, 214-253. Der Beitrag von Ehrhard erschien 1902. Vgl. Schroeder, Aufbruch, 392-407, sowie 408f.
127 vg], Rappmannsberger, Karl Muth; Weitlauff, Modernismus litterarius, 126-138; Ferber, Karl Muth.
Zum "Literaturstreit" vgl. v. a. Weitlauff, Modernismus litterarius, bes. 138-171.
128 vgl. J. Bachern, Wir müssen aus dem Turm heraus!, in: Historisch-politische Blätter 137/1 (1906),
376-386. Dazu Hurten, Kurze Geschichte, 175f.
129
Vgl. Hurten, Kurze Geschichte, 179-182; Lill, Der deutsche Katholizismus, 522-527; Spael, Das
katholische Deutschland, 44-51.
130
Vgl. Köhler, Weltplan, bes. 23f.
131
Vgl. etwa die vermutlich von Joseph Müller verfaßten Artikel der Zeitschrift "Renaissance": Leo XIII.
Ein Rückblick, ebd., 4 (1903), 513-517, bes. 517; Die neue Enzyklika, ebd., 705-707, bes. 707. Zum Ganzen
vgl. auch Aubert, Pius X.
132
Vgl. Aubert, Pius X., 406-434.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 51

zierte, um für die rationale Wissenschaft möglichst viel Freiraum zu schaffen. In den
konkreten Maßnahmen, die der Papst im Kampf gegen diesen "Modernismus"
vorschlug, wurde außerdem der Eindruck erweckt, daß die geschilderte häretische
Grundauffassung nicht nur bei theologischen Neuerern (wie bei Alfred Loisy oder
George Tyrell) zu finden war, sondern auch den reformkatholischen Erneuerungsbe-
strebungen unausgesprochen zugrundelag. So hatten es die "integralistischen" Gegner
des Reformkatholizismus nun noch leichter, jeden noch so harmlosen Öffnungsver-
such schon im Keim zu ersticken: War nicht in jedem Versuch, größere Freiheit und
Pluralität innerhalb der Kirche einzufordern, die häretische Reduktion des Glaubens
auf ein subjektives Gefühl im Gegensatz zu einer religiös neutralen Kultur zu sehen?
Wie bedrückend die Atmosphäre wurde, zeigt ein Blick auf das Schicksal jener
Theologiestudenten, mit denen Romano Guardini in Tübingen in engem Kontakt
stand. Sie hatten den "Gral" gegründet - einen harmlosen Freundeskreis, der sich
zunächst einfach die "Erneuerung des deutschen Dichtens und Denkens aus dem
Geist des katholischen Mittelalters" zum Ziel gesetzt hatte.133 Bald freilich öffneten
sich die Freunde auch den neueren wissenschaftlichen, vor allem historischen
Erkenntnissen und betraten damit gefährlicheren Boden; einigen - wie dem späteren
Historiker Philipp Funk - blieb aus diesem Grund sogar der Weg zum Priesteramt
verschlossen.134 Auch ihr Lehrer Wilhelm Koch, um dessentwillen Guardini über-
haupt erst nach Tübingen kam, geriet ins Schußfeuer der Kritik; und die langjährigen
Anfeindungen führten schließlich im Jahre 1918 zum Verzicht auf die Professur.135
Die "integralistische" Bewegung136 erreichte schließlich einen neuen Höhepunkt
und ihren scheinbar endgültigen Sieg in der Einführung des "Antimodernisteneides"
im Jahre 1910. Friedrich Heiler trifft auch hier die allgemeine öffentliche Meinung,
wenn er rückblickend schreibt, mit diesem Eid schließe die Geschichte des katholi-
schen "Modernismus" ab und werde mit ihm "zu Grabe getragen".
"Rom triumphierte, es hatte seinem gefährlichen Gegner den Todesstoß versetzt,
der Modernismus hatte aufgehört zu leben, und niemand weiß, ob und wann ihm
ein Auferstehungsmorgen beschieden ist."137

b. Ein neues Selbstbewußtsein:


Katholische "Bewegungen" nachdem Ersten Weltkrieg

Die kulturelle Krise, die sich nach der Jahrhundertwende und vor allem nach dem
Ersten Weltkrieg in Deutschland bemerkbar machte, war natürlich in keiner Weise

133
Vgl. Funk, Die Jungen und die Alten, 595; Hagen, Philipp Funk, 246f.; Guardini, Berichte, 80f. - Zu
diesem Kreis gehörten demnach neben Funk Eugen Mack, Josef Eberle, Alfons Heilmann und Herman Hefe-
le.
134
Vgl. Hagen, Philipp Funk; ders., Herman Hefele, bes. 286-291; ders., Reformkatholizismus, 97-101.
135 vgl. Seckler, Theologie vor Gericht; Hagen, Reformkatholizismus, 129-152: Reinhardt, Modernismus,
341-343. Zu Guardinis Tübinger Erfahrungen siehe unten in Kap. II,l,c.
136
Vgl. Aubert, Modernistische Krise, 487-500.
137
Heiler, Wesen, 65.
52 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

geeignet, den Triumph eines "integralen" Katholizismus abzuschwächen. Im Gegen-


teil: Es konnte nun im nachhinein sogar als besonders klug und weitsichtig erschei-
nen, daß das katholische Lehramt die Überlegenheit katholischer Prinzipien über die
"moderne" Kultur im Kampf gegen den "Modernismus" so unbeugsam hochgehalten
hatte.
Bezeichnend für diese Interpretation ist schon die Konversion des "Rembrandtdeut-
schen" August Julius Langbehn kurz nach der Jahrhundertwende. Der Kritiker der
modernen Kultur wandte sich bewußt einem Katholizismus zu, der dem neuzeitlichen
Geist abgeschworen hatte. Aus diesem Grund unterstützte er auch eifrig den Rotten-
burger Bischof Paul Wilhelm von Keppler in seinem Bemühen, die falschen
"Reformer" innerhalb seiner Diözese zu bekämpfen und für eine "wahre", aus der
Tradition der Kirche selbst abgeleitete Reform einzutreten.138 Aber gerade jene oben
erwähnten jungen Theologen, die sich dem "Reformkatholizismus" angeschlossen
hatten und denen deswegen sogar der Weg zum Priesterberuf verwehrt worden war,
distanzierten sich nach dem Ersten Weltkrieg deutlich von dem "modernistischen" Irr-
weg.139 Wie sehr sich der damalige Eifer für den Anschluß an die "Moderne" verlo-
ren hatte, wird in der Festschrift für Karl Muth aus dem Jahre 1926 offenkundig, in
der folgendes zu lesen steht:
"Die moderne Wissenschaft beherrschte in jenen Jahren faszinierend, reizend,
ängstigend, jedenfalls immer, eingestandener oder uneingestandenermaßen,
imponierend, das Blickfeld der deutschen Katholiken, fast hypostasiert gleich
der Göttin Vernunft des XVIII. Jahrhunderts. In Wirklichkeit war das Sternbild,
das ihren Blick bannte, gerade untergegangen."140
Differenzierter und nachdenklicher äußerte sich freilich Philipp Funk, der nach
seinem Abschied vom Priesterseminar immerhin zum Schriftleiter der bedeutenden
reformkatholischen Zeitschrift "Das Neue Jahrhundert" avanciert war:
"Ein Katholizismus unter der Glasglocke würde seine Sendung an die Zeit nicht
erfüllen. Soviel auch die liberale Strömung im katholischen Deutschland geirrt
haben mag, sie wollte das Reich Gottes verwirklichen und zu diesem Zweck der
Welt in der Sprache der Welt predigen. Es war das Recht der Kirche, dabei
vorgekommene Irrtümer zu verurteilen. Pflicht der Geschichtsschreibung ist, die
guten Absichten der Irrenden, die zeitgeschichtliche Zwangslage ihres Handelns
zu betonen."141
So sehr sich jedoch die Skepsis gegenüber der neuzeitlichen Kultur zu bestätigen
schien - die neuen Kräfte, die sich nach dem Krieg innerhalb des deutschen Katholi-
zismus regten, suchten ihre Identität nicht nur in negativer Abgrenzung, sondern im

1;S8
Vgl. P. W. v. Keppler, Wahre und falsche Reform, Stuttgart 1902; 3., durchges. u. verm. Aufl., Frei-
burg i. Br. 1903. Zum Einfluß Langbehns darauf vgl. ders., Zum Geleit, in: B. M. Nissen, Der Rembrandt-
deutsche Julius Langbehn, Freiburg i. Br. 1926, 1-10, bes. 6. Vgl. außerdem Langbehn-Briefe an Bischof
Keppler, vorgelegt von Benedikt Momme Nissen, Freiburg i. Br. 1937.
139 vgl. dazu etwa die Biographien von Philipp Funk und Herman Hefele in: A. Hagen, Gestalten des
schwäbischen Katholizismus, Bd. 3, 244-354.
140
Fuchs, Die deutschen Katholiken, 39f.
141
Funk, Gang des geistigen Lebens, 98.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 53

Aufgreifen positiver Ansätze im eigenen Bereich - und zwar in Aspekten, die bisher
relativ unbeachtet geblieben waren.

aa. Die Liturgische Bewegung


Bereits in der Aufklärungszeit und innerhalb der katholischen "Tübinger Schule"
waren liturgische Reformideen geäußert worden.142 Nachhaltiger wirkte freilich die
französische Benediktinerabtei Solesmes, die unter Abt Prosper Guiranger versuchte,
das gottesdienstliche Leben nach dem Modell einer mittelalterlichen Abtei zu erneu-
ern - und zwar, im Kontrast zum "gallikanischen" Sonderweg, in engem Anschluß an
die nachtridentinische römische Liturgie.143
Die "Liturgische Bewegung"144 begann also im Zeichen der Restauration und im
Kontext monastischer Erneuerung. Aber die zu neuem Glanz erwachte benediktini-
sche Liturgie strahlte auch über die Klostermauern hinweg und schlug Akademiker,
Künstler und andere Laien in ihren Bann. In Deutschland galt dies vor allem für die
neugegründeten Abteien Beuron und Maria Laach.145 Mit seinem Volksmeßbuch
kam der Beuroner Mönch Anselm Schott außerdem jenen entgegen, die auch den
"normalen" Gemeindegottesdienst zu Hause künftig bewußter mitfeiern wollten. Aber
erst das sogenannte "Mechelner Ereignis" brachte im Jahre 1909 den entscheidenden
Durchbruch zu einer "vo/fcsliturgischen" Bewegung im eigentlichen Sinne. Hier erhob
sich die Forderung, das Meßbuch von seinen "sieben Siegeln" zu befreien (Gottfried
Kurth) und im Sinne Pius' X. die "tätige Teilnahme der Gläubigen an den heiligen
Mysterien" zu fördern (Dom Lambert Beauduin).146
Auch jetzt blieben zunächst Klöster die entscheidenden Zentren des liturgi-
schen Aufbruchs. In Maria Laach sammelte sich ein Kreis junger Akademiker um
den Mönch und späteren Abt lldefons Herwegen, der ihnen wegweisende Impulse mit
auf den Weg gab.147 Unter ihm wurde die Abtei auch zu einem Ort intensiver liturgi-

142 vgl. B. Thiel, Die liturgische Bewegung im Zeitalter der Aufklärung und in unseren Tagen, in:
BZThS 5 (1928), 32-41; A. L. Mayer, Liturgie, Aufklärung und Klassizismus, in: JLW 9 (1929), 67-127;
Geiselmann, Tübinger Schule, 74-91 und 162-175; E. Keller, Messe und Meßreform bei Johann Baptist
Hirscher, in: OP 66 (1965), 237-250.
143
Vgl. A. Nocent, Gueranger, in: LThK2 IV (1960), 1263f.; Ph. Schmitz, Solesmes, in: LThK 2 IX
(1964), 864; Schilson, Erneuerung aus dem Geist der Restauration (1993).
144 vgl. v. a. Casel, Liturgische Bewegung (1929); Manser, Liturgische Bewegung (1934); O. Rousseau,
Histoire du mouvement liturgique. Esquisse historique depuis le ddbut du XIXe siecle jusqu'au pontificat de
Pie X; Paris 1945 (• Lex Orandi 3); Wagner, Liturgische Bewegung (1961); Birnbaum, Kultursproblem
(1966; urspr. 1926); Kolbe, Liturgische Bewegung (1964); Maas-Ewerd, Liturgie und Pfarrei (1969); Iserloh,
Bewegungen (1979), 303-308; Schilson, Liturgische Bewegung (1989); Maas-Ewerd, Liturgische Bewegung
(1992).
14
' Vgl. dazu Ph. Funk, Monastischer Frühling, in: Hochland 19 (1922), 442-449. Zu Beuron vgl. D.
Zähringer, Der Beitrag Beurons zur liturgischen Erneuerung, in: Beuron 1863-1963 (Festschrift), Beuron
1963,337-357.
146 vgl. Fischer, Mechelner Ereignis; Maas-Ewerd, Liturgie und Pfarrei, 34-41. Bezug genommen wird
auf eine Äußerung Pius' X. im Motu proprio "Tra le Sollecitudine" über die Kirchenmusik (1903); abgedr. in:
A. Bugnini, Documenta pontificia ad instaurationem liturgicam spectantia, Bd. 1 (1903-1953), Rom 1953, 10-
26.
147
Dazu gehörten als treibende Kräfte Hermann Platz und Theodor Abele, aber auch die späteren Politi-
ker Heinrich Brüning und Robert Schumann. Vgl. Berning, Neubesinnung, 58-60; Wolff, Akademikerver-
band, 473f.
54 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

scher Forschungen, in denen es nicht nur um die geschichtlichen Ursprünge, sondern


auch um den "Geist" der Liturgie gehen sollte. Odo Casel entwickelte von hier aus
seine "Mysterientheologie",14i und seit 1921 wurde das von ihm herausgegebene
"Jahrbuch für Liturgiewissenschaft" zum bedeutendsten Organ wissenschaftlicher
Grundlagenarbeit in Bezug auf den Gottesdienst der Kirche. Daneben gründete
Herwegen die Schriftenreihe "Ecclesia orans" - mit dem Ziel, "durch Bearbeitung
liturgischer Begriffe, Handlungen und Texte der Kenntnis und dem vertieften
Verständnis der Liturgie in den weiten Kreisen des Klerus, der Lehrerschaft und der
gebildeten Laienwelt"149 zu dienen.
Hier stoßen wir erneut auf Romano Guardini, der diese Schriftenreihe nämlich mit
einem grundlegenden Beitrag über den "Geist der Liturgie" eröffnen durfte (vgl. dazu
Kapitel II,3,a) und außerdem in den ersten beiden Jahrgängen als Mitherausgeber und
Mitautor des "Jahrbuchs" firmierte. Jetzt nahm auch die katholische Jugend, unter der
Guardini wirkte, den "liturgischen Gedanken" in sich auf - vor allem auf der Burg
Rothenfels am Main, dem Zentrum der Quickbornbewegung. Auch in den Gemeinden
begann das neue Bewußtsein Fuß zu fassen und bewirkte dort nicht nur eine bewuß-
tere Mitfeier des Gottesdienstes ("actuosa participatio"150), sondern auch ein intensi-
veres Kirchen- und Gemeindebewußtsein. Die Liturgie erschloß ja ein
"kontemplatives" Bild der Kirche, eine nicht mehr "subjektive", sondern "objektive"
Innerlichkeit, die zur äußeren, rechtlichen Gestalt, in der sich die Kirche bisher vor
allem präsentiert hatte, eine wohltuende Ergänzung bildete. Die lebendige Mitte
dieser Glaubensgemeinschaft war Christus selbst, dessen "mystischen Leib" sie bilde-
te.151 Bestimmend war jetzt nicht mehr allein der Gehorsam gegenüber dem Lehramt,
sondern noch mehr und um vieles grundlegender die gemeinsame Teilhabe am
"Mysterium" des Glaubens, das sich in der Liturgie vollzog.

bb. Die katholische Jugendbewegung


Es war gerade die katholische Jugend, die zur Wiederentdeckung eines
"gemeinschaftlichen" Kirchenverständnisses wesentliche Impulse lieferte. Entschei-
dende Voraussetzung dafür war der Anschluß eines Teils von ihr an den Aufbruch der
allgemeinen deutschen Jugendbewegung, durch den die alten Verbandsstrukturen auf-
gebrochen wurden bzw. in "Bewegung" kamen.152
Ganz ohne verbandliche Organisation, sondern lediglich verbunden durch eine
gemeinsame Zeitschrift gleichen Namens, wollte die "Großdeutsche Jugend" wirken,
die vor allem von Ernst Thrasolt und Nikolaus Ehlen ihre Impulse erhielt.153 Aber

14» vgl. dazu Schilson, Theologie als Sakramententheologie.


149
I. Herwegen, Zur Einführung, in: Guardini, Geist der Liturgie, VII-XIII, hier XI.
150
Zu diesem Begriff vgl. E. Lengeling, Was besagt "aktive Teilnahme"?, in: LI 11 (1961), 186-188;
ferner den Artikel "Tätigkeit, aktive" in: A. Adam/R. Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg-
Basel-Wien 1980, 514f. (Lit.).
151
Zur "Leib-Christi-Ekklesiologie", die etwa seit 1920 neu einsetzt, vgl. Keller, Volk Gottes, 86-104. -
Zur Vorgeschichte bei Möhler und Pilgram vgl. ebd., 48-58 und 87-91.
152 vgl. bes. Henrich, Die Bünde katholischer Jugendbewegung (1968); Hastenteufel, Katholische Jugend
in ihrer Zeit (1988/89); Kindt, Katholische Jugendbewegung; Spael. Das katholische Deutschland, 216-223.
Allzu kurz abgehandelt wird das Phänomen bei HUrten, Deutsche Katholiken, 68-72.
153
Vgl. Henrich, Bünde, 23-55; Hastenteufel, Katholische Jugend, I, 335-339, sowie II, 470-473.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 55

auch der "Quickborn" entstand dadurch, daß eine Gruppierung innerhalb der katholi-
schen Abstinenzbewegung sich aus den vorgegebenen Verbandsstrukturen
("Kreuzbündnis") löste. Von Oberschlesien aus, wo ab 1909 Bernhard Strehler
(Präfekt am Bischöflichen Konvikt in Neisse), Klemens Neumann (Lehrer am dorti-
gen Gymnasium) und Hermann Hoffmann (Breslau) ihre wichtigsten Förderer waren,
breitete sich diese Bewegung rasch bis nach Süddeutschland und ins Elsaß hinein aus.
1913 zählten sich bereits 1200 Jungen und Mädchen dazu, und bis 1916 stieg die
Mitgliederzahl sogar - trotz des Krieges - auf über 6000 an.154
Strehler formulierte 1914 das Ziel, auf der Grundlage der Abstinenz und einer
entschiedenen Selbsterziehung in ein tieferes Erleben der Kirche hineinzuwach-
sen.155 Im Jahre 1919 erwarb "Quickborn" dann die bereits erwähnte Burg Rothenfels
am Main, wo in den jährlichen Quickborntagen erst der volle Durchbruch zur
"Jugendbewegung" gelingen konnte. Auf dem ersten Treffen sprach deshalb Hermann
Hoffmann vom "dreifachen Recht der Jugend" (auf Jugend, auf Freiheit, auf Freu-
de).156 Ein Jahr später kam ergänzend das religiöse Element hinzu - die Hinwendung
zu Christus als dem "Führer" der Jugend und die Hinwendung zur Liturgie als dem
Ort einer besonderen Erfahrung von Kirche.157
Bereits in Mainz hatte Romano Guardini den traditionellen katholischen Jugend-
verein "Juventus" für die Anregungen aus der allgemeinen deutschen Jugendbewe-
gung geöffnet:
"Ein Jugendreich wollen wir aufrichten, und darin wollen wir ganz das sein kön-
nen, was wir sind, junge Menschen, die mit hellen Augen ins Leben
schauen."158
Auf dem 2. deutschen Quickborntag sammelte sich spontan ein abendlicher
Gesprächskreis159 um den 35jährigen Priester, der sich schon nach dem ersten
Kontakt so sehr mit der Bewegung identifizierte, daß er bereit war, ihre Ideen auch
selbst publizistisch zu vermitteln.160 Auf die Jugendlichen selbst wirkte Guardini
durch Impulse im Sinne der Liturgischen Bewegung und die Erschließung wesentli-
cher religiöser Inhalte. Vor allem jedoch versuchte er, die katholische Jugendbewe-
gung für ihre kulturelle Verantwortung zu sensibilisieren, ja eine nur auf Jugendliche
beschränkte Bewegung zu einer umfassenden "Kulturbewegung", die "Jugendburg"
am Main aber zu einer Art "Akademie" auszubauen.161 Ein wichtiger Schritt in diese
Richtung war die große Werkwoche im August 1924, auf der Guardini die Frage nach

154
Vgl. Guardini, Quickborn (1921); Binkowski, Jugend; Henrich, Bünde, 56-138; Hastenteufel, Katholi-
sche Jugend, I, 339-345; 435-445, sowie II, 416-438; W. Mogge, Der Quickborn (Kurzchronik), in: Kindt,
Jugendbewegung 1920-1933,684-686; Spael, Das katholische Deutschland, 216-223.
155
Vgl. das Zitat bei Henrich, Bünde, 61.
156
Vgl. in Hoffmann, Die Tage auf Burg Rothenfels, 42-44.
157
Vgl. dazu Hoffmann, Wehender Geist; Binkowski, Jugend, 74-82; Henrich, Bünde, 87.
158
Guardini, Jugendreich, 5. - Vgl. Gottron, Juventus; Gerl, Guardini, 94-96; Hastenteufel, Katholische
Jugend, 1,445f.
159
Vgl. Abende im Rittersaal (1920).
160
Vgl. v. a.: Die Sendung der katholischen Jugend (1921); Quickborn (1921); Arbeitswoche in Rothen-
fels (1921). Bereits vor dem Kontakt mit Quickborn entstanden: Jugendreich (1920); Neue Jugend (1920).
161
Vgl. Gerl, Guardini, 233f.; Zahner, Schwarz, 166-178.
56 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

der "Kulturkrise unserer Tage und den Ansatzpunkten neuer Kulturgestaltung"


stellte. 162
Eine besondere Rolle in diesem Bemühen spielte auch die von Guardini mitgetra-
gene Älterenzeitschrift "Die Schildgenossen" (gegründet 1920), die sich im Laufe der
nächsten Jahre immer mehr aus der institutionellen Bindung an Quickborn löste und
zu einer, der Jugendbewegung zwar weiterhin verbundenen, aber doch nicht mehr nur
auf sie beschränkten Kulturzeitschrift wurde. 163 Aus diesen Aktivitäten erwuchsen
nicht geringe Spannungen mit den "Gründervätern" Quickborns, vor allem mit dem
Burgleiter Bernhard Strehler, aus denen schließlich Guardini als "Sieger" hervorging;
1927 wurde er zu Strehlers Nachfolger gewählt.164 Strehlers Beharren auf dem
Gedanken der Abstinenz und - noch mehr - auf dem Charakter einer reinen Jugend-
bewegung kam jedoch in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nochmals
zum Zuge. Als der Quickborn 1933 offiziell für aufgelöst erklärt wurde, leitete
Strehler den Jugendbund in getarnter Gestalt weiter, während Guardini die Burg
Rothenfels noch bis 1939 als (offiziell) vom Quickborn unabhängige Bildungsstätte
halten und dort seine "kulturellen" Ziele weiterverfolgen konnte.165
Neben dem Quickborn war inzwischen der Bund "Neudeutschland" - 1919 in der
Tradition der "Marianischen Kongregationen" als katholische Alternative zu den
"Freideutschen" gegründet - zu einer zweiten (und zahlenmäßig noch stärkeren) Kraft
innerhalb der katholischen Jugendbewegung geworden.166 Auch die verbandliche
Jugendarbeit übernahm unter Ludwig Wolker (seit 1926 Generalpräses des Jungmän-
nerverbandes) manche Anregungen der Jugendbewegung, so vor allem deren Gemein-
schaftsbewußtsein und die liturgischen Erneuerungsbemühungen.167 So kam es auf
dem Münchner Katholikentag 1922 schon zu einer gemeinsamen Erklärung der
katholischen Jugend, in der diese bewußt an die Meißner Formel anknüpfte, zugleich
aber ihre Forderungen in das Ganze kirchlichen Lebens zu integrieren versuchte:
"Durch ungebrochene Wahrhaftigkeit, opferfreudige Einfachheit und liebevolle
Gemeinschaft wollen wir in voller Auswirkung der katholischen Grundsätze
neues Leben aufbauen helfen. " 168
Gerade die Jugend vermittelte somit einen neuen kirchlichen Geist, der - gegen die
bisherige kirchliche Enge, aber auch gegen eine unbegrenzte Emanzipation von jeder
Autorität - keinen Gegensatz mehr sehen konnte zwischen Freiheit und Autorität,
Subjektivität und Objektivität, Individuum und Gemeinschaft, Glaube und Kultur. Es
ging darum, in einer zerfallenden Kultur mit vielen anderen "neues Leben" aufzu-
bauen und zur Erreichung dieses Zieles auch die Lebenskräfte des Katholizismus
einzubringen.

ibz
Vgl. Gerl, Guardini, 180-191.
Vgl. die wechselnden Titel - zunächst "Zeitschrift des Älterenbundes im Quickborn" bzw. "Zeitschrift
der älteren Quickborner", dann (ab 1924) "Zeitschrift aus der katholischen Lebensbewegung".
164
Vgl. Binkowski, Jugend, 109; Gerl, Guardini, 212-215.
165
Vgl. Binkowski, Jugend, 130-151.
166
Vgl. Henrich, Bünde, 151-217; Hastenteufel, Katholische Jugend, II, 439-456; H. Hien, Neu-
deutschland, in: Kindt, Jugendbewegung 1920-1933,697-703.
167
Vgl. Hastenteufel, Katholische Jugend, II, 383f. 385f. 434.
168
Leuchtturm 16 (1922/23), 382; zit. nach Henrich, Bünde, Anm. 128, 175.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 57

cc. Die Akademikerbewegung


Von dem kleinen Kreis, der sich - wie oben berichtet - um den Laacher Abt Herwe-
gen gesammelt hatte, war inzwischen auch die Initiative zu einem neuen Verband
ausgegangen, der die bisher nur wenig in Erscheinung getretenen katholischen Aka-
demiker in der Öffentlichkeit vertreten wollte.169 Er war es, der das neu erwachte
katholische Selbstbewußtsein in seinen Veröffentlichungen und Tagungen am
wirkungsvollsten zur Geltung brachte.
Schon zuvor hatten Katholiken begonnen, die eigenen Überzeugungen und kulturel-
len Werte nicht mehr in defensivem Abwehrkampf, sondern in selbstbewußter Argu-
mentation zu vertreten. So hatte 1910 der Jesuit Friedrich Klimke - kurz vor Diltheys
"Typen der Weltanschauung" - die unterschiedlichen "Weltanschauungen" seiner Zeit
auf ihre Wurzeln und ihren Charakter untersucht und damit eine wichtige Problematik
der Zeit nun auch aus katholischem Blickwinkel erörtert.170 Aufdringlicher argumen-
tierte wenig später Hans Rost in seinem Buch "Die Kulturkraft des Katholizis-
mus".171 Der Verfasser hielt den Katholizismus für die "Fortschrittsreligion im besten
Sinne des Wortes", der er zutraute, "die Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts mit
seinem belebenden, erhebenden und beglückenden Ideengehalt zu durchdringen."172
Von demselben Optimismus ist auch das erste "Jahrbuch der deutschen Katholiken"
(1920/21) getragen, in dem sich der Geist der vorausgehenden Tagung des katholi-
schen Akademikerverbandes spiegelt.173 Kardinal Schulte, der Erzbischof von Köln,
hatte diese Tagung mit einer Predigt über den "Optimismus Jesu Christi" eröffnet.174
Hermann Platz sah die Aufgabe der katholischen Akademiker darin, angesichts einer
pessimistischen Grundstimmung "die Seelen wieder auf frohe Hoffnung und still
gesichertes Wirken einzustellen".175 Und Engelbert Krebs schrieb:
Neben den "Ruinenfeldern der Geistesbauarbeit erhebt sich groß und machtvoll
die Kirche mit ihren unwandelbaren, aus göttlicher Offenbarung geflossenen
und von einem göttlich geleiteten Lehramt treu behüteten Dogmen, aus denen
ein Strom von Licht sich auf den Lebensweg ihrer Bekenner ergießt."176

169 "Verband der Vereine katholischer Akademiker zur Pflege der katholischen Weltanschauung"; vgl.
Wolff, Akademikerverband; Semmelroth, Akademikerverband, 230-233; Spael, Das katholische Deutschland,
224-234.
170 vgl. Klimke, Die Hauptprobleme der Weltanschauung. Das Buch befand sich in Guardinis Besitz (mit
eigenen Anstreichungen!); vgl. Gerl, Guardini, 268 (Anm. 35).
171
Vgl. Rost, Kulturkraft (1916). Es handelt sich um Bd. 2 der in Paderborn erscheinenden Reihe
"Katholische Lebenswerte. Monographien über die Bedeutung des Katholizismus für Welt und Leben."
172
Rost, Kulturkraft, 22.
173
Vgl. Gerl, Guardini, 148f; Hurten, Deutsche Katholiken, 64. - Zu korrigieren ist Hurtens Feststellung,
daß dieses erste "Jahrbuch" der deutschen Katholiken auch gleichzeitig das letzte gewesen sei. Schon 1922
und 1923 folgten weitere Veröffentlichungen in dieser Reihe - freilich unter dem veränderten Titel "Jahrbuch
des Verbandes katholischer Akademiker zur Pflege katholischer Weltanschauung" (1922, 1923).
174 vgl. Kardinal Schulte, Die Bedeutung der Areopagrede des heiligen Paulus für die Gegenwart, in:
Jahrbuch 1920/21, 3-7, bes. 3. In Anknüpfung daran: B. Rosenmöller, Kulturaufgaben der katholischen
Akademiker, ebd., 33-38.
175
Vgl. H. Platz, Unsere Aufgabe angesichts der seelischen Lage, in: Jahrbuch 1920/21, 39-58.
176 vg]. Krebs, Die religiöse Unruhe der Gegenwart und die katholische Kirche, in: Jahrbuch 1920/21, 8-
32, hier 21. Dieser Grundtenor erfüllt auch das Krebs' zweibändiges Werk: Dogma und Leben (1921/1925).
58 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

Auch Romano Guardini steuerte einen Beitrag für dieses erste "Jahrbuch" bei. 177 Er
war es auch, der im darauffolgenden Jahr - bei der zweiten großen Herbsttagung des
Akademikerverbandes in Bonn - das neue katholische Selbstbewußtsein auf eine
besonders einprägsame und im folgenden immer wieder zitierte Formel brachte:
"Ein religiöser Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: Die Kirche
erwacht in den Seelen. " 178
Offen bleiben muß wohl, ob Guardini dabei tatsächlich an Franz Marc zurückdachte,
der im Blick auf die vom Expressionismus herbeigeführte Wende in der Kunst vom
Erwachen der 'Mystik? in den Seelen gesprochen hatte. 179 Jedenfalls dokumentiert
der Satz, daß das neu aufgebrochene religiöse Interesse inzwischen über das rein
"Subjektive" hinausgeschritten war und sich auch wieder an der "objektiven" Gestalt
der Kirche festmachte. Gemeint war dabei nicht einfach nur ein innerkirchliches
"Erwachen", sondern - wie die weiteren Ausführungen zeigten180 - eine allgemeine
kulturelle Wende, in der die Menschen sich in einer ganz neuen Weise für die
"Kirche" öffneten. An anderer Stelle wird diese Einschätzung von Guardini noch
einmal wiederholt:
"Wir stehen vor einem Erwachen des Kirchlichen, wie es vielleicht seit der
cluniazensischen Erneuerung nicht mehr gewesen ist ... Man hat gesagt, die
Kirche verliere an Boden. Äußerlich, mag sein. Aber sie gewinnt ihn dort, wo
allein die Entscheidungen liegen, in den Seelen. Die Kirche erwacht in den
Seelen, und damit hat sie Zukunft."181
Die Bonner Vorträge Guardinis waren vermutlich auch ein entscheidender Auslöser
dafür, daß man ausgerechnet ihn, den jungen Privatdozenten für Dogmatik, für einen
möglichen Lehrstuhl für "katholische Weltanschauung" in Berlin ins Gespräch
brachte. Maria Schlüter-Hermkes, deren Mann im preußischen Kultusministerium für
katholische Angelegenheiten zuständig war, hatte an der Tagung teilgenommen und
spielte offenbar im folgenden eine wichtige Vermittlerrolle.182
Das Berliner Projekt, hinter dem wohl vor allem die örtlichen Vertreter der katholi-
schen Akademiker standen, hatte bereits eine längere Vorgeschichte. Schon vor dem
Ersten Weltkrieg hatten Katholiken gefordert, nach dem Muster eines entsprechenden
protestantischen Lehrstuhls (Münster) katholische "Weltanschauungslehrstühle" an
solchen Universitäten zu errichten, die keine katholisch-theologischen Fakultäten be-
saßen.183 Dabei ging es nicht einfach um die Berücksichtigung katholischer Wissen-
1
' ' Vgl. Universalität und Synkretismus; dazu näheres unter II,3,b,cc.
178
Guardini, Sinn der Kirche, 19. - Guardini hatte bereits im Dezember 1920 vor katholischen Akademi-
kern in Siegburg über den "Sinn der Kirche" gesprochen (vgl. den Brief in: Herwegen 27, 239f, hier 239).
179
Marc, Die "Wilden" Deutschlands, 30; vgl. Lutz-Bachmann, Kirche, 63. Siehe dazu oben unter 2,c.
180 vgl. Sinn der Kirche (1922). Die darin enthaltenen Kapitel geben den Text der Vorträge Guardinis auf
der Bonner Tagung wieder. Der erste Vortrag, der mit dem oben angefühlten Satz begann, wurde vorab auch
im "Hochland" abgedruckt: "Das Erwachen der Kirche in der (!) Seele"; vgl. a.a.O. 19 (1921/22), 257-267.
181
Liturgische Bewegung I, 50 (Herv. von mir). Weiter heißt es dort: "Von diesem Vorgang ist die litur-
gische Bewegung ein Teil: Das Erwachen der Kirche im Gebetsleben..." (ebd.).
182 vgl. Berichte, 38. - Irrtümlich sprechen Kumpf (Guardini, 33) und Kuhn (Guardini, 25) von einer
"Beamtin des Ministeriums". Wichtige Dokumente zur Einrichtung des "Guardini-Lehrstuhls" sind jetzt
zugänglich in: Schuster, Guardini weiterdenken (1993); vgl. bes. Wirth, Dokumente; ders., Guardini-Lehr-
stuhl.
183
Vgl. dazu Schreiber, Kulturpolitik (1922), 62-88.

'
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 59

schaftler bei der Besetzung von nichttheologischen Lehrstühlen.184 Vielmehr sollte


interessierten Studenten aller Fächer die Möglichkeit geboten werden, auch an tradi-
tionell protestantischen Universitäten katholisches Gedankengut auf wissenschaftli-
chem Niveau kennenzulernen.185 So wurden in Frankfurt ab 1922 "Vorlesungen aus
dem Gebiete der katholischen Weltanschauung" gehalten - zunächst von Johann Peter
Steffes, dann ab 1924 von Theodor Steinbüchel, der diesen Lehrauftrag neben seiner
Bonner Professur wahrnahm.186
Auch in Berlin waren entsprechende Bemühungen seit längerem in Gang gekom-
men, wurden jedoch von Seiten protestantischer Presseorgane mit zum Teil sehr pole-
mischen Unterstellungen begleitet. Offene Ohren fanden sie dagegen bei Carl
Heinrich Becker - damals Staatssekretär im preußischen Kultusministerium. Dieser -
"ein Schüler Ernst Troeltschs und ein liberaler Gelehrten vom Anfang des Jahrhun-
derts", ein "Kulturpolitiker mit lebendigem Gefühl für Menschen und geistige Strö-
mungen"187 - bejahte offenbar bewußt die Pluralität der "Weltanschauungen" und
stand dem Katholizismus wohlwollend gegenüber; gegen den Widerstand der prote-
stantisch bzw. "liberal" geprägten Professoren setzte er schließlich die Errichtung des
neuen Lehrstuhls durch, der jedoch aus Rücksicht auf die besondere Situation offiziell
der theologischen Fakultät in Breslau angegliedert wurde.188
Und Guardini nahm den Ruf an. Er verließ die "Fachtheologie", die er zuletzt als
Privatdozent für Dogmatik in Bonn vertreten hatte, und übernahm in der Reichshaupt-
stadt den Lehrauftrag für "Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung".

dd. Der theologische Aufbruch


Guardinis Abschied von der "Fachtheologic", der freilich nicht als Abschied vom
theologischen Denken interpretiert werden darf189, war bezeichnend für eine Zeit, in
der die Theologie immer noch das enge neuscholastische Korsett trug und alle Abwei-
chungen davon hart geahndet wurden. Hier konnte nichts wirklich Neues gedeihen.
Neuansätze fanden sich eher innerhalb der von Scheler beeinflußten katholischen
Religionsphilosophie190 oder in einer "Verkündigungstheologie" (Josef Andreas
Jungmann , Hugo Rahner), die sich bewußt außerhalb der eigentlichen "Theologie"
ansiedelte.191 Noch 1939 beklagte der junge Karl Rahner,

184
Auch diese Lehrstühle hießen "Weltanschauungsprofessuren" (so in Bonn, Breslau, Freiburg i. Br.,
München, WUrzburg, Braunsberg, Tübingen); vgl. Honecker, Weltanschauungsprofessuren; Kluke, Frankfurt,
351f.
185 vgl. zum Folgenden v. a. Schreiber, Deutsche Kulturpolitik und der Katholizismus (1922).
186 vgl. Kluke, Frankfurt, 345-353 und 367. Ähnliche Bemühungen gab es in Königsberg und Göttingen;
vgl. Schreiber, Kulturpolitik, 86.
187
So Guardini, Berichte, 39; vgl. ebd., 37-39; Gerl, Guardini, 140f. - Kultusminister war Becker aller-
dings 1923 nicht mehr (nur kurz 1921) und erst wieder von 1925 bis 1930; vgl. Grimme, Becker, 711;
Wende, Becker, 58-82, sowie 179.
188
Vgl. Guardini, Berichte, 37f.; Gerl, Guardini, 141.
189
Zum theologischen Charakter der späteren Werke Guardinis vgl. in Kap. III und VII.
190 vgl. Fries, Religionsphilosophie.
191
Vgl. Scheffczyk, Theologie, 268; Schoof, Durchbruch, 125f. Auch die "Mysterientheologie" Odo
Casels entstand nicht an einer Universität, sondern im Umfeld einer Benediktinerabtei (s. o.).
60 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

"daß heutzutage leider im allgemeinen das kräftige theologische Leben (wenn


wir von historischen Interessen und einigen Spezialfragen absehen) sich außer-
halb der strengen Wissenschaft abspielt, die theologischen Schulbücher unter-
scheiden sich fast nur in den 'Sentenzen' über die alten Schulfragen, sonst sehen
sie sich erschreckend ähnlich ,.."192
Gewisse Ausnahmen bildeten die Dogmatiker Engelbert Krebs (Freiburg) und Karl
Adam (Tübingen). Beide partizipierten sehr deutlich an den katholischen Aufbruchs-
bewegungen ihrer Zeit und unterstützten durch ihre theologischen Schriften die Auf-
fassung von einer neuen Synthese von Glaube und Kultur. Engelbert Krebs etwa
veröffentlichte damals - in Anknüpfung an Wilhelm Kochs Rede vom "Lebenswert
des Dogmas"193 - ein zweibändiges Werk unter dem Titel "Dogma und Leben", das
zu einem recht triumphalistischen Aufweis des Glaubens geriet - ganz auf der Linie
von Hans Rost und den Tagungen des Akademikerverbandes.194 Nüchterner und
genauer setzte Karl Adam an: Seine Analysen zur Glaubenserkenntnis griffen die
religionsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Vorgaben Max Schelers,
Rudolf Ottos und der Lebensphilosophie auf; das Buch über das "Wesen des Katho-
lizismus" verstand sich als Reflexion des neuen kirchlichen Bewußtseins; und die
Christusbücher brachten die im Gefolge der Jugendbewegung entdeckte Christozen-
trik in die theologische Diskussion ein.195 Zusammen mit Karl Eschweiler lenkte
Adam außerdem die Aufmerksamkeit neu auf den scholastischen Grundsatz "Gratia
non destruit, sed supponit et perficit naturam" und interpretierte ihn - im Kontext der
neuen katholischen Kulturoffenheit - als Aussage über die dynamische Bezogenheit
von "Natur" auf "Gnade" (vgl. Kapitel IV,3,b,cc). Überhaupt begannen jetzt neue
Denkversuche zur klassischen Natur-Gnade-Thematik einzusetzen und das ncuschola-
stische Zwei-Stockwerke-Denken zumindest zu verändern.196 Damit bahnte sich auch
auf theologischem Gebiet ein Durchbruch an, der allerdings erst nach dem Zweiten
Weltkrieg voll zutagetreten sollte.

c. Triumphalistischer Ausklang?
Der Katholizismus zwischen Glaube und Kultur

Die Vertreter des neuen katholischen Aufbruchs verstanden sich oft auch als Zeit-
diagnostiker. In den Vordergrund ihrer Analysen rückten dabei vor allem jene
Elemente der allgemeinen kulturellen Situation, die eine besondere Nähe zur inner-
kirchlichen Entwicklung erkennen ließen. Es war das Gemeinschaftsbewußtsein nach

192
K. Rahner [Rez. zu: Schmaus, Dogmatik], in: ZkTh 61 (1939), 226f; zit. bei Kühn, Natur und Gnade,
Anm. 6, 10.
193
Vgl. dazu die Antrittsvorlesung vom 8. Juni 1917 (Wertprobleme, bes. 29).
194
Die zwei Bände erschienen 1921 und 1925 als Bd. V der Reihe "Katholische Lebenswerte", in der
auch die Schrift von Hans Rost veröffentlicht worden war.
195 vgl. Kolping, Katholische Theologie, 101-121; Kreidler, Theologie des Lebens.
196
Vgl. Kühn, Natur und Gnade.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 61

dem Ersten Weltkrieg, auf das sie ihre Hoffnungen setzten, aber auch die neue Offen-
heit für das Objektive und vor allem der wiedererwachte Sinn für das "Religiöse".191
Auch Romano Guardini hatte in seinen Bonner Vorträgen die Liturgische Bewe-
gung und die katholische Jugendbewegung als entscheidende Antwort auf diese
allgemeinen Tendenzen bezeichnet und vor diesem Hintergrund den "Sinn der
Kirche" verständlich zu machen versucht.198 Aus größerer Distanz, aber mit der glei-
chen Stoßrichtung, analysierte der Jesuit Erich Przywara auf der Ulmer Tagung
(1923) die Parallelität von kulturellen und kirchlichen Strömungen und sprach auf
dieser Grundlage über das "Gottgeheimnis der Welt".199 Besondere Resonanz fand
außerdem eine 1924 erschienene Artikelserie des katholischen Philosophen Peter
Wust, der darin triumphierend die "Rückkehr des deutschen Katholizismus aus dem
Exil" vermeldete.200
Gerade in den Reaktionen auf diesen "Fanfarenstoß"201 kündigte sich jedoch eine
neue Nachdenklichkeit an. Deutliche Kritik kam von Friedrich Muckermann, Hans
Grundei und Philipp Funk. Letzterer fragte provozierend:
"Wo sind denn die neuen Leistungen, die so überragend wären, daß man den
Katholizismus nicht bloß in seinem Wahrheitsgut, in seiner Aufgabe, sondern in
seiner konkreten Verwirklichung als 'Erfüllung der Gegenwart' ansehen dürf-
te...? Wo sind die greifbaren und schon einwandfrei ausgereiften Früchte der
Zeitwende? Hat die Wiedergeburt der Metaphysik unser Denken bereits geord-
net und geklärt? Hat die gewiß höchst erfreuliche neue Wertschätzung der
Scholastik schon etwas Bestimmtes zur Lösung von wesentlichen Gegenwarts-
fragen beigetragen?..."202
Ähnlich warnte Max Pribilla in den "Stimmen der Zeit" vor allzu weitgehenden
Hoffnungen. Vieles von dem, was gegenwärtig als Annäherung der Kultur an den neu
erwachten Katholizismus verstanden werde, erkläre sich in Wirklichkeit "aus der
Stimmung einer verwirrten Zeit, die von dem Gedanken an den 'Untergang des
Abendlandes' wie gebannt war"203 und wesentlich "die Enttäuschung über versunkene
Ideale widerspiegelt".204
Zu den Kritikern des alten und neuen Triumphalismus gehörte auch der Publizist
Ernst Michel.205 Im Vorwort seines Sammelbandes "Kirche und Wirklichkeit", der
unter anderem auch einen Beitrag Guardinis enthielt,206 forderte er gar die

197 vgl. dazu Schilson, Sakramententheologie, 55f.; Wegbereiter, 52f.


198 vg]. v. a. Sinn der Kirche, 19-34; sowie die Widmung dieses Buches ("Der katholischen Jugend zu
eigen").
199 vgl. Przywara, Gottgeheimnis. - Die Tagung wurde zum "Höhepunkt katholischer akademischer
Öffentlichkeitsarbeit" (Gerl, Guardini, 150). Auf ihr sprachen auch lldefons Herwegen (über das
"Mysterium"), Romano Guardini (über liturgische Bildung) und Karl Adam (über das "Wesen des Katholi-
zismus"); vgl. K. Freckmann, Gedanken zur Ulmer Tagung, in: Jahrbuch 1923, 165-171.
200 vgl. Wust, Rückkehr. - Das Echo in der katholischen Öffentlichkeit ist dokumentiert in: Hoeber,
Rückkehr, 39-154; Wusts Antwort darauf ebd., 157-194.
201
Wust, Rückkehr, 27.
202
Funk, Selbstgefühl, 73.
203
Pribilla, Kulturwende, 264.
204
Pribilla, Kulturwende, 259.
205 vgl. v. a. Michel, Kulturproblem; zum Autor vgl. Lowitsch, Michel.
206 vgl. Guardini, Die Sendung der katholischen Jugend, in: Michel, Kirche, 167-179.
62 Kulturelle Krise und katholischer Aufbruch

"Beendigung der heidnischen Idealisierung der Kirche und ihrer Formwelt" und statt-
dessen eine "Erneuerung der Kirche aus Wasser und Geist".207 Statt sich als geschlos-
sene kulturelle Einheit zu präsentieren, solle die Kirche lieber ihre "mystische"
Einheit entdecken und einer "Polyphonie im kulturellen Bereich" Raum geben.208 Im
selben Band ging Albert Mirgeler auch mit dem Mitautor Guardini und der von ihm
geprägten Quickbornbewegung ins Gericht; es sei jetzt an der Zeit, nicht mehr als
"Bewegung" aufzutreten, sondern als aus dem Glauben lebender Einzelner seine
Verantwortung in der Gesellschaft wahrzunehmen.209 In solchen Beiträgen meldeten
sich alte "liberale" Anliegen zurück, die im Sieg des "Ultramontanismus" ein erstes,
im Triumph des "Antimodernismus" ein zweites Mal zurückgedrängt worden waren,
aber noch immer keine hinreichende Antwort gefunden hatten. Auch jetzt hatten ihre
Vertreter noch keine Chance, mit ihrer Kirchenkritik durchzudringen, mußten viel-
mehr ihre schärfsten Anfragen anonym formulieren,210 wenn sie nicht - wie etwa der
Breslauer Kirchenhistoriker Josef Wittig - ebenfalls der kirchlichen Zensur zum Opfer
fallen wollten.211
Der von Mirgeler kritisierte Guardini teilte nun zwar keineswegs die aufbrechende
Kirchenkritik, wohl aber die Distanzierung von einem allzu oberflächlichen Trium-
phalismus. Im Grunde stand er den öffentlichen Kundgebungen des Akademikerver-
bandes, an denen er selbst partizipierte, bereits äußerst skeptisch gegenüber;212 er
kritisierte die drohende "Mechanisierung" solcher Selbstdarstellungen und hielt auch
den Plan zu einer neuen katholischen Universität für eine eindeutige "Sackgasse".
Wirklich weiterführen könne nur, was "religiös und geistig in die Tiefe"213 gehe. Das
aber konnte nicht über Massenveranstaltungen, sondern nur durch die "Bildung" des
Individuums erreicht werden.
Diese Auffassung bestätigte sich um so mehr, als das katholische Selbstbewußtsein
ab etwa 1925 schon wieder an öffentlicher Resonanz einzubüßen begann. Zwar arti-
kulierten sich seine entschiedensten Wortführer auch noch weiterhin - zum Teil in
äußerst bedenklicher Weise in Koalition mit dem aufkommenden Nationalsozialis-
mus214 -, aber die neue politische Kraft, die auch das Weltanschauungsmonopol bean-
spruchte und sich als Ersatzreligion anbot, beendete durch ihren Siegeszug auf beson-
ders tragische Weise nicht nur die demokratische Entwicklung Deutschlands, sondern

101
Michel, Vorwort, V. Der Sammelband vereinigt Beiträge aus den von Michel herausgegebenen
katholischen Sonderheften der Zeitschrift "Die Tat" (bei Diederichs in Jena!) aus den Jahren 1921 bis 1923.
208
Vgl. Michel, Vorwort, VI.
209 vgl. Mirgeler, Jugendbewegung vor dem Ende (1923). Vgl. dazu Guardini, Jugendbewegung vor dem
Ende? (1923); darauf wiederum Mirgeler, Der objektivistische Katholizismus und das Gebot der Stunde
(1924); abschließend Guardini, Zu Albert Mirgelers 'Schlußwort' und anderem (1924).
210 vgl. v. a. G. Mensching (Hg.), Der Katholizismus, sein Stirb und Werde, von katholischen Laien,
Leipzig 1937; dazu und zu weiteren "Reformschriften" K. Adam [Rez.] in: ThQ 118 (1937), 513-519, bes.
513f.
21
1 Vgl. E. Krebs, J. Wittigs Weg aus der kirchlichen Gemeinschaft, in: Katholischer Gedanke 1 (1928),
237-288; Kolping, Katholische Theologie, 120.
212
Vgl. dazu den Brief an Richard Knies vom 23. 10. 1923; zit. bei Gerl, Guardini, 152; ferner Berichte,
112f.; Gerl, Guardini, 152.
213
Berichte, 113.
214 vgl. zu diesem Problemfeld v. a. Böckenförde, Katholizismus; Breuning, Vision des Reiches; Lutz,
Demokratie im Zwielicht; Faber, Politischer Katholizismus.
Der Katholizismus als neue kulturelle Kraft? 63

bremste auch die innerhalb des Katholizismus in Gang gekommenen Bewegungen


und Aufbrüche.
Das Anliegen jedoch, das seit den Inferioritätsdebatten der Jahrhundertwende über
die Modernismus-Krise bis hinein in den katholischen Aufbruch der zwanziger Jahre
im Raum stand, stand weiter im Raum: Wiederbegegnung von Glaube und Kultur]215
Die integralistischen und triumphal istischen Lösungen waren nicht zum Ziel gekom-
men; es hatte sich erwiesen, daß es nicht damit getan war, einer angeblich "maroden"
Kultur nur die restaurierte Gestalt des "alten" Katholizismus anzubieten. Jetzt war
vielmehr die Stunde jener Versuche gekommen, die sich im kritischen Katholizismus
der zwanziger Jahre bereits andeuteten. Es ging darum, sich auf die inneren Fragen,
Nöte und Spannungen der Kultur in neuer Ernsthaftigkeit einzulassen, um auf diesem
Weg - mit der Kultur, nicht gegen sie - neue Antworten des Glaubens zu formulieren.
Dies war die Herausforderung, vor die sich auch der junge Romano Guardini
gestellt sah. Den Anfängen seines Denkens wollen wir uns nun zuwenden.

215 vgl. dazu besonders die 1927 erschienene Festschrift für Karl Muth "Wiederbegegnung von Kirche
und Kultur in Deutschland". Zur zeitkritischen und gesellschaftstheoretischen Seite dieser
"Wiederbegegnung" (bei Walter Dirks, Romano Guardini, Carl Schmitt, Ernst Michel und Heinrich Mertens)
vgl. jetzt Bröckling, Katholische Intellektuelle (1993).
Kapitel II

Die Anfänge:
Interesse am Leben

In unseren bisherigen Überlegungen haben wir die kulturelle Krisensituation nach


dem Ersten Weltkrieg mit dem gleichzeitigen optimistischen Neuaufbruch des deut-
schen Katholizismus konfrontiert. Nun gilt es zu untersuchen, in welcher Weise
Romano Guardini in dieser merkwürdig gegenläufigen Bewegung Stellung bezog. Die
entscheidende Frage drängt sich von der Schlußperspektive des vorausgehenden
Kapitels her auf: Hat dieser herausragende Vertreter des deutschen Katholizismus,
der sich in der Liturgischen Bewegung, der katholischen Jugendbewegung und der
Akademikerbewegung engagierte (vgl. Kapitel I,3,b), nur an die eigene Kirche
gedacht, die sich aus den Trümmern der Neuzeit in unverändert mittelalterlicher
Gestalt erhob, oder hat er erkannt, daß die inneren Fragen, Nöte und Spannungen der
Kultur auch die überlieferte Gestalt des Glaubens nicht unberührt lassen konnten?
Wir gehen dazu noch einmal hinter das Nachkriegsgeschehen zurück - in die Zeit
unmittelbar nach der Jahrhundertwende, als der Student Romano Guardini seine
eigene Lebens- und Glaubenskrise durchlitt (Abschnitt 1). Von hier aus versuchen wir
die beiden Schwerpunkte seiner ersten Schaffensperiode zu interpretieren - die Arbeit
an der Gegensatzlehre (Abschnitt 2) und die Aussagen zu Liturgie und Kirche
(Abschnitt 3).
Wir werden feststellen, daß sich immer wieder ein elementares Interesse am
"Leben" des konkreten Menschen zu Wort meldet - notwendige Voraussetzung für
jemanden, der sich auf die kulturelle Wirklichkeit der eigenen Epoche einlassen
möchte.
66 Interesse am Leben

1. Das frühe Ringen

a. Fremdheit und Schwermut


Romano Guardini wurde am 17. Februar 1885 in Verona geboren;1 da seine Eltern
jedoch bereits ein Jahr danach von Italien nach Deutschland übersiedelten, wurden
ihm die kulturellen Traditionen Italiens nur noch - in einer anders gearteten Umwelt -
durch seine eigene Familie vermittelt. Vor allem die Schulzeit am "Humanistischen
Gymnasium" in Mainz führte daher in eine innere Spannung: Während Guardini in
sich offenbar eine Hinneigung zum "deutschen Wesen" spürte,2 erlebte er die Eltern
reserviert, ja sogar ablehnend gegenüber der neuen Umgebung.3
Unklar bleibt, wann bei Guardini die Liebe zur deutschen Kultur erwachte. Mit-
schüler begegneten einem distanzierten, wenn auch nicht unfreundlichen Jungen, der
seine eigenen Wege ging, aber doch hin und wieder Begegnungen zuließ, in denen
dann das Literarisch-Künstlerische eine besondere Bedeutung gewann. Die "Dante-
Kränzchen"4 freilich sind wohl weniger einer eigenen frühen Liebe zu dem großen
italienischen Dichter entsprungen5 als vielmehr dem Interesse der deutschen Freunde,
die den Kontakt mit einem Landsmann Dantes, der überdies auch noch eine wunder-
schöne Ausgabe der "Göttlichen Komödie" besaß,6 schätzten. Der junge Romano
suchte seinerseits den Kontakt mit der Welt seiner Freunde, was ihm aber nur sehr
schwer gelingen wollte. Die "Fremdheit", die er in der Schule empfand, steigerte sich
bisweilen bis zur Furcht, was Guardini nicht nur den Lehrern zuschreibt, sondern vor
allem der Atmosphäre seines Elternhauses, "das uns nie ins Freie entließ"7.
Noch in Tübingen, wo Guardini im Wintersemester 1903/04 mit einem Chemie-
studium begann, empfand er sich menschlich und geistig völlig von der Außenwelt
abgeriegelt.8 Immerhin las er auch hier nicht italienische Autoren, sondern den
niederdeutschen Mundartdichter Fritz Reuter, der in seinen Werken mit feinem
Humor und gütiger Menschlichkeit das eigene Lebensleid zu bewältigen versucht
hatte.9 Erst beim zweiten Anlauf, als Student der Staatswissenschaften in München
seit dem Wintersemester 1904/05, kam Guardini "mehr ins Leben hinein" - auch in
das kulturelle Leben. München galt immerhin zu jener Zeit neben Paris als kulturell
lebendigste europäische Hauptstadt.

1
Zum Folgenden vgl. Gerl, Guardini, 17-35; Berichte, 57-61.
2
Vgl. Europa, 14f.
3
Vgl. Berichte, 58.
4
Vgl. Gerl, Guardini, 35.
5
Guardini hat erst viel später, nach manchen Umwegen, das Werk Dantes schätzen gelernt; vgl. Vorbe-
reitung auf Dante. Dem widerspricht nicht, daß sein Vater ihn schon als Kind an den großen Dichter
heranzuführen versuchte. Vgl. die Widmung im ersten Dante-Buch (italienisch!): "Alla memoria di mio padre
dalle cui labbra fanciullo i primi versi di dante colsi" (Engel, 7).
6
Vgl. Harth, Mainzer Viertelbuben, 54f.
7
Berichte, 59.
8
Vgl. Berichte, 62-64.
9
Vgl. Martini, Literaturgeschichte, 426.
Das frühe Ringen 67

"Die eigentümliche Mischung von Großstadt und Behaglichkeit, durchwachsen


mit einer künstlerischen Boheme, welche immer auf die Spießerei der Stadt
schimpfte und sich darin doch unendlich wohl fühlte, wirkte lösend und anre-
gend auf mich."10
Hier fand Guardini nun einen Freundeskreis, in dem zum Teil selbst "produktive
Leute", also bildende Künstler und Schriftsteller, verkehrten.11 Stark beschäftigte ihn
die zeitgenössische Literatur, die er vor allem durch die Zeitschrift "Neue Rundschau"
kennenlernte und von der ihn besonders das Werk Thomas Manns interessierte.12
Neben die kulturelle Fremdheit trat beim jungen Guardini eine religiöse. Der
Katholizismus, den die Eltern aus Italien mitgebracht hatten, war von einer verhal-
tenen, fast scheuen Frömmigkeit geprägt. Er enthielt sogar einen deutlich
"antiklerikalen" Zug - verständlich im Blick auf die Situation des 19. Jahrhunderts,
wo sich in Italien die für die nationale Einigung kämpfenden Führungsschichten dem
rigorosen "Non expedit" des Papstes gegenübergesehen hatten.13 Auch Guardinis
Eltern waren in diese für viele italienische Katholiken schmerzvolle Auseinanderset-
zung hineingewachsen und standen auf der Seite der "Risorgimento"-Bewegung.14
Mainz dagegen war eng mit einem papsttreuen Katholizismus verbunden; das dortige
Priesterseminar und die ortsansässige Zeitschrift "Der Katholik" gehörten gemeinsam
mit Bischof Ketteier im 19. Jahrhundert zu den treibenden Kräften der sogenannten
"ultramontanen" Bewegung im deutschen Katholizismus (vgl. dazu oben Kapitel
1,1,b). Allerdings kam Guardini nicht nur mit diesen beiden Formen des Katholizis-
mus in Berührung, sondern auch mit der Religiosität des Ehepaares Wilhelm und
Josefine Schleußner, die beim wöchentlichen "Fünf-Uhr-Tee" einen literarisch und
religiös interessierten Kreis junger Leute um sich zu scharen pflegten.15 Hier begeg-
nete Guardini Menschen, die sich mit "Mystik" auskannten und sowohl mit der
Erzabtei Beuron wie mit dem "Hochland"-Kreis in Verbindung standen, also in Krei-
sen verkehrten, in denen sich ein nochmals anderer, in die Zukunft weisender Katho-
lizismus abzeichnete (vgl. Kapitel 1,3).
In München freilich, wo Guardini nicht nur in die "liberale" Welt der Künstler ein-
tauchte, sondern auch mit der Kritik des an den damaligen Hochschulen vorherr-
schenden Neukantianismus konfrontiert wurde, zerbrach mit einem Schlag der selbst-
verständliche Glaube der Kindheit und Jugend, der den unterschiedlichen
"Katholizismen" immerhin noch gemeinsam gewesen war:
"Wenn ich abends mein Abendgebet sprechen wollte, wußte ich nicht, wohin
ich es richten solle und habe manches Mal - eine groteske Sache - einen Gottes-

10
Berichte, 66f.
1
1 Vgl. Berichte*, 21; Berichte, 67.
12
Vgl. Berichte*, 21 f. - In der "Neuen Rundschau" (früher "Freie Bühne" bzw. "Neue Deutsche Rund-
schau") erschienen wichtige frühe Erzählungen von Thomas Mann ("Tonio Kroger" 1903; "Ein Glück" 1904;
"Fiorenza" 1905), ferner Werke von Hermann Hesse, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Jakob
Wassermann, Ricarda Huch, Gerhard Hauptmann und Rainer Maria Rilke.
3
Vgl. Bendiscioli, Die italienischen Katholiken zwischen dem Vatikan und dem Quirinal. Das "Non
Expedit" zur Zeit Leos XIII.
14
Vgl. Europa, 13; Berichte, 58; Gerl, Guardini, 18-23.
15
Vgl. Gerl, Guardini, 47-51.
68 Interesse am Leben

beweis rekapituliert, um zu wissen, daß es einen Gott gebe, zu dem ich beten
konnte."16
Der Glaube an diesen Gott war wohl bisher gerade die Klammer gewesen, die
Guardinis spannungsvolles und gefährdetes Innenleben noch zusammengehalten
hatte. Schon in der Kindheit muß die Anlage zur Schwermut eine bedeutende Rolle
gespielt haben; "wie verhüllt" erscheint ihm später diese Zeit, als eine Art
"Traumleben"; alles liege in der Erinnerung "wie unter Wasser".17 In der "lösenden"
Atmosphäre Münchens aber traten die verdrängten inneren Spannungen mit Macht
zutage und führten in eine persönliche Krise, die nicht nur den Glauben,18 sondern
die gesamte Persönlichkeitsstruktur betraf. Noch nach seinem Wechsel nach Berlin
(zum Wintersemester 1905/06), als er eigentlich schon wieder einen neuen religiösen
Halt gefunden hatte, wurde Guardini von großen inneren Problemen geplagt - er
spricht vom "schlimmsten" Semester seiner ganzen Studienzeit!19 -; und in Freiburg -
schon als Theologiestudent - stand er im Sommersemester 1906 sogar einem Suizid
nahe.20 Erst in Tübingen, wo er im Herbst 1906 sein Studium weiterführte, spürte er
Besserung; hier, so erfahren wir aus seinen autobiographischen Aufzeichnungen, sei
er erst "so recht eigentlich innerlich aufgewacht"21.
Das Finden einer eindeutigen Ausrichtung im Leben und Denken war demnach
nicht ein punktuelles Ereignis, angesiedelt in den Semesterferien zwischen dem
Wechsel von München nach Berlin, sondern ein zu diesem Zeitpunkt einsetzender
längerer Prozeß, der in Tübingen einen gewissen, wenn auch immer noch nicht end-
gültigen22 Abschluß erreichte. Der Lösungsansatz, der sich hier anbahnte, war ein
doppelter - und diese Feststellung ist entscheidend für die weitere Entwicklung von
Guardinis Denken, denn sie läßt von Anfang an einerseits den "Glauben", anderer-
seits die "Kultur" in den Vordergrund treten. Bevor Guardini sich nämlich erneut für
den Glauben entschied und ihn zum Ausgangspunkt seines künftigen Lebenswerkes
erklärte, öffnete er sich dem zeitgenössischen "Psychologismus", von dem bereits die
Rede war, und ließ den dadurch aufgenommenen Faden auch dann nicht fallen, als
der Glaube neu zum unverrückbaren Fundament seines Denkens geworden war.

b. Verstehende Psychologie
Die Psychologie schien dem jungen Studenten nicht nur geeignet, einen Überblick
über die eigenen Anlagen zu gewinnen, sondern auch die Frage zu beantworten,

lb
Berichte, 68f.; vgl. insgesamt ebd., 67-69.
17
Vgl. Berichte, 60f.
18
Vgl. Berichte, 67; Gerl, Guardini, 42-45 ("Der religiöse Einbruch").
19
Vgl. Berichte, 73.
20
Vgl. Berichte, 76f.
21
Berichte, 80.
22
Vgl. Berichte, 86f.
Das frühe Ringen 69

"wie so verschiedenartige Stellungnahmen des Menschen zu den Fragen des Da-


seins entstehen können und ob es nicht möglich sei, dieser Verschiedenheit eine
aufbauende Kraft abzugewinnen."23
Schon 1905 hatte Erich Adickes in seiner Tübinger Antrittsvorlesung die Abhän-
gigkeit der Weltanschauung vom "Charakter" vertreten.24 Wie bereits erwähnt, haben
Wilhelm Dilthey und Karl Jaspers dieselbe Auffassung ihrer "verstehenden Psycholo-
gie" bzw. "geisteswissenschaftlichen Lebensphilosophie" zugrundegelegt. Dabei ging
es nicht um die Wahrheitsfrage, sondern um ein Verstehen in einem strikt nach-
metaphysischen, die Erkenntnisse der historischen und psychologischen Bemühungen
des 19. Jahrhunderts aufnehmenden Sinn, allerdings nun ohne die Bedeutung dieser
geistigen Phänomene zu verkennen.
"Was alles an weltanschaulichen Einstellungen, Weltbildern, Strebungen,
Gedanken in Menschenköpfen entstanden ist, kann nicht absolut irrig sein. Es
war einmal als Kraft da, und kehrt zu allermeist auf typische Weise einmal
wieder. Man kann es nicht abtun als einen Irrgarten von Täuschungen, wenn
damit ein Nichtigkeitsurteil gefällt werden soll. Alles dies ist einmal Ausdruck
und Bedürfnis für Menschenseelen gewesen, und statt nach der objektiven oder
metaphysischen Richtigkeit können wir fragen nach der seelischen Wirklichkeit
der Wirkung."25
Von solchen Überlegungen konnte Guardini freilich noch nichts wissen, als er sich
selbst ab 1904 an einer "Psychologie der Struktur" versuchte, um einen
"Zusammenhang mit dem Ganzen des Lebens zu finden, die Struktur dieses Ganzen
zu sehen und den Punkt zu entdecken, wo ich selbst stand."26 Ein wichtiger
Gesprächspartner dafür war Karl Neundörfer, der Mainzer Mitschüler und - bis zu
seinem frühen Tod (1926) - auch der engste Freund Guardinis.27 Nach dem Münch-
ner Semester begannen ihre "psychologischen Bemühungen"28; sie setzten sich in den
folgenden Jahren fort, am intensivsten wohl in jener Zeit, in der beide am selben Ort
studierten - nämlich seit dem Sommersemester 1907 in Tübingen.29 Wie stark dabei
der persönliche Austausch zum Tragen kam, zeigt sich in folgendem Rückblick

23
Friede, 33; Hervorhebung von mir.
24
Vgl. Adickes, Charakter und Weltanschauung; dazu auch Fastenrath, "In vitam aetemam", 729f. Guar-
dini konnte (wenn überhaupt) diese Vorlesung allerdings nicht aus Tübingen, sondern nur in veröffentlichter
Form kennen. Vgl. die Daten der einzelnen Studienaufenthalte weiter oben im Text (in Bezug auf Tübingen
bestätigt durch: Personal-Verzeichnis Tübingen*).
25
Jaspers, Weltanschauungen, 4.
26
Berichte*, 25.
27
Zu ihm vgl. Gerl, Guardini, 67-71; Karl Neundörfer zum Gedächtnis; Guardini, Neundörfer; Funk,
Neundörfer; W. Dirks, Einführung in: Neundörfer, Kirche und Welt, 7-17; ebd., 173-179 eine Bibliographie
mit vorangestellter kurzer Vita.
28
Berichte*, 23f.
29
Vgl. Berichte, 80f.; Personal-Verzeichnis Tübingen für das Sommerhalbjahr 1907. Gerl, Guardini, 68
("Er stieß im Wintersemester 1906/07 als Theologiestudent zu Guardini nach Tübingen") ist zu korrigieren.
Zusammen mit Neundörfer trat Guardini dann im Wintersemester 1908 ins Mainzer Priesterseminar ein;
beide wurden nach Abschluß des Studiums ein halbes Jahr von der Priesterweihe zurückgestellt und
empfingen diese - ebenfalls gemeinsam - am 28. Mai 1910, um dann an verschiedenen Stellen als Kapläne zu
wirken.
70 Interesse am Leben

Guardinis, der bisher nicht veröffentlicht und ausgewertet worden ist und deshalb in
voller Länge angeführt werden soll:
"Bei uns beiden hatte das theoretische Denken eine solche Bedeutung im
Gesamthaushalt unseres seelischen Lebens, daß wir es wagen konnten, die
zwischen uns eingetretene Spannung bzw. Entfremdung auf diesem Wege auf-
zuarbeiten. Wir fühlten, die Spannungen müßten darauf zurückgehen, daß wir in
allen Dingen verschieden empfanden; fühlten uns andererseits so stark verbun-
den, daß wir uns gegenseitig anerkennen mußten, und so wandten wir lange Zeit
hindurch unzählige Gespräche darauf, um festzustellen, wie jeder von uns die
verschiedenen Elemente des Daseins empfand, wie das Denken, das Sichent-
scheiden, das Wollen, das Fühlen vor sich ging und so fort. So fanden wir
zunächst das jedem von uns eigene Grundbild. Dann sahen wir, daß dieses
Selbst nicht einfach war, sondern auf elementarere Strukturen zurückwies und
gelangten so zu einer Theorie von zwei elementaren, polar zueinander stehenden
Strukturen des seelischen Lebens, die sich in unzähligen Mischungsverhältnis-
sen durchdringen konnten."30
Guardini spricht hier von den Anfängen der Gegensatzlehre, auf die im nächsten
Abschnitt näher eingegangen werden soll. Zuvor soll aber auch schon die zweite
Weichenstellung Erwähnung finden, durch die Guardini - ebenso freilich sein Freund
- aus der tiefen persönlichen Krise herausgeführt wurde.

c. Bindung an die Kirche


Die katholische Kindheit, vielleicht aber auch ein klärendes Gespräch mit dem Ehe-
paar Schleußner,31 hatte schon bald den Weg zurück zum Glauben gewiesen. Doch
bevor dieser als wirkliche Lösung in der Lebenskrise erfahren werden konnte, brauch-
te es noch eine intensivere denkerische Bemühung. Die Freunde stießen dabei auf
unterschiedliche Aspekte der Nachfolge Jesu. Neundörfer, der damals noch sein Jura-
studium absolvierte,32 faßte seine Grundüberzeugung in dem Satz zusammen: "Die
größte Chance der Wahrheit ist dort, wo die größte Möglichkeit der Liebe ist."33 Von
hier aus stieß er dann auf die Wirklichkeit der Kirche, die ihm helfen konnte, die
Einseitigkeit eines rechtlichen und allzu "selbstbewußten" Denkens zu überwinden
und für die Welt der Liebe zu öffnen.
Vielleicht hatte Guardini von seiner eigenen Veranlagung her eher den entgegenge-
setzten Aspekt der Kirche - ihre rechtlich-institutionelle Gestalt - nötig, weil er emo-
tionaler an die Probleme des Lebens heranging und auch den Glauben weniger vom
Aspekt der autoritativen Wahrheit, als vielmehr vom Suchen des "Herzens" her

3U
Berichte*, 26f.- Die Unterschiede in den Charakteren sind auch angedeutet in: Berichte, 69f.
31
Vgl. Berichte, 70.
32
Vgl. Gerl, Guardini, 68.
33
Berichte, 72.
Das frühe Ringen 71

erlebte;34 darin könnte auch der entscheidende Charakterunterschied zu Neundörfer


liegen, von dem Guardini im zitierten autobiographischen Rückblick (s. o.) spricht.
Jedenfalls entdeckte auch Guardini von hier aus die korrigierende, damit aber
zugleich befreiende Kraft einer Bindung an die Kirche. Auch diese Entdeckung sei
hier um ihrer Bedeutung willen in aller Ausführlichkeit zitiert:
"Es war in meinem Dachkämmerchen im elterlichen Hause in der Gonsenheimer
Straße. Karl Neundörfer und ich hatten über die Fragen, die uns beide beschäf-
tigten, gesprochen, und mein letztes Wort hatte gelautet: 'Es wird wohl auf den
Satz hinauskommen: 'Wer seine Seele festhält, wird sie verlieren; wer sie aber
hergibt, wird sie gewinnen.' Die Interpretation, die in der Übersetzung von Mt.
10,39 lag, sagt, worauf es mir ankam. Es war mir allmählich klar geworden, daß
ein Gesetz bestehe, wonach der Mensch, wenn er 'seine Seele behält', das heißt,
in sich selber bleibt und als gültig nur annimmt, was ihm unmittelbar einleuch-
tet, das Eigentliche verliert. Will er zur Wahrheit und in der Wahrheit zum wah-
ren Selbst gelangen, dann muß er sich hergeben. Diese Einsicht hat sicher
Vorstufen gehabt, sie sind mir aber entfallen. Karl Neundörfer war auf diese
Worte hin ins Nebenzimmer gegangen, aus welchem eine Türe auf einen Balkon
führte. Ich saß vor meinem Tisch, und der Gedanke ging weiter: 'Meine Seele
hergeben - aber an wen? Wer ist im Stande, sie mir abzufordern? So abzufor-
dern, daß darin nicht doch wieder ich es bin, der sie in die Hand nimmt? Nicht
einfachhin 'Gott', denn wenn der Mensch es nur mit Gott zu tun haben will,
dann sagt er 'Gott' und meint sich selbst. Es muß also eine objektive Instanz
sein, die meine Antwort aus jeglichem Schlupfwinkel der Selbstbehauptung
herausziehen kann. Das aber ist nur eine einzige: die katholische Kirche in ihrer
Autorität und Präzision. Die Frage des Behaltens oder Hergebens der Seele
entscheidet sich letztlich nicht vor Gott, sondern vor der Kirche.'"35
Guardini dachte bei dem Jesus-Wort Mt 10,39 offenbar nicht in erster Linie an die
Möglichkeit des Martyriums,36 sondern an eine bestimmte innere Grundhaltung, in
der der Mensch den "Achsenpunkt" seines Lebens aus sich selbst hinaus- und in ein

-*4 Jedenfalls wurde Guardini auch in späteren Jahren gerade von der Tradition einer "Philosophia" bzw.
"Theologia cordis" stark angesprochen; vgl. dazu unten in Kapitel V,2,b. Auch hier könnte das Ehepaar
Schleußner vermittelnd gewirkt haben; vgl. Guardinis, dem Andenken von Frau Schleußner gewidmete
Übersetzung des Geistlichen Tagebuchs von Lucie Christine (1921), sowie das Nachwort zu Madeleine Semer
(1929), ebd. bes. 253-264. Dort wird Guardinis Schritt zur Kirche noch einmal grundsätzlicher beleuchtet -
als Schritt des "platonisch" empfindenden religiösen Menschen: "Die Rettung des Platonikers ist der Weg ins
Geschichtliche; der Weg des Ernstes; der stets erneuten 'Verwirklichung'; der Entscheidung und Treue" (263).
35
Berichte, 71 f.
36
Das Logion Mt 10,39 war sowohl bei Mk (8,35) wie in der Logienquelle (vgl. Lk 17,33) überliefert; vgl.
außerdem Joh 12,25. Noch einmal findet sich das Wort in Mt 16,25, und zwar - wie bei Mk 8,36f. - mit dem
Zusatz: "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um
welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?" Guardini übersetzt durchgängig "psyche" mit
"Seele", während heute die Bedeutung "Leben" bevorzugt wird. Mt bringt wie die Logienquelle zum
Ausdruck, daß die Nachfolge Jesu wesenüich Kreuzesnachfolge ist (10,38) und das Aufgeben familiärer
Beziehungen (Mt 10,37) ebenso einschließen kann wie den vollen Einsatz des Lebens bis hin zum Martyrium
(10,39). Die Wichtigkeit dieser Sätze kommt zum Ausdruck, wenn Mt sie nach der 1. Leidensankündigung
(16,21-23) noch einmal im Anschluß an Mk bekräftigt (24f). Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus,
Bd. 2, Zürich-Braunschweig/Neukirchen-Vluyn 1990 (= EKK 1/2), 145-147 und 490-493.
72 Interesse am Leben
"Anderes" hineinverlagert.37 Es sind die Spuren des "Psychologismus" seiner Zeit,
die ihn das griechische Wort "psyche" bzw. die lateinische Übersetzung "anima" mit
dem deutschen Begriff "Seele" (statt "Leben") wiedergeben lassen. So findet er für
sich eine Antwort auf den "Psychologismus", muß aber noch die neue Frage stellen,
wo denn nun das gesuchte "Andere" zu finden sei. Dabei kann der eigentliche Adres-
sat nur Gott sein - aber nicht Gott schlechthin, sondern als der, der sich selbst und
seine Autorität in der Kirche zur Geltung bringt.38
So gelangen Guardini und Neundörfer von unterschiedlichen Ausgangspunkten her
zu einer Bejahung der konkreten Kirche, die imstande ist, über die Grenzen der eige-
nen psychologischen Struktur hinauszuführen und zugleich das Positive daran in sich
aufzuheben. Die beiden Weichenstellungen des frühen Guardini gehören damit aufs
engste zusammen: Es ist die Kirche, die die Vielfalt der Strukturen, die ein psycho-
logisches Verstehen mit Hilfe einer zu erstellenden Gegensatztypologie ans Licht
hebt, in ein umfassendes "Ganzes" integriert und damit jede begrenzte Anlage bzw.
eine davon bedingte spezifische "Weltanschauung" in eine sonst nicht zu erreichende
Weite und Offenheit führt.
Viel früher als andere vollzogen die beiden Freunde demnach das "Erwachen der
Kirche in den Seelen (!)". Zu diesem Zeitpunkt, als sich "Modernismus" und
"Integralismus" noch unversöhnt gegenüberstanden (vgl. Kap. I,3,a), schien dies noch
einem Rückfall ins "Ghetto" zu bedeuten, das man doch gerade hinter sich lassen
wollte. Guardini ging es jedoch bereits um etwas Neues, das über beide Extreme hin-
ausführte:
"Wir waren dezidicrt nicht-liberal. Wir nahmen gerade das, was die liberale
Haltung als Beunruhigung und Fessel empfunden hatte, zur Basis des Denkens
und machten die Erfahrung, daß sich uns erst durch diese 'kopernikanische
Wendung' des gläubigen Geistes die Tiefe und Fülle der heiligen Wahrheit
erschloß; uns aber außerdem ein Blick auf die Weite und Wirklichkeit der Welt
hinzugeschenkt wurde, wie ihn die liberale Haltung mit ihrem beständigen
Hinüberschielen zur profanen Wissenschaft und ihrer verbitterten Opposition
gegen die kirchliche Autorität nicht hatte."39
Daß eine solche Haltung leicht auch zu einem blinden Fanatismus führen konnte, war
Guardini durchaus bewußt. Deshalb mußte die klare Kirchlichkeit seines Glaubens
ergänzt werden durch den "unbefangenen Blick auf die Wirklichkeit der Dinge und
den Reichtum der Kultur"40. In Berlin hatte sich Guardini für den Priesterberuf
entschlossen, sich aber dagegen gesträubt, sofort in das Priesterseminar seiner
Heimatdiözese einzutreten. Ihn zog es nach Würzburg, wo noch Hermann Schell

• ''Zu dieser Formulierung vgl. Gehorsam, 9.


38
Zur Interpretation dieser autobiographischen Szene vgl. v. a. Ratzinger, Liturgie, 130-133; Mercker,
Weltanschauung, 14-30. Beide verweisen auf die Parallelen in der Bekehrungsgeschichte Augustins. War eine
der "Vorstufen", die Guardini erwähnt, die Lektüre der "Confessiones" (was im Schleußner-Kreis durchaus
nahelag; s. o ) , und kam Guardini von daher auf den Gedanken des "Hergebens der Seele" im Anschluß an Mt
10,39, um nun - über Augustinus hinaus - das "Hergeben der Seele" an die Kirche zu wählen? An der Gestalt
des Augustinus hat er sich jedenfalls später immer wieder orientiert und seinen "Confessiones" auch eine
ausfuhrliche Interpretation gewidmet (vgl. dazu unter V,2,b,bb).
39
Berichte, 86.
40
Berichte, 86.
Das frühe Ringen 73

dozierte - bis zu seinem Tod am 31. Mai 1906 -, er mußte aber, weil die Diözesanlei-
tung ihr Einverständnis verweigerte, ins harmlosere Freiburg ausweichen.41 Dort
fand er freilich nicht das, was er suchte - bis ein Gespräch mit zwei holländischen
Theologen (darunter der spätere Religionsphilosoph Bernhard Rosenmöller), ihn mit
den "damaligen theologischen Fragen" in Berührung brachte. Jetzt entschloß sich
Guardini, nach Tübingen überzuwechseln, da er gehört hatte, der dortige Dogmatiker
Wilhelm Koch sei ein "moderner Theologe".42
Die Erwartungen erfüllten sich, zumal Koch als einer der ersten nach dem
"Lebenswert der Dogmen" fragte - wenn auch, wie Guardini konstatiert, in einer noch
unzulänglichen Weise auf "kurzatmige Brauchbarkeit" hin.43 In den Augen Guardinis
hatte er noch "zu viel Respekt vor der 'Wissenschaft', wie sie damals aufgefaßt
wurde",44 ließ sich also immer noch von "liberaler" Einseitigkeit beeinflussen. Die
Angriffe der "Orthodoxie" gegen den ihn schössen jedoch über das Ziel hinaus. Sie
übersahen, daß eine größere Lebensnähe der Theologie noch kein Widerspruch sein
mußte in dem Bemühen, "ganz und ohne jeden Abstrich"45 katholisch zu sein. Die
Suche nach einem geeigneten theologischen Anreger, der schließlich zu Wilhelm
Koch nach Tübingen führte, zeigt jedenfalls in Bezug auf Guardini, daß seine
"Kirchlichkeit" nicht mehr einfach "integralistisch" war. Die "Integration" ins
"Ganze" der Kirche, die ihm vor Augen stand, löschte die Vielfalt der Strukturen und
den Ernst gegenwärtiger Fragen nicht einfach aus. Guardini begrüßte vielmehr aus-
drücklich, daß Koch das, was in den Studenten arbeitete, "und was andere durch das
Gewicht der Autorität erdrückten, oder durch das Pathos der Bedingungslosigkeit
einschüchterten, offen und ehrlich auf dem Katheder zu Wort brachte." Und er fügt
rückblickend hinzu: "Das machte frei."46 Gerade hier fand er daher
"das, wonach ich bisher vergeblich gesucht hatte: den klaren Ausgangspunkt des
Denkens und zugleich die Unabsehlichkeit seiner Aufgabe; eine Atmosphäre
und Ordnung, eine 'Welt', in welcher das, was in mir schöpferisch werden woll-
te, sich entfalten konnte. Damals wurden die Grundlagen von alledem gelegt,
was nachher kam und immer noch weitergeht."47
Was nachher kam - das waren aber vor allem zwei große Aufgaben, auf die jetzt
näher einzugehen ist: die weitere Entfaltung des Gegensatzdenkens und die Beschäfti-
gung mit Kirche und Liturgie.

41
Vgl. Berichte, 74-76.
42
Vgl. Berichte, 78f.
43
Vgl. Berichte, 84; zum Tübingen-Aufenthalt vgl. ebd., 78-88
44
Berichte, 84.
45
Vgl. Berichte, 85.
46
Berichte, 83.
47
Berichte, 86.
74 Interesse am Leben

2. Das Gegensatzdenken:
Die lebendige Konkretheit menschlicher Existenz

Früher als andere Bereiche im Werk Guardinis wurde die Gegensatzlehre zum
Gegenstand mehr oder weniger ausführlicher Untersuchungen gemacht.1 Immer
wieder sah man hierin den "Schlüssel" seines gesamten Denkens.2 Bestätigt wird
diese Auffassung durch unseren Rückblick in die Krisenzeit des jungen Studenten, in
der auch die Gegensatzlehre ihren Ursprung hat. Fast zwanzig Jahre lang hat er
danach an ihrer Ausarbeitung zugebracht, und schon während dieser Zeit hat sie ihre
Spuren in seinen übrigen Schriften hinterlassen:
"In einer Reihe von Einzelarbeiten wurden die Gedanken erprobt. Meine Versu-
che über die Philosophie und Theologie des heiligen Bonaventura ...; dann die
Schriften '"Vom Geist der Liturgie', 'Vom Sinn der Kirche' und über Liturgische
Bildung'; endlich eine Reihe kleinerer Untersuchungen, von denen der Band
'Auf dem Wege' einige zusammenfaßt, tragen die Gegensatzidee als Richtung
und Maß in sich."3
Allerdings handelt es sich dabei ausnahmslos um Schriften aus der frühen Phase
seines Wirkens, die etwa mit dem Wechsel nach Berlin (1923) einen gewissen
Abschluß erreicht; es wäre erst im Einzelnen nachzuweisen, inwiefern die im Gegen-
satzbuch vorgelegten Gedanken auch in die nun neu in Angriff genommenen Projekte
einfließen bzw. darin sogar die entscheidende Rolle spielen.
Während philosophische und pädagogische Autoren dem Gegensatzbuch naturge-
mäß ein erhöhtes Interesse entgegengebracht haben, versuchen Theologen stattdessen
gerne die theologische Ausgangsbasis von Guardinis Denken, auch seines philosophi-
schen, nachzuweisen. So gibt Peter Eicher zu bedenken, "ob nicht schon die Gegen-
satzphilosophie Guardinis auf ein zugrunde liegendes Offenbarungsverständnis hin
entworfen ist."4 Er wendet sich gegen Heinrich Fries, der die Offenbarungslehre
Guardinis lediglich als "Anwendung des Gegensatzprinzips auf das Phänomen der
Religion"5 betrachtet habe. In der Tat hat unsere biographische "Verortung" in den
geistigen Auseinandersetzungen des Studenten Guardini gezeigt, wie eng die psycho-

1
Vgl. Wust, Metaphysik des Gegensatzes (1926); Sladeczek, Gegensatzlehre (1928); Schlüter-Hermkes,
Gegensatzlehre (1928/29); Fries, Religionsphilosophie (1948), 272-282; Wucherer-Huldenfeld, Gegensatzphi-
losophie (1953/1968); ders., Gegensatzphilosophie (1955); NeunheuserAJhl in: KLL III (1964), 3809-3810;
Lopez Quintäs, Guardini (1966), 269-319; Babolin, Guardini. Filosofo dell'alterita (1968/69); Wechsler,
Guardini, (1973), 15-65; Schmidt, Pädagogische Relevanz (1973), 74-106; Fastenrath, "In vitam aeternam"
(1982), 727-747; Gerner, Bildungslehre (1985), 21-46; Gerl, Guardini (1985), 250-266; dies., Spannung
(1985); Kleiber, Glaube (1985), 34-48; Troyan, Schweigen (1985); Lechner, Theologie des Maßes (1991), 15-
25.
2
Vgl. v. a. Wechsler, Guardini, 15 (Überschrift); Fastenrath, "In vitam aeternam", 727 (Überschrift); Gerl,
Spannung, 219-222 und 234; dies., Guardini, 250; Kleiber, Glaube, 48.
3
Gegensatz, 7.
4
Eicher, Offenbarung, 262.
5
Fries, Religionsphilosophie, 282. - Fries sieht jedoch lediglich in der Verhältnisbestimmung von
"natürlicher Religion" und "Religion der Offenbarung" das Gegensatzprinzip wirksam (vgl. ebd., 279-281);
kritisch anzumerken ist, daß der Gedanke des "Quer-Stehens", den Guardini in diesem Zusammenhang
verwendet, nichts mit dem zu tun hat, was er mit "Gegensatz" meint.
Das Gegensatzdenken 75

logischen Bemühungen, aus denen die Gegensatzlehre hervorging, mit dem religiösen
Suchen jener Jahre verzahnt ist. Aber weder kann die Gegensatzphilosophie auf die
Glaubensentscheidung noch umgekehrt die religiöse Grundausrichtung auf die typolo-
gischen Überlegungen zurückgeführt werden; beide Momente bilden gleich ursprüng-
lich die Ausgangsbasis von Guardinis Werken. Ferner ist zu diesem Zeitpunkt über-
haupt noch nicht von "Offenbarung" die Rede, sondern von einer Bindung an die
"Kirche"; erst nach 1923 wird Guardini eine eigenständige Offenbarungskonzeption
entwickeln, deren Bedeutung für die weiteren Schaffensperioden Eicher zu Recht
herausgestellt hat.6
Die Gegensatzphilosophie kann ganz und gar ohne die Glaubensvoraussetzung
verstanden werden; dies macht gerade ihre Sonderstellung innerhalb von Guardinis
Werk aus. Sie dokumentiert das bewußte Einlassen auf die möglichen "Strukturen"
menschlichen Selbst- und Weltverständnisses,7 um erst dann - dies allerdings mit
großem Nachdruck - die Gesamtheit dieser Phänomene auch glaubend zu interpretie-
ren. Insofern "Kultur" aber die Gesamtheit geistiger Vollzüge und ihrer objektiven
Hervorbringungen meint, ist auch das Gegensatzdenken nichts anderes als ein funda-
mentaler Beitrag zum Verstehen der Kultur. Als solcher hat er auch im Rahmen unse-
rer Arbeit seinen Platz. Dabei wird im Folgenden der Schwerpunkt darauf liegen, die
geistesgeschichtlichen Wurzeln und Bezüge, die oft erst auf den zweiten Blick zu
erkennen sind8, herauszuarbeiten und Guardini so als den Mitsuchenden in der kultu-
rellen Krise seiner Zeit zu zeigen.

a. Die Idee des Gegensatzes und der Versuch einer Typeniehre


aa. Geistesgeschichtlicher Ausgangspunkt: Die romantische "Polarität"
Daß aus den psychologischen Bemühungen Guardinis und Neundörfers eine Gegen-
satz-Lehre wurde, hängt in erster Linie mit "romantischen" Einflüssen zusammen, die
um die Jahrhundertwende in Literatur und Kunst (vgl. etwa Franz Marcs Rückgriff
auf die Epoche der Romantik9), aber auch in der Wissenschaft in vielfacher Hinsicht
hervortraten. Auch Jaspers bezeugt den Einfluß romantischer Vorstellungen, wenn er
1913 schreibt, daß der "Zusammenhang durch den Gegensatz" in der gegenwärtigen
Psychologie ein oft besprochenes Thema sei.10 Guardini begegnete dieser Epoche
etwa in den Arbeiten von Ricardo Huch11 und wandte sich, davon angeregt, auch

6
Eicher verweist dazu vor allem auf Helmut Kuhn und Hans Urs von Balthasar; beide hätten erstmals
ganz deutlich gemacht, "wie sehr Guardinis Denken vom Offenbarungsglauben her bestimmt und getragen
ist" (Offenbarung, 264; vgl. Kuhn, Guardini, 104; Balthasar, Guardini). Vgl. aber bereits Winterswyl, Guar-
dini (1937/38).
7
Vgl. auch Henner, Pädagogik, 93.
8
Vgl. Gerl, Guardini, 61; Henner, Pädagogik, 93.
9
Vgl. Schulz-Hoffmann, Franz Marc und die Romantik.
10
Jaspers, Psychopathologie, 154.
11
Vgl. R. Huch, Blüthezeit der Romantik, Leipzig 1899; dies., Ausbreitung und Verfall der Romantik,
Leipzig 1902 (in der 2. Aufl. unter dem Titel "Die Romantik" als Bd. 1 und 2, Leipzig 1901 und 1908). Zum
Folgenden vgl. Guardini, Berichte*, 23.
76 Interesse am Leben

direkt Romantikern wie Novalis, Tieck, Brentano, und Wackenroder zu. Schon der
Sinn, den Guardini dem Gegensatzbegriff unterlegt, verweist auf den romantischen
Grundansatz: Nicht der "ausschließende, negierende" Gegensatz (der "Widerspruch")
ist gemeint, sondern der "polare (fordernde und geforderte)", in dem die voneinander
zu unterscheidenden "Pole" eine sie beide umfassende und von anderen Gegensatz-
paaren abgrenzbare "Einheit" bilden.12 Unser Autor rechnet den Gegensatzgedanken
zum "platonisch" gerichteten Traditionsgut, das in der "romantischen" Periode wieder
aufgelebt sei; so habe man ihn "geradezu den romantischen Gedanken" nennen
können.13
Schon Goethe hatte in der Tat in seiner Lehre von "Systole" und "Diastole" die
Polarität des Lebens zum Ausdruck gebracht und war dadurch für die romantische
Bewegung maßgebend geworden: "Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu eini-
gen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige
Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben
und sind."14 Mit Bezug auf Goethe veröffentlichte dann der romantische Staatstheo-
retiker Adam Heinrich Müller eine "Lehre vom Gegensatze".15 Der Gedanke der
"Polarität" findet sich ferner bei Schleiermacher16 und Schelling11, während die
Dialektik Hegels sich nicht auf einander ergänzenden "Pole" bezieht, sondern kontra-
diktorische Gegensätze vor Augen hat, die sich gegenseitig in einem geschichtlichen
Prozeß "aufheben".18 In Auseinandersetzung mit den Gegensatzlehren Schellings und
Hegels hatten auch Vertreter der katholischen "Tübinger Schule" den Gegensatzbe-
griff in ihre Ekklesiologie aufgenommen.19 Allerdings bezieht sich Guardini auf
keinen dieser Gegensatzdenker ausdrücklich zurück - mit Ausnahme von Hegel, der

12
Vgl. Gegensätze, 5; Gegensatz, Anm. 3, 25. - In der Geschichte des Gegensatzbegriffs hatte sich vor
allem im Anschluß an Aristoteles die Unterscheidung von "kontradiktorischen", "konträren", "privativen",
"relativen" und "polaren" Gegensätzen ausgebildet; vgl. Brugger, Gegensatz; Beyerwaltes/Menne, Gegensatz,
118.
13
Vgl. Gegensatz, 25.
14
J. W. Goethe, Entwurf einer Farbenlehre. Didaktischer Teil, in: Bd. 16 der Artemis-Gedenkausgabe,
Zürich 1950, 17-244, hier 199.- Vgl. auch ebd., 35; Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, ebd., 245
719, hier 397; Fragmente zur Botanik, Bd. 17, 189-216, hier 207 u. ö.
15
Vgl. v. a. A. H. Müller, Die Lehre vom Gegensatze. Erstes Buch: Der Gegensatz, Berlin 1804; jetzt in:
ders., Kritische, ästhetische und philosophische Schriften. Kritische Ausgabe, hg. v. W. Schroeder u. W.
Siebert, Bd. 2, Neuwied-Berlin 1967, 193-248. Vgl. dazu Gerl, Guardini, 253f.
16
Vgl. etwa F. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, neu
hg. v. R. Otto, Göttingen "1967, 21: Die Gottheit habe sich durch ein unabänderliches Gesetz selbst genötigt,
"ihr großes Werk bis ins Unendliche hin zu entzweien, jedes bestimmte Dasein nur aus zwei entgegengesetz-
ten Kräften zusammenzuschmelzen, und jeden ihrer ewigen Gedanken in zwei einander feindseligen und
doch nur durch einander bestehenden und unzertrennlichen Zwillingsgestalten zur Wirklichkeit zu bringen.
Diese ganze körperliche Welt, in deren Inneres einzudringen das höchste Ziel Eures Forschens ist, erscheint
den Unterrichtetsten und Denkendsten unter Euch nur als ein ewig fortgesetztes Spiel entgegengesetzter Kräf-
te." Vgl. dazu (mit weiteren Belegen) Böhm, Erbe, 614-618.
17
Vgl. Beyerwaltes / Menne, Gegensatz, 113f.; ferner Ulf. (zu Nikolaus Cusanus und Fichte, an die
Schelling anknüpft).
18
Vgl. Beyerwaltes/Menne, Gegensatz, U4f.; Wucherer-Huldenfeld, Gegensatzphilosophie 1953/1968,
62-64.
19
Zur Gegensatzlehre Dreys und Möhlers vgl. J. R. Geiselmann, Einführung, in: Möhler, Symbolik, I,
[15]-[148], hier [91]-[126]. Möhler verband dabei schellingsches und hegelianisches Gegensatzdenken mit-
einander; vgl. bes. § 46 in: ders., Einheit, 152-157.
Das Gegensatzdenken 77

vom Typisch-Romantischen gerade abweicht, für Guardini aber dennoch die Grenzen
dieses Denkens deutlich macht.20
Wichtiger als die Abhängigkeit von bestimmten Denkern ist bei unserem Autor
freilich die Partizipation an einer geistigen Atmosphäre, zu der neben philosophischen
Ansätzen auch die Erfahrungen einer "romantisch" bewegten Jugend beigetragen
haben. Eine einzelne Quelle nennt Guardini allerdings in seinen autobiographischen
Aufzeichnungen, und sie ist schon deswegen in ihrer Wirkung nicht zu überschätzen,
weil sie gerade den Zusammenhang von "Gegensatz" und Psychologie aufzeigte. Es
handelt sich dabei um eine Veröffentlichung des Psychologen Otto Weininger, die
nach ihrem Erscheinen im Jahre 1903 auch in der Umgebung des Studenten Guardini
stark diskutiert wurde.21 Unter dem Titel "Geschlecht und Charakter" wurde hier
zunächst eine Fülle an sexualpsychologischen Erkenntnissen zusammengetragen, um
dann auf dieser Basis eine Lehre von der Polarität von männlichem und weiblichem
Prinzip vorzulegen, die als theoretische und praktische Lösung der Frauenfrage
vorgestellt wurde. Guardini und Neundörfer wollten nun ihre psychologischen
Versuche keineswegs auf die Geschlechterpolarität einschränken; erst recht folgten
sie Weininger nicht in der "dualistischen" Tendenz, die auf eine Abwertung des
Weiblichen gegenüber dem Männlichen, des Materiellen gegenüber dem Geistigen
hinauslief.22 Diese Abgrenzung macht wohl auch verständlich, warum Guardini sich
in seinen veröffentlichten Schriften nie direkt auf Weininger bezieht. Die Kritik an
jedem "gnostischen" Verständnis des Gegensatzgedankens ist ihm zeitlebens wichtig
gewesen. Die Gnosis nämlich - so schreibt er später - habe die Gegensätze des
Lebendig-Konkreten zu Widersprüchen erklärt und diese dann noch mit den ethischen
Kategorien von "Gut" und "Böse", sowie mit einem Geist-Leib-Dualismus
verquickt.23 Über die Albigenser und Katharer des Mittelalters, die Philosophie der
Renaissance, die Alchemie der Theosophen, die Welt- und Lebensanschauung
Goethes, die Romantik und die Dialektik des Deutschen Idealismus bis hin zu C. G.
Jung und Thomas Mann ziehe sich eine Linie, in der mehr oder weniger deutlich eine
"gnostische" Grundtendenz spürbar sei. Sein eigenes Anliegen sei es dagegen von
Anfang an gewesen, die Spannungen des Daseins voll ernst zu nehmen, sie aber nicht
mit Widersprüchen zu verwechseln und diese dann auf irgendeine Weise "monistisch"
aufzulösen.24 Immer wieder betont Guardini daher, daß er die Abwertung der Frau für
eine verhängnisvolle Entwicklung innerhalb der abendländischen Kultur hält.25
Dennoch ging es auch Guardini wie Weininger um ein Gesamtverständnis der
Wirklichkeit, das auf einem "universalen Gegensatz" aufgebaut war.26 Von ihm her

20
Vgl. Gegensatz, Anm. 11, 45 ("hegelisch-romantische Aufhebung aller Wesensunterschiede in eine
Mediationsdialektik"; zur Kritik Guardinis daran s. u.).
21
Vgl. O. Weininger, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, Wien-Leipzig 1903.
Vgl. dazu die Rezension in: KLL X, 3901 f.
22
Vgl. Berichte*, 25f.
23
Christusbild, 143; vgl. 138-144.
24
Vgl. Ein Brief* (27. 1. 1964), 3f. Ähnlich: Gegensatzlehre*, 3; Todesfall*, 2.
25
Vgl. etwa Gegensatz, 121 und 123, sowie Todesfall*, 1.
26
Vgl. Berichte*, 25f.
78 Interesse am Leben

sollte sich die psychologische Struktur jedes einzelnen Menschen verständlich


machen lassen; denn die "Psychologie" war für ihn ein "wirklicher Kosmos",
"der aufgrund letzter Strukturen aufgebaut ist, und in welchem jeder einzelne
seinen Ort hat. Wenn man die Gesetze dieses Kosmos kennt, kann man sehr viel
mehr vom konkreten Leben verstehen, als wenn man nur auf den psychologi-
schen Blick angewiesen ist."27
Diese Grundüberzeugung, die Guardini sich durchaus ein Leben lang bewahrte, führte
allerdings zunächst zu einer gewissen Übersteigerung. Er selbst spricht später von
einem Hang zum "System" mit seinem "Zwang für meinen Geist und seiner
Gewalttätigkeit gegenüber dem Wirklichen"28, durch den er sich und wahrscheinlich
auch Anderen "viel Plage" bereitet habe.29 Dieser Hang zum "System" macht sich in
Guardinis erster kurzgefaßten Gegensatzschrift, mit der er 1914 an die Öffentlichkeit
tritt,30 noch besonders deutlich bemerkbar. Sie trägt den Titel "Gegensatz und Gegen-
sätze. Entwurf eines Systems (!) der Typenlehre".

bb. Systematische Ausarbeitung: "Gegensatz und Gegensätze" (1914)


Der psychologische Hintergrund tritt in der Gegensatzschrift von 1914 ganz zurück.31
Vielmehr beansprucht das vorgestellte "System", auf alle möglichen Gegenstände der
Erfahrung angewendet werden zu können; sogar für die "Erörterung des Problems des
Absoluten" scheint es eine gewisse Bedeutung zu haben - eine Behauptung, auf die
Guardini allerdings nicht näher eingeht. Er wolle an dieser Stelle den Gegensatz "nur
als Grundlage einer Typik des bedingten Seins" ins Auge fassen.32 In diesem Bereich
aber habe seine Theorie eine absolute Bedeutung; sie vermöge nicht nur das einzelne
"Ding", sondern auch die Beziehungen der "Dinge" zueinander, ja auch komplizierte
rer "Dingsysteme" "vom Jon bis zum Kosmos, vom Individuum bis zum Staat" zu
beschreiben.33
Offenbar geht es Guardini darum, von den konkreten Beobachtungen, die er
gemeinsam mit Neundörfer gesammelt und aufgeschrieben hat,34 bewußt zu abstra-
hieren und sich auf die Kernideen zu beschränken. Anlaß dieser Konzentration auf
das Wesentliche ist die Beobachtung, das Problem, um das es hier geht, trete "unter
mannigfachen Formen immer mehr in den Gesichtskreis der philosophischen und
psychologischen Forschung"35. Welche Ansätze Guardini hier im Auge hat - Veröf-

27
Berichte», 28.
28
Berichte*, 5.
29
Berichte*, 29.
30
Ausformuliert war sie jedoch im Wesentlichen bereits seit 1912; vgl. Gegensätze, 3.
31
Vgl. lediglich Gegensätze, Anm. 1, 19: "Die Typologie der Seelenvorgänge war der eigentliche
Ausgangspunkt der ganzen Überlegung über die Gegensatzlehre. Sie ist bereits in den Grundzügen ausgear-
beitet." Die Psychologie bzw. Charakterologie wird dann unter den Anwendungsmöglichkeiten der Gegen-
satzlehre an erster Stelle genannt (ebd., 19).
32
Vgl. Gegensätze, Anm. 1, 9; Hervorhebung von mir.
33
Gegensätze, 15f.
34
Vgl. Gegensätze, 3: "Auf die Mitteilung des Erfahrungsmaterials, das die Ergebnisse stützt, mußte
verzichtet werden." Zu diesem verlorengegangenen Material ("Aufzeichnungen und Tabellen") vgl. Berich-
te* 27.
35
Gegensätze, 3.
Das Gegensatzdenken 79

fentlichungen von Dilthey und Jaspers etwa oder ähnliche strukturpsychologische


Versuche, die bereits im Gange waren36 -, wird nirgends so recht deutlich. Jedenfalls
möchte Guardini sich "durch Fixierung des augenblicklichen Standes" - nämlich
durch die systematische Darstellung der "Kernideen" - "das Recht auf deren spätere
Fortführung sichern."37
Ausgangspunkt dabei ist die "Idee" des Gegensatzes - eine
"Ordnung zweier Momente ..., die zueinander im Verhältnis der gegenseitigen
Bedingung und zugleich der gegenseitigen Ausschließung stehen"38.
Schon in dieser Definition ist eine Gegensätzlichkeit ("Bedingung", "Ausschließung")
enthalten, die Guardini auch sofort in zwei als "transzendental" bezeichnete
"Grundgegensätze" ausgliedert: "Ähnlichkeit-Verschiedenheit", "Verbundenheit-
Geschiedenheit". Dabei beziehe sich der erste vor allem auf das Qualitative
("Eigenschaftliche") an der Grundgegebenheit der Gegensätzlichkeit, der andere auf
das "Soziative".39 Von ihnen unterscheiden sich die "kategorischen" - also nicht mehr
auf die Idee des Gegensatzes selbst, sondern auf die gegensätzlich strukturierte Erfah-
rungswirklichkeit bezogenen Gegensätze.40 Sie zerfallen wiederum in zwei Gruppen,
nämlich in die "metaphysischen" und die "physischen" Gegensätze.
Die mißverständliche Bezeichnung "metaphysisch"41 bedeutet nicht, daß diese
Gegensätze außerhalb der Erfahrungswirklichkeit liegen. Zwar wird vorausgesetzt,
daß es ein "metaphysisches Einheitsprinzip" gibt; aber im Zusammenhang der Gegen-
satzlehre interessiert nur, wie sich dieses Prinzip innerhalb des Erfahrbaren auswirkt -
nämlich als "Produktion" und "Disposition", als "Anomie" und "Nomie", als
"Immanenz" und als "Transzendenz"-42 Die "physischen Gegensätze" dagegen
beschreiben "das Verhältnis der erfahrbaren (physischen) Momente zueinander und
ihre Eigenart."43 Es sind die Paare "Fülle-Form", "Dynamik-Statik", sowie
"Besonderheit-Allgemeinheit".44
Durch quantitativ unterschiedliche Gewichtung einzelner Gegensatzseiten, sowie
durch "Kreuzung" und "Reihung" der Gegensatzpaare untereinander entsteht nun
nach Guardini eine Fülle möglicher Ausprägungen und damit eine Typologie, die an
die unterschiedlichsten "Dinge" und "Dingsysteme" der Wirklichkeit angelegt werden

36
Vgl. etwa Dilthey, Weltanschauung (1911); E. Spranger, Lebensformen. Geisteswissenschaftliche
Psychologie und Ethik der Persönlichkeit [1914], 2. Aufl., Halle 1921; H. Nohl, Die pädagogischen Gegen-
sätze [1914], in: ders., Ausgewählte pädagogische Abhandlungen, Paderborn 1967, 5-16.
3
Gegensätze, 3.
38
Gegensätze, 5.
39
Gegensätze, 10. - Zur Begrifflichkeit "transzendental-kategorisch" (später "kategorial") siehe unter
III,2,b. An dieser Stelle merkt Guardini lediglich an, daß diese Bezeichnungen "der formalen Logik"
entnommen seien und wie dort "Stufen der AllgemeingüJtigkeit" bedeuteten (vgl. Anm. 1, 10).
40
Die Unterscheidung von "transzendental" und "kategorisch" (später besser: "kategorial") hält sich an die
klassische Logik und ist nicht im kant'schen Sinne gemeint (vgl. Gegensätze, Anm. 1, 10; Gegensatz, 33).
41
Später vertauscht sie Guardini mit der Bezeichnung "transempirisch"; siehe dazu unten in Abschnitt
b.aa.
42
Vgl. Gegensätze, llf.- "Anomie-Nomie" wird später als "Ursprünglichkeit-Regel" bezeichnet; siehe
ebenfalls unter b.aa
43
Gegensätze, 12; Hervorhebung von mir.
44
Vgl. Gegensätze, 12f.
80 Interesse am Leben
kann.45 Daß es sich dabei aber gerade um eine Gegevisafz-Typologie handelt, führt
Guardini auf eine ontologische "Tatsache" zurück - nämlich darauf, "daß das Sein
nicht 'einseitig', sondern 'zweiseitig', nicht 'eindeutig', sondern 'zweideutig' ist."46
"Das Sein verwirklicht stets den ganzen Gegensatz, nicht bloß eine Seite von
ihm, wenn dies auch in unendlich verschiebbarem Quantitätsverhältnis
geschieht."47
Die Gegensatzlehre faßt sich demnach in der "Idee der Allseitigkeit" des Seins
zusammen,48 will jedoch selbst keine "inhaltliche Idee für die Erklärung des Seins",
also eine metaphysische Ontologie, sein, sondern lediglich die Beschreibung von
dessen Grundstruktur, die an den verschiedensten Gegenständen wahrgenommen
werden kann.49 Sie beschränke sich darauf, eine "wissenschaftliche Lehre vom
Konkreten" zu sein.
"Sie faßt die Phänomene der Struktur, Tätigkeit usw. mit Rücksicht auf das
Zusammensein am konkreten Ding; freilich nicht an diesem bestimmten Ding,
aber doch stets in Beziehung zur Tatsache der Konkretheit."50
So wird sie zu einem "Prinzip von allgemeiner Bedeutung"51. Es kann daher auch den
unterschiedlichsten Einzelwissenschaften angeboten werden, denn "stets kann, nach
Feststellung des Sachgehaltes eines Gegenstandes, noch nach dessen Typik gefragt
werden."52 Neben der Anwendung auf die Psychologie erwähnt Guardini zum Schluß
noch die Problematik der Wissenschaft als solcher und deutet die Möglichkeit einer
"typologischen Wissenschaftslehre" an:
"Gibt es Gesetze, die jedem Problem, abgesehen von seinem näheren sachlichen
Inhalt, eine bestimmte Form der Entfaltung vorschreiben? Läßt sich so eine
Lehre von den Typen der Problemstellung an sich, und damit der Wissenschaft
als solcher... aufstellen?"53
Guardini selbst hat diese Frage in seine eigene theologische Forschung einbezogen,
als er sich mit der Erlösungslehre und den Schriften Bonaventuras zu beschäftigen
hatte.54
Die Schrift von 1914 aber bedeutete noch keinen Abschluß von Guardinis Überle-
gungen zur Gegensatztypologie, auch wenn er sich einige Jahre für eine Fortführung
Zeit ließ. Die Übernahme des Berliner Lehrstuhls, der keinen bestimmten theologi-
schen Themenplan vorsah, gab ihm dann jedoch Gelegenheit, seine Gedanken einer
breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Dies geschah sofort im zweiten Semester inner-
45
Vgl. Gegensätze, 15f.
46
Gegensätze, 17.
47
Gegensätze, 18f.
48
Gegensätze, 19.
49
Vgl. Gegensätze, 18.
50
Gegensätze, 18.
51
Gegensätze, 18.
52
Gegensätze, 17.
53
Gegensätze, 19f. Ausdrücklich unterscheidet Guardini dabei eine systematische und eine historische
Seite: "Die erstere wird aus der erkenntnistheoretischen Natur des Problems an sich dessen Typik ableiten; die
letztere in der historischen Abfolge des menschlichen Denkens (des Individuums und der Gesamtheit) die
Periodik ihres Hervortretens aufzufinden suchen" (ebd., 20). Daß damit nicht alle Anwendungsmöglichkeiten
genannt sind, hebt Guardini bereits in der Vorbemerkung hervor (vgl. ebd., 4).
54
Vgl. dazu Erlösung, Vf.; Berichte, 26f.; Gegensatz, 7; siehe dazu in Kap. III,l,a.
Das Gegensatzdenken 81

halb einer Vorlesung über "Das Problem des Konkreten und die Lehre vom Reich
Gottes."55 Diese Darlegungen bildeten wohl den endgültigen Durchbruch zu einer
ausführlichen Darstellung in Guardinis 1925 erschienenen Buch "Der Gegensatz".
Sein Inhalt soll bereits an dieser Stelle dargestellt werden, da es sich im Wesentlichen
auf die Ergebnisse der Arbeiten vor der Berliner Zeit stützt und damit durchaus noch
zu den "Anfängen" von Guardinis Denken gerechnet werden kann.

b. Auf dem Weg zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten


Guardini läßt auch 1925 keinen Zweifel daran, daß sein "Versuch" noch ein sehr
unfertiges Gepräge trägt. Daher will er auch nur den Anspruch erheben, "die Grund-
ideen zu erläutern und zu verlebendigen."56 Alles Weitere bleibt einer späteren Fort-
führung überlassen, die jedoch nie mehr in Angriff genommen worden ist.57 Unter
diesem Vorzeichen ist das Buch auch zu interpretieren - als eine wichtige Station auf
einem längeren Denkweg, der dann aber offenbar in andere Richtungen abbog, wobei
die Gründe für diese "Korrektur", wenn sie auch in den späteren Kapiteln deutlicher
zutagetreten, sich möglicherweise doch schon an dieser Stelle abzeichnen.

aa. Das Gegensatzbuch von 1925


Der Kern der frühen Gegensatzschrift - die Aufzählung von insgesamt acht Gegen-
satzpaaren - ist auch 1925 erhalten geblieben, auch wenn die einzelnen Gegensätze
nun eingehender beschrieben werden.
Guardini unterscheidet also weiterhin:
1) Die "kategorialen" Gegensätze, die wiederum zu gliedern sind in
a) "intraempirische": "Dynamik-Statik" (bzw. "Akt-Bau"), "Form-Fülle",
"Einzelheit-Ganzheit" (bzw. "Differenzierung-Integrierung");
b) "transempirische": "Produktion-Disposition", "Ursprünglichkeit-Regel",
"Immanenz-Transzendenz" ("Innewohnen-Darüberstehen").
2) Die "transzendentalen" Gegensätze: "Verwandtschaft-Besonderung" (im
"qualitativer" Hinsicht), "Einheit-Mannigfaltigkeit" (in "struktiver" Hinsicht).
Jeder dieser Gegensätze bildet in sich eine "Einheit", tritt jedoch mit anderen
Gegensatzeinheiten zu "Gruppen" (durch "Kreuzung") und vor allem zu
("enantiologischen") "Reihen" zusammen.58
Die erste Reihe: "Akt" - "Fülle" - "Einzelheit" - "Produktion" - "Ursprünglichkeit" -
"Immanenz" - "Ähnlichkeit" - "Zusammenhang".

53
Vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 130. Dazu Guardini: "Im Wintersemester 1923/24 habe ich den Stoff
in einer Vorlesung an der Berliner Universität entwickelt" (Gegensatz, 7).
56
Gegensatz, 8; vgl. das ganze Vorwort ebd., 7f.
57
Vgl. die Vorbemerkung zur 2. Aufl. (1955): Gegensatz, 9.
58
Zum Folgenden vgl. Gegensatz, 98-102.
82 Interesse am Leben

Die zweite Reihe (von Guardini auch "Form-Reihe") genannt: "Bau" - "Form" -
"Ganzheit" - "Disposition" - "Regel" - "Transzendenz" - "Besonderung" -
"Gliederung".
Diese "Reihen" verweisen in ihrer Gegenüberstellung auf einen alle Einzelgegen-
sätze umgreifenden letzten "Gegensatz", der freilich nicht mehr in einem Begriffspaar
ausgesprochen, sondern eben nur in der Gegenüberstellung der vielen einzelnen
"Gegensätze" umschrieben werden kann. Wichtig wird jetzt für Guardini auch der
Gedanke einer quantitativen Verschiebung im Verhältnis der Gegensatzseiten zuein-
ander, die in den Begriffen ("festes" bzw. "gleitendes") "Maß" und "Rhythmus"
beschrieben wird.59 Vor allem der Gedanke des "Maßes" und die in ihm implizierte
Vorstellung der "Grenze" gewinnt eine wichtige Bedeutung. Es gibt
a) die beiden "äußeren" Grenzwerte: der "Gegensatz" wird aufgelöst durch die
Verabsolutierung einer der beiden "Seiten" (die "Untergangszone des reinen
Typus");
b) der "innere" Grenzwert: der "Gegensatz" wird aufgelöst durch den quantitativen
Ausgleich der beiden "Seiten", das völlige Zur-Ruhe-Kommen (die
"Untergangszone der vollkommenen Harmonie").60
In beiden "Untergangszonen" melden sich die beiden häufigsten - in Guardinis Sicht
falschen - Konsequenzen aus der Erfahrung von Gegensätzlichkeit:
a) Die (dualistische) Übersteigerung des "Gegensatzes" zum "Widerspruch" und - als
Folge davon - entweder die radikale Ablehnung einer Gegensatzseite (z. B. die
Ablehnung jeder "Form" im "Dynamismus" und "Relativismus"61) oder zumindest
ihre Abwertung (z. B. die Abwertung der "Fülle" gegenüber der "Form" im
abendländischen Verständnis des "Geistes"62).
b) Das (monistische) Ideal einer völligen Harmonie, das die qualitative Verschieden-
heit beider Gegensatzseiten verwischt und die lebendige Spannung zwischen
beiden auflöst.
Aber auch dort, wo die Gegensätze in ihrer Gleichwertigkeit und Spannungseinheit
gerade bewahrt werden wollen - wie im "romantischen" Denken, von dem Guardini
sein Grundverständnis von "Gegensatz" ja bezieht - kann es zu einer "monistischen"
Auflösung der Spannung kommen; dadurch nämlich, daß der "tragische Ernst" der
Zweiheit übersehen und daraus entweder ein "Spiel" oder - in hegelisch-romantischer
Form - die "Aufhebung aller Wesensunterschiede in einer Mediationsdialektik"
gemacht werde.63
"Die Synthesen der Widersprüche, wie sie der Monismus zuwege bringt, beru-
hen darauf, daß kein Begriff zu Ende gedacht, kein Wesensbild klar gesehen,
keine Grenze deutlich gezogen wird. Alles bleibt halb, und wird mit einem
verhüllenden Schleim überzogen, dessen ruchloseste und zugleich verächtlichste

59
Vgl. Gegensatz, 103-119.
60
Vgl. Gegensatz, 109f.
61
Vgl. Gegensatz, 44.
62
Vgl. Gegensatz, 121 f.
63
Vgl. Gegensatz, 45 mit Anm. 11.
Das Gegensatzdenken 83

Leistung schließlich darin besteht, Worte und Bedeutungen, wie 'Gott' und das
Teuflische zu irgendwelchen 'Einheiten' zusammenzuknüpfen."64
Von daher wird nochmals die schon 1914 zugrundegelegte Definition des Gegen-
satzbegriffs beleuchtet, die zwar an die romantische "Polarität" anknüpft, aber doch -
gerade von der Idee des "Gegen-Satzes" her - weder in einen "Dualismus", noch in
einen "Monismus" führt:
"Das ist Gegensatz: daß zwei Momente, deren jedes unableitbar, unüberführbar,
unvermischbar in sich steht, doch unablöslich miteinander verbunden sind; ja
gedacht nur werden können an und durch einander."65
Guardini betont jetzt auch in einer gewissen Korrektur der früheren Gedanken, daß
der Gegensatzgedanke nicht auf alle Momente der Wirklichkeit angewendet werden
kann. Neben "Gegensätzen" gibt es nämlich
a) durchaus echte "Widersprüche" - "Gut-Böse", "Voll-Leer", "Hell-Dunkel", "Ja-
Nein" -, die nicht in "Polaritäten" aufgelöst werden dürfen, sondern zur (ethischen,
metaphysischen, logischen) Entscheidung herausfordern;66 ferner gibt es
b) ontologische und anthropologische Realitäten - wie "Geist-Materie", "Seele-Leib",
"personale", "emotionale", "körperliche" Sphären -, die weder als "Widersprüche",
noch als "Gegensätze" hinreichend bestimmt werden können, sondern ein ganz
anderes Modell voraussetzen - etwa die Vorstellung eines "Ausdrucks" der Seele
im Leib;67 schließlich
c) die Wirklichkeit Gottes, die Guardini in seinem Gegensatzbuch bewußt ausklam-
mert. In einer längeren Fußnote geht es etwa um die cusanische Vorstellung
Gottes als "coincidentia oppositorum", die nach Guardini nur unter Berücksichti-
gung der "Analogie" und mit Hilfe des klassischen Dreischritts (via affirmationis,
via negationis, via eminentiae), allerdings unter deutlicher Hervorkehrung des
negativen Moments, Gültigkeit besitzt:
"In Gott gibt es keine Gegensätze, denn er ist absolut einfach; einfach nicht
durch Synthese, oder durch irgendwelche Sublimierung der Vielheit, sondern
wesenhaft. Von einer Vielheit in ihm spricht uns erst die Offenbarung im
Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit - und es bleibt Geheimnis, im Glauben
nur zu fassen, von Christus her. Dennoch liegt in ihm das Urbild wie von allem
Geschöpflichen, so auch von der Tatsache der Gegensätzlichkeit. So kann deren
positiver Gehalt - nicht das, was in ihr Grenze und Unvollkommenheit ausdrückt
- ebenfalls per analogiam von ihm ausgesagt werden; noch dazu in einer irreal-
hypothetischen Form: Gott ist im Absoluten das, was im Endlichen das Leben
wäre, falls stehendes Gleichgewicht der Gegensätze möglich wäre. Nun ist das
aber tatsächlich unmöglich. So bedeutet jene Aussage den Versuch, den Begriff
eines nicht-endlichen Lebens zu fassen; aber mit den Begriffsmitteln, die endli-

64
Gegensatz, 156.
65
Gegensatz, 45f.
66
Vgl. Gegensatz, 26; 29f.; ferner Christusbild, 138f.
67
Vgl. Gegensatz, Anm. 34, 149. Dort verweist Guardini auf die Formel des Konzils von Vienne "Anima
forma corporis , sowie auf seine Schrift "Liturgische Bildung" (1923), wo er vom Modell des "Ausdrucks"
und dem Begriff des "Symbols" her die anthropologischen Grundlagen des liturgischen Aktes entwickelt
(siehe unter II,3,a,cc).
84 Interesse am Leben

ches Leben bietet. Der Versuch kann nicht gelingen; jene Aussage ist unvoll-
ziehbar. Aber sinnvoll-unvollziehbar; höheres 'Ja' meinendes 'Nicht'; ein durch
das Übermaß des 'Ja' herbeigeführtes 'Nicht'."68
Es ist bezeichnend, daß Guardini in diesem Analogieschluß von einem Phänomen
ausgeht, das nur theoretisch, nicht aber faktisch möglich ist. Gleichgewicht von
Gegensätzen wäre ja gerade deren Auflösung, eine mögliche "Untergangszone" des
Lebens und daher innerweltlich mit dem "Tod" gleichzusetzen (s. o.). Von daher ist
"coincidentia oppositorum" im wörtlichen Sinn überhaupt nicht anzustreben und folg-
lich auch in Bezug auf Gott nur mit der größten Vorsicht anzuwenden. Erst recht
nicht kann das Verhältnis der göttlichen Personen zueinander, wie es die christliche
Trinitätslehre beschreibt, gegensatzphilosophisch interpretiert werden.69 Weder der
philosophische Gottesbegriff noch das Ereignis der göttlichen Selbstoffenbarung
bilden also den Gegenstand der Gegensatzphilosophie, die Guardini vorlegt.
Es handelt sich auch nicht um eine "Metaphysik", wie Peter Wust meinte.70 Die
Welt der Erfahrung wird nirgends verlassen, auch dort nicht, wo ein durchaus
"metaphysischer" Begriff, nämlich der des "Inneren", eingeführt wird.71 Er wird
notwendig, um den Übergang von den "empirischen" zu den "transempirischen"
Gegensätzen gehen zu können. Dabei geht es lediglich um die Annahme, daß die
Wirklichkeit "von innen nach außen bzw. von außen nach Innen geschichtet" sei bzw.
so erfahren werde. Diese Erfahrung verweise auf ein "letztes endgültiges 'Innen'",
dem gegenüber alles andere "Außen" ist.
"Es selbst kann nicht erfahren werden. Es liegt allem physisch wie psychisch
Erfahrbaren inne. Aber alles Erfahrbare des menschlichen Bestandes weist auf
es hin bzw. kommt von ihm her."72
Bestimmte Gegensätzlichkeiten nun hängen von diesem Schichtungsverhältnis ab und
sind deshalb - nicht weil sie im Metaphysischen liegen, sondern weil sie auf ein
solches verweisen - als "transempirisch" zu bezeichnen.73

bb. Beiträge zum philosophischen Gespräch: Die Wende


zum "Lebendig-Konkreten"
Trotz einiger wichtiger Ergänzungen und Präzisierungen ist damit in inhaltlicher
Hinsicht die frühe Gegensatzlehre (jetzt selbstbewußter: "Gegensatzphilosophie"l) im
Wesentlichen dieselbe geblieben. Was sich verändert hat, ist der geistige Horizont,
innerhalb dessen Guardini seine Gedanken vorlegt. Gerade das muß für unsere Unter-

68
Gegensatz, Anm. 29, 125f., hier 126.
69
In einer gewissen Hinsicht tut Guardini das freilich auch, wenn er von einer menschlichem Gemein-
schaftsleben "analogen" innergöttlichen "Gemeinschaft" spricht und von ihr die Spannungseinheit von
"Selbsthaltung" und "Selbsthingabe" ableitet; vgl. Dreieiniger Gott (1916/1923). Siehe dazu unter Il,3,b,bb.
70
Vgl. Wust, Metaphysik des Gegensatzes.
71
Vgl. Gegensau, 56-58.
72
Gegensatz, 57; vgl. ebd., 56f.
73
Vgl. Gegensatz, 59-80. Am Ende dieses Abschnitts (79f.) wird deutlich, daß die vorläufige Kenn-
zeichnung als "Innen" nicht ausreichend ist, sondern daß vielmehr das Gemeinte gleichzeitig auch als
"Außen" bezeichnet werden könnte. Guardini gibt zu, daß er noch kein "einigermaßen sprechbares Wort"
dafür gefunden habe. "So wollen wir ihn den transempirischen Punkt des Lebens nennen" (80).
Das Gegensatzdenken 85

suchung entscheidender sein als die Darstellung des Inhalts, der es freilich sehr wohl
verdiente, noch viel eingehender behandelt zu werden.
Guardini selbst sagt:
"Die Wesenszüge sind die alten geblieben; nur hat sich alles deutlicher um das
Problem des Konkreten gesammelt."74
Schon 1914 hatte Guardini davon gesprochen, es gehe letztlich um eine
"wissenschaftliche Lehre vom Konkreten"15. Nun spricht er schon im Untertitel von
einer "Philosophie des Lebendig-Konkreten" und zieht daraus wichtige Konsequen-
zen für die Darstellung. Welche das sind und in welcher Weise dabei der zeitgenössi-
sche "Umbruch des Denkens" bemerkbar wird, soll jetzt in einem zweiten Durchgang
in sechs Schritten herausgearbeitet werden.

(1) Phänomenologie: Die Wende zum "Objekt"


Als Zeitdiagnostiker registrierte Guardini nach dem Ersten Weltkrieg in den neuen
kulturellen Aufbrüchen ein epochales "Aufwachen zur Wirklichkeit"16:
"Anzeichen tauchen auf, daß man das Konkret-Wirkliche als das einzig Gegebe-
ne nehmen und das Abstrakt-Gültige ganz daran knüpfen will. Über einen neuen
Nominalismus brauchten wir nicht zu erstaunen. Das Wirklichkeitsbewußtsein
ist zuweilen ganz erlebnishaft über den Menschen gekommen. Daß Dinge sind,
und Dinge in einer schöpferisch-ursprünglichen, nicht errechenbaren Eigenbe-
stimmtheit, entdeckt unsere Zeit förmlich neu. Das Konkrete mit seiner unbe-
grenzten Fülle wird zum Erlebnis, und zum Erlebnis das Glück, sich hineinwa-
gen, in ihm dahinschreiten zu können."77
Eine solche "entschiedene Umkehr von der subjektiven zur objektiven Wirklichkeit"
beobachtet Guardini etwa im Bereich der Kunst - als Beispiel nennt er den Kreis um
Stefan George1* -, aber auch im übrigen gesellschaftlichen, politischen und wirt-
schaftlichen Leben - hier wird vor allem die Jugendbewegung hervorgehoben79. Für
die Gegensatzphilosophie besonders bedeutsam ist der Hinweis auf die
"phänomenologische Philosophie", sowie auf "Bücher wie die 'Metaphysik der
Erkenntnis' des Marburger Philosophen Nicolai Hartmann"*0. Die Einbeziehung
Hartmanns, der sonst im Werk Guardinis keine großen Spuren hinterlassen hat,
geschieht wohl deswegen, weil mit ihm ein Vertreter des Neukantianismus die Gren-
zen des kant'schen Subjektivismus überschreitet.81 Gerade die Abkehr von Kant ist für
Guardini die Pointe des neuen Wirklichkeitsbewußtseins. Mochte die Jugend am
74
Gegensatz, 7.
75
Gegensätze, 18.
76
Sinn der Kirche, 24.
77
Sinn der Kirche, 23.
78
Vgl. LB 71 (in der späteren Fassung entfällt dieser zeitbezogene Hinweis; vgl. Liturgie 99).
79
Vgl.LB71f.
80
LB 70 (vgl. N. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin-Leipzig 1921).
81
Hartmann eröffnet seine "Metaphysik der Erkenntnis" mit dem Satz: "Die nachstehenden Untersuchun-
gen gehen von der Auffassung aus, daß Erkenntnis nicht ein Erschaffen, Erzeugen, oder Hervorbringen des
Gegenstandes ist, wie der Idealismus alten und neuen Fahrwassers uns belehren will, sondern ein Erfassen
von etwas, das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von ihr vorhanden ist" (vgl. Hirschberger, Philoso-
phie, II, 553).
86 Interesse am Leben

"Hohen Meißner" noch in Worten reden, "die kantisch klingen"; hinter ihnen stand
nach Guardini bereits eine völlig neue Haltung:
"Dieser Mensch lebt - seiner inneren Sinnrichtung nach - nicht mehr in der
'Erfahrungswelt' Kants. Er lebt elementar von seiner wirklichen Seele her, in
seinem wirklichen Leibe, mit den vorhandenen Dingen; er steht mit den tatsäch-
lichen Menschen zusammen, eingeordnet in eine wirkliche Welt, umfangen von
einer objektiven Ordnung des Seins und der Güter, und bezogen auf Gott, der
aller Wirklichkeit überwesentlicher Ursprung ist."82
In erster Linie ist es aber die Phänomenologie, die für Guardini die Abkehr von Kant
vollzogen hat. Hier geschieht nach ihm die Hinkehr vom "Subjektiven" zum
"Objektiven", zu den "Sachen selbst"; die Frage nach dem "Wesen" darf wieder
gestellt werden. Und da sie ihren Ausgang vom "Phänomen" nimmt, nicht von der
abstrakten "Idee", bedeutet sie gleichzeitig auch - gegenüber der klassischen Ontolo-
gie und Metaphysik - die Wendung vom Abstrakt- zum "Äb/t/:7-ef"-Objektiven. In den
einleitenden Überlegungen des Gegensatzbuches heißt es, schon dem mittelalterlichen
Denken habe das "Individuum" als "wissenschaftlich nicht faßbar", das "Lebendige" -
was auf dasselbe hinauslaufe - als "nicht aussprechbar", da mit "Begriffen" nicht
faßbar, gegolten. Das "rationalistisch-mechanistische Denken" habe daraus vollends
die einseitig-letzte Folgerung gezogen.
"Das Lebendig-Konkrete kann diesem Ausgangspunkt für den Weg ins
Abstrakte sein; Material, daraus die Formalien der Begriffe herauszulösen. Das
Lebendige selbst, als solches, bleibt ihm unzugänglich."83
In solchen Aussagen steckt - wenn wir vorläufig noch von den lebensphilosophischen
Anklängen absehen - die entschiedene Absicht, die phänomenologische Fragestellung
auf die Erkenntnis des Konkreten anzuwenden. Dies bestimmt denn auch die Anlage
des Buches: Ausgangspunkt ist jetzt nicht mehr, wie noch 1914, eine "Idee" des
Gegensatzes, sondern die Wirklichkeit selbst, und zwar in den ganz konkreten
Beobachtungen im eigenen Erleben, ja - noch konkreter - an sich selbst:
"Wenn wir auf uns, in uns schauen, so finden wir leibliche Gestalt, Glieder und
Organe, seelische Gebilde und Ordnungen; finden Vorgänge äußerer oder inne-
rer Art, Antriebe, Akte, Zustandsänderungen ..."84
Mit diesen Worten beginnt Guardini seine Ausführungen. Ähnlich setzt die Darstel-
lung der Gegensätze im Einzelnen ein: "Wir gehen von unserem menschlichen Seins-
bestand aus, wie er sich innerer und äußerer Erfahrung darbietet."85 Von hier aus
kommt dann ein erstes Gegensatzverhältnis, das "Dynamik" und "Statik" genannt
wird. Guardini setzt also nicht mehr - von der "Idee" her kommend - bei den
"transzendentalen" Gegensätzen ein, um von hier aus zu den "kategorischen" weiter-
zuschreiten, sondern er beginnt bei jenen Gegensätzen, die sich als "kategoriale" in
der konkreten Erfahrung als erste zeigen, und nennt auch hier zuerst die
"empirischen" Gegensätze, um erst dann zu den "transempirischen" und jetzt erst zu

82
LB71.
83
Gegensatz, 17.
84
Gegensatz, 15.
85
Gegensatz, 37.
Das Gegensatzdenken 87

den "transzendentalen" zu gelangen. Diese Vorgehensweise ist umständlicher, erfor-


dert mehr Wiederholungen und läßt das Gemeinte erst nach und nach präzisere
Konturen annehmen; aber es ist in Guardinis Sicht die einzige Methode, um
"Konkretes" angemessen zu beschreiben. Dieses nämlich läßt sich nicht in einen
einzelnen "Begriff fassen, sondern nur in gegensätzlichen Tendenzen, ja sogar erst
durch eine Vielzahl von einander "kreuzenden" Gegensätzen, ja in der "Reihung"
aller Gegensätze mit ihrer durch "Maß" und "Rhythmus" jeweils ganz spezifischen
Gestalt.

(2) Lebensphilosophie: Die Ganzheit des "Lebens"


Wir haben in der romantischen "Polarität" den entscheidenden Ansatzpunkt von
Guardinis Gegensatzdenken erkannt. Nun finden sich romantische Impulse nicht nur
bei Psychologen wie Weininger, im Expressionismus und in der Jugendbewegung; sie
wirken vielmehr gerade in der Lebensphilosophie weiter.86 Insofern knüpft Guardini,
wenn er lebensphilosophische Gedanken aufnimmt, noch einmal an die Tradition der
Romantik an. Diese kommt sogar nur noch in einigen Randbemerkungen zur Sprache;
das Gegensatzbuch selbst ist über weite Passagen eindeutig lebensphilosophisch
geprägt.
Inzwischen hatte ja Dilthey seine "verstehende Psychologie" zu einer lebensphilo-
sophischen "Hermeneutik" weiterentwickelt (vgl. Kap. I,2,b,aa). Auch Max Scheler
verband die phänomenologische "Wende zum Objekt" mit den Anstößen der Lebens-
philosophie und berief sich neben Nietzsche und Bergson ausdrücklich auf Dilthey.87
Mit Scheler aber stand wiederum Guardini seit dem Frühjahr 1919 in Verbindung,
nachdem jener sich ausdrücklich für die "Arbeit über Lebensgegensätzlichkeiten"
interessiert und den Wunsch nach einem Gespräch darüber geäußert hatte.88 Freilich
ist es wohl nicht nötig, krampfhaft nach einer direkten Anknüpfung Guardinis an
Dilthey oder Scheler zu suchen; im Gegensatzbuch von 1925 kommt der Name Dilt-
heys überhaupt nicht, der Schelers nur am Rande vor.89 Die Bezüge auf die Gegen-
satzlehre der Romantik und die "Wissenschaftslehre Goethes",90 auf die Dialektik

86
Vgl. dazu Beyerwaltes/Menne, Gegensatz, 116.
87
Vgl. Scheler, Philosophie des Lebens, 339.
88
Vgl. M. Scheler, Brief an Romano Guardini vom 4. Juli 1919 aus Köln (Stabi); zit. bei Gerl, Guardini,
109. Liegt dabei der Feststellung Schelers, Guardini habe seine Gegensatzlehre bereits J. Rickert vorgelegt
(gemeint ist wohl Heinrich Rickert, der Neukantianer aus Heidelberg, der von Scheler in einem Atemzug mit
seinem Kollegen Wilhelm Windelband genannt wird), um eine Fehlinformation? Auch die andere Bemer-
kung, Guardini sei durch Windelband und Rickert in seinen Werken "vielfach bestimmt", gibt Rätsel auf.
Scheler kannte Guardinis Ausführungen über den "Primat des Logos über das Ethos", aus denen eine solche
Abhängigkeit freilich nicht herauszulesen sein dürfte. Kannte er auch den Aufsatz "Zum Begriff der Ehre
Gottes"? In diesem Fall könnte es sich um eine falsche Auslegung einer Passage handeln, in der Guardini
"Sein" und "Gelten" gegenüberstellt (vgl. v. a. 66-88). Vgl. die Kritik Schelers an dem Versuch Rickerts, im
Anschluß an Fichte dem "Sollen" und der "Pflicht" Vorrang vor dem "Sein" einzuräumen, z. B. in: Vom Ewi-
gen, 75f.
89
Zu Scheler vgl. Gegensatz, Anm. 33, 147f., hier 148; ebd., 66. Hier geht es allerdings um die anthropo-
logische Fragestellung, im zweiten Zitat um den "Typus des neuzeitlichen Unternehmers", den Scheler und
Werner Sombart zeichneten.
90
Gegensatz, 25, ferner 45, 50,91,154.
88 Interesse am Leben
Hegels,91 sowie auf Georg Simmel92 und Hans Driesch93 sind ausreichende Belege
dafür, daß auch Guardini inzwischen tief in die von der Lebensphilosophie erschlos-
sene Gedankenwelt eingedrungen war.94 Darum sprach er jetzt auch nicht mehr ein-
fach vom "Konkreten", sondern gezielter vom "Lebendig-Konkreten" und fügte ein
eigenes Kapitel unter dem Titel "Das Gegensatzsystem und das Leben"95 ein, in dem
er das Gegensatzsystem auf die organische Wirklichkeit anzuwenden versuchte.
Aber schon von Beginn seines Buches an beschränkt sich Guardini auf die Wirk-
lichkeit des "Lebendigen", auch wenn er nicht ausschließt - 1914 war er sich in dieser
Hinsicht noch sicherer (s. o.) -, daß die Gegensätzlichkeit jeder Weise des
"Konkreten" zukommt.96 Besonders dort, wo vom "Inneren" die Rede ist (s. o.), wird
die Konzentration auf das Lebendige deutlich. Zwar wird auch dem "Körperlichen"
ein "Innen" zugeschrieben; aber am entscheidenden Punkt ist doch nur noch das
Phänomen des Organischen im Blick:
"Lebender Akt ist so geartet, daß er seiner ganzen Struktur nach auf ein Innen
weist. Jeder lebendige Akt zeigt sich als etwas, das aus einem Innen hervor-
geht."97
Es ist kein Zufall, daß Guardini an dieser Stelle auf den Entelechie-Begnff Hans
Drieschs verweist98 und dessen Abgrenzung zwischen Maschine und Organismus
deutlich aufgreift.99 Dort, wo dann die drei "Untergangszonen" in den Blick kommen,
wird noch einmal deutlich, daß Guardini sich im Bereich des "Lebendigen" bewegt;
nur hier nämlich erscheint es sinnvoll, das Aufhören von "Spannung" als "Tod" und
"Untergang" zu beschreiben. Schließlich wird in dem Abschnitt, der ausdrücklich
vom "Leben" handelt, das Phänomen der Gegensätzlichkeit als besonderes Charakte-
ristikum des Lebendigen bestimmt - und zwar im Hinblick auf die Art und Weise, wie
sich in diesem Wirklichkeitsbereich "Einheit" ereignet:
"Es wäre also ganz falsch, von einer mechanistischen Einheitsvorstellung oder
vom Maßstab logischer Einsinnigkeit auszugehen und zu bezweifeln, ob eine
Einheit, wie sie soeben beschrieben wurde, möglich sei. Wir haben die Wirk-
lichkeit zu befragen. Sie antwortet uns, daß unter den verschiedenen Formen der

y
' Vgl. Gegensatz, Anm. 11,45.
92
Vgl. Gegensatz, Anm. 7, 39 und Anm. 22, 76.
93
Vgl. Gegensatz, Anm. 17, 58f., sowie 64 (mit Anm. 19, ebd.).
94
Daher wird Guardinis Gegensatzlehre teilweise direkt als "Lebensphilosophie" apostrophiert; vgl. etwa
Beyerwaltes/Menne, Gegensatz, 116f.
95
Vgl. Gegensatz, 143-162.
96
Vgl. Gegensatz, 30.
97
Gegensatz, 58.
98
"Akt- und Bau-Ganzes des Lebendigen sind nicht nur Ergebnisse chemischer oder physikalischer Vor-
gänge, sondern jedes lebendige Sein und Geschehen steht unter einem wirkenden Plan. Dieser äußert sich so,
daß er als von seiner Verwirklichung in Einzelnen unabhängig erscheint. Seine Äußerungen sind derart, als
wäre er in sich vorher da, und triebe Akt wie Struktur des Lebendigen auf deren Verwirklichung hin. Er selbst
ist nicht empirisch zu fassen, steht jenseits der Erfahrung. Aber alles Erfahrbare weistauf ihn hin, als auf die
Ursache, von der her sie geleitet und geformt wird" (Gegensatz, Anm. 17, 58f.; vgl. Driesch, Philosophie des
Organischen).
99
"'Maschine' ist geordnete Folge von Effekten. ... Der lebendige Akt hingegen enthält wohl auch den
maschinellen Apparat, darüber hinaus aber Ursprung und Urspringendes. Das heißt: seine Wirkung verläuft
von Innen her. Das ganze Aktwesen des Lebens zeigt sich so geartet, daß er auf ein transempirisches Zentrum
weist" (Gegensatz, 58; vgl. dazu Driesch, Philosophie des Organischen, 130-134; 219f.; 379f. u. ö ) .
Das Gegensatzdenken 89

Einheit, neben der mechanischen, neben der logischen, neben der zweckhaft
organisatorischen, es auch noch eine andere gebe, nämlich die spezifische Form
der lebendigen Einheit. Deren Wesen aber besteht darin, Einheit von Gegensät-
zen zu sein."100
Aber nicht nur in der Konzentration auf das "Lebendige" zeigt sich der Einfluß
lebensphilosophischer Gedanken. Guardini greift diese auch dort auf, wo es darum
geht, die einzelnen Gegensatzpaare näher zu beschreiben. Dabei reicht das benutzte
Material allerdings nur zur Beschreibung jeweils einer Gegensatzseite - und zwar
jener, die der Reihe "Akt-Fülle-Einzelheit-Produktion-Ursprünglichkeit-Immanenz-
Ähnlichkeit-Zusammenhang" zugeordnet werden kann. So kann auf Georg Simmel
verwiesen werden, wo es um die Erfahrung der "Fülle" geht: "Wir erfahren das Leben
als Strom. Die Form des Strömens gehört zur Erlebnisweise unseres Daseins."101 Die
Erfahrung der "Form" bezeichnet Guardini mit Nietzsches Begriff des
"Apollinischen", um dann mit demselben das typisch "lebensphilosophische" (hier
allerdings nicht ausdrücklich als "dionysisch" bezeichnete) Empfinden dagegenzuset-
zen:
"Hier setzt die Gegensatzrichtung in der Selbsterfahrung des Lebens ein. Darin
erfaßt es sich als etwas, was gerade nicht Form ist. Jenes Etwas, das quillt,
strömt, sich weitet. Jenes Etwas, das Form flieht, löst, sprengt. Da ist Leben das
'Formlose und Weiselose'."102
Aber auch ohne Bezug auf einzelne Autoren knüpft Guardini bei der Beschreibung
von "Fülle" und "Dynamik", von "Produktion" und "Ursprünglichkeit", sowie bei den
anderen, zur selben "Reihe" gehörenden Momenten an die in der Lebensphilosophie
üblichen Darstellungen an.
Freilich liegt gerade darin auch die entscheidende Differenz: Das, was die Lebens-
philosophie mit "Leben" gemeint hatte, ist für Guardini nur die eine Seite des Ganzen.
Die "Gegensätzlichkeit" ist nicht ein Phänomen innerhalb der etwa als "Fülle"
beschriebenen Wirklichkeit des Lebens; es handelt sich vielmehr um das Verhältnis
zu anderen Momenten, die nicht einfach dem Nicht-Lebendigen zugeordnet werden
dürfen, sondern in das Lebendige selbst integriert sind: "Bau", "Form" und
"Ganzheit", "Disposition", "Regel" und "Transzendenz", "Besonderung" und
"Gliederung". Zu ihrer Beschreibung greift Guardini, ohne direkten Bezug auf
bestimmte Richtungen, auf Formulierungen der klassischen Philosophie zurück bzw.
wendet die bei den Lebensphilosophen negativ belasteten Sachverhalte ins Positi-
ve. 103
"Damit lebendige Fülle sein und gedacht werden könne - und Leben unterschei-
det sich nicht nur von formaler Starre, sondern auch von füllhaftem Chaos; denn

100
Gegensatz, 155f.
101
Gegensatz, 39. Dazu Anm. 7, ebd.: "Dazu, wie überhaupt zu diesen Fragen hat sehr Tiefes und Feines
Georg Simmel gesagt...". Vgl. G. Simmel, Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und
die Krise der Moderne, 2., verm. Aufl., Potsdam 1923; ders., Lebensanschauung, München 1918. - Guardini
vermerkt an anderer Stelle auch Simmeis Bemerkungen zur "Transzendenz des Lebens" in: ders., Lebensan-
schauung, 1-27 (vgl. Gegensatz, Anm. 22,76).
102
Gegensatz, 47. Hervorhebung von mir.
103 V g] j ^ y nochmals Nietzsches Begriff des "Apollinischen" (s. o.).
90 Interesse am Leben

auch Chaos ist Tod! - muß sie wenigstens ein Mindestmaß von Form haben; ein
Mindestmaß von Entschiedenheit, Eindeutigkeit, Benennbarkeit."104
"Das Leben umfaßt immer beide Seiten der Gegensätze. Nie kann es nur aus
einem hervorgehen. Immer ist beides; freilich in stets neuem Maße."105
Wenn Guardini nach der Beschreibung der "transempirischen" Gegensätze den
Begriff des "Inneren" durch den des "Äußeren" ergänzen möchte (s. o.), so kann auch
das als Korrektur lebensphilosophischer Einseitigkeit begriffen werden. Denn wäh-
rend sich die Momente der "Produktion" und "Ursprünglichkeit" eher ein "Innen"
voraussetzen, verweisen "Disposition" und "Regel" auf ein "Außen", von dem aus
Überblick und Ordnung geschaffen werden können.
Die entscheidende Korrektur erfolgt jedoch dort, wo Guardini nach "Wert und
Stellung der Gegensätze im Lebensganzen" fragt.106 Hier wird zunächst einmal fest-
gehalten, daß keine der beiden Reihen als "höherwertig" verstanden werden darf, wie
es etwa in der abendländischen Geistesgeschichte mit der "Form-Reihe" geschehen
sei ("Form" = "Geist"). Vielmehr gehören beide gleichwesentlich zum Phänomen des
Lebendig-Konkreten, und keine von beiden darf auf Kosten der Anderen ausgeschlos-
sen werden. Das, was mit "Wert" gemeint sei, liege außerhalb des Gegensatzsystems;
es verweise letztlich auf Gott, den eigentlichen "Wert" des Menschen. "Und was auf
den Wert bezogen steht, ist nicht die Formkraft, sondern das lebendige Ganze des
Menschen, die konkrete Einheit."107 Anders verhalte es sich aber in Bezug auf die
"Stellung" der beiden "Reihen" innerhalb des Lebensganzen. Diese sei nämlich durch-
aus unterschiedlich, und hier gebühre der "Form"-Reihe durchaus die Priorität - im
Hinblick auf "Repräsentation, Führung, Überordnung im soziologischen wie kulturel-
len Ganzen des Lebens".
"Nicht, weil sie mehr 'wert' wäre, sondern weil es im Gesamten des Lebens
verschiedene Funktionen gibt, beide gleich wert- und bedeutungsvoll, deren eine
eben die repräsentativ-führende ist."108
Auf diese Weise verbindet Guardini klassische philosophische Positionen mit den
neuen Beiträgen der Lebensphilosophie. Hinter deren Entdeckung der "Fülle", der
"Dynamik", der "Ursprünglichkeit" usw. möchte er in keinem Fall zurück. Aber
gleichzeitig will er die bleibende Bedeutung des "Formenden", "Statischen",
"Regelnden" usw. sichern. Indem er freilich beide Seiten als wertmäßig gleichrangige
Momente des "Lebens" beschreibt, bleibt am Ende doch die lebensphilosophische
Blickrichtung (in die die andere integriert ist) bestimmend.

(3) Kierkegaard: Die Grenzen des "Gegensatzes "


Während sich die Korrektur an den Einseitigkeiten der Lebensphilosophie noch
innerhalb der Gegensätzlichkeit des Lebens selbst bewegt, tritt eine andere dem
Anspruch des Lebens selbst gegenüber. Schon oben haben wir festgestellt, daß nach

104
Gegensatz, 48f.
105
Gegensatz, 158.
106
Vgl. Gegensatz, 120-123.
107
Gegensatz, 122.
108
Gegensatz, 123.
Das Gegensatzdenken 91

Guardini nicht alle Gegenüberstellungen und Unterschiede innerhalb der Wirklichkeit


auf "Gegensätze" im engeren Sinne des Wortes zurückgeführt werden dürfen. Dies
war vor allem gegenüber der romantischen Polarität festzustellen, deren Grundansatz
Guardini zwar aufnahm, deren Konsequenzen er aber nicht befürwortete. An diesen
Stellen kommt daher auch der dänische Schriftsteller, Philosoph und Theologe Sören
Kierkegaard zum Zuge, der sich zu seiner Zeit entschieden gegen die romantische
"Aufhebung der Wesensunterschiede", vor allem aber gegen die Mediationsdialektik
Hegels gewandt hatte. Guardini gibt ihm hierin ausdrücklich recht und erwähnt posi-
tiv Kierkegaards Forderung der "qualitativen Dialektik".109 Damit bezieht er sich
noch einmal auf eine geistige Tradition, die nach dem Ersten Weltkrieg - fast gegen-
läufig zur lebensphilosophischen Tendenz - immer mehr an Bedeutung gewann (vgl.
Kap. I,2,b,bb).
Allerdings ist die Bezugnahme auf Kierkegaard im Gegensatzbuch noch sehr
marginal. Wenige Jahre später hat dieser bereits eine viel größere Bedeutung gewon-
nen.110 Dort stellt unser Autor dann fest, daß Kierkegaard selbst von der Romantik,
die er kritisiert, herkommt, sie aber gerade deswegen überwinden will.111
"Das Chaos des romantischen Ich will Kierkegaard dadurch überwinden, daß er
alles auf die eine Forderung setzt, zum wirklichen Selbst zu stehen: Das zu
sehen, was ist; das auf sich zu nehmen, was ist; zur vollen Wahrhaftigkeit,
Deutlichkeit, Durchsichtigkeit durchzudringen vor dem absoluten Maßstab."112
Eindeutigkeit, qualitative Unterscheidung, personale Entscheidung zwischen Wahr
und Falsch, Gut und Böse: Das sind Forderungen, die Guardini an Kierkegaard immer
schätzen wird, und deren Gewicht auch im Gegensatzbuch bereits durchschimmern,
zum Beispiel in der Abhebung des "Personalen" vom Geltungsbereich des Gegensatz-
systems.113 Allerdings kritisiert Guardini auch einen "extremen Personalismus", der
das Personale ganz "vom Gesamtbestand des Menschlich-Lebendigen isoliert".114
Kierkegaard bekommt recht in seinem Protest gegen die Auflösung personaler Eigen-
ständigkeit in eine allgemeine "Polarität" oder in eine geschichtliche "Dialektik".
Aber Guardini folgt ihm nicht mehr, wenn auch in seinem Werk echte "Gegensätze"
mit "Widersprüchen" verwechselt und aus diesem Grund - von der gegenteiligen Seite
her - jede "Polarität" des Lebendigen zugunsten einer qualitativen Entscheidungssi-
tuation geleugnet wird.115 Nicht in jedem Fall müsse qualitative Andersheit "in ein
absolut Anderes" hinüberführen, sondern - im Bereich des Lebendig-Konkreten -
lediglich in ein "Gefordert-Anders", ein "Verwandt-Verschiedenes". Hier liege der
Fehler der "tragizistischen Haltung", auch der Kierkegaards.116

Vgl. Gegensatz, Anm. 11,45.


Vgl. v. a. Ausgangspunkt (1927); Schwermut (1928).
Vgl. Ausgangspunkt, 482-485.
Ausgangspunkt, 490.
Vgl. Gegensatz, Anm. 36, 150f.
Gegensatz, Anm. 36, 150f., hier 151.
Vgl. dazu Wucherer-Huldenfeld, Gegensatzphilosophie 1953/1968, 70-73
Gegensatz, 50 mit Anm. 15.
92 Interesse am Leben

Die Rolle Kierkegaards bzw. des "qualitativen" Denkens, wie Guardini es späte-
stens seit 1922 in theologischer Hinsicht durch Karl Barth vermittelt wurde,117 darf
freilich schon im Gegensatzbuch nicht übersehen werden, verhindert doch gerade sie
die Verabsolutierung des Gegensatzsystems zugunsten einer Begrenzung auf den
Bereich des Lebendigen. In jedem Fall ist es nicht zufällig, daß für Guardini in den
nächsten Jahren, in denen er immer deutlicher auf Kierkegaards Spur wandelt, die
Beschäftigung mit dem Gegensatzdenken zurücktritt. Nun wird auch die menschliche
Personalität wichtiger als eine Phänomenologie des Konkret-Lebendigen als solches,
auch wenn diese in der anthropologischen Fragestellung nie aus den Augen verloren
wird.118

(4) Anthropologie: Die Existenz des Menschen


Auch wenn die direkte anthropologische Fragestellung erst später einsetzt, durchzieht
sie doch bereits die Darstellung der Gegensatzphilosophie ("Wenn wir auf uns, in uns
schauen .,." 119 ). So heißt es ausdrücklich:
"Die ganze Gegensatzidee ist vom Menschen her gemeint. Ihre Gültigkeit reicht
ja an sich jedenfalls über das Menschliche hinaus; umfaßt alles, was 'lebendig'
ist, Tier und Pflanze. In bestimmter Weise vielleicht alles, was 'Ding' heißt. Von
dieser weiteren Bedeutung aber, die genauer bestimmt werden müßte, sehe ich
hier ganz ab. Ich spreche ausschließlich von dem, was ich in mir und in
meinesgleichen erfahre. Der Gegensatz ist Weise menschlichen Lebens."120
Gewiß weiß Guardini, daß in einer vollständigen Anthropologie auch über den
"Unterschied von Geist und Stoff als seiender Substanzen", oder innerhalb des Geisti-
gen über den Unterschied zwischen bloß "vorgang- und strukturschaffenden Geistwir-
kungen", "wissend-frei wertverwirklichenden Akten" und vor allem solchen Akten,
"darin Person zu Person in Beziehung tritt, selbstgehörige Innerlichkeit, würdetra-
gende Eigenständigkeit zu ebensolcher"121 gehandelt werden müßte. Aber er beharrt
umgekehrt darauf, daß zu einer Lehre über den Menschen wesentlich auch die Beach-
tung seiner "Lebendigkeit" gehört:
"Ich weiß im Menschen von keinem 'rein geistigen' Akt. Alles, was ich vorfinde,
ist von vornherein und konstitutiv geist-leiblich, das heißt, menschlich."122
"Ferner: wir mögen den Unterschied etwa zwischen einem Urteilsakt auf der
einen Seite, und einer Triebregung auf der anderen noch so groß sehen, die
Wesensgehalte noch so grundsätzlich scheiden; beiden Vorgängen wird doch
immer eines gemeinsam sein: Eben die Lebendigkeit."123
Die Gegensatzlehre wird so doch (gegen Kierkegaard) zu einem ersten Baustein
einer künftigen Anthropologie erklärt. Auch das Sprechen von "Personalität" und

11
' Vgl. dazu Mercker, Weltanschauung, 103; ferner unten in Kap. IV,3,b,aa.
118
Vgl. v. a. Sozialwissenschaft und Ordnung unter Personen (1926); Welt und Person (1939); hier v. a
in der Phänomenologie der "Innerlichkeit" (WP 51-59) und der "Personalität" (WP 110-131).
119
Gegensatz, 15. Mit diesen Worten beginnt Guardini seine Ausführungen!
120
Gegensatz, 146.
121
Gegensatz, 146f.
122
Gegensatz, 147.
123
Gegensatz, 149f.
Das Gegensatzdenken 93

"Geist" darf nicht von der konkreten "Existenz" abstrahieren, um die es der Gegen-
satzlehre gegangen ist. Guardini fügt sich mit dieser Feststellung nicht nur in die zeit-
genössischen Ansätze einer philosophischen Anthropologie ein - man vergleiche vor
allem Schelers Abhandlung über die "Stellung des Menschen im Kosmos", aber auch
die entstehende "Existenzphilosophie" und "Daseinsanalytik"! -; er bestätigt noch
einmal das eigene persönliche Interesse, aus dem sein Gegensatzdenken hervorgegan-
gen war - das "Verstehen" des Menschen und seiner "Weltanschauungen".

(5) Kultur und Gemeinschaft


Eingangs ist das Gegensatzdenken vorausgreifend als fundamentaler Beitrag zum
Verstehen der Kultur bezeichnet worden. Dies kann jetzt, nach der Darstellung der
anthropologischen Dimension, als bestätigt gelten, und zwar insofern es sich bei der
Wirklichkeit der "Kultur" um einen Teilaspekt der "Lebendigkeit" des Menschen
handelt.
Freilich ist auch "Kultur" ein "geistiges", nicht nur ein "lebendig-konkretes"
Phänomen (vgl. dazu IV,2); aber so wenig eine Reflexion über "Geist" bzw. "Person"
von der konkreten Existenz abstrahieren kann, so wenig auch eine Betrachtung der
Kultur von deren konkret-lebendiger Realisierung. Diese aber wäre nach den Ausfüh-
rungen im Gegensatzbuch als eine auf polarer Spannungseinheit aufgebaute Vielfalt
zu bestimmen, in der es keine Verabsolutierung eines einzigen Pols geben darf.
Guardini hat die Tendenz zu solcher Vereinseitigung etwa in der abendländischen
Kultur mit ihrer Vernachlässigung der "Fülle" und der Abwertung der Frau am Werk
gesehen.124 Gerade gegenüber allen Formen kultureller Enge kann die Gegensatzidee
zum hilfreichen "Heuristikum" und "Regulator" werden, "um die Fehlerquellen der
individuellen Einstellung zu überwinden"125 und eine Offenheit für das Ganze zu
schaffen,126 damit aber auch die Basis für eine Verständigung über die noch beste-
henden Grenzen einzelner Kulturen und Völker hinweg - in der Hoffnung auf eine
kommende "eine" Welt, deren Einheit freilich nicht langweilige Uniformität bedeutet,
sondern lebendige Vielfalt bleibt.
Guardini hat diese kultur(en)-theoretischen Implikationen freilich nicht im einzel-
nen entfaltet - jedenfalls nicht direkt und nicht im Gegensatzbuch (vgl. jedoch die
Ausführungen unten in Kapitel IV,2,b,cc). Der Leser erkennt aber deutlich nicht nur
das kulturkritische Potential der Gegensatzidee; er entdeckt in den unterschiedlichen
"Gattungen" von Gegensätzen bereits die Bausteine einer künftigen Kulturphiloso-
phie. In einer solchen entsprächen die intraempirischen Gegensätze wohl eher den
Ergebnissen menschlichen Schaffens ("objektive" Kultur in der Spannungseinheit von
"Form" und "Fülle", "Akt" und "Bau", "Einzelheit" und "Ganzheit"), während die
transempirischen sich auf den zugrundeliegenden Akt ("subjektive" Kultur in der

124
Vgl. Gegensatz, 121f.
125
Gegensatz, 196.
126
Vgl. Gegensatz, 205f.
94 Interesse am Leben

Spannungseinheit von "Produktion" und "Disposition", "Ursprünglichkeit" und


"Regel", "Immanenz" und "Transzendenz") bezögen.127
Die transzendentalen Gegensätze schließlich verwiesen auf "Grundtendenzen
wesenhafter Kulturarbeit"128 (in der Spannungseinheit von "Verwandtschaft" und
"Besonderung", "Einheit" und "Mannigfaltigkeit"), die sich gerade in einer fundamen-
talen Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Geistesgeschichte bewähren könnten.
Denn die Forderung nach "Autonomie" trägt ja der Tendenz zur "Besonderung" Rech-
nung, in der Guardini durchaus etwas Unverzichtbares, weil zur konkreten Lebendig-
keit Gehöriges, erblickt. Sie sorge nämlich dafür, daß Wissenschaft nicht einfach in
Kunst übergehe, "Politik sich nicht mit Religion vermische, moralische Fragen nicht
durch wirtschaftliche Erwägungen gelöst werden."129 Die notwendige Eigenständig-
keit unterschiedlicher Kulturbereiche dürfe jedoch nicht zum "Autonomismus"130
übersteigert werden, sondern brauche immer auch die entgegengesetzte Tendenz, in
der die qualitative Verwandtschaft allen geistigen Lebens zur Geltung komme.131
Unter den Phänomenen der Kultur hebt Guardini im Gegensatzbuch noch beson-
ders das menschliche Gemeinschaftsleben hervor - freilich gerade um hieran auch die
Gefahren eines isolierten Gegensatzdenkens aufzuzeigen. Die Erfahrung von
"Gemeinschaft" gehörte zu den prägendsten Merkmalen der Jugendbewegung - auch
der katholischen -, und Guardini hat sie in ihrer Bedeutung für das neuerwachte
Kirchenbewußtsein früh gewürdigt.132 Unmittelbar nach Erscheinen des Gegensatz-
buches wird er Reflexionen über die Sozialbeziehungen und die Bedeutung ihrer
wissenschaftlichen Reflexion in der Sozialwissenschaft vorlegen.133 Dabei wird das
Gemeinschaftsleben bereits von der Wirklichkeit des "Personalen" her interpretiert,
die nach dem bereits Gesagten aber außerhalb des von der Gegensatzphilosophie
abgeschrittenen Feldes liegt. 1925 vertritt Guardini noch die Auffassung, aus dem
System der Gegensätze, das er vorstelle, lasse sich auch "die Grundformel einer
enantiologischen Soziologie"134 gewinnen. Menschliche Gemeinschaft geht demnach
aus der Verknüpfung einzelner individueller Gegensatzeinheiten zu höheren Einheiten
hervor:

12/
Vgl. etwa Gegensatz, 62f in Bezug auf "Produktion" und "Disposition": Schaffendes Leben gehe aus
einem unableitbaren Ursprung hervor, setze jedoch immer auch bereits Vorhandenes voraus; ein Künstler,
Dichter oder Politiker müsse (Goethe habe das gewußt) die umgebende Wirklichkeit erfassen, um sie in den
Bereich seines Schaffens hereinzuziehen.
128
Gegensatz, 84.
129
Gegensatz, 84.
130
Vgl. Gegensatz, 86.
131 vgl. Gegensatz, 82f. (mit dem Hinweis auf die entgegengesetzte Gefahr eines "monistischen" Weltan-
schauungstyps!). Ähnliches gilt in "struktiver" Hinsicht für die Gegensätzlichkeit von Einheit" und
"Mannigfaltigkeit" (vgl. ebd., 86-88).
132
Vgl. Sinn der Kirche, 24-31, sowie 80-%; LB 53-61 [68-78]. Näheres unten in Abschnitt 3.
133 yg] Sozialwissenschaft (1926); Gefährdung (1926). In diesen Zusammenhang gehören auch die Bei-
träge zu politischen Fragen: Politische Bildung (1926), Politische Wirklichkeit (1924) u. a. Zum Ganzen
Näheres unter IV,l,c,cc.
134
Gegensatz, 128. Vgl. dazu Hermanns, Romano Guardini und die Soziologie, bes. 72-74.
Das Gegensatzdenken 95

"Jedes Gegensatzsystem enthält einen Überschuß an nicht von innen gebundener


Gegensatzkraft. Dieser Überschuß öffnet einen Weg aus der in sich stehenden
Haltung nach außen; aus der Individuaisteilung in die Verknüpfung."135
Schon hier verweist Guardini aber auch schon auf die Gefahr, die in einer solcher
Herleitung lauert. Wenn menschliche Gemeinschaft nämlich nur ein Gegensatzsystem
höherer Ordnung ist, dann erscheinen ihre konkreten Formen leicht als Ersatz für die
lebendige Individualität des einzelnen Menschen. So benehme sich etwa der Staat wie
ein "Organismus, der sich aufbaut und die Zelle als Aufbaumoment behandelt"136. Es
bedürfe "einer ganz besonderen sittlichen Klärung, Bildung, ja sogar eines Durch-
bruchs (!)", um diese "naturhaft-blinde Selbstsucht der übergeordneten Gebilde zu
überwinden."137 Eine solche Klärung ergebe aber, daß das verwickelte Gewebe der
gegensätzlichen Bindungen, das im Gegensatzbuch aufgezeigt wird, von der eigent-
lich personalen Gemeinschaft nur das Gerüst, genauer: ein Gerüst darstelle.
"Die eigentliche Gemeinschaftsknüpfung geschieht von einem ganz andern
Mittelpunkt her: aus der personalen Hingabe und Treue. Diese wird von den
beschriebenen gegensätzlichen Wirkungen überall umwirkt, steht aber selbst
über ihnen."138
Von der Wirklichkeit der Person her ist also die Beschreibung des menschlichen
Gemeinschaftslebens - und dementsprechend das kulturelle Leben insgesamt - immer
auch über die Ebene der Gegensatzphilosophie hinausgehoben. Freilich gilt zugleich -
analog zur anthropologischen Fragestellung -, daß weder von Kultur noch von
Gemeinschaft angemessen geredet werden kann, wo nur von einer abstrakten Idee,
nicht aber von der konkreten Erfahrungswirklichkeit menschlichen Lebens ausgegan-
gen wird. Dazu will Guardini mit seiner Gegensatztypologie einen Beitrag leisten.

(6) Erkenntnistheorie: "Anschauung " des "Lebendig-Konkreten "


Die Wende zum "Objekt", die Konzentration auf das "Lebendige" in seiner konkreten
Gegensätzlichkeit und die Priorität der menschlichen Existenz bzw. Lebendigkeit
unter Einschluß seiner kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten, sowie ansatzweise auch
die Hinweise auf Kierkegaard, sind wichtige Schritte, durch die Guardini in engem
Kontakt mit neuen philosophischen Denkansätzen seiner Zeit (Phänomenologie,
Lebensphilosophie, Anthropologie, Existenzphilosophie, Personalismus) sein Gegen-
satzdenken "deutlicher um das Problem des Konkreten gesammelt"139 hat. Das Inter-
esse für das "Konkrete" hat aber noch eine letzte, erkenntnistheoretische Relevanz,
die bei der Lektüre des Gegensatzbuches sogar als erste ins Auge springt. Ausgangs-
punkt ist hier nämlich nicht einfach das Konkret-Lebendige als solches, sondern wie
dieses "erkennend gefaßt werden könne" 140 .

135
Gegensatz, 129.
136
Gegensatz, 137.
137
Gegensatz, 138.
138
Gegensatz, 136.
139
Gegensatz, 7; s. o.
140
Vgl. Gegensatz, 15-24, bes. 15 (Überschrift!).
96 Interesse am Leben

Die Erprobung der klassischen Erkenntnistheorie fällt dabei im Blick auf das
Konkrete negativ aus; sowohl Mittelalter wie Neuzeit seien durch ihre Konzentration
auf den abstrahierenden "Begriff am Individuellen und Lebendigen gerade vorbeige-
gangen.141 Diese Einseitigkeit habe dann aber die entgegengesetzte Haltung provo-
ziert, die das Lebendig-Konkrete dem "rationalistischen Wissenschaftsverfahren"
entzogen und einem besonderen Erkenntnisorgan zugewiesen habe - dem
"irrationalen Erkennen". An die Stelle des Berührens und Greifens trete hier ein
"Schauen", an die Stelle des Begriffs die "geistige Anschauung".142 Diese andere
Erkenntnistheorie stehe nun zwar dem Konkret-Lebendigen näher; solange sie jedoch
zum rationalen Erkennen in Widerspruch gestellt werde, "haben jene Erkenntnisvor-
gänge für die Wissenschaft nur die Bedeutung von psychologischen oder denkge-
schichtlichen Erscheinungen. Als Erkenntnisquellen hingegen, als 'gebende Akte'
bleiben sie wertlos."143 So stellt sich Guardini an dieser Stelle die Frage, ob die
beiden geschilderten, in der Geistesgeschichte je für sich einseitig übersteigerten
Ansätze nicht miteinander verbunden werden könnten, ja ob nicht nur in dieser
Verbundenheit das Konkret-Lebendige überhaupt erkennend gefaßt werden könne.
Noch im Mittelalter sei ja immerhin abstrahierende Begriffsbildung mit lebensnaher
"Intuition" vereinbar gewesen; erst im Laufe der Neuzeit, im Zuge der "Sonderung
und Eigenbegründung" der Lebensbereiche überhaupt, sei der Begriff in "kritischer
Reinheit" von der Intuition abgegrenzt worden.144
"So entstand der moderne, spezifisch 'begriffliche Begriff, der seinen Vollkom-
menheitsmaßstab an der mathematischen Formel hat. Er unterscheidet sich vom
früheren 'lebendigen Begriff in entsprechender Weise, wie die moderne, spezi-
fisch 'intuitive Intuition' von der früheren, gedankennahen, und durch den
Gedanken erhellten."145
Umgekehrt müßte es daher durchaus möglich sein, den für die Erkenntnis des
Konkret-Lebendigen unverzichtbaren Akt der "Intuition" unangetastet zu lassen, "ihm
aber durch eindeutige, wissenschaftlich geschärfte Begriffe den Weg vorzuschrei-
ben"146. Indem nun die Tatsache der Gegensätzlichkeit als Konstitutivum aller
lebendig-konkreten Phänomene erscheint, wie Guardini im Hauptteil seines Werkes
aufzeigt, läßt sich mit ihrer Hilfe auch der dem Konkreten angemessene Erkenntnisakt
selbst angemessener bestimmen. Auch dieser nämlich ist ein lebendig-konkreter Akt
und als solcher gegensätzlich strukturiert, und zwar so, daß "Begriff und "Intuition" -
ersterer der "Form"-, letzterer der "Fülle"-Reihe zugeordnet - die beiden Gegensatz-
seiten bilden.147
So kommt Guardini nach der Darstellung des Gegensatzsystems selbst und seiner
Anwendung auf das Leben noch einmal auf das "Erkenntnisproblem des Konkreten"

141
Vgl. Gegensatz, 17f.
142
Vgl. Gegensatz, 18f.
143
Gegensatz, 19f.
144
Vgl. Gegensatz, 22-24.
145
Gegensatz, 23.
146
Gegensatz, 24.
147
Vgl. Gegensatz, 165-173, bes. 171f.
Das Gegensatzdenken 97

zurück, um es abschließend zu beantworten.148 Schon in der Vorbemerkung hatte er


angedeutet, daß diese Zuspitzung dem Ganzen auch schaden könne. Er begründet
daher seine Entscheidung mit einer aktuellen Dringlichkeit:
"An sich ist jene Idee von diesen noetischen Fragestellungen und Lösungsversu-
chen durchaus unabhängig. Allein sie gewinnt durch solche Verbindung an
lebendigem Interesse; und da für uns die Frage nach der Bedeutung des Begriff-
lichen und Lebendigen in der Erkenntnis so drängt, da manche einseitige Theo-
rien verwirrend aufgetreten sind, so scheint jeder Versuch berechtigt, jenes
Problem in einer behutsamen, auf das Ganze achtenden Weise anzufassen."149
Es ist unverkennbar, daß Guardini auf die phänomenologischen und lebensphiloso-
phischen Ansätze anspielt, denen sein eigenes Denken so viel verdankt, deren Einsei-
tigkeiten er aber gerade in der Gegensatzphilosophie zurückweist. Erst in der
Erkenntnistheorie erreicht aber diese Korrektur ihre eigentliche Brisanz, und insofern
liegt auf diesem Gebiet das Schwergewicht von Guardinis Schrift, auch wenn sich
diese nicht einfach darauf reduzieren läßt.
Sowohl Bergson, als auch Dilthey und Simmel hatten anstelle des Begriffs die
"Intuition" ins Zentrum ihrer Erkenntnistheorie gestellt, weil sie allein der strömenden
Fülle des Lebendigen (s. o. Abschnitt [2])zu entsprechen schien . Dieser Terminus,
der eigentlich in die platonisch-augustinische Tradition zurückweist,150 erhielt in der
Lebensphilosophie einen betont anti-rationalen Charakter; die Theorie von der
"Intuition" wurde zum "Intuitionismus".151 Aber auch Husserls "Wesensschau"152
muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Max Scheler wandte sie zunächst im
ethischen Bereich an, wo gegenüber dem kant'schen "Formalismus" eine "materiale
Wertethik" entstehen und das "intentionale Wertfühlen" vom rationalen
"Wahrnehmen" grundlegend unterschieden werden sollte.153 Durch Scheler kam aber
der Intuitionsbegriff auch in der neueren katholischen Religionsphilosophie und
Theologie154 wieder zur Geltung und fand hier - als "unmittelbare" Erkenntnis im

\ Bayerische j
I Staatsbibliothek I
148
Vgl. Gegensatz, 163-184. l München 1
149
Gegensatz, 8.
150
Hirschberger hebt hervor, die Geschichte des Intuitionsbegriffes reiche "von Piatons Anamnesis über
die antike und mittelalterliche Lehre vom schöpferischen Nous und das Wesenswissen der Neuzeit bei
Spinoza und Leibniz ... bis zu Schellings intellektueller Anschauung" (Philosophie, II, 544). Fries erwähnt an
religionsphilosophischen Theorien, die von einer bestimmten Richtung des Augustinismus ausgebildet
worden seien, den "ordre de coeur" bei Pascal, den spezifischen "Gottessinn" bei Gratry, den "Ontologismus",
sowie das für Staudenmaier und Kuhn wichtige unmittelbare Gottesbewußtsein (Religionsphilosophie, 42).
Vgl. auch J. Geyser, Augustin und die phänomenologische Religionsphilosophie der Gegenwart mit besonde-
rer Berücksichtigung Max Schelers, Münster 1923 (- Veröffentlichungen des Katholischen Institutes für
Philosophie Albertus Magnus-Akademie zu Köln, Bd. I, Heft 3); A. Hufnagel, Intuition und Erkenntnis nach
Thomas von Aquin, Münster 1932; ders., Der Intuitionsbegriff des Thomas von Aquin, in: ThQ 133 (1953),
427-436; H. Wackerzapp, Art. Intuition, in: LThK2 V (1960), 739f.
151
Vgl. I.Trütsch, Art. Intuitionismus, in: LThK2 V (1960), 740f.; dort finden sich auch Hinweise auf
andere Formen des Intuitionismus.
152
Vgl. Fries, Religionsphilosophie, 37-44.
153
Vgl. Fries, Religionsphilosophie, 45-56, bes. 52.
154 vgl e t w a : Scheler, Vom Ewigen im Menschen (1921; hier 1954), 212f. - Scheler spricht zwar hier von
"Anschauung", meint jedoch damit dasselbe wie "Intuition": "Anschauung ist nur geistiges Erkennen in
Hinsicht auf mdividual und Singular Wertvolles; Denken nur dasselbe geistige Erkennen in Hinsicht auf gene-
98 Interesse am Leben

Unterschied zu abstrakt-diskursiver Rationalität - in neuen Ansätzen zur Glaubensbe-


gründung Verwendung.155 Guardini verbleibt jedoch mit seiner Rezeption des Intuiti-
onsbegriff noch ganz auf der rein philosophischen Ebene, auf der die "Intuition" in
Widerspruch zum abstrahierenden Begriff zu treten schien. Dieser Tendenz wider-
sprach er entschieden, indem er einerseits ein abstrahierendes Denken nicht einfach
ablehnte, sondern sich lediglich auf die Erkenntnis des Lebendig-Konkreten
beschränkte, andererseits aber auch für diesen Fall das begriffliche Erkennen in das
intuitive Schauen integrieren wollte. Der gesuchte Akt
"müßte ein eindeutiger, formaler Begriffszug sein, aber auf einen entsprechen-
den Intuitionsakt hin angelegt. Ein Akt der Intuition, aber durch eindeutige
Begriffslinien auf ein logisch bestimmtes Ziel zugerichtet. Ein Höchstmaß also
von Intuition, durch ein Höchstmaß von Begriffskraft geformt."
Diesen Erkenntnisakt bezeichnete Guardini als "Anschauung" und unterschied ihn
von der "Intuition", die nur die eine Seite des Ganzen auszudrücken vermochte. Sie
ist "der in höchster Spannung zwischen beiden Lebens-Polen sich vollziehende,
lebendig-konkrete Erkenntnisakt."156
Guardini ist daher weder ein traditioneller Erkenntnistheoretiker, der nur die
Antworten der Vergangenheit repetiert, noch ein reiner Lebensphilosoph, der alles
abstrahierende begriffliche Denken verwirft. Zwar ist er von der lebensphilosophi-
schen Herausforderung zutiefst gepackt, weist sie jedoch gleichzeitig an entscheiden-
den Punkten souverän zurück. Ob dies Frucht seiner katholischen Prägung ist, die ihn
gegen allen "Relativismus" gefeit hat,157 mag dahingestellt sein. Erst in der "Welt-
Anschauung", die anders als die "Anschauung" des Gegensatzbuches nicht nur auf
das "Konkrete", sondern auf das konkrete "Ganze" ausgerichtet ist, wird für Guardini
der Glaubensstandpunkt zum unverzichtbaren Bestandteil des Erkenntnisaktes.158
Doch hat die Tatsache, daß Guardini mit einem Standpunkt "außerhalb" der Welt und
damit auch jenseits des Konkret-Lebendigen rechnet, wohl auch schon hier die
Versuchung zur einseitigen Übersteigerung eines bestimmten innerweltlichen Poles
verhindert.
Jedenfalls sieht Guardini gerade in der "ausgehaltenen Spannung"159 die entschei-
dende Bedeutung seiner Gegensatzphilosophie.160 Dies gilt bereits für die wissen-
schaftliche Erkenntnis, und zwar sowohl in gegenständlicher Hinsicht, wie für die

rell und kollektiv Wertvolles" (ebd., 212). "Vielmehr sind beide, Anschauung und Denken, zwei verschieden
gerichtete Verwertungsformen des in sich ursprünglich einheitlichen erkennenden Geistes ..." (ebd.).
155
Vor allem Karl Adam ist hier zu nennen; vgl. Kreidler, Theologie des Lebens, 70-75. - Auch Guardini
ist bei seinen Studien auf die Illuminationslehre gestoßen, die den Hintergrund für die Intuitionstheorien
bildet (vgl. Erlösung, 148-156 ("Die Lehre vom Seelenlicht"); Elemente, bes. den ersten Teil ("Die Theorie
des Lumen Mentis"). Zur Einordnung Guardinis in die Anfänge katholischer Religionsphilosophie im
Anschluß an Max Scheler vgl. Fries, Religionsphilosophie, 271-287 ("Weiterbildung der lebensphilosophi-
schen Grundlagen Schelers"), bes. 272-282 ("Romano Guardini").
156
Gegensatz, 174.
157
So Wust, Metaphysik des Gegensatzes, Nr. 875, 2.
158
Vgl. dazu Gegensatz, 203-205; ausführlicher Weltanschauung (1923). Vgl. dazu Kap. III,2,c.
159
So die treffende Charakterisierung des Gegensatzdenkens bei Gerl, Spannung.
160
Vgl. dazu Gegensatz, 185-211.
Das Gegensatzdenken 99

Erkenntnishaltung selbst. Der Gegensatzgedanke bedeute dabei eine ständige


Mahnung, "vom Ding auszugehen; das Auge für die besondere Tatsache des
Dinghaft-Konkreten zu öffnen, und von ihm her die Begriffe zu bilden."161 Die ent-
wickelte Typologie könne in jedem wissenschaftlichen Einzelgebiet zum Tragen
kommen und der "Strukturforschung" eine neue Grundlage geben.162 Sie verhindere,
daß die Erkenntnis des Lebendig-Konkreten sich nur auf den "Grenzfall" beschränken
müsse, und öffne den Blick für den "lebendig möglichen Fall"163; das Denken werde
dadurch zwar mühsamer, könne aber der Wirklichkeit gerechter werden.164 Es gehe
um eine "Kritik der konkreten Vernunft",165 wie Guardini in Anspielung auf die
"Kritiken" Kants formuliert. "Es gibt nur den konkreten Menschen, und der steht
wesenhaft im Vorurteil; wesenhaft bezogen auf eine ihm wähl verwandte Individual-
welt, Umwelt." Aufgrund dieser, an der Umwelttheorie Jakob von Uexkülls orientier-
ten Auffassung166 hielt es Guardini nicht für entscheidend, ob der Forschende von
"Vorurteilen" loskomme, sondern vielmehr, "ob er sie 'richtig' habe, will sagen, ob
das Moment des Vorurteil-Habens bewußt, kritisch bewältigt und eingeordnet sei."167
Die Gegensatzidee aber sei, als theoretisches Prinzip, "ein Heuristikum und ein
Regulator, um die Fehlerquellen der individuellen Einstellung zu überwinden ..."168
In weltanschaulicher Hinsicht schließlich vermittle die Gegensatzphilosophie
"Offenheit" für das Ganze der Wirklichkeit, sowie Einsicht in die Bedingtheit des
eigenen Zugangs zu dieser Wirklichkeit.169 Guardini bekennt:
"Zwei Dinge sind mir beim Nachdenken über die Gegensatzfrage besonders
teuer geworden: Mitte und Maß."110
Sie ermöglichen nach ihm eine Haltung des "Schwebens", die allen Verabsolutie-
rungen widersteht und damit allem menschlichen Streben erst den ihm zugewiesenen
Ort gibt.171 Von daher wird auch jedes "System" fragwürdig bzw. ein allzu
"mechanistisches" Verständnis durch ein "edleres lebendiges Äquivalent" abgelöst:
Richtung in's Blut." Guardini schließt daher seine Ausführungen in der Hoffnung, die
"ganz tief begriffene" Gegensatzidee könne eine solche Einstellung zum Ganzen der
Wirklichkeit bewirken:
"Sie bedeutet kein geschlossenes System, sondern ein Aufgetansein der Augen
und eine innere Richtung im lebendigen Sein. Sie macht, daß die Wirklichkeit
uns Raum wird und Fülle von Gestalten, in die wir hinausschreiten können,
ohne uns zu verlieren."172

161
Gegensatz, 188.
162
Vgl. Gegensatz, 188f.
163
Gegensatz, 189.
164
Vgl. Gegensatz, 189f.
165
Gegensatz, 191.
166 vg] Gegensatz, Anm. 45, 193 (mit Verweis auf: J. v. Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere,
Berlin 1921).
167
Gegensatz, 194.
168
Gegensatz, 196.
169
Vgl. Gegensatz, 205.
170
Gegensatz, 206; Hervorhebung von mir.
171
Vgl. Gegensatz, 206-210.
172
Gegensatz, 211.
100 Interesse am Leben

3. Liturgie und Kirche: Der Glaube als Lebensraum

Die persönliche Krise seiner Studentenjahre ließ in Romano Guardini ein elementares
Interesse am "Leben" entstehen, und zwar vor allem für das spezifisch menschliche
Leben in seiner konkreten Existenz. Darin liegt - so haben wir gesehen - das treibende
Motiv der Gegensatzphilosophie. Während er sich jedoch mit ihrer Ausarbeitung
beschäftigte, studierte Guardini katholische Theologie, ließ sich zum Priester weihen
und war als Seelsorger in verschiedenen Gemeinden seiner Mainzer Heimatdiözese
tätig.1 Darüber hinaus wuchs er mehr und mehr in die Rolle eines Interpreten kirchli-
chen Lebens hinein, der im Aufbruch der katholischen Bewegungen (vgl. Kapitel
I,3,b) wertvolle Impulse gab. Während seine Gegensatzphilosophie erst 1925 eine
größere Öffentlichkeit erreichte, waren die Schriften über Liturgie und Kirche -
zumindest in diesen Kreisen - längst zu "Bestsellern" geworden.
Meldet sich auch in ihnen ein Interesse für das konkrete "Leben" der Menschen
seiner Zeit? In diesem Fall müßten wir auch hier auf Spuren seiner Gegensatzrefle-
xionen stoßen. Dann aber würde sich für die Darbietung des Glaubens eine ungeheuer
spannende Perspektive ergeben: Er könnte zu einer echten Antwort auf die existenti-
elle Suche der Menschen werden - zu einem "Raum", innerhalb dessen sie sich
wiederfinden könnten.
Wir betrachten unter diesem Gesichtspunkt zuerst die Schriften über die Liturgie
(Abschnitt a), und im Anschluß daran die ekklesiologischen Aussagen (Abschnitt b).

a. Vom "Geist" der Liturgie


aa. Der Weg zur Liturgie
Guardini bemängelt im Rückblick auf die Anfänge seiner Gegensatzlehre, daß er zu
sehr von einer "Idee" bzw. einem "Prinzip" ausgegangen sei und kaum auf das
"Konkrete" Rücksicht genommen habe.2 Ähnliches konstatiert er aber auch für seine
Auffassung vom christlichen Glauben:
"Hinzufügen möchte ich, daß mir damals der Sinn für das Geschichtliche voll-
kommen fehlte. Für mich gab es nur die Idee, das Prinzip, die Entwicklung des
Wesenszusammenhangs ... Die Wirklichkeit Christi und mit ihr alles, was
geschichtlich-christliches Dasein heißt, sollte mir erst später aufgehen. Das aber
war nur eine Frage der Zeit; die Bahn dahin war frei."3
In der Tat reflektierte der frühe Guardini noch nicht - wie in den Christusbetrachtun-
gen der dreißiger Jahre (vgl. Kapitel VII,2,c und 3,b) die konkrete Gestalt Christi; die
Offenbarung ist ihm erst das "gebende Faktum", das von der Kirche, näherhin im
Dogma, vermittelt wird,4 während sie später umfassender als Gottes geschichtliches
1
Vgl. dazu Gerl, Guardini, 79-121.
2
Vgl. Berichte*, 5 und 29; s. o. unter II,2,a,aa.
3
Berichte, 86f.
4
Vgl. Berichte, 86.
Vom "Geist" der Liturgie 101

Handeln bestimmt wird, das im Alten und Neuen Testament bezeugt ist.5 Aber schon
in Tübingen (1906/08) gewann die "Idee" der Kirche eine wichtige "geschichtliche"
Konkretisierung - und zwar durch die Erfahrung der Liturgie.6
Wenn Guardini schon vor dem eigentlichen Durchbruch der "Liturgischen Bewe-
gung" (siehe dazu Kapitel I,3,b,aa) "das Faktum des Liturgischen" tief in seine theo-
logischen Gedankengänge aufnahm,7 so war dies einem Studienkollegen, Josef
Weiger, zu verdanken.8 Guardini lernte den ehemaligen Benediktinernovizen, mit
dem ihn dann eine lebenslange enge Freundschaft verband, gleich nach seinem
Eintreffen in Tübingen kennen und ließ sich von ihm in die religiöse Welt des
Klosters Beuron einführen.9 In der erlebten Liturgie entdeckte Guardini - bald
gemeinsam mit Neundörfer -, aber eine Gestalt der Kirche, die als die "Garantin des
Ewigen", in der Geschichte steht und sich auf unterschiedliche Weise darstellt.
"Und nun meinten Karl Neundörfer und ich, das Leben der Kirche müsse vor
allem von zwei Seiten her faßbar sein: der soziologisch-juridischen, als der
Gemeinschaft des Handelns und Kämpfens - und der liturgischen, als der Ein-
heit des kontemplativen, schauenden, betenden Tuns. Durch beide hindurch
ziehe sich der dritte Aspekt der Kirche als Wahrerin der durch menschliches
Wollen und Nichtwollen immerfort gefährdeten göttlichen Wahrheit."10
Die Wahrheitsinstanz, die Guardini und Neundörfer in ihrer Grundentscheidung
bejaht hatten (vgl. oben Abschnitt 1), war demnach konkret erfahrbar einerseits in der
sozial-rechtlichen, andererseits in der liturgischen Gestalt der Kirche. Es lag nahe,
daß der gelernte Jurist Neundörfer sich mehr dem ersten Aspekt zuwenden würde,11

5
Vgl. Offenbarung (1940). Siehe dazu Kap. VII,3,c.
6
Zum Liturgieverständnis Romano Guardinis vgl. v. a. die Beiträge von Arno Schilson: Theologie als
Sakramententheologie (1982), bes. 81-91; Wegbereiter (1985); Mysterientheologie (1986); Erneuerung
(1987); Guardini (1989); Kulturelle Dimensionen (1992). Zum späteren Einfluß auf die "liturgische Frage"
vgl. die Aufsätze von Theodor Maas-Ewerd: Grundgestalt (1976); Beurteilung (1976); Krise (1981), bes. 130-
150; Anwalt (1985). Die einzige einschlägige Monographie (Marschall, In Wahrheit beten, 1986) bleibt
immer noch sehr knapp und ist auch inhaltlich unzureichend (vgl. die Stellungnahme von A. A. Häußling in:
ALW 29 [1987], 280). Zu wichtigen Einzelaspekten vgl. Birnbaum, Kultusproblem, I (1966; erstmals 1926),
40-47 und 98-107; Albert, 'Geist der Liturgie' (1982); Troyan, Schweigen (1985). Wichtige Quellen sind
neben den autobiographischen Aufzeichnungen Guardinis seine Briefe an lldefons Herwegen und Odo Casel.
7
Vgl. Berichte, 88.
8
Zu ihm vgl. Groß, Josef Weiger; Gerl, Guardini, 71-76.
9
Vgl. J. Weiger, Buch der Erinnerungen (Nachlaß Weiger; unveröffentlicht), II, 126: "Romano kannte
weder Beuron noch seine Liturgie. Ich selbst war noch ganz erfüllt von ihr, dachte liturgisch, empfand litur-
gisch, nahm meine Lebensnormen von der Liturgie. In meinem Eifer und in meiner leidenschaftlichen Partei-
nahme für Beuron übergoß ich Romano wie mit siedendem Wasser. War ich doch von Beuron im tiefsten
Frieden geschieden, ohne eine Spur von Enttäuschung, aber mir klar bewußt, daß ich den monastischen Beruf
nicht habe." Vgl. Groß, Josef Weiger, 22f. Aus der Sicht Guardinis vgl. Berichte, 87-89.
10
Berichte, 88.
11
Neundörfer beschäftigte sich besonders mit der Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche
(vgl. Die Frage der Trennung von Kirche und Staat nach ihrem gegenwärtigen Stande, MUnchen-
Mergentheim 1913; sowie bereits die juristische Dissertation 1906: Der ältere deutsche Liberalismus und die
Forderung der Trennung von Staat und Kirche, Mainz-Kirchheim 1909) und der politisch-gesellschaftlichen
Präsenz des Katholizismus (vgl. bes. Zwischen Kirche und Welt). Wichtig auch der Grundsatzbeitrag: Recht
und Macht in der Kirche, in: Michel, Kirche [1923], 52-63). 1925 war Neundörfer als Nachfolger von J. B.
Sägmüller für die Tübinger Kirchenrechtsprofessur im Gespräch. Bischof Keppler (zu ihm vgl. oben die
Einleitung zu Kap. I,3,b) meinte jedoch, er sei "unbedingt" abzulehnen; daraufhin verzichtete die Fakultät auf
102 Interesse am Leben

während Guardini aufgrund eines emotionaler bestimmten Denkens (vgl. ebd.) die
"Kirche in ihrem kontemplativen Verhalten"12 zu seinem Arbeitsgebiet wählte. Für
die Promotion suchte Guardini daher denn auch nach einem geeigneten Thema aus
dem liturgischen Bereich, ließ dieses Vorhaben aber bald wieder fallen, weil er mit
den üblichen rein historischen Methoden wenig anzufangen wußte.13 Das
"systematische" Interesse führte ihn schließlich ganz zur Dogmatik.14
Außerhalb des wissenschaftlichen Arbeitens kam Guardini jedoch immer wieder
auf liturgische Fragen zurück.15 Auf Bitten eines Freundes versuchte er so auch wäh-
rend des Krieges in einigen Kapiteln zu sagen, "was Liturgie sei".16 Das Ergebnis,
das über den Liturgiewissenschaftler und Maria Laacher Mönch Kunibert Mohlberg
zu Abt lldefons Herwegen gelangte, brachte Guardini somit in Kontakt mit dem Mit-
telpunkt der Liturgischen Bewegung in Deutschland. In seiner Schrift "Vom Geist der
Liturgie", die auf den genannten Vorarbeiten beruhte17 und mit der Herwegens Reihe
"Ecclesia Orans" eröffnet wurde, legte Guardini Betrachtungen vor, die nicht so sehr
als "Theologie" der Liturgie zu verstehen waren, sondern als Versuche, die Bedeu-
tung des liturgischen Aktes für das Glaubensleben, ja für die menschliche Existenz
überhaupt aufzuzeigen.18
lldefons Herwegen hat diesen Ansatz in seinem Vorwort besonders präzise charak-
terisiert. Guardini zeige,
"wie die richtig verstandene Liturgie ganz den Grundsätzen auch der rein natür-
lichen, gesunden Psychologie und Seelenkultur entspricht. Er tut dar, wie innig
das, was die Liturgie ist und bietet, zusammenhängt und zusammenarbeitet mit
dem Streben nach Seelenharmonie ... Sein Augenmerk hat der Verfasser nicht so
sehr auf den streng wissenschaftlichen Begriff der Liturgie gerichtet, als viel-
mehr auf die konkreten Menschen und ihre Liturgiefähigkeit. Er will einen

eine Berufung (vgl. Universitätsarchiv Tübingen Abt. 184, Dekanatsakten 1925/26; Abt. 47, Bd. 39, S. 744,
Senatssitzung vom 21. Dezember 1925 § 7; Hinweis bei Reinhardt, Modernismus, Anm. 3, 272).
12
Brief Guardinis vom 9. 11. 1919, in: Herwegen 18, 229-231, hier 230 (Hervorhebung von mir); vgl.
auch Berichte, 88f.
13
Vgl. dazu Berichte, 23f.
14
Auch sie entsprach freilich nicht seinen Erwartungen; vgl. dazu Berichte, 25f. Näheres unter III,l,a.
15
Vgl. bes. Die Bedeutung der Psalmen feriae quintae für das geistliche Leben (1917); Zur Verwertung
der Liturgie für das außerliturgische gemeinschaftliche Gebet (1917). Der ursprüngliche Promotionsplan
konzentrierte sich auf die Responsorien nach den Lesungen der Matutin (vgl. Berichte, 23).
16
Berichte, 31; vgl. auch Görner, Guardini, 12 (25. 2. 1934). Kamen bereits diese "Kapitel" in die Hände
Herwegens (als unveröffentlichtes Manuskript), oder handelte es sich um den veröffentlichten Aufsatz "Die
Liturgie und die psychologischen Gesetze des gemeinsamen Betens" (1917), der aus diesen Vorarbeiten
erwachsen ist? Für letzteres spricht der Brief an Herwegen vom 16. 4. 1917 (Herwegen 1, 211). Sowohl im
Gespräch mit Görner wie in den "Berichten" könnte es sich freilich auch um ungenaue Erinnerungen Guardi-
nis handeln.
17
Der in Anm. 16 genannte Aufsatz bildet das 1. Kapitel der 1918 erschienenen Schrift (1-24). [Diese
wird im folgenden, soweit nicht anders angegeben, nach der 4./5. Aufl. aus dem Jahr 1919 zitiert, da ab hier -
nach Einfügung des Kapitels "Der Ernst der Liturgie" - der endgültige Umfang erreicht ist. Guardini hat seine
Schrift von Auflage zu Auflage immer wieder stilistisch, z. T. auch inhaltlich überarbeitet, wobei die Formu-
lierungen oft blasser werden; wie bei anderen Texten Guardinis enthalten die frühen, sprachlich oft unebene-
ren Fassungen noch eher den Originalton des Verfassers und sind deshalb späteren Versionen vorzuziehen.]
18
Mohlberg nennt die Schrift das "Beste zur Philosophie (!) der Liturgie" (Ziele und Aufgaben der litur-
giegeschichtlichen Forschung, Münster 1919, Anm. 2, 40).
Vom "Geist" der Liturgie 103

freundlichen Boden bereiten, die Seele empfänglich machen für das, was in der
Liturgie aufgespeichert ist."19
Guardini verstehe sich in die Lage derer zu versetzen, "die von außen und neu an die
Liturgie herantreten. Er beschreibt den Zusammenstoß zweier geistiger Welten, ihre
Dissonanz und deutet ihre Lösung an."20
Dieses Bemühen um liturgische Bildung, das Guardini im zweiten großen Beitrag
zu diesem Bereich noch konkretisiert,21 war für seinen Anteil an der Liturgischen
Bewegung bezeichnender als die wissenschaftlichen Beiträge, die er allerdings auch,
und zwar wieder in enger Zusammenarbeit mit Maria Laach, vorlegte. In ihnen gab er
wesentliche Impulse für die entstehende Liturgiewissenschaft - vor allem durch das
seinen eigenen Erfahrungen entsprungene Anliegen, der historischen Forschung eine
"systematische" an die Seite zu stellen.22 Jedoch verzichtete Guardini bald nicht nur
auf die Fortsetzung seiner Mitarbeit am "Jahrbuch für Liturgiewissenschaft" an der
Seite Odo Casels,23 sondern auch auf eine Professur für "Praktische Theologie und
Liturgiewissenschaft", die ihm 1922 angeboten wurde.24 So ist es - nicht nur im Blick
auf unser Thema, sondern auch in der Linie des guardini'schen Werkes selbst - durch-
aus berechtigt, wenn wir uns im Folgenden auf jene Aussagen konzentrieren, in denen
Guardini die anthropologisch-kulturelle Bedeutung der Liturgie beschreibt.

bb. Befreiende "Objektivität"


Guardini setzt zunächst bei der aw/terliturgischen Frömmigkeit an.25 Diese brauche
bestimmte Normen, um als "kirchlich" gelten zu können, und so müsse gefragt
werden, wo sie zufindenseien. Solche Normen aber müssen
"dort am reinsten zutage treten, wo sich das religiöse Leben einer großen
Gemeinschaft durch eine lange Zeit hindurch entwickeln konnte. Die inneren
Lebensgesetze haben dann Zeit gefunden, zur vollen Auswirkung zu kommen.
Im Zusammenleben von Individuen verschiedenster Veranlagung, verschiedener
sozialer Schichten, vielleicht auch verschiedener Volksart, im Laufe verschiede-
ner geschichtlicher und kultureller Perioden ist das Zufällige, Besondere bis zu
einem gewissen Grad abgefallen, und das Wirkliche, allgemein Gültige,

19
Herwegen, Einführung, Xllf.
20
Herwegen, Einführung, XIII.
21
Vgl. Liturgische Bildung (1923; im Folgenden abgekürzt: LB). Siehe unten Anm. 34.
22
Vgl. Über die systematische Methode in der Liturgiewissenschaft (1921). Zur Bedeutung dieses Aufsat-
zes vgl. M. Merz, "Liturgiewissenschaft", in: ALW 27 (1985), 103-108, bes. 105f; A. A. Häußling, Anm. 2
zu: Herwegen 27, 2391, hier 239.
23
In den ersten beiden Jahrgängen (1921 und 1922) fungierte Guardini noch als Mitherausgeber, von
1923 an fehlt sein Name. Dies hat wohl nicht nur mit unterschiedlichen Auffassungen von Casel und Guardi-
ni über die Einbeziehung der Volksfrömmigkeit in die Liturgie zu tun (s. u.), sondern auch mit neuen Aufga-
ben, denen er sich zuwandte (sein Mitwirken in der Quickbornbewegung, v. a. aber seine Tätigkeit als
Dogmatik-Dozent in Bonn, bald daraufsein Ruf nach Berlin).
z4
Vgl. Berichte, 35f.: "Ich hatte aber das Gefühl, damit von meiner eigenüichen inneren Linie abzuwei-
chen und ging nicht darauf ein ..."
25
Vgl. Die Psychologischen Gesetze (1917; s. o. Anm. 16) - Liturgie, 1-24. [Im folgenden wird dieser
Abschnitt nach der früheren Fassung von 1917 zitiert; in Klammern sind jedoch die entsprechenden Seiten-
angaben aus "Vom Geist der Liturgie" angegeben] Zur Ausgangsfrage vgl. auch: Verwertung der Liturgie
(1917).
104 Interesse am Leben

Notwendige, Gesunde ist zur Ausgestaltung gekommen, d. h. dann: die betref-


fende Form religiösen Verhaltens ist objektiv geworden. Die vollendetste
Erscheinung einer solchen objektiv gewordenen religiösen Lebensordnung ist
die Liturgie der katholischen Kirche."26
Auf die "Objektivität" der Liturgie27 im Kontrast zu allen subjektiven Frömmigkeits-
formen legt Guardini denn auch weiterhin besonderen Wert:
"Nächster und eigentümlicher Zweck der Liturgie ist es nicht, der Ausdruck der
individuellen Gottes Verehrung zu sein; sie hat nicht den einzelnen als solchen zu
erbauen, sein religiöses Leben zu wecken und zu bilden. Nicht der einzelne ist
Träger des liturgischen Handelns und Betens. Auch nicht die Summe mehrerer
Individuen, so wie sie etwa in einem Gotteshause als die nur zeiträumliche und
psychologische Einheit einer 'Gemeinde' versammelt sind. Subjekt der Liturgie
ist vielmehr der Organismus der gläubigen Gesamtheit als solcher, ein über die
bloße Summe der einzelnen hinausliegendes Plus, das sozial-religiöse Ich, die
Kirche."28
Guardinis eigene Erfahrung, wie befreiend es sein kann, sich auf die "Objektivität"
der Kirche einzulassen, wird damit auf das Verständnis der Liturgie übertragen und in
der "zugleich individuellen und sozialen Natur des Menschen begründet."29 Gerade
hier liegen aber die Schwierigkeiten des neuzeitlich geprägten Menschen mit der
katholischen Liturgie, die Herwegen angedeutet hat (s. o.) und auf die Guardini in
seinem Büchlein immer wieder eingeht.30 Deshalb betont er auch, daß die "Gemein-
schaft" der Liturgie "von haltloser Selbstaufgabe weit entfernt" sei, ja vielmehr gerade
die Eigenständigkeit der einzelnen Persönlichkeit wahre31. Liturgie ist für ihn auch
keineswegs die einzige Form katholischer Frömmigkeit, sondern wird durch
"subjektive" Frömmigkeitsformen (wie etwa die Kreuzwegandacht) ergänzt.32 Auch

26
Die Psychologischen Gesetze, 242. [2f.J.
27
Vgl. zu diesem Gesichtspunkt bes. Birnbaum, Kultusproblem, 40-47; Schilson, Wegbereiter, 541;
Marschall, In Wahrheit beten, 55-62.
28
Die Psychologischen Gesetze, 242f. [4]. Guardini unterscheidet diesen Uberindividuell-objektiven Cha-
rakter der Liturgie dabei ausdrücklich von der "einseitig individualistischen protestantischen Auffassung";
vgl. ebd., 243 [4],
29
Die Psychologischen Gesetze, 243 [4].
30
Vgl. bes. "Liturgische Gemeinschaft", in: Liturgie, 25-34. - Auch dieser Aufsatz entstand bereits im
Jahre 1917, war aber noch nicht veröffentlicht worden; vgl. Brief vom 19. 6. 1917, Herwegen 2, 21 lf,
hier 212. Er war von Guardini als "Ergänzung des anderen" gedacht, "der sie mehr von der sozialpädagogi-
schen Seite faßte" (ebd., 212). Der Herausgeber der Briefe, Angelus A. Häußling, läßt sich, wahrscheinlich
aufgrund der mißverständlichen Überschriften, dazu verleiten, "Liturgische Gemeinschaft" als den zuerst
erarbeiteten Beitrag zu betrachten, dem dann ein zweiter (nämlich "Die Liturgie und die psychologischen
Gesetze") gefolgt sei (vgl. Guardini, Herwegen, Anm. 10, 212, sowie Anm. 11, 212). In Wirklichkeit ist es
genau umgekehrt: Das zuerst angegangene "sozialpädagogische" Problem bestand in der Frage nach den
"psychologischen Gesetzen" des gemeinsamen Betens, das ergänzende "psychologische" in der Frage der
"Liturgischen Gemeinschaft".
31
Vgl. Liturgie, 32.
32
Guardini sah die Gefahr, die in der einseitigen Überspannung des Liturgischen lag, und gab deshalb
bewußt auch einen "Kreuzweg" heraus, was, wie er sagt, von den "extremen Liturgikem" (auch in Maria
Laach!) nicht verstanden worden sei. Vgl. auch Das Objektive (1921), sowie die Kritik Casels an diesem
Beitrag (Fußnote ebd., 125); vgl. auch Guardinis Brief an Odo Casel vom 8. 10. 1921 (Casel 4, 1911), femer
A. A. Häußling, Einleitung zu: Guardini, Casel, 1851; Schilson, Mysterientheologie, 67-69.
Vom "Geist" der Liturgie 105

Bemühungen Guardinis um eine aktive Teilnahme aller an der Liturgie33 entspringen


dem Bemühen, dem "Subjekt", das heißt dem einzelnen Menschen mit seinem
Verstand und seinen Sinnen innerhalb einer wesentlich "objektiv" verstandenen
Liturgie Geltung zu verschaffen. Während Casel dies bereits gewährleistet sieht in
einer Erneuerung der altchristlichen Liturgie, geht Guardini vom Menschen aus und
von der Frage, wie dieser die ihm gemäße liturgische Haltung gewinnen könne.
Später formuliert er das folgendermaßen:
"Worin liegt das Wesen des liturgischen Verhaltens? Wie muß der Mensch sein,
wie die Gemeinschaft, wenn sie wesensgerecht in der Liturgie stehen wollen?
Welche Kräfte gehören dazu? Welche Organe? Welches Sein? Denn um ein
ganz bestimmtes Können handelt es sich hier; um ein Werden und Wachsen, im
Letzten um ein Sein. Also um ein Problem der 'Bildung' im tiefsten Sinne des
Wortes."34
Solche "Bildung" zu einer neuen "Liturgiefähigkeit" (Herwegen) setzt jedoch den
Blick auf die "beiden Grundmächte menschlichen Daseins" voraus, von denen auch
die Liturgie bestimmt ist: Natur und Kultur}5
"In der Liturgie spricht die Stimme der Natur rein und machtvoll. ... Der Mensch
ist voller Fehler und Schwächen, und als solchen nimmt ihn auch die Liturgie;
seine Natur ist ein rätselhaftes Gefüge von Adel und Armseligkeit, von Hohem
und Niedrigem, und so steht er in den Gebeten der Kirche: Kein zurechtgemach-
tes Ideal, kein gelecktes Menschenbild, aus dem die herben und schlimmen
Züge sauber herausgenommen wären, sondern der Mensch, wie er ist."36
"Andererseits eine reiche, schöne Kultur?1 In der Liturgie kommt einem zum
Bewußtsein, daß hier viele Jahrhunderte gearbeitet und ihr Bestes niedergelegt
haben. Reich durchgebildet das Wort; mannigfach entfaltet die Welt der Begrif-
fe und Gedanken; in vielartiger Schönheit entwickelte Formen der
Komposition ..."38
Die Liturgie braucht nach Guardini also beides - den "Untergrund gesunder, starker
Natur"39 ebenso wie das Gesättigtsein mit einer "edlen, reichen Kultur".40 "Der
Mensch soll sein volles Leben in seinem Beten wiederfinden" - unter "Leben" ist hier
offenbar die "Natur" des Menschen gemeint -, aber auch eine Kultur, "die in keiner
Weise aufdringlich wird, sondern vor allem in der Weite des geistigen Blickkreises, in
der inneren Maßhaltung des Gedankens, der Willens- und Gemütsbewegung liegt."41
33
Einen wichtigen Beitrag dazu stellt die weitverbreitete "Meßandacht" Guardinis dar (Gemeinschaftliche
Andacht zur Feier der Heiligen Messe, 1920); zur "partieipatio actuosa" siehe bereits unter I,3,b,aa.
34
LB 12 [25], [Wo nicht anders angegeben, wird diese Schrift Guardinis künftig nach ihrer Erstauflage
im Jahre 1923 zitiert (vgl. die Bemerkungen oben in Anm. 17); die entsprechende Seitenzahl aus der späteren
Teilsammlung "Liturgie und liturgische Bildung" (Werkausgabe) wird hinzugefügt]
35
Vgl. Liturgie, 19-24 (• Die psychologischen Gesetze, 252-255).
36
Die psychologischen Gesetze, 252 [191; ebd., 20, ist nur noch vom "zurechtgemachten Menschenbild"
die Rede, die deftige Formulierung des ursprünglichen Textes ist verschwunden].
37
Hier ist ab der 677. Aufl. (1921) vom "Kulturbesitz der Liturgie" die Rede (vgl. ebd., 20; Herder-
Taschenbuch, 37).
38
Die psychologischen Gesetze, 252 [20].
39
Die psychologischen Gesetze, 253 [22].
40
Die psychologischen Gesetze, 254 [23].
41
Die psychologischen Gesetze, 254 [24].
106 Interesse am Leben

Somit tritt auch die Beschäftigung mit der Liturgie in den Gesamtrahmen dessen, was
oben mit Guardinis "Interesse am Leben" bezeichnet worden ist; sowohl das
"natürliche" wie das "kulturelle" Leben darf nicht außer acht gelassen werden, wenn
ein Katholik vom "Geist" der Liturgie spricht.

cc. Liturgie als "Kultur"


Die Liturgie tritt dem Menschen in einer ganz bestimmten, mit anderen Kulturgebil-
den vergleichbaren Gestalt entgegen. Die drei zentralen Kapitel der Schrift "Vom
Geist der Liturgie" beschreiben diese "Außenseite" genauer und heben drei Aspekte
an ihr eigens hervor - den "liturgischen Stil",42 die "liturgische Symbolik"43 und die
"Liturgie als Spiel"44:
a) Die "stilisierten" Formen der Liturgie, in denen sie sich als kulturelle Größe dem
Menschen präsentiert, sind nach Guardini als Folge ihrer "Objektivität" anzuse-
hen; denn aus ihr folgt, daß die religiösen Handlungen sich in einer besonderen,
jeder "einzelhaften Bestimmtheit" entkleideten und ins "Allgemeingültige" erho-
benen Weise vollziehen müssen.45
b) Die kulturelle Gestalt der Liturgie ist näherhin die eines Symbols. Darunter versteht
Guardini ein besonderes Verhältnis zwischen "Geistigem" und "Körperlichem", in
dem diese weder absolut voneinander getrennt sind (Dualismus), noch einfach
miteinander identifiziert werden (Monismus).46
c) Unter allen kulturellen Gestalten ist die Liturgie vor allem der Kunst verwandt oder
dem Spiel eines Kindes - Ausdrucksweisen, die nicht einen bestimmten "Zweck"
verfolgen, sondern einen "Sinn" verwirklichen:
"Vor Gott ein Spiel zu treiben - ein Werk der Kunst - nicht zu schaffen, sondern
zu sein, das ist das innerste Wesen der Liturgie."47
"Liturgie üben heißt, getragen von der Gnade, geführt von der Kirche, zu einem
lebendigen Kunstwerk werden vor Gott, mit keinem andern Zweck, als eben vor
Gott zu sein und zu leben ..."48
Dadurch unterscheidet sich die Liturgie nach Guardini auch vom neuzeitlichen
"Ethizismus", der dem Zweckhaften, dem Willen, der Ethik den Vorrang im Leben
zuweise, vor allem seit Kant. Ihm gegenüber formuliert Guardini am Ende seines
Büchleins entschieden den "Primat der Erkenntnis über den Willen, des Logos über
das Ethos" und unterstreicht damit nochmals - weit über den Bereich der Liturgie
hinausgehend - die Bedeutung des "Objektiven" gegenüber dem "Subjektiven".49
Der Zusammenhang mit dem Gegensatzdenken50 springt nun zwar bei der Lektüre
nicht sofort in die Augen, ist aber sehr wohl vorhanden. An anderer Stelle spricht

42
Vgl. Liturgie, 35-47.
43
Vgl. Liturgie, 48-57.
44
Vgl. Liturgie, 58-72.
45
Vgl. Liturgie, 381
46
Vgl. Liturgie, 49-53.
47
Liturgie, 69; Hervorhebung von mir.
48
Liturgie, 71.
49
Vgl. Liturgie, 88-99, bes. 961
50
Vgl. Gegensatz, 7.
Vom "Geist" der Liturgie 107

Guardini deutlicher von der Liturgie als einem "Organismus", in dem eine Fülle ver-
schiedener Momente zu einer Einheit zusammengebunden seien. Eine
"systematische" Liturgiewissenschaft müsse daher unter anderem fragen, "wie das
und jenes im Ganzen steht; ja sogar, wie das Ganze sich gerade aus diesen vielfach
abgestuften Teilen und selbst Gegensätzlichkeiten aufbaut."51. Die Forschung stehe
"einem Lebendigen gegenüber, nämlich der betenden, opfernden Kirche. Daher
muß sie in ihrem Verfahren stets dem Grundzug alles Lebendigen Rechnung
tragen. Und der besteht, im Unterschied von allem Abstrakten, gerade darin, daß
es nicht einlinig, einseitig, eindimensional, sondern vielseitig, 'rund' gebaut ist;
daß seine Einheit sich wesensgemäß aus Gegensätzen integriert und es daher nur
mit einbefassenden Urteilen, mit einem 'Sowohl - als auch' zu ergreifen ist."52
Diese Erkenntnis hat Guardini aber bereits in seiner Schrift vom "Geist der Liturgie"
berücksichtigt, wenn er dort Liturgie und Volksfrömmigkeit,53 gedankliche Klarheit
und warmes Gemütsleben,54 Kultur und Natur,55 Gemeinschaft und Persönlichkeit,56
Spiel und Zweckhandlung,57 Logos und Ethos58 als polare Gegensätze zu einer
Einheit verbunden sieht.59 Wenn es dabei einen bestimmten Vorrang gibt - den
"Primat" des Gedankens vor dem Gefühl, der Kultur vor der Natur, der Gemeinschaft
vor der Einzelpersönlichkeit, und der Liturgie insgesamt vor der Volksfrömmigkeit -
so ist auch das lediglich im Sinne des "Ordnungsprimats" aus der Gegensatzlehre zu
verstehen.60
Ausführlich hat Guardini das verdeutlicht, als er über den Primat des Logos vor
dem Ethos sprach:
"Nicht von einem Vorrang des Wertes oder der Würde ist die Rede ... Eins ist so
viel wert, so würdig und für das Gesamtleben so wichtig wie das andere ... Es
handelt sich vielmehr um eine letzte Frage der Kulturphilosophie, und zwar:
welchem Wert im Ganzen der Kultur und des Menschenlebens die Führung
zukomme, welcher hier die entscheidenden Richtungen anzugeben habe: ein
Vorrang der Ordnung also, der Führung, nicht der Würde, Bedeutung oder gar
Häufigkeit."61

51
Systematische Methode, 106.
52
Systematische Methode, 107.
53
Vgl. Liturgie, 1-6.
54
Vgl. Liturgie, 7-14.
55
Vgl. Liturgie, 19-24.
56
Vgl. Liturgie, 25-33.
57
Vgl. Liturgie, 58-72 und 73-87.
58
Vgl. Liturgie, 88-99.
59
Dies gilt auch für die Überlegungen zum Körper-Seele-Verhältnis im Kapitel "Liturgische Symbolik"
(Liturgie, 48-57; vgl. auch LB 151 [301]). "Gegensätzlich" wird dabei nicht das Verhältnis von Körper und
Seele zueinander verstanden, sondern lediglich die unterschiedlichen Erfahrungsweisen dieses Verhältnisses -
"monistische", die zur Identifikation beider neigen, und "dualistische", die beide scharf voneinander trennen.
An beiden Erfahrungsweisen hat das "Symbol"-Verhältnis Anteil. Vgl. ähnlich (und in Verbindung mit dem
Gegensatz von "nordischem" und "südlichem" LebensgefUhl): Gegensatz, Anm. 33, 1471
60
Vgl. Gegensatz, 1221; dazu oben Abschnitt 2,b.
61
Liturgie, 677. Aufl., 1921, 95. In dieser Auflage hat Guardini eigens einen Passus eingeschoben, um
seine These noch zu präzisieren (vgl. ebd., 95-98).
108 Interesse am Leben

Auch das "Spiel" kann übrigens in die Reihe von Aspekten, denen Guardini einen
Primat der Ordnung zuweist, eingeordnet werden; denn gemeint ist ja keine ästheti-
sche Spielerei, sondern, wie das später hinzugefügte Kapitel über den "Ernst der
Liturgie" verdeutlicht, ein vom "Dogma" "gesättigtes" heiliges Spiel, dessen "Ab-
sichtslosigkeit" und "Zweckfreiheit" der Objektivität gerade größeren Raum einräumt
als eine nur von eigenen Absichten und Zwecken bestimmte Handlung.62
Weil aber in der Liturgie immer eine "Reihe" dominiert, erfordert sie selbst eine
Ergänzung durch andere Ausdrucksformen des Glaubens, in denen die jeweils andere
Seite (umschrieben mit den Stichworten "Volksfrömmigkeit", "Gemütsleben",
"Natur", "Persönlichkeit", "Zweckhandlung", "Ethos" usw.) dominiert. Dadurch steht
die Liturgie als ein Element in einer neuen, größeren "Gegensatzeinheit", nämlich der
Kirche, wenn sie auch innerhalb dieser Gesamtheit wiederum zu den "führenden"
Kräften gehört. In diesem Ganzen ist die Liturgie ein stilisierter symbolischer Aus-
druck, der nicht "Zwecke" verwirklichen möchte, sondern "Sinn" repräsentiert und
den neuzeitlichen Primat des Ethos vor dem Logos umkehrt.
Die Aufgabe, diese "Gestalt" den Menschen der eigenen Zeit, vor allem den jungen
Menschen, wieder zu erschließen, versucht Guardini unter anderem in seinen
Betrachtungen über "heilige Zeichen" einzulösen.63 Die Schrift "Liturgische Bildung"
(1923) führt dies dann auf grundsätzlicherer Ebene weiter.64 Hatte sich schon bisher
die Konzentration auf den Menschen als besonderes Kennzeichen der Äußerungen
Guardinis herausgestellt, so kann man die neue Schrift fast schon als "indirekte
Anthropologie" bezeichnen, die sich zur Kulturphilosophie erweitert65: Das Verhält-
nis von "Seele und Leib", von "Mensch und Ding", sowie zwischen dem Einzelnen
und der Gemeinschaft,66 werden hier im Hinblick auf die rechte liturgische Haltung
reflektiert, wobei jedes Kapitel zunächst das Schwinden dieser Haltung im Lauf der
neuzeitlichen Entwicklung aufzeigt, im Anschluß daran dann die positiven Anknüp-
fungspunkte der gegenwärtigen kulturellen Wende heraushebt und endlich mit
konkreten Folgerungen für die liturgische Bildung schließt.67
Vor allem der Symbolcharakter der Liturgie, der in der frühen Schrift bereits betont
worden war, wird nun noch einmal betrachtet. Dabei kommt ein weiteres Thema der
Gegensatzlehre zum Tragen - das des "Geschichtet-Seins" von "innen" nach "außen"
bzw. von "außen" nach "innen".68 Doch jetzt geht Guardini noch einen Schritt weiter:

bz
Ob in ähnlicher Weise von einem Primat der "dualistischen" Körper-Seele-Erfahrung gegenüber der
"monistischen" gesprochen werden kann, ist dagegen fraglich (vgl. dazu Liturgie, 551; Gegensatz, Anm. 33,
1471).
63
Von heiligen Zeichen, (2 Hefte, 1922/23); mit einem Geleitwort in Heft 1, das noch deutlich die Her-
kunft dieser Gedanken von der konkreten Bildungsarbeit auf Burg Rothenfels verrät. Zunächst erschienen
einige dieser Betrachtungen bereits in der Zeitschrift "Quickborn" (vgl. Liturgie im Alltag [1920-1922].
64
Vgl. außerdem Lex Orandi (1919); Unmittelbares und gewußtes Beten [urspr.: Über die Bedeutung der
reflexen und direkten Akte für das religiöse Leben (1919)], in: Auf dem Wege (1923).
65
Vgl. dazu den Bericht von Karl Freckmann über die Ulmer Akademikertagung 1923: "Gleichsam die
praktische Anwendungsmöglichkeit dieser Philosophie [gemeint sind die Vorträge Przywaras; A. K.] gab
Romano Guardini von der Universität Berlin in seinen Vorträgen über liturgische Bildung, die sich indessen
zu einem großzügigen Grundriß einer katholischen Kulturphilosophie weiteten" (167).
66
Vgl. LB 15-33, 34-47, 48-61 [28-47, 47-62, 63-78].
67
Zu dieser Vorgehensweise vgl. LB 131 [271]
68
Vgl. Gegensatz, 56-58, sowie 153.
Vom "Geist" der Liturgie 109

Nicht mehr die aus dieser "Schichtung" sich ergebenden Grunderfahrungen des
Menschen, die in den "transempirischen Gegensätzen" ausgesprochen werden, stehen
nun im Mittelpunkt, sondern das "Schichtungsverhältnis" selbst. Dieses ist nicht mehr
"gegensätzlich", sondern symbolischer "Ausdruck" - "ein Offenbaren des Inneren im
Äußeren, und ein Ablesen des Inneren aus dem Äußeren", "ein Hingeben des Inneren
durch das Äußere, und ein Empfangen des fremden Inneren aus dessen Äußerem. Es
ist das Symbolverhältnis in seiner doppelten Ansicht: Offenbarend oder erkennend;
gebend oder empfangend."69
Symbol schlechthin ist für Guardini dabei das Verhältnis von Leib und Seele, wie
es die Formel "anima forma corporis" ausdrückt. "Im Leib übersetzt sich die Seele
ins Körperliche, in ihr lebendiges 'Symbol'."70 Dieser Übersetzungsvorgang wird
quasi fortgesetzt mit Hilfe der "Dinge", die der Mensch in seinen Gebrauch nimmt,
und durch die "Gemeinschaft", in der der Einzelne steht. Damit ist nicht nur eine
Theorie des kulturellen Schaffens angedeutet, sondern die kulturelle Seite der Liturgie
noch einmal von ihren anthropologischen Grundlagen her aufgehellt. Wie Guardini
aber in einem eigenen Kapitel über "das Objektive" verdeutlicht,71 ist dieser Aus-
drucksvorgang gerade in der Liturgie nicht in einem "subjektivistischen" Sinne miß-
zuverstehen; zum Ausdruck komme vielmehr "das wahre Wesen des Menschen",
geformt nach dem Bilde Christi.72 "Die Liturgie ist Selbstausdruck des Menschen,
aber des Menschen, wie er sein soll."73 Zusammenfassend gilt also:
"Liturgische Gebetshaltung ist objektiver Ausdruck der Seele im Leib; Ausdruck
des Menschlichen in den Dingen; Ausdruck des Einzelnen in der Gemeinschaft
und mit ihr - alles aber in der gegenständlichen Haltung, für die Wünschen,
Fühlen, Erleben vor Sein, Wirklichkeit, Wesen zurücktritt. Sie will nicht eigen-
herrlich formen, sondern selbstlos dienen."74

dd. Die Begründung im "Mysterium"


Guardini geht in seiner "Liturgischen Bildung" bereits über eine bloße Reflexion der
kulturellen "Außenseite" der Liturgie hinaus. Er versucht erstmals eindeutig, auf den
inneren Gehalt vorzustoßen - auf das, was in der äußeren Gestalt zum "Ausdruck"
kommt. Die Gefahr, die mit einer einseitig "kulturellen" Betrachtungsweise verbun-
den ist, ist ihm freilich schon früher bewußt gewesen. So hatte er der 4. Auflage der
Schrift "Vom Geist der Liturgie" ein Kapitel über den "Ernst der Liturgie"15 hinzuge-
fügt, um den Einwand des "Ästhetizismus" zu entkräften.76 Er ging darin von der
Frage aus, was denn der Charakter der "Schönheit" im Ganzen des liturgischen Opus

69
LB 21 [34].
70
LB 22 [35].
71
Vgl. LB 62-82 [78-100],
72
Vgl. LB 741 [92].
73
LB 75 [92].
74
LB 74 [91].- Vgl. dazu v. a. Marschall, In Wahrheit beten, 70-86.
75
Vgl. Liturgie, 73-87.
76
Vgl. Liturgie, 73. - Guardini verwendet den Begriff "Ästhetizismus" hier nicht, sondern spricht ledig-
lich von einer "ästhetischen" Betrachtungsweise; diese hat aber von vornherein einen negativen Klang.
110 Interesse am Leben

bedeute.77 Die Antwort lautete, letztlich sei natürlich nicht die Schönheit das
Entscheidende, sondern die "Wahrheit".78 Die Kirche habe das "Opus Dei" aufge-
baut, nicht um schöne Gebilde zu schaffen, "sondern - soweit es sich nicht allein um
die Ehre Gottes handelte - um der ernsten Not unserer Seelen willen."79
"Wirklichkeit also, Annäherung des wirklichen Geschöpfes an den wirklichen
Gott, die bitter ernste Sache des Heiles - um das handelt es sich hier zuerst und
vor allem ... Und siehe da, es begab sich, daß es zur Schönheit geriet!"*0
Auch das Nachwort zur "Liturgischen Bildung" ("Religion und Kultur"*1) dient dann
der gleichen Abgrenzung gegenüber einem liturgischen Ästhetizismus:
"Das ist denn auch der tiefste Vorwurf, der gegen die Liturgie erhoben werden
kann: daß sie aus dem reinen religiösen Gebet, dem von allen Spannungen des
Gottesverhältnisses, von all dessen Seligkeit und Schrecken erfüllten Verkehr
mit Gott, eine 'religiöse Kultur' mache. Das Suchen des Heils, das Not-wehrende
Ringen mit Gott durch Mittel der Pädagogik und Dramatik und Kunst in Kultur
umgieße und die Religion als solche töte. Das ist auch der schärfste Vorwurf,
der gegen Gedanken erhoben werden könnte, wie dieses Büchlein sie entwik-
kelt. Ich weiß das und habe seine Wucht so stark gefühlt, daß ich mehr als
einmal glaubte, aufhören zu müssen."82
Guardini fühlte sich dennoch zum Weitermachen befugt, denn er war weit davon ent-
fernt, die "kulturelle" Außenseite etwa für das Eigentliche der Liturgie zu halten; sie
gründet für ihn vielmehr in einem "lebendigen Christentum"83, dessen Bejahung
vorausgesetzt wird. Nur unter dieser Voraussetzung sind die vorgetragenen Überle-
gungen berechtigt, und nur so sind sie auch hilfreich; denn sie verknüpfen ein
Geschehen, das nur im Glauben wahrgenommen werden kann, mit der menschlichen
Erfahrungswirklichkeit:
"Lebendig empfundene Frömmigkeit vergißt nur zu gern, daß sie Kultur braucht.
Zuviel Kultur verflacht, nimmt die wesentliche Spannung und den Ernst der
Entscheidung. Aber ohne sie wird jene Spannung zu einem gefährlichen Druck,
der die Seele zerstören kann. Echte Kultur gibt der Religion die Mittel, sich aus-
zudrücken; das ganze Leben zu ergreifen; zu schaffen und zu gestalten."84
Daß eine rein natürlich-kulturelle Betrachtung nicht genügt, zeigt Guardini im Blick
auf das "neue Heidentum", das er offenbar für den entscheidenden Konkurrenten der

77
Vgl. Liturgie, 74.
78
Vgl. Liturgie, 781
79
Liturgie, 84.
80
Liturgie, 85.
81
Vgl. LB 83-92 [100-110], - Eingangs hebt Guardini hervor, diese Bemerkungen würden eigentlich
hinter jedes einzelne Kapitel gehören (vgl. ebd., 8 [24]).
82
LB 901 [1081; der letzte Satz des Zitates ist hier weggelassen worden, obwohl er einen wichtigen Ein-
blick in das innere Ringen Guardinis gibt]
83
Vgl. LB 91.
84
LB 91 [1231]. Guardini nennt als Beispiele solcher mit kulturellen Mitteln gebildeten Formen des
Christentums Theologie, Verfassung und Recht der Kirche, Liturgie, sowie Sittenlehre und Erziehung. Vgl.
ähnlich: "Die Kultur vermag keine Religion zu schaffen, aber sie stellt dieser die Mittel zur Verfügung, um
ihre segensreiche Wirksamkeit voll zu entfalten. Das meint der alte Satz: philosophia ancilla theologiae' (die
Philosophie ist die Dienerin der Theologie). Er gilt für die ganze Kultur" (Die psychologischen Gesetze, 253
[21]) Siehe dazu Näheres unter Kap. IV,3,c.
Vom "Geist" der Liturgie 111

katholischen Kirche in der Zukunft hält - gerade weil es - bei anderem "Inhalt" - auf
ganz ähnliche äußere Formen zurückgreift.85
"Heidentum und katholisches Christentum stehen in tiefer Entsprechung zu
einander. Jenes der allem Natürlichen offene Naturzustand, der freilich die
Natur absolut nimmt und von keinem überweltlich-unabhängigen Gott weiß;
dieses das volle, ebenfalls allem Sein offene, aber alles Natürliche übernatürlich
verklärende Christentum. Beide haben eine verwandte Haltung: Sie stehen allem
Wirklichen offen; beiden fehlt das subjektiv-eigenwillige Auswählen aus dem
Wirklichen. Beide sehen auch, daß es um den Menschen geht, und wollen den
Fragen standhalten, die er stellt."86
Angesichts dieser Parallelität erhebt sich aber verstärkt die Frage nach der "Unter-
scheidung des Christlichen",87 die Guardini in der "Liturgischen Bildung" noch aus-
klammert, und aus deren Beantwortung im Sinne einer "Theologie der Liturgie" sich
eine Abgrenzung von neuheidnischen Kultformen ergeben könnte. Einen entscheiden-
den Vorstoß in diese Richtung leistet Guardinis Aufsatz "Vom liturgischen Myste-
rium",88 der ursprünglich im zweiten Band der "Liturgischen Bildung" stehen sollte.89
Es handelt sich um ein eigenständiges Weiterdenken der von lldefons Herwegen und
Odo Casel entwickelten "Mysterientheologie".
Im Mittelpunkt der Veröffentlichungen von Casel90 stand die Eucharistiefeier und,
damit zusammenhängend, der Gedanke der Vergegenwärtigung Christi in der Liturgie
überhaupt.91 Casel versuchte den besonderen Charakter dieser Vergegenwärtigung
dadurch zu verdeutlichen, daß er bei den antiken Mysterienkulten anknüpfte; der
Begriff des "Mysteriums" rückte dadurch in den Mittelpunkt - und zwar nicht nur für
das Verständnis von Liturgie, sondern auch für die theologische Gesamtkonzeption.92

85
Vgl. LB 27-30 [40-43].
86
LB 271 [401].
87
So der Titel des 1935 erschienenen Sammelbandes.
88
Vom liturgischen Mysterium (1925). [Auch dieser Beitrag wird im Folgenden nach der ursprünglichen
Fassung zitiert; die entsprechende Seitenzahl aus "Liturgie und liturgische Bildung" (Werkausgabe) ist
jeweils in Klammem hinzugesetzt.]
89
Guardini plante außerdem weitere Kapitel über den "Rhythmus" in der Liturgie (auch eine Konsequenz
der Gegensatzlehre?), über "liturgische Askese" und "Liturgismus" (vgl. "Zum Geleit", in: LB 8 [231]; Brief
vom 31. 5. 1922, Herwegen 32, 244-246, hier 245; Brief vom 15. 6. 1924, Herwegen 42, 2561, hier 257).
Später war geplant, den ganzen 2. Band dem Begriff des "Mysteriums" zu widmen, die übrigen Themen
dagegen in einem 3. Band zu behandeln (vgl. Brief vom 21. 5. 1925, Herwegen 46, 260). Warum weder ein
2., noch ein 3. Band erschien und die Arbeit über das "Mysterium" lediglich in den "Schildgenossen" abge-
druckt wurde, wird nirgends ersichtlich. Vielleicht lag es daran, daß der Kontakt mit Abt Herwegen mehr und
mehr abriß (mit Brief Nr. 46 endet die Korrespondenz und wird erst wieder am 6. 7. 1930 aufgenommen; vgl.
Herwegen 47, 2601); dieser hatte bei der Veröffentlichung der bisherigen liturgischen Arbeiten Guardinis
stets eine wichtige Rolle gespielt.
90
Vgl. O. Casel, Die Eucharistielehre des hl. Justinus Martyr, in: Der Katholik 4 (1914), 153-176, 243-
263, 331-355, 414-436; ders., Das Gedächtnis des Herrn in der altchristlichen Liturgie (1918); ders., De
philosophorum graecorum silentio mystico, Gießen 1919; ders., Die Liturgie als Mysterienfeier (1922). Zu
Casel vgl. v. a. Schilson, Theologie als Sakramententheologie (1982); M. J. Krähe, "Der Herr ist Geist".
Studien zur Theologie Odo Casels, 2 Bde., St. Ottüien 1986.
91
Zur liturgischen Grunderfahrung bei Casel vgl. Schilson, Theologie als Sakramententheologie, 134-136.
92
Vgl. Schilson, Theologie als Sakramententheologie. - Casel sprach wie Guardini von einer epochalen
Wende in der Gegenwart und verstand sie als "Wende zum Mysterium"; vgl. dazu: Das christliche Kultmyste-
rium, Regensburg 1932,9-20.
112 Interesse am Leben

Schon zuvor hatte Abt lldefons Herwegen die Idee der "Verklärung" zum "Kunst-
prinzip der Liturgie" erhoben und die Teilhabe am erhöhten Christus, vor allem in
Taufe, Firmung und Eucharistie, als Kernvorgang der liturgischen Handlung bezeich-
net.93 Beide Benediktiner vertraten also eine entschiedene "Christozentrik", wobei sie
vor allem auf johanneische und (deutero-)paulinische Christusaussagen zurückgriffen.
Auch Guardini, der 1921 an Herwegen schrieb, daß ihm jetzt die Bedeutung des
"Verklärungsbegriffes" aufgegangen sei,94 geriet zunehmend unter den Einfluß der
Laacher Mysterientheologie95 und legte schließlich selbst den bereits genannten
Versuch über das "liturgische Mysterium" vor. Darin hieß es, das liturgische Leben
sei
"eine besonders geartete Form jenes unmittelbaren Verhältnisses zum ge-
schichtlich-gewesenen, aber übergeschichtlich-gegenwärtigen Erlöser. Eine
besondere Art; denn sie ist nicht im Individuum, sondern in der Gesamtheit
verwurzelt; verwirklicht sich nicht in Vorgängen, Erlebnissen und Aufgaben des
täglichen Lebens, sondern in den Inhalten, Vorgängen und Formen des kontem-
plativen Lebens, in Gottesdienst und Kult. In der Liturgie steht die glaubende
Gesamtheit, und der Einzelne mit ihr, in jenem unmittelbaren Verhältnis zum
Erlöser, und zwar in einem wesentlich kontemplativen Akt: Der Betrachtung,
des Gebetes, der Teilnahme an Opfer und Sakrament".96
Guardini konzentrierte sich jetzt wie Casel und Herwegen vor allem auf die heilige
Messe, sowie auf die in der "Anaphora" hervortretende besondere Art des
"Gedächtnisses".97 Er setzte die historischen Erkenntnisse Casels voraus,98 ging aber
sofort, seinem ursprünglichen Ansatz gemäß, auf "systematische" Fragestellungen
über. Seine entscheidende Frage lautete nämlich, wie denn solche Mysteriengegen-
wart zu denken sei, und zu ihrer Beantwortung griff er nicht auf historische Verglei-
che, sondern auf philosophische Kategorien zurück, vor allem auf die neue Sicht der
"Ganzheit", wie sie ihm etwa in der Gestalttheorie Wertheimers begegnete.99 Außer-
dem versuchte er, sich dem Phänomen über den mittelalterlichen Begriff des "Aeviter-
num" anzunähern - einer Verbindung der Begriffe "Aeternum" und "Aevum", welche

93
Vgl. I. Herwegen, Das Kunstprinzip in der Liturgie (urspr. 1912); Der Verklärungsgedanke in der
Liturgie [1913], in: ders., Quellen, 22-48, hier bes. 43. Vgl. auch die Darstellung bei Schilson, Theologie als
Sakramententheologie, 59-81.
94
Vgl. Brief vom 19. 6. 1921, Herwegen 29, 2421, hier 243.
95
Spuren dieses Einflusses zeigen sich v. a. in: Lex Orandi (1919), 8; Sinn der Kirche (urspr. 1922),
85-87; Reichtum Christi (1923). Zum intensiven Austausch mit Herwegen vgl. bes. die insgesamt 47 erhalte-
nen Briefe zwischen dem 16. 4. 1917 und dem 21. 5. 1925 (Guardini, Herwegen). Zur Lektüre von Casels
Schrift über "das Gedächtnis des Herrn in der altchristlichen Liturgie" vgl. Brief vom 18. 10. 1918, Herwegen
11, 2221, hier 222; Guardini rezensiert sie in: Liturgische Bewegung I, 55. Eine Rezension von "Die Liturgie
als Mysterienfeier" findet sich in: Liturgische Bewegung II, 5931
96
Mysterium, 395 [126].
97
Vgl. Mysterium, 3881 [1161].
98
Vgl. bes. Mysterium, 389-391 [117-120]. Gegenüber den antiken Mysterien hebt Guardini allerdings die
Unterschiede scharf heraus; vgl. ebd., 3921 [121-123.]. Er kritisiert überhaupt die Idealisierung der Antike
durch Casel; vgl. die Rezension von "Die Liturgie als Mysterienfeier" durch Guardini in: Liturgische Bewe-
gung II, 5931
99
Vgl. Mysterium Anm. 5, 398 [Anm. 6, 1301].
Vom "Geist" der Liturgie 113

die Weise bezeichne, "wie das Ewige, in sich Zeitlose, dem Zeithaften koexistiert;
oder wie umgekehrt das Zeitliche am Ewigen teil hat."100
Auch wenn sich Guardini bewußt war, daß die Mysteriengegenwart Christi in der
Liturgie nicht etwa durch eine philosophische Reflexion begründet werden konnte,
sondern nur von ihrem eigenen geschichtlichen Ursprung her - der Aufforderung Jesu:
"Tuet dies zu meinem Andenken" -101, so versuchte er aber doch auch jetzt nicht eine
theologische Begründung des liturgischen Aktes, sondern blieb immer noch vorrangig
an dessen "Außenseite" haften. Jedoch war es ihm nun möglich, die Beschreibung der
Liturgie als stilisierten, symbolhaften, sinnvermittelnden "Ausdruck" des Menschen
auch vom theologischen Begriff des "Mysteriums" her zu bestätigen. Zu Recht habe
die Kirche den Auftrag Christi nicht als Verpflichtung zu einer "naturalistischen"
Wiedergabe verstanden, sondern als Aufgabe, das Gemeinte in eine "kultische" Sphä-
re zu transponieren.102 Gerade in ihrer "stilisierten" und "symbolischen" Gestalt
vermöge die Liturgie nämlich die Voraussetzungen der Mysteriengegenwart bereitzu-
stellen: Sie
"ist unrealistisch, stilisiert und damit so geartet, daß sie in jede historische
Situation eingeführt werden kann, in jede Kirche, jede Stimmung, in alle Man-
nigfaltigkeit von Ort, Zeit und Anlaß. Damit soll nicht gesagt sein, die Form der
liturgischen Handlung sei überzeitlich. Auch sie wandelt sich, und kann, je nach
der Zeitstimmung, mehr oder weniger als fremd empfunden werden. Doch han-
delt es sich dabei nicht um den Bruch der Wirklichkeitslinie an sich, sondern um
Grade unmittelbarer Erlebbarkeit. Hier aber geht es um etwas Grundsätzliches:
Eine Nachbildung würde wesentlich als unmöglich empfunden werden. Möglich
wird jenes Wiederaufstehen des vergangenen Vorganges nur, wenn es in einer
grundsätzlich unrealistischen, symbolischen Form geschieht".103 "In dieser
Form kann jenes Ereignis sich immer wieder in die Geschichte einfügen. Wenn
ich, als der Mensch, der ich bin, aus dem Leben heraus, das ich führe, an der
Feier des liturgischen Mysteriums teilnehme, so tritt es wieder als Geschichte in
mein Leben ein. Ebenso in das der Gemeinde: Wie sie heute ist, feiert sie das
Mysterium."104
Damit wird die äußere Form der Liturgie in theologischer Interpretation zu einer
Weise, wie das "Mysterium" des Christusereignisses bzw. der Erlösung dem
Menschen immer wieder gegenwärtig wird. "Kultur" tritt in den Dienst der
"fortwährenden Erlösung"105, so wie das einmalige geschichtliche Ereignis der Erlö-
sung im Wirken Jesu Christi vermittelt ist durch dessen menschliche Natur.106 Die
damit in Ansätzen sichtbar gewordene Theologie der Liturgie verweist zu ihrer
Begründung daher zunächst auf die Christologie zurück. Ihr wendet sich Guardini

100
Mysterium, 406 [143]; vgl. ebd., 405-407 [142-144]. Die Quelle, auf die er sich hier bezieht, nennt
Guardini nicht.
101
Vgl. Mysterium, 4091 [148].
102
Vgl. Mysterium, 411 [150].
103
Mysterium, 413 [154].
104
Mysterium, 4131 [154].
105
Vgl. Mysterium 414 [155].
106
Zur Bedeutung der menschlichen Natur für die "Minlerschaft" Christi vgl. bereits Erlösung, 48-60.
114 Interesse am Leben

am Ende der zwanziger Jahre auch tatsächlich zu (vgl. dazu VII,2,c). Die Reflexion
des liturgischen Aktes rückt in der Folgezeit dagegen in den Hintergrund, auch wenn
sie nie ganz verschwindet (vgl. dazu VII,4,c).

b. Vom "Sinn" der Kirche


aa. Kirche als Autorität
Romano Guardini hatte sich nach seiner religiösen "Wende" (vgl. oben Abschnitt
l,cc) vor allem der Liturgie zugewandt, während Karl Neundörfer über die soziolo-
gisch-juridische Seite der Kirche nachdachte.107 Beide jedoch blieben ihrer
ursprünglichen Einsicht treu, daß sich in beiden Aspekten ein dritter bemerkbar
mache - nämlich die Aufgabe der Kirche als "Wahrerin der durch menschliches
Wollen und Nichtwollen immerfort gefährdeten göttlichen Wahrheit".108
Dieser Gedanke wird bei Guardini gerade dort vertieft, wo er als Seelsorger und
Pädagoge den einzelnen Menschen in seinem Verhältnis zur Kirche vor Augen hat.
Während nämlich die "Freideutsche Jugend" auf dem Hohen Meißner noch einmal
mit großem Nachdruck die Freiheit des Einzelnen einforderte (1913; siehe dazu Kapi-
tel I,2,a,cc), erinnerte Guardini nachdrücklich an die Autorität der Kirche, die vom
einzelnen Christen Gehorsam forderte. Nun war Guardini freilich überzeugt, daß sich
im Freiheitspathos der Jugend in der Gegenwart etwas radikal anderes meldete als im
bisherigen Verlauf der Neuzeit seit ihren Anfängen in der Kultur der Renaissance.
Schon im Jahre 1911 hatte er festgestellt:
"Freiheit wollen wir, aber gerade vom eigenen Selbst; große Ideale, die uns
unsere Seelen nehmen, um sie uns größer wiederzugeben; große Zwecke und
Ziele, in denen der Einzelne sich vergißt; objektive unerschütterliche Wahrhei-
ten, die 'Dome bauen' können; Dogmen, d. h. Gegebenheiten, an denen nicht
gleich der Nächste rüttelt, sondern die Gemeinschaften zusammenhalten,
Geschlecht um Geschlecht erziehen."109
Das nämlich erschien Guardini neu gegenüber dem Freiheitsdrang der Renaissance:
Freiheit wurde jetzt nicht mehr subjektivistisch vom Einzelnen her gesucht, sondern
gerade dort, wo der Einzelne sich selbst (seine "Seele") an "große Ideale" und
"objektive unerschütterliche Wahrheiten" hinzugeben bereit war. Vor diesem Hinter-
grund gewann auch das Jesus-Wort Mt 10,39 eine Bedeutung, die weit über den
innerkirchlichen Raum hinausging. Guardini sah darin den "Schlüssel" nicht nur zur

lu/
Zur Ekklesiologie Guardinis (im Vergleich mit Erich Przywara) vgl. Faber, Kirche. Ferner die in Vor-
bereitung befindliche Arbeit von Klaus Korfmacher (Paderborn). Einen wichtigen Durchgang durch Guardi-
nis ekklesiologische Beiträge bietet Arno Schilson in: Dimensionen der Ekklesiologie. Sein und Sendung der
Kirche bei Romano Guardini (1986). Vgl. ferner: Balthasar, Guardini, 103-107; Wechsler, Guardini, 60-62
und 168-172; Kleiber, Glaube, 212-217; Lutz-Bachmann, Kirche.
108
Berichte, 88.
109
Renaissance, 889.
Vom "Sinn" der Kirche 115
Religion, sondern auch zu "großer Kultur"110. Sein persönlicher Weg aus der Krise
erschien als Teil der kulturellen Gesamtentwicklung.
Ein paar Jahre später (1916) reflektierte Guardini eingehender das Verhältnis von
Gehorsam und Freiheit1'' und bezeichnete Mt 10,39 sogar als ein "Grundgesetz alles
geistigen Lebens".112
"Das ist jenes innere Verlieren seiner selbst, darin er den Achsenpunkt seines
geistigen Lebens aus sich heraus in das 'Du' eines geliebten Menschen, eines
wertvollen Werkes oder Gedankens legt."113
Von hier aus gelingt ihm dann die Anwendung auf das Religiöse - die Beziehung alles
Endlichen zu Gott:
"So schließt sich gleichsam alles Endliche zu einem großen 'Ich' zusammen, dem
das endgültige 'Du' gegenüber tritt. Und von neuem ergeht das Gebot: 'Willst du
deine Seele finden, so mußt du sie hingeben.' Die ganze Natur an das, was über
alle Natur ist, die ganze Kreatur an Gott."114
Dieser "Elementarakt der Religion"115 ist jedoch nach Guardini erst dort vollendet,
wo der Mensch Gott nicht nur um des eigenen Heiles willen gehorche, sondern
einfach deswegen, weil Gott Gott sei.
"Jetzt ist der Eigengehorsam zum Gottesgehorsam geworden, der immanente
Gehorsam zum transzendenten. Jetzt ist jenes Verlieren der eigenen Seele erst
wirklich vollzogen, durch das sie gewonnen werden soll."116
Dieser Gehorsam sei nun aber von Christus selbst an eine "menschliche, innerwelt-
liche Autorität", die Kirche, gebunden worden:
"Soll die innere Entscheidung des Gehorsams wirklich vollzogen und durch das
ganze Leben hin wirklich aufrecht erhalten werden, so muß die überweltliche,
unsichtbare Autorität Gottes innerhalb der Welt dem Menschen greifbar entge-
gentreten, muß die einmal geschehene Offenbarung beständig durch eine gegen-
ständliche Macht verbürgt und vermittelt werden. Das geschieht in der
Kirche."117
Die Kirche erscheint so als die "notwendige innerweltliche Form der Gehorsamsfor-
derung",118 sie ist "der präsente Gott", wie Guardini - vorsichtig und unter Verweis
auf den hegelschen Wortsinn - formuliert. Hier erfahre der Wille zum Gehorsam
"seine höchste Belastungsprobe" und übe eine "tief eingreifende, wahrhaft ent-
selbstende (!) Wirkung" aus.119 Aber das, was das "Selbst" des Menschen an seiner

110
Vgl. Renaissance, 889.
111
Der religiöse Gehorsam (1916; zit. nach der Fassung von 1923); Zum Begriff des Befehls und des
Gehorsams (1916); Zum Begriff der sittlichen Freiheit (1916).
112
Gehorsam, 9.
113
Gehorsam, 9.
114
Gehorsam, 10. - In der Originalfassung ist Mt 10,39 folgendermaßen übersetzt: "Willst du dich finden,
so mußt du dich verlieren" (738).
115
Gehorsam, 11.
116
Gehorsam, 13. In der ersten Fassung (1916) hieß es: "Erst jetzt ist die Autonomie zur Theonomie
geworden, der immanente Gehorsam zum transzendenten ..." (741).
117
Vgl. Gehorsam, 17.
118
Gehorsam, 17.
119
Gehorsam, 18.
116 Interesse am Leben

Entfaltung zu hindern scheine, hebe in Wirklichkeit seine Unfreiheit auf: "Freisein


von der Enge des eigenen Selbst, von der Sünde, von der Knechtschaft der Dinge, von
den eigenen Zuständen und Bedürfnissen, von den Menschen"; und "Freisein für
Gottes unendliches, ganz gültiges, heiliges Leben", das heißt für "das Eigenbeste, für
die innerste Wesensbestimmung".120 Ein ganz bestimmtes Freiheitsverständnis kommt
hier zum Tragen: Nicht in erster Linie Wahlfreiheit, sondern Freiheit der
" Wesensverwirklichung":121
"Ein Mensch ist frei, wenn er ganz das ist, was er seinem Wesen nach sein soll.
Freiheit ist die Weise, wie einer ganz er selbst ist und zu allen Dingen in rech-
tem Verhältnis steht. Zu dieser Freiheit aber führt der Weg durch den Gehor-
sam."122
Eine solche Auffassung wurde innerhalb der "freideutschen Jugendbewegung", die
von einem emanzipatorischen Grundansatz ausging, freilich nicht verstanden.123
Guardini hat sich der Kritik aus ihren Reihen bereitwillig gestellt und den radikalen
Autonomiewillen, den er festzustellen meinte, klar zurückgewiesen.124 Es sei die
katholische Haltung, die über die Meißner-Formel hinausführe und für die Zukunft
bestimmend werde.125 Sie nämlich führe den Menschen - und das ist die Kernthese
des Kirchenbuches von 1922126 - zur wahren Entfaltung seiner Persönlichkeit und
damit zur Freiheit.121 Sie tue dies eben dadurch, daß sie den Einzelnen immer wieder
vor jene Tatsache stelle, "die ihn zur rechten Haltung bringt: vor das Absolute".128
Dadurch entsteht Freiheit in einem viel tieferen Sinn, als der neuzeitliche
"Relativismus" zu leisten vermag. Indem der Mensch sich nämlich vor das

120
Gehorsam, 16.
121
Vgl. Freiheit, 9771
122
Vom Sinn des Gehorchen (1920; zit. nach der Fassung von 1923), 20.
123
Die Diskussion wird eröffnet von K. G. W. Kelber, Vom Sinne des Gehorchens (Kritik des gleichna-
migen Aufsatzes von Romano Guardini - siehe Anm. 24), in: Die Schildgenossen 1 (1920), 113-115. Guardi-
nis Antwort: Vom Sinne des Gehorchens. Erwiderung auf K. G. Wilhelm Kelbers Kritik meines Aufsatzes,
in: Die Schildgenossen 1 (1920), 115-120. Neue Kritik: M. Bondy, Jugendbewegung und Katholizismus, in:
Die Schildgenossen 2 (1921/22), 44-56. Darauf Guardini: Katholische Religion und Jugendbewegung. Eine
Antwort an Max Bondy, in: Die Schildgenossen 2 (1921/22), 96-110. Vgl. auch: H. Schultz-Henke, Neue
Jugend und katholische Werthierarchie, in: Die Schildgenossen 1 (1920/21), 210-216; T. Freudenberger, Zu
Max Bondys Aufsatz über "Jugendbewegung und Katholizismus", in: Die Schildgenossen 2 (1921/22, 275-
283; M. Bondy, Noch einmal Jugendbewegung und Katholizismus. Eine Entgegnung auf Guardinis Antwort,
in: Schildgenossen 2 (1921/22), 275-283. Abschließend Guardini: Nachwort nach zwei Jahren, in: ders., Auf
dem Wege. Versuche, Mainz 1923, 311 Zum Ganzen vgl. Höltershinken, Autorität und Gehorsam.
124
Später schwächt Guardini diese Kritik ab; die freideutsche Jugend habe zwar mit der Grundhaltung
der Autonomie zunächst einfach das Erbe der Vergangenheit angetreten, in Wirklichkeit aber bereits die
Überwindung Kants vollzogen (vgl. Nachwort; siehe vorige Anm).
125
Vgl. Gehorchen, 281
126
Vom Sinn der Kirche. Fünf Vorträge (urspr. 1922). [Beide Kirchenschriften Guardinis sind jetzt
gemeinsam in einem Band der Werkausgabe zugänglich. Redaktionelle Bearbeitungen scheinen mir hier
weniger gewichtig als bei den liturgischen Schriften, so daß in diesem Fall bei der Zitation auf die jüngste
Auflage zurückgegriffen werden kann. Allerdings finden sich durchaus bemerkenswerte Veränderungen, auf
die an Ort und Stelle hingewiesen wird. Man beachte etwa, daß Guardini ab der 3. Aufl. (1933, 33-51) konse-
quent "Reich Gottes" durch "das Neue Leben" ersetzt (vgl. Sinn der Kirche, 35-47 mit der 1. Aufl., 20-34).]
127 vgl. die Überschriften: "Der Weg zum Mensch-Werden" (Sinn der Kirche, 48); "Der Weg zur Frei-
heit" (ebd., 63).
128
Sinn der Kirche, 58.
Vom "Sinn" der Kirche 117

"Unbedingte" gestellt sieht, erwacht in ihm die "Sehnsucht nach einem von den
tausend Abhängigkeiten des Erdenlebens freien, innerlich erfüllten Dasein".129
Zum Beispiel durch das Dogma: Es sammelt die ins Wanken geratene Erkenntnis-
kraft um einen "sicheren, sammelnden, ordnenden Mittelpunkt", der nicht einengt,
sondern befreit:
"Die Seele wird gelassen, froh, fähig, ihre Grenzen zu bejahen, und doch ins
Unendliche zu streben; sich abhängig zu sehen, aber ihre Abhängigkeit zu
überwinden. Das alles heißt: Mensch werden."130
Ähnlich verhält es sich mit dem sittlichen Wollen; wenn die Kirche den Menschen vor
die Person Christi stellt, dann wird sein Ziel klar, sein Handeln entschieden, sein
Leben ordnet und gliedert sich: "er wird Mensch."131 Und schließlich wird auch die
lebendige religiöse Beziehung zu Gott in der Liturgie so geordnet, daß der Mensch
sich selbst als Mensch bekennt und Gott die Ehre gibt:
"Auch das bringt das ganze Innere in die rechte Ordnung. Alles wird beim rech-
ten Namen genannt und nimmt seine wesensgemäße Gestalt an: vor dem wirkli-
chen Gott wird der Mensch wirklich Mensch."132
Wer diese Aussagen heute liest, fragt mit Recht, ob mit der "Hingabe des Selbst" etwa
schon alles über die religiöse Existenz gesagt sei. Wenn die wirkliche und tiefste
Freiheit angestrebt wird - trägt dann zur Erreichung dieses Ziels wirklich nur die
objektive Wahrheitsinstanz der Kirche bei, oder ist daneben nicht auch noch das von
Bedeutung, was der Einzelne als Persönlichkeit in sich trägt? Diesen Einwand hat
Guardini sehr wohl empfunden. Fast gleichzeitig mit seinen Überlegungen zu Freiheit
und Gehorsam finden sich von ihm Aussagen, in denen die Hingabebewegung des
"Selbst" entscheidend relativiert wird.

bb. Selbsthingabe und Selbstbewahrung


Im Jahre 1916 versuchte Guardini in einem trinitätstheologischen Beitrag133, einen
Beweis für den "Lebenswert" christlicher Dogmen, von dem sein Tübinger Lehrer
Wilhelm Koch gesprochen hatte (vgl. dazu oben Abschnitt l,cc), zu liefern. Freilich
begann er nicht wie Koch mit einer theologischen Reflexion, um dann eine sittliche
Nutzanwendung anzufügen.134 Ausgangspunkt war vielmehr ein phänomenologischer
Zugang zum menschlichen Gemeinschaftsleben. Dabei stößt der Betrachter wieder
auf das Gesetz der Hingabe seiner selbst:
"Der eine gibt dem anderen Anteil an seinen Sachgütern, seinem Wissen, seinen
Erfahrungen und gesellschaftlichen Vorteilen; im Vertrauen gibt er ihm Anteil
am eigenen Innern; in Selbstlosigkeit und Treue dient er ihm, bis die Hingabe
sich in dem weiter nicht auflösbaren Persönlichkeitsbund der Liebe vollen-
det."135
129
Vgl. Sinn der Kirche, 58.
130
Sinn der Kirche, 60.
131
Sinn der Kirche, 61.
132
Sinn der Kirche, 62.
133
Vgl. Dreieiniger Gott (1916).
134
Vgl. dazu den Rückblick in: Existenz, 3-5.
135
Dreieiniger Gott, 88.
118 Interesse am Leben

Guardini spürt nun aber, daß diese Seelenbewegung auch Gefahren mit sich bringen
kann - die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit, das Handeln gegen das eigene Gewis-
sen, den Verlust von Frische und Ursprünglichkeit des Lebens. "Gemeinschaft macht
gemein" (Nietzsche).136
"Also muß dieser Seelenbewegung eine entgegengesetzte begegnen und ihr
Widerstand bieten: das Streben nach Selbsthaltung, nach Abstand zwischen sich
und dem anderen. Dieses wahrt das Recht auf eigene Überzeugung, behauptet
die Unabhängigkeit des Urteils, die Selbständigkeit des Entschlusses und der
Verantwortung."137
Auch solche "Selbsthaltung" hat ihre Gefahren - eine zu große Distanz vor dem
Andern, Scheitern der Gemeinschaft, Einsamkeit. Ein Wechselspiel ist daher notwen-
dig, aber nicht in der Weise von Naturkräften, sondern getragen von einer menschli-
chen Willensentscheidung. Der Wille zur Gemeinschaft verlangt nämlich nicht nur
Vertrauen zu- und Hingabe aneinander, sondern auch, daß die dadurch gestiftete
Gemeinschaft dennoch eine "Verbindung selbständiger Persönlichkeiten" bleibe:
"Der Mensch kann dem Menschen nie Mittel zum Zweck, sondern nur Selbst-
zweck sein; die Freiheit seines Gewissens, seines Urteils, seines Entschlusses
darf nicht angetastet werden."138
Eben dieses "Spiel wechselseitiger Berichtigung"139 findet sich nun aber auch in
Gott. Vollkommene Hingabe: "Nichts behält Vater oder Sohn für sich. Nichts weist
der Sohn vom Geben des Vaters zurück, nichts der Heilige Geist von ihrer beider
Schenken."140 Aber auch vollkommene Selbstbewahrung: Die Personen "verharren
unvermischt, unvertauscht, schlechthin unantastbar. Der Vater ist nicht und in keiner
Weise der Sohn, und von beiden unverwechselbar unterschieden der Heilige
Geist."141
Viel tiefer geht Guardinis trinitätstheologische Reflexion an dieser Stelle nicht. In
unserem Zusammenhang kommt es auch lediglich darauf an, daß im Rückgriff auf
eine dogmatische Wahrheit das Wechselspiel zwischen Selbsthingabe und Selbstbe-
wahrung im menschlichen Gemeinschaftsleben gerechtfertigt wird. Menschliche
Gemeinschaft erscheint als "vestigium Trinitatis";142 ja, die Trinität ist nicht nur
Vorbild des Gemeinschaftslebens, sondern auch die Kraft, es zu erreichen.143
Auf die Kirche kommt Guardini an dieser Stelle noch nicht zu sprechen. Hat er sie
überhaupt schon deutlich als Gemeinschaft verstanden? Dominierender war auf jeden
Fall die Vorstellung einer dem Einzelnen gegenübertretenden Autorität. Freilich ist
auffallend, daß Guardini auch in den frühesten Schriften nie ausdrücklich auf die
kirchliche Hierarchie zu sprechen kommt, sondern immer nur von der Kirche redet.
Sicher hat nicht nur sein priesterliches Selbstverständnis (der "brüderliche" Priester,

136
Vgl. Dreieiniger Gott, 89.
137
Dreieiniger Gott, 89.
138
Dreieiniger Gott, 901
139
Dreieiniger Gott, 90.
140
Dreieiniger Gott, 92.
141
Dreieiniger Gott, 92.
142
Vgl. Dreieiniger Gott, 93.
143
Vgl. Dreieiniger Gott, 94.
Vom "Sinn" der Kirche 119

der als Autorität den Gläubigen nicht gegenübersteht, sondern neben sie tritt144)
sondern auch die Konzentration auf die liturgische Wirklichkeit eine Aufspaltung in
Kleriker und Laien im Kirchenverständnis verhindert. So wird die Kirche gerade
"Gemeinschaft" zum "Subjekt" der Liturgie und grenzt diese ab von der Gottesvereh-
rung des Einzelnen;145 und als "Gemeinschaft" ist sie daher auch die Wahrheitsin-
stanz, die Opfer und Verzicht, Gehorsam und Liebe abverlangt, um den Einzelnen
gerade so innerlich zu befreien und zu formen.146 Stets ist dabei jedoch mehr gemeint
als die Summe der Einzelnen - nämlich eine "Gesamtheit, aber insofern die Einheit
als solche etwas ist, abgesehen von der Menge, die sie bilden: die Kirche."141
Noch intensiver dürfte die Gemeinschaftserfahrung der Quickbornjugend, an der
Guardini partizipierte, die Sicht der Kirche als Gemeinschaft gefördert haben. Ohne
sie ist das Kirchenbuch von 1922 nicht zu verstehen. Jetzt geht Guardini nämlich erst
auf, wie "individualistisch, zersplittert, gemeinschaftslos" auch das religiöse Leben
bisher gewesen ist.
'"Ich und mein Schöpfer' war für Viele die ausschließliche Formel.... Wie wenig
war der Einzelne sich der Pfarrgemeinde bewußt. Wie individualistisch wurde
das Sakrament der Gemeinschaft, die 'Kommunion' aufgefaßt!"148
Nun aber erwacht die Kirche in den Seelen.149 Die Menschen haben genug von einer
Religion, die auf den Bereich des Subjektiven beschränkt bleibt. Sie empfinden neu,
was "Wirklichkeit" heißt - Wirklichkeit der Dinge, Wirklichkeit der Seele, Wirklich-
keit Gottes. Und sie entdecken die Gemeinschaft - die Gemeinschaft, in der jeder
Einzelne selbstverständlich steht; die Gemeinschaft des "Volkes", die gerade der
"Gebildete" so oft verschmäht hat und die in der Jugendbewegung neu ins Bewußt-
sein getreten ist; die Gemeinschaft der weltumspannenden Menschheit; ein strömen-
des Gemeinschaftsgefühl, zugleich aber ein Sinn für "geformte Gemeinschaft", in der
das Moment des "Objektiven" mit dem des Gemeinschaftsmäßigen verschmilzt.
Schließlich kann von hier aus auch die religiöse Gemeinschaft, die Kirche, neu ent-
deckt werden - als "Corpus Christi mysticum", geformt durch Dogma, Kirchenrecht
und Ritus, aber "durchpulst" vom Bewußtsein eines übernatürlichen Lebens, das in
der trinitarischen Gemeinschaft entspringt: "Das ist das Organisationsgesetz des
christlichen Lebens: das Gesetz der Heiligsten Dreieinigkeit."150
Ein "Vorgang von ungeheurer Tragweite":
"Das religiöse Leben kommt nicht mehr nur vom Ich, sondern erwacht zugleich
im Gegenpol, in der objektiven, geformten Gemeinschaft."151

144
Vgl. Berichte, 98-100.
145
Vgl. Liturgie, 4.
146 yg] ^ Kapitel "Liturgische Gemeinschaft", in: Liturgie, 25-34.
147
Liturgie, 25; vgl. ebd., 251 Guardini knüpft dabei an die Ganzheitsvorstellungen Drieschs und Wert-
heimers an; siehe oben unter III,2,b.
148
Sinn der Kirche, 22.
149
Vgl. Sinn der Kirche, 19. Zum Folgenden vgl. ebd., 19-34. Siehe auch schon oben unter II,2,b,bb (1).
Karl Adam faßt mit einer ähnlichen Formulierung Aussagen Heilers (vgl. etwa Wesen, 681) zusammen:
"Heiler hat recht gesehen, wenn er ein Wiedererwachen der katholischen Kirche auch in den Seelen Anders-
gläubiger feststellt..." (Adam, Katholizismus, 17).
150
Sinn der Kirche, 29.
151
Sinn der Kirche, 29.
120 Interesse am Leben

Ausgangspunkt von Guardinis Kirchenbuch ist also dieser Vorgang: Der Einzelne
entdeckt die Kirche. Es gibt aber auch den umgekehrten Vorgang, der im Dreieinig-
keits-Aufsatz von 1916 angeklungen war: Die Kirche entdeckt den Einzelnen. Auch er
bleibt in Erinnerung, wenn Guardini daran erinnert, daß das "Reich Gottes" nicht nur
das Menschheitsganze ergreift und so zur "Kirche" wird, sondern daß es auch eine
subjektive Seite hat - "Gottes Reich in der Seele, die christliche Persönlichkeit"152.
Beide Verwirklichungsweisen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern
untrennbar miteinander verbunden:
"Sobald ich 'Kirche' sage, sage ich auch 'Persönlichkeit', und wenn ich von der
christlichen Innenwelt rede, steht sofort die christliche Gemeinschaftswelt auch
da."153
Die Kirche ist unumgänglicher "Weg zur Persönlichkeit", aber nicht der einzige.154
Im Schlußkapitel wird die Bedeutung des eigenen "Selbst" auf diesem Weg sogar
ausdrücklich hervorgehoben. Noch einmal wird zunächst das Erwachen des Gemein-
schaftsgefühls in der Jugendbewegung nachvollzogen.155 Die Darstellung erschließt
dabei die Formen kirchlicher Gemeinschaft und führt erneut hinein in das Geheimnis
der Trinität. Und wieder dreht sich an diesem Punkt die Blickrichtung um: Selbstbe-
wahrung tritt neben das Gemeinsamsein - ein Gesetz, das sich dann wieder in jeder
echten Gemeinschaft, auch in der Kirche, auswirkt.
"Tiefe Gemeinschaftlichkeit verbindet alle Glieder der Kirche, aber nirgendwo
formloses Sich-verlieren. ... Wir wollen wirklich katholisch werden; dann erle-
ben wir, was Gemeinschaft ist. Dann fühlen wir das lebendige Strömen von
Mensch zu Mensch, den Puls, der vom Herzen Christi durch alle Glieder
schlägt. Aber immer wird der heilige Kreis um das Innerste liegen und es keusch
halten. Er wacht, daß keiner dem andern zu nahe rücke, keiner in die Seele des
anderen hineingreife, keiner die innere Selbständigkeit antaste oder über sie
hinwegschreite. Tiefe Ehrfurcht wird alles beherrschen."156
Aus diesem Grund darf auch nicht jeder Befehl und nicht jede Autorität von vorn-
herein als sittlich gut betrachtet werden. Ja, im echten und ursprünglichen Sinn kann
nur Gott Autorität sein und Gehorsam beanspruchen. Alle irdischen Instanzen besit-
zen demgegenüber lediglich eine stellvertretende Macht.157 Sie müßten sich daher
auch vor allem um ein "warmes, vertrauensvolles Verhältnis" bemühen und das Mittel
des Befehls nur mit Klugheit und Maß gebrauchen.158 Der Gehorchende dürfe seiner-
seits die Person des Befehlenden und die Gültigkeit des Gebotes nicht identifizieren;
er habe das Recht und die Pflicht zu selbständigem Handeln, vor allem dann, wenn

151
Sinn der Kirche, 39.
153
Sinn der Kirche, 42.
154 vgl. etwa Sinn der Kirche, 48 (Text mit Anm. 6). "Um so tiefer kann die Kirche auf den Einzelnen
wirken und um so voller ihn zur Persönlichkeit heranheben, je entschlossener er zugleich sich zu dem
bekennt, was er ist; zu werden und zu wirken sucht, was Gott ihm in seinem Wesen vorgezeichnet hat" (ebd.,
Anm. 6).
155
Vgl. Sinn der Kirche, 80-89.
156
Sinn der Kirche, 92.
157
Vgl. Freiheit, 987.
158
Vgl. Befehl, 8411
Vom "Sinn" der Kirche 121

eine an ihn gestellte Forderung etwas Unrechtes enthalte.159 "Befehlen und Gehor-
chen" sei eine Lebensbeziehung, die ihren letzten Sinn in einem Vater-Kind-Verhält-
nis habe, wie es gerade im Blick auf Gottes Vaterschaft deutlich werde.160
"Katholisches Gebieten ist immer voll Ehrfurcht. Es weiß, daß die Persönlich-
keit heilig ist. Es fordert nicht nur die Demut des Gehorsams, sondern auch die
des Befehls".161
"Katholisches Gehorchen ist immer voll Würde. Kein Sich-Ducken und auch
kein schwächliches Sich-Anlehnen, sondern ein freies, aufrichtiges Selbstein-
ordnen in das sinnvolle Verhältnis des Gehorsams, das auch dessen Grenzen
kennt und die eigene Selbständigkeit wahrt".162
Aber welche Rolle spielt die Kirche in diesem "katholischen" Gehorchen wirklich?
Wird sie von Guardini noch als irdische Instanz gesehen, die - wie die elterliche oder
die staatliche Autorität - immer nur in unvollkommener Gestalt vor den Einzelnen
hintritt? Oder ist sie nicht allzu sehr auf die Seite Gottes gerückt, dessen Autorität sie
ungebrochen verkörpert und um dessentwillen sie auch unbedingten Gehorsam
verlangen darf? Was macht die Kirche zu einer Größe, die sich von irdischen Instan-
zen grundlegend unterscheidet, und warum ist das gegenwärtige "Erwachen" erst in
dem Augenblick an sein Ziel gekommen, wenn es die Kirche entdeckt? Der Hinweis
auf die "Katholizität" der Kirche ist ein erster Versuch Guardinis, darauf eine
Antwort zu finden; er läßt gleichzeitig noch einmal die Philosophie des Lebendig-
Konkreten zur Anwendung kommen.

cc. "Katholizität" als lebendige Ganzheit


Das "Erwachen der Kirche in den Seelen" konnte Guardini vor allem in der Begeg-
nung mit der Quickbornjugend registrieren (vgl. dazu Kapitel I,3,b,bb). Schon 1920
faßte er es in einer Ansprache auf Burg Rothenfels in folgende Worte:
"Freunde, fühlt ihr die Gnade, die uns gegeben ist? Noch vor nicht vielen Jahren
war gläubig sein oft so mühselig. Die materialistische Zeit hat es so schwer
gemacht. Heute sind die Fesseln gefallen. Uns ist gegeben, mit Freuden katho-
lisch zu sein, ja darin alle Lösungen zu finden, nach denen die Welt sich sehnt.
Fühlt ihr, welche Gnade das ist?"163
Von da ab taucht das Wort "katholisch" immer wieder auf, wenn Guardini die Bedeu-
tung der Kirche für die Gegenwart beschreiben will. Vor allem in dem grundlegenden
Beitrag "Neue Jugend und katholischer Geist" (1920) versucht er zu zeigen, wie
wenig sich beide Bewegungen widersprechen, wie sie vielmehr gerade zueinander
passen. Hier findet sich auch die für die Folgezeit bestimmend bleibende Definition
des "Katholischen" als einer Haltung, die die Ganzheit des Lebens im Blick behält:

159
Vgl. Befehl, 842.
160 vgl. Befehl, 843.
161
Sinn der Kirche (1. Aufl.!), 88. - Guardini hat den Begriff "katholisch" ab der 3. Aufl. (1933) wegge-
lassen. Es heißt nur noch: "Das Gebieten ist voll Ehrfurcht ..." (Werkausgabe, 93); "Das Gehorchen ist voll
Würde ..." (ebd., 94) usw. Dies ist offenbar bereits eine Konsequenz aus der allzu triumphalistisch-konfessio-
nalistischen Verwendung des Begriffs im Umfeld Guardinis; siehe dazu II,2,b,cc.
162
Sinn der Kirche (1. Aufl.!), 89. - Siehe dazu die vorige Anm.
163
Abende, 88.
122 Interesse am Leben

"Der katholische Mensch ist der ganze Mensch. Er allein ist es. Ist der Mensch,
dessen Geisteshaltung zutiefst bestimmt wird durch den Willen, das ganze
Leben, die ganze Wirklichkeit und die ganze Idee zu bejahen. Nicht aus
schwächlichem, schöngeistigem Ausgleichsbedürfnis; nicht weil er die
Entscheidung fürchtet, sondern weil er wahrhaftig ist. Was ist und was gilt, ist
und gilt auch für ihn, und er fühlt die Pflicht, es anzuerkennen. ... Und es ist
'Häresie', Irrlehre, wenn jemand aus irgendwelchen Gründen ein Stück des
Wirklichen und Gültigen herauswählt und das übrige beiseite drängt."164
Bereits im Jahre 1909 hatte A. de Polpiquet die Idee einer "qualitativen" Katholizität
in die Diskussion eingeführt.165 Die katholische Kirche sei groß und weit wie der
universelle Heilswille Gottes. Katholizität bedeute demnach die Überwindung aller
Partikularismen sozialer, nationaler, weltanschaulicher Art usw.166 Eine große Anzahl
deutscher Theologen - unter ihnen Karl Adam, Johannes Hessen und eben auch
Romano Guardini - griffen diese neue Sicht auf, ohne freilich den Anspruch der eige-
nen Konfession auf ebendiese "Katholizität" aufzugeben.167 Die "quantitative"
Katholizität wurde durch einen neuen Anspruch ersetzt, der "nicht mehr soziologisch
und realhistorisch zu verifizieren, sondern nur noch dogmatisch zu begründen ist."168
Trotz der Problematik dieser Neubestimmung, vor allem im Zusammenhang einer
neuen Konfessionalisierung,169 bildete sie doch einen ersten Schritt zur Wiederent-
deckung jenes ursprünglichen Sinnes, den das Wort im Credo besitzt, wo es nämlich
nicht einfach eine Konfessionsbezeichnung darstellt, sondern "das dritte Merkmal
jener einen Kirche, zu der sich alle bekennen"170.
Bei Guardini wird allerdings die "Katholizität" der Kirche gar nicht in erster Linie
dogmatisch begründet, sondern mit den Kategorien seiner Gegensatzphilosophie. Die
Vielfalt des Lebendig-Konkreten muß in der Kirche Raum finden, und zwar ohne daß
irgendetwas davon wertmäßig den Vorrang beanspruchen dürfe.171 Freilich schließt
dies einen Ordnungsprimat nicht aus; die Frage danach ist wichtig: "Ob die Form
oder die Fülle, die Ordnung oder der dunkle Drang, Gestalten oder Schaffen? Allge-
meines oder Besonderes, Sein oder Werden und Tat? Der Zusammenhang oder der
Augenblick? Apollo oder Dionysos?"172 Schon im Gegensatzbuch war die Antwort
klar ausgesprochen: Es ist die "Form-Reihe", die innerhalb des lebendig-konkreten
Ganzen die Führung übernimmt. Genau dies aber bekräftigt eine katholische Haltung:

164 Neue Jugend, 17.


165
Vgl. A. de Poulpiquet, Essai sur la notion de catholiciti, in: RSPhTh 3 (1909), 17-36; ders., La notion
de catholicite\ Etüde apologetique, Paris 1923, 180-184; 271-273.
166 vgl. Seckler, Katholisch, 406.- Zum Begriff "katholisch" vgl. auch Vorgrimler, Katholisch; Salaverri,
Katholizität; H. U. v. Balthasar, Katholisch. Aspekte des Mysteriums, Einsiedeln 1973.
167
Vgl. Seckler, Katholisch, 406-408.
168
Seckler, Katholisch, 422.
169
Vgl. Seckler, Katholisch, 408-410.
170
Seckler, Katholisch, 401.
171
Vgl. Neue Jugend, 171
172
Neue Jugend, 18.
Vom "Sinn" der Kirche 123

"Das Ganze des Lebens bejahen, aber in diesem Ganzen den Mächten den Vor-
rang geben, denen er den innersten Gesetzen alles Seins gemäß zukommt, das
ist katholischer Geist."11*
"Katholisch" ist somit jene Haltung, die - bei klarer Bejahung des Ordnungsprimats -
das Ganze der gegensätzlich strukturierten Wirklichkeit zusammenzuhalten vermag.
Verwirklicht ist dies, wenn überhaupt, in der "katholischen" Kirche:
"Eine gegenständliche, unabhängige Lebens- und Wahrheitsordnung muß sein,
von tausendjähriger Erfahrung, erleuchtet durch göttliches Licht, geordnet von
Gottes Zucht, getragen von den Einsichten ganz selbstlos gewordener Seelen.
Sie allein kann im Wirbel menschlicher Meinungen und Leidenschaften den
Sinn der Lebensganzheit, die Fülle der Gotteswirklichkeit, Gesamtgehalt und
Einheit des Christusbildes aufrechterhalten, durchsetzen und in Lebensordnun-
gen umschmieden, die auch wirklich das tägliche Dasein ergreifen. Das aber ist
die Kirche."114
Schon die "Objektivität" der Liturgie hatte Guardini mit dem jahrhundertelangen
Wachstum der religiösen Formen begründet, durch das die vielfältigsten menschli-
chen Erfahrungen in die Gestalt des kirchlichen Betens eingegangen sind (vgl. oben
in diesem Kapitel Abschnitt 3,a,bb). Aus diesem Grund partizipiert auch der liturgi-
sche Akt an der Gegensatzstruktur alles Konkret-Lebendigen; über den (Führungs-)
Primat der "Form" hinaus, der nach Guardini in jedem Lebendigen zu finden ist (vgl.
Abschnitt 2), zeichnet sich die Liturgie durch ein größeres quantitatives Maß an
"Form" aus und tritt damit im größeren Ganzen der Kirche "subjektiven" Frömmig-
keitsformen an die Seite, in der die "Fülle" zum Ausdruck kommt.175 Nun wird die
Kirche selbst als Ganzheit von Gegensätzlichkeiten in den Blick genommen. Auch
dies wird mit einem geschichtlichen Wachstumsprozeß erklärt: Wie ein Baum aus
Erde und Luft die notwendigen Stoffe aufnimmt, die er zu seinem Wachstum braucht,
so stehe auch die Kirche vor uns als
"die lebendige, mit Hilfe menschlicher Kulturmittel vollzogene Entfaltung
dessen, was ihr von Christus übergeben wurde." 176
Die Kirche insgesamt braucht also menschliche Kulturmittel und partizipiert damit an
den Strukturmerkmalen des Lebendig-Konkreten. Daß gerade darin ihre "Katholizität"
besteht, wird aber erst deutlich, wenn wir bereits an dieser Stelle einen Blick auf die
Berliner Lehrtätigkeit werfen, mit der Guardini ein Jahr nach seinen Kirchen-Vorträ-
gen begann (1923). In seiner "Antrittsvorlesung" über das "Wesen katholischer Welt-
anschauung"111 wird der Begriff "katholisch" nämlich ebenfalls zugrundegelegt.
Guardini erinnert hier daran, daß das "Katholische", auch wenn sich in ihm verschie-
dene "Typen" feststellen lassen, nicht einfach ein "Typus" neben anderen sei. 178 Es
"umfaßt in sich alle (!) typischen Möglichkeiten, wie das Leben selbst". Daher beste-
he auch die entscheidende Aufgabe des Katholiken darin, daß er "aus jeder Gegen-

173
Neue Jugend, 18.
174
Neue Jugend, 35. - Vgl. Liturgie, 21
175
"Form" und "Fülle" dienen hier vereinfachend zur Kennzeichnung der Gegensatzreihen im Ganzen!
176
Thule,77.
177
Näheres zum Charakter und zur Aussage dieser Vorlesung im nächsten Kapitel!
178
Vgl. Weltanschauung, 291 - Vgl. dazu Seckler, Katholisch, 4071
124 Interesse am Leben

satzstellung anderen Gruppen gegenüber" heraustrete und seine "wesenseigene


Haltung wiedergewinne, die ganz aus der Umfassenheit des eigenen Wesens lebt und
keinen Gegner hat außer der Verneinung."179
An dieser Stelle kommt zum erstenmal bei Guardini die konfessionelle Problematik
ins Spiel; gerade in Berlin trat er ja als Vertreter "katholischer Weltanschauung"
innerhalb einer Universität auf, die bisher vor allem protestantisch geprägt gewesen
war. Er mußte also betonen, daß es sich nicht einfach um gegenreformatorischen
Fanatismus und konfessionalistische Enge handle, wenn er eine wahrhaft "christliche"
mit einer "katholischen" Weltanschauung identifiziere.180 Guardini gibt sogar zu, daß
"Erscheinung und seelische Haltung" des heutigen Katholizismus sich seit dem sech-
zehnten Jahrhundert "vielfach verengt und gewisse, ich möchte sagen, sekundäre
Typenmerkmale angenommen hat, die stark von der Gegensatzstellung zu anderen
religiösen Gruppen bedingt sind."181 Damit wird deutlich, daß er den konkreten
"Katholizismus" von der wahrhaft "katholischen" Kirche durchaus unterscheidet. Er
spricht vom "Wesen" des Katholizismus, nicht ohne jedoch hinzuzufügen, daß darun-
ter nicht irgendeine abstrakte "Idee", sondern das "wirkliche, lebendig, geschichtlich
vorhandene", also "konkrete" Wesen zu verstehen sei. Darin sieht er denn auch die
Differenz zum Protestantismus182: Die umgreifende, "katholische" Gesamthaltung
kann nicht von einem Einzelnen, und auch nicht von der Summe vieler Einzelner,
sondern nur in einer davon unableitbaren sichtbaren Gemeinschaft, der Kirche, voll-
zogen werden:
"Sie ist die ursprüngliche Gesamteinheit. Nicht synkretistisch aus Besonderun-
gen entstanden, sondern jeder Besonderung gegenüber ebenso ursprünglich und
schöpferisch, wie die Ganzheit des persönlichen Lebens gegenüber den einzel-
nen Akten, Organen und Haltungen, darin sie sich äußert."183
Guardini will auch nicht übersehen, "wieviel Wahrheit und Kraft in nichtkatholischen
Bekenntnissen liegt"; ebensowenig verkenne er, "wie beschränkt und mangelhaft die
Erscheinung des Katholizismus ist und wie weit sie hinter seinem Wesen zurück-
bleibt."184 Auf die Mängel der Kirche kam Guardini bereits in seinen Kirchen-Vorträ-
gen zu sprechen, auch wenn diese Ausführungen noch nicht in den Gedankengang
eingebunden sind, sondern diesen exkursartig unterbrechen. Immerhin erkennt Guar-
dini hier eine ergänzende Aufgabe: "Wer über den Sinn der Kirche sprechen will,
muß auch über ihre Mängel reden."185
Guardini sieht in dieser Mangelhaftigkeit, die er gar nicht bestreiten will, eine um
so größere "Tragik", als es in der Kirche um die höchsten Werte gehe; es handle sich

1/y
Weltanschauung, 30.- Auch die Einwände der Gegner des Katholizismus heben sich nach Guardini
gegenseitig auf, was für diesen wiederum ein (negativer) Beleg für die "übertypische" Gestalt des Katholizis-
mus ist (vgl. ebd.).
180
Vgl. Weltanschauung, 261
181
Weltanschauung, 291
182
Zur Neubegründung einer überkonfessionellen Katholizität in der protestantischen Theologie, zur
"Katholizität der Vernunft" in der Aufklärungsepoche, sowie zu Schellings Christentum in der "Totalität
seiner geschichtlichen Erscheinungen" vgl. Seckler, Katholisch, 416-421.
183
Weltanschauung, 31.
184
Weltanschauung, 27.
185
Sinn der Kirche, 48.
Vom "Sinn" der Kirche 125

ja immerhin um den "mystisch fortlebenden Christus", und die Not sei "um so bitte-
rer, wenn dies heilspendende Wesen so tief in menschliche Unzulänglichkeiten einge-
fangen ist."186 Aber hindert dies etwa daran, die Kirche zu lieben, sie als das zu
nehmen, was nach Guardini ihr tiefster Sinn ist - als den Weg zu einer größeren Frei-
heit und einem erfüllteren Mensch-Werden? Für Guardini kann dies nicht sein:
"Wir dürfen uns den Blick für ihre Mängel nicht trüben lassen, am wenigsten
durch Versammlungsbegeisterung und Zeitungsgeschreibe; aber immer wieder
müssen wir durch all ihre Mängel hindurch auf ihr Wesen sehen. Von ihrer
Unzerstörbarkeit überzeugt sein und zugleich entschlossen das Unsere tun,
damit sie immer mehr werde, was sie sein soll, jeder nach seiner Weise und dem
Maße seiner Verantwortung. Das ist die katholische (!) Haltung der Kirche
gegenüber."187
Guardini kennt also eine triumphalistische Auffassung des "Katholischen", in der die
Mangelhaftigkeit der Kirche einfach übersehen wird. Er selbst teilt diese Haltung
nicht, sondern ist im Gegenteil dazu daran interessiert, daß die Kirche sich selbst im
Blick auf ihre eigentliche Aufgabe immer mehr vervollkommnet. Von daher ist eine
"schöpferische Kritik" an der Kirche durchaus berechtigt.188 Dennoch kommt Guar-
dini über eine rein appellative Lösung des Problems nicht hinaus. Er fordert, die
Kirche trotz ihrer Mängel zu lieben, verzichtet aber darauf, den Ursprung dieser
Mängel theologisch hinreichend zu klären. Zwar kommt mit dem Gedanken des
"Leibes Christi" und der Wirklichkeit des Kreuzes189 ein theologisches Erklärungs-
modell ins Spiel. Von ihm ausgehend kann Guardini sagen:
"Christus lebt in der Kirche weiter; aber Christus der Gekreuzigte. Fast möchte
man das Gleichnis wagen, die Mängel der Kirche seien Christi Kreuz."190
An dieser Stelle wird nun aber gerade das Bild von der Kirche als "Leib Christi"
gesprengt: Eine Differenz zu Christus tut sich auf, wenn die "Mängel" der Kirche als
Teil jener Menschheitsschuld betrachtet werden, um derentwillen Jesus sterben
mußte. Es sind ja gerade nicht Christi eigene, sondern fremde Mängel, die Christus
ans Kreuz gebracht haben. Gibt es also innerhalb der Kirche eine doppelte Wirklich-
keit - eine mit Christus und seiner Erlösungstat identische Seite ("Leib Christi") und
eine ihm gegenüberstehende und immer wieder auch widerständige ("Sünde")?
Guardini klärt diese Frage nicht, wenigstens nicht an dieser Stelle.191 Vielmehr kehrt
er sofort wieder auf jene Ebene zurück, auf der die Kirche eben an allem Menschli-
chen bzw. Lebendig-Konkreten partizipiert.192 So gewinnt man den Eindruck, als
handelte es sich bei den "Mängeln" - unbeschadet des theologischen Begründungsver-
suchs vom Kreuz Christi her - lediglich um die Mangelhaftigkeit aller irdischen

186
Sinn der Kirche, 50.
187
Sinn der Kirche, 54.
188
Vgl. Sinn der Kirche, 53.
189
Vgl. Sinn der Kirche, 521
190
Sinn der Kirche, 53.
191
Zur Grundproblematik von "Identität" und "Differenz" in Guardinis Kirchenverständnis vgl. Faber,
Kirche.
192
Vgl. v. a. Sinn der Kirche, 63-79.
126 Interesse am Leben

Wirklichkeit, die eben auch der Kirche, soweit sie diese Wirklichkeit in sich trägt,
anhaften muß.
Die Kritik derer, die gegenüber einem angeblichen katholischen "Synkretismus" im
Namen des "Unterscheidend-Christlichen" Einspruch erheben, trifft in dieser Hinsicht
einen wunden Punkt. Adolph von Harnack hatte die katholische Theologie als
"complexio oppositorum" bezeichnet, und in seinem Gefolge sah der Religionswis-
senschaftler Friedrich Heiler im "Synkretismus" gar das "Wesen des Katholizis-
mus".193 Der Katholizismus sei ein Konglomerat verschiedenster religiöser Anschau-
ungen - der primitiven Religion des Heidentums, der jüdischen Gesetzesreligion, der
römischen Rechtsreligion, der mystischen Religiosität und schließlich der "evange-
lischen" Frömmigkeit, die das einzig spezifisch Christliche im Katholizismus sei,
jedoch nicht einmal eine zentrale Stellung einnehme.194 Guardini spielt nicht nur in
seiner Berliner "Antrittsvorlesung" auf diese These an ("nicht synkretistisch aus
Besonderungen entstanden"), sondern hatte sich bereits 1921 mit ihr eingehend
befaßt.195 Zur Widerlegung verwendete er das Bild von Samenkorn und Pflanze:
"Gleicht die Form der entwickelten Pflanze der des Samens? Sie ist von dieser
grundverschieden, und doch liegt das nämliche Wesen vor ... Und ferner: Kann
man im Bestand der Pflanze die Elemente ihrer Umgebung aufzeigen? Gewiß;
und doch ist die Pflanze kein Gemisch aus ihnen, sondern eine eigentätige Ein-
heit, denn sie ist lebendig. Das Leben ergreift die Stoffe, macht sie seinen eige-
nen Bau- und Wirkgesetzen dienstbar, und, geschweige daß seine Individualität
bei solcher Aufnahme verloren ginge, kommt sie vielmehr erst darin zu voller
Entfaltung."196
Zu Heiler selbst meint Guardini, er versuche, "die ursprüngliche Einheit und Ganzheit
des Katholizismus durch Annahme einer allmählichen Ueberlagerung religiös-kul-
tureller Schichten" zu erklären.197 Aber wenn die Kirche weltliche und religiöse
Kultur in sich aufgenommen habe, dann habe sie nichts anderes getan als "die Pflan-
ze, die aus Luft und Boden die brauchbaren Stoffe an sich zieht und zu ihrem Aufbau
verwendet."198 Heiler spreche auch von einer "Verwachsung unzusammengehöriger

193
Vgl. Heiler, Wesen (1920). In stark erweiterter Form erschien diese viel beachtete Schrift unter dem
Titel "Der Katholizismus, seine Idee und seine Erscheinung", München 1923. - Vgl. dazu H. Fries, Friedrich
Heiler, in: ders., Wegbereiter und Wege. Ökumenische Verantwortung, Olten-Freiburg 1968 (= theologia
publica 8), 38-43; Schroeder, Aufbruch, 433-452; Kreidler, Theologie des Lebens, 223-226. Die wichtigsten
religionswissenschaftlichen Studien Heilers sind: Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsy-
chologische Untersuchung, München 1918; Die Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen, München 1919.
194
In der ausführlicheren Fassung seines Buches nennt Heiler sogar sieben Grundelemente des Katholi-
zismus: die primitive Religion oder Volksfrömmigkeit, die Religion des Gesetzesdienstes oder der Werke, die
juridisch-politische Kircheninstitution oder Hierarchie, die rationale Theologie in Apologetik und Dogmatik,
die Mysterienliturgie in Symbol und Kult, das asketisch-mystische Vollkommenheitsideal in Mönchtum und
Mystik und schließlich das evangelische Christentum oder die evangelischen Ideen im Katholizismus (vgl.
Heiler, Katholizismus).
195
Zu Harnack nahm er bereits in seiner Dissertation Stellung; vgl. Erlösung, 187.
196
Universalität, 1521- Dasselbe Bild findet sich auch in Karl Adams Auseinandersetzung mit Heiler,
nämlich in der 1924 erschienenen Schrift "Vom Wesen des Katholizismus" (1924; vgl. ebd., 141). Vgl. dazu
Kreidler, Theologie des Lebens, 220-233, bes. 2301 - Offenbar ist Adam hier von Guardinis Aufsatz abhän-
gig, ohne daß er dies kenntlich macht.
197
Vgl. Universalität, 152.
198
Universalität, 153.
Vom "Sinn" der Kirche 127

Gegensätze" und verwechsle damit "Gegensatz" und "Widerspruch". Widersprüche


zerreißen die Einheit, während Gegensätze konstitutiv zu allem Lebendigen gehö-
ren.199
"Gerade weil der Katholizismus diese Gegensätze in sich befaßt - und andere
noch dazu - ist er lebendig und einheitlich. Gerade weil er alle Gegensätzlich-
keiten voll entfalteter Lebendigkeit enthält, ist er wahr und seines Namens wert.
Denn der besagt: nach allen Seiten umspannte Wirklichkeit; vollkommene Posi-
tivität ohne alle 'Hairesis'. Eine simplistische Verfassung aber, wie sie Heiler
verlangt, wäre nicht nur dem Wesen jeder historisch entfalteten Religion zuwi-
der, sondern auch den Grundgesetzen alles Lebens."200
Worin sieht Guardini nun aber das sich durchhaltende Etwas, das "Samenkorn" und
"Pflanze" verbindet? Präziser: Worin besteht die Identität, die trotz aller geschicht-
lichen Veränderungen im "Katholizismus" bewahrt worden ist? Guardini spricht dazu
vom "Überzeitlichen", "Überörtlichen", "Ewig-Stäten".201 In der Kirche rage "die
Ewigkeit in die Zeit herein"202. Dadurch werde der Einzelne vom Verhaftetsein an
äußere Verhältnisse, aber auch von der Bindung an die eigene Persönlichkeitsstruk-
tur203 befreit. So partizipiere die Kirche nicht nur an der Typenvielfalt des Lebendi-
gen; sie stehe auch über allen Typen.204 Aus diesem Grund könne sie gerade das
Ganze zusammenhalten und jede besondere Kultur, etwa die deutsche, davor bewah-
ren, den in ihr vorherrschend ausgeprägten "Typus" zu verabsolutieren.205
Doch alle diese Beteuerungen Guardinis leiten im Letzten noch nicht wie bei Adam
zu einer theologischen Reflexion über das "Wesen des Katholizismus"206 über,
sondern bleiben auf der Ebene der phänomenologischen Beschreibung stehen.207
Hierin liegt auch die Grenze von Guardinis früher Ekklesiologie, die er selbst sehr
wohl zugegeben hat.

199
Vgl. Universalität, 1531 - Auch dazu linden sich bei Adam ganz ähnliche Formulierungen wie bei
Guardini: "Ja! der Katholizismus ist eine Verbindung von Gegensätzen. Gegensatz ist nicht Widerspruch. Wo
Leben ist, da muß Spannung, da muß Gegensatz sein ..." (Katholizismus, 14).
200
Universalität, 154.
201
Sinn der Kirche, 67.
202
Sinn der Kirche, 66.
203
Vgl. Sinn der Kirche, 65-71.
204 vgl. Sinn der Kirche, 71-76. Auf diesen Gedankengang blickt Guardini auch in der Einführung zum
Spätwerk "Die Kirche des Herrn" zurück: "Eine lange Beschäftigung mit dem Aufbau des Lebendigen hatte
mich gelehrt, daß alles Menschliche in typischen Strukturen steht und von ihnen her bestimmt werden kann.
Solange man die Kirche nicht von vornherein einschränkt - historisch oder soziologisch oder wie immer -, ist
das bei ihr nicht möglich. Wohl finden sich in ihr alle Typen des Menschlichen, sie geht aber in keinem von
ihnen auf... Das heißt: in ihr ist etwas, das über allen Strukturen und deren Gegensätzen steht ..." (Zwischen
zwei Büchern. Zur Einfuhrung, in: Kirche des Herrn, 105-113, hier 106).
205
Vgl. Thule, 78. - Siehe dazu IV,l,a.
206
So der Titel jener vielbeachteten Schrift, mit der Adam auf die Herausforderung seines ehemaligen
Schülers Friedrich Heiler reagierte (1924).
207
Dies gilt, obwohl Guardini ausdrücklich einen rein "philosophischen" Ansatz zurückweist; die Kirche
könne ihrem Wesen nach nur durch die Offenbarung bestimmt werden (vgl. Sinn der Kirche, Anm. 1, 37;
Schilson, Ekklesiologie, 2031). Er selbst beschränke sich auf das, "was an der Kirche für eine soziologische
Betrachtungsweise faßbar ist" (Guardini, ebd.). Von daher hätten auch Bücher wie Friedrich Pilgrams
"Physiologie der Kirche" oder Hans Andres "Kirche als Keimzelle der Weltvergöttlichung" (Leipzig 1920; in
der Werkausgabe nicht mehr erwähnt) ihren "großen Wert" (vgl. 1. Aufl., Anm. 1,23).
128 Interesse am Leben

"Daß die Kirche wahr ist, soll nicht bewiesen werden; den Glauben an ihre
Göttlichkeit setzen wir voraus. Wenn aber der Forscher festgestellt hat, daß sich
an einer bestimmten Stelle des Körpers ein so und so gebautes Organ befindet,
dann untersucht er, was es für das Leben des Ganzen bedeute. So wollen auch
wir wissen, was die Kirche im Gesamt des religiösen Lebens bedeute; das meint
die Frage nach ihrem Sinn."208
Nicht um das "Wesen" der Kirche also ging es Guardini, sondern um ihre Bedeutung
für die menschliche Existenz, die er im Rückgriff auf seine Philosophie des Lebendig-
Konkreten beschrieb und im Begriff des "Katholischen" zusammenfaßte. Dennoch
sollen zum Schluß noch einmal die verschiedenen Ansätze benannt werden, in denen
der Autor in seinem Frühwerk beginnt, dieses "Wesen" näher zu bestimmen.

dd. Theologische Vertiefungen


Von den theologischen Kategorien, denen wir begegnet sind, ist zunächst die Rück-
bindung des menschlichen Gemeinschaftslebens an das trinitarische Dogma zu
erwähnen, das im Kirchenbuch auch in seiner Tragweite für das kirchliche Gemein-
schaftslebens entfaltet wird. Diese ekklesiologische Anwendung bleibt freilich noch
sehr allgemein und tritt später um so mehr zurück, als der Gemeinschaftsgedanke
selbst in der weiteren Entwicklung von Guardinis Denken an Bedeutung verliert.209
Ein zweites bereits erwähntes Theologoumenon ist der Begriff des Reiches Gottes,
den Guardini - wie die Vertreter der katholischen "Tübinger Schule"210 - als den
"Inbegriff des Christentums" bezeichnet.211
"Gottes Reich ist die Verwirklichung der Ehre Gottes; und überall da ist sein
Reich wirklich, wo seine Ehre Inhalt und Richtpunkt der Gesinnung, der per-
sönlichen Lebensführung und öffentlichen Lebensordnung ist."212
Dieses "Reich" sei nicht nur "Gemeinschaftsreich", sondern auch
"Persönlichkeitsreich", verwirkliche sich also sowohl in der Menschheit als Gemein-
schaft, wie in der einzelnen Persönlichkeit.213 Die Kirche sei dann das Reich Gottes

208
Sinn der Kirche, 35.
209
Vgl. Schilson, Ekklesiologie, 217-219.
210
Vgl. Geiselmann, Tübinger Schule, 191-279; M. Seckler, Das Reich-Gottes-Motiv in den Anfängen
der Katholischen Tübinger Schule, in: ThQ 168 (1988), 257-282. Besonders Johann Sebastian Drey hat die
Reich-Gottes-Idee in den Mittelpunkt seiner Dogmatik gestellt (wie später im Anschluß an ihn Johann Baptist
Hirscher); er bezeichnet sie als die "Centralidee des N. T", als die "höchste Idee des Christentums", ja sogar
als die "wahre Idee aller Religion überhaupt" (Kurze Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht
auf den wissenschaftlichen Standpunct und das katholische System, Tübingen 1819 [unveränd. Nachdruck,
Frankfurt a. M. 1966], § 60, 38). Dazu Geiselmann, Tübinger Schule, 1921
211
Sinn der Kirche (2. Aufl.!), 21. Später heißt es nur noch: "Neues, aus der Wiedergeburt der Gnade
hervorgehendes Leben - das ist der Inbegriff des Christentums" (Werkausgabe, 35). Vgl. auch die Vorle-
sungsankündigung für das Wintersemester 1923/24: "Das Problem des Konkreten und die Lehre vom Reiche
Gottes" (Mercker, Bibliographie, Nr. 130).
212
Ehre Gottes, 80.
213
Vgl. Sinn der Kirche (2. Aufl.!), 21-25 [spätere Fassung mit dem Begriff "Neues Leben" statt "Reich
Gottes": 35-39; s. dazu Anm. 2]. Vgl. bereits Brief vom 9. 11. 1919 an Herwegen, wo Guardini von der
"überpersönlichen, kirchlichen Gestalt" des Reiches Gottes spricht und dieses als "Elementarfaktum der
christlichen Religion" bezeichnet (Herwegen 18, 229-231, hier 230).
Vom "Sinn" der Kirche 129
seiner überpersönlichen Seite nach;214 aber nur Kirche und Persönlichkeit zusammen
seien "die vollendete Auswirkung des Reiches Gottes"215. Später sprach Guardini
dann auch vom "pneumatischen Charakter" dieser Verwirklichungsformen des
Reiches Gottes als Gemeinschaft und als Persönlichkeit.216 In diesem Denkmodell
wird im Grunde die trinitarische Begründung weitergeführt und erneut auf das
Gegenüber von Einzelnem und Kirche bezogen:
"'Reich Gottes' ist das lebendige Ergriffenwerden des Geschöpfes durch Chri-
stus, im Pneuma, wodurch es des Vaters Eigen wird. Dieses eine Reich aber hat
jene doppelte Gestalt, die alles trägt, was im Menschen besteht: Es ist Einzelner
und Gemeinschaft, das heißt hier: 'Kind Gottes' und 'Kirche'."217
Ein weiterer theologischer Begriff, der in Guardinis Kirchenverständnis eine Rolle
spielt, war der des "Leibes Christi",21* der auch sonst in dieser Zeit in die katholische
Ekklesiologie Einzug hielt.219 Guardini war auf ihn aber bereits in seinen Untersu-
chungen zum Werk Bonaventuras gestoßen.220 Er gehörte zu jener "physisch-mysti-
schen" Sichtweise der Erlösung, die bei Bonaventura neben die aus der Tradition
übernommene "moralisch-rechtliche" Deutung trat und überdies noch durch eine
"praktische" Ausrichtung ergänzt wurde.221 In den ekklesiologischen Frühschriften
Guardinis blieb diese Vorstellung jedoch eher im Hintergrund wirksam; sie taucht
zwar immer wieder auf, wird jedoch nicht eigens expliziert.
Weiter führte schon der Ansatz einer Theologie der Liturgie auf der Basis des
"Afy.sfm'«m"-Begriffs (vgl. oben Abschnitt 3,a,dd), der im Jahr 1925 erfolgte: In der
Liturgie trete Christus wieder neu in die Geschichte ein und begegne sowohl dem
einzelnen Christen wie der gläubigen Gesamtheit.222 Die christologischen Schriften
Guardinis vertieften den Gedanken und variierten damit erneut das pneumatologisch
interpretierte Bild vom doppelten Wirksam-Werden des Reiches Gottes:
"Wie zum Einzelnen, so steht Christus zur Ganzheit. Er erst macht aus der
Gesamtheit die christliche Ganzheit; das, was mehr ist als die Summe aller
einzelnen. Er ist gleichsam ihre große Entelechie; innere Gestalt und organisie-
rende Macht. Hier erst wird Kirche."223
Arno Schilson faßt zusammen: "Damit ist das eigentliche theologische Organisati-
onsprinzip der Kirche benannt, das gewissermaßen 'quer' zur Dialektik von Einzelnem

214
Vgl. Sinn der Kirche (2. Aufl.!), 22 [37].
215
Sinn der Kirche, (2. Aufl.!), 28 [42].
216
Vgl. CK 177-179.
217
CK 177. "Mysterium" ist demnach die liturgische Weise dieses "Pneumatischen" (vgl. ebd.; mit
Verweis auf "Vom liturgischen Mysterium").
218
Vgl. bereits: Liturgie, 26; Sinn der Kirche, 271 und 85.
219
Vgl. Keller, Volk Gottes, 86-104. Zur Vorgeschichte bei Möhler und Pilgram vgl. ebd., 48-58
und 87-91. "Die Wende von der Organisation zum Organismus findet in 'Leib Christi' eine entsprechende
biblische Formulierung" (ebd., 104). In der Enzyklika "Mystici Corporis" (1943; vgl. DH 3800-3822)
erreichte dann die Leib-Christi-Ekklesiologie ihren Höhepunkt, allerdings nun deutlich eingebunden in ein
hierarchisches Vorstellungsmodell.
220
Vgl. Erlösung, 136-147; Elemente, 184-205 (siehe dazu unter 111,1). Dazu Schilson, Ekklesiologie,
220-223; zum Leib-Christi-Gedanken bei Guardini insgesamt vgl. ebd., 219-234.
221
Vgl. Erlösung, 119-158; zusammengefaßt ebd., 186-193.
222
Vgl. Mysterium, 395 [126], sowie 4131 [154].
223
Wesen des Christentums, 148 [1938,50]. Vgl. auch Herr, 549.
130 Interesse am Leben

und Gemeinschaft liegt: Christus selbst durchstaltet als innerlich wirkende Kraft den
einzelnen Christen wie die Kirche und ordnet beide aufeinander hin, so daß Einzel-
persönlichkeit und Gemeinschaft werden und bestehen können."224 Immer noch bleibt
also das Interesse Guardinis auf das Leben des konkreten Menschen - als Einzelner
und in Gemeinschaft - gerichtet. Auch in Zukunft wird es daher nicht um eine
"Theologie an sich" gehen, sondern um eine Theologie für den Menschen (vgl. dazu
auch Kapitel VII,3,d).

4. Ergebnis

Die Untersuchung von Guardinis ekklesiologischen Aussagen schloß mit einigen


Bemerkungen zu seinem künftigen theologischen Selbstverständnis. Im folgenden
Kapitel wird von der Weichenstellung die Rede sein, durch die dieses Selbstver-
ständnis entscheidend vertieft wurde. Zuvor sei aber noch das Ergebnis des vorliegen-
den Kapitels kurz festgehalten.
1. In den Schriften zu Liturgie und Kirche ging es Guardini darum, dem einzelnen
Menschen den "Sinn" dieser Ausdrucksformen des Glaubens neu zu erschließen, ihm
mit ihrer Hilfe einen "Lebensraum" in der Welt des Glaubens anzubieten. Begünstigt
wurde dieser Versuch durch das neuerwachte kulturelle Interesse am
"Katholizismus", das Guardini selbst mit dem Wort vom "Erwachen der Kirche in den
Seelen" einprägsam zum Ausdruck brachte. Die liturgischen und ekklesiologischen
Schriften, die wir besprochen haben, gehören im Wesentlichen noch zu jenem neuen
katholischen Selbstbewußtsein, das in Kapitel I als eine bereits wieder hinterfragte
Stellungnahme erschienen ist. Freilich deuteten auch schon einige Äußerungen in
Guardinis frühen Schriften über eine voreilige Verabsolutierung der Kirche weit
hinaus: die Ergänzung von "Selbsthingabe", "Autorität" und "Gemeinschaft" durch
die damit in Spannung stehenden Momente der "Selbsthaltung", der "Freiheit" und
der "Persönlichkeit"; der trotz aller Unausgereiftheit wichtige Hinweis auf die
Mangelhaftigkeit der Kirche; die verschiedenen Ansätze einer theologischen Begrün-
dung der Kirche, die schließlich im Glaubensverständnis die Gestalt Christi deutlicher
ins Zentrum treten lassen.
2. Das Gegensatzdenken dient Guardini nicht nur dazu, die lebendig-konkrete
Existenz des Menschen mit Hilfe neuer philosophischer Kategorien zu beschreiben.
Es wird auch dazu herangezogen, den Reichtum des "Katholischen" innerhalb der
Kirche und ihrer Ausdrucksformen und damit ihre Offenheit für die suchenden Men-
schen der Gegenwart zu demonstrieren. Es trägt dazu bei, die Akte des Glaubens an
die Wirklichkeit menschlichen Lebens, und zwar des konkreten Lebens zurückzubin-
den. Von diesem "Leben" kommt allerdings sozusagen nur die "Oberfläche" in den
Blick - das, was phänomenologischer Darstellung zugänglich ist, seine Bewegtheit

Schilson, Ekklesiologie, 225.


Ergebnis 131

und eben seine "Lebendigkeit". Sein "Träger" oder "Subjekt" wird vorausgesetzt, aber
nicht eigens thematisiert, es sei denn eben im "lebendigen" Vollzug. Auch der Glaube
ist daher nicht auf eine personale Wirklichkeit in Beziehung gesetzt, sondern auf die
lebendige Bewegtheit menschlicher Existenz. Er selbst tritt vor allem in seinen über-
persönlichen Ausdrucksformen (Liturgie, Kirche) in Erscheinung, soweit sie im
Ganzen menschlicher Existenz einen bestimmten "Sinn" erfüllen. Allerdings weist
schon die Gegensatzphilosophie auf ein "Innen" bzw. einen "transempirischen" Punkt
des Lebens hin. Die ekklesiologischen Schriften sprechen parallel dazu von einer
"Selbsthaltung" des einzelnen Menschen, die der im Glauben zu vollziehenden
"Selbsthingabe" noch einmal entzogen sein muß. Damit deutet sich etwas an, was
Guardini in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre immer entschiedener in den
Mittelpunkt seines Schaffens stellt - das Nachdenken über die "Personalität" als der
tiefsten "Innerlichkeit" im Menschen, sowie über einen Glauben, in dem der Vollzug
dieses personalen "Kerns" gründet (vgl. dazu Kapitel VI,l,c).
3. Im Gegensatzdenken und in den liturgisch-ekklesiologischen Reflexionen bekun-
det Guardini gleichermaßen sein Interesse am Leben des Menschen. Er hat damit die
Erfahrungen seines eigenen frühen Ringens zu verarbeiten und für andere fruchtbar
zu machen versucht. Die Ergebnisse seiner Überlegungen sind aber nicht nur mit
seiner persönlichen Existenz eng verzahnt, sondern auch mit dem kulturell-kirchli-
chen Umfeld zu Beginn des 20. Jahrhunderts, innerhalb dessen sich Guardini mit dem
Glauben (und seiner Beziehung zur Kultur) zu beschäftigen begann. Die beiden
Arbeitsgebiete, die er sich wählte, sind ein besonders typischer Ausdruck jener
merkwürdigen Gegenläufigkeit, die in Kapitel I dieser Arbeit herausgearbeitet wurde:
a) Die Krise der Kultur kommt im Gegensatzdenken in philosophischer Interpretation
zum Ausdruck; Guardini zieht die Konsequenzen aus dem historistischen und psycho-
logistischen Relativismus der Zeit; er nimmt die lebensphilosophischen Anregungen
bewußt auf, die gegenüber dem Rationalismus der Vergangenheit die Ganzheit des
Lebendig-Konkreten wiederfinden wollten.
b) Ebenso rezipiert Guardini das neue katholische Selbstbewußtsein und setzt es -
über die Brücke der Gegensatzphilosophie - mit der kulturellen Krise in Verbindung.
Dabei führen ihn seine Überlegungen nicht nur, wie oben angedeutet, über einen
neuen kirchlichen Triumphalismus hinaus; auch die Gegensatzlehre ist weit mehr als
eine "irrationale" und "intuitionistische" Gegenreaktion auf den neuzeitlichen Ratio-
nalismus. Sie ist, wie die Untersuchung gezeigt hat, ein Versuch, über beide Extreme
hinaus zu einer neuen Einheit zu gelangen, in der die wahre "Ganzheit" gerade als
Verbindung von "Begriff und "Intuition", nicht als Alternative zu einem begriffli-
chen Denken erscheint.
4. Auch wenn viele Ansätze nicht weiter ausgeführt werden - die Gegensatzphilo-
sophie bleibt ebenso unbearbeitet liegen wie die theologische Begründung von Litur-
gie und Kirche -, so geht Guardini doch hinter die Grundaussagen nicht mehr zurück.
Im Blick auf unser Thema bleiben vor allem zwei Einsichten bestimmend:
a) Die Kultur steckt in einer tiefen Krise und muß zu einer neuen, die bisherigen
Extreme überwindenden Interpretation ihrer selbst gelangen.
132 Die Anfänge: Interesse am Ltben

b) Der Glaube muß sich zu dieser sich verändernden Kultur in Beziehung setzen und
dem konkreten Menschen einen Raum erschließen, in dem er trotz aller Gefährcur.gen
leben kann.
Kapitel III

Die Weichenstellung:
Katholischer Glaube als Weltanschauung

Als Romano Guardini sich entschloß, den Ruf nach Berlin anzunehmen, bedeutete dies
nicht etwa einen "Bruch" in seiner bisherigen Entwicklung. Wir werden sogar sehen,
wie unser Autor an den beiden "Denkprojekten" seiner Anfangszeit (vgl. Kapitel II)
immer wieder anknüpfte und das dort Begonnene in neuer Weise fortführte. Doch erst
seit dem Sommer 1923 fand er seinen eigenständigen wissenschaftlichen Weg und
verschaffte sich in der Reflexion über das "Wesen katholischer Weltanschauung" die
Legitimation für sein weiteres Vorgehen. Insofern bedeuteten diese programmatischen
Gedanken eine entscheidende Weichenstellung.
Freilich betrat Guardini nicht erst jetzt den Boden der Wissenschaft. Bei der Gegen-
satzphilosophie hatte es sich noch um die Frucht eines sehr persönlichen Nachdenkens
außerhalb akademischer Rahmenbedingungen gehandelt. Auch die Gedanken zu
Liturgie und Kirche waren nicht in erster Linie aus wissenschaftlichem Interesse
vorgetragen worden; sie sollten auf Fragen Antwort geben, die sich dem Seelsorger
und Pädagogen im Umfeld der damaligen katholischen Jugendbewegung und der
Liturgischen Bewegung aufdrängten. Der junge Priester hatte sich jedoch schon bald
auch für eine wissenschaftliche Laufbahn entschieden: Im Frühjahr 1915 legte er in
Freiburg eine theologische Dissertation über "Die Lehre des hl. Bonavenmra von der
Erlösung" vor, im Januar 1922 erfolgte die Habilitation, und im Anschluß daran war
Guardini zwei Semester lang als Privatdozent für Dogmatik in Bonn tätig.1
Im Folgenden muß daher an erster Stelle auch noch von den theologischen Anfängen
Romano Guardinis die Rede sein (1). Dann ist die neue Grundkonzeption zu behan-
deln, mit der er sich von einer/acfaheologischen Lehrtätigkeit verabschiedete, um in
Berlin über "Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung" zu dozieren (2).
Unser Kapitel schließt mit einem Blick auf die Vorlesungstätigkeit Guardinis, die in
ihrer Rückbindung an das Programm von 1923 zugleich die Ausrichtung des Gesamt-
werks deutlich macht (3).

1
Vgl. Gerl, Guardini, 83-87, 1351, 1371
134 Katholischer Glaube als Weltanschauung

1. Theologische Suchbewegungen

a. Die Gestalt der Theologie


In Guardinis Verhältnis zur Theologie2 war von Anfang an ein eigentümlicher Zwie-
spalt festzustellen: Einerseits schien der ursprüngliche Entschluß zum Priesterberuf in
gerader Linie zu einer theologischen Lehrtätigkeit an der Universität zu führen;3 ande-
rerseits aber tat sich Guardini mit der bisherigen, neuscholastisch geprägten Gestalt der
Theologie sehr schwer.4 Als er sich daher nach dem Scheitern der liturgiewissen-
schaftlichen Pläne (siehe dazu Kapitel II,3,a,aa) der Dogmatik zuwandte,5 blieb die
Suche nach einem geeigneten Promotionsthema auch in dieser Disziplin zunächst
ergebnislos, bis der damalige Privatdozent Engelbert Krebs seine Aufmerksamkeit auf
die Gestalt des hl. Bonaventura lenkte.6 Die Dissertation beschäftigte sich mit der
Erlösungslehre,7 die Habilitation mit den "systembildenden Elementen" in der Theo-
logie des großen Franziskanertheologen.8
Sauber und genau arbeitet Guardini zunächst die Grundzüge der bonaventuranischen
Erlösungslehre heraus. Deutlich ist aber zu spüren, daß sein Hauptinteresse weniger
den theologischen Einzelfragen gilt, sondern aufs Grundsätzliche bzw. "ins Systemati-
sche" zielt.9 Damit ist kein inhaltliches "System" gemeint, sondern der formale Aufbau
von Bonaventuras Theologie. Guardini stellt offenbar fest, daß von hier aus die
Einseitigkeit neuscholastischer Systembildung keine Chance mehr hat. Er spricht dies
zwar nicht so offen aus. Aber indem er "Einblick in die innere Struktur des Erlösungs-
gcdankens überhaupt" zu gewinnen sucht, nach einer "Morphologie des Erlösungsge-
dankens" bzw. den "Baugesetzen der dogmatischen Gedankenbildung" fragt10 und
schließlich die theologische "Systembildung" überhaupt zum Thema macht,11 bekundet
Guardini sein Interesse nach einer differenzierteren Gestalt von Theologie. Bei Bona-
ventura erkennt er, daß die mittelalterliche Theologie nicht einfach als uniformes
Gebilde betrachtet werden kann, sondern in Wirklichkeit eine Reihe ganz unterschied-
licher Ansätze in sich vereint hat. "Das Bild der scholastischen Theologie ist viel rei-
cher, als es gemeiniglich erscheint" - vor allem wenn man (wie Denifle forderte) neben

2
Dazu bisher v. a.: Biser, Interpretation, 113-130; Kleiber, Glaube, 19-33; Mercker, Weltanschauung, 42-
48; Schilson, Perspektiven; darin bes. ders., Romano Guardini und die Theologie. Einleitende Hinweise (13-
31); Knoll, Die Seele wiederfinden..
3
Vgl. Berichte, 311
4
Vgl. Berichte, 341
5
Vgl. Berichte, 32-34; Gerl, Guardini, 83-85.
6
Vgl. Berichte, 26; Gerl, Guardini, 85. Zu Krebs vgl. auch oben Kapitel I,3,b,dd.
7
Die Promotion erschien 1921 (zit.: Erlösung), vgl. Gerl, Guardini, 83-87. Gegen Gerl (ebd., 84) muß doch
daran festgehalten werden, daß Guardini nicht bei Engelbert Krebs, sondern bei Carl Braig promoviert hat;
dies ergibt eine Einsicht in die offiziellen Dokumente (vgl. Promotion in Freiburg*). In der Arbeit selbst wird
Krebs ein Dank abgestattet, weil dieser sie "durch stets bereiten Rat vielfältig gefördert hat"; an erster Stelle
wird aber auch Prof. Braig "für das freundliche Interesse" gedankt, "das er der vorliegenden Arbeit entgegenge-
bracht hat" (Erlösung, VII).
8
Erst 1964 wurde diese Arbeit veröffentlicht. Vgl. Gerl, Guardini, 117-112; Habilitation in Bonn*.
9
Vgl. Erlösung, VI
10
Vgl. Erlösung, VI.
11
Vgl. den Titel der Habilitationsschrift: "Systembildende Elemente in der Theologie Bonaventuras ..."
Theologische Suchbewegungen 135
den "Summen" und Sentenzenkommentaren auch das berücksichtigt, "was in Quod-
libeten, Quaestiones disputatae, dogmatischen, mystischen und aszetischen opuscula
und exegetischen Schriften niedergelegt ist".12
Bonaventura konnte zudem "aus seiner eigenen, reich und vielseitig veranlagten
Natur" schöpfen.
"Er ist ein klarer Denker, zugleich hat er jene Ehrfurcht vor dem Mysterium, wie
sie dem Mann des Gebetes eigen ist. Er ist in der Theorie wohl zu Haus und auch
der zweite Gründer des Ordens, der unermüdliche Erneuerer, Ordner und
Verwalter, der Meister in der Regelung verwickelter, praktischer Fragen. Er ist
Logiker, aber auch Künstler, ein Architekt des Gedankens und Meister des Aus-
drucks. Diese vielseitige Begabung setzt ihn in den Stand, dem zentralen Dogma
des Christentums die verschiedensten Seiten abzugewinnen."13
So bereichert Bonaventura nach Guardini die "scholastische" Darstellung der Erlö-
sungslehre durch einige bemerkenswerte Aspekte. Zum einen füge er theoretischen
Überlegungen immer auch "praktische", das heißt auf das "Leben" bezogene Gesichts-
punkte hinzu, wenn er etwa von der "didaktisch-pädagogischen" Wirkung der Erlösung
spreche ("Erlösung als Belehrung und Erziehung"14) oder Erlösung als Wiederherstel-
lung der persönlichen Gemeinschaft mit Gott beschreibe.15 Zum anderen stelle Bona-
ventura neben das moralisch-rechtliche Erlösungsverständnis, wie es seit Anselm von
Canterburys Satisfaktionstheorie in der scholastischen Theologie vertreten werde und
das auch er selbst durchaus als Grundlage der ganzen Erlösungslehre betrachte,16 ein
"physisch-mystisches" Erlösungsverständnis, in dem Erlösung vor allem als
"Neuschöpfung" verstanden werde.17
Im "praktischen" Zug des mittelalterlichen Denkers erkennt Guardini jenes Anliegen
wieder, das ihm sein Tübinger Lehrer Wilhelm Koch mit auf den Weg gegeben hatte -
die Frage nach dem "Lebenswert" des Dogmas.18 Er stößt nun auf eine "Theologia
affectiva", die das theologische Wissen nicht nur aus dem reinen Denken, sondern
ebenso aus der Erfahrung des Gebetes und der Übung der Tugend herleitet, die es auf
Denken, Wollen und Gemüt begründet und seinen Zweck nicht allein in der rein theo-
retischen, sondern auch in der 'schmeckenden Erkenntnis' ('cognitio saporativa') und in
der Besserung des Lebens sieht"19. Guardini findet ein System, das von einer
"Richtung auf das Mystische" und auf das "Organische" geprägt ist,20 und stellt sogar
das Bestreben fest, "die Erkenntnis vom Tun, die Wissenschaft von der Sittlichkeit, die
Theologie vom Gebet abhängig zu machen und so das Gebiet des Theoretischen mit
12
Elemente, 209.
13
Erlösung, 186.- Zur Interpretation Bonaventuras vgl. Balthasar, Guardini, 61-68; Kleiber, Glaube, 24-28.
14
Vgl. Erlösung, 103-119 und 1891
15
Vgl. Erlösung, 158-167 und 190.
16
Vgl. Erlösung, 72-103 und 1881
17
Vgl. Erlösung, 119-147 und 190.
18
Auch Engelbert Krebs, der Guardinis Promotion mitbetreut hatte, verwies Übrigens in seiner Antrittsvor-
lesung ausdrücklich auf Wilhelm Koch, der in der Dogmatik den "Lebenswert" berücksichtigt habe (vgl. Wert-
probleme, 38).
19
Erlösung, 192. - Wilhelm Koch spricht ausdrücklich von einer "dogmatica affectiva", wenn er der Dog-
matik neben Schriftbeweis, Traditionsbeweis und Spekulation eine vierte Aufgabe hinzufügte, nämlich "... die
praktisch-sittliche Bedeutung des Dogmas (seinen Lebenswert) zu zeigen und damit zugleich auf den überra-
genden Wert des dogmatisch-religiösen Lebens als Kulturfaktors hinzuweisen ..." (Koch, Dogmatik, 47).
20
Vgl. Elemente, 213-219.
136 Katholischer Glaube als Weltanschauung

den Grundlagen der religiös-sittlichen Praxis zu verbinden"21. In einem eigenständigen


Beitrag22 verweist er dazu vor allem auf Bonaventuras "argumentum ex pietate" und
auf die Bedeutung, die "sittliche Läuterung und rechte Gemütserhebung"23 für die
Begründung eines theologischen Satzes haben können. Guardini weiß um die Gefahr
eines solchen Argumentationsganges, der ja eine Fülle durchaus subjektiver Momente
enthalte und deshalb als eigentlich wissenschaftlicher Beweis auch gar nicht in Frage
komme.24 Entschieden grenzt er sich gegen die "modernistische" Tendenz ab, den
"Lebenswert" vor den "Wahrheitswert" zu stellen25 und zitiert dazu aus Anselms Dia-
log "Cur Deus homo": "Erst muß die vernünftige Festigkeit des Glaubens dargelegt
sein ... dann können diese Angemessenheiten entwickelt werden, gleichwie Malereien,
durch welche das corpus veritatis leuchtender hervortritt."26 Doch der praktische
Bezug theologischen Denkens bleibt für ihn auch in Zukunft unverzichtbar (vgl. dazu
Kapitel VII,3,d).
Auch die Lehre von der "Neuschöpfung" führt nach Guardini zu einer Bereicherung
des herkömmlichen Theologieverständnisses. Die "systembildenden Elemente" aus
diesem Gedankengang werden in der Habilitationsschrift deshalb noch eingehender
vorgestellt; es handelt sich um die Theorien des "turnen mentis", der "gradatio entium"
und der "influentia sensus et motus", sowie um die mit ihrer Hilfe entwickelten theo-
logischen Vorstellungen von den "Hierarchien" und vom "Corpus Mysticum". Sie
entstammen alle nicht der aristotelischen Begrifflichkeit, die sich in der Hochschola-
stik durchgesetzt hat, sondern einer augustinisch-neuplatonischen Traditionslinie,
deren Entwicklung Guardini immer wieder in seinen geschichtlichen Exkursen nach-
zeichnet.27 Zwar sei Bonaventura kein extremer "Augustinist", sondern stütze sich -
vor allem im Sentenzenkommentar - durchaus auch auf aristotelisches Gedankengut;
Grundpfeiler seiner Anschauungen seien jedoch Augustinus und Dionysius Pseudoare-
opagita:
"Bonaventura ist so traditionell, daß er die nun einmal geschehene Rezeption des
Aristotelismus anerkennt; er bleibt aber Augustinus-Schüler. Nicht in exklusiver
Weise; sobald jedoch der Zweck der betreffenden Schrift ihm keinen Zwang auf-
erlegt, denkt er in augustinisch-neuplatonischen Gedankengängen."28
So macht Guardini bei Bonaventura neben einer vorwiegend analytischen, kritisch-
positiven, "dialektischen" Systematik eine eher synthetische, konstruktiv-spekulative,

21
Elemente, 215.
22
Vgl. Argumentum ex pietate (1922). - Die Vermutung liegt nahe, daß es sich bei diesem Beitrag um die
Probevorlesung Guardinis zum Abschluß seiner Habilitation gehandelt hat; so A. A. Häußling, Anm. 1 zu:
Guardini, Herwegen 30, 2431, hier 243. - Zur Unterscheidung von "Probevorlesung" und "Antrittsvorlesung"
(gegen Guardini selbst: Berichte, 33 und 35; dem folgt Gerl, Guardini, 1351) siehe unten Anm. 36.
23
Argumentum ex pietate, 161. - Auf Guardinis Versuch, den "Lebenswert" des Trinitäsdogmas zu erhe-
ben, wurde bereits oben (vgl. Kapitel II,3,b,bb) hingewiesen; vgl. Dreieiniger Gott (1916).
24
Vgl. Argumentum ex pietate, 165.
25
Vgl. Liturgie, Anm. 1, 92, sowie 961
26
Anselm von Canterbury, Cur Deus homo, 1,4; PL 158, 365; zit. nach Guardini, Argumentum ex pietate,
165. Wörtlich heißt es bei Anselm allerdings: "Monstranda ergo prius est veritatis soliditas rationabilis ...;
deinde ut ipsum quasi corpus veritatis plus niteat, istae convenientiae quasi picturae corporis sunt exponendae"
(Hervorhebungen von mir).
27
Vgl. Elemente, 74-89, 115-124, 139-145, 176-183, 198-205 und 2091 - "Er (sc. Bonaventura) ist Augu-
stinianer, der sich mit einiger Muhe in die aristotelische Zeitströmung fügt..." (Berichte 27).
28
Elemente, 209; vgl. insgesamt ebd., 2091
Theologische Suchbewegungen 137

"organische" aus 29 und läßt keinen Zweifel daran, daß diese auch ihm selbst sympathi-
scher ist. Doch so wenig wie die Frage nach dem "Lebenswert" die vorausgehende
Frage nach der "vernünftigen Festigkeit des Glaubens" (Anselm; s. o.) hinfällig macht,
so wenig will Guardini die "dialektische" Systematik zugunsten einer allein üblichen
"organischen" abschaffen:
"Es handelt sich um zwei Formen der Systembildung, die sich gegenseitig ergän-
zen, weil jede einer besonderen Seite des Objekts in besonderer Weise gerecht
wird."30
Es geht also nicht um die Vorherrschaft einer neuen "Schule" neben der alten, sondern
um die zur Zeit Guardinis noch durchaus revolutionäre Idee eines legitimen theologi-
schen "Pluralismus". Was an Bonaventura zukunftsweisend ist, ist daher nach Guar-
dini nicht dessen "Augustinismus" (dem Guardini selbst freilich sehr verpflichtet
bleibt!; vgl. dazu Kapitel V,2,b), sondern die "synthetische Natur" seines Denkens, die
verschiedene, auch gegensätzliche Denkansätze als durchaus gleichberechtigt aner-
kennen und nebeneinanderbestehen lassen kann.31
Am Beispiel der bonaventuranischen Erlösungslehre zeigt Guardini, woher die Viel-
falt theologischer Denkansätze überhaupt kommt. Auch sie entspringt nämlich der
Vielfalt des Lebendig-Konkreten, die gleichzeitig in der Gegensatzlehre zu fassen
versucht wird.32 Die verschiedenen Gedankenreihen, mit denen Bonaventura das Erlö-
sungsgeschehen beschreibt, seien nicht etwa zufälliger Natur oder gingen auf das
Belieben eines bestimmten Denkers oder auf bloß tatsächliche, denkgeschichtliche
Voraussetzungen zurück. Sie seien vielmehr in jeder Behandlung des Erlösungspro-
blems und auch der übrigen theologischen Probleme aufzeigbar.33 Es handle sich um
eine Erscheinung, "die der Problematik überhaupt angehört, d. h. um ein Gesetz, das
sich immer geltend macht, sobald ein wissenschaftliches Problem bestimmter Art
gestellt t'sf."34 Auch die Theologie partizipiert damit an den Polaritäten des menschli-
chen Lebens - jedenfalls in der konkreten Systembildung, auf die sich Guardinis
Augenmerk in erster Linie richtet. Er ist sich zwar durchaus bewußt, wie problema-
tisch es an sich ist, eine schon bereitliegende philosophische Idee auf die Untersu-
chung theologischer Gedankengänge anzuwenden. Aber er fügt hinzu, "daß diese

29
Vgl. Elemente, 220. - Günter Henner führt die "dialektische" Methode auf das "hierarchische" Modell des
Seienden zurück und stellt beide der "organischen" Erkenntnishaltung gegenüber (vgl. Pädagogik, 55). Dies
entspricht nicht Guardinis eigener Interpretation: Das hierarchische Modell, das auf die Lehre von der
"Gradatio Entium" zurückgeht, gehört für ihn wie die Lehre von der "Influentia Sensus et Motus" und das
damit zusammenhängende Bild vom "Corpus Mysticum" zu einem typisch "organischen" Denken; vgl. v. a.
Elemente, 216-219. Die "dialektische" Methode findet sich dagegen etwa in Anselms Satisfaktionstheorie (vgl.
Elemente, 212), auf die Guardini in seiner Habilitationsschrift aber gar nicht mehr eingeht; diese beschränkt
sich von vornherein auf die Elemente einer "organischen" Systematik (vgl. v. a. Elemente, 219-221).
30
Elemente, 220.
31
Vgl. Elemente, 191. - Guardini äußert Verständnis dafür, "daß sich in der Scholastik die positiv-dialekti-
sche Methode durchgesetzt hat, während die organische mehr in den wissenschaftlichen Parerga und den
mystischen Schriften der Theologen zur Anwendung kam" (Elemente, 220). Er respektiert auch künftig den
Beitrag Thomas' von Aquin für die Entwicklung des christlichen Denkens (vgl. Bekehrung, 128 und 162) und
würdigt ihn als Repräsentanten "klassischen Geistes" (vgl. Vom klassischen Geist [1924]).
32
So kann Guardini sagen, auch die Darstellung der Erlösungslehre Bonaventuras habe die Gegensatzidee
"als Richtung und Maß in sich" getragen (vgl. Gegensatz, 7).
33
Vgl. Erlösung, 192; femer ebd., Vf.; Berichte, 261
34
Erlösung, 193. Guardini erwähnt, dieses "Gesetz logischer 'Morphologie'" solle in einem anderen
Zusammenhang (gemeint ist das Gegensatzbuch) erörtert werden (vgl. ebd., Anm. 1, 20).
138 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Theorie mit einer rationalen Deduktion des Glaubensmysteriums auch nicht das
geringste zu tun hat." Es handelt sich keineswegs darum, das Geheimnis natürlich zu
konstruieren, "sondern nur um die Frage, ob, nachdem es einmal durch positive
Offenbarung gegeben ist, seine logisch-systematische Verarbeitung einer bestimmten
gedanklichen Typik gehorcht."*5
Diese Aussage erinnert sehr an die Fragestellung der frühen liturgischen und ekkle-
siologischen Schriften Guardinis (vgl. Kapitel 11,3): Die spezifische christliche Begrün-
dung wird mehr vorausgesetzt als eigens entwickelt; das Hauptinteresse gilt der Art
und Weise, wie der Glaube und jetzt auch die Theologie in das Ganze des Lebens
eingebettet ist. Bei der Übernahme der Bonner Privatdozentur für Dogmatik geht
Guardini freilich bald einen entscheidenden Schritt darüber hinaus. Nun geht es ihm
nicht mehr allein um die "Gestalt", sondern auch um das "Wesen" der Theologie.

b. Das Wesen der Theologie

In seiner Bonner Antrittsvorlesung vom 25. Januar 192236 beschäftigt sich Romano
Guardini mit dem "Wesen der Theologie" und geht dazu vom anselmianischen Grund-
satz "Credo ut intelligam" aus. Ähnlich wie sein Freiburger Kollege und früherer
Mentor Engelbert Krebs, aber auch wie Karl Adam und Karl Eschweiler vertritt Guar-
dini die These vom "einen Weg" der Theologie gegenüber der neuscholastischen Auf-
fassung, die in der Apologetik von einer neutralen Vernunft, in den übrigen theologi-
schen Disziplinen aber von der Offenbarung ausgehen möchte.37 Immer ist Theologie
"G/awfonswissenschaft"38; sie erhebt die dem Glauben immanente Vernünftigkeit
("fides quaerens intellectum"), statt sich auf von außen kommende rationale Begrün-
dungsversuche zu verlassen ("fides quaerens intellectum")*9:

35
Erlösung, Anm. 1, 20.
36
Guardini reichte drei Themenvorschläge ein: 1) "Das Axiom 'credo ut intelligam' als Ausgangspunkt der
Theologie Anselms von Canteibury", 2) "Begriff, Gliederung und Methode der Theologie in Franz Anton Stau-
denmaiers Enzyklopädie"; 3) "Die Zwecksetzung der Theologie nach Bonaventura und Thomas im Zusammen-
hang mit deren Auffassung vom Besitz des höchsten Gutes" (vgl. Habilitation in Bonn*). Die Fakultät ent-
schied sich für den ersten Vorschlag und lud ein zu "der öffentlichen Antritts-Vorlesung über 'Das Axiom
'credo ut intelligam' als Ausgangspunkt der Theologie Anselms von Canterbury' die Herr Dr. theol. Romano
Guardini zur Vollziehung seiner Habilitation in der katholisch-theologischen Fakultät am Mittwoch, den 25.
Januar 1922, um 11 Uhr ... halten wird" (vgl. ebd.*). In den autobiographischen "Berichten" spricht Guardini
sowohl von einer "Probevorlesung" als auch von einer "Antrittsvorlesung", die er offenbar miteinander identifi-
ziert; sie sei in seiner Aufsatzsammlung "Auf dem Wege" (1923) abgedruckt worden (vgl. Anselm von Canter-
bury und das Wesen der Theologie; dort jedoch fälschlich in das Jahr 1921 datiert: 166). Im Briefwechsel mit
Herwegen ist jedoch unabhängig von der "Antrittsvorlesung" im Januar (vgl. Brief vom 7. 1. 1922, Herwegen
31, 244) von einer "Probevorlesung" die Rede, die bereits am 20. Dezember 1921 stattfand (vgl. Brief vom 26.
12. 1921, Herwegen 30, 2431, hier 243). Häußling vermutet mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß diese Vorle-
sung mit dem Aufsatz "Das Argumentum ex pietate beim hl. Bonaventura und Anselms Dezenzbeweis" (1922)
identisch ist.
37
Vgl. Krebs, Wertprobleme; Eschweiler, Wege; Adam, Glaube; Adam, Zirkel. - Das "credo ut intelligam"
wurde von diesen Autoren dem als "rationalistisch" angesehenen "intelligo ut credam" gegenübergestellt (vgl.
Kotaing, Theologie, 102-105; Flury, Redlichkeit, 149-179).
38
Diese Bezeichnung verwendet Guardini ausdrücklich in dem bibelhermeneutischen Beitrag: Heilige
Schrift und Glaubenswissenschaft (1928); siehe dazu unter VII,2,a.
39
Vgl. bes. Seckler, Glaubenswissenschaft, bes. 186-194; Dalferth, Fides quaerens intellectum.
Theologische Suchbewegungen 139
"Theologie ist nicht Religionspsychologie oder Religionsphilosophie, nicht reli-
giöse Ethik oder Soziologie, auch nicht Religions- oder Kulturgeschichte. Sie
benützt wohl die Ergebnisse dieser Wissenschaften, will aber selbst durchaus
anderes. Sie ist die Wissenschaft von der übernatürlichen Selbstoffenbarung
Gottes, von deren Geschehnis, Inhalt und Wirkung. Und zwar nicht als einer
einfachen Tatsache, sondern als einer verbindlichen, mit Autorität an den Einzel-
nen herantretenden: als Voraussetzung des Heiles."40
Es ist festzuhalten, daß Guardini an dieser Stelle erstmalig in seinem Werk die Offen-
barungskategorie zur Geltung kommen läßt, damit näherhin ein übernatürliches
Geschehen bezeichnet und dieses Geschehen schließlich klar als Se/bsroffenbarung
Gottes deutet.41 Näher wird dieser für den Glauben und die Theologie grundlegende
Vorgang hier allerdings nicht beschrieben; der Blick richtet sich immer noch vor allem
auf die sich ergebenden Konsequenzen. Wichtigste Feststellung: In der Theologie
handle es sich zwar um eine Wissenschaft, um "methodisch geordnete Verstandesar-
beit". Theologie habe jedoch ihr eigenes Objekt und trete diesem in einer besonderen,
ihm allein wesensgemäßen Haltung entgegen. Die zurückliegenden Jahrzehnte hätten
dies oft aus den Augen verloren, denn sie seien "rationalistisch" und zugleich
"skeptisch", "individualistisch" und zugleich "unter der Suggestion von Zeitströmun-
gen stehend" gewesen.42 Anselm dagegen habe sowohl gegen die "Dialektiker" das
Vorausgehen des Glaubens betont, wie auch gegen den "Traditionalismus" und
"Agnostizismus" die rationale Durchdringung des Glaubens gefordert. Der Glaubens-
akt erscheine bei ihm als ein vom Denken unterschiedener Vorgang, welcher der Wis-
senschaft erst den Gegenstand vermittelt, an dem sie anzusetzen hat.
"Glaube ist nicht Wissenschaft, sondern Leben, nämlich die lebendige Ueberzeu-
gungshingabe der Persönlichkeit an den sich offenbarenden Gott, an Christus und
seine Kirche; die lebendige Ueberzeugung von der Wahrheit der Offenbarungsin-
halte um der Wahrhaftigkeit Gottes willen."43
Wissenschaftlichkeit wird somit von Guardini klar von jenem "Leben" unterschieden,
mit dessen Vielfalt und Einheit er sich in seiner Gegensatzlehre beschäftigte und zu
dem er Liturgie und Kirche immer wieder in Beziehung setzte (vgl. dazu Kapitel II).
Jedes wissenschaftliche Erkennen ist auf einen bestimmten Aspekt dieses "Lebens"
bezogen und enthält ihn sozusagen als Voraussetzung in sich.44 Dies hängt mit dem
phänomenologischen Grundsatz zusammen, "wonach von den verschiedenen Seins-
gebieten bestimmte Erkenntnishaltungen des Subjekts gefordert werden, so daß ein
Gegenstand erst dann wirklich und voll erfaßt wird, wenn das Subjekt ihm gegenüber
die entsprechende Haltung einnimmt; die Denkarbeit erst dann richtig durchgeführt
werden kann, wenn diese Einstellung fortdauert."45 Wenn sich also die Theologie auf
das Leben des Glaubens bezieht, dann muß sie auch selbst jene Grundhaltung zu ihrer
Voraussetzung haben:

40
Anselm, 501
41
Zur Entfaltung dieses Offenbarungsverständnisses vgl. auch unten in Abschn. 2,c, sowie v. a. Kap.
VII3,c.
42
Anselm, 51.
43
Anselm, 54.
44
Vgl. dazu Näheres in: Heilige Schrift (1928).
45
Anselm, 47.
140 Katholischer Glaube als Weltanschauung

"Theologie als wissenschaftlich-verstandesmäßige Beschäftigung mit Tatsache


und Inhalt der Offenbarung kommt nur zustande, wenn ihr Träger die vom
Gegenstand geforderte Haltung einnimmt. Die aber ist der Glaube: Credo ut
intelligam; ich muß erst glauben, um den Glaubensinhalt wissenschaftlich erken-
nen zu können.46
Der vorauszusetzende Glaube bringt in die Theologie bestimmte Inhalte ein.47 Er ist
für Guardini aber vor allem als "Akt" interessant:
"Gläubigkeit ist auch jene subjektive Haltung, welcher der theologische Gegen-
stand sich erst ganz öffnet. Erst der Glaube sieht den theologischen Gegenstand
voll und richtig, und erst wenn dieser Gegenstand solchermaßen gesehen ist,
vermag die wissenschaftliche, kritisch-systematische Verstandesarbeit ihn zu
erfassen."48
Doch die genannte Glaubenshaltung wird nicht nur vom Individuum getragen, sondern
ist zugleich in die Gemeinschaft der Kirche eingebettet.49 Auch in der Theologie will
Guardini somit seine persönliche Erfahrung mit der Kirche einbringen, die er als
Pädagoge und Seelsorger immer wieder weiterzugeben versucht hat: Nur in der Kirche,
verstanden als Gemeinschaft der Glaubenden in der Gegenwart, aber auch durch die
verschiedenen Zeiten hin (Tradition), ist wahre Katholizität möglich! "Eigentliches
Subjekt der Theologie ist die Denkgemeinschaft der Kirche."50
An dieser Stelle reagierten offenbar die künftigen Bonner Kollegen empfindlich. Der
"liberale" Klemens Tillmann hatte offenbar geglaubt, in Guardini "einen 'kritischen'
Theologen zu haben, der seine Richtung stützen würde".51 Stattdessen machte dieser
die Kirchlichkeit zur Voraussetzung theologischen Denkens, was einem
"unwissenschaftlichen Dogmatismus" gleichzukommen schien.52 Guardinis Vorstel-
lung von "Kirchlichkeit" knüpfte jedoch nicht an den Integralismus der unmittelbaren
Vergangenheit an, sondern berührte sich eher mit der Ekklesiologie der katholischen
"Tübinger Schule",53 mit der augustinisch-franziskanischen Tradition (s. o.), sowie mit
46
Anselm, 51.- Bereits Pierre Rousselot hatte unter Berufung auf Thomas von Aquin betont, daß auch die
Glaubwürdigkeitsgrunde nur im Lichte der Glaubensgnade erkannt werden könnten, daß also Erkenntnis der
Glaubwürdigkeit der Offenbarungspredigt und Annahme der Offenbarungspredigt einziger Akt seien (vgl. Die
Augen des Glaubens [urspr. Lex yeux de Ia foi, 1910], hg. v. J. Trütsch, Einsiedeln 1963, 31); dazu Kolping,
Katholische Theologie, 103; Kunz, Glaubwürdigkeitserkenntnis, 425-430. Auch die Glaubensbegründungen bei
Hans Urs von Balthasar und Karl Rahner stellen Weiterfuhrungen dieses Ansatzes von Rousselot dar; vgl.
Kunz, a.a.O., 430-440.
47
Vgl. Anselm, 511
48
Anselm, 52.
49
Vgl. Anselm, 56.
50
Anselm, 58. Vgl. auch ebd., 591, wo Guardini diese Feststellung für einzelne theologische Fächer
(Dogmatik, Exegese, Kirchengeschichte) präzisiert. "Theologie ist die wissenschaftliche Verarbeitung jenes
Glaubensbewußtseins, das die Kirche von Gott und Gottes Reich hat. Sie wird nur möglich, wenn das indivi-
duelle Denken sich in das Denken der Kirche einfügt, selbst 'Kirche' wird" (60).
51
Berichte, 33.
52
Vgl. Berichte, 34.
53
Vgl. Anselm, 62-64 (Anm. zu S. 54). Hier bringt Guardini ein ausführliches Zitat aus: J. A. Möhler,
Einleitung in die Kirchengeschichte, in: ders., Gesammelte Schriften und Aufsätze, hg. v. Johann Joseph Ignaz
Döllinger, Bd. II, Regensburg 1840, 261-290, hier 282-285. Die Verbindung zur "Tübinger Schule" wird femer
belegt durch den zweiten Vorschlag zur Bonner Antrittsvorlesung, der sich auf die Theologie Staudenmaiers
bezog (s. o. Anm. 36). Vgl. ferner: Guardini, Zu Theodor Haeckers Vergilbuch (1932), 134: "Man kann es ja
nicht verwinden, daß Kuhns Dogmatik und Leben Jesu Bruchstücke bleiben mußten! Aber daß es geschah, daß
Möhlers Werk Anfang blieb; daß Staudenmaier überall begonnen und fast nichts vollendet hat, nicht seine
Theologische Suchbewegungen 141

dem Glaubensverständnis John Henry Newmans.54 Sie leistete nicht autoritärer


Bevormundung Vorschub, sondern sah in der Kirchlichkeit den umfassenden Horizont,
innerhalb dessen sich eine legitime Vielfalt erst entfalten konnte.
Darum konnte eine Theologie nach Guardini auch nicht nur "deduktiv", vom
"Ewigen", vom "Dogma", von der Kirche, sondern auch "induktiv", von der "konkreten
Eigenart der Tatsachen und Erscheinungen", ausgehen.55 Schon in der ersten Bona-
ventura-Arbeit hatte Guardini im Zusammenhang mit Harnacks gegen die katholische
Theologie gerichtetem Vorwurf einer "complexio oppositorum" festgestellt:
"Wenn sich die Wahrheit dem Denken in ihrer Universalität offenbart, so muß
letzteres darauf verzichten, diese Fülle in eine einfache Formel zu bringen. Das
ist aber keine Anhäufung von Widersprüchen, sondern folgt aus dem Unvermö-
gen des menschlichen Denkens, die Fülle und das Geheimnis der geoffenbarten
Wahrheit zu bewältigen. Das Denken muß die verschiedenen Seiten dieser Wahr-
heit anerkennen und ihnen gerecht zu werden suchen, auch wenn dadurch ein
kompliziertes und scheinbar vieldeutiges Gebilde entsteht."56
Es wäre spannend gewesen, wenn Guardini versucht hätte, diese Auffassung in die
Dogmatik umzusetzen.57 Doch schon nach einjähriger Lehrtätigkeit in Bonn erhielt
Guardini den Ruf nach Berlin, auf einen Lehrstuhl außerhalb einer theologischen
Fakultät. Wie es scheint, hat Guardini diesen Abschied von der "Fachtheologie" nie
sonderlich bedauert: "Ich war nun einmal kein Fachtheologe, und mehr als einmal habe
ich mit Beunruhigung die Frage empfunden, wie ich ein solcher werden solle, denn
einen anderen Weg durch die akademische Welt als den eines Dogmatikprofessors sah
ich ja nicht."58 Dennoch wollte Guardini seinem bisherigen theologischen Anliegen
auch in der neuen Aufgabe gerecht bleiben:
"Was ich hier verließ, war die systematische Theologie; was ich suchte, war die
'Welt'. Das Erste durfte aber nicht verlassen werden; so entstand die Einheit jenes
Blickes, der vom Glauben her die lebendige Wirklichkeit der Welt erfaßt."59

Dogmatik, nicht seine christliche Philosophie, kann einen vieles lehren über das, was im deutschen katholi-
schen Schaffen zerbrochen ist ...". Hinweise auf die "Tübinger Schule": Kumpf, Guardini, 20; Fastenrath, "In
vitam aeternam", 7491 Skeptisch dazu: Schilson, Christusverkündigung, Anm. 122, 153 ("Eine tiefgehende
Prägung Guardinis durch die 'Tübinger Schule' ist allerdings kaum festzustellen ...").
54
Guardini war auf Newman offenbar ebenfalls über Wilhelm Koch gestoßen; vgl. Färber, Koch, 111;
Guardini, Knöpfler, 520. Die Bekanntschaft mit der Newman-Übersetzerin Maria Knöpfler mag das Interesse
gefestigt haben, obwohl Newman selten in Guardinis Werk explizit erwähnt wird.
55
Vgl. Anselm, 61.
56
Erlösung, 187.
57
Guardini las im Sommersemester 1922 über "Die Theorie der Erlösung in den grundlegenden Formen
ihrer Ausgestaltung" - so Guardinis eigener Themenvorschlag, der nach der Habilitation dem Erzbischof von
Köln zur Gewährung des Approbation vorgelegt wurde (5. 1. 1922; positiv beantwortet am 17. 1. 1922; vgl.
Habilitation in Bonn*; Vorlesungsverzeichnis Bonn SS 1922, 15; Berichte, 35). - Die Vorlesung über
"Sakrament und Opfer", an die sich die ehemaligen Hörer Burkhard Neunheuser und Heinrich LUtzeler erin-
nern (vgl. Neunheuser, Guardini, 485; LUtzeler in einem Brief an H.-B. Gerl, zit. dies., Guardini, 137), fand im
Wintersemester 1922/23 - nicht, wie Neunheuser schreibt, im Sommersemester 1922 - statt (vgl. Vorlesungs-
verzeichnis Bonn WS 1922/23, 13: "Begriff des Opfers und Sakramentes in den Grundformen seiner
Ausgestaltung"). In dieser Hinsicht zu korrigieren: Gerl, Guardini, 137.
58
Berichte, 341
59
Europa, 201
142 Katholischer Glaube als Weltanschauung

2. Der neue Blickwinkel: Die Berliner "Antrittsvorlesung" (1923)

Guardini übernahm einen Lehrstuhl, in dessen Umschreibung neben der relativ unpro-
blematischen Bezeichnung "Religionsphilosophie"60 auch von "katholischer Welt-
anschauung" die Rede war. Dieser Hinweis war keineswegs so harmlos, wie es aus
heutiger Sicht zunächst scheinen mag; denn sowohl mit dem Begriff
"Weltanschauung" wie mit dem des "Katholischen" war ein Anspruch verbunden, der
mitten in die spannungsvolle Atmosphäre der zwanziger Jahre hineinführte. So ist im
Folgenden zunächst auf diese Problematik selbst näher einzugehen (a), bevor Guar-
dinis Interpretation des Weltanschauungsbegriffs (b) und - vor diesem Hintergrund -
sein Verständnis von "katholischer" Weltanschauung genauer vorgestellt wird (c).

a. Das Problem: "Katholische Weltanschauung" in Berlin


Das Wort "Weltanschauung" ist eine typisch deutsche Begriffsprägung, die schon bei
Immanuel Kant, beim frühen Hegel, sowie bei Goethe auftaucht und in der deutschen
Romantik, besonders durch Joseph von Görres und Wilhelm von Humboldt - zunächst
meist im Sinne einer pantheistischen Weltfrömmigkeit - weiter verbreitet wird.61
Gemeint ist mehr als ein "Weltbild", das - als "Summe menschlich-anschaulichen
Wissens von der Welt"62 - in der Neuzeit vor allem von den Fortschritten der Natur-
wissenschaft und Technik geprägt ist. Eine "Weltanschauung" nämlich richtet sich
zwar auch auf das Ganze der Wirklichkeit und baut auf einem "Weltbild" auf; darüber
erhebt sich aber nach Dilthey außerdem eine "Lebenswürdigung", die Antworten auf
die Frage nach Bedeutung und Sinn des Ganzen gibt und von der sich wiederum die
"Ideale", das "höchste Gut" und die obersten Grundsätze ableiten, die das konkrete
Handeln des Menschen bestimmen.63
Nun waren gerade die Systeme des Deutschen Idealismus ein letzter Ausdruck des
Bemühens, eine auf der Vernunft begründete umfassende und allgemeingültige Welt-
anschauung herauszubilden. Die von Kant ausgehende Metaphysik-Kritik und der
Durchbruch des geschichtlichen Denkens führten jedoch zu einer immer klareren Tren-
nung von Wissenschaft und Philosophie einerseits und Weltanschauung andererseits.64

00
Immer wieder wird Guardini daher als "Religionsphilosoph" bezeichnet, was freilich nur auf einen
Teilaspekt seines Schaffens hinweist, im übrigen aber Ausdruck einer Verlegenheit ist, welcher Disziplin man
nun eigentlich diesen Denker zuzuordnen habe.
61
Vgl. Söhngen, Weltanschauung, 10271; ferner: Eisler, Weltanschauung; Honecker, Weltanschauung;
Klein, Weltanschauung; Reding, Weltanschauung; Fries, Nachwort.
62
Eisler, Weltbild, 508. - In einem weiteren Sinne kann man unter "Weltbild" auch die von einem
bestimmten wissenschaftlichen Teilgebiet aus mögliche Wirklichkeitssicht (z. B. das physikalische oder das
juristische "Weltbild"; vgl. ebd.) verstehen. Für Heidegger ist "Weltbild" dann nicht nur ein "Bild von der
Welt", sondern "die Welt als Bild begriffen", was in dieser Weise erst in der Neuzeit möglich sei: "Das Seiende
im Ganzen wird jetzt so genommen, daß es erst und nur seiend, ist, sofern es durch den vorstellend-herstellen-
den Menschen gestellt ist" (Zeit des Weltbildes, 87).
63
Vgl. Dilthey, Weltanschauung, 82-84.
64
Zur Entfaltung der Weltanschauungsthematik im Anschluß an Kant vgl. v. a. G. Misch, Vorbericht des
Herausgebers, in: Dilthey, Geistige Welt, VII-CXVII, bes. XX-XXI.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 143

Für den Neukantianer Heinrich Rickert konnte es daher keine wissenschaftliche Welt-
anschauung mehr geben, dagegen aber sehr wohl eine philosophische Weltanschau-
ungslehre, die die verschiedenen Weltanschauungen nach theoretischen Gesichts-
punkten beurteilen, also etwa die Unnahbarkeit des Naturalismus nachwies.65 Bemer-
kenswert ist auch der Versuch von Jonas Cohn, die bleibende Bedeutung einer
"Weltanschauung" für den Menschen zu unterstreichen:
"Die ganze Welt in eine Anschauung zu fassen, ist ein ebenso gigantischer wie
unmöglicher Gedanke. Diese Einheit durch ein encyklopädisches Nebeneinander
der Ergebnisse aller Einzelwissenschaften zu ersetzen, kann nur zu einer Halbheit
des Wissens, niemals zur Ganzheit der Anschauung führen. Die allgemeinen und
strengen Begriffe der kritischen Philosophie endlich können für sich allein wohl
Überzeugungen, nicht Anschauungen bilden. Aber Begriffe und Überzeugungen
organisieren unsere Anschauung, leiten uns in der Wahl des Wichtigen, bestim-
men unsere Art, anzuschauen. Nichts anderes kann Weltanschauung bedeuten, als
eine bestimmte, einheitliche Art, die Fülle der Dinge, deren geahnte Einheit wir
als Welt bezeichnen, anzuschauen. Fassen wir den Sinn des Wortes so, dann wird
Weltanschauung das höchste persönliche Ziel jedes denkenden Menschen. Wir
verstehen dann auch, dass sich in der Weltanschauung wissenschaftliche und rein
persönliche Elemente, Beweisbares und Unbeweisbares, Begriff und Gefühl
unlösbar verbinden."66
Wie wir bereits gesehen haben (vgl. Kapitel I,2,b,aa und II,2,b,bb [2]), beschränkte
sich auch Wilhelm Dilthey darauf, die Mannigfaltigkeit der menschlichen Weltan-
schauungen auf immer wiederkehrende Typen zurückzuführen; eine einheitliche philo-
sophische Weltanschauung bzw. "Metaphysik" konnte auch er sich nicht mehr vorstel-
len.67 Vielmehr entwickelte er seine "verstehende" Psychologie zu einer Hermeneutik
des Lebens weiter:
"Die letzte Wurzel der Weltanschauung ist das Leben. In unzähligen einzelnen
Lebensläufen über die Erde verbreitet, in jedem Individuum wieder erlebt, und,
da es als bloßer Augenblick der Gegenwart der Beobachtung sich entzieht, in der
nachklingenden Erinnerung festgehalten, andererseits wie es sich in seinen Äuße-
rungen objektiviert hat nach seiner ganzen Tiefe in Verständnis und Interpretati-
on vollständiger erfaßbar als in jedem Innewerden und Auffassen des eignen
Erlebnisses - ist das Leben in unserm Wissen in unzähligen Formen uns gegen-
wärtig und zeigt doch überall dieselben gemeinsamen Züge. ... So schafft das
Leben von jedem Individuum aus sich seine eigne Welt."68
Die allgemeinen Lebenserfahrungen, vor allem aber die zutage tretenden "Rätsel des
Lebens" bringen nach Dilthey jeweils bestimmte "Lebensstimmungen" hervor, die sich
in Religion, Dichtung und Metaphysik Ausdruck verschaffen und auf verschiedene
Weise zu einer "Auflösung des Lebensrätsels" beitragen. "So erhalten Zustände, Perso-

65
Vgl. Reding, Weltanschauung, 1441
66
Cohn, Das Kantische Element in Goethes Weltanschauung (1905), 345. - Guardini zitiert später Jonas
Cohns "Theorie der Dialektik" (Formenlehre der Philosophie, Leipzig 1923; vgl. Guardini, Sozialwissenschaft,
Anm. 11,44).
67
"Zwischen dem geschichtlichen Bewußtsein der Gegenwart und jeder Art von Metaphysik als Weltan-
schauung besteht ein Widerstreit" (Dilthey, Das geschichtliche Bewußtsein, 3).
68
Dilthey, Weltanschauung, 78.
144 Katholischer Glaube als Weltanschauung

nen und Dinge im Verhältnis zum Ganzen der Wirklichkeit eine Bedeutung, und dieses
Ganze selbst erhält einen Sinn."69 Zwar geschieht dies nach einer bestimmten Regel-
haftigkeit, aber "die Variationen des Lebens, der Wechsel der Zeitalter, die Verände-
rungen in der wissenschaftlichen Lage, das Genie der Nationen und der einzelnen"
bringen unberechenbare Momente ins Spiel, welche die Ursache für die Mannigfal-
tigkeit der Weltanschauungen sind: "... immer neue Kombinationen von Lebenserfah-
rung, Stimmungen, Gedanken machen sich in den Weltanschauungsgebilden nach dem
geschichtlichen Ort, den sie einnehmen, geltend: sie sind irregulär nach ihren Bestand-
teilen und deren Stärke und Bedeutung im ganzen."70 Dilthey untersucht vor allem die
Ausbildung der Weltanschauungstypen in den großen metaphysischen Systemen der
Menschheit, die versuchen, die Weltanschauungen zu allgemeingültigem Wissen zu
erheben, sie also in einem begrifflichen Zusammenhang zu stellen und wissenschaft-
lich zu begründen.71 Dabei werden drei große Typen - "Naturalismus", "Idealismus
der Freiheit" und "objektiver Idealismus" - unterschieden.72 Alle Systeme verbleiben
aber außerhalb der Philosophie; sie sind Ausdruck des "Lebens", nicht des philosophi-
schen Denkens, das mit der "Auslegung" der Lebenszusammenhänge beschäftigt ist.73
Auch Karl Jaspers stellt fest: "Der Kern der Weltanschauung ist Glaube."74 Es gibt
nicht die Weltanschauung, sondern immer nur eine Vielfalt nebeneinander:
"Aber der Mensch ist kein Wesen, das alles weiß und in jede Erscheinung der
Weltanschauung als selbst seiend eintreten könnte; er steht, wenn er es ernst
meint, notwendig in einer Weltanschauung, aus der er auf alles sieht, und die ihm
die allein wahre ist; er kann sie nicht übersehen, denn sie ist nie vollendet; und
niemand kann sie von einem äußeren Standpunkt übersehen, denn sie ist nur
wirklich, wo sie aus eigenem Ursprung selbstgegenwärtig sich vollzieht. Daher
sind Weltanschauungen betrachtet nie, als was sie sind, wenn der Mensch in
ihnen lebt. Weltanschauungen in der Mehrzahl sind nicht mehr eigentlich Welt-
anschauung."75
Sobald der Philosoph die Vielfalt der Weltanschauungen durchschaut - Jaspers selbst
beschreibt die verschiedenen "Einstellungen" des Menschen gegenüber der Welt, in
der er lebt, die daraus sich ergebenden "Weltbilder", unter denen der Autor in seiner
frühen Schrift "sinnlich-räumliche", "seelisch-kulturelle" und "metaphysische Weltbil-
der" unterscheidet, sowie das darauf sich gründende "Leben des Geistes"16 -, stellt sich
also heraus, daß in Wirklichkeit keine dieser Varianten den Namen einer
"Weltanschauung" tatsächlich verdient. So ist im Gefolge von Kant (dem Jaspers sehr

69
Dilthey, Weltanschauung, 83.
70
Dilthey, Weltanschauung, 85.
71
Vgl. Dilthey, Weltanschauung, 931
72
Vgl. Dilthey, Weltanschauung, 100-118. - Freilich ist sich Dilthey der Relativität auch dieser Einteilung
bewußt; diese partizipiere an einer Schwierigkeit jeder geschichtlichen Vergleichung: "Sie muß in einer
Anticipation einen Maßstab anlegen für ihre Auswahl der Züge in dem, was sie vergleicht, und dieser Maßstab
bestimmt dann das weitere Verfahren. So hat das, was ich hier vorlege, einen ganz provisorischen Charakter"
(ebd., 99).
73
Vgl. Dilthey, Weltanschauung, 86: "Die Weltanschauungen sind nicht Erzeugnisse des Denkens. ... Aus
dem Lebensverhalten, der Lebenserfahrung, der Struktur unserer psychischen Totalität gehen sie hervor."
74
Jaspers, Philosophie I: Philosophische Weltorientierung, Berlin 1932, 246.
75
Jaspers, Philosophie I, 242.
76
Vgl. Jaspers, Weltanschauungen.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 145

verpflichtet bleibt77) ein zunächst historischer, dann psychologisch-lebensphilosophi-


scher und schließlich existenzphilosophischer Relativismus entstanden, der nun aber
seinerseits wieder zu einer neuen "Weltanschauung" (mit dem Grunddogma: Es gibt
keine universale Weltanschauung!) zu werden begann.
Dieser Relativismus stellte sich auch in einen radikalen Gegensatz zum Absolut-
heitsanspruch des Christentums. Der protestantische Theologe Ernst Troeltsch hat sich
dieser Herausforderung gestellt.78 Er versuchte, "sich einen Überblick zu verschaffen
über das "geistige Schlachtfeld der Gegenwart, auf welchem die großen Weltanschau-
ungen um die Herrschaft über die Gemüter kämpfen."79 Die Theologie müsse aus ihren
"engen Mauern" hinaus auf das "freie Feld des allgemeinen wissenschaftlichen
Denkens" ziehen. Nur wenn man einen "ruhigen Überblick über die in diesem Kampf
ringenden Mächte, über deren Herkunft und Kraft" besitze, könne es zu der Gewißheit
und zur Zuversicht kommen, daß "bei aller Erweiterung des Denkens und des Lebens
die alten Fragen nach den höchsten und letzten Gütern des persönlichen Lebens ihre
volle Bedeutung behalten haben" und daß die christliche Weltanschauung "nach wie
vor die an Kraft und Tiefe unübertroffene Antwort auf diese Fragen" bleibe.80 Unter
Verzicht auf einen von vornherein erhobenen Absolutheitsanspruch und daher ganz in
der Linie der Weltanschauungsphilosophen und -psychologen seiner Zeit, wollte
Troeltsch die entscheidende Bedeutung des Christentums "im weltanschaulichen
Kampf gegen den mechanistischen Naturalismus, gegen den verschwommenen, Sünde
und Leid nicht ernstnehmenden ästhetischen Monismus und Pantheismus oder gegen
die mit der Geschichtswissenschaft scheinbar notwendig einhergehende spielerische
Skepsis"81 erhalten. Wissenschaftliche Basis dafür war eine religionsphilosophische
Würdigung des Christentums innerhalb der Religionsgeschichte.82 Sie sollte erweisen,
daß das Christentum immer noch den Höhe- und Konvergenzpunkt aller bisherigen
Religionen darstelle, die Voraussetzung jeder künftigen Religiosität bilde und daß
keine große Wahrscheinlichkeit bestehe, daß es einmal überholt sein und durch eine
andere Weltanschauung ersetzt werden könnte.
Das Stichwort "Weltanschauung" gewann auch im Denken des späten Max Scheler
eine immer größere Bedeutung. Schon seit 1922 zeichnete sich eine thematische
Schwerpunktverlagerung ab in seinem Werk ab: "Von der Welt der Werte, der Wesen-
heiten und der Religion ging sein Blick mehr zum Realen, zu den Fragen der Kultur-
philosophie und Soziologie, wenn gewiß auch hier immer noch unter philosophischem
Aspekt. Am Menschen ... interessierte ihn jetzt vor allem die voluntative und vitale
Schicht, die untergeistige Triebsphäre. Von hier aus suchte er die Welt und Gewalt der
irrationalen Seinsmächte überhaupt zu erschließen."83 Bald darauf legte Scheler Bei-
träge zur "Weltanschauungslehre" vor und versuchte eine soziologische Erklärung der

' ' Vgl. Jaspers, Weltanschauungen, 463-486 ("Anhang: Kants Ideenlehre").


78
Vgl. v. a. E. Troeltsch, Christliche Weltanschauung (urspr. 1894); ders., Selbständigkeit der Religion, in:
ZThK 5 (1895), 361-436; 6 (1896), 71-110 und 167-218; ders., Absolutheit des Christentums (urspr. als
Vortrag 1901, veröffentlicht 1902).
79
Troeltsch, Christliche Weltanschauung, 324.
80
Troeltsch, Christliche Weltanschauung, 326; vgl. Apfelbacher, Ernst Troeltsch, 243.
81
Apfelbacher, Ernst Troeltsch, 253.
82
Vgl. Apfelbacher, Ernst Troeltsch, 253.
83
Fries, Religionsphilosophie, 1121
146 Katholischer Glaube als Weltanschauung

"Weltanschauungen".84 Auch sie lief auf eine "jede Allgemeingültigkeit ausschließen-


de Relativierung der Weltanschauungen"85 hinaus. Christentum und Kirche wurden in
diese Relativierung einbezogen, wenn Scheler sie zu einer rein europäischen Angele-
genheit erklärte, der keinerlei sachliche oder geschichtlich wirksame Auszeichnung
zuzuerkennen sei. Die Kirche war nun nichts anderes mehr als eine religiöse Organisa-
tionsform im "politischen" Zeitalter.86 Der "katholische" Philosoph, der für die Katho-
liken zeitweise als Garant ihrer neuen kulturellen Bedeutsamkeit erschien, verabschie-
dete sich damit schon wieder von Kirche und Christentum; was übrigblieb, war ledig-
lich noch ein verschwommener Werdepantheismus.87
Doch auch im Zeitalter des weltanschaulichen Relativismus war der Wunsch nach
einer neuen "absoluten" Orientierung nicht einfach auszulöschen. Schon in dem Sam-
melband "Weltanschauung" (1911), der mit Diltheys Aufsatz über die "Typen der
Weltanschauung" eröffnet wurde und im Anschluß daran eine ganze Reihe weiterer
Versuche aus dem Bereich von Philosophie und Religion enthielt,88 tauchte die Idee
auf, daß die neue Pluralität nur ein Übergangsstadium darstelle und im Laufe der Zeit
wieder einer einheitlichen Weltanschauung Platz machen werde.89 In den zwanziger
Jahren schien sich eine solche in Form einer "biozentrischen Metaphysik" abzuzeich-
nen.90 Das Streben nach Totalität kehrte schließlich im nationalsozialistischen
"Mythos des 20. Jahrhunderts" auf besonders verhängnisvolle Weise zurück.91
"Weltanschauung" wurde nun als der "Höchstwert" verkündet, der dem Leben erst
einen Sinn gebe und dem das wissenschaftliche Erkennen - in radikaler Umkehrung
der philosophischen Weltanschauungslehren - unterzuordnen sei. Sie sei nicht Ergeb-
nis des Wissens, sondern des Glaubens, der von Rasse, Volk, Blut und Boden abhän-
ge.92 Diltheys These vom Ursprung der Weltanschauung im "Leben" wurde also in der
nationalsozialistischen, aber ähnlich auch in der kommunistischen Ideologie des 20.

84
Vgl. M. Scheler, Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre [urspr. Leipzig 1923/24]; ders., Die
Wissensformen und die Gesellschaft [urspr. Leipzig 1926]. - Vgl. dazu Mercker, Weltanschauung, 661
85
Fries, Nachwort, 47.
86
Vgl. Fries, Nachwort, 48. - Bereits die 1920/21 erschienene Stellungnahme für eine "vergleichende Welt-
anschauungslehre", die dem "Frieden unter den Konfessionen" zu dienen hätte, bedeutet einen Schritt hin zu
einer immer weitergehenden Relativierung des Christentums (hier noch des Katholischen) im Wettstreit mit
den anderen "Weltanschauungen" der Zeit (vgl. Scheler, Konfessionen, 4681).
87
Vgl. Fries, Religionsphilosophie, 111-135., bes. 129-133; Stegmüller, Gegenwartsphilosophie, 124 und
129.
88
Vgl. Frischeisen-Köhler, Weltanschauung (1911). Darin finden sich neben Diltheys Aufsatz über die
"Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen" (s. o.) unter anderem Bei-
träge von Georg Misch (Von den Gestaltungen der Persönlichkeit, 81-126), Eduard Spranger (Phantasie und
Weltanschauung, 141-169), Hans Driesch (Über die Bedeutung einer Philosophie der Natur für die Ethik, 191-
216) und Erich Adickes (Die Zukunft der Metaphysik. Ein Versuch aus dem Wesen der Metaphysik und ihrer
gegenwärtigen Lage, die Richtlinien künftiger Entwicklung zu erschließen, 219-252). Eng an Dilthey ange-
lehnt ist der Beitrag von B. Groethuysen (Das Leben und die Weltanschauung, 55-77).
89
Vgl. dazu besonders die Einleitung von M. Frischeisen-Köhler (IX-XVII1). Der Verfasser räumt ein, daß
nach dem Durchgang durch die "Schule des Kritizismus und der Wissenschaft", erst einmal von verschiedenen
Seiten her das Problem beleuchtet werden müsse. "Es ist das Zeichen männlicher Reife, zuvor die Kräfte abzu-
schätzen, nach allen Seiten hin den Blick zu wenden um das Mögliche von dem Unmöglichen zu trennen"
(ebd. XVIII).
90
Vgl. Getzeny, Biozentrische Metaphysik (1926); siehe bereits oben unter I,2,b,aa.
91
Vgl. etwa Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestalten-
kämpfe unserer Zeit, München 1930. - Vgl. auch Fries, Nachwort, 70-76; Reding, Weltanschauung, 144.
92
Vgl. Reding, Weltanschauung, 144.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 147

Jahrhunderts in pervertierter Form aufgenommen; der selbst zur "Weltanschauung"


gewordene Relativismus wurde nun zur totalitären "Weltanschauung" auf der Basis
eines biologistisch-völkisch bzw. materialistisch-marxistisch verstandenen Lebensbe-
griffs.93
Eine spezielle katholische Weltanschauung, wie sie der Berliner Lehrstuhl Guardinis
forderte, mußte gerade den Nationalsozialisten daher ein Dorn im Auge sein. Die Auf-
hebung des Lehrstuhls im Jahre 1939 war nicht so sehr gegen einen Theologen gerich-
tet - man bot Guardini sogar eine Reihe theologischer Lehrstühle als Ersatz an!94 -,
sondern gegen den Vertreter einer "Weltanschauung", die sich in die einheitliche
"völkische" "Weltanschauung" nicht integrieren ließ. Als Guardini im Jahre 1945 in
Tübingen seine Lehrtätigkeit wieder aufnahm, erinnerte er ausdrücklich an diesen Tat-
bestand95; auch später war für ihn die Erfahrung des "Dritten Reiches" Anlaß zur
Mahnung, wie wichtig es doch sei, daß sich auch christliche Denker dem Wettstreit der
Weltanschauungen stellten und sich nicht nur auf innertheologische Probleme konzen-
trierten:
"Daß man die Aufgabe einer echten christlichen Weltanschauungslehre außer
acht gelassen, war ja mit der Grund dafür, daß 1933 die 'arische Weltanschauung'
ihr schlimmes Regiment angetreten hat. Deren Spuk ist kaum zehn Jahre vorbei;
schon hat man aber alles vergessen und ist wieder der Meinung, mit Humanität
und Wissenschaft und Idealismus könne man die Jugend erziehen."96
Der Lehrauftrag für "Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung" (vgl.
dazu bereits Kapitel I,3,b,cc) führte Guardini also mitten hinein in eine Entwicklung,
in welcher der Weltanschauungsbegriff sich gerade in einer höchst ambivalenten
Weise zu verändern begann. Zwischen einem kulturellen Relativismus einerseits,
einem heraufdämmernden Totalitarismus andererseits mußte ein Weg gesucht werden,
der dem katholischen Standpunkt am besten entsprach.
Der beliebte Berliner Studentenseelsorger Carl Sonnenschein hatte dafür eine einfa-
che Formel gefunden, in der sich deutlich die Situation des Diasporakatholizismus der
Reichshauptstadt spiegelte und die Ghettomentalität des 19. Jahrhunderts nachklang:
"Wir sind in einer belagerten Stadt; darin gibt es keine Probleme, sondern nur Paro-
len." Guardini kam frisch aus dem katholischen Rheinland, das sich schon im
Zentrums- und Gewerkschaftsstreit von der kompromißlosen "Berliner Richtung"
abgesetzt hatte.97 Er sah die Lage differenzierter als Sonnenschein:
"Die Formel mag Eindruck machen, ist aber falsch. Man kann Probleme nicht
verabschieden; wer sie empfindet, muß sich ihnen stellen, besonders wenn er für

"i Vgl. Fries, Nachwort, 701; Reding, Weltanschauung, 144 und 147.
94
Vgl. Berichte, 521; Gerl, Guardini, 3171 - Guardini erinnert sich später, daß Bonn, Freiburg und - hier
ist er sich nicht mehr so ganz sicher - auch Tübingen im Gespräch waren (vgl. ebd., 52). Er habe abgelehnt,
weil er sich für eine Dogmatik-Professur nicht mehr kompetent genug gefühlt habe (ebd., 53).
95
Vgl. Beginn der Vorlesungen in Tübingen* (1945), 11 - "In einem Staat, der selbst eine Weltanschauung
vertritt, hat eine Professur für christliche Weltanschauung keinen Sinn" (ebd., 1).
96
Brief an Monsignore Fomi vom 8. 7. 1955 (Stabi; zit. bei Gerl, Guardini, 318).
97
Man kann von einer liberal-demokratischen "Kölner Richtung" und einer patriarchalisch-integralisti-
schen "Berlin-Breslauer Richtung" sprechen; vgl. Lill, Der deutsche Katholizismus, 522.
148 Katholischer Glaube als Weltanschauung

das Geistige verantwortlich ist. Echte Praxis aber, das heißt, richtiges Handeln,
geht aus der Wahrheit hervor, und um die muß gerungen werden."98
Überhaupt mußte Guardini bald feststellen, "daß jene, welche die Einrichtung des
Lehrstuhls durchgesetzt hatten, von ihm keine echte wissenschaftliche Leistung erwar-
teten. Sein Inhaber sollte vielmehr die Arbeit des Studentenseelsorgers nach der
gedanklichen Seite hin ergänzen, indem er eine allgemeinverständliche, apologetisch
verfahrende Darlegung der Glaubenswahrheiten gab. Auch sollte er - wie man mir bei
gewissen Gelegenheiten gesagt hat -, bei den katholischen Verbindungen als den
Hauptstützen des katholischen Akademikertums verkehren, und, kurz gesagt, helfen,
daß die Leute bei der Stange blieben."99
Kein Wunder, daß angesichts solcher Erwartungen von Seiten der protestantisch-
liberal geprägten Universität dem neuen Professor eine eher reservierte bis ablehnende
Haltung entgegenschlug.100 Er galt als "der vom Zentrum aufgezwungene Propagandist
der katholischen Kirche, welcher an der 'Hochburg des deutschen Protestantismus'
nichts zu suchen hatte".101 Vielleicht hat dagegen der Kultus-Staatssekretär Carl Hein-
rich Becker in Guardini eine Art katholisches Pendant zu Ernst Troeltsch gesehen, der
am 1. Februar 1923, also wenige Wochen vor Guardinis Dienstantritt, in Berlin
verstorben war. Auch ihn hatte man einst (1914) nach Berlin geholt, nicht damit er
Theologie treibe, sondern damit er einen neu errichteten, speziell auf ihn zugeschnitte-
nen Lehrstuhl ("Religions-, Sozial-, Geschichtsphilosophie und christlichen Religions-
geschichte") übernehme.102
Doch anders als Troeltsch mußte sich Guardini in Berlin mit einem Gaststatus103
begnügen und sich seine akademische Anerkennung erst mühsam erkämpfen - daher
auch der ausführliche Versuch, im ersten Semester ausführlich den eigenen Standpunkt
zu erläutern.104 Er tat es nicht in einer akademischen "Antrittsvorlesung" im üblichen
Sinn - eine solche gab es im diesem besondere Falle wohl gar nicht105 -, sondern

98
Berichte, 111.- Guardini und Sonnenschein urteilten über einander in sehr scharfer Weise; vgl. Gerl,
Guardini, 2941; dies., Guardini in Berlin, 95; Thrasolt, Carl Sonnenschein, 336.
99
Berichte, 42.- Guardini spielt hier wohl vor allem auf einen Aufsatz von Hans Grundei an, der die man-
gelnde Teilnahme von inkorporierten Studenten an Guardinis Vorlesungen beklagt und als Grund dafür dessen
Stellung innerhalb der Jugendbewegung genannt hatte. Dabei war es nach Grundei doch gerade die Aufgabe
der Weltanschauungsprofessuren, "die Arbeit der Studentenseelsorge dort zu ergänzen, wo keine katholisch-
theologischen Lehrstuhle sich befinden" (Grundei, Die Gefährdung der katholischen Studentenseelsorge und
der Weltanschauungsprofessuren, 475). Guardini wandte sich in seiner Antwort vor allem dagegen, "daß meine
Tätigkeit als Lehrer katholischer Weltanschauung mit einer in dieser Weise parteimäßig erscheinenden
Jugendbewegung verbunden wird" (Zum Aufsatz von Dr. Hans Grundei, 523).
100 vgl. Berichte, 401- Neben Carl Becker stand Guardini lediglich mit Werner Sombart, Eduard Spranger
und Werner Jäger in Verbindung (vgl. ebd., 40; Gerl, Guardini, 278).
101
Berichte, 41. - Zur Haltung Adolph von Harnacks vgl. Schüler, Guardini, 135; Guardini, Berichte, 38.
102 vg]. Apfelbacher, Ernst Troeltsch, 246. - Der Lehrstuhl Troeltschs war der philosophischen Fakultät
zugeordnet. Seiner damaligen Schülerin Gertrud von le Fort gegenüber äußerte Troeltsch - ganz ähnlich wie
Guardini es empfand - die Erwartung, "in der philosophischen Fakultät mehr Möglichkeiten zu haben, das
geistige und religiöse Bewußtsein der Menschen anzusprechen als in der Theologie" (Gertrud von le Fort,
Hälfte des Lebens. Erinnerungen, München 31965, 1221)
103
Vgl. Berichte, 371; Gerl, Guardini, 141.
104
Vgl. Weltanschauung (1923), 14.
105 vg] Weltanschauung, Anm. 1,13: "Das Nachstehende bildet den Inhalt der ersten Vorlesungen des
Verfassers auf dem Gast-Lehrstuhl für Religionsphiosophie und katholische Weltanschauung an der Berliner
Universität."
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 149

entfaltete seine Gedanken innerhalb des regulären Vorlesungsangebots.106 Da Guardini


aber selbst den programmatischen Charakter seiner Ausführungen immer wieder unter-
streicht und an einer Stelle sogar ausführlich von seiner "Antrittsvorlesung" spricht,107
dürfte es dennoch erlaubt sein, im Folgenden der Einfachheit halber diesen Begriff
weiterzuverwenden. Auch in der Berliner Öffentlichkeit wurde der 25. Mai 1923 (ein
Montag), an dem Guardini zum ersten Mal vor seine Hörer trat,108 als ein besonderer
Tag registriert.
Diese Grundsatzreflexion verdeutlichte jedoch auch Guardinis Standpunkt gegen-
über der katholischen Akademikerschaft Berlins. Ihr neuer "Vorposten" an der Uni-
versität tat wenig, um den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Dies galt
schon für die "Antrittsvorlesung",109 kam aber in den folgenden Jahren noch deutlicher
zum Ausdruck. Guardini distanzierte sich nicht nur von Carl Sonnenschein, sondern
auch von der Arbeit des Akademikerverbandes, in dessen Berliner Ortsgruppe er hin
und wieder eingeladen war.110 Zu den Studentenverbindungen war die Beziehung
schon aufgrund der Tätigkeit Guardinis in der katholischen Jugendbewegung
gestört.111 Und auch mit Bischof Konrad von Preysing war der Kontakt später nicht
unproblematisch.112 So stand Guardini nicht nur in der Universität, sondern auch
innerhalb seiner eigenen Glaubensgenossen isoliert da. 1927 schrieb er an Peter Wust,
er fühle sich "sehr allein".
"Ich habe da kaum jemanden, mit dem ich als Katholik und geistig Suchender
gleich zu gleich reden könnte. Und es ist nicht gut, wenn man die philosophisch
und religiös wachen Menschen immer außerhalb der Glaubensgemeinschaft
suchen muß. Dann fehlt die tragende und spendende Kraft dieser Gemein-
schaft."113

106
In den "Berichten" erwähnt Guardini, er habe im Sommersemester 1923 eine Vorlesung über die
"Grundformen der Erlösungslehre" gehalten (45). Dazu paßt der seit kurzem veröffentlichte Bericht des evan-
gelischen Theologiestudenten Gaede über die Vorlesungstätigkeit Guardinis in diesem Semester (vgl. Wirth,
Dokumente, 265-270): "In der Vorlesung folgt ein genaues Referat über die Satisfaktionstheorie des Anselm,
die Rekreationstheorie des Hlg. Bonaventura und die Frömmigkeit des Hlg. Bernhard" (ebd., 268). Allerdings
ist auch von "Vorträgen" zur Liturgie, sowie von Äußerungen über Zeit und Politik die Rede. Hat Guardini im
ersten Semester also nur einen Überblick über verschiedene Themen geboten, die er zu behandeln beabsich-
tigte? Oder gab es doch schon - wie später - mehrere Vorlesungen nebeneinander? Auf diese Frage gibt leider
auch der neu zusammengestellte Überblick über die Vorlesungen Guardinis keine Auskunft (vgl. Schuster,
Guardini Weiterdenken, 273-285, hier 273).
107 vg]. Berichte, 43: "... in meiner ersten, der Antrittsvorlesung sozusagen".
108 vgl. der Bericht von F. Kloidt in der "Germania"; zit. in: Wirth, Guardini-Lehrstuhl, 621; femer den
Artikel aus "L'Osservatore Romano" Nr. 136 vom 5. Juni 1923, übers, v. D. Gnade, in: Wirth, Dokumente,
2641
109
"Für die Sensationshungrigen der etwa 150 Erschienenen war der Anfang eine Enttäuschung. Denn statt
schwungvoller, begeisterter Einleitungsworte etwa über die aufsteigende Linie, in der der Katholizismus sich
zur Zeit befindet, statt eines heroisch intonierten Bekenntnisses des Vortragenden zur katholischen Weltan-
schauung (welche Sensation für die Studierenden der Berliner alma mater wäre das gewesen!), vernahm man
eine streng methodologische Einleitung zu einem rein wissenschaftlichen Kolleg. Das ernüchterte viele ..." (F.
Kloidt in seinem Bericht für die "Germania"; vgl. die vorige Anm.).
110
Vgl. Berichte, 1121
1 1
' Vgl. Berichte, 43.- Auch für Sonnenschein war Guardini schon durch seine Nähe zur Jugendbewegung
verdächtig (vgl. Thrasolt, Carl Sonnenschein, 328-337). Ähnlich klingen die Äußerungen Grundeis (vgl. Lite-
raturhinweis oben in Anm. 99).
112
Vgl. Gerl, Guardini, 295.
113
Wust, 434.
150 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Vor diesem Hintergrund erhalten die Überlegungen zum "Wesen katholischer Weltan-
schauung"114 ihr besonderes Gewicht. Mit ihnen dokumentierte Guardini, daß er bereit
war, einen ganz eigenen Weg zu gehen. Und so sehr er dabei auch dem eigenen Stand-
punkt treu bleiben wollte - es galt gleichzeitig, im wissenschaftlichen Umfeld Aner-
kennung zu finden. Nicht Studentenseelsorge war seine Aufgabe, sondern Dienst an
der Wahrheit im streng akademischen Sinne.115 In welcher Weise dies geschehen
konnte - das war die Frage, über die er sich selbst erst klar werden mußte.

b. Die Ausgangsfrage: Was ist "Weltanschauung"?


Wichtige Anregungen kamen ausgerechnet von Max Scheler, der sich eben aus der
katholischen Kirche hinauszubewegen begann.116 Guardini erinnert sich: "Der einzige
Mann, der mir einen brauchbaren Rat gab, war Max Scheler."117 Und noch anläßlich
des 70. Geburtstag kommt er, ohne die Abkehr des Philosophen vom katholischen
Glauben auch nur mit einem Wort zu erwähnen, auf dessen Hilfestellung zurück: "So
möchte ich mit Dankbarkeit den Namen des Einzigen nennen, der mir etwas wirklich
Richtungweisendes gesagt hat, den von Max Scheler."11*
Bereits seit 1919 stand Guardini mit dem großen Phänomenologen brieflich in Kon-
takt (vgl. dazu Kapitel II,2,b,bb [2]). Im Frühjahr 1923 kam es dann, vermittelt durch
Paul Ludwig Landsberg, zu einer ersten Begegnung.119 Scheler muß dabei dem noch
schwankenden Guardini zur Annahme des Berliner Lehrstuhlangebots geraten
haben.120 Er überraschte den jüngeren Kollegen, von dem er anscheinend sehr beein-
druckt war,121 außerdem mit einer Frage, die bei Guardini auf tieferen Boden fiel, als
es offenbar zunächst den Anschein hatte; Heinrich Lützeler erinnert sich:
"Wie er denn wohl den Begriff 'Weltanschauung' interpretiere, fragte ihn Scheler
und schlug ihm gleich ein halbes Dutzend Möglichkeiten vor. Guardini, gar nicht
belesen, war völlig verschüchtert ..."122
Ob Guardinis Reaktion hier richtig interpretiert ist, sei dahingestellt. Hatte er sich bis
zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht mit den Schriften Diltheys und Jaspers'
beschäftigt, nachdem die Frage nach der Pluralität menschlicher Anschauungen doch
schon für sein Gegensatzdenken eine so große Rolle spielte? Waren ihm die neukantia-

114
Unter diesem Titel wurden Guardinis Überlegungen im November 1923 in den "Schildgenossen" ver-
öffentlicht - Zum Ganzen vgl. v. a. Fries, Nachwort; Wechsler, Guardini, 129-139; Kleiber, Glaube, 48-61;
Gerl Guardini, 267-276.
115
Vgl. Berichte, 421
116
Vgl. dazu Gerl, Guardini, 142-144; Mercker, Weltanschauung, 66-68; Kleiber, Glaube, 49; Wechsler,
Guardini, 135.
117
Berichte, 45.
118
Europa, 19.
119
Vgl. Gerl, Guardini, 142.
120
Vgl. Berichte, 38.
121
"Welch ein Gegensau! Scheler sagte erschüttert zu uns, seinen Schülern, es bewege ihn tief, daß einer
so fest in Gott stehen konnte" (LUtzeler, Persönlichkeiten, 117; zit. bei Gerl, Guardini, 142).
122
LUtzeler, Persönlichkeiten, 117. - Guardini erwähnt diese Begegnung in Berichte, 38. Eine andere
Begegnung mit Scheler (nach Beginn der Berliner Lehrtätigkeit) wird ebd., 45 vorausgesetzt (vgl. auch Europa,
191); dies wird in der Literatur oft übersehen. Näheres zu der zweiten Begegnung siehe unten in Abschnitt 3,a.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 151

nischen Gedanken über das Verhältnis von "Weltanschauung" und Philosophie unbe-
kannt geblieben, nachdem doch gerade die neukantianische Erkenntniskritik einen
wesentlichen Anteil an seiner persönlichen Krise in München gehabt hatte? Jedenfalls
ist festzustellen: Auch wenn Guardini in Wirklichkeit schon tiefer eingedrungen war,
als die Gesprächsteilnehmer im Hause Landsberg es vermuteten, so ging ihm doch
wohl erst durch die Frage Schelers auf, daß der so blaß erscheinende Begriff eigentlich
mehr aussagte, als es zuerst den Anschein hatte.
Aus diesem Grund beginnt auch die "Antrittsvorlesung" mit einer Reflexion auf den
Weltanschauungsbegriff,123 dessen Tragweite auch den Hörern erst noch klar gemacht
werden mußte:
"Das Wort Weltanschauung ist allgemein üblich, und jeder verbindet damit einen
Sinn. Dieser muß aber doch sehr unbestimmt sein, denn eine deutliche Antwort,
was Weltanschauung sei, ist nicht leicht zu bekommen. Für mich wurde die Frage
dringlich, als ich den Auftrag übernahm, an der Berliner Universität über den
Gegenstand zu lesen. Nun mußte deutlich gesehen und gesagt werden, worin
Weltanschauung, und zwar katholische, bestehe. Dazu aber noch, wie sie
Wissenschaft werden könne, also nicht etwa bloß eine Gesamtdarstellung schön-
geistiger oder verteidigender Art. Und zwar eigenständige Wissenschaft, nicht
unbestimmte Mischung von Philosophie und Theologie."124
Daran wird bereits Verschiedenes deutlich:
1) Guardini unterscheidet "Weltanschauung" auf der einen und die Wissenschaft von
dieser "Weltanschauung" auf der anderen Seite. Er akzeptiert damit die nachidealisti-
sche Ausgangsposition, von der neben dem späten Scheler auch Dilthey und Jaspers
geprägt sind.
2) Anders als die Vertreter der philosophischen Weltanschauungslehren will Guardini
nicht die Vielfalt möglicher Systeme darstellen und typologisieren (dies könnte er ja
auf der Basis seiner Gegensatzlehre tun, und er hat es dort ansatzweise auch getan!),
sondern sieht sich beauftragt, eine bestimmte "Weltanschauung", nämlich die katholi-
sche, darzulegen.
3) Diese Darlegung selbst soll sich nicht mehr einfach auf der Ebene der
"Weltanschauung", sondern auf wissenschaftlicher Ebene vollziehen und damit Welt-
anschauungs/e/ire, und zwar katholische, werden.
4) In einem ersten Annäherungsversuch unterscheidet Guardini dieses Vorhaben
sowohl von der Philosophie wie von der Theologie und grenzt sich auch von einer blo-
ßen Mischung beider ab. Es handle sich um eine "eigenständige Wissenschaft".
Während Guardini im folgenden auf die Unterscheidung gegenüber der Theologie
nicht weiter eingeht - dies hängt wohl mit seiner besonderen Situation an der Berliner
Universität zusammen, an der er es ja einefow/to/tsc/i-theologischeFakultät überhaupt
nicht gab -125 grenzt er sich gegenüber der Philosophie deutlich ab. Der Hauptunter-

123
Vgl. Weltanschauung, 13-18.
124
Weltanschauung, 13 [urspr. hieß es statt "als ich den Auftrag übernahm" "als mir der Auftrag wurde"]. -
Dieser einleitende Passus ist wohl erst in der schriftlichen Fassung der "Antrittsvorlesung" hinzugefügt
worden.
125
An den späteren Wirkungsstätten Guardinis, in Tübingen und München, war dies anders; so wundert es
nicht, daß dort auch die Abgrenzung von der Theologie eine Rolle spielt; vgl. etwa Europa (1955), 18 und 20;
Religion (1958), 131
152 Katholischer Glaube als Weltanschauung

schied ist nicht nur ein pragmatischer, sondern beruht auf der klar artikulierten
Vorentscheidung, die Wahrheit der katholischen Weltansicht als gegeben vorauszu-
setzen:
"Es handelt sich hier nicht um Weltanschauungslehre überhaupt, sondern um die
Lehre von der katholischen Weltansicht. Jene bildet einen Teil der Kulturge-
schichte, soweit sie bisher lebendig gewordene Anschauungen beschreibt. Sie
bildet einen Teil der Philosophie, genauer wohl eine Gruppe über bloßes Philoso-
phieren hinausführender Überlegungen, indem sie fragt, was überhaupt Weltan-
schauung sei; wie deren Einsichten zu den einzelnen Wissenschaften und zu
denen der Philosophie stehen; welches ihre Voraussetzungen seien usw. Was hier
beabsichtigt wird, anerkennt nun natürlich diese Fragen, stellt sie zum Teil selbst
oder verwertet wenigstens ihr Ergebnis. Das eigentliche Ziel ist aber ein anderes.
Es wird nicht gefragt, was überhaupt Weltanschauung sei, sondern eine
bestimmte soll dargelegt werden. Es geht nicht um die geschichtliche oder syste-
matische Auflösung früher aufgetauchter oder jetzt vorhandener Weltbilder,
sondern jenes soll entwickelt werden, das der Vortragende als Wahrheit
vertritt."126
Nachdem Guardini nun seine Absicht klargestellt hat, beginnt er mit der eigentlichen
Darlegung dessen, was "Weltanschauung" sei - also jene Bemühung, die von der
gesuchten Weltanschauungslehre vorausgesetzt wird. Sie wird wieder zur Betrachtung
des "Lebens":
"Jener Akt, der das Welthafte in jener eigentümlichen, eben Weltanschauung
schaffenden Weise erfaßt, ist selbst nicht Wissenschaft, sondern Leben."127
Dennoch kann gefragt werden: "Wodurch unterscheidet sie sich von Natur- oder
Geschichtswissenschaften? Wodurch von Philosophie?"128 Grundlage einer Antwort
sind die beiden Kategorien "Ganzheit" und "Konkretheit":
"Was meinen wir, wenn wir von Weltanschauung sprechen? Wir verstehen
darunter eine Erkenntnisbewegung, die in ganz bestimmter Weise auf die Ganz-
heit der Dinge gerichtet ist, auf das 'Welthafte' im Gegebenen. Ferner: Sie geht in
besonderer Weise auf die konkrete Einmaligkeit dieser Welt; in ihr liegt ein letz-
tes Standhalten gegenüber der umgebenden Wirklichkeit. Endlich: Der Akt der
Weltanschauung bedeutet zugleich ein Werten, Messen und Wägen; er bedeutet
die Stellungnahme zu einer Aufgabe, die dem Anschauenden von eben dieser
Welt gestellt wird."129
In dieser Definition fällt bereits auf, daß Guardini den Begriff ganz wörtlich verstehen
möchte; was "Weltanschauung" ist, versteht nur der, der weiß, was unter "Welt" und
was unter "Anschauung" zu verstehen ist. Von hier aus ergibt sich zunächst die Unter-
scheidung zu den verschiedenen Einzelwissenschaften: Während diese jeweils einem
bestimmten Gegenstandsbereich zugeordnet seien und zu "immer schärferer Beson-
derung" fortschritten, sehe die "Weltanschauung" jedes einzelne Ding von vornherein
"ganzhaft": "'Welt' steckt in jedem einzelnen Ding, denn jedes ist Ganzheit in sich und

Weltanschauung, 13.
Weltanschauung, 21; vgl. dazu auch oben im Abschnitt über das Wesen der Theologie (111,1,b).
Weltanschauung, 14.
Weltanschauung, 14.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 153
auf die Gesamtheit des Übrigen bezogen."130 Zwar strebten auch die Einzelwissen-
schaften nach einer letzten Einheit, aber erst nachträglich, im Sinne einer Zusammen-
fügung des vorher gesondert Betrachteten. Anders die "Weltanschauung": "Auch sie
schreitet fort, aber nicht auf das Ganze hin, sondern nach innen; nach immer größerer
Tiefe, Fülle und Klarheit innerhalb der sofort erfaßten, mindestens sofort gemeinten
Ganzheit."131
Guardini bestreitet in diesem Zusammenhang, daß es ihm einfach um eine
"organische" Weltauffassung anstelle einer "mechanischen" gehe. Doch in doppelter
Hinsicht knüpft er an "organische" Denkweisen an. Zum einen hält er fest:
"Weltanschauung erfaßt die Dinge als Organe, d. h. als vorläufige Ganzheiten in sich,
bezogen auf abschließende, endgültige Gesamtheiten."132 Zum anderen greift er die
Unterscheidung von "Summe" und "Ganzheit" auf, wie sie auch bei Driesch und später
bei Wertheimer vorkommt.133 Auch Dilthey und Jaspers suchten die Besonderheit der
Weltanschauungen gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnisakten mit den Kate-
gorien der "Ganzheit" und "Konkretheit" zu fassen. So betonte Dilthey den Ganzheit-
scharakter, wenn er feststellte, das "religiöse, dichterische oder metaphysische Genie"
sei der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen "Arbeitsteilung" enthoben. "Jede
Rücksicht auf solche Bindung verfälscht sein Verständnis des Lebens, das ganz unbe-
fangen und souverän dem Gegebenen gegenübertreten soll."134 Die "Konkretheit"
findet sich in der These, daß alle Weltanschauungen, selbst diejenigen der Metaphysik,
die ja Allgemeingültigkeit beanspruchen und zu einem einheitlichen System hinstre-
ben, unausweichlich im "Leben" wurzeln. "So verstanden ist jede echte Weltanschau-
ung eine Intuition, die aus dem Darinnensein im Leben selbst entsteht."135
Wenn Guardini nun auch die "Metaphysik" von der "Weltanschauung" abgrenzt, so
weicht er von Dilthey entscheidend ab, für den ja "Metaphysik" nur die höchste Form
der im Leben selbst wurzelnden "Weltanschauung" gewesen war. Guardini rückt sie
aber immer noch, als dem Leben gegenüberstehend, auf die Seite der Wissenschaft.
Auch sie fragt wie die Weltanschauung nach der Welt als einer "Ganzheit", tut dies
aber in einem besonderen Sinn: Sie fragt nach dem "Wesen" dieser "Ganzheit", nicht
nach seiner konkreten Gegebenheit:
"Metaphysik will das 'Wesen' in reiner Allgemeinheit erfassen, abgesehen davon,
ob es in einem konkreten Ding verwirklicht ist oder nicht. Weltanschauung
hingegen richtet sich gerade auf das 'Wesen' als verwirklichtes ... Ihr Blick gilt
dieser Welt in deren ganz leibhaftiger Einmaligkeit."136

• 30 Weltanschauung, 15.
131
Weltanschauung, 16.
132
Weltanschauung, 16.
133 vgl. Weltanschauung, 16- Durch die Unterscheidung von "Summe" und "Ganzheit" widerspricht
Guardini vor allem Wilhelm Wundt, der "Weltanschauung" als Synthese (!) der einzelwissenschaftlichen
Erkenntnisse durch die Philosophie verstanden hatte (vgl. dazu Oesterreich, Philosophie, 343-360, bes. 3431).
134
Dilthey, Weltanschauung, 87.
135
Dilthey, Weltanschauung, 99.
136
Weltanschauung, 161 - Kritisch zu diesem Verständnis von Metaphysik äußern sich v. a. Mercker,
Weltanschauung, Anm. 16, 511; Wucherer-Huldenfeld, Gegensatzphilosophie 1953/1968, 168. "Das, was
Guardini 'Weltanschauung' nennt, vertritt die Stelle einer erweiterten Gestalt der Metaphysik, welche sich auf
die Gesamtwirklichkeit, das Ganze des Daseins und darin auf das konkrete Einzelfaktum bezieht" (Wucherer-
Huldenfeld, a.a.O., 1681).
154 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Im Fächerkanon der Wissenschaften tritt jedoch noch eine Disziplin hervor, die der
"Weltanschauung", wie Guardini sie definiert hat, nahezukommen scheint - die
Geschichtswissenschaft. Will nicht auch sie "das Wesensganze, und zwar in seiner
besonderen Erscheinung? Ist sie nicht jene Forschung, die gerade das konkrete
Geschehen und die einmalige Person zu erfassen sucht?"137 In der Tat gibt es nach
Guardini neben der üblichen Geschichtswissenschaft, in der das Einmalige als "Fall"
auf allgemeinere Gesetze psychologischer, soziologischer oder wirtschaftlicher Art
zurückgeführt werde, eine andere, die sich "auf die lebendige Gestalt, auf Wirkbild
und Sinn-Ganzes einer Persönlichkeit oder eines Geschehnisses" richte.138 Über ein
solches geschichtliches Verstehen, das sehr an Dilthey erinnert, sagt Guardini:
"Diese Fragestellung nun scheint mir allerdings, wenn nicht im inneren Bereich
der Weltanschauung, so doch wenigstens in dessen Grenzgebieten zu liegen. ...
Damit verwandt ist ein weiterer Zug der Weltanschauung: sie nimmt ihren
Gegenstand als Aufgabe."139
Damit hat sich erneut Guardinis geistige Nähe zur zeitgenössischen Weltanschauungs-
philosophie gezeigt. Auch die Abgrenzung von den anderen Disziplinen bedeutet nicht
grundsätzliche Ablehnung. Es ist sicher nicht nur eine "captatio benevolentiae", wenn
Guardini auf den "großen Wert" hinweist, den die Ergebnisse der Philosophie und der
Erfahrungswissenschaften besitzen:
"Weltanschauung nimmt sie auf, erweitert und klärt sich mit ihrer Hilfe. Ja, auf
weite Strecken hin werden sich die Gebiete überhaupt kaum scheiden lassen, wie
ja auch sonst die geistigen Bezirke ineinanderwachsen. Aber von den Ursprungs-
punkten der jeweiligen Erkenntnishaltung her gesehen, sind beide Bereiche
verschieden."140
Innerhalb des Lebens hebt sich "Weltanschauung" freilich von anderen Lebensäuße-
rungen ab - vor allem von der "schaffende(n) und handelnde(n) Tat". Es gehe "um
Anschauung, Kontemplation, nicht um Handlung, Aktion". Die Weltanschauung
bedeute zwar auch Aufforderung zum Werk, "aber sie selbst ist eben doch Einsicht,
nicht Werk; Grundlage des Tuns, nicht selber ein Tun." Darin ist sie nun aber doch
wieder mit der Wissenschaft verwandt, die ja ebenfalls nicht "Handlung", sondern
"Kontemplation" im gemeinten Sinne ist.
"Weltanschauung ist Begegnung zwischen Welt und Mensch, ein Gegenüberste-
hen Aug' in Auge, aber eben doch ein Gegenüberstehen im Auge. Sie ist ein
Blick, ein Erkennen, mag auch dieses Erkennen mit ungleich schwereren und
lebensnäheren Gehalten gesättigt sein, als die Schau der Wissenschaft und Philo-
sophie."141
Der in dieser Weise von der Wissenschaft und vom schaffenden Leben abgegrenzte
Erkenntnisakt wird nun aber noch näher spezifiziert, und zwar zunächst von seinem
Gegenstand her. Es handelt sich um die "Welt", wobei Guardini damit jede Form von
"Ganzheit" umschreibt: zunächst das Einzelding, insofern es "welthaft" gesehen wird;

** Weltanschauung, 17.
38
Vgl. Weltanschauung, 17.
39
Weltanschauung, 171
40
Weltanschauung, 18.
41
Weltanschauung, 19.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 155

dann jedoch auch die "Gesamtganzheiten" "Welt" (jetzt als Gesamtheit der äußeren
Dinge und Geschehnisse verstanden), "Mensch" und "Gott".142 Es handelt sich um die
klassischen Themen der Metaphysik. Von jedem dieser Themen gibt es nach Guardini
ja zunächst eine "Erfahrungswissenschaft" (von "Gott" sei dies etwa die "Mystik",
sofern der Mystiker selbst seine Erfahrungen wissenschaftlich zu erfassen suche143),
dann eine Metaphysik und schließlich eben auch eine "Weltanschauung".
"Darin richtet sich auf sie der Blick, der sie als ursprüngliche Ganzheit, als
konkrete, einmalige, ja, im zweiten und dritten Falle, als personale Gegebenheit
nimmt; als Aufforderung zu bestimmtem Schaffen und Nachfolgen."144
Damit ist die entscheidende Differenz in den Erkenntnisakt verlegt. Guardini verwen-
det die im Weltanschauungsbegriff selbst enthaltene Bezeichnung und führt dazu aus:
"Der Akt, den wir 'Anschauung' nennen, steht selbst in einem weiteren seelischen
Zusammenhang. Jenen Weltgegenständen entspricht auf Seiten des Ich eine
Weltbegegnung. Darin begegnet der lebendige Mensch schauend, wollend,
handelnd jener Ganzheit. Dieses Gegenübertreten hat als Akt den gleichen
Grundzug der Ganzheit, wie sein Gegenstand als solcher. Dadurch unterscheidet
er sich von allen besonderen, auf bestimmte Zwecke und Blickrichtungen einge-
stellten Haltungen, z. B. von versuchsmäßiger Beobachtung, von technischer
Zweckhandlung u. a. Es ist die lebendige Ich-Du-Beziehung. Von diesem
Gesamtverhalten, der Weltbegegnung, ist Weltanschauung die schauende
Komponente."145
Der Akt, um den es Guardini geht, wird also in die umfassendere Begegnung von
"Mensch" und "Welt" eingeordnet. Innerhalb dieser Begegnung unterscheidet er sich
von allen zweckhaften Handlungen und Erkenntnishaltungen. Er bleibt "schauend",
weil sich in ihm die selbe "Ganzheit" findet wie in seinem Gegenstand, der "Welt".
Guardini hat diese erkenntnistheoretischen Überlegungen im folgenden Semester
näher dargestellt (in der Vorlesung über das "Problem des Konkreten und das Reich
Gottes"146) und dabei offenbar seine Gegensatzlehre erkenntnistheoretisch vertieft.
Auf diese Weise erhielt das Gegensatzbuch wohl auch erst seine endgültige Gestalt
(1925), in der nun "noetische Fragestellungen und Lösungsversuche" eindeutig in den
Vordergrund drängten.147 Wie bereits gezeigt, beschrieb Guardini nun den Akt der
"Anschauung" als eine Gegensatzeinheit, in der "Begriff und "Intuition" in einen
einzigen Erkenntnisvorgang zusammengefaßt und auf das Lebendig-Konkrete bezogen
waren. In dieser Bestimmung wird letztlich auch die Frage nach einer möglichen Wis-
senschaft vom weltschauenden Akt philosophisch beantwortet. Eine bejahende Ant-
wort ist nämlich nur möglich, wenn der "Blick" auf die "Welt" nicht jede Begrifflich-
keit ausschließt, sondern auch ein gewisses Maß an zweckhaft-rationaler Methode
enthält.

142
Vgl. Weltanschauung, 191
143 vgl. Weltanschauung, Anm. 2, 20.
144
Weltanschauung, 20.
145
Weltanschauung, 20; Hervorhebung von mir.
146 vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 130. Ebenfalls für das Wintersemester 1923/24 ist eine Vorlesung mit
dem Titel "Gott und die Welt" angekündigt.
147
Vgl. Gegensatz, 8. Dazu Abschnitt (6) in Kap. II,2,b,bb.
156 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Schon in der "Antrittsvorlesung" geht Guardini aber davon aus, daß eine wissen-
schaftlich begründete "Weltanschauungs/Wire" möglich ist:
"Diese entsteht erst dadurch, daß der schauende, gebende Akt, dessen Inhalt
bewußt und in geordneter Weise erfaßt wird. In unserem Falle ist gegeben der
weltschauende Blick und das, was er sieht. Weltanschauungslehre als Wissen-
schaft aber ist die methodische, geordnete Behandlung des weltschauenden Blik-
kes, seiner besonderen Struktur, seiner Voraussetzungen und kritischen Maßstä-
be, seiner Inhalte und deren Beziehung zu den übrigen Erkenntnissen."148
Leider bricht der Gedankengang hier ab, ohne daß deutlicher würde, wie eine solche
Wissenschaft konkret auszugestalten wäre und ob sie sich wirklich noch so eindeutig -
wie die vorwissenschaftliche "Weltanschauung" - von den übrigen wissenschaftlichen
Disziplinen, von der Metaphysik und vor allem von der genannten besonderen Form
von "Geschichtswissenschaft" unterscheiden läßt. Doch ist ja eine
"Weltanschauungslehre" als solche gar nicht die Sache Guardinis. Ihm ist eine
"katholische" Weltanschauungslehre aufgetragen, der er sich nun zuwendet.
Bevor er aber erläutert, was unter einer solchen zu verstehen ist, schaut er noch
einmal auf den Akt der "Weltanschauung" selbst zurück, und zwar nun nicht mehr in
beschreibender, sondern in kritischer Absicht.149 Freilich werden keine Kriterien von
außen angelegt, sondern der weltschauende Blick selbst wird nach den Bedingungen
seiner eigenen Möglichkeit befragt. Was heißt es denn, nicht nur den Blick auf das
"Konkrete", sondern auch auf das "Ganze des Dinges" zu richten? Bedarf es dazu
eigentlich nicht eines Abstandes, der weit genug ist, um diese "Ganzheit" überhaupt
erst zu Gesicht zu bekommen? Nach Guardini ist dieser Abstand in der Tat nötig; ja,
darüber hinaus bedarf es auch
"der Offenheit für das Besondere, der Hellhörigkeit für den Eigenton des Gegen-
standes, des Verbindlichkeitsbewußtsein, das der lebendig-einmaligen Gestalt
und Situation Stand hält. Bedarf endlich der Bereitschaft für die gestellte Aufga-
be."150
Der Erkennende müsse die Welt umfassen, ja durchdringen, zugleich aber auch von ihr
frei sein:
"Weltanschauung setzt Weltüberwindung voraus. Die wäre aber nur von einem
Standpunkt aus möglich, der über der Welt liegt, über allem, was irgendwie
natürlich gegeben sein kann."151
Es müßte etwas "schlechthin Überweltliches" sein, der "Welt" gegenüber qualitativ
andersartig. Erst so könnte der Schauende von allem "So-Artigen" frei werden. Und
zwar müßte dieses "Andere" so in meinen Seinsbereich eintreten, "daß ich mich 'darauf
stellen', es zum Ausgangspunkt meines Denkens, Wertens, Handeln machen
könnte."152 Es dürfte zwar anders, mir aber auch nicht einfach "fremd" sein. Es müßte
zur Welt ein durchaus "positives Verhältnis" haben, "und zwar ein ganz positives, ein

148
Weltanschauung, 21.
149
Vgl. Weltanschauung, 21-23.
150
Weltanschauung, 22; vgl. ebd., 211
151
Vgl. Weltanschauung, 22.
152
Weltanschauung, 22.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 157

erfüllendes". Auf diese Weise erst könnte es frei machen "zu klarer Rund- und Über-
schau, zu unbestochener Wertung".153
Natürlich steht bei solchen Formulierungen bereits ein christliches Offenbarungsver-
ständnis im Hintergrund. Guardini führt es auch sofort explizit in seinen Gedanken-
gang ein: "Das ist der Punkt, wo die Tatsache der Offenbarung in die Welterkenntnis
eintritt."154 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß bis dahin nur die Überle-
gungen der Weltanschauungsphilosophen konsequent zu Ende gedacht worden sind.
Die Aporie, in die der Weltanschauungsbegriff führt, ist in keiner Weise von einem
christlichen Vorverständnis abhängig, auch wenn in den Formulierungen ein christli-
cher Hintergrund mitschwingen mag.155 Es geht um dasselbe Problem, auf das auch
Karl Jaspers aufmerksam macht, daß nämlich zwar jede Weltanschauung den
Anspruch auf das "Ganze" erheben muß, dieser Anspruch aber sofort hinfällig wird,
sobald eine philosophische Betrachtung einen Standpunkt über den vielen faktischen
Weltanschauungen einzunehmen beginnt. Guardini formuliert diese Aporie jetzt nur
dahingehend um, daß kein innerweltlicher, wohl aber ein Standpunkt "über der Welt"
eine solche Allgemeingültigkeit erreichen könnte. Die Philosophen von Rickert bis
Jaspers hielten einen solchen Standpunkt für nicht existent. Dem Glaubenden ist er
vertraut. Für ihn gibt es tatsächlich etwas, das nicht von dieser Welt ist, aber doch in
diese Welt und in ihre Erkenntnisweisen eintritt - die Offenbarung.
Das Gegensatzbuch präzisiert dies wenig später noch einmal mit Hilfe der Anschau-
ungskategorie und im Blick auf die vorgelegte Philosophie des Lebendig-Konkreten.
Mit Hilfe einer selbst "gegensätzlich", d. h. "lebendig-konkret" strukturierten Erkennt-
nishaltung könne der Mensch zwar das "Konkrete" fassen und "Offenheit" für das
"Ganze" gewinnen, aber das "Ganze" selbst komme dadurch durchaus noch nicht in
den Blick.
"Der weltanschauende Blick deckt sich nicht mit jenem, der das Konkrete sieht.
Dieser ist vielmehr in jenem enthalten, erschöpft ihn aber nicht. Damit die
Anschauung des Konkreten zur Schau des Welthaften werde, muß noch jener
eigentümliche Abstand hinzukommen, den erst der außerweltliche Standpunkt,
der Glaube, gibt."156

153
Vgl. Weltanschauung, 221
154
Weltanschauung, 23.
155
"Was soeben gesagt wurde (sc. über den "Uberweltlichen" Standpunkt einer möglichen
"Weltanschauung"; A. Kn.), hat als theoretische Forderung den Tatbestand ausgesprochen, wie er durch das
Ereignis der Offenbarung wirklich gegeben ist" (Weltanschauung, 23). Vgl. dagegen Mercker, Weltanschau-
ung, 621: "Man sieht, Guardini weiß schon, was er finden will und setzt scheinbar (!) philosophisch vorgehend
die Voraussetzungen für die Möglichkeit des weltanschauenden Blicks so an, daß sie nur (?) von der offenba-
renden Selbstschenkung Gottes erfüllt werden können. Nachzuvollziehen ist der Gedankengang Guardinis nur
im Blick auf die von ihm vollzogene Vorentscheidung des Glaubens, welche hier ihre konsequente Anwendung
findet."
156
Gegensatz, 2041
158 Katholischer Glaube als Weltanschauung

c. Der Perspektivenwechsel: "Weltanschauung" vom Glauben her


Guardinis Überlegungen wurden bereits vom Bekenntnis zu einer "katholischen Welt-
ansicht" eingeleitet.157 Die nachfolgenden Erörterungen über das Wesen des Weltan-
schauungsaktes als solchem kamen dann allerdings ohne ausdrücklichen Bezug zum
Glauben aus. Gerade so aber dokumentierten sie die Bereitschaft des neuen Professors,
sich ernsthaft auf das Gespräch mit all jenen einzulassen, denen es in dieser besonde-
ren Weise um die " Welt" ging.
In dieses Gespräch bringt er nun die Offenbarungskategorie ein und bestimmt den
damit bezeichneten Vorgang als etwas, was von jenseits dieser "Welt" kommt, aber
doch in ihr zur Geltung kommen will. Deswegen kann es sich dabei auch nicht einfach
- wie Guardini theologisch differenziert - um die "natürliche Selbstoffenbarung Gottes,
wie sie in allem Geschaffenen liegt" handeln, sondern vielmehr genauer um die
"geschichtliche, übernatürliche Offenbarung". Gemeint ist das "positive Wort", "das
Gott in die Geschichte spricht, vorbereitend durch seine Propheten, vollendend in
seinem Mensch gewordenen Sohn."158 Jesus Christus ist es, der der Welt "mit einer im
Jenseits begründeten Freiheit" gegenübertritt.
"Er ist die große Abhebung, davor die Welt ihr wahres Gesicht zeigt. Der nicht in
sie eingefangene Maßstab, daran sie gemessen wird. Christus ist wesenhaft Rich-
ter und Gericht der Welt. Zugleich aber liebt er sie mit einer ganz starken, umfas-
senden, schöpferischen Liebe, die so durchaus anders ist als unsere. Sie kommt
aus einem so über allem Zufälligen liegenden Blickpunkt und aus einer so tiefen
Quelle; sie rechnet mit einer solchen Höhe, darauf sie ihren Gegenstand haben
will; sie ist so unabhängig von Selbstsucht und Gefühl; sie faßt ihren Gegenstand
so in dessen Wesenspunkt, daß wir fühlen, sie kommt aus der Bewußtseinslage
des Schöpfers und Herrn. ... Christus hat den vollen Blick der Weltanschauung.
Der weltschauende Blick ist der Blick Christi."159
Im Anschluß an Anselm von Canterbury hatte Guardini in seiner Bonner Antrittsvor-
lesung das Wesen der Theologie im Akt des Glaubens begründet (vgl. oben Abschnitt
l,b). Nun geschieht dasselbe für das Wesen "katholischer Weltanschauung", wobei
Glaube und Offenbarung jetzt dezidiert christozentrisch interpretiert werden. Die
Beschäftigung mit dem theologischen Denken Bonaventuras dürfte hier entscheidend
mitgewirkt haben. Bei diesem fand Guardini die These, daß die Welt erst "sub specie
aeterni" in ihrem wahren "Licht" erscheine.160 Bonaventura hatte auch klar die Mitt-
lerrolle Christi zum Ausdruck gebracht:161
"Christus ist Verbum Patris, ars aeterna, mundus archetypus, mundus intelligibi-
lis, Inbegriff der Ideen, Urbild der wirklichen Dinge. Durch es hat Gott die Welt
geschaffen. Dieses Verbum ist ratio exemplans, medium creationis und regula
gubernatoris der Welt. Auf Grund dieser Verwandtschaft kann es in ein umfas-
sendes Verhältnis zu ihr treten: 'per Verbum omnia refecit'. Durch die Mensch-
werdung tritt es realiter in die Schöpfung als deren Glied ein. Und zwar als
15
' Vgl. Weltanschauung, 13.
158
Weltanschauung, 23.
159
Weltanschauung, 231
160
Vgl. Denkergestalt, 463.
161
Vgl. Erlösung, 127-130; Elemente, 1311
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 159

Mensch, der die Welt in seinem Sein zusammenfaßt. Diese Universalität wird
nun bei Christus im einzelnen in seinem ganzen Leben aufgezeigt. Er erschöpft in
sich alle Möglichkeiten des Menschendaseins. So ist er imstande, die ganze
Schöpfung zu erfassen und die neuschaffende Gnade in sie zu leiten."162
Bonaventura war ferner der Auffassung, daß durch den Glauben die geistige Verbin-
dung zwischen dem Menschen und Christus hergestellt werde, "so daß der Erlöser
seine Tätigkeit ausüben kann. Christus läßt seinen Gnadenstrom in alle eingehen, die
entweder durch direkten, persönlichen Glauben oder durch die Sakramente des Glau-
bens an ihn herantreten und 'durch den Glauben mit ihm verbunden werden'."163 Das
gleiche "Wort", das als "ars aeterna" für den Vater Vorbild des Schaffens gewesen sei
und außerdem als "Seelenlicht" dem ganzen natürlichen Geistesleben seine eigentliche
Bedeutung gebe, präge nun - ähnlich wie das "Verbum inspiratum" vor dem Sünden-
fall - die Seele gewissermaßen von "innen" her neu, indem es "die natürlichen Seelen-
tätigkeiten durch die Gnade zu übernatürlichen Tugenden erhebt, die Erkenntnis klar,
das Gemüt froh im Guten, das Tun stark macht."164 In enger Anlehnung an diese Auf-
fassung kann Guardini nunmehr in der Berliner "Antrittsvorlesung" sagen:
"Glauben heißt, zu Christus treten, auf den Standpunkt, auf dem Er steht. Aus
seinen Augen heraus sehen. Mit seinen Maßstäben messen. Der Glaubende steht,
eben im Glauben und durch ihn, außerhalb der Welt. In der zugleich Abstand
nehmenden und hineingreifenden, verneinenden und bejahenden Haltung, wie sie
die Spannung des weltanschauenden Blickes ausmacht. Der gläubige Mensch
sieht überhaupt erst die Welt. Sieht sie als das, was sie ist. Sieht sie rund und
ganz."165
Guardini verzichtet darauf, den christlichen Glauben von anderen religiösen Stand-
punkten abzuheben; diese Aufgabe komme etwa der vergleichenden Religionswissen-
schaft oder der Fundamentaltheologie zu.166 Für sein eigenes Vorgehen will er sich
von jedem neutralen Standpunkt verabschieden und eindeutig Stellung beziehen: "Ich
kann hier nur erklären, daß für mich der christliche Glaube der wahre und allgemein
gültige ist".167 Guardini geht sogar noch weiter, wenn er, "ohne alle Polemik, einfach
aus Überzeugung und Pflicht", den christlichen Glauben und die von ihm aus mögliche
Weltanschauung in ihrer Fülle und Folgerichtigkeit mit der katholischen gleichsetzt.168
Wir haben bereits an anderer Stelle dargelegt, daß für Guardim der Begriff des
"Katholischen" nicht im konfessionellen, sondern in einem qualitativen Sinn zu verste-
lbz
Elemente, 491; vgl. Erlösung, 141-145.
163
Erlösung, 130. - Guardini bezieht sich auf zwei Stellen aus Bonaventuras "Breviloquium": "Per gratiam
vero capitis influit motum et sensum in universos, qui ad eum accedunt vel per fidem rectam, vel per fidei
Sacramenta, sive adventum eius praecesserint, sive fuerint subsecuti" (p. 4 c. 5,2 [Quaracchi-Ausgabe V
245b]). "Et quoniam ad ipsum accedere est per fidem, vel per fidei Sacramentum; et fides Christi eadem est in
praeteritis, praesentibus et futuris: ideo ratio influendi in Christo ponitur respectu omnium, tarn praeteritorum
quam praesentium quam etiam futurorum, in Christus credentium et in Christo renatorum, qui per fidem
copulantur Christo et per gratiam influentem fiunt membra Christi et templa Spiritus sancti, ac per hoc filii Dei
Patris, connexi ad invicem per indivisibile vinculum caritatis" (p. 4 c. 5,6 [Quaracchi-Ausgabe V, 246a]).
16
* Erlösung, 153.
165
Guardini, Weltanschauung, 24.- Daraus ergibt sich für den Christen zugleich eine tiefe "Kritik der
Weltanschauungsfähigkeit", deren Fragen Guardini nur kurz streift; vgl. ebd., 251.
166
Vgl. Weltanschauung, 26.
167
Guardini, Weltanschauung, 27; Hervorhebung von mir.
168
Vgl. Guardini, Weltanschauung, 27.
160 Katholischer Glaube als Weltanschauung

hen ist - als Bezeichnung einer auf das "Ganze" bezogenen und das "Ganze" in sich
zur Geltung bringenden Glaubenshaltung (vgl. Kapitel II,3,b,cc). An derselben Stelle
haben wir auch auf die Ausführungen der Berliner "Antrittsvorlesung" vorausgegriffen.
"Katholisch" ist nach ihr "kein Typus neben anderen". Natürlich verwirklicht sich
"katholischer" Glaube immer auch in bestimmten "Typen", aber von seinem eigentli-
chen "Wesen" her steht er über ihnen: "Er umfaßt in sich alle typischen Möglichkeiten
wie das Leben selbst."169 So kann es eine katholische "Weltanschauung" im Sinne
eines bestimmten "Typus" (wie man etwa von einer "ästhetischen" oder "tragischen"
Weltsicht spricht) gar nicht geben. Wenn aber "katholisch" das "Ernstmachen mit der
übernatürlichen Offenbarung in all ihren Gehalten, und allen Gebieten und Verwick-
lungen des wirklichen Lebens gegenüber"170 bezeichnet, dann partizipiert eine solche
Haltung am überweltlichen Standpunkt der Offenbarung und kann von daher den
Anspruch einer "Weltanschauung" im Unterschied zu den vielen innerweltlich anset-
zenden "Weltanschauungen" (die in Wirklichkeit gar keine sind) eigentlich erst erfül-
len. Denn gerade von einem überweltlichen Standpunkt aus wird verhindert, daß ein
einzelner "weltanschaulicher Typus" sich absolut setzt, und andererseits gewährleistet,
daß er in einer größeren Einheit bewahrt bleibt.
"Formal gesprochen, besteht also katholische Haltung darin, daß die durch jewei-
lige psychologische, ethnologische, kulturelle Typen bestimmte besondere
Haltung von einer letzten Gesamthaltung übergriffen werde. So erhält jede
Gestalt und Lebensäußerung eine letzte organische Ausweitung, Mäßigung und
Wechselbeziehung."171
Guardini fragt nun, wie diese "Einheit" konkret in Erscheinung treten könne, ohne
sofort wieder in die Relativität des Lebens aufgelöst zu werden. Im Einzelnen sei dies
gar nicht möglich, sondern nur in einer Gemeinschaft: "Freilich nicht in jener, die aus
dem Willen des Einzelnen, als Ergebnis besonderer Wahlverwandtschaft und gemein-
samer Zwecke erwächst, sondern in der objektiven, die aus Einzelnen nicht abgeleitet
werden kann: In der Kirche."172 Wie schon in der Bonner Antrittsvorlesung wird also
auch an dieser Stelle die wesentliche Kirchlichkeit des Glaubens betont; darin, nicht im
"katholischen" Charakter des Glaubens, liegt eine mögliche Differenz zur protestanti-
schen Auffassung. Die Kirche wird zwar nicht einfach mit dem Glauben gleichgesetzt,
aber doch als notwendige innerweltliche Instanz dieses Glaubens betrachtet, weil sie
als gläubige Gesamtheit die "katholische" Haltung besser repräsentieren kann als der
einzelne Christ.173 Daher stellt Guardini fest:
"Die katholische Weltanschauung im vollen Sinne, d. h. der Blick auf das Ganze,
aus der Totalität ursprünglichen, allen typischen Besonderungen gegenüber sou-
veränen Lebens heraus, ist erst der Kirche eigen. Sie ist die geschichtliche
Trägerin des vollen Blickes Christi auf die Welt."174

169
Weltanschauung, 30; vgl. ebd., 291
170
Weltanschauung, 30.
171
Weltanschauung, 31.
172
Weltanschauung, 31.
173
Hans Mercker sagt zu Recht über den Eingangssatz des Kirchenbuches (über das "Erwachen der Kirche
in den Seelen"; vgl. Sinn der Kirche, 19): "Es ist letztlich nur die populäre Kurzformel für das, was Guardini
mit dem Programm der christlichen Weltanschauung meinte" (Mercker, Weltanschauung, Anm. 8, 50).
174
Weltanschauung, 31.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 161

Guardini stand also den von ihm enttäuschten katholischen Kreisen an katholischem
Selbstbewußtsein durchaus nicht nach.175 Er brachte es aber auf eine Weise zum
Ausdruck, die ihn von allen "integralistischen" und "gegenreformatorischen" Tenden-
zen zutiefst unterschied. Vielen protestantischen Hörern soll das "Katholische" an
Guardini nicht einmal aufgefallen sein.176 Guardini setzte ja nicht einfach bei den
"spezifisch katholischen Lehrinhalten" an, sondern bei der zentralen und auch über-
konfessionell gültigen Wahrheitsinstanz - der Offenbarung, die in Christus vollendet
wurde. Auch die Kirche ist bei ihm nicht einfach mit der Offenbarung identisch; sie
kann deshalb auch immer nur zu einer "relativen Ganzheit" führen.177 Er unterschied
die äußere Erscheinung des Katholizismus klar von dessen tieferem "Wesen", ohne
damit einer völligen Vergeistigung Vorschub zu leisten. Und indem er schließlich den
Begriff des "Katholischen" auf eine "qualitative" Ebene hob und sich damit der alt-
kirchlichen und im Glaubensbekenntnis niedergelegten Sprechweise wieder annäherte,
schlug er eine weitere Brücke über die Konfessionsgrenzen hinweg. Die so verstan-
dene Katholizität als geistige Grundhaltung wurde ihm dabei so selbstverständlich, daß
er gar nicht gezwungen war, ständig daran zu erinnern.178
Guardini vertrat also in seiner "Antrittsvorlesung" durchaus jene "Absolutheit" des
Christentums, die Ernst Troeltsch verabschiedet hatte. Aber es war eine "katholische"
Absolutheit, die nicht ausschließen, sondern den Blick weiten wollte für die strukturel-
le Vielfalt innerweltlicher Standpunkte, sofern diese den Horizont des Glaubens nicht
prinzipiell ausschlössen. Den "katholischen" Standpunkt gerade als Verbindung von
Absolutheit des Glaubens und Offenheit für die Welt zu vermitteln, wurde zum eigent-
lichen Ziel der Berliner Lehrtätigkeit. Guardini verwirklichte damit, was er bereits in
der Tübinger Studentenzeit als den "Sinn des Glaubens" erkannt hatte - ein
"Standfassen in der Offenbarung und die Möglichkeit, von ihr aus die Welt, die ja
selbst das Werk des offenbarenden Gottes ist, in ihrer eigentlichen Wahrheit zu
sehen."179
"Wir haben nun die letzte Antwort auf die Frage gewonnen, was katholische
Weltanschauung sei: Der Blick, den die Kirche im Glauben, aus dem lebendigen
Christus heraus und in der Fülle ihrer übertypischen Ganzheit auf die Welt tut.
Für den Einzelnen ist es der Blick, der ihm vom Glauben aus auf die Welt mög-
lich wird; geformt von seinem besonderen Wesensbilde; aber zu einer relativen
Ganzheit dadurch ausgeweitet, daß dieser typisch bestimmte Mensch in die

175
Später formuliert er sogar im Rückblick: "Über meine persönlichen Möglichkeiten habe ich mir nie
Illusionen gemacht; ebenso klar war ich mir aber darüber, daß mein christlich katholisches Bewußtsein als
solches an Weite und Klarheit jedem, auch dem genialsten nichtgläubigen Menschen grundsätzlich überlegen
sei. Diese Überzeugung hat mir den Mut gegeben, auf den einsamen Lehrstuhl in der vollkommen fremden
Berliner Universität zu treten, und ist die Kraft und der Maßstab meines Lehrens gewesen" (Berichte, 431).
176
Vgl. Görner, Guardini, 181 [6. 5. 33].
177
Vgl. Weltanschauung, 33.
178
"Ein vollendeter Turner, dessen Übungen sich vielleicht ganz leicht ansehen, hat vielleicht 10 Jahre
trainiert, um sie zu können. Wenn er nun einige Tage mit dem Training aussetzt, dann kann er sie nicht mehr
mit dieser Leichtigkeit. So ist auch seine Denkhaltung die Frucht eines dauernden Trainings, eines dauernden
'Verlierens der Seele'. Weil das Dogma so zur Atmosphäre gleichsam geworden ist, spürt es der Hörer nicht
direkt" (Görner, Gespräch, 19 [6. 5. 33]). Auf Bitten Görners erklärte sich Guardini aber bereit, einmal aus-
führlich auch über das Dogma zu sprechen (vgl. ebd.); vgl. dazu Guardini, Dogma (1940).
179
Berichte, 43.
162 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Kirche eingefügt ist, aus ihr heraus schaut und so an ihrer Blickhaltung teil-
nimmt."180
Guardini schließt an diese Aussage noch einen knappen Satz an, mit dem der wissen-
schaftliche Anspruch seiner künftigen Lehrtätigkeit bekräftigt wird:
"Katholische Weltanschauungslehre aber ist die wissenschaftliche Erfassung
dieses Blickes, und dessen, was er sieht."181
Man würde erwarten, daß jetzt ein neuer Gedankengang begänne. In ihm müßte deut-
lich werden, wie man sich eine methodisch-geordnete Begriffsarbeit vorzustellen hätte,
in der der weltanschauende Blick auf wissenschaftlicher Ebene zum Tragen käme.
Doch der abgedruckte Text der "Antrittsvorlesung" bricht an dieser Stelle ab.182 Wir
sind auf spätere Äußerungen Guardinis, sowie auf seine Vorlesungstätigkeit verwiesen,
um hierüber mehr Klarheit zu gewinnen. Zuvor aber wollen wir noch einen Augen-
blick innehalten, um eine kritische Reflexion der eben dargestellten Gedanken einzu-
schieben.

d. Kritische Zwischenreflexion
Guardini bot in einer akademischen Umgebung, in der die Weltanschauungsfrage viru-
lent geworden war, seine "katholische Weltanschauung" an. Und zwar nicht im Sinne
einer bloßen Information über die wichtigsten Lehrinhalte und Sittengebote der katho-
lischen Kirche, wie es die einen von ihm erhofften, die anderen von ihm befürchteten.
Vielmehr brachte er einen neuen Blickwinkel - den Blick, den die Kirche im Glauben
auf die Welt tut, einem Glauben, der sich auf die geschichtliche Selbstoffenbarung
Gottes in Jesus Christus gründet und daher zu jener übertypischen Ganzheit fähig ist,
die von der "Welt" aus nie und nimmer erreicht werden kann. Obwohl Guardini also
der "Fachtheologie" den Abschied gab, übernahm er die theologischen Grundlagen,
die er sich bisher erarbeitet hatte (vgl. oben Abschnitt l,b), auch für seine neue Auf-
gabe.
Dabei wird die "Katholizität" weiterhin auf der Grundlage des Gegensatzdenkens
interpretiert. Guardini hebt jetzt allerdings ihren eigentlichen theologischen Grund
deutlicher hervor; nicht der geschichtliche Wachstumsprozeß, sondern die göttliche
Selbstoffenbarung macht den Glaubenden fähig, die vielfältigen menschlichen Blick-
winkel im einen Blick der "Welt-Anschauung" zu übersteigen. Somit setzt sich in der
Berliner "Antrittsvorlesung" fort, was in den Schriften zu Liturgie und Kirche versucht
worden war - nämlich zu zeigen, daß der Glaube für den Menschen die entscheidende
Hilfe, nicht das ärgerliche Hindernis für die Entfaltung seiner Kräfte ist. Dies spricht
nun an sich nicht gegen den Gebrauch der philosophischen Vernunft und von Ergeb-
nissen der Erfahrungswissenschaften.183 Doch die Aporie, in die nach Guardini jede

180
Weltanschauung, 33.
181
Weltanschauung, 33.
löz
Die Anmerkung (Weltanschauung, Anm. 8, 33) gehört zum schriftlichen Abdruck der vorliegenden
Überlegungen und drückt bereits ein fortgeschritteneres Stadium der methodischen Konzeption aus; siehe
unten Abschnitt 3,a.
183
Vgl. Weltanschauung, 18.
Die Berliner "Antrittsvorlesung" 163

Weltanschauung zwangsläufig führt, erhält doch ein so starkes Gewicht, daß der wis-
senschaftliche Beitrag im Grunde recht nebensächlich erscheint gegenüber einer einzig
das "Ganze" überblickenden und es zugleich schon in sich enthaltenden "katholischen"
Wahrheit.
Sicher - um das "Ganze" zu erkennen, braucht es den Glauben, der letztlich nicht auf
"weltliche" Erkenntnisse gegründet ist, sondern auf göttliche Offenbarung. Aber wenn
dieser Glaube sich auf die "Welt"richtet,dann ist er doch auch auf "weltliche" Hilfs-
mittel wesentlich angewiesen, will er nicht seinen Gegenstand verfehlen. Die mensch-
liche Vernunft, die ja von Gott geschaffen ist, führt nicht nur in eine totale Relativität;
sie ist vielmehr in der Lage, auf philosophischem, geisteswissenschaftlichem und
naturwissenschaftlichem Wege, eine Basis gemeinsamer Erkenntnisse und Werte zu
erarbeiten, die zwar nicht "Weltanschauung" im Sinne der von Guardini vorgelegten
Definition genannt werden kann, aber doch zu einer solchen einen sehr gewichtigen
Beitrag leistet. Von diesem Beitrag ist in Guardinis "Antrittsvorlesung" nur am Rande
die Rede. Dies weist auf eine Begrenztheit seines "Blicks" hin, auf die wir im weiteren
Verlauf unserer Untersuchung immer wieder stoßen werden. Es handelt sich um eine
Skepsis gegenüber dem neuzeitlichen Wissenschaftsverständnis und gegenüber dem
begrifflichen Denken überhaupt.
Guardini tendiert klar zu einem intuitiven Erkennen, auch wenn er gerade in seiner
Gegensatzlehre Intuition und Begriff zu verbinden versucht (bei einer Vorrangstellung
des Begriffs!) und in den Arbeiten zu Bonaventura die Bedeutung "dialektischer"
Systematik gegenüber einer rein "organischen" grundsätzlich unterstreicht. Aber prak-
tisch behält die Intuition innerhalb des "Anschauungs"-Akts doch die Oberhand, und
für sich selbst entscheidet sich Guardini lieber für das platonisch-augustinische
Denken,184 das im Unterschied zum aristotelisch-thomasischen ja immer wieder in der
Gefahr stand, die relative Eigenständigkeit der menschlichen Vernunft aufzulösen. So
rückte Bonaventura eben doch an die Stelle von Thomas, der nach Guardini
"Augustinus im aristotelischen Sinne zu deuten",185 ja sogar "umzudeuten"186 versucht
hatte. Bei Augustinus selbst richtete Guardini seine Aufmerksamkeit später von vorn-
herein auf jene "Stelle" bzw. jenen "lebendigen Bereich", "wo Philosophie und Theo-
logie noch gar nicht im neuzeitlichen Sinne geschieden sind, ja noch nicht einmal so
weit, als es im Mittelalter der Fall war - wo vielmehr das christliche Dasein als Ganzes
genommen wird, und das Denken, ohne sich um methodische Scheidungen zu küm-
mern, aus diesem Ganzen heraus auf das Ganze blickt."187 Dieser Rückgriff hinter die
neuzeitlichen Unterscheidungen konnte aber leicht zu einer vorschnellen Unmittelbar-
keit des Glaubens führen - und zwar in einer Weise, die, wenn sie konsequent durchge-
führt wird, einen echten wissenschaftlichen Dialog in Frage stellt. Von der Gefahr
eines "religiösen Kurzschlusses" hat Guardini freilich später selbst geschrieben.188 Wir
werden noch sehen, wie er versucht hat, hier gegenzusteuern (vgl. Kapitel

184
Vgl. Elemente, 209; siehe dazu V.l.
185
Erlösung, 155.
186
Elemente, 88.
187
Bekehrung, 15.
188
Vgl. etwa Bekehrung, 109.
164 Katholischer Glaube als Weltanschauung

V,2,b und VI,1). Für den augenblicklichen Stand der Dinge müssen wir aber anmer-
ken, daß er einer solchen Haltung zumindest sehr nahe kam.
Allerdings muß gleichzeitig auch in Erinnerung gerufen werden, in welche geistige
Situation hinein er seine Gedanken formulierte. Es handelte sich eben insgesamt um
eine Zeit, in der das philosophische Denken selbst die Relativität der Vernunft betonte
und in der die Kultur im Ganzen den neuzeitlichen Errungenschaften äußerst skeptisch
gegenüberstand (vgl. Kapitel 1,2). Wenn später wieder eine größere Hinwendung zur
neuzeitlichen Rationalität erfolgte, so kann dies zumindest für den Ausgangspunkt von
Guardinis Lehrtätigkeit nicht einfach vorausgesetzt werden. Vielmehr stand unser
Autor gerade dadurch auf der Höhe seiner Zeit, daß er die "Intuition" höher schätzte
als den "Begriff, das "Ganze" mehr als das "Einzelne", das "Organische" mehr als die
wissenschaftliche Kritik. Einwände dagegen sind nicht in erster Linie gegen ihn vorzu-
bringen, auch nicht gegen die "katholische Weltanschauung", die er vertritt, sondern
der Kultur selbst, auf die er sich mit großer Bereitschaft einläßt.

3. Die Vorlesungstätigkeit

a. Der Charakter der Vorlesungen


Als Guardini den Text seiner "Antrittsvorlesung" veröffentlichte,189 deutete er mehrere
Möglichkeiten an, wie seine Lehrtätigkeit aussehen könnte:
1) Eine "katholische Weltanschauungslehre" könnte "deduktiv" vorgehen, d. h., aus-
gehend von der Glaubenswahrheit, fragen, "was von ihr aus an 'Welt' sichtbar wird".
2) Sie könnte einen "induktiven" Weg wählen und würde dann, "von irgend einem
besonderen Gebiet der Wirklichkeit" herkommend, fragen, "wo dafür innerhalb des
Glaubens der sichtgebende Standpunkt liege, und wie sich von dort aus seine besonde-
ren Probleme überschauen lassen".
3) Sie könnte schließlich eine bestimmte geschichtliche Persönlichkeit in den
Mittelpunkt stellen:
"Auch hier ist eine verschiedene Technik möglich. Sie kann das katholische
Weltbild oder ein Gebiet daraus im Zusammenhang zu behandeln suchen. Dann
ergibt sich eine mehr oder weniger umfassende Gesamtdarstellung. Gelingt sie,
dann ists ein großer Wurf. Aber ganz abgesehen davon, ob die Kräfte vereinigt
sind, die dazu gehören: Klare Schau, scharfe Analyse, bildkräftige und zugleich
begrifflich sichere Synthese, es besteht die Gefahr, daß solche Bemühung ins
Allgemeine geht und ihr die Fülle konkreter Besonderungen entgleitet. Aber
gerade darin liegt oft das Kostbarste lebendigen 'Blickes'. So gibt es noch eine
andere Weise: Sie folgt irgend einem theologischen oder philosophischen oder

189
Dies geschah bezeichnenderweise nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, sondern in der
Zeitschrift der "Jugendbewegten", den "Schildgenossen" (1923/24).
Die Vorlesungstätigkeit 165

psychologischen Zusammenhang und sucht Schritt vor Schritt einen besonderen


'Blick' zu tun; einen sich bietenden besonderen Tatbestand in das Licht des Glau-
bens zu bekommen. Dann ist 'Weltanschauung', methodisch gesprochen, ein
'Nebenergebnis'."190
Guardini geht es - das hat schon die "Antrittsvorlesung" selbst gezeigt - weniger um
eine Aufhellung des Glaubens (Theologie im klassischen Sinn), als vielmehr um eine
Aufhellung der Welt im Licht dieses Glaubens. Auch die Theologie bemüht sich aller-
dings aus heutiger Sicht nicht nur um ein "Wissen des Glaubens" und ein "Wissen über
den Glauben", sondern auch um ein "Wissen aus dem Glauben", das heißt um die
Auswirkung desselben auf das ganze Weltverständnis und Welthandeln.191 "Die gläu-
bige Existenz versteht sich nicht als eine theonome Insel in einem Meer eigengesetzli-
cher Welthaftigkeit, sondern als ein in seinem Kern verwandeltes Bewußtsein, das den
Stoff seines Weltdaseins zu durchdringen und sich anzuwandeln hat."192 Dies gilt
nicht nur für die "fides quae", sondern auch für die "fides qua" als institutionalisierte
Subjektivität des Glaubens; sie ist keineswegs als weitabgewandte Grundhaltung zu
verstehen, sondern als "ein Standgewinnen und Stehen in einer Option, die den Blick
auf die Welt, das Weltverständnis und die ganze Wirklichkeitshabe, verändert."193
Geht man von dieser Bestimmung aus, so kann Guardinis Bemühung durchaus als Teil
theologischer Reflexion begriffen werden - als der Versuch näherhin, "im Gewand
'christlicher Weltanschauung' eine Neukonzeption von Theologie vorzulegen, die mit
der Welt als genuinem theologischen Faktum, das in Gottes innerstem Leben verankert
ist, wirklich ernstmacht."194
Damit ist freilich nur eine Aufgabe der Theologie abgedeckt, und zwar in einer
methodisch durchaus noch nicht ausgereiften Weise. Es ist verständlich, wenn Guar-
dini selbst gar nicht den Anspruch erhebt, als "Theologe" zu gelten. Näher lag da
schon die Definition als "Religionsphilosoph", die durch die Lehrstuhlumschreibung
ins Spiel kam. Aber erstens ging es Guardini gar nicht ausschließlich um "Religion",
sondern um "Welt", wenn auch die Religion stets besonders im Blick blieb (vgl. dazu
Kapitel IV und V). Zweitens dachte er doch zu dezidiert vom christlichen Glauben her,
als daß die Bezeichnung "Religionsphilosophie" auf seine Bemühungen hätte ange-
wandt werden können.195 Am besten verzichtet man mit Guardini selbst überhaupt auf
eine genaue Zuordnung und nimmt seine katholische Weltanschauungslehre als den
sich auf ganz unterschiedlichen Wegen vorantastenden Versuch, in den Dialog
lyu
Weltanschauung, Anm. 8, 33.
191
Vgl. Seckler, Glaubenswissenschaft, bes. 196-199.
192
Seckler, Glaubenswissenschaft, 199; vgl. ebd., 1981
193
Seckler, Glaubenswissenschaft, 197.
194
Mercker, Weltanschauung, 77.
195 "Was ist Religionsphilosophie? Sie ist das, was entsteht, wenn 'die Philosophie', das philosophische
Denken, sich der Religion und ihrem Gegenstandsbereich zuwendet" (Seckler, Theologie, Religionsphiloso-
phie, Religionswissenschaft, 171). Ihr Ort ist also die Begegnung von Philosophie und Religion, und zwar
einmal im Hinblick auf die Gottesfrage, zum anderen im Hinblick auf das Vorhandensein von Religionen über-
haupt. Guardini kritisiert die Religion aber bereits, wie die Theologie, vom Glauben her. Selbst wenn man eine
katholische Religionsphilosophic für möglich hält (vgl. Fries, Religionsphilosophie, 21-24), d.h. eine
"Philosophie der Religion, die die in der Übernatürlichen Offenbarung gegebene Religion zwar nicht zum
Ausgangspunkt oder zum methodischen Beweismittel oder als Erkenntnisquelle nimmt, aber sie als tatsächlich
gegeben und verpflichtend anerkennt" (ebd., 21), wird man Guardini nicht als Vertreter dieser Wissenschaft
ansehen dürfen, da der Glaube bei ihm durchaus auch Ausgangspunkt und Erkenntnisquelle ist.
166 Katholischer Glaube als Weltanschauung

zwischen Glaube und Welt einzutreten. Dabei ist von vornherein weder ein
"deduktiver" (vom Glauben ausgehender) noch ein "induktiver" (von der Welt herkom-
mender) Weg ausgeschlossen (vgl. dazu schon die Überlegungen zum theologischen
Ansatz oben in Abschnitt l,b); das besondere Charakteristikum aber ist ein noch etwas
unbestimmter dritter Weg, auf dem der Dialog sich nicht mit der Welt im Allgemeinen,
sondern ganz konkret mit bestimmten Persönlichkeiten der Geistesgeschichte vollzieht.
Dieser dritte Weg knüpft offenbar an dem an, was Guardini bereits in der Abgren-
zung von der Geschichtswissenschaft aufgegangen war; er hatte dort eine Verwandt-
schaft zu jener Richtung erkannt, die sich "auf die lebendige Gestalt, auf Wirkbild und
Sinn-Ganzes einer Persönlichkeit oder eines Geschehnisses" richtete.196 Nicht nur
Dilthey praktizierte diesen "hermeneutischen" Weg; auch Max Scheler empfahl ihn
und gab dem "Anfänger" damit noch einmal eine entscheidende Anregung mit.197
Guardini erinnert sich:
"Im ersten Semester las ich über die Grundformen der Erlösungslehre. Das war
natürlich ein Verlegenheitsthema; ich mußte aber anfangen und dazu nehmen,
was ich hatte. Er sagte, so gehe es nicht; ich solle die grundsätzlichen Gesichts-
punkte an konkreten Gegenständen entwickeln - zum Beispiel an einer Analyse
der Gestalten Dostojewskijs, der damals sehr aktuell war."198
Möglicherweise hatte Scheler bereits eine Konzeption "katholischer Weltanschauung"
vor Augen, in der der Glaubensstandpunkt sich in der Begegnung mit der Welt selbst
relativieren würde.199 Dies stand bei Guardini freilich nie zur Debatte; die Offenba-
rung blieb für ihn "das Ersterkannte, das im Sprung der Entscheidung anzunehmende
Apriori des Glaubens, von dem her die Welt Maß und Einordnung empfängt."200
Dennoch rechnete auch er mit Rückwirkungen auf den Glauben und somit mit einer
wirklichen Begegnung:
"In dieser Begegnung soll der Glaube Rede und Antwort stehen; Kräfte der
Wahrheit aktuieren, die sonst geschlafen hätten - ebenso wie umgekehrt die Welt
sich im Raum des Glaubens den entscheidenden Fragen stellen und die letzte
Aufhellung erfahren soll."201
Das ist etwas anderes, als wenn die zu interpretierenden Persönlichkeiten der Geistes-
geschichte nur den zufälligen "Anlaß" oder "Hintergrund" für die "Herausstellung der
Einzigartigkeit, Unverfügbarkeit und vor allem Unableitbarkeit der Offenbarung" abzu-

196 Weltanschauung, 17.


197
Es handelt sich entgegen der üblichen Annahme (vgl. etwa Gerl, Guardini, 142-144) um ein zweites
Gespräch zwischen Guardini und Scheler. Die Vorlesungen in Berlin hatten jetzt nämlich schon begonnen
(vgl. Berichte, 45; aber ebd., 38!).
198
Berichte, 45.
199
So klingt die zweite Fassung, die Guardini von diesem Ratschlag gibt: "Sie müßten tun, was im Wort
'Weltanschauung' liegt: die Welt betrachten, die Dinge, den Menschen, die Werke, aber als verantwortungsbe-
wußter Christ, und auf wissenschaftlicher Ebene sagen, was Sie sehen ... Untersuchen Sie doch zum Beispiel
die Romane von Dostojewski, und nehmen Sie von ihrem christlichen Standpunkt her dazu Stellung, um so
einerseits das betrachtete Werk, andererseits den Ausgangspunkt selbst zu erhellen" (Europa, 191). Vgl. auch
in dieser Richtung bereits: Scheler, Der Friede unter den Konfessionen (1920/21), 4681 - Hans Mercker kann
daher von einem "fruchtbaren Mißverständnis" sprechen; daß Guardini den in Schelers Rat enthaltenen
"Sprengsatz" nicht wahrgenommen habe, zeige, "wie tief Guardini von der Vorentscheidung für Kirche und
Offenbarung bereits geprägt war" (Weltanschauung, 67).
200
Mercker, Weltanschauung, 67.
201
Europa, 21.
Die Vorlesungstätigkeit 167

geben haben - "gleichsam eine Gelegenheit, das Eigenprofil der Offenbarung um so


schärfer herauszuarbeiten."202 Natürlich verändert sich die Offenbarung als solche für
Guardini nicht mehr; nur unter dieser Voraussetzung ist eine "Unterscheidung des
Christlichen"203 ja überhaupt erst möglich. Aber es kann einfach nicht bestritten
werden, daß sich Guardini ganz ernsthaft bemüht, den Glauben in den Dialog mit der
"Welt" einzubringen - und zwar so, daß er zur Antwort auf jene Fragen wird, die sich
von ihr her in jeweils besonderer Weise stellen.

b. Die Themen

Der Ratschlag Max Schelers wies den Weg zur Interpretation von Texten und Gestal-
ten, die in der Gegenwart besonders relevant zu sein schienen. Die erste Berliner
Vorlesung hatte aber noch die "Grundformen der Erlösungslehre"204 behandelt - eine
Verlegenheitslösung, bei der Guardini auf seine theologischen Vorarbeiten zurückgrei-
fen konnte.205 Allerdings konnte er hier auch seine Gegensatztypologie erproben,206
die er dann im darauffolgenden Wintersemester eigens vorstellte.207 Die Themenstel-
lung ("Das Problem des Konkreten und die Lehre vom Reiche Gottes"20*) deutete
bereits an, inwiefern Guardini die früheren Überlegungen in sein neues Konzept einzu-
bauen gedachte: Das "Konkrete" in seiner Gegensatzstruktur war ein Kennzeichen
dessen, was zuvor "Welt" genannt wurde, und sollte nun offenbar von jenem Element
der christlichen Offenbarung her beleuchtet werden, in dem die Beziehung Gottes zur
"Welt" ebenfalls "konkret" wurde, nämlich im "Reich Gottes". Auch im zweiten Vorle-
sungsthema dieses Semesters läßt sich diese Struktur entdecken; hinter der recht banal
klingenden Themenstellung "Gott und die Welt" verbirgt sich wiederum nichts anderes
als die in der "Antrittsvorlesung" entwickelte Grundkonzeption.
Guardini hat auch künftig keineswegs auf spezifisch theologische Themen verzich-
tet, auch wenn er diese seinem Hauptanliegen unterordnete. Es handelte sich dabei
wohl um das in der Anmerkung zur "Antrittsvorlesung" erwähnte "deduktive" Verfah-
ren, das - im Sinne eines "Wissens aus dem Glauben" (s. o.) Licht auf die Situation des
Menschen in der Welt fallen ließ.209 Einen wichtigen Platz nahmen bald Vorlesungen
zoz
Mercker, Weltanschauung, 117 (hier im Anschluß an die Reflexionen zum Verhältnis von Christentum
und Kultur, aber übertragen auf das gesamte Konzept einer "christlichen Weltanschauung"). Merckers
Interpretation arbeitet die "Unterscheidung des Christlichen" ungebührlich stark heraus, so daß er gerade die
Öffnung zur Welt hin ftir Guardinis Werk abstreitet: "Es durfte ein gründliches Mißverständnis sein, hierin
etwa einen Versuch christlicher Verwirklichung, Weltbewältigung oder dergleichen zu vermuten" (ebd.).
203
So der Titel des Sammelbands von 1935 (21963).
204 Ygj p,erjchte, 45; in den Vorlesungsankündigungen findet sich dieser Titel jedoch noch nicht (vgl.
Mercker, Bibliographie).
205 ygj Berichte, 45. - Bereits in Bonn hatte Guardini im Sommersemester 1922 eine Vorlesung unter dem
Titel "Die Theorie der Erlösung in den grundlegenden Formen ihrer Ausgestaltung" angeboten (vgl. Habilita-
tion in Bonn*; Vorlesungsverzeichnis Bonn SS 1922, 15; siehe bereits oben Abschnitt l,b).
206
Sowohl in Bonn wie in Berlin ging es ja um die "Typen" bzw. die "Grundformen" der Erlösungslehre,
nicht einfach um eine herkömmliche systematische Entfaltung.
207
Vgl. Gegensatz, 7.
208 vgl. dazu (und auch zum Folgenden) Mercker, Bibliographie, hier Nr. 130.
209 Vgl. besonders folgende Vorlesungen (die Zahlen beziehen sich die Bibliographie von Mercker): "Die
christliche Gotteswirklichkeit" (WS 1925/26; 199); "Die evangelischen Räte (das Ordensleben) und die Christ-
168 Katholischer Glaube als Weltanschauung

über das Neue Testament ein, in denen Guardini versuchte, "den Inhalt der Offenba-
rung gleichsam aus ihrem Urlaut heraus zu erfassen."210 Der "induktive" Weg wurde
vor allem in jenen Vorlesungen beschritten, in denen ethische und pädagogische
Fragen behandelt wurden.211 Hier konnte Guardini an seinen Erfahrungen als Seelsor-
ger und Begleiter der Jugendbewegung anknüpfen. Eine einzelne Vorlesung im Som-
mersemester 1929 beschäftigte sich ausdrücklich mit "Grundfragen der Kulturphiloso-
phie".212 Besonderen Wert legte Guardini aber auf seine Anthropologie-Vorlesung, die
sich über sieben Semester hinzog und zu einer eigenen Veröffentlichung ausgearbeitet
werden sollte.213
In der gesamten Berliner Zeit findet sich keine einzige Vorlesung mit dem Titel
"Religionsphilosophie". Die Verpflichtung zu dieser Fragestellung, die mit der Lehr-
stuhlbezeichnung gegeben war, wurde freilich durch die kontinuierliche Ankündigung
"religionsphilosophischer Seminare" eingelöst. Normalerweise hielt Guardini in einem
Semester drei verschiedene, jeweils einstündige Vorlesungen, sowie eine Übung, die
als "Religionsphilosophisches Seminar" angekündigt war.214 Daß das "Religiöse" zen-
trales Thema aller Interpretationen war, wird sich im weiteren Verlauf unserer Unter-
suchung noch zeigen. Der später erschienene erste Band von "Religion und Offenba-
rung", der sich auf die Darstellung der "unmittelbaren Religion" beschränkt, also eine
Art "Religionsphilosophie" darstellt,215 wird ausdrücklich als Teil der christlichen
Weltanschauungslehre verstanden und auf Vorlesungen in Berlin, Tübingen und Mün-
chen zurückgeführt.216 In Berlin wird Guardini auf dieses Thema vor allem in der

liehe Weltordnung" (WS 1927/28; 244); "Altchristliche Mystik" (SS 1928; Nr. 273); "Askese und Christen-
tum" (SS 1929; Nr. 296); "Die Kirche" (SS 1926; 222); "Das Wesen der Kirche" (WS 1929/30; 297); "Die
Kirche" (WS 1930/31; 329); "Das objektive Moment (Dogma, Sakrament, Gesetz) im christlich-religiösen
Leben" (SS 1934; 430/31); "Das Wesen des Christentums. Grundriß einer Phänomenologie des Christlichen"
(SS 1935; 455); "Phänomenologie des Christlichen (Gnade, Innerlichkeit usw.) (SS 1937; 471); "Wesen und
Form der Offenbarung" (SS 1939; 545).
210
Berichte, 45. - Vgl. etwa "Wesen und Form des christlichen Lebens im Neuen Testament" (SS 1925;
198), "Gnade und Gnadenleben im Neuen Testament" (WS 1926/27; 223), "Die christliche Weltordnung im
Neuen Testament" (SS 1928; 273) u. v. a.
211
"Grundprobleme des sittlichen Lebens" (SS 1925; 198); "Grundfragen lebendiger Sittlichkeit, 2. (jedoch
selbständiger) Teil" (SS 1926; 222); "Wesen und Aufbau lebendiger Bildung" (WS 1926/27; 223);
"Grundfragen der Bildungslehre, 2., jedoch selbständiger Teil" (WS 1927/28; 244); "Grundfragen der
Bildungslehre, 3., jedoch selbständiger Teil" (SS 1928; 273); "Kulturphilosophische Grundfragen der
Bildungslehre" (WS 1928/29; 274).
212
Vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 296.
213
Vorlesungen: "Der Mensch (Grundfragen einer christlichen Anthropologie)" (WS 1933/34; 407); in der
Forts, mit dem Untertitel "Grundzüge einer christlichen Anthropologie": WS 1934/35 (432); SS 1935 (455);
WS 1935/36 (456); SS 1936 (470); WS 1936/37 (471); SS 1937 (471). Ein neuer Zyklus beginnt im WS
1937/38 (494); fortgesetzt SS 1938 (518); WS 1938/39 (519); SS 1939 (545). Die (unvollständige) schriftliche
Ausarbeitung wird im Guardini-Archiv aufbewahrt; vgl. Der Mensch. Grundzüge einer christlichen Anthropo-
logie*.
214 vgl. Berichte, 48-50; nachgewiesen bei Mercker, Bibliographie.
215
Vgl. Religion und Offenbarung (1958).- Ein zweiter Band ist nie erschienen; sein Inhalt wäre eine
Theorie der Offenbarung gewesen, die Guardini allerdings bereits 1940 vorgelegt hatte (vgl. Offenbarung).
216
Vgl. Religion, 9.- "Obwohl oft durchdacht und erweitert, ist sie doch nicht zum Lehrbuch geworden,
sondern hat den ursprünglichen Charakter der Vorlesung behalten und möchte auch als solche genomimen
sein" (ebd.).
Die Vorlesungstätigkeit 169

Vorlesung über "Wesen und Form der Offenbarung" gekommen sein, die sicher in
einem ersten Teil die allgemeine religiöse Erfahrung thematisiert hat.217
Guardini erinnert sich später, zu Beginn "viel herumgesucht und experimentiert" zu
haben.218 Er habe die Möglichkeit gehabt, jene Fragen aufzustellen und jene Texte zu
interpretieren, die ihm persönlich wichtig gewesen seien.219 Bald hätten sich aber drei
"Typen" von Vorlesungen herausgebildet und bewährt: 1) Vorlesungen von
"systematischem Charakter, welche Probleme der Daseinsdeutung im Zusammenhang
behandelten; zum Beispiel Hauptfragen der Ethik, oder Grundlinien der christlichen
Anthropologie"; 2) Vorlesungen über das Neue Testament; 3) Interpretationen religiö-
ser, philosophischer oder dichterischer Gestalten.220 Gerade der zuletzt genannte
"Typ", mit dem Guardini Schelers Hinweis aufgriff, gab der folgenden Lehrtätigkeit
ihr besonderes Gepräge.
Einer konkreten geschichtlichen Persönlichkeit wandte sich Guardini erstmals im
Wintersemester 1924/25 zu; neben einer neutestamentlichen Vorlesung und einer über
"liturgische Grundfragen", die ein älteres Thema aufgriff, behandelte er "Augustins
religiöses Weltbild und dessen Bedeutung für die Gegenwart",221 Besonders in den
"religionsphilosophischen Übungen" konnte der interpretatorische Weg fortgesetzt
werden. Dort wurden etwa die "Philosophischen Brocken" Kierkegaards222, die
"Pensdes" Pascals, platonische Dialoge, einzelne Hymnen Hölderlins und die
"Elegien" Rilkes behandelt.223 "Das Ziel war das Gespräch über die Interpretation
selbst und über die dabei auftauchenden allgemeineren Probleme."224 Guardini
schreibt rückblickend:
"Ich erkannte die Bedeutung, welche echte Interpretation für eine geistig verwa-
schene Zeit hat, immer besser, und bildete mir allmählich eine Methode heraus,
von der genauen Deutung des Textes zum Ganzen des Gedankens und der
Persönlichkeit vorzudringen und damit grundsätzliche Fragestellungen zu verbin-
den."225

217
Dies zeigt ein Blick in die Monographie, die offenbar aus dieser Vorlesung hervorgegangen ist; vgl.
Offenbarung (1940), 7-46: "Die Offenbarung durch das Sein der Welt").
218
Vgl. Berichte, 45.
219
"Im Grunde genommen habe ich nicht gefragt, welche Gegenstände mein Lehrstuhl mir auferlege, oder
was meine Hörerschaft zu wissen wünsche, sondern über das gesprochen, was mir jeweils selber wichtig war,
überzeugt, es müsse auch den anderen wichtig sein" (Berichte, 47).
220
Vgl. Berichte, 45.
221
"Der religiöse Vorgang des Gottfindens im Neuen Testament"; "Kirche und Liturgie"; "Augustins reli-
giöses Weltbild und dessen Bedeutung für die Gegenwart"; vgl. Vorlesungsverzeichnis Berlin WS 1924/25, 51;
Herwegen 44 (23. 12. 1924), 2581 In der Bibliographie sind diese Vorlesungsthemen irrtümlich für das SS
1924 angegeben (169). In Wirklichkeit hat Guardini hier folgende Vorlesungen angekündigt: "Grundfragen
lebendiger Sittlichkeit"; "Anselm von Canterbury und die religiöse Erkenntnis" (vgl. Vorlesungsverzeichnis
Berlin SS 1924, 56; vgl. auch Herwegen 44,). Die Bibliographie ist um diese Titel zu ergänzen. Die Anselm-
Vorlesung kann vermutlich noch nicht dem Typ von Interpretationen zugeordnet werden wie die spätere Augu-
stinus-Vorlesung; sie gehörte eher zum theologischen Vorlesungstyp und führte wohl die Gedanken der Bonner
Antrittsvorlesung weiter aus.
222
Eine Frucht dieser Arbeit war wohl: Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards
(1927>
223
Vgl. Berichte, 50.
224
Berichte, 50.
225
Berichte, 451
170 Katholischer Glaube als Weltanschauung

Diese Methode stieß auf besonderes Interesse bei den Studenten; die interpretatori-
schen Vorlesungen waren die weitaus am meisten besuchten.226 Guardini wandte sich
neben Augustinus vor allem Kierkegaard und Pascal zu.221 Jeweils ging es vor allem
um die religiöse Problematik - auch bei Piaton, mit dem erstmals ein nichtchristlicher
Denker ins Blickfeld kam.228 Auch Michel Montaigne und Friedrich Nietzsche wurden
nach ihrer religiösen Einstellung befragt.229 Erst im Sommersemester 1930 themati-
sierte Guardini dann die "religiöse Existenz bei Dostojewskij" und folgte damit dem
direkten Hinweis Schelers auf diesen Autor.230 Mit Dostojewskij und Dante2*1 stellte
Guardini Werke der Dichtung in den Mittelpunkt seiner Interpretation; die Beschäfti-
gung mit Hölderlin und Rilke setzte diesen Weg fort, und Guardini stellte auch selbst
rückblickend fest, daß die Dichtung ihm im Lauf der Zeit immer wichtiger geworden
sei.232
Die Durchsicht der Publikationen Guardinis ergibt nun, daß fast alle Themen in
irgendeinem Zusammenhang zu den Vorlesungsthemen stehen - ob sie nun die direkte
Wiedergabe einzelner Vorlesungen oder von Teilen daraus darstellen (wie etwa der
Beitrag "Vom Wesen der Weltanschauung" und viele andere Zeitschriftenaufsätze der
ersten Zeit233), ob sie aus der Bearbeitung von Vorlesungen entstanden sind (wie vor
allem die umfangreichen Monographien zu Dostojewskij, Pascal, Augustinus, Hölder-
lin, Dante und Rilke; vgl. dazu Kapitel V) oder ob sie umgekehrt spätere Vorlesungen
vorbereiten (wie die Aufsätze über den "Tod des Sokrates"234 oder über das
"M6morial" Pascals235). Zwar findet sich daneben auch noch eine Fülle von Beiträgen

226 vgl. Berichte, 501 Demnach war die Besucherzahl bei den neutestamentlichen Vorlesungen am klein-
sten, wobei hier gerade protestantische Hörer häufig zu sehen waren; größer war die Anzahl der Hörer in den
systematischen Vorlesungen, am stärksten jedoch bei den genannten "Gestaltinterpretationen": "... da habe ich
bis zu dreihundert und mehr Zuhörer gehabt" (ebd., 51). An den Übungen nahmen durchschnittlich zwanzig
Leute Teil (vgl. ebd.).
227
Zu Kierkegaard: "Christentum und Kultur im Anschluß an die Problemstellung Sören Kierkegaards"
(SS 125 und WS 1925/26; 198 und 199); "Sören Kierkegaard und die Grundfragen der christlichen Existenz"
(WS 1927/28; 244). Zu Pascal: "Pascal und die religiöse Wirklichkeit" (WS 1928/29; 274); "Die religiöse
Existenz bei Pascal" (SS 1931; 360).
228
Vgl. "Das Religiöse bei Plato" (WS 1926727; 223); später: "Der Tod des Sokrates. Interpretation von
Piatons Eutyphron, Apologie, Kriton und Phaidon" (WS 1937/38; 494).
229
Vgl. "Michel Montaigne (Die Skepsis und die Gewißheit)" (WS 1929/30; 297); "Endlichkeit und Ewig-
keit (Versuch einer Interpretation von Nietzsches Zarathustra)" (WS 1931/32; 361).
230 vgl. "Die religiöse Existenz bei Dostojewskij" (SS 1930; 328).
231
"Religiöse Probleme in Dantes göttlicher Komödie" (WS 1930/31; 329); "Die religiöse Existenz in Dan-
tes Göttlicher Komödie" (WS 1932/33; 380); "Glaube und Frömmigkeit Dantes" (SS 1934; 430/31); "Die ober-
sten Daseinswerte in Dantes göttlicher Komödie" (SS 1936; 470); "Der religiöse Vorgang in Dantes Göttlicher
Komödie. Zweiter Teil: Das Purgatorio" (WS 1936/37; 471); "Der religiöse Vorgang in Dantes Göttlicher
Komödie. Dritter Teil: Das Paradiso" (SS 1937; 471); "Das Weltbild Dantes" (SS 1939; 545).
232
Vgl. Europa, 20. - Zu Hölderlin vgl. "Glaube und Frömmigkeit Friedrich Hölderlins" (WS 1934/35;
432); "WeltbUd und Gottesvorstellung Hölderlins" (WS 1935/36; 456); "Die Frömmigkeit Friedrich Hölderlins"
(SS 1938; 518). Die erste Vorlesung über Rilke fällt bereits in die Tübinger Zeit; s. u. Anm. 247 und 248.
233 vgl. v. a. auch: Christentum und Kultur (1926); vorausgegangen war die Vorlesung "Christentum und
Kultur im Anschluß an die Problemstellung Sören Kierkegaards" im SS 1925 und WS 1925/26.
234
Bereits 1926 (!) veröffentlichten die "Schildgenossen" von Guardini: Der Tod des Sokrates. Eine Vorle-
sung zu diesem Thema wird erst für das WS 1937/38 angekündigt (s. o. Anm. 228); 1943 erschien die Mono-
graphie gleichen Namens.
235 vgl. Pascals innere Stunde (1927); Vorlesungen über Pascal werden für das WS 1928/29 und das SS
1931 angekündigt (s. o. Anm. 227). Weitere Zeitschriftenbeiträge: Logik und religiöse Erkenntnis (1929);
Die Vorlesungstätigkeit 171

aus der Arbeit in Rothenfels, zu liturgischen Themen und aus konkreten Anlässen;
doch rücken diese im Unterschied zur Frühphase jetzt eindeutig an den Rand. Den
Schwerpunkt bilden vor allem drei Bereiche: 1) die "Interpretationen" (vgl. den dritten
Vorlesungstyp); 2) Beiträge zum "Wesen des Christlichen" und zur Christusgestalt, die
einerseits aus der Predigttätigkeit entstanden sind, andererseits aber auch in den Vorle-
sungsthemen wiederkehren (vgl. den ersten und zweiten Vorlesungstyp, sowie die
Lehrveranstaltungen mit speziell systematisch-theologischen Fragestellungen);
3) Beiträge zu anthropologischen Fragestellungen (vgl. den ersten Vorlesungstyp).
Auch das schriftliche Werk läßt sich also in jene Grundausrichtung einordnen, zu der
sich Guardini in seinen Vorlesungen seit 1923 bekannte.

c. Von Berlin nach München


Guardini sah sich mit seinem Werk zwar außerhalb der üblichen Disziplinen, fühlte
sich aber stets der Universität verbunden. Katholische Weltanschauung war für ihn
eine wesentlich akademische Aufgabe. Darum wartete er auch in den "Jahren des Ver-
stummens" - zunächst noch in Berlin, wo sich Guardini ganz auf die Seelsorge und das
Bücherschreiben konzentrierte, dann bei seinem Freund Josef Weiger im schwäbischen
Mooshausen236 - auf die Möglichkeit, wieder an einer Universität lehren zu dürfen.237
Da gelang es im Jahre 1945 dem Bildungspolitiker Carlo Schmid, eine Reihe führen-
der Köpfe aus der Vorkriegszeit für die Universität Tübingen zu gewinnen. Darunter
war neben Eduard Spranger, Helmut Thielicke und Walter F. Otto auch Romano Guar-
dini.238 Für seinen Lehrstuhl, welcher diesmal der Philosophischen Fakultät eingeglie-
dert war, wurde aus der Berliner Zeit die Bezeichnung "Religionsphilosophie und
katholische Weltanschauung" übernommen. So hatte Guardini die Möglichkeit, mit
dem fortzufahren, "was im Frühjahr 1939 abgebrochen wurde - freilich so, daß die
dazwischen liegende Zeit überall ihr Wort mitspricht."239
Wieder gab Guardini einleitend vor Studenten Rechenschaft über sein Konzept, das
er unverändert übernahm.240 Er schätze die "Fachwissenschaft", widme sich selbst
jedoch einer anderen Aufgabe; diese bestimmte Guardini jetzt aber nicht mehr so sehr
als eigenständige Disziplin, wie er es noch in Berlin getan hatte, sondern als einen
besonderen Dienst an der Gesamtaufgabe der Universität, "mit der vom Gegenstand

Pascals Gebet (1929); Die religiöse Entscheidung (1932); Das Ärgernis und das Herz (1934). Ein Buch über
Pascal erschien 1935 unter dem Titel "Christliches Bewußtsein".
236
Vgl. Gerl, Guardini, 317-329; Knoll, Begegnungen, bes. 871 - Zur außeruniversitären Tätigkeit in
Berlin vor 1939 vgl. auch: Berichte, 105-115; Gerl, Guardini, 300-304.
237
In den autobiographischen Aufzeichnungen, die Guardini in Mooshausen beginnt, äußert er die
"Hoffnung, noch einmal zu irgend einer Aufgabe gerufen zu werden" (Berichte, 56) und spricht ausdrücklich
vom "Heimweh nach der akademischen Lehrtätigkeit" (Berichte, 21).
238 vgl. dazu: B. Heck, Geistiger Aufbruch. Neubeginn an der Universität, im Kunstbereich und in der
kulturellen Arbeit, in: M. Gögler/G. Richter (Hg.), Das Land WUrttemberg-Hohenzollern 1945-1952. Darstel-
lungen und Erinnerungen, Sigmaringen 1982, 279-291; Carlo Schmid, Erinnerungen, Bem-MUnchen-Wien
1979,261; Knoll, Begegnungen, 901
239
Beginn der Vorlesungen in TUbingen*(1945), 2.
240 vgl. Beginn der Vorlesungen in Tübingen*, 31
172 Katholischer Glaube als Weltanschauung

geforderten Methode nach der Wahrheit zu suchen."241 Die Universität habe seit
langem ihre "universale" Ausrichtung auf die "Ganzheit des Geistes" aus den Augen
verloren und sei eben dabei, sie durch verschiedene Bemühungen und Einrichtungen
wiederzuentdecken;242 "ihr soll auch die Lehrtätigkeit dienen, zu der ich gerufen
worden bin."243 Wieder gehe es um die Frage, "was von einem bestimmten Standorte
aus, nämlich dem Glauben an die christliche Offenbarung, als 'Welt' sichtbar wird; und
im Bemühen, das Gegebene in methodisch-geordneter Weise zu sagen."244 Auch in
München, wohin Guardini im Jahre 1948 berufen wurde und wo nun in der Lehrstuhl-
bezeichnung nicht mehr von "katholischer", sondern einfach von "christlicher" Weltan-
schauung die Rede war, blieb er dem einmal gewählten Konzept treu und hinterließ es
als Aufgabe dem bis heute fortbestehenden "Guardini-Lehrstuhl".245
Auffällig ist, daß Guardini in Tübingen nur eine einzige "systematische" Vorlesung
ankündigte; es handelte sich um das Thema "Religion und Offenbarung", mit der er an
die Berliner Offenbarungsvorlesung anknüpfte, aber anscheinend den religionsphiloso-
phischen Anteil noch verstärkte.246 Ansonsten beschränkte er sich auf Interpretationen
und wandte sich dabei neben Pascal, Hölderlin, Augustinus, Dante und Dostojewskij
erstmals in einer Vorlesung auch Rilke zu - und zwar gleich zwei Semester lang.247 In
München verlor dagegen der interpretatorische Vorlesungstyp wieder an Bedeutung.
Dies lag wohl nicht nur daran, daß inzwischen alle großen Interpretationen auch in
schriftlicher Form vorlagen, sondern vor allem an dem zunehmenden Bemühen Guar-

1
Beginn der Vorlesungen in Tübingen*, 4.- Vgl. bereits Berichte, 46: "Wohl darf der Begriff der
Universität als Wissenschaftsschule durch den einer geistigen Bildungsschule erweitert werden, wodurch zum
Wissen und Forschen das Verstehen, Urteilen und Gestalten hinzukommen. Nach dieser Richtung hin habe ich
meinen Lehrstuhl ja auch immer aufgefaßt und in ihm den Vorläufer einer Art Universität gesehen, die es noch
nicht gibt."
242
Dazu gehörte in Tübingen vor allem der "Dies universitatis" im Rahmen des "Studium generale", an
dem sich Guardini gern beteiligte; er sollte der "umfassenden Geistesbildung und Wissensschulung des Studie-
renden über die Grenzen seines Fachstudiums hinaus" dienen (Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Namens-
und Vorlesungsverzeichnis Winter-Semester 1946/47, 14). Außerdem wirkte Guardini an Überlegungen zu
einem "akademischen Vorbereitungsjahr" mit, in dem versucht werden sollte, Abiturienten vor dem Beginn des
Fachstudiums mit dem Ganzen der Universität vertraut zu machen; vgl. Guardini, Zur Frage des akademischen
Vorbereitungsjahres; Th. Steinbüchel, Das Collegium Leibnizianum an der Universität Tübingen - sein Sinn
und seine Bestimmung, in: Das Collegium Leibnizianum. Sein Sinn und seine Bestimmung, Tübingen 1948, 3-
13.
243
Beginn der Vorlesungen in Tübingen*, 4.- Die Vielheit der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse ohne
beherrschende Ideen habe ja mit dazu beigetragen, daß die "Halbbildung" des Nationalsozialismus und seiner
Propaganda so viel erreichen konnte (vgl. ebd.).
244
Beginn der Vorlesungen*, 3.
245 vgl. bes. Guardini, Zur Streichung des k.w.-Vermerks bezüglich meines Lehrstuhls. Bericht in der
Fakultätssitzung am 25. 1. 1963 (Stabi); zit. bei Gerl, Guardini, 142 und 2691
246 vgl. "Religion und Offenbarung. Grundphänomene des religiösen Daseins" (WS 1948/49; 697).- Aller-
dings kündigte Guardini als Alternative eine Dostojewskij-Vorlesung an (s. folgende Anm.), so daß unklar ist,
ob die erstgenannte auch wirklich gehalten worden ist. Sie wird jedenfalls in München nochmals angekündigt
(s. u. Anm. 248).
247
Vgl. "Pascals Bild von der Welt, dem Menschen und der Gesellschaft" (WS 1946/47; 643); "Hölderlins
Vorstellung vom Menschen, von den Göttern und von der Natur" (SS 1947; 667); "Die religiöse Entscheidung
im Leben Augustins. Interpretation der 'Bekennmisse' (WS 1947/48; 668); "Die Deutung des Daseins in Rainer
Maria Rilkes Duineser Elegien (Vorlesung im Rahmen des 'dies universitatis1)" (WS 1947/48; 668); zweiter
Teil im SS 1948 (vgl. Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Namens- und Vorlesungsverzeichnis, 30; fehlt bei
Mercker); "Das Weltbild in Dantes Göttlicher Komödie" (SS 1948; vgl. Namens- und Vorlesungsverzeichnis,
30); "Das religiöse Dasein in Dostojewskijs großen Romanen" (WS 1948/49; 697).
Die Vorlesungstätigkeit 173

dinis, die vielen einzelnen Erkenntnisse am Schluß seines Wirkens zu Gesamtentwür-


fen zusammenzufassen, was ihm aber nicht mehr recht gelingen wollte. Die Ankündi-
gungen zu Piaton, Pascal, Rilke, Dante und Hölderlin, die am Anfang noch dominier-
ten und dann spärlicher wurden, erwecken den Eindruck bloßer Wiederholungen.248
Dagegen läßt der siebenteilige Zyklus über "Grundfragen der Ethik" das Bemühen um
einen umfassenden Zusammenhang erkennen.249 Offenbar versuchte Guardini am
Schluß auch noch einmal einen neuen Anlauf zu einer Art "christlicher Anthropolo-
gie", indem er nach "Struktur und Ethos der christlichen Existenz" oder einfach nach
dem "christlichen Leben" fragte.250

d. Resümee
Mit dem Überblick über die Vorlesungstätigkeit schließt das Kapitel über die methodi-
sche Weichenstellung im Werk Romano Guardinis. Der katholische Glaube wurde hier
zur "Weltanschauung" und somit in ganz spezifischer Weise auf die konkrete Wirk-
lichkeit des Menschen bezogen.
"Im Rückblick sage ich mir, daß ich damals gar nicht erkannt habe, wie wenig ich
für die Aufgabe vorbereitet war, sonst hätte ich es nicht gewagt. Das Gefühl, auf
diese Linie zu gehören, war aber so stark, daß es über alles hinwegtrug, und ich
annahm."251
Diese "Linie" hatte sich früh abgezeichnet. Der Theologe, der schon am Anfang seines
Denkweges von einem tiefen Interesse für das "Leben" geleitet war (vgl. Kapitel II)
und dieses Interesse auch in seinen ersten theologischen "Suchbewegungen" zur
Geltung zu bringen versuchte (vgl. 111,1), hatte seine frühen Absichten nun im Sinne
einer "katholischen H*W/-Anschauung" gebündelt. Der Interpret des "Lebens" fand in
der "Interpretation der Welt"252 einen ihm angemessenen Ort.

248
Vgl. u. a. "Tod und Unsterblichkeit in der platonischen Philosophie" (WS 1948/49; 698); "Einführung
in die geistige Welt Pascals" (SS 1949; 733); "Das Bild des Daseins in R. M. Rilkes Duineser Elegien" (SS
1949; 733); zweiter Teil im WS 1949/50 (734); "Friedrich Hölderlins philosophisch-religiöse Anschauungen"
(WS 1949/50; 734).- Dazwischen liest Guardini über zwei Semester "Religion und Offenbarung. Grundbegriffe
zur Theorie der religiösen Existenz" (WS 1949/50 und SS 1950; 734 und 786).
249
WS 1950/51, SS 1951, WS 1951/52, SS 1952, WS 1952/53, SS 1953, WS 1953/54 (vgl. Mercker,
Bibliographie, Nr. 787, 836, 837, 882, 883, 931, 932). Eine neue Reihe, allerdings nur über vier Semester (SS
1954, WS 1954/55, SS 1955, WS 1955/56), trägt den Titel "Ethik als Lehre von der sittlichen Aufgabe" (992,
993, 1040, 1041). Später noch: "Das sittliche Leben, Teil 1: Die ethischen Grundlagen" (SS 1960; 1364);
"Grundlinien christlicher Ethik" (SS 1962; 1503). Unmittelbar vor Abschluß meines Manuskripts erschien eine
kritische Edition dieser Vorlesungen.
250 vgl. "Struktur und Ethos der chrisüichen Existenz" (SS 1957 bis WS 1958/59; 1181, 1182, 1233,
1234); "Erlösung und Kirche" (SS 1959; 1295); "Christliches Leben: Innerlichkeit, Weltwerk und liturgische
Gestalt" (WS 1959/60; 1296); "Christliches Leben: Kirche und Einzelner" (WS 1960/61; 1365); "Zeit und
Ewigkeit. Grundfragen christlicher Eschatologie" (WS 1961/62; 1444). - Ein Teil der (unvollendeten) Manu-
skripte dazu wurde aus dem Nachlaß herausgegeben unter dem Titel: Die Existenz des Christen (1976); vgl.
dazu das "Vorwort des Autors", ebd., 1.
251
Berichte, 381
252
Vgl. die Festschrift zum 80. Geburtstag: Interpretation der Welt (1965).
I

174 Katholischer Glaube als Weltanschaiung

Weitere Konkretisierungen sollten folgen. Vor allem aber konnte nun die Kultir, die
Guardini immer schon im Blick gehabt hatte (vgl. oben II,2,b,bb; II,3,a,bb; II,3,b) zum
besonderen Thema gläubiger Weltinterpretation werden.
Kapitel IV

Die Konkretisierung:
Der Blick auf die Kultur

Prinzipielle Aussagen sind bei Romano Guardini stets in konkrete Bezüge eingebettet.
So beginnt auch sein Nachdenken über "Kultur" in der Auseinandersetzung mit einer
bestimmten Kultur, nämlich der des beginnenden 20. Jahrhunderts, die durch immer
größere Technisierung und Industrialisierung, sowie durch den Verlust bisheriger
Bildungstraditionen bestimmt ist (vgl. Kapitel 1,2).
Guardinis Reflexionen über diesen konkreten kulturellen Zustand werden daher in
diesem Kapitel an erster Stelle vorgestellt (1). Dann beschäftigen wir uns mit dem
Begriff der Kultur, der von Guardini vorausgesetzt und erörtert wird. Wir werden
dabei vor allem fragen, in welcher Weise "Kultur" in die "Welt" - dem Gegenstand
"katholischer Weltanschauung" (vgl. Kapitel III) - eingeordnet wird (2). Nun kann
auch geklärt werden, in welcher Beziehung diese "Kultur" zum "Christentum" steht;
wir werden dazu vor allem auf einen Beitrag aus dem Jahre 1926 zurückgreifen, in
dem dieses Verhältnis in einem grundsätzlichen Sinne reflektiert wird (3).
Mit dieser Darstellungsweise folge ich weiter der inneren Dynamik im Werk
Guardinis selbst, das - begleitet durch die Gegensatzreflexionen (Kapitel 11,2) und
kulturkritischen Stellungnahmen (Kapitel IV, 1) - von den Beiträgen zu Liturgie und
Kirche (Kapitel 11,3) über die Frage nach dem "Wesen katholischer Weltanschauung"
(Kapitel 111,2) nun zu einer Verhältnisbestimmung von Glaube und Kultur gelangt,
von der dann auch die weiteren Bemühungen ihren Ausgang nehmen können.

1. Der Zustand der Kultur

Selbstverständliche Voraussetzung der frühen kulturkritischen Äußerungen Guardinis


ist die Erfahrung, daß die bisherige Gestalt der "Kultur" in eine schwere Krise geraten
ist und einer radikalen Erneuerung bedarf. Diese Überzeugung teilt Guardini mit den
unterschiedlichsten geistigen Strömungen seiner Zeit, die je auf ihre Weise Alter-
nativen zum Bisherigen anzubieten und ein neues "Kulturideal" an die Stelle des alten
176 Der Blick auf die Kultur

zu setzen versuchen (vgl. Kapitel 1,2). Dabei kommen auch bei ihm Maßstäbe aus
vergangenen Kulturen ins Spiel.

a. Der Maßstab des Mittelalters


Die erste Veröffentlichung Romano Guardinis, die noch in die Tübinger Studenten-
zeit fällt (1907), bezieht sich auf eine große Gestalt der beginnenden Neuzeit: Mi-
chelangelo.1 Es handelt sich um eine Auswahl von Gedichten und Briefen seines
italienischen Landsmanns, die Guardini selbst übersetzt und mit einem Vorwort ver-
sehen hat.2 Die Interpretation Michelangelos, die er dabei vornimmt, klingt an die
eben erst überwundenen inneren Spannungen in ihm selbst an:
"Er war, zumal in reiferem Alter, stets mit sich allein, stets ein Mensch, der ein-
sam mit der eigenen Seele zu ringen, sein edleres Selbst gegen Leidenschaften
zu behaupten hatte, deren Wucht seine Schöpfungen ahnen lassen; und so ließen
ihn die Spannungen in seinem Innern nicht zur Ruhe dessen kommen, der ein
Geschautes schildert."3
Die Hauptthese Guardinis jedoch, die für die spätere Sichtweise der Renaissance-
Epoche bestimmend bleiben wird, zielt auf die subjektivistische Grundtendenz Mi-
chelangelos:
"Er wußte in seinen Dichtungen fast nur unmittelbar von sich zu sprechen oder
sehnsüchtig die Menschen anzuschauen, anzurufen, in denen er den Frieden und
die Schönheit zu sehen glaubte ... Michelangelos eigene ringende Seele, mehr
enthalten seine Dichtungen nicht."4.
Die Kultur der Renaissance beschäftigte Guardini weiter, vor allem als der Eugen-
Diederichs-Verlag in Jena ab 1910 eine Quellensammlung aus dieser Epoche heraus-
zugeben begann.5 In seiner ausführlichen Besprechung aus dem Jahre 19116 bemerkte
er:
"Die Renaissance war es, die die Aufmerksamkeit der Schauenden und der
Handelnden auf allen Gebieten vom geschlossenen Ganzen zu den Teilen, zur
Vielheit des Einzelnen führte; vom Allgemeinen zum Mannigfaltig-Individuel-
len; vom Bleibenden zu Wechsel und Veränderung; vom Absoluten zum Relati-
ven. Nicht nur das. Während bisher die großen objektiven religiösen und sittli-

1
Vgl. Michelangelo. Gedichte und Briefe. In Auswahl hg. (u. übers.) von R. A. Guardini, Berlin 1907 («
Das Museum 8). Im Tübinger Freundeskreis spielte die Beschäftigung mit der Kunst eine wichtige Rolle;
neben Michelangelo scheint sich Guardini auch mit Raffael beschäftigt zu haben; vgl. Gerl, Guardini, 53.
2
Vgl. Michelangelo, V-VIII.
* Michelangelo, V.
4
Michelangelo, VI
5
Das Zeitalter der Renaissance, ausgewählte Quellen zur Geschichte der italienischen Kultur, hg. v. Marie
Herzfeld. Die ersten beiden Bände dieser Reihe, die Guardini vorlagen, waren: Francesco Matarazzo, Chronik
von Perugia, übers, u. eingel. v. Marie Herzfeld, Jena 1910; Francesco Petrarca, Brief an die Nachwelt.
Gespräche über die Weltverachtung. Von seiner und anderer Leute Unwissenheit, übers, u. eingel. v.
Hermann Hefele, Jena 1910.
6
Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance (1911).
Der Maßstab des Mittelalters 177

chen Ideen das Denken und Handeln beherrscht hatten, richtete das Interesse
sich jetzt allmählich auf das Menschliche, auf seine mannigfaltigen Bedingthei-
ten, auf das Subjektive, und zwar mit natürlicher Folgerichtigkeit immer schär-
fer auf die jeweilig eigene Menschlichkeit, das Persönlich-Subjektive."7
Diese Epoche habe viel Wertvolles gebracht; jedoch sei in der Gegenwart gerade die
entgegengesetzte Tendenz festzustellen, nämlich eine "Sehnsucht nach dem Überper-
sönlichen, Objektiven, Absolutgültigen"8. Zwar suche man wieder nach einer neuen
"Klassik", nach "Gestaltungen in Kunst und Wirklichkeit, in denen unser Leben seine
ganze, starke und ruhevolle Aussprache fände"9; aber schon ein Blick auf die
Maschine und "ihre Schwester, die eiserne Arbeit", zeige, wie wenig die Renaissan-
cekultur damit noch zu vereinbaren sei.10
Guardini konnte also nicht der Erwartung beipflichten, die Renaissance sei das
geeignete "Kulturideal" für die Gegenwart.11 Eine größere Nähe hatte da für ihn
schon - gerade aufgrund ihrer Zersplitterung und ihrer Skepsis - die Zeit des Helle-
nismus und des römischen Kaisertums. Auf sie sei nämlich das Mittelalter gefolgt -
"jene Jahrhunderte gewaltiger Leistungen, gewaltiger Einheiten", die mit den techni-
schen Leistungen, an denen die Gegenwart arbeite, aufs engste verwandt seien.
Guardini konstatierte sogar eine "tiefe Verwandtschaft zwischen Eisen und Beton und
romanischen Bauten"12 und rief emphatisch aus:
"Das Mittelalter ist die modernste Zeit, mehr, es ist unsere Zukunft."13
Diese Vision, so anfechtbar sie auch sein mag, macht zumindest deutlich, daß es
Guardini nicht um ein romantisches Zurück zum Vergangenen ging, sondern um das
entschlossene Ergreifen der Gegenwart, um die Suche nach einem neuen, nach
"unserem Mittelalter",14 das den technischen Errungenschaften Rechnung trug.
"Vom Entstehen des ersten (sc. Mittelalters; A. K.) aber könnten wir lernen, die
Welt wieder nicht mit den kleinen, verschleierten Augen unserer Subjektivität,
sondern mit dem Blick der Dinge selbst, Gottes, zu sehen. Könnten uns wieder
nach der Enge und Ängstlichkeit der 'kritischen' Zeit die große, so tiefschauende
Naivität des objektiven Auges, die Kraft der großen ungebrochenen Bejahung
erringen, die für viele verlorenen Ideale der Heiligkeit, der Wahrheit, der Herr-
lichkeit des Reiches Gottes wiederfinden."15
Immer wieder forderte zu Guardini zu einer solchen Bejahung des Objektiven auf.16
Hoffnungsvoll sah er dabei auf die Veränderungen innerhalb der Jugendbewegung,
die nach einer "subjektiven" Anfangsphase nun seiner Meinung nach zu einer

' Renaissance, 886.


8
Renaissance, 888; vgl. das Zitat unter II,3,b,aa.
9
Renaissance, 889.
10
Vgl. Renaissance, 890.
11
Vgl. Renaissance, 885.
12
Renaissance, 891.
13
Renaissance, 890.
14
Vgl. Renaissance, 8901
15
Vgl. Renaissance, 891.
16
Dies geschah vor allem in den Überlegungen zu Autorität und Gehorsam (siehe dazu Kap. II,3,b,aa),
aber auch zur Bedeutung der Liturgie ftlr den gegenwärtigen Menschen (siehe dazu II,3,a). Zur religiösen
Grundentscheidung Guardinis siehe II,I,c.
178 Der Blick auf die Kultur

"wesenhaften Haltung" durchzustoßen begann.17 Jede "Kulturarbeit" brauche die


"Zucht des Gegenständlichen";18 denn:
"Immer sehen wir Subjektives und Objektives verbunden: persönliches Schaffen
und gegenständlichen Wert; persönliches Erleben und allgemein gültige Idee.
Eins braucht das andere; das erste ist Wärme, Blut, Leben, leibhafte Wirklich-
keit, das andere Sinn, Klarheit, Zucht und Ziel."19
Guardini verfiel also in seiner Abkehr vom Subjektivismus nicht einfach in einen
extremen Objektivismus; sondern er strebte, ganz auf der Linie seiner Gegensatzlehre,
nach einem ausgewogeneren Verhältnis beider "Pole", wobei der Objektivität freilich
ein "Ordnungsprimat" eingeräumt wurde.20 Es war seiner Ansicht nach gerade die
Aufgabe der Jugendbewegung, "Ursprünglichkeit des Erlebens, Kraft der Persönlich-
keit, Eigenheit des Gefühls mit Zucht und Gehorsam gegen das Gegenständliche zu
verbinden."21
Die Ausrichtung auf das Mittelalter, die natürlich in der Beschäftigung mit dem
Werk Bonaventuras noch verstärkt wurde (vgl. dazu in Kapitel III,l,a), erhielt durch
eine weitere Veröffentlichung des Diederichs-Verlags neue Akzente. Nach dem
Ersten Weltkrieg erschienen dort unter dem Titel "Thule" eine Reihe altnorwegischer
und altisländischer Quellentexte22 - Zeichen einer gewandelten Stimmungslage, zu
der "germanisches" Kulturgut besser zu passen schien als die auf antike Grundlagen
zurückgehende Renaissance. Guardini spitzte seine Besprechung dieser Schriften
(1920) wieder auf die Frage zu, welches Kulturideal das für die gegenwärtige Situa-
tion angemessene sei: "Thule oder Hellas? Klassische oder Deutsche Bildung?"23
Zunächst begrüßte Guardini das Veröffentlichte als ein "prachtvoll eigenartiges
Stück werdendes 'Mittelalter'"24 und stellte es in den Zusammenhang des Strebens
nach einem "neuen" Mittelalter, das er selbst befürwortete.25 Er bejahte die These,
daß das "klassisch-humanistische Bildungsideal" der Vergangenheit angehöre, wenn
auch noch kein anderes an seine Stelle getreten sei. Weder das naturwissenschaftliche
Bildungsideal noch jenes neuere, das weniger auf Wissen als vielmehr auf Tun
gerichtet sein sollte - Guardini hatte hier wohl die reformpädagogischen Ansätze im
Umkreis der Jugendbewegung im Blick (vgl. oben Kapitel I,2,a,bb) - erreichten eine
ähnliche Höhe wie jenes. Einiges spräche daher dafür, daß die klassisch-humanisti-
sche Bildung, die ihre Normen aus der griechisch-römischen Antike genommen habe,

17
Vgl. LB 71 [88].
18
Vgl. Neue Jugend, 30.
19
Neue Jugend, 31; ausdrücklich werden hier Erkenntnis, Recht und Sitte als Beispiele angeführt.
20
Zu diesem Ordnungsprimat vgl. oben Kapitel 11,2 u. ö.; für den Bereich der Liturgie vgl. LB 69 [971].
21
LB 721 [891]
22
Thule. Altnordische Dichtung und Prosa, hg. v. Felix Niedner, Jena 1914-1930 (25 Bde.).
23
So der Titel des Beitrags; vgl. Thule. Der Aufsatz erschien in der Zeitschrift "Der Wächter" unter einem
Pseudonym ("Anton Wächter"), läßt sich jedoch durch den Hinweis auf den Renaissance-Aufsatz (vgl. Anm.
1, 69) eindeutig Guardini zuweisen. - Zu diesem Aufsatz vgl. auch den Hinweis bei: Schlette, Guardini
1973/1985, lOf.
24
Thule, 69.
25
Vgl. Thule, 69-71.- Unter anderem verweist Guardini auf Karl Scheffler, der in seinem Buch über den
"Geist der Gotik" (Leipzig 1917) neben die Abbildungen der alten Kathedralen die modernen Kornspeicher
und Fabriken stelle (vgl. Thule, 70); s. u.
Der Maßstab des Mittelalters 179

nun durch eine solche "aus dem Herzen des eigenen Kulturerbes" ersetzt werden
könne.26 So stelle sich die Frage:
"Könnte diese emporgehobene deutsche Kultur der Vergangenheit ihre zukunft-
schaffende Kraft z. B. dadurch beweisen, daß sich aus ihr und mit ihr die Jugend
wahrhaft bilden ließe?"27
Die Antwort auf diese Frage macht deutlich, wie sehr auch Guardini von den huma-
nistischen Idealen des deutschen Bildungsbürgertums geprägt war, wie ihm diese
Prägung aber gleichzeitig half, den Übersteigerungen einer neuen "völkischen" Ideo-
logie standzuhalten. Es sei auf keinen Fall zu akzeptieren, meinte er, "daß die Antike
aus dem Bildungsbereich der Jugend ausgeschlossen und diese lediglich an deut-
schem Kulturgut gebildet werde"28. Germanischer Lebensform und Werkgestalt fehle
nämlich vor allem der Charakter des "Klassischen", der in der griechisch-römischen
Kultur bisher am vollkommensten gegeben sei. Während germanische Gestaltung
ungleich tiefer im Irrationalen wurzle, "sei es nun in Wille und Tat oder in der Sehn-
sucht und den schöpferischen Tiefen des Gemütes"29, sei klassische Kultur "voll
ruhiger, weil aus vernünftiger Ordnung erwachsender Sicherheit"30, wie Guardini vor
allem für den Bereich der Kunst aufzeigt.31 Es scheine ihm daher auch, daß sich
klassische Kultur besser zur methodischen Behandlung eigne wie die germanische.32
Einen weiteren Gesichtspunkt steuerte die Einsicht bei, daß wahre Kultur sowohl
"subjektiv" wie "objektiv" sei.33 Dies habe auch seine Bedeutung für die "Subjektivi-
tät" eines bestimmten Volkes. Tiefster Sinn einer Kultur sei ja gerade der, "daß ein
Menschenwerk sich aus konkreten historisch-völkischen Vorbedingungen ins ideell
und menschlich Allgemeingültige erhebt"34. Daraus ergebe sich aber die "Idee eines
aus dem Bereich des Einzelvolkes in den Besitz der Menschheit übergehenden
Gesamterbes"35, das ein bestimmtes Volk auch künftig nicht mehr einfach abschütteln
könne.
"Vielmehr besteht gerade das höchste Problem wirklich souveräner und durch
keine Parteilichkeit befangener Kulturpädagogik darin, wie ein Volk zu lehren
sei, frei die eigene Art zu entfalten und doch zugleich das Erbe der Vergangen-
heit neu zu erringen und am gemeinsamen Werk mitzuschaffen."36
Gerade in der Verknüpfung deutscher Kultur mit der griechisch-römischen sah Guar-
dini daher alles andere als nur ein geschichtliches "Verhängnis". "Es war das Verlan-
gen nach der beruhigenden, klärenden, befreienden Wirkung der Form."37 In der
Zukunft auf "deutsche" Bildung allein zu setzen, wäre nicht nur ein Rückfall, sondern

26
Vgl. Thule, 72.
27
Thule, 71 (im Original gesperrt).
28
Thule, 73 (im Original gesperrt).
29
Thule, 74.
30
Thule, 73.
31
Vgl. Thule, 74.
32
Vgl. Thule, 75.
33
Vgl. Thule, 75.
34
Thule, 75.
35
Thule, 75 (im Original gesperrt)
36
Thule, 76.
37
Thule, 76.
180 Der Blick auf die Kultur

würde auch angesichts des eben erst beendeten Krieges bei den anderen Völkern auf
großes Unverständnis stoßen.38 "Eine wunderreiche Kultur von kraftvollster und
zugleich zartester Prägung wäre in der Welt, aber geistig isoliert wie ein Irrblock in
der Heide."39 Vielleicht war es gerade diese behutsame Kritik an einer zu einseitig
"deutsch" geprägten Kultur, die den gebürtigen Italiener Guardini dazu veranlaßte,
den genannten Beitrag unter einem Pseudonym zu veröffentlichen.40
Ein letzter Aspekt hat nach Guardini vor allem für die Kirche Gültigkeit, die ja von
ihrer eigenen Geschichte her ganz eng mit der antiken Kultur verbunden sei. Eine rein
germanische Kultur müßte "auf den Zusammenhang mit der Kirche einen verhängnis-
vollen, lockernden Einfluß haben".41 Guardini sah bereits als Konsequenz die Forde-
rung nach einer "deutschen Religion", in der Religion zur bloßen "religiös-metaphysi-
schen Sublimierung des natürlichen Volks-, Welt- und Lebensgefühls"42 degradiert
wäre. Hier ist die Stelle, an der Guardini, wie bereits in der Besprechung seiner
ekklesiologischen Beiträge angeführt, von der weltumfassenden Weite und befreien-
den Objektivität der Kirche spricht und darin auch für die deutsche Kultur eine
"gesund-haltende, klar-machende Kraft" erkennt.43 Thule und Hellas! - so lautet die
Forderung am Ende des Beitrags.44
Das Festhalten an der Antike, sowie die Vorsicht gegenüber allen Übersteigerungen
"germanischer" Kulturträume war wohl durch das romanische Erbe mitbedingt, das
Guardini aus Italien mitbrachte und dem er sich zeitlebens - trotz seiner Sympathie
für das "Nordische"45 und für das "Gotische"46 - verpflichtet wußte. Verstärkt wurde
es durch den befreundeten Philosophen Paul Ludwig Landsberg, der 1922 eine

38
Vgl. Thule, 761
39
Thule, 77.
40
Siehe dazu oben Anm. 23.
41
Thule, 771 (im Original gesperrt).
42
Thule, 78 (im Original gesperrt).- Guardini belegt dies mit Zitaten aus einem Aufsatz von Otger Gräff,
dem Fuhrer des "Jungdeutschen Bundes" unter dem Titel "Vom deutschen Glauben" (in: Freideutsche Jugend
4. Jg., Heft 4/5) (vgl. Thule, Anm. 1, 78). Dazu: Laqueur, Jugendbewegung, 120-122; Schlette, Guardini
1973/1985, 10.
43
Vgl. Thule, 78. - Guardini ist zutiefst beunruhigt darüber, wie wenig "auf unserer Seite" - gemeint ist
wohl auf der katholischen - "diese Anzeichen tiefer innerer Gärung und neuen Werdens beachtet werden"
(ebd.).
44
1921 stellt Guardini fest, Kultur werde erst da gebildet, wo drängende Fülle und Klarheit schaffende
Form verbunden seien (vgl. die Gegensatzlehre!); diese Verbindung schaffe aber gerade eine katholische
Haltung! (Sendung, 173).
45
Vgl. Europa, 12-15; Thule, 14; Wirklichkeit und Aufgabe, 2381 Guardini sieht den merkwürdigen
Drang nach dem "Norden" auch in seinem Namen angedeutet, den er auf das germanische "Wardein" zurück-
führt (vgl. Europa, 12); daher auch das Pseudonym "Anton Wächter" etwa in dem Beitrag "Thule oder
Hellas"! Das eindrucksvollste Denkmal dieser inneren Verbundenheit ist sicher die 1932 erschienene
Interpretation von Wilhelm Raabes "Stopfkuchen", in der "die unklassische, unharmonische, rätselhafte
Ornamentik des Nordens aus innerster Verwandtschaft geschildert wird" (Maier, Nachwort, 148; vgl. Guardi-
ni, Stopfkuchen (1962 dann abgedruckt in: Sprache, Dichtung, Deutung). Zum inneren Konflikt des jungen
Guardini vgl. bereits oben in Kap. II,l,a.
46
Vgl. Thule, 69. - Guardini verweist v. a. auf: K. Scheffler, Vom Geist der Gotik, Leipzig 1917;
W. Worringer, Formprobleme der Gotik, München 1911 (vgl. Thule, Anm. 2-4, 69). Guardini grenzte sich
jedoch bewußt von der "schwächlichen, gekünstelten" Neugotik der unmittelbaren Vergangenheit ab.
Der Maßstab des Mittelalters 181

Betrachtung unter dem Titel "Die Welt des Mittelalters und wir" vorlegte.47 Der
Schüler Schelers orientierte sich allerdings nicht an der Gotik, sondern an der Roma-
nik48 und betonte überhaupt die antiken Wurzeln des Mittelalters, die zur Idee des
"Ordo" führten:
"Die zentrale Ansicht, von der aus Denken, Weltanschauen und Philosophie des
Mittelalters verständlich werden, ist die, dass die Welt ein Kosmos sei, dass sie
ein sinnvoll und ziervoll geordnetes Ganzes sei, das sich ruhig bewege nach
ewigen Gesetzen und Ordnungen, die, aus Gott ersten Anfanges entsprungen,
auch auf Gott letzten Endes Beziehung hätten."49
Anders als Guardini schenkte Landsberg dem "Germanischen" keine große Beach-
tung, sondern sah in der Synthese von Antike und Christentum das Wesen des Mittel-
alters, verkörpert vor allem in Dante und Thomas von Aquin.50 Auch die Renaissance
sah er positiver als Guardini, denn er sah in ihr nicht eigentlich den Anbruch der
Neuzeit (wie Guardini dies im Anschluß an Jakob Burckhardt tat51), sondern eher die
"Endblüte und Nachblüte des Mittelalters". "In der 'Renaissance' geht das Mittelalter
auf seine antiken Quellen, besonders also auf Plato zurück, und wird dadurch wieder
lebendiger und froher, im vollen Sinne des Wortes 'katholischer'."52 Ja, es sei ein
Verhängnis gewesen, daß die Fortentwicklung des Katholizismus "nicht durch die
katholische Renaissance, sondern durch die Gegenreformation bestimmt worden
sei."53
Der Ordo-Gedanke spielte auch bei Guardini eine wichtige Rolle und wurde von
ihm ebenfalls, wie wir gesehen haben, auf antike Wurzeln zurückgeführt. Doch die
Gegensatzphilosophie hatte deutlich zum Ausdruck gebracht, daß "Ordnung" nicht
gegenüber dem "Leben" zur Geltung zu bringen war, sondern im "Leben" selbst als
"Form" den lebendigen Gegenpol zur strömenden "Fülle" bildete.54 Damit mußte
auch das "Form"-ideal der Antike mit jener "Fülle" in lebendige Spannungseinheit
treten, die gerade als das Kennzeichen des "Germanischen" im Mittelalter erschien.55
Es war dieses "Germanische", um dessentwillen für Guardini nicht die Renaissance

47
Vgl. Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphiiosophischer Versuch über den
Sinn des Zeitalters (1922). Guardini meinte zu diesem Buch: "Es ist in den letzten Jahren nicht viel erschie-
nen, das ich dieser Schrift an die Seite setzen möchte" (Anselm, Anm. 1, 45). Vgl. auch oben in Kap. I,2,c.
48
Vgl. Landsberg, Mittelalter, 57.
49
Landsberg, Mittelalter, 12. - Ausdrücklich bezieht sich Landsberg hier auf Guardini und dessen These
vom "Primat des Logos vor dem Ethos" (vgl. ebd., 30, sowie 1171; Guardini, Liturgie, 88-99).
50
Vgl. Landsberg, Mittelalter, 50-65. - Landsberg bewundert den Aquinaten, auch wenn er etwa dessen
Gottesbeweise und anderes von ihm nicht übernehmen kann; "...niemandem kann es ferner liegen, als Scheler
und seinen Schülern, die Würde eines Heiligen und eines Werkes zu leugnen, die in sich eine ganze Welt ver-
körpern. Auch wenn wir Thomas und die wenigen echten unter seinen Folgern zu widerlegen suchen, so
geschieht es 'auf den Knien unseres Herzens'" (ebd., 65).
51
Vgl. Jakob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Basel 1860 [recte 1859]. Siehe die Aus-
einandersetzung mit Burckhardt bei Landsberg, Mittelalter, 89-100.
52
Landsberg, Mittelalter, 94.
53
Landsberg, Mittelalter, 95.
54
"Lebend erfahren wir uns als Fülle, plastische wie dynamische; und erfahren uns als Form, von Bau wie
von Akt. Eines und das andere" (Gegensatz, 152).
55
Dieselbe Polarität findet sich ja auch in den Schriften zur Liturgie, wenn Guardini den "subjektiven"
Formen der "Volksfrömmigkeit" ein Recht gegenüber der "objektiven" Strenge der liturgischen Formen
einräumt. Siehe dazu auch unter Kap. II,3,a.cc.
182 Der Blick auf die Kultur

und nicht der "Neuhumanismus" des 19. Jahrhunderts die vollkommenste Ausprägung
des "klassischen Geistes"56 darstellen, sondern das Mittelalter. In der Renaissance sei
dagegen die Subjektivität "selbstherrlich" übersteigert worden; die objektiven
Ordnungen hätten sich aufgelöst.57
Demgegenüber trete in der gegenwärtigen Jugendbewegung der Sinn für das
"Objektive", das "Konkrete", die Gemeinschaft und das Symbol wieder hervor -
Dinge, die seit dem Ende des Mittelalters vernachlässigt worden seien.58 Guardini
begrüßte, daß man sich neu an der Grundhaltung des Mittelalters zu orientieren
begann, wobei er freilich (übrigens unter Berufung auf Landsberg) deutlich vor
"romantischer" Mittelalterschwärmerei warnt:
"Wir wollen nicht zum Mittelalter zurück; wir wollen unsere Gegenwart und
unsere Zukunft. Aber wir verlangen danach, daß jene Kräfte, davon das Mittel-
alter so bildmächtig war, nun wieder erwachen, freilich in unserer Zeit und für
uns Heutige. Und was uns trotz aller Zerstörung vertrauen läßt, ist, daß sie wirk-
lich sich zu regen beginnen."59
An dieser Stelle fallen auch die ersten Aussagen zum "Ende der Neuzeit": "Die Neu-
zeit ist vorbei - wir hoffen, sie ist's!"60, ruft Guardini aus und formuliert damit bereits
im Jahre 1923 die These, die 1950 ausführlicher entwickelt wird (vgl. Kapitel VI,3,a).
Doch die Hoffnung auf ein neues "Mittelalter" wird zutiefst durch ein Phänomen in
Frage gestellt, das seit dem 19. Jahrhundert unaufhaltsam seinen Siegeszug angetreten
hat: Es handelt sich um die moderne Technik, sofern man diese nicht nur ästhetisch
betrachtet - wie Guardini es in seinen frühen Schriften getan hat (s. o.) -, sondern von
ihren Wirkungen auf den Menschen her.

56
So der Titel eines kleinen Beitrags aus dem Jahr 1924, in dem Guardini den originellen Versuch
unternahm, Goethe und Thomas von Aquin nebeneinanderzustellen und beide als Verkörperungen des
"klassischen Geistes" zu deuten. Bereits anläßlich der von ihm vorgelegten Übersetzung des Tagebuchs von
Lucie Christine (1921) verwendete Guardini aber den Begriff der "Klassik" im Sinne eines allgemeinen
Grundzugs; Lucie Christines "klassische Mystik" sei zu vergleichen mit dem Geist des hl. Benedikt und mit
der Denkhaltung Thomas von Aquins, aber auch mit Goethe: "Diese Frau schaut in die Religion mit dem glei-
chen, weiten, ruhevollen Blick, mit welchem Goethe in die Natur sah" (XII; Guardini gibt hier die Aussage
eines "lieben Freundes" wieder).
57
Vgl. LB 69 [86].- An dieser Stelle verweist Guardini ausdrücklich auf Landsberg (vgl. Anm. 1 [Aitm.
62] ebd.).
58
Vgl. Anselm, 44-49; Sinn der Kirche, 19-34; LB 26-32 [39-45] u. ö.
59
LB 13 [26]; vgl. auch ebd., Anm. 3, 70 [Anm. 65, 87] und Anm. 2, 52 [Anm. 43, 671], hier wieder nnit
Bezug auf Landsberg). - Landsberg betont deutlich, daß ihm "nichts ferner liegt als der Vorschlag einer
unmöglichen und unerfreulichen 'Rückkehr' zum Mittelalter. Wir können nur da von einem anderen Zeitaliter
lernen, wo es mehr ist als es selbst, wo es in das Ewige ragt" (Mittelalter, 12).
60
LB 26 (von mir hervorgehoben) [39; hier - nach Erscheinen des Buches über das "Ende der Neuzeit" -
ist "Neuzeit" in Anführungszeichen gesetzt und der Zusatz "wir hoffen, sie ist's" weggelassen!].
Die Herausforderung durch die Technik 183

b. Die Herausforderung des Menschen durch die Technik

aa. Wehmut und Abscheu


Auch der katholische "Quickborn" partizipierte selbstverständlich an den kulturkri-
tischen Positionen der allgemeinen deutschen Jugendbewegung. Gerade in ihnen sah
Guardini einen zukunftsweisenden Beitrag, während er die emanzipatorischen Forde-
rungen vom Hohen Meißner eher als Nachhall vergangener ("neuzeitlicher") Einsei-
tigkeiten betrachtete.
"Leben und Schaffen der letzten Jahrzehnte war arm an Seele: Rechnung,
Betrieb, Maschine bestimmten alles. ... Bis das eintrat, was immer geschieht,
wenn eine bestimmt geartete Kultur längere Zeit hindurch geherrscht hat: unter
den beharrenden Formen wuchsen die Menschen hinweg ... Da wurde zuerst die
Jugend sich bewußt: 'Wir sind anders, als was uns umgibt. Wir wollen aber sein,
wie wir sind, und leben, wie es unserer Art entspricht!' Und um sich selbst zu
finden und der neuen, erst nur dunkel geahnten Lebensmöglichkeiten mächtig zu
werden, schlug sie, von wesenhaftem Spürsinn geleitet, die Gegenrichtung zum
Lauf der in Stadt, Fabrik, Schreibstube erstarrten Zeit ein: sie ging in die Natur,
begann das Wandern ... Ein neuer Geist lebt in ihnen, ein lebendiger, allem
Erstarrten feind ... Ein anderes Daseinsgefühl ist's; eine andere, schier im Blut
liegende Art, Welt und Menschen entgegenzutreten ..."61
Guardini wies allerdings immer wieder daraufhin, daß die Jugendbewegung nicht nur
in einer /Va/urromantik steckenbleiben dürfe, sondern auch ihren Beitrag zur Schaf-
fung einer neuen Kultur leisten müsse.62 In diesem Sinne versuchte er, den Quickborn
zu einer "KWfwrbewcgung" umzugestalten (vgl. dazu Kapitel I,3,b,bb); dazu gehört
auch das Bemühen, die "kulturelle" Außengestalt von Liturgie und Kirche hervorzu-
heben, und für die liturgische Bildung von den elementaren Wirklichkeiten menschli-
chen Lebens ("Leib", "Ding", "Gemeinschaft") auszugehen. Guardini erlag freilich
keineswegs der Illusion, der "Sieg" des "Katholischen" stehe schon fest. Hellsichtig
ahnte er, daß auch mit der ernsthaften Konkurrenz eines neuen "Heidentums" zu
rechnen war.63
Daß es aber mit Zivilisationsflucht allein noch nicht getan war, erkannte auch Guar-
dini erst nach einem längerem Ringen, das in den "Briefen vom Corner See" ein-
drucksvoll dokumentiert ist.64 Diese wurden erstmals zwischen 1924 und 1925 in
den "Schildgenossen" veröffentlicht, waren also an die Kreise der "Älteren" gerichtet,
die vom "Geist" der Jugendbewegung geprägt worden waren; 1927 wurden sie als

bl
Neue Jugend, 61
62
Vgl. etwa Neue Jugend, 14; Quickborn, 109-111, sowie (als Beispiele für Kulturformen der "neuen
Jugend" selbst) 99-101.
63
Vgl. bes. LB 27-30 [40-43].
64
Vgl. Briefe, 7 (Vorbemerkung 1927): "Zwischen dem ersten und dem letzten liegt ein Weg; auf diesem
Wege hat sich dem Schreibenden manches geklärt, geweitet und auch gewandelt. Es hätte nahe gelegen, die
ganze Reihe aus der gewonnenen letzten Sicht heraus nachzuformen. Allein in den Briefen ist es nicht nur
um kulturphilosophische Dinge gegangen. So schien es erlaubt und recht, sie gerade als das stehen zu lassen,
was sie sind, Zeugnisse eines Weges samt allem, was darin unzulänglich, ja falsch gesehen war. Vielleicht
sind sie so manch einem willkommen, der auch 'zwischen den Zeiten' geht"
184 Der Blick auf die Kultur

gesonderte Buchveröffentlichung vorgelegt.65 Zwei Reisen in sein Herkunftsland


Italien, vor allem der zweite Aufenthalt im September 192366 - also nach dem ersten
Berliner Semester - gaben den Anstoß. Die Briefe waren, obwohl von vornherein für
eine breitere Öffentlichkeit bestimmt, an einen konkreten Adressaten gerichtet, näm-
lich an Guardinis langjährigen Freund Josef Weiger.61 Die in einem Gespräch mit ihm
aufgetauchte Frage, die Guardini offenbar immer drängender in sich spürte und die
ihm nach eigenen Worten in Italien "ganz schwer" wurde,68 bezog sich auf das "große
Sterben", das mit dem Durchbruch der modernen Technik begonnen habe: "Sieh, was
droben im Norden schon fast vollendet ist, sah ich hier anheben. Ich sah die Maschine
in ein Land einbrechen, das bisher Kultur gehabt."69 Diese Frage lautete,
"ob in all dem, was geschieht, von vollem Menschenwesen und vollem Men-
schenwerk getragenes Leben möglich sei."70
Die Gegend um den Comer See, in der Manzonis klassisch-romantischer Roman "Die
Verlobten" spielte, in der damals noch eine von der Technik unberührte bäuerliche
Landschaft zu finden war und in der sich die Villen und Parks harmonisch mit der
Natur verbanden,71 diente Guardini offenbar dazu, Maßstäbe zur Beurteilung dessen
zu finden, was er nach seiner Übersiedlung nach Berlin sozusagen vor der Haustür
tagtäglich um sich hatte.72 Er suchte das noch unverdorbene "Südliche", "Klassi-
sche",1* um zu empfinden, was die moderne Technik alles verändert hatte. Als
typisch für diese Sondierungen erscheint etwa Guardinis Betrachtung eines Segelboo-
tes - als Beispiel für eine "Kultur", die noch in harmonischer Einheit mit der "Natur"
verbleibt:
"Der Mensch ist nicht mehr so hineingegeben in den Bereich von Wind und
Wasser, wie Vogel und Fisch. Schon ist das dionysische Hingegebenscin abge-
formt ... Der Mensch hat sich bereits von der Natur entfernt. Er hat verzichtet;

65
Zit.: Briefe (1927). Der ursprüngliche Titel lautete: "Briefe aus Italien". Die ersten zwei Briefe
erschienen in den "Schüdgenossen" im Mai 1924 (vgl. 4 [1923/24], 335-342).
66
Vgl. Briefe, 8 (hier erwähnt Guardini zwei Reisen; die erste habe nach zwanzigjähriger Abwesenheit
von Italien stattgefunden); Herwegen 38 (4. 9. 1923), 253 (hier teilt Guardini eine unmittelbar bevorstehende
Reise nach Italien mit); Herwegen 39 (vor Weihnachten 1923), 254 (hier blickt er auf die Reise zurück und
kündigt eine Reihe von Briefen über das "Südliche", "Klassische" an, die das beschreiben sollen, was ihm in
Italien klar geworden ist).
67
Vgl. die Widmung der Buchausgabe: "Josef Weiger zu eigen". Ferner den Beginn der Ausführungen:
"Wir haben so viel bedacht all die langen Jahre her. Du weißt, was hinter so manchem Worte steht; das wird
mir helfen" (ebd.). Im Juli 1925 schreibt Guardini, es seien nun fast zwei Jahre her, "seit ich Dir den ersten
Brief vom Comer See schrieb" (ebd., 69), so wird es wahrscheinlich, daß der Beginn der Korrespondenz in
den September 1923 fiel.
68
Vgl. Briefe, 8.
69
Briefe, 9.
70
Briefe, 69.
71
Vgl. den Hinweis bei: Dirks, Vorwort (zu: Guardini, Die Technik und der Mensch), 8.
72
Die Reise nach Italien, die den Anstoß zu den "Briefen" gab, fand unmittelbar nach dem ersten Berliner
Semester statt; sie erscheint wie eine Analogie zur Naturbegeisterung der Jugend, freilich in der Guardini
gemäßeren Form - nämlich in der Hinkehr zur klassischen Harmonie von Natur und Kultur.
73
Hierzu ist zu beachten, wie Guardini Herwegen gegenüber die Veröffentlichung der "Briefe aus Italien"
ankündigt: "Demnächst möchte ich in einigen 'Briefen' darin (sc. in den 'Schildgenossen') über das 'Südliche',
Klassische sprechen. Mir ist in Italien vieles klar geworden. Nicht der Menge nach viel, denn ich bin über den
Comer See kaum weggekommen. Aber es war mir wichtig für die Erkenntnis dessen, was 'Südlich' und
'Klassisch' heißt" (vgl. Herwegen 38, 253; siehe oben Anm. 10).
Die Herausforderung durch die Technik 185

Fäden sind zerschnitten; er hat 'überwunden'. Das Naturverhältnis ist kühler und
fremder geworden. Nur so konnte Kultur, Geisteswerk geschaffen werden. Aber
nicht wahr, Du spürst doch, wie naturnahe dies Werk bleibt? Die Linien des
Bootes und seine Maßverhältnisse bleiben in einem tiefen Einklang mit Wellen-
und Winddruck und mit dem lebendigen Maß des Menschen. Und der das Boot
regiert, bleibt mit Wogen und Wind in ganz enger Verbundenheit. Er steht brust-
nahe gegen ihre Gewalt. Auge und Hand sind ihm hingespannt. Wirkliche
Kultur, Erhebung über die Natur, und doch in entscheidender Weise natur-
nahe."74
Ganz anders, wenn nun plötzlich ein Benzinmotor in das Segelboot eingebaut werde,
oder wenn gar aus dem Segelschiff der Ozeandampfer geworden sei; hier gehe "die
lebendige Nähe zur Natur verloren"75, ja die Natur sei "möglichst weit ausgeschal-
tet".76 "Die Leute auf dem großen Dampfer unterscheiden sich von den Monteuren
und Betriebsangestellten einer Fabrik wesentlich nicht mehr."77 Guardini verweist
auch auf die "Urphänomene menschlicher, naturnaher Kultur" in den alten Hand-
werksbetrieben und vergleicht sie mit den Abläufen in einer Fabrik - "lies bei Ford
nach, wie nun jede Fabrikabteilung einen Teil des Gerätes bis ins Hundertstel Milli-
meter gleich macht und in Unzahl von Stücken täglich."78
Seiner Abhängigkeit von bestimmten ästhetischen Normen ist sich Guardini dabei
durchaus bewußt. Dies zeigt die Wiedergabe eines Gesprächs, das er mit einem Italie-
ner über seine Gedanken führte. Dabei rief dieser verärgert aus: "Unser Land soll arm
bleiben, und unser Volk soll auswandern müssen, damit ihr eure romantischen
Bedürfnisse hier befriedigen könnt!"79 Obwohl Guardini den Einwand verstand, blieb
er bei seinem ursprünglichen Gedankengang und ließ der Wehmut über die Zerstörung
dieser "natürlichen Kultur" jetzt erst Recht freien Lauf: "Aber was vorgeht, ist doch
furchtbar."80
Im Grunde liegt seinem Idealbild von Kultur ein "vortechnischer" Zustand zugrun-
de. In Italien ist dieser noch sichtbar, im industrialisierten Norden dagegen bereits
Vergangenheit. Es handelt sich um eine "natürlich gewordene" Kultur bzw. eine
"Natur", die "ohne weiteres in Kultur übergeht".81 Diese Kultur sei "vom lebendigen
Menschen her geschaffen" und zugleich "aus einem letzten Zusammenhang mit der
Natur heraus"82, ein "Höchstmaß geistgesättigter Kultur" und doch der Natur "immer
noch so nahe, so elastisch mit ihr verbunden, daß diese Kultur 'natürlich' bleibt, und
die natürlichen Kräfte kreisen können"83. Zwar gibt es nach Guardini die völlig unbe-

74
Briefe, 151
75
Briefe, 16.
76
Briefe, 16.
77
Briefe, 17. - Ähnliche Beispiele Guardinis: der offene Kamin im Vergleich mit dem modernen Kohlen-
ofen oder gar mit der elektrischen Heizung; der Pflug im Vergleich mit dem Dampfpflug; das Kerzenlicht im
Vergleich zu Gasbeleuchtung und elektrischem Licht (vgl. ebd., 17-19).
78
Briefe, 19.
79
Briefe, 13.
80
Briefe, 13.
81
Briefe, 10.
82
Briefe, 59.
83
Briefe, 14.
186 Der Blick auf die Kultur

rührte Natur für den Menschen überhaupt nicht; sie begegne dem Menschen immer
schon als "durchwohnte" und "gestaltete" Kultur, wie auch das Beispiel des
Segelbootes illustriert.84 Jede Kultur bedeute "eine Art Aufbrechung, Lösung, Ent-
wirklichung der Natur."85 Die "Sphäre des Kulturellen"86 zeichne sich wesentlich
nicht nur durch Distanz von der Natur und daher durch eine gewisse "Künstlichkeit
des Daseins"87 aus, sondern auch durch "Abstraktion", "Bewußtheit", "Überschau"
und "Beherrschung".88 Immer schon schafft der Mensch darin "seine eigene Welt,
geformt nach Gedanken, beherrscht nicht nur von naturhaftem Trieb, sondern von
gesetzten Zwecken, geistigen Wesenheiten dienend; als eine Umwelt, die auf ihn
bezogen und von ihm her durchwirkt ist."89 Dies im Sinne einer reinen Natürlichkeit
abzulehnen, wäre nach Guardini also verfehlt. Wohl aber gibt es die Möglichkeit, daß
die genannten Kennzeichen das "Übergewicht" bekommen und dadurch die Kultur
ihre "Natürlichkeit" und "Menschlichkeit" verliert, also "barbarisch", das heißt
zugleich unnatürlich und unmenschlich wird.
Guardini kritisiert also die Übersteigerung des "Kulturellen" gegenüber dem
"Natürlichen" und "Menschlichen", nicht den Vorgang des kulturellen Schaffens als
solchen:
"Immer künsüicher wird die Sphäre, in der wir leben; immer weniger mensch-
lich, immer - ich kann mir nicht helfen - barbarischer! Und über Italien liegt die
tiefe Schwermut dieses Untergangs."90
Diese "Barbarei" macht Guardini vor allem an drei Begriffen fest, mit denen er über
das in Italien Erfahrene weit hinausgeht: "Begriff, "Maschine", "Masse". Zum
"Begriff" nahm er kurze Zeit später (1925) auch im Gegensatzbuch Stellung, wo er
die Einseitigkeit seiner neuzeitlichen Ausprägung ("begrifflicher Begriff'91) kritisiert
und eine neue Einheit mit der "Intuition" herzustellen versucht (vgl. dazu Kapitel
II,2,b,bb [6]). An dieser Stelle wird zunächst das Positive hervorgehoben:
"Unser Geist braucht Begriffe, weil wir nicht im Stande sind, die Gesamtheit der
Einzeldinge zu fassen und zugleich jedes in seiner konkreten Lebendigkeit anzu-
reden; weil wir das Allgemeine nicht als Umfassend-Gesamtes nehmen können;
weil wir nicht das Besondere in seiner Bedingtheit und zugleich sein bleibendes
Wesen, seinen notwendigen Sinn sehen können."92
Dies gelte, obwohl "Geist" mehr sei als das "Abstrakte", "Begriffliche"; er sei zwar
auch "allgemein", aber "lebendig allgemein", d. h. auf das "Konkrete" bezogen.
"Geist ist konkret. Begriff hingegen abstrakt, bloße Form, Meinendes, Abkürzungs-
mittel des Denkens, Vereinfachungsweg und, in einem letzten Sinn, Notbehelf."93

84
Vgl. Briefe, 13.
85
Briefe, 14.
86
Briefe, 14.
87
So die Themenangabe zum 2. Brief (vgl. Inhaltsverzeichnis, ebd., 37).
88
So die Themen der Briefe 3 bis 6 (vgl. Inhaltsverzeichnis).
89
Briefe, 131
90
Briefe, 20.
91
Vgl. Gegensatz, 23.
92
Briefe, 241
93
Briefe, 24. - Hier wird der "Geist" als Träger jenes Begriff und Intuition verbindenden Erkenntnisaktes
bestimmt, den Guardini im Gegensatzbuch "Anschauung" nennt (vgl. ebd., 163-184).
Die Herausforderung durch die Technik 187

Ähnliches gilt für den bezeichnendsten Ausdruck der Technisierung - die Maschine,
das Korrelat des Begriffs ("Be-Griff'!94) im praktischen Tun:
"Sie ist ein Begriff aus Stahl. Sie faßt die vielen Dinge so, daß sie deren Einzel-
nes, Besonderes außer Acht läßt und sie behandelt, als wären sie alle gleich. Ja,
sie macht sie geradezu alle gleich. Der maschinelle Vorgang hat den nämlichen
Charakter wie das begriffliche Denken. Beide beherrschen die Dinge dadurch,
daß sie aus dem lebendigen Sonderverhältnis zum Einzelnen heraustreten, alle
unter ein Ersatzzeichen stellen und so eine künstliche Ordnung schaffen, in
welche - ungefähr - alle passen."95
Aber erst die Übersteigerung des Begriffs im modernen "begrifflich-mathematischen"
Denken und parallel dazu die Fortentwicklung der Maschine zur modernen Technik
habe das ausgewogene Verhältnis des Menschen zur Natur zerstört. Und so wie die
Maschine im Grunde die Herauslösung einer einzelnen Naturkraft aus dem gewachse-
nen Zusammenhang der Natur bedeute, bedeute der Begriff die Isolierung einer
bestimmten Fähigkeit aus dem lebendigen Zusammenhang des menschlichen Geistes,
nämlich der nun vor allem geförderten Fähigkeit des Menschen zu mechanisch-ratio-
nalem Arbeiten.96 "Der aus allen organischen Bindungen herausgelöste Wille kann
seine Ziele beliebig stecken, und von den rational beherrschten Naturkräften deren
Ausführung erzwingen."97
Was aber der Begriff innerhalb der menschlichen Geistigkeit und die Maschine
innerhalb des menschlichen Tuns - man könnte auch sagen: auf Seiten der "Natur",
insofern jede Maschine eine aus deren Zusammenhang herausgelöste Naturkraft dar-
stellt -, das ist für das gesellschaftliche Leben des Menschen das Phänomen der
Masse.9* Das Phänomen der Bevölkerungsvermehrung, das auf merkwürdige Weise
mit der technischen Entwicklung parallel geht99, die Zunahme des Konsums, die der
"entfesselten Produktion" entsprechen muß, die Standardisierung von Gebrauchsge-
genständen ("Fässer, Autos, Häuser, Kleider, Sprache, Schulen, schließlich auch
Menschen") und die "furchtbare Vermengung der Formen"100 sind Kennzeichen die-
ses Massenphänomens, das Guardini auf eine Weise zeichnet, die von tiefer Abnei-
gung, bisweilen sogar Ekel und Abscheu erfüllt ist.101 Er zitiert Walter Rathenaus
Wort von der "Völkerwanderung von unten herauf'102 und ruft aus:
"Mir ist, als sei unser Erbe zwischen die Steine einer ungeheuren Maschine
gekommen, die nun alles zerreibt. Arm werden wir, ganz arm!"103

94
Briefe, 25.
95
Briefe, 25.
96
Vgl. Briefe, 64-66.
97
Briefe, 66.- Der 8. Brief, dem dieses Zitat entnommen ist, trägt in der Inhaltsübersicht die Überschrift
"Auflösung des Organischen" (vgl. ebd., 87).
98
Vgl. Briefe, 53.
99
"Mir scheint, jener Vorgang, der die Maschine schafft ...(,) bedeutet auch die Entfesselung der Vermeh-
rungskraft des 'Menschengewächses'" (Briefe, 531)
100
Briefe, 541
101
Vgl. etwa: "Verbasterung überall" (Briefe, 55). "Wie steigt einem der Ekel in den Hals! Wie verpöbelt
ist unser Dasein, überall, auch in Religion ..." (ebd.). "Verwüstet Dinge, Worte, Formen" (ebd., 57).
102
Vgl. Briefe, 58; zitiert wird W. Rathenau, Die neue Gesellschaft, Berlin 1919.
103
Briefe, 57.
188 Der Blick auf die Kultur

Die deutsche Jugendbewegung flüchtete vor der Macht der Technik in die noch ganz
"romantisch" gefühlte "Natur". Guardini ist noch ein Angehöriger der vorangegange-
nen Generation, für den "Natur" bereits "kultiviert" vorliegt - im Sinne des humanisti-
schen Kulturideals des deutschen Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert. Seine
"Flucht" ist also anderer Art als die der Jugend, auch wenn deren Suchen nach einer
Alternative auch für ihn, den enttäuschten "Bildungsbürger", zum entscheidenden
Anstoß wurde. Aber er kennt noch die ungebrochene Kraft des alten Ideals, die
"Welt der natürlichen Menschlichkeit", der "menschendurchwohnten Natur",104 eine
aristokratische Kultur,105 die nicht mehr ins Zeitalter der "Masse" paßt.
"Edles Werk, von edler Menschlichkeit getragen, und ein Menschentum in ihm
möglich, das sonst nicht atmen kann."106
"Ein geformtes Menschentum, langsam heraufgebildet zu klar entfalteten
Gestalten; Träger durchgezüchteter Kräfte des Schauens, Besitzens, Wohnens,
des Denkens, Herrschens und Schaffens. Und, dem zugeordnet, geformtes
Werk: Ausgereifte, gefüllte Schöpfung ..."107
Diese "alte Kultur" geht unter; ein "großes Sterben" hat begonnen.108
"Was das für eine Trauer ist, kann ich Dir nicht sagen. Als hätte man etwas
gefunden, von dem man weiß, es ist köstliches Leben - und nun sieht man, wie
es dem Untergang zuneigt. Hier habe ich Hölderlin verstanden!"109
Auf der Rothenfelser Werkwoche im August 1924 trug Guardini seine auch in den
"Briefen aus Italien" niedergelegten Reflexionen zum erstenmal vor.110 Aus derselben
Atmosphäre stammt die Rede über den "klassischen Geist", in dem Thomas von
Aquin neben Goethe gestellt wurde - der Repräsentant katholischen Denkens neben
Vertreter neuhumanistischer Bildung.111 Dennoch war es nicht der "Klassiker"
Goethe, der zu Guardinis italienischen Empfindungen paßte. Bessere Repräsentanten
schienen ihm die "Nachklassiker" Adalbert Stifter und Wilhelm Raabe mit ihrer
rückwärtsgewandten Wehmut zu sein.112 Bei ihnen fühlte sich Guardini verstanden,
und er griff auch später gern zu ihren Werken, wenn die "Schwermut" ihn erfassen

104
Vgl. Briefe, 11.
105
"Echte Kultur, sei's nun politische oder künstlerische, Gesellschaft oder Philosophie, religiöse Kultur
nicht minder, wird von wenigen getragen. Was aus der Vergangenheit so stark zu uns her spricht, ist von der
Aristokratie der kleinen Zahl bestimmt" (Briefe, 48).
106
Briefe, 48.
107
Briefe, 53.
108
Vgl. Briefe, 9.
109
Briefe, 1 1 - Dies ist der erste Hinweis auf Hölderlin, der später noch sehr wichtig wird (siehe dazu
Kap. V,2,c).
110
Die Tagung stand unter dem Thema: "Die Kulturkrise unserer Tage und die Ansatzpunkte neuer
Kulturhaltung"; vgl. dazu Gerl, Guardini, 183-185. Siehe dazu auch unter Kap. I,3,b,bb.
1 1
' Vgl. Vom klassischen Geist.
112
Vgl. Briefe, 19. - Unmittelbar auf den ersten Abdruck des zweiten Briefes folgte in den
"Schildgenossen" ein Text aus dem "Nachsommer" Adalbert Stifters; vgl. Menschenwelt (1924). Im Vorwort
dazu sagt Guardini, Stifter zeichne in seinem Buch das "Bild eines in maßvoller Beschränkung heraufwach-
senden reichen und einheitlichen Menschenlebens". Darin trete das, was die Briefe aus Italien unter
"menschlicher Kultur" verstünden, in "besonders liebenswerter Gestalt" entgegen. Es sei freilich nicht nur
vergangene Zeit, sondern deren "Nachsommer". "Die Milde, Wehmut und auch bereits eine zarte Schwäche
sinkenden Lebens liegt über dieser Welt" (ebd., 342).
Die Herausforderung durch die Technik 189

wollte.113 Dennoch konnten Stifter, Raabe oder auch Mörike für die Herausforderun-
gen der Gegenwart keine wirkliche Hilfe sein. Eine solche erwartete aber die Jugend,
an die Guardini sich in Wort und Schrift wandte.114 Verständnis zu äußern für ihre
Flucht in die "Natur" und Verständnis zu wecken für die eigene Trauer über das
Vergangene - das war die eine Seite. Notwendig war aber noch ein weiterer Schritt -
und darin liegt sicher die eigentliche Bedeutung der "Briefe aus Italien": Die Jugend
mußte befähigt werden, ihren Platz in der neuen, von Technik und Masse geprägten
Kultur zu finden und ihren positiven Beitrag zu leisten.

bb. Bereitschaft zur Zukunft


Bereits im 6. Brief hatte Guardini ganz nebenbei gefragt, ob nicht die Technik nur
deshalb zerstörend wirke, weil sie eben anderen Maßes und Charakters sei als die
vergangene Kultur, und ob nicht auch eine neue, andere "Natürlichkeit" denkbar
sei.115 Er deutete an, "im chaotisch Wirkenden möchte sich eine neue Ordnung anzei-
gen; eine Ordnung, die anderes Maß und eine andere tragende Haltung hat."116 Auch
von dem Phänomen der "Masse" könnte womöglich - wie es im 7. Brief hieß - nicht
nur Zerstörung ausgehen, sondern auch "etwas Großes, Kommendes, das deutlich
wird, später einmal ..."117 Guardini redete nun zwar immer noch vom "un-menschli-
chen" oder "un-natürlichen" Charakter der gegenwärtigen Kultur, aber die Blickrich-
tung wurde eine andere: Dabei sei nur von jenem Menschen die Rede gewesen, der
bis dahin gelebt habe und von der Natur, die bis dahin gewesen sei.118
Die Ausgangsfrage, "ob in all dem, was geschieht, von vollem Menschenwesen und
vollem Menschenwerk getragenes Leben möglich sei"119, konnte nämlich nur für den
Menschen der "alten Kultur" negativ beantwortet werden; ihm war in der Tat in einer
technisch geprägten Epoche die Existenzmöglichkeit entzogen.120
"Was wir heute als Zerstörung empfinden, ist es deshalb, weil in das alte Welt-
und Menschenbild ein neues, anders geartetes Sein und Geschehen einbricht.
Dieses Neue wirkt zerstörend, weil es auf einen Menschen trifft, der ihm nicht
zugehört. Genauer: Es ist chaotisch und wirkt zerstörend, weil der Mensch, der
ihm zugehört, noch nicht da ist."121

1 i
' Vgl. Görner, Guardini, 9 (Gesprächsnotiz vom 10. 2. 1934): "Ich habe in ihnen eine Heimat gefunden.
Besonders abends lese ich gerne in ihnen. Ich habe so oft mit Schwermut zu tun. Und dann helfen mir diese
stillen Erzähler darüber hinweg. Hier ist noch eine alte Welt, die heute nicht mehr ist." Neben Stifter und
Raabe ist an dieser Stelle auch Eduard Mörike mit einbezogen.
114
Vgl. Dirks, Vorwort, 9: "So ist denn der ursprüngliche 'Platz im Leben' der Briefe vom Comer See das
lernende, fragende, zweifelnde, hoffende Bewußtsein eines Dutzends von Jahrgängen junger Leute im Jahr-
zehnt zwischen 1920 und 1930."
115
Vgl. Briefe, 44.
116
Briefe, 46.
117
Briefe, 58.
118
Vgl. Briefe, 66.
119
Briefe, 69.
120
Vgl. Briefe, 70.
121
Briefe, 71.
190 Der Blick auf die Kultur

Wie sah dieser "Mensch" aus? Was mußte der "bisherige" tun, um zu einem solchen
zu werden? Bereits in der "Liturgischen Bildung" hatte Guardini von einem geradezu
heroischen "Standhalten" gesprochen.122 Jetzt wurde er deutlicher und konstruktiver:
"Unser Platz ist im Werdenden. Wir sollen uns hineinstellen, jeder an seinem
Ort. Nicht uns gegen das Neue stemmen und eine schöne Welt zu bewahren
suchen, die untergehen muß. Auch nicht abseits, aus phantasierter Schöpferkraft
eine neue bauen wollen, die gleich von den Schäden des Werdenden frei sein
möchte. Wir haben das Werden umzuformen. Das aber können wir nur, wenn
wir ehrlich unser Ja dazu sprechen; doch zugleich mit unbestechlichem Herzen
fühlend bleiben für alles, was darin zerstörend, unmenschlich ist. Unsere Zeit ist
uns gegeben als Boden, auf dem wir stehen und als Aufgabe, die wir bewältigen
sollen."123
Freilich wirken die konkreten Hinweise, die Guardini im letzten "Brief in dieser
Richtung gibt, relativ blaß angesichts der sehr tief gehenden Situationsanalyse in den
vorangegangen acht "Briefen". Guardini hat das selbst so empfunden.124 Im Grunde
genommen, bleibt auch der neunte, abschließende "Brief bei einer Problemanzeige,
die allerdings auf die entscheidende - weder von den Trägern der technisierten Kultur,
noch von den wehmütigen Bildungsbürgern, noch von den zivilisationsflüchtigen
Jugendlichen bisher recht gesehene - Stelle: Ein "neues Menschentum" müsse erwa-
chen, "von tieferer Geistigkeit, neuer Freiheit und Innerlichkeit, neuer Geformtheit
und Fassungskraft."125 In engster Fühlungnahme mit der "Natur" war die "alte"
Kultur entstanden, nun muß dieselbe Fühlungnahme in Bezug auf die "Technik"
wiederkehren. Denn in der Gegenwart nehme des Menschen eigenes Werk jene Rolle
ein, die früher der "Natur" zugekommen sei. Sei die frühere Kultur aus der Begeg-
nung mit der Natur entstanden und habe aus "Chaos" Ordnung geschaffen, so müsse
die künftige Kultur aus dem neuen "Chaos" der technisierten Welt eine ganz neue
Form von Ordnung schaffen.126
Ist dies aber überhaupt möglich? Guardini verweist darauf, daß in der europäischen
Vergangenheit bereits zweimal etwas in diesem Sinne "Neues" in die Geschichte ein-
getreten sei, nämlich einmal die "christliche Seele" und an zweiter Stelle das
"germanische Wesen".121 Daher müsse es auch noch einmal möglich sein, etwas
"Neues" zu schaffen, das die Errungenschaften der technischen Epoche nicht weg-
streiche, sondern bewußt zum Ausgangspunkt wähle:
"Was wir brauchen, ist nicht weniger Technik, sondern mehr. Richtiger gesagt:
Eine stärkere, besonnenere, 'menschlichere' Technik. Mehr Wissenschaft, aber
geistigere, geformtere. Mehr wirtschaftliche und politische Energie, aber

122 «wj r müssen im Greuel der Barbarei standhalten, ahnen, forschen, Wege bereiten, ohne die Erfüllung
zu sehen. Geduld - das muß unsere Treue sein; Treue gegen ein Bild und ein Werk, das wir selbst noch nicht
kennen" (LB Anm. 1, 25 [Anm. 17, 38; wieder abgeschwächt: "Wir müssen versuchen, in der Form- und
Gestaltlosigkeit standzuhalten ..."]•
123
Briefe, 72.
124
Vgl. Briefe, 85.
125
Briefe, 74.
126
Vgl. Briefe, 741
127
Vgl. Briefe, 75-77.
Die Herausforderung durch die Technik 191

erwachsener, reifer, verantwortungsbewußter, die das Einzelne in den Zusam-


menhängen sieht, denen es zugehört. Doch alles dies wird erst möglich, wenn
der lebendige Mensch sich selbst im Bereich der sachlichen Natur zur Geltung
bringt. Wenn er sie auf sich bezieht, und so erst wieder 'Welt' schafft."128

cc. Gläubige Mitverantwortung


Für die gesamten Überlegungen, die in den "Briefen vom Comer See" festgehalten
sind, scheint der christliche Glaube eigentlich nicht gebraucht zu werden. Weder
spielt er bei der rückwärtsgewandten Trauer eine Rolle - die "alte" Menschlichkeit
wird lediglich durch die Balance von "Natur" und "Kultur" bestimmt -, noch beim
Blick auf die konkreten Konsequenzen für die Zukunft - Ausgangspunkt ist lediglich
eine neue, tiefere "Innerlichkeit". Der Hinweis auf den Beitrag des Christentums für
die abendländische Kultur dient lediglich als Beweis dafür, daß in der Geschichte
durchaus "Neues" möglich war. Diese Beobachtung ist merkwürdig, vor allem wenn
auf dem Hintergrund der Berliner "Antrittsvorlesung", in der er ja eben noch den
katholischen Glauben zum Ausgangspunkt der "Weltanschauung" erhoben hatte.
Doch die "Briefe vom Comer See" sind ja nicht in einer Vorlesung entwickelt
worden, sondern noch ganz unmittelbar im Kontakt mit der Jugendbewegung und im
Zusammenhang mit der Kulturkritik in ihrem Umfeld entstanden. Um so bezeichnen-
der ist es aber, wenn Guardini schließlich eben doch noch an einer anderen Stelle auf
den Glauben zu sprechen - wieder eher am Rande, aber doch in einer Weise, die auf-
horchen läßt. Fast am Ende seiner Überlegungen betont er nämlich plötzlich, daß ja
auch die Phänomene der technischen Kultur nicht einfach als "widerchristlich" zu
bezeichnen seien.
"Die Gesinnung, die darin wirkt, mag es oft sein; jenes Geschehen an sich nicht.
Wissenschaft, Technik und was daraus entspringt, das alles ist ja erst durch das
Christentum möglich geworden. Erst ein Mensch, dem die Gottunmittelbarkeit
der erlösten Seele und die Würde des Wiedergeborenen das Bewußtsein einge-
wirkt hat, daß er anders ist als die Welt ringsher - dieser erst konnte sich derart
aus der Naturverbundenheit herausstellen, wie es der Mensch des technischen
Zeitalters getan. Der antike hätte es als Hybris gescheut. Erst jener Mensch, dem
solche Gottverbindung den Sinn für das Unbedingte gegeben ... - er war über-
haupt erst zu einer solchen Entschlossenheit fürs Letzte fähig, wie sie die neuere
Wissenschaft beherrscht, die Wahrheit will, und sollte darüber das Leben
unmöglich werden; wie sie in der Technik lebt, die das Werk will, und sollte
durch solche Umformung der Welt alles Menschendasein in Frage geraten. Erst
ein Mensch, dem der christliche Glaube an das ewige Leben die tiefe Sicherheit
gegeben hat, daß sein Wesen unzerstörbar ist, hatte die Zuversicht, die zu
solchem Unternehmen gehört."129
Es ist ein erstaunlicher Gedanke, der hier plötzlich auftaucht und der im Grunde das
vorwegnimmt, was später Friedrich Gogarten und andere in ihrer "Säkularisie-

128
Briefe, 74.
129
Briefe, 73.
192 Der Blick auf die Kultur

rungsthese" formulieren werden - daß sich nämlich der neuzeitliche Säkula-


risierungsprozeß nicht gegen das Christentum vollzogen habe, sondern vielmehr
dessen eigene notwendige und legitime Folge sei.130 Diese Feststellung dient aber
hier nicht der "Ehrenrettung" der neuzeitlichen Entwicklung, sondern steht im
Kontrast zur nachfolgenden Pervertierung durch sie:
"Aber freilich - jene Kräfte haben sich aus der Hand der lebendigen Persönlich-
keit gelöst - oder sollen wir sagen: Diese hat sie nicht halten können? hat sie
fahren lassen? - und so verfielen sie der Dämonie der Zahl, der Maschine, des
Herrschaftswillens..."131
Guardinis Einsicht in den christlichen Beitrag zur gegenwärtigen Krise, der auch
angesichts der verhängnisvollen Folgen nicht verschwiegen zu werden braucht, ist
noch ganz vom Eindruck einer negativen Entwicklung bestimmt. Aber sie hat doch
eigentlich das Ziel, das "Christliche" aus einer voreiligen Identifikation mit dem
Vergangenen zu befreien. Das "Vergangene" - das ist das alte Kulturideal, das auch
im neuzeitlichen Humanitätsideal noch enthalten war. Das "Neue" - das ist die
Entwicklung, die mit dem Siegeszug der Technik unwiderruflich hereingebrochen ist.
Mit diesem "Neuen", das freilich genauso wie jede andere Kultur pervertiert werden
kann, steht das Christentum nach Guardini in einer tieferen Verwandtschaft, als es
bisher scheinen mochte. Seine Botschaft begründet im Tiefsten, weshalb der Mensch
überhaupt erst den Mut faßte, mittels der Technik aus dem Zusammenhang mit der
Natur auszubrechen.
Ist dies aber einmal erkannt, dann ergibt sich daraus eine besondere Mitverantwor-
tung des Glaubens, die Guardini freilich nicht mehr näher beschreibt, sondern ledig-
lich am Rande streift. Aus dem Seitenblick auf die christlichen Wurzeln der gegen-
wärtigen Kultur folgt jedenfalls, daß gerade in der Rückbindung an den lebendigen
Gott der Offenbarung auch der Schritt in die Zukunft gewagt werden kann. Es ist
daher keine billige Ausflucht, sondern Ausdruck einer tiefen Überzeugung, wenn
Guardini seine "Briefe" mit dem Bekenntnis schließt:
"Ich weiß im Grunde nichts mehr zu sagen, als daß ich aus tiefstem Herzen
glaube, Gott ist am Werk. Es geht Geschichte vor sich aus den Gründen her, und
wir müssen bereit sein, vertrauend auf das, was er tut, und auf die Kräfte, die er
in uns gelegt hat, und die wir sich regen fühlen."132

130 ygj Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit (1953); zur Säkularisierungsthese überhaupt
siehe unter Kap. VI,l,a.
131
Briefe, 73.
132
Briefe, 85.
Die Aufgabe personaler Bildung 193

c. Die Aufgabe personaler Bildung


aa. Die neue Tiefenkraft
Die "Briefe vom Comer See" münden aus in die fast prophetische Schau einer
"neuen" Kultur auf der Grundlage einer neuen "Bildung".133 Bei diesem "Neuen"
handelt es sich aber weder um eine neue religiöse (wie beim Eintreten des Christen-
tums in die Weltgeschichte), noch um eine neue ethnische (wie bei der Durchsetzung
germanischer Kulturelemente), sondern um eine neue anthropologische Wirklichkeit,
nämlich um das "Aufbrechen einer neuen Tiefenschicht innerhalb des Menschen-
wesens"134:
"Im Inneren des Menschen muß eine neue Tiefenkraft urspringen. Damit eine
neue Freiheit von der Welt, ein tiefer gelegener Beziehungs- und Sinnpunkt.
Und von da aus wäre jenes Geschehen zu erfassen, das auf der alten Ebene nicht
zu bewältigen war. Hier wäre eine neue Ebene."135
In einem späteren Artikel spricht Guardini vom "Proletarischen" als dem "Charak-
terzug unserer ganzen Zeit".136 Er bezieht diesen Begriff aber nicht mehr auf eine
bestimmte soziale Gruppe, sondern auf eine Grundbefindlichkeit der Menschen im
Zeitalter von Technik und Masse überhaupt. Es sind Menschen, "die im modernen
Gesellschaftsgefüge keinen eigentlich inhaltsgefüllten Platz haben; die in den
Zusammenhang des Bodens, der Geschichte, des wirtschaftlichen und geistigen
Schaffens nicht eingewurzelt sind"137. In ihnen sieht Guardini typische Vertreter der
gegenwärtigen Kultur:
"Das Grundgefühl der heutigen Zeit ist, bei aller Unruhe des Tuns, bei aller
Vielheit der Einrichtungen und gemeinsamen Erörterungen, daß der Einzelne
immer mehr allein ist. Daß die tragenden Zusammenhänge immer mehr zerfal-
len. Das Grundgefühl der Preisgegebenheit, der Ortlosigkeit, der Proletarisie-
rung."138
Hier setzt Guardini an, wenn er in den folgenden Jahren sein Personverständnis ent-
faltet139 und an die Stelle der "alten Kultur" eine neue heraufkommen sieht, die von
einer "personalen Ordnung" getragen sein wird:
"Die mündige, verantwortliche, ihrer Einzigkeit bewußte Person muß wieder in
die geschichtlichen, sozialen und Werkzusammenhänge eintreten. Aber diese
Ordnungen ihrerseits müssen lebendig bezogen werden auf Personen."140

133
Vgl. Briefe, 76-85.
134
Briefe, 77.
135
Briefe, 77.
136
Vgl. Gefährdung, 47.
137
Gefährdung, 47.
138
Gefährdung, 46.
139
Die Reflexion auf die "Personalität" beginnt im Zusammenhang mit dem "Gegensatz" (vgl. Anm. 36,
1501) und in den Ausführungen zum "liturgischen Mysterium" aus dem Jahre 1925 (vgl. Mysterium, Anm. 7,
399-403 [Anm. 1, 133-136]); sie wird dann vertieft in: Gefährdung (1926); Sozialwissenschaft (1926); Frei-
heit (1927); Freiheit und Unabänderlichkeit (1927); Lebendiger Geist (1927); ausführlich dann in: Welt und
Person (1938); ergänzend dazu: Freiheit, Gnade, Schicksal (1948). Zum Ganzen vgl. v. a. Börsig-Hover, Das
personale Antlitz; Henner, Pädagogik, 107-174; Schreijäck, Bildung, bes. 77-109. Zum Personverständnis
Guardinis siehe auch unten Kap. VI.l.c.
194 Der Blick auf die Kultur

Daraus ergeben sich wichtige Bildungsaufgaben. Schon in den "Briefen" deutet


Guardini an, daß die neue "Bildung" grundverschieden von dem sei, was seit der Auf-
klärung dem "Gebildeten" zugeschrieben wurde.141 Dessen "Bildung" sei im Grunde
nur noch deren "Karikatur" gewesen. "Kein schlimmeres Ungebilde als der neuzeitli-
che Gebildete von Gnaden der Aufklärung."142 Zweimal habe es im Abendland ein
"gemeinsames Wesensbild" gegeben - in der Antike und im Mittelalter.143 Das neu-
zeitliche Bildungsverständnis erscheint Guardini dagegen nicht als ein neues, das die
früheren hätte ablösen können, sondern nur als deren immer stärker fortschreitenden
Zerfall:
"Renaissance, Barock und die folgenden Stile haben Kraft, sind aber doch Spät-
linge. Auch Weimar ändert daran nichts. Der Schwerpunkt rückt in den Einzel-
nen. Die Entwicklung und die Arbeit sind auf die Einzelperson gerichtet - und
auf das Abstrakte. Und damit der Einzelne jenes Gewicht erhalte, das zu konsti-
tuieren ja der Sinn der neuen Zeit gewesen ist, hat wesenhafte Bildung geopfert
werden müssen."144
Jetzt erst, nach dem vollständigen Zerfall des alten Menschenbildes und der alten
Kultur, sieht Guardini die Möglichkeit zu einem eigentlichen Neuansatz:
"Ich habe den Glauben, daß ein neues Bild im Heransteigen ist. Anders als das
der Antike; anders als das des Mittelalters. Und gründlich anders vor allem als
Humanismus, Klassizismus und Romantik. Es ist zugeordnet jenem neuen
Geschehen, von dem wir sprachen. Zugeordnet jener menschlichen Tiefe, auf
deren Aufbruch wir hoffen. Zugeordnet der neuen Ebene, auf welcher der
Kampf mit den eingebrochenen Gewalten geführt wird. Und da wird er siegreich
sein. Aus jener Tiefe und aus jenem Bilde wird die neue Zeit geschaffen
werden."145
Guardini versucht sich 1928 deshalb selbst an einer "Grundlegung der Bildungs-
lehre".146 Es ist eine "personale Bildung", die er von nun an immer wieder fordert.

140
Gefährdung, 49.
141
Vgl. Briefe, 78-80.- Ähnlich bereits LB Anm. 1, 25 [Anm. 17, 38]: "'Gebildet' ist uns, wer über sein
Fachwissen hinaus einen Blick ins Übrige hat; bei dem das Wissen ins Schauen, Fühlen, Urteilen gedrungen
ist. Also eine Haltung, ein Besitz, die im Wissen wurzeln; Rationalismus, Erbe der Aufklärung. Wesenhafte
Bildung bedeutet anderes. ... Gebildet im rechten Sinne ist der Mensch, der aus einem inneren Wesensbilde
geformt ist, in Sein, Denken und Tun; wenn eine Gemeinschaft ihn umfängt, wenn er in einer Werkumge-
bung lebt, darin sich das nämliche Bild offenbart - denn keiner kann für sich allein gebildet sein; er kann' s
nur mit der Gemeinschaft, wenn Luft und Bau und Lebensweise und Mensch um ihn her es ebenfalls sind."
142
Briefe, 78; vgl. ebenso LB Anm. 1, 25 [Anm. 17, 38].
143
Vgl. Briefe, 79.
144
Briefe, 791
145
Briefe, 80.
146 vgl. Bildungslehre. - Dieser Beitrag basiert seinerseits auf den drei anthropologischen Beiträgen, die
im Sammelband "Unterscheidung des Christlichen" (1935; vgl. Lebendige Freiheit; Freiheit und Unabänder-
lichkeit; Lebendiger Geist)) an ihn angehängt sind. Die Herausgeber haben überhaupt die Bedeutung von
"Person" und "Bildung" für das Werk Guardinis gut erkannt. Die genannten Aufsätze folgen jetzt der Berliner
"Antrittsvorlesung" (vgl. Weltanschauung), sowie den Aufsätzen über "Sozialwissenschaft und Ordnung unter
Personen" (s. o.) und über "Möglichkeit und Grenzen der Gemeinschaft" (1930; Neubearb. des Beitrags
"Mögliche Gemeinschaft" von 1928). - Zur Bildungslehre Guardinis vgl. v. a. Berning-Baldeaux, Person und
Die Aufgabe personaler Bildung 195

So führt er aber auch ein wichtiges neuzeitliches Anliegen weiter, nämlich die Aus-
richtung auf das "Humanum", das nun freilich präzisiert und radikalisiert ist zum
"Personalen" im Menschen. Damit ist der eigentliche Wesenskern des Menschen
angesprochen und die Wurzel aller Kultur, auch der technischen. Der Mensch kann es
sich nach Guardini nicht mehr leisten, die von ihm geschaffene technische Kultur
gewissermaßen aus der Hand zu geben und sich lediglich in einer schöngeistigen
"Kultur" zu Hause zu fühlen. Wenn er weiterhin Mensch bleiben will, muß er viel-
mehr seine Personalität gerade in jenen kulturellen Bereichen zur Geltung bringen,
die vom bisherigen "Bildungsbürgertum" abschätzig als "Zivilisation" bezeichnet und
daher vernachlässigt worden waren. Nur so wird es nach Guardini möglich, den
kulturellen Weg zu Ende zu gehen:
"Den Weg der Erkenntnis und der Bewußtwerdung, der Übersicht und der Herr-
schaft und der technischen Umformung der unmittelbar gegebenen Natur. Aber
das alles neu und lebendig auf den Menschen zu beziehen, und so wieder eine
Welt zu schaffen, die wirklich Menschendasein trägt."147

bb. Hoffnungsträger
Wichtige "Unterpfänder" für die neue "personale" Bildung, in die auch die technische
Verantwortung integriert werden müßte, sieht Guardini in der modernen Architektur
und Kunst.14* Die frühen Aussagen, in denen Guardini die Technik bereits positiv
neben die Bauwerke des Mittelalters gestellt hatte (ohne das Negative der technischen
Entwicklung hier schon zu reflektieren), werden nun aufs neue aufgegriffen. Guardini
sieht bereits Bauwerke, "in denen das technische Gebilde zu wirklicher Form bewäl-
tigt ist"149. Verwiesen wird nun auf Modelle eines neuen Städtebaus:
"Die ganze Form hatte die Durchsichtigkeit der technischen Rechnung, war aber
so herb und gewaltig gestaltet, daß ich empfand, dies gehört zu uns, wie
Memphis, Theben, Ninive und Babylon ihren Zeiten zugehört haben mögen.
Der uns das Bild zeigte, sagte: 'Das ist die Stadt, die in ihrer Form Automobil
und Flugzeug und die Weltverbindung des Radio voraussetzt.' Die äußersten
technischen Leistungen zerstörten nicht mehr, sondern waren unmittelbar Vor-
aussetzung oder fanden doch freies Feld ..."150
Hier ist nichts mehr zu spüren von Spenglers Großstadtverachtung, aber auch von
Guardinis eigener Beschreibung des Massenphänomens. Fast droht das Pegel in die
entgegengesetzte Richtung auszuschlagen, wenn Guardini am Beispiel der modernen

Bildung; Schmidt, Pädagogische Relevanz; Gerner, Bildungslehre; Henner, Pädagogik, bes. 175-195;
Schreijäck, Bildung, bes. 14-19 und 187-220.
147
Briefe, 81.
148
Vgl. Briefe, 81-83.
149
Briefe, 81. - "Diese Form ist nicht von außen herangebracht, sondern kommt aus dem gleichen
Ursprung, wie das technische Gebilde selbst, so wahr und echt und selbstverständlich, daß die Meinung ent-
stehen konnte, eine richtig konstruierte Maschine und ein vollkommen zweckmäßig gebautes Haus seien
ebendadurch bereits künstlerisch geformt - was natürlich ein Fehlschluß war, denn die bloße technische Rich-
tigkeit ist noch nicht künstlerische 'Form'" (811).
150
Briefe, 83.
196 Der Blick auf die Kultur

Kunstwerke davon spricht, daß diese "das scharfe Aug' in Auge des neuzeitlichen
Verhältnisses zur Natur" hinter sich hätten, also überhaupt nicht mehr aus der Füh-
lungnahme mit dieser Natur, sondern nur noch mit der Technik hervorgingen. Sogar
Märchen könnten so wieder entstehen - "nicht wie ein Spuk zur Nacht", "wenn man
sich aus den praktischen Gebilden des neuzeitlichen Lebens hinwegträumt". Diese
Märchen kämen nun vielmehr "aus den Maschinen selber, und unsere Wirklichkeit
erfährt mitten im hellen Tag jene Verwandlung in das 'Andere', die eben 'Märchen'
heißt ..."151 Er wisse von Menschen in Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Politik,
die von der neuen Haltung bereits geprägt seien.152
Auch in der Jugendbewegung habe es neben der "rückwärts gewandten Romantik"
immer auch eine "vorwärts gewandte, utopische" gegeben.153 Der echte Jugendbe-
wegte werde daher, vor die Wahl gestellt zwischen vorindustrieller, vorkapitalisti-
scher Ordnung auf der einen, und Industrie und Technik auf der anderen Seite, die
Technik wählen.
"Freilich nach der Wahl sofort wieder in Frontstellung stehen gegen den Geist,
der wahre Sendung und wahres Wesen der Technik bisher zur Zerstörung miß-
braucht hat. Und er würde dafür kämpfen, daß die Technik ihren lebendigen
Sinn finde."154
Der junge Mensch hat nach Guardini keine andere Wahl, als sich der neuen Situation
zu stellen. Seine "jugendbewegten" Erfahrungen helfen ihm im Grunde, diese Heraus-
forderung anzunehmen. Sie schärfen ihm allerdings auch den Blick für die eigentli-
chen Aufgaben im Sinne einer "personalen" Bildung. Diese hat Guardini nicht in
Bezug auf die künstlerische Entwicklung, sondern im Blick auf zwei wichtige Aspek-
te des konkreten gesellschaftlichen Lebens erläutert.

cc. Soziale Ordnung und politisches Handeln


Bereits 1913 fragte Guardini nach den "Grundlagen des Sicherheitsbewußtseins in
den sozialen Beziehungen" - und zwar in der Absicht, "Einblick in die letzten Grund-
lagen des Gemeinschaftslebens überhaupt zu gewinnen"155. Die Reflexionen über
Autorität, Gehorsam und Freiheit führten diese Linie dann ebenso weiter wie die
Frage nach der "Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben
der Gemeinschaft"156. Guardini beschrieb ferner die Bedeutung des Berufes für die
sozialen Beziehungen.157 Kurz nach den "Briefen aus Italien" finden wir ihn dann als
Redner bei einer fürsorgewissenschaftlichen Tagung und am sozialwissenschaftlichen
Institut der Universität Heidelberg; dabei entwickelt er Gedanken über die

151
Briefe, 83.
152
Vgl. Briefe, 83-85.
153
Vgl. Briefe, Anm. 1, 80-83, hier 801
154
Briefe, Anm. 1, 80-83, hier 81.- "Der tiefste Wille der echten Jugendbewegung ist eins mit der kom-
menden Zeit. Daran ändert die Tatsache nichts, ja ist dessen Bewährung, daß diese gleiche Jugendbewegung,
aus diesem gleichen Wollen heraus, im Kampfe steht gegen die Ungeistigkeit und Unmenschlichkeit dieses
Neuen in seiner ersten Phase" (ebd., 82).
155
Sicherheitsbewußtsein, 687.
156
Vgl. Dreieiniger Gott (1916). Zum Ganzen vgl. auch oben in Kap. II,3,b,bb.
157
Vgl. Zum Begriff des Berufes (1919).
Die Aufgabe personaler Bildung 197

"Gefährdung der lebendigen Persönlichkeit" in einem grundsätzlichen, über bloße


Fürsorgefälle weit hinausreichenden Sinn, und stellt die Frage nach der möglichen
"Ordnung unter Personen".158
Auch die Anstöße, die Guardini der katholischen Jugendbewegung mit ihren
Gemeinschaftsformen gegeben hat (vgl. I,2,a,cc), sind in den Zusammenhang dieser
sozialkritischen Reflexionen einzuordnen. Die eher rechtliche Seite des Gemein-
schaftslebens überließ er zwar seinem Freund Karl Neundörfer, vergaß jedoch selten,
sie eigens hervorzuheben, wenn es darum ging, Beispiele für das Phänomen der Kul-
tur zu nennen.159 Im Gespräch mit Sozialwissenschaftlern ruft er nun die eigentliche
Qualität menschlichen Zusammenlebens in Erinnerung - die Person.
"Seit dem 13. Jahrhundert ist das Faktum der Person - freigemacht durch die
Erlösung - immer deutlicher hervorgetreten. Die Person ist sich ihrer Eigen-
ständigkeit immer klarer bewußt geworden. Immer schärfer wurde die Frage,
wie sie in Ordnungen stehen, wie sie von Ordnungen gebunden sein könne. Die
Frage hat sich besonders in einem Angriff gegen die Autorität ausgedrückt; in
einer Bezweiflung von deren Recht. Formuliert wurde dieser Zweifel in dem
Satz, Bindung von Person durch Autorität sei wesensmäßig unmöglich, un-
wertig, wider-wertig, Heteronomie.
Mir scheint, hier hat sich im letzten ein Grundimpuls mißverstanden. Die Frage:
Kann Ordnung die Person binden? lautet in Wahrheit: Welche Ordnung kann
Person binden?"160
Es ist hier nicht der Ort, um Guardinis Personverständnis ausführlicher vorzustellen
(vgl. dazu in Kapitel VT, 1). Wichtig ist jedoch, daß unser Autor die ihn von Anfang
an beschäftigende Frage nach der "Autorität", nach der "Gemeinschaft" und jetzt noch
deutlicher nach der "Ordnung" jetzt an diese selbst zurückverweist. Nicht mehr, daß
"Ordnung" dem Menschen hilfreich sei, wird nun betont, sondern welche "Ordnung"
dazu überhaupt in der Lage sei, wird gefragt. Die Antwort lautet: Nur eine solche
Ordnung, die als "personale" erkennbar ist, in der also die wesentliche Eigenständig-
keit, Innerlichkeit und Würde des Einzelnen161 nicht verschwindet, sondern gerade
zum Tragen kommt.
"Hier, wie im ganzen Aufsatz, ist es nicht um Lösungen gegangen, sondern
darum, daß die Frage möglichst scharf gestellt werde. Und das ist als Dienst
gemeint an einem Tieferen: Daß nämlich die Wirklichkeit 'Person' lebendig zur
Geltung komme. Erst wenn ich als Person zu leben suche, und zwar überall,
spüre ich die Probleme, die dadurch entstehen, daß dieses Andersartige sich im
Bereich des Biologischen, Psychologischen zur Geltung bringt. Erst der Durch-

158
Vgl. Gefährdung (1926); Sozialwissenschaft (1926; zit. nach 1935).
159
Vgl. Liturgie, 20 ("Wissenschaft, Kunstgebilde, gesellschaftliche Ordnungen usw."); LB 89 [107]
("das Reich des Wissens, der Kunst, der gesellschaftlichen Ordnung, des Rechtes, der Wirtschaft"); ebd., 91
[109] ("Verfassung und Recht" in ihrer Bedeutung für das religiöse Gemeinschaftsleben; vgl. auch Lex
Orandi, 1111).
160
Sozial Wissenschaft, 62.
161
Vgl. Sozialwissenschaft, 381
198 Der Blick auf die Kultur

bruch des Personalen treibt die Probleme hervor, und bringt dann deren Lösun-
gen."162
Ähnlich ist Guardinis Stellungnahme zum politischen Handeln. Er bekennt, daß er in
diesen Fragen "Laie" sei; aber das bedeute ja nicht nur, "daß einer praktischer Tätig-
keit fern stehe, sondern auch, daß er den darin üblichen Worten, Sichten und Wertun-
gen weniger verfallen sei."163 Es geht ihm um nichts Geringeres als die "Rettung des
Politischen" (so der Titel eines "Schildgenossen"-Aufsatzes); denn er vermißt gerade
"das eigentlich politische Handeln, den politischen Sinn, die politische Haltung"164.
So will er das "Wesen" des "Politischen" erkennen, das - im Unterschied zu anderen
Kulturtätigkeiten - in einem vom "Volk" getragenen und im "Staat" verwirklichten
Streben besteht.
"In dem Maße ist ein Staat wirklich politisch, als in ihm das Volk tatsächlich
zum Handeln kommt. Und in dem Maß ist ein Volk politisch, als es in seinem
Staat tatsächlich handelt."165
An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, Guardinis Staats- und Politikverständnis
auf seine Gültigkeit zu hinterfragen.166 Sein Hinweis auf den konservativen Staats-
rechtler Carl Schmitt167, der in einer merkwürdigen Verquickung von katholischem
Denken und aus der Romantik stammenden Politikvorstellungen später Wege
beschritten hat, die der Ideologie der Nationalsozialisten sehr entgegenkam,168 macht
deutlich, daß auch Guardini ein Kind seiner Zeit war.169 Hier ist aber wichtig, worauf
Guardinis Absicht zielt: "Geht es nicht heute im Letzten darum, daß überhaupt wieder
politischer Wille erwache? Wesenhafter?"170 Dies gilt auch für Katholiken: "Bevor
wir von katholischer Politik reden, müssen wir überhaupt erst auf dem politischen
Feldestehen!"171
Daß Guardini sich auch in dieser Frage von bisherigen Leitbildern lösen möchte,
zeigt seine Verehrung für die Gestalt Mahatma Gandhis: "Ich sehe hier, wie in der

162
Sozial Wissenschaft, 63.
163
Rettung des Politischen (1923/24), 112.
164
Rettung des Politischen, 112.
165
Rettung des Politischen, 115.
166 ygj jiazy (jje Arbeit von Ludwig Watzal: Das Politische bei Romano Guardini (1987), bes. 23-40.
167
Vgl. Rettung des Politischen, Anm., 112.
168 vgl. C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923 (die zweite Auflage,
München-Rom 1925, wurde in die vom Kath. Akademikerverband herausgegebene Reihe "Der katholische
Gedanke" als Band XIII aufgenommen); ders., Um das Schicksal des Politischen, in: Die Schildgenossen 5
(1924/25), 313-322; ders., Politische Romantik, 2. Aufl., München-Leipzig 1925.
169
Aus heutiger Sicht merkwürdig klingen etwa auch folgende Aussagen: "Eigentlich politischer Sinn des
Staates scheint mir, daß er Hoheit sei. Zweckfreie Verkörperung von Majestät ... Er ist legitim. Er ist nicht
bloß, sondern ist 'mit Recht', von Gottes Gnaden, und fordert dieses Recht vom anderen Staat und vom
Einzelnen" (Rettung des Politischen, 114). Guardini hebt jedoch hervor, daß der Staat natürlich nicht "der
höchste der Werte" sei (vgl. ebd., 116). Das "katholische" Staatsverständnis sei im Unterschied von einem
"heidnischen" auf Gott und das Gewissen rückbezogen und wisse um die Sünde, die auch im Staat stecke (vgl.
ebd 1161).
170
Rettung des Politischen, 115.
171
Rettung des Politischen, 116; im Original gesperrt. - Solche Äußerungen trugen naturlich mit dazu
bei, dem längst existierenden politischen Katholizismus den Boden entziehen. Heinz Hurten stellt zu Recht
fest: "Für ein Büdungsprogramm mochte dies die richtige Abfolge sein; aber die Zentrumspartei in ihren viel-
fältigen Schwierigkeiten erfuhr von hier aus eher Beeinträchtigung als Hilfe" (Deutsche Katholiken, 1121).
Die Aufgabe personaler Bildung 199

Reihe der bisher bekannten politischen Faktoren, ohne daß einer von diesen verkannt
würde, ein neuer eingesetzt wird, und daß seine Gewalt ungeheuer ist."172 Diese
"neue politische Wirklichkeit", die sich von der bisherigen "Realpolitik" unter-
scheide,173 sei die "einzige Politik, die in Zukunft wird arbeiten können" - in einer
Welt, die derart "verwickelt, anspruchsvoll, unheilträchtig" ist,
"daß wir die Methoden der bisherigen, sich realistisch nennenden Politik dem
allem gegenüber für ebenso primitiv erkennen müssen, wie die Prügelpädagogik
alten Stils gegenüber einem differenzierten Menschentum."174
"Der Geist, von den Realpolitikern alten Stils als Tummelplatz der Ideologen,
als Appellationsinstanz der Schwachen und Verlorenen, als bloße Verzierung
des Eigentlichen angesehen, wird jetzt zur politischen Energie. Und zwar nicht
als Organisation von Heeren, als Direktive für diplomatische Geheimaktionen,
sondern unmittelbar, als solcher, durch sich."175
"Die Wurzel der kommenden politischen Haltung liegt in der kommenden Men-
schenbildung"176, lautet Guardinis Fazit am Ende seines Beitrags über Gandhi. In den
folgenden Jahren nimmt er immer wieder zu politischen Einzelfragen Stellung, so
etwa zur Frage des "öffentlichen Sprechens" oder zum Problem des Völkerbundes.177
Bereits im zehnten seiner "Briefe über Selbstbildung" hatte er unter dem Titel "Staat
in uns" seine Überlegungen zur politischen Haltung auch an Jugendliche zu vermit-
teln versucht.178 1926 veröffentlicht er dann grundsätzliche Überlegungen zur politi-
schen Bildung.119 Darin wird noch einmal sein besonderer Zugang zu diesem Kultur-
bereich (und im Grunde auch zu allen anderen) deutlich. Guardini vertritt nämlich die
These, politische Probleme seien mit bloß politischen Mitteln nicht zu lösen. Viel-
mehr:
"Wir müssen aus den sachlichen, politischen Problemfeldern zum lebendigen
Menschen durchstoßen."180
Innerhalb der Quickbornbewegung waren es vor allem Walter Dirks und Guardinis
Freund Karl Neundörfer, die für ein direkteres politisches Engagement und für die

llz
Politische Wirklichkeit, 451; es handelt sich um die Besprechung eines Buches von Romain Rolland
über das Leben Gandhis.
173
Diese habe im letzten "nur Gewalt und List" gelten lassen, wie Guardini unter Verweis auf den ver-
gangenen Weltkrieg sagt (Politische Wirklichkeit, 448).
174
Politische Wirklichkeit, 449.
175
Politische Wirklichkeit, 451.
176
Politische Wirklichkeit, 452. - Guardini verweist auf eine Äußerung des liberalen "Manchester Guar-
dian Weekly" vom 15. 2. 1924, wo im Blick auf Irland und Indien erwogen wird, "daß wir ... in Vorschriften
wie in der vom 'Darbieten auch der anderen Wange' den Hinweis auf eine wirksame politische Kraft erkennen
müssen und nicht nur, wie Bacon sagt, einen Grundsatz 'abstrakter Klostermoral'" (ebd., 453).
177 vgl. v. a. Möglichkeit öffentlichen Sprechens; Völkerbund.
178
Vgl. Gottes Werkleute. 10. Brief: Staat in uns, Burg Rothenfels am Main 1924; später in: Werkleute,
163-193. - Carl Heinrich Becker ließ diesen Beitrag in den preußischen Schulen verteilen; vgl. Gerl, Guardi-
ni, 141. - Vgl. auch die Rezension durch Walter Dirks: Politische Kräfte, bes. 398; Dirks vertritt die These,
innerhalb der jungen Generation erwache der Wille zum politischen Handeln aus dem Glauben und verweist
neben Guardinis Werkbrief auf: E. Michel, Zur Grundlegung einer katholischen Politik, Frankfurt a. M.
2
1924; C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923; Die Schildgenossen,
Lenzingheft 1924 (politisches Heft).
179
Vgl. Politische Bildung.
180
Politische Bildung, 177.
200 Der Blick auf die Kultur

Stellungnahme zu politischen Tagesfragen standen. Aber gerade Dirks, der in den


zwanziger Jahren einen christlichen Sozialismus vertrat, hob später immer wieder
hervor, wieviel er Guardini verdankte.181 Den "Quickborn" bezeichnete er sogar ein-
mal als einen Ort der Einführung in die Vorkenntnisse politischer Propädeutik182 und
verteidigte schon früh die "Schildgenossen" gegen den Vorwurf, die konkrete politi-
sche Wirklichkeit komme dort zu kurz. Man möge bedenken, "daß oft genug sicheres
Handeln und schnelle Entscheidung teuer erkauft sind auf Kosten einer tieferen
Durchdringung der Dinge ... Wer heute schnell mit der Welt fertig wird, wer rasch
zum Handeln kommt, dem gegenüber steigt der Verdacht auf, daß er diese Welt nicht
recht gesehen hat."183 Dennoch erschien es auch Guardini notwendig, mehr als bisher
politisches Interesse zu wecken und Anregungen für die konkrete Gestaltung des
Alltagslebens zu geben. Gemeinsam mit Josef Äußern forderte er die Jugendbewe-
gung auf, nun
"in die Sachordnungen des Gesamtlebens: Beruf, Gesellschaft, geistiges Schaf-
fen, einzutreten, aber die Wesenhaftigkeit ihrer Kraft und ihrer Haltung zu
bewahren."184
Beide bedauerten, daß in den bisherigen Heften "das Künstlerische, Religiöse und
Weltanschauliche" immer noch dominierte, und gaben dem Vorwurf recht, die
"Schildgenossen" sprächen noch zu wenig "aus jenem harten Bereich der Wirklich-
keit, in dem doch die meisten tagsüber stehen."185 Sie planten daher Hefte "über
Ethos und Aufgabe der Jugendbewegung; über Fragen des Wirtschaftslebens, über
Beruf, Gesellschaft, über den Wandel in der naturwissenschaftlichen Arbeit, in den
Grundvorstellungen der Heilkunde, über Fragen der neuen Schule, usw."186 Auch
wenn dieses Vorhaben nur ansatzweise verwirklicht werden konnte - der Schwer-
punkt der "Schildgenossen" blieb weiterhin das "Kulturelle" in einem enger gefaßten
Sinn -, so war doch zumindest die Absicht vorhanden. Angesichts des umfassenden
Kulturverständnisses, das Guardini vertrat, mußte "personale Bildung" sich immer
mehr auf soziale, politische, wirtschaftliche und technische Realitäten der Gegenwart
beziehen, wenn die Zukunft wirklich bewältigt werden sollte.187

181
Vgl. Dirks, Vorwort; Dirks, Der Blick auf das Ganze; Seiterich-Kreuzkamp, Walter Dirks, 53.
182 vgl. W. Dirks, Fünfzig Jahre Burg Rothenfels, in: ders/W. Mogge, Burg Rothenfels am Main,
Rothenfels 1968, 5. Auch Guardini nennt den "Quickborn" eine "Schule politischer Haltung" (vgl. Jugendbe-
wegung vor dem Ende?, 98).
183
Dirks, Politische Kräfte, 3961; siehe oben Anm. 48.
184
Ueber die Schildgenossen, 363.
185
Ueber die Schildgenossen, 364.
186
Ueber die Schildgenossen, 364.
187
In einem kritischen Rückblick auf die große Werkwoche vom August 1924 (vgl. Gerl, Guardini, 180-
191) meinte Guardini bereits, die Tagung habe sich noch zu wenig dem "unmittelbar-alltäglichen Leben"
zugewendet und sich eher auf das "Geistige" und "Künstlerische" beschränkt (vgl. Grenzen, 10). "Wir werden
die Dinge des täglichen Lebens; die Probleme des Berufes; die Angelegenheiten der praktischen Lebenser-
neuerung; die unmittelbar drängenden sittlichen und religiösen Fragen; die Aufgaben des nächsten Handelns
ganz bewußt und mit größter Sorgfalt zur Geltung bringen müssen" (ebd., 11; im Original gesperrt).
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 201

2. Die Bedeutung der Kultur in der "Welt" des Menschen

In der Auseinandersetzung mit der kulturellen Situation, die er durchlebte - und


durchlitt -, hatte Guardini die Frage nach der "Kultur", die bereits seine frühen Schrif-
ten durchzog, weiter vorangetrieben. War zunächst noch der Maßstab der mittelalter-
lichen Kultur bestimmend gewesen, so forderte bald der Blick auf die technische
Entwicklung der Gegenwart zur Suche nach einer völlig neuen Kulturgestalt heraus,
die nicht nur das Mittelalter, sondern auch die bis ins 19. Jahrhundert hinein gelten-
den Bildungsideale hinter sich ließ. Ein Weg in die Zukunft war nach Guardini nur
durch eine personale Bildung möglich, die den Menschen befähigten, in der von
Technik und Masse geprägten kommenden Zeit zu bestehen.
Wir werden an späterer Stelle auf den Personbegriff Guardinis näher eingehen (vgl.
dazu Kapitel VI,l,c). An dieser Stelle bleiben wir zunächst bei der "Kultur" und ver-
suchen, sie mit Guardini in die "Welt" des Menschen einzuordnen, die 1923 als der
Gegenstand "katholischer Weltanschauung" benannt worden war.

a. Der Begriff "Welt"


Schon Immanuel Kant hatte unter "Welt" "das mathematische Ganze aller Erschei-
nungen und die Totalität ihrer Synthesis" verstanden.1 Für Martin Heidegger wurde
"Welt" dann zur formalsten existcnzialen Bestimmung des menschlichen Daseins (als
des "In-dcr-Welt-Seins").2 Zu erwähnen ist außerdem die christliche Tradition, die an
den neutestamentlichen "kösmos"-Begriff anschloß. Auch hier wurde "Welt" nicht
einfach "kosmologisch" verstanden (im Sinne von "Weltall"), sondern anthropolo-
gisch-heilsgeschichtlich - nämlich einmal als "Inbegriff der irdischen Lebensbedin-
gungen und Möglichkeiten" und als "Sphäre der menschlichen Beziehungen",3 und
zum anderen - jetzt im Sinne eines theologischen Urteils - als eine vorläufige oder
sogar gegengöttliche Macht.4 Immer ging es um die Welt des Menschen, und in die-
sem Sinne kann auch das IL Vatikanische Konzil die Rolle der Kirche in der "Welt"
von heute bestimmen.5

1
Kant, Kritik der reinen Vernunft, 447. Näheres zur Weiterentwicklung dieser Definition in der nach-
kantischen Philosophie vgl. Welt, in: Eisler, Wörterbuch, III, 502-506, bes. 504-506.
2
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 54; vgl. ebd., 52-62 und 63-113 (2. und 3. Kapitel des ersten Abschnitts),
bes. 641 - "Welt ist die Einheit des Seienden im Ganzen, das Verständnis der Welt ist das Verständnis des
Seienden im Ganzen" (HUnermann, Geschichte, 25).
3
Bultmann, Theologie, 255.
4
Vgl. Bultmann, Theologie, 2561- Dies betrifft die Theologie des Paulus; ähnliches gilt bei Johannes,
wobei dort "kösmos" noch negativer gezeichnet wird ("johanneischer Dualismus"; vgl. ebd., 367-373).
5
Vgl. II. Vatikanisches Konzil, GS, Überschrift. Vgl. dazu Moeller, Pastoralkonstitution, 282-284, bes.
283. Demnach dachten die Konzilsväter zwar implizit auch an das Universum der Schöpfung als solches,
ließen jedoch diesen Gesichtspunkt in den Hintergrund treten. "Was man im Auge hatte, war die 'Welt der
Menschen'" (ebd., 283). Definiert wurde "Welt" in Art. 2 als "die ganze Menschheitsfamilie mit der Gesamt-
heit der Wirklichkeiten, in denen sie lebt; die Welt, der Schauplatz der Geschichte der Menschheit, von ihren
Unternehmungen, Niederlagen und Siegen geprägt; die Welt, die nach dem Glauben der Christen durch die
202 Der Blick auf die Kultur

Guardini selbst knüpfte vor allem an die zeitgenössische Weltan-


schauungs-Philosophie an, in der dem Begriff ebenfalls ein sehr gefüllter Sinn
zukam.6 Er wurde zum Synonym für jene "Ganzheit", auf die der "schauende" Blick
sichrichteteund die eine Stellungnahme des "Anschauenden" verlangte,7 wobei diese
"Ganzheit" nicht abstrakt im Sinne metaphysischer Betrachtung, sondern "konkret" zu
verstehen war.8 "Welt" war somit in erster Linie eine bestimmte Qualität in der
Daseinserfahrung des Menschen - das '"Welthafte' im Gegebenen"9 bzw. das Gegebe-
ne als "Welt".10 Im Gegensatzbuch unterschied Guardini dann drei verschiedene
Begriffe von "Welt":
1) die "Welt an sich", d. h. "die Welt der wirklichen Dinge, so wie sie sich einem
erkennenden Wesen darstellen würden, das ihnen voll gewachsen wäre";
2) die "objektive Menschenwelt", d. h. "jene Reduktion der 'Welt an sich', wie sie der
Gesamttragweite menschlicher Aufnahme- und Angriffsmöglichkeit entspricht";
3) die "individuelle Umwelt", d. h. jener Ausschnitt aus der "objektiven Menschen-
welt", die einem einzelnen Menschen aufgrund seiner besonderen Veranlagung
und Wahlverwandtschaft entspricht.1'
Ihm selbst ging es nicht um die erste Bedeutung von "Welt"; die Frage der neuzeitli-
chen Philosophie, ob die Dinge "an sich" überhaupt dem Erkennen zugänglich seien,
wollte er auf sich beruhen lassen. Wie auch den Phänomenologen ging es ihm viel-
mehr in erster Linie um das "Phänomen" - also um jene durchaus "objektive" Gege-
benheit, die bereits eine innere Fühlungnahme des Menschen mit der Wirklichkeit an
sich voraussetzte. So wollte er bei der "individuellen Umwelt" ansetzen,12 bei ihr
jedoch nicht stehenbleiben, sondern von dort zur "objektiven Menschenwelt" vor-
stoßen. Bei diesem Bemühen erfüllte die Gegensatzlehre eine wichtige Funktion. Sie
war
"ein Mittel für den Einzelnen, das ihm zugewiesene Maß organischer Universa-
lität, will sagen, individueller Bezogenheit auf die Menschen-Gesamtwelt zu
erreichen ... Die individuelle Umwelt wird in ihrer Bedingtheit und Beschrän-
kung erkannt und in das wesensgemäße Verhältnis zur Menschenwelt eingeord-
net."13
Der Weltbegriff meint also auch bei Guardini die "Welt" des Menschen; er gehört in
die "Anthropologie", um die sich unser Autor nun immer intensiver bemüht. Sie ist

Liebe des Schöpfers begründet ist und erhalten wird; die unter die Knechtschaft der Sünde geraten, von Chri-
stus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch die Brechung der Herrschaft des Bösen befreit
wurde; bestimmt, umgestaltet zu werden nach Gottes Heüsratschluß und zur Vollendung zu kommen."
6
Vgl. etwa das Stichwort "Welt" im Register zu: Jaspers, Weltanschauungen, 5111- Siehe dazu Kap.
III,2,b.
7
Vgl. Weltanschauung, 14.
8
Vgl. Weltanschauung, 191
9
Vgl. Weltanschauung, 14.
10
Letzteres steht v. a. in "Welt und Person" im Vordergrund; vgl. bes. 109: "Der Welt als dem gegebenen
Ganzen steht der Mensch gegenüber; richtiger gesagt Ich."
11
Vgl. Gegensatz, 1921
12
An dieser Stelle verweist Guardini auf Jakob von Uexküll; siehe auch unten Anm. 32.
13
Gegensatz, 196.
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 203

bei ihm - in sehr konkreter Weise - Beschreibung des menschlichen "Daseins", d. h.


der Weise, wie der Mensch in dieser "Welt" lebt.14 "Welt" ist daher nicht
"objektivistisch" zu verstehen, sondern als jenes Gegebene, in dem "ich" bereits vor-
komme:
"Die Welt ist ein Ganzes besonderer Art. Sie besteht in Spannung. Einer ihrer
beiden Pole liegt überall in der Gegenständlichkeit, diffus gleichsam; der
andere, punktuell, in mir."15
In der "Innerlichkeit" des Menschen16 wurzelt dann aber auch das kulturelle Schaffen
des Menschen.

b. "Kultur" und "Natur"


aa. Zwei Aspekte von " Welt"
Die "Welt" des Menschen, von der eben die Rede war, muß nach Guardini nochmals
differenzierter betrachtet werden. Sie enthält in sich einmal etwas,
"was bereits ist, bevor - in der erkennenden, wertenden, handelnden Begegnung
zwischen diesem Ding und diesem Menschen - 'Welt' wird. Das kann nun selbst
bereits Begegnungsergebnis sein, z. B. menschliche Werke, Ordnungen usw.
Gehen wir aber weit genug zurück, so gelangen wir auf etwas, das vor jeder
möglichen Begegnung liegt. Wir sind gewohnt hierfür die Bezeichnung 'Natur'
einzusetzen."17
Die "Natur", von der hier die Rede ist, wird nicht einfach mit dem "an sich" Seienden
identifiziert. Auch sie steht bereits in Beziehung zum Menschen, ist also "welthaft" -
"Gesamtheit dessen, was unmittelbar gegeben ist, als Geborenes im Menschen, oder
als Umgebendes um ihn her: Also der Mensch als Gattung wie als einzelner; Land,
Fluß, Meer, Luft; Mineralien, Pflanzen und Tiere."18 Von dieser "Natur" zu unter-
scheiden ist nun die "Kultur":
"Inbegriff dessen, was der Mensch aus dem Naturhaft-Gegebenen macht; erken-
nend, stellungnehmend, handelnd, schaffend; am umgebenden Sein der Dinge,
am anderen Menschen, an ihm selbst."19
Es handelt sich um das Ergebnis einer Begegnung zwischen "Natur" und "Mensch",20
ja es ist der Vollzug dieser Begegnung selbst - "objektive" und "subjektive" Kultur
gleichermaßen.21 "Kultur" und "Natur" gehören zur "Welt" des Menschen; diese ist
das "Ganze", in dem er sich vorfindet und das ihm "konkret" gegeben ist.

14
Vgl. WP 15 und 23, sowie 91 - Näheres dazu in Kap. VI,l,c.
15
WP72.
16
Vgl. dazu WP 45-70: "Die Pole des Daseinsraumes", bes. 51-58.
17
Kultur und Natur, 1851
18
CK 145.
19
CK 145.
20
Vgl. Kultur und Natur, 1851
21
Vgl. Kultur und Natur, 188; sowie bereits: Neue Jugend, 31.
204 Der Blick auf die Kultur

bb. Der menschliche Geist - die Wurzel der "Kultur"


Die Unterscheidung der "Kultur" von der "Natur" war bereits mit dem Entstehen des
Begriffs selbst eng verbunden - "cultura" als landwirtschaftliche Tätigkeit meinte ja
ganz konkret die Veränderung des "natürlich" Gegebenen durch den Menschen22 -,
trat dann aber in der Neuzeit besonders hervor, als "Kultur" zum erstrebenswerten Gut
des Menschen schlechthin wurde. Im Bildungsbürgertum kam, wie bereits im I. Kapi-
tel gesagt wurde, ein normatives Element in den ursprünglich anthropologischen
Kulturbegriff,23 als sich mit ihm bestimmte Idealvorstellungen zu verbinden began-
nen; er bezeichnete nun insbesondere die Vervollkommnung des menschlichen Gei-
stes auf dem Weg einer "humanen" Entfaltung der in der eigenen "Natur" liegenden
Möglichkeiten.
Inzwischen hatte aber der Siegeszug der Naturwissenschaften einen erheblich
"realistischeren" Naturbegriff hervorgebracht; auch der Mensch wurde nun mehr und
mehr in die Entwicklungsgeschichte der Natur eingeordnet und drohte seine Sonder-
stellung zu verlieren, zumal ein philosophischer "Naturalismus" und "Materialismus"
- ausgehend von Schopenhauer und Nietzsche, aber auch von Feuerbach und Marx -
den "Geist" des Menschen als von der Natur unabhängige Instanz schlichtweg leugnet
(vgl. dazu auch oben Kapitel I,2,a,aa). Die "Philosophische Anthropologie", die sich
in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu bilden begann, versuchte diesen
Strömungen Rechnung zu tragen und dennoch einen Kulturbegriff zu entwickeln, der
die Sonderstellung des Menschen in der Natur zum Ausdruck brachte.24 Den ent-
scheidenden Anstoß dazu gab Max Scheler in seinem 1928 erschienenen Spätwerk
"Die Stellung des Menschen im Kosmos". Anknüpfend an naturwissenschaftliche
Erkenntnisse wies er darauf hin, daß der Mensch im Unterschied zu den übrigen
Lebewesen, auch in Abhebung von den Tieren, "umweltfrei" und "weltoffen" sei.
Während das Tier noch in der "Welt" aufgehe, vermöge der Mensch von ihr Abstand
zu gewinnen und dabei nicht nur die außer ihm liegende Wirklichkeit, sondern auch
sich selbst zum "Gegenstand" zu erheben.25
Scheler verwendete für diese besondere Stellung des Menschen den klassischen
Begriff des "Geistes" in Verbindung mit dem der "Person".26 Er verstand darunter ein
neues Prinzip
"außerhalb alles dessen, was wir 'Leben' im weitesten Sinne nennen können:
Das, was den Menschen allein zum 'Menschen' macht, ist nicht eine neue Stufe
des Lebens ..., sondern es ist ein allem und jedem Leben überhaupt, auch dem
Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip, eine echte neue Wesenstatsache,
die als solche überhaupt nicht auf die 'natürliche Lebensevolution' zurückgeführt
werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der

22
Siehe dazu oben unter Kap. 1,1,a und in Abschn. 1 der Einleitung.
23
Zu Herder als Ausgangspunkt der modernen philosophischen Anthropologie vgl. Pannenberg, Anthro-
pologie, 40-76.
24
Zum Verständnis von Guardinis Werk auf dem Hintergrund der Ansätze der Philosophischen Anthropo-
logie hat Arno Schilson eine hilfreiche Einführung vorgelegt; vgl. ders., Welt und Person - Der geistesge-
schichtliche Hintergrund, bes. 16-21.
25
Vgl. Scheler, Stellung des Menschen, 36.
26
Vgl. Scheler, Stellung des Menschen, 35.
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 205

Dinge selbst zurückfällt: auf denselben Grund, dessen eine Manifestation das
'Leben' ist."27
"Der Mensch allein - sofern er Person ist - vermag sich über sich - als Lebewe-
sen - emporzuschwingen und von einem Zentrum gleichsam jenseits der raum-
zeitlichen Welt aus alle, darunter auch sich selbst, zum Gegenstande seiner
Erkenntnis zu machen."28
Anstelle des Geistbegriffes führte Helmut Plessner, der zweite große Vertreter der
"Philosophischen Anthropologie" einen Hilfsbegriff ein und sprach von der
"exzentrischen Position" des Menschen, die nicht ein allem Leben entgegengesetztes
Prinzip darstelle sondern eine strukturelle Modifikation des Lebens selbst sei.29
Arnold Gehlen umging dann den Geistbegriff, indem er die "Weltoffenheit" mit der
berühmten These vom Menschen als "Mängelwesen" begründete; aus der Kompensa-
tion seiner artspezifischen Mängel entstünden vor allem Sprache und Kultur, mit
denen der Mensch die Nachteile seiner biologischen Ausgangslage in Vorteile ver-
wandle.30
Noch bevor aber Scheler die Initialzündung zur Herausbildung anthropologischer
Entwürfe gab, hatte Guardini bereits die Sonderstellung des Menschen auf seine
Weise zum Ausdruck gebracht, als er von einer "Verdünnung" oder "Auflockerung"
des "Naturhaft-Wirklichen" durch den Geist sprach. Alles geistige Schaffen scheine
"eine Art Askese vorauszusetzen; eine Art Aufbrechung, Lösung, Entwirklichung der
Natur. Dann erst kann der Mensch sein Werk aufrichten."31 Wie später Scheler hatte
sich auch Guardini mit Jakob von Uexkülls Werk über die "Umwelt und Innenwelt
der Tiere" beschäftigt32 und den "Umwelt"-Begriff auf die durch kulturelles Handeln
gebildete individuelle "Umwelt" des Menschen übertragen,33 "die auf ihn bezogen
und von ihm her durchwirkt ist."34 Kultur bedeutete daher "die Aufhebung des
Umweltverhältnisses, in dem das lebendige Einzelwesen kontinuierlich zu den umge-
benden Dingen steht", die "Aufhebung der Selbstverständlichkeit des Mit-den-
Dingen-Seins".
"Sie wurzelt im Vollzug der Grenze zwischen mir und dem Anderen; im
Gewinn nach der Freigabe; in der Erfassung nach der Unterscheidung."35
Damit ist die Fähigkeit des menschlichen Geistes zur Grenzziehung gegenüber, zur
Unterscheidung und Distanzierung von der "Natur" als die eigentliche Wurzel aller
Kultur benannt. Kultur geht nach Guardini "vom Sinn des Natürlichen aus, vom Wert
der irdischen Dinge, Ordnungen und Werke"; sie holt heraus, was im Natürlichen

2
' Scheler, Stellung des Menschen, 35.
28
Scheler, Stellung des Menschen, 44.
29
So nach Pannenberg, Anthropologie, 341; vgl. H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der
Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie [1928], 2. Aufl., Berlin 1965.
30
Vgl. A. Gehlen, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940; dazu Pannen-
berg, Anthropologie, 35-38.
31
Briefe, 14.
32
J. v. Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere, Berlin 1921; vgl. der Hinweis Guardinis auf dieses
Buch: Gegensatz, Anm. 45, 193.
33
Vgl. Briefe, 14; Gegensatz, 193.
34
Briefe, 14.
35
Kultur und Natur, 191.
206 Der Blick auf die Kultur
liegt und baut von daher "Kultur" auf.36 Die "ganz unberührte" Natur sei deshalb für
den Menschen überhaupt nicht mehr erreichbar. Im Gegenteil:
"Wirklich anzugehen beginnt die Natur uns erst, wenn sie anfängt, durchwohnt
zu werden; wenn in ihr Kultur beginnt. Die schreitet dann fort; Stück um Stück
der Natur wird gestaltet. Der Mensch schafft darin seine eigene Welt, geformt
nach Gedanken, beherrscht nicht nur von naturhaftem Trieb, sondern von
gesetzten Zwecken, geistigen Wesenheiten dienend; als eine Umwelt, die auf
ihn bezogen und von ihm her durchwirkt ist."37
Wird dann aber die "Natur" abstrakter, unwirklicher? Verschwindet sie nicht am Ende
ganz zugunsten einer durch und durch "Kultur" gewordenen "Welt"?38 Oder bleibt sie
nur noch eine der "Kultur" selbst eigene Haltung - als kultivierte "Natürlichkeit"?
Gerade in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, im Zusammenhang mit der
fundamentalen Krise der Kultur meldete sich der Ruf nach der "Natur" im eigentli-
chen, vollen Sinne des Wortes machtvoll zurück.

cc. Rückkehr zur "Natur"?


Für Guardini trat die "Kultur" nicht in jedem Falle an die Stelle der "Natur". Der
menschliche Geist tritt der "Natur" gegenüber, um sie zu verändern, nicht aber um sie
abzuschaffen. Auch in der Annahme des "natürlich" Gegebenen zeigt sich nach ihm
die spezifisch menschliche Haltung. Während ein reines "Naturwesen" alles nur mit
"Notwendigkeit" über sich ergehen lassen könne, handle es sich bei der menschlichen
"Annahme" der Natur um einen bewußten Akt, der nur aus der grundlegenden Distanz
zur "Natur" möglich sei.39 In beiden Verhaltensweisen - Guardini spricht von
"menschlicher Freiheit" einerseits, "Unabändertichkeitsverwirklichung" andererseits40
- gewinne der Mensch "die Kraft zur wahrhaft menschenmäßigen Stellung der Natur
gegenüber: Ja und Nein zugleich zu ihr zu sagen; sie als Voraussetzung zu nehmen
und als Aufgabe; als tragenden Grund und als Gefahr. Die Kraft, ihr zu gehorchen
und sie zu überwinden; zu entsagen, sich loszulösen, und wiederum zu durchdringen
und emporzugestalten."41
"Hier wurzelt die echte Realistik des Weltverhältnisses, von einem Kapitulieren
vor der Natur ebensoweit entfernt wie von idealistischer oder dualistischer
Weitabscheidung. Dies aber nicht in der Form einer Synthese oder eines Mit-
telweges, sondern als das eigentliche, erste, lebendige wahrhaft konkrete
Verhalten, von dem jene anderen nur Abspaltungen sind."42

36
Vgl. LB 89 [107].
37
Briefe, 131
38
Guardini hat dies später eindrucksvoll beschrieben; vgl. Situation des Menschen (urspr. 1953), 220-229.
39
Vgl. Lebendiger Geist, 1431
*™ Vgl. Lebendiger Geist, 143. Vgl. neben dem hier zitierten Beitrag die vorausgegangenen Ausfuhrungen
in: Lebendige Freiheit; Freiheit und Unabänderlichkeit (beide 1927).
1
Lebendiger Geist, 144.
42
Lebendiger Geist, 144.
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 207

Auch die "Natur" gehört also nach Guardini weiterhin zu den "Grundmächten
menschlichen Daseins".43 Er kritisiert die neuzeitliche Tendenz, die "Natur" mehr
oder weniger außer acht zu lassen, sie zur bloßen Ausgangsbasis der Kultur zu erklä-
ren oder in eine recht blasse, von vornherein schon "kultivierte" "Natürlichkeit" auf-
zulösen. Wilhelm von Humboldt etwa habe versucht, "den Schlaf auf das geringste
Maß zurückzudrängen, damit - in Annäherung - das ganze Leben in bewußter Wach-
heit und geistigem Schaffen verbracht, also das Leben ganz zur Kultur werde".44
Dagegen erhebt Guardini Einspruch: Ebensowenig wie "reine Natur" könne es "reine
Kultur" geben; es handle sich in beiden Fällen um "Grenzwerte", von denen jeder nur
mit dem anderen zusammen verwirklicht sein könne.
An diesem Punkt gelangt ein "romantischer" Einschlag in Guardinis Denken. Vor
die "realistische" "Natur" der Naturwissenschaften schiebt sich erneut das Naturemp-
finden der Jugendbewegung. Deren "Naturhaftigkeit" stand - anders als die kultivierte
"Natürlichkeit" des Neuhumanismus - im Zusammenhang mit "Erde" und "Volk" -
von Wirklichkeiten also, die bald nationalsozialistischem Mißbrauch anheimfielen.
Für Guardini war der Begriff des "Volkes" aber in keiner Weise "völkisch", d. h. auf
ein bestimmtes Volk, eine Nation oder Rasse bezogen. Es handelt sich um eine
besondere Qualität menschlichen Lebens, die der "Gebildete" neuzeitlicher Prägung
in verhängnisvoller Weise aus den Augen verloren habe.45
"Volk ist jenes Menschentum, das mit den Wurzelgründen und Wesensgesetzen
von Natur und Leben in ungebrochenem Zusammenhang steht."46
Deswegen taucht hinter dem neuen Sinn für das "Volkhafte" sofort auch die Idee der
"Menschheit" auf. Denn es gibt im Grunde nur zwei innerweltliche "Ganzheiten", von
denen her sich menschliches Leben aufbaut: die "Person" und die "Menschheit" als
Ganze; alles andere sind relative Zwischengestalten.47 Doch auch Menschheit ist
eben "volkhaft" - "lebendige Einheit des Menschengeschlechts; in Blut, Schicksal,
Verantwortung."48 Deshalb kann Guardini aber die neoromantischen Gedanken im
Prinzip auch sehr gut verstehen, die am Ende der zwanziger Jahre in gefährlicher
Verquickung mit völkischer Verengung neu zur Geltung kamen. Durchaus positiv
greift er noch 1931 Gedanken von Alfred Baeumler auf - einem Vordenker der Natio-
nalsozialisten, der sich um eine Wiederentdeckung der Werke Bachofens bemühte.49

4i
Liturgie, 19. Auch die Liturgie wird nicht nur als "Kultur" verstanden; in ihr spreche auch die Stimme
der Natur "rein und machtvoll" (ebd.), wenn auch überformt von der "Kultur" als "Inbegriff alles dessen, was
die schaffende, gestaltende, ordnende Menschenkraft an Gutem, Wertvollem hervorbringt" (ebd.,); siehe zum
Kontext oben in Kap. II,3,a,bb und cc.
44
Kultur und Natur, 196.
45
Vgl. Sinn der Kirche, 251
46
Sinn der Kirche, 25.
47
Vgl. Sinn der Kirche, 67: "Die Kirche ist letzten Endes nicht auf die Völker, sondern auf das Mensch-
heitsganze und auf den einzelnen Menschen bezogen. Das sind aber jene beiden Gestalten des Menschlichen,
die der Ewigkeit nahe stehen, während alles, was zwischen ihnen liegt, zeitgebunden ist, also auch die staatli-
chen und volklichen Bildungen." Ferner Weltanschauung, 20.
48
Sinn der Kirche, 26.
49
Vgl. Baeumler, Bachofen der Mythologe der Romantik (Einleitung zu: Bachofen, Mythus von Orient
und Occident [1926]). Guardini spricht von der "geistvollen Einleitung" Baeumlers, an die er in seinen
Gedanken anknüpfe: "Zum Teil geben sie wieder, zum Teil bringen sie Eigenes; sie versuchen zu verstehen,
208 Der Blick auf die Kultur

Das "Naturhafte" (das "Mythische", "Chthonische", "Mütterliche", "Dionysische")


sollte nach diesem wieder neu als der Ausgangspunkt aller Kultur ins Bewußtsein
gerufen werden, auch wenn - im Unterschied etwa zu Ludwig Klages - nicht einfach
eine Rückkehr ins Unbewußte propagiert, sondern auf die positive Bedeutung der
abendländischen Geistesgeschichte hingewiesen wurde50:
"Dem Okzident hat die Geschichte die Aufgabe zugewiesen, durch die reinere
und keuschere Naturanlage seiner Völker das höhere demetrische Lebensprinzip
zum dauernden Siege hindurchzuführen, und dadurch die Menschheit aus den
Fesseln des tiefsten Tellurismus, in dem sie die Zauberkraft der orientalischen
Natur festhielt, zu befreien."51
Entsprechend hebt Guardini nun hervor, daß die "Tiefe" ("Natur") die notwendige
Voraussetzung der "Kultur" ("Höhe") sei,52 daß aber andererseits die "Natur" (als
"jenes Erste, welches vor dem Bewußtsein, vor der Geburt, vor der Geschichte steht")
nicht in sich selbst bleiben könne, sondern zur kulturellen Entfaltung strebe ("in
Bewußtsein, Geburt, Geschichte hinein").
"In Wahrheit ist alles das, was wir 'Natur' genannt haben, Leben. Leben aber
will wachsen. Wachstum aber ist Richtung; Richtung nach vorn, auf Kultur
hin."53
Zu bestimmten Zeiten - Guardini spricht von den "romantischen" Perioden - breche
aber die "Macht des Einst" übergewaltig durch; Geschichte sei nun nicht mehr bloß
Wissen um "Gewesenes", sondern ein "Heraufholen des Frühem im Jetzt, um des-
sentwillen, daß es - und je zeitlich ferner, desto stärker - Annäherung an das Absolute
Einst ist."54 Aber:
"Trotz aller Sehnsucht in das Einst, in die Tiefe, in das Dunkel, zu den 'Müttern'
- sobald wir die lebendige Bewegung dahin loslassen, merken wir, daß auch sie
in die Unmöglichkeit gleitet. In den Bereich, der nicht mehr 'Dunkel', sondern
'Finsternis' ist; nicht mehr schaffende Fülle, sondern Wirrsal; nicht mehr
Schweigen, sondern Stummheit; nicht mehr Tiefe, sondern Abgrund; nicht mehr
Schoß, sondern Verschlungensein ins Formlose. Da wird das Hinstrecken zu den
Quellen, zu den Gründen, aus denen das Leben wieder neu ans Licht steigt, zum
'Infantilen', zum Gefesseltsein an den Anfang."55

Kritik zu üben und fortzuführen. Ich wüßte nicht zu sagen, wie weit ihre Abhängigkeit geht, und wo das
Selbstgedachte beginnt" (Kultur und Natur, Anm. 1, 186).
50
Vgl. Baeumler, Einleitung, CCVI-CCVHI.
51
Bachofen, Mythus, 37; zit. bei Baeumler, Einleitung, CCVIII.
52
Vgl. Kultur und Natur, 190-194.
53
Kultur und Natur, 194.
54
Kultur und Natur, 194.
55
Kultur und Natur, 198. Von Baeumler und Bachofen bestimmt ist auch Guardinis Erwähnung des
Schicksalsbegriffs in diesem Zusammenhang: "Freiheit und Schicksal stehen zueinander wie Natur und
Kultur". Freiheit ohne Schicksal wäre "schweifende Willkür", Schicksal ohne Freiheit dagegen "Fatum",
"dumpfer Zwang ohne Sinn". "Erst durch die Freiheit gewinnt das Schicksal jenen besonderen Charakter, der
es von der Naturnotwendigkeit unterscheidet, und wonach es 'Notwendigkeit im Personalen' ist" (Kultur und
Natur, 198). Diese Gedanken wirken fort in Guardinis Gedanken zur Vorsehung; siehe dazu unter Kap.
VI,l,d,aa.
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 209

Ganz deutlich wehrt sich Guardini also - ausgehend vom "romantischen"


Naturbegriff- gegen ein Aufgehen in bloßer "Nahrhaftigkeit". Doch sind ihm die
Anregungen Baeumlers trotzdem wichtig, um an der bleibenden Bezogenheit auf die
dunklen Tiefen des Daseins festzuhalten, für deren anthropologische Bedeutung er
sich außerdem auf die Ergebnisse der Tiefenpsychologie beruft.56 Bereits früher hatte
Guardini - sowohl gegen eine rationalistische wie gegen eine irrationalistische
Einseitigkeit57 - eine "Balance" zwischen beiden Wirklichkeiten gefordert:
"Tiefste Kultur, und der Natur ganz nahe. Schaffender Geist, in den Zusammen-
hang mit der Natur eingewoben, und reinste Menschlichkeit darin."58
"'Kultur' kann nicht in sich allein stehen; immer liegt die Natur als Ausgangs-
punkt und als lebendige, wartende Möglichkeit unter ihr. Ebenso wie 'Natur'
dem Menschen nie rein, sondern nur auf Kultur hin gegeben ist. Beides sind
gegensätzlich gestellte Teilphänomene eines Ganzen: Der Menschenwelt."59
Die romantischen Anklänge legten Guardini in dem Beitrag aus dem Jahre 1931
offenbar die Anwendung der Gegensatzlehre auf das Verhältnis von Natur und Kultur
nahe, wie das eben angeführte Zitat zeigt.60 Er kann nun feststellen:
"Die Begriffe 'Natur' und 'Kultur' scheinen zusammen eines jener Gefüge zu
bilden, deren Glieder wesentlich aufeinander bezogen sind. Jedes hat seine
eigene Wurzel und ist vom anderen nicht abzuleiten. Jedes vollzieht auf eigener
Linie die Verwirklichung seines besonderen Sinnes und kann, bis zu einer
gewissen Grenze, unabhängig vom anderen betrachtet werden. Aber nur bis zu
einer gewissen Grenze; im Letzten kann keines vom anderen gelöst, keines ohne
die Beziehung zum anderen begriffen und realisiert werden."61
Dem entspricht auch Guardinis These:
"Was im oben entwickelten Sinne Natur heißt, menschliche Natur, ist dem
lebendigen Geiste ebenso nah und ebenso fern wie das, was Kultur genannt
wurde."62
An dieser Stelle gerät Guardini allerdings in Unklarheiten. Wenn nämlich "Kultur"
etwas Spezifisch-Menschliches ist, die "Natur" aber etwas dem Menschen Vorgege-
benes, dann stehen sich "Kultur" und "Natur" von ihrem "Wesen" her immer gegen-
über, und zwar nicht wie "Gegensätze" im guardini'schen Sinne, die ja wertmäßig
völlig gleichrangig sind, sondern so, daß sie (aufgrund der beim Menschen vorliegen-
den, ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidenden "Geistigkeit" bzw.

56
Guardini bezieht sich auf Erkenntnisse zur vorgeburtlichen Existenz, zur Wirklichkeit des Unbewußten
und zur Bedeutung von Symbolen und Träumen; vgl. Kultur und Natur, 1911 und 200.
57
Vgl. etwa Briefe, 311, aber auch Gegensatz, 163-184.
58
Briefe, 18 (am Beispiel des Pflugs abgelesen!).
59
Kultur und Natur, 191; vgl. ebd., 190-196.
60
Guardinis spricht auch von "lebendigen Gegenwerten" (Kultur und Natur, 197), sowie von "bezogenen
Phänomenen" - "Gegensphären, bezogen auf den konkreten Menschen und seine konkrete Welt" (ebd., 199).
61
Kultur und Natur, 190.
62
Kultur und Natur, 200.- Vgl. Gegensatz, 122: "Beide Reihen stehen dem 'Geist' gleich fern und nah. Es
bedeutet ein unbewußtes Mittel der Selbstdurchsetzung, des kulturellen Lebenskampfes, ihn für eine in
Beschlag zu nehmen. Das gleiche gilt auch für den Versuch, eine Reihe als wertvoller, gar als den Wert, den
Maßstab hinzustellen - wie es zum Beispiel der naive maskuline Geltungs- und Herrschwille in der abendlän-
dischen Kultur immer getan hat."
210 Der Blick auf die Kultur

"Personalität) auf verschiedenen qualitativen Ebenen liegen. Als Kulturwesen tritt der
Mensch der bloßen "Natur" gegenüber, auch wenn es diese "rein" gar nicht gibt,
sondern immer nur als bereits kultivierte "Natur". Dann aber ist die Aussage, die
"Natur" stehe dem Geiste "ebenso nah und ebenso fern" wie die Kultur, völlig unver-
ständlich, ja sogar falsch. Wenn allerdings nichts anderes gemeint sein soll als die
oben beschriebene doppelte Tätigkeit des Geistes gegenüber der "Natur" - nämlich in
einer "naturüberwindenden" und einer "na.turunmittelbaren" Form -, dann ließe sich
darin in der Tat eine Gegensätzlichkeitsstruktur erkennen. Nicht "Natur" und "Kultur"
stehen dann aber polar gegenüber, sondern zwei Wesen "kultureller" Tätigkeit. Unter
dieser Voraussetzung kann man in der Tat ohne "romantischen" Beigeschmack sagen:
"'Kultur' kann nicht in sich allein stehen; immer liegt die Natur als Ausgangs-
punkt und als lebendige, wartende Möglichkeit unter ihr. Ebenso wie 'Natur'
dem Menschen nie rein, sondern nur auf Kultur hin gegeben ist."63
Nicht Rückkehr zur "Natur" ist also angesagt, wohl aber eine "Kultur", die der
"natürlichen" Grundlage des Daseins wirklich Rechnung trägt.

c. Die "Kulturwelt" des Menschen


"Welt" darf nicht objektivistisch verstanden werden; sie muß vielmehr von ihrer Wur-
zel im "Ich" des Menschen her begriffen werden. Nur deshalb kann Guardini zu einer
anthropologischen Begründung der Kultur mit Hilfe der Kategorien des "Geistes" und
der "Personalität" gelangen (vgl. oben Abschnitt b). Es geht um das Verhalten des
Menschen in seiner "Welt" kraft des ihn von allen anderen Geschöpfen unterschei-
denden Geistes - sei es erkennend oder handelnd, sei es im Verfolgen bestimmter
Zwecke oder in einer eher spielerischen, zweckfreien, aber sinnstiftenden Weise.64
Dennoch ist "Kultur" nun umgekehrt auch nicht nur ein rein subjektiver Vorgang.
Sie wird vielmehr im subjektiven Vollzug zu etwas "Objektivem", zum "Inbegriff
alles dessen, was die schaffende, gestaltende, ordnende Menschenkraft an Gutem,
Wertvollem hervorbringt: Wissenschaft, Kunstgebilde, gesellschaftliche Einrichtun-
gen usw."65
"Wäre es nicht Torheit, etwa die Erkenntnis zu etwas nur Subjektivem machen
zu wollen? Steigt nicht vielmehr aus Arbeit und Erlebnis des einzelnen immer

63
Kultur und Natur, 191.- Nach der Veröffentlichung des Gegensatzbuches wollte es Guardini nicht mehr
richtig gelingen, die so ausführlich entwickelte Denkstruktur auf anthropologische Phänomene anzuwenden.
"Schlüssel" für das Gesamtwerk kann sie daher nur genannt werden (vgl. etwa Wechsler, Guardini, 15), wenn
man damit Guardinis ersten Zugang zur lebendig-konkreten Wirklichkeit des Menschen in seinem Weltver-
halten bezeichnen möchte. So sehr Guardini im "Gegensatz" diese Wirklichkeit phänomenologisch erschlos-
sen hatte, so sehr drängte sich im weiteren Verlauf der anthropologischen Überlegungen Guardinis eine ande-
re "Struktur" vor - das Zueinander von "Innen" und "Außen", was eben kein "Gegensatz", sondern Phänomen
des lebendigen "Ausdrucks". Vgl. dazu unten Kap. VI,1.
64
Vgl. auch Liturgie, bes. 58-72. In den liturgischen Schriften finden sich ja die ersten Reflexionen zum
Kulturbegriff; Liturgie wird von Guardini überhaupt in erster Linie in ihren "kulturellen" Dimensionen
betrachtet; siehe dazu unter Kap. II,3,a,cc.
65
Liturgie, 21.
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 211

wieder als Sinn und Ziel der gegenständliche Wahrheitsertrag auf? Wird nicht
über allem Einzel-Menschenleben, und doch durch es, der geistige Weltbau der
Wissenschaft als Bleibendes errichtet, und von Geschlecht zu Geschlecht
weitergegeben, ohne daß dadurch der einzelne sich beeinträchtigt fühlte?"66
So entsteht neben der "natürlichen" "Umwelt" des Menschen auch "Sphäre des Kultu-
rellen", eine "Kulturwelt"61. In ihr findet sich der Einzelne bereits vor, er benutzt sie,
nimmt sie in sich auf und baut daran weiter. Auf welche Weise dies geschehen kann,
beschreibt Guardini an einer späteren Stelle, bei der Arbeit an einer
"Kulturphilosophie" 68
Dabei hat er zunächst die Wissenschaft im Blick:
"Der Sinn der Wissenschaft geht im Letzten darauf, die Wirklichkeit in den
Zustand des Verstandenseins zu übersetzen und in einem System der Zeichen
auszudrücken, um so einen spezifischen Bereich des Existierens zu schaffen.
Eine Welt zu bauen, die aus Erkenntnis besteht und von den Erkennenden
bewohnt wird."69
Gehe diese Form der "Welt-Werdung" aus der theoretischen und "um ihrer selbst
willen" gestellten Frage hervor, so entstehe die "Welt" der Werkzeuge und der Tech-
nik aus einem Zwecke setzenden Willen des Menschen.70 Auch in ihr gehe es letzt-
lich um den gleichen Willen wie in der Wissenschaft -
"die Natur in ihre Stoffe, Energien, Funktionen, Einheiten aufzulösen und sie als
Werkzeug und Maschine neu aufzubauen, um so einen Raum, einen Formen-
und Funktionsbereich zu schaffen, in welchem der Mensch als zwecksetzendes,
bauendes und schaffendes Wesen wohnt und sich bewegt."71
"Welt" entstehe aber ferner auch durch politisches, pädagogisches und ärztliches
Handeln.72 Schließlich gebe es eben die "Welt" der "Bilder", deren Sinn "weder in
der wissenschaftlichen Richtigkeit, noch in der technischen Brauchbarkeit, sondern in
der Weisheit" liege,73 und, damit zusammenhängend die der "Kunstwerke".14 Auch
sie bildet nach Guardini "einen Raum, in welchen der nichtschaffende Mensch eintre-
ten und der Welt, die darin erstanden ist, teilhaftig werden kann."75

60
Neue Jugend, 31.
67
Vgl. Briefe, 14.
68
Ausgangspunkt war ein Vortrag, den Guardini im September 1937 anläßlich einer Tagung des
"Studienkreises für Kirchenkunst" auf Burg Rothenfels hielt; abgedruckt in den "Schildgenossen" unter dem
Titel "Die Bereiche des menschlichen Schaffens" (1938). Dem Rahmenthema entsprechend lag der Schwer-
punkt auf den "Bildern" und der "Kunst" (vgl. ebd., 209-216). Wenig später baute Guardini seine Gedanken
weiter aus; daraus entstand das bisher noch unveröffentlichte Manuskript "Der Zusammenhang des menschli-
chen Schaffens. Umriß einer Kulturphilosophie" (vgl. Zusammenhang ; laut Vorbemerkung [ebd., V] ent-
standen im Frühjahr 1941).
69
Zusammenhang*, 14; vgl. insgesamt ebd., 5-14. - Kürzer gefaßt in dem veröffentlichten Beitrag "Die
Bereiche des menschlichen Schaffens"; vgl. ebd., 205.
70
Vgl. Zusammenhang*, 15-22.
71
Zusammenhang*, 22.
72
Vgl. Zusammenhang*, 23-41.
73
Zusammenhang*, 46; vgl. insgesamt ebd., 41-53.
74
Vgl. Zusammenhang*, 54-66.
75
Bereiche (1938; hier 1963), 214.
212 Der Blick auf die Kultur

All dies sind einzelne Aspekte bzw. Bereiche der dem Menschen vorgegebenen und
zugleich von ihm mitgestalteten "Kulturwelt". Diese differenziert sich aber nicht nur
kategorial, sondern auch im Prozeß der Menschheitsgeschichte. Hier kommt es im
Laufe der Zeit und an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen und gleichzeitig
charakteristischen Ausprägungen der menschlichen "Kulturwelt", die allen kulturellen
Teilgebieten ihren Stempel aufprägen. Schon früh spricht Guardini in diesem Sinne
etwa von der "abendländischen Kultur",76 von der "Kulturbewegung unserer Tage"77
von der "Einheit des römischen Weltreiches und der hellenistischen Kultur",78 sowie
von der "Kultureinheit" des Mittelalters. Zu der letzteren heißt es besonders eindring-
lich:
"Wieder war eine politische Einheit, die des 'Heiligen Römischen Reiches Deut-
scher Nation', wenigstens als anerkanntes Zielbild da. Wieder eine Einheit der
Bildung, die es möglich machte, daß einer ohne weiteres seine Studien in
Bologna begann, in Köln fortsetzte, in Paris oder Oxford zu Ende brachte. Wie-
der eine Kultureinheit, darin eine Fülle von Ideen, Worten, Ausdrucksformen,
von sozialen, künstlerischen, gesellschaftlichen, geistlichen Werten, von Gesin-
nungen und seelischen Haltungen von vornherein gemeinsam war. Wieder selbst
eine Gemeinschaft der Sprache; denn das Latein der Theologie und der Kanz-
leien wurde lebendig gedacht und gesprochen."79
In solche Beschreibungen schleichen sich freilich leicht Wertungen ein; die Bewunde-
rung für eine bestimmte Kultur kann zu einem bewußten oder unbewußten Kultur-
ideal werden, an dem dann vorschnell andere "Kulturen" gemessen werden. Ein sol-
ches Ideal bzw. die Suche nach ihm hatte auch Guardinis frühe Kulturkritik geleitet,
wie wir oben (vgl. Abschnitt l,a) gesehen haben. Auf dem Höhepunkt seines Enga-
gements in der katholischen Jugendbewegung griff er sogar die spezifisch deutsche
Unterscheidung von "Kultur" und "Zivilisation" auf und verwendete letzteres in
einem abwertenden und an Spengler anklingenden Sinn: "Es verschwindet Kultur
überhaupt, und kommt Zivilisation, Barbarei."80
Auch wenn Guardini diese Unterscheidung später wieder fallen läßt81 und weniger
einen "normativen" als vielmehr einen "deskriptiven" Kulturbegriff gebraucht, bleibt
für ihn die Kultur doch an bestimmte Maßstäbe gebunden. Sie werden aber nun nicht
mehr an einer Kulturgestalt der Vergangenheit abgelesen (etwa an der Kultur des
Mittelalters oder der "humanistischen" Kultur des 19. Jahrhunderts) und sind auch
76
Gegensatz, 122.
77
LB 43 [57].
78
Vgl. LB 51 [66].
79
L B 5 1 [66].
80
LB 25. Hier formuliert Guardini in der späteren Fassung vorsichtiger: "Ja, es verschwindet Kultur, wie
wir sie bisher verstanden haben, überhaupt" [38]. Dieselbe Abschwächung findet sich öfters. Im ursprüngli-
chen Text hieß es etwa: "Wie untermenschlich [!] die Kultur des Nachmittelalters [!], an diesen tiefen Maß-
stäben gemessen werden sollte, kann uns aufgehen, wenn wir eine mittelalterliche [!] Stadt, ihre Bauart, ihre
Sitten und Ordnungen, ihre mit tiefstem Recht [!] so zu nennenden Bildungsmittel mit unserer heutigen
Großstadt vergleichen ..." (24) Vgl. die neue Formulierung: "Wie armselig [!] die Kultur der Neuzeit [!], an
den Maßstäben echten Geistes gemessen, geworden ist, kann uns aufgehen, wenn wir eine alte [!] Stadt, ihre
Bauart, ihre Sitten und Ordnungen, mit unserer heutigen Großstadt vergleichen" [37].
81
Guardini neigt nun sogar zu einer positiven Würdigung des Zivilisationsbegriffs, wie er in den romani-
schen Ländern anstelle des deutschen Kulturbegriffs üblich ist; vgl. Kultur und Natur, Anm. 2, 1881
Die Kultur in der "Welt" des Menschen 213

nicht nur an bestimmte Formen des menschlichen Schaffens (wie Wissenschaft und
Kunst) gebunden, sondern entstammen der Wesensstruktur des Menschen selbst,
nämlich dem Grundcharakter seiner Personalität. Die Forderung nach personaler
Bildung steht daher auch am Ende der Auseinandersetzung mit der technischen
Kultur, die als eine mögliche Ausprägung menschlicher "Kulturwelt" dem gegenwär-
tigen Menschen vorgegeben ist, von ihm eine Stellungnahme fordert und vor allem
die Bereitschaft, in sie einzutreten und in ihr in rechter Weise weiterzubauen.
In dieser Aufforderung liegt eine besondere Konkretisierung dessen, was Guardini
als das Kennzeichen einer "Weltanschauung" beschrieben hatte:
"Sie geht in besonderer Weise auf die konkrete Einmaligkeit der Welt; in ihr
liegt ein letztes Standhalten gegenüber der umgebenden Wirklichkeit. Endlich:
Der Akt der Weltanschauung bedeutet zugleich ein Werten, Messen und Wägen;
er bedeutet die Stellungnahme zu einer Aufgabe, die dem Anschauenden von
ebendieser Welt gestellt wird."82
Welchen Beitrag aber der katholische Glaube zu diesem "Standhalten", "Werten" und
"Stellungnehmen" leistet, wird erst dann klar, wenn seine grundsätzliche Beziehung
zur "Kultur" geklärt ist. Hatte die Berliner "Antrittsvorlesung" dies für die "Welt"
insgesamt geleistet, so war dasselbe in Bezug auf die "Kulturwelt" zu versuchen.83
Auf das Ergebnis dieser Überlegungen ist nun im letzten, umfangreichsten Abschnitt
dieses Kapitels einzugehen.

82
Weltanschauung, 14.
83
Vgl. bes. die Vorlesungen: "Christentum und Kultur im Anschluß an die Problemstellung Sören Kier-
kegaards" (SS 1925 und WS 1925/26; vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 198 und 199); "Kulturphilosophische
Grundfragen der Bildungslehre" (WS 1928/29; vgl. ebd., Nr. 274); "Grundfragen der Kulturphilosophie" (SS
1929; vgl. ebd., Nr. 296).
214 Der Blick auf die Kultur

3. Christentum und Kultur

Schon in seinen frühen Schriften hat Guardini verschiedentlich das Verhältnis des
"Glaubens" bzw. des "Christentums"1 zur "Kultur" erörtert. Dabei zeichneten sich
verschiedene Aspekte dieser Beziehung voneinander ab, die im folgenden vorgestellt
(a) und in die parallelen Ansätze des theologischen und kirchlichen Umfelds einge-
ordnet (b) werden. 1926 hat Guardini dann das Thema in einem eigenen Beitrag näher
ausgeführt ("Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur"2); dieser
verdient daher in unserem Zusammenhang besondere Beachtung und wird genauer
erläutert (c).

a. Hinweise in den frühen Schriften Guardinis


aa. Kultur als Ausdrucksmittel des Glaubens
Eine Aussage Guardinis über das Verhältnis von Glaube und Kultur findet sich
bereits im ersten Kapitel der Schrift "Vom Geist der Liturgie".3 Dort heißt es, daß
christliche Frömmigkeit nicht nur den "Untergrund starker Natur" brauche, sondern
auch die "Kultur" als den "Inbegriff alles dessen, was die schaffende, gestaltende,
ordnende Menschenkraft an Gutem, Wertvollem hervorbringt: Wissenschaft, Kunst-
gebilde, gesellschaftliche Ordnung usw."4 Dies gelte nicht nur für die Liturgie, son-
dern auch für die Theologie:
"Die Kultur vermag keine Religion zu schaffen, aber sie stellt dieser die Mittel
zur Verfügung, damit sie ihre segensreiche Wirksamkeit voll entfalten könne.
Das ist der rechte Sinn des alten Satzes: Philosophia ancilla theologiae: Die
Philosophie ist der Theologie Dienerin."5
Dieser Satz kann nach Guardini auf die ganze Kultur angewendet werden. Als Bei-
spiel dafür erwähnt er die asketischen und gegen die Kultur gerichteten Tendenzen im
Christentum, wie sie etwa auch im Orden des hl. Franziskus vorliegen. Die Kirche
habe diesem die Wissenschaft, sowie ein gewisses Maß der äußeren Wesenshaltung
und damit "Kultur" geradezu aufgedrängt und damit überhaupt erst die Vorbedingung
dafür geschaffen, daß die ursprünglichen religiösen Kräfte und Antriebe auf die
Dauer fruchtbar geblieben seien.6
"Die gleiche Kirche, die so kräftig das 'eine Notwendige' betont, und in der
Lehre von den evangelischen Räten mit größter Eindringlichkeit lehrt, daß man
bereit sein müsse, dem ewigen Heil, also dem religiösen Gut, alles zum Opfer zu

1
Zur Definition der hier verwendeten Begriffe siehe oben in der Einleitung (2).
2
Vgl. CK.
3
Vgl. Liturgie, 19-24 (innerhalb des ersten Kapitels "Liturgisches Beten", das bereits 1917 entstanden
war; siehe unter Kap. II,3,a,aa, [Anm. 16]).
4
Liturgie, 21.
5
Liturgie, 21.
6
Vgl. Liturgie, 211; ähnlich: LB 90 [108].
Christentum und Kultur 215

bringen, hat doch das religiöse Leben vom gesundhaltenden Salz echter, edler
Kultur gesättigt wissen wollen."7
Guardini selbst war - trotz anhaltender Sympathie mit der Gestalt des hl. Franziskus8
- von der kulturoffeneren benediktinischen Frömmigkeit geprägt worden9 und hatte
sich daher auch vor allem der "kulturellen" Gestalt der Liturgie zugewandt (vgl. dazu
Kapitel II,3,a,cc). Die Kirche insgesamt war ihm "die lebendig, mit Hilfe menschli-
cher Kulturmittel vollzogene Entfaltung dessen, was ihr von Christus übergeben
wurde."10 Wie ein Baum, "wachsend aus Erde und Luft, alles Brauchbare aufnimmt
und im Aufbau seines Organismus lebendig vereinigt, so hat die Kirche in jahrtau-
sendlangem Wachstum aus den verschiedenen Völkern, Zeiten und Kulturkreisen das
geistige Material aufgesogen."11 Unbeschadet der Tatsache, daß der Kern des
Christentums - wie Guardini gegenüber Friedrich Heiler feststellt - im Wandel der
Zeiten erhalten geblieben sei, verhalte sich die heutige Kirche zum Jüngerkreis Jesu
wie die Staude zum Senfkorn im Gleichnis Jesu.12 Unter Voraussetzung eines ent-
schiedenen Glaubensstandpunktes, wie er vor allem in der Berliner
"Antrittsvorlesung" vertreten worden war (vgl. Kapitel 111,2), kann Guardini aber
nicht nur sagen, daß die Kirche faktisch Elemente der "Kultur" übernommen habe,
sondern auch, daß sie "die Kultur braucht":
"Echte Kultur gibt der Religion die Mittel, sich auszudrücken; das ganze Leben
zu ergreifen; zu schaffen und zu gestalten. Macht es ihr möglich, als Theologie
Ereignis und Inhalt der Offenbarung denkend zu durchdringen; als Verfassung
und Recht das religiöse Gemeinschaftsleben so zu gestalten, daß das Ganze
gewahrt sei und zugleich die Freiheit des Einzelnen geschützt gegen Übergriffe
der Gemeinschaft; als Liturgie das Gebet aus der ganzen Fülle der religiösen
Gehalte aufzubauen, es mit allen natürlichen Kräften zu bereichern und ihm alle
Fülle und Mannigfaltigkeit zu geben; als Sittenlehre und Erziehung das wirkli-
che Leben mit seinen wirklichen Zuständen und Schwierigkeiten religiös zu
bewältigen."13
Zunächst trat bei Guardini die Verbindung mit der "Natur" ganz hinter den
"kulturellen" Voraussetzungen zurück. "Stil", "Symbolik" und "Spiel" waren die
beherrschenden Momente, die in der Schrift "Vom Geist der Liturgie" untersucht
wurden.14 Zwar setzt nach Guardini Liturgie die "Natur" als notwendigen
"Untergrund" voraus,15 aber ihr hervorstechendes Kennzeichen, das sie etwa von

' Liturgie, 22.


8
Vgl. Franziskus (1927); Über den Heiligen (1934).
9
Zur Begegnung mit der Liturgie im Kloster Beuron und zur Freundschaft mit dem ehemaligen Novizen
Josef Weiger siehe oben unter Kap. II,3,a,aa. - Zeitlebens war Guardini "Oblate" des hl. Benedikt; vgl. Gerl,
Guardini, 66.
10
Thule, 77.
1
' Thule, 77. - Siehe dazu II,3,b,cc.
12
Vgl. Universalität, 1521
13
L B 9 1 [109].
14
Vgl. Liturgie, 35-72.
15
Vgl. Liturgie, 221- Hier vermischt Guardini allerdings den neuzeitlichen und den theologischen
Sprachgebrauch, wenn er zur Begründung den Satz "Die Gnade setzt die Natur voraus" anführt, in dem doch
der Begriff "Natur" alles "Innerweltliche" umfaßt, also neben der "Natur" im engeren Sinne auch das, was als
"Kultur" bezeichnet wird! Siehe dazu auch die begrifflichen Klärungen in Kap. 1,1,a.
216 Der Blick auf die Kultur

Naturkulten unterscheidet, liegt darin, daß sie in ihren Symbolen "von aller Stoffge-
bundenheit frei ist", ja daß die "Naturformen" in ihr alle "in Kulturformen umge-
schmolzen sind."16 Je mehr aber für das Kulturverständnis selbst das "Naturhafte" an
Bedeutung gewann (siehe dazu oben Abschnitt 2,b,cc), desto stärker mußte auch
seine Beziehung zu Liturgie und Kirche näher geklärt werden. Dies geschah in Bezug
auf die Kirche vor allem durch den Begriff des "Volkes", in dem sich damals die
Naturverbundenheit gegenüber der Kulturverbundenheit der "Gebildeten" verdich-
tete:17
"Nur das Volk, im tiefsten Sinn dieses Wortes, steht den Wirklichkeiten des
Lebens hart an hart gegenüber, mit einer von den tausend Kulturkniffen unge-
deckten Brust, mit einer den vollen Stoß des Lebens fühlenden Seele. Das Volk
weiß, was die Urmächte des Lebens, Geburt, Tod, Hunger, Arbeit, Brot, Liebe,
Leid und Haß bedeuten, und zwar kennt es sie nicht in einer schöngeistig verfei-
nerten Form, sondern in ihrer harten Alltäglichkeit."18
Nur das "Volk" habe deshalb auch im Letzten ein Urteil darüber, was "Religion"
heiße, und auch die Kirche sei immer in erster Linie "Volk" gewesen - "Gottes Stim-
me von der Ewigkeit her; aber Volkes Stimme ihrem menschlichen Bestände nach.
Sie hat den Gebildeten gegeben, was ihnen zukam, aber nur dies, und sich, wenn es
sein mußte, ruhig ungebildet schelten lassen."19 Das "Volk" fordere eine Kirche, "die
Geist ist, aber auch Leib und Erde; voll alles Menschenwesens und durchbildet vom
wirklichen Christus, durchwirkt vom lebendigen, heiligen Geist ..."20
Auch in der Liturgie traten nun für Guardini die "natürlichen" Grundlagen jeder
Kultur deutlicher in Erscheinung - "Leib", "Ding" und "Gemeinschaft".21 Aus diesem
Grund wurde jetzt auch die Nähe zwischen "Heidentum" und katholischem Christen-
tum hervorgehoben:
"Jenes der allem natürlichen offene Naturzustand, der freilich die Natur absolut
nimmt und von keinem überweltlich-unabhängigen Gott weiß; dieses das volle,
ebenfalls allem Sein offene, aber alles Natürliche übernatürlich verklärende
Christentum. Beide haben eine verwandte Haltung: Sie stehen allem Wirklichen
offen; beiden fehlt das subjektiv-eigenwillige Auswählen aus dem Wirklichen.

16
Liturgie, 56; Guardini verweist hier auf das, was er über den "Stil" der Liturgie gesagt hat. "Es wäre der
Gegenstand einer eigenen, sehr fesselnden Untersuchung, zu erforschen, wie die Naturlaute, Naturformen,
Naturdinge in der Hand der Liturgie zu Kulturdingen werden" (Anm. 1, ebd.).
17
Vgl. Sinn der Kirche, 25-27.
18
Katholische Religion, 104.
19
Katholische Religion, 104.
20
Katholische Religion, 105. - Welche Problematik eine solche "naturhafte" Religiosität allerdings in die
Kirche hineintragen kann, stellt Guardini in seinem "Gespräch vom Reichtum Christi" dar, in dem die
"Kulturfeindlichkeit" der Herz-Jesu-Frömmigkeit gegen die "Klarheit" der Liturgie (und auch schon gegen
die "Geschichtlichkeit" der Evangelien!) gestellt wird (vgl. bes. Reichtum Christi, 153 und 161-163). Sowohl
ihr Gegner wie ihr Befürworter vergleicht sie mit den revolutionären Kräften, wie sie gerade in Rußland
durchbrechen, und während der erste deswegen vor ihr warnen möchte, sieht der zweite in ihr "die Antwort
des Christentums auf die Revolution": "Ein Faustschlag ins Gesicht der ganzen Kultur-Philisterei, auch in der
Religion. Ein Faustschlag ins Gesicht dem ganzen wohlkultivierten, maßvollen, im Salon und unter dem
Strich der Zeitung wohlgelittenen Katholizismus, der alles unschädlich gemacht hat, was Gott gefällt und der
Welt ein Greuel ist" (ebd., 162).
21
Vgl. LB.
Christentum und Kultur 217

Beide sehen auch, daß es um den Menschen geht und wollen den Fragen stand-
halten, die er stellt."22
Dennoch bleibt im Ganzen doch auch bei Guardini das kulturelle Element vorherr-
schend: "Liturgie ist Kultur-, nicht Naturreligion".23 Immer bleiben die Dinge dem
Wort untergeordnet; "nie überflutet die Naturgewalt als solche den geistigen Sinn ...
Stets ist der naturhafte Rohstoff zu 'Kultur' überformt."24 In dieser Gestalt aber ist
"Kultur" in Guardinis Augen etwas, auf das der Glaube nicht verzichten kann, wenn
er dem konkreten Menschen zugänglich bleiben soll.

bb. Glaube als prägender Bestandteil der Kultur


Bisher ging es um die "Einbauung" der "Kulturwerte in das religiöse Verhältnis"25.
Die Bedeutung der Kultur als "Ausdrucksmittel" des Glaubens wurde dabei sehr hoch
eingeschätzt. Die Liturgie konnte sogar insgesamt einfach als "Kulturgebilde"
bezeichnet26 oder unter die "großen Schöpfungen überpersönlicher geistlicher Kultur"
gerechnet werden.27 Das Verhältnis kann sich aber auch umdrehen, wenn der Glaube
seinerseits zum prägenden Bestandteil einer "Kultur" wird.
Im Mittelalter war dies offenbar in einzigartiger Weise gelungen (vgl. oben
Abschnitt l,a). Hatte Guardini in dieser Kulturgestalt zunächst noch lediglich die
Verbindung des "antiken" mit dem "germanischen" gesehen,28 richtete sich seine
Aufmerksamkeit bald auch auf die religiösen Dimensionen dieser Epoche.29 Er
sprach nun davon, daß im Mittelalter die ganze Welt "in der Liturgie geweiht" gewe-
sen30 und das in der Völkerwanderung untergegangene frühchristliche Gemein-
schaftsbewußtsein in ihm wiedererstanden sei; dadurch sei eine neue politische und
kulturelle Einheit entstanden.31 Dennoch blieb Guardini hinsichtlich der "Christlich-
keit" der mittelalterlichen Kultur eher reserviert; immer wieder fühlte er sich sogar
verpflichtet, sich gegen "romantische" Vorstellungen von einer Rückkehr in die Ver-
gangenheit zu wenden:
"Weder meine ich, die Neuzeit sei schlecht und habe keine eigenen Werte her-
vorgebracht; noch verlange ich von unserer Zeit, sie solle das Mittelalter nach-
ahmen, gar weil es die allgemein gültige, 'katholische' Zeit sei. Beides wäre
falsch, letzteres sogar haeretisch. Jede Zeit hat ihre Sendung und ihren Wert und
erkauft ihre Leistung immer mit einem Mangel nach anderer Seite hin. Jede Zeit

22
LB 28 [401]; vgl. ebd., 27-30 [40-43].
23
LB 77 [94].
24
LB 77 [95].- Dies gilt nicht nur für die "Dinge", sondern auch für die Leiblichkeit des Menschen (vgl.
ebd. 761 [93-95]) und für die Gemeinschaft (vgl. ebd., 78 [95]).
25
Vgl. LB 92 [110].
26
Vgl. Systematische Methode, 95.
27
Vgl. Reflexe und direkte Akte, 117.
28
Vgl. auch Anselm, 44-49; LB 13 und 691 [26 und 86].
29
Vgl. bereits Quickborn, 105: Hier nennt Guardini als Merkmale der Quickbornbewegung "die liturgi-
sche Gemeinschaftsfrömmigkeit der Kirche, das ganz persönliche Verhältnis zu Gott und Christus, und das
Volksmäßige" und sieht gerade darin "jene drei Kräfte, deren Mischung schon im Mittelalter einen so guten
Klang gegeben hat."
30
L B 39 [53]; vgl. ebd., 391 [531].
31
Vgl. LB 501 [66]
218 Der Blick auf die Kultur

soll und kann katholisch sein[,] d. h. sich bei aller Treue gegen ihre besondere
Aufgabe doch im Zusammenhang mit dem Ganzen halten."32
Nicht um irgendeine "Rückkehr zum Mittelalter" gehe es ihm,33 sondern darum, an
dieser Epoche aufzuzeigen, "was uns fehlt", um dann den für die eigene Epoche rich-
tigen Weg zu finden.34 Für diese Gegenwart aber konstatiert Guardini eine neue
Chance für das "Christliche". Dies ist der tiefere Sinn seines berühmten Satzes: "Die
Kirche erwacht in den Seelen."*5 Die Kultur der Gegenwart, selbst in einer tiefen
Krise, rief tatsächlich in neuer Weise nach der Kirche und dem katholischen Glauben
- ein Vorgang "von unabsehbarer Tragweite"!36 Die Kirche braucht eigentlich bloß
auf die kulturelle Wende zur Leiblichkeit,37 zur Wirklichkeit und zum Symbol,38 zur
Gemeinschaft und zum Organischen,39 ja auf die Wende zum Objektiven40 einzuge-
hen und die eigenen Schätze anzubieten.41 Die Generation derer, die von der techni-
schen "Zivilisation" genug hatten und die "Neuzeit" verabschieden wollten, wartete
offenbar nur auf dieses Angebot.
In den "Briefen vom Comer See" wies Guardini dann allerdings - wie wir gesehen
haben - auch auf die christlichen Wurzeln der neuzeitlichen Geistesgeschichte hin42
und baute darauf, daß auch in einer technisch geprägten Kultur Gott am Werk sein
könne.43 Das Mittelalter dient als Erinnerung daran, daß christliche Elemente eine
Kultur prägen können; eine bloße Kopie kann aber der Zukunft nicht gerecht werden.
Eine Kultur, in der die Kirche neu in den Seelen erwacht, muß heute anders aussehen
als in früheren Zeiten.
Hier macht sich bereits die These aus der Berliner "Antrittsvorlesung" bemerkbar:
Wenn der christliche Offenbarungsstandpunkt von jedem kulturellen "Typus" unab-
hängig ist und sich daher auch mit jedem verbinden kann - dann muß auch die
Hinkehr zu einer neuen, noch ungewohnten Form von Kultur möglich sein. Es gilt
dann wohl zu unterscheiden zwischen dem schmerzlichen, aber notwendigen
Abschiednehmen von einer liebgewordenen Kultur der Vergangenheit einerseits, und
der Kritik, die vom Glauben aus an jeder Kultur, also auch an der künftigen, geübt
werden muß.

32
LB Anm. 2, 52 [Anm. 43, 671].
33
Vgl. LB Anm. 3, 70 [Anm. 65, 87], sowie 13 [26].
34
Vgl. LB Anm. 2, 52 [Anm. 43,671].
35
Sinn der Kirche, 19.
36
Vgl. Sinn der Kirche, 231 u. ö.; LB 13 [27] ("Aus innerer Notwendigkeit wird unsere Zeit reif zur
Liturgie") u. ö.
37
Vg). LB 261 [381]
38
Vgl. LB 42-44 [56-59].
39
Vgl. LB 53-55 [68-71].
40
Vgl. LB 70-74 [87-91].
41
Vgl. Sinn der Kirche, 35-%; hier geht es um die Bedeutung der Kirche für die Persönlichkeit, das
"Mensch-Werden", die Freiheit und die Gemeinschaft.
42
Vgl. Briefe, 73. - Siehe dazu oben Abschn. l,b.
43
Vgl. Briefe, 85.
Christentum und Kultur 219

cc. Die kritische Funktion des Glaubens gegenüber der Kultur


Immer wieder läßt Guardini anklingen, daß der Glaube selbstverständlich seinem
Wesenskern nach "über" aller Kultur stehe. So wird die Kirche als eine völkerüber-
greifende Macht bezeichnet, die eine Verabsolutierung etwa der "deutschen" Kultur
oder gar einer rein "germanischen" Religiosität nicht dulden kann.44 "Volkhaftigkeit"
dürfe nicht so verstanden werden, daß die Kirche einem einzelnen "Volk" vorrangig
verbunden wäre; vielmehr sei sie einerseits auf den einzelnen Menschen, andererseits
aber auf das "Menschheitsganze" bezogen.45 Ebenso stehe die Kirche auch über allen
"geistigen Moden".46 "Das Katholische ist kein Typus neben anderen",47 es umfaßt
grundsätzlich alle "typischen Möglichkeiten"48 und ist "jeder Besonderung gegenüber
ebenso ursprünglich und schöpferisch, wie die Ganzheit des persönlichen Lebens
gegenüber den einzelnen Akten, Organen und Haltungen, darin sie sich äußert."49
Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt, von dem aus das "Katholische" aber die
Vereinseitigungen der Kultur überwindet und umgreift, liegt - wie die
"Antrittsvorlesung" gezeigt hat - in der übernatürlichen Offenbarung.50 Darin unter-
scheide sich der Christ, wie Guardini in der "Liturgischen Bildung" erläutert, vom
"neuen Heidentum", dessen Verwandtschaft der Katholik durchaus empfinde; denn er
"überwindet und überformt die Welt im Christus. Welt, Ganzheit der Dinge,
Ganzheit des Menschen sind ihm Grundlagen, Gottes Reich zu bauen, nachdem
das Kreuz alles erlöst hat. Der Heide hingegen macht in irgendeiner Form die
Welt zu Gott; er leugnet den persönlichen, unabhängig in sich ruhenden Schöp-
fer und leugnet das Kreuz."51
Auch die Idee und die Aufgabe der Völkergemeinschaft, die der "Heide" vertritt, wer-
de beim Katholiken zum "Werkzeug der Gnade", und so könne er "erreichen, was der
Heide niemals erreichen wird: die Einheit der Menschheit"52. Liturgische Gebetshal-
tung als "objektiver Ausdruck" des Menschen bedeute im Unterschied zu heidnischen
Ausdrucksformen, "Christo eingebildet" zu sein,53 und "das Wesen des geschaffenen
Menschen erwacht erst dann zur Klarheit, wenn er in sein lebendiges Urbild eingeht,
und ihm darin das Sein durchformt, das Wirre geordnet, das Falsche ausgeschieden,
das Tiefe, Gebundene befreit, das rechte Verhältnis hergestellt wird."54
In seiner Abgrenzung gegenüber einem liturgischen Ästhetizismus (vgl. Kapitel
II,3,a,dd) reflektiert Guardini dann noch eingehender das "kritische" Verhältnis des
Glaubens zur "Kultur".55 Das "religiöse Verhältnis" wird dabei verstanden als "das

44
Vgl. Thule, 771
45
Vgl. Sinn der Kirche, 67, sowie 26.
46
Vgl. Sinn der Kirche, 67.
47
Weltanschauung, 29.
48
Weltanschauung, 30.
49
Weltanschauung, 31.
50
Vgl. Weltanschauung, 21-26.
51
LB29[42].
52
LB 56 [71].
53
Vgl. LB 74 [92].
54
LB 75 [92].
55
Vgl. LB 83-92 [100-110].
220 Der Blick auf die Kultur

lebendig-persönliche Verhältnis des Menschen zum persönlichen Gott"56 und das


"Suchen des Lebenssinnes in Gott".57 Nun führe aber der Versuch, Gott und Mensch
in einem Verhältnis zusammenzubinden, in eine tiefe Spannung. Zwar gebe es eine
tiefste Zugehörigkeit des Menschen zu Gott (als Gottes Ebenbild), jedoch nur unter
einem bestimmten Gesichtspunkt.
"Im übrigen können Gott und Mensch überhaupt nicht zugleich genannt werden.
Nicht einmal das 'ist' kann man hier und dort im gleichen Sinn aussagen.
Wurzelhafte Verschiedenheit steht zwischen dem absoluten Gott und dem endli-
chen Menschen."58
Das "religiöse Verhältnis", das zunächst so selbstverständlich erscheine, werde
dadurch "derart außergewöhnlich, derart unausdenkbar, daß wir es als das gespann-
teste, ja gefährlichste empfinden müssten, wenn die Gewohnheit uns nicht das Gefühl
abgestumpft hätte."59 Für das Verhältnis zu den irdischen Wirklichkeiten bedeute das
eine tiefe Infragestellung:
"Jeder Wert muss in Frage gestellt sein, sobald Gott daneben tritt. Alle Reinheit
muß Schmutz scheinen, wenn Gottes Reinheit aufstrahlt. Jede Meinung über
Beruf, Aufgabe, über irgend ein Werk oder eine Leistung gilt immer nur bis auf
weiteres. Wenn Gottes Ruf ergeht, wird alles Tand. Alles Endliche kann sofort
aufgezehrt werden, kann sofort eine ganz andere Farbe, eine ganz andere Wert-
dimension erhalten, wenn Gott daneben tritt."60
Die Tatsache der Sündhaftigkeit des Menschen verschärfe diese Spannung noch und
bedrohe dessen Verhältnis zum "Heiligen" in einer ungleich gefährlicheren Weise.
Aber auch damit sei noch nicht das Letzte gesagt. "Das religiöse Verhältnis erhält
einen qualitativ eigenen, ja erst seinen endgültigen Charakter, sobald es sich um die
Religion Christi handelt."61 Guardini bejaht den scholastischen Grundsatz "gratia
supponit naturam et perficit eam", fügt jedoch hinzu, dieser fasse nur die eine Seite
des Verhältnisses; auf die andere Seite weise das Kreuz hin:
"Das Kreuz ist 'Ärgernis und Torheit' für alle Natur. Ist Untergehen der Forde-
rungen der Natur vor den Forderungen der Übernatur."62
Daraus erst erhalte die Spannung des religiösen Verhältnisses ihren "äußersten
Charakter":
"Jeden Augenblick kann Gottes Ruf die schönste, klügste, ja notwendig schei-
nende Ordnung über den Haufen werfen. Jeden Augenblick kann Gottes furcht-
bare Reinheit deutlich werden, und dann sehen wir uns in einer so neuen und so
unerbittlichen Deutlichkeit unserer Sünden, daß alle irdische Kulturwertung
lächerlich wird."63

56
LB 86 [104].
57
LB 87 [104].
58
LB 87 [105].
59
LB 87 [105].
60
LB 88 [105; hier ist der Satz "Wenn Gottes Ruf ergeht, wird alles Tand" ersatzlos gestrichen].
61
LB 88 [106].
62
LB 88 [106].
63
LB 89 [107; wieder abgeschwächt: "daß alle innerweltliche Kulturwertung davor un-wesentlich wird"].
Christentum und Kultur 221

Damit ist das grundlegendere Verhältnis von Gott und Mensch, Gnade und Natur auf
die konkretere Beziehung von "Christentum und Kultur" angewandt: Einerseits versu-
che die "Kultur", sich vor jener Gefährdung durch die Religion zu schützen, sie zu
entwerten oder unschädlich zu machen;64 andererseits stehe auch die "Religion" der
Kultur mißtrauisch gegenüber oder lehne sie etwa (wie z. B. Franz von Assisi) voll-
ständig ab bzw. führe sie auf ein Mindestmaß zurück; und noch mißtrauischer sei sie
gegen jede "religiöse Kultur", d. h. den Versuch, "die christliche Wirklichkeit mit
Hilfe der kulturellen Mittel zu entfalten, oder Kulturwerte in die religiösen hineinzu-
ziehen",65 wie es etwa in der Kunst, im Kirchenrecht, aber auch in der Liturgie
geschehe.66 So unberechtigt diese Kritik auch ist, wenn sie zur Totalverweigerung
führt, so berechtigt ist sie nach Guardini, wenn sie sich gegen einen Autonomiean-
spruch der Kultur richtet.
"Die Kirche stellt schon durch ihr Dasein jede autonome Kultur ständig in
Frage. So ist sie immer empfunden worden und das wird so bleiben, denn sie ist
wesentlich Religion, wesentlich übernatürlich. Gegründet auf die qualitative
Übernatürlichkeit der Gnade und auf das Ereignis des Kreuzes. Auf sie sammelt
sich der Haß der selbstherrlichen Kultur, von Celsus und Julian bis zum gegen-
wärtigen Kulturliberalismus, heiße er im übrigen, wie er wolle."67
Damit kommt erneut die Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Vergangenheit
("Kulturliberalismus") in den Blick (vgl. auch schon oben Abschnitt l,a). Guardini
erweist sich einmal mehr als Angehöriger seiner Zeit, die insgesamt mit den Prinzipi-
en der Vergangenheit brechen wollte, während der Katholizismus mit großer Freude
das Ende der Kulturkampfzeit mit ihren - an die frühchristlichen Verfolgungen erin-
nernden - Anfeindungen begrüßen konnte. An späterer Stelle (vgl. Kapitel VI) werden
wir die Neuzeitkritik unseres Autors weiterverfolgen; vorerst bleiben wir beim grund-
sätzlichen Verhältnis von Christentum und Kultur und werfen im folgenden zunächst
Seitenblicke auf das Umfeld der zwanziger Jahre, in dem Guardini seine eigene Posi-
tion formulierte.

b. Ansätze im kirchlichen und theologischen Umfeld


Die Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens zur "Kultur" im Allgemei-
nen und zur "neuzeitlichen" Kultur im Besonderen wurde in den zwanziger Jahren
nicht nur von Romano Guardini gestellt. Dabei brachten Protestanten und Katholiken
aufgrund ihrer bisherigen Positionen innerhalb der neuzeitlichen Geistesgeschichte
(vgl. dazu Kapitel I) unterschiedliche Voraussetzungen mit. Ein Blick auf die wichtig-
sten Neuansätze, die in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts auf beiden Seiten

64
Vgl. LB891 [1071]
65
LB 90. [108]
66
Vgl. LB901 [108]
67
LB 911 [1091; hier präzisiert: "das Ereignis der Erlösung durch Menschwerdung und Kreuzestod"; "bis
zum Liberalismus und positivistischen Materialismus unserer Zeit"].
222 Der Blick auf die Kultur

zu beobachten waren, kann helfen, die Position Guardinis besser in die Begegnung
von Theologie und Kultur insgesamt einzuordnen.

aa. Vom "Kulturprotestantismus" zur "Dialektischen Theologie"


Innerhalb des deutschen Protestantismus formierten sich in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts verschiedene Gruppierungen, die ihre jeweilige Identität in einer spezifi-
schen Stellungnahme zur "Kultur" fanden.68 Zunächst drehte sich die Debatte noch
darum, ob die in der Aufklärung entstandene "moderne Kultur" tatsächlich eine legi-
time Folgegestalt christlicher Grundüberzeugungen sei (so vor allem der
"Protestantenverein" um R. Rothe), oder ob sie im Gegenteil dazu die Auflösung des
wahrhaft Christlichen bedeute, weshalb die Vertreter des "Neuluthertums" für ein
alternatives, konservatives Kulturkonzept auf der Basis einer differenzierten Kritik
von Autonomie und liberalem Fortschrittsglauben eintraten.69 Die Identifikation von
"Protestantismus" und "Kulturfortschritt", die demgegenüber vor allem von Albrecht
Ritschi vertreten und im "Evangelischen Bund" popularisiert wurde, verstand sich als
entscheidender Faktor im politischen "Kulturkampf gegen die Ekklesiokratie, den
römischen Ultramontanismus und den transnationalen Charakter des Katholizismus.70
Ernst Troeltsch wiederum fand zu einer durchaus kritischen Haltung gegenüber der
modernen Kultur. Freilich wollte auch er sie keineswegs als christlich illegitim
betrachten; aber es ging ihm darum, durch eine klarere Unterscheidung von Christen-
tum und Kultur eine freiere und auch kritischere Zuwendung zu ihr ermöglichen zu
können.71
Durch die Forschungen der "Religionsgeschichtlichen Schule", die den Blick
wieder auf das eschatologische Bewußtsein des frühen Christentums richtete, kam es
in der protestantischen Theologie aber zu einer noch grundsätzlicheren Erschütterung
des Verhältnisses von "Christentum" und "Kultur".72 Die Grundlagenkrise der neu-
zeitlichen Kultur nach der Jahrhundertwende erleichterte die wachsende Kritik an
einem "bürgerlichen Kulturprotestantismus" (Althaus) der Vergangenheit,73 die
schließlich in der "Dialektischen Theologie" um Karl Barth ihren Höhepunkt
erreichte. Friedrich Gogarten bezeichnete jetzt die Religion als "unausgesetzte Krisis
dieser und jeder Kultur"74, wollte aber gerade darin die konstimtive Funktion der
Religion für die Kultur erkennen ("Dialektik"!). Auch Rudolf Bultmann vertrat die
Ansicht, daß eine völlig "transzendente" und "entmythologisierte" Religion zum
"stärksten Kulturfaktor" werden könne.75
Beide setzten aber nach Karl Barth immer noch nicht konsequent genug auf das
Wort Gottes und seine totale Andersartigkeit gegenüber aller "Kultur".76 Stellvertre-

b
° Vgl. Greschat, Verhältnisbestimmung.
69
Vgl. Graf/Tanner, Kultur, 192-194.
70
Vgl. Graf/Tanner, Kultur, 1941
71
Vgl. Graf/Tanner, Kultur, 1961
72
Vgl. Graf/Tanner, Kultur, 196.
73
Vgl. Graf/Tanner, Kultur, 1981
74
Gogarten, Krisis unserer Kultur, 777; vgl. Graf/Tanner, Kultur, 1991
75
Vgl. Fries, Rudolf Bultmann, 297-317; Graf/Tanner, Kultur, 2011
76
Zu Barths Offenbarungslehre vgl. Eicher, Offenbarung, 165-255.
Christentum und Kultur 223

tend für seine radikale Position soll hier eine Stelle aus der zweiten Auflage des
"Römerbriefs" stehen, die auffällig an die Aussagen Guardinis in der Berliner
"Antrittsvorlesung" erinnert. Zu Rom 1,16 ("Denn ich schäme mich der Heilsbot-
schaft nicht") sagt er hier:
"Die Heilsbotschaft braucht den Streit der Weltreligionen und Weltanschauun-
gen weder aufzusuchen noch zu fliehen. Sie steht, als Botschaft von der Begren-
zung der bekannten Welt durch eine andere, unbekannte, außer Wettbewerb mit
all den Versuchen, innerhalb der bekannten Welt verhältnismäßig unbekannte
höhere Daseinskreise auch noch zu entdecken und zugänglich zumachen. Sie ist
nicht eine Wahrheit neben andern, sie stellt alle Wahrheiten in Frage. Sie ist
Angel, nicht Türe. Wer sie versteht, der ist, indem er in den Streit ums Ganze,
um die Existenz versetzt wird, befreit von allem Streit. Apologetik, Sorge um
den Sieg der Heilsbotschaft, gibt es nicht. Sie ist als Aufhebung und Begrün-
dung alles Gegebenen der Sieg, der die Welt überwindet. Sie braucht nicht ver-
treten und getragen zu werden, sie vertritt und trägt die, die sie hören und
verkündigen."77
Die Offenbarung wurde bei Barth außerdem streng an Christus gebunden und
dadurch nicht nur von der Kultur, sondern auch von der Religion scharf unterschie-
den:
"Um Gott handelt es sich, um die Bewegung von Gott her, um unser Bewegtsein
durch ihn, nicht um Religion ... Das sogenannte 'religiöse Erlebnis' ist eine
durchaus abgeleitete, sekundäre, gebrochene Form des Göttlichen. Es ist auch in
den höchsten und reinsten Fällen Form, nicht Inhalt."78
Von diesem "positivistischen" Offenbarungsverständnis aus kritisierte Barth sowohl
die "natürliche Theologie" im Protestantismus, als deren typischer Repräsentant ihm
Schleiermacher galt, wie auch die katholische Lehre von einer natürlichen Erkenn-
barkeit Gottes, wie sie zuletzt von I. Vatikanischen Konzil vorgelegt worden war.79
Der radikalen Rückbindung an das Wort Gottes entsprach aber auf der anderen Seite
eine "Profanisierung" des Kulturbegriffs; die Kultur wurde jetzt in ihrer "bloßen
Säkularität" wahrgenommen und besaß demnach nur noch "kreatürlichen und nicht
göttlichen Charakter"80. Zwar hat die neuere Barth-Forschung gezeigt, "daß auch
Barth in seiner Kulturkritik keineswegs in bloßer Diastase befangen bleibt";81 aber
seine Auffassungen rückten doch in erster Linie die Distanz des Christentums zur
Kultur ins Blickfeld der Theologie. Gewährsmann dafür war nicht zuletzt Sören Kier-
kegaard, der die "Inkommensurabilität" des menschlichen Gottes- und Weltverhält-
nisses in prophetischer Radikalität verkündet hatte.82
Die Parallelität von Barths "Römerbrief' und Guardinis Weltanschauungsvorle-
sung, auf die oben hingewiesen wurde, erweist sich bei näherem Hinsehen keines-

77
Barth, Römerbrief2, IL- Vgl. dazu Balthasar, Karl Barth, 71-93, bes. 75-79.
78
Barth, Der Christ in der Gesellschaft (1919), 11.
79
Vgl. etwa Barth, Kirchliche Dogmatik 1/1 (51947), 198-206; II/l (31948), 86-92; dazu Rendtorff, Karl
Barth, 304-307.
80
Barth, Kirchliche Dogmatik III/4 (1951), 599; vgl. Graf/Tanner, Kultur, 200.
81
Graf/Tanner, Kultur, 200.
82
Vgl. Slök, Sören Kierkegaard, 198-202.
224 Der Blick auf die Kultur

wegs als zufällig. Eine wiederentdeckte Notiz aus dem Jahr 1922 belegt nämlich, daß
Guardini den klassischen Text der "Dialektischen Theologie" sehr wohl gekannt und
sich mit ihm auseinandergesetzt hat.83 Im "Nachwort über Religion über Kultur", das
Guardini 1923 seiner "Liturgischen Bildung" hinzufügte, ergänzte er in auffälliger
Weise das klassische katholische Denkmodell ("gratia supponit naturam" und "gratia
perficit naturam") durch die paulinische Kreuzestheologie.84 Die Stoßrichtung seiner
Sätze erinnern wieder an Barth, wenn auch die typisch katholischen Begriffe fallen:
"Das Kreuz ist 'Ärgernis und Torheit' für alle Natur. Ist Untergehen der Forderungen
der Natur vor den Forderungen der Übernatur."85
Wurde Guardini durch Barth auch aufmerksam auf Kierkegaard1 Jedenfalls ist der
dänische Denker schon im Gegensatzbuch von 1925 ein ständig präsenter Gesprächs-
partner (vgl. dazu Kapitel II,2,b,bb [3]). Im Sommersemester 1925 und im darauffol-
genden Wintersemester kündigte Guardini dann eine Vorlesung über "Christentum
und Kultur im Anschluß an die Problemstellung Sören Kierkegaards" an.86 Als
Quintessenz daraus erschien 1926 der Aufsatz über das "Verhältnis von Christentum
und Kultur",87 der das Problem zwar allgemeiner, nicht mehr nur an Texten Kierke-
gaards entlang, anging, jedoch immer wieder auf Kierkegaard "und die von ihm
bestimmte Theologie"88 Bezug nahm.
Auch andere Katholiken wurden in dieser Zeit auf die Wende im protestantischen
Denken aufmerksam.89 Dies war unter anderem auch dem Schriftsteller Theodor
Haecker zu verdanken, der sich schon früh mit Kierkegaard beschäftigt hatte, dann
aber unter dem Eindruck der Schriften John Henry Newmans katholisch wurde. Er
brachte den Dänen gewissermaßen in seine neue katholische Umgebung mit.90 Seit-
dem war - gerade bei den "fortschrittlichsten" katholischen Denkern der zwanziger
Jahre - eine an die "Dialektische Theologie" erinnernde Tendenz zur "Unterscheidung
des Christlichen" nicht zu übersehen.

" "Was Barth sagt, ist alles richtig." "Alles, was Barth sagt, ist erschütternd wahr." "Der unbekannte Gott
mit seiner souveränen Gnade relativiert alles, aber anders als Barth will. Er relativiert es, ohne es aufzuheben,
positiv" (Ungedruckt. Romano-Guardini-Archiv der Kath. Akademie in Bayern; zit. bei Mercker, Weltan-
schauung, 103).
84
LB 881 [1061]; s. o. Abschn. a,cc.
85
LB 88 [106].
86
Vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 198 und 199.
87
Genauer Titel: "Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur" (im Folgenden abgekürzt:
CK). Vgl. ebd., Anm. 1, 145: "Der - durchaus vorläufige - Versuch, in diesen Fragen Fuß zu fassen, ruht auf
einer Auseinandersetzung mit Sören Kierkegaard."
88
CK 158; vgl. auch ebd., Anm. 12, 160, sowie Anm. 15, 162 u. ö.
89
Vgl. W. Dirks, Kierkegaard für Christen. Ein fälliger Hinweis auf den Mann und das Werk, in: Orien-
tierung 52 (1988), 105-108, bes. 106. Die katholische Jugendbewegung habe Kierkegaard als "geistigen und
geistlichen Ahnen" entdeckt; dies habe besonders die Kritik an jeder Art von "System" betroffen; später sei
Blaise Pascal hinzugekommen; auf beide habe insbesondere Romano Guardini hingewiesen. Vgl. auch
Seiterich-Kreuzkamp, Walter Dirks, 110. Zum Einfluß von Kierkegaard auf Ernst Michel vgl. Getzeny,
Katholizismus des Seins, 345.
90
Vgl. Langer, Theodor Haecker, 219-221; Siefken, Theodor Haecker (Lebensdaten und Bibliographie).
Christentum und Kultur 225

bb. Vom "Kulturkatholizismus" zur "Unterscheidung des Christlichen"


Unser Überblick über die Entwicklung des deutschen Katholizismus im ersten Viertel
des 20. Jahrhunderts (vgl. Kapitel 1,3) endete mit den Hinweisen auf einen neuen
Triumphalismus und auf die Kritik derer, die sich einer solchen Konsequenz entge-
genstemmten. Im katholischen Bereich mußte ja nicht erst eine Krise der Moderne
kommen, um kulturkritische Tendenzen freizusetzen. Die Beziehung zur neuzeitli-
chen Kultur war von Anfang an erheblich gebrochener als im Protestantismus. Frei-
lich war auch hier das Bewußtsein von einer grundsätzlichen Distanz zur Kultur
ebenso schwach ausgeprägt wie im "liberalen" Protestantismus des 19. Jahrhunderts.
Die katholische Kritik galt vorrangig der "modernen" Kultur, nicht der "Kultur" über-
haupt. Ja, es war gerade die Bindung an eine andere, nämlich die mittelalterliche
Kultur, die dem Katholizismus sein typisches und unzeitgemäßes Gepräge gab und
ihn im 19. Jahrhundert immer stärker ins kulturelle Abseits geraten ließ (vgl. Kapitel
1,1,b). Auch die "Reformer" der Jahrhundertwende suchten Anschluß an eine Kultur;
freilich handelte es sich jetzt um eine andere, nämlich die "moderne" Kultur. Der
Versuch, auf diese Weise die "kulturelle Inferiorität" zu überwinden, wurde aber als
"Modernismus" verunglimpft und durch ein "integralistisches" Konzept ergänzt, das
alles "Kulturelle" kirchlich-gläubiger Oberhoheit unterstellen wollte. Als nach dem
Ersten Weltkrieg eine neue Offenheit für das "Katholische", ja sogar für das
"Mittelalter" zu beobachten war, konnte dies gerade als Bestätigung des katholischen
Kulturverständnisses gedeutet werden. Nun schien die Zeit für einen
"Kulturkatholizismus" anzubrechen, der den "Kulturprotestantismus" der Vergan-
genheit ablösen konnte.91 Stattdessen forderten "kritische" Katholiken, meist politisch
engagierte Laien, eine klarere Unterscheidung von Glaube und Kultur, um auch für
neuere Kulturmodelle bzw. politische Konzepte offen zu bleiben (vgl. Kapitel I,3,c).
Walter Dirks, der überzeugte Katholik, begeisterte "Quickborner" und "linke" Jour-
nalist,92 sprach in dieser Zeit von dem doppelten Bestreben innerhalb der jungen
Generation, einerseits die "Autonomie der Politik" neu zu betonen, andererseits aber
"unmittelbar aus dem Glauben heraus" zu politischem Handeln befähigt zu werden.93
Er forderte die "Liquidation" des Kulturkampfs, der Gegenreformation und des
Mittelalters, ein Ja zum Vorgang der Säkularisierung und eine klare Scheidung von
Kirche und Welt.94 Auf eine entsprechende Tendenz innerhalb der katholischen
Jugendbewegung wies auch Josef Äußern, der Herausgeber der "Schildgenossen" hin:
"So bemerke ich in uns auf der einen Seite ein fast zur Sensibilität gesteigertes
Streben, die Politik aus heidnischer Isolierung zu befreien und sie in den erlö-
senden Stromkreis des Glaubens einzubetten. ... Auf der andern Seite aber tritt
die Notwendigkeit in uns auf, eine unsachliche Vermengung von Politik und
Weltanschauung, Religion, Glaube zu überwinden."95

91
Vgl. Langner, Kulturkatholizismus.
92
Vgl. Seiterich-Kreuzkamp, Links, frei und katholisch - Walter Dirks.
93
Vgl. Dirks, Politische Kräfte (1924), bes. 394 und 395.
94
Vgl. Seiterich-Kreuzkamp, Walter Dirks, 110-123. Besonders eindeutig war in dieser Hinsicht Dirks'
Aufsatz "Liquidationen" (1924/25), in: ders., Erbe, 20-26.
95
J. Äußern, zit. bei Dirks, Politische Kräfte, 395.
226 Der Blick auf die Kultur

Ernst Michel, der wie Walter Dirks einem sozialistischen Programm verpflichtet
war,96 betonte noch entschiedener den Eigenwert des "Religiösen" und wandte sich
überhaupt gegen die Konzentration auf ein "Kulturproblem" der Kirche:
"Im Bereiche des inneren Seins der Kirche gibt es kein 'Kulturproblem', gibt es
nur im Hinblick auf ihre Glieder eine Glaubensbewegung: als das stetige nie
ruhende Hineinwachsen des Menschen in die sakramentale Gemeinschaft."97
Auch Philipp Funk, einer der schärfsten Kritiker "kulturkatholischer" Strömungen in
den zwanziger Jahren, erinnerte immer wieder an das "eine Notwendige" des Evan-
geliums (vgl. Lk 10,42), an die geistliche Unterscheidung der ignatianischen Exerziti-
en, sowie an Heilige wie Franziskus und Bernhard von Clairvaux. Unter ausdrückli-
cher Berufung auf Guardini warnte er vor einer "Ästhetisierung des Heiligen"98 und
erinnerte an jenes Jesuswort, "das wie ein Feuer alle Kultur, soweit sie nur schön und
menschlich groß und süß und weich ist, frißt: 'Was nützt es dem Menschen, wenn er
die ganze Welt gewinnt und an seiner Seele Schaden leidet?'"99
Hier forderten Laien von der Kirche, daß sie sich künftig auf ihre spezifisch christ-
lichen Aufgaben konzentrieren solle, statt sich wie bisher allzu sehr in das kulturelle
Leben einzumischen. Sie habe sich auf die "innere Mission am Einzelnen" zu konzen-
trieren, während es Sache dieses Einzelnen selbst sei, Verantwortung für die Gegen-
wart zu übernehmen.100 Religion als Mittel zur Förderung ethischer oder kultureller
Werte aufzufassen, verfälsche ihr Wesen; sie könne zwar indirekt kulturschöpferisch
wirken, aber nur über den einzelnen Christen, der aus seiner Verwurzelung im katho-
lischen Glauben heraus auf die Anforderungen der Gegenwart antworte. Die Kirche
der Gegenwart müsse sich davor hüten, sich etwa an der mittelalterlichen christlichen
Kultur zu messen, ja sie müsse sich überhaupt "von der Festlegung auf bestimmte
politische oder kulturelle Forderungen" befreien. "Die katholische Kirche kennt
keinen Idealmenschen, keine abstrakte Gesellschaft, sondern den konkreten
Menschen, die konkrete Kirche."101 So könne auch "katholische Politik" keine Politik
der katholischen Kirche sein, sondern immer nur politisches Handeln des Einzelnen,
freilich aus seiner Verwurzelung in Glaube und Kirche heraus.102
"Das Christliche offenbart sich, je nach den Notwendigkeiten der Situation, in
wechselnder Gestalt; der Glaube verwirklicht sich in den weltlichen Beziehun-

96
Vgl. Seiterich-Kreuzkamp, Walter Dirks, 82-89; Lowitsch, Emst Michel.
97
Michel, Kulturproblem, 4.- Vor Augen steht Michel wohl vor allem die Äußerungen Friedrich Wilhelm
Foersters über das "Kulturproblem der Kirche": Autorität und Freiheit. Betrachtungen zum Kulturproblem der
Kirche, Kempten-München 1910; Das Kulturproblem der Kirche. Ein Dialog mit meinen Kritikern. Sonder-
abdruck aus der 4. Aufl. von "Autorität und Freiheit", Kempten-MUnchen-Koblenz 1920. Vgl. dazu auch:
Engen, Kulturproblem (1921).
98
Vgl. Funk, Die Jungen, 596.
99
Funk, Die Jungen, 593.
100
Vgl. Michel, Kulturproblem, 7.
101
Michel, Kulturproblem, 6.
102 ygj Seiterich-Kreuzkamp, Walter Dirks. - Michels politische Auffassungen finden sich vor allem in:
ders., Zur Grundlegung einer katholischen Politik (21924); ders., Politik aus dem Glauben (1926).- Walter
Dirks und Karl Neundörfer gingen von ähnlichen Überlegungen aus; vgl. Seiterich-Kreuzkamp, a.a.O., 88,
101, 104.
Christentum und Kultur 227

gen und Verflechtungen vollkommen souverän, so daß er in einer Mannigfaltig-


keit verschiedener Verhaltungsweisen sich ausdrücken kann."103
Den ersten grundlegenden katholischen Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Chri-
stentum und Kultur legte dann Theodor Haecker im Jahre 1923 vor.104 In Ausein-
andersetzung mit dem protestantischen Theologen Werner Eiert105 vertrat er die Auf-
fassung, daß weder "Diastase" noch "Synthese" zwischen beiden Größen einfachhin
"schicksalshaft" über die Kirche kommen, sondern daß das zu bestimmende Verhält-
nis im Wesen des Christentums selbst begründet sei.106 Dort finde sich aber eine
fundamentale "Diastase" (die auch Eiert für die Zukunft des Protestantismus erneuert
sehen möchte):
"Das Christentum kann - und das allerdings hat es oft und in eminentem Maße
getan - eine Kultur anhauchen, beleben, befeuern, durchdringen, spiritualisieren,
reinigen, läutern, kann sie, die Tochter erschaffener Geister, hinausweisen über
sie selbst, hinauf zum Unerschaffenen, Ewigen, Absoluten Geist und Seiner
Schönheit."
Aber:
"Alle Schöpfungen der Natur wie auch der Kultur sind unmittelbar nie Schöp-
fungen des Christentums und seines Geistes, welcher der Heilige Geist ist,
sondern sind Schöpfungen der von Gott geschaffenen Naturmacht und des von
Gott geschaffenen Menschengeistes."107
"Es gibt nicht eine christliche Kultur im selben unmittelbaren Sinn wie eine
griechische oder römische oder germanische oder romanische."108
Die Kirche sei nur in einem einzigen Werke selbst schöpferisch, nämlich im
"Heilswerk", alles andere falle "nur zu und nebenbei".109 Gerade dadurch könne aber
"Natur und Menschengeist" mit dem Christentum "jede Verbindung eingehen bis zu
der innigsten einer Vermählung"110 -jedoch nur unter der Voraussetzung, daß "Natur
und Menschengeist" selbst die ursprüngliche Gesundheit bewahren. Nicht "Schicksal"
sei es daher auch, ob eine "Vermählung" ("Synthese") zustande komme; Vorausset-
zung sei vielmehr - neben der Glaubwürdigkeit der Christen selbst111 - der "Zustand
relativer Reinheit, Offenheit und Empfänglichkeit für die übernatürliche Wahr-
heit".112
Diese letzte Bemerkung führte zum Vorwurf, Haecker verstehe Christentum und
Kultur als "gleichberechtigte Mächte, Dinge von gleicher Größe auf gleicher

10i
Mirgeler, Jugendbewegung, 181.
104
Vgl. Haecker, Christentum und Kultur (1923); Dialog über Christentum und Kultur (1928). Zu
Haecker siehe bereits oben.
105
Haecker bezog sich auf: W. Eiert, Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwi-
schen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Hegel und Schlei-
ermacher, München 1921.
106
Vgl. Haecker, Christentum und Kultur, 28,45 u. ö.
107
Haecker, Christentum und Kultur, 47.
108
Haecker, Christentum und Kultur, 48.
109
Vgl. Haecker, Christentum und Kultur, 48.
110
Haecker, Christentum und Kultur, 50.
1
' ' Darauf weist Haecker später hin; vgl. Dialog, 37.
112
Haecker, Christentum und Kultur, 53.
228 Der Blick auf die Kultur
Ebene".113 Haecker präzisierte, in der Tat könne eine christliche Kultur nicht entste-
hen, wo nur der lebendige Glaubensgeist, nicht aber eine "relative Gesundheit des
Natürlichen" vorhanden sei;114 an solchen "Präliminarien einer christlichen Kultur"
fehle es ja gerade in der Gegenwart.115 Doch nicht sie, sondern der Glaube habe die
Priorität, und dieser sei an keine einzige bestimmte Kultur ausschließlich gebunden,
auch nicht an die "lateinische".116
"Europa hört auf, Europa zu sein, wenn es den Glauben verliert, dessen bin ich
unerschütterlich gewiß, aber der Glaube hört nicht auf, selbst wenn Europa ein
einziges Trümmerfeld würde, wozu es ja, weiß Gott, Aussicht hat."117
Anders als Dirks, Michel und andere "kritische" Katholiken jener Zeit hält also
Haecker eine "christliche Kultur" auch in der Zukunft durchaus noch für denkbar.
Gemeinsam ist allen jedoch die klare Unterscheidung von Christentum und Kultur -
eine Lektion, die sie bei Kierkegaard (s. o.) gelernt zu haben scheinen. Diese Unter-
scheidung konnte im politischen Bereich (aber auch in anderen kulturellen Tätigkei-
ten) den Katholiken einen größeren Handlungsspielraum sichern ("Politik aus dem
Glauben"118). Sie konnte aber auch in eine "Ghettoisierung" ganz neuer Art führen.
Eine Tendenz dazu findet sich bei Guardinis Freund Karl Neundörfer. Er kann die
Überzeugung äußern, es sei kein Grund abzusehen,
"warum ein Katholik nicht ebenso fortschrittlich wie konservativ, Republikaner
wie Monarchist, Freihändler wie Schutzzöllner, Zentralist wie Föderalist, Pazi-
fist oder Nationalist sein kann, wenn nur in all diesen Fragen eine gewisse
extreme Haltung vermieden wird."119
Der Mainzer Stadtpfarrer bemüht sich mit solchen Sätzen, die enge Bindung der
katholischen Kirche an eine bestimmte politische Partei (hier das "Zentrum") aufzu-
brechen, um sich den Zugang zu Gläubigen mit anderen politischen Leitvorstellungen
nicht vorschnell zu verbauen. So berechtigt diese Sorge auch sein mag und so positiv
die Forderung nach einer pluraleren Gestalt des Christsein zunächst auch klingt - sie
enthält doch eine gewisse Relativierung des Unterscheidend-Christiichen im Blick auf
eine Mitgestaltung der Kultur. Ein von allem Konkreten distanzierter Glaube kann so
zuletzt auch unmenschliche Ideologien begünstigen, wenn er sich nur vor "Extremen"
hütet (wo beginnt dies?); wo der Glaube sich auf einen völlig "unpolitischen" Stand-
punkt, auf die reine "Heilssorge" am Einzelnen zurückzieht,120 entsteht unter Umstän-

113
Haecker, Dialog (1928), 28.
114
Vgl. Haecker, Dialog, 32.
115
Vgl. Haecker, Dialog, 331
116
Vgl. Haecker, Dialog, 36.
117
Haecker, Dialog, 36.
118
So der Titel eines Buches von Ernst Michel (Jena 1926).
119
Neundörler, Kirche und Welt, 168. - Das Zitat steht im Zusammenhang einer grundsätzlichen Ausein-
andersetzung mit der Frage "Kirche und Partei", die in drei aufeinanderfolgenden Beiträgen vollzogen wird:
"Die parteipolitische Spaltung der Katholiken als übernationale Erscheinung" (143-154); "Die Problematik
der deutschen Zentrumspartei. Aufriss" (154-160); "Die Problematik der deutschen Zentrumspartei. Ausein-
andersetzung" (161-171).
120
"Man mag dies eine Form von Entpolitisierung nennen, auch wenn Neundörler mit seinen Thesen ihr
gerade entgegenzuwirken meinte" (Hurten, Katholiken, 201).
Christentum und Kultur 229

den der Eindruck, daß keine (auch nicht die immer siegreichere nationalsozialistische)
Bewegung auf die Mitarbeit von Christen zu verzichten braucht.121
Eine berechtigte "Unterscheidung des Christlichen" kann dieser Gefahr, die ja nicht
nur in der Politik, sondern in allen kulturellen Bereichen droht, wohl nur dann entge-
hen, wenn sie durch einen offenen gläubigen Blick auf die Welt ergänzt wird. Dies
aber hat gerade Romano Guardini in den zwanziger Jahren versucht. Als deshalb
Freunde von ihm im Jahre 1935 einen Sammelband zusammenstellten und ihm den
Titel "Unterscheidung des Christlichen" gaben, reihten sie den Autor zwar damit in
die Reihe jener "kritischen" Katholiken der zwanziger Jahre ein und hoben ihn von
einem wie immer gearteten "Kulturkatholizismus" ab.122 Sie stellten den Aufsätzen
jedoch nicht zufällig die Abhandlung über das "Wesen katholischer Weltanschauung"
voran, in der Guardini schon 1923 nicht nur die Überweltlichkeit der Offenbarung
betonte, sondern den gläubigen Blick gerade auf die "Welt" (und damit auf die
"Kultur") richtete. Mochte dieser "Blick" auch - im Vergleich mit "politischeren"
Zeitdiagnostikern - eher ins Allgemeine, Grundsätzlichere gehen, so konnte er doch
die Voraussetzungen für verantwortliches Handeln eher bereitstellen als ein allzu
radikales Auseinanderdividieren von "Glaube" und "Kultur" im Gefolge von Kierke-
gaard.

cc. Natur und Gnade


Die "neue" Frage nach dem Verhältnis von "Glaube" und "Kultur" wurde in den
zwanziger Jahren nicht in der katholischen Journalistik diskutiert, sondern auch in der
eigentlich theologischen Literatur. Hier allerdings artikulierte sie sich vor allem in der
Wiederaufnahme eines alten "katholischen" Themas - der Frage nach "Natur und
Gnade"12*
Unter den katholischen Theologen, die hier an erster Stelle zu nennen sind, ist vor
allem der Tübinger Dogmatiker Karl Adam.124 Auch er griff wieder auf jenen Leitsatz
zurück, der bei allen theologischen Schultraditionen, so unterschiedlich sie das Ver-
hältnis von Natur und Gnade auch bestimmten, Geltung besaß: "Gratia non destruit,

121
Ausgerechnet Albert Mirgeler (zu seiner Position Kap. I,3,c) findet sich 1933 im Vorstand des den
Nationalsozialisten nahestehenden Bundes "Kreuz und Adler", einer von Vizekanzler v. Papen gegründeten
"überparteilichen Zusammenfassung der katholischen Deutschen", deren Absicht es war, die in der Überliefe-
rung der Kirche und des Reiches enthaltenen "politischen Formkräfte auch für die gegenwärtige nationale
Erneuerung [...] fruchtbar zu machen" (zit. bei Hurten, Katholiken, 201). Vgl. auch den Beitrag Mirgelers
"Die deutschen Katholiken und das neue Reich", in: Die Schildgenossen 13 (1933/34), 53-64 (dazu Hurten,
Katholiken, 218).
122
Persönliche Kontakte Guardinis bestanden nicht nur zu Karl Neundörfer, sondern auch zu Philipp
Funk (vgl. Gerl, Guardini, 531) und vor allem Walter Dirks, der auf Drängen Guardinis ab 1. April 1924 in
die Redaktion der Rhein-Mainischen Volkszeitung aufgenommen wurde (vgl. Seiterich-Kreuzkamp, Walter
Dirks, 521 und 46). Im Winter 1923/24 hatte Dirks vorübergehend als Privatsekretär bei Guardini gearbeitet
(vgl. ebd., 52). An Ernst Michel lieferte Guardini Artikel für die katholischen Sonderhefte der "Tat"; zu ihm,
vor allem aber zu Mirgeler, war die Beziehung kritischer, was vor allem mit der unterschiedlichen Einschät-
zung der Jugendbewegung, aber wohl auch mit der scharfen innerkirchlichen Kritik dieser Autoren zusam-
menhing; vgl. ebd., 53 und 88.
123 ygj ( j a z u ^gesamt Kühn, Natur und Gnade.
124 vg] <jazu Kreidler, Theologie des Lebens, 201-216. Der Hinweis auf Adam fehlt in dem ansonsten
sehr aufschlußreichen Buch von Ulrich Kühn (vgl. vorige Anm.).
230 Der Blick auf die Kultur

sed supponit et perficit naturam" 125 Adam setzte jedoch neue Akzente, wenn er das
"perficit" vor allem als Erfüllung der naturhaften Empfänglichkeit für Gott ("potentia
oboedientialis") interpretierte. Es gebe kein natürliches Sein in einer eigenen Ord-
nung, die neben der übernatürlichen läge oder von ihr losgelöst wäre. Alles Natürli-
che sei von vornherein auf das Übernatürliche bezogen; dies sei gerade der Unter-
schied der katholischen zur protestantischen Betrachtungsweise, daß beide Seinsbe-
reiche "aufeinander hinbezogen, ja organisch miteinander verbunden" seien.126
Gegen die von Albertus Magnus und Thomas von Aquin übernommene aristoteli-
sche Erkenntnistheorie, bezog sich Adam wieder auf die ältere "augustinische" Tradi-
tion zurück.127 Im Unterschied dazu blieb Karl Eschweiler dem Aquinaten treu, hob
jedoch bei ihm gerade jene Gedanken hervor, die ebenfalls auf eine Zuordnung der
Natur zur Gnade schließen lassen. Dazu gehörte vor allem die Lehre von der
"potentia oboedientialis". In der "thomistischen" Schulrichtung, der sich Eschweiler
verpflichtet wußte, war diese als eine "passive" Potenz beschrieben worden, die zwar
nicht zu den (aktiven) "potentiae naturales" gehörte, andererseits aber doch auch
wieder mit der "Natur" des Menschen untrennbar verbunden war. Eschweiler ließ
diese "potentia oboedientialis" nun sogar noch "ins Riesenhafte" wachsen:128 "Die
Natur 'hat' nicht nur 'eine' potentia oboedientialis, sondern sie ist schlechthin, soweit
sie natürliches Sein und nicht defekt ist, potentia oboedientialis für Gottes Wollen
und Wirken. Der Oboedientialcharaktcr ist nicht ein Akzidenz, sondern eine trans-
zendentale Wesensbestimmung der geschaffenen Natur."129 Dadurch entstand eine
"teleologische Theologie":1*0 "Gnade" wurde zum "Telos" der menschlichen Natur
erklärt; das "perficit" im scholastischen Axiom bedeutete nun nicht mehr nur
"Ergänzung", sondern wirkliche "Vollendung" ("gratia supponit naturam ut perfectio
perfectibile"131).
Karl Adam und Karl Eschweiler versuchten in ihren theologischen Neuansätzen das
"neuscholastische" Denken zu überwinden, in dem "Natur" und "Gnade" immer mehr
als in sich selbständige Bereiche neben- oder "Stockwerke" übereinander dargestellt
worden waren.132 Die positive Bewertung der menschlichen "Natur" sollte jetzt nicht
mehr dadurch erreicht werden, daß diese "Natur" als ein möglichst in sich selbst
bereits geschlossenes und auf ein "natürliches Endziel" hingeordnetes Ganzes
verstanden wurde, dem die "Gnade" als "Über-Natur" ein nochmals völlig neues

125 vg] Kreidler, Theologie des Lebens, 211. Siehe zu diesem Axiom bereits Kap. I,l,a. Zu seiner Ent-
wicklung vgl. bes. B. Stoeckle, "Gratia supponit naturam". Geschichte und Analyse eines theologischen
Axioms, Rom 1962; Kühn, Natur und Gnade, bes. 23-25.
126 vg] Adam, Deutsches Volkstum, 52; vgl. dazu Kreidler, Theologie des Lebens, 209-212.
127
Vgl. bes. Adam, Jesus Christus (31933), 28. Zur Position Adams vgl. Flury, Redlichkeit, 154.
128
Vgl. Kühn, Natur und Gnade, 50.
129
K. Eschweiler, Eine neue Kontroverse über das Verhältnis von Glauben und Wissen, in: Bonner Zeit-
schrift für Theologie und Seelsorge 3 (1926), 260-276; zit. bei Kuhn, Natur und Gnade, 50.
130
Vgl. Kuhn, Natur und Gnade, 45-54.
131
Kuhn, Natur und Gnade, 49.
132 vgl. Kühn, Natur und Gnade, 14-43, bes. 421 - Zu den Konsequenzen für die theologische Methode
(der "eine Weg" der Theologie!), die Guardini mit Adam und Eschweiler teilt, vgl. bereits Kap. III, l,b. Vgl. v.
a. Adam, Glaube (1920), 36-40; Eschweiler, Die zwei Wege der neueren Theologie (1926), darin bes. das 4.
Kapitel: "Der eine Weg der Theologie" (184-260); Adam, [Rez. zu: Eschweiler, Wege] in: ThRv 25 (1926),
321-326; ders., Zirkel (1939). Dazu Flury, Redlichkeit, 149-179; Kuhn, Natur und Gnade, 521
Christentum und Kultur 231

"übernatürliches Endziel" hinzufügte. Vielmehr wurde diese "Natur" nun als eine
Wirklichkeit verstanden, die immer schon auf die Vollendung durch die Gnade
verwiesen war. So ergab sich zwangsläufig eine unbefangenere Würdigung der
"kulturellen" Sachbereiche, die - auch wenn sie vom Eigentlich-Christlichen zu unter-
scheiden waren - zuinnerst auf die Wirklichkeit der Gnade bezogen sein mußten.
Adam und Eschweiler repräsentierten daher auf der Ebene theologischer Reflexion
noch jene "kulturkatholischen" Strömungen, von denen oben die Rede war. Sie such-
ten Glaube und Kultur in eine möglichst enge Verbindung zu bringen, während die
"kritischen" Katholiken jener Jahre im Anschluß an Kierkegaard und parallel zu Barth
bereits wieder, aber nun anders, auf "Unterscheidung" setzten. Während Eschweiler
als "Thomist" auf Differenzierungen nicht verzichtete, wurde die neue Kulturfreudig-
keit bei Karl Adam gelegentlich zu einer unkritischen Bejahung völkisch-nationalso-
zialistischen Gedankenguts.133 Aber auch Eschweiler verteidigte 1933 den "gut
katholischen Sinn" des nationalsozialistischen Parteiprogramms und berief sich dazu
wie Karl Adam auf die Lehre von der Zuordnung der Gnade zur Natur.134
Von anderen Voraussetzungen als Adam und Eschweiler ging der Jesuit Erich
Przywara aus.135 Er wußte sich der "molinistischen" Schultradition verpflichtet, in
der weniger die metaphysische Zuordnung von Natur und Gnade, als vielmehr die
Selbständigkeit und Vollständigkeit der "Natur" betont und die "Gnade" als rein
positiver, freier und in keiner Weise natürlich geforderter Akt Gottes verstanden
wurde.136 Dennoch bemühte auch er sich, das "Zweistockwerksdenken" der Neuscho-
lastik zu überwinden. Seine geradezu revolutionäre Leistung war es aber, dies nicht
mehr auf der metaphysischen Ebene versuchen zu wollen, sondern stattdessen die
metaphysische Theorie des Natur-Gnade-Verhältnisses durch eine heilsgeschichtliche
Sicht zu ergänzen. Heilsgeschichtlich aber gibt es keine nur-natürliche Natur, sondern
immer nur ein natürlich-übernatürliches Ganzes, das entweder noch unter der Macht
der Erbsünde, oder aber schon unter der Macht der Erlösungsgnade steht.137
Im Bereich der Metaphysik hatte Przywara zunächst eine "Polaritätsphilosophie"
entwickelt, die sich zwar öfter auf Guardinis Gegensatzlehre bezog, jedoch völlig

133 vgl. Adam, Deutsches Volkstum, 59 u. ö.; dazu Kreidler, Theologie des Lebens, 33; ders., Karl Adam
und der Nationalsozialismus, in: RJKG 2 (1983), 129-140, hier 130-132; Hurten, Katholiken, 219-221.
134
K. Eschweiler, Die Kirche im neuen Reich, in: Deutsches Volkstum 15 (1933), 451-458; dazu Hurten,
Katholiken, 2211 - Ein gutes Beispiel für den Zusammenhang von politischem Urteil und theologischem
Grundansatz stellt der folgende Satz dar: "Ohne das natürliche Ausgestrecktsein auf die Offenbarung des
Dreieinigen wäre das neue Reich weder erkämpft worden, noch könnte es in dieser gefährlichen Welt behaup-
tet werden" (Eschweiler, a.a.O., 453). Ähnlich äußert sich auch der Werbetext für die Schriftenreihe "Reich
und Kirche"; er spricht die Überzeugung aus, "daß zwischen der natürlichen völkischen Wiedergeburt unserer
Tage und dem übernatürlichen Leben der Kirche kein grundsätzlicher Widerspruch besteht. Vielmehr scheint
die Wiederherstellung der politischen Ordnung geradezu nach der Vollendung aus den Quellgründen der
Religion zu rufen" (zit. bei Hurten, a.a.O., 226).
135
Zu ihm vgl. jetzt Faber, Kirche.
136
Zum "molinistischen" Ansatz vgl. Kühn, Natur und Gnade, 27-29, 31, 36-38 und 43.- Kühn beruft
sich vor allem auf Lercher. Zu Przywara vgl. ebd., 92-113.
137
Kühn überschreibt diesen Ansatz, den er außer bei Przywara auch bei Karl Rahner und Hans Urs von
Balthasar (auf je verschiedene Weise) weitergeführt sieht, mit dem Titel "Natur in konkreter Einheit mit
Gnade" (vgl. Natur und Gnade, 91, Überschrift).
232 Der Blick auf die Kultur

andere Ziele verfolgte.138 Sie kreiste um die beiden Pole "Gott Dl uns" und "Gott über
uns"139 und suchte in einem "katholischen" "Sowohl-als-auch" Einheit und Unter-
schiedenheit von "Natur" und "Gnade" zu denken. Nur der "Gott in uns und Gott über
uns" sei der "goldene Ring, der alles echt Menschliche zu umschließen vermag.
Außerhalb seiner gibt es nur verabsolutierte Subjektivismen, d. h. vermenschlichte
Götter oder vergötzte Menschen."140 Dieses konkrete Ineinander kommt bei Przywara
dann vor allem im Gedanken der "Analogia Entis" zum Ausdruck.141 Er versteht
darunter das Grundprinzip katholischen Denkens, obwohl es in dieser Formulierung
erst bei Cajetan aufgetaucht war.142
Thomas von Aquin hatte im Anschluß an die griechische Philosophie noch von
einer "analogia nominum" gesprochen, also von einer Analogie der Gottesnamen; die
Analogielehre läßt sich von ihm her in erster Linie als "Sprachlehre des Glaubens",
weniger als eine metaphysische Theorie verstehen.143 Die "analoge" Aussage, die ja
gewissermaßen "zwischen" "univoken" (eindeutigen) und "aequivoken"
(mehrdeutigen) Aussagen steht, galt seitdem als auf das Reden von Gott einzig ange-
messene Sprechweise - ob es sich nun um die "natürliche" oder die "übernatürliche"
Gotteserkenntnis handelte.144 Die Neuscholastik unterschied dann allerdings eine
"analogia entis", die eine gleichzeitige Anwendung des Seinsbegriffs auf die
Geschöpfe und auf Gott ermöglichte, von einer "analogiayüfei"; diese behauptete eine
verhältnismäßige Gleichheit in den Beziehungen Gottes und der Geschöpfe, die erst
durch übernatürliche Offenbarung Gottes bekannt geworden sei.145 Nach Bonaven-
tura und den Franziskanertheologen war Erkenntnis Gottes nur aufgrund der Offenba-
rung und der von ihr begründeten "analogia fidei" möglich; aber auch sie setzten, wie
Gottlieb Söhngen und Hans Urs von Balthasar gezeigt haben, eine "analogia entis"
voraus, freilich als reine Möglichkeit, d. h. als Ansprechbarkeit des Menschen für

138 vgl. bes. Przywara, Tragische Welt?, 3611 - Przywara hat wohl als erster (noch vor Erscheinen des
Gegensatzbuches!) ien "Gegensatz" als Grundstruktur im Denken Guardinis erkannt, so v. a. in der Stellung-
nahme zu "Auf dem Wege" (1923), in: Ein Gang durch die Zeit, 2391; vgl. ferner: Gott in uns und Gott über
uns, 5691 u. ö. Er bezeichnet die Gegensatzphilosophie jedoch als bloße "Lebenslehre" und hebt sie von
seinem eigenen Bemühen ab. Die verschiedenen Polaritäten, die er im "Gottgeheimnis der Welt" (1923)
hervorhebt ("Objekt" und "Subjekt", "Werden" und "Sein", "Person" und "Idee" bzw. "Gesetz" und "Form";
vgl. ebd., 56), werden letztlich alle auf den "Gegensatz" von "In-Sein" und "Über-Sein" bzw. - angewandt auf
die Beziehung zwischen Gott und den Geschöpfen - von "Gott-in-uns" und "Gott-Uber-uns" zurückgeführt;
vgl. ebd., 146, 154, 163. Es geht ihm um eine Neubelebung der alten scholastischen Metaphysik aus den Pro-
blemen der Gegenwart heraus. Mit Guardini teilt er jedoch die Auffassung des "Katholischen" als einer
Haltung, die dem Polaritätsgedanken entspreche; katholisch sei nicht das "Entweder-Oder", sondern das
"Sowohl-als-auch", das Przywara vor allem gegenüber der protestantischen Lösung (Luther, Dialektische
Theologie) neu zur Geltung bringen möchte.
139
Vgl. v. a. Przywara, Gott in uns und Gott über uns (1923); ders., Polarität und Romantik [1923], in:
ders., Ringen der Gegenwart, I, 206-221; ders., Gottgeheimnis der Welt (1923); Verklärung oder Polarität
[19241, in: ders., Ringen der Gegenwart, I, 26-36; ders., Gang durch die Zeit (1924).
140
Przywara, Gott in uns und Gott über uns, 578.
141 vg]. v. a. Przywara, Gottgeheimnis, 135; ders., Tragische Welt?, in: ders., Ringen der Gegenwart, I,
342-373, hier 372; ders., Analogia Entis (1932).
142
Vgl. Kasper, Gott, 128.
143
Vgl. Kasper, Gott, 124.
144
Vgl. Diekamp, Dogmatik, I, 131-134.
145
Vgl. Diekamp, Dogmatik I, 1311
Christentum und Kultur 233

Gott.146 Karl Barth, der dieses Prinzip kategorisch ablehnte, übersah, daß es
ursprünglich stets bei aller Ähnlichkeit zwischen Gott und dem Menschen gerade die
je größere Unähnlichkeit betonen wollte - ganz in der Linie des IV. Laterankonzils,
das festgestellt hatte: "Inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin
inter eos maior sit dissimilitudo notanda" (DH 806). Seine Anwendung entsprach der
dreifachen Methode aller Gotteserkenntnis ("via affirmationis", "via negationis" und
"via eminentiae")141: "Es handelt sich also um einen zusammenhängenden Vermitt-
lungsprozeß, der sich jedoch am Ende nicht in sich schließt, sondern ganz ins Offene
weist."148 Auch Przywara149 übernahm in seinen Analogiebegriff'die Auffassung des
IV. Laterankonzils von der Ungleichgewichtigkeit im Verhältnis von Gott und
Geschöpf150 und brachte diese selbst immer wieder mit dem ignatianischen "Deus
semper maior" in Verbindung. Das Analogieprinzip behauptet weder "eine konti-
nuierlich verlaufende, vorfindliche und sich daher gar der menschlichen Verfügung
darbietende Beziehung", noch, daß der Mensch gar imstande sei, sich Gottes zu
bemächtigen. "Die analogia entis ist die 'durchgehende Struktur eines reinem Fakti-
schen' und von daher nie Ableitungsprinzip, sondern dem Schöpferwillen entstam-
mender und ihm gemäßer Rhythmus der Wirklichkeit."151
Innerhalb der konkreten Heilsgeschichte gibt es nun nach Przywara immer schon
das Faktum der Sünde. Es besteht in einer "Nichtanerkennung und Zerstörung der
Analogie"; durch die Verabsolutierung des Geschöpflichen, die einer Verabsolutie-
rung Gottes und einer Aufhebung der positiven Eigenständigkeit und Eigenwertigkeit
des Geschöpflichen entspreche, würden Abstand und Einheit von Gott und Geschöpf
gleichermaßen aufgehoben.152 Die Erbsünde ist für Przywara also nicht nur eine
"Subtraktion" des "Übernatürlichen", so daß eine bloße "Natur" übrig bliebe, sondern
die durchgehende Verkehrung des natürlich-übernatürlichen Wesens. Dann ist aber
auch die Erlösung nicht nur eine Addition der "Gnade", sondern eine totale Neube-
stimmung des ganzen Menschen. An die Stelle einer metaphysischen Dynamik tritt
das "Kreuz", das immer auch im paulinischen Sinn "Ärgernis" und "Torheit" ist für
die "natürliche" Weisheit des Menschen.
Für die Frage nach der Bezogenheit der Natur auf die Gnade hin spricht also auch
Przywara ein eindeutiges "Ja", begründet es jedoch nicht - wie Adam und Eschweiler
- in einer natürlichen Anlage (potentia oboedientialis), sondern in der freien Setzung
Gottes. Die natürliche Unähnlichkeit ist zwar immer schon durch das freie Geschenk
der Ähnlichkeit umgriffen, wird jedoch nicht einfach aufgehoben. So gilt für das
Verhältnis von Gnade und Natur gleichzeitig ein "Nein", das noch ins Unabsehbare
zu steigern ist, wenn der konkrete Zustand des Menschen unter der Macht der Sünde
bedacht wird, ein Zustand nämlich, in dem das von Gott gewollte und gesetzte Analo-
gieverhältnis einseitig vom Menschen aufgekündigt ist. Dennoch bleibt auch hier das

146
Vgl. Kasper, Gott, 128.
147
Vgl. Kasper, Gott, 1271
148
Kasper, Gott, 128.
149
Zu seinem Analogiebegriff vgl. Faber, Kirche, 117-129.
150
Dazu Faber, Kirche, 125. - Vgl. etwa Przywara, Analogia entis, 95.
151
Faber, Kirche, 126.
152
Vgl. Kühn, Natur und Gnade, 107-109.
234 Der Blick auf die Kultur

"Ja" in gewisser Weise bestehen und wird in der Erlösungstat wieder hergestellt. Es
wird jedoch von einem noch größeren "Nein" umgriffen - als die dem Menschen von
Natur aus eigene je größere Unähnlichkeit mit Gott, die sich gerade in der Unbegreif-
lichkeit des Kreuzesgeschehens offenbart.
Durch die heilsgeschichtliche Betrachtung des Natur-Gnade-Verhältnisses ergibt
sich eine deutliche Verwandtschaft mit Karl Barth.153 Sie erinnert aber auch an
Guardinis Bemerkungen im "Nachwort" zur "Liturgischen Bildung" (vgl. dazu oben
in Abschnitt a,cc). Dennoch scheint Guardini dem augustinisch-thomistischen Kon-
zept von Adam bzw. Eschweiler näher zu stehen. Seine frühen Schriften zu Liturgie
und Kirche sind ebenfalls noch von einer Haltung geprägt, die dem
"kulturkatholischen" Klima der frühen zwanziger Jahre entspricht: Sie heben die
"kulturelle" Bedeutsamkeit der kirchlichen Ausdrucksformen hervor und registrieren
erfreut die positiven Wandlungen in den sich eben neu formierenden "kulturellen"
Bewegungen, die dadurch für den Glauben offener werden. Der Verweis auf das
scholastische Axiom mit seinem "supponit" und "perficit" verweist dabei wie bei
Adam und Eschweiler auf eine "Natur", die immer schon darauf aus ist, nach der
"Gnade" zu verlangen und in ihr ihre "Vollendung" zu finden. Dennoch ist die heils-
geschichtliche Ergänzung bei Guardini nicht einfach ausgeblendet. Deutlich wird auf
die Wirklichkeit der Sünde und auf "Torheit" und "Ärgernis" des Kreuzes verwiesen.
Von hier aus ist nicht "Vollendung" des schon teilweise Vorhandenen angesagt,
sondern eine völlige Neudefinition des Menschseins, in der alles "versinkt, was auf
Erden wertvoll heißt"154. Ist es ein Zufall, daß Guardini von nun an seine frühen
Versuche mehr und mehr als unzureichend empfindet,155 daß er 1925 auf ganz neue
Weise das Wesen der Liturgie zu denken versucht (als "Mysterium" nämlich)156 und
daß er schließlich 1926 das Verhältnis von Christentum und Kultur noch einmal
grundsätzlich neu von Kierkegaard her aufrollt (s. u.)?
Freilich ist von Guardini weder hier noch an anderer Stelle eine große systema-
tisch-theologische Darstellung zu erwarten. Zwar können Grundlinien eines bestimm-
ten Natur-Gnade-Verständnisses aus seinen späteren Schriften durchaus extrahiert
und anderen theologischen Ansätzen jener Zeit gegenübergestellt werden;157 aber
insgesamt bleibt doch festzustellen, daß Guardini eher an konkreten
"Problemstellungen"158 interessiert war als an theologischer Grundlagenarbeit. Auch
in dieser Frage blieb er ein theologischer "Außenseiter", der Probleme zwar benannte
und Elemente einer Lösung zusammentrug, aber nicht zu einer Synthesefindenkonn-

153
Vgl. Kühn, Natur und Gnade, 113.
154
CK 89 [107].
155 vgl. dazu bes. das Vorwort zur 3. Aufl. des Kirchenbuches: "Der Ansatz ist zu einfach genommen; die
ausgesprochene Haltung nicht tief genug in der Wirklichkeit begründet; das negative Moment nicht in der
ganzen Bedeutung gesehen, die es hat. Vielleicht genügt nicht einmal die Kritik auf bloßes 'Mehr' und
'Besser' hin, sondern die Erscheinung der Kirche müßte ganz anders aus dem Charakter der Geschichtlichkeit
heraus erfaßt werden" (Sinn der Kirche, 16).
156
Vgl. Mysterium. Dazu oben Kap. II,3,a,dd.
157
So Kühn, Natur und Gnade, 54-56.
158 vgl. die Vorlesungsankündigung: "Christentum und Kultur im Anschluß an die Problemstellung
Sören Kierkegaards" (Mercker, Bibliographie, Nr. 198 und 199).
Christentum und Kultur 235

te bzw. wollte. Unter diesem Vorzeichen muß auch die folgende Darstellung gelesen
werden, die sich nun dem wichtigen Aufsatz aus dem Jahre 1926 zuwendet.

c. "Gedanken über das Verhältnis von


Christentum und Kultur" (1926)
aa. Die Fragestellung
In seinen Schriften zur Liturgie und zur Kirche hatte sich Romano Guardini in erster
Linie auf die Betrachtung der kulturellen "Außenseite" beschränkt (vgl. Kapitel 11,3),
bevor die Bonner und die Berliner "Antrittsvorlesungen" auch direkt nach dem
"Wesen" des Christlichen fragten (vgl. Kapitel III,l,b und HI,2,c). Auch der vorlie-
gende Beitrag beginnt dort, wo sich der Glaube einem unvoreingenommenen Beob-
achter "zeigt"; nur ist jetzt das Gesamtspektrum seiner Lebensäußerungen im Blick -
nicht mehr nur "Liturgie" bzw. "Kirche", sondern "Christentum". Denn es geht ja um
den Vergleich mit einem anderen "Wesens- und Wirklichkeitsbereich"159 aus der
Erfahrungswirklichkeit des Menschen - der "Kultur".
Es wird vorausgesetzt, daß beide Phänomene etwas grundsätzlich Verschiedenes
darstellen, daß also "Christentum" nicht einfach ein Teilaspekt der "Kultur", und
"Kultur" nicht umgekehrt ein Teilaspekt von "Christentum" ist. Den Kulturbegriff
Guardinis haben wir bereits kennengelernt (vgl. oben Abschnitt 2). Er bezieht sich auf
etwas, das sich von der "Natur", der "Gesamtheit dessen, was unmittelbar gegeben
ist" deutlich abhebt - als Inbegriff dessen,
"was der Mensch aus dem Naturhaft-Gegebenen macht; erkennend, stellungneh-
mend, handelnd, schaffend; am umgebenden Sein der Dinge, am anderen Men-
schen, an ihm selbst."160
Das "Wesen" des "Christentums" dagegen ist dasselbe wie das "Wesen" der Theolo-
gie (vgl. Kapitel III,l,b) und das "Wesen" katholischer Weltanschauung (vgl. Kapitel
III,2,c). Es wird folgendermaßen bestimmt:
"Das Wort 'Christentum' meint nicht etwas Allgemeines, religionsgeschichtli-
cher, religionspsychologischer oder philosophischer Herkunft, sondern etwas
durchaus Konkretes: es meint das Ereignis und den Inhalt der Offenbarung,
geschehen in der historischen Persönlichkeit des Gottmenschen Jesu(s) Christus;
in die Geschichte hineingebaut durch den im Pfingstereignis personal in die
Welt eingetretenen Heiligen Geist."161
In dieser Definition sind bereits wichtige Weichenstellungen enthalten:

159
Vgl. CK 145.
160
CK 145.
161
CK 146.
236 Der Blick auf die Kultur

1) Die Frage nach dem "Wesen des Christentums", die zuletzt durch Adolph von
Harnack gestellt worden war,162 wird bei Guardini auf ganz neue Weise angegangen -
weder historisch (wie im "Historismus" des 19. Jahrhunderts) noch psychologisch
(wie im "Psychologismus" des beginnenden 20. Jahrhunderts), noch philosophisch
(wie seit den Tagen der Aufklärung üblich), sondern - "konkret" (entsprechend seiner
eigenen phänomenologisch bzw. lebensphilosophisch bzw. gegensatzphilosophisch
geprägten Denkweise)!
2) "Konkret" betrachtet, geht es im "Christentum" um "das Ereignis und den Inhalt
der Offenbarung", die sich in einer bestimmten "historischen Persönlichkeit" vollzo-
gen hat, nämlich im "Gottmenschen" Jesus Christus. Die Inkarnation ist die Grundka-
tegorie des Christentums, weil in ihr - gegenüber all dem, was "der Mensch macht"
(Kultur) - der "Gofr-Mensch" Wirklichkeit geworden ist - das, was Gott durch einen
Menschen in dieser Welt "macht".
3) Diese "Konkretion" göttlicher Selbstoffenbarung bleibt aber nicht etwas Vergan-
genes. Im Pfingstereignis kommt ein zweites Grunddatum des Christentums hinzu,
weil seitdem - ebenfalls konkret ("personal"!) - der Heilige Geist das einmalige histo-
rische Ereignis der Inkarnation für alle Zeiten, Orte und Menschen zugänglich werden
läßt - "in die Geschichte hineingebaut durch den im Pfingstereignis personal in die
Welt eingetretenen Heiligen Geist."
Als "pneumatische" Vergegenwärtigung des Christusereignisses also begegnet das
Phänomen "Christentum" der Kultur als dem Inbegriff des spezifisch menschlichen
Schaffens. Im Blick auf diese Begegnung stellen sich jene drei Fragen, mit denen
Guardini nun zum eigentlichen Teil seiner Ausführungen überleitet:
1) Wird das, was der Mensch bisher aus seiner "Welt" gemacht hat bzw. was er über-
haupt zu "machen" imstande ist, nicht sofort hinfällig, wenn die so beschriebene
andere Wirklichkeit in die Geschichte "hineingebaut" wird? "Kommt vor dem Chri-
stentum Kultur als wirklicher Wert in Betracht?"163
2) Falls die erste Frage positiv zu beantworten ist - und nur dann hat es ja überhaupt
Sinn, weiter zu fragen -: Sind dann Christentum und Kultur nur zwei voneinander fein
säuberlich zu unterscheidende Wirklichkeiten, oder läßt sich ein Zusammenwirken
beider etwa dergestalt denken, daß es möglich wäre, "die christlichen Gegebenheiten,
also Wahrheiten, Normen, Impulse, Persongestalten, in den Kulturbereich hineinzu-
tragen, so daß sie darin als Antrieb, als Mittel zur Ordnung, zur Klärung und Gestal-
tung wirken können?"164 Wie steht es etwa mit dem Verhältnis der christlichen
Liebeshaltung zu den gesellschaftlichen Beziehungen?
3) Läßt sich dann schließlich auch noch das umgekehrte Verhältnis denken, daß näm-
lich das "Christentum" nicht nur aus seiner ureigenen Quelle schöpft, sondern sich
darüber hinaus auch noch von der "Kultur" helfen läßt, und zwar näherhin in dem

162 vgl. A. v. Harnack, Das Wesen des Christentums, Berlin 1900. Zur Vorgeschichte dieses "Topos" vgl.
H. Wagenhammer, Das Wesen des Christentums. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung, Mainz 1973
(- TTS 2), bes. 9-21. - Mit Harnack hatte sich Guardini bereits in seiner Dissertation auseinandergesetzt, und
zwar genauerhin mit dessen Vorwurf an die katholische Theologie, sie sei eine künstliche "complexio oppo-
sitorum" (vgl. Erlösung, 187).
163
CK 146.
164
CK 146.
Christentum und Kultur 237

Bemühen, "die kulturellen Werte und Wirklichkeiten in den Bereich des Christlichen
zu tragen, so, daß sie dort zu Mitteln, Hilfen, Anregungen werden, den christlichen
Gehalt aufzuschließen und zu erfassen?"165 Was etwa ist von der Möglichkeit einer
eigenen Glaubenswissenschaft zu halten, in der wissenschaftliche Erkenntnisse -
Guardini nennt eigens die psychologische und philosophische Forschung - "in den
Offenbarungsinhalt hineingetragen" werden?
Bevor der Autor aber eine Antwort auf diese drei Fragen versucht, stellt sich ihm
noch eine andere Frage: "Wie steht Religion überhaupt zur Kultur?"166

bb. Religion und Kultur


Nicht erst das Christentum führt in die menschliche Kultur eine "transzendente"
Größe ein. Schon vor und neben ihm gibt es das umfassende Phänomen der
"Religion" bzw. der "Religionen". Daß diese Tatsache überhaupt thematisiert wurde,
galt bis dahin für einen katholischen Theologen noch keineswegs als selbstverständ-
lich. Die traditionelle katholische Apologetik konzentrierte sich, wenn sie auf die
Möglichkeit einer "Gotteserkenntnis" außerhalb der übernatürlichen Offenbarung zu
sprechen kam, vor allem auf den philosophischen Aufweis der Wirklichkeit Gottes
aus der Schöpfung. Es war Max Scheler, der 1920 in seiner Schrift "Vom Ewigen im
Menschen" die Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit des religiösen Phänomens
gegenüber den erst sekundären philosophischen Gottesbeweisen behauptete und damit
an die Linie anknüpfte, die im protestantischen Denken von Friedrich Daniel Ernst
Schleiermacher ausging und im Jahre 1917 mit Rudolf Ottos Schrift "Das Heilige"
eine neue aufsehenerregende Behandlung erfahren hatte.167
Bei Scheler konnte Guardini vor allem folgendes lernen:168
1) die Selbständigkeit und Unableitbarkeit des religiösen Aktes in seiner Beziehung
auf das absolut "Heilige";
2) die Selbständigkeit und Unableitbarkeit von Philosophie bzw. Metaphysik in ihrer
Beziehung auf das absolut "Reale" (philosophische Gotteserkenntnis);169
3) die Zuordnung (Konformität) beider aufgrund ihres realidentischen Intentional-
objekts ("ens a se" als noch indifferent gegenüber dem "absolut Realen" wie gegen-
über dem "absolut Heiligen") und der Einheit des menschlichen Geistes;170
165
CK 147.
166
CK 147 (Hervorhebung von mir).
167
Zur Bedeutung Schelers für die katholische Religionsphilosophie vgl. Fries, Religionsphilosophie. -
Zum Einfluß Schelers, aber auch der von Schleiermacher und Otto ausgehenden Thematisierung der
"Religion" vgl. jetzt M. Brüske, Die Aporie der Religion. Vorbemerkungen zur Theologie der Offenbarung im
Werk Romano Guardinis, in: Schilson, Konservativ mit Blick nach vorn (1994), 83-102. Zu Guardinis
Verständnis von religiöser Erfahrung insgesamt vgl. Kleiber, Glaube, 121-144.
168
Wie stark der direkte Einfluß Schelers auf Guardini war, muß dahingestellt bleiben. Klarer sind die
Bezüge auf Rudolf Otto, Walter F. Otto, Lucien Levi-Bruhl und G. van der Leeuw - allerdings auch erst zu
einem späteren Zeitpunkt (vgl. Religiöse Erfahrung [urspr. 1934], Anm. 1, 307). Nicht nur die Bekanntschaft
mit Scheler im Umfeld des Wechsels nach Berlin (siehe dazu in Kap. 111,2), sondern auch die Abgrenzung
von Religion und Metaphysik im vorliegenden Beitrag lassen freilich vermuten, daß Guardini Schelers Reli-
gionsphilosophie gekannt hat und wahrscheinlich erst von ihr her auch auf die von Otto ausgehende Religi-
onsphänomenologie aufmerksam wurde. Vgl. die Einordnung Guardinis in: Fries, Religionsphilosophie, 271-
282.
169
Vgl. Scheler, Vom Ewigen, 1341 und 1451
238 Der Blick auf die Kultur

4) den Primat der Religion vor der Metaphysik auf der Gegenstands- und der Akt-
seite: "Der Mensch 'hat' immer schon eine geglaubte Annahme über seinen und der
Welt Heilsweg, ehe er die metaphysische Geisteshaltung einnimmt."171
Scheler hatte außerdem jede "Religion" auf eine "Offenbarung" zurückgeführt und
damit - trotz der notwendigen Unterscheidung zwischen "natürlicher" und "positiver"
Offenbarungsreligion - den christlichen Glauben nicht als Wetterführung oder Steige-
rung oder Überbietung metaphysischer Erkenntnisse gefaßt, sondern ihn in eine Linie
mit den vielfältigen religiösen Erfahrungen der Menschheit gestellt.172 Guardini hat
diese Sichtweise aufgegriffen; immer wieder begegnet in seinem Werk die religiöse
Erfahrung als Korrelat der Offenbarung,173 während die philosophische Reflexion
lediglich als Vertiefung und weiterführende Kritik der religiösen Erfahrung
erscheint.174
Schon im vorliegenden Aufsatz hebt Guardini das Phänomen des Religiösen grund-
sätzlich von der philosophischen Fragestellung ab: "Religion bedeutet Beziehung zum
Absoluten. Aber nicht jede Beziehung dorthin ist Religion; z. B. nicht bloßes meta-
physisches Denken."175 Als ihr Spezifikum wird vielmehr der "lebendig-konkrete"
Charakter hervorgehoben; Religion ist ein Moment des Lebens, das jeder denkerische
Akt bereits voraussetzt.176 "Das Religiöse tritt erst hervor, sobald die 'Beziehung zum
Absoluten' lebendig wird, d. h. der konkrete Mensch zum lebendigen Gott hin und
von ihm her lebt."177 Weil dabei der religiöse Akt vorrangig als "Beziehung" gefaßt
wird, wird auch verständlich, warum "Religion" erst dort "eigentlich" wird, "sobald es
der personale Mensch ist, der zum personalen Gott hin steht, diese 'Beziehung' also
eine von Person zu Person wird." Dies zeigt schon, an welcher Stelle sich die allge-
meine religiöse Erfahrung von der spezifisch christlichen Gottesbeziehung unter-
scheidet. Dieser Hinweis wird aber vorerst nicht weiterverfolgt;178 vielmehr konzen-
triert sich Guardini auf die Frage, wie sich die Einstellung des Menschen zur "Kultur"
verändert, wenn in ihm die "Beziehung zum Absoluten" lebendig wird. Ist Religion
einfach ein Stück "Kultur", ja sogar deren "Herzstück"? Aber wie sind dann die
"eigentümlichen Spannungen" zu erklären, die entstehen, sobald das "Religiöse"
auftaucht?179 Als "Phänomenologe" stellt Guardini zunächst einmal fest:

110
Vgl. Scheler, Vom Ewigen, 1351
171
Scheler, Vom Ewigen, 149; vgl. ebd., 1481; insgesamt vgl. Fries, Religionsphilosophie, 641; Kreidler,
Theologie des Lebens, 85-87.
172 vgl. Scheler, Vom Ewigen, 1421- Die Metaphysik wird als "natürliche Theologie" lediglich der
"positiven Theologie" zugeordnet, wobei beide Formen rationaler Gotteserkenntnis bereits eine religiöse
Erfahrung und eine "Offenbarung" voraussetzen (vgl. ebd., 143-145).
173
Vgl. bes. Religiöse Erfahrung und Glaube (1934); Offenbarung (1940); Mythos und Offenbarung
(1950); Religion und Offenbarung (1958).
17<
* Vgl. Offenbarung, 25-37; Religion, 134-202.
175
CK 147.
176
Zu diesem Primat des "Lebens" vor dem "Denken" auch in der Theologie vgl. Anselm, 54.
177
CK 147.
178
Vgl. dann aber: Religiöse Erfahrung (1934).
179
Vgl. CK 1471
Christentum und Kultur 239

"Es handelt sich um etwas Lebendiges; um die lebendige Beziehung: Religion


und Kultur. Genauer: religiös lebender und kulturell schaffender Mensch."180
Wie alles Lebendige kann auch diese Beziehung nicht auf ein einheitliches Bild fest-
gelegt werden. Nur um die entstehende Vielfalt zu veranschaulichen, wählt der im
Gegensatzdenken schon geübte Betrachter den Blick auf die beiden einander am
extremsten gegenüberliegenden Haltungen - nämlich einerseits die buddhistische,
andererseits die altnordische Religiosität bzw. Kultur.
Mit der altnordischen Haltung hatte sich Guardini ja bereits früher beschäftigt,181
und braucht nun nur noch zu wiederholen:
"Das Religiöse scheint im Dasein des alten Nordländers keine besondere Bedeu-
tung gehabt zu haben. Wo es hervortritt, macht es oft einen niederwertigen,
zuweilen einen recht fragwürdigen Eindruck ... Das Religiöse spielt wohl
irgendwie hinein; was aber eigentlich ausfüllt, ist unmittelbar-naturhaftes,
handelndes, schaffendes Leben."182
Später komme zwar das Religiöse stärker zur Geltung, behalte aber immer nur den
"Charakter einer Weihung, einer Bestätigung und Ordnung des gegenwärtigen, natur-
haft-kulturellen Daseins"183.
Ausfuhrlicher stellt Guardini an dieser Stelle den Buddhismus vor, besonders
Buddha selbst, dessen Wirken er als Steigerung der vedischen Religiosität versteht:
Schon dieses sei davon bestimmt gewesen, "aus dem Bereich von Natur und Kultur in
den des religiösen Wesens zu gelangen", und in der Weise der äußerlichen und inner-
lichen Loslösung von jenen Dingen.184 Während dies aber letztlich zu einer neuen
Form, nämlich ausgesprochen "religiöser" Kultur geführt habe, habe Buddha nicht
das Eingehen in das Absolut-Eine, das Brahma oder Atman als Ziel gehabt, sondern
das "Erlöschen", das "Nichts", das "Nirvana". Dadurch habe er erst die "Loslösung
von jeglicher, auch religiöser Kultur" ermöglicht.185 "Er hat um des religiösen Wertes
willen jeden nennbaren religiösen Inhalt zerstört"186.
Die beiden extremen Ausformungen des Verhältnisses von Religion und Kultur las-
sen sich also folgendermaßen kennzeichnen:
"Das Religiöse streicht das Kulturelle aus. Oder aber, das Kulturelle verdrängt
das Religiöse, bzw. saugt es auf."187
Diese plakative Gegenüberstellung soll aber nun nicht dazu führen, jede konkrete
Religion bzw. Kultur einem der beiden "Typen" zuzuordnen. Vielmehr artikulieren
sich in den Extremen nur die radikalen Übersteigerungen einer in jedem konkreten
Religion-Kultur-Verhältnis vorhandenen Polarität. Wenn Guardini hier erneut seine

180
CK 148.
181
Vgl. Thule (1920). Siehe dazu oben unter Abschn. l,a.
182
CK 1501; vgl. Thule, 4 und 10.- Guardini bezieht sich hier vor allem auf "die Geschichte vom Skalden
Egil" (Bd. 3 der Reihe "Thule", Jena 1911).
183
CK 151
184
CK 148.
185
CK 150; vgl. ebd., 148-150.
186
CK 182. - Die Gestalt Buddhas spielt bei Guardini auch später eine für damalige Verhältnisse beachtli-
che Rolle, v. a. in seinem Christusbuch "Der Herr" (vgl. den Index!). Ebenfalls 1926 erschien dazu ein Bei-
trag von Josef Weiger (Ueber die Reden Gotamo Buddhos, in: Die Schildgenossen 6 [1926], 541-549).
187
CK 151.
240 Der Blick auf die Kultur

Gegensatzphilosophie zum Tragen kommen läßt,188 so darf daraus nicht etwa der
Schluß gezogen werden, er wolle nun "Religion" und "Kultur" selbst als "Pole" einer
größeren Einheit bezeichnen. "Religion" ist für ihn kein einzelner "Pol", der einem
anderen "Pol", etwa der "Kultur" innerhalb eines größeren Ganzen, des menschlichen
Lebens nämlich, gleichrangig gegenüberstünde. Sie bildet vielmehr selbst den Träger
der geschilderten Beziehungsvielfalt. Deutet man diese mit Hilfe der Gegensatztypo-
logie,189 kann man eine "kulturimmanente" und eine "kulturtranszendente"
Religiosität unterscheiden, deren Strebungen sich auf unterschiedliche Weise mischen
- bis hin zu den extremen Haltungen einer radikalen "Immanenz" bzw.
"Transzendenz", wie sie in der altnordischen bzw. buddhistischen Religion
festgestellt wurden. Nur in diesem Sinne kann Guardini sagen:
"Religiöses und Kulturelles sind teils gleichsinnig, teils gegensinnig stehende
Kräfte innerhalb der nämlichen Ganzheit."190
Worauf es Guardini letztlich ankommt, ist die Feststellung, daß die unterschiedlichen
Ausprägungen dieses Verhältnisses nicht von einer überweltlichen Instanz abhängen,
sondern vom Menschen selbst, der - als lebendig-konkrete Persönlichkeit und geprägt
von seiner Welt-Erfahrung - der Wirklichkeit des Religiösen einen jeweils verschie-
denen "Ort" in seinem Leben zuweist - "innerhalb" (Immanenz) oder "außerhalb"
(Transzendenz) der "Kultur". Es ist die Vielgestaltigkeit der "Welt", die in den unter-
schiedlichen Beziehungsformen von Religion und Kultur zum Ausdruck kommt.
Nicht um "absolute Stellungnahmen" handelt es sich, sondern nur um "relative".
"Von jenem Ja beziehungsweise Nein bedeutet im letzten eines nicht den Aus-
schluß, sondern die Antivalenz, den lebendigen Gegenwert des anderen. Und
beide können ineinander umschlagen ... Ob das kulturelle Moment in das Reli-
giöse, das Religiöse in das Kulturelle hineingetragen wird oder nicht; ob reli-
giöse Kultur oder kulturelle Religion geschaffen wird oder nicht - darin offenba-
ren sich nur verschiedene Spannungsausgleiche innerhalb jener nämlichen
Einheit."191
Guardini wird später sein Verständnis von "Religion" weiter vertiefen.192 Als Quellen
dienen ihm nun besonders die religionsphänomenologischen Untersuchungen von
Rudolf Otto, Walter F. Otto, Luden IJvy-Bruhl und G. van der Leeuw.19* Statt vom

188 vgl. CK 1511 - Guardini verweist ausdrücklich aufsein Gegensatzbuch, näherhin auf die dort entwik-
kelte Gegensätzlichkeit von "Immanenz" und "Transzendenz" (vgl. ebd., Anm. 8, 1511). Diese Begriffe wer-
den auch im folgenden zur Erläuterung herangezogen.
189
Guardini hat das selbst nicht mehr durchgeführt. Vgl. aber A. Rademacher, Religion und Leben. Ein
Beitrag zur Lösung des christlichen Kulturproblems, Freiburg i. Br. 1926. Ausdrücklich auf Guardini Bezug
nimmt Anton Anwander: Das Prinzip des Gegensatzes in den Religionen, Wurzburg 1937 (= Abhandlungen
zur Philosophie und Psychologie der Religion, hg. v. G. Wunderle, 42).
190
CK 152.
191
CK 152.
192
Die Anmerkung, die dem Abdruck des Aufsatzes im Sammelband von 1935 beigefügt ist (vgl. CK
Anm. 3, 147) verweist auf den 1934 entstandenen und im gleichen Band abgedruckten Beitrag "Religiöse
Erfahrung und Glaube". Am umfangreichsten thematisiert Guardini dann "Religion" in dem späten Werk
"Religion und Offenbarung" (1958).
193
Im einzelnen verweist Guardini (vgl. Religiöse Erfahrung, Anm. 1, 307) ausdrücklich auf: R. Otto,
Das Heilige, München 1917; ders., Das Gefühl des Überweltlichen, München 1932; W. F. Otto, Die Götter
Griechenlands. Das Bild des Göttlichen im Spiegel des griechischen Geistes, Bonn 1929; L. Levy-Bruhl, La
Christentum und Kultur 241

"Absoluten" ist nun vom "Heiligen" oder vom "Numinosen" die Rede; die Aussagen
über den "offenbaren" Gott und der "natürlichen Zugänglichkeit" zur Gotteswirklich-
keit werden abgelöst durch die Redeweise von einer "religiösen Qualität", die noch
zur "Welt" selbst gehöre. Daher muß Guardini nun auch seine früheren Ausführungen
über diese "Welt" weiter präzisieren. Neben "Natur" und "Kultur" gibt es in ihr auch
noch die "numinose" Qualität, die allerdings selten isoliert auftritt, sondern meist in
Verbindung mit den "verschiedenen Sinngebieten des Lebens und der um ihre Aufhel-
lungringendenArbeit".194
"Ich denke, die Welt ist nicht nur 'so', sondern auch 'anders'; nicht nur 'profan',
sondern auch, in einem unmittelbaren Sinne, 'heilig'; nicht nur 'weltlich', sondern
auch 'numinos'. Die Welt ist etwas viel Mächtigeres, als der Rationalismus sieht.
In der Fülle und Spannungsganzheit ihres Sinnes ist sie 'Natur-Kultur' plus 'das
Andere'."195
Innerhalb seines Entwurfs zu einer "Kulturphilosophie" (1941) erhält daher auch die
"Welt des Religiösen" - neben den "Welten" der "Natur" und der "Kultur"
(Wissenschaft, Werkzeug und Technik, Politik, Pädagogik, Medizin, Bilder, Kunst) -
ihren Platz:196 "So entsteht wieder eine Welt: die Welt der religiösen Erfahrungen
und Akte; der objektiven Gestaltungen in Lehre, Weisheit, Mythologie, Kult,
religiöser Gemeinschaft; der Ergebnisse subjektiver Vertiefung, Verfeinerung, Übung
und Erziehung - mit einem Wort die religiöse Kultur."197
"Religion" bleibt somit ein innerweltliches Phänomen, auch wenn sie über "Kultur"
und "Welt" hinausweist. Weil ihr "Gegenstand" wesentlich zur "Welt" gehört, steht
auch sie - wie die Erfahrung der "Natur" und die Entfaltung der "Kultur" - jedem
offen. Schon in der Berliner "Antrittsvorlesung" hatte Guardini die "natürliche
Selbstoffenbarung Gottes" von der "geschichtlichen, übernatürlichen Offenbarung"
unterschieden.198 Später (1940) behandelt er die religiöse Wirklichkeit unter der
Kategorie der "Offenbarung durch das Sein der Welt".199 Es handelt sich um die
Tatsache der Geschöpflichkeit, in der sich auf irgendeine noch unbestimmte Weise
der Hinweis auf den Schöpfer enthalten ist. Erst wo dieser sich aber noch einmal
direkt in der Geschichte des Menschen offenbart - Guardini spricht von der
"ausdrücklichen", im Alten und im Neuen Testament bezeugten Offenbarung"200 -
kommt Gott eindeutig zum Ausdruck. Denn: "So intensiv und in gewisser Beziehung
abschließend der religiöse Wert ist, so wenig eindeutig ist die unmittelbare religiöse
Welt. Bei näherer Prüfung zeigt sich, daß sie durchaus kein Letztes bildet, sondern

mentalis primitive, Paris 1925; ders., L'äme primitive, Paris 1927; G. van der Leeuw, Phaenomenologie der
Religion, Tübingen 1933.
194
Religiöse Erfahrung, 311. Vgl. ebd., 307-310.
195
Religiöse Erfahrung, 3291
196 vgl. Zusammenhang , bes. 67-74. "Ein letzter Bereich des Verhaltens und Schaffens, eine letzte Form
von 'Welt' bildet das Religiöse - allerdings in einer Weise, die schließlich den Weltbegriff, um den es sich hier
handelt, aufhebt" (67).
197
Zusammenhang , 72.
198
Vgl. Weltanschauung, 23.
199
Vgl. Offenbarung (1940), 7-46 und 471
200 vgl. Offenbarung, 47-135.
242 Der Blick auf die Kultur

selbst einer endgültigen Bestimmung bedarf."201 Dies aber geschieht in der göttlichen
Selbstoffenbarung: "Sie besteht nicht darin, daß das religiöse Bewußtsein eine höhere
Stufe erreicht oder eine bis dahin verborgene Geheimnisregion der Welt sich öffnet,
sondern in ihr spricht Gott aus der absoluten Vorbehaltenheit seines Herrentums in
Welt und Geschichte hinein."202
Doch wir kommen zurück zu den Ausführungen des Jahres 1926. Hier deutet sich
der gegenseitige Bezug von Religion und Offenbarung lediglich an. In erster Linie
geht es um den Bezug beider zur Kultur. Was geschieht nun aber in diesem Bezug,
wenn Gott selbst "definitiv"203 in Welt und Geschichte hineinspricht, ja im Gottmen-
schen Jesus Christus und im Wirken des Heiligen Geistes konkret gegenwärtig wird?

cc. Christentum und Kultur: Die "Antinomie" in der "Analogie"


(1) Die "definitive" Offenbarung und die Kultur
Guardini geht von der geschichtlichen Gestalt des "Christentums" aus. Vor dem
Hintergrund der vielfältigen Typen religiöser Kulturbeziehungen ergibt sich hier eine
überraschende Feststellung:
"Trotz zweier Jahrtausende christlicher Geschichte hat sich ein eindeutiges und
dauerndes Wesensgefühl, eine stetig wachsende Gestalt christlicher Kultur noch
nicht herausgebildet; ja sie scheint, je länger, desto tiefer fraglich zu werden."204
Ein nach Europa kommender Asiate könne sich nur wundern, wie wenig das kulturel-
le Leben hier doch vom Christentum geprägt sei. Den Hinweis, es habe aber doch
auch das "christliche" Mittelalter gegeben, pariert Guardini - ganz im Sinne von Auto-
ren wie Ernst Michel oder Philipp Funk - mit der Aussage:
"Das scheinbar eindeutige Kulturverhältnis des Christentums im Mittelalter ent-
hüllt sich bei näherem Zusehen als vorübergehender, geschichtlicher Glücksfall:
Die kulturell schaffenden Kräfte waren eine Zeitlang in den gleichen Trägern
mit dem christlichen Impuls verbunden."205
Nach dieser Episode sei nun aber wieder die Situation der frühen Kirche erreicht, in
der die Möglichkeit einer "christlichen Kultur" noch durchaus fraglich gewesen
sei.206 Damit nähere man sich aber wieder dem Normalzustand:
"Im Verhältnis-Problem von Christentum und Kultur scheint etwas zu liegen,
das es zu einer definitiven 'Lösung' im gewohnten Sinne des Wortes nicht
kommen läßt. Ein bestimmter Schwebezustand, eine Unsicherheit, eine irgend-
wie geartete innere Gebundenheit scheint ihm wesentlich zu sein."207
Guardini sieht gerade in diesem "Schwebezustand" den entscheidenden Unterschied
zu den religiösen Kulturverhältnissen: "Das Christentum ist nicht ein religiös-

201
Zusammenhang*, 75.
202
Zusammenhang , 79.
203
Vgl. CK 153.
204
CK 153.
205
CK 153. - Guardini fügt hinzu, daß die "christliche Kultur Rußlands" sich deswegen so lange halten
konnte, weil "das Religiöse alles beherrschte" (ebd.).
206
Vgl. CK 153.
207
CK 154.
Christentum und Kultur 243

kultureller Typus oder eine historische Gestalt unter anderen. Alle Versuche, es so zu
fassen, ebnen es ein."208 Dies werde gerade daran deutlich, "daß die verschiedenen
Maßverhältnisse von Ja und Nein; die verschiedenen Grundtypen der religiösen
Struktur; die verschiedenen geschichtlichen Faktoren innerhalb des Christlichen
wiederkehren."209 Während etwa die altnordische oder die buddhistische Religion
jeweils eindeutige Typen des Kulturverhaltens ausprägen, enthält das Christentum
also das ganze Spektrum, zugleich aber ein gewisses "Mehr", einen Bezugspunkt, der
außerhalb der "Welt" liegt.
Zunächst allerdings bezieht sich das Christentum ebenfalls auf etwas
Innerweltliches, Geschichtliches - "die einmalige, historische Person Jesus Chri-
stus"210. Darin liegt sogar - gegen die bisherigen Versuche einer Wesensbestimmung
des Christlichen - seine besondere Eigenart:
"Es ist unmöglich, das Wesen des Christentums auf religiöse, ethische, gar
soziale Allgemeinbegriffe zubringen. Das Wesen des Christentums ist der
geschichtliche Jesus."21'
In dieser Innerweltlichkeit liegt für die Kultur eine unerhörte Provokation - darin
nämlich, "daß Geschichtlich-Einmaliges allgemein-normativen Charakter trägt."212
Dies ist nur dann zu verstehen, wenn in dieser "innerweltlichen Persongestalt" eine
"neue, nicht aus der Welt stammende Wirklichkeit in die Welt eintritt."213 Es handelt
sich um die bereits zu Anfang der Erörterung in den Mittelpunkt gestellte Wirklich-
keit der Inkarnation. In ihr, nicht etwa in einer bestimmten Lehre oder Institution,
sieht Guardini das wesentlich Neue der göttlichen Selbstoffenbarung. Gott ist jetzt
noch einmal anders da als bereits in seiner Schöpfung - und das Neue liegt gerade im
Ineinander von Überweltlichkeit und Innerweltlichkeit, wie sie im Gottmenschen
Jesus Christus geschichtlich verwirklicht ist:
"Der wirkliche Sohn Gottes tritt in die Geschichte ein. Und zwar nicht nur so,
wie er als Schöpfer der Welt, sie tragend, 'in' ihr ist. Sondern in einer neuen, aus
natürlicher Möglichkeit nicht ableitbaren Weise: als 'Fleisch werdendes Wort
Gottes'. Er ist 'in der Welt'; aber nicht 'von ihr'. Er steht in ihr als ein Neues,
Anderes; erhebt aber den Anspruch, in ihr seines Vaters Reich aufzurichten, für
sie religiös maßgebend zu sein."214
Die Reflexion über den Glauben, die in der "Antrittsvorlesung" entwickelt worden
war, wird nun erneut eingebracht: Im Glauben trete der Christ auf denselben Standort,
an dem auch die offenbarende Gestalt, Christus selbst stehe; auch er sei somit zwar
"in" der Welt, aber doch nicht "\on" ihr, und nur von dieser doppelten Beziehung (die
stark an Przywaras Polarität von "Gott in uns" und "Gott über uns" erinnert) werde
das Verhältnis von Christentum und Kulturrichtiggesehen.215

208
CK 154.
209
CK 154.
210
CK 154.
211
CK 1541
212
CK 154.
213
CK 155.
214
CK 155.
215
Vgl. CK 1551
244 Der Blick auf die Kultur

"Gewiß kann und wird in dieses Verhältnis auch alles eingehen, was in der oben
entwickelten Beziehungsordnung religiös hieß. Die verschiedenen psycholo-
gisch und wertmäßig bestimmten Weisen, wie der religiöse Akt vollzogen
werden kann, können darin wiederkehren; je nach der Struktur des einzelnen
und der Zeit. Das alles aber erhält einen neuen Charakter vom eigentlich Christ-
lichen her: Von dem als neue Wirklichkeit in die Welt eintretenden und einwir-
kenden Dreieinigen Gott."216
Es entstehe nun eine gegenüber der innerweltlichen "absolut" zu nennende Transzen-
denz, aber auch eine "neue" Immanenz- Es sei die Transzendenz des "aller 'Welt' ge-
genüber andersartigen und unabhängigen Gottes", der gleichzeitig in einer neuen
Weise "in der Welt" stehe: "Er öffnet im Glaubenden eine neue, nicht nur tiefere,
sondern andersartige Innerlichkeit: Das 'Verborgensein mit Christus in Gott'."217
Dadurch erhalte der Glaubende einen Standort in der Welt, der sich von allen unter-
einander noch so abweichenden, innerweltlichen Verhältnissen grundsätzlich unter-
scheide und daher diese Welt in einer neuen Weise relativiere.

(2) Die Antinomie: "Lebensnähe" und "Ärgernis" des Glaubens


Guardini entwickelt seine Gedanken im Anschluß an eine Auseinandersetzung mit
Sören Kierkegaard.21* Schon dieser hatte sich aber die im neuzeitlich-geschichtlichen
Denken virulent gewordene Frage gestellt: "Kann es einen historischen Ausgangs-
punkt für ein ewiges Bewußtsein geben; wie kann ein solches mehr als historisch
interessieren; kann man eine ewige Seligkeit auf ein historisches Wissen bauen?"219
Kierkegaard antwortete darauf in seinen "Philosophischen Brocken", daß dies nicht
durch ein "Aufsteigen", sondern nur durch ein "Herabsteigen" ermöglicht werden
könne, indem nämlich das Ewige selbst "historisch" werde und Gott die Knechtsge-
stalt annehme.220 Es handle sich um das "absolute Paradox", das für den Verstand so
lange zum "Ärgernis" werde, als er auf seinem Verstandesstandpunkt beharre; Glaube
aber sei jene selbstvergessene "Leidenschaft", in der der Verstand gerade das
"Paradox" als "Paradox" festhalte.221 Die Gegenüberstellung von Christus und Sokra-
tes, d. h. zwischen Glaube und Philosophie, die das Buch Kierkegaards durchzieht,
gipfelt in der Feststellung, daß "nicht die Lehre", sondern der "Lehrer" Gegenstand

216
CK 156; vgl. ebd., 154-157. - Bereits der erste Vortrag zum "Sinn der Kirche" endete mit dem
kritischen Einwand: "Sprachen die ersten Jahrhunderte, sprach das Mittelalter in unserem Sinne von
'Religion"? Gibt es für den katholischen Christen 'Religion'?" Die Antwort Guardinis lautete: "Er ist ein Kind
des lebendigen Gottes, und ein Glied der lebendigen Kirche" (Sinn der Kirche, 34).
217
CK 156.
218
Zur Vorlesungsankündigung im SS 1925 siehe bereits oben Abschn. 3,b,aa. Vgl. auch CK Anm. 1,
145.
219
Kierkegaard, Philosophische Brocken (Leitwort).- Kierkegaard spielt hier wohl an eine These G. E.
Lessings an: "... zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis für notwendige Vernunftwahrheiten nie
werden" (Ober den Beweis des Geistes und der Kraft, in: ders.. Gesammelte Werke, Bd. 8: Philosophische
und theologische Schriften II, Berlin 1956, 9-16, hier 12). Vgl. L. Richter, Zum Verständnis des Werkes, in:
Kierkegaard, Philosophische Brocken, 102-126, hier 110; vgl. ebd., 108-112.
220
Vgl. Kierkegaard, Philosophische Brocken, Kapitel II (24-35).
221
Vgl. Kierkegaard, Philosophische Brocken, Kapitel III-IV (36-65).
Christentum und Kultur 245

des Glaubens sei222 - wobei der "Schüler" die "Bedingung" dafür, daß er in diesem
Sinne "Schüler" werde, von Gott selbst empfange.223
Adolph von Harnack und Ernst Troeltsch hatten - noch ganz dem geschichtlichen
Denken verpflichtet - den Absolutheitsanspruch des Christentums klar verneint und
dessen besondere Bedeutung ganz mit historischen Argumenten zu erweisen
gesucht.224 Kierkegaard dagegen und in seiner Nachfolge Karl Barth gingen davon
aus, daß die Normativität des Offenbarungsereignisses letztlich nur dem Glauben
zugänglich sei und die geschichtliche Konkretheit jedem rein menschlichen Denken
unweigerlich zum Ärgernis werden müsse. Dieses "Ärgernis" gehört auch nach Guar-
dini sowohl zum "Akt"225 wie zu den "Inhalten" ("Wahrheiten, Werte,
Ordnungen"226) des christlichen Glaubens. Allerdings wird es für ihn nicht zu einem
"absoluten Paradox" wie bei Kierkegaard, weil es immer noch ergänzt wird durch
eine positive Beziehung, die bei aller qualitativen Verschiedenheit eben doch eine
gewisse Weise des Zugangs ermöglicht. Für Guardini stehen Kierkegaard und "die
von ihm bestimmte Theologie"227 in einer Tradition, die schon im Montanismus und
Donatismus des frühen Christentums in Erscheinung trat. Es handelt sich um die
Tendenz, im Verhältnis des Christlich-Göttlichen zum Naturhaft-Kulturellen allein
die Verschiedenheit gelten zu lassen, ja sie zu einem "absoluten Dualismus" zu
übersteigern.228
"Hier geht alle wirkliche Beziehung zwischen Gnade und Welt, zwischen dem
Christlichen und Kulturellen verloren. Sie kann nur gefaßt werden, wie Kierke-
gaard es getan hat; unter Verzicht auf alle direkte Aussage und alle direkte
Knüpfung: als absolutes Paradox. Auf die zu Eingang gestellten Fragen gibt es
hier nur ein Nein. Christliches Leben wird zu einem Unfaßlich-Geheimnishaf-
ten; getrennt von allem, was Welt, Weltarbeit, Kultur usf. heißt. Dieses aber
bleibt ganz sich selbst überlassen - als 'rein weltlich Geschäft'."229
Es gibt auch das entgegengesetzte Extrem - die Verabsolutierung des Ähnlichkeits-
momentes und die Ausblendung des "Ärgernisses" bei gleichzeitiger "Verschleifung
des qualitativen Unterschiedes"230. Da Guardini diese Haltung für genauso
bedenklich hält wie die Position Kierkegaards, bemüht er sich um eine Auslegung der
"Antinomie", in der beide Radikalisierungen vermieden sind. Ebenso wie sein
Lebensbegriff in der Gegensatzlehre den lebensphilosophischen Intuitionismus in eine
Begriff und Intuition gleichermaßen umfassende "Anschauung" integrierte, so ist jetzt
der Glaubensbegriff so angelegt, daß er sowohl das kierkegaard'sche "Paradox" oder
"Ärgernis" wie das Positive des "katholischen" Grundsatzes von der die "Natur"
voraussetzenden und sie vollendenden "Gnade" in sich enthält. "Leben" wird jetzt auf
zzz
Vgl. Kierkegaard, Philosophische Brocken, (58 - Kap. IV).
223
Vgl. Kierkegaard, Philosophische Brocken (91 - Kap. V).
224
Vgl. A. v. Harnack, Das Wesen des Christentums, Berlin 1900; Troeltsch, Absolutheit des Christen-
tums (1902).
225
Vgl. CK 156 (dazu oben).
226
CK 157.
227
CK 158.
228
Vgl. CK 1571
229
CK 158.
230
CK 169.
246 Der Blick auf die Kultur

der Ebene der Gnade zum antinomischen Gegensatz des "Ärgernisses". Ebenso aber
wie der Begriff der "Anschauung" auch in seiner differenzierteren Bedeutung die
lebensphilosophische Grunderfahrung noch zum Ausdruck bringt, so ist auch im
Glaubensverständnis - bei aller "Lebensnähe" - noch die kierkegaard'sche Erinnerung
an die absolute "Andersartigkeit" dieses Glaubens gegenüber allem "Welthaften"
enthalten:
"Die geglaubten Wirklichkeiten, von denen her und auf die hin christlich gelebt
wird; die als maßgeblich erkannten Wahrheiten, Werte, Ordnungen sind ihrem
Kern nach vom Welthaften qualitativ verschieden: sie sind übernatürlich. Diese
Andersartigkeit tritt an einer bestimmten Reaktion hervor: jene Inhalte werden
als religiös-positiv erfahren; als wirklich, wertvoll, sinnerfüllend; zugleich aber
auch als eigentümlich zurückstoßend. Das ist die Antinomie der Gnade, die sich
im Begriffspaar: 'Leben' und 'Ärgernis' ausdrückt."231

(3) Die "Analogie": Ähnlichkeit bei je größerer Unähnlichkeit


Geht Guardini in der These von einer "Antinomie" der Gnade auf Kierkegaard
zurück, so in der Verwendung des Analogiebegriffs auf die katholische Tradition, die
etwa zeitgleich auch bei Erich Przywara eine neue Entfaltung erfährt (vgl. oben
Abschnitt 3,b,cc). Doch gerade hier macht sich Guardinis persönliche Denkstruktur
besonders bemerkbar. Als Phänomenologe versucht er ihn nämlich zunächst von
innerweltlichen Gegebenheiten her zu erschließen und betrachtet deshalb zunächst
das Verhältnis des "Chemisch-Mechanischen" zum "Biologischen".
Die Vorstellung einer "Autonomie" des Lebens gegenüber den anorganischen Gege-
benheiten hatte sich durch die Lebensphilosophie im Bewußtsein der Zeitgenossen
etabliert und war durch den "Neovitalismus" um Hans Driesch auch in die biologi-
sche Fachdiskussion jener Jahre eingeführt worden - im Widerspruch zum herrschen-
den "mechanistischen" Darwinismus (vgl. dazu Kapitel I,2,b,aa und II,2,b,bb, [2]).
Guardini hatte sich im Gegensatzbuch des öfteren auf Driesch bezogen und deutet
nun dessen Unterscheidung des "spezifisch Biologischen" vom "Chemisch-Mechani-
schen" zusätzlich von Kierkegaards qualitativer Unterscheidung her. Die Qualitäten
des letzteren lassen sich demnach nicht ohne weiteres auf das Lebendige übertragen,
sondern nur durch eine bestimmte "Umformung" hindurch, nämlich dadurch, daß sie
eben nicht "univok", sondern "analog" verwendet werden; man kann "von Energie-
verhältnissen, von chemischem Aufbau usw. reden. Aber nur 'analog'; d. h. unter der
hier zuständigen Oberbestimmung, nämlich der biologischen."232 Eine entsprechende
Analogiebeziehung bestehe auch "zwischen dem Chemisch-Mechanischen und
Biologischen auf der einen, und dem Psychischen auf der anderen Seite usw."233 Es
entsteht die Vorstellung einer qualitativ gestuften Wirklichkeit, in der die einzelnen
Stufen - das "Chemisch-Mechanische", das "Lebendige", dem "Psychischen" usw. -
voneinander wesentlich voneinander abgehoben, zugleich aber aufeinander bezogen
sind. Diese doppelte Eigenschaft aber versucht der Analogiebegriff auszudrücken,
231
CK 157.
232
CK 158.
233
Vgl. CK 159.
Christentum und Kultur 247

indem er eine Ähnlichkeitsbeziehung bei gleichzeitiger - und zwar größerer - Unähn-


lichkeit behauptet.
Seine "eigentliche" Bedeutung erhält dieses Analogieverhältnis aber auch bei Guar-
dini in der Beziehung Gottes zum Geschaffenen, wobei zunächst lediglich an die
"natürliche" Gotteserkenntnis gedacht wird. Während Guardini dabei unter dieser
Bezeichnung sonst vor allem die religiöse Erfahrung thematisiert (vgl. oben in
Abschnitt bb), spricht er hier in gut scholastischer Weise von der metaphysischen
Gotteslehre. "Alles Seiende ist wesenhaft Abbild des göttlichen Urbildes. Daraufhin
kann das Denken von der geschaffenen Qualität zur ungeschaffenen vorschreiten: Es
überträgt die aus dem Endlich-Gegebenen genommene Aussage auf Ihn, der sie urbil-
det und begründet."234 Der Begriff der Analogie beinhaltet, daß dieser Überschritt
ständig mit dem Vorbehalt "jedoch auf der Bedeutungsebene des Absoluten" zu ver-
sehen ist. Die stets größere Unähnlichkeit, die das IV. Laterankonzil eingeschärft
hatte, ist somit auch bei Guardini (wie bei Przywara) deutlich im Blick. Der Analo-
giebegriff legt nicht einseitig das Schwergewicht auf eine Ähnlichkeit zwischen Gott
und Geschöpf, sondern betont gerade eine Ähnlichkeit der je größeren Unähnlichkeit:
"Zwischen Gott und dem Endlichen besteht die Ähnlichkeitsbeziehung der
Analogie. Diese geht von Gott zum Geschöpf im Verhältnis der Selbstabbil-
dung, durch Schöpfung und Wiedergeburt; vom Geschöpf zu Gott im Verhältnis
der Rückkehr zum ersten Grunde, durch Erkenntnis, Liebe und Vollkommen-
heit. Die Inhalte der Beziehung gehen dabei durch den Übersetzungspunkt der
Analogie hindurch. Darin liegt das nicht aufzulösende Geheimnis des Geschaf-
fenen und seines Verhältnisses zu Gott."235
Doch geht es auch hier immer noch um eine innerweltliche Wirklichkeit, nämlich den
religiösen Akt. Aber Analogie herrscht auch zwischen Offenbarung und "Natur-
Kultur"236:
"Die in Geschichte eintretende Gotteswirklichkeit ist andersartig, unableitbar,
neu, und in etwa immer unbekannt; sie ist übernatürlich; sie trägt Gnadencha-
rakter. Zugleich ist aber das Natürliche ihr verwandt, wartet auf sie, steht emp-
fänglich für sie. 'Gratia supponit naturam et perficit'; die übernatürliche Wirk-
lichkeit setzt die natürliche als Grundlage voraus und vollendet sie."237
Es ist zu beachten, in welcher Weise Guardini hier das scholastische Axiom einfuhrt -
nämlich als Ausdruck der "Ähnlichkeit" bzw. der positiven Zuordnung von Gnade
und Natur. Das entspricht der Art und Weise, wie Adam und Eschweiler die Formel

234
CK 159 .- Im Hintergrund steht hier offenbar der platonische " Bild-Abbild"-Gedanke und das Werk
Bonaventuras (vgl. dazu Kap. III,l.a). während dessen Lehre von der "gradatio entium" nämlich den Stufen-
gedanken nahelegte, mußte die Vorstellung einer "influentia sensus et motus" das Festhalten am Ähnlich-
keitsgedanken begünstigen.
235
CK 159.
236 von daher ist es unverständlich, wie Hans Mercker schreiben kann, für Guardini scheine die Analogie
"als Denkmodell auszufallen, da sie ja der Versuch ist, von unten her das Höhere zu erreichen, während
Guardinis Sorge um die Reinhaltung der Offenbarung in ihrer gänzlich neuen Qualität nur die Deutung von
oben nach unten zuläßt" (Weltanschauung, 118). An anderer Stelle kann Mercker sogar sagen, Guardinis
Denken schwinge "ständig zwischen der analogia entis und der analogia fidei hin und her, immer die eine
durch die andere infragestellend" (Weltanschauung, 111).
237
CK 160.
248 Der Blick auf die Kultur

auslegen, nämlich ausgehend von einer natürlichen "Empfänglichkeit" des Menschen


für die Gnade ("potentia oboedientialis").238 Er versucht nun aber erst gar nicht, im
gleichen Satz auch noch die je größere "Unähnlichkeit" zu entdecken, die der Analo-
giebegriff enthält. Vielmehr stellt er der Aussage von der die "Natur" voraussetzenden
und sie vollendenden "Gnade" eine andere, ebenso gültige, gegenüber. Es geht um die
von Kierkegaard - allerdings über Gebühr - hervorgehobene Feststellung, daß die "in
Geschichte eintretende Gotteswirklichkeit" andersartig, unableitbar, neu, "und in etwa
immer unbekannt" sei. Daraus folge "alles das, was Wagnis des Glaubens, Möglich-
keit des Ärgernisses heißt, und was als Inbegriff im Kreuze liegt."239
Da Guardini bisher immer noch nicht von der "Sünde" gesprochen hat, muß die
Erwähnung des Kreuzes hier eher ontologisch als heilsgeschichtlich gedeutet werden.
Guardinis theologischer Ausgangspunkt bleibt - trotz der Auseinandersetzung mit
Kierkegaard und der unverkennbaren Rezeption von Gedanken der Dialektischen
Theologie - das Ereignis der Inkarnation. Wenn Gott in diese Welt eintritt, dann wird
ein Analogieverhältnis - Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen dem sich selbst
offenbarenden Gott und dem "Kultur" schaffenden Menschen bei je größerer Unähn-
lichkeit - sichtbar. Das Kreuz ist ein besonderes Moment an dieser seinsmäßig
vorhandenen "Analogie": Es bringt den Ärgernischarakter der Offenbarung in beson-
ders herausfordernder Weise zum Ausdruck. Eine andere Interpretation liegt bei
Przywara vor: Für ihn ist die ontologische "Analogie" durch die Sünde des Menschen
grundlegend gestört. Unter diesem Zeichen steht für ihn die konkrete Heilsgeschichte.
Gott setzt sich in der Begegnung mit dem Menschen "direkt dessen Widerspruch aus,
so daß das Christusereignis von vornherein und unausweichlich auf das Kreuz
zuläuft."240 In dieser "heilsgeschichtlichen" Betrachtungsweise kommt der Impuls
Kierkegaards viel gewichtiger zum Tragen als in Guardinis Ansatz, der die Wirklich-
keit der Sünde und das "Ärgernis" des Kreuzes noch in eine umfassendere ontologi-
sche Perspektive integriert.
So wirkt die Feststellung Guardinis, daß das Verhältnis von Natur und Gnade "noch
dazu durch das Faktum der Sünde" gestört sei,241 merkwürdig angehängt. Zwar heißt
es durchaus - ähnlich wie bei Przywara -, daß damit zu der inneren Spannung "der
von einer höheren Ordnung relativierten tieferen Ordnung" (ontologische Betrach-
tungsweise!) noch die "Unordnung eines innerlich gestörten Verhältnisses"
(heilsgeschichtliche Betrachtungsweise!) trete.242 Guardini spricht von einem "anti-
238
Übrigens war auch in der katholischen Jugendbewegung das scholastische Axiom zum geflügelten
Wort geworden (vgl. auch HUrten, Katholiken, 220) - und zwar als Begründung für ein Glaubensleben, das in
neuer Weise an die "natürlichen" ("naturhaften", anthropologischen, kulturellen) Voraussetzungen verwiesen
war. Daher auch die Verwendung des Axioms in Guardinis "Liturgischer Bildung" (881 [106]), die ja
insgesamt die natürlich-anthropologischen Voraussetzungen des liturgischen Aktes ins Bewußtsein zu heben
versucht.
239
CK 160.
240
Faber, Kirche, 306. Die Autorin arbeitet den Unterschied zwischen Guardini und Przywara in Bezug
auf die Ekklesiologie stark heraus: "Guardini beleuchtet das Christusereignis im Licht des positiven überge-
schichtlichen Heilswillens Gottes, der die Menschen zur Gotteskindschaft erheben und zum Reich zusammen-
führen will ... Przywara deutet die inkarnatorische Bewegung vom Zusammenhang der unter dem Zeichen der
Sünde stehenden Heilsgeschichte her ..." (ebd., 305).
241
Vgl. CK 165.
242
Vgl. CK 166.
Christentum und Kultur 249

supranaturalen Affekt" im Menschen, verdeutlicht diesen aber nicht etwa im Rück-


griff auf den biblischen Sündenfall, sondern mit dem Verweis auf den neuzeitlichen
Autonomiewillen, wie er etwa bei Goethe und Nietzsche hervortrete. Doch sofort
kommt Guardini auf das ontologische Stufenmodell zurück, ohne daß jetzt noch die
"innerliche" Störung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch eine Rolle spielen
würde.243 Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß im weiteren Fortgang seines
Denkens die Wirklichkeit der "Sünde" stärker zum Tragen kommt, als dies noch 1926
der Fall ist. Schon ein Jahr später weist Guardini darauf hin, es gebe bestimmte
"natürliche" Sachverhalte (wie etwa "Freiheit" und "Geist" des Menschen), die vom
natürlichen Erkennen, wenn überhaupt, dann nur undeutlich oder schief geschehen
würden. Grund dafür sei die Erbsünde - die Tatsache also, daß der Mensch vor aller
individuellen Entscheidung nicht so sei, wie er sein solle.244 Bei Kierkegaard stößt
Guardini gleichzeitig auf ein Verständnis der Sünde als "Verzweiflung" und als
"Krankheit zum Tode", die in die Zerstörung der Person ausläuft. "Ihre Heilung aber
besteht darin, die verschiedenen Stadien der Verzweiflung zu überwinden und so den
Weg zum Selbst in Gott zurückzufinden."245 Schließlich gelangt er zu einer eigenen
Wesensbestimmung der Sünde, die nicht mehr nur als ein zufälliges Beiwerk der
ontologischen Stufenordnung betrachtet werden kann. Sünde ist nun ein Frevel, der
sofort die Daseinsgestalt des Menschen zerstörte; zu ihr gehört der "Charakter der
absoluten, und zwar transzendenten Tragik."246 Diese bestehe darin, daß die
Handlung zwar aus einer freien Handlung hervorgeht, ihre Wirkungen aber sich der
Freiheit entzögen. Von daher sei Erlösung ein absolut neuer Anfang in Christus, der
die Menschengeschichte samt ihrer Schuld in seine Freiheit aufnimmt und nun für
Gott entscheidet. "So ist er imstande - und mehr als nur imstande -, die Tragik der
ersten Schuld zu überwinden, indem er, selbst unschuldig, für den Schuldigen
eintritt."247 Daß Erlösung nicht nur eine neue Seinsstufe ist, sondern in erster Linie
Erlösung von der Sünde und eben dadurch - wie schon in der Beschäftigung mit
Bonaventura deutlich wurde - "Neuschöpfung",24* wird dann im anthropologischen
Hauptwerk Guardinis ("Welt und Person") vollends offenkundig.249
Im hier zu behandelnden Aufsatz jedenfalls geht der Verfasser immer noch in erster
Linie von der qualitativen Stufenordnung aus - auch wenn er die Störung durch die
Sünde, wie wir gesehen haben, durchaus im Blick hat und von daher auch das Ärger-
nis des Kreuzes deutet. Von ihr aus entwickelt er sein Verständnis von Analogie, in
dem die je größere Unähnlichkeit bei gleichzeitiger Ähnlichkeit betont wird. Der
Rückgriff auf die Analogie jedoch - so hat sich gezeigt - ist keine Alternative zur

243
Vgl. CK 167-172.
244
Vgl. Lebendiger Geist, 125-134.
245
Ausgangspunkt, 487; vgl. ebd., 485-487.
246
Glaube an die Gnade, 377 (Hervorhebung von mir); vgl. ebd., 376-379.
247
Glaube an die Gnade, 379. - Von daher möchte ich Fabers These, für Guardini habe die Sühnevorstel-
lung keine wesentliche Rolle gespielt, doch relativieren - auch wenn dieser Eindruck sich in der Tat von
Guardinis christologischen Schriften her aufdrängt (vgl. Faber, Kirche, 19-21).
248
Vgl. Erlösung, 119-147 und 1901
249
Vgl. bes. WP 96-105 ("Der Stand der Welt und die Erlösung"). Dieser Abschnitt erfüllt eine Schlüssel-
funktion; mit ihm schließen die Ausführungen über die "Welt" und leiten über zu denen über die "Person", die
erst von daher verständlich werden. Siehe dazu Kap. VI,l,c.
250 Der Blick auf die Kultur

These von der "Antinomie"; vielmehr wird sie im Horizont der "Antinomie" gedeutet.
"Ähnlichkeit" ("gratia supponit naturam et perficit") und "Unähnlichkeit" ("Ärgernis"
des "Wagnis" des Glaubens) bezeichnen die "Antinomie" in der "Analogie". Nur
"antinomisch" - im Nebeneinander von "Ja" und "Nein" lassen sich daher die ein-
gangs gestellten Fragen zur Beziehung von Christentum und Kultur beantworten.

(4) Die Grundsatzfrage: "Hat vor dem Christlichen das Natürlich-Kulturelle


einen eigenen Wert?"
Guardini erinnert zunächst daran, daß das Christentum von Anfang an die "relative
Eigenständigkeit" der Kultur betont, immer aber auch dort Einspruch erhoben habe,
wo der Christ sich in diese zu verlieren drohte.
"Der zweite große Kampf der Kirche - der erste galt dem Nationalismus im reli-
giösen Bereich, dem Judaismus - ging gegen diesen Feind: die dualistische
Gesinnung der Gnostiker, Manichäer usw. Das Christliche; Christus und sein
Wort; das Wort der Erlösung darf nicht abgetrennt werden vom Wort des
Vaters."250
Guardini sieht den Kern der "evangelischen Häresie" ("Häresie" hier ganz wörtlich im
Sinne von "Abtrennung", "Loslösung") und der "Hybris des 'reinen Christentums'"
darin, das "Christliche" von der Schöpfung und vom Schöpfer selbst abzulösen und
die Erlösung ganz für sich allein zu nehmen.251 Demgegenüber hält er daran fest:
"Das Wort der Erlösung muß bezogen bleiben auf das Wort der Schöpfung." Dies
wird pneumatologisch bzw. genauer trinitarisch begründet:
"Nur in dieser Bezogenhcit kann es verstanden werden; auf den Vater hin und
vom Vater her. Erfaßt aber wird diese Beziehung im Heiligen Geist. Er ist's, in
dem Erlösung aus Schöpfung, und Schöpfung aus Erlösung verstanden und
gelebt wird."252
Dabei erinnert Guardini daran, daß die relative Eigenständigkeit der Kultur auch von
katholischer Seite her in Frage gestellt worden ist, nämlich im sogenannten
"Integralismus", der die "Relativität" überbetont und alles im direkten religiösen
Verhältnis aufgehen ließ. 253 Demgegenüber gelte, daß es sowohl einen "direkten" wie
auch einen "indirekten" Weg gebe, um die Sinnbeziehung aller Dinge auf Gott und
Gottes Ehre hervorzuheben: Der "direkte" Weg (damit ist der eigentlich theologische
gemeint) "ordnet z. B. die philosophische Erkenntnis der theologischen unter, als
ancilla theologiae im guten Sinne des Wortes. So dient sie Gott." Der "indirekte"
Weg aber (und Guardini bleibt zunächst beim Beispiel der Philosophie)
"faßt sie rein in sich und sucht in Lauterkeit ihren Forderungen zu genügen. Das
Religiöse steht hier in der Gesinnung des Denkenden; darin, daß er am Ende
vom Glauben eine Kritik entgegennehmen und das als widersprechend Erwie-
sene vom Glauben her aufgegeben wird - ohne sich aber dadurch in der eigent-
lich philosophischen Arbeit etwas schenken zu lassen, die nötigenfalls im 'non

250
CK 161.
251
Vgl. CK Anm. 15,162.
252
CK 162.
253
Vgl. CK Anm. 13,1601
Christentum und Kultur 251

Hauet' stehen bleibt. Auch das bedeutet Dienst Gottes; denn es heißt, ihn aner-
kennen und anbeten, wenn die Wesensgebiete seiner Schöpfung, hier der Sach-
probleme und des Denkens, geachtet werden. Es ist immer eine schlechte, und
im tiefsten ihrer selbst unsichere Gläubigkeit, hier vom direkt Religiösen her
Gewalt zu üben. Alle Gewaltsamkeit kommt aus Furcht, auch in Dingen des
Glaubens."254
Für die Eigenständigkeit politischen Handelns forderten dies Männer wie Ernst
Michel gegenüber einem kirchlichen "Integralismus", der sich eben erst noch einmal
im Zentrums- und Gewerkschaftsstreit entladen hatte und der das freie Engagement in
der neuen Republik entscheidend bremsen wollte.255 Der Ansatz Guardinis
unterstützt ihren Protest. Er will das alte "Zweistockwerkdenken" weder zu einem
neuen "Integralismus" weiterentwickeln, der die gesamte Kultur in das Ganze eines
kirchlich gebundenen Christentums integrieren und eine vollständige Gegen-Kultur
zur autonomen Kultur der Neuzeit bilden möchte, noch es durch einen
"protestantischen" "Dualismus" ersetzen, bei dem ein von allem "Kulturellen"
abstrahierter Glaube einer völlig weltlichen Kultur gegenübertritt. Wie Przywara
erkennt er vielmehr die Bedeutung des "katholischen" Analogieprinzips darin,
Integration und Unterscheidung von Glaube und Kultur miteinander zu verbinden.
Diese grundsätzliche Position, in der die Antinomie in der Analogie festgehalten
wird, wird nun in den beiden nächsten Fragen konkretisiert. In ihnen wird einerseits
die Bedeutung des Christlichen für die Kultur, andererseits genau umgekehrt die
Bedeutung des Kulturellen für das Christliche untersucht.

(5) Die erste Variante: "Kann das Christliche in das Kulturelle


hineingetragen werden?"
Hier nimmt der Katholik Guardini jenes Anliegen auf, das seit dem Ende der
"christlichen Kultur" des Mittelalters immer wieder unter katholischen Christen auf-
getaucht war und auf eine Erneuerung dieses "idealen" Modells hinarbeitete.256 Auch
ihm wird die Antwort der Analogie entgegengestellt: Das "Ja" werde immer von
einem ebenso wesentlichen "Nein" begleitet und damit relativiert. Es gebe zwar die
Parabel vom Sauerteig; und so sei der Versuch berechtigt, den Glauben etwa in die
254
CK Anm. 13, 1601 - F. van Steenberghen (Die Philosophie im 13. Jahrhundert, Paderborn 1977, bes.
377ff.) hat diese Differenzierung Guardinis theologiehistorisch bestätigt; er zeigte, "daß es in der Konzeption
des Thomas, die in diesem Punkt den Hauptstrom des hochscholastischen Denkens repräsentiert, eine zwei-
fache Dienlichkeit der Philosophie für die Theologie gebe: jene der autonom sich entfaltenden Philosophie,
die in ihrer Eigenständigkeit eine wahre Partnerin der Theologie sei, und daneben das 'philosophische' Den-
ken als rationales Instrument innerhalb der Theologie; nur in dieser zweiten Hinsicht habe jene die Stellung
einer ancilla theologiae" (Seckler, Philosophia ancilla theologiae, 165; zur Problematik insgesamt vgl. den
Beitrag Secklers im ganzen, der eine nochmalige Rückbesinnung und eine vertiefte Interpretation des
"ancilla'-Motivs vorlegt, ausgehend v. a. vom Begriff der "Weisheit"). Guardini beschränkt sich in seiner
Anwendung der Formel eindeutig auf die innertheologische Bedeutung; vgl. auch LB 91 [109].
255 Guardini greift Formulierungen Michels auf, der "Heidentum" als Versuch bestimmt hatte, die Schöp-
fung ohne die Erlösung zu nehmen, während "Ekklesialismus" den Versuch darstelle, "beide so zu harmoni-
sieren, daß die Spannung zwischen ihnen verschwindet" (CK Anm. 15, 162). Guardini fügt jedoch im Blick
auf Kierkegaard die dritte Variante hinzu - den Versuch, Erlösung ohne Schöpfung zu verabsolutieren (vgl.
ebd.).
256 vgl. CK 1621 Zu dieser Frage siehe auch oben in Abschn. 3,a,bb.
252 Der Blick auf die Kultur

sozialen Probleme hineinzutragen und ihn in einer christlichen Gemeinschaft auswir-


ken zu lassen, oder auch so etwas wie christliche Philosophie oder christliche Kunst
hervorzubringen. Doch solle man dabei nie die Fragwürdigkeit solcher Versuche
vergessen:
"Sehen wir ganz ab von aller sachlichen und persönlichen Unzulänglichkeit im
einzelnen - warnt nicht etwas, die religiöse Reinheit des Christlichen werde
gerade durch die Ausmünzung in 'christliche Politik', 'christliche Gesellschaft',
'christliche Philosophie' gefährdet? Und warnt nicht auch das kulturelle Gewis-
sen davor, das ursprüngliche, kulturelle Schaffen durch eine falsche oder
vorschnelle Bindung vom Religiösen her zu hemmen? Der Sachverhalt liegt
nicht einfach. Die Berufung auf das 'christliche Mittelalter' aber kann sehr irre-
führen -ja, durch ein unbestimmtes Ideal das konkrete Problem auslöschen."257
Diese Warnung Guardinis an die katholischen "Integralisten" stellt eine "katholische"
Version der barth'schen Kritik an der liberalen protestantischen und der scholasti-
schen "natürlichen Theologie" dar. Aber auch hier hält Guardini an der grundsätzli-
chen Möglichkeit einer Durchdringung der Kultur durch den Glauben fest, ohne
deren Eigenwertigkeit deswegen aufzugeben. Zwar gewinnt in seiner Antwort die
Abgrenzung gegenüber einer "christlichen Kultur" ein starkes Gewicht. Vorausgesetzt
aber ist doch auch die "Sauerteig"-¥unVx\on des Glaubens, die der qualitativen
Andersartigkeit beider Bereiche ja nicht widerspricht.

(6) Die zweite Variante: "Kann das Kulturelle in das Christliche


hineingetragen werden?"
Auch die Antwort auf die dritte der eingangs gestellten Fragen greift auf katholische
Grundanliegen zurück.258 Gegen protestantische Positionen hält Guardini jetzt daran
fest, daß das "Kulturelle" durchaus einen "Hilfsdienst" leisten könne zur
"Erschließung der Inhalte; zur Entfaltung, Ordnung und Gestaltung; im Erkennen, im
Werten und im Handeln."259 Ähnlich wie am Schluß der "Liturgischen Bildung"260
erwähnt er die Bedeutung dieser Hilfsmittel für Theologie, Kirchenrecht, Liturgie,
kirchliche Kunst, religiöse Pädagogik und Führung usw. Ohne sie verkümmere das
religiöse Leben, werde dürftig und ungesund.
"Dennoch steht auch hier ein Nein gegen jenes Ja. Die tiefe Gefahr droht, daß
Religion in Kultur übergeführt werde. Und immer wieder hat das christliche
Gewissen Einspruch erhoben; Reinigung des Tempels gefordert. Es hat den
Primat lebendiger Verkündigung und lebendigen Glaubens vor theologischer
Präzision; den Primat des Gebetes im Geist und der Wahrheit vor hieratischer
Kultur; den Primat lebendiger christlicher Gemeinschaft und Persönlichkeit vor
juridischer Genauigkeit betont: Immer und in allem ist 'nicht der Mensch um des
Sabbats willen da, sondern der Sabbat um des Menschen willen'."261

257
CK 163.
258
Vgl. CK 1631 Zu dieser Frage siehe oben in Abschn. 3,a,aa.
259
CK 163.
260
Vgl. bes. LB 91 [109fj; siehe oben in Abschnitt 3,a,cc.
261
CK 164; vgl. ebd., 1631
Christentum und Kultur 253

So wird in dieser Variante wieder die Ähnlichkeitsbehauptung, wie sie sowohl dem
neuzeitlich-liberalen wie dem mittelalterlich-katholischen Verständnis zugrundelag,
relativiert bzw. mit der qualitativen Andersartigkeit des christlichen Glaubens kon-
frontiert. Zwar kann die Kultur dem "Christlichen" dienen - aber nicht um den Preis
einer totalen Überformung, die den Kern des Glaubens aus den Augen verlieren
würde.

(7) Die relative Eigenständigkeit der "Natur"


Noch einmal stellt Guardini - alle drei Fragestellungen überblickend - die Antinomie
in der Analogie fest und verteidigt seine Position, die jeder einseitigen Auflösung des
Problems entschieden widersteht:
"Wir haben also kein ein-sinniges Verhältnis, sondern ein antinomisches; und
alle Bewältigungsversuche sind falsch, die dieser Struktur nicht gerecht werden.
Sie mögen eine vorübergehende Bedeutung haben, in Zeiten des Aufbruchs,
oder der Wende. Bald werden sie demagogisch und unfruchtbar. Gefordert ist
die wesensgerechte, freilich mühsame Haltung, die jeder Antinomie gerecht
wird."262
Die These von der Antinomie in der Analogie weist darauf hin, daß das Verhältnis
von Gnade und Natur, Christentum und Kultur überhaupt kein "Fest-Stehendes" ist,
sondern ein "immer Aufgegebenes" bleibt.263 Sie gründet in der Auffassung, daß mit
dem Christlichen eine neue Wirklichkeitsstufe erreicht ist, die mit den Kategorien der
bisherigen überhaupt nicht mehr bewältigt werden kann.
Noch einmal hilft sich Guardini daher mit einem Blick auf das Verhältnis des
Chemisch-Physikalischen zum Bereich des Lebendigen (Pflanze). Die biologische
Struktur erscheint darin zwar von höherem Rang, enthält aber doch auch etwas
Fremdartiges, Fragwürdiges, und erscheint "eigentümlich labil und leicht zerstör-
bar"264. Wenn das Christliche einer nochmals höheren Stufe angehören würde, dann
müßte sich etwas Ähnliches einstellen:
"Die so geschaffenen Beziehungen empfindet er als neuartig. Sie sind mit Posi-
tivität gesättigt. Sie tragen den Charakter wirklichen, und zwar höheren Wertes.
Durch ebendiesen höheren Wert aber wird das Tiefere eigentümlich beunruhigt
und in Schwebe gestellt. Die Gnade 'erhebt' wohl und 'vollendet' die Natur; stellt
sie aber auch in Frage."265
Zwar wurde diese In-Frage-Stellung in der "Liturgischen Bildung" mit noch kräftige-
ren Worten herausgestellt (vgl. oben in Abschnitt 3,a,cc), doch auch hier geschieht
eine, an die Sprechweise der "Dialektischen Theologie" erinnernde Neuinterpretation
der traditionellen Auffassung, wenn Guardini auf die Gefahr einer totalen Auflösung
der "Natur" hinweist:

262
CK 164. - Grundsätzlich gilt: "Jeglicher Synthese und Systematik steht Guardini mit Mißtrauen und
Reserve gegenüber, weil er darin Verfestigung, Verhärtung, im letzten Verkürzung, ja den Verlust des
Eigentlichen sieht" (Mercker, Weltanschauung, 1111).
263
Vgl. CK 164.
264
CK 165.
265
CK 165.
ZD4 Der Blick auf die Kultur

"Sobald Übernatur in Natur eintritt, entsteht, gleichsam als Nebenwirkung,


immer wieder Unnatur. Und dies um so stärker, je intensiver das Übernatürliche
als solches zur Geltung kommt."266
Es gibt für Guardini zwei verschiedene Formen von In-Frage-Stellung der "Natur".
Einmal wird dieser Begriff zur Bezeichnung eines Seinsbereiches verwendet, das
andere Mal erscheint er als Wertausdruck. Guardini vermutet, der Einspruch eines
Goethe und vor allem eines Nietzsche gegen die "Unnatur" des Christentums habe
sich im letzten nur gegen dessen falsche Verwendung gerichtet. Denn allzuoft haben
Christen nicht nur das "Unwertige" an der Natur abgelehnt, sondern die Natur selbst
als eigenständigen und unverzichtbaren Bereich des Seins. So äußert Guardini die
Hoffnung:
"Vielleicht richtet sich im letzten gegen sie, nicht gegen das Moment des Kreu-
zes überhaupt, der Einspruch eines Goethe und vor allem eines Friedrich Nietz-
sche. Und wir Christen haben uns die Antwort wahrhaftig leicht gemacht."267
Damit ist - trotz der Betonung qualitativer Andersartigkeit - die relative Eigenstän-
digkeit der "Natur" (im theologischen Sinne) bzw. "Kultur" (als Bestandteil der
"Natur" in der eben gemeinten Bedeutung) festgehalten. Unter dieser Voraussetzung
kann nun aber abschließend nach der Grundkategorie christlicher Existenz gefragt
werden. Jetzt verläßt Guardini die ontologische Ebene, die mit dem ersten Grundda-
tum des Christentums, der Inkarnation, in den Blick gekommen war, und wendet sich
dem Pfingstereignis zu, durch das die Wirklichkeit des Christusereignisses "in die
Geschichte hineingebaut" ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und
Kultur wird jetzt zu einer Frage nach dem Wesen christlicher Existenz-

dd. Die Neuartigkeit christlicher Existenz: "Pneuma" und "Reich Gottes"


Von Kierkegaard her war Guardini der Gedanke an verschiedene "Stadien auf dem
Lebenswege" vertraut. Es handelte sich dabei um verschiedene "Ordnungen", "durch
welche die Person gleichsam hindurchgebaut ist, genauer, sich selbst realisierend
hinaufschreitet ('Stadien')" und die durch qualitative "Sprünge" voneinander getrennt
sind - "die Ordnung eines unmittelbar gegebenen naturhaften Seins, von Kierkegaard
das Ästhetische genannt...; dann jene Ordnung, die auf der Selbstübernahme des Ich
und seiner Verantwortung ruht, indem das Selbst sich unter das Sollen stellt: die Ord-
nung des Ethischen; endlich jene, in der das Selbst Christus und seiner Forderung
gegenübersteht, dem Anruf des gänzlich andersartigen, unbekannten, aus der Offen-
barung in der Form des Paradoxes heraussprechenden Gottes: die Ordnung des Reli-
giösen beziehungsweise Christlichen - beides setzt Kierkegaard fast gleich."268

zbb
CK 166. - Vgl. Mercker, Weltanschauung, 107: "Vielleicht denkt Guardini hier an Auswüchse asketi-
scher Art oder psychische Begleiterscheinungen von Rigorismus."
267
CK Anm. 16, 166. - Dieser Gedanke ist wohl der Beschäftigung mit Madeleine Semer entsprungen,
die nach Guardini in ihrer Weise auf den Angriff Nietzsches geantwortet hat: vgl. Seiner (1929), 286-295;
Semer (1935), 602-607.
268
Ausgangspunkt (1927), 492. - Da auch dieser Beitrag in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Kierke-
gaard-Vorlesungen (s. o.) steht, darf er wohl an dieser Stelle herangezogen werden, um die Wurzeln des für
Guardini wichtigen Stufenmodells herauszuarbeiten. Sicher spielt dafür aber auch die Lehre von der "gradatio
Christentum und Kultur 255

Wenig später hat Guardini die Lebensgeschichte von Blaise Pascal mit Hilfe der
kierkegaard'schen "Stadien" zu deuten versucht.269 Pascal selbst unterschied in seinen
"Pensees" drei "Ordnungen" ("les corps", "les esprits", "la charit6"), in denen Guar-
dinis Stufenordnung unschwer wiederzuerkennen ist (allerdings ohne die Differenzie-
rung von "Leben" und anorganischer Wirklichkeit).270 Es handelt sich freilich hier
(wie schon bei Kierkegaard) in erster Linie um Existenzebenen. Ebenso ist auch
Guardinis Stufenmodell zwar eindeutig ontologisch gemeint und von der zeitgenössi-
schen Diskussion im Gefolge der Lebensphilosophie und des Vitalismus mitgeprägt;
sein eigentiiches Ziel liegt jedoch auch bei ihm in der Erhellung menschlicher
Existenz. Schon als "biologische" Existenz ist der Mensch von der Realität des
"Chemisch-Mechanischen" nicht einfach ableitbar; diese wird vielmehr zu einer
neuen, eben "lebendigen" Wirklichkeit umgeprägt.271 Noch eine weitere Umprägung
und Neubestimmung erfolgt durch das "Geistige" - "Inbegriff jener Akte, "durch die
sich der Mensch wissend, frei und schaffend auf Wert und Wesenheit richtet; vor
allem die im eigentlichen Sinne personalen Akte; sowie das ihnen allen zugrunde
liegende Sein."272 Nochmals auf eine neue Ebene wird der Mensch im religiösen Akt
gehoben, der sich auf die "natürliche" Seite der Wirklichkeit Gottes richtet (vgl. oben
Abschnitt bb).273 Aber auch er bewegt sich - wie gezeigt worden ist - noch innerhalb
der "Welt", während die Wirklichkeit, um die es im Christentum geht, von dem
"natürlichen Bereich" als Gesamtheit noch einmal qualitativ verschieden ist. In ihr
tritt das "Pneuma" in die menschliche Existenz ein - nicht der "Geist" im Unterschied
zum "Körper", sondern das "Geistliche" im Unterschied zum "Natürlichen".274
Diese neue Wirklichkeit wird zunächst als etwas geschildert, was erst "verborgen"
war, in Christus aber "offenbar" wurde.275 Sie hat keineswegs nur kognitiven,
sondern in erster Linie wirklichkeitsverändernden Charakter. Die ihr entsprechenden
Akte werden von ihr erst hervorgebracht; es handelt sich um die "Lebensbewegungen
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe"276. Durch sie geschieht eine völlige Neu-
orientierung der menschlichen Existenz: "Offenbarung als objektive Gotteser-
schließung muß verbunden sein mit Wiedergeburt zur subjektiven Teilnahme am
göttlichen Leben."277 Bereits Jesus sei durch das Wirken des Geistes in den

entium" eine Rolle, die Guardini bei Bonaventura kennengelernt hatte; vgl. Erlösung, 141-145, sowie Ele-
mente, 93-124. Das Stufenmodell findet sich dann auch bei Pascal wieder (siehe dazu Kap. V,2,b,aa).
269
Dies ist noch nicht der Fall in der frühen Abhandlung "Pascals innere Stunde" (1927), wohl aber in
der überarbeiteten Fassung "Die religiöse Entscheidung im Leben Pascals" (1932/33), die später als 1. Kapitel
in das Pascal-Buch einging; vgl. Pascal, 21-36.
270
Vgl. Pascal, 31-36.
271
Vgl. CK 167.
272
CK 167.
273
Vgl. CK 1681
274
Vgl. CK 172.
275
Vgl. CK Anm. 18, 1701 Es gibt daneben noch die schon in der Schöpfung wahrnehmbare "offenbare"
Wirklichkeit Gottes, sowie eine "unbekannte" Wirklichkeit, die auch nach der christlichen Offenbarung dem
Menschen wesentlich unzugänglich bleibt.
276
CK 172.
277
CK 172.
256 Der Blick auf die Kultur

Menschenbereich hineingetragen worden.278 An Pfingsten habe derselbe Geist dann


den Aposteln den Zugang zu Christus erschlossen; so sei das christliche "In"- bzw.
"Durch"-Christus entstanden, das Guardini im Anschluß an Paulus zu einer zentralen
Kategorie seiner Anthropologie macht.279
"Dieses 'in' und 'durch' ist die pneumatische Kategorie. Christ-sein heißt: durch
den Geist in Christus sein. Und ebendamit zum Vater stehen, wie er steht: in
Gehorsam, in Vertrauen, in Eifer für seine Ehre, in der Gesinnung des 'Vater
unser' ... Das ist das Pneumatische; das Teilnehmen des Christen an der verbor-
genen, aber offenbar gewordenen Gotteswirklichkeit durch das Pneuma."280
Auch das liturgische "Mysterium", mit dem sich Guardini kurz zuvor beschäftigt hat,
wird nun im Nachhinein als eine Ausdrucksform des "Pneumatischen" bezeichnet;
dieser Begriff ersetzt nun offenbar den bisher verwendeten Hilfsbegriff des
"Aeviternum".281 Die Gesamtheit alles dessen aber, was in der Kraft des Pneuma ent-
steht, heißt "Reich Gottes".2*2
Damit kommt Guardini auf die theologische Kategorie zurück, die bereits in den
ekklesiologischen Vorträgen eine Rolle gespielt hatte (vgl. dazu Kapitel II,3,b,dd).
Wieder hebt er die doppelte Gestalt dieses "Reiches" hervor: Es ist anwesend in der
konkreten Persönlichkeit (im "Kind Gottes") und zugleich in der Menschheitsganzheit
(in der Gemeinschaft der "Kirche").2** Dieses "Reich" wird jetzt aber nicht mehr ein-
fach als Zustand gesehen, sondern als etwas "Werdendes".2*4 Im Blick auf den
Einzelnen kann Guardini sagen:
"Die ganze Natur 'wartet auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes' und 'liegt
in Wehen bis dahin'. Denn im Menschen, in jedem neu, auf dessen einmalige
Weise, tritt die Natur in das Reich Gottes ein."285
"Die Hoffnung ist der Zustand des werdenden Reiches Gottes."286
Dieses Werden wird auch als ein "Wachsen" der "lebendigen Gestalt Christi"
beschrieben.287 Auch dies vollzieht sich im Einzelnen ebenso wie in der Gemein-
schaft - "in der "überindividuellen Ganzheit". Guardini bezieht sich auf die Briefe an
die Epheser und die Kolosser, aber auch auf Augustinus, wenn er nun wieder den
Begriff des "Corpus Christi mysticum" einführt.288 Dieser "Leib" wird aufgebaut
durch das "Pneuma". Er ist bereits da, aber nicht "zu gesichertem Haben", sondern in
der "Hoffnung". Daß das "Reich Gottes" immer noch am Kommen ist, hat für Guar-

Zl}i
Vgl. CK 175; vgl. ebd., 1741
77Q ^
• "' Zur Weiterentfaltung des Gedankens der "Inexistenz" vgl. Innerlichkeit (1934), sowie die christologi-
schen Schriften. Zur Kategorie der "Inexistenz" vgl. bes. Schilson, Christsein als Nachfolge; Schreijäck,
Bildung. Siehe auch unter Kap. VI,I,c u. ö.
280 C K j75f . D ^ "p ne uma" ist bei Guardini noch ganz christologisch ausgerichtet; daher kann nach
Schilson nicht einfach von einer "Pneumatologie" Guardinis gesprochen werden, sondern lediglich von einer
"pneumatischen" Christozentrik (vgl. ders., Ekklesiologie, 232-234).
281
Vgl. CK 177; dazu Mysterium, 405-407 [142-144].
282
Vgl. CK 176-179.
283
Vgl. CK 177.
284
Vgl. CK 179.
285
CK 178.
286
CK 179.
287
Vgl. CK 178.
288 vgl. CK 179; siehe auch unter II,3,b,dd.
Christentum und Kultur 257

dini drei Gründe: Erstens ist es vom Menschen immer neu zu ergreifen, "stets neu zu
tun". Zweitens geht es immer unerzwingbar "aus der freiwirkenden Gnädigkeit"
Gottes hervor. Und drittens steht ein Ereignis noch aus, das diese Welt zu ihrem Ende
bringen wird. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine naturwissenschaftliche,
sondern um eine religiöse Kategorie. Es geht um die Wiederkunft Christi, die
Parusie.
"Die aber ist inkommensurabel mit einer bestimmten Zeit. Sie kann zu jeder Zeit
kommen. Ja, in gewisser Beziehung koexistiert sie aller Zeit. Die christliche Ge-
schichtshaltung wird dadurch begründet, daß in jedem Augenblick die Parusie
kommen kann. Der Möglichkeit der Parusie ist der christlichen Zeit wesens-
eigen."289
Von daher geschieht die Relativierung von Natur und Kultur, die christliche Existenz
bei aller positiven Zuordnung kennzeichnet, nicht um irgendeiner fernen Zukunft
willen, sondern im Blick auf eine Gegenwart, die durch das "in die Geschichte
hineingebaute"290 Offenbarungsereignis immer schon in Frage gestellt ist.
"Das so geartete Neue, Christi übernatürliche Normgestalt, will auch Inhalt des
im Glauben sich öffnenden natürlichen Lebens werden, will das Natürliche
hereinziehen und sich einbauen. Als Verwandtes und andersartig zugleich; in
der Besitzform des Pneumatischen; daseiend und ewig kommend in einem; auf
Jetzt und Dauer rechnend, aber doch unter die stete Möglichkeit der Parusie
gestellt. Hieran haben alle jene Einbauungen, Dienstleistungen, Durchdringun-
gen, Sublimationen, Richtungsweisungen, Qualitätsbereicherungen zu gesche-
hen, die mit den Worten 'Christentum und Kultur' gemeint sind."291
Dazu gehört auch die Einsicht, daß nicht nur etwas am "Werden" ist - das Reich Got-
tes -, sondern auch etwas am "Vergehen" - die bisherige "Gestalt dieser Welt".292
"Die bauenden Kräfte arbeiten an einem fliehenden Stoff, in der Vergänglichkeit
des Irdischen. Und jeden Augenblick kann ihr durch die Parusie der Stoff aus
der Hand genommen werden."293
Noch einmal wird - in Abgrenzung zu allen religiösen Kulturverhältnissen - das
grundsätzlich Andere des Christentums hervorgehoben. Obwohl der Buddhismus sich
in extremster Weise von jeder Kultur, auch der religiösen, distanziert, führt doch auch
dieser zu einer klar identifizierbaren "buddhistischen Kultur". Die christliche Theolo-
gie, die Rechtsordnung der katholischen Kirche, ihre Liturgie, die christliche Kunst
oder ein auch "christlicher Staat" sind demgegenüber etwas "qualitativ anderes". Die
neue "Qualität" besteht in der grundlegenden "pneumatischen" Kategorie, die dem
Menschen erst in der "Hoffnung" Wirklichkeit wird, erst am Ende Besitz. Es gibt also
keine endgültige "Lösung" des Verhältnisses von Christentum und Kultur, sondern
nur ein immer neues Versuchen, das immer wieder auf die qualitative Andersartigkeit
des Christlichen zurückführt, aber auch an der Begrenztheit menschlichen Schaffens
scheitert.
289
CK 180.
290
Vgl. CK 146.
291
CK 181.
292
Vgl. CK 180.
293
CK 182.
258 Der Blick auf die Kultur

Die Fragwürdigkeit der Kultur ist aber nicht nur negativ:


"Es ist die Fragwürdigkeit des durchbrechenden Höheren, dessen 'Herrlichkeit
noch nicht offenbar geworden ist'. Die Fragwürdigkeit der 'Wehen', in denen
jene Gesalt geboren werden soll."294
Von dieser Einstellung bleibt Guardini auch später geprägt, als er an einem Entwurf
einer christlichen Kulturphilosophie arbeitet.295 Dort ist das Gesagte noch einmal
prägnant zusammengefaßt: Wenn der Mensch
"denkend den Inhalt der Offenbarung zu verstehen, wenn er danach das Leben
zu ordnen, wenn er den werdenden Menschen danach zu bilden und den gefähr-
deten zu heilen, wenn er die Inhalte der Offenbarung künstlerisch auszudrücken
sucht - dann sind diese Tätigkeiten keine Teile eines von ihm selbst getragenen
Weltschaffens, sondern Werkakte, die er jenem Schaffen Gottes zur Verfügung
stellt, ohne bestimmen zu können, wie Gott sie für sein Werk brauchen solle, ja
ohne auch nur zu wissen, ob er das überhaupt tut."296

ee. Ausblick: Das Hineintragen des "Christlichen" in die Kultur


Guardinis Beitrag hat nicht alle Dimensionen des gestellten Themas ausgeschöpft.
Viele Fragen wurden nur angerissen, andere - wie die Überlegungen zur Kategorie
des "Pneumatischen" - in einer überraschender Ausführlichkeit entfaltet. Der Autor
stellt selbst abschließend fest:
"Diese 'Gedanken' wollten in aller Schärfe Frage und Unterschied aufzeigen.
Zeigen, wo das Gemeinte liegt. Wenn das geglückt ist, dann bedeutet es einen
Gewinn, auch wenn gar keine Antwort versucht wurde."297
Das "Gemeinte" bedeutete zunächst eine bestimmte grundsätzliche Bewertung der
Kultur: "Hat vor dem Christlichen das Natürlich-Kulturelle einen eigenen Wert?"
(vgl. oben cc, [4]) Die gleiche "Antinomie" ("Ja" und "Nein"!), die in der Antwort auf
diese Frage enthalten war, kam auch bei der zweiten Variante zum Tragen, in der es
um den konkreten Beitrag der Kultur für das Christentum ging (vgl. oben cc, [6]). In
dieser Richtung hatte sich Guardini selbst in seinem frühen Schaffen bewegt: Er
untersuchte die "kulturelle" Gestalt von Liturgie und Kirche und stellte so eindrucks-
voll dar, daß die Kultur tatsächlich einen wichtigen Beitrag leisten kann, um das
Leben des Glaubens zu gestalten (vgl. Kapitel 11,3). In denselben Schriften war aber
auch bereits die umgekehrte Richtung enthalten: der Beitrag des Glaubens für die
Kultur (vgl. oben cc, [5])! In der Liturgie und in der Objektivität der kirchlichen
Gemeinschaft leistet der Glaube nach Guardini einen wichtigen Dienst an der Kultur
bzw. genauer: an der konkreten menschlichen Existenz, zu der auch die kulturelle
Entfaltung gehört.
Daß Guardini besonders den letzten Aspekt weiterverfolgte, lag an der Grundkon-
zeption seiner "katholischen Weltanschauung" (vgl. Kapitel 111,2). Dort ging es ja um

294
CK 184.
295 vgl. Zusammenhang* (ca. 1940; s. o. Abschn. 2,c).
296
Zusammenhang*, 88. - Vgl. zum ganzen auch: Bereiche, 216-218 (hier vor allem auf die Liturgie
bezogen).
Christentum und Kultur 259

die Frage, welchen Beitrag der "Blick" des Glaubens leisten könne, um den Men-
schen zu einer wirklichen Weltanschauung" zu befähigen. Letztere ist noch rein
"kontemplativ" - im Unterschied zur konkreten Tat; 298 aber sie führt zu einer Stel-
lungnahme, aus der dann auch konkrete Veränderungen der "Welt" hervorgehen. Wo
aber von "Kultur" die Rede ist, geht es um genau diese Veränderungen, denn diese ist
ja Inbegriff all dessen, was der Mensch aus dem Naturhaft-Gegebenen macht -
"erkennend, stellungnehmend, handelnd, schaffend; am umgebenden Sein der Dinge,
am anderen Menschen, an ihm selbst."299 Die vorgegebene Perspektive "katholischer
Weltanschauung" ist also nun im Hinblick auf das Verhältnis von Christentum und
Kultur so zu präzisieren: In welcher Hinsicht leistet das Christentum einen Beitrag
dazu, daß der Mensch - erkennend, stellungnehmend, handelnd, schaffend - seine
Welt verändern, etwas aus dem Naturhaft-Gegebenen machen kann?
Die christliche Kategorie der Veränderung ist aber die des "Pneuma". Sie wird
daher auch von Guardini herangezogen und mit den theologischen Begriffen des
"Reiches Gottes" und des "Corpus Christi mysticum" in Verbindung gebracht. Das
Verhältnis von Christentum und Kultur rückt in eine eschatologische Perspektive,
denn es erscheint als ein vom "Pneuma" ständig neu entfachtes "Werden" des Reiches
Gottes und "Wachsen" des Leibes Christi - immer in der Erwartung des "Endes" und
im Bewußtsein der Relativität aller menschlichen Kultur. So ist die Berliner
"Antrittsvorlesung" fortgeschrieben in die Richtung eines christlichen Beitrags zur
Entwicklung der menschlichen Kultur. Diese wira vorausgesetzt, aber gleichzeitig
zutiefst in Frage gestellt. Sie bleibt wichtig, auch wenn sie sich dem Wirken des gött-
lichen Geistes immer neu öffnen muß. Als Glaubender kann der Mensch das göttliche
Pneuma in seine kulturelle Selbstentfaltung einbringen (das "Ja!" in der Antinomie);
er darf jedoch nicht einfach in dieser aufgehen (das ergänzende "Nein!"), weil Gott
selbst den Menschen ans Ziel führen will, und zwar auf einem innerweltlich nie zur
Vollendung kommenden Weg - in der Kraft seines Geistes.
Eine theologische Präzisierung dieser Antinomie vor dem Hintergrund der philoso-
phisch-theologischen Tradition hätte Guardinis Ansatz sicher gut getan, ihr vor allem
eine größere Wirkung verschafft. Zu unbestimmt bleiben noch die Begriffe des
"Pneumatischen", des "Reiches Gottes", des "Leibes Christi" und der "Parusie", in
denen doch die Ansätze für eine völlig neue, heilsgeschichtliche Deutung der katholi-
schen Natur-Gnade-Problematik liegen. Weil sie aber mit dem ontologischen Modell
der qualitativen Wirklichkeitsstufen nur unzureichend vermittelt sind, deuten sie
lediglich die Richtung an, in der die statische Vorstellung von zwei unterschiedlichen
"Stockwerken" (Natur-Übernatur) in eine christlich-heilsgeschichtliche Dynamik auf-
gelöst werden könnte.300

298
Vgl. Weltanschauung, 19.
299
CK 145.
300
Die Reflexion über den Heiligen Geist wird von Guardini schon bald weitergeführt; vgl. Lebendiger
Geist (urspr. 1927), 137-140. Im Sammelband "Unterscheidung des Christlichen" (1935) steht dieser Beitrag
nun vor der Erörterung des Verhältnisses von "Christentum und Kultur" und dem daran anschließenden Bei-
trag über das "Verhältnis von Natur und Kultur" (vgl. dazu schon oben Abschn. 2,b). So schließt sich für die
Herausgeber der Bogen, den die "Antrittsvorlesung" (vgl. Weltanschauung) geschlagen hatte und erhält
gleichzeitig in der anthropologischen Begründung Kultur (vgl. Sozialwissenschaft; Möglichkeit und Grenzen;
260 Der Blick auf die Kultur

Die Andeutungen genügten Guardini offenbar, um selbst ans Werk einer


"katholischen Weltanschauung" gehen zu können und diese im Blick auf die "Kultur"
zu konkretisieren. Ein Schwachpunkt seines Ansatzes - das weitgehende Ausblenden
der "Sünde" - wirkte sich dafür sogar günstig aus: Wer zu sehr unter der
"Verdorbenheit" des Menschen leidet, kommt nur schwer auf den Gedanken, die
"Kultur" dieses Menschen interpretatorisch zu befragen und in ihr einen ernstzu-
nehmenden Gesprächspartner zu sehen. Gerade dies aber hat Guardini in hohem
Maße getan; in seinen Interpretationen vollzieht sich die Begegnung mit einer Kultur,
aus der der Glaube zwar nicht entspringt, auf die er aber wesentlich verwiesen ist.

Bildungslehre; Lebendige Freiheit; Freiheit und Unabänderlichkeit; Lebendiger Geist) seine Mitte (vgl. dazu
schon Abschn. l,c,aa [Anm. 146]).
Kapitel V

Die Entfaltung:
Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Katholische Weltanschauung" bestand für Romano Guardini nicht einfach im Vor-


tragen von Positionen, die sich aus einem konfessionellen Standpunkt ergaben. Es
ging um die "Welt", die sich dem Glaubenden zeigte, aber auch um die Fragen, die
sich von der "Welt" her an den Glauben formulieren ließen. So war schon beim zwei-
ten, "induktiven" Weg (vgl. dazu Kapitel III,3,a), der Rückgriff auf Zeugnisse der
Kultur unausweichlich. Wenn vollends nicht nur die "Welt" im Allgemeinen, sondern
die konkrete "Welt" eines bestimmten Menschen bzw. einer bestimmten kulturellen
Situation in den Blick kommen sollte - Guardinis dritter Weg einer katholischen
Weltanschauungslehre1 -, galt es dem Ratschlag Max Schelers zu folgen, "die grund-
sätzlichen Gesichtspunkte an konkreten Gegenständen", also im Zuge einer Interpre-
tation bestimmter Texte und Gestalten der Kultur, zu entwickeln.2
Im voraufgehenden Kapitel haben wir die kulturkritische Position Guardinis in den
zwanziger Jahren beleuchtet und vor diesem Hintergrund seinen Kulturbegriff vorge-
stellt. Dann fragten wir nach der grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von
Christentum und Kultur. Dieses Verhältnis wird nun aber in den interpretatorischen
Arbeiten der dreißiger und vierziger Jahre in doppelter Weise konkret. Zunächst ist es
der Vorgang des Interpretierens selbst, in dem der christlich-katholische Glaube sich
mit der Kultur - in Gestalt der interpretierten Texte - in Beziehung setzt. Aus diesem
Grund fragen wir in einem ersten Schritt nach dem Ausgangspunkt und der Methode
in Guardinis Interpretationen (Abschnitt 1). Die Beschäftigung mit den Texten führt
aber dann auch zu bestimmten Ergebnissen: In ihnen spiegelt sich ein bestimmtes
Verständnis der "Welt" und ihrer Teilaspekte - der "Natur", der "Kultur" und der
"Religion" (vgl. Kapitel IV,2 und IV,3,c,bb). Ein solches Verständnis ist aber Aus-
druck einer bestimmten Kultur, deren Vertreter der jeweilige Autor ist und die über
ihn zugänglich wird. Auf diesem zweiten Aspekt liegt der Schwerpunkt des vorlie-
genden Kapitels. Anhand der wichtigsten einschlägigen Werke Guardinis fragen wir
nach den Ergebnissen der Interpretation und damit nach den Konsequenzen für
Glaube und Kultur der Gegenwart (Abschnitt 2). Das Kapitel erfüllt somit eine Art
"Scharnier"-Funktion: Unter methodischem Aspekt weist es auf das vorangegangene
1
Vgl. Weltanschauung, Anm. 8, 33 (s. o. Kap. III,3,a).
2
Vgl. Berichte, 45.
262 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Kapitel zurück, in inhaltlicher Hinsicht auf das folgende voraus, in dem wir dann
nach der "direkten" Auseinandersetzung mit der kulturellen Gegenwart fragen
können.
Es kann nicht Sache dieser Untersuchung sein, die Richtigkeit von Guardinis Inter-
pretationen an den Texten selbst im Einzelnen nachzuprüfen. Dazu bedürfte es einer
eingehenderen Beschäftigung mit den Texten selbst und mit deren Forschungsge-
schichte. Da es sich vorrangig um Werke der Dichtung handelt, wäre ein Rückgriff
auf die Literaturwissenschaft nötig, der aber bei so vielbesprochenen Autoren wie
Hölderlin, Dostojewskij oder Rilke ein äußerst gewagtes, weil notgedrungen aus-
schnitthaftes Unterfangen wäre. An minchen Stellen erweist sich ein solcher Rück-
griff freilich als hilfreich - dann närruich, wenn Literaturwissenschaftler (aber auch
Philosophen) zu Guardinis Interpretationen direkt Stellung beziehen. Im Allgemeinen
beschränkt sich die folgende Darstellung aber auf Guardinis eigene Position. Es gilt
aufzuzeigen, in welcher Weise sich Guardini als gläubiger Interpret die Wirklichkeit
der Kultur erschließt. Seitenblicke auf parallele Bemühungen von Zeitgenossen - wie
etwa auf Martin Heideggers Hölderlin-Interpretationen - sind dabei nicht ausge-
schlossen, sondern vom Gesamtansatz dieser Untersuchung, die Guardinis Werk
immer auch in seinen kulturellen Kontext einzuordnen versucht, sogar gefordert. Aber
auch in diesem Fall geht es nicht in erster Linie um die Richtigkeit der Interpretation,
sondern um ihren Vollzug und ihr Ergebnis - um die Frage also, was sich daraus für
die Beziehung von Glaube und Kultur ergibt.

1. Ausgangspunkt und Methode der Interpretation

a. Die Frage nach der "Existenz"


Das Denken Romano Guardinis wurzelt zutiefst in der Auseinandersetzung mit der
eigenen Existenz (vgl. dazu Kapitel 11,1). Aus diesem Grunde zeichnete sich schon
früh ein elementares Interesse am Leben des Menschen ab - einmal in der Beschäfti-
gung mit dem Phänomen des Lebendig-Konkreten selbst in der Gegensatzphilosophie
(vgl. Kapitel 11,2), zum anderen in den Schriften zu Liturgie und Kirche, in denen der
"Lebenswert" der Glaubensformen in besonderer Weise herausgestellt wurde (vgl.
Kapitel 11,3). Der Weg des jungen Dogmatikers auf die Privatdozentur in Bonn, vor
allem aber die Übernahme des Berliner Lehrstuhls und die Reflexionen über das
Verhältnis von Glaube und Kultur führten dann nicht nur zu einer vertieften Re-
flexion des "Unterscheidend-Christiichen" in einer "katholischen Weltanschauung",
sondern auch zu einer stärkeren Gewichtung des Unverfügbar-Perso/ta/V/j. Der allzu
gewalttätige, ja fast zwanghafte Wille zum "System", der sich vor allem in der frühen
Gegensatzreflexion bemerkbar gemacht hatte und den auch das endgültige Gegen-
Ausgangspunkt und Methode 263

satzbuch von 1925 nicht ganz vermied (vgl. dazu Kapitel II,2,a,aa), trat jetzt ganz
zurück:
"Lange Zeit hindurch habe ich das, was Geschichte heißt, nämlich die Unableit-
barkeit der Persongestalt und Schicksalsgestalt, die Fülle des konkreten Lebens
nicht gesehen, doch war eine Vorbereitung dafür da, denn die Lehre von den
Strukturen, die Lehre vom Gegensatz und die Lehre eines universellen Gegen-
satzverhältnisses, das sich in jedem Einzelnen verdichtet, erhielt die Grundzüge
einer Anschauung vom Konkreten. Von ihm aber bis zu den geschichtlichen
Gestalten war noch ein weiter Weg. Diese sind mir erst spät, wenn ich recht
sehe, nicht vor der Zeit meiner Berliner Lehrtätigkeit aufgegangen. Da ist mir
erst klargeworden, daß ein Sören Kierkegaard, ein Pascal, ein Dante etwas
Anderes sind als große repräsentative Verwirklichungsformen universeller
Strukturgesetze."3
Das Interesse für das Unableitbare einer einzelnen Persongestalt hat sich also bei
Guardini vor allem im Zusammenhang mit der interpretatorischen Tätigkeit heraus-
gebildet. In ihm liegt aber auch umgekehrt eine wichtige methodische Vorentschei-
dung: Die Texte, mit denen sich der Interpret beschäftigte, wurden als Medium einer
konkreten Existenz verstanden, die sich in ihnen ausdrückte. So verschob sich etwa
bei der Interpretation der Bekenntnisse Augustins4 der Schwerpunkt sehr rasch vom
Weltbild des Autors auf den "inneren Vorgang" seines Bekchrungserlebnisses.5 Die
Interpretation dieses Vorgangs wollte weder einen historischen Beitrag liefern, noch
auch im Sinne der traditionellen theologischen Systematik mit ihrem "Augustinus
dicit" verstanden werden:
"Unsere Arbeit möchte wissen, wie Augustins Gedanke an seiner Wurzel aus-
sieht; dort, wo er mit der Möglichkeit eines vom Christlichen absehenden 'rein
natürlichen' Standpunktes gar nicht rechnet, sondern in der Welt, wie sie aus der
Offenbarung hervortritt, 'die' Welt, und daher im Glaubensdenken das wahre
Denken einfachhin sieht. Sie möchte diesen Gedanken dort erfassen, wo er aus
dem inneren Tun und Sein hervorgeht und wieder dahin zurückkehrt, ohne noch
von der Aufgabe einer kritisch und methodisch durchgeführten Theorie beunru-
higt zu sein. In Augustinus den ringenden und werdenden und sich selbst aus
dem Glauben heraus verstehenden Christen zu sehen - darauf ist die Bemühung
dieses Buches gerichtet."6
In ähnlicher Weise vollzog sich auch Guardinis Beschäftigung mit Kierkegaard:1

* Berichte*, 29.
4
Zur ersten Vorlesung im WS 1924/25 siehe unter III,3,b (Anm. 221). Später folgten: "Die Bekenntnisse
des heiligen Augustinus (als Einführung in seine geistige Welt)" (WS 1931/32; Mercker, Bibliographie, Nr.
361); "Augustins 'Gottesstaat' und die Grundprobleme des christlichen Geschichtsbewußtseins" (WS 1933/34;
407).
" "Ein Buch entsteht nicht so, wie der Schreiber wünscht, sondern wie es selbst will" (Bekehrung, 9).
6
Bekehrung, 20.
7
Zur Kierkegaard-Vorlesung im SS 1925 und WS 1925/26 siehe in Kap. IV,3 Anm. 158. Es folgte dann
im WS 1927/28: "Sören Kierkegaard und die Grundfragen der christlichen Existenz" (vgl. Mercker, Biblio-
graphie, Nr. 244). Erste Veröffentlichungen zu Kierkegaard: Ausgangspunkt (1927); Schwermut (1928).
Kierkegaard steht außerdem im Hintergrund des Aufsatzes "Christentum und Kultur" (1926; siehe dazu Kap.
IV,3,c).
264 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Die Einfallsstelle seiner Wirksamkeit liegt im Religiösen. Und zwar handelt es


sich dabei nicht nur um theologische und philosophische Gedanken, sondern vor
allem um eine lebendige Haltung."8
Von Kierkegaard, dessen Spuren bis ins Spätwerk Guardinis zu verfolgen sind,9 des-
sen Werk aber nie in einer größeren Arbeit untersucht wurde,10 führte der Weg
schnell zu Friedrich Nietzsche,11 den Guardini immer wieder als Pendant des däni-
schen Denkers betrachtete.12 "Wo der eine Ja spricht, spricht der andere Nein."13
Beide seien aber Menschen, die "mit ihrer Existenz dachten, und von Anlage her hat
Kierkegaard am Rande des gleichen Abgrundes gestanden, der Nietzsche verschlun-
gen hat."14 Nietzsche und Kierkegaard aber verwiesen ihrerseits - mit unterschiedli-
chen Werturteilen freilich - auf Sokrates, und Guardini folgte ihnen darin.15 Auch der
griechische Philosoph interessierte vor allem als Persönlichkeit; philosophische
Grundeinsichten, die der abendländischen Geistesgeschichte die Richtung gewiesen
hatten, wurden in erster Linie von ihrem existentiellen Ort her aufgehellt, weshalb
Guardini gerade jene platonischen Dialoge auswählte, in denen Sokrates im Angesicht
seines eigenen Todes "philosophiert":

° Ausgangspunkt, 473. - Auch mit Kierkegaard fühlte sich Guardini verwandt; die Neigung zur
Schwermut war bei beiden vorhanden (vgl. Schwermut); siehe dazu unter II,l,a.
9
Vgl. Existenz, 6 und 426; Biser, Interpretation, 38.
10
Warum das so ist, kann verschiedene Ursachen haben. Daß es daran lag, daß er "dem Dänen zu früh
begegnet" war (Balthasar, Guardini, 80), kann nicht ganz überzeugen; auch Guardinis eigene Erklärung
reicht sicher nicht aus: "Zu Kierkegaard: Aber über den ist schon so vieles Gute gesagt worden, daß man nur
dann das Recht hat zu schreiben, wenn man etwas Neues geben kann und das könnte er wohl. Aber dazu fehlt
ihm die Zeit" (Gesprächsnotiz ohne Datum 1934, in: Görner, Guardini, 11). Der Hauptgrund dürfte wohl der
sein, daß Pascal in den Gesichtskreis Guardinis trat; zu den Gründen, warum dieser Kierkegaard vorgezogen
werden kann, siehe weiter unten im Text.
11
Vgl. Vorlesungsankündigung im WS 1931/32: "Endlichkeit und Ewigkeit (Versuch einer Interpretation
von Nietzsches Zarathustra" (Nr. 361); ferner das unveröffentlichte Manuskript: Nietzsches Lehre vom Endli-
chen. Skizze*. Auf weitere Versuche verweist: Gerl, Der Geist blüht; dies., Unterscheidung aus Verstehen. -
Nietzsche war jedoch schon von früh an in Guardinis Werk gegenwärtig; vgl. etwa: Dreieiniger Gott (urspr.
1916), 89; Liturgie (urspr. 1918), 92. Auch in der Mainzer "Juventus" hatte Guardini über Nietzsche referiert
(vgl. Gerl, Guardini, Anm. 66, 61). Ausführlich spricht er auch von der Begegnung Madeleine Semers mit
Nietzsche (vgl. Semer, 286-295).
12
Vgl. dazu auch Jaspers, Weltanschauungen, 13: "Beide sind Romantiker durch ihre innere Bewegung,
beide leidenschaftlich antiromantisch, weil die tatsächlichen Gestalten dessen, was Romantik genannt wurde,
fast immer unernst, artistische, epikureische oder unfreie, gebundene Ableitungen waren." 1954 kann Jaspers
feststellen: "Heute ist ihre Zusammengehörigkeit so selbstverständlich geworden, daß der Name des einen an
den des anderen denken läßt" (Vorwort zur 4. Aufl., ebd., X).
13
Ausgangspunkt, 488.
14
Ausgangspunkt, 488. - Guardini weist auch bei Nietzsche auf die Anlage zur Schwermut hin, in der er
überhaupt eine Gefahr der platonisch gesinnten Menschen erkennen will (vgl. Semer, 260f).
15
Vgl. Ausgangspunkt, 499f; Sokrates (1926), 396f.; 402f.; 424. - Der zuletzt genannte Schildgenossen-
Aufsatz wurde erst später zu einer Monographie gleichen Titels ausgebaut (1943), aber in Aufbau und Inhalt
nicht mehr grundlegend verändert. Kunisch bezeichnet es als "Guardinis wissenschaftlichstes Werk, nicht in
dem Sinne historischer Deutung - das geschichtliche Verhältnis Piatons zu Sokrates bleibt ganz aus dem Spiel
- sondern in der minutiösen Untersuchung der Phänomene und der subtilen Interpretation der inneren Vor-
gänge beim Tod des Sokrates" (Interpretatio Christiana, 104). Hinzu kamen die Vorlesungen: Das Religiöse
bei Plato (WS 1926/27; 223); Der Tod des Sokrates. Interpretation von Piatons Eutyphron, Apologie, Kriton
und Phaidon (WS 1937/38; 494); Das Problem des Todes. Die platonische und die christliche Antwort (WS
1938/39; 519).
Ausgangspunkt und Methode 265

"Der Tod des Sokrates ist eines der - nicht zahlreichen - Grundmotive unserer
geschichtlichen Existenz. Und es gehört wohl zu den geistigen Pflichten, dieses
Ereignis einmal an sich herangelassen zu haben. Sich bemüht zu haben, heraus-
zufühlen, was da vor sich gegangen ist, in einem Menschenleben, und zugleich
in einem bestimmten Augenblick sich wendender Zeiten."16

b. Das Interesse an einer "Begegnung"


Von seiner Sokrates-Interpretation sagt Guardini, daß es ihm dabei um eine wirkliche
"Begegnung" gegangen sei.17 "Begegnung" aber meine "das Zusammentreffen mit
einer geschichtlichen Gestalt, die unverwechselbar sie selber ist und doch Allgemein-
gültiges vertritt. An solchen Erscheinungen, die gerade durch ihre Einmaligkeit zum
Wesentlichen führen, ist die Geschichte nicht reich; Sokrates ist unter ihnen eine der
stärksten."18
Eine solche "Begegnung" suchte Guardini auch mit Blaise Pascal, der im Katholi-
zismus der zwanziger Jahre eben neu entdeckt wurde.19 Und wieder hob er den
existentiellen Charakter dieses Denkers hervor, beschäftigte sich mit der "inneren
Stunde" in Pascals Leben, von der das "Memorial" Zeugnis gebe,20 und wandte sich
dem Argument der "Wette" zu, durch das Pascal nach Guardini in die Reihe derer trat,
die die Erkenntnis Gottes auf eine existentielle Entscheidung zurückführten.21 Pascal
erinnerte zwar dadurch an Kierkegaard, zeichnete sich jedoch dazuhin durch
Merkmale aus, die Guardinis eigener Persönlichkeit noch stärker entgegenkamen. Es
handelte sich vor allem um die Verankerung im katholischen Glauben und die
"romanische Klarheit des Franzosen"22. Ferner:
"Was Kierkegaard die Reinheit und Kraft der Entscheidung nennt; die Leiden-
schaft des geistigen Einsatzes; die Existentialität des Denkens, in welchem die
Person nicht nur objektiv und unbeteiligt betrachtet, sondern in ihrem Denken
ihre eigene Existenz bestimmt - das tritt bei Pascal in um so größerer Gestalt

16
Sokrates (1926), 396.
17
Sokrates (1943), 17.
18
Sokrates (1943), 11.
19
Vgl. etwa M. Laros, Das Glaubensproblem bei Pascal, Düsseldorf 1918; K. Adam, Pascals Intuition und
der theologische Glaube [1921/22], in: ders., Glaube und Glaubenswissenschart im Katholizismus. Vorträge
und Aufsätze, Rottenburg a. N., 2. Aufl., 1923, 44-57; Guardini, Pascal, 21. Zu den Vorlesungen Guardinis s.
u. bei V,2,b,aa.
20 vgl. "Pascals innere Stunde" (1927); dieser Aufsatz wurde 1932 überarbeitet ("Die religiöse Entschei-
dung im Leben Pascals") und ging dann in die Pascal-Monographie (vgl. 20-48: "Das Memorial") ein.
21
Vgl. Logik und religiöse Erkenntnis (1929); dann eingegangen in das Pascal-Buch (vgl. 153-191: "Das
Argument der Wette. Ein geschichtlicher Zusammenhang"). - Herbert Vorgrimler kritisiert deutlich diese
Schwerpunktsetzung Guardinis. Er verweist auf die umfangreiche Pascalliteratur seit den dreißiger Jahren,
die danach tendiere, "aus Pascal einen 'Existentialisten' zu machen, eine Verzeichnung, die in das Pascalbild
der Deutschen vor allem durch Romano Guardinis Interpretation eingetragen wurde" (Kirchenfrömmigkeit
Pascals, 371 f.). Inwiefern Guardinis Buch tatsächlich so gewirkt hat, müßte freilich genauer untersucht wer-
den; er selbst wollte sicher keinen "Existentialisten" aus Pascal machen, wohl aber sein "christliches Bewußt-
sein" als Voraussetzung christlicher "Existenz" herausarbeiten.
22
Vgl. Pascals innere Stunde, 419.
266 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

und mit um so tieferer Glaubwürdigkeit hervor, als sich bei ihm alles nicht in
der Dunkelheit Kierkegaards, sondern in kristallener Helle und Eindeutigkeit
bewegt."23
Aber war einer lebendigen Persönlichkeit gegenüber ein interpretierendes Eindringen
überhaupt möglich?
Max Scheler hatte in seinem Ratschlag ausgerechnet auf Dostojewskij verwiesen,24
dessen Werk sich aus einer lebens- und existenzphilosophischen Perspektive heraus
jeder kritischen Überprüfung gerade zu entziehen schien. Am Ende seines Dosto-
jewskij-Buches nimmt Guardini denn auch zu dieser Problematik Stellung. Er wehrt
sich gegen den Vorwurf, "die hier geübte Deutung helle wohl auf, aber dadurch, daß
sie die ursprüngliche Wirklichkeit rationalisiere."25 Als einer, der selbst von der
Lebensphilosophie wertvolle Impulse empfangen hatte und die Kritik am neuzeitli-
chen "Rationalismus" im Grunde teilte, verstand er die geäußerte Befürchtung nur zu
gut. Jedem wahren "Schöpfer" gegenüber müsse solch ein Versuch problematisch
sein, erst recht bei Dostojewskij, in dem "das Fülle-Moment des Daseins, das Nicht-
definierte, aller Form Entgleitende, Fließende, Unvorhersehbar-Plötzliche"26 domi-
niere. Ebenso besorgniserregend sei aber auch das entgegengesetzte Extrem: "In unse-
ren Tagen verliert der Rationalismus überall an Ansehen; Irrationalität und Intuition
beherrschen immer offener die geistige Lage."27 Guardini hält dagegen:
"Jede Erkenntnis, die Wissenschaft sein oder doch sich an ihr legitimieren will,
ist rational; was aber ihren Charakter bestimmt, ist die lang vor allen Einzelbe-
mühungen des Denkens gefallene Entscheidung der Frage, ob das Wirkliche und
seine Erkenntnis im Rationalen aufgehen oder nicht. Erst die Anschauung, nur
die rationale Erkenntnis sei echte Erkenntnis, und nur jene Wirklichkeit, die
rational erfaßt werden könne, komme ernsthaft in Betracht - sie erst bedroht den
Bestand und die Würde des Lebens, wie es ja vor der Jahrhundertwende deut-
lich geworden ist."28
Guardini beansprucht somit für sich selbst einen Willen zur Rationalität, der alles
andere als "rationalistisch" ist; er berücksichtigt nämlich, daß es auch ein "alogisches
Element" im Dasein gibt.29 In einer solchen Ausgewogenheit, die die Ergebnisse der
erkenntnistheoretischen Überlegungen im Gegensatzbuch voraussetzt,30 konnte
Guardini trotz aller Bedenken versuchen, die Fülle der Gestalten in Dostojewskijs
Werk und ihre "entmutigende Vieldeutigkeit" zu interpretieren.31 Darin war er inzwi-

23
Pascals innere Stunde, 419.- Guardini fügt hinzu: "Ich hoffe über diese Parallele in absehbarer Zeit
Eingehenderes vorlegen zu können" (Anm. 1,419). Dies kann sich nur auf den Beitrag "Logik und religiöse
Erkenntnis" (s. o. Anm. 21) beziehen; ein ausführlicherer Vergleich zwischen Pascal und Kierkegaard ist
jedenfalls sonst nicht mehr veröffentlicht worden.
24
Vgl. Berichte, 45. - Zur Aktualität dieses Autors s. weiter unten im Text.
25
Dostojewskij, 311.
26
Dostojewskij, 315.
27
Dostojewskij, 311.
28
Dostojewskij, 312.
29
Vgl. Dostojewskij, 312f.
30
Vgl. Dostojewskij, Anm. 54, 312. - Siehe dazu oben II,2,b,bb (6).
31
Vgl. Dostojewskij, 316.
Ausgangspunkt und Methode 267

sehen auch durch Pasca/bestärkt worden, der von einem "esprit de finesse" gespro-
chen hatte.32 Im Anschluß daran bekräftigte Guardini, daß es ein Denken gibt,
"welches mit dem Schauen verschwistert ist; eine Tiefe, die in der Klarheit zur
Geltung kommt; eine Dichtigkeit der Konkretion, die sich im Gefüge der Logik
behauptet. Um es polemisch zu sagen: daß es einen Geist gibt, der nicht Wider-
sacher des Lebens, sondern selbst Leben, und zwar höchsten Ranges ist; fähig
eine 'logique de lafinesse'aufzubauen, welche die zarte Freiheit des lebendigen
Daseins nicht zerstört, und eine 'logique du coeur', welche dem Herzen, als dem
Organ für die Erfassung des Menschen und der in ihm aufleuchtenden Werte,
von seiner Wärme nichts nimmt."33
Auch die Interpretationen traten also in Guardinis Werk die "Erbschaft" der Gegen-
satzphilosophie an. Auch in ihnen ging es um das Blick auf das "Konkrete", genauer -
um den Blick auf die konkrete menschliche Existenz. "Anschauung" leuchtete nun auf
in der "Begegnung" mit einen Menschen und seinem Werk.34 Und auch hier wurde
keinem reinen Intuitionismus das Wort geredet, sondern vielmehr einem Verstehen,
das die Arbeit begrifflichen Erkennens in die Schau einer überbegrifflichen "Gestalt"
zu integrieren versuchte. Übrigens wurde von Guardini jede Form des Erkennens als
Begegnungsvorgang verstanden; denn damit Erkenntnis zustande komme, bedürfe es
immer auch einer "Selbsteinsetzung" des Erkennenden, die in aufsteigender Rangord-
nung der Gegenstände immer anspruchsvoller wurde:35
"Vor dem Menschen als Gegenstand erreicht es einen sehr hohen Grad ... Ich
muß in einem besonderen Sinne aktiv werden; muß das Leben da vor mir mitle-
ben; ich muß es in mich hineinlassen. Das bedeutet einen neuen Selbsteinsatz.
Ich gerate dabei unter die wirkende Kraft der Persönlichkeitsform des Anderen;
unter die Dynamik seines Charakters; unter die Macht seines Schicksals. Aber
das ist nötig, sonst verstehe ich ihn nicht."36
Für den Vollzug des Interpretierens folgt daraus die "existentielle" Beteiligung des
Interpreten. Aber auch das Wort des anderen muß möglichst unmittelbar sprechen,
wenn "Begegnung" möglich werden soll. Aus diesem Grund war Guardini auch gar
nicht daran interessiert, sich vorher möglichst umfassend mit der einschlägigen
Sekundärliteratur auseinanderzusetzen. Er machte sich kundig, wo der Text ohne
fachliche Hintergrundinformationen unverständlich blieb;37 Vor allem bei Pascal,
Dante und Rilke griff er auf solche Hilfsmittel gerne zurück, um die Texte historisch,
biographisch und psychologisch aufzuhellen.38 Aber diese Bezugnahmen hatten doch
eher sekundären Charakter und ergaben sich aus Fragen, die der Text selber stellte.
Für gewöhnlich suchte Guardini die unmittelbare Begegnung, ohne sich durch
32
Vgl. Dostojewskij, 313f; v. a. dann aber Pascal, 50-54.
33
Dostojewskij, 313f.
34
Vgl. Dostojewskij, 316; ferner Sokrates 1943, 17.
35
Vgl. Heilige Schrift (1928), bes. 29-32. - Zu dieser Erkenntnistheorie, die im Zusammenhang mit den
qualitativen Stufen der Wirklichkeit entwickelt wird siehe auch Kap. VII,2,a.
36
Heilige Schrift, 31f.
37
So griff Guardini für die Hölderlin-Interpretation auf das zweibändige Werk von Wilhelm Böhm
(Hölderlin, Halle 1928/1929), sowie auf Arbeiten von Norbert von Hellingrath und Ludwig von Pigenot
zurück (vgl. Hölderlin, 17).
38
Vgl. etwa Pascal, 23-36 und 192-248; Seinsordnung, 430-433; Rilke 1941, 7-23.
268 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

irgendwelche Vorgaben den Blick einengen zu lassen.39 Er war sich des damit
verbundenen Wagnisses bewußt; es konnte ja geschehen, daß er in seinen Interpreta-
tionen Dinge sagte, die längst gesagt, und Irrtümer vertrat, die längst widerlegt
waren.40 Aber der Vorteil, in unmittelbarem Kontakt mit den behandelten Werken
Perspektiven einer "Weltanschauung" zu gewinnen, wog offenbar für ihn schwerer als
der Nachteil, sich durch vorgegebene Interpretationsraster möglicherweise den Blick
auf das Gegenüber einengen zu lassen.41 In diesen Zusammenhang gehört auch der
Satz ("das erste Axiom alles echten Interpretierens"), daß, "bis zum Beweis des
Gegenteils, das Wort eines redlichen Menschen meint, was es sagt."42 In Bezug auf
Hölderlin etwa dürfe man nicht sofort sagen, daß sein Sprechen von "Göttern" nur
symbolisch gemeint sein könne; man müsse vielmehr zunächst von der Ernsthaftigkeit
der Aussage ausgehen. "Es kam darauf an, zu hören, was Hölderlin sagt; wirklich er,
und nur er, und er ganz."43
So bestätigt sich, was schon im Blick auf die Erörterungen zur "katholischen Welt-
anschauung" festzustellen war (vgl. Kapitel III,2,d): Der Versuch, Begriff und Intui-
tion in einem gemeinsamen Akt der "Anschauung" zusammenzubinden, läßt dem
intuitiven Moment letztlich doch ein überaus großes Gewicht. Begriffliche Analyse
wird nur dort zugelassen, wo ohne sie der unmittelbar-intuitive Zugang behindert
wäre; wo "Begegnung" auch so entstehen kann, darf sie auch unterbleiben. Allerdings
müssen wir in Erinnerung behalten, daß es Guardini von Anfang an um die Erkennt-
nis des "Lebendig-Konkreten", nicht um Abstraktion ging, ja daß er jetzt sogar aus-
drücklich darauf verzichten wollte, alles in ein umfassendes "System" zu bringen (vgl.
dazu das Zitat oben in Abschnitt a). Es ist sein Ziel, konkreten Persönlichkeiten zu
begegnen und zu ihnen, wie es in jeder echten Begegnung geschieht, existentiell
Stellung zu beziehen. Die Interpretation bleibt daher nicht beim jeweiligen Gegenüber
stehen und sucht diesen bis in seine letzten Abgründe hinein zu "begreifen", sondern
zielt von vornherein auf den Dialog, der von dem behandelten Text ausgeht, aber die
Person des Interpreten mit einbezieht. Für diese Absicht muß der intuitive Zugang in
der Tat ein großes Gewicht haben, jedoch nicht ohne ergänzende begriffliche Klärun-
gen und fachwissenschaftliche Analysen, die verhindern, daß der Dialog in Wirklich-
keit zu einem bloßen Selbstgespräch des Interpreten wird.
Die Frage ist, ob Guardini dieser Gefahr immer genügend Rechnung getragen hat.
Über jeden Zweifel erhaben allerdings ist seine herausragende Fähigkeit zum intuiti-
ven Verstehen, die auch von Fachwissenschaftlern immer wieder anerkannt wurde. So
bestätigt der Hölderlin-Interpret Friedrich Beißner, daß Guardini durch seine Unbe-
fangenheit manches zutage förderte, "was dem Blick des in Streitfragen der For-

• *" Vgl. dazu auch Kunisch, Guardini, 166-168. - Daß der Verzicht auf Fachliteratur auch ganz praktische
Gründe hatte, gesteht Guardini in seinen autobiographischen Aufzeichnungen ein (vgl. Berichte, 47). Übri-
gens legten auch Heideggers Hölderlin-Interpretationen keinen Wert auf fachwissenschaftliche Grundlegung,
sondern wollten unmittelbar in die Dichtung einführen; vgl. ders., Germanien; Erläuterungen u. a.
40
Friedrich Beißner wirft Guardini genau dies vor: "...daß zuweilen Schwierigkeiten hemmen, die von
andern längst überwunden sind, daß der Sinndeutung sogar Irrtümer unterlaufen, die sonst vermieden worden
wären..." (Neue Bücher, 3).
41
Vgl. etwa Dostojewskij, 14; Hölderlin, 17; Rilke 1953, 24.
42
Hölderlin, 14.
43
Hölderlin, 13.
Ausgangspunkt und Methode 269

schung Befangenen vielleicht verstellt ist."44 Auch Hans-Georg Gadamer konstatiert


eine hervorragende "Empfänglichkeit für das Dichterische",45 spricht von
"feinfühligen Auslegungen", die in vielen Einzelheiten hilfreich seien,46 und hält die
Gesamtdeutung von Rilkes Duineser Elegien für einen bedeutenden Fortschritt im
Vergleich zu der "theologischen Assimilation der frühen dreißiger und der wahllosen
philosophischen Assimilation der vierziger Jahre".47 Allerdings wurde von Kritikern
auch immer wieder auf die Einseitigkeiten hingewiesen, denen Guardini durch seinen
"unmittelbaren" Zugang erlegen ist.48 Grenze wie Stärke dieser Interpretationen
liegen in der existentiellen Betroffenheit, aus der sie hervorgegangen sind. Guardini
war kein "Existenzdenker", der, wie in tiefem Maße Kierkegaard, sich selbst themati-
sieren konnte.49 Aber er suchte sich vermutlich gerade deshalb "Existenzdenker" und
existenzerhellende Dichtungen heraus, um im Medium der Interpretation eben doch
sich selbst, wenn auch indirekt, zur Sprache zu bringen.

c. Das Suchen der "Kultur"


Im Rückblick auf seine "Begegnung" mit Dante sagt Guardini:
"Große Form zu erfassen, fällt aber schwer, weil sie eben groß ist. So kann die
Begegnung mit ihr nur Frucht einer langen Vorbereitung sein. Man muß lange
werben, ehe sie sich schenkt. Man muß wittern, welche Dichtung einem im tief-
sten zugewiesen ist: ob Homer oder Shakespeare, Vergil oder Goethe. Man muß
nach ihr hinfühlen, auch wenn sie noch so verschlossen dasteht. Aus dem
Zusammentreffen mit Menschen, aus den Geschehnissen des Lebens muß man
Hinweise auf das umworbene Werk gewinnen, bis es Zeit wird und seine Gestalt
sich erschließt."50
Es ist also nicht nur die spontane Nähe zu einem Text, die zur "Begegnung" führt.
Das intuitive Eindringen ("wittern", "hinfühlen") kann lange Zeit und viel Mühe in
Anspruch nehmen. Der Interpret macht in dieser Zeit nicht nur Erfahrungen mit
einem einzigen Text; dieser gewinnt vielmehr an Profil durch den Kontext, in dem er
steht und in den hinein er sein Wort spricht. Es handelt sich dabei einmal um die
Lebenserfahrungen des Interpreten, zu denen für Guardini immer auch die denkeri-
schen Fortschritte gehören, zum anderen aber um die kulturellen Veränderungen, an
denen er partizipiert.
Texte sind immer Ausdruck einer bestimmten Kultur, und zwar nicht nur aufgrund
der historischen Bedingungen ihrer Entstehung, sondern auch im Blick auf ihre

44
Beißner, Neue Bücher, 3.
45
Gadamer, Deutung des Daseins, 185.
46
Vgl. Gadamer, Deutung des Daseins, 181.
47
Gadamer, Deutung des Daseins, Anm., 178.
48
Dies gilt schon für die Auswahl der Autoren (vgl. Lützeler, Hölderlin, 376; Kunisch, Interpretatio
Christiana, 107-111; ders., Guardini, 164). Auf Fehldeutungen in der Mörike-Interpretation verweist Kunisch
(vgl. Guardini, 161), bezüglich der Dante-Interpretation Hanssler (vgl. Annäherung an Dante, 80 und 82).
49
Vgl. Biser, Interpretation, 24.
50
Vorbereitung auf Dante, 249.
270 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Rezeption in der Gegenwart. Die Autoren, mit denen Guardini sich beschäftigte,
waren immer auch Gegenstand öffentlicher Diskussionen und daher Spiegelbilder der
momentanen kulturellen Situation. Dies galt nicht nur für Nietzsche und Kierkegaard
(vgl. dazu schon in Kapitel I,2,b,aa), sondern auch für Pascal und Dante.51 Im Jahre
1921 war außerdem der 100. Geburtstag Dostojewskijs gefeiert worden; die Zeit-
schrift "Hochland" hatte den russischen Dichter damals der katholischen Öffentlich-
keit vorgestellt,52 so daß es nicht verwunderlich war, wenn Max Scheler, selbst ein
Hochland-Autor, im Gespräch mit Guardini gerade seinen Namen ins Spiel brachte
(vgl. Kapitel III,3,a). Auch Hölderlin wurde nach dem Ersten Weltkrieg neu entdeckt
und auf sehr unterschiedliche Weise interpretiert - bis hinein in die zweifelhafte
Rezeption im Dritten Reich, die ihn ebenso wie Nietzsche und andere Außenseiter
des 19. Jahrhunderts ereilte (siehe dazu unten Kapitel V,2,c,aa). Das Spätwerk Rilkes
dagegen - vor allem die "Duineser Elegien" und die "Sonette an Orpheus" - war im
Unterschied zu den früheren Erzählungen und Gedichten nur von einem engeren
Kreis begeistert aufgenommen worden, von diesem aber mit einer Haltung, die "über
bloß ästhetische Freude hinausging" und "zuweilen eine Art religiöser Unbedingtheit"
annahm - "ähnlich, wie sie dem Werk Stefan Georges und wieder dem Hölderlin der
späten Hymnen und Fragmente entgegengebracht wurde."53 Rilke wurde vor allem
philosophisch rezipiert, und zwar nicht nur im Umkreis der "Existenzphilosophie".54
Hans-Georg Gadamer, der in den dreißiger Jahren selbst einen ausführlichen Kom-
mentar zu Rilke plante, erinnert sich:
"In den Jahren der zunehmenden Verdüsterung nach 1933 gewann neben dem
späten Hölderlin der späte Rilke eine immer größere Bedeutung für die Vertei-
digung der inneren Freiheit. Das Gedrängte und Bedrängte seiner in freien
Maßen sich auftürmenden Invokationen fand überall bereiteste Aufnahme, und
langsam wuchs das Verständnis dieser hermetischen Dichtung, das zugleich dem
Gedanken der Philosophie diente."55
Die Hinweise zeigen, wie "aktuell" die von Guardini besprochenen Texte in seiner
Wirkungsepoche waren. Es war nicht einfach Sympathie, was Guardini zu Dichtern
wie Dostojewskij, Hölderlin und Rilke hinzog, sondern immer auch so etwas wie das
Gefühl einer Pflicht der eigenen Epoche gegenüber. Persönlich näher standen ihm die
"stillen Erzähler" des 19. Jahrhunderts - Eduard Mörike, Adalbert Stifter, Wilhelm
Raabe.56 Einmal äußerte er: "Ich habe in ihnen eine Heimat gefunden ... Hier ist noch

51
Dante war in Landsbergs Mittelalter-Buch (vgl. ebd., 50-65) neben Thomas von Aquin gestellt worden
(vgl. Kap. IV,l,a). 1929 erschien das für Guardinis Dante-Bild entscheidende Werk Erich Auerbachs ("Dante
als Dichter der irdischen Welt"); vgl. Guardini, Landschaft, 252f. Zum neuen Interesse für Pascal s. o. Anm.
19.
52
Vgl. H. Bahr, Der russische Christ, in: Hochland 18/11 (1921), 642-653; W. Gurian, Dostojewski, ebd.,
692-702 (mit einer eingehenden Übersicht über die bis dahin erschienene Literatur).
53
Rilke 1953, 15.
54
Eine wichtige Studie über die unterschiedlichen philosophischen Rilke-Interpretationen hat E. Heftrich
vorgelegt (Die Philosophie und Rilke; zu Guardini ebd., 49-68).
55
Gadamer, Deutung des Daseins, Anm., 178.
56
Vgl. dazu Gömer, Guardini, 9; Berichte*, 22. Siehe dazu schon Kap. IV,l,b,aa. - Guardini las übrigens
auch Kriminalromane, was das Klischee des reinen "Ästheten" Guardini erheblich durcheinanderbringt; vgl.
Frühwald, Wirklichkeit, 52.
Ausgangspunkt und Methode 271

eine alte Welt, die heute nicht mehr ist."57 Von dieser persönlichen Vorliebe unter-
schied er streng die Aufgabe der Interpretationen; diese fügten sich ein in den
Versuch, die neue Generation vor einer billigen Flucht in die Idylle zu bewahren und
sie vielmehr für ein bewußtes Engagement in der Gegenwart zu rüsten (vgl. Kapitel
IV,l,c). Die Entscheidung für Texte, die gerade "aktuell" waren, entsprang darum
nicht dem Bemühen, einer kurzlebigen Mode nachzulaufen, sondern der Bereitschaft,
sich den tiefsten Fragen und Spannungen der eigenen Kultur zu stellen, aus denen
sich die "Aktualität" bestimmter Werke überhaupt erst ergab. So dienten Guardinis
Interpretationen nicht einfach der persönlichen Erbauung, sondern waren als Beitrag
zum Dialog innerhalb der Kultur zu verstehen. "Katholische" Weltanschauung
beleuchtete das Suchen nach einer ebensolchen aus der Mitte der Kultur heraus.

d. Die Wahrheit der "Weitanschauung"


Nicht alle gerade "aktuellen" Texte hielt Guardini für geeignet, um als Medium
"kultureller Weltanschauung" ernst genommen zu werden. Goethes "Faust" etwa
gelangte seiner Überzeugung gemäß überhaupt nicht in jene Sphäre, "in welcher echte
Existenz zum Austrag kommt";58 sie blieb im "Magischen" stecken und kam "aus
einer letzten Zweideutigkeit" nicht heraus.59 Über allem stehe der Dichter, der nichts
endgültig ernst nehme, "dessen Ernst vielmehr darin besteht, alles Schwere in die
Leichtigkeit des überlegenen Spiels zu führen".60 Der mangelnde Wahrheitsernst, den
Guardini bei Goethe und, in ähnlicher Weise, auch bei Thomas Mann, registrierte,
verschloß ihm den interpretatorischen Zugang zu diesen Dichtungen.
Unabhängig davon, ob Guardinis Wertung gerechtfertigt ist,61 wird doch an ihr
deutlich, daß "Interpretation" bei ihm wesentlich von der Wahrheitsfrage geleitet war.
Bei Texten, die philosophischer oder religiöser Natur waren, konnte dies von vorn-
57
Zit. bei: Görner, Guardini, 9. - Die Interpretation von Raabes "Stopfkuchen" kann vor diesem
Hintergrund nur als isolierte Lesefrucht aus einer sonst verborgen gebliebenen Innenwelt betrachtet werden
(vgl. dazu v. a. Maier, Nachwort, 148; Frühwald, Wirklichkeit, 52-55). Gleichwohl gilt Guardini in der
Raabe-Forschung (anders als in der Hölderlin-, Dostojewskij- und Rilke-Forschung) bis heute als Anreger und
Entdecker (vgl. Frühwald, a.a.O., 54; E. Ribbat, Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte, in: KLL X,
9018f., hier 9018) - wohl deshalb, weil er gerade hier weniger als der philosophisch oder theologisch arbei-
tende Interpret, sondern mehr als der interessierte und einfühlsame Leser in Erscheinung trat. Ähnliches gilt
auch für die Interpretation von Möriie-Gedichten (vgl. Gegenwart und Geheimnis), obwohl Guardini ver-
suchte, in diesem Dichter mehr zu sehen als nur den biedermeierlichen Idylliker, als den man ihn bisher oft
betrachtet hatte. Kritisch zu dieser Mörike-Interpretation: Kunisch, Mörike.
58
Goethes Faust* (wohl 1946), 4.
59
Vgl. Goethes Faust*, 7.
60
Interpretation des Faust* (wohl 1946), 7.- Vgl. ebenso: Wahrheit des Denkens, 132 (11. 1. 64): "Der
ganze Faust ist die Preisgabe der ethisch-personalen Existenz an die mythisch-magischen Mächte - auch die
letzte 'erlösende' Tat geschieht nicht durch Arbeit und Opfer, sondern durch Magie. So fehlt in allem der
eigentliche Ernst."
61
Kritisch dazu: Kunisch, Intepretatio Christiana, Anm. 10, 109; ders., Theatrum Mundi. Anfang und
Schluß von Goethes Faust, in: F. Link/G. Niggl (Hg.), Theatrum Mundi. Götter, Gast und Spielleiter im
Drama von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 1981, 199-229. Kunisch übt überhaupt Kritik an Guardinis
anderen Goethe-Auslegungen (vgl. bes. Abschied); vgl. Interpretatio Christiana, 107-111. Zur Mann-Interpre-
tation vgl. ebd., 111.
272 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

herein angenommen werden. Werke der Dichtung aber, auf die sich Guardini zuneh-
mend konzentrierte, erfüllten nicht immer diese Voraussetzungen. Es mußte sich
schon um Texte handeln, die mehr waren als "bloße" Dichtung dadurch, daß sie die
Wahrheit zum Ausdruck brachten oder zumindest als Zeugnisse einer ernsten Suche
nach der Wahrheit verstanden werden konnten. Die "Begegnung", die im Interpretie-
ren entstand, blieb ja nicht beim jeweiligen Gegenüber stehen, sondern führte, wie
wir oben festgestellt haben, in einen Dialog zwischen Interpreten und Text, der sich
außerdem zu einem Dialog innerhalb der gegenwärtigen Kultur erweiterte. Entschei-
dendes Thema in diesem Dialog war weder die präzise Analyse eines Textes noch der
ästhetische Genuß ihrer äußeren Form, sondern die Wahrheit.
Nun hatte Guardini durchaus auch Freude an der Schönheit von Sprache und Form
einer Dichtung.62 Aus diesem Grund nahm er etwa auch in der Dante-Interpretation
selbst die Mühe des Übersetzens in Kauf.63 Es ging ihm darum, etwa "das Hölderlin-
sche Wort so reich und voll sprechen zu lassen, als es nur immer anging."64 Guardini
war sich auch bewußt, daß ein Dichter nur dann wirklich im Originalton gehört
werden konnte, wenn eine gute Textkritik vorausgegangen war.65 Dennoch begann
seine eigene Arbeit erst dort, wo die Vorarbeiten geleistet waren und der Text schon
gegeben war. Jetzt konnte gefragt werden: "Was hat der Dichter gemeint, als er das
und das sagte?"66 Ja, es konnte auch die weitergehende Frage gestellt werden: "... ist
das, was Du sagst, wahr?"67
Diese Eigenart der Interpretation von Dichtung ist immer wieder auf Kritik ge-
stoßen. Zwar geht auch die Literaturwissenschaft über die rein immanente Textinter-
pretation bereits hinaus, wenn sie es als biographisches, geistesgeschichtliches oder
soziologisches Dokument versteht.68 Aber die "Wahrheit" bleibt hier doch die spezi-
fische "Wahrheit" eines ganz bestimmten Textes und wird nicht an einem Maßstab
gemessen, der sozusagen "über" diesem Text steht. Als Guardini mit der Interpretati-
on von Dichtungen begann, wandten sich auch eine ganze Reihe von Philosophen
derselben Aufgabe zu.69 Sie gingen von der Überzeugung aus: "Das Kunstwerk ist
nicht die Summe dessen, was sein Urheber weiß, empfindet, was seine Bildung, sein
geistiges Bewußtsein oder seine Frömmigkeit ausmacht. Jedes Kunstwerk übersteigt

62
Vgl. etwa die Bemerkung zu seiner Rilke-Interpretation: "Mancherlei Motive haben mich trotz
drängender Arbeiten anderer Art dabei festgehalten: die Freude an der Schönheit dieser Dichtungen; die Lust
an der Interpretation als solcher, für welche die Elegien eine besonders reizvolle Aufgabe bilden, und andere
noch" (Rilke 1953,421).
63
Wie genau er dies nahm, zeigen seine Erläuterungen in: Engel, lOf.
64
Hölderlin, 17.
65
Vgl. Interpretieren, 233. - Guardini machte sich allerdings selbst wenig Mühe, sich in die Textkritik
einzuarbeiten (vgl. das oben über den weitgehenden Verzicht auf Sekundärliteratur Gesagte). Dies barg natür-
lich die Gefahr von Ungenauigkeiten in sich. Der Hölderlin-Kenner Friedrich Beißner jedenfalls meinte, der
Text, den Guardini seiner Interpretation zugrunde lege, genüge literaturwissenschaftlichen Ansprüchen nicht
(Neue Bücher, 3).
66
Interpretieren, 234.
67
Rilke 1953,421. Vgl. auch Interpretieren, 238f.; Kunisch, Guardini, 157.
68
Vgl. Kunisch, Guardini, 155-157.
69
Kunisch verweist auf Otto F. Bollnow, Franz Joseph Brecht, Hans-G. Gadamer, Helmut Kuhn und
Martin Heidegger (vgl. Guardini, 160). Einen interessanten Einblick in die Vielfalt philosophischer Interpre-
tationen bietet, in Bezug auf Rilke, Eckhard Heftrich (vgl. Die Philosophie und Rilke).
Ausgangspunkt und Methode 273

seinen Hervorbringer." Deswegen gehöre es auch zu einer sachgerechten Interpreta-


tion, auf das zu verweisen und sichtbar zu machen, "was jenseits des rationalen und
historischen Verstehens im Geheimnis des Lebendigen besteht."70 Hans-Georg
Gadamer betonte in seiner Hermeneutik,
"daß etwa ein antikes Götterbild, das nicht als Kunstwerk für einen ästhetischen
Reflexionsgenuß im Tempel seine Aufstellung fand und heute in einem moder-
nen Museum seine Aufstellung hat, die Welt der religiösen Erfahrung, der es
entstammt, so wie es heute vor uns steht, enthält, und das hat die bedeutende
Folge, daß diese seine Welt auch noch zu unserer Welt gehört. Es ist das herme-
neutische Universum, das beide umfaßt."71
Die Erfahrung des Kunstwerks übersteige jeden subjektiven "Horizont" der Ausle-
gung, den des Künstlers wie den des Aufnehmenden. Verstehen sei niemals ein sub-
jektives Verhalten zu einem gegebenen "Gegenstande", sondern gehöre zur
Wirkungsgeschichte dieses Gegenstandes, d. h. zum Sein dessen, was verstanden
wird.72 Für Gadamer, der an die hermeneutischen Überlegungen Diltheys und
Heideggers anknüpfte, war das Verstehen eines Kunstwerks sogar nur ein besonders
hervorstechendes Beispiel für das Verstehen überhaupt, und zwar nicht nur im
Bereich der Wissenschaft, sondern im Ganzen der menschlichen Welterfahrung und
Lebenspraxis.73 Dennoch bestritt gerade die "hermeneutische" Philosophie die
Existenz einer absoluten Wahrheit und somit das Recht eines Interpreten, die Aussage
einer Dichtung an einem solchen Maßstab zu messen. Gadamer frage im Blick auf
Guardinis Rilke-Interpretation: "Was ist Kritik an einem Dichter, die nicht das dich-
terische Gelingen, sondern seine Wahrheit meint?"74 Er sprach von einer "seltsamen
Überspannung des Wahrheitsinteresses bei Guardini"75 und belegte an einer ganzen
Reihe von Beispielen, wie dieser gerade nicht die Wahrheit Rilkes finde, sondern
lediglich, bedingt durch seinen eigenen Standpunkt, "aus der vielschichtigen Gleich-
nisrede des Dichters ein einheitliches System der Daseinsdeutung und 'Religion'"
konstruiere.76 So vermisse Guardini etwa an Rilke das "Kernhafte" der Person und
sehe gerade in dieser Entselbstung das fragwürdig Gegenwärtige, das Rilke mit der
Moderne verbinde. Diese Interpretation sei zwar vielleicht aufs Ganze gesehen rich-
tig. "Aber ist das, was die Dichtungen sagen, deshalb nicht wahr? Hat es nicht für
jeden Menschen Wahrheit, wenn das dichterische Ich sich hier als den Lernenden und
Unbelehrbaren sieht, dem die Selbstlosigkeit des wahren Fühlens und damit das
wahre Lieben nicht gelingt?"77 Gadamer wollte nicht akzeptieren, daß jemand, der
Rilkes Dichtung nicht unmittelbar als "religiöse Botschaft" zu nehmen vermochte,
sofort einer "ästhetischen Spielerei" und dem "Relativismus der ausgehenden Neu-

Kunisch, Guardini, 157.


Gadamer, Wahrheit und Methode, XIX.
Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, XIX.
Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, XVII.
Gadamer, Deutung des Daseins, 179.
Gadamer, Deutung des Daseins, 179.
Vgl. Gadamer, Deutung des Daseins, 179.
Gadamer, Deutung des Daseins, 181.
274 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

zeit" zugerechnet wurde.78 Auch ihm ging es nicht nur um das "bloß Literarische",
sondern um die Wahrheit des Gesagten; aber legitime philosophische Dichtungskritik
frage in erster Linie nach der Grenze der Wahrheit, und zwar im Hinblick auf den
Interpreten selbst:
"Die Frage nach der Grenze von Rilkes Wahrheit versteht sich aber nur richtig,
wenn sie die Grenze meint, die Rilkes Wahrheit in uns zukommt. Alle Dichter-
kritik, die die Betroffenheit durch das Dichterwort voraussetzt, ist und bleibt
Selbstkritik des Interpreten."79
Schon in der Tübinger Rilke-Vorlesung mußte sich Guardini einer ähnlichen Kritik
stellen. In seiner Antwort darauf griff er die "heute weithin geübte relativistische
Methode der Kunstbetrachtung" scharf an, die einen Dichter nur aus sich selbst oder
aus seiner Zeit heraus betrachten möchte. Ein solches Vorgehen nehme den Autor im
Grunde gar nicht ernst. Das "Dichtwerk" gehe nämlich im "bloß Literarischen" nicht
auf. Es sei gleichzeitig immer auch "Äußerung eines Menschen, und ein Mensch steht
unter der Norm der Wahrheit, wesentlich, ob er will oder nicht."80 Später stellte
Guardini dann differenzierend fest, das "Absehen von der Wahrheitsfrage" möge bei
einer reinen "Ausdrucksdichtung" legitim sein, nicht aber, "wenn es dem Dichter
darum geht, die Welt aufzufassen, und vollends nicht, wenn er ausdrückliche
Botschaft verkündet."81 Dies gelte aber gerade für Rilke.
"Wenn ein Mensch - und der Dichter ist ja doch, auch als Dichter, Mensch -
sagt: so ist es, dann macht er damit eine Aussage und hat ein Recht darauf, daß
sie als solche ernst genommen werde. Mehr: Er hat die Pflicht, sich mit seiner
Aussage vor der Wahrheit auszuweisen, und der Leser darf ihn daraufhin
prüfen."82
Gerade Rilke verlange vom Leser "Unterwerfung", mit anderen Worten "Glauben"; er
verstehe sich als "Prophet", und sein Anspruch sei so ungeheuer, daß der Leser das
Recht habe, ihn nach seiner Legitimation zu befragen.83 Dabei gehe es nicht nur um
eine "ästhetische" Prüfung oder um die Frage nach der persönlichen Glaubwürdigkeit
des Autors, wie es der "Relativismus der ausgehenden Neuzeit" einzig zulasse; es
gehe darum, ob die Aussagen des Dichters "in sich selbst richtig seien; ob das, was
der Dichter "so eindrucksvoll über Leben und Tod, über die Person, über das
Verhältnis von Mensch zu Mensch sagt, auch wirklich zutreffe."84 Nicht nur Rilke,
sondern auch Hölderlin und Dante gehörten für Guardini zu den visionären Dichtern,
deren Werke von reiner "Ausdrucksdichtung" zu unterscheiden sei.85 Hölderlin wurde
ausdrücklich in eine Reihe mit Dante, Aschylos und Pindar gestellt.86 Wo ein solcher
Wahrheitsanspruch erhoben werde wie bei diesen Dichtern, könne und dürfe auch die

78
Gadamer, Deutung des Daseins, 179; vgl. Guardini, Rilke 1953, 20f.
79
Gadamer, Deutung des Daseins, 186.
80
Nachtrag zu einer Kollegstunde, 347.
81
Rilke 1953,22.
82
Rilke 1953,22.
83
Vgl. Rilke 1953, 20.
84
Rilke 1953, 21.
85
Vgl. Rilke 1953, 22.
86
Vgl. Hölderlin, 12.
Ausgangspunkt und Methode 275

Interpretation die Wahrheitsfrage nicht ausklammern. Bei Guardini geschieht dies


allerdings nicht mit den Mitteln des Philosophen; die Leistungskraft einer "neutralen"
Vernunft im Blick auf "Weltanschauung" und damit auch auf die "Wahrheit" der Welt
hat unser Autor, wie schon früher zu bemerken war, nicht sehr hoch eingeschätzt (vgl.
Kapitel 111,2). Er stellt sich vielmehr gleich auf den Standpunkt des Glaubenden, der
sich der Wahrheit Gottes verpflichtet weiß.

e. Der "Blick" des Glaubens


Guardini bescheinigte der Methode der Interpretation insgesamt eine besondere Affi-
nität zur Situation der Gegenwart: "Interpretation" bedeute ja, in erster Linie nicht aus
Eigenem zu schöpfen, sondern "in die Schule eines anderen Geistes zu gehen". "Nicht
ihn einzuordnen, sondern zu lernen; nicht ihn zu beurteilen, sondern sich für etwas
noch nicht Gewußtes offen zu machen; nicht ihn unter den Maßstab des eigenen
Wesens zu stellen, sondern bereit zu sein, über die eigenen Grenzen hinausgeführt zu
werden."87 Das 19. Jahrhundert habe das Gegenteil davon gemacht; gerade weil man
sich damals der Geltung wissenschaftlicher Vernunft und ihrer Methoden noch sicher
gewesen sei, habe man die Gedanken der Vergangenheit, besonders der Großen, oft
"mit einer Überheblichkeit behandelt, die in Erstaunen setzt".
"Wir Heutige haben diese Sicherheit nicht mehr. Das bedeutet viel Schweres,
aber auch einen großen Gewinn: wir stehen wieder im freien Raum. Es wird uns
leichter als unseren Eltern und Großeltern, zu schauen, zu lauschen und zu
lernen."88
"Wir haben in vieler Beziehung abgewirtschaftet und müssen von vorn anfan-
gen; zugleich warten ungeheure Aufgaben auf uns und wollen bewältigt sein -
so suchen wir die Schule der Großen, um in ihr zu lernen."89
Interpretation ist also demnach Ausdruck einer Krise, in der viele bisherigen Aussa-
gen und Lebenskonzepte ihre Selbstverständlichkeit verloren haben und in der man
zunächst einmal ganz tastende Versuche machen muß, um neuen Stand zu fassen.
Eine ähnliche Unsicherheit konstatiert Hans Urs von Balthasar auch für die Theologie
der damaligen Zeit, die auf der Suche nach neuen Wegen sich häufig außerhalb der
theologischen Tradition und eben auch bei der Dichtung Rat geholt habe.
"Die Verehrung für Pascal, Kierkegaard, Dostojewski, ja für Baudelaire, Nietz-
sche und Rilke stieg so sehr, daß sie zu modernen Kirchenvätern zu werden
drohten, daß man begann, auch die große Tradition durch ihre Brillen zu
betrachten ... Ja, dieser ganze moderne Aufbruch zwischen 1920 und 1933 kann,
bei Licht besehen, geradezu als eine Flucht aus der Theologie betrachtet
werden: aus einer Schultheologie, die nicht mehr befriedigte, der man aber
nichts theologisch Ebenbürtiges an die Seite zu stellen sich zumaß. Es wurde

87
Rilke 1941,20.
88
Rilke 1941, 20.
89
Rilke 1941,21.
276 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Mode, sich in Vorworten dagegen zu verwahren, theologisch ernst genommen


zu werden."90
Die bisherige Darstellung Guardinis paßt in diese Zustandsbeschreibung recht gut,
und die katholische Theologie in Deutschland faßte in der Tat erst wiederrichtigFuß,
als Theologen wie von Balthasar und Karl Rahner "aus dem religiösen Journalismus
zur echten theologischen Arbeit" zurückzukehren" begannen.91 Gerade Balthasar hat
jedoch darauf hingewiesen, daß Guardini nicht bloßen "religiösen Journalismus"
betrieben, sondern im "Mitschauen" und "Lauschen"92 der "Reform aus dem
Ursprung" gedient hat.93
"Sicher ist, daß Guardini keine eiteln Architekturen am Rand der Geschichte
aufgestellt, sondern für ganze Generationen Unterkünfte gebaut, ja diese selbst
zu Bollwerken gegen die wachsende Wüste geformt hat und daß sein Haus auf
Fels steht, mag sein Stil uns behagen oder nicht. Wer seinen Geist wirklich
erkannt hat, wird, auch wenn er weiterzugehen sich anschickt, ihm tiefe Dank-
barkeit bewahren."94
Guardini hat freilich den theologischen Anspruch seiner Interpretationen eher herun-
tergespielt und, wie wir gesehen haben, sich darauf beschränkt, "katholische Weltan-
schauungslehre" zu versuchen. Theologie könne nämlich zwar sagen, was, vom Glau-
ben her gesehen, "Welt" im allgemeinen sei, "was die Beziehung zur Welt, die
Gefahr, die von ihr kommt, und der Widerstand gegen diese Gefahr; von den konkre-
ten Inhalten der Welterfahrung hingegen weiß sie von sich aus nichts." Sie könne
auch keine Aussagen darüber machen, was Dichtung sei; "deren Phänomen samt den
in ihm liegenden Problemen, den für es geltenden Werten und Maßstäben muß ihr
vielmehr von der Welterfahrung gegeben werden".
"Noch viel weniger könnte die Theologie aus Eigenem etwas darüber sagen, was
das Werk Hölderlins bedeutet, denn dieses kommt in den für sie zuständigen
Quellen überhaupt nicht vor. Es gelangt erst dann in ihren Blick, wenn der in
der Welt lebende Glaubende Hölderlins Dichtung kennengelernt hat. Dann kann
er sie der Theologie entgegentragen und fragen, was sie über das geheimnisvolle
Phänomen dieser Dichtung und ihres Urhebers zu sagen habe."95
So aber wird "Christliche Weltanschauungslehre" zur beständigen, sozusagen metho-
dischen Begegnung "zwischen dem Glauben und der Welt. Und nicht nur der Welt im
Allgemeinen, so, wie das auch die Theologie in verschiedenen Fragestellungen tut,

90
Balthasar, Karl Barth, 49f.
91
Vgl. Balthasar, Karl Barth, 50. - Zur verbreiteten Tendenz, den engen Grenzen der "Fachtheologie" zu
entfliehen, vgl. bereits Kap. I,3,b,dd.
92
Vgl. Balthasar, Guardini, 53.- "Mitschauen" überschreibt Balthasar den Überblick über die verschiede-
nen Interpretationen Guardinis (vgl. ebd., 53-89), die im Mittelpunkt seines Portraits stehen.
93
So der Untertitel von Balthasar, Guardini.
94
Balthasar, Guardini, 8.- Ähnlich auch Schoof, Durchbruch, 118: "Infolge seiner Position war Guardini
nicht an die traditionelle Schultheologie gebunden, und so war es ihm möglich, in seinen anscheinend nur
literarischen und volkstümlichen Schriften das sehr breite Fundament für den Durchbruch zu legen, der von
der Theologie so sehnsüchtig erwartet wurde."
95
Religion, 14.
Ausgangspunkt und Methode 277

sondern im Konkreten: der Kultur und ihren Erscheinungen, der Geschichte, des
Soziallebens und so fort."96
Guardinis Entscheidung, außerhalb des engen katholisch-kirchlichen Blickfelds
nach geeigneten Gesprächspartnern des Glaubens zu suchen, erforderte trotz seiner
wissenschaftlichen Außenseiterposition damals doch noch einigen Mut, da bei
solchen Versuchen schnell der Vorwurf mangelnder Orthodoxie erhoben werden
konnte.97 Immerhin sprach Guardini selbst davon, daß sich in solcher Interpretation
auch der Glaube verändern könne; denn es geschehe ja "Begegnung" - "des Gläubig-
seins, wie es in diesem bestimmten Menschen lebt, mit der Welt, wie sie jeweils auf
ihn zukommt".
"In dieser Begegnung soll der Glaube Rede und Antwort stehen; Kräfte der
Wahrheit aktuieren, die sonst geschlafen hätten - ebenso wie umgekehrt die
Welt sich im Raum des Glaubens den entscheidenden Fragen stellen und die
letzte Aufhellung erfahren soll."98
Die interpretierten Texte sind daher durchaus mehr als nur "Anlaß" und
"Hintergrund" für die Artikulierung eines schon von vornherein feststehenden Glau-
bens.99 Zwar steht der Glaube insofern für Guardini fest, als alles, was zur "Welt" des
Menschen gehört, im Licht der Offenbarung seine letzte Bestimmung erfahren soll;
aber wie sich dieser Glaube inhaltlich artikuliert, ist eben nicht immer dasselbe und
wird gerade in der Begegnung mit der "Welt" immer neu entschieden.
Wenn im folgenden nachzuzeichnen versucht wird, welche Einsichten Guardini in
seinen Interpretationen gewonnen hat, dann geht es also nicht in erster Linie um theo-
logische Aussagen. Es geht vielmehr um die Wahrnehmung jener Fragen, die der
Theologie von bestimmten Daseinsdeutungen aus gestellt werden. Wir brauchen uns
nicht lange bei interpretatorischen Spitzfindigkeiten aufzuhalten. Über Dostojewskij
und Hölderlin, über Rilke und Dante, aber auch über Augustinus und Pascal können
gewiß noch ganz andere Dinge gesagt werden als das, was Guardini in der Begegnung
mit ihnen ins Wort gefaßt hat. Daß ihm gerade diese Dinge aufgingen, war in der Tat
nicht nur vom Wort des jeweiligen Autors abhängig, sondern auch von seiner eigenen
Lebensgeschichte und von dem geschichtlichen Kontext, in dem die Interpretation
sich vollzog; der These Gadamers, daß jede Interpretation ebensoviel über den Inter-
preten wie über den Interpretierten aussagt, ist voll zuzustimmen (vgl. dazu oben
unter Abschnitt d). Gerade so bezeugt sich aber ein Glaube, der die "kulturelle"
Suche nach einer "Weltanschauung" ernst genug nahm, um sich mit ihr so intensiv zu
beschäftigen.

Europa, 20; Guardini fügt hier hinzu: "Besonders wichtig ist mir die Dichtung geworden."
Vgl. Biser, Interpretation, 49f.
Europa, 21.
Vgl. Mercker, Weltanschauung, 117.
278 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

2. Ergebnisse der Interpretation:


Konsequenzen für Glaube und Kultur in der Gegenwart

Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die wichtigsten, in Buchform erschiene-
nen Interpretationen Guardinis. Nicht behandelt wird das Sokratesbuch, die Arbeit
über Wilhelm Raabes "Stopfkuchen", sowie einige kleinere Beiträge.1
Maßgebend für die Auswahl war, inwiefern die jeweilige Interpretation sich jenem
Ziel zuordnet, das im weiteren Fortgai.g von Guardinis Denken immer wichtiger wird
- der Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen "Ort". Die Dostojewskij-Inter-
pretation muß an erster Stelle stehen, weil sich in ihr zum ersten Mal die interpretato-
rische Tätigkeit Guardinis in einer eigenen Monographie niedergeschlagen hat (a). Im
Anschluß daran werden die Arbeiten über Pascal, Augustinus und Dante vorgestellt;
gemeinsam ist ihnen - vor dem Hintergrund der religiösen Neuzeitkritik des russi-
schen Dichters - die Frage nach Modellen christlicher Existenz (b). Das Buch über
den neuzeitlichen und doch zutiefst religiösen Dichter Hölderlin bildet nach dem
Werk über Dostojewskij einen zweiten Schwerpunkt der folgenden Untersuchung (c),
die schließlich noch auf die thematisch verwandte, aber lange nicht mehr so breit an-
gelegte Auseinandersetzung mit Rilke eingeht (d).
Die inhaltliche Schwerpunktsetzung (religiöse Existenz, Neuzeitkritik) erfolgt nicht
willkürlich, sondern entspricht der Anlage der Interpretationen selbst: Es geht in ih-
nen stets um das Daseinsverständnis der Kultur am "Ende" der Neuzeit und um die
problematisch gewordene Stellung des Glaubens in dieser Situation. Die ausgewähl-
ten Texte, die durch ihre Aktualität auch ein Stück der Zeit Guardinis widerspiegeln,
sind Teil jenes Dialogs, den er selbst vom Standpunkt "katholischer Weltanschauung"
aus führte.

a. Dostojewskij und die neuzeitliche Emanzipation vom Glauben


Bald nach dem Hinweis Schelers begann Guardini mit der Lektüre von Dostojewskijs
Romanen.2 Im Januar 1930 schrieb er an Buytendijk, er dringe nun langsam tief in
dieses Werk ein.3 Im darauffolgenden Sommersemester folgte dann die erste Vorle-
sung zu Dostojewskij,4 die gleichzeitig bereits die letzte sein sollte, da 1932 das
Dostojewskij-Buch erschien und damit das Thema wohl umfassend genug behandelt

1
Vgl. Sokrates (1926; 1943); Stopfkuchen (1932); Sprache, Dichtung, Deutung (1962).
2
Erste Spuren: 1925 erscheint in den "Schildgenossen" der Beitrag "Religiöser Ausdruck", ein Vergleich
von Dostojewskijs "Idiot" mit Nikolai Lesskows Novelle "Der versiegelte Engel", von der ein Auszug abge-
druckt wurde. Der "Idiot" sei ein "furchtbares Buch". "Da begreift man, was 'Erlösung' bedeuten muß." Den-
noch sei das ganze Buch "von Gottes Nähe erfüllt" (420). 1927 erwähnt Guardini die Dostojewskij-Figur Ras-
kolnikoff und hebt sie positiv gegenüber Tolstois "Auferstehung" ab (vgl. Seligpreisungen, 167).
3
Brief vom 11.1. 1930 (vgl. Buytendijk, 85).
4
Vorlesungsankündigung SS 1930: "Die religiöse Existenz bei Dostojewskij" (vgl. Mercker, Bibliogra-
phie, Nr. 328).
Dostojewskij 279

schien.5 Guardini schätzte seine Interpretation selbst sehr hoch ein,6 und da die hier
gewonnenen Erkenntnisse auch für das weitere interpretatorische Werk bestimmend
blieben, lohnt sich durchaus eine gründlichere Betrachtung.
Es sind systematische Fragen, mit denen Guardini auf Dostojewskij zuging: Wel-
ches Bild vom Menschen Dostojewskij habe, wie die Person gebaut sei und wie die
Personen zueinander stünden, wie das Verhältnis der verschiedenen Lebens- und
Kulturgebiete zueinander sei, welche Grundwirklichkeiten des Daseinsgefüges be-
sonders hervorträten und welche Werte hier Geltung hätten.7 Von da aus stieß der
Interpret dann in das "eigentlich Religiöse" vor und versuchte eine "Phänomenologie
der religiösen Akte und Existenzformen". Es habe sich ergeben, "daß alle oben ange-
deuteten Momente, sobald es nur irgendwie in die Tiefe ging, von religiöser Valenz
gesättigt waren."8 Vor Guardini entfaltete sich so das "Bild eines christlichen Da-
seins", das allerdings, wie er an anderer Stelle vermerkte, nach der russischen Revo-
lution bereits der Vergangenheit angehörte.
"Es ist das ein christliches Dasein, das trotz langer Geschichte, differenzierter
Erlebniswelt und feinentwickelten Denkens in seinem Grundbestand ungebro-
chen geblieben ist."9
Jetzt aber solle auch hier das, "wozu die abendländischen Völker ein halbes Jahrtau-
send gebraucht haben und mehr", also die neuzeitliche Geistesentwicklung, "in einem
Sprung" nachgeholt werden. Der Blick auf Rußland, die Welt Dostojewskijs, läßt also
in komprimierter Form auch die westliche Kulturentwicklung Revue passieren.10 In
eine naturhafte Daseinsform und Religiosität (aa) bricht hier die neuzeitliche Kultur
ein (bb) und stellt in aller Schärfe die Frage nach der Zukunft des Glaubens (cc).

aa. Die Nähe zu "Natur" und "Volk"


Bereits in einem früheren Zusammenhang stellte Guardini fest, Dostojewskij habe ein
grundlegend anderes Verhältnis zur "Natur" als etwa Kierkegaard. Dieser sage:
"Willst Du zu Gott kommen, so geh fort von aller natürlichen Unmittelbarkeit;
von Berg und Meer und Baum und Tier, aus den Zusammenhängen des
menschlichen Lebens, aus Kunst und Menschenwelt. Zieh Dich zurück in die
Einsamkeit des 'du selbst mit Dir selbst'; in die Einsamkeit des losgelösten, wis-
senden, entscheidenden Geistes. Von dort aus führt der Weg zu Gott."

5
Vgl. Dostojewskij (1932); diese 1. Auflage trug den Titel "Der Mensch und der Glaube. Versuche über
die religiöse Existenz in Dostojewskijs großen Romanen". Ab der 2. Aufl. (1939) veränderte Guardini den Ti-
tel: "Religiöse Gestalten in Dostojewskijs Werk. Studien über den Glauben"; zit. nach GW 11). Vorausgegan-
gen war bereits ein Teilabdruck in den "Schildgenossen" unter dem Titel "Die religiöse Existenz in Dosto-
jewskijs großen Romanen" (1931).
6
1934 stellte Guardini das Werk ausdrücklich neben das Gegensatzbuch und bezeichnete es als sein zwei-
tes "eigentliches" Werk (vgl. Görner, Guardini, 12). - Aus der einschlägigen Sekundärliteratur ist dazu v. a.
zu nennen: Siewerth, Deutung des Großinquisitors (1932); Hesse, "Der Mensch und der Glaube" (1933);
Przywara, Pascal und Dostojewskij (1936); Balthasar, Guardini (1970), 82-87; Wechsler, Guardini, 144-148;
HUbner, Guardini und Dostojewskij (1976).
7
Vgl. Dostojewskij, lOf.
8
Dostojewskij, 11.
9
Untergehende christliche Werte, 97.
10
Vgl. dazu Untergehende christliche Werte, 97f.
280 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Bei Dostojewskij dagegen heiße es:


"Halte Dich an den Zusammenhang der Natur; umfasse die Dinge, denn sie sind
Gottes Geschöpfe; lerne von ihnen, die keine Sünde begangen haben; stehe ver-
bunden mit dem Volk und seiner schlichten Naturnähe. Das alles läutere zur
Liebe; so führt der Weg zu Gott."11
Ausgangspunkt ist also eine Daseinserfahrung, die ganz unter dem Aspekt der
"Nahrhaftigkeit" steht, in engster Berührung zu den Wirklichkeiten "Erde" und
"Volk" und zu den "Grundmächten des Daseins".12. Mit einer Interpretation des
"Volkes" bei Dostojewskij setzt daher Guardinis Arbeit auch ein:13
"Das Volk steht in Beziehung zu den Elementen des Daseins. Es ist mit der Erde
verwachsen. Es geht auf der Erde, arbeitet auf ihr und lebt durch sie. Es ist ein-
gewoben in den Zusammenhang der Natur, in den Gezeiten des Lichtes und des
Wachstums. Und es fühlt, vielleicht ohne Worte dafür zu haben, das All in sei-
ner Einheit."14
Sämtliche Gestalten der ersten vier Kapitel sind durch ihre Zugehörigkeit zu diesem
"Volk" ausgezeichnet, auch wenn sie sich in fortschreitendem Maße dieses Zusam-
menhangs bewußt werden und daher aus der reinen Unmittelbarkeit heraustreten.15
Dostojewskij ist nach Guardini ein "Romantiker", aber nicht in einem "oberflächlich-
idealistischen", sondern in einem durchaus "realistischen" Sinn.16 "Sein Volk ist ge-
sehen in allem Schmutz, in allem Laster, in Verkommenheit und Unwissenheit;
dumpf, gierig verfallen vor allem einer schauerlichen Trunksucht."17 Dennoch leben
diese Menschen aber in einer großen Nähe zu Gott, wobei es nicht zu einer pan-
theistischen Identifizierung kommt: "Jenes Gotteswirken in der Natur ist durch die
Erlösung bestimmt. Es ist ein Wirken auf neue Schöpfung hin. Wohl tritt Gott aus
Natur und Leben entgegen, aber bestimmt durch Christus; und durch Christus fordert
Er den Menschen auf, aus einfacher Naturverbundenheit in das Seinige zu kom-
men."18
In einigen Gestalten jedoch erscheine auch die Möglichkeit des "Heidentums", das
in der "bloß naturhaften Natur" stehenbleibe.19 Dabei werde nicht nur die "Natur",
sondern auch das "Volk" vergötzt:
"Hier ist nicht mehr jenes Volk, von dem oben die Rede war. Hier enthüllt sich
vielmehr die dämonische Möglichkeit, die in jener Volksverwobenheit lag. Und
die religiöse Macht, die hier 'Gott' genannt wird, ist nicht mehr Er, von dem
ebenfalls oben gesprochen wurde, der lebendige Gott, der Schöpfer und Herr;
Christus, der erlöst und zur Überwindung stärkt, sondern etwas, das zur Abso-

1
1 Kultur und Natur (urspr. 1931), 201.
12
Vgl. Dostojewskij, 12.
13
Vgl. Dostojewskij, 17-23.
14
Dostojewskij, 17.
15
Vgl. Dostojewskij, 12f.
16
Vgl. Dostojewskij, 23, sowie 211.
17
Dostojewskij, 23.
18
Dostojewskij, 20; vgl. auch ebd., 18-23, sowie 39.
19
Vgl. Dostojewskij, 20f. und 30-35.
Dostojewskij 281
lutsetzung des Volkes und - unter anderen Voraussetzungen - des Staates
führt."20
Eindeutig stellte Guardini mit solchen Äußerungen eine Beziehung zu den Strömun-
gen seiner Zeit her: "Ungeheuerliche Gedankengänge - und man meint, sie seien
heute gedacht ..."21 Die früheren Überlegungen über das "Volk" und das neue
"Heidentum" (vgl. dazu in Kapitel II,3,a,dd) konnten nun eingebracht und gleichzeitig
vom Religiösen her differenziert werden. Es wird aber auch verständlich, warum die
"Bayerisch-Israelitische Gemeindezeitung" noch im Jahre 1933 die Ausführungen
Guardinis über das "Volk" abdruckte - mit einem sicheren Gespür für die feine, aber
scharfe Grenzziehung zwischen echter Volkszugehörigkeit und gefährlicher
" Volksvergottung" ,22
Die Alternative Dostojewskijs zu diesem "Heidentum" liegt nach Guardini auf jener
Linie, die von den "frommen Frauen" zu Beginn der "Brüder Karamasoff über die
"stille Annahme" der beiden "Sonjen" und die "geistlichen Männer" bis hin zu Aljo-
scha Karamasow führt.23 Hier sei das Volk wirklich "Volk Gottes"; "überall stehen
die Türen ins Heilige offen. Überall läuft der Rand, auf dessen anderer Seite Gott
steht."24 Guardini sieht darin offenbar eine ähnliche Grundstruktur wie im Mittelalter,
wo alles in der Welt "Symbol Gottes" war, "Vergegenwärtigung ewiger Sinnwirklich-
keit in der Zeit". "Die Welt war von Gott geschaffen, von ihm umfangen und durch-
wirkt."25 Doch während das religiöse Weltgefühl des Abendlandes sich auf "Distanz"
aufgebaut habe und davon ausgegangen sei, Gott habe die Welt "fertig geschaffen,
geschaffen durchaus, freigegeben in das Alleinstehen des rundherum Vollendeten",26
scheine die Welt Dostojewskijs "immer in einer Werde-Bewegung zu sein, überall
flüssig"; Gott scheine in ihr "ein geheimnisvolles Geschehen zu wirken, das durch
den Menschen, der glaubend ihm verbunden ist, irgendwie aufgefaßt wird."27 Wäh-
rend so im abendländischen Daseinsverständnis die neuzeitliche Auffassung von der
"Autonomie" der "Kultur" habe entstehen können,28 könne diese Tendenz bei Dosto-
jewskij nur unter die Kategorien der "Empörung" und der "Gottlosigkeit"29 und als
gefährlicher Einfluß "westlichen" Denkens gefaßt werden30- eine Tatsache, der
Guardini aufgrund seiner eigenen kritischen Einstellung gegenüber dem neuzeitlichen
Autonomieverständnis nun gleich seine besondere Aufmerksamkeit schenkt.

20
Dostojewskij, 35.
21
Dostojewskij, 35.
22
Vgl. R. Guardini/J. Wassermann, Neue und alte Begriffsbildung. Der Begriff "Volk" [abgehandelt von
R. Guardini] und der Begriff "Gerechtigkeit" [abgehandelt von J. Wassermann], in: Bayerische Israelitische
Gemeindezeitung 9 (1933), 9, 129-131.
23
Dies ist, in Stichworten angedeutet, der Inhalt der ersten vier Kapitel.
24
Dostojewskij, 23.- Guardini spricht auch von einem "Konfinium zu Gott" (ebd.).
25
Dostojewskij, 212.
26
Dostojewskij, 19.
27
Dostojewskij, 19. - Dies veranschaulicht Guardini besonders in der Interpretation der "geistlichen Män-
ner" im 3. Kapitel (vgl. ebd., 67-99).
28
Vgl. Dostojewskij, 213.
29
Vgl. die Überschriften der Kapitel 5 und 6 bei Guardini, Dostojewskij.
30
Vgl. Dostojewskij, 17 (der "Westler"); 94 ("die Haltung, die 'im Westen' herrscht"); 97 (Miussow, der
"liberale Westler").
282 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

bb. Die Grundproblematik der Neuzeit


Während die ersten vier Kapitel der Dostojewskij-Monographie die christliche Exi-
stenz im Zusammenhang mit den "Grundmächten des Daseins" thematisieren, lenken
die nächsten beiden den Blick auf Gestalten, "in denen jene Grundsubstanz gefährdet
wird, verdünnt, verzerrt, zerrüttet, einzelne Momente daraus ins Extrem getrieben,
doktrinär übersteigert ..."31 Da ist zunächst Iwan Karamassow, der genau das Gegen-
teil der im "Volk" lebenden Gestalten verkörpert, die sich "nicht aus dem einfach ge-
gebenen Dasein" lösen, "nicht reflektiert, kritisch, künstlich" werden.32 Iwan habe
sich "auf seine individuelle Vernunft und seinen subjektiven Willen" gestellt,33 sich
also einer neuzeitlichen Haltung westlicher Prägung verschrieben. Die Loslösung von
Erde und Volk bedeute aber unter der Voraussetzung des östlichen Daseinsverständ-
nisses gleichzeitig die Loslösung von Gott. Zwar gelangt Iwan nach Guardini noch
nicht zu einer radikalen Verneinung, jedoch zu einer Empörung von großer existen-
tieller Intensität.34 Er leide unter den Spannungen des Daseins und projiziere sie in
Gott selbst hinein; das Gefühl eigenen Ungenügens werde zum "titanischen Sich-Auf-
recken gegen Gott" überkompensiert.35 Im Gespräch mit dem Teufel finde Iwan dann
seine eigene Identität:
"Da ist der Übermensch, der skeptisch-ruchlos das Böse als notwendigen Faktor
des Weltgeschehens nimmt und mit einem tragischen Zynismus die eigene Ver-
zweiflung in das Gefüge des Seins einsetzt, da so erst Seinsmöglichkeit
werde ..."36
Von hier aus will Guardini auch die Großinquisitorlegende interpretiert sehen, die im
allgemeinen als Kritik Dostojewskijs an der römisch-katholischen Kirche, als "Urlaut
der Christlichkeit gegen das antichristlichc Rom",37 verstanden werde. Guardini
nimmt sie dagegen vor allem als die Dichtung Iwans; dieser suche mit ihr seine eigene
Empörung zu legitimieren, indem er eine Christusgestalt konstruiere, die von jeder
Beziehung zur Welt losgelöst sei und daher notwendig die "Korrektur" eines
"Großinquisitors" herausfordere.38
"Der Großinquisitor ist Iwan selbst, sofern er die Welt ablehnt und sie Gott aus
der Hand nehmen will, da Er sie falsch gemacht habe, mit dem Anspruch, an-
ders und besser anzuordnen, als der Urheber ,.."39
Er ist zur Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses, wie das Volk sie vollzog, nicht
mehr fähig, und wehrt sich dagegen, auch die Spannungen des Daseins religiös zu
tragen, bis sie einst durch Gottes Liebe überwunden sein würden.40

31
Dostojewskij, 12.
32
Dostojewskij, 39; vgl. auch ebd., 17f.
33
Dostojewskij, 178.
34
Vgl. Dostojewskij, 178f.
35
Vgl. Dostojewskij, 154f.
36
Dostojewskij, 171f.
37
Dostojewskij, 173.
38
Vgl. Dostojewskij, 127-179. - Kritisch zu dieser Deutung: Siewerth, Deutung des Großinquisitors. Ver-
wandt dagegen ist die Deutung bei: Rehm, Jean-Paul - Dostojewskij. Vgl. auch HUbner, Guardini und Dosto-
jewskij, 57f.
39
Dostojewskij, 143.
40
Vgl. Dostojewskij, 154.
Dostojewskij 283

Kommt schon hier der "Übermensch" Nietzsches (und die Affekt- und
Gedankenwelt des frühen Kierkegaard) zum Vorschein,41 so findet Guardini in der
Gestalt des Kirillow einen "förmlichen Kommentar, eine gestaltmäßige Verdeutli-
chung der Philosophie, besser Heilsbotschaft des Zarathustra".42 Guardini schrieb das
Kapitel "Gottlosigkeit", das sich vor allem mit Gestalten aus dem Roman "Die Dämo-
nen" beschäftigte, offensichtlich erst nach den anderen nieder.43 Gleichzeitig hatte er
sich auch in das Werk Martin Heideggers eingearbeitet und war dabei auf einen inne-
ren Zusammenhang zwischen dem Daseinsgefühl der Gegenwart und der Philosophie
Nietzsches gestoßen44 - auf die "bloße, mit sich allein seiende Endlichkeit"45. Nietz-
sche und Heidegger repräsentierten für ihn eine neue Haltung gegenüber der Welt, die
sich vom "neuzeitlichen" Gefühl der Unendlichkeit grundlegend unterschied.46
Guardini fand sie in der Gestalt Kirillows wieder, und zu Nietzsche und Dostojewskij
trat schließlich noch Kierkegaard.41 In diesen drei "Romantikern" aus dem 19. Jahr-
hundert
"zieht die Existenzsituation des neuzeitlichen Menschen - des Menschen also
vom fünfzehnten Jahrhundert an - ihre letzten Folgerungen. Sie liquidieren die
Neuzeit; zugleich dringen in ihnen bereits Elemente der folgenden Periode her-
vor, welche ihren Namen noch nicht hat."48
"Liquidation" bedeutet hier offenbar sowohl Vollendung wie Überwindung: Die ge-
nannten Männer bringen eine Entwicklung zum Abschluß, die mit der Renaissance
angehoben hat und stehen gleichzeitig an der Schwelle zu einer neuen Epoche, die
man als "nach-neuzeitlich" bezeichnen kann, auch wenn Guardini diesen Terminus
hier nicht verwendet. Während das Mittelalter die Welt als "gestalthaft-endlich" ver-
standen habe, als "Symbol Gottes" und "Vergegenwärtigung ewiger Sinnwirklichkeit
in der Zeit",49 sei für den Beginn der Neuzeit die Vorstellung einer sich dehnenden
Welt bestimmend geworden:
41
Vgl. Dostojewskij, 179, sowie Anm. 17, 155.
42
Dostojewskij, 210.
43
Vgl. den Erstabdruck "Die religiöse Existenz in Dostojewskijs großen Romanen" in den
"Schildgenossen" (1931); hier fehlt dieses Kapitel noch, während alle anderen fast schon die endgültige Ge-
stalt haben.
44
Vgl. Brief an Buytendijk vom 11.1. 1930: "Ich lese über Montaigne und den Sinn der Skepsis ... und
komme allmählich tief in Dostojewski hinein. Auch an Heidegger fühle ich mich langsam heran" (vgl.
Buytendijk, 85). Dann Brief an Buytendijk vom 11. 3. 1931: "Ich möchte nun versuchen, mich in die Philoso-
phie Heideggers einzuarbeiten - der ja von anderer Seite, das heraufhebt, was auch bei Nietzsche das Ent-
scheidende ist: die bloße, mit sich allein seiende Endlichkeit. Ein schweres Problem; mit dem ganzen Kämp-
fen und Leiden und Sündigen des Abendlandes beladen. Aber hier wird sich die Kraft des Christlichen zu be-
währen haben ..." (vgl. ebd., 87; beide Zitate im deutschen Originaltext nach Buytendijk*). Irgendwann im
Zeitraum zwischen diesen beiden Briefen (1930) muß auch eine Begegnung mit Heidegger stattgefunden ha-
ben; vgl. Ott, Heidegger, 301.
45
Buytendijk, 87.
46
Entscheidend für diese Einsicht Guardinis war eine Reflexion über die "Entfernung des Andromeda-Ne-
bels" aus dem Jahre 1926: "Einst war die Welt eine geschlossene Größe, ein Kosmos. Man empfand und
dachte sie als etwas, was umgriffen werden kann ... Das neuzeitliche Weltbild besitzt aber jenen Charakter der
Umfaßbarkeit nicht mehr. Es ist mathematisch endlos ..." (ebd., 177f.).
47
Vgl. Dostojewskij, 210-216 ("Die Endlichkeit und das Nichts").
48
Dostojewskij, 211.
49
Guardini verweist hier auf Dante und die bei ihm hervortretende "geordnete" Welt; vgl. Dostojewskij,
21 lf. und Anm. 42, 212.
284 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Die Welt wird ende-los; zugleich aber werden die Dinge bloß endlich. Beides
hängt zusammen, und führt zur nämlichen Endwirkung."50
So entstand die "schlechte Unendlichkeit" des endelosen Immer-Weiter, verbunden
mit der "schlechten Absolutheit" des mathematisch-Notwendigen. "Darin findet das
entstehende Autonomiebewußtsein des Weltdaseins Basis und Schutzhülle zu-
gleich."51 Gleichzeitig entstehe aber auch ein "qualifiziertes Endlichkeitsempfinden",
das etwa in den Fragmenten Pascals zu spüren sei; der Mensch fühle erschreckend
seine umdrohte Endlichkeit und recke sich zur Gegenwehr: "Er faßt in seiner End-
lichkeit Stand."52 Daraus erst entsteht nach Guardini das eigentliche Autonomiebe-
wußtsein, sowohl im Sinne einer "kategorialen" Autonomie - das endliche Subjekt
wird nach dem Maßstab des göttlichen gedacht - als auch im Sinne einer
"inhaltlichen" Autonomie - ein Gebiet nach dem anderen konstituiert sich als wertau-
tonom -; gleichzeitig aber dringe das "Bewußtsein der bloßen Endlichkeit" durch,
zunächst erfahren als "Preisgegebenheit", "Zufälligkeit" und "Fragwürdigkeit", dann
jedoch als Ausgangspunkt einer neuen "Intensität und Kostbarkeit des Daseins" und
einer neuen "Verantwortung" als ethischer Basis.53
"Nun wird nicht mehr nur der lebendige Gott in ein bloßes 'Absolutes' überge-
führt und so zu einer Abstraktheit gemacht; nicht mehr nur das Endliche ihm
gegenüber zur Geltung gebracht; nicht mehr nur die Absolutheit vom Endlichen
in Anspruch genommen, was alles nur Vorstufen waren, sondern es wird erklärt
und vorher empfunden: Nur das Endliche ist."54
In diesem "titanischen Finitismus" liege die "Schwelle der kommenden Zeit". Er trete
nicht nur bei Nietzsche, sondern auch in Kierkegaards "absolutem Paradox" in Er-
scheinung, auch wenn letzterer diese Existentialerfahrung christlich überwinde; "frei-
lich ist's zuweilen, als treibe er Satan mit Beelzebub aus. Denn wodurch unterscheidet
sich, wenn wir die christliche Gewilltheit wegnehmen, sein Begriff des 'ganz ver-
schiedenen Gottes' inhaltlich noch von Nietzsches und Kirillows 'Nichts'? Könnte ein
anders gewilltes Denken nicht Kierkegaards Erbe übernehmen und daraus eine Philo-
sophie der verzweifelten Endlichkeit machen?"55 Dostojewskijs Kirillow liebt das
Leben und empfindet die religiöse Wirklichkeit als etwas, das ihm den Weg zum Le-
ben versperrt.56 "In diesem Manne weint das Kind nach der Mutter",57 sehnt sich
nach Heimat in Gott, sträubt sich jedoch gleichzeitig dagegen, "Gott gegenüber Kind
zu sein".58 Wie Iwan kann Kirillow nicht mehr im Naturzusammenhang aufgehen,
gleichzeitig aber auch noch kein neues Gottesverhältnis aufbauen. Die der "nackten
Endlichkeit" gegenübertretende "bloße Absolutheit" Gottes wird zu einem
"Gespenst", zum "Nichts", das nach Heideggers Worten "nichtet", das heißt

50
Dostojewskij, 212.
51
Dostojewskij, 213; vgl. ebd., 212f.
52
Dostojewskij, 213.
53
Vgl. Dostojewskij, 213f.
54
Dostojewskij, 214.
55
Dostojewskij, 214.
56
Vgl. Dostojewskij, 189.
57
Dostojewskij, 189.
58
Dostojewskij, 190.
Dostojewskij 285

"ängstende, grauenerregende Macht hat".59 Gott ist "der zum Eindruck eines Wesens
verdichtete Schmerzgehalt der Angst; die Hypostasierung des Daseinsschmerzes."60
In den "Dämonen" werden nach Guardini überhaupt die Gefährdungen des neuzeitli-
chen Daseinsverständnisses insgesamt dargestellt:
"Der Roman gestaltet die Dämonie des losgelösten Menschen, der entwurzelten
Zivilisation."61
"Eine unendliche Zerstörung geht vor sich. Alles wird verwüstet. Alles zer-
fällt."62
In die Interpretation Guardinis gehen hier jene Erfahrungen ein, die in den
"italienischen Briefen" ihren deutlichsten Ausdruck gefunden haben (vgl. dazu Kapi-
tel IV,l,b). Jetzt verdichten sie sich in den Romanfiguren Dostojewskijs, in deren
Mitte aber nicht Kirillow, sondern Stawrogin steht; die anderen Persönlichkeiten des
Romans erkennt Guardini als "Auseinanderlegungen dessen, was in Stawrogin zu-
sammengefaßt und einfach enthalten ist - oder aber sie stehen komplementär zu
ihm ..."63 In Werchowenski etwa trete dieser Einfluß in anarchistischen Tendenzen
zutage - "die Skepsis dem gesellschaftlichen Dasein gegenüber, der Trieb zum Um-
sturz, die Lust am gesellschaftlichen Experiment" -, in Kirillow dann als "romantisch-
prometheische Empörung".64 Auch Schattows Vergottung von Erde und Volk, von
der bereits die Rede war,65 die letzte Konsequenz des romantischen Panslawismus,66
werde auf eine Beeinflussung durch Stawrogin zurückgeführt. Guardini wird hier
wohl auch an die Ideologien seiner eigenen Zeit gedacht haben - die Bewegung des
Bolschewismus, die völkische Bewegung in Deutschland und ihr neues Heidentum,
sowie der radikale Atheismus.67 Aus dem Gesamtduktus seiner Interpretation ergibt
sich so eine überraschende Wertung: Alle diese ideologischen Radikalisierungen
kommen letztlich aus derselben Wurzel - der Erfahrung radikaler Endlichkeit und exi-
stentieller Ortlosigkeit im Gefolge der Neuzeit.
Stawrogin ist für Guardini die Verkörperung des Bösen an jener Haltung; bei ihm
ist die Endlichkeitsforderung nicht Reaktion auf ein von "außen" "nichtendes" Nichts,
sondern kommt aus dem Innen, vom "Herzen" her:
"Und auch dieses Nichts 'nichtet'. Von innen her steigt, wie Pascal sagt, die
Langeweile auf, der Überdruß, der Ekel, die Dürre, die Sinnlosigkeit, das Gift.
Nicht aus dem umgebenden, sondern aus dem innewohnenden Nichts dringt die
Angst hoch."68
59
Dostojewskij, 198.
60
Dostojewskij, 193.
61
Dostojewskij, 33. - Vgl. auch ebd., 183f.
62
Dostojewskij, 261.
63
Dostojewskij, 238.
64
Vgl. Dostojewskij, 238.
65
Vgl. Dostojewskij, 33-35.
66
Vgl. Dostojewskij, 240.
67
Vgl. die von Erich Görner mitgeteilte Äußerung Guardinis vom 10. 3. 1934, in der Faschismus, Natio-
nalsozialismus und Kommunismus als typische Ausdrucksformen der "heutigen Zeit" bezeichnet werden (vgl.
Görner, Guardini, 15).
68
Dostojewskij, 250. - Guardini verweist auf Kierkegaards "düsterstes" Buch "Der Begriff der Angst"; die
dort dargestellte Reihe der Angststufen, der Prozeß der vorschreitenden Verschließung, das Nichts und das
Dämonische kämen bei Stawrogin "mit paradigmatischer Schärfe" heraus (vgl. ebd., 260f.).
286 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Das Phänomen dieser "Leere" werde von der Neuzeit in einer besonderen Weise emp-
funden, auch wenn sie vielleicht ein Ausdruck absinkender Kultur überhaupt sei.69 Es
liegt an dieser "Leere", daß unterschiedlichste Ideologen in diesen Menschen Fuß
fassen können.
"Bei Stawrogin scheinen die verschiedenen Momente in einer Einheit zu liegen,
die selbst kein besonderes Angesicht hat. Sie erzeugt Angesichter in den ande-
ren. Während aber diese so in Bewegung kommen und Schicksal empfangen,
bleibt er selbst, in gebundener, dumpfer Trägheit, schlimmstes Gegenbild der
guten Einfachheit, welche aus ihrer schöpferischen Ruhe lebendige Bewegung,
aus ihrer Einheit Fülle von Gestalten und Werten entläßt."70
So erhebt sich unter dieser Negativfolie das positive Gegenbild, das Guardini in der
Gestalt des Fürsten Myschkin aus dem Roman "Der Idiot" gezeichnet sah; während
Stawrogin nämlich letztlich eine Personifikation des Teufels sei, handle es sich bei
Myschkin um ein "Christussymbol".71 Guardini wußte, daß er damit lediglich eine
"Hypothese" vorträgt, und erhob mit seiner gewagten Interpretation weder den An-
spruch, das Hauptziel von Dostojewskijs Gesamtwerk zu treffen,72 noch bei Dosto-
jewskij eine dem christlichen Glauben konforme Christusdarstellung auszumachen.73
Wenn die Interpretation des Fürsten Myschkin daher an den Schluß der Dostojewskij-
Monographie gestellt wurde, so sollte damit wohl nicht mehr, aber auch nicht weniger
zum Ausdruck kommen als die Gewißheit, daß auch in der "Leere" der nach-neuzeit-
lichen Entwicklung der christliche Glaube einen wichtigen Ort finden konnte.

cc. Konturen einer künftigen Glaubensgestalt


Guardini hat in den Persönlichkeiten der "Dämonen" Konflikte und Probleme er-
kannt, "die zum Grundgeschehen der Neuzeit gehören, ja das Feld bestimmen, auf
welchem die über die Neuzeit hinausführenden Entscheidungen fallen müssen ..."74
Er begegnete Gestalten, die die damaligen Umwälzungen in Rußland verständlich

69
Vgl. Dostojewskij, 250.
70
Dostojewskij, 239.
71
Vgl. Dostojewskij, 264-310. - Als Mißgriff und "Fehlschlag" bezeichnet Biser diese Interpretation
Myschkins (vgl. Interpretation, Anm. 93, 48f). In der Tat haben L. A. Zander und K. Onasch gezeigt, daß
Dostojewskij die Figur des "Idioten" später zu der des Aljoscha Karamassow weiterentwickelte (Zander,
Geheimnis, 120-169; Onasch, Dostojewskij-Biographie, 116f); jedoch bestätigt Zander durchaus Guardinis
Auffassung, daß es sich bei Myschkin um eine wirkliche, wenn auch noch entwicklungsfähige Personifizie-
rung Christi handelt (vgl. Zander, Geheimnis, 144).
72
Dieses leitende Interesse Dostojewskijs scheint in der Tat Zander deutlicher erkannt zu haben. Die
Frauengestalten der Romane Dostojewskijs harrten auf den "Retter", den "Bräutigam", der in unterschiedli-
cher Weise, etwa im Fürsten Myschkin, schließlich aber in Aljoscha verkörpert sei. Dieser aber sei nicht wie
jener "Bild", sondern "Idee", und fasse sein Leben als "Tat" auf. "Die Heldentat ist also das letzte Thema in
der Philosophie des Guten bei Dostojewskij" (Geheimnis, 161). Guardini, selbst eher ein "Schauender" als ein
Handelnder, war dagegen vor allem vom Christus-Bild beeindruckt.
73
In Wirklichkeit ist Myschkin eine Verkörperung der "Genfer Ideen", die Dostojewskij in den Schriften
Rousseaus vorgefunden und durchdacht hatte - "die von der Persönlichkeit des Heilandes abgelöste evangeli-
sche Lehre und ihr Ideal, also ohne Anerkennung Seiner Gottheit" (Zander, Geheimnis, 159). Da auch Tolstoj
zur Zeit der Abfassung des "Idioten" anstelle des Kreuzes ein Bildnis Rousseaus auf der Brust trug, fragt sich
Zander, ob Myschkin nicht ein symbolisches Abbild des Grafen Lew Nikolajewitsch (Tolstoj) sei (vgl. ebd.,
160).
74
Dostojewskij, 184.
Dostojewskij 287

machten, zugleich aber jene Neuzeit verkörpern, die im Westen bereits wieder zu En-
de ging. Wie war diese Entwicklung zu bewerten?
Guardini sucht zunächst moralische Kategorien fernzuhalten:
"Dieser Vorgang ist nicht einfachhin eins mit Schuld und Abfall. Was daran
Schuld und Abfall ist, mißversteht und mißbraucht eine an sich noch vor der
Entscheidung liegende, 'indifferente' geschichtliche Umlagerung der Seinssitua-
tion des Menschen. Schuld ist erst, daß das Urteil über diese neue Situation
falsch, ja verblendet wird; daß Selbstsucht, Überhebung, Herrschsucht und
Feigheit zugleich sich dieser geschichtlichen Umlagerungen, dieser Wert- und
Forderungs- Verschiebungen bedienen, um sich damit zu rechtfertigen."75
Auch bei Stawrogin sei bis zum letzten Atemzug die Möglichkeit der Umkehr offen.76
Weder die Herauslösung aus den Naturzusammenhängen noch das neuzeitliche End-
lichkeitsbewußtsein an sich seien schon "Empörung" oder "Gottlosigkeit", sondern
nur deren falsche Bewältigung. Das, was in den "Herausgelösten" sichtbar werde,
gehe zunächst einfach aus einer bestimmten "Struktur" des menschlichen Daseinsver-
ständnisses hervor,77 die als solche sowohl nichtchristlich wie christlich bewältigt
werden könne. In ihnen zeichne sich - wie bei Kierkegaard und Nietzsche je auf ihre
Weise - sowohl eine letzte Aufgipfelung, wie auch bereits eine Überwindung der
Neuzeit ab:
"Sie liquidieren die Neuzeit; zugleich dringen in ihnen bereits Elemente der fol-
genden Periode hervor, die ihren Namen noch nicht hat."78
Den möglichen Schritt über die Neuzeit hinaus tat aber Dostojewskij nach Guardini
gerade nicht. Er blieb ein rückwärtsgewandter "Romantiker", der sich religiös-christ-
liche Existenz lediglich im unmittelbaren Zusammenhang mit "Erde" und "Volk" vor-
stellen konnte:
"Ein Gläubigsein über diesen Zerfall hinaus; aus der Gnade und der reinen Kraft
der Person, nachdem alles organisch Bindende und Tragende aufgelöst ist - jene
Gläubigkeit also, welche der Neuzeit und dem, was nach ihr kommt, aufgegeben
ist, scheint Dostojewskij überhaupt nicht zu sehen."79
So stark gewichte Dostojewskij den Gedanken der Schöpfung, daß ein Gnadenwirken
unabhängig von den "Grundmächten des Daseins" gar nicht in den Blick komme. Vor
allem konstatiert Guardini einen Ausfall jenes Personverständnisses, von dem her der
Mensch seiner eigenen Ansicht nach einzig das Kommende bewältigen kann (vgl.
dazu Kapitel IV,l,c). Zwar bejahe auch Dostojewskij die Personalität des Menschen;
aber während die abendländische Persongestalt befähige, das eigene Leben "in einem
einzigen Punkt zu verfassen", und wiederum den "aktiv-ethischen und geschichtlichen
Charakter unseres Daseins" begründe, gleiche die Persongestalt der dostojews-
kij'schen Menschen einem geographischen Komplex, deren Einheit eher in einer

Dostojewskij, 216.
Vgl. Dostojewskij, 260.
Vgl. Dostojewskij, 259.
Dostojewskij, 211.
Dostojewskij, Anm. 30, 183.
288 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Koexistenz" bestehe - gebildet durch ein "bindendes Etwas", "eine Atmosphäre, eine
Schwingung, ein Fluidum".80
"Man sieht mit Erstaunen, wie breit, wie verwickelt, wie labil und wieder wie
elastisch diese personalen Gefüge sind, und gewinnt daraus die wichtigsten Auf-
schlüsse für das Verständnis der Romanzusammenhänge selbst; darüber hinaus
aber auch für die Probleme des Aufbaues und der Gefährdung der Person über-
haupt."81
Wenn aber "Kultur" von einer Personalität getragen wird, die vom unmittelbaren Na-
turzusammenhang unabhängig ist (vgl. dazu Kapitel IV,2), dann wird verständlich,
warum Guardini in Dostojewskijs Romanen auch jenen "Mittenbereich" vermißt, der
normalerweise zwischen den "Grundmächten des Daseins" (Natur) und den Wirklich-
keiten des Glaubens steht. Weil gerade "die eigentlich tragenden, festigenden, schüt-
zenden Bereiche des alltäglichen Daseins, von der Arbeit angefangen, auszufallen
scheinen", seien die Menschen in besonderer Weise "dem Schicksal und den religiö-
sen Mächten ausgesetzt".82 Guardini weist daraufhin, daß in Dostojewskijs Romanen
niemand arbeitet; dies sei nur ein Beispiel für den Ausfall jenes mittleren Bereiches,
"in dem nicht nur gewagt und gelitten, sondern dauerndes Menschendasein be-
gründet wird. Wo Ideen in Mächte eingesenkt, Impulse in Einrichtungen umge-
wandelt, Gesinnungen in Ordnung und Gesetz realisiert werden. Wo verant-
wortlich gehandelt, Konsequenz ausgetragen und der Wirklichkeit standgehalten
wird."83
Daher sind auch die Figuren des Großinquisitors und der Christusgestalt in Iwan
Karamasows Legende nicht miteinander zu vermitteln und stellen vor ein Entweder-
Oder; während Iwan sich auf die Seite des Großinquisitors stelle, finde sich Dosto-
jewskij auf der Seite der radikalen Christlichkeit, die in Christus selbst veikörpert ist.
Guardini aber meint:
"Hat diesem Christus gegenüber der Großinquisitor nicht im letzten recht? Ist
dieser Christus nicht wirklich ein - 'Ketzer'?"84
In diesem Christus nämlich sei das Christliche nur "absolute Selbstverantwortung und
zugleich schlechthinnige Außergewöhnlichkeit". "Diese Christlichkeit hat keine Be-
ziehung zu jenem Bereich, auf welchem doch die Füße des Menschen stehen, dem
Täglich-Durchschnittlichen."85 Sie hat auch keine Beziehung zum "Schöpfer-Vater"
und kann daher von Iwan gerade zur Entschuldigung für seine Empörung dagegen
genommen werden.
Auch die Antipathien Dostojewskijs gegen den Sozialismus, gegen die rationali-
stisch-idealistische Kultur des Westens, gegen die katholische Kirche und gegen die

80
Dostojewskij, 129.
81
Dostojewskij, 10; vgl. auch ebd., 190 und Anm. 41, 206.
82
Dostojewskij, 11. - Das "Religiöse" ist hier ganz an die Naturmächte gebunden und noch nicht spezi-
fisch-christlich verstanden; dies entspricht Guardinis Verständnis von religiöser Erfahrung (vgl. dazu unten
Abschn. c,cc, sowie in Kap. IV,3,c,bb).
83
Dostojewskij, 139; vgl. ebd., 138f.
84
Dostojewskij, 137.
85
Dostojewskij, 138.
Dostojewskij 289

Deutschen - gegen Mächte also, die jeweils auf ihre Weise dem "mittleren Bereich"
der Kultur ihr Recht zu verschaffen wissen -, werden von Guardini so nicht geteilt:
"Oder ist der Sozialismus wirklich nur jenes schmutzig-verkommene Wesen der
'Dämonen'? Sind westliche Ratio und Technik wirklich nur die teuflische
Geistlosigkeit, als die sie überall bei ihm auftauchen ...? Was die katholische
Kirche angeht, so dürfte selbst ein Feind in ihr nicht nur die gotteslästerliche
Fratze des Großinquisitors erblicken! Und der Deutsche endlich ist bei Dosto-
jewskij eine so unerfreuliche Figur, pedantisch, engstirnig, unbegabt, kalt, nied-
rig, lächerlich; diese Züge tauchen so oft, so unvermittelt, so raffiniert und
treffsicher auf, daß man die immer wieder durchschlagende, fast physische Ab-
neigung mit Händen greift.."86
Für Guardini führte daher von Dostojewskij aus kein Weg zur Bewältigung der ge-
genwärtigen Herausforderungen, wie sie in den "Briefen vom Comer See" vor Augen
geführt worden waren und denen sich auch ein gläubiger Christ nicht entziehen
durfte. Er konnte daher - anders als Dostojewskij - zwar verstehen, daß ein Iwan
Karamassow nicht mehr zu jener Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses fähig war,
wie das "Volk" sie noch vollzog; er bedauerte aber, daß dieser sich weigerte, "durch
Bereitschaft, Arbeit, Hingabe, Opfer das Seine zu tun, daß auf anderer Existenzebene
ein neues Gottesverhältnis erstehe."87 Guardini suchte auch zu begreifen, warum für
Kirillow die "religiöse Unmittelbarkeit" des "Volkes" zur Qual werden konnte; aber:
"Sie müßte christlich aufgearbeitet werden: die naturhafte Unmittelbarkeit ins
Christlich-Personale; die schrittbereite Unabhängigkeit des Endlichen in echte
christliche Mündigkeit; das falsche Verhältnis von Endlichem und Ewigem in
das Eigentlich-Christliche, wie es durch die Menschwerdung und das Geheimnis
der Gnade gewiesen ist."88
"Nackte Endlichkeit" könnte so zur "begnadeten Endlichkeit" werden89 und damit
ebenso christlich werden wie die "gestalthafte Endlichkeit" im Mittelalter.90
"Der Neuzeit, richtiger, dem, was nun auf die 'Neuzeit' folgt, scheint die Ent-
scheidung gestellt zu sein, das Endliche mündig und verantwortungsreif in die
Gottesbeziehung zu tragen - oder aber es loszureißen, für autark und autonom zu
erklären. Dann wird es nackt. Um es herum 'nichtet' das Nichts. Das Dasein fällt
und verfällt der Angst .."91
Und selbst wenn das "Nichts" nicht von "außen", sondern von "innen" komme wie bei
Stawrogin, sei eine christliche Bewältigung noch möglich, etwa in Richtung des para-
doxen Gottesverhältnisses bei Kierkegaard92 bzw. jener Glaubensstruktur, wie sie
Guardini für den an der Schwermut Leidenden (und damit auch für sich selbst) ge-
zeichnet hat93:

86
Dostojewskij, 136f.
87
Dostojewskij, 179.
88
Dostojewskij, 215.
89
Vgl. Dostojewskij, 195.
90
Vgl. Dostojewskij, 212.
91
Dostojewskij, 249f.
92
Vgl. Dostojewskij, Anm. 17, 155.
93
Vgl. Schwermut, 532f.
290 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Der 'Leere' ist aufgegeben, die Endlichkeit des Seins zu erleiden. ... Ihr ist auf-
erlegt, jede Illusion zu verlieren, das enthüllte Gesicht des Daseins zu sehen und
standzuhalten."
"Ihr ist auferlegt, keine Labung zu empfangen aus der Fülle des Herzens ... Der
andere Mensch ist ihr nicht unmittelbar gegeben; immer neu muß sie ihn aus der
Treue heraus aufsuchen. Gott ist ihr nicht unmittelbar gegeben. Nur Sachen und
leerer Raum sind um sie herum. So muß sie den bloßen Glauben vollbringen:
das verkündete Wort entgegennehmen und sich ihm in stets erneuter Treue ver-
binden ... Und die Verheißung ist da, daß es sich allmählich in der Leere ver-
dichtet: daß eine Wirklichkeit, eine Sinnhaftigkeit deutlich wird, jenseits alles
dessen, was Vitalität oder Psychologie oder wie immer heißt."94
Träger der "Leere" aber und eines Glaubens, der sie auszuhalten bereit ist, ist für
Guardini das "Herz" des Menschen; auch dies ist etwas, das bei Dostojewskij selbst
fehlt.95 Aber: "Das Herz ist es, das im Menschen sinnvoll den Geist an den Stoff, die
Person an den Trieb bindet. Nur das Herz vermag das, mit seiner Liebe. Fällt das
aus," - und hier ist der Punkt, an dem Stawrogin versagt96 - "dann sinkt alles ins
Niedrige und Zerstörende."97
Den Kontrast zu Stawrogin bildet nach Guardinis Dostojewskij-Buch aber die
"Christusgestalt" des Fürsten Myschkin. Was hier zutage trete, sei das "Ärgernis" im
neutestamentlichen Sinne, hervorgerufen durch die menschliche Konkretheit der
"Gotteswahrheit"; es ist
"nicht nur jene Empörung, die schon an sich im Menschen gegen die himmli-
sche Forderung lauert; auch nicht nur die Gereiztheit gegen dieses persönliche
Wesen da, das so Großes zu sein beansprucht - sondern da ist noch die schein-
bare Verdunkelung des Gotteslichtes durch die irdische Konkretion und die Ein-
engung des freien, unendlichen Gottessinnes in das Jetzt und Hier des Ge-
schichtlich-Wirklichen, und der Drang regt sich, den Gottessinn in seiner Frei-
heit und Absolutheit zu wahren."98
Anders als in der Großinquisitor-Legende sieht Guardini hier Christus nicht in reiner
Absolutheit gezeichnet, sondern in seiner irdischen Gestalt, die geradezu lächerlich
wirke; so entstehe das merkwürdige Phänomen des "Idioten",
"die Inkommensurabilitätserfahrung eines Menschen, der aus ewigem Ort in das
kleine Hier dieses Zimmers hineinhandelt; aus der erhabenen Gültigkeit des
Gotteswillens in die Zufälligkeit und Verworrenheit dieses Kreises; aus dem
reinen Sinn in das törichte Sich-Ernstnehmen dieser kleinen Leute - und dabei
sich selbst nicht begreift, sondern nur weiß, daß es so sein muß."99
94
Dostojewskij, 259f.
95
Bei der Aufzählung der Persönlichkeiten, für die eine "Philosophia" oder "Theologia cordis" wichtig
wurde (vgl. Pascal, 143f.), fehlt deshalb der Name Dostojewskijs. Guardini hat also dieses Desiderat regi-
striert, auch wenn er nicht ausdrücklich darauf verweist.
96
"Das Dasein dieses Menschen ist leer. Nicht weil er nichts besäße, oder weil sich in seinem Leben
nichts zutrüge; die Leere steht in seinem Lebensvollzuge selbst. In seinem Herzen gähnt sie" (Dostojewskij,
250).
97
Dostojewskij, 246; vgl. auch ebd., 236f.
98
Dostojewskij, 289.
99
Dostojewskij, 288; Hervorhebung von mir.
Dostojewskij 291

Das Bild Christi, mit dem die Dostojewskij-Interpretation schließt, zeigt aber weniger
die konkreten Züge der kommenden Glaubensgestalt. Es verweist vielmehr in erster
Linie auf die Quelle, aus der der Mensch der kommenden Zeit seine Kraft schöpfen
kann: "Hier wird Erlösung aus auswegloser Verfangenheit deutlich, und daß 'bei Gott
möglich ist, was unmöglich bei den Menschen'."100 Wieder mündet somit ein Werk
Guardinis in die Haltung des "Schauern" (vgl. die "Anschauung" der Gegensatzlehre
und die "Welt-Anschauung" der Berliner "Antrittsvorlesung"); geschaut wird ein
"Bild", das Erlösung verheißt - die Gestalt Christi, die in ihrer ärgerniserregenden
Konkretheit und "Inkommensurabilität" auch den Menschen der endenden Neuzeit in
die Entscheidung ruft - in das Wagnis des Glaubens.
Zwischen der "Gottlosigkeit" und dem Glauben hat sich das Daseinsgefühl am En-
de der Neuzeit neu zu entscheiden. Daß der Glaube dadurch eine andere Gestalt an-
nehmen muß wie früher - das wird in Dostojewskijs "Dämonen" - allerdings nur
durch eine negative Gegenfolie hindurch - sichtbar. Kirillow, Schattow und Stawro-
gin, aber auch Nietzsche und Kierkegaard stellen den Christen vor die entscheidende
Herausforderung, den gegenwärtigen epochalen Umbruch gläubig zu bewältigen.101
Positive Leitbilder dafür findet Guardini nicht mehr in den Werken Dostojewskijs;
diese entstammen einer kulturellen Situation, die unwiederbringlich dem Untergang
geweiht ist. Aber in der christlichen Tradition begegnet er Persönlichkeiten, die in
ihrer Grundstruktur weit über ihre eigene Epoche hinausweisen und für Gegenwart
und Zukunft neu bedeutsam werden können.

b. Modelle gläubiger Existenz


Religiöse, theologische oder philosophische Werke sind anders zu interpretieren als
Romane. Guardinis Schriften zu Pascal und Augustinus tragen daher einen anderen
Charakter als seine Dostojewskij-Interpretation. Auch unsere eigene Vorgehensweise
verändert sich. Nicht mehr der gesamte Inhalt der jeweiligen Monographien wird be-
handelt, sondern nur jene Ausführungen, aus denen sich Hinweise auf die Glaubenssi-
tuation der Neuzeit und der auf sie folgenden Epoche finden lassen. Die Dostojews-
kij-Interpretation hat diese Fragestellung bewußt gemacht. Von Pascal und Augusti-
nus, aber auch von der Dichtung Dantes her, wird sie nun noch einmal neu in Angriff
genommen.

• 0° Dostojewskij, 309.- Mit diesem Satz schließt der eigentliche Text der Monographie; auf das
anschließende Nachwort wurde bereits oben eingegangen (vgl. oben Abschn. l,b).
101
Vgl. im Brief an Buytendijk vom 11. 3. 1931 (s. o. Anm. 45): "Ich meine so: Es wird zu sehen sein,
was die bloße Endlichkeit bedeutet, und inwiefern wirklich die absoluten Positionen destruiert sind. Dieses
ganze wird als 'Existenz', das heißt als konkretes, mit dem Accent des persönlichen Heilsschicksals und der
persönlichen Entscheidungsnotwendigkeit des Denkenden belastetes Wirklichkeitsgewebe (nicht als bloße
Idee, oder Struktur, oder System) zu nehmen sein. Dann gilt es, zu sehen, was das ganz rein und ungebrochen
genommene Christentum, die christliche Wirklichkeit dazu zu sagen hat. Und da scheinen in einer sehr tief
liegenden und z(ur) Z(eit) verborgen laufenden Tradition des Abendlandes (der Philosophia und Theologia
cordis) und im Osten sehr bedeutsame Ansätze zu liegen, die voranführen können" (vgl. Buytendijk, 87f.; dt.
Originaltext nach Buytendijk'). Vgl. dazu auch Przywara, Pascal und Dostojewskij, 59f.
292 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Guardini weiß freilich sehr gut, daß er mit den Genannten eine sehr einseitige
Auswahl getroffen hat. Alle Autoren gehören nämlich alle in dieselbe Geistesströ-
mung, der "edelsten Tradition, die das christliche Abendland kennt".102 Diese
"Philosophia und Theologia cordis" sei bereits bei Piaton vorbereitet, breche dann bei
Paulus voll durch, werde durch Ignatius von Antiochien gelebt und schließlich von
Augustinus entfaltet. Mächtig erfahren werde sie dann durch Bernhard von Clairvaux,
Franziskus, Gertrud die Große, Elisabeth von Thüringen und Katharina von Siena.
"Bonaventura schafft ihr System; Dante dichtet sie."103 Sie reiche auch in die Neuzeit
hinein bis hin zu Newman, Solowjeff, Chomjakoff und Florenskij. "Aber auch in
Kierkegaard lebt sie, in einer seltsamen nordischen Brechung. Ja sie ist - was viel-
leicht noch nie gesehen wurde - die eigentliche Kraft im Denken Nietzsches, wenn sie
auch von ihm gegen Christus und den Lebendigen Gott gekehrt wird."104 Guardini hat
sie daher offenbar als besonders geeignet empfunden, um dort anzuknüpfen, wo
Dostojewskij stehengeblieben war.
"Herz" ist dabei nicht einfach als "Ausdruck des Emotionalen im Widerspruch zum
Logischen" zu verstehen, sondern als eine bestimmte Erscheinungsform des
Geistes.105
"Aber nicht des theoretischen Geistes, des Verstandes, sondern des würdigenden
Geistes ... Herz ist der vom Blut her heiß und fühlend gewordene, aber zugleich
in die Klarheit der Anschauung, in die Deutlichkeit der Gestalt, in die Präzision
des Urteils aufsteigende Geist."106
Das Herz antworte auf den Wert, auf die innere Sinn-Bewegtheit des Seins. Für
Pascal sei es das Organ des "esprit de finesse".107 Wirkliche Erkenntnis des theoreti-
schen Geistes - nach Pascal sogar auch schon die Erkenntnis der ersten Prinzipien des
Denkens! - sei nach ihm überhaupt nicht möglich, wenn sie nicht von der Bewegung
des "schätzenden Geistes" getragen werde.
"Erkenntnis setzt Liebe voraus. In dem Maße wird man die Wahrheit erkennen -
wirklich erkennen, im tiefsten Sinne, mit der Leidenschaft der Aneignung - als
man liebend ist. Wiederum erhebt sich hinter Pascal Dante, und noch einmal
Augustinus, und am Anfang steht Piaton."108
So werde aber auch im religiösen Vollzug vor allem die Wertseite betont, das Streben
nach dem "höchsten Gut", dem "summum bonum".109 Dabei komme aber durch die
Wirklichkeit der Sünde eine tiefe Verstörung in das menschliche Herz, durch die es
versucht sei, "die Werte in die Gestalt der Autonomie zu bringen und sie so zu Werk-
zeugen der Empörung gegen Gott zu machen." Nichts könne sich "so tief, so ver-

102
Pascal, 143. - Guardini spricht davon v. a. im 4. Kapitel seines Pascal-Buches ("Die Verborgenheit
Gottes und das Herz"; vgl. Pascal, 127-152).
103
Pascal, 143.
104
Pascal, 144; vgl. ebd., 143f.
105
Vgl. Pascal, 144.
106
Pascal, 145. - Die platonische Philosophie und Dantes Göttliche Komödie werden hier nochmals als
repräsentative Gestalten hervorgehoben.
107 ygj Pascal, 146. - Siehe dazu auch oben in Abschn. l,b.
108
Pascal, 148; vgl. zur platonisch-augustinischen Tradition überhaupt Semer, 253-264, bes. 253f.
109
Vgl. Pascal, 150 und 178f.
Pascal 293
hängnisvoll und so schwer belehrbar irren wie das Herz."110 Deshalb erreiche es
seine höchste Vollendung auch erst dort, wo es "die Verklammerung in sich selbst
löst, sich selbst als Mittelpunkt des Daseins aufgibt und willens wird, das Herüberru-
fende als den eigentlichen Beziehungspunkt anzunehmen."' •'
Als "Gegenpol" zu Dostojewskij hätte Guardini wohl gern zunächst eine Dante-
Interpretation vorgelegt;112 denn hier fand er eine Dichtung, die im Gegensatz zur
dostojewskij'schen "Fülle" - Guardini spricht auch von "Chaos"113 - "das Dasein als
durchschaubaren, alle Fülle in einheitlicher Ordnung fassenden Kosmos aufbaut"114.
Er hatte die Absicht bekundet, einen Beitrag zu einem "menschlichen und geistigen
Europa"115 zu leisten, in dem Daseinserfahrungen des Ostens mit denen des
"Abendlandes" verbunden werden sollten.116 Pascal war aber wohl deshalb der
geeignetere Adressat als Dante, weil man an ihm "den erregenden Vorgang des
Durchbruches miterleben" konnte,117 durch den das neuzeitliche Bewußtsein des
"Abendlandes" geschaffen worden war. Während dieses Bewußtsein bei Dostojewskij
recht unvermittelt in die noch unmittelbar christliche Religiosität des "Volkes" ein-
bricht, erscheint Pascal mitten im neuzeitlichen Prozeß des Abendlandes selbst:
"Er ist Gelehrter und Mann von Welt zugleich; nicht leicht wiederkehrende
Möglichkeit eines geschichtlichen Augenblicks, da das wissenschaftliche Be-
wußtsein der Neuzeit voll durchgebrochen, aber noch nicht von den versachli-
chenden Techniken des modernen Wissenschaftsbetriebes, sondern von der per-
sönlichen Initiative der forschenden Persönlichkeit sowie der frei sich zusam-
menschließenden Gruppe getragen ist."118

aa. Der neue "Blick" des Glaubens (Pascal)


Die Pascal-Interpretation119 setzt bei der Frage nach dem Glauben an, die in der
Dostojewskij-Interpretation vor einem bestimmten geistesgeschichtlichen Hintergrund
formuliert worden war:120

110
Pascal, 149.
1
*1 Pascal, 151. - Guardini führt an dieser Stelle seinen persönlichen "Schlüsselsatz" ein: "Wer seine Seele
festhält, wird sie verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen." Siehe dazu Kap. II,l,c.
112
Vgl. die Gesprächsnotiz aus dem Jahre 1934: "Dostojewskibuch - Osten. Dantebuch - Süden. Beide
sind Gegenpole" (Görner, Guardini, 11). Kurz darauf die pessimistische Notiz: "Wahrscheinlich wird man
das Dantebuch auch nicht verstehen, wenn es herauskommt. Das Dostojewskibuch wird ja kaum noch ge-
kauft" (ebd., 12).
113
Vgl. Dostojewskij, 314f.
114
Dostojewskij, 314.
1 5
' Dostojewskij ,316.
116
Vgl. Dostojewskij, 315f.
117
Pascal, 10.
118
Pascal, 9f.
119
Christliches Bewußtsein. Versuche über Pascal (1935). - Vorausgegangen waren folgende, zum Teil in
die Monographie aufgenommene Arbeiten: Pascals innere Stunde (1927; 1932 umgearb. zu "Die religiöse
Entscheidung im Leben Pascals"; dann eingearb. als 1. Kapitel in: Pascal, 20-48); Pascals Gebet, Gott um den
guten Gebrauch der Krankheiten zu bitten (1929); Logik und religiöse Erkenntnis (1929; dann eingearb. als
5. Kapitel in: Pascal, 153-191); Das Ärgernis und das Herz (1934; dann eingearb. als 4. Kapitel in: Pascal,
127-152). Vorlesungen: "Pascal und die religiöse Wirklichkeit" (WS 1928/29; 274); "Die religiöse Existenz
bei Pascal" (SS 1931; 360).
294 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Wie geht das zu, wenn ein Mensch glaubt? Wie ist das auf solchem Glauben
ruhende christliche Bewußtsein gebaut? Wie vollzieht sich ein Leben, das von
solchem Glauben bestimmt ist?"121
Ausgangspunkt der Interpretation wurde der Text des "Memorial", das bedeutende
Zeugnis für die "innere Stunde" im Leben dieses Denkers, in der ihm der "lebendige
Gott" der Offenbarung aufgeleuchtet war.122 Guardini entdeckte bei Pascal auch die
drei "Stadien" Kierkegaards wieder (vgl. dazu unter Kapitel IV,3,c,dd). Der Mensch
lebe auch nach Pascal in drei "Ordnungen", die Guardini dem oft zitierten Fragment
793 der "Pensdes" entnimmt: "les corps" - "les esprits" - "la charit6".123
"Zwischen ihnen liegt eine 'difförence du genre'; eine jeweils von unten her un-
überbrückbare, qualitative Kluft. Jeder Bereich hat seinen eigenen Wertcharak-
ter, seine 'grandeur'. Jedem ist eine besondere Erkenntnisvoraussetzung und eine
besondere 'vue', ein dem spezifischen Gegenstand entsprechender Blick zuge-
ordnet."124
In Pascals geistiger Entwicklung, in der Guardini eine Aufstiegsbewegung durch alle
drei "Ordnungen" erkennt (Natur - Mensch - Glaube),125 bedeute das im "Memorial"
bezeugte Erlebnis den Durchbruch zur dritten und höchsten Stufe, von der aus auch
die bisherigen "Ordnungen", auf denen sich Pascal als Naturwissenschaftler und als
Menschenkenner bewegt habe, in einem neuen Licht erschienen.126
"Die Welt bleibt für Pascal Welt; die Philosophie bleibt Philosophie; aber alles
wird in einen neuen Zusammenhang gerufen, und das Denken zu einer neuen
Anstrengung aufgefordert durch die Erkenntnis, daß jener Gott, den der
'Philosoph' nur als das 'Absolute' erfaßt, in Wahrheit der Lebendige Gott ist, der
in Jesus Christus in die Geschichte tritt; und das Verhältnis des Menschen zu
ihm, wie es die philosophische Daseinslehre als 'Beziehung auf das Absolute' er-
faßt, in Wahrheit das Leben des von Gott Angerufenen auf diesen Gott hin
ist."127
Von hier aus werde ein "Blick" möglich, der nochmals qualitativ neu sei gegenüber
dem "Blick" des Naturwissenschaftlers und dem "Blick" des Menschendeuters; er
schaffe nicht nur eine endgültige Bestimmung des Menschen, von der Guardini im
zweiten Kapitel seines Buches handelt,128 und eine endgültige Einstellung gegenüber
dem kulturellen Leben, um die es im dritten Kapitel geht,129 sondern auch die Begeg-

120
Beide Bücher gehören daher eng zusammen; vgl. Bekehrung, 13f; aber auch Przywara, Pascal und
Dostojewskij; LUtzeler, Hölderlin, 376. - Aus der Sekundärliteratur zu Guardinis Pascal-Buch sind außer der
genannten Rezension Przywaras v. a. noch zu nennen: Hesse, Christliches Bewußtsein (1935); Balthasar,
Guardini (1970), 72-76; Biser, Interpretation (1979), 40f., 70-73 u. ö.
121
Pascal, 10; vgl. ebd., 9.
122 ygj <jen e r s t e n Titel "Pascals innere Stunde" (s. o. Anm. 119).
123
Vgl. Pascal, 33, sowie 79.
124
Pascal, 79.
125
Vgl. Pascal, 21-36.
126
Zu den drei Wirklichkeitsbereichen Pascals vgl. Pascal, 21-36; siehe dazu ebenfalls Kap. IV,3,c,dd.
127
Vgl. Pascal, 48.
128
Vgl. Pascal, 49-98, bes. 80-96.
1
29 Vgl. Pascal, 99-126, bes. 113, ferner 69f.
Pascal 295

nung mit dem lebendigen Gott der Offenbarung selbst, der mehr sei als der "Gott der
Philosophen".130
Daß hierin die platonische Ideenlehre - in der Fassung, in der Guardini sie bei
Bonaventura und Augustinus kennengelernt hatte - nachwirkt, ist ebenso offensicht-
lich wie der Ansatzpunkt, von dem her Guardini selbst "katholische Weltanschauung"
bestimmt hatte - als den "Blick", der dem Menschen "vom Glauben aus auf die Welt
möglich wird".131 Jetzt falle zunächst neues Licht auf die darunterliegende Stufe - die
Wirklichkeit des Menschen. Dieser bilde für Pascal keine autarke Einheit, die aus sich
selbst ist, was sie ist, sondern stehe im "Auf-hin".
"Der Mensch ist ein Emporgezogenes, das zu seiner eigentlichen Sinnerfüllung
erst gelangt, wenn es auf den von oben entgegenkommenden Eigentlichen trifft,
auf Gott, und in die lebendige Beziehungsgestalt zu ihm eintritt."132
Der Mensch sei das "Wesen über sich hinaus", von dem das Fragment 494 spreche:
"l'homme passe infiniment l'homme" .133 Daraus ergebe sich eine gründlich andere
Vorstellung vom Menschen "als die naturalistische und autonomistische der Neu-
zeit".134 Im wahren Sinne "Mensch" könne der Mensch also nur sein, wenn er es
wage, über sich hinauszustreben, zu Gott hin, der ihm in der geschichtlichen Offenba-
rung entgegenkomme.135 Es gehe um eine "neue Wölbung des Bogens", um die "neue
Herstellung der Auf-Hin-Gestalt". "Was vom Herzen gefordert wird, ist die Liebe, die
'charitö', die aus dem Menschlichen allein nicht entspringt."136 Sie werde freilich er-
schwert durch die eigentümliche Gegebenheit Gottes in seiner geschichtlichen Offen-
barungsgestalt: "Das, was ihn ins Menschliche übersetzt, verhüllt ihn zugleich."137
Pascal spreche von der "ambiguitd" der Gottesgegebenheit; sie sei die Ursache für die
Möglichkeit des "Ärgernisses", die der Offenbarung gegenüber wach werde138 und
sich gerade gegen den "anthropomorphen" oder "kulturfeindlichen" oder
"unmenschlichen" Gott wende.139 So bleibe der Glaube ein "Wagnis". Die Offenba-
rungssituation bringe lediglich einen neuen Zustand der "Schwebe" hervor, nämlich
den Raum der freien Entscheidung, in der die Person gefordert sei:

130
Vgl. Pascal, 128, sowie 48.
131
Weltanschauung, 33. Siehe dazu Kap. 111,2,0.
132
Pascal, 129.
133
Vgl. Pascal, 81, sowie 85 u. ö.
134
Pascal, 85.
135
Vgl. Pascal, 91-96. - Guardini entwarf von diesem Ansatz aus seine eigene christliche Anthropologie.
Das im Guardini-Archiv lagernde Manuskript (Der Mensch*) steht unter dem Leitwort Pascals "L'homme
passe infiniment l'homme". Der entscheidende anthropologische Abschnitt ("Ursprung und Schöpfung"; vgl.
ebd., 187-354; er folgt auf den Abschnitt "Selbst- und Weltvorfindung"; vgl. ebd., 119-186) gipfelt in der
"Kategorie des Aufhin (Liebe und Gnade)" (vgl. ebd., 286-333). Die Wirklichkeit der Sünde wird als der
"Bruch des Auf-hin", als "Zerstörung der Ganzheit" beschrieben (vgl. ebd., 394-441, bes. 394-403). In diesem
Duktus ist auch die Veröffentlichung "Welt und Person" zu interpretieren, der das genannte Pascal-Wort vor-
angestellt ist: "Im Grunde ist es ein Gedanke, der durchversucht werden soll: daß der Mensch nicht als ge-
schlossener Wirklichkeitsblock oder selbstgenugsame, sich aus sich selbst heraus entwickelnde Gestalt, son-
dern zum Entgegenkommenden hinüber existiert" (10). Siehe dazu VI,l,c und VII,3,c.
136
Pascal, 134.
137
Pascal, 137.
138
Vgl. Pascal, 137f. und 98.
139
Vgl. Pascal, 141.
296 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Worin die Person aus ihrer Anfangskraft heraus die Bewegung des Hinüber-
gangs, die Selbsthingabe an das heilige Du vollzieht, und sich so, im Glauben,
der Flammenbogen der gottgemeinten menschlichen Existenz wölbt. Oder aber
der Glaube verweigert wird; die Person sich in ihrer irdischen Selbstbehauptung
verschließt; sich im Zweifel verfängt; in der Müdigkeit der Skepsis zusammen-
sinkt."140
Erst aus der Offenbarung erfahre der Mensch vom Mysterium der Ursünde und der
Solidarität aller Menschen in dieser Schuld.141 Die "Natur" erscheine jetzt als eine
"zerrüttete" Natur, "Unter-Natur", die ihre eigentliche "Natur" erst wiederfinden
könne von Gott her.142 "Erst in Christus wird dem Menschen der Kanon gegeben,
durch welchen sein Dasein gedeutet, der Aufbau seiner zerstörten Gestalt neu begon-
nen und die Kraft zur Verwirklichung gefunden werden kann."143 Philosophische
Anthropologie müsse von daher, um Vollendung zu finden, in die theologische mün-
den.144 Zwar sei die "Verborgenheit" Gottes im Zustand nach dem Sündenfall keine
totale "Unbekanntheit" wie bei Kierkegaard, sondern lediglich eine "Verschleierung";
diese wiege aber schwer genug.145 Um so größer erscheine die Gnade Gottes, die
allein den neuen "Blick" des Glaubens schenken könne.146
Der "Geist" allein vermöge bei Pascal keinen wirklichen "Halt" zu geben in der
"Schwebe" zwischen den beiden Abgründen des "Unendlichen" und des "Nichts",
zwischen "Wert" und "Unwert" ("grandeur" und "misere"), ja zwischen "Engel" und
"Tier".147 Das "Ethos der heroischen Endlichkeit, das ja auch tatsächlich und zutiefst
der heranreifenden Neuzeit zugehört",148 werde bei Pascal durch eine "tragische"
Endlichkeit ("tragischer Finitismus"149) ersetzt, aber christlich gedeutet. Die tiefe
Bedeutung, die das Böse in seiner Weltsicht habe, lasse ihm auch die Kultur des
"honnete homme", der er ja entstamme, nun als Flucht vor der Nichtigkeit des
Daseins, seines Truges und seiner "tristesse insupportable" und damit als "Ausdruck
von Bösem" erscheinen.150 Pascal wende sich gegen den "Hochmut des Verstandes"
und meine damit vor allem seinen Zeitgenossen Descartes, zu dem er sich in tiefer
Gegnerschaft uihle.151
Guardini erwähnt in diesem Zusammenhang wie schon in der Dostojewskij-Inter-
pretation das typisch neuzeitliche Empfinden der Endlichkeit. Es handle sich im Un-

140
Pascal, 142; vgl. ebd., Ulf.
141
Vgl. Pascal, 129f.
142
Vgl. Pascal, 82-86.
143
Pascal, 87.
144 ygj p a s c a j ) 77 . "Das ßud <jes Menschen verwirrt sich. Es wird deutlich, daß es eine rein innerweltli-
che Anthropologie nicht gibt. Sie kann nur vom Glauben fortgeführt werden" (ebd.). - Guardini war in seiner
eigenen Anthropologie von der gleichen Einschätzung bestimmt, auch wenn er die völlige Abwertung der Ei-
genständigkeit der Natur zu vermeiden suchte; zum Verhältnis von Natur und Gnade siehe auch IV,3,b,cc;
IV,3,c,cc; VI.l.
145
Vgl. Pascal, 132f. - Vgl. auch dieselbe Differenzierung gegenüber Kierkegaard in: CK Anm. 18, 170f.
146
Vgl. Pascal, 133-135.
147
Vgl. Pascal, 55-59.
148
Pascal, 68.
149
Pascal, 65.
150
Vgl. Pascal, 71.
151
Vgl. Pascal, 73f.
Pascal 297

terschied zur mittelalterlichen um eine "nackte" Endlichkeit des Menschen in einer


sich "unendlich" dehnenden Welt.152 Bei Pascal deutet sich bereits jene neue Stufe
des Endlichkeitsempfinden an, das Guardini bei Kierkegaard und Nietzsche voll
durchbrechen sieht. Während zunächst der "Schwebezustand" des Menschen durch-
aus noch eine gewisse "Mitte" gehabt habe, so gleite hier bereits das Dasein ins
"Zufällige".
"Die Existenz fühlt sich jeder Basis beraubt. Das Dasein des Menschen ruht nir-
gendwo auf. Immerfort sucht er sich selbst zu definieren, ohne daß es ihm wirk-
lich und für die Dauer gelänge. Der Mensch ist '6gare'."153
Daraus erwache die "Angst des Menschen vor der Welt", der "Schrecken vor den
Gewalten des Daseins",154 die Pascal nicht im "Geiste" zu überwinden suche, son-
dern im Glauben:
"Darin ist die Ortlosigkeit, das 'egarement' aufgehoben. Nicht durch eine Ein-
schränkung der Ende-Losigkeit, sondern durch das Deutlichwerden einer neuen
Beziehung der natürlichen Welt - die im übrigen sein mag, wie die Wissenschaft
sie feststellt - auf Gott in der Gnade."155
Aus dem pessimistischen Menschenbild Pascals ist auch seine Einstellung zur Eigen-
ständigkeit der Kultur zu erklären, die vor allem in seinen Bemerkungen zu Soziolo-
gie und Recht besonders kraß hervortritt. Ausgangspunkt von Guardinis Interpretation
ist hier der Begriff der "Natur", der von Pascal einerseits im Sinne der Naturwissen-
schaft ("les corps") verwendet wird, im Blick auf den Menschen aber ("les esprits")
den Sinn von "Natürlichkeit" habe. Darin sei sie der Wertmaßstab jenes Menschen-
typs, der in der Umgebung Pascals "honnete homme" genannt worden sei.156 Sie sei
damit Kennzeichen der Kultur selbst und bringe zum Ausdruck, daß diese gleichsam
"ihren Kulturcharakter, der ja immer etwas Errungenes an sich hat, verliert und
selbstverständlich wird."157 Was zutiefst dem Wesen des menschlichen Geistes ent-
sprungen scheine, sei nun auf pure "Gewohnheit" zurückgeführt.158 Die Einsicht des
Glaubens, daß der Mensch die Gnade und damit auch seine eigentliche Natur verloren
habe, werde bei Pascal zu einer Einstellung, die in der Kultur nur noch eine Art
"Notstandsordnung" sehen könne.159 Die Pädagogik Pascals etwa gehe von der
Überzeugung aus, daß der Mensch böse sei, und betone deshalb überall in äußerster
Strenge die Autorität.160 Das geltende Gesetz solle nach ihm nicht auf dem Gedanken
des "Rechten, Wesensgemäßen", sondern auf dem geraden Gegenteil davon, dem
"rein Faktischen" begründet werden.161 Das Volk aber müsse weiter in dem Wissen
bleiben, es sei "natürlich". "Hier scheidet sich die Menge der Menschen, welche naiv
auf dem Standpunkt der Natur steht, die es in Wahrheit nicht mehr gibt, das Volk, von
152
Vgl. Pascal, 64.
153
Pascal, 65f.
154
Pascal, 66.
155
Pascal, 95.
156
Vgl. Pascal, 99-104.
157
Pascal, 104.
158
Vgl. Pascal, 104-111.
159
Vgl. Pascal, 107; vgl. ebd., 108 ("Not-Natur").
160
Vgl. Pascal, 113f.
161
Pascal, 117.
298 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

den Wissenden, welche sehen, wie es sich in Wahrheit verhält."162 Verderblich seien
vor allem die Leute dazwischen, die "Halbgebildeten", die weder den naiven Glauben
noch das "bittere, aber von einem Ethos der Entsagung regierte Wissen" haben.
Wichtig freilich sei, die wirklich "Wissenden" im strengen Ethos ihrer Verantwortung
zu erziehen.163
Guardini übersieht keineswegs, wie gefährlich eine solche Einstellung ist - gerade
im Blick auf die Machtausübung der "Wissenden".
"Man braucht sich nur zu fragen, was geschehen muß, wenn sich der Glaube aus
ihr herausverliert und sie autonom wird; in den Dienst eines Willens zur Macht
gestellt, der kein Licht mehr über sich hat, keine Verantwortung vor Gott und
keinen Halt in der Gnade."164
Dann könne diese Haltung zum "reinen Macchiavellismus" führen und zur
"skrupellosen Zwecktechnik" werden.165 Im Ganzen bleibt die Kritik aber doch
zurückhaltend; Guardini geht auch nicht näher auf die Frage ein, ob Pascal selbst für
solche diktatorischen Ziele Verständnis hatte oder ob er nicht vielmehr - wofür man-
ches spricht166 - die Haltung seiner "atheistischen" Gesprächspartner einfach nur bis
ins letzte Extrem weiterdachte, um auf diese Weise die entscheidende Bedeutung des
Glaubens hervorzuheben. Guardini unterstützt gerade diese Schlußfolgerung:
"Das Ganze hängt bei Pascal an einem archimedischen Punkt über dem unmit-
telbaren Dasein: dem Glauben. Die ganze Konstruktion ist von ihm in den
Dienst der Forderung gestellt, die Gott an den Menschen richtet - über welchen
Menschen und welche Forderung ihn dieses gleichen Gottes Offenbarung
unterweist."167
Pascal bekommt auch Recht in seinem tiefen Mißtrauen gegenüber dem Geist:
"Das Phänomen des Geistes ist nicht autonom. Es kann nicht aus sich selbst her-
aus verstanden werden, wie Rationalismus und Idealismus behaupten - wogegen
dann, mit Notwendigkeit, die Geistablehnung vom 'Blut', oder vom 'Leben', oder
von der 'Seele' her erwacht."168
Guardini bemüht sogar - ganz im Sinne seiner lebensphilosophischen Grundüberzeu-
gungen - die Einwendungen, die etwa Nietzsche und Klages gegen den "abgelösten
neuzeitlichen Geist" erhoben haben.169 Pascal gebe Einsicht in die Gefährdetheit des
menschlichen Daseins, das nur auf diesen von Gott losgelösten "Geist" vertraut. Bei

162
Pascal, 119.
163
Vgl. Pascal, 120f.
164
Pascal, 113.
165
Vgl. Pascal, 120.
166
J. Steinmann hat auf eine wichtige hermeneutische Regel zur Interpretation der "Pensees" hingewie-
sen: "Der Aspekt der Apologie als 'Drama' oder 'Dialog' ist immer deutlicher geworden. Es hat sich herausge-
stellt, daß man größte Umsicht walten muß, um zu vermeiden, etwa eine Montaigne entnommene Bemerkung
oder einen Satz des Manuskripts, in dem Pascal einen Ausspruch nicht von sich selbst, sondern von einem
seiner erdachten Gesprächspartner oder erfundenen Personen berichtet, allzu voreilig ihm selbst zuzuschrei-
ben" (Pascal, 268; vgl. Vorgrimler, Kirchenfrömmigkeit Pascals, 373-376). Das Ganze seien Fragmente eines
Dialogs mit dem "Atheisten" seiner Zeit, das "kein anderes Ziel hatte, als den letzteren behutsam in jene Kir-
che zu führen, deren Wesen ihm Pascal darlegen wollte" (Vorgrimler, a.a.O., 376).
167
Pascal, 113.
168
Pascal, 77.
169
Vgl. Pascal, 78.
Pascal 299

Pascal selbst handle es sich daher um "eine Geistigkeit sehr vorgeschobener, sehr
anspruchsvoller Art".170 Der Interpret bewundert die "Tapferkeit dieses Kulturerleb-
nisses": "Klassische Kultur auf ihrem vorgeschobensten Posten."171
Aber darin liegen, wie in jeder Extremposition, große Gefahren. Wenn Guardini im
letzten Kapitel seiner Monographie Pascals Verhältnis zum Jansenismus und seine
Auseinandersetzung mit den Jesuiten und der konkreten Kirche beschreibt,172 dann ist
darin eine gewichtige Kritik nicht zu verkennen. Schon im frühen Christentum habe
es die Tendenz gegeben, den Menschen zu entwerten und der Welt gegenüber pessi-
mistisch zu sein - im Gegensatz zu einer optimistischeren Sichtweise, für die auch
eine "christliche Kultur" denkbar sei. Dem Pessimismus entspreche auch eine Gesin-
nung, "die überall das Christliche betont, ihm alles menschliche Tun und Schaffen
unterordnet, so daß das ganze Dasein unmittelbar vom Religiösen her bestimmt wird"
- wieder im Gegensatz zu jener anderen, "die gerade aus christlicher Überzeugung
eine relative Autonomie der verschiedenen weltlichen Wirklichkeits- und Wertberei-
che behauptet."173 Die letztere Haltung hätten die "molinistischen" Jesuiten unter
Berufung auf Thomas von Aquin vertreten.174 Die "religiös-absolutistische Struktur"
aber, die in der Reformation hochgetragen worden sei, habe sich in abgeschwächter
Form im katholischen Jansenismus durchgesetzt und trage "ein gerütteltes Maß
Schuld am Versagen des Christentums gegenüber der Aufklärung des achtzehnten
Jahrhunderts"175. Denn wo jede positive Beziehung zwischen dem Heiligen Gott und
dem gefallenen Menschen, zwischen Gnade und Welt, Glauben und Vernunft geleug-
net werde, rufe dies als Gegenreaktion gerade die absolute Autonomie-Erklärung des
Menschen hervor;176 das Ergebnis sei dann "verzweifelte Gläubigkeit auf der einen"
und "ebenso radikale Weltverfallenheit auf der anderen Seite".177 Auf die Seite dieses
religiösen Absolutismus aber habe sich auch Pascal geschlagen, und zwar mit der
ganzen Schärfe an Polemik, die ihm zur Verfügung stand.
Aus jener kurzen Phase, in der sich Pascal von diesem Radikalismus wieder ent-
fernt habe, stammten jedoch die Fragmente einer großangelegten "Apologie des
Glaubens" - die "Pensies". Es gehört nach Guardini zu den schwersten Verlusten der
Geistesgeschichte, daß Pascal seinen Plan nicht mehr zu Ende geführt hat.
"Eine Synthese christlichen Bewußtseins wäre erstanden, wie wir sie in der
Neuzeit nicht besitzen. Ein Ausdruck christlichen Bewußtseins, das von inten-
sivster religiöser Erfahrung und schärfster Rationalität zugleich, von existentiel-
lem Ernst und weitester geistiger Überschau getragen gewesen wäre; durch wis-
senschaftliche Methode sowohl wie durch den Selbsteinsatz einer singulären
Persönlichkeit und ihr Schicksal verantwortet."178

170
Pascal, 113.
171
Pascal, 126.
172
Vgl. Pascal, 192-248.
173
Pascal, 214.
174
Vgl. Pascal, 216.
175
Pascal, 215f.
176
Vgl. Pascal, 215.
177
Pascal, 217.
178
Pascal, 230.
300 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Der Versuch, die christliche Wahrheit auf Grund des Problems des Menschen darzu-
stellen, wäre verwirklicht worden, und zwar von einem Menschen, in dem die Neu-
zeit bereits definitiv durchgebrochen war.179 Eine Theorie der Gnade wäre entstan-
den, "welche vielleicht die des heiligen Thomas von Aquin in anthropologischer und
psychologischer Beziehung weiterentwickelt hätte."180
Dieser Ausblick auf eine ungenutzte Möglichkeit bringt zum Ausdruck, mit wel-
chen Hoffnungen Guardini auf den französischen Denker zugegangen war. Entschei-
dender aber ist, was die Begegnung tatsächlich erbracht hat - das Modell einer gläu-
bigen Existenz mitten im neuzeitlichen Aufbruch, das zwar nur in sehr gebrochener
Weise verwirklicht wurde, aber doch auf das Entscheidende hinwies, das hinüberführt
zu Augustinus. Es handelte sich um die Aufforderung, das "Auf-Hin" des Glaubens,
die radikale Bindung an Gott, zu vollziehen, um von dorther in einer zunehmend
brüchig und ortlos gewordenen Kultur neu Stand zu gewinnen.

bb. Die Bindung an Gott (Augustinus)


Mit Augustinus hatte Guardini seine Interpretationstätigkeit begonnen.181 Eine erste
Monographie erschien jedoch erst nach der Pascal-Studie, freilich noch im selben
Jahr: "Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen
Bekenntnissen".182
Der eigentlichen Interpretation des Bekehrungsvorgangs, die dem Gedankengang
der "Confessiones" folgt, gehen einige systematische Abschnitte voraus. In ihnen
werden die wichtigsten Begriffe und Sachverhalte vorgestellt ("Grundlagen der Deu-
tung"), die nach Guardinis Auffassung für das Verständnis Augustins überhaupt
wichtig sind.183 Sie führen zielgerichtet vom Titel der "Confessiones" ("Das Beken-
nen"1*4) auf das innere Geschehen zu, das in ihnen geschildert wird ("Das Gedächt-
nis", "Die Innerlichkeit", "Das innere Drama"),185 um dann wieder beim Stichwort
des "Herzens" innezuhalten ("Die Sinnlichkeit, der Geist, das Religiöse und das
Herz"186) und von hier aus Augustins denkerische Grundansätze zu entwickeln. Dies
geschieht zunächst in vier Kapiteln, die durch die beiden Stichworte "vita beata" und
"summum bonum" miteinander verbunden sind ("Das selige Leben und die Vollkom-
menheit" - "Der Eros und das Herz" - "Die Weisheit" - "Das selige Leben und der

179
Vgl. Pascal, 230f.
180
Pascal, 227. - Zur Vermittlungsarbeit, die dabei zu leisten gewesen wäre, vgl. den Exkurs zum Ver-
hältnis von Natur und Gnade ebd., Anm. 29, 82-84.
181
Siehe dazu schon in III,3,b und V,l,a. Unter der Sekundärliteratur zu Guardinis Augustinus-Deutun-
gen sind hervorzuheben: Balthasar, Guardini (1970), 57-61; Biser, Interpretation (1979), 28-32, 37f. u. ö.;
Henner, Pädagogik, 48-52.
182
Die lateinischen Texte der "Confessiones" (nach der kritischen Ausgabe letzter Hand, hg. v. Martin
Skutella, Leipzig 1934) wurden von Guardini selbst übersetzt (vgl. Bekehrung, Anm. 1, 19).
183 vg] Bekehrung, 13: "Was in dem Kolleg, aus welchem dieses Buch entstanden ist, sonst noch behan-
delt wurde, hat sich dann der unmittelbaren Deutung der 'Bekenntnisse' vorangestellt und versucht nun, in ei-
ner Reihe von größeren und kleineren Abschnitten die Begriffe vorzubereiten, mit denen jene arbeitet."
184
Vgl. Bekehrung, 19-23.
185
Vgl. Bekehrung, 24-46.
186
Vgl. Bekehrung, 47-57.
Augustinus 301

Gotteswert").187 Ihnen folgen die beiden Abschnitte, die den philosophisch-theologi-


schen Ansatz Augustins wohl am klarsten zusammenfassen: Die "Verwunderung"
über die "Nicht-Selbstverständlichkeit" und "Frag-Würdigkeit" des Daseins wird nun
als seine eigentliche Grunderfahrung markiert, von der aus auch die Auffassungen
über "Schöpfung und Vorsehung" zu verstehen seien.188 Die Überlegungen über
Augustins "Heidentum" und die Rolle seiner Mutter führen dann in den letzten drei
Kapiteln189 direkter in die "Ausgangssituation" der "Confessiones" hinein, dessen
Beschreibung Guardini im zweiten Teil seiner Arbeit ("Der Weg und die Entschei-
dung") folgt.
Hans Urs von Balthasar meint: "Die Augustinuswerke Guardinis sind für ihn wohl
vor allem Bestätigung, Anreicherung des intuitiv schon Besessenen."190 Genauso gut
könnte man jedoch sagen: Nachdem Guardini von Anfang durch augustinisches
Denken geprägt war, und dieses in seinen übrigen Schriften immer wieder zur
Geltung brachte, will er es nun bewußt beim Urheber selbst "verorten". Daher er-
scheint die Monographie irgendwie "nachgeschoben" und erreicht nicht den Stellen-
wert der anderen Interpretationen. Sie ist jedoch eine Fundgrube für jene Motive, die
auch sonst durchgängig bei Guardini auftreten.
Dies gilt vor allem für die Überlegungen zum Phänomen des menschlichen
"Herzens", von denen her auch noch einmal die Glaubenshaltung Pascals verständlich
wird.191 Von ihr her entstehe ein Erkennen, das die Wahrheit als "Wert" verstehe,
und eine Ethik, die sich - anders als die neuzeitliche, die lediglich die Gesinntheit be-
tone und zur formalen Sollensethik werde - ebenfalls auf "Werte", letztlich auf den
"absoluten Wert" und das "höchste Gut", von menschlicher Seite auf
"Vollkommenheit" und "seliges Leben" beziehe.192
"Zu jenen Auseinanderreißungen der Neuzeit, von denen die Rede war, gehört
auch, daß Norm und Wert, Gehorsam und Schätzung getrennt wurden. So ent-
stand auf der einen Seite das bloße Sollen, die reine Pflicht, die Norm-Gerech-
tigkeit um ihrer selbst willen - auf der anderen das Streben ins Amoralische; das
Ethos des Starken, Echten, Edlen. Ein Gegensatz, der in Nietzsches Protest ge-
gen Kant beispielhaft zur Darstellung kommt."193
Gerade bei Augustinus findet Guardini das Bild eines Menschen, der wesentlich vom
Gottesbezug her bestimmt ist:
"Der Mensch, der als 'natürlicher' von der Welt der Offenbarung abgelöst und
zum Gegenstand kritisch abgesonderter Fragestellungen gemacht wird, berührt
ihn (sc. Augustinus) nicht. Was er meint, ist der Mensch, wie er von Gott ge-
dacht ist und also sein soll; das Ganze dieses Menschen. Das aber ist unaufheb-

187 vgl. Bekehrung, 58-91; zur Zusammengehörigkeit dieser Kapitel vgl. ebd., Anm. 16, 58.
188
Vgl. Bekehrung, 92-138.
189
Vgl. Bekehrung, 139-157.
190
Balthasar, Guardini, 61.
191
Vgl. Bekehrung, 53-57 und v. a. 66-75. - "Es gehört zu den schönsten Aufgaben, die der Geist sich
stellen kann, den Weg zu verfolgen, der von den Ideen Piatons über den Logos des Johannesevangeliums zur
Ideenlehre Augustins führt" (ebd., 67). Ansatzweise hat Guardini dies versucht in: Semer, 253-274.
192
Vgl. Bekehrung, 49-57.
193
Bekehrung, 68.
302 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

bar aus Gott her und auf Gott hin gebaut. Einen 'bloß natürlichen' Menschen gibt
es also für Augustinus sinnvollerweise nicht."194.
Aus demselben Grund könne Augustinus auch nicht streng zwischen philosophischen
und theologischen Fragen trennen - abgesehen davon, daß dies nicht nur seine per-
sönliche Eigenart sei, sondern auch Kennzeichen einer geistesgeschichtlichen Situa-
tion.195 "Der Mensch ist für Augustinus etwas Großes, Bedeutungsvolles, aber diese
Größe und Bedeutung gründen nicht in ihnen selbst."196 Deshalb seien "Schöpfung"
und "Vorsehung" untrennbar mit dem augustinischen Daseinsverständnis verbunden:
"Mein Seinsakt ist vom Schöpfungsakt Gottes ermöglicht, getragen und umfaßt."197
Gott sei dabei nicht die ferne "erste Ursache" oder das unbeziehbare "Andere", son-
dern "Jener, der das Sein beständig aus dem Nichts heraushebt"198.
Im Augustinus-Buch setzt sich Guardini nun aber deutlicher als in der Pascal-Inter-
pretation mit den Vorwürfen auseinander, die vom neuzeitlichen Denken her an ein
solches Daseinsverständnis gerichtet werden können. Es sei vor allem der Vorwurf
der "Heteronomie", der im Namen der "Autonomie" des Menschen erhoben werde.
Guardini ersetzt nun sofort den "abschätzigen" Ausdruck "Heteronomie" durch den
- freilich nicht gerade klareren - Begriff "Allonomie", um mit ihm das Menschenbild
Augustins zu kennzeichnen.199 Beide Haltungen gingen auf psychologische Struktu-
ren zurück, die in der Geschichte immer wieder vorgekommen seien und sich in ver-
schiedenartigsten Ausprägungen zeigten. Bei der "Allonomie" handle es sich um eine
Veranlagung, "die sich unwillkürlich auf den Andern bezieht; sich naturgemäß als
Glied eines Ganzen, als Ausdruck und Organ einer Macht, als Teil eines All-Gesche-
hens erfährt."200 So werde auch der Leib sofort auf die Seele, der Einzelne auf die
Gemeinschaft, die Wahrheit auf den Wert usw. bezogen. "Immer steht das einzelne
Element im 'Auf-hin' und 'Von-her'. Es ist über sich hinaus auf das andere bezogen;
aber so, daß es ebendarin zu seinem vollen Sondersein gelangt."201 Im christlichen
Denken habe sich diese Veranlagung nun eben so ausgewirkt, daß der Mensch immer
sofort auf Gott bezogen worden und die "zweiten Ursachen" vor den "ersten" zurück-
getreten seien.202 Dieser natürlichen Tendenz stehe die andere, nämlich die
"autonome" entgegen. Auch sie setze eine bestimmte Selbsterfahrung voraus - "jene
nämlich, in welcher der Mensch sich in sich selbst stehen findet; Herr des eigenen
Seins; seines Verhältnisses zu den Dingen und zu den Gültigkeiten sicher."203

194
Bekehrung, 77; vgl. auch ebd., 123 u. ö. - Siehe oben die Äußerungen Pascals.
195
"Augustins Denken steht noch vor der Scheidung in Philosophie und Theologie. In ihm denkt der
christliche Mensch über das Dasein - welches Daseins selbst aber das wirkliche, d. h. von Gott angerufene ist"
(Bekehrung, 78; vgl. dazu insgesamt ebd., 76-79). Dazu vgl. auch bereits Bekehrung, 15; ferner ebd., 78:
"Augustins Denken neigt sogar dazu, ins Existentielle überzugehen - das Wort in dem strengen Sinne ge-
nommen, den es bei Kierkegaard hat."
196
Bekehrung, 120.
197
Bekehrung, 123.
198
Bekehrung, 125.
199
Vgl. Bekehrung, 120.
200
Bekehrung, 120.
201
Bekehrung, 71.
202
Vgl. Bekehrung, 121.
203
Bekehrung, 120.
Augustinus 303

Durch die Rückführung auf zunächst noch völlig wertneutrale "Gegensätze"204


entideologisiert Guardini den für ihn antichristlich belasteten Autonomiebegriff und
gibt ihm damit gleichzeitig ein christliches Daseinsrecht:
"Wo diese Haltung echt ist, bildet sie eine ursprüngliche Anlage, die sich ebenso
ins Christliche wie ins Nicht-Christliche wenden kann und darin erst ihre letzte
Bestimmung erhält."205
"Auch der anlagegemäß 'autonome' Mensch kann gläubig und gottgehorsam
sein; große Gestalten des neuzeitlichen, aber auch des früheren Christentums
zeugen dafür."206
Guardini zeigt sogar, daß die Wurzel des neuzeitlichen Autonomiestrebens im christ-
lichen Glauben selbst liege:
"Christus hatte den Geist aus der Naturverfallenheit befreit. Diese Freiheit, in
der Nachfolge vollzogen, war geistlicher Art gewesen; von Gnade und Glauben
getragen. Sie hatte sich aber ins Innerweltliche, ins Psychologische und Kultu-
relle fortgesetzt. So war die neue Innerlichkeit und Unabhängigkeit des abend-
ländischen Geistes entstanden."207
Allerdings habe sich dann in der Neuzeit eine gegenüber dem Mittelalter neue Ten-
denz geltend gemacht: Der Glaube habe nun aufgehört, die allgemeine Form des Da-
seins zu bestimmen; zugleich aber fahre der Geist fort, "sich aus den Zusammenhän-
gen der Natur zu lösen. Denkend, planend und gestaltend stellt er sich immer ent-
schiedener auf sich selbst und nimmt das Gegebene in Natur, Leben und Psyche zum
Stoff für den Aufbau einer selbstgewollten, frei entworfenen Daseinsgestalt."208 Da-
mit werde die christlich begründete "Autonomie" zu einer Haltung, die Gott schließ-
lich sogar ablehnen zu müssen glaube um eben dieser "Autonomie" willen. Eine sol-
che Übersteigerung weist Guardini eindeutig zurück, nicht jedoch eine strukturelle
"Autonomie", die im Wechselspiel mit "allonomen" Tendenzen auch für ihn eine
durchaus sinnvolle Möglichkeit darstellt.
Das augustinische "Auf-Gott-Hin" des Menschen sei nämlich nicht an sich schon
ein Widerspruch zur "Autonomie", nämlich "heteronom". Gott gegenüber gelte die
allgemeine Scheidung "Entweder bin ich es, oder ein Anderer" überhaupt nicht:

204
Man kann sie auf jenen "transzendentalen" Grundgegensatz zurückführen, den Guardini im Gegen-
satzbuch unter die Begriffe "Zusammenhang" und "Gliederung" gefaßt hat; vgl. Gegensatz, 86-88. Hier fallen
auch die Stichworte "psychologischer Atomismus" und "Autonomismus ... im kulturellen Leben" (vgl. ebd.,
88). Der "Zusammenhang" ist für Guardini ein besonderes Kennzeichen platonischen Denkens (vgl. Semer,
264-274). Im Horizont des christlichen Glaubens, der die unverwechselbare Unterscheidung zwischen Gott
und dem Endlichen voraussetzt (vgl. Bekehrung, 122), kann das "Zusammenhangsdenken" zur platonisch-
augustinischen Aufstiegsbewegung fuhren bis hin zur Entwertung des Endlichen. Das Denken in
"Gliederungen" (bzw. die "autonome" Struktur) kann zur Überbetonung des qualitativen Unterschiedes füh-
ren, so daß Gott etwa bei Kierkegaard zum "absolut Anderen" wird - eine christliche Entsprechung zur
"heroischen Endlichkeit" des neuzeitlichen Autonomismus; vgl. Semer, 269f; Bekehrung, Anm. 18, 63.
205
Bekehrung, 120.
206
Bekehrung, 121. Guardini nennt leider keine Beispiele; doch denkt er vielleicht (neben Kierkegaard)
an Ignatius von Loyola, dessen Gestalt er bereits früher der benediktinischen Frömmigkeit gegenübergestellt
hatte; vgl. etwa Casel, 191f. (8. 10. 1921).
207
Bekehrung, 60f.
208
Bekehrung, 61.
304 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Gott ist dem Menschen gegenüber nicht so der Andere, wie ein zweiter Mensch
es mir gegenüber ist. Einmal deshalb, weil er unter keinen irdischen Begriff
fällt, also auch nicht unter den des Nicht-Ichs. Dann aber, weil es sich mit dem
Menschen gar nicht so verhält, daß er einfachhin selbst in sich wäre, und
'drüben' stünde Gott, sondern der Mensch besteht ja doch durch Ihn ... Das Da-
sein eines Menschen ist ein beständiges Bewirktsein durch Gott. Das erfährt
Augustinus; und erfährt es so, daß gerade darin das Eigentliche, die Glorie des
Menschendaseins liegt."209
Bei der echten Liebesbeziehung unter Menschen handelt es sich nach Guardini um
eine Analogie dieses Phänomens. Auch zu ihrem Wesen gehöre es, "daß die Gegen-
wart, das Herwirken und Zur-Geltung-Kommen des geliebten Andern nicht als Ein-
bruch einer fremden Macht und als Abdrängung vom eigenen Wesen, sondern gerade
als Voraussetzung wahren Zu-sich-selbst-kommens erfahren wird."210 Von der echten
"Ich-Du"-Beziehung her - und damit letztlich von der Wirklichkeit der Person her,
wie Guardini später ausführlich zeigt211 - werde also die falsche Kontroverse bereits
überwunden, vor allem wenn sie dann auf Gott und seine "Gnade" übertragen werde:
"Die Gnadenkategorie ist im Grunde nichts weiter als die Kategorie der Liebe,
vorausgesetzt, daß darin Gott - nicht einer der Liebenden, sondern der zuerst
und schöpferisch Liebende ist, der auch schenkt, daß er wiedergeliebt werden
könne ... Gott muß als der Liebende geglaubt, erfahren und verstanden sein, soll
das, was Augustin über sein Verhältnis zum Menschen sagt, den gemeinten Sinn
bekommen."212
Allerdings kann die Haltung der "Allonomie" genauso ins Extrem übersteigert werden
wie die "Autonomie". Letzteres geschah nach Guardini in der Neuzeit, ersteres im
augustinisch-mittelalterlichen Denken. Er spricht nun von der Gefahr des "religiösen
Absolutismus", den er bereits in Bezug auf Pascal registriert hatte:
"Sobald das Denken sich gewöhnt, von jeder endlichen Gegebenheit unmittelbar
auf Gott, auf seine Wirksamkeit, Ewigkeit, Sinnfülle usw. zurückzugreifen,
droht das Irdische sein Gewicht zu verlieren. Es hört auf, wirklicher Antrieb des
Handelns und lohnender Gegenstand der Arbeit zu sein."213
Guardini bezeichnet dies als "Kurzschluß vom Religiösen her";214 es handle sich um
eine "Entmächtigung des Endlichen vom Religiös-Unbedingten her, gegen welche
sich das christliche Denken geschützt hat, indem es Augustinus wohl zum Hüter des
inneren Heiligtums gemacht, zum Führer aber nicht ihn gewählt hat, sondern Thomas
von Aquin."215

209
Bekehrung, 134f.
210
Bekehrung, 136.
211
Vgl. WP 132-169.
212
Bekehrung, 137.
213
Bekehrung, 138; vgl. ähnlich auch ebd., 29; 52; Anm. 23,71; 109; 11 lf; Anm. 39, 118; 120f.; 126.
214
Bekehrung, 52; vgl. auch ebd., 109.
215
Bekehrung, 109; vgl. ebd., 138: "Die allgemeine Bildung des christlichen Denkens mußte von anders-
woher kommen: Von Meistern, bei denen die Eigendichte des endlichen Seins ganz ursprünglich erfahren
und zu ihrem Recht gebracht wurde. Ihr Führer ist Thomas von Aquin."
Augustinus 305

Mit dieser Relativierung des augustinischen Ansatzes, die Guardini wenig später zu
einer Relativierung des mittelalterlichen Denkens überhaupt ausweitet,216 ist gleich-
zeitig die auch in den bisherigen Interpretationen erkennbare Grundproblematik neu
benannt: In welcher Weise läßt sich ein existentieller, das ganze Dasein prägender
Gottesbezug, wie er bei Augustinus und Pascal vorliegt, in eine Gegenwart übertra-
gen, in der auch die positiven Beiträge neuzeitlichen Denkens gewährt werden müs-
sen, vor allem das Bewußtsein von der Eigenbedeutung des Endlichen? Die Rückver-
sicherung bei Augustinus, der ja die Grundlagen mittelalterlicher Kultur gelegt hat,
hat Gefahren und Werte einer christlichen Daseinsgestalt deutlich gemacht. Sie hat
gleichzeitig angedeutet, daß es Guardini nicht um eine ausschließliche Rezeption die-
ser Tradition und damit in gewisser Weise um eine Rückkehr in ein vorneuzeitliches
Stadium geht, sondern um eine Verbindung "autonomer" und "allonomer",
"neuzeitlicher" und "mittelalterlicher" Haltungen. Gerade seine Gegensatzlehre be-
wahrt Guardini auch hier vor einem Ausschließlichkeitsdenken, die dem lebendig-
konkreten Menschen und auch dem von allen innerweltlichen Strukturen unabhängi-
gen Glauben nicht gerecht wird.
Entscheidende Bedeutung gewinnt dabei "die Macht der augustinischen Innerlich-
keit"211. Sie zeigt sich nicht nur in der Tatsache, daß Augustinus in den
"Confessiones" sein eigenes Dasein in die Wahrheit Gottes hineinhält,218 sondern
auch in der Bedeutung, die das "Herz" für Erkenntnislehre und Ethik gewinnt; ja
diese "Innerlichkeit" erweist sich als dessen Grundlage. Gemeint ist die "christliche,
die heilig-geistliche Innerlichkeit, das 'In' der Paulusbriefe und der johanneischen
Schriften".
"Sie ist kein räumlicher Bereich. Aber auch kein einfach psychologischer, der
für sich, als von vornherein Gegebenes oder allmählich sich Entwickelndes da
wäre, und in dem Gott sich befände. Sie entsteht erst dadurch, daß Gott im Le-
ben des glaubenden Menschen zur Geltung kommt."219
So entsteht eine gnadengeschenkte, sozusagen zweite "christlich-psychologische
Innerlichkeit".220 Ihr entspricht als Gegenpol das "Oben" bzw. "Darüber" als Symbol
für die Zielrichtung des "Auf-Gott-Hin".221 Hierher gehört der Begriff des "Herzens
Gottes", "aus dem alle Schöpfung hervorgeht und in dem alles Geschaffene gewahrt
bleibt." "Das Herz im Menschen aber ist jener Raum, jene Gestimmtheit, jene Innig-
keit, die auf dieses alles antwortet."222 Allerdings ist Gott nicht nur "Oben", sondern
auch "Innen"; von beiden Punkten her wirkt er, nicht nur als "Sinn- und Liebesraum",
in dem der Mensch steht, sondern auch als Bewegung von innen her, als

216
Vgl. WP 24-27. Siehe dazu VI,l,c.
217
Bekehrung, 31; Hervorhebung von mir. Vgl. das ganze Kapitel ebd., 31-39. - Zu Recht weist v. a.
Helmut Kuhn auf die Bedeutung des "innerlichen Weltbilds" für Guardini hin (vgl. Philosoph der Sorge, 45-
56). In der Tat kann damit mit Kuhn eine Weiterentwicklung der Gegensatzphilosophie gesehen werden, was
bisher wenig beachtet worden ist.
218
Vgl. Bekehrung, 21 und 31.
219
Bekehrung, 37.
220
Bekehrung, 38.
221
Vgl. Bekehrung, 27f. und 72. - Guardini grenzt sich schon hier gegen die "dualistische" Polarität
"Oben"-"Unten" ab; vgl. ebd., Anm. 8, 38; ausführlicher später in: WP 45-51.
222
Bekehrung, 72.
306 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Durchdringung".223 "Oben" und "Innen" sind die echten Pole "des existentiellen
Raumes und der Welt der Werte".224 Diese Polarität findet Guardini vor allem in ei-
ner berühmten Stelle der "Confessiones" (III, 6, 11):
"Du aber warst innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes."225
Parallel zu seinen Augustinusstudien hat Guardini diese Daseinspolarität, die sich im
Grunde schon in der Gegensatzphilosophie angekündigt hatte,226 in einer eigenen
"Lehrrede" weiter entfaltet,227 in der er die "Innerlichkeit" phänomenologisch als
Grundmerkmal alles Seienden aufweist. Er kann so - dem Stufenbau der Wirklichkeit
entsprechend (vgl. dazu Kapitel IV,3,c,dd) - eine "Innerlichkeit des Körpers", eine
"Innerlichkeit des Psychischen" und eine "geistige" Innerlichkeit unterscheiden.228
Christliche Innerlichkeit sei von all dem nochmals qualitativ verschieden und stehe
"zu allen anderen Innerlichkeitsbereichen quer".229 So könne man zwar sagen, daß
dadurch auch eine "Verinnerlichung" im psychologischen und kulturellen Sinne er-
folgen könne, 230 aber was Jesus gebracht habe, sei davon noch einmal wesentlich
verschieden.231
"Christliche Innerlichkeit ist kein Raum in uns, der bereitstünde und in den Gott
kommen könnte, sondern der zur Verwirklichung seines Reiches kommende
Gott wirkt selbst die innere Tiefe und Weite, in der er wohnen will."232
Es handelt sich eigentlich um die "Innerlichkeit" Gottes selbst, die zum Menschen
kommt und sich in ihm erhebt.233 Daß die Bekehrungserfahrung Augustins gerade in
diesem Sachverhalt wurzelt, betont Guardini vor allem in seiner zweiten Augustinus-
Schrift ("Anfang", 1944). Hier geschehe ein "Hervorgehen des Ganzen aus dem inne-
ren Anfang"234, aus dem echten Anfang, "aus nichts Vorausgehendem abzuleiten,
vielmehr nur zu denken, indem der Wiedergeborene in seinem neuen Dasein die Au-
gen aufschlägt, sich selbst annimmt und vorangeht."235
Die damit gewonnene Einsicht, daß das Wesentliche des Menschen von "innen"
kommt, habe das abendländische Bewußtsein zutiefst geprägt und es auch dann noch
bestimmt, als die spezifische christliche Innerlichkeit schon längst verschwunden

223
Bekehrung, 72. - Diese Durchdringung findet Guardini auch zwischen Geist und Körper, Idee und
Ding, Wahrheit und Wert (vgl. ebd., 72f.).
224
Vgl. Bekehrung, Anm. 8, 38.
225
Vgl. Bekehrung, 37.
226 vgl. Gegensatz, 56-58 ("Der Begriff des Inneren") und 79f. Hier allerdings tritt dem "Innenpunkt"
noch ein Mu/8enpunkt" gegenüber (ebd., 79); der Gedanke der "Höhe" bzw. des "Oben" fehlt noch.
227 vgl. Innerlichkeit (1934 in den "Schildgenossen", dann 1935 im Sammelband "Unterscheidung des
Christlichen"); später aufgenommen in das anthropologische Hauptwerk Guardinis "Welt und Person" (51-
59), ergänzt durch einen Abschnitt über "Die christliche Höhe" (59-65) und eingeordnet in das zweite Kapitel
des ersten Teils: "Die Pole des Daseinsraumes" (45-70). Vgl. dazu die Analysen bei: Schreijäck, Inexistenz,
32-38 64-71 und 139-145.
228
Vgl. WP 51-53.
229
WP57.
230
Vgl. WP 54 und 56.
231
Vgl.WP53f.
232
WP 56.
233
Vgl. WP 55-58.
234
Anfang, 31.
235
Anfang, 27.
Dante 307

war.236 Wenn Guardini nun gerade im Blick auf die gegenwärtige und kommende
Epoche an die "Tiefenkraft" des "Personalen" appelliert,237 dann gewinnt Augustinus
neu an Bedeutung. Zu der Zeit nämlich, als Augustin seine Fragen stellte, waren "die
schützenden und tragenden Ordnungen, welche um den antiken Menschen her einen
Kosmos bildeten und seinem Dasein Selbstverständlichkeit gaben, überall im Zerfall
begriffen"; der Einzelne fühlte sich "einer unheimlich gewordenen Welt und einem
nicht mehr verständlichen Geschichtsgang ausgeliefert."238 Die christliche Umwand-
lung befähigte Augustin aber,
"die Wirklichkeit des personalen Daseins in einer Weise zu empfinden und die
daraus kommenden Probleme mit einer Schärfe zu sehen, welche der Antike
versagt war. Ebenso aber auch dem Mittelalter, dessen gewaltige Jugendkraft
sich nicht auf Reflexion, sondern auf Konstruktion richtete, während der Ein-
zelne durch die großen Gefüge des Denkens und Lebens getragen war ... Erst bei
den Denkern der frühen Neuzeit ... dringen jene Fragen durch, um von da ab
nicht mehr zu verstummen."239
Die christliche "Innerlichkeit" entwickelte sich also zur modernen "Subjektivität"
weiter, die freilich die Basis des Glaubens immer mehr verlor. Die Rückbesinnung
auf Augustinus - hinter die Neuzeit, aber auch hinter das Mittelalter zurück, an den
Punkt, an dem das Denken schon einmal in einer kulturellen Krise zur Innerlichkeit
des Glaubens durchgestoßen war - dient in der kulturellen Krise der Gegenwart, in
der die Grundlagen der Neuzeit brüchig werden, als Bekräftigung des von Guardini
seit den "Briefen vom Comer See" immer wieder verkündeten Programms - daß näm-
lich die menschliche Bewältigung der gegenwärtigen Krise nicht von "außen", son-
dern von "innen" kommen muß, und daß dieses "Innen", die menschliche Personali-
tät, in der christlichen Daseinsdeutung kein Hindernis, sondern im Gegenteil seine
tiefste Begründung findet.

cc. Christliche Bejahung der Endlichkeit (Dante)


Unfertiger und mosaikartiger als die sonstigen Interpretationen machen sich die
beiden Bücher über Dante aus, von denen das erste lediglich die Gestalt des Engels in
der "Göttlichen Komödie" herausgreift,240 das zweite aus einer Reihe bereits früher

236 vg]. Bekehrung, 38. - Guardini erinnert daran, daß gerade Nietzsche dieses christliche Erbe wahrge-
nommen habe. "Merkwürdig ist die Naivität, mit der unsere so kritische Geisteswissenschaft die Wirkungen,
welche der christliche Glaube im abendländischen Menschen hervorgebracht hat, einfach zur kulturellen
Entwicklung schlägt und meint, sie seien sicher, auch wenn jenes Glauben, Lieben, Üben und Opfern als
überholt ausgeschieden wird" (Bekehrung, Anm. 7, 38).
237
Vgl. Briefe, 77; vgl. dazu Kap. IV,l,c.
238
Anfang, 9.
239
Anfang, 10.
240 vgl. Engel (1937). - Hans Urs von Balthasar bezeichnet dies als "thematisch nicht sehr glücklichen
Einsatz" (Balthasar, Guardini, 68), übersieht aber den Grund, weshalb Guardini aus den durchaus viel breiter
angelegten Danteinterpretationen gerade das Thema des Engels herausgegriffen hat: Nachdem er nämlich be-
reits bei Dostojewskij auf diese Figur gestoßen war (vgl. Dostojewskij, 102-125: "Der Cherub"), hatte er wenig
später Hölderlins "Engel des Vaterlandes" entdeckt und war zudem auf eine Parallele bei Rilke aufmerksam
geworden (vgl. Hölderlins Bild von der Geschichte (1935/36), 332; entspricht Hölderlin [1939; hier 3 1980],
162-164). Da er darin einen wichtigen Hinweis auf die religiöse Entwicklung der Gegenwart sah, wollte er of-
fenbar die christliche Engelgestalt näher untersuchen, wie sie bei Dante noch vorlag. Damit ist zugleich die
308 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

erschienener und jetzt nur geringfügig überarbeiteter Aufsätze zusammengestellt


ist.241 Dieses im Vergleich zu anderen Interpretationen recht dünne Ergebnis steht in
einem merkwürdigen Kontrast zu der Vielzahl von Vorlesungen, die Guardini in
Berlin, Tübingen und München über Dante gehalten hat.242 Der Versuch, aus diesem
Material eine Gesamtdarstellung zu formen,243 scheiterte offenbar, so daß nicht nur
der Weg zu, sondern auch der Weg mit Dante für Guardini nicht gerade glatt ver-
lief.244 Dies war bei der Größe dieser Dichtung (Guardini konzentrierte sich vor al-
lem auf die "Göttliche Komödie") auch nicht verwunderlich. Am Ende standen jedoch
auf jeden Fall bestechende Einzelanalysen, die zwar auf den ersten Blick wenig Be-
zug zur Gegenwart erkennen lassen, sich bei näherem Hinsehen aber ebenfalls als
Orientierungspunkte für den Glauben am "Ende der Neuzeit" erweisen.245
Dante ist für Guardini jener Repräsentant des Mittelalters, der die "Philosophia und
Theologia cordis", die von Augustinus entfaltet und von Bonaventura in ein "System"
gebracht wurde, in die Form der Dichtung gekleidet hatte.246 Im visionären Charakter
der "Göttlichen Komödie", den Guardini vor allem anhand der Interpretation der
Himmelsrose nachweist247 und der seiner Ansicht nach durchaus seinen Ursprung in
einem echten visionären Erlebnis haben könnte,248 liege es begründet, daß auch
Dante von einem "existentiellen" Blickwinkel aus betrachtet werden könne.249 Die

von Bernhard Hanssler aufgeworfene Frage beantwortet, ob das Thema des Engels von der Dante-Interpreta-
tion aus auf die Hölderlin- und Rilke-Studien übertragen worden sei oder umgekehrt (vgl. Annäherung an
Dante, 79). Ähnliches gilt auch für das Thema der "Landschaft", das zuerst in der Interpretation Hölderlins
auftaucht (vgl. Strom 1934/35, 457-463; dann erweitert in: Hölderlin, 102-114) und dann erst ausdrücklich in
die Dante-Interpretation eingeht (vg). Landschaft, 125-156 [urspr 1950]; ebenso der Titel des Dante-Buches:
"Landschaft der Ewigkeit"). Allerdings war dieses Thema implizit schon im frühen Beitrag über
"Seinsordnung und Aufstiegsbewegung in Dantes Göttlicher Komödie" (1933; dann 1935) angelegt.
241
Vgl. Landschaft (1958). Die einzelnen Beiträge entstammen dem großen Zeitraum von 1931 bis 1956.
242
In der Bibliographie lassen sich folgende Dante-Vorlesungen nachweisen: WS 1930/31 (329); WS
1932/33 (380); SS 1934 (430/31); SS 1936 (470); WS 1936/37 (471); SS 1937 (471); SS 1939 (545); SS 1948
in Tübingen (nur im Vorlesungsverzeichnis der Universität Tübingen, S. 30 nachgewiesen); SS 1950 (786);
SS 1951 (836); SS 1953 (931); WS 1955/56 (1041); SS 1956(1108).
243 vgl. v. a. das im Guardini-Archiv aufbewahrte Manuskript: Dantes Göttliche Komödie. Ihre philoso-
phischen und religiösen Grundgedanken* (1950).- Bereits 1934 strebte Guardini ein Dantebuch an (vgl. Ge-
sprächsnotiz bei Görner, Guardini, 1 lf). Am Thema des Engels sollte dann "für diese größere Arbeit die Me-
thode erprobt und festgestellt werden, ob sie tief genug reicht, um das Wesentliche zu sagen und feinfühlig
genug ist, um den Wendungen und Verzweigungen der Gedanken, Bilder und Formen zu folgen" (Engel, 9).
1950 kündigte er dann an, die bereits fertiggestellten Studien in das Vorlesungsmanuskript einzuarbeiten (vgl.
Dantes Göttliche Komödie*, HO- Mit der Veröffentlichung dieser Beiträge als "Dante-Studien II" im Jahre
1958 (vgl. Landschaft) hatte Guardini die ursprüngliche Absicht offenbar endgültig aufgegeben.
244
Über den Weg zu Dante vgl. den Beitrag "Vorbereitung auf Dante" in: Landschaft, 247-253.
245
Aus der Sekundärliteratur sind zu erwähnen. Balthasar, Guardini (1970), 68-72; Wechsler, Guardini
(1973), 148-153; Hanssler, Annäherung an Dante (1976); Biser, Interpretation, 41-44 u. ö.
24b
Vgl. Pascal, 143; Bekehrung, 70 (s. o ) .
247
Vgl. Landschaft, 15-50 (urspr. 1946 unter dem Titel "Vision und Dichtung", jetzt bewußt den Dante-
Studien vorangestellt).
248 vgl. Landschaft, 26-28, sowie 49f- Guardini stutzt sich für die These vom visionären Ursprung der
Dichtung v. a. auf das letzte Sonett der "Vita Nuova". Gegen die Auffassung Guardinis vgl. Hanssler, Annä-
herung an Dante, 80-82.
249
Auch der frühe Aufsatz über die Denkergestalten in der "Göttlichen Komödie" (vgl. Die Erkenntnis
und der Kirchenlehrer [1931]) wird in diesen Zusammenhang eingefügt und unterstreicht den "existentiellen"
Charakter der Dichtung; vgl. Landschaft, 195-216.
Dante 309
Lehre vom "Herzen" stehe auch im "innersten Bereich von Dantes Philosophie",250
und die platonisch-augustinische Bewegung des "Eros" sei auch für ihn zentral.251
Eine wesentliche Bedeutung dafür spiele für Dante die Gestalt Beatrices, seiner früh-
verstorbenen Jugendliebe.252 Die Entfaltung der "Göttlichen Komödie" bilde zugleich
die "Entfaltung dessen, was 'Beatrice' ist". Die Dichtung werde zum persönlichen
"Denkmal" von Dantes Liebe; in der Person Beatrices sei aber zugleich die Liebes-
bewegung des menschlichen Daseins überhaupt anwesend, von der die Dichtung
spreche.253 "Seinsordnung und Aufstiegsbewegung"254 der "Göttlichen Komödie"
seien einzig von der "Liebe" geleitet.
"Die kosmische Liebe entzündet sich am mächtigsten in der Nachbarschaft des
Empyreums, welches ja der 'Ort Gottes' ist, nämlich im primum mobile. Liebe
ist metaphysische Bewegung; Streben des Geschaffenen zum höchsten Wert. In
den Sphären, die keine nur physische, sondern eine halb-geistliche, eben
'himmlische' Natur haben, gewinnt sie raumzeitlichen Ausdruck: Die Sphäre
schwingt im Kreis. Dieses Kreisen ist also keine bloße Ortsveränderung, son-
dern unmittelbarer Ausdruck von Sinn. In ihr offenbart sich das Heimstreben
zum ersten Anfang; aber so, daß es bereits etwas von Erfüllung in sich hat."255
"Je weiter vom Empyreum weg, um so geringer die Entflammung, um so schwä-
cher die Liebe, um so langsamer die Bewegung ..."256
Es gehe Dante um die Bewegung der Menschen, ja um seine eigene Bewegung auf
Gott zu: "An jeder Stelle wird die Bewegung der Sinnmitteilung, des Ausströmens
und Zurückholens der schenkenden und heimrufenden Liebe deutlich."257
Während die Einsicht in den visionären Charakter der "Göttlichen Komödie"
Guardini den entscheidenden Zugang zur Form der Dichtung brachte, gab für ihren
Inhalt ein Buch des deutschen Romanisten Erich Auerbach den wichtigsten An-
stoß:258

250
Vgl. Landschaft, 110.
251
Auch der Aspekt der "Verwandlung", den Guardini im Augustinus-Buch als Teilaspekt der
"Bewegtheit" genannt hatte, wird von ihm in Bezug auf Dante eigens thematisiert; vgl. Landschaft, 218-245
(von 1950).
252 vgl. dazu näheres im anschließenden Kapitel über das letzte Sonett der "Vita Nuova": Landschaft, 85-
98 (1953 veröffentlicht).
253
Vgl. Landschaft, 61f.
254
So der ursprüngliche Titel von Landschaft, 51-83 (bereits 1933 erstmals erschienen).
255
Landschaft, 55.
256
Landschaft, 55.
257
Landschaft, 66.- Guardini geht an dieser Stelle ausdrücklich auf das vom (neu-)platonischen Denken
bestimmte Weltbild des Mittelalters ein; vgl. ebd., 63-67. Von daher ergibt sich, daß das ganze Sein "in einer
lautlosen Bewegung" steht: "des Ausganges von Gott und der Rückkehr zu ihm; des Werdens aus Liebe und
der Heimkehr in Liebe. Frei wird diese Bewegung durch die Gnade, im Menschen. Indem dieser, befähigt
durch die Gnade, glaubend und liebend den Weg der Läuterung, Heiligung und Vereinigung geht, vollzieht er
das Liebesgebot, das überall aus der Stufenordnung der Dinge spricht, und nimmt die Dinge selbst mit. Die
kosmische Liebesbewegung wird hier zur ethischen, richtiger zur religiösen, geistlichen" (ebd., 66).
258
Vgl. E. Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, Berlin 1929.- Helmut Kuhn berichtet über das
Erlebnis "einer philosophisch erleuchteten Dante-Lektüre" Guardinis im Hause eines Freundes und Verwand-
ten Auerbachs, Anno Schmieden ("in den zwanziger Jahren"), an der er habe teilnehmen dürfen; vgl. ders.,
Philosoph der Sorge, Anm. 17, 31.
310 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Schon der Titel erregte: 'Dante als Dichter der irdischen Welt'; sein Inhalt aber
war noch reicher als die Erwartung. Dante wurde als der im tiefsten Sinn christ-
liche Dichter gezeigt. Als christlich aber war jene Gesinnung gemeint, welche
das Konkrete nicht ins bloß Empirische abgleiten läßt, sondern es ans Ewig-Ab-
solute bindet; und andererseits das Dasein nicht ins Ideelle auflöst, sondern es
geschichtlich hält... Da wurde mir deutlich, daß Dante jener Dichter ist, der den
Menschen, die Welt, die Geschichte, das ganze Dasein ins Ewige trägt, ohne
daß die endliche Gestalt aufgelöst würde. Sie wird verwandelt, bleibt aber erhal-
ten."259
Genau dies aber war die Aufgabe, die einem platonisch-augustinischen Denken im
Horizont der Neuzeit gestellt war - den "Auftrieb ... ins Absolute"260 mit der Einsicht
in die Eigenbedeutung der irdischen Wirklichkeit zu verbinden:
"Die Rettung des Platonikers ist der Weg ins Geschichtliche; der Weg des Ern-
stes; der stets erneuten 'Verwirklichung'; der Entscheidung und Treue."261
Dies für Dante herauszustellen, war die Absicht der zentralen "Studien" des Sammel-
bandes von 1958. Darum wurde zunächst "Leib und Leiblichkeit in der Commedia"
untersucht.262
"Die Grundwirklichkeit der Danteschen Dichtung ist nicht der Geist, sondern
der Mensch. Wohl gibt es in ihr den Geist; er ist aber verleibt oder sucht doch
Leibesgestalt."263
Gegen die Leibverachtung, die gerade im platonisch-neuplatonischen Denken zu fin-
den sei, betont Guardini, daß der christliche Glaube sich stets auf den ganzen Men-
schen beziehe;264 die Lehre vom "Herzen" vermöge dies auszudrücken, weil es in ihr
um die Verbindung von "Geist und Stoff gehe, und zwar so, "daß aus dem bloßen
Geist 'Seele' und aus dem bloßen Körper 'Leib' wird".265 Auch nach dem Tod sei der
"Leib" nicht einfach verschwunden; so wenig könne sich Dante die Existenz der blo-
ßen "Seele" vorstellen, daß er für das Jenseits die Vorstellung eines "Zwischenleibs"
entwickle;266 auch er sei aber nur eine vorübergehende Erscheinung: "Die Jenseitigen
warten überall auf den Leib der Auferstehung. Er erst wird den definitiven Zustand
bringen."267
Das Ausdrucksgeschehen der Seele im Leib setze sich bei Dante aber auch in die
Welt hinein fort.268 In seinem Beitrag über die "Landschaft" kann Guardini zeigen,
daß seelische Empfindungen und Zustände bei Dante sich unmittelbar in landschaftli-

259
Landschaft, 252f.
260
Semer, 264.
261
Semer, 263.
262
Vgl. Landschaft, 99-123 (von 1950).
263
Landschaft, 105.- Guardini bezieht sich hier auf die Lehre Thomas' von Aquin, die Seele sei "forma
corporis", die Dante übernehme (vgl. ebd., 105-107).
264
Vgl. Landschaft, 107-110.
265
Landschaft, 110.
266
Vgl. Landschaft, 110-121.
267
Landschaft, 117.
268
Vgl. Landschaft, 122f.
Dante 311
chen Formen ausdrücken.269 Allerdings sei der Dichter noch nicht in der Lage gewe-
sen, Landschaft im heutigen Sinne darzustellen; immer geschehe die Schilderung um
des Menschen willen, der in ihr lebt.270 Bereits 1947 untersuchte Guardini dann auch
das Geschichtsbewußtsein Dantes.271 Bernhard Hanssler hat daraufhingewiesen, daß
dabei weder auf das Thema "Imperium und Kirche" eingegangen wird noch auf "die
Auseinandersetzung mit den Kräften der Geschichte und ihren handelnden Personen
in Vergangenheit und Gegenwart", die doch gerade der "Stoff gewesen sei, den
Dante dichterisch verarbeitet habe.272 Durch genauere Analyse dieser "konkreten"
Inhalte hätte Guardini in der Tat belegen können, was er in seinem Beitrag postuliert:
"Daß Geschichte und geschichtliche Aufgabe vor der richtenden Majestät des
Ewigen, im verzehrenden Licht seiner Wahrheit, in der unendlichen Sinnfülle
seines Lebens nicht unwesentlich werden, sondern gesehen, bejaht, gewollt
sind."273
Doch verfolgt Guardini lediglich die Grundbewegung der "Commedia", durch die
Dante zwar vom "Inferno" über das "Purgatorio" zum "Paradiso" geführt wird, an
diesem Zielpunkt aber nicht etwa das Vergängliche abstreifen und ins Ewige einge-
hen darf, sondern auf die Erde und in die Geschichte zurückgesandt wird.274 Es geht
um die "ewigen Ordnungen", die in der gewaltigen "Vision" aufleuchten und nun
einer Zeit verkündet werden sollen, die sie offenbar inzwischen vergessen hat.275 In
der Schlußvision, in der Dante das Menschenantlitz Christi aufleuchten sieht, erkennt
Guardini das christliche Grundfaktum der Menschwerdung als "letzte Begründung der
Möglichkeit von Geschichte im eigentlichen Sinn des Wortes"276. Wesentlich für das
christliche Geschichtsbewußtsein, das hier zum Ausdruck komme, sei eben, "daß das
Einmalig-Endliche als solches durch Gottes Willen und vor seinem Urteil ewige Be-
deutung hat"277.
Dieser Ansatz mag nun zwar über Piaton hinausgehen, der nach Guardini im
"Symposion" lediglich den Weg "von der irdischen Gestalt zur ewigen Idee" geht,
wobei die konkrete Welt zurückgelassen werde. Guardini will durchaus mit Dante
auch den umgekehrten Weg zurück in die Geschichte gehen.278 Aber es ist eben im-
269
Vgl. Landschaft, 125-156 (ebenfalls von 1950; offenbar bildet dieses Jahr einen Höhepunkt der Be-
schäftigung mit Dante; vom selben Jahr stammt auch die Zusammenstellung des Dante-Manuskripts; s. o.).
270 vgl. Landschaft, 155f- Guardini hat an diese Studie eine andere über das "Phänomen des Lichtes in
der Göttlichen Komödie" angeschlossen (von 1956), in der Dantes Werk nochmals in die platonische Tradi-
tion gestellt wird und damit auch der Hintergrund für die immer noch vergeistigte Schilderung der Wirklich-
keit erhellt wird; vgl. Landschaft, 157-176.
271
Vgl. Landschaft, 177-194. Zum folgenden vgl. bes. Wechsler, Guardini, 148-153.
272 vgl. Hanssler, Annäherung an Dante, 79.- Dies gelte übrigens auch für das Motiv "Landschaft". Die
Landschaften der Dichtung zeichneten gerade eine konkrete geographische Realität nach, während Guardini
sie lediglich als "Szenarien und Rahmen des Geschehens" darstelle (ebd.). Hanssler führt dies auf die
"Voreingenommenheit" Guardinis zurück; durch die visionäre Deutung habe dieser sich den eigentlichen Zu-
gang zur "Commedia" verstellt (vgl. ebd., 80).
273
Landschaft, 183.
274
Vgl. Landschaft, 181-183.
275
Vgl. Landschaft, 185 und 191.
276
Landschaft, 191; vgl. ebd., 187-191.
277
Landschaft, 194.
278
Vgl. Landschaft, 185f.- Freilich betont Guardini an anderer Stelle auch, daß auch Piaton bereits eine
andere Seite habe, nämlich in seinem Bildungsgedanken. Die platonische Welt sei auf "zwei Pole" ausgerich-
312 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

mer noch eine platonische "Geschichtlichkeit", die als Abbild der "Ideen" (der
"ewigen Ordnungen") erscheint in der Welt verstanden wird. Von den Ideen führt der
"Weg im Geschichtliche" hinein (s. o.); der "Weg im Geschichtlichen" gewinnt kaum
eine Eigenbedeutung. Darum bleibt das Werk Dantes letztlich noch zutiefst
"mittelalterlich"; er bleibt an der Schwelle zur Neuzeit mit ihrer Autonomieforderung
stehen. Zwar war Dante vom Ansatz her schon "kein rein mittelalterlicher Mensch
mehr". "Ein Bewußtsein von der eigenen Individualität, wie er es besaß und der gan-
zen Welt gegenüberstellte, hat bereits den Schritt über die geistige Grenze des Mit-
telalters getan."279 Auch seine Einstellung zu den "irdischen Wirklichkeiten" kündigt
bereits neuzeitliches Empfinden an.280 Aber es gehörte nach Guardini zu seinem per-
sönlichen Schicksal, daß er trotzdem "nicht den Schritt nach vorn, in die anbrechende
neue Zeit hinein tut, sondern sich zurückwendet und mittelalterlicher wird, als ir-
gendein Mensch des vierzehnten Jahrhunderts es war"281. Darum erscheine "die We-
sensgestalt des Mittelalters nirgendwo so klar, so mächtig und mit solchem Gültig-
keitsanspruch wie in Dantes Werk"282.
Vielleicht hat gerade diese Einsicht Guardini daran gehindert, seiner Zeit eine um-
fassende Darstellung von Dantes "philosophischen und religiösen Grundgedanken"283
zu präsentieren. Aber der große italienische Landsmann wies auf die entscheidende
Frage hin, die über Augustinus hinaus in der Gegenwart nicht außer acht gelassen
werden darf: Wie kann die radikale (im "Herzen" verwurzelte) Bindung an Gott mit
einer Bejahung der irdischen Wirklichkeit und ihres Eigenwertes zusammengehen?
"Geordnete Welt" ist der Titel eines im Nachlaß erhaltenen Manuskripts, das
"Vorlesungen über das Daseinsbild von Dantes Göttlicher Komödie" einleiten soll-
te.284 Der "Odo"-Gedanke, der für Guardini (wie für Paul Ludwig Landsberg; vgl.
dazu Kap. IV,l,a) das entscheidende Merkmal mittelalterlicher Kultur gewesen ist,
kommt also gerade bei Dante besonders zum Ausdruck. Die "Akzentverlagerung zum
Weltbildhaft-Strukturellen", die Biser an Guardinis Dante-Interpretation bemän-
gelt,285 ist genau das, worauf es diesem ankommt. Sicher hat die parallele Beschäfti-
gung mit Hölderlin (vgl. dazu den nächsten Abschnitt) den Blick Guardinis eingeengt
und dazu geführt, daß die reine "Innerlichkeit" nun keine so große Rolle mehr spielt
wie noch im Augustinus-Buch.286 Aber Guardini verläßt dennoch die "mystisch-

tet. "Der eine liegt dort, wohin die Bewegung des Denkens und die ganze, in der Erkenntnis gipfelnde Exi-
stenz strebt - der andere dort, wohin sich die praktische Bildung des Menschen, des Einzelnen wie der Ge-
samtheit, richtet" (Notizen zu einem Wesensbild platonischen Denkens, 539). Dies drücke sich auch in Pia-
tons Forderung aus, daß die Philosophen zugleich Herrscher sein müßten (vgl. ebd., 540). Vgl. dazu auch
Henner, Pädagogik, 46f.
279
Seinsordnung, 431.
280
Vgl. Auerbach, Dante.
281
Landschaft, 155.
282
Seinsordnung, 431.
283
So der Untertitel im Manuskript "Dantes Göttliche Komödie"*.
284
Vgl. Geordnete Welt*.
285 vgl. Biser, Interpretation, 44.
286 vgl. Biser, Interpretation, 43: Guardini begebe sich der Möglichkeit, "das Ganze von seiner personalen
Aktionsmitte her und damit als ein menschliches Integrationsgeschehen, als den Aufstieg des Menschen zu
seinem gottgeschenkten Selbst, deutlich zu machen."
Hölderlin 313

existentielle" Sichtweise nicht, die sein eigenes Werk ja gerade auszeichnet. Diese ist
nämlich - daran muß jetzt erinnert werden - nicht nur auf eine "Innerlichkeit" im en-
geren Sinne beschränkt, sondern bezieht immer auch den existentiellen Daseins-Ttowm
mit ein. Dem "Innen" entspricht dabei nicht nur bei Augustinus, sondern auch in Dan-
tes Weltbild ein "Oben"; die smfenförmig aufgebaute Seinsordnung gründet in der
"Höhe", in der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes. Aber in der "Göttlichen Komö-
die" wird der existentielle Daseinsraum auch noch auf ein "Außen" erweitert - auf die
geschichtliche Wirklichkeit der Welt, in die sich der gläubige Mensch gestellt sieht.
Es kommt Guardini gerade darauf an, die augustinischen Gedanken in diese Richtung
fortzuschreiben. Bei Dante spürt er ansatzweise, daß die Liebe zur "irdischen Wirk-
lichkeit", zur menschlichen Leiblichkeit und zur Geschichte nicht verschwinden muß,
wo der Auftrieb ins Absolute bestimmend wird. Der mittelalterliche Dichter hat dies
nicht mehr konsequent genug weitergedacht. Für den Glauben der Gegenwart aber
wird es zur entscheidenden Aufgabe, wenn die neuzeitliche "Mündigkeit" nicht ein-
fach abgelehnt, sondern in das ganze des christlichen Gottesbezugs integriert werden
soll.

c. Hölderlins nachchristliche Religiosität


aa. Der Weg zu Hölderlin in "dürftiger Zeit"
"Man schreibt jetzt über 'Hölderlin und seine Götter'. Das ist wohl die äußerste
Mißdeutung, durch die man diesen den Deutschen erst noch bevorstehenden
Dichter endgültig in die Wirkungslosigkeit abdrängt unter dem Schein, ihm nun
endlich 'gerecht' zu werden."1
Mit diesen Worten beginnt Martin Heidegger seine erste Hölderlin-Vorlesung im
Wintersemester 1934/35. 1935 erscheint denn auch das Buch von Paul Böckmann
über "Hölderlin und seine Götter", auf das Heidegger wohl anspielt.2 Darin wird ganz
die religiöse Problematik des Dichters in den Mittelpunkt gestellt:
"Als Hauptproblem, auf das alle anderen Fragen zurückbezogen werden mußten,
ergab sich mir Hölderlins feierndes Nennen der Götter. Erst wenn man einen
Zugang findet zu dem, was Hölderlin mit den Göttern meint, läßt sich Gehalt
und Form seiner Dichtung verstehen."3
Böckmann geht dieser Frage mit Hilfe der historischen Methode nach und zeigt, wie
sich das Sprechen von Göttern seit Klopstock und Schiller bis zu Hölderlin entwickelt
hat und wie es sich in dessen "Bildungsweg" und "geistesgeschichtliche Situation"

1
Heidegger, "Germanien", 1.
2
Vgl. Böckmann, Hölderlin.- Böckmann hatte allerdings bereits zuvor in diesem Sinne Stellung bezogen,
und zwar gegenüber Wilhelm Böhm; vgl. dazu Kunisch, Hölderlin, 467f.
3
Böckmann, Hölderlin, VIII.
314 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

einordnet.4 Genau davon aber distanziert sich Heidegger: Hölderlin ist für ihn keine
"historische" Gestalt, der es im herkömmlichen Sinne "gerecht" zu werden gilt; er ist
der "zukünftige" Dichter, dessen "feierndes Nennen der Götter" (Böckmann) für die
Gegenwart maßgebend ist. Hölderlin habe eine neue Geschichte gegründet, "die an-
hebt mit dem Kampf um die Entscheidung über Ankunft oder Flucht des Gottes."5
"Was bleibet aber, stiften die Dichter" - dieses Hölderlin-Wort spricht das innerste
Motiv von Heideggers Beschäftigung mit dem Dichter an; nachdem die Frage nach
dem "Sinn des Seins" nicht mehr mit den Mitteln der Metaphysik zu lösen war, mußte
in ganz neuer Weise der "Anfang" des Denkens gesucht werden, und zwar vom Wort
des Dichters her.6 Hölderlin aber habe das "Wesen der Dichtung" neu gestiftet; er ist
daher für Heidegger der "Dichter des Dichters". Gleichzeitig ist damit eine "neue Zeit"
bestimmt - "die Zeit der entflohenen Götter und des kommenden Gottes".
"Das ist die dürftige Zeit, weil sie in einem gedoppelten Mangel und Nicht steht:
im Nichtmehr der entflohenen Götter und im Nochnicht des Kommenden."7
Darum ist Hölderlin zugleich der "den Deutschen noch bevorstehende Dichter" - den
Deutschen gerade deshalb, weil Hölderlins bisher noch ungehörtes Wort vom
"Heiligen" "aufbewahrt" ist "in die abendländische Sprache der Deutschen",8 aber
offenbar auch deswegen, weil in diesem Deutschland eben jetzt Dinge passieren, in
denen Heidegger etwas von der "Ankunft" einer anderen Geschichte zu erkennen
glaubt.9 Ein Jahr nach seiner berüchtigten Rektoratsrede und dem programmatischen
Anschluß an die nationalsozialistische Bewegung10 wendet er sich Hölderlin zu und
stellt ausgerechnet die Interpretation des Gedichts "Germanien" an den Beginn seiner
Auseinandersetzung. Allerdings: "Wir wollen nicht Hölderlin unserer Zeit gemäß ma-
chen, sondern im Gegenteil: Wir wollen uns und die Kommenden unter das Maß des
Dichters bringen."11 Denn:

4
Vgl. Kunisch, Hölderlin, 468; ders., Hölderlinbild, 24.- Dabei sprengt Böckmann aber durchaus bereits
die bisherige "Gepflogenheit, Hölderlin in seine Zeit 'einzuordnen'", und nähert sich nach LUtzeler in seinem
Ziel der Interpretationsweise Guardinis: "Hölderlins Wort muß wieder in seiner eigentlichen Bedeutung
gehört werden; man darf seine Dichtung nicht mehr nur nach Spuren der Romantik und des deutschen Idea-
lismus durchsuchen" (Hölderlin, 375).
5
Heidegger, "Germanien", 1.
6
Vgl. Pöggeler, Denkweg, 215-235 ("Hölderlin und der andere Anfang"). Es geht Heidegger um eine Zwie-
sprache zwischen Denkern und Dichtern, die "nahe wohnen auf getrennten Bergen" (Metaphysik, Nachwort,
51), also zwar deutlich unterschieden, aber doch verwandt sind. Heidegger suchte den "anderen Anfang" zu-
nächst im "anfänglichen" Denken der Griechen (vgl. Pöggeler, Denkweg, 195-207). Entscheidend für die Zu-
wendung zu Hölderlin war dann die Einsicht in die "Anfänglichkeit" der Kunst (vgl. ebd., 207-215); in ihr
geschieht die "Lichtung" des Seins, das "Sich-ins-Werk-setzen der Wahrheit", wobei das "Dichten" im allge-
meinsten Sinne zum "Wesen" des Kunstwerks erklärt wird (vgl. Allemann, Hölderlin und Heidegger, 102-108).
Dichten und Denken aber kann deswegen eng zusammenrücken, weil beides in einem entscheidenden Bezug
zur Sprache steht: "Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden
und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung" (zit. ebd., 108). "Der Denker sagt das Sein. Der Dichter
nennt das Heilige" (Metaphysik, 51).
7
Heidegger, Wesen der Dichtung, 47.
8
Heidegger, "Wie wenn am Feiertage", 77.
9
Zur Kategorie des "Adventlichen" bei Heidegger und ihren politischen Bezug vgl Ott, Heidegger, 26-31.
10
Dieser umstrittene Vorgang ist 1987 erneut in die Diskussion gebracht und mit dem philosophischen An-
satz Heideggers in engem Zusammenhang gesehen worden; vgl. V. Farias, Heidegger et la nazisme. Morale et
politique, Lagrasse 1987. Die historischen Details untersuchte daraufhin zusammenfassend Hugo Ott; vgl.
ders., Heidegger (1988), bes. 26-28, 129-146.
1
' Heidegger, "Germanien", 4.
Hölderlin 315

"Allemal schalten und walten da wir mit dem Gedicht. Es soll aber im Gegenteil
die Dichtung über uns walten, so daß unser Dasein zum Lebensträger der Macht
der Dichtung wird."12
Die Wiederentdeckung Hölderlins gehört zu den bemerkenswertesten Phänomenen
nach dem Ersten Weltkrieg, und nur von daher kann auch Guardinis Interpretation
richtig verstanden werden.13 Seit 1913 bereits erschienen Hölderlins Werke in einer
durch Norbert von Hellingrath, Friedrich Seebaß und Ludwig von Pigenot
herausgegebenen Fassung.14 Hellingraths Vorwort zum 4. Band richtete bereits die
Aufmerksamkeit auf den Götterglauben Hölderlins, ohne bereits die späteren
Folgerungen daraus zu ziehen.15 Für den Autor ist
"das Verkünden selbst Unterpfand des Verkündeten, die dröhnenden und innigen
Worte von Leben und Einkehr der Himmlischen bringen den Beweis für das fast
Unglaubhafte: daß noch in unserer Zeit kindlich wahrer Glaube die Götter herab-
rufen kann, daß die Sage, echtes mythisches Denken, unter uns Spätgeborenen
noch nicht erstorben ist."16
Alfred Baeumler fügte dieselbe Einsicht seinen Überlegungen anläßlich der neuen
Bachofen-Ausgabe bei:
"Nur Einer ahnte das unter den griechischen Götternamen verborgene unendliche
Leben: Hölderlin. Der einsame Dichter, dessen man auf dem Weimarischen
Olymp gelegentlich mit einigen kargen Worten gedachte, war der einzige, der das
Altertum unabhängig von Winckelmann mit eigenen Augen sah. Wo andere
Kunstwerke erblickten, schaute er Götter."17
In seiner zweibändigen Hölderlin-Interpretation ging Wilhelm Böhm dann in eine an-
dere Richtung, wenn er neben dem Dichter Hölderlin den systematischen Denker her-
vorkehrte, der in engstem Zusammenhang mit Schelling und Hegel, aber auch mit Kant
und Schiller zu sehen sei.18 Ihm gegenüber verstärkte dann Böckmann erneut den An-
satzpunkt Hellingraths,19 während Kurt Hildebrandt Hölderlin in das "ganzheitliche"

lz
Heidegger, "Germanien", 19. - Zu Heideggers Hölderlin-Interpretationen insgesamt vgl. die
Untersuchung von Allemann, Hölderlin und Heidegger, bes. 95-218.
13
Hermann Hesse stellt 1923 rückblickend fest, welche Rolle Novalis und Hölderlin in dieser Zeit spielen:
"... heut begegnen uns die Gestalten dieser Dichter jeden Tag, eine neue Jugend kennt, liebt, verehrt sie" (Neue
Bücher, in: Vivos voco. Zeitschrift für neues Deutschtum 3 (1923), H. 7/8, 290). Elisabeth Langgässer sucht
gleichzeitig in ihrem Essay "Die Welt vor den Toren der Kirche" auf Nietzsches und Hölderlins Spuren den
Mythos der Antike und strebt nach dessen Verbindung mit dem Christentum (vgl. Riley, Alles Außen, 195;
Langgässer, Welt). Vgl. bereits K. Vietor, Hölderlin und das Christentum, in: Hochland 17/1 (1919/20), 325-
333.
14
F. Hölderlin, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, begonnen durch N. v. Hellingrath, fortge-
führt durch F. Seebaß und L. v. Pigenot. 6 Bde., München-Leipzig 1913-1923; 2 1923.
15
Vgl. Kunisch, Hölderlin, 467.
16
N. v. Hellingrath, Vorwort, in: Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, XIV.
17
Baeumler, Einleitung, XXV. - Auch Baeumler wandte sich dem Nationalsozialismus zu, noch
entschiedener als Heidegger, mit dem er allerdings, "zumindest in der ersten Phase der 'nationalen Revolution'"
(Ott, Heidegger, 139), eng zusammenarbeitete.
18
Vgl. Böhm, Hölderlin; ders., Hölderlinliteratur, 28f.; Kunisch, Hölderlin, 467f. - Böhm sieht (wohl
wegen der philosophischen Deutung) eine Verwandtschaft mit Heidegger - "trotz seines sonstigen Denkens"
(Hölderlinliteratur, 27).
19
"Immer hat er den Glauben gesucht und insofern seine Dichtung in einer religiösen Sphäre angesiedelt"
(P. Böckmann, in: Anzeiger für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 49 (1930), 43; zit. bei Kunisch,
Hölderlin, 468).
316 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Denken der "deutschen Bewegung" einzuordnen suchte.20 Es ist der Nationalsozialis-


mus, der für Hildebrandt den Volksmythos Hölderlins verwirklichte; und auch bei der
Vorstellung der Arbeit von Böckmann sprach der zuständige Verleger von Hölderlin
als dem "Vorbereiter eines neuen deutschen Glaubens".21 Die mythische Sprache des
Dichters kam offenbar - wie manches andere - dem "Mythos des 20. Jahrhunderts"
(Rosenberg) entgegen.
Auch Guardini kam von der mythischen Sprache Hölderlins her. Nicht an Böhm,
dem er freilich die "Information über das Tatsächliche" verdankte, sondern an Hellin-
grath und Pigenot schloß er sich inhaltlich an.22 Auch den Beitrag Baeumlers hatte er
in anderem Zusammenhang intensiv studiert und kannte daher wohl auch dessen Ein-
schätzung von Hölderlins Götterglauben.23 Böckmann und Hildebrandt hatte er dage-
gen nicht gelesen, und das ist gegenüber ersterem besonders eklatant, da dieser der
Auffassung Guardinis besonders nahekommt.24 Guardini hatte allerdings mit seinen
Hölderlin-Vorlesungen begonnen, bevor Böckmanns Arbeit erschienen war, und sah
wahrscheinlich deshalb keinen Anlaß mehr zu ihrer Berücksichtigung, weil er die
Richtung seiner eigenen Auslegung schon gefunden hatte.25 Heideggers Überlegungen
registrierte er wohl erst, als im Jahre 1936 bzw. 1937 die Rede über "Hölderlin und das
Wesen der Dichtung" erschien.26 Allerdings ist es doch auffällig, daß Guardini in Ber-
lin und Heidegger in Freiburg gleichzeitig mit Vorlesungen über Hölderlin begannen,
ohne sich aufeinander zu beziehen.27 Immerhin hatten sich beide zwischen 1912 und
1915 in Freiburg kennengelernt, und im Jahre 1930 hatten sie sich - was vielleicht

20
Vgl. K. Hildebrandt, Hölderlin. Philosophie und Dichtung, Stuttgart Berlin 1939; vgl. dazu kritisch
Böhm, Hölderlinliteratur, 27f; Beißner, Neue Bücher, 3f.
21
Vgl. kritisch dazu Seckel, Hölderlins Götterglaube, 18.
22
Vgl. Hölderlin, 17. - Vgl. auch Strom, Anm. 7, 466 (im späteren Hölderlin-Buch weggelassen): "Über
diesen Zusammenhang hat Ludwig von Pigenot, Mitarbeiter des Hellingrathschen Editionswerkes, in seinem
Hölderlinbuch sehr Tiefes und Überzeugendes gesagt - wie ich überhaupt sagen möchte, daß ich seinem Buche
sehr viel verdanke, ungleich mehr als dem mühsamen großen Werke von Wilhelm Böhm. Allerdings scheint
mir auch Pigenot sehr deutliche Grenzen zu haben: Die Frage nach Hölderlins Verhältnis zum Christlichen ist
im Grunde überhaupt nicht gestellt. Von da aus wird aber auch die Weise, wie nach seiner Religiosität gefragt
wird durchaus unzulänglich."
23
Vgl. Kultur und Natur (urspr. 1931), Anm. 1, 186. - Siehe dazu unter IV,2,b,cc.
24
Vgl. LUtzeler, Hölderlin, 375; Beißner, Neue Bücher, 3; Kunisch, Hölderlin, 468. - Vgl. auch die zeitge-
nössische Wertung Dietrich Seckels: "In letzter Zeit mehrten sich die Zeichen, daß man jetzt zunächst einmal
Hölderlins Religiosität werde zu klären und zu deuten haben, und es ist wohl kein Zufall, daß gleichzeitig mit
Böckmann auch ein Theologe und Religionsphilosoph, Romano Guardini, dieses Problem in Angriff nahm.
Seine Ergebnisse stimmen mit denen Böckmanns vielfach aufs schönste zusammen, aber seine Methode ist eine
ganz andere und vermag noch Ausblicke zu eröffnen, die Böckmann bis jetzt verschlossen blieben. Beide Dar-
stellungen ergänzen sich durch ihre Gegensätzlichkeit und schenken uns auf einmal ein so reiches Bild von
Hölderlins Glaubenswelt, wie wir es noch vor einem Jahr kaum hoffen durften" (Hölderlins Götterglaube, 18).
Seckel bezieht sich allerdings nicht auf das Hölderlinbuch Guardinis, sondern auf die 1934-36 veröffentlichten
Aufsätze in den "Schildgenossen" (vgl. Strom; Geschichte).
25
Zu Guardinis Eigenheit, Sekundärliteratur nur so oft wie unbedingt nötig heranzuziehen, siehe bereits
oben in Abschn. l,b.
26
Vgl. Heidegger, Wesen der Dichtung; von Guardini zitiert in: WP Anm. 13, 109 [Anm. 50, 138]. -
Heidegger hatte die Rede am 2. April 1936 in Rom vorgetragen; im Dezemberheft 1936 der Zeitschrift "Das
innere Reich" wurde sie erstmals veröffentlicht, dann als Sonderdruck (München 1937).
27
Vorlesungsankündigung Guardinis für das WS 1934/35: "Glaube und Frömmigkeit Friedrich Hölderlins"
(vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 432); bibliographische Notiz in Heidegger, "Germanien": "Freiburger Vorle-
sung WS 1934/35". - Deshalb muß Winfried Hovers Aussage, Heidegger habe sich fünf Jahre vor (!) Guardini
zu Hölderlin geäußert (Hölderlin-Interpretationen, 58), entsprechend korrigiert werden.
Hölderlin 317

entscheidender ist - in Heideggers Zähringer Wohnung getroffen.28 Doch braucht man


angesichts der in der Luft liegenden Hölderlin-Renaissance gar nicht auf eine mögliche
direkte Abhängigkeit rekurrieren, sondern kann einfach in der gleichzeitigen Zuwen-
dung zu Hölderlin ähnliche Reaktionen auf eine überall zutagetretende Stimmung
erkennen.
Aber schon im Ansatz zeigen sich entscheidende Unterschiede: Nicht das "Wesen
der Dichtung" wurde von Guardini aus der Dichtung Hölderlins erhoben (als
"Lichtung" des Seins), sondern - wie in den übrigen Interpretationen - die zugrundelie-
gende "Frömmigkeit" und das "religiöse Weltbild".29 Anknüpfend an Hellingrath und
an Baeumler und zugleich über sie hinausgehend, konnte Guardini sagen, Hölderlin sei
der "einzige nachantike Mensch, dem man - aber es ist wohl richtiger, hier persönlich
zu sprechen: dem ich glauben kann, wenn er sagt, daß er an Götter glaubt."30 Ähnlich
wie bei Heidegger wurde auch hier Hölderlin radikal ernst genommen und nicht nur
ästhetisch bewundert oder historisch eingeordnet; aber es ist keine "dichterische",
sondern eine "religiöse" Erfahrung, die nach Guardini seinem Dichten zugrundeliegt.
Von der Existenz solcher Erfahrungen weiß Guardini nicht nur aus der christlichen
Mystik, sondern auch aus den religionswissenschaftlichen Schriften der Gegenwart,
vor allem von Rudolf Otto ("Das Heilige") und Walter F. Otto ("Die Götter Griechen-
lands").31 Die Erfahrung des "Numinosen", die in "primitiven" Kulturen vorherrschend
sei, werde zwar durch die christliche Offenbarung unter Kritik genommen, könne aber
auch noch "nachchristlich" vorkommen; eine "reine Christlichkeit", wie sie etwa in der
Dialektischen Theologie gefordert werde, sei im Grunde unmöglich.32 Wie Heidegger
hielt auch Guardini das, was sich zur Zeit unter den Deutschen vollzog, für den An-
bruch von etwas Neuem, das von ihm als "Religiosität" interpretiert wurde:
"Heute scheinen 'Götter' ganz anders ernsthafte Möglichkeiten zu sein, als sie es
für die Weimarer Klassik gewesen sind. Die religionspsychologische Situation,
aus welcher Götter hervorgehen könnten, scheint nicht allzu fern - wenngleich sie
natürlich von anderer Art sein würden als die früheren, vielmehr ihre Ansatzstelle
wohl dort finden müßten, wo die entscheidenden Verschiebungen im geschichtli-
chen Bewußtsein vor sich gehen: etwa in der Weise, wie das Volk erlebt wird,
das Blut, der Staat, die Macht usf."33
Bei Hölderlin aber sieht er diesen neuen "Polytheismus" anbrechen:
"Nachdem achtzehntes und neunzehntes Jahrhundert so selbstbewußt die 'reine'
Gottesidee herausgearbeitet, alle 'anthropomorphen' Elemente ausgeschieden und
28
Vgl. Ott, Heidegger, 301. - Guardini erinnert sich in seinem Brief vom 14. 1. 1946: "Wie gerne würde
ich mit Ihnen über die verschiedensten Dinge sprechen. Es ist ja so lange her, seit wir uns das letzte Mal gese-
hen haben. Ich erinnere mich noch genau an meinen Besuch in Zähringen und an Ihr schönes Studierzimmer"
(Stabi; zit. Ott, Heidegger, 301).
29
Vgl. Strom, 322 (Vorbemerkung zum Abdruck der Hölderlin-Aufsätze in den "Schildgenossen"); femer
der Titel der ersten Vorlesung ("Glaube und Frömmigkeit"; s. o.) und der Untertitel der Monographie
("Weltbild und Frömmigkeit").
30
Strom, 322; ähnlich dann Hölderlin, 16.
31
Vgl. Religiöse Erfahrung, Anm. 1, 307. Siehe dazu bereits Kap. IV,3,c,bb. - Zu W. F. Otto vgl. unten
Anm. 83.
32
Vgl. Religiöse Erfahrung, bes. 334f. - "Freilich wäre ein Polytheismus nach Christus etwas anderes als
vor Christus. Das alte Heidentum stand im Advent, vor der geschichtlichen Scheidelinie schlechthin; das neue
steht dahinter" (ebd., Anm. 6, 323).
33
Religiöse Erfahrung, 322f.
318 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

eine Religiosität gepflegt hatten, die jeder Anforderung der Philosophie und Ethik
gerecht werden sollte, trat jene Linie hervor, die mit Hölderlin beginnt, und über
Nietzsche, Stefan George und Rainer Maria Rilke zu uns führt."34
Jede religiöse Erfahrung, so echt sie sein mag, gehöre aber für den, der an die überna-
türliche Offenbarung glaubt, immer noch zur "Welt" und partizipiere damit gleichzeitig
an der "Zweideutigkeit" der Welt, die dadurch entstehe, daß der Mensch in der Sünde
die Welt "als allein genügend", als "autonom" zu setzen versuche.35 Sie könne "zu
Gott heimgeholt" werden, indem sie (wieder) in den Dienst des Glaubens trete, müsse
aber zuvor von diesem Glauben her unter Kritik genommen werden, d. h. von einem
Maßstab her, "der von jenseits der Erfahrung, aus dem Wort Gottes und der Existenz
Christi stammt."36 Die "Nähe" zu Hölderlin - die Bereitschaft, ihm das, was er sagt,
abzunehmen - ist daher bei Guardini von einer "Distanz" begleitet - der Distanz eines
Interpreten, der die christliche Offenbarung als maßgebendes Kriterium gegenüber
aller religiösen Erfahrung versteht. Aus dieser Distanz heraus fragt er, wie sich denn
die religiöse Erfahrung eines Hölderlin zum Christentum verhalte, ja was vor allem un-
ter den "Göttern" zu verstehen sei, von denen immer wieder die Rede sei:
"So wollte ich ihn fragen, was 'Götter' sind, und wie sie sich zum lebendigen Gott
der Offenbarung verhalten."37
Um eine Antwort darauf zu erhalten, mußte aber diese religiöse Erfahrung zuerst ein-
mal in ihren Ursprüngen begriffen werden. Jede "numinose" Erfahrung entspringt ja
einer besonderen Art, "vom Dasein berührt zu werden",38 oder steht in Zusammenhang
mit all jenen "Bemühungen des Denkens und Vorstellens, der Werterfahrung und
Willensentscheidung, der ordnenden und schaffenden Arbeit, welche sich auf die Fin-
dung und Verwirklichung des Existenz-Sinnes richten"39.
"Die Welt mit ihrer Mannigfaltigkeit wird im Numinosen beheimatet - ebenda-
durch die religiöse Erfahrung kulturell verarbeitet."40
So müsse eine echte religiöse Erfahrung - wie es Guardini bereits in seiner Dosto-
jewskij-Arbeit getan hatte - auf dem Hintergrund des Daseins- und Weltverständnisses
gesehen werden; es müsse gefragt werden, "was für Hölderlin die Weltdinge sind, was
der Mensch; was die Geschichte."41
Die "irdische" Wirklichkeit muß jetzt sogar - über Dantes tastende Versuche hinaus
(vgl. oben Abschnitt 2,b,cc) - noch deutlicher in den Vordergrund rücken. In der Tat
nähert sich Guardini der religiösen Erfahrung Hölderlins dadurch, daß er fragt, was für
den Dichter das Motiv des "Stroms" bedeute - später untersucht Guardini auch noch
durch das des "Berges" - und wie von ihm die Geschichte erfahren werde. Beide Un-
tersuchungen, die in die Bereiche der unmittelbaren "Natur" und der "Kultur" führen,
sind bereits zwischen 1934 und 1936 erschienen; sie bilden dann die beiden ersten
Kapitel der Hölderlin-Monographie, die Guardini wie auch die übrigen als "Kreise"

34
Religiöse Erfahrung, 322.
35
Vgl. Religiöse Erfahrung, 325f., 337-339.
36
Religiöse Erfahrung, 331.
37
Strom, 322.
38
Vgl. Religiöse Erfahrung, 307.
39
Religiöse Erfahrung, 310f.
40
Religiöse Erfahrung, 318.
41
Strom, 322.
Hölderlin 319

bezeichnet. Es sind insgesamt fünf "Kreise", die auf diese Weise entstehen, und der
mittlere dritte "Kreis" behandelt das Thema, das im Mittelpunkt des Interesses steht:
"Die Götter und der religiöse Bezug". Die ersten beiden "Kreise" ("Strom und Berg",
"Der Mensch und die Geschichte") führen darauf hin, die letzten beiden nennen seine
wichtigsten Bezugspunkte ("Die Natur", "Christus und das Christliche").

bb. Weltbild und Frömmigkeit


Der "Strom" ist in Hölderlins Dichtung zunächst das ganz "realistisch" gesehene Ge-
wässer; er wird aber dann zu einer "mythischen" Gestalt, ja zu einem reinen Ausdruck
von "Bedeutung".42 Ein Vergleich mit Goethes Gedicht "Mahomets Gesang" zeigt
schon hier, in welcher besonderen, von den neuzeitlichen Dichtern grundlegend ver-
schiedenen Weise Hölderlin die unmittelbare "Natur" erfährt - nämlich in der Art und
Weise der "frühen Menschen". Er hat vor dem Strom "noch das alte numinose Erleb-
nis";43 aus ihm "blickt den des Sehens Fähigen ein Antlitz an, eine Gestalt, ein Je-
mand. In seinem Entspringen, und Sich-Verändern vollzieht sich ein Schicksal"44.
Hölderlins Dichten geht aus einer "Vision" hervor; hier spricht ein "Seher" wie Dante,
Aschylos oder Pindar45, der sich gesendet weiß, das "Geschaute" zu verkünden.46
"Das Dichterische steht bei ihm nicht in jener ästhetischen Autonomie, die es von
der Renaissance an gewonnen hat... Es bewegt sich nicht in der Beliebigkeit des
künstlerischen Schaffens, das durch die Gesetze des schöpferischen Vorgangs
selbst verpflichtet ist, sondern steht unter dem Befehl einer erlebten geheimnis-
vollen Wirklichkeit."47
Die Ströme in Hölderlins Dichtung aber bilden - zusammen mit den Bergen48 - "Land-
schaft", die wiederum verschiedene Bedeutungsebenen hat, schließlich aber vor allem
den "Raum des Daseins" selbst meint - den "Raum, der durch die Länder als ge-
schichtliche Größen, durch die Völker und ihre Kulturen gebildet wird",49 von
"Germanien" und der "Heimat" Schwaben ausgreifend in den Osten - nach "Griechen-
land" und "Asia", aber auch nach Norden und Süden, ja über den Erdenraum hinaus in
die Spannung zwischen "Oben" und "Unten", "Himmel" und "Erde".50
Die unmittelbare Naturbeziehung öffnet sich bei Hölderlin also ganz selbstverständ-
lich ins Geschichtliche, so daß Guardini im zweiten Anlauf nach dem Geschichtsbild
des Dichters fragen kann.51 Da ist zunächst die "politische" Geschichte gegenwärtig,
die sich in Handlung, Kampf, Schicksal vollzieht.52 Dann geht es aber um die
"kulturelle" Geschichte, das "Werden, Wachsen und Schaffen", dessen Verlauf nach
den Geschichtsperioden des "Idealismus" gezeichnet wird:
42
Hölderlin, 24f; Strom, 323.
43
Hölderlin, 29.
44
Hölderlin, 33.
45
Vgl. Strom, 326.- Pindar ist erst in der zweiten Fassung eingefügt; vgl. Hölderlin, 30.
46
Vgl. Hölderlin, 33.
47
Hölderlin, 30.
48
Erst in der Monographie fügt Guardini der Analyse des Strommotivs eine ebensolche Analyse des Berg-
motivs bei; vgl. Hölderlin, 83-101.
49
Hölderlin, 104.
50
Vgl. Hölderlin, 102-114.
51
Vgl. Geschichte (1935/36); dann Hölderlin, 114-189.
52
Vgl. Hölderlin, 130; vgl. ebd., 119-129.
320 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

"Zu Beginn ein Zustand der Unmittelbarkeit; darauf der Durchbruch des be-
wußten Wollens mit seinen Krisen; endlich der neue Einsatz und die Sichtung
des Zieles."53
Mit dem Verlassen der Naturunmittelbarkeit wird die "Liebe" bestimmend, "die Toch-
ter des Überflusses und der Armut", die als kosmische Macht nach "Oben", zum
"Äther" strebt, zugleich aber durch Selbstbescheidung und Maßhaltung gebändigt
werden muß, um wirklich "schaffend" sein zu können.54 Dies ist für Hölderlin aber
nicht selbstverständlich, ja es ist ausnahmsweise nur in Griechenland verwirklicht ge-
wesen, während sonst die zerstörenden Kräfte in der Geschichte gesiegt haben, ob in
"titanischer" oder in "knechtischer" Weise55:
"Aus dem Urdrang wird der 'allversuchende' Griff nach der Welt: das zerstörende
Forschen, das vergewaltigende Herrschen, das von Gier und Angst getriebene,
ruhelose Arbeiten."56
Hölderlins Geschichtsverständnis besteht aus dem untrennbaren Zusammenhang zwi-
schen dem Einzelnen und den "Ganzheitsmächten" ("Volk", "Zeitgeist", "Schicksal"),
sowie aus der Vorstellung von einer auf ihre Wiederkehr harrenden Vergangenheit.57
Die "Toten", ob es nun Einzelne sind oder ganze Völker, warten in Hölderlins Ver-
ständnis im Zustand der "Entrücktheit" auf ihre Wiederkunft, ja sie können bereits als
"hergewendet" und "herandrängend" erfahren werden.58 Um dies zu verstehen, greift
Guardini erneut auf die Vorstellung der "Pole" des Daseinsraums zurück, die er bereits
im Augustinus-Buch vom Bild des Herzens aus erläutert hatte: Geburt und Tod, die
beiden Endpunkte menschlichen Lebens sind sowohl von der "Höhe" (vom "Äther")
her bestimmt (Geburt als "Zuweisung aus der Höhe", Tod als "Hinaufgenommenwer-
den") wie auch aus der "Innerlichkeit" des Alls (Geburt als "Ursprungskraft", Tod als
"auf die Allmitte hin sich vollziehendes Geschehnis"); und dies kann nicht nur von
Einzelnen, sondern auch von Völkern gesagt werden.59 Was aber stirbt, wird nicht
zerstört, sondern "geht aus dem Bereich des Unmittelbar-Gegebenen in den der Ent-
rücktheit", der verschieden angesetzt werden kann, entweder "oben, im Raum der
Weite und des Lichts, wohin die Licht-Liebe drängt", oder aber in der "Mittentiefe, im
Innerlichkeitsbereich des Alls, wohin das Gefälle des Stromes drängt".60 Was also
einst edel war, bleibt bestehen - nämlich "im Entrücktheitsbereich der Welt" - und hat
Beziehung zu dem, was jetzt ist.61 Dieser "Entrücktheitsbereich" ist aber nicht "im
christlichen Sinne des echten Jenseits" gemeint, das der Welt entzogen wäre; sie
"gehört vielmehr, als deren 'Höhe' oder 'Innerlichkeit', zur Welt selbst."62
Immer wieder weist Guardini im Gang seiner Interpretation auf Ähnlichkeiten zu
christlichen Vorstellungen hin, gleichzeitig aber auch darauf, daß diese aus dem

53
Hölderlin, 130.
54
Vgl. Hölderlin, 138-140.- Guardini weist hier nicht explizit auf die platonische Herkunft des Erosgedan-
kens hin, wie er es in Bezug auf Pascal und Augustinus getan hat; siehe oben in 2,b,aa und bb.
55
Hölderlin, 146.
56
Hölderlin, 143; Guardini bezieht sich auf das Gedicht "Der Mensch".
57
Vgl. Hölderlin, 117f.
58
Vgl. Hölderlin, 332f.
59
Vgl. Hölderlin, 148-157.
60
Hölderlin, 156.
61
Hölderlin, 157.
62
Hölderlin, 165.
Hölderlin 321

christlichen Zusammenhang gelöst und "ins Welthaft-Mythologische" übergegangen


seien.63 Dies gilt besonders für die Gestalt des "Engels", in der sich die Erinnerung an
die "Größeren", "Fortgegangenen" verdichtet.64 Es gilt aber auch von der Gestalt des
"Sehers", in dem diejenige der biblischen Propheten verwandelt gegenwärtig ist, die
sich nun aber auf geschichtliche Gestalten überhaupt - auf Einzelne wie auf ganze
Völker ("Germanien" etwa) - beziehen kann. Auch das "Offenwerden", das zum
"Seher" gehört, und der Begriff der "Stunde", durch den jedes einzelne Ereignis seinen
ihm zugewiesenen Ort in der Geschichte erhält, erinnert an christliche Vorstellungen.
Es ist die biblische Eschatologie, die da aufgegriffen, gleichzeitig aber auch entschei-
dend verändert wird:
"Das Wiederkehrende ist nun nicht mehr Christus, sondern Griechenland; der
Sendende nicht der Vater im Himmel, sondern der Äther; das Wirkende nicht das
'Pneuma Christi', sondern die dionysische Geistfülle. Die Verstrickung, die gelöst
werden soll, ist nicht die Sünde der Menschheit, sondern die innere Ausweglosig-
keit der Geschichte. Nicht der Engel wird gesandt, sondern der Adler. Offen ist -
und nun verschiebt sich der Gedanke, und vor die Parusie des wiederkehrenden
Christus tritt seine erste Ankunft, die Menschwerdung - nicht die Jungfrau Maria
..., sondern Germanien ..."65
In einer Anmerkung weist Guardini ferner darauf hin, daß der Gedanke der
"Wiederkehr" sowohl bei Hölderlin, wie auch bei Nietzsche und Kierkegaard vor-
komme, und daß es sich lohnen würde, ihn näher zu untersuchen.66
"Wahrscheinlich würden sich in diesen verschiedenen Formen des Gedankens
verschiedene Arten des Endlichkeitserlebnisses und der Daseinsannahme offen-
baren, und damit wichtige Beiträge zur Erkenntnis der nachneuzeitlichen Exi-
stenzsituation gewonnen werden."67
In der Bewältigung des Endlichkeitserlebens sieht Guardini denn auch den "Sinn des
Geschichtsgedankens" bei Hölderlin; es gehe um den
"Versuch, die Geschichte über sie selbst hinauszuheben und doch als Geschichte
zu erhalten; die Überschreitung des Diesseits zu vollziehen, aber so, daß die Ein-
heit mit der Erde bleibt; die Ewigkeit zu gewinnen, aber nicht als Aufhebung der
Zeit, sondern als Charakter des zeitlichen Daseins selbst."68
Was also nach Guardini Dante für das Mittelalter angestrebt hat, scheint Hölderlin für
seine eigene Zeitepoche zu leisten. "Er ist kein Zufälliger. Schauend, schaffend, ver-
kündend, leidend und untergehend, offenbart er ein großes Geschehen, das nun schon
63
Vgl. etwa, Hölderlin, 128: der Begriff der "neuen Kirche" im "Hyperion"; die Vorstellungen des "Reiches
Gottes", des "neuen Menschen" und der "neuen Schöpfung", die eingegangen seien in die Vorstellung der
"durch die Wiederkehr Griechenlands göttlich verwandelte Welt". Ähnlich: Geschichte, 321f.
64
Vgl. Hölderlin, 162f.
65
Hölderlin, 182f.
66
"Für Hölderlin ist es der die Geschichte rettende Vorgang. Für Kierkegaard der Akt, durch welchen das
Dasein, nachdem es im 'Sprung' die alte Existenzebene verlassen und die höhere gewonnen hat, sich selbst auf
dieser wiederbekommt. Bei Nietzsche endlich ist es die immer neu sich vollziehende Wiederkehr des bereits
Geschehenen; jenes Mysterium des Daseins, vor welchem der Wille sich vorbehaltlos in dieses Endlich-Beste-
hende einschränkt und so den Durchbruch des Übermenschen herbeiführt" (Hölderlin, Anm. 1, 178). Auch
Heidegger bringt Hölderlin, Nietzsche und Kierkegaard in einen Zusammenhang; vgl. Pöggeler, Denkweg,
216f.
67
Hölderlin, Anm. 1,178.
68
Hölderlin, 188.
322 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

durch ein halbes Jahrtausend geht, seit einem halben Jahrhundert ins Offene getreten
ist und nun seiner Entscheidung harrt."69 Die Einbeziehung des "Äußeren"
(Landschaft, Geschichte, Kultur, Welt) in den personalen, zwischen "Innen" und
"Oben" gespannten Daseinsraum, wie Guardini sie bei Hölderlin bemerkte, wirkte sich
auch auf die Interpretation Dantes aus (vgl. dazu oben Abschnitt b,cc). Sie liegt aber
jetzt in einer Form vor, die sich vom christlichen Glauben gelöst hat, ohne deswegen
atheistisch zu werden. Es ist eine "nachchristliche" Religiosität, in der sich "Weltbild"
und "Frömmigkeit"70 zu einer neuen Einheit verbinden.

cc. Heimweg zu Christus?


Nicht der Atheismus ist für Guardini der Gegner des Christentums in der Gegenwart,
sondern das neue "Heidentum", das er schon früh im Kontext der Jugendbewegung
auftauchen sah (vgl. dazu Kapitel II,3,a,dd) und dessen "Götter" nicht mehr die Götter
Griechenlands, sondern die Götter der "reinen Endlichkeit" sind. Es steht Guardini
fern, diesen neuen Glauben zu bejahen und schon deshalb Hölderlin als entscheiden-
den Durchbruch zu feiern. Daran hindert ihn sein bewußt eingenommener christlicher
Standpunkt. Er vermag aber zu zeigen, daß in Hölderlins Spätzeit die Gestalt Christi
wieder ganz neu an Bedeutung gewinnt; freilich:
"Seine endgültige Stellungnahme hat Hölderlin nicht mehr bestimmen können. Er
ist - ebenso wie Nietzsche - unter den Zeichen der miteinanderringendenGestal-
ten des Dionysos und Jesu Christi aus dem Kampf geworfen worden."71
Doch was sind die "Götter" Hölderlins? Im "dritten Kreis" seiner Monographie unter-
sucht Guardini die einzelnen "Numina" nacheinander. Er ordnet sie einmal den beiden
Daseinspolen der "Höhe" ("Äther") und der "Innerlichkeit" ("Erde") zu, zwischen
denen sich Hölderlins "Mythos von Himmel und Erde" vollziehe.72 Von "oben"
komme das mythische Griechenland, das in den späten Hymnen mit der Christusgestalt
in Beziehung gebracht werde; an der Stelle des "Innen" stehe Deutschland.73 Unter den
"Numina" dazwischen, zu denen auch Apollon, Poseidon und Saturn, aber auch der
"Gott in uns", der "ungenannte" und der "neue" Gott gehören, hebt Guardini besonders
Dionysos hervor - das Geheimnis des Lebens selbst -, der in der Spätzeit auch in be-
sonderer Nähe zu den beiden anderen "Heilandsgöttern" Christus und Herakles
stehe.74 Der Geschichte und deswegen auch besonders dem Dichter und seiner
"Stunde" zugeordnet ist der "Zeitgeist".75 All diese Göttergestalten werden, wie Guar-
dini bereits vorausschickt, in einer ganz anderen Weise erfahren wie in der Neuzeit
sonst; vor allem im Vergleich mit Goethe und Schiller trete das hervor: "Bei ihnen
handelt es sich um etwas Symbolisches oder Ästhetisches, bei Hölderlin um wirkliche
religiöse Erfahrung und Daseinsdeutung."76 Sein Erlebnis "ist unmittelbar religiös und

69
Geschichte, 354.
70
Vgl. den Untertitel zum Hölderlin-Buch: "Weltbild und Frömmigkeit".
71
Geschichte, 354.
72
Vgl. Hölderlin, 200-225.
73
Vgl. Hölderlin, 224f.
74
Vgl. Hölderlin, 239-249.
75
Vgl. Hölderlin, 229-238.
76
Hölderlin, 193.
Hölderlin 323

richtet sich auf Götter."77 Hölderlins religiöses Organ war "ungewöhnlich rein und
stark entwickelt", während gleichzeitig die ihm zu seiner Zeit entgegentretende Christ-
lichkeit kaum geeignet war, "das wirkliche Wesen des Christentums entsprechend zu
vertreten".78 Als er daher auf die Griechen stieß, muß er das Gefühl gehabt haben,
"durch sie die Deutung eigensten Erfahrens zu empfangen".79 Er wandte sich von der
christlichen Botschaft ab und der antiken Götterwelt bzw. den ursprünglich erschauten
und gestalteten Numina zu, wobei gleichzeitig, wie schon gezeigt wurde, bestimmte
christliche Vorstellungen wirksam blieben.80
Nun ist aber Guardini davon überzeugt, daß "Götter" nur dann "entstehen" können,
"wenn der Mensch die Welt für autonom und sich zu ihrem Herrn erklärt".81 Das, was
die religiöse Erfahrung an numinoser Wirklichkeit erfaßt, erweist sich vom Glauben
her als Ausdruck der Schöpfungsmächtigkeit des einen, lebendigen Gottes der Offen-
barung.82 Erst wo der Mensch sich in dieser Erfahrung nicht zu Ihm weisen läßt, son-
dern sich mit seiner "Welt" begnügt, verdichtet sich die numinose Wirklichkeit zu Göt-
tergestalten.83 Diese sind daher von vornherein "Gebilde des Zwielichts; Gestalten
letzten, existentiellen Scheins und Trugs; als solche aber objektiv und mit großer
Macht erfüllt."84 Ja, man könne sogar sagen, "der götterbildende Vorgang diene im
letzten dem mysterium iniquitatis, welches sein Reich wider Gott aufrichten will."85
Guardini fügt hinzu:
"Ich weiß, wie eine solche Deutung auf jeden wirken muß, der die Herrlichkeit
und Sinnfülle der Göttergestalten empfindet. Doch läßt die Wahrheit keine Wahl;
und außerdem glaube ich, daß diese Deutung die Götter ernster nimmt, als ir-
gendeine Kulturlehre oder Mythik es jemals zu tun vermag. Der Ernst, der sie
verantwortet, ist nicht mehr der ästhetische oder weisheitliche oder allgemein-
religiöse, sondern jener, der aus dem Bewußtsein kommt, daß es hier um die Ehre
Gottes und um das Heil des Menschen geht."86

77
Hölderlin, 196.
78
Hölderlin, 197; vgl. ebd., 496.
79
Hölderlin, 196.
80
Vgl. Hölderlin, 198f.
81
Hölderlin, 344.- F. Klenk verweist darauf, daß hinter dieser Auffassung ein augustinischer Gedanke
steht: "der Kult der falschen Götter riegelt den Menschen in diese Welt ein und macht ihn unfähig, seinem Ziel
gemäß zu handeln" (Augustinus und die Humanitas Christiana, in: StZ 169 (1961), 169-185, hier 182; vgl.
Augustinus, De civ. Dei IV, 24, 25). Augustinus würde nach Klenk aber wohl nicht die Auffassung teilen, daß
diese Götter, obwohl sie im Umkreis des mysterium iniquitatis entstanden sind, noch in den Advent eintreten
können (vgl. ebd., 182f).
82
Vgl. Hölderlin, 343f; Religiöse Erfahrung, 336-339.
83
Diese chrisüiche Bewertung der Göttergestalten setzt eine religionswissenschaftliche Einsicht voraus, die
Guardini durch Lektüre (vgl. Religiöse Erfahrung, Anm. 1, 307) wohl vertraut war. Walter F. Otto hob näm-
lich in seinen Schriften immer wieder den "Weltcharakter" der griechischen Götter hervor. Von Hermes etwa
sagt er: "Es ist im vollen Sinne eine Welt, das heißt, eine ganze Welt, nicht irgendein Bruchteil der gesamten
Summe des Daseins, was Hermes beseelt und beherrscht" (Die Götter Griechenlands, Frankfurt a. M. 1961,
121). Vgl. dazu auch K. Kerenyi, Griechische Grundlagen des Sprechens von Gott, in: Weltliches Sprechen
von Gott, Freiburg 1967 (= Weltgespräch, Bd. 1), 9-15; HUnermann, Ort und Wesen theologischen Denkens,
52 und 69.
84
Hölderlin, 346.
85
Hölderlin, 347.
86
Hölderlin, 347f.
324 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

An diesem Punkt, an dem Guardini sich am entschiedensten von Hölderlin - und damit
auch von den nachchristlichen "Mythen" der Gegenwart - distanziert, findet er jedoch
gerade jene "Entscheidung", vor welche die "nachneuzeitliche" Epoche gestellt ist.
Denn was im Blick auf das allgemeine Bewußtsein gilt, kann sich für das "individuelle
Meinen" anders darstellen; dieses kann auch hinter den Göttern noch den "Lebendigen
Gott" ahnen. Dadurch treten sie in den "Advent": "Sie geben ihren Autonomieanspruch
auf und werden zu Ahnungen des Lebendigen Gottes, welche dann aus dem offenba-
renden Worte ihre letzte Deutung empfangen."87 Ist dies etwa für Hölderlin der Fall?
Wie ist das "Heimlich-Christliche"88 in seinem Werk zu verstehen? Als bloße
"Einweltlichung" des Christlichen oder als neue Wegbereitung für das Spezifisch-
Christliche?89
"Die Aufgabe, welche die Offenbarung des einen Gottes stellt, besteht ... einmal
darin, den Vergöttlichungsneigungen des Daseins gegenüber immer aufs neue
den Glauben an den einen Gott aufzurichten und Ihm allein die Ehre zu geben.
Darüber hinaus aber in etwas weiterem: die überall sich abzeichnenden Formen
des Geheimnisses als Ausstrahlungen Seiner Einzigkeit zu erkennen und in Sein
Bild hineinzuziehen. An den einen Gott glauben, heißt also, beständig die numi-
nose Fülle der Welt für Ihn erobern."90
Wäre es etwa Hölderlins Aufgabe gewesen, dieser Aufgabe zu dienen? Guardini wi-
dersteht der Versuchung, den Dichter einfach christlich zu vereinnahmen; er läßt die
gestellte Frage vielmehr offen, weil sie auch von Hölderlin selbst offengelassen wor-
den war. Dieser ist "verstummt, bevor sein religiöser Kampf zum Abschluß kam. Daß
sein Schaffen mitteninne abbrach und das Ganze seitdem in der Schwebe steht, macht
das religiöse Rätsel seines Werkes und seiner Gestalt aus."91
Diese "Schwebe" ist jetzt noch einmal zu verdeutlichen. Es handelt sich näherhin um
die Schwebe zwischen "Natur" und "Christus". "Natur" kommt nämlich bei Hölderlin
nicht nur als die unmittelbare Naturwirklicheit vor. Schon "Strom" und "Berg" weite-
ten sich zu einer "Natur", die auf einer höheren Ebene steht, und zwar als die alles um-
fassende Wirklichkeit. Sie umfaßt ebenso auch die Geschichte: In Hölderlins Weltbild
zeichnet sich diese zwar gegenüber einer ersten, unmittelbaren Naturwirklichkeit klar
ab, um dann aber wieder "von der in einem neuen Sinne gesehenen Natur als dem
übergeordneten Ganzen aufgenommen zu werden."92 Es ist die Natur selbst, "welche
durch den Hölderlinschen Menschen in Bewegung kommt und Geschichte erfährt."93
Auch die Götter stehen bei Hölderlin nicht über dieser Natur, sondern umgekehrt: Sie
sind Gestalten innerhalb der einen "Natur", die "Wesenheiten der Dinge", die
"bildhaften Besonderungen des Daseins".94 Die Natur ist "das All, das Wort in seinem
endgültigen und absoluten Sinn genommen. Das bedeutet, daß es nichts außer ihr gibt,

87
Hölderlin, 348.
88
Hölderlin, 199.
89
Vgl. Hölderlin, 350.
90
Hölderlin, 351 f.
91
Hölderlin, 353f.
92
Hölderlin, 117.
93
Hölderlin, 409.
94
Hölderlin, 412.
Hölderlin 325

auch nicht Gott."95 Guardini erkennt in der "Natur" Hölderlins das christliche Ver-
ständnis des "Pneuma" und der eschatologischen Erwartung wieder, allerdings völlig
von jener Kategorie der Person gelöst, die zur christlichen Vorstellung wesentlich ge-
hört.96 Die Rolle, die die "Natur" in Hölderlins Dichtung spielt, ist daher Ausdruck für
eine Autonomie-Erklärung der Welt im Sinne der Neuzeit - Beleg für die reine
"Endlichkeit" die am Ende der Epoche hervortritt.
So ergeben sich auch für Hölderlin (ähnlich wie für Kierkegaard und Pascal) drei
Ebenen der Daseinserfahrung: Unmittelbare Naturwirklichkeit - Geschichte bzw. Kul-
tur - Natur als allumfassende Wirklichkeit, von der auch die Götter bestimmt sind.97
Doch weist Guardini selbst darauf hin, daß Hölderlin im Unterschied zu Kierkegaard
die qualitativen Sprünge übersieht, die zwischen diesen Ebenen liegen und durch per-
sonale Entscheidungen vollzogen werden müssen. Darin liege das "Verführende" in
Hölderlins Geistigkeit und Werk.98 Dies gelte schon vom Übergang von der unmittel-
baren Natur zur Kultur; Hölderlin spreche zwar von "Liebe", verstehe aber darunter
vor allem eine kosmische Macht. Ebenso werde das, worauf der "Glaube" Hölderlins
sich richte (der Glaube an die "Götter", eigentlich aber an die "Natur"), als kosmische
Macht und nicht als der personale Entscheidung fordernde Lebendige Gott der Offen-
barung verstanden.
"Die Natur selbst ist kein Gott; nicht weniger, sondern mehr, als was dieser
Begriff im Sinne Hölderlins ausdrücken kann. Sie ist das einfachhin Seiende;
Anfang, Fortgang und Ende. Die Götter sind Momente innerhalb dieses Inbe-
griffs."99
Wie steht es nun aber mit Christus!100 Guardini unterscheidet drei Abschnitte in Höl-
derlins Entwicklung:
"Zuerst eine Zeit jugendlicher Frömmigkeit, welche die Vorstellungen der Um-
gebung aufnimmt und sich anzueignen sucht.. Bald setzt die Krise ein; Hölderlin
verliert jedes wirkliche Verhältnis zu den überlieferten christlichen Lehren und
wendet sich ganz den oben dargestellten Göttlichkeiten zu.. In der Zeit der
größten dichterischen Intensität aber gewinnt die Christusgestalt ein neues Leben
und einen neuen, von der Überlieferung abweichenden Charakter."101
Auf diese dritte Phase lenkt Guardini vor allem sein Augenmerk und untersucht die
maßgebenden Texte.102 Christus wird darin eindeutig "göttlich" und "Gott" genannt.
Er gehört näherhin zusammen mit Dionysos und Herakles, die ebenfalls in besonderer
Weise der Not der Menschen zugewendet sind:
"Herakles gehört zur Not des Anfangs: er kämpft gegen das Chaos, sichert, grün-
det, ordnet. Dionysos überwindet die Not der Individualität: er wirkt die

95
Hölderlin, 466.
96
Vgl. Hölderlin, 413-421.
97
Heidegger wählt zur Bezeichnung für die oberste Ebene nicht wie Guardini die Kategorie der "Natur",
sondern die des "Heiligen" (vgl. "Wie wenn am Feiertage ..."). Beide Male ist jedoch derselbe Sachverhalt
gemeint.
98
Vgl. Geschichte, Anm. 1, 227; im späteren Text weggelassen.
99
Hölderlin, 491.
100
Vgl. Hölderlin, 493-574.
101
Hölderlin, 498.
102
Vgl. Hölderlin, 508-563.
326 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Verzauberung und Verwandlung. Christus ist Jener, der zum Ausharren in der
Weltnacht stärkt; jener Zeit, die vom Weggang der Götter bis heute reicht."103
Doch unterscheidet sich Christus nicht nur von den "weltlichen Männern", sondern in
irgendeiner Weise auch von den genannten "Heilandsgöttern", ohne daß Hölderlin
genau sagen könnte, worin dieser Unterschied besteht.104 Nach Guardini kommt hier
das "eigentlich Christliche" zum Tragen, das sich auch noch im Christusbild Hölder-
lins irgendwie behaupte.105 Dennoch "zerrinnt" die "Substanz des Christlichen" in der
Dichtung Hölderlins und wird in die "Welt" gezogen; auch Christus ist nur noch ein
Moment im Ganzen der "Natur". Das eigentliche Problem besteht aber darin, daß die
christlichen Inhalte nicht einfach "weggetan und antike oder neue an ihre Stelle gesetzt
werden",106 sondern weiter wirksam bleiben. Gerade in Bezug auf die Christusgestalt
hält Guardini fest, daß die letzte Entscheidung darüber, ob sich die "autonome Welt-
göttlichkeit" oder das Eigentlich-Christliche durchgesetzt hätte, bei Hölderlin noch
offengelassen wird; er "hat die Auseinandersetzung nicht zu Ende gebracht. Sie ist
unentschieden stehen geblieben."107
In dieser Unentschiedenheit endet die Hölderlin-Interpretation. War Dostojewskij
nach Meinung Guardinis an der Unfähigkeit gescheitert, seine christlich-religiöse Exi-
stenz mit den neuzeitlichen Erfahrungen zu verbinden; hatte Pascal trotz seiner neu-
zeitlich-nachneuzeitlichen Christlichkeit seinen Gottesbezug nur in Verbindung mit
einem abgrundtief pessimistischen Menschenbild verwirklichen können; war die von
Gott her begründete und auf ihn bezogene "Innerlichkeit" Augustins ebenfalls nur auf
Kosten der Schöpfungswirklichkeit und ihrer relativen Autonomie zu gewinnen; und
fand Dante trotz seiner Entdeckung der "irdischen Wirklichkeit" ebenfalls noch nicht
über die Grenzen des mittelalterlichen Weltbilds hinaus - dann scheiterte Hölderlin an
dem Versuch, von einer Frömmigkeit, die das christliche Weltbild ganz abgestreift
hatte, wieder den Weg zu Christus zu finden. Alle Interpretationen enden somit offen,
werden zu Bruchstücken eines noch unvollendeten Weges. Sie sind aber immer noch
positiv; es ist ihnen zuzutrauen, daß sie das Ziel erreichen. Anders verhält es sich mit
dem letzten Dichter, dem wir uns nun mit Guardini zuwenden; dieser scheint endgültig
die Brücken zum christlichen Glauben abbrechen zu wollen.

d. Rilke und die "Säkularisierung" des Glaubens

Auch die Beschäftigung Guardinis mit Rilkes "Duineser Elegien" reicht in die Mitte
der dreißiger Jahre zurück.108 Sie stand in enger Beziehung zur Hölderlin-Interpretati-

IUJ
Hölderlin, 569; vgl. bereits ähnlich ebd., 332-335, sowie 566f.
104
Vgl. Hölderlin, 567f.
105
Vgl. Hölderlin, 568.
106
Hölderlin, 573.
107
Hölderlin, 574.
iuo ygj Wahrheit des Denkens, 52: "Die Arbeit an den Elegien hat in Berlin in der Mitte der dreißiger
Jahre angefangen; zuerst als eine Seminarübung. Dann, ich glaube im ersten Kriegsjahr, als Vorträge in einem
Privatkreis ..."; ferner Berichte, 50. Beleg für die intensive Beschäftigung mit den Elegien ist auch ein kleiner
Beitrag für die "Schildgenossen" im Jahr 1938 (Zu Rainer Maria Rilkes Erster Elegie); Guardini gibt den Text
einer Tafel aus der Kirche Santa Maria Formosa in Rom wieder, auf die Rilke in besagtem Gedicht anspielt.
Rilke 327

on, denn in der geistigen Linie, die von Hölderlin über Nietzsche und Stefan George
bis zu Rilke reichte, meinte Guardini die Heraufkunft einer neuen, nach-christlichen
Religiosität zu erkennen.109 So konnte in den Phänomenen des "Engels"110, des
"Offenwerdens" und der "Innigkeit"111 ein enger Zusammenhang zwischen Hölderlin
und Rilke hergestellt werden. Auch Rilkes Elegien gehörten für Guardini zu jener
Form von "Gedankendichtungen", die nicht der Philosophie benachbart sind (wie etwa
die philosophischen Gedichte Schillers oder der "Westöstliche Divan" Goethes), son-
dern - wie die Hymnen Pindars und Hölderlins - den Äußerungen des "religiösen Se-
hertums".112
In der Einleitung zur Interpretation der zweiten, achten und neunten Elegie, die im
Jahre 1941 erschien, belegte Guardini anhand von biographischen Dokumenten Rilkes
den visionären Entstehungsvorgang der Dichtung, wobei er nun - anders als etwa noch
bei Hölderlin - auf das "Unter- und Unbewußte" hinwies, also auf Begriffe der Tiefen-
psychologie sowie der Religionspsychologie, zurückgriff113: "Mächte aus dem Unbe-
kannten" seien am Werk, "etwas Plötzliches, Heftiges, fast Gefährliches" ereigne sich,
mit "unerhörter Gewalt" erzwinge sich etwas "den Weg ins Offene",114 ja gebe
"seherisch Kunde" von einem Geschehen, das nicht nur privater Natur sei, sondern
sich in der "Tiefe der Geschichte" vollziehe.115
Hier war wieder der Punkt, an dem Guardini die neuzeitliche Entwicklung rekapitu-
lieren konnte. Ihr entscheidendes Kennzeichen sei das "Mündig"-Werden der "Welt",
der seit der Renaissance zu beobachtende Versuch, "die Welt als das Einzige, in sich
Selbständige und sich selbst Genügende zu begründen."116 Einerseits leugneten Posi-
tivismus und Materialismus die Existenz jeder nichtempirischen Wirklichkeit; anderer-
seits versuchten Idealismus und Pantheismus, Gott in die Welt hineinzuziehen und
diese selbst als göttlich zu erweisen. Eine andere Konsequenz der "Welt-Verselbstän-
digung" gehe nicht wie die hauptsächlichen Vertreter der genannten Strömungen von
der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit der Welt aus, empfinde diese aber
nicht als Mangel, sondern als Wert. Die ersten theoretischen Durchbrüche dieser Hal-
tung "vollziehen sich wohl in der neuzeitlichen Skepsis, wie in Michel Montaigne, ge-
nauer gesagt, in dem, was hinter den skeptischen Vordergrundsbewegungen vorsich-
geht; ihren seherisch-dichterischen Ausdruck findet sie im Spätwerk Rilkes; ihre Philo-
sophie wird durch Nietzsche begründet."117 Damit war auch Rilke eingeordnet in die
"finitistische" Strömung, die Guardini bereits in den Gestalten Dostojewskijs, sowie

109 vgl. Religiöse Erfahrung, 322f. - Auch Heidegger erkennt die Verbindung zwischen Hölderlin und dem
Spätwerk Rilkes (bes. den "Duineser Elegien" und den "Sonetten an Orpheus"); vgl. den Vortrag zum Anden-
ken an Rilkes 20. Todestag "Wozu Dichter?", abgedruckt in: Holzwege, 265-316. Zur 8. Elegie (und dem
Begriff des "Offenen") vgl. ders., Parmenides, 225-240. Rilke bleibe "in der seinsgeschichtlichen Bahn nach
Rang und Standort" hinter Hölderlin zurück (Wozu Dichter?, 272). Als "Vor-gänger der Dichter in dürftiger
Zeit" könne Hölderlin nicht überholt werden, aber andere Dichter, so auch Rilke, könnten sich auf denselben
Weg machen - "dichterisch auf der Spur zu dem ..., was für sie das zu Sagende ist" (ebd., 315).
110
Vgl. Hölderlin, Anm. 1, 163f., sowie Anm. 1,165f.
1
' ' Vgl. Hölderlin, Anm. 1, 171-174, bes. 173f.; ebd., Anm. 1, 292f.; vgl. ferner Anm. 1, 482.
112
Vgl. Rilke 1941, 7f.
113
Vgl. Rüke 1941,8.
114
Vgl. Rüke 1941, 9.
115
Vgl. Rüke 1941, 11.
116
Rilke 1941, 12; vgl. ebd., llf.
117
Rilke 1941, 12f.
328 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

bei Nietzsche und Kierkegaard und ansatzweise schon bei Pascal registriert hatte. Aber
Rilke gehörte nicht - wie etwa Nietzsche - in die Nachfolge des positivistisch-materia-
listischen Ansatzes, sondern - so wie Hölderlin - in die der idealistisch-pantheistischen
Tradition: "Wohl gibt es Gott, er ist aber die geheimnishafte Intensität des Daseins
selbst."118 Für Rilke
"gibt es nichts anderes als den Menschen und die Dinge. Aber nicht so, daß alles
das, was die Worte Gott, Jenseits, Ewigkeit, Heil usw. ausdrücken, wegfiele,
sondern so, daß es zur Welt getan wird."'19
Damit hatte Guardini bereits in der Einleitung das wesentliche Ergebnis vorwegge-
nommen. Im Unterschied zu früheren Arbeiten präsentierte sich seine Veröffentlichung
nämlich als reine Interpretation am Text entlang. Darin ähnelte sie der Sokrates-Inter-
pretation, in der ebenfalls brillante Einzelanalysen und eine großartige Hinführung
zum Werk zu finden sind, nicht jedoch ein systematischer Durchblick durch die
wesentlichen Inhalte wie etwa in den Arbeiten über Dostojewskij oder Hölderlin. Hans
Urs von Balthasar sieht in ihr daher "nur einen Abgesang"120 im Vergleich zu den
früheren Interpretationen. Es fiel Guardini nicht leicht, die Interpretation sämtlicher
Elegien zu vollenden, und er war sehr erleichtert, als er es im Jahr 1953 schließlich
doch noch geschafft hatte.121 Anscheinend er Guardini von dem Dichter mehr erwar-
tet, als er dann tatsächlich fand:
"Die 'Welt' Rilkes hat keine Fülle. Einige Dinge und Erfahrungen bestimmen
alles. Aber welch ein Unterschied zu Hölderlin, bei dem es ja auch so ist. In
jedem von dessen Gedichten redet Höhe und Tiefe und All."122
Lediglich ein starkes Pflichtbewußtsein - einer längst notwendigen Auseinandersetzung
gegenüber - scheint Guardini an seinem Projekt gehalten zu haben, freilich auch, wie
bereits erwähnt wurde, das Gefühl einer tiefen Verwandtschaft.123 Besonders deutlich
wird dies in der Interpretation der neunten Elegie, in der Rilke die in der zweiten auf-

118
Rilke 1941, 13.
119
Rilke 1941, 13f.- Guardini belegt dies mit Zitaten aus dem Brief an Ilse Jahr vom 22. 3. 1924 (Briefe
aus Muzot 1921-1926, Leipzig 1935, 185f.): "... die Eigenschaften werden Gott, dem nicht mehr Sagbaren, ab-
genommen, fallen zurück an die Schöpfung, an Liebe und Tod ..." "... alles tief und innig Hiesige, das die Kir-
che ans Jenseits veruntreut hat, kommt zurück; alle Engel entschließen sich, lobsingend, zur Erde."
120
Balthasar, Guardini, 87; zur Rilke-Interpretation Guardinis insgesamt vgl. ebd., 87-89; Wechsler, Guar-
dini, 142-144; Kunisch, Rilke in der Deutung Guardinis; Kuhn, Philosoph der Sorge, 39-43. Unter den zeitge-
nössischen Rezensionen ragt besonders die Hans-Georg Gadamers heraus; vgl. ders., Deutung des Daseins
(1954).
191
,AJ
Davon zeugen etwa folgende Tagebucheintragungen: "Ich werde aufatmen, wenn das Manuskript abge-
schickt ist und ich Rilke los bin. Was ist diese Welt doch für ein Gemenge aus Echt und Unecht" (27. 7. 53;
vgl. Wahrheit des Denkens, 47). "Der Abschluß meiner Rilke-Arbeit macht mir viel Not. Vor allem die Einlei-
tung. Sie stockt, und ich bringe sie nicht in Ordnung. Dabei sind es viel mehr psychologische Hindernisse als
in der Sache selbst liegende. Immer wieder werde ich an dem Ganzen irre und komme doch immer wieder in
die Linie zurück" (17. 8. 1953; vgl. ebd., 51 f.).
122
Tagebuchnoüz vom 5. 9. 1953 (Wahrheit des Denkens, 55). Vgl. auch 25. 9. 53 (ebd., 58): "... denn
Rilke ist weder ein wirklich großer, noch ein reiner Dichter."
123
"Ich frage mich, ob das Ergebnis die viele Arbeit lohnt, die ich daran gewandt habe. Aber es ist, soviel
ich sehe, die erste philosophisch-kritische Auseinandersetzung mit Rilke, und die mußte getan werden, denn
sie ist für das Verständnis - und für die Führung der Zeit wichtig" (Tagebuchnotiz vom 20. 8. 1953; vgl. Wahr-
heit des Denkens, 52). Zum Gefühl der Verwandtschaft vgl. die Tagebuchnotiz vom 5. 9. 1953 (ebd., 56): "Was
bei Rilke im erinnernden Gefühl bleibt, ist eben doch Schwäche. Nach dem Gesagten ist es etwas beschämend,
aber mir wurde dieser Tage klar, wie viel Verwandtes zwischen Rilke und mir ist. Wie könnte ich sonst jedem
Satz und Wort um Wort unter die Haut fühlen!" (ebd., 56). Vgl. femer den Eintrag am 25. 9. 53 (ebd., 58).
Rilke 329

geworfene Frage nach dem Menschen und dem Sinn seines Daseins zu beantworten
versucht. Hier findet Guardini zunächst, daß sich Rilke gegen den "Dionysismus" zur
"Unwiderrufbarkeit" alles Menschlichen und zur "Würde seiner Einmaligkeit"
bekennt.124 Vor allem aber ist die Rede davon, daß der Mensch dazu bestimmt sei, die
"Dinge" dieser Welt in das eigene Innerste aufzunehmen und damit zu verwandeln -
eine Vorstellung, hinter der Guardini die "ins Welthafte" geholte christliche Botschaft
vom "Harren der Kreatur" erkennt, die am Werden der Kinder Gottes Anteil suche.125
Bei Rilke wird diese Botschaft mit der technischen Wirklichkeit konfrontiert, also mit
einem dem Interpreten sehr vertrauten Thema. Was der Dichter dabei über das "Tun
ohne Bild" sagt, wird von Guardini später in sein eigenes Repertoire aufgenommen
und ist ihm jetzt Anlaß dafür, die Bedeutung der Bilder für die frühere Kultur hervor-
zuheben.126 Das Herz, für Rilke wie für Guardini eine äußerst wichtige Instanz (vgl.
dazu die vorhergehenden Abschnitte), gerät im Zeitalter der Technik zwischen die
"Hämmer", ohne jedoch von ihnen zermalmt zu werden;127 die "Innerlichkeit" bleibt
bestehen, ja sie hat gerade angesichts der technischen Wirklichkeit eine bleibende
Bedeutung. Rilke schreibt an Witold von Hulewicz:
"Die Erde hat keine andere Ausflucht, als unsichtbar zu werden: in uns, die wir
mit einem Teil unseres Wesens am Unsichtbaren beteiligt sind, Anteilscheine
(mindestens) haben an ihm, und unseren Besitz an Unsichtbarkeit mehren können
während unseres Hierseins, - in uns allein kann sich diese intime und dauernde
Umwandlung des Sichtbaren in Unsichtbares, vom sichtbar- und greifbar-sein
nicht länger Abhängiges vollziehen, wie unser eigenes Schicksal in uns fortwäh-
rend zugleich vorhandener und unsichtbar wird."128
In diesem Motiv - "dem Verhältnis von Außen und Innen, von dinghaftem Sein und
seelischem Leben"129 - erkennt Guardini auch immer deutlicher die innere Einheit aller
Elegien. Es ist der Versuch, "das Menschen-Innere mit Dingen zu füllen und es da-
durch welthaft - andererseits aber die Welt draußen seelenhaft zu machen, indem der
Mensch das Seinige hinausgibt", so daß in der äußeren Wirklichkeit "eine objektive
Innerlichkeit, ein Welt-Innen" entsteht.130 Ein ursprünglich christlicher Gedanke ist
nun zum Bestandteil einer "neuen Religion"1*1 geworden, die längst nicht mehr christ-
lich ist, aber noch vom Christlichen zehrt.

124
Vgl. Rilke 1941, 94. - In der späteren Fassung ist dies freilich abgeschwächt; Rilke spreche von der
"'Unwiderruflichkeit' alles Irdischen, von der Sinn-Dichte seines 'Nur-Einmal'" (Rilke 1953, 338). Guardini
will jetzt deutlicher die Gefährdung des Personalen betonen; vgl. ebd., 422-425 (Nachwort).
125
Vgl. Rilke 1941, lOOf.
126
Vgl. Rilke 1941, 108-111.
127
Hier ist Guardini allerdings skeptischer als Rilke: "Was freilich sein wird, wenn die Hämmer einmal die
ganze Welt erobert und alle Bilder verdrängt haben; ob das vielleicht doch nicht geschehen wird, oder ob,
nachdem es geschehen, das Verhängnis überwunden und die Bilder neu gewonnen werden können, sagt die
Elegie nicht" (Rilke 1941, Ulf.).
128
Brief vom 13. 11. 1925, in: Briefe aus Muzot 1921-1926, Leipzig 1935, 332ff; zit. bei Guardini, Rilke
1941, 117t, hier 118. - Dieser Brief wird von Guardini immer wieder herangezogen; vgl. etwa Rilke 1953, 9
(Vorbemerkung), 14, 19, 39, 292f. u. ö.
129
Rilke 1953, 38.
130
Rilke 1953, 39.
131
Rilke 1941,121.
im
JJKJ Interpretation als Begegnung mit der Kultur

Diese "Verwandlung" der Welt im Herzen wird besonders für die Vorstellungen von
Liebe und Tod wichtig.132 Rilke sehe die Vollendung der Liebe darin, "überhaupt
keine Erfüllung mehr zu wollen";133 sie richte sich auf den Anderen, ohne ihn jedoch
zu begehren, zu betrachten oder zu beurteilen.134 Die verlassenen Liebenden seien
dafür Vorbilder; von ihnen sei zu lernen, daß wirkliche Liebe nicht bedeute, "in die
Person des Geliebten hinein zu lieben", sondern vielmehr, über ihn hinauszugehen,
"ins Offene des Seins einfachhin".135 Dagegen aber erhebt Guardini Einspruch, weil
das Entscheidende am Vorgang der Liebe verlorengehe - nämlich die Beziehung
zweier Personen:
"Lieben heißt, Jemanden lieben. Liebe ist die lebendigste Wirksamkeitsform der
Person gegenüber der Person. Im Liebesbezug entsteht zwar nicht, aber erwacht
im Anderen das Du wie im Selbst das Ich, und ohne den Wechselbezug von Du
und Ich gibt es keine Liebe."136
Ähnliches hat er gegen die Todeslehre Rilkes einzuwenden. "Der Tod ist die uns abge-
kehrte, von uns unbeschienene Seite des Lebens ...", heiße es im genannten Brief an
Hulewicz.137 Gerade ihm gegenüber, dem Schwersten, das es gebe, solle sich die
"Annahme dessen, was ist" bewähren; auch der Tod solle in die "Innigkeit" gezogen
werden.
"Rilke sucht hier zu vollbringen, was Nietzsche vor der ewigen Wiederkehr des
Gleichen versucht hat; und die Stelle der größten Bedrängnis wird zum Ort der
Überwindung und des Durchbruchs ins Neue."138
Guardini sieht aber im Protest gegen den Tod - im Namen der Personalität - den ent-
scheidenden Beitrag des Christentums.139 Der Tod sei demnach nicht einfach der
"vertrauliche Einfall der Erde", wie Rilke in der neunten Elegie sage, sondern so, wie
er heute erfahren werde, Folge einer personalen Tat des Menschen, der Sünde, und
nicht dem entsprechend, was Gott eigentlich bestimmt hatte. Rilke aber stehe im
Zusammenhang der Neuzeit, die den Tod mehr und mehr als "natürlich" zu verstehen
gesucht und den christlichen Protest gegen ihn aufgegeben habe.140

' ^ V g l . Rilke 1953, 14.


133
Rilke 1953, 47.
134
Vgl. Rüke 1953,49.
135
Vgl. Rilke 1953, 51, sowie 326-328.
136
Rilke 1953, 52f; vgl. dazu auch WP 89-96. - Hier setzt allerdings die Kritik Gadamers an, wenn er an
Guardini die Frage richtet, "ob nicht ein mehr 'relativistisches' Verstehen gerade die Wahrheit des hier Ver-
nehmlichen besser erkennt. Guardini bedenkt hier offenbar nicht, daß Rilkes Liebeslehre eine Lehre vom Ler-
nen der Liebe ist. 'Nicht ist die Liebe erlernt.' So ruft er als Lernender sich Vorbilder auf, deren Liebenkönnen
über alle Entsprechung hinaus sich bewährt. Das sind die verlassenen Liebenden ... Ich wüßte nicht, was daran
nicht wahr - und übrigens auch mit der christlichen Ethik im vollsten Einklang wäre" (Gadamer, Deutung des
Daseins, 180). Gadamer teilt Guardinis Kritik am Personverständnis Rilkes, hält es aber für verfehlt, deswegen
die dichterische "Wahrheit" des Gesagten bestreiten zu wollen (vgl. ebd., 181; siehe oben Abschn. l,d).
137
Vgl. WP 92; Rilke 1953, 292.
138
Rilke 1953,365.
139
Vgl. Rilke 1953,414-419; vgl. dazu auch Die Letzten Dinge (1940), 1-20, bes. 13f. mit einer Kritik an
Rilkes 9. Elegie.
140 vgl. Rilke 1953, 418f. - Auch dagegen richtet sich die Kritik Gadamers; Guardini sei Rilke nicht
wirklich gerecht geworden: "Bedürfte es für Rilke der inständigen Bemühung um die Bejahung des Todes,
wenn er diesen Protest nicht bewußter als irgendein Mensch in sich trüge?" (Gadamer, Deutung des Daseins,
184f).
Rilke 331

Mit Liebe und Tod aber hänge das "Offene" bei Rilke zusammen, das seine
"Durchbruchsstellen" sowohl in der Höhe wie in der Innerlichkeit habe.141 Wieder
stößt Guardini also auf die Daseinspole, die im Anschluß an Augustinus und Hölderlin
zu einem wichtigen Bestandteil seiner Anthropologie geworden waren. Aber der Weg
ins "Offene", den Rilke beim "Tier" beobachte, sei beim Menschen eine Ausnahme,
verwirklicht vor allem beim Kind und beim Sterbenden, sowie bei den verlassenen
Liebenden. In dieser Auffassung sieht Guardini nochmals eine Auflösung des Persona-
len und betont den Zusammenhang mit der Gefährdung der Person in der Gegen-
wart.142 Rilke, "einer der konsequentesten Individualisten der ausgehenden Neu-
zeit",143 löse die Personalität auf - und dies gerade in dem Augenblick, "da die Welt
unter dem Anprall der Es-Mächte steht."144 "In der Wende zur Neuzeit hat die Person
sich autonom gesetzt ... Die letzten Konsequenzen hat Friedrich Nietzsche ausgespro-
chen, als er den Menschen für reif erklärte, jene Initiativen und Verantwortungen, die
er einst, noch unmündig, in eine Gottheit gelegt habe, selbst zu übernehmen ..." Dies
habe den Menschen aber letztlich in zerstörender Weise "überanstrengt", so daß zwi-
schen den Kriegen die Autonomie in ihr Gegenteil umschlagen konnte:
"Der Mensch, der sich zum Herrn seiner selbst und, als solchen, zum Herrn des
Daseins erklärt hatte, wird seines Anspruchs müde. Er kehrt aber nicht in seinen
echten Charakter zurück, sondern gibt sich auf. Nachdem er die göttliche wie die
von ihr her begründete irdische Autorität abgelehnt hatte, gibt er nun seine Per-
son der Totalität preis."145
Die Selbstaufgabe der über-angestrengten Person habe einen leeren Raum geschaffen,
in den die Ganzheitsmächte einfluten konnten. "Diese saugende Leere offenbart sich in
der Dichtung Rilkes - eines Menschen, dem an sich jede Diktatur ein Grauen sein
mußte."146
Natürlich kann man zu Recht fragen, ob Guardini dem Dichter damit nicht Unrecht
tut.147 Allerdings geht es ihm nicht um die persönlichen Absichten des Dichters, son-
dern um die Daseinssituation, mit der auch dieser ringt. Etwas ist in ihr verlorengegan-
gen, ohne daß bisher schon Neues an seine Stelle getreten wäre. Es handelt sich um
das "Kernhafte" der Person, das für Guardini in der Bindung an Gott gründete. Die
Enttäuschung über Rilke ist in Wirklichkeit Ergebnis einer Auseinandersetzung mit
dem Totalitarismus (vgl. dazu unten Kapitel VI,2), dem dieser Nachfolger Hölderlins
nichts Entscheidendes entgegenzustellen hatte. Dies ist für Guardini um so gravieren-
der, als Rilke durchaus noch von christlichen Vorstellungen geprägt bleibt, ohne aller-
dings ihre Voraussetzungen mit zu übernehmen. Diese "Säkularisierung"14* hat sich

141
Vgl. Rüke 1953,316.
142
Vgl. dazu das Nachwort: Rilke 1953, 421-425, bes. 422..
143
Rilke 1953,422.
144
Rilke 1953, 423.
145
Rilke 1953,424.
146
Rilke 1953,425.
147
Dies ist immer wieder der Einwand Gadamers; vgl. ders., Deutung des Daseins.
148
Dieser Begriff findet sich bereits in: WP Anm. 32, 95; dann in: Rilke 1953, 30; ihm entsprechen
Formulierungen wie: "ein christliches Daseinselement ins Welthafte geholt" (Rilke 1941, 101); "christliche Da-
seinselemente ins Welthafle herüberzuziehen" (ebd., 54); "die Wurzel der Offenbarung preisgegeben, ihren In-
halt aber in die Welt hineingenommen" (ebd., 68); "die christliche Erfahrung ... ins Welthaft-Mythische abglei-
ten sehen" (Rilke 1953, 57); "vermuten, hier... gleite ein Element christlich-katholischen Glaubens ins Säkula-
332 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

bereits bei der Interpretation der Engelsgestalten gezeigt; diese waren "im Grunde neu-
erstandene Götter",149 "Zeugen jenes sehr ernsten Vorgangs, in welchem sich die Welt
Gott gegenüber verselbständigt, aber so, daß sie Ihn und die Inhalte seiner Offenbarung
in ihren eigenen Bestand hineinzieht."150 Im weiteren Verlauf wird dann Rilkes Bild
von "Gott" thematisiert, bei dem ähnlich wie in der menschlichen "Liebe" jede
"Gegenständlichkeit" verschwinde: "Gott ist 'nur eine Richtung der Liebe, kein Liebes-
gegenstand' und von ihm 'keine Gegenliebe zu fürchten'."151 Gerade in dieser Funktion
(als reiner "Bezug"152) werde er "in die Welt hereingeholt", sei er "etwas an der Welt"
geworden, so wie Nietzsche im "Zarathustra" die Seele als "etwas am Leibe"
bezeichne.153 Auch im "Offen-Werden" der "Kreatur" erkennt Guardini christliche
Elemente wieder, da "Innen" und "Oben" ursprünglich auf den "Walte-Raum des
Lebendigen Gottes" verweisen, bei Rilke jedoch lediglich auf "die andere Seite" des
endlichen Daseins.154
Hierauf richtet sich Heideggers - wenn ich recht sehe - einzige Stellungnahme zu
Guardinis Rilke-Interpretation. Es geht um den Beginn der 8. Elegie: "Mit allen Augen
sieht die Kreatur / das Offene". Heidegger kritisiert, Guardini lege dies aus "in einer
Hinsicht, als werde in dieser Elegie aufgrund des Bezugs 'der Kreatur' - soll sagen des
ens creatum überhaupt - zum 'Offenen' gleichsam ein Beweis für die Existenz des
Schöpfergottes gedichtet."155 Hier liegt jedoch ein völliges Mißverständnis Heideggers
vor. Es geht Guardini keineswegs um einen Gottesbeweis, sondern darum, in der Dich-
tung Rilkes den "Nachhall"156 christlicher Vorstellungen zu registrieren. Der Dichter
soll gerade nicht für die eigene Wahrheit vereinnahmt werden; freilich wird durch das
Aufdecken der Zweideutigkeit in Rilkes Sprache indirekt ein Beitrag zur Unterschei-
dung des Christlichen geleistet.157
Die noch öfter wiederkehrende Kritik Guardinis an den neuzeitlichen
"Säkularisierungen", bleibt wesentlich von jenem Eindruck bestimmt, den das Werk

re" (ebd., 63). Dagegen meint der Begriff "Säkularisation" bei Guardini 1935 noch den gesamten Auflösungs-
prozeß der mittelalterlich-christlichen Kultur in der Neuzeit; vgl. Unterscheidung, Xlf. - Vgl. auch Kap.
VI,1 a.
149
Rilke 1941,24.
150
Rilke 1941, 25; vgl. ebd., 47.
151
Rilke 1941, 85; vgl. ebd., 86-89; Rilke 1953, 328f. Guardini bezieht sich hier vor allem auf die
"Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" und die dort enthaltene Auslegung der Parabel vom verlorenen
Sohn; diesem Text sind auch die angeführten Zitate entnommen.
152
Vgl. Rilke 1941, 89; vgl. Rilke 1953, 333. Dort auch noch die neue Anm. 1, 331: Wie wenig Rilke ver-
standen habe, was Personalität Gottes und Liebe zu Gott bedeute, zeige sich in der Art, "wie er diese Liebe an
den menschlichen Eros heranrückt."
153
Vgl. Rilke 1941, 86f.
154
Vgl. Rüke 1941,55.
155
Heidegger, Parmenides, 230; vgl. Guardini, Rilke 1941, 50-57.
156 vg]. etwa Guardini, Rilke 1941,41.
157
Auch Heidegger tut von seinen Denkvoraussetzungen her übrigens etwas Ähnliches: Er zeigt, wie das
"Offene" bei Rilke an dem partizipiert, was in der "aletheia" das "Offene" ist, nämlich die "Lichtung" des Seins
des Seienden; gleichzeitig wird festgestellt, daß beidesmal das "Offene" etwas grundverschiedenes ist, bei Rilke
nämlich nur der unaufhörliche Fortgang des Seienden im Seienden (vgl. Parmenides, 226) - "das Grenzenlose,
das Unendliche, worin die Lebewesen sich veratmen und ungehemmt in die unaufhaltsamen Beziehungen der
Wirkungszusammenhänge der Natur sich auflösen, um in diesem Grenzenlosen zu schweben" (ebd., 233).
Damit gehört Rilke mit Nietzsche zusammen als Endpunkt jener abendländischen Metaphysik, die nach
Heidegger durch "Seinsvergessenheit" ausgezeichnet ist (vgl. ebd., 235).
Rüke 333

Rilkes auf ihn gemacht hat.158 '"Die Welt' bildet sich immer vollständiger heraus."159
Dabei werde zwar der christliche Glaube immer entschiedener abgelehnt, das
"Religiöse" bleibe jedoch erhalten, ja bilde sogar die unentbehrliche Voraussetzung für
die Autonom-Setzung des Daseins. "Erst das Religiöse gibt ihm jene Schwere und
Sinnfülle, aus denen heraus der Geist es für lohnend und für möglich empfindet, die
Welt auf sich allein zu stellen."160 Darin sieht Guardini "etwas Ungeheuerliches an
Frevel und Trug":
"Der Autonomiewille löst die Geheimnisfülle, die Gott seinem Werk mitgibt, von
Ihm, dem Überweltlichen, Freien, Souveränen, Heiligen ab und schlägt sie zum
Geschaffenen. Aus ihr, die wie ein Strahl dorthin führen will, von wo sie her-
kommt, macht er eine Tiefendimension der Welt selbst. ... Im Maße das gelingt,
wird das Religiöse zu einem Mittel, die Welt in sich selbst zu verschließen. Das
religiöse Suchen, welches eigentlich nach dem geht, was anders ist als die Welt,
wird durch die Usurpation des Numinosen in die Welt selbst geleitet und in diese
eingeschlossen."161
"Säkularisierung" besteht also für Guardini nicht in einer reinen "Verweltlichung",
sondern in einer Verwandlung christlicher Elemente in eine "säkulare" Religiosität.
Das "Religiöse" selbst, das bisher dem christlichen Glauben zugeordnet war, ist nun
wieder - wie in der vor- und außerchristlichen Religiosität, ein "freischwebendes"
Etwas, das sich an irgendwelche weltlichen Inhalte bindet, auch etwa an das neuzeitli-
che Autonomiestreben - zunächst in seiner "pantheistisch-monistischen", dann in
seiner "finitistischen" Gestalt.162 Dabei nimmt diese "Weltreligiosität" jedoch noch aus
ihrer christlichen Vergangenheit bestimmte Elemente mit, verbindet mit ihnen jedoch
neue Vorstellungen. So entstehen - wie Guardini wieder in Bezug auf Rilke sagt -
"Epiphänomene", die im Unterschied zu den christlichen "Urphänomenen" gerade von
dem leben, wogegen sie sich stellen.163 Dies hält er für zutiefst fragwürdig,164 ja sogar
für unrecht:
"Darf man Worte, Bilder, Aussagen, die einen ganz bestimmten Sinn haben, bloß
symbolisch nehmen? Darf man sie von ihren Wurzeln lösen, sie säkularisieren
und mythisieren, wenn diese Worte und Bilder heute noch von sehr vielen Men-
158
Vgl. auch die Interpretation des "Jenseits" bei Hölderlin und Rilke in: WP 90-94.
159WP95
160 W P gg. v g j e b d ^ g7f Z um Verständnis des "Religiösen" als Element der "Welt" siehe oben unter
IV,3,c,bb, sowie V,2,c,cc.
161
WP 88f.
162 vgl. WP 87. - Zur Bindung des "Religiösen" an bestimmte Kulturbereiche, ja an "Kultur" überhaupt,
siehe unter IV,3,c,bb.
163 vgl. Rilke 1941, 54. - Heidegger spielt auf diesen Sprachgebrauch deutlich an, wenn er - ohne Guardini
zu erwähnen - sagt: "Weil jedoch die neuzeitliche Metaphysik in eins mit der mittelalterlichen metaphysischen
Ausdeutung des Christentums auf demselben Grunde ruht, ... deshalb kann man leicht Rilkes Dichtung als den
letzten Ausläufer der modernen Metaphysik im Sinne eines säkularisierten Christentums auslegen und dartun,
daß das Säkularisierte eben nur ein Epiphänomen zum Urphänomen des Christentums sei. Rilkes Dichtung
erscheint bei solcher Beleuchtung als eine Art verunglücktes Christentum, dem nachgeholfen werden muß,
auch auf die Gefahr, daß man bei solcher Apologetik gegen das ausdrückliche Wort und den Willen des Dich-
ters verstößt" (Parmenides, 235f). Guardini will aber weder "nachhelfen", noch das Wort des Dichters umbie-
gen, sondern dieses einfach in jenen Horizont stellen, in den er selbst aufgrund seines Sprachgebrauchs noch
gehört. Diesen Horizont nennt er nur im Unterschied zu Heidegger nicht "Wahrheit des Seins", sondern "Gott"
im christlichen Sinne.
164
Vgl. etwa: Rilke 1941, 102.
334 Interpretation als Begegnung mit der Kultur

sehen in ihrer echten Bedeutung geglaubt, als echte Wirklichkeit erfahren und
handelnd vollzogen werden?"165
Kritisiert wird hier vor allem die Zweideutigkeit, ja Unehrlichkeit dieser neuen
"Religiosität", und es wird bereits angedeutet, daß erst ein völliger Verzicht auf christ-
liche Inhalte die zugrundeliegende Haltung eines völlig autonom verstandenen End-
lichkeitsbewußtseins offenlegen würde (vgl. dazu Kapitel VI,3,a,cc [7]). So stellt sich
in äußerster Zuspitzung die Frage nach dem Verhältnis von religiöser Erfahrung und
Offenbarungsglaube, das Guardini bereits früher thematisiert hatte.166 Vermutlich dar-
auf bezieht sich die Äußerung im Hölderlin-Buch, daß erst auf der Grundlage des in
der Interpretation Vorgelegten die Arbeit des Philosophen und Theologen beginnen
könnte.167 Dies war wohl auch die eigentliche Absicht jenes unvollendet gebliebenen
Werkes, dessen erster Teil 1958 unter dem Titel "Religion und Offenbarung" erschien
und in dem offenbar so etwas wie eine systematische Zusammenschau der in den
Interpretationen gewonnenen Erkenntnisse entstehen sollte. Der abgeschlossene Teil
beschränkte sich auf die "unmittelbare Religion", wobei hierzu die früher bereits veröf-
fentlichten Darstellungen über "religiöse Erfahrung" bzw. die "Offenbarung durch das
Sein der Welt"168 erheblich ausgeweitet wurden; gerade die neuzeitliche Entwicklung
und deren "finitistische" Ausläufer wurden immer wieder einbezogen und als "religiös"
qualifiziert.169 Da der zweite Teil des Werkes, das den Offenbarungsglauben behan-
deln sollte, nicht mehr zustande kam, blieb die Vielfalt des Religiösen in Guardinis
Spätwerk relativ beziehungslos im Raum stehen (zum theologischen Ansatz dieser
Jahre vgl. unten Kapitel VII,3,c). Lag es an Rilke, daß der Brückenschlag zwischen
religiöser Erfahrung und christlichem Glauben nicht mehr gelingen wollte? Jedenfalls
ist nach der Beschäftigung mit diesem Dichter "die behandelte Situation" nicht mehr
"offen für Entscheidung; der Dichter, Rilke, hat eindeutig gewählt, und der Deuter,
Guardini, ebenfalls, im entgegengesetzten Sinn."170 Die Linie von Hölderlin zu Rilke
hatte offenbar in eine Sackgasse geführt. Hans Urs von Balthasar weist zu Recht
darauf hin, daß Guardini nach Rilke nicht mehr weiter interpretiert, "es sei denn ein
paar Gedichte Mörikes, als zeitloses Nachspiel."171
Allerdings bleibt noch ein grundsätzlicher Beitrag aus dem Jahre 1952 zu erwähnen,
in dem Guardini einige "repräsentative Gestalten" des Säkularisierungsprozesses
nebeneinanderstellt.172 Dabei erwähnt er zunächst die sozialistisch-kommunistische
Theorie der vollkommenen Gesellschaft, die durch die biblischen Lehren vom Reich
des Messias und der Vollendung der Dinge bestimmt sei, sowie Friedrich Nietzsche;

165
Rilke 1953,58.
166
Vgl. Religiöse Erfahrung (1934).
167 vgl. Hölderlin, 15. Guardini fährt fort: "Im Lauf der Zeit hat sich auch manches eingefunden, was dafür
vorgelegt werden könnte; trotzdem glaube ich, darauf verzichten zu können. Es schien mir genug, die Phäno-
mene so rein herausgestellt zu haben, als mir möglich war" (ebd.).
168
Vgl. Religiöse Erfahrung (1934); Offenbarung (1940), 7-46.
169
Vgl. Religion, 33-39,57f, 66-69,75-80, 104-106,139-148 u. ö.
170
Balthasar, Guardini, 87.
171
Balthasar, Guardini, 89.
172 vgl. Glaube und Dasein, bes. 227-231. - Der Untertitel benennt die Wertung Guardinis: "Zur
Verkehrung religiöser Gehalte im Denken der Neuzeit". 1953 erschien der Beitrag wenig verändert unter dem
Titel "Über religiöse Dichtung der Neuzeit"; 1955 dient er (in der Erstfassung) als Geleitwort zu: R. Rochefort,
Kafka oder die unzerstörbare Hoffnung, Wien-München 1955, 9-20.
Rilke 335

sein "Zarathustra" sei geradezu als "Anti-Evangelium" gedacht, schöpfe dabei aber
gerade von der "Erregungskraft" christlicher Grundgedanken.173 Nun kommt erneut die
Rede auf Hölderlin und Rilke, schließlich aber wird - ganz neu - Franz Kafka erwähnt,
in dem Guardini eine letzte Zuspitzung des Säkularisierungsprozesses erblickt.174 Kam
Hölderlin aus dem Protestantismus und war Rilke vom katholischen Bewußtsein
bestimmt, so ist Kafka in der Welt des Alten Testamentes groß geworden, in der - nach
Guardini - eine besondere Betonung auf Gottes Souveränität gelegt werde; diese sei
jedoch getragen von seiner Personalität.
"Bei Kafka nun ist die Personalität Gottes zergangen. Es ist wohl Göttlichkeit da,
aber sie ist ganz anonym geworden, wie sich das in den verschlossenen Türen
und unzugänglichen Beschlußinstanzen des 'Prozesses' ausdrückt. Alle jene
Momente, welche Gottes Unbegreiflichkeit ins Helle, in die Wahrheit und Treue
führen, sind verschwunden. Was bleibt, ist dumpfe Unverstehbarkeit. Aus dem
Herrn, der wohl furchtbar in seinem Zorn, aber auch großmütig in seiner Gnade
und nahe in seiner Güte ist ..., ist eine nur dunkle und drohende Macht gewor-
den."175
Als Guardini dies niederschrieb, hatte er sich aber längst - auf dem Hintergrund seiner
Werkinterpretationen, aber auch als Frucht unmittelbaren Mitempfindens der gegen-
wärtigen kulturellen Umbrüche - auf die direkte Auseinandersetzung mit der neuzeitli-
chen und nachneuzeitlichen Epoche eingelassen, um die es im nächsten Kapitel unse-
rer Untersuchung gehen soll. Wir werden dort immer wieder jenen Gedanken begeg-
nen, die sich in den "Begegnungen" der großen Interpretationen herausgebildet haben.
Es handelt sich vor allem um
- die neuzeitliche Emanzipation von einem Glauben, der zuvor tief in der Lebenswirk-
lichkeit der Menschen verwurzelt gewesen war (Dostojewskij);
- das Entstehen einer neuen nachchristlichen Religiosität, die noch offen ist für die
christliche Offenbarung (Hölderlin) oder diese bereits in die "Welt" aufgelöst,
"säkularisiert" hat (Rilke);
- Ansätze zu einem Glauben, der die "Welt" des Menschen in ihrer relativen Eigen-
ständigkeit ernst nimmt, ohne dabei ihre Bindung an Gott zu leugnen (das Problem
der Autonomie);
- die Suche nach einer christlichen Existenz (im Gefolge von Pascal, Augustinus und
Dante), die das am Ende der Neuzeit durchbrechende Gefühl radikaler Endlichkeit
miterleidet, sich ihre eigene Verletzlichkeit und Fragwürdigkeit eingesteht und
gerade deswegen "Ja" sagen kann zur "begnadeten" Endlichkeit176 christlicher
Personalität.

173
Vgl. Glaube und Dasein, 227f.
174
Vgl. Glaube und Dasein, 228-231; zu Kafka, ebd., 230f.
175
Glaube und Dasein, 231.- 1953 wird der Schluß des Beitrags klarer gefaßt und mit Kafkas spannungs-
vollem Verhältnis zu seinem Vater in Beziehung gesetzt: "Ein bestimmtes Element der alttestamentlichen
Existenz, aus dem Zusammenhang herausgelöst, wächst ins Übermaß, verbindet sich mit natürlichen Daseins-
erfahrungen, und es entsteht die undurchdringliche, schaurige und zugleich faszinierende Atmosphäre der
Kafka'schen Dichtung" (38).
176
Vgl. Dostojewskij, 195.
Kapitel VI

Die Standortbestimmung:
Die Kultur am Ende der Neuzeit

Das elementare Interesse für das "Leben" des Menschen, das bei Romano Guardini
nicht nur in seiner Gegensatzphilosophie, sondern auch in den liturgischen und ekkle-
siologischen Schriften der ersten Schaffensperiode zutage trat (Kapitel II), bündelte
sich durch den Wechsel auf den Berliner Lehrstuhl in einem Projekt "katholischer
Weltanschauung" (Kapitel III), das den christlichen Glauben in "katholischer" Weise
auf die "Welt" des Menschen bezog und unter dieser Prämisse auch die Begegnung
mit kulturellen Zeugnissen der Vergangenheit und Gegenwart suchte (Kapitel V).
Sowohl diese "Interpretationen", wie auch die Bestimmung des Kulturbegriffs
(Kapitel IV,2) implizierte aber die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der
konkreten Gestalt der gegenwärtigen Kultur.
Wenn nämlich Guardini in seinen frühesten Äußerungen ein neues "Mittelalter"
heraufkommen sieht (Kapitel IV,l,a); wenn er die lebensphilosophische Kritik am
neuzeitlichen "Rationalismus" teilt (ohne freilich in das gegenteilige Extrem eines
irrationalen "Intuitionismus" zu verfallen; vgl. Kapitel 11,2); wenn er die Zeit wieder
"reif werden sieht für die überlieferten und neu entdeckten Formen der Liturgie,
nach einer Phase des übersteigerten "Subjektivismus" und "Individualismus" ein
"Erwachen der Kirche in den Seelen" registriert und in diesem Zusammenhang bereits
das "Ende" der Neuzeit verkündet (vgl. Kapitel 11,3); wenn er sich nur wenig später
zu der Erkenntnis durchringt, daß nach dieser Epochenwende nicht etwa ein Rück-
gang der technischen Entwicklung erwartet werden darf, sondern vielmehr ein um so
größeres Voranschreiten (Kapitel IV,l,b) - dann ist in all diesen Äußerungen eine
ganz bestimmte Auffassung über Sinn und Bedeutung der verschiedenen kulturellen
Epochen (Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart) enthalten, die im folgenden nun näher
dargelegt werden soll.
Zunächst wird Guardinis Kritik am Autonomieverständnis untersucht (Abschnitt 1),
weil in ihr seine Haltung gegenüber der Neuzeit insgesamt begründet ist. Es wird sich
zeigen, daß Guardini nicht bei einer rein negativen Abgrenzung stehenbleibt, sondern
den kritisierten Standpunkt in Fortführung des bereits immer wieder angesprochenen
Persondenkens konstruktiv weiterdenkt.
Dann wendet sich unsere Aufmerksamkeit jenen Äußerungen Guardinis zu, die sich
mit der nationalsozialistischen Machtergreifung und ihrer Ideologie auseinanderset-
338 Die Kultur am Ende der Neuzeit

zen (Abschnitt 2). Mit ihnen setzt sich die Reihe der Gegenwartsbetrachtungen fort,
die in den "Briefen vom Comer See" ihren letzten Höhepunkt erreicht hatten.
Schließlich geht es um "Orientierung" und "Wegweisung" für die Zeit nach dem
"Ende der Neuzeit", die der Autor an vielen Stellen seines Spätwerks, vor allem aber
in der gleichnamigen Veröffentlichung aus dem Jahre 1950, zu leisten versucht
(Abschnitt 3). Weiter als bis zu diesen, oft ins Beschwörende und Prophetische über-
gehenden Aussagen ist Guardini in seinem "Anschauen" der "Welt" nicht gekommen;
trotz ihres fragmentarischen Charakters zeigen sie aber sein Bemühen, über eine reine
Beschreibung hinaus zu einer bestimmten ethisch-pädagogischen Praxis anzustiften.

1. Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit

Für Romano Guardini ist die Forderung nach "Autonomie" das entscheidende und
identitätsstiftende Merkmal der Neuzeit. Seine Kritik an dieser Forderung scheint
daher diese Epoche insgesamt in Frage zu stellen; und wenn Guardini überdies ihr
"Ende" ankündigt, so scheint sich noch mehr zu bestätigen, daß er daran interessiert
ist, die kulturellen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte rückgängig zu machen.
Der erste Eindruck muß jedoch einer differenzierteren Bewertung Platz machen.
Um dies zu erreichen, ist es gut, zunächst die neuzeitliche Problemstellung selbst
noch etwas genauer zu formulieren (a); dann gilt es zu zeigen, daß Guardini eine
"relative Autonomie" durchaus bejaht (b); die Schrift "Welt und Person" (1939) ent-
hält Guardinis wichtigste Antwort auf die neuzeitliche Herausforderung und muß
daher ausführlich vorgestellt werden (c); und schließlich betrachten wir noch einige
wichtige Folgerungen, die Guardini auf dieser Grundlage für das Verständnis von
"christlicher Existenz" zieht (d).

a. Die Fragestellung: Illegitimität der Neuzeit?

Hans Blumenberg, einer der entschiedensten Verteidiger der "neuzeitlichen" Kultur1,


hob in seiner "Apologie" vor allem die "humane Selbstbehauptung" als identitätsstif-
tendes Motiv dieser Epoche hervor. Neben den Schwellengestalten Nikolaus von Cues
und Giordano Bruno hatte nach ihm vor allem Rene Descartes wesentlichen Anteil
am epochalen Bruch mit dem "theologischen Absolutismus" der Vergangenheit, der
allerdings immer noch nicht konsequent genug durchgeführt worden sei. 2 Descartes,

1
Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (1966).
2
Vgl. Blumenberg, Legitimität, I, 73: "Die Neuzeit hätte nur gelingen können, wenn sie mit den Zumu-
tungen gebrochen und die Bedürfnisreste zunichte gemacht hätte, die ihr hinterlassen worden waren. Ich kann
das zugespitzt so formulieren: die Neuzeit konnte nur gelingen und sich vor Gegenneuzeiten abschirmen,
wenn sie wirklich so absolut neu angefangen hätte, wie es im Programm des Descartes stand."
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 339

nach Hegel "der wahrhafte Anfänger der modernen Philosophie"3, hatte in der Tat das
neuzeitliche Autonomiebewußtsein4 in doppelter Hinsicht begründet - als
"Eigengesetzlichkeit der einzelnen Wirklichkeitsbereiche, also von Wissenschaft,
Wirtschaft, Kunst, Kultur, Politik usw."5, vor allem aber durch sein berühmtes
"cogito ergo sum", durch das der Mensch "zum unerschütterlichen Fundament, zum
Ausgangs- und Bezugspunkt aller Welt- und Werterkenntnis" werden konnte.6 Diesen
Weg war dann Immanuel Kant weitergegangen, indem er die "wahrhaft kopernikani-
sche Wende" nicht nur erkenntnistheoretisch ("Kritik der reinen Vernunft"), sondern
auch praktisch, d. h. moralisch ("Kritik der praktischen Vernunft") vollzog.7 "In der
Grundlegung der 'Metaphysik der Sitten' formulierte er das Prinzip dieser Autonomie:
Der Wille des Menschen ist, unabhängig von fremden ihn bestimmenden Ursachen,
sich selbst Gesetz."8
Damit war alles andere als individualistische Willkür und souveräne Selbstbehaup-
tung gemeint, nämlich gerade die Bindung der Sittlichkeit an die allen freien Wesen
gemeinsame Vernunft. Aber eine theonome Begründung schien nun entbehrlich, da
die Moral nicht mehr auf die Religion, sondern die Religion auf die Moral gegründet
war.9 So konnte sich im 19. Jahrhundert der Gedanke der Autonomie noch einmal
verschärfen und zur Grundlage eines "humanistischen" Atheismus werden. "Ein all-
mächtiger Gott darf nicht sein, wenn menschliche Freiheit sein soll"10 - in dieser
Überzeugung kamen nun die unterschiedlichsten Denker überein, die - angefangen bei
Feuerbach, Marx und Nietzsche - die Ablehnung Gottes um des Menschen willen
propagierten.11 Das "Erschrecken" über die "Radikalisierung der Autonomievorstel-
lung" im 19. Jahrhundert12 hat eine katholische Rezeption lange blockiert, obwohl
gerade einer an Thomas von Aquin orientierten Theologie der Gedanke einer
"Autonomie" nicht total fremd war, und dieser überdies auch auf biblische Wurzeln
zurückgeführt werden konnte.13 Auch der Protestant Karl Barth lehnte jedoch mit
aller Entschiedenheit die neuzeitliche "Hybris" der Verselbständigung und Selbstbe-
hauptung des Menschen gegen den christlichen Gott ab. 14 Er stimmte mit Blumen-
berg in der Diagnose des Epochenbruchs überein, verurteilte diesen jedoch als illegi-
tim15 - nicht um der Autorität der Kirche, sondern um der Offenbarung willen und in

i
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, III (= Werke Bd. 20), Frankfurt a. M. 1971, 120 bzw.
123.
4
Zu diesem Kernbegriff der Neuzeit vgl. Kern/Link, Autonomie, bes. 104-106; Pohlmann, Autonomie;
Kasper, Christliche Freiheit, 73-77; ders., Autonomie, 149-164; Auer, Nachtrag.
'Kasper, Christliche Freiheit, 76.
6
Kasper, Christliche Freiheit, 76; vgl. ders., Autonomie, 159.
7
Vgl. Kasper, Autonomie, 160.
8
Kasper, Autonomie, 160; vgl. I. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten (= Werke, hg. v. W.
Weischedel, Bd. 4), 74.
9
Vgl. Kasper, Autonomie, 162.
10
Kasper, Autonomie, 162f.
1
' Vgl. dazu Kasper, Gott, 44-67.
12
Vgl. Auer, Nachtrag, in: Autonome Moral, 205-239, hier 220.
13
Vgl. dazu Auer, Nachtrag, 215-222; Kasper, Autonomie, 152-157.
14
Vgl. Pannenberg, Christentum, 18; bes. aber: Steck, Karl Barths Absage an die Neuzeit.
15
"Den Ausdruck von der Legitimität der Neuzeit hat er m. W. nicht aufgebracht oder verwendet. Aber er
hat viel dazu getan, daß diese Legitimität in Zweifel geraten konnte" (Steck, Karl Barths Absage, 1 lf).
340 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Abgrenzung gegenüber jeder anthropologischen Begründung des Christentums, wie er


sie vor allem bei Schleiermacher zu erkennen glaubte.16
Eine positive Aufarbeitung der neuzeitlichen Autonomievorstellung im Rahmen des
christlichen Glaubens konzentrierte sich zunächst auf den Begriff der
"Säkularisierung". Der ursprünglich juristische Terminus, der die "Verweltlichung"
geistlicher Güter und Herrschaften bezeichnete, hatte - vor allem für katholische
Christen (vgl. dazu Kapitel 1,1,b) - immer einen negativen Beigeschmack gehabt;17 er
bezeichnete ein an der Kirche begangenes Unrecht, wobei der begangene Diebstahl
sich nicht nur auf materiellen, sondern auch auf geistigen "Besitz" beziehen konnte.18
"Säkularismus" und "säkularisierte Gesellschaft" wurden zu Termini für eine ent-
christlichte Kultur,19 während Max Weber in seiner These vom calvinistischen Ur-
sprung des modernen Kapitalismus zeigte, daß sich Säkularisierungsvorgänge nicht
nur gegen das Christentum richten, sondern auch unmittelbar aus diesem selbst her-
vorgehen konnten.20 Karl Löwith verifizierte dies im Blick auf die neuzeitliche Ge-
schichtsphilosophie21 und führte das geschichtliche Denken überhaupt auf die christ-
liche Vorstellung einer linearen Heilsgeschichte zurück, mit der zum ersten Mal die
antike Vorstellung einer reinen Kreisbewegung durchbrochen worden sei.22 Da Lö-
withs These in neuzeitkritischer Absicht vorgetragen war und sein Urheber unter
Berufung auf Nietzsche zu einer Überwindung von Neuzeit und Christentum ten-
dierte,23 rief er den Widerspruch Blumenbergs hervor, der seine Verteidigung der
Neuzeit (s. o.) vor allem im Blick auf die "Illegitimitätsthese" Löwiths formulierte.24

16
Barth meint, die schleiermacher'sche Theologie steht auch "nach rückwärts keineswegs als eine
zufällige isolierte Irrlehre [da], sondern [sie ist] der Niagara, in dem die Hauptströme des theologischen Den-
kens von mindestens zwei Jahrhunderten mit fataler Notwendigkeit zu - Fall kommen" (K. Barth, Die prote-
stantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zollikon/ZUrich 1947, 62;
zit. nach Steck, Karl Barths Absage, 10).
17
Zur Säkularisierungsdebatte insgesamt vgl. Schrey, Säkularisierung; darin bes. ders., Einleitung; femer
Pannenberg, Christentum in einer säkularisierten Welt, 9-31; Biser, Glaubensprognose, 47-83 ("Das doppel-
sinnige Prinzip"); Schmidt-Biggemann, Säkularisierung.
18
Dazu und zum Folgenden vgl. v. a. Lübbe, Säkularisierung; Ruh, Säkularisierung; Figl, Säkularisie-
rung, Schrey, Einführung, 1-15.
19
Vgl. dazu Schrey, Einführung, 12-15.
20
Vgl M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (urspr. 1904/05), in: ders..
Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, 5. Aufl., Tübingen 1963, 17-206.
21
Vgl. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen (urspr. engl. 1949, dann 1953), Untertitel.- Dazu
Schrey, Einführung, 44f.; Biser, Glaubensprognose, 51-64.
22
Vgl. Löwith, Weltgeschichte, 11-26.- Zu ähnlicher Einschätzung war auch bereits Jaspers gelangt (vgl.
Die geistige Situation, 7f.).
23
Vgl. bes. Löwith, Weltgeschichte, 196-205 (Anhang II: "Nietzsches Wiederholung der Lehre von der
ewigen Wiederkehr"); vorausgegangen war bereits: ders., Von Hegel zu Nietzsche, Zurich-New York 1941.
"Deshalb empfahl Löwith eine Abkehr von der christlichen und modernen Überbewertung, wie er meinte, der
Geschichte überhaupt und eine Rückkehr zur griechischen Auffassung, daß die Natur der Dinge und ihre
Ordnung sich immer gleichbleiben" (Pannenberg, Christentum, 12).
24
Vgl. dazu: Schrey, Einführung, 45-47; Biser, Glaubensprognose, 44f. und 47-51. Hinzuweisen ist auch
auf eine noch unveröffentlichte Promotionsarbeit von Achille Mutombo Mwana, in die ich freundlicherweise
Einsicht nehmen durfte (Hans Blumenbergs Plädoyer für die Neuzeit. Seine Bedeutung für die Theologie,
Diss. masch., Tübingen 1992).
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 341

Daß eine "Verweltlichung" und "Entzauberung"25, damit aber auch eine


"Autonomie" der Welt, ein Grundanliegen des christlichen Glaubens war, hatte in-
zwischen auf protestantischer Seite vor allem Dietrich Bonhoeffer deutlich gemacht.
Die Entdeckung der "mündigen Welt" war für ihn die wichtigste Errungenschaft der
Neuzeit.26 Es ist "die zum Bewußtsein ihrer selbst und ihrer Lebensgesetze gekom-
mene Welt",27 in der Gott zwar als Lückenbüßer überflüssig wird, nicht jedoch als
der Ursprung wahrer Weltlichkeit. In Verschärfung der Unterscheidung Barths zwi-
schen "Religion" und "Glaube" sah Bonhoeffer auch das "Ende der Religion" ge-
kommen und meinte diese Entwicklung vom Glauben her nur begrüßen zu können:
"Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach
so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein."28 Was Bonhoeffer nur in weni-
gen Fragmenten seiner letzten Aufzeichnungen andeutete, wurde von Friedrich
Gogarten ausführlicher entfaltet.29 Gerade die Position der "Dialektischen Theolo-
gie", zu deren Begründern er gehört hatte, ermöglichte ihm mit ihrer entschiedenen
Trennung von "Glaube" und "Welt" einen positiven Zugang zum Begriff der
"Säkularisierung": Der Entweltlichung durch den Glauben muß positiv die Verweltli-
chung der Welt, also deren Säkularisierung entsprechen. So kann diese als "legitime
Folge" des christlichen Glaubens verstanden werden.30 Gogarten unterschied aller-
dings zwischen der "Säkularisierung" als solcher und einem "Säkularismus", der die
von Gott dem Menschen gesetzten Grenzen überschreite.31 Streng biblisch, vor allem
unter Berufung auf Paulus, wies er darauf hin, daß die dem Menschen von Gott zuge-
dachte Existenz in der Verantwortung gegenüber der Welt bestehe - in der
"Sohnschaft", die nicht ohne den Vater, aber auch nicht ohne Selbständigkeit ihm
gegenüber gedacht werden könne. Durch die Entsendung seines Sohnes habe Gott den
Menschen aus dem Bann der "Weltelemente" befreit und ihm dadurch jene Freiheit
wiedergeschenkt, die wirkliche Herrschaft über die Welt erst ermögliche.
Dem m'c/t/christlichen Neuzeitkritiker Löwith trat somit mit Gogarten ein christli-
cher Heuzeitbefürworter an die Seite. Dies trug in der Folge mit dazu bei, daß sich
die Theologie erheblich bereitwilliger die neuzeitlichen Werte zu eigen machen konn-
te. Wolfhart Pannenberg erstrebte nun eine umfassende Theologie der Geschichte,
indem er - in Umkehrung der existentialen Interpretation des Neuen Testaments durch
Bultmann und, in seinem Gefolge, auch durch Gogarten32 - die Offenbarung Gottes in
der menschlichen Geschichte überhaupt aufzuweisen versprach.33 Von ihm kamen
25
Vgl. M. Weber, Wissenschaft als Beruf (1919), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre,
3., erw. u. verb. Aufl., hg. v. J. Winckelmann, Tübingen 1968, 582-613, hier 594 und 605.
26
Vgl. dazu Schrey, Einführung, 19-21.
27
Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 216.
28
Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 178.
29
Vgl. Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit (1953). Dazu Schrey, Einführung, 21-27; Biser,
Glaubensprognose, 57-64.
30
Gogarten, Verhängnis, 12 u. ö.
31
Vgl. Gogarten, Verhängnis, 134-148, bes. 145-148.
32
Vgl. Gogartens Annahme von "zweierlei Geschichtsbegriffen" (vgl. Verhängnis, 121), nämlich die
radikale Trennung von Heilsgeschichte und Weltgeschichte, die sich ebenso zueinander verhalten wie
"Glaube" und "Werke", "Evangelium" und "Gesetz", "Gott" und "Welt" (vgl. ebd., 103-142).
33
Vgl. W. Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, in: Kerygma und Dogma 5 (1959), 218-237 und
259-288; ders. (Hg.), Offenbarung als Geschichte, Göttingen 1961.
342 Die Kultur am Ende der Neuzeit

auch wichtige Antworten auf die Kritik Blumenbergs an der Säkularisierungsthese.34


Gerade die von Blumenberg kaum beachtete Reformation sei ein Beleg dafür, wie eng
Christentum und neuzeitliches Selbstverständnis zusammenhingen.35 Die Entstehung
einer "säkularen" Welt - und damit wird Gogartens Unterscheidung von "Säkularis-
mus" und "Säkularisierung" aufgegriffen36 - habe ihre Wurzeln nicht in einem
"angeblichen Aufstand humaner Selbstbehauptung gegen den christlichen Gott". "Es
sind vielmehr die ungewollten kirchengeschichtlichen, politischen und weltgeschicht-
lichen Folgen der Reformation gewesen, die die Ausgangslage für die Entstehung der
säkularen Kulturwelt der Moderne geschaffen haben."37 Ausgehend von der Säkula-
risierungsthese versuchte dann auch Trutz Rendtorff - wie Pannenberg im Rückgriff
auf Hegel - direkt die neuzeitliche Freiheitsgeschichte als weltliche Verwirklichung
des Christentums zu verstehen.38 Andere entwickelten gar eine säkulare Theologie -
bis hin zu einem Verzicht auf das Wort "Gott" in einer "Theologie nach dem Tode
Gottes".39 Mit Johann Baptist Metz griff auch ein katholischer Theologe die Säkula-
risierungsthese Gogartens auf, begründete sie aber nicht mehr rein biblisch, sondern
vor allem von der Theologie des Thomas von Aquin her.40 Karl Rahner, der die Vor-
aussetzungen dafür bereitgestellt hatte, versuchte in seinem Werk ebenfalls, thomasi-
sche und neuzeitliche Grundanliegen zu verbinden.41
Die philosophische und theologische Diskussion um Legitimität bzw. Illegitimität
der Neuzeit dreht sich bis heute vor allem um "Autonomie" und "Säkularisierung".42
Die begriffliche Klärung hatte aber eben erst eingesetzt, als Romano Guardini seine
eigene Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Denken begann. Die Spuren des
bisherigen katholischen Ressentiments gegenüber der Neuzeit sind bei ihm noch all-
gegenwärtig,43 aber zugleich eng mit den neuzeitkritischen Positionen seines kulturel-
len Umfelds verbunden. Um so beachtlicher muß es erscheinen, wenn Guardini den-
noch versucht, aus einer prinzipiellen Ablehnung der Neuzeit herauszufinden und in
der Forderung nach Autonomie ein auch aus christlicher Sicht berechtigtes Anliegen
zu erkennen.

34
Vgl. aber auch K. Löwith, Rezension von H. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit, in: PhR 15 (1968),
195-201; dazu bei Schrey, Einführung, 46f.
35
Vgl. Pannenberg, Legitimität, 126f.
36
Vgl. dazu auch W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. III, Göttingen 1993,66-71.
37
Pannenberg, Christentum, 20.
38
Vgl. T. Rendtorff, Theorie des Christentums. Historisch-theologische Studien zu seiner neuzeitlichen
Verfassung, Gütersloh 1972.
39
Vgl. Schrey, Einführung, 27-35. In diese Reihe gehören nach Schrey v. a. Harvey Cox, Dorothee Solle
und A. T. Robinson, aber auch, von katholischer Seite, Johann Baptist Metz.
40
Vgl. Metz, Weltverständnis im Glauben. Christliche Orientierung in der Weltlichkeit der Welt heute
(1962); ferner ders., Christliche Anthropozentrik. Über die Denkform des Thomas von Aquin, München
1962.
41
Vgl. dazu bes. J. B. Metz, Karl Rahner, in: Schultz, Tendenzen der Theologie, 513-518.
42
Zur philosophischen Diskussion vgl. Schmucker-von Koch, Autonomie, bes. 9-11.
43
Kasper ordnet Guardini (wie auch Karl Adam) deshalb dem "restaurativen Modell" unter den Versu-
chen einer theologischen Bewältigung der neuzeitlichen Autonomieproblematik zu (vgl. Autonomie, 165f,
hier 165). Allzu einseitig urteilt Schmidt-Biggemann (vgl. Säkularisierung, 125-127), der Guardinis These
vom "Ende der Neuzeit" offenbar lediglich zum Anlaß nimmt, die aus seiner Sicht wirklich entscheidenden
geschichtstheologischen Entwürfe der 50er und 60er Jahre vorzustellen (vgl. ebd., 127-139).
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 343

b. Das Ja zu einer "relativen Autonomie"


aa. Gehorsam und Bindung
Guardini hatte seit seiner "Wende" zur Bindung an die konkrete Kirche eine
"dezidiert nicht-liberale" Position eingenommen,44 die ihn von vornherein gegen die
neuzeitliche "Autonomie"-Forderung skeptisch machen mußte. Das "Hergeben der
Seele", das er im Anschluß an Mt 10,39 als Gegenprogramm zum "Subjektivismus"
und "Individualismus" der vergangenen Epoche verstand (vgl. Kapitel II,l,c und
II,3,b,aa), äußerte sich für ihn konkret im Gehorsam gegenüber den objektiven Ord-
nungen der Kirche - Dogma, rechtliche Struktur und Liturgie -, die freilich immer
mehr von ihrem eigentlichen Kern her gedeutet wurden - vom "gebenden" Vorgang
der Offenbarung her, der im menschgewordenen Mittler Jesus Christus konzentriert
war (vgl. Kapitel III,l,b und IH,2,c). Genau gegenläufig dazu schien die "Meißner
Formel" der deutschen Jugendbewegung dem typisch neuzeitlichen Freiheitswillen
neue Geltung zu verschaffen; ging es doch um die Bereitschaft, "in eigener Verant-
wortung, mit innerer Wahrhaftigkeit" das Leben zu gestalten und für diese "innere
Freiheit" gegen jede Bevormundung entschieden einzutreten (vgl. dazu Kapitel
I,2,a,cc).
Wenn Guardini vor diesem Hintergrund ein neues Verständnis für die Haltung des
"Gehorsams" zu vermitteln suchte, dann mußte er zeigen, daß dies nicht im Wider-
spruch zum Freiheitsverlangen der Jugend stand.45 Er suchte also deutlich zu machen,
daß "Freiheit" nicht nur in der freien Wahl, sondern ebenso in der freien Entfaltung
des wahren Wesens eines Menschen bestehe.46 Dieses Wesen sei jedoch nicht nur
individualistisch und subjektivistisch zu verwirklichen, sondern nur im Bezug auf die
Ganzheit des Lebens, zu der auch das Gemeinschaftserleben und das Bejahen des
"Objektiven" gehörten.47 Gerade die Kirche sei deshalb kein Hindernis für die freie
Entfaltung eines Menschen, sondern als Repräsentant des "Ganzen" sogar ihr ent-
scheidender Garant.48
44
Vgl. Berichte, 86. - Siehe dazu unter Kapitel II,l,c.
45
Dies geschieht zunächst in den drei "Pharus'-Aufsätzen von 1916, dann in der Auseinandersetzung mit
Kelber und Bondy; dazu bereits oben unter II,3,b,aa). Unterschiedlich bewerten Helmut Kuhn (Guardini, 40-
50) und Heinz Robert Schlette (Guardini 1970, Anm. 31, 258f.) die Kontroverse zwischen Bondy und Guar-
dini; Kuhn stellt sich auf die Seite Guardinis, den er als Vertreter einer grundsätzlich antirevolutionären
Autoritätshaltung interpretiert, während Schlette durch positive Würdigung Bondys indirekt Kritik an Guar-
dini übt.
46
In dieser Doppelung sah Guardini ebenfalls eine Auswirkung der Gegensatzphilosophie:
"Transzendenz" (im Sinne des Gegensatzbuches) wird deutlich in der Wahlfreiheit des Menschen,
"Immanenz" in der Freiheit der "Wesensauswirkung"; beides zusammen aber gehört zum Phänomen der Frei-
heit, wie es sich dem lebendig-konkreten Erkenntnisakt darbietet (vgl. Gegensatz, 174-180). Dabei ist festzu-
halten, daß es lediglich darum geht, wie Freiheit erfahren wird, nicht um eine Darstellung des Wesens
menschlicher Freiheit überhaupt (vgl. ebd., Anm. 43, 176).
47
Vgl. dazu etwa: Freiheit, 983-988.
48
Vgl. Sinn der Kirche, 52-73 [63-79] ("Der Weg zur Freiheit"). Die ursprüngliche Einleitung dieses
Abschnitts (52-54) ist in der späteren Fassung weggelassen. Gerade hier hatte Guardini aber deutlich ge-
macht, daß die faktische Kirche natürlich nicht von vornherein jene Eigenschaften besitzt, die sie aufgrund
ihrer "Katholizität" eigentlich haben müßte: "Ja, wenn wir wirklich katholisch wären! Dann müßte die
sichere, alles richtig sehende und frei machende Güte in uns sein! Und das Leben, dem überall Gewalt ange-
tan wird, würde in unserem Seinsbereich aufatmen und alles neu werden darin!" (ebd., 52).
Die Kultur am Ende der Neuzeit

In der Suche nach der Ganzheit des Lebens sah Guardini denn auch das eigentliche
Ziel der Jugendbewegung:
"Was da heraufkam, war gerade das Gegenteil jener Lebenshaltung, deren letz-
ter Ausdruck der Autonomiegedanke war: nämlich ein Menschentum, ganz auf
Sein und Wirklichkeit gerichtet, ursprünglich im lebendigen Ich-Du der
Gemeinschaft stehend, offen allen wesentlichen Verhältnissen und ihren Forde-
rungen ... Ihre eigentliche Wesenshaltung bedeutet die Überwindung Kants, und
wenn sie sich selbst richtig versteht und mit ihrem Wesen ernst macht, so muß
sie den Autonomismus auch bewußt ablehnen - und damit Formel und Gesin-
nung vom Hohen Meißner."49
Als sich das jugendbewegte "Ganzheitsstreben" dann aber zu einer extremen Gemein-
schaftsbegeisterung und einem neuen Autoritätsglauben zu entwickeln begann, sah
sich Guardini herausgefordert, die ursprüngliche Stoßrichtung seiner Impulse umzu-
kehren und nun - auch im Kontrast zur neuen "völkischen" Ideologie - das Recht der
individuellen Freiheit zu verteidigen. Seine Überlegungen über die "Grenzen der
Gemeinschaft"50 machten vor dem Hintergrund der Entwicklung im "Quickborn"
deutlich, daß es nach der ersten Phase der Gemeinschaftsbegeisterung nun zur Ent-
deckung des Einzelnen kommen müsse, daß damit jedoch nicht Gemeinschaft zer-
stört, sondern auf einer neuen, höheren Ebene erst eigentlich aufgebaut werde. "Es
geht darum, daß der Mensch in Natur und Welt steht, aber ein personales Wesen
ist."51

bb. Innerweltliche Autonomie


In Guardinis begleitenden Schriften zur Jugendbewegung tauchte auch der Begriff der
Autonomie erstmals auf, wurde jedoch zunächst lediglich als innerweltliche Haltung
verstanden - nämlich als die Eigenständigkeit des Einzelnen gegenüber der Gemein-
schaft, des "Jungseins" gegenüber dem Lebensganzen, sowie eines einzelnen Kultur-
bereichs im Verhältnis zu anderen Bereichen bzw. der Gesamtkultur.52 Guardini er-
kannte die positive Seite dieser Grundtendenz ausdrücklich als "öl sich gut" an:
"Ein wichtiger kulturbildender Trieb wirkt sich in ihr aus, nämlich das Bestre-
ben, überall reinlich die Grenzen zu ziehen, jedes Besondere sauber aus der
eigenen Art herauszubilden. Das 'Klassische' aller Kultur wurzelt in ihm; das ist
barbarischer Vermengung entgegengesetzt und sucht besonnen jedes Stück gei-
stigen Lebens zu reiner, vollwichtiger Reife zu bringen. Der Trieb ist gut, wenn
er auch überspannt wurde."53
Die Kritik betrifft also die neuzeitliche Übersteigerung, nicht die innerweltliche
Autonomie als solche. So gibt es für Guardini eine bedingte Eigenständigkeit des Ich,
während er die These von seiner Unbedingtheit entschieden ablehnt.

49
Nachwort, 32.
50
Erstmals 1928 ("Mögliche Gemeinschaft"), dann 1930 ("Möglichkeit und Grenzen der Gemeinschaft").
51
Möglichkeit und Grenzen, 77; vgl. ebd., 77-81.
52
Vgl. Neue Jugend, 8 ("Autonomie des Geistigen und der Geistesgebiete"), 8f. (Autonomie des "Ich"), 10
("Autonomie des Jungseins").
53
Neue Jugend, 9. - Vgl. auch Gegensatz, Anm. 8, 40f.
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 345

"Sie wird beschränkt einmal durch die von ihm unabhängige, gegenständliche
Gültigkeit der Ideen und Gesetze, die in sich ruhen und auch in der wirklichen
Welt gegeben sind. Ferner und vor allem wird sie beschränkt durch die Seins-
gültigkeit Gottes, in der jene Ideen wurzeln."54
Dasselbe gilt auch für die Autonomie der Kulturgebiete: "Die Geistesbezirke sind
eigenständig, aber bedingterweise, als eigengeartete Teile eines Ganzen und in diesem
Ganzen."55 Kritisiert wird von Guardini wieder die Übersteigerung, die er in der neu-
zeitlichen Entwicklung gegeben sieht:
"Wir haben eine Wissenschaft, die nichts vom Leben weiß; eine Kunst, die nur
um ihrer selbst willen da ist und den Zusammenhang mit dem Sittengesetz ab-
lehnt; eine Ethik, die sich vom Religiösen loslöst, und ihrerseits vom politischen
und Rechtsleben als fremd abgestoßen wird."56
Der Grundansatz jedoch sei richtig, wie Guardini auch in seiner Gegensatzlehre ver-
deutlicht:
"Und es gehört zum Adel geistigen Lebens, diese Bereiche in ihrer Eigen-Art
geschieden zu halten: daß Wissenschaft nicht in Kunst übergehe, Politik sich
nicht mit Religion vermenge, moralische Fragen nicht durch wirtschaftliche
Erwägungen gelöst werden."57
So bildete sich bei Guardini die Unterscheidung von "relativer" Eigenständigkeit
("Autonomie") und "Autonomismus" heraus.58 Die Notwendigkeit einer solchen
Differenzierung zeigte sich vor allem bei der Frage nach der menschlichen Person.
Bereits in der Auseinandersetzung mit der modernen Technik hatte Guardini ja die
Stärkung der Personalität gefordert und darin die entscheidende Voraussetzung für
eine menschliche Bewältigung der Zukunft gesehen (vgl. Kapitel IV,l,b und c). Nun
arbeitete er an einer Wesensbestimmung menschlicher Freiheit und Personalität und
sprach ausdrücklich von der "Eigengehörigkeit"59 bzw. "Selbstgehörigkeit"60 des
Menschen. Die Verbindung des scholastischen Personbegriffs61 mit einem dynami-
schen Verständnis62 diente dem Zweck, diese "Eigengehörigkeit" tiefer zu begründen.

54
Neue Jugend, 19.
55
Neue Jugend, 20.
56
Neue Jugend, 20f. - Dies wird im Gegensatzbuch aufgegriffen: "Wo die Sinnbereiche des geistigen
Lebens, etwa der Wahrheitsbereich der Wissenschaft, der Schönheitsbereich der Kunst, der Rechtsbereich des
Gesetzes, der Machtbereich des Staates, sich derart besondern, daß sie den Zusammenhang miteinander ver-
lieren ... Dann zerfällt das Leben. Das Leben des Einzelnen in Beschäftigungen, Erlebnisse, Beziehungen.
Das Leben der Gesamtheit in äußerlich, formal zusammengehaltene Individuen. Das Geistesleben in selbstän-
dig (!) erklärte Kulturgebiete (Autonomismus)" (Gegensatz, 86).
57
Gegensatz, 84.
58
Vgl. Gegensatz, Anm. 8, 40f. - Hier wird auch der positive Beitrag der Neuzeit gegenüber dem Mittelal-
ter betont, und zwar in Bezug auf eine deutlichere Differenzierung der Kulturbereiche: "Heute stehen wir vor
der Aufgabe, die Ergebnisse der kritischen Zeit in neue Einheit einzubauen. Die dann freilich nicht mehr die
naive des Mittelalters, sondern eine kritische sein wird. Dies ganze Buch dient dieser Aufgabe" (ebd., 41);
vgl. auch ebd., 86.
59
Vgl. Sozialwissenschaft, 35-39.
60
Vgl. Lebendige Freiheit, bes. 101.
61
Vgl. Sozialwissenschaft, 38 ("naturae rationalis subsistentiae" - "Eigenständigkeit eines vernUnftig-
freien Wesens").
62
Mit dem Personbegriff Kierkegaards hatte sich Guardini intensiv beschäftigt; vgl. Sozialwissenschaft,
Anm. 1, 36; Ausgangspunkt. - Max Scheler wandte sich ebenso gegen den "substantiellen" Personbegriff wie
346 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Person sei etwas, "was wird", "was nur als Akt und im Akt ist; was in bestimmten,
eben den personalen Akten (Treue, Liebe, Ehrfurcht) aufblitzt; als deren Sinnpunkt;
als deren geistige, genauer ideelle, intentionale Richtung; als Akt-Subjekt und Inten-
tions-Konstante." Doch:
"Leben ist nicht wirklich lebendig, wenn es nur in aufschießenden Akten zuckt
oder in Vorgängen läuft, sondern wenn es lebend 'wird'; das heißt, wenn es
wirk-lich, wirkhaft ist, in schwingender Lebendigkeit dauert. Dann nähert sich
das Dynamische dem Statischen. Dann erscheint personales 'Antlitz'."63
"Erkennen, Entscheiden und Handeln sind für sich noch nicht Person; sondern
erst, daß ich im Wissen, Entscheiden und Handeln mir gehöre. Hierdurch be-
gründet und behauptet sich Person als eigene, geistige und geistbezogene Welt,
dem Naturzusammenhang enthoben. Dies zu wissen und dazu zu stehen, ist per-
sonale Haltung."64
Die Tatsache, daß die Person "nicht eingerechnet, eingefügt, durchschaut, unter
Zwecke gestellt, gebraucht, gegriffen werden kann"65, drückt sich für Guardini dabei
in den beiden Termini "Innerlichkeit" und "Würde" aus - gleichsam die "immanente"
und "transzendente" Seite desselben Sachverhaltes, wie Guardini - damit bereits auf
die beiden Daseinspole "Innen" und "Oben" anspielend66 - formuliert. Es gebe der
"Person" gegenüber die Haltung der Ehrfurcht, die auch im Gefüge der gesellschaftli-
chen Ordnung zum Ausdruck kommen müsse.67
"Nur sie selbst verfügt über sich. Und was sie betrifft, findet seine Verwirkli-
chung nur, wenn es zugleich auch in ihrer Initiative ruht."68
In seiner Bestimmung des Personseins als "Eigengehörigkeit" in "Innerlichkeit" und
"Würde" nimmt Guardini daher das Grundanliegen des neuzeitlichen Autonomiestre-
bens auf. Zugleich lehnt er jedoch einen unbegrenzten "Autonomismus" ab. Statisches
und dynamisches Menschenbild, individuelle und soziale Aspekte, Eigengehörigkeit
und Bezogenheit sind bei ihm in ein neues Ganzes integriert,69 so daß man durchaus
sagen kann, Guardini habe auch hier wiederum sein Gegensatzdenken in Anwendung
gebracht.70 Allerdings gilt das nur so weit, als konkrete Personalität verwirklicht wird
und somit auch erfahren werden kann. Wo es aber um ihr "Wesen" geht, kommt bei
Guardini auch Gott ins Spiel, und damit wird die Ebene der lebendigen Gegensätz-
lichkeiten verlassen. Die Entdeckung seiner "Eigengehörigkeit" habe den Menschen

die "Ich-Du-Philosophie" und die "Existenzphilosophie"; vgl. Nosbüsch, Personproblem. Näheres zum
"dialogischen Personalismus": Langemeyer, Dialogischer Personalismus; Böckenhoff, Begegnungsphiloso-
phie. Vgl. auch Steinbüchel, Umbruch.
63
Sozialwissenschaft, 36. - Vgl. den Titel der Arbeit von Lina Börsig-Hover über das Personverständnis
Guardinis: "Das personale Antlitz des Menschen".
64
Sozialwissenschaft, 38.
65
Sozialwissenschaft, 39.
66
Vgl. Sozialwissenschaft, Anm. 8, 39f.
67
Vgl. den gesamten Aufsatz, der die Frage behandelt, ob und wie denn überhaupt - unter der Vorausset-
zung des eben entwickelten Personverständnisses - "Ordnung" unter Personen möglich sei.
™ Sozial Wissenschaft, 29.
69
"Es bedeutet, das Ganze zu gewinnen; das Ganze des menschlichen Daseins"; "... die menschliche
Ganzheit zu gewinnen, aber auf einer anderen Ebene" (Möglichkeit und Grenzen, 77).
70
Vgl. dazu bes. Wust, Metaphysik des Gegensatzes.
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 347

dazu verleitet, die absolute Selbstgehörigkeit Gottes für sich selbst in Anspruch zu
nehmen. Dagegen jedoch sei Einspruch zu erheben:
"Personale Eigengehörigkeit ist nicht Autonomie. Die hat nur Gott. Er ist abso-
luter und absolut sich gehörender, das heißt absolut personaler Geist. Der
Mensch ist Person nur, weil Gott ihm Raum schafft für das Mysterium des sich
selbst gehörenden geist-leiblichen Wesens."71

cc. Autonomie und Theonomie


Personalität des Menschen ist für Guardini im letzten "Selbstgehörigkeit dieses Men-
schen in Gott".72 Sein Widerspruch richtet sich gegen ein Autonomiestreben als
Ablehnung Gottes;73 eine "autonome Kultur" in diesem Sinne kann es für ihn nicht
geben.74 Vor allem, wo der Anspruch erhoben werde, das eigentliche Wesen des
Menschen zu bestimmen und dabei ohne den Bezug zu Gott auszukommen, liege eine
Überschätzung der eigenen Möglichkeiten vor. Begriffe wie "Person", "Geist", "Frei-
heit", "Liebe" usw. seien nicht aus sich selbst heraus zu begreifen. "Sie zu sehen,
stellt an die Erkenntnis die höchsten Anforderungen; bedroht am schwersten das
glatte, rational wohlgeordnete Weltbild; bringt überall Unlösbarkeiten hinein; fordert
vom existentiellen Denken den höchsten Einsatz des eigenen Selbst."75 Richtig in den
Blick kommen sie nach Guardini erst, wenn sie "durch einen entsprechenden Offen-
barungsinhalt hochgetragen, freigemacht, geborgen werden."76
"Es bedeutet eine große Ketzerei gegenüber dem Autonomiewillen der neuen
Zeit, und dennoch scheint mir alles auf diese Konsequenz hinzudrängen: Ein
ganz eigenständiges Wissen von den Dingen des geistig-personalen Bereichs
gibt es nicht."77
So werde etwa, was "Person" im eigentlichen Sinne sei, erst klar, "sobald durch
Offenbarung deutlich, und im Glauben aufgefaßt wird, was Kind Gottes ist."78 Das
gleiche gelte vom Gewissen, vom Geschichtsverständnis und von der Sicht des Staa-
tes.79 Dabei seien etwa "Person" und "Kind Gottes" durchaus verschiedene Wirklich-
keiten; im ersten Fall handle es sich um eine "natürliche", im zweiten um eine
"pneumatische" Wirklichkeit, wobei beide jedoch in einem Analogieverhältnis zuein-
ander stünden.80
"Die Gegenstände dieses Bereichs sind natürlich. Sie gehören an sich zum Felde
der Philosophie, Psychologie, Soziologie usf. Zur eindeutigen und vollen Gege-
benheit gelangen sie aber erst, sobald die ihnen analogen übernatürlichen Wirk-
lichkeiten in der Offenbarung hervortreten und im Glauben aufgefaßt werden.
71
Sozialwissenschaft, Anm. 8, 39-41, hier 40.
72
Vgl. Sozialwissenschaft, Anm. 8, hier 41.
73
Vgl. etwa Lebendiger Geist, 133f.
74
Lebendiger, Geist, 134.
75
Lebendiger Geist, 130.
76
Lebendiger Geist, 131.
77
Lebendiger Geist, 133.
78
Lebendiger Geist, 131; vgl. ebd., 131f.
79
Vgl. Lebendiger Geist, 132f.
80
Vgl. Lebendiger Geist, 131; zur hinter dieser Aussage stehenden Stufenordnung und zum Begriff der
Analogie siehe v. a. unter Kap. IV,3,c,dd.
14 0
Die Kultur am Ende der Neuzeit

Und bleiben rein gegeben nur solange, wie dieser Glaube festgehalten wird. ...
Sobald der Glaube schwindet, verfallen sie wieder jenem eigentümlichen Halb-
dunkel, rücken ferne und entgleiten. Es lassen sich seltsame Beweise dafür an-
führen, mitten aus unserer Gegenwart."81
Guardini spürt durchaus die Gefahr, in die eine solche Einstellung führen kann:
"Freilich darf das weder im Sinne eines religiösen Traditionalismus noch einer
Kulturtheokratie gefaßt werden. Es darf auch nicht bedeuten, daß der kulturellen
Arbeit ihre Ergebnisse geschenkt würden. Offenbarung und Glaube nehmen der
natürlichen Arbeit nichts ab. Die ganze Aufgabe, auch aus den Gegebenheiten
der Welt mit den Mitteln natürlichen Denkens und Schaffens herauszuholen,
was in ihnen liegt, bleibt. Die absolute Autonomie der Kulturarbeit wird zer-
stört; es bleibt aber die relative."82
Die "spezifische Gefahr der religiösen Haltung" sieht Guardini darin, daß sie die Kul-
tur zerstöre und dem natürlichen Schaffen "seine Verantwortung und seine Freudig-
keit" nehme. Demgegenüber müsse "mit aller Energie die relative Autonomie als
Weltaufgabe hervorgehoben werden."83 In der interpretatorischen Begegnung mit
Augustinus und Pascal nannte Guardini diese Aufgabe und die ihr zugrundeliegende
Gefahr des religiösen "Kurzschlusses" bzw. "Absolutismus" deutlich beim Namen
und verwies zur Orientierung auf Thomas von Aquin.*4 Freilich ist er selbst hier nicht
ganz konsequent, weil er im Grunde seines Herzens eben doch eher an Augustinus
hängt als an der ausgewogeneren thomasischen Position. Doch seine grundsätzliche
Auffassung ist eindeutig: Es geht darum, die relative Autonomie der Kultur auch in
Bezug auf Gott ernstzunehmen, einen undifferenzierten Autonomismus jedoch konse-
quent abzulehnen. Dies gilt auch und gerade auf dem Gebiet der Ethik.85

dd. Autonome Moral?


Immanuel Kant hatte das Sittengesetz zur Richtschnur des Handelns erhoben, es
jedoch als Gesetz "unseres Selbst" verstanden. "Echte Sittlichkeit sei also selbsthörig;
autonom. Verbinde ich demnach das sittliche Verhältnis mit einer Wirklichkeit außer
mir, dann verunreinige ich es; werde fremdhörig, heteronom und mithin unsittlich."86
Guardini wirft Kant nun nicht einfach platten "Subjektivismus" vor; er sieht durch-

81
Lebendiger Geist, 133.
82
Lebendiger Geist, 134. - Karl Rahner hat auf diese Gefahr bereits in seiner Rezension zu Guardinis
"Welt und Person" (1941) behutsam hingewiesen, wenn er meint, Guardini habe zwischen christlichem und
philosophischem Personbegriff wohl nicht genügend unterschieden (vgl. ders., Welt und Person).
83
Lebendiger Geist, 134.
84
Vgl. Bekehrung, 109 und 137f; dazu oben unter Kap. V,2,b,aa und bb. - Auch die katholische Rezep-
tion der neuzeitlichen Autonomievorstellung berief sich auf Thomas von Aquin. Vgl. dazu das Werk von
Rahner und Metz (vgl. bes. J. B. Metz, Christliche Anthropozentrik. Über die Denkform des Thomas von
Aquin, München 1962), aber auch die Position von Alfons Auer (vgl. Autonome Moral, 15-31; Nachtrag,
218f.).
85
Guardinis "Ethik" liegt erst jetzt im Rahmen der Werkausgabe gedruckt vor (1993), konnte allerdings
für die vorliegende Untersuchung nicht mehr eigens behandelt werden. Im folgenden wird eine knappe Dar-
stellung aus dem Jahre 1929 herangezogen (Das Gute, das Gewissen und die Sammlung), in der Guardini
seinen ethischen Grundansatz prägnant vorstellt.
86
Das Gute, 56; vgl. Kasper, Autonomie, 160-162.
Die Autonomie als Wurzel der Neuzeit 349

aus, daß dieser unter "Selbst" das "Subjekt überhaupt" verstehe, also "das Gefüge des
menschlichen Urteilens im Allgemeinen"87. Aber Kant ziehe doch die Folgerung:
"Sobald ich das Gute mit Gott gleichsetze; sobald ich das Sittengesetz als Forderung
Gottes auffasse, ist es 'ein Anderer', der mir da befiehlt, und ich werde fremdhörig."88
Guardini setzt dagegen:
"Gott ist doch nicht 'ein Anderer'! Wie kann man Dinge und Begriffe derart
verwechseln? Ein Mensch neben mir ist ein Anderer; eine Staatsbehörde ist ein
Anderes. Aber Gott ist doch nicht ein 'Anderer' in diesem Sinn! Gott ist Gott! Er
kann gar nicht unter eine solche Kategorie eingefaßt werden."89
Natürlich gebe es eine tiefe Kluft zwischen Gott und dem Menschen; aber Gott sei
doch gerade als Schöpfer "der Grund meines Wesens und meines Daseins"90, so daß,
"je tiefer ich mich ihm auch hingebe; je voller ich ihn in mich hineinlasse; je stärker
er, der Schöpfer in mir zur Geltung kommt, ich desto mehr ich selber werde".91
Wir haben gesehen, wie Guardini im Augustinus-Buch mit derselben Argumenta-
tion den Begriff der "Heteronomie" in Bezug auf Gott ablehnt und dafür den (freilich
wenig glücklichen) Begriff der "Allonomie" einführt; was er damit jedoch meint, ist
die auch im heutigen theologischen Diskurs festgehaltene These, daß "Theonomie"
und "Autonomie" sich keineswegs ausschließen müssen, wie Kant das offenbar mein-
te und wie seine theologischen Gegner in restaurativer Umkehrung seiner Position
ebenfalls annahmen.92 Gegen Kant hält Guardini daran fest, daß ich aus der
"Selbstverfangenheit" des Gewissens nur dann herauskomme,
"wenn ich einen Punkt finde, der nicht Ich ist; eine 'Höhe über mir'. Ein Etwas,
ein Festes, ein Wirkendes, das in meinem Innern zur Geltung kommt."93
Wie in der Berliner "Antrittsvorlesung" soll also auch in der ethischen Normfindung
der Blickwinkel Gottes selbst bestimmend sein, der jedoch dem wirklich situationsge-
recht urteilenden Standpunkt des Menschen nicht widersprechen kann. Es geht viel-
mehr darum, "daß in mir eine unbedingte Wirklichkeit zur Geltung komme, die mir
die Augen über jene Forderungen öffnet und mich zur Freiheit der Entscheidung vor
ihr befähigt."94 Nicht die Offenbarung ethischer Sondernormen verspricht sich Guar-
dini von einer christlichen Fundierung sittlichen Handelns, sondern die Stärkung der
87
Das Gute, 57. "Kant bindet die Sittlichkeit an die allen freien Wesen gemeinsame Vernunft" (Kasper,
Gott, 161). Der Mensch "soll zwar seiner eigenen Gesetzgebung folgen, aber seiner eigenen doch nur, sofern
sie als allgemeine zu denken überhaupt möglich ist; denn sonst wäre sie nicht wirklich vernünftig. Dies ist der
Sinn der sittlich-rechtlichen Forderung der Autonomie" (J. Schwartländer, Staatsbürgerliche und sittlich-
institutionelle Menschenrechte. Aspekte zur Begründung und Bestimmung der Menschenrechte, in: ders.
(Hg.), Menschenrechte. Aspekte ihrer Begründung und Verwirklichung, Tübingen 1987 (= Tübinger Univer-
sitätsschriften 1), 87).
88
Das Gute, 57; vgl. Kasper, Gott, 161: "Das theologische Problem von Kants autonomer Moral liegt
darin, daß seine autonome Selbstbegründung der Moral in der Freiheit des Menschen eine theonome Begrün-
dung ausschließt."
g
9 Das Gute, 57.
90
Das Gute, 57.
91
Das Gute, 58.
92
Beides kann durchaus zusammengedacht werden, sei es daß Autonomie als Verwirklichung der Theo-
nomie gedacht wird, sei es daß sie im Modell der Korrelation und der Analogie zum "Gleichnis" der Theo-
nomie wird; vgl. Kasper, Autonomie, bes. 166-175.
93
Das Gute, 46.
94
Das Gute, 50.
350 Die Kultur am Ende der Neuzeit

sittlichen Grundhaltung, die Offenheit und Bereitschaft für das Gute, das in der kon-
kreten "Situation" an den Menschen herantritt. Im "Einvernehmen mit Gott" gewinnt
das Gewissen des Menschen die letzte Klarheit.95
Auch im ethischen Bereich kristallisiert sich also bei Guardini - wie bei der inner-
kulturellen Autonomie und der Autonomie gegenüber Gott - eine "relative Autono-
mie" heraus; hier wird sogar noch deutlicher, daß die Mitwirkung Gottes (Theonomie)
im Leben des Menschen ("Autonomie") nicht als inhaltliche Ergänzung, sondern als
innere Ermöglichung zu verstehen ist. Dennoch bleibt der Eindruck einer entschiede-
nen Abkehr von der Neuzeit als Ganzer vorherrschend; die unbekümmerte Anerken-
nung positiver Anliegen als tatsächlich neuzeitlicher Errungenschaften fällt Guardini
noch sehr schwer. Dies gilt auch noch für die 1939 erschienene Schrift "Welt und
Person", die sich freilich einen entscheidenden Schritt weiter auf das neuzeitliche
Daseinsverständnis einläßt als die bisherigen Äußerungen.

c. "Welt und Person" (1939)


Guardini erhebt nicht den Anspruch, mit "Welt und Person" ein in sich abge-
schlossenes und völlig ausgereiftes Werk vorzulegen. Er spricht vielmehr von
"Versuchen",96 von einem "experimentierenden" Herantasten an eine komplexe Wirk-
lichkeit.97 Um das "Wesen des Menschen" soll es gehen, und Guardini sieht gerade in
der Erschütterung bisheriger Menschenbilder eine gute Ausgangsbasis dafür:98
"Der Mensch ist inne geworden, daß er anders sei, als er dachte, sich selbst un-
bekannt und zur Aufgabe gesetzt. Die Spitze des Menschlichen liegt wieder in
Dunkel und Zukunft."99
Daß der Mensch sich aus sich selbst heraus nicht (oder noch nicht) voll versteht, ist
für Guardini aber gerade das Wesentliche. Denn er will die Frage nach dem Men-
schen von vornherein vom christlichen Glauben her beantworten und eine Anthropo-
logie vorlegen, deren Grundkonzeption er vor allem bei Augustinus und Pascal
kennengelernt hatte:
"Im Grunde ist es ein Gedanke, der durchversucht werden soll: daß der Mensch
nicht als geschlossener Wirklichkeitsblock oder selbstgenugsame, sich aus sich
selbst heraus entwickelnde Gestalt, sondern zum Entgegenkommenden hinüber
existiert."100
Dem Christen aber habe bisher nur der Mut gefehlt, "den Menschen in jene Unbe-
kanntheit zu stellen, in die er gehörte; und die Antwort, die er auf die Frage nach dem
Wesen des Menschen gegeben hatte, war, eingeschränkt und umgetönt, keine andere
95
Vgl. Das Gute, 37-63, bes. auch 54f.
96
Vgl. den Untertitel "Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen"; sowie ebd., 10.
97
Vgl. WP 10: "Experimente, worin gewisse Gedanken an die sehr verwobenen Zusammenhänge heran-
getragen werden, damit sich zeige, was sie leisten." Die erste Abhandlung ("Die Welt") war bereits 1938
gesondert in den "Schildgenossen" ("Zum christlichen Begriff der Welt") erschienen.
98
Vgl. WP 9.
"WP9.
100 W P 1 0
"Welt und Person" 351
gewesen als die allgemeine."101 Demgegenüber geht es Guardini um ein Menschen-
bild, das von Anfang an spezifisch christlich ist.102 Freilich wendet auch er sich
zunächst dem "Wirklichkeits- und Aufgabenzusammenhang" insgesamt zu, in dem
der Mensch steht103 und der, wie schon bisher (vgl. Kapitel 111,2 und IV,2), "Welt"
genannt werden kann.
Nun fragt freilich nur der Mensch der Neuzeit so dezidiert von sich selbst her nach
der "Welt", statt - wie noch im Mittelalter - von der Wirklichkeit Gottes her. Indem
Guardini also diese Fragestellung aufgreift, knüpft er an die Grundtendenz der Neu-
zeit an - aber in christlicher Perspektive. Wir folgen dem Gedankengang der ersten
beiden Teile des anthropologischen Hauptwerks ("Die Welt" und "Die Person"),
unterteilen unsere eigene Darstellung jedoch in drei Unterabschnitte: Der erste
behandelt das wichtige Eröffnungskapitel des ersten Teils, in dem es noch einmal,
und zwar intensiver um die Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Autonomiefor-
derung geht (aa: "Natur" oder "Schöpfung"?). Die Überlegungen über die "Pole des
Daseinsraumes" und über "Welt, Weltverschließung und Weltoffenheit" werden dann
im nächsten Unterabschnitt zusammenfassend behandelt (bb: "Nichts" oder "Gott"?).
Abschließend geht es um den Inhalt des zweiten Hauptteils über die menschliche
Personalität (cc: Eigengehörigkeit durch Gottbezogenheit).

aa. Das "Dasein": "Natur" oder "Schöpfung"?


Es ist erstaunlich, daß bisher noch kaum auf die Parallelität eingegangen wurde, die
zwischen Guardini und Heidegger besteht.104 Beide verwenden die Begriffe "Dasein"
und "Welt". Für beide ist "Dasein" ganz dezidiert jenes "Seiende, das wir selbst je
sind",105 wird also als das spezifisch menschliche Dasein verstanden. Auch für
Guardini ist "Dasein" in erster Linie "In-der-Welt-sein":106 "Welt" ist das, "worin der
Mensch steht"; "Dasein" meint die Einheit von Mensch und Welt.107 Die Nähe zu
Heidegger ist bereits bei der Darstellung der Hölderlin-Interpretation Guardinis auf-
gefallen; jetzt gilt es nochmals darauf hinzuweisen, daß beide Denker sich nicht nur
101
WP10.
102 vgl. WP 11: "Das Kapitel über die Person stellt einen Entwurf des christlichen Menschenbildes dar."
103
Vgl. WP 11.
104
Auch bei Thomas Schreijäck findet sich dieser Hinweis nicht, obwohl gerade er in seiner tiefschürfen-
den Interpretation von "Welt und Person" noch deutlicher als Guardini selbst von Heideggers Begrifflichkeit
(in "Sein und Zeit") bestimmt ist ("Ontologie des Daseins", "Phänomenologie des Daseinsraumes", "Ontologie
der Welt"; vgl. ders., Bildung, 27, 32, 39 u. ö ) . Immer wieder auf Heidegger verweist dagegen Günter
Henner; vgl. ders., Pädagogik, 86, 115, 159 (Anm. 309), 162, 266 und 279. Henner weist auch auf die
existenzphilosophischen Bezüge im Denken Guardinis hin (vgl. ebd., 76-80) und geht hierbei vor allem auf
Kierkegaard und Heidegger ein; allerdings bezieht er sich hier fast nur auf die Spätschriften Guardinis. Hilf-
reich ist der Hinweis Eugen Bisers auf die drei Phasen von Guardinis anthropologischem Denken (vgl. ders.,
Erkundung des Menschlichen, 74-76, bes. 76). Die mittlere Phase konzentriere sich auf Formen gelingender
und mißlingender Selbstverwirklichung und nehme damit jene Spur der anthropologischen Reflexion auf, "die
sich von Pascals Lehre von den 'Zerstreuungen' bis zu Heideggers Daseinsanalyse verfolgen läßt" (ebd., 76).
105
Heidegger, Sein und Zeit, 7.
106 vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 53 und 59. Der Terminus "In-der-Welt-sein" findet sich bei Guardini
nicht explizit, kann jedoch durchaus als Zusammenfassung seines Daseinsverständnisses verwendet werden;
vgl. dazu bes. Schreijäck, Bildung, 25-27. Dies legt bereits der erste Satz der ersten Abhandlung nahe: "Wie
empfindet der Mensch das Sein der Welt, in der er lebtV (WP 15; Hervorhebung von mir).
107
Vgl. WP 11.
352 Die Kultur am Ende der Neuzeit
persönlich kannten,108 sondern Guardini sich mit Heidegger schon bald nach Erschei-
nen von "Sein und Zeit" (1927) intensiv auseinandersetzte.109 Allerdings wird die
Frage nach dem "Sinn des Seins" von Guardini nicht im heidegger'schen Sinn beant-
wortet; die Analytik des Daseins, in der immer wieder auf Heidegger angespielt
wird,110 steht vielmehr von vornherein im Horizont der christlichen Offenbarung.
Anders als Heidegger setzt Guardini den Begriff des "Daseins" mit dem der
"Existenz" gleich. Er meint damit im Unterschied zu einer systematischen Wesenser-
fassung des Menschen das konkrete, "mit dem Accent des persönlichen Heilsschick-
sals und der persönlichen Entscheidungsnotwendigkeit des Denkenden belastetes
Wirklichkeitsgewebe"111. Guardini hat offenbar Heideggers Daseinsanalytik in die
größere Strömung der "Existenzphilosophie" eingeordnet. In ihr sah er eine Weiter-
führung der "finitistischen" Haltung der reinen Endlichkeit, die bei Nietzsche voll
durchgebrochen sei;112 deshalb wird auch Kierkegaard stets als dessen Pendant
herangezogen, und auch das Spätwerk Rilkes11* legt sich von daher nahe. Bei all
diesen Autoren geht es nach Guardini um die fortschreitende Selbstaufhellung des
Daseins durch existentielles Denken. Er selbst fügt etwas Entscheidendes hinzu:
"Dieses Totum aber, 'Dasein' genannt, ist nicht, wie die Existentialphilosophie
voraussetzt, das autonome Ganze des in der Welt seienden Menschen, sondern
der Gesamtzusammenhang, der in der Offenbarung deutlich wird: Der Mensch,
der von Gott geschaffen ist, gesündigt hat, erlöst wurde und in einen neuen
Anfang gezogen worden ist; das Dasein, das aus diesem neuen Anfang gewor-
den ist; die Welt, insofern sie von diesem neuen Anfang erfaßt und vom erlösten
Menschen durchlebt wird."114
Die entscheidenden Einstiegsfragen aber lauten:

10« vgl. Guardinis Tagebuchnotiz vom 4. 3. 1958: "Gestern Abend war Heidegger hier ... Seit dem Jahre
1912 oder 13 kennen wir uns, von Freiburg her" (Wahrheit des Denkens, 112). Guardini wie Heidegger stan-
den damals dem Privatdozenten Engelbert Krebs nahe - Guardini durch seine Promotion (siehe dazu oben
unter III,l,a), Heidegger als Freund (vgl. Ott, Heidegger, 76-101). Die gleichzeitige Mitarbeit beider an der
Zeitschrift "Der Akademiker" zwischen 1908-1911 (vgl. ebd., 63) hat dagegen in dieser Hinsicht wohl nichts
zu bedeuten, wäre aber noch eine interessante Ergänzung zu Guardinis Bibliographie.
109
Es war z. B. neben Bubers "Ich und Du", Kierkegaards "Philosophischen Brocken" und anderen Wer-
ken Thema eines kleinen philosophischen Kreises, der sich an Silvester 1929/30 auf Burg Rothenfels traf (vgl.
die undatierte "Einladung" Guardinis, als Typoskript erhalten im Archiv Burg Rothenfels; dazu Gerl, Guardi-
ni, Anm. 39, 134). Am 11.1. 1930 schreibt er an Buytendijk: "Auch an Heidegger fühle ich mich langsam
heran" (Buytendijk, 85; dt. Original nach Buytendijk*). Vgl. an denselben am 11.3. 1931 (ebd., 87). Irgend-
wann im Jahre 1930 muß Guardini Heidegger außerdem in dessen Zähringer Wohnung besucht haben; vgl.
Ott, Heidegger, 301 (siehe dazu bereits V,2,c,aa).
110 vgl. v. a. WP 82 und 138. - Auch später wird Heidegger einfach mit Kierkegaard, Jaspers, Sartre und
Camus in einer Reihe genannt; vgl. Existenz, 6 und 426.
111
Brief an Buytendijk vom 11.3. 1931 (vgl. Buytendijk, 87).
112
Heideggers eigene Zuwendung zu Nietzsche scheint dem recht zu geben; er sieht diesen gerade als den
Vollender der abendländischen metaphysischen Tradition, die durch "Seinsvergessenheit" ausgezeichnet ist
und die es zu überwinden gilt; vgl. Pöggeler, Denkweg, 104-135, bes. 109f. und 133-135.
113
Zur Einordnung Rilkes in die Existenzphilosophie vgl. Bollnow, Existenzphilosophie, 16 u. ö.
114
Mensch*, lf.
"Welt und Person" 353

"Wie empfindet der Mensch das Sein der Welt, in der er lebt? In welcher Weise
ist sie da? Mit welchen Begriffen wird diese Weise ihres Daseins ausge-
drückt?"115
Darauf antwortet nach Guardini das "neuzeitliche Bewußtsein", das "Daseiende" sei
"da" als "Natur", als "Subjekt" und als "Kultur".116 Alle drei Momente drücken für
den neuzeitlichen Menschen "etwas Letztes" aus,117 erwecken das Gefühl von etwas
Geheimnisvollem, ja sogar von etwas "Religiösem" und können auf unterschiedliche
Weise zueinander in Beziehung treten:
"Der Schwerpunkt kann in die Natur gelegt und das Subjekt als deren Organ
empfunden werden; so in der Naturphilosophie der Renaissance und Romantik.
Dann erscheint auch die Kultur als Ausfluß der Natur; als deren über sich hin-
ausgehender und durch das Zwischenglied des reflektierenden Subjekts vermit-
telter Selbstaufbau. Oder der Schwerpunkt rückt in das Selbst, und die Natur
erscheint als chaotische Masse der Möglichkeiten, aus denen das Subjekt,
selbstherrlich gestaltend, die Welt der Kultur hervorbringt, wie das in der Philo-
sophie Kants durchgeführt wird. Endlich können Natur und Subjekt als gleich
wichtige Stützpunkte des Verhältnisses angesehen werden, zwischen denen sich
das über-naturhafte und über-persönliche Geschehen der Kulturwerdung voll-
zieht, so bei Hegel."118
Guardini folgt der geistesgeschichtlichen Entwicklung, wenn er an den Beginn seiner
Darstellung den Naturbegriff stellt, der im ausgehenden Mittelalter und in der Renais-
sance aufgetaucht sei,119 und von dorther zum "Subjekterlebnis" fortschreite; dieses
entstehe ebenfalls erst in der Renaissance, wo es sich zunächst im Begriff der
"Persönlichkeit" verdichte.120 In der Philosophie Kants erhalte der formale Begriff
des "Subjekts" dann seine klarste Bestimmung und bezeichne nun etwas Letztes, das
die geistige Welt trage und hinter das nicht mehr zurückgegriffen werden könne.121
Erst wo sich aber Natur und Subjekt als letzte Tatsachen gegenüberstünden, könne
auch "Kultur" das werden, was sie in der Neuzeit geworden ist:
"Das Menschenwerk zieht den Sinn an sich, der vorher im Gotteswerk der Welt
gelegen hatte. Die Welt verliert den Schöpfungscharakter und wird 'Natur'; das
Menschenwerk verliert die Haltung des vom Gottesgehorsam bestimmten Dien-
stes und wird 'Schöpfung'; der Mensch selbst, der vorher Anbetender und
Dienender war, wird 'Schaffender'."122
Die Wirklichkeit des "Subjekts" erhält also in diesem Gefüge eine alles entscheidende
Bedeutung; von ihm geht die Initiative aus, die sich als "autonom" versteht und immer

115
WP15.
116
Vgl. WP 23.
117
WP 16; vgl. ebd., 19 und 21.
118WP22.
119 vgl. WP 15. Guardini erkennt richtig, daß zwar das Mittelalter den Naturbegriff gekannt hat, aber in
einem vom neuzeitlichen Verständnis völlig verschiedenen Charakter; "er wird vielmehr zu einem Mittel, um
die Erschaffung der Dinge durch Gott zu deuten" (WP 18; vgl. ebd., 17f.). Ähnliches gilt für die Begriffe des
"Subjekts" und der "Kultur", die es so im Mittelalter auch noch nicht gab; vgl. ebd., 18 und 21.
120
Vgl.WP18f.
121
Vgl.WP19.
122wp2i.
354 Die Kultur am Ende der Neuzeit

mehr auch in Abgrenzung von der allmächtigen Initiative Gottes gesehen wird.123
Sichtbar wird dieser Autonomieanspruch aber im kulturellen Schaffen:
"Der Mensch greift nach dem Dasein, um es aus eigenem Willen zu gestalten.
Indem er die Welt als Natur sieht, nimmt er sie Gott aus der Hand und stellt sie
in sich selbst. Indem er sich als Persönlichkeit und Subjekt versteht, löst er sich
aus der Macht Gottes und macht sich zum Herrn des eigenen Daseins. Im Willen
zur Kultur schickt er sich an, die Welt nicht im Gehorsam gegen Gott, sondern
als eigenes Werk aufzubauen."124
So entsteht die neuzeitliche Wissenschaft und die durch sie möglich werdende
moderne Technik - als "Inbegriff aller jener Hilfsmittel und Verfahrensweisen, durch
welche der Mensch sich aus den Schranken der organischen Zusammenhänge befreit;
fähig wird, seine Zwecke nach Belieben zu gestalten."125
Um demgegenüber die christliche Daseinsinterpretation herauszuarbeiten, geht
Guardini nun wieder auf jenes Moment des genannten Begriffsgefüges zurück, mit
dem der neuzeitliche Autonomieprozeß begonnen hatte - auf den Begriff der Natur.
Er blickt zurück - vor den Beginn der Neuzeit, ins Mittelalter. Dort sei noch von
Schöpfung gesprochen, die Gottesbeziehung also stets mitgedacht worden. Dies sei
aber in einer Weise geschehen, daß das Endliche und Zeitliche in der Gefahr stand,
völlig entwertet zu werden. Guardini hebt jetzt noch deutlicher die neuzeitliche Kritik
am "religiösen Kurzschluß" des Mittelalters als berechtigt und notwendig hervor:126
"In den Begriffen der Natur, des Subjekts und der Kultur drückt sich jene Ver-
pflichtung aus, welche die Neuzeit entdeckt und auf sich genommen hat: zur
Redlichkeit und Sachgerechtigkeit. Sie entschloß sich, die Welt als Wirklichkeit
zu nehmen und sie nicht durch den unmittelbaren Übergang ins Absolute zu
verdünnen. Sie wurde inne, daß diese Welt dem Menschen in einer zugleich
großen und erschreckenden Weise in die Hand gegeben ist, und machte sich
bereit, den Sinn dieser Verantwortung nicht durch den Rückgriff auf das Reli-
giöse abzuschwächen, sondern sie selbst als religiöse Aufgabe zu verstehen. Die
neuzeitliche Wissenschaft mit ihrer Unerbittlichkeit; die Technik mit ihrer
Genauigkeit und Kühnheit; der spezifisch neuzeitliche Geist der Welteroberung,
Planung und Gestaltung sind echte Fortschritte."127
Bis zu diesem Punkt sieht Guardini die neuzeitliche Entwicklung positiv. Die Kritik
beginnt dort, wo sie in Widerspruch zum Christlichen gerät, vor allem gegenüber der
Überzeugung vom Geschaffensein der Welt.128 Diese besage: Die Welt "ruht nicht
auf dem Wirksamwerden einer nach dem Schema der Natur-Energie gebauten Ursa-
che, sondern auf einem Akt, der - das Wort in einem weiteren Sinne genommen - den
Charakter der Gnade hat ..."129, entspricht also der freien Tat der Liebe Gottes.130

123
Vgl. Schreijäck, Bildung, 29f.
124
WP21.
125WP22.
126
Vgl. WP 25. - Vgl. dazu bereits in Bezug auf Augustinus unter Kap. V,2,b,bb.
127
WP26.
128 vgl. WP 27. Die Überlegungen dieses ersten Abschnitts gehören im Zusammenhang von Guardinis
geplanter Lehre vom Menschen in den Kontext der Schöpfungslehre; vgl. Mensch*.
129
WP28.
"Welt und Person" 355

Von hierher wird nun aber auch dem neuzeitlichen Einspruch gegen die mittelalterli-
che Entwertung des Endlichen ein berechtigter Stellenwert zugewiesen:
"Sofern der Begriff der 'Natur' die Wirklichkeit des Gegebenen und die Strenge
seiner objektiven Bestimmtheiten meint, bleibt er zu Recht bestehen; aufgeho-
ben wird nur dessen angebliche 'Natürlichkeit'. Sofern die Begriffe der
'Persönlichkeit' und des 'Subjekts' die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen
bedeuten, sind sie fortan unentbehrlich; aufgehoben wird nur der Anspruch des
Autonomiewillens. Sofern der Begriff der 'Kultur' besagt, daß die Welt dem
Menschen in einer erschreckenden Weise anvertraut ist, gehört er zum Grundbe-
stande unseres Bewußtseins; aufgehoben wird nur der Trug eines selbstherrli-
chen Menschenwerkes. Soweit also die genannten Begriffe sagen, der abend-
ländische Mensch habe mit dem Beginn der Neuzeit einen nicht mehr rückgän-
gig zu machenden Schritt auf eine neue, in der psychologischen wie geschichtli-
chen Situation begründeten Weltverantwortung hin getan und müsse ihr genü-
gen, bleiben sie in Geltung; aufgehoben wird nur ein Bild vom Maß, vom Recht
und von der Pflicht dieser Verantwortung, das Gott aus seiner Herrschaft
drängt."131
Es gibt also kein Zurück hinter die Neuzeit. Was bleibt, ist der "Ernst", der sich in
den Begriffen der "Natur", des "Subjekts" und der "Kultur" ausdrückt.132 Dies ergibt
sich aus der Schöpfungstatsache selbst, denn danach besteht die Welt ja gerade nicht
nur "als das Spiel der Vorstellungen eines unendlichen Wesens".
"Was Gott schafft, schafft er durchaus, rundherum. Er entläßt das Geschaffene
in eigenes Wesen, Stehen und Handeln. ... Er gibt das von ihm Gedachte ins
eigene Stehen und Wirken frei. Darin liegt das Meisterliche der Schöpfung.
Daraus kommt ihre Wucht und Unausweichlichkeit. Gerade das ist es auch, was
durch den Autonomiebegriff mißverstanden und mißbraucht wird ,.."133
Guardini verwendet hier eine "transzendentalkritische"134 Argumentation, fragt also
nach der Bedingung der Möglichkeit für das neuzeitliche Autonomiebewußtsein -
zunächst angewandt auf den Begriff der "Natur". Diese kann nämlich überhaupt nur
als autonom verstanden werden, wenn es die Tatsache des Geschaffenseins im christ-
lichen Sinne gibt:
"Nur weil das göttliche Schaffen ein wirkliches Schaffen ist, kann das Seiende
als 'Natur', das heißt als Eigenseiendes und Eigenverständliches aufgefaßt wer-
den. Aus dem Ernst, der Redlichkeit und Meisterlichkeit der Schöpfung bildet
der Wille des Menschen den Trug."135
Ähnliches gilt für den Subjekt- und den Kulturbegriff:
"Nur weil der Mensch aus dem Anruf Gottes hervorgeht und in seinem Anruf
besteht; weil er das 'Du' ist, von Dem errufen, der sich selbst den Tch-bin' nennt,

130
Vgl. WP 28-30.
131
WP30.
132
Vgl. WP 32-35.
133WP33.
134
Dies herausgestellt zu haben, ist das Verdienst Thomas' Schreijäcks; vgl. bes. ders., Bildung, 59-75.
135Wp34.
356 Die Kultur am Ende der Neuzeit

hat er überhaupt die Möglichkeit, sich als autonomes Selbst zu verstehen. Nur
weil der schaffende Gott dem Menschen das Weltwerk wirklich in die Hand ge-
geben hat, kann dieser auf den Gedanken kommen, er habe eine autonome Kul-
tur zu schaffen."136
Diese Feststellung dient nicht dazu, das neuzeitliche Daseinsverständnis noch nach-
träglich zu "taufen". Es geht vielmehr darum, das christliche Daseinsverständnis als
etwas zu erweisen, das die legitimen Anliegen der Neuzeit wahrt, gleichzeitig aber
ihrer Verabsolutierung widersteht.137 Was bleibt, ist der Gedanke der Mündigkeit des
Menschen und die Aufgabe der Weltverantwortung, die - wie Guardini in einem klei-
nen Exkurs sagt - in besonderer Weise den Laien aufgetragen ist.138
Aber noch muß eine letzte Unsicherheit geklärt werden. Es geht um die in der Neu-
zeit aufgeworfene Frage, ob denn das Autonomiestreben und der christliche Glaube
überhaupt vereinbart werden könnten. Guardini wiederholt hier, was er in der Augu-
stinus-Interpretation aufgezeigt hatte: Die bestimmende Macht Gottes liegt jenseits
der Unterscheidung von "Autonomie" und "Heteronomie":
"Von jedem Wesen sonst gilt der Satz: es ist nicht ich, also ein Anderes. Von
Gott gilt dieser Satz nicht; und eben daß er nicht gilt, drückt Gottes Wesen aus
... Wenn Gott ein endliches Wesen schafft, dann stellt er nicht ein Anderes
neben sich - etwa so, wie die Gebärende das neue Menschenwesen aus sich
heraus ins Dasein stellt, so daß es von nun ab neben ihr besteht. ... Die Mutter
schafft das Kind nicht, sondern dient den Ordnungen des Lebens und dem in
ihnen waltenden Gotteswillen; Gott hingegen schafft den Menschen. Die schöp-
ferische Energie seines Aktes macht mich zu mir selbst. Dadurch, daß er sich
mir mit der rufenden Macht seiner Liebe zuwendet, werde ich Ich und stehe in
mir."139
Die innere Einheit von Autonomie einerseits und Geschöpflichkeit bzw. "Theonomie"
(s. o.) andererseits wird letztlich aber nur dadurch verständlich, daß die Beziehung
Gottes zum Menschen auf Liebe beruht
"Gott liebt den Menschen, indem er ihm alles gibt, Sein und Wesen. Er macht
ihn zu dem, was letztlich allein geliebt werden kann, zur Person. Er, der Perso-
nale schlechthin, macht den Menschen zu seinem Du. Das tut er nicht zum
Schein, im Beinahe, sondern mit absolutem Ernst. Der Mensch ist wirklich Per-
son. Dann muß aber die Liebe, die Gott ihm gibt, auch so sein, wie sie der Per-
son zukommt. Richtiger gesagt, der Mensch ist nur Person, weil die göttliche
Liebe zu ihm so ist, wie sie ist. Das heißt aber, daß Gott den Menschen
achtet."140
Gerade in der personalen Liebe Gottes drückt sich für Guardini jene Distanz bei
gleichzeitiger Aufhebung der Distanz aus, die oben mit der Feststellung gemeint war,
Gott sei "kein Anderer" des Menschen.141

136wp34
137
Vgl. dazu auch Schmucker-von Koch, Autonomie, 30-42.
138
Vgl. WP35f.
139
WP40f.
140 W P 42.
141
Vgl. WP 42-44.
"Welt und Person" 357

bb. Die "andere" Seite der Endlichkeit: "Nichts" oder "Gott"?


Wenn also auch von der christlichen Offenbarung her das Dasein des Menschen eine
Autonomie gegenüber Gott besitzt - eine geschaffene Autonomie freilich, die mit der
Beziehung zum Schöpfer vereinbar ist -, dann ist es legitim, "Welt" als etwas zu
verstehen, das nicht nur auf Gott, sondern zugleich und wesentlich auf den Menschen
bezogen ist. Dann kann man definieren: "Welt ist das Ganze des Daseins."142 Ja -
"Welt" ist dann so sehr auf den Menschen bezogen, daß man sagen kann:
"Die Worte 'Dasein' und 'Welt' bedeuten das gleiche, nur daß es im ersten von
der Person und ihrer Heilsentscheidung, im anderen vom Ganzen und dessen
Ins-Spiel-gesetzt-sein her gesehen wird."143
Es kommt freilich darauf an, was in diesen Aussagen der Begriff des "Ganzen" meint.
Guardini nähert sich dieser Frage in zwei Anläufen. Im ersten geht er von der Selbst-
erfahrung, im zweiten von der Welterfahrung des Menschen aus.144

(1) "Innerlichkeit" und "Höhe"


Die erste Betrachtung bezieht sich auf die Person, thematisiert aber noch nicht ihr
tiefstes Wesen, sondern ihren konkreten Vollzug im "Raum" des Daseins. Dazu greift
Guardini auf die Daseinspole zurück, die in den Interpretationen aufgetaucht waren:
"Innen" und "Oben" bzw. "Innerlichkeit" und "Höhe".145
Die Vorstellung der Räumlichkeit hängt mit dem Vorgang der Bewegung zusam-
men und war im Grunde bereits in der Bestimmung des Daseins als "//i-der-Welt-
seins" enthalten. Wieder ist auf Heidegger hinzuweisen, der in "Sein und Zeit" aus-
drücklich die "Räumlichkeit" des Daseins thematisiert und hierbei von den beiden
Charakteren der "Ent-fernung" und "Ausrichtung" ausgeht.146 Auch Guardini geht es
um die "Bewegung", die das Dasein vollzieht; denn als "geistig-personales" Dasein
soll es ja nicht nur abstrakt, sondern vor allem konkret, das heißt als im Vollzug
begriffen erscheinen. Bewegung nun wird im physikalischen Raum durch Koordina-
ten bestimmt, die jeweils durch zwei einander gegenüberstehende Pole gebildet sind:
Vorne - Hinten, Rechts - Links, Oben - Unten. Die senkrechte Dimension gewinnt
dabei schon im Blick auf die Gestalt des menschlichen Körpers eine besondere
Bedeutung, liegt jedoch auch der Kosmologie des Mythos zugrunde.147 Auf den
geistig-personalen Raum übertragen, in dem es, wie Guardini in enger Anlehnung an

142
WP 71.
143 WP73.
144
Diese Interpretation geht insofern über den Text Guardinis hinaus, als dort die einzelnen Abschnitte
ohne erkennbare Überleitungen einfach nebeneinanderstehen. Thomas Schreijäck versucht, mit einer philoso-
phischen Terminologie eine innere Logik herauszuarbeiten: "Die Ontologie des Daseins: das BeziehungsgefU-
ge von Dasein und Welt" (vgl. Bildung, 25-31; zu WP 15-44); "Die Phänomenologie des Daseins: die Struk-
tur des Daseinsraumes in seinen Ordnungen und Polen" (vgl. ebd., 32-38; zu WP 45-70); "Die Ontologie der
Welt als des Raums von Daseins" (vgl. ebd., 38-45). In jedem einzelnen Abschnitt unterscheidet er
"Darstellung", "Differentialanalyse" und christliche Antwort (die Teile B, C und E seiner Arbeit). Obwohl die
Interpretation Schreijäcks sehr erhellende Hinweise zum Verständnis des Werkes bringt, entscheide ich mich
für eine Begrifflichkeit, die sich enger an Guardini selbst anschließt.
145
Vgl. WP 45-70.
146
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, §§ 22-24, 101-113; vgl. ebd., 66.
147
Vgl. WP 45-48.
358 Die Kultur am Ende der Neuzeit

das platonische Denken sagt, vor allem um die Verwirklichung von Werten geht,
ergäbe dies jedoch eine "dualistische Polarisation" - die Gegenüberstellung eines
gutes "Oben" und eines bösen "Unten", aber auch die eines bösen "Oben" und eines
guten "Unten".148. Nur wenn dem "Oben" kein "Unten", sondern ein "Innen" gegen-
übergestellt wird, wird aber aus dem naturhaft-mythischen und dualistisch vorbela-
steten ein personaler Daseinsraum.149 Beide Pole sind grundsätzlich wertneutral,
können also sowohl "gut" wie "böse" werden. Sie erscheinen nun so plausibel, daß sie
sich auch in Bezug auf den lebendigen und den physikalischen Raum als hilfreich
erweisen,150 so daß die nun folgenden näheren Erschließungen der Phänomene
"Innerlichkeit" und "Höhe" jeweils vom menschlichen Körper ausgehen, dann zur
Ebene des Organischen fortschreiten und schließlich im Bereich des Geistig-Persona-
len ankommen.151
Guardini spricht hier sofort von der "christlichen Innerlichkeit" und der
"christlichen Höhe". Die Aussagen zur Innerlichkeit haben wir bereits kennengelernt
(vgl. Kapitel V,2,b,bb). Gemeint ist "kein Raum in uns, der bereitstünde und in den
Gott kommen könnte; sondern der zur Verwirklichung seines Reiches kommende
Gott wirkt selbst die innere Tiefe und Weite, in der er wohnen will."152 Ja, es ist die
Innerlichkeit Gottes selbst, die in Christus eröffnet wird und durch ihn zum Menschen
kommt. "Sie steht zu allen anderen Innerlichkeitsbereichen quer."153 Ähnliches wird
nun von der "christlichen Höhe" gesagt; auch sie steht zu allen übrigen
"Höhenrichtungen" quer und ermöglicht diese somit erst. Auch sie hängt an Christus;
das Droben ist dort, wo Er ist.154 Und es "kann gar nicht anders sein, als daß die im
Glauben aufgefaßte pneumatische Höhe sich in der konkreten Wirklichkeit des Men-
schen zur Geltung bringt, und dessen körperliche, gemüthafte, geistige Höhenbewe-
gung entfaltet."155 Man beachte die Formulierung, die Guardini hier verwendet:
"Querstehen" ist durchaus etwas anderes als ein "Darüber-" oder "Danebenstehen";156
nur in diesem Fall könnte das Wirken Christi als Konkurrenz zur personalen Selbst-
entfaltung des Menschen erscheinen, und der Vorwurf der Heteronomie würde aufs
neue auftauchen. Es geht aber gerade um eine neue Dimension, die die anderen
Innerlichkeitsbereiche durchdringt, ja sogar erst richtig zur Geltung bringt:
"Sie hängt an Gott und kann nur von ihm empfangen werden. Wenn aber Gott
sie gibt, dann wird sie im leibseelischen Sein verwirklicht, und das bedeutet
zugleich auch ein Räumigwerden des konkreten Menschen, ein Erstarken und
Innigwerden der Akte und Zustände, ein Aufsteigen innerer Welt, worin der
Mensch überhaupt erst zu dem wird, was der Schöpfer gewollt hat."157

148
Vgl. WP Anm. 8, 49.
149
Vgl. WP 48-50.
150
Vgl.WP50f.
151
Vgl. WP 51-53 und 59-63.
152 WP56.
153
WP 57; vgl. ebd., 56-58.
154
Vgl.WP63f.
155
WP65.
156
Mit diesen Begriffen könnte man das "Zwei-Stockwerks-Denken" der Neuscholastik ("Darüberstehen")
und die "Zwei-Reiche-Lehre" im Protestantismus ("Danebenstehen") kennzeichnen.
157
WP56.
"Welt und Person" 359

Sie ermöglicht somit eine "Freiheit von sich selbst" und damit einen wirklichen Blick
auf das eigene Dasein:
"Die christliche Selbsterkenntnis des Menschen ist der gnadengeschenkte Mit-
vollzug des Blickes Gottes auf ihn. So bleibt ihr - grundsätzlich, und im Maße
sie Ernst macht - nichts entzogen; kein Rest verborgensten Selbstes."158
Den Daseinsraum als etwas "Ganzes" zu denken, impliziert aber auch die Vorstellung
einer "Grenze" - und zwar nicht zu etwas Anderem, sondern zum "Nichts" hin. Für
den Christen hat Gott den Menschen aus diesem "Nichts" heraus erschaffen und ihn
damit zugleich als "endlich" definiert. Weil aber die reine Geschöpflichkeit gar nicht
mehr existiert, sondern nur eine von der Sünde zerstörte Beziehung, ist es nun der
auferstandene Christus, der den Menschen von "innen" wie von "oben" her in seine
Schranken weisen muß.
"Diese Einweisung bedeutet aber nicht, daß Er dem Menschen nur sagt, er sei
endlich, sondern er sei Sünder. Sie bedeutet ein Urteil: das Gericht."159
Von der Schöpfungstatsache her könnte ja bereits in einer unmittelbar religiösen Er-
fahrung deutlich werden,
"daß Gott der Schöpfer und Herr der Welt ist und diese, gerade indem er sie
schafft und erhält, zugleich in ihre Grenzen weist; daß sie nicht unendlich, son-
dern endlich, also vom Nichts umgrenzt ist; daß sie bis zu einem bestimmten
Punkt geht, jenem, den Er bestimmt hat, und es drüber hinaus eben 'nichts mehr
gibt'."
Doch in der von der Sünde geprägten konkreten Situation scheint diese Erfahrung
nicht zu glücken, sondern "immer ins Unreine zu gehen: entweder in Anschauungen,
worin die Welt als real unendlich genommen wird, das Geschaffene also die Grenze
nicht anerkennt, die Gott ihr zieht - oder aber in Anschauungen überbetonter Endlich-
keit, worin diese sich als solche autonom setzt und so gegen Gott auflehnt." Und wie-
der ist die transzendentale Begründungsstruktur erkennbar:
"Erst wenn aus der Offenbarung entgegengenommen wird, daß die Welt von
Gott gerichtet und vor seiner Heiligkeit verloren ist, wird an dieser geoffenbar-
ten Grenze auch die 'natürliche' deutlich."160

(2) Die "Grenze" der "Welt"


Ausgangspunkt war bisher die (christliche) Se/fo/erfahrung des Menschen - die Be-
wegtheit menschlicher Existenz zwischen "Innen" und "Oben". Nun kommt ergän-
zend die Welterfahrung hinzu.161 Sie kann verschieden ausgeprägt sein. Ich kann
einmal das "Ganze" des Daseins als ein Gegenüber erfahren, zum anderen aber auch
so, daß ich unmittelbar an ihm beteiligt bin, es mitvollziehe.162

158 WP59.
159
WP 67; vgl. ebd., 69.
160
WP69.
161
Vgl. WP 71-105.
162
Vgl. WP 73f.
360 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Beidesmal bedeutet der Begriff "das Ganze" zunächst, daß es außerhalb des Erfah-
renen "nichts" gibt.163 Ich erfahre dieses "Ganze" jedoch auch als Einheit, als "ein
Ganzes", von dem ich annehmen kann, es habe einen letzten und einzigen Mittel-
punkt.164 Schließlich erfahre ich es als "ein Mächtiges" - "ein Ungeheuer von Wirk-
lichkeit; an Stoffen und Kräften, Gestalten und Geschehnissen, Aufgaben und Taten,
Spannungen und Ordnungen, Herrlichkeiten und Schrecklichkeiten."165 Im neuzeitli-
chen Bewußtsein gewinnt diese Mächtigkeit einen besonderen Charakter.166 Erst jetzt
wird angenommen, "daß es weder den Raum um die Welt, noch die Lücke innerhalb
der Welt gibt."167 Und die beiden Formen der Weltmächtigkeit, die Guardini nun auf-
zählt, sind von ihm wohl ebenfalls als Beschreibungen neuzeitlicher Erfahrungen ver-
standen. Das ummittelbare "Beteiligtsein" am "Ganzen" wird jetzt nämlich zum
"dionysischen" Erlebnis:
"Die Gewalt der Welt bricht durch und beherrscht das Bewußtsein. Das Ganze
erhebt sich und verdrängt das Einzelne. Das 'Es' wird waltend und löscht die
Person aus. Die Welt triumphiert."168
Der anderen, distanzierenden Welterfahrung aber entspricht es, wenn das Endlich-
keitsmoment durchdringt:
"Eine Entmächtigung der Welt vollzieht sich. Immer weniger vermag sie als
Macht durchzudringen. Sie wird von der Vernunft entzaubert. Ihre Geheimnisse
werden aufgehellt; ihre Dinge, Kräfte und Zusammenhänge rational durch-
schaut, auf Verfügbarkeit hin durchgerechnet und auf Zwecke geformt. Diese
Haltung, zunächst als Wirklichkeitssinn und Wirklichkeitsbewältigung erlebt,
schlägt dann ebenfalls um: sie verliert die Welt aus sich heraus. Das rationalisti-
sche Denken wird zur Skepsis."169
Nun ist Guardini dort angelangt, wo die Neuzeit an ihrem Ende steht - bei der nun
schon oft thematisierten "reinen Endlichkeit", der "finitistischen" Haltung. Nachdem
er zunächst noch einmal im Blick auf "Oben" und "Innen" das Phänomen der Grenze
erschlossen hat, und zwar ganz dezidiert als christliche Grunderfahrung,170 kommt er
auf Heideggers Analyse der Angst zu sprechen:
"Im Unterschied zur Furcht, welche immer Furcht vor diesem oder jenem, das
heißt also ein Unterscheidungsgefühl innerhalb der Welt bedeutet, bezieht sich
die Angst nicht auf etwas Bestimmtes, sondern auf das Sein überhaupt. In ihr
enthüllt sich das Nichts als Macht, die Endlichkeit als Bedrohung."171
Dieser Grunderfahrung wird die christliche Auffassung gegenübergestellt:

163
Vgl. WP 74.
164
Vgl. WP 76.
165 WP77.
166
Vgl. WP 77.
167
WP75.
168 w p 7 g
169 w p 79
170
Vgl. WP 80-82.
171
WP 82; vgl. dazu Heidegger, Sein und Zeit, § 40, 184-191; vgl. ebd., Anm. 1, 190, der Verweis auf die
Analyse der Angst in der christlichen Theologie (Augustinus, Luther, Kierkegaard). Auf Kierkegaards Buch
"Der Begriff der Angst" hatte Guardini bereits Bezug genommen in WP 53.
"Welt und Person" 361

"Das echte 'Nicht' und 'Nichts' kommt von der Wirklichkeit Gottes. Er 'weist die
Welt in ihre Grenzen', indem er deutlich macht, daß sie nicht er; daß er über ihr
und innert ihrer; daß er der aus sich selbst und eigentlich Seiende, 'der Herr' im
ontologischen Sinne, sie aber das Geschaffene und nur 'vor ihm' seiend, ontolo-
gisch im Gehorsam Bestehende ist. Ebendarin ist die Welt aber sie selbst und als
Welt wirklich."172
Die erst im Laufe der Neuzeit voll durchgedrungene Erfahrung der "Ganzheit" und
"Mächtigkeit" der Welt wird also auch im christlichen Dasein zugrundegelegt, nur
anders interpretiert: Die "Grenze" ist Konsequenz der Geschöpflichkeit, die im ersten
Abschnitt herausgearbeitet wurde; sie setzt das "Nichts" voraus, aber als etwas "aus"
dem Gott die Welt geschaffen hat.173 Und wieder kommt zur Erfahrung der Endlich-
keit das Faktum der Sünde hinzu; die Offenbarung nimmt dadurch nochmals einen
anderen Charakter an:
"Darin enthüllt Gott sich selbst als den Herrn, dessen Wesen geleugnet und des-
sen Recht gebrochen worden ist; die Welt aber als jene, die ihre Grenzen über-
schritten und sich ein Recht genommen hat, das nur Gott zukommt."174
Von daher erscheint die neuzeitliche "Selbstverschließung der Welt", von der jetzt die
Rede ist, als Fortsetzung der ursprünglichen Grenzüberschreitung im Sündenfall.175
Hölderlin und Rilke werden herangezogen, um deutlich zu machen, daß diese
"Selbstverschließung" auch durchaus religiös sein kann, ja nicht einmal mit der Leug-
nung eines "Jenseits" verbunden sein muß.176 Es geht um eine entscheidende Kritik
an der Autonomie vom Phänomen der Grenze aus:
"Echte Grenze umschließt; aber da sie 'eine andere Seite hat', öffnet sie auch.
Echte Grenze ist wie Haut: sie atmet, fühlt, übersetzt von der einen Seite auf die
andere. Die Welt... zeigt aber das Bestreben, an Stelle echter Grenze, atmender
Endlichkeit, etwas anderes zu setzen. Der Wille des Menschen strebt danach, sie
in sich und um das eigene Sein zuzuschließen, sie autonom und autark zu
machen. Das bedeutet aber, daß die Grenze im echten Sinn verschwindet."177
In der anhebenden Neuzeit, in der ja das Unendlichkeitsgefühl durchbrach, wurde
zunächst nach Guardini die Grenze immer weiter hinausgeschoben, überhaupt
verdrängt oder für nicht vorhanden erklärt, die Attribute Gottes auf die Welt selbst
übertragen und diese als "das Ganze schlechthin" gesetzt.178 Gerade weil sich die
"Grenze" aber nicht verleugnen läßt, ist dieses Bemühen in sein Gegenteil umgeschla-
gen; die "finitistische" Lösung anerkennt gerade wieder die "Grenze" und bejaht sie
als entscheidenden Ausgangspunkt einer reinen Endlichkeit. Wurde die Grenze in der
ersten Lösung praktisch zum "Verdunsten" gebracht, so wird sie jetzt also auf das
schärfste gezogen, und zwar so, daß sie keine "andere Seite" mehr hat. Dadurch wird
sie aber wiederum, nun auf entgegengesetztem Wege, zerstört.

172
WP82.
173
Vgl.WP82f.
174
WP 83.
175
Vgl. WP 83-96.
176
Vgl. WP 89-%; vgl. ebd., 87-89.
177
WP83.
178
Vgl. WP 83f.
362 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Sie ist, je nachdem der Affekt sie betont, die leuchtende, von trotziger Kraft
gespannte, oder die verzweifelte, in starrer Einsamkeit zusammengeschlossene
Klammer um die Welt, die im Nichts nicht einmal 'hängt', sondern in es
'geworfen' ist - wobei es dann freilich nur eine Frage der inneren Konsequenz
bleibt, wann das umgebende Nichts zu einer dämonischen Wirklichkeit, zum
Verzweiflung erzeugenden Gespenst des verdrängten Gottes wird."179

(3) Erlöste Schöpfung


Die grundsätzliche Position zur neuzeitlichen Autonomie (s. o. Abschnitt aa) hatte auf
den christlichen Schöpfungsgedanken rekurriert; dort aber, wo die Selbstver-
schließung der Welt und die daraus resultierende Erfahrung des Nichts thematisiert
und vom theologischen Sündenbegriff her gedeutet werden (s. o.), muß die christliche
Botschaft von der Erlösung ins Spiel kommen. So kommt Guardini am Schluß seiner
Ausführungen zur "Welt" in der Tat auch auf das Erlösungsgeschehen zu sprechen.180
Es geht um die im Titel des dritten Abschnitts181 angekündigte "Weltoffenheit",
wobei darunter nicht, wie heute üblich, die "Offenheit" des Menschen für die "Welt",
sondern die "Offenheit" der Welt für Gott gemeint ist. Die in der Schöpfung gesetzte
"atmende" Grenze, die den Menschen gerade in seiner Endlichkeit für Gott zu öffnen
vermochte, ist in der Sünde entweder aufgelöst oder zu einer undurchlässigen Klam-
mer um die Welt geworden. In Christus aber ist der "neue Anfang" einer anderen
"Welt" gesetzt worden und verwandelt von diesem Punkt her die "alte" Welt. Aus-
gangspunkt ist die dadurch zu vollziehende "Scheidung", das Gericht, das "In-die-
Grenzen-Weisen" der alten Welt. Ziel aber ist die Neuschöpfung, die vollbracht wird
vom Auferstandenen und Verwandelten, der für das christliche Dasein am "Rande"
der Welt steht und "von Oben herab und von Innen herauf wirkt.
"Er ist Mittler und als solcher ihre lebendige Grenze. Atmende - im Heiligen
Geist, dem 'Odem Gottes', göttlich atmende Grenze, welche die beständige
Übersetzung hinüber- und herüberwirkt."182
Daher wird auch die neuzeitliche Autonomie nur dann ihrrichtigesMaß finden, wenn
die Interpretation der Welt als das "Ganze des Daseins" nicht mehr als Alternative zur
christlichen Offenbarung verstanden wird - wenn also, wie wir hier einfügen können,
menschliches Handeln und Erlösung durch Gott nicht mehr als Widersprüche ver-
standen werden -, sondern als eine Daseinserfahrung, die gerade durch die Erlösung
in Christus ihren eigentlichen Sinn erhält. Die Welt ist dann weiterhin das "Ganze des
Daseins" - nämlich der Raum, der dem Menschen zugewiesen ist und den er nicht
überschreiten kann -, aber ein "Ganzes", das von Gott immer wieder neu ermöglicht,
also aus dem "Nichts" herausgehalten und aus seiner Verschlossenheit "erlöst" wird.
Das Endlichkeitsbewußtsein der endenden Neuzeit, die letzte Zuspitzung des Auto-

1 /V \f/p gsf.; vgl. ebd., 84-86.- Guardini erwähnt noch eine dritte Form der Selbstverschließung, in der die
Welt als im tiefsten Sinn "scheinhaft" angesehen wird. "So entsteht eine Autonomie der Sinnlosigkeit, vor
allem radikal durchgeführt im Buddhismus" (ebd., 86; vgl. ebd., 86f.).
180
Vgl. WP 96-105.
181
Vgl.WP71.
182
WP102f.
"Welt und Person" 363

nomiestrebens, wird als "Struktur" akzeptiert und christlich gedeutet: als geschöpfli-
che Begrenztheit, als Folge der Sünde und als erlöste Endlichkeit. Die Grenze, an die
der Mensch in seinem Streben nach personaler Verwirklichung stößt, bedeutet nicht
mehr Einengung, sondern geradezu die Bedingung ihrer Möglichkeit.183 Es handelt
sich um eine "atmende" Grenze, weil auf der "anderen" Seite nicht "Nichts" ist, son-
dern der lebendige Gott.

cc. Personalität: Eigengehörigkeit durch Gottbezogenheit


(1) Das Gegenüber der "Welt"
Die zentrale Abhandlung des im vorliegenden Abschnitt untersuchten Werkes fragt
nach dem Wesen der "Person",1*4 die ja auch im vorausgehenden Teil immer dort
vorausgesetzt war, wo von "Dasein" gesprochen wurde.185 Da jedoch deutlich wurde,
daß "Person" und "Dasein" nicht einfach identisch sind, "Person" also nicht einfach in
ihrem Vollzug aufgeht, sondern - als etwas immer schon Vorausgesetztes - auch einen
"substantiellen" Charakter hat, muß nun ausdrücklich nach ihrem eigentlichen Wesen
gefragt werden. Der Sinnverhalt, um den es dabei geht,
"ist von solcher Art, daß er durch alle Verschiedenheit der Anlage und der Si-
tuation hindurch besteht und alle Störungen und Entstellungen überdauert. Er
bleibt bestehen, auch wenn der Mensch krank, untüchtig oder böse wird; auch
wenn der Mensch ihn vergißt oder ihm zuwiderhandelt oder von ihm nichts wis-
sen will. Diesen Sinnverhalt nennen wir Person."1*6
"Person" ist somit dasjenige, was der "Welt als dem gegebenen Ganzen" gegenüber-
steht.187 Auch von ihr will Guardini nicht einfach abstrakt reden. Er will sich der
Wirklichkeit des Personalen vielmehr erneut phänomenologisch nähern, und zwar mit
Hilfe eines Schichtenmodells - d. h. "von unten nach oben", "vom Tragenden, aber im
Wesen Unwichtigeren, zum Getragenen, aber Sinnentscheidenden" fortschreiten.188

1
°* Zur "transzendentalen" Argumentationsstruktur bei Guardini vgl. Schreijäck, Bildung, hier bes. 71-75.
184
Zu Guardinis Personverständnis sind bereits eine ganze Reihe wichtiger Beiträge erschienen. In größe-
ren theologischen bzw. philosophischen Zusammenhängen: Kühn, Natur und Gnade (1961), 54-65; Lange-
meyer, Dialogischer Personalismus (1963), 247-267; Nosbüsch, Personproblem (1965), 76-80; Böckenhoff,
Begegnungsphilosophie (1970), 151-153; Schrey, Dialogisches Denken (1970), 107-110. Pädagogische Arbei-
ten über das personale Denken Guardinis: Menke, Gegenstands-Verständnis (1964); Gerner, Persongerechte
Erziehung (1966); Berning-Baldeaux, Person und Bildung (1968); Salier, Dienst (1969); Höltershinken,
Anthropologische Grundlagen (1970); Schmidt, Pädagogische Relevanz (1973); Henner, Pädagogik (1990),
107-177. Wirkungsgeschichtliche Analysen, jedoch speziell auf das Buch "WP" bezogen und mit einem
besonderen Schwerpunkt auf der pädagogischen Rezeption, legt Berthold Gerner vor; vgl. ders., Bildungs-
lehre (1985). In größeren Arbeiten über Guardini: Wechsler, Guardini (1973), 81-88; Kleiber, Glaube (1985),
63-87; Schmucker-von Koch, Autonomie (1985), 126-148; Schreijäck, Bildung (1989), 77-109. Die umfas-
sendste Arbeit hat Lina Börsig-Hover vorgelegt; vgl. dies., Das personale Antlitz (1987). Weitere kleinere
Beiträge der neueren Zeit: Lenz, Ruf Gottes (1985); Splett, Person-Begriff (1985); Biser, Erkundung des
Menschlichen (1985); Schilson, Christsein als Nachfolge (1987).
185 vgl. nochmals die entscheidende Schlüsselstelle dazu: "Die Worte 'Dasein' und 'Welt' bedeuten das
gleiche, nur daß es im ersten von der Person und ihrer Heilsentscheidung (!), im anderen vom Ganzen und
dessen Ins-Spiel-gesetzt-sein her gesehen wird" (WP 73).
186
WP 109.
187
Vgl. WP 110.
188
WP 110.
364 Die Kultur am Ende der Neuzeit

(2) Phänomenologische Annäherung


Kommt man nun von der "Welt" her - und das ist ja der Ausgangspunkt der phäno-
menologischen Annäherung - dann erscheint das, was dieser "gegenüber" steht,
zunächst einmal als "Gestalt"; d. h. sie steht "als Geformtes unter Geformtheiten; als
Vorgangseinheit unter anderen Einheiten; als Ding unter Dingen."189 Von dieser
ersten Wahrnehmung her gelangt man aber zur nächsten Schicht, der "Individualität",
die auch im Bereich des nichtmenschlichen Lebendigen bereits eine gewisse
"Innerlichkeit" voraussetzt, wie ja bei der Phänomenologie des Daseinsraumes zutage
kam.
"Dieser Innenbereich begründet das lebendige Individuum in sich selbst. Von
ihm her unterscheidet es sich gegen die Welt und baut ihr gegenüber seine
Umwelt auf. Von ihm her unterscheidet es sich gegen die Gattung und behauptet
sich ihr gegenüber als Eigenwert."190
Durch die Schicht der lebendigen Individualität erst ist der personal bestehende
Mensch "Lebendiges unter Lebendigem; Einzelwesen, der Gattung wie auch den
anderen, zur Gattung gehörigen Einzelwesen gegenüber."191 Erst wo diese Individua-
lität aber "vom Geiste her bestimmt"192 ist, wird eine Schicht erreicht, die nur dem
Menschen zukommt - die Schicht der "Persönlichkeit".19* Hier stößt man auf die In-
nerlichkeit des Bewußtseins und des Selbstbewußtseins, die die Forderung des
Daseins vernimmt, "um seiner selbst willen erfaßt, das heißt 'erkannt' zu werden."194
Sie ist auch als eine Innerlichkeit des Willens zu erkennen, die berührt werden kann
"vom Wertcharakter des Gegenstandes oder von der Sinnforderung der Situation"195.
Schließlich handelt es sich auch um eine Innerlichkeit des Handelns und Schaffens;
und weil sie sich am höchsten dort zeigt, wo kein ausdrücklicher Zweck verfolgt
wird, sondern nur "Sinn" offenbart werden soll, zeigt es sich im reinen Kunstwerk
oder im echten Symbol am reinsten. Aber auch in der Technik, die eigentlich dazu da
ist, Zwecke zu setzen, entdeckt Guardini ein Schaffen, das seinen Sinn in sich selbst
trägt und gerade deshalb auch gefährlich sein kann.196 "Persönlichkeit" ist grund-
sätzlich unmeßbar und unbeherrschbar; sie wird vollends erfaßt erst in der Neuzeit,
hier besonders konzentriert am großen, schöpferischen Menschen, der aber gleichzei-
tig die Norm für die neuzeitliche Menschenbetrachtung überhaupt abgibt.197
Damit ist Guardini in seiner Analyse wieder bei jenem Punkt angelangt, mit dem
der erste Teil begann - bei dem neuzeitlichen Begriffsgefüge von Natur, Subjekt und
Kultur, ja in dessen Kern, der Bedeutung des Subjekts bzw. der Persönlichkeit. Die

189
W P l l l ; v g l . e b d . , HOf.
190
WP 114. Zu diesen beiden Formen der Selbstabgrenzung und Selbstbehauptung vgl. ebd., 111-113.
191
WP 114.
192
WP 115.
193
Vgl. WP 115-121.
194
WP 116; vgl. ebd., 115f.
195 vyp 116; vgl. ebd., 116f. In dieser Formulierung schlägt der ethische Grundansatz Guardinis durch; s.
o. unter Abschn. l,b,dd.
196 vgl. WP 117-120. "Durch dieses Werk wird das Leben ebensoviel, wenn nicht noch mehr gefährdet als
gefördert, und niemand weiß, ob ihr ungeheures Abenteuer nicht mit einer Katastrophe enden wird" (ebd.,
119).
197
Vgl. WP 120.
"Welt und Person" 365

ganze Phänomenologie der Person kann bis hierher auch als Umkehrung des im ersten
Teil eingeschlagenen Weges betrachtet werden. Ging es dort vom "Dasein" über des-
sen "Räumlichkeit" zur "Welt", so jetzt von der "Welthaftigkeit" des Menschen
("Gestalt") über seine "Innerlichkeit" ("Individualität") zurück zu seiner neuzeitlichen
Selbstdefinition als "Subjekt" oder "Persönlichkeit".
Damit ist aber das "Eigentliche" der Person immer noch nicht erreicht; dieses
kommt auch in den genannten "Schichten" immer nur als etwas bereits Vorausgesetz-
tes in den Blick. Der Charakter der "Eigengehörigkeit" ist auch noch von dem zu
unterscheiden, was mit lebendiger "Persönlichkeit" gemeint ist. Person ist zwar das
konkrete "gestalthafte, innerliche, geistig-schöpferische Wesen", das oben beschrie-
ben wurde, aber nur insofern dieses "in sich selbst steht und über sich selbst verfügt".
"'Person' bedeutet, daß ich in meinem Selbstsein letztlich von keiner anderen
Instanz besessen werden kann, sondern mir gehöre."198
"Person bedeutet, daß ich von keinem anderen gebraucht werden kann, sondern
Selbstzweck bin. ... Person bedeutet, daß ich von keinem Anderen durchwohnt
werden kann, sondern im Verhältnis zu mir selbst mit mir allein bin; von keinem
anderen vertreten werden kann, sondern einzig bin - was alles bestehen bleibt,
auch wenn die Sphäre der Vorbehaltenheit noch so tiefgreifend gestört wird."199
"Person" ist somit das, was zwar gefährdet werden kann, aber nicht durch irgendet-
was, das von außen kommt, sondern von innen - durch personale Akte selbst. Dort,
wo die Person "Gerechtigkeit" und "Liebe" aufgibt, greift sie ihre eigenen Wurzeln
an, wird krank und droht sich selbst zu verlieren. Aber wie "wird" überhaupt Perso-
nalität? Mit dieser Frage steuert die Darstellung Guardinis nun ihrem eigentlichen
Höhepunkt zu.

(3) Theologische Begründung


Hatte Guardini im Schichtenmodell noch gefragt "Was ist das da?", so ist jetzt das
"Was" zu einem "Wer" geworden: Wer ist das eigentlich, der da der "Welt" gegen-
übersteht? Auf diese Frage gibt es nur die Antwort "Ich" bzw. "Er" (bzw. "Sie").200 In
den Ausführungen, die sich an dieses "Ich" herantasten, redet Guardini nicht mehr
beschreibend, sondern normativ: Es muß einfach das geben, was man "Person" nennt,
und es muß diese in der Weise geben, daß sie allen möglichen Akten bereits voraus-
liegt. Guardini will darauf verzichten, allzu tief in das Wesen der Person einzudrin-
gen. Er wolle keinen "Mythos der Person" aufbauen, stellt er fest; vielmehr gehe es
ihm in erster Linie darum, den personal existierenden konkreten Menschen zu
betrachten.201 Personalität wird also lediglich thematisiert, indem sie vorausgesetzt
wird - mit welcher Begründung aber, wird erst später deutlich gemacht. "Etwas
Formales also? Allerdings, aber nicht etwas 'Nur-Formales', denn es entscheidet."202

198
w p 121.
199 W P 1 2 2.
200
Vgl. WP 121.
201
Vgl.WP130f.
202
WP 128.
366 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Es entscheidet darüber, ob das "Dasein" spezifisch menschlich ist oder nicht, genauer
- ob es überhaupt fähig ist, der "Welt" gegenüberzutreten.203
"Die Gestalthaftigkeit des personalen Menschen ist eine andere als die des
Kristalls; seine Individualität eine andere als die des Tieres; seine Persönlichkeit
etwas anderes, als was die geisteswissenschaftliche Betrachtung unter dem
Worte versteht - dadurch anders, daß in alledem 'Person' realisiert wird: die
Tatsache, in sich selbst stehen zu können und zu sollen.204
"Gestalt" und "Individualität", aber auch "Persönlichkeit" sind immer nur Ausdruck
der Person, nicht die Person selbst; diese ihrerseits begegnet nie rein und abstrakt,
sondern immer nur in diesen "Schichten". Ihr "Dasein" ist ja wesentlich "In-der-Welt-
sein".
Damit taucht aber die Frage auf, ob sie damit nicht doch "nach außen hin bedingt"
sei.205 "Außen" ist jetzt aber nicht mehr einfach der Zusammenhang mit der materi-
ellen Welt, und ebenfalls nicht mehr der biologische Zusammenhang der Gattung,
sondern die Bedingtheit durch geistige bzw. sittliche Voraussetzungen. Aber auch
hier gilt, "daß die Person aller dieser Wirklichkeits- und Sinnzusammenhänge bedarf,
um bestehen und sich bewähren zu können, selbst aber und als solche nicht durch sie
bedingt ist."206 Guardini kann das so lapidar feststellen, weil er ja "Person" als
"Eigengehörigkeit" bestimmt hat und damit gerade als etwas, was außerhalb aller
möglichen Zusammenhänge stehen muß. Gilt dies aber auch für die Beziehung zu
einer anderen Personl Es gibt ja einen entscheidenden Unterschied zwischen einer
bloßen "Subjekt-Objekt-Beziehung" und einem "Ich-Du-Verhältnis". Zum "Du" wird
mir ein Gegenüber erst in einer Bewegung, die "die Hände wegnimmt" und den Raum
freigibt, "worin die Selbstzwecklichkeit der Person zur Geltung kommen kann. Sie
bildet die erste Auswirkung der 'Gerechtigkeit' und die Grundlage aller 'Liebe'."207
Dadurch zeigt sich aber nicht nur das "Du", sondern überhaupt erst das "Ich":
"Vor dem Objekt ist der Mensch nur sachlich beteiligt. Seine Personalität ruht.
Sein inneres Angesicht zeigt sich nicht. Er hat die Hände für jede beliebige
Bewegung frei. Er ist nur mit dem beteiligt, was er hat oder kann, nicht mit
seinem Selbst. Sobald er aber als Ich dem Du gegenübertritt, geht innerlich
etwas auf. ... Indem ich als Ich hinüberblicke, werde ich offen und 'zeige'
mich."208
Das Verhältnis bleibt jedoch unvollendet, wenn nicht auch die Bewegung von drüben
her einsetzt, "indem der Andere mich zu seinem Du werden läßt ... Jetzt erst ist die
volle Haltung der Personalität da... Jetzt knüpft sich auch erst Schicksal im personalen
Sinn."209 Mit solchen Äußerungen befindet sich Guardini in großer Nähe zu den

203
Vgl. WP 109.
204
WP 128.
205
Vgl. WP 132; Hervorh. von mir.
206
WP 132.
207 w p ,34
208 w p 1 3 4 f
209 w p j35 . Guardini kennt auch ein "Beinahe-Ich-Du-Verhältnis" im Gegenüber zu einer nicht-persona-
len Wirklichkeit, z. B. zu einem Baum, einer Landschaft oder auch zur Welt überhaupt; vgl. ebd., 136.
"Welt und Person" 367

Vertretern eines "dialogischen" Personalismus, die das "Ich-Du-Verhältnis"210 als


konstitutiv für den Menschen ansehen.211 Auch wenn er sich nirgends explizit mit
Buber und Rosenzweig, ja nicht einmal mit dem ihm konfessionell und inhaltlich
nahestehenden Ebner auseinandersetzt,212 trifft doch seine bereits früher geäußerte
Ablehnung des "aktualistischen" bzw. "dynamistischen" Personalismus213 nicht nur
Kierkegaard und Scheler, sondern auch die Erstgenannten. Der "aktualistische Perso-
nalismus" behaupte nämlich, "es gebe die Person als Ruhend-Seiendes überhaupt
nicht; sie bestehe nur im Akt des Ich-Tuns und werde nur im Mitvollzug des Sympa-
thieverhältnisses aufgefaßt."214 Demgegenüber hält Guardini an einem statischen
Moment fest:
"In der Begegnung entsteht sie nicht, sondern sie aktuiert sich nur darin."215
Aber ebenso, wie Person wesentlich "in der Welt" steht, ist es für sie ebenso notwen-
dig, "daß überhaupt andere Personen seien". "Sie ist nur dann sinnvoll, wenn es ande-
re gibt, mit denen Begegnung geschehen kann. Ob diese auch tatsächlich zustande
kommt, ist eine andere Frage ..."216 Der Mensch steht "wesentlich im Dialog"217.
Dies wird zunächst sprachphilosophisch begründet, u. a. durch einen Verweis auf die
Aussage Heideggers, daß die Sprache überhaupt erst die Möglichkeit gewähre,
"inmitten der Offenheit von Seiendem zu stehen"218. In Guardinis eigenen Worten:
"Die Sprache ist kein System von Verständigungszeichen, mittels derer zwei
Monaden in Austausch träten, sondern der Sinnraum, in welchem jeder Mensch
lebt."219
"Sprechen im eigentlichen Sinn des Wortes kann man aber nicht mit sich selbst,
sondern nur mit dem Anderen; so drängt das volle, in der gemeinsamen Verant-
wortung für die Wahrheit und in der Verbundenheit des Menschenschicksals
geschehende Sprechen auf die Verwirklichung des Ich-Du-Verhältnisses. Damit

210
Vgl. WP 133 (Überschrift).
21
* In diesem Sinne wurde auch Guardinis Personverständnis rezipiert. In Langemeyers Darstellung über
den dialogischen Personalismus in der evangelischen und katholischen Theologie der Gegenwart (1963) wird
Guardini neben Ferdinand Ebner, Theodor Steinbüchel, Emil Brunner und Friedrich Gogarten gestellt; vgl.
ders., Dialogischer Personalismus, 247-266. In Nosbüschs Überblick über das Personproblem in der gegen-
wärtigen Philosophie (1965) wird er mit Ebner, Buber, Barth und Gogarten unter die Vertreter der "Ich-Du-
Philosophie" gerechnet; vgl. Personproblem, 72-88, bes. 76-80. Erst Berning-Baldeaux ist in ihrer, speziell
Guardini gewidmeten, Arbeit (1968) ausführlicher auf das Schichtenmodell eingegangen, um dann auf die er-
gänzende "ontologische Betrachtungsweise" und auf die "endgültige Bestimmung der Person im Licht der
Offenbarung" hinzuweisen; vgl. dies., Person und Bildung, 17-58; zum "dialogischen" Moment darin ledig-
lich 40-44, 49-58. Vgl. ferner Böckenhoff, Begegnungsphilosophie, 151f.
212
Zu Ebner vgl. WP Anm. 53, 145; hieraus wird jedoch gleichzeitig ersichtlich, daß Guardini das Werk
dieses Denkers selbst nicht gekannt hat, sondern nur von Dritten auf die enge Verwandtschaft hingewiesen
wurde.
213
Vgl. Sozialwissenschaft, 25 mit Anm. 1 (Hinweis auf Kierkegaard); WP 136. Zu Schelers Ansatz vgl.
Nosbüsch, Personproblem, 45-52.
214
WP 136.
215
WP 137; vgl. ebd., 136.
216 w p ] 3 7
217
WP 137.
218
Heidegger, Wesen der Dichtung, 38; vgl. Guardini, WP 138.
219
WP 137.
368 Die Kultur am Ende der Neuzeit

bildet die Sprache den objektiven Vorentwurf für das Zustandekommen der per-
sonalen Begegnung."220
Der philosophischen Reflexion schließt sich die offenbarungstheologische Begrün-
dung an. Ausgehend von dem "worthaften" Sein Gottes selbst im Anschluß an den
Johannesprolog,221 postuliert Guardini den "Wortcharakter" alles Geschaffenen und
schließt daraus:
"Daß die Welt in der Form der Gesprochenheit besteht, ist der Grund, weshalb
überhaupt in ihr gesprochen werden kann."222
Doch wird dieser Gedanke selbst nicht weiter vertieft.223 Er unterstützt jedoch die
These,
"daß die Person in der Form des Dialogs auf die andere Person hingeordnet
besteht. Sie ist von Wesen bestimmt, Ich eines Du zu werden. Die grundsätzlich
einsame Person gibt es nicht."224
Nun wird aber der eigentliche Grund benannt, weshalb überhaupt vom
"Wortcharakter" der Dinge gesprochen werden kann - nämlich das konstitutive Ich-
Du-Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen:
"Die Welt ist von Gott zum Menschen hin gesprochen. Alle Dinge sind Worte
Gottes zu jenem Geschöpf hin, das von Wesen bestimmt ist, im Du-Verhältnis
zu Gott zu stehen. Der Mensch ist der zum Hörer des Welt-Wortes Bestellte. Er
soll auch der Antwortende sein. Durch ihn sollen alle Dinge in der Form der
Antwort zu Gott zurückkehren."225
Damit unterscheidet sich der Mensch radikal von den "Dingen", insofern er nicht nur
gesprochen, sondern auch a/igesprochen ist:
"Die Dinge entstehen aus Gottes Befehl; die Person aus seinem Anruf. Dieser
aber bedeutet, daß Gott sie zu seinem Du beruft - richtiger, daß er sich selbst
dem Menschen zum Du bestimmt."226
Dies ist die Schlüsselaussage in Guardinis Abhandlung über die Person; von hier aus
wird nicht nur verständlich, inwiefern statische und dynamische Momente menschli-
cher Personalität zu einer Einheit zusammengehören, sondern auch, vor welchem
Horizont "Person im eigentlichen Sinn" immer schon vorausgesetzt ist - im "In-der-
Welt-sein" überhaupt, wie in der Ich-Du-Beziehung unter Menschen andererseits.
Guardini argumentiert dazu letztlich nicht philosophisch, sondern theologisch, und
zwar so, daß er die "substantielle" Persondefinition der Scholastik227 auf eine dialogi-
sche Weise interpretiert, die biblisch begründet ist. Genauer: Der Mensch wird nicht
erst zur Person im Aktuieren seiner selbst (Scheler) oder in der antwortenden Begeg-

220
WP 138.
221 vgl. WP 139-141.
222
WP 141.
223 vg] dazu Offenbarung, 7-46, sowie gedeutet ebd., 48: "Alles in der Welt redet (!) von Gott ..."
224
WP 142.
225 w p 145.- An dieser Stelle erfolgt auch der Verweis auf Ferdinand Ebner (s. o.), der ja sein Personver-
ständnis ganz auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch konzentriert und dabei von den anthropologi-
schen Momenten "Wort" und "Liebe" ausgeht; vgl. Nosbüsch, Personproblem, 81-83; Langemeyer, Dialogi-
scher Personalismus, 15-106.
226 WP 144; Hervorhebungen von mir.
227 vg], dazu Nosbüsch, Personproblem, 38-45. - Siehe auch bereits oben unter Abschn. b,bb.
"Welt und Person" 369

nung mit Gott (Ebner) bzw. mit Gott auf dem Wege über den Mitmenschen (Buber),
auch wenn dies alles grundsätzlich in ihm angelegt ist.228 Er ist vielmehr immer
schon Person, weil immer schon ein Ich-Du-Bezug gesetzt ist, nämlich der Bezug zu
Gott. Die Gottbezogenheit des Menschen begründet daher dessen Eigengehörigkeit
und ist damit die erst aus der Offenbarung verständliche Voraussetzung sowohl für
das substantielle Verständnis des klassischen, wie für das aktualistische Verständnis
des modernen Personalismus.

(4) Keine Heteronomie


Damit ist die im ersten Abschnitt des ersten Teils vollzogene Autonomiekritik auf der
Ebene der Personalität selbst wiederholt und somit erst eigentlich begründet; an die
Stelle des in der Neuzeit nur "autonom" verstandenen und der "Natur" gegenüberste-
henden "Subjekts" tritt die "Person", die gerade durch ihre Gottbezogenheit
"eigengehörig" in sich selbst stehen und der "Welt" gegenübertreten kann. Erst durch
Gott ist es ihr möglich, "in der Welt da zu sein", ohne sich in die Welt zu verlieren
bzw. der "Welt" gegenüberzutreten, ohne das "In-der-Welt-sein", besonders aber den
"Ich-Du-Bezug" als unwesentlich auszublenden.
Es ist verständlich, daß jetzt auch der Vorwurf der Heteronomie neu aufgerollt
wird, und zwar auf dem Hintergrund der paulinischen Christuserfahrung.229 Wieder
argumentiert Guardini vom bereits erlösten Dasein her, in dem der verlorene Gottbe-
zug nicht nur erneuert, sondern eine neue "Innerlichkeit" geschenkt wird - der
"Christus in uns".230 Dies widerspricht offenkundig der Vorstellung, wonach "bei
aller Kraft der Du-Beziehung ... das Ich ganz und nur in sich selbst verwurzelt sei."231
Aber wenn schon vom Schöpfungsakt her verständlich wurde, daß Gott für den Men-
schen nicht einfach "ein Anderer" ist, und wenn bei der Phänomenologie des Daseins-
raumes bereits die Erlösung in den Blick kam als etwas, das die personale Selbstent-
faltung nicht behindert, sondern gerade wieder neu ermöglicht - dann kann auch die
christliche "Inexistenz"2*2 keine "Entfremdung" des Menschen von sich selbst bedeu-
ten. Der Punkt, von dem her das Ganze verstanden werden muß, liegt nämlich für
Guardini im Begriff des Geistes.2** Geisterfahrung aber bedeutet in der Heiligen
Schrift, daß die "Eingeschlossenheit der irdisch-geschichtlichen Existenz" aufgehoben
und ein "Neuwerden" ermöglicht wird.234
"Paulus hat erlebt, wie er, der vorher für Christus verschlossen war, durch den
Geist offen wurde. Aber nicht nur im Sinn eines Verstehens, sondern so, daß der
geisthaft gewordene Christus in seine Existenzsphäre eintrat; er, Paulus, in die

228 vgl. Nosbüsch, Personproblem, 45-54 und 72-88. Dort auch zum (impliziten) "Personbegriff" in der
Existenzphilosophie, ebd., 56-72.
229
Vgl. WP 145-160.
230
Vgl. WP 146.
231
WP 148.
232
Zu recht stellt Schreijäck diesen Begriff als Kern der anthropologischen Überlegungen Guardinis her-
aus und nimmt ihn zum Ausgangspunkt einer religionspädagogischen Bildungstheorie; vgl. ders., Bildung als
Inexistenz, bes. 165-220.
233
Vgl. WP 152.
234
WP 154.
370 Die Kultur am Ende der Neuzeit

des Herrn gehoben wurde. Dadurch wurde er ein Anderer, aber ebendamit ei-
gentlich Er-selbst."235
Weil Gott kein "Anderer" ist, wird auch der Mensch kein Anderer, wenn Gott selbst
im pneumatischen Christus ihn von innen heraus erneuert. "Autonomie" im recht
verstandenen Sinn ist mit "Theonomie" nicht nur vereinbar, sondern wird durch sie
erst ermöglicht.236
Die Abhandlung über die Person mündet schließlich in einen Hinweis auf die
"Gnade"; diese wird zusammenfassend als die "Kategorie der christlichen Existenz"
bezeichnet, von der her die neuzeitliche Gegenüberstellung von "Autonomie" und
"Heteronomie" hinfällig werde.237 Gerade sie macht nämlich deutlich, in welcher
Weise Guardini Eigengehörigkeit und Gottbezogenheit verbunden sehen möchte:
Eigengehörigkeit der Welt gegenüber ist demnach nur aufrechtzuerhalten, wenn sie in
der Gottbezogenheit des Menschen begründet ist.

d. Konkretisierungen in der christlichen Existenz


Guardinis Überlegungen zum "Verhältnis von Christentum und Kultur" (vgl. dazu
Kapitel IV,3,c) endeten mit Ausführungen zum Wesen christlicher Existenz
(Abschnitt dd). Auf der "pneumatischen" Ebene des "In-" und "Durch-Christus-Seins"
und des werdenden "Reiches Gottes" erreicht der Mensch die höchste Stufe seiner
Existenz. Hier wird auch das "Christliche" in die Kultur "hineingetragen", obwohl
eine volle Verwirklichung dieses Vorgangs innerweltlich noch nicht zu einem Ab-
schluß kommen kann. Christliche Existenz ist dann aber die antinomisch-analoge
Verwirklichung des Verhältnisses von christlichem Glauben und menschlicher Kultur-
tätigkeit, wobei die letztere gleichzeitig bejaht und verneint wird.
Nachdem nun aber "Welt" und "Kultur" auf ihre personale Wurzel im Menschen
zurückgeführt und die Person selbst ontologisch in der Beziehung zu Gott begründet
wurde (s. o. Abschnitt c, in Verbindung mit Kapitel IV,2 und IV,l,c), muß auch die
konkrete christliche Existenz von der Wirklichkeit der Person her entfaltet werden.
Wichtige Schritte in diese Richtung sind jetzt noch kurz vorzustellen. Auf den Ver-
such einer umfassenden Darstellung der "Existenz des Christen" soll jedoch erst im
letzten Kapitel dieser Arbeit (VII,3,d) eingegangen werden.

235
WP 154f.
236
Dies zeigt sich darin, daß Guardini bewußt die Bezeichnung "Kind Gottes" vermeidet und an ihrer
Stelle von "Sohn" bzw. "Tochter" Gottes spricht; vgl. WP 166. Er will damit ein "infantiles" (und damit
"heteronomes") Verständnis verhindern und betonen, daß die "Mündigkeit" des Menschen auch im christli-
chen Personverständnis gewahrt ist; vgl. ebd., Anm. 62, 166.
237
Vgl. WP 161f. - Diese Bemerkungen eröffnen die Ausführungen über das "Wesen der christlichen
Liebe" (vgl. ebd., 161-169). Vgl. zum Gnadenverständnis Guardinis nochmals die "Gedanken über das Ver-
hältnis von Christentum und Kultur" (siehe dazu Kap. lV,3,c) und den Exicurs in: Pascal, Anm. 29, 82-84.
Konkretisierungen in der christlichen Existenz 371

aa. Geschichte und Vorsehung


Guardinis katholische Weltanschauung setzt ein "räumliches" Verständnis von "Welt"
voraus, weniger ein "zeitliches". In dieser Hinsicht kann man von einer
"ungeschichtlichen" Denkweise sprechen,238 wie sie bei "platonischen" Denkern
häufig anzutreffen ist. Im "Blick" ist ferner zwar stets das "Ganze" im "Konkreten",
aber es bleibt eben doch das "Ganze" als die im "Konkreten" er-blickte "Idee".2*9
Eine Geschichtswissenschaft, die in diesem Sinne vorginge, würde ihr Augenmerk
nach Guardini vor allem "auf die lebendige Gestalt, auf Wirkbild und Sinn-Ganzes
einer Persönlichkeit oder eines Geschehnisses" richten,240 also weniger analysieren
als vielmehr intuitiv zu "verstehen" suchen, wie es in der Tat etwa bei Dilthey zu
beobachten war.241 In diesem Sinne waren auch Guardinis "Interpretationen" Versu-
che, "Geschichte" zu verstehen, und die Konsequenz aus der Tatsache, daß "Welt"
eben nicht nur "räumlich", sondern auch "zeitlich" geschaut werden muß. Solche
"Geschichtlichkeit" wird jedoch nicht in ihrer zeitlichen Erstreckung wahrgenommen,
sondern in ihrem punktuellen Ursprung in der Mitte eines konkreten Menschen; es
handelt sich um "existentielle" Geschichtlichkeit, wie sie im Gefolge Kierkegaards
von Jaspers, aber auch von Heidegger vertreten wird. In der Begegnung mit Persön-
lichkeiten der Geschichte und ihren literarischen Zeugnissen erkannte Guardini die
Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit des menschlichen Daseins, gegründet im
Geheimnis der Personalität, die er immer intensiver reflektierte.
"So fällt in jeder Person die Entscheidung über den Sinn der Welt. Und nicht
nur als Fall unter vielen Fällen, denn Person ist jeweils und jedesmal unersetz-
bar. Daß diese Person ihr Heil und damit den Sinn der Welt verspielt, wird
dadurch, daß jene andere Person das ihrige gewinnt, nicht gutgemacht."242
Die "Welt" des Menschen wird also nach Guardini - wie bei Jaspers243 - geschichtlich
in der "Situation", in der die personalen Entscheidungen fallen; nur aus solchen
"Situationen" bildet sich die "Geschichte" in ihrer zeitlichen Erstreckung.244 Das, was

23» vgl. etwa Schilson, Christusverkündigung, 153; Biser, Interpretation, 92.


239
Vgl. Guardini, Elemente, 6-18.
240
Weltanschauung, 17.
241
Auf ihn und sein Umfeld spielt Guardini wohl in diesem Zusammenhang an (vgl. Weltanschauung,
17f).
242 W P 72f.
243 vgl. dazu v. a. Jaspers, Weltanschauungen, 229-280 ("Grenzsituationen"); ders., Die geistige Situa-
tion, bes. 23-29 ("Situation" der Gegenwart); Philosophie, II, 202f. Dazu auch Bollnow, Existenzphilosophie,
58-64: Hersch, Jaspers, 28-31.
244
Zum ethischen Grundansatz Guardinis siehe bereits oben Abschn. l,b,dd. Hier gilt es hinzuzufügen,
daß es sich um einen situationsethischen Ansatz handelt (dazu R. Egenter, Situationsethik, in: LThK2 IX
(1965), 804-806); vgl. bes. Das Gute, 21-27. Guardini knüpft an dem Modell der Seinsethik an, wie Thomas
von Aquin es entwickelt hatte: "Alles Sollen gründet im Sein. Die Wirklichkeit ist das Fundament des Ethi-
schen. Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße" (J. Pieper, Die Wirklichkeit und das Gute, München 5 1949, 11;
wichtig dazu ist der Hinweis Piepers, die wesentliche Anregung zu dieser Einsicht von Guardini empfangen
zu haben: vgl. Bedeutende Fordernis; ders., Noch wußte es niemand, 68-70; dieselbe Ausgangsbasis wählt
auch Alfons Auer: vgl. Autonome Moral, 16f). Jedoch wird diese Wirklichkeit bei Guardini als Herausforde-
rung einer konkreten Situation angesehen: "Die Forderung des allumfassenden und zugleich ganz einfachen
Guten, daß es getan werde, wird immer neu, bei jedem Schritt, den ich tue, gedeutet durch die immer aufs
Neue sich um mich her erzeugende Situation" (Das Gute, 22). Das Gewissen aber ist "das Organ, mit wel-
chem ich die Deutung und Besonderung des Guten aus der Situation auffasse" (ebd., 30).
372 Die Kultur am Ende der Neuzeit

aber aus christlicher Sicht in der "Situation" an den Menschen herantritt und seine
Entscheidung herausfordert, ist der die Geschichte führende Gott selbst.245 So tritt
neben die sich aus personalen Entscheidungen bildende Geschichte die von Gott
geführte Geschichte, konzentriert in der Vorstellung von einer "werdenden neuen
Welt":
"Nach christlichem Bewußtsein liegt darin, daß von den unabsehlich vielen und
mannigfaltigen Geschehnissen, die an sich möglich wären, gerade diese
bestimmten den Menschen treffen, eine Führung auf das Werden des neuen
Daseins hin."246
"Diese Führung muß ... schon im ersten Ansatz beginnen: im Zustande der Welt
als Ganzem und in der Bestimmung des Menschen als Einzelnem; verbunden zu
jenem Entwurf persönlichen Schicksals, der Geburt heißt... Sie setzt sich dann
darin fort, wie sich von Mal zu Mal die Geschehnisse um den Menschen her
zutragen, die Dinge an ihn gelangen, und er an die Dinge."247
Dies erinnert an mythologische oder gar märchenhafte Vorstellungen, vor allem aber
an den Begriff einer dem Einzelnen vorgegebenen Ordnung - im physikalischen und
biologischen, sowie dann im Sinne "geschichtlicher" Zusammenhänge.248 Von dort
her wäre "Vorsehung" die Tatsache, daß alles nach notwendigen Gesetzen und
erkennbaren Regeln vor sich geht - als Natur-, psychologische und geistige Gesetze -,
und daß der Mensch diese Gesetze und Regeln zu bejahen hat.249 Der mündig ge-
wordene Mensch der Neuzeit aber wehrt sich dagegen, lehnt sich grundsätzlich gegen
von außen kommende Geschichtsmächte auf und legt den Schwerpunkt radikal in sich
selbst - zunächst indem er das Bewußtsein der Verantwortung für die hervorzubrin-
gende Tat- und Wirkwelt entwickelt, dann aber dadurch, daß er die "Vorsehung" mit
der eigenen "Scharfäugigkeit" identifiziert und an die Stelle eines Geführtseins von
außen die eigene Macht setzt.250
Gott aber kann - so hat sich in den Ausführungen zu "Welt und Person" immer
wieder gezeigt - nicht als ein "Anderer" verstanden werden, der "neben" dem Men-
schen wirkt und deshalb, unter der Voraussetzung von dessen Mündigkeit, unweiger-
lich als Konkurrent empfunden werden muß. Vielmehr ist er der die personale Ent-
scheidung des Menschen erst begründende Schöpfer und Erlöser jenseits von
"Autonomie" und "Heteronomie". Somit wird auch der christliche Vorsehungsglaube
von der beschriebenen "Dialektik typischer Einstellungen der Welt gegenüber"251
unabhängig. Im Rückgriff auf die biblische Botschaft - Guardini führt Mt 6,25-33,
eine Stelle aus der Bergpredigt, an - kann aufgezeigt werden, daß die "Vorsehung"
Gottes weder den Einzelnen entmündigt noch ihn überstrapaziert; Gott setzt gerade

245
Vgl. Das Gute, 51-55.
246 W P 173.
247 W P 1 7 4 f
248
Vgl. WP 175-178.
249
Vgl. WP 178-180.
250
Vgl. WP 180-182; vgl. auch den Verweis auf Nietzsches "Willen zur Macht" ebd., Anm. 65, 182. Zur
Reflexion über die "Macht" s. u. Abschn. 2.
251
WP 182.
Konkretisierungen in der christlichen Existenz 373

auf die personale Entscheidung der Person, ohne deswegen die Führung auf die neue
Welt hin aus der Hand zu geben.
"Vorsehung ist zunächst auch etwas, das sich ohne den Menschen vollzieht, um
den es sich jeweils handelt; nämlich der Inbegriff des Weltgeschehens, das ja
ein Walten Gottes und von ihm, dem Schöpfer und Lebenslenker, auf das Heil
der Menschen hingedacht ist. Doch bildet das erst den Beginn der Vorsehung.
Zu ihrem eigentlichen Wesen und ihrer Fülle wird sie frei, wenn der Mensch,
den sie meint, verantwortlich glaubend in jenes Einvernehmen tritt, das die
Bergpredigt fordert."252
Im Zusammenspiel von Wirken Gottes und Freiheit des Menschen vollzieht sich jenes
Werden der neuen Schöpfung, das Guardini abschließend noch durch Heranziehen
des Umwelt-Begriffs konkretisiert:
"Die Dinge benehmen sich um ihn her anders, als sie es sonst tun würden. Sie
werden ihm in besonderer Weise von Gott zu-gefügt ... Im Daseinsgeschehen
dringt die Richtung auf die neue Schöpfung hin durch, worin der neue Mensch
unter dem neuen Himmel und auf der neuen Erde lebt; um so stärker und reiner,
je reiner der Glaube und je kühner die Liebe dieses Menschen werden."253

bb. Freiheit - Gnade - Schicksal


Die Lehre von der "Vorsehung" steht für Guardini "im Herzpunkt der christlichen
Botschaft"254. Sie wird daher zu einem "besonders wichtigen Punkte", an dem die
"christlich gemeinte Einheit von Mensch und Welt, das christliche 'Dasein'"255 aufge-
zeigt werden kann. Sie zeigt - um es mit eigenen Worten zusammenzufassen -, daß
Geschichte gleichzeitig von Gott und dem Menschen geführt wird, genauer: vom
Menschen in Beziehung zu Gott. Autonomie und "Theonomie" bilden auch hier
keinen Widerspruch, sondern gehören zusammen.
Dasselbe wird von Guardini einige Jahre später auch an anderen Aspekten mensch-
licher Daseinserfahrung konkretisiert, vor allem an "Freiheit", "Gnade" und
"Schicksal".256 Jeder dieser Sachverhalte wird zunächst phänomenologisch erschlos-
sen - auf eine Weise, die auch einem NichtChristen einleuchten soll. Dann wird das
christliche Pendant gegenübergestellt, und zwar in strenger Anlehnung an die Aussa-
gen des Neuen Testaments. Schließlich wird die Frage gestellt, wie sich die aus der
unmittelbaren menschlichen Erfahrung bzw. aus der Offenbarung herausgearbeiteten
Phänomene zueinander verhalten. Bezüglich der Freiheit des Menschen wird dabei
ein Ermöglichungsverhältnis herausgearbeitet, das auch für die beiden anderen
Aspekte bestimmend ist:

252
WP 188.
253
WP 188; vgl. ebd., 188-198. - Guardini hat den Gedanken der "Vorsehung" immer wieder entwickelt:
1939 unter dem Titel "Was Jesus unter Vorsehung verstand" (1944 und 1949 erweitert abgedruckt unter dem
Titel "Die Vorsehung" in "Glaubenserkenntnis"); 1943 in "Vorschule des Betens", 122-125 (ebd., 126-140 auf
den Zusammenhang mit dem Gebetsleben übertragen). Bereits früher: Das Gute (1929), 51-56; Vom lebendi-
gen Gott (1930; hier 21936), 23-32; Wunder (1933), 12-15.
254
WP 173.
255
WP11.
256
Vgl. FGS (1948).
374 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Die Beziehung auf den Lebendigen Gott gibt der Existenz einen beständig
wirksamen Stützpunkt, von dem aus sie sich selbst über sich hinausheben kann.
Sie löst den Bann des unmittelbaren Daseins: der Natur mit ihren Mächten, der
menschlichen Gemeinschaft mit ihrer Gewalttätigkeit, des geistig-kulturellen
Lebens mit der Tyrannei seiner Wertungen. Die Hemmungen im eigenen Innern
lockern sich, die Dinge erscheinen in ihrem wahren Wesen und Gewicht, die
Kraft der Überwindung wächst."257
Später heißt es in Bezug auf die menschliche Arbeit, die nach Guardini in der Neuzeit
und besonders in den zurückliegenden Jahren des Nationalsozialismus zu einem
"Götzen" geworden sei:
"Der Mensch muß Gott die Ehre geben; im selben Augenblick gewinnt er die
Höhe über sich und seiner Arbeit zurück ... Dann verliert die Arbeit ihre dämo-
nische Wichtigkeit. Von ebendaher vermag er auch zu verzichten, der Bann des
Genusses bricht, und der erste Ansatz der Freiheit zeigt sich."258
Und nochmals wird die These zum christlichen Vorsehungsglauben wiederholt, dies-
mal in der Gegenüberstellung zur allgemeinmenschlichen Schicksalserfahrung:
"Der Gott, der den einzelnen Menschen zum Heil oder Unheil bestimmt, ohne
daß Er dessen Freiheit in die Entscheidung einbezöge, ist nicht mehr der Gott
der Offenbarung Jesu Christi, sondern eine durch christliche Gedanken verhüllte
Erneuerung der alten Schicksalsmacht."259
"Freiheit", "Gnade" und "Schicksal" sind für Guardini Wirklichkeiten, die zwar an
und für sich zur "Welt" gehören, also zu dem für jeden Menschen ohne weiteres zu-
gänglichen Bereich der Erfahrung und des Denkens,260 jedoch erst dann zu wirklicher
Gegebenheit gelangen, wenn sie "durch einen entsprechenden Offenbarungsinhalt
hochgetragen, freigemacht, geborgen werden".261 Unmittelbare Erfahrung und Bot-
schaft der Offenbarung müssen daher in einen echten Dialog tteten, wenn das Ganze
dieser Wirklichkeiten in den Blick kommen soll, wobei erstens eine klare "Unter-
scheidung" beider Zugänge vorausgeht und zweitens die christliche Überzeugung
vorausgesetzt ist, daß die Offenbarung das in diesen Dingen entscheidende Wort zu
sprechen hat. Angesichts dieser Aufgabenstellung hält aber Guardini die Trennung
von Philosophie und Theologie für einen künstlichen Vorgang und verweist auf
Augustinus, der noch "aus dem Ganzen der christlichen Existenz heraus über dieses
Ganze und dessen verschiedene Inhalte" nachgedacht habe.262
Diese Bemerkung richtet sich - das muß eigens hervorgehoben werden, weil es
leicht auch mißverstanden werden kann - nicht gegen ein selbständiges philosophi-
sches Forschen, sondern gegen ein christliches Denken, das sich in "philosophischen"
Fragen für unzuständig erklärt. Dies ist nach Guardini aber in der Neuzeit geschehen
und darf in der Zukunft nicht so bleiben:

257
FGS 90.- Ähnliches hatte Guardini bereits in seinem frühen Kirchenbuch gesagt; vgl. Sinn der Kirche,
63-79.
258
FGS 169.
259
FGS 243.
260
Vgl. Lebendiger Geist, 129.
261
Lebendiger Geist, 131; Hervorhebung von mir. - Siehe dazu oben Abschn. b,cc.
262
FGS 11.
Der Wille zur Macht 375

"Der Glaubende steht mit seinem Glauben nicht mehr in der Wirklichkeit der
Welt - ebenso wenig, wie er die Welt in seinem Glauben wiederfindet. Aus der
Not dieser Zerreißung hat er eine bittere Tugend gemacht; er hat einen - wenn
das skurrile Wort erlaubt ist - chemisch reinen Glauben herausgearbeitet und
bemüht sich, in ihm die eigentliche Form der Gläubigkeit zu sehen."263
Dies könne verschiedene Formen annehmen, etwa die des völligen Rückzugs in die
"Innerlichkeit" oder die des völlig negativen Verhältnisses der Gnade zur Welt oder
auch die der Apologetik.264 Dadurch habe der Glaubende aber "die Welt immer mehr
aus sich herausverloren". So sei es Zeit,
"wieder denkend und lebend im christlichen Dasein als Ganzem Stand zu fas-
sen ...; Zeit zu sehen, daß alle Scheidungen nur methodischen Wert haben, hin-
gegen, was es in Wahrheit gibt, die Welt ist und der Mensch in ihr, von Gott
angerufen, gerichtet und erlöst. Und Zeit, aus dem Ganzen heraus das Ganze zu
denken."265
Dies bedeute nicht etwa ein "Zurück" - weder zum Mittelalter noch zur frühchristli-
chen Zeit -, sondern gerade ein "Vorwärts" - über die (neuzeitlichen) Scheidungen
hinaus zum Ganzen, "aus einer Haltung, die, im Abstände von einem halben Jahrtau-
send und daher kritischer, ernster, zurückhaltender, wieder jener entspricht, die der
abendländische Mensch einst gehabt hat."266
Wir werden in den beiden folgenden Abschnitten sehen, wie Guardini selbst in die-
sem Sinn "vorwärts" zu "gehen" bzw. - vorsichtiger ausgedrückt - zu "blicken" ver-
sucht hat.

2. Der Wille zur Macht und die Aufgabe der "Nach-Neuzeit"

Bereits im Jahre 1923 hatte Guardini ausgerufen:


"Die 'Neuzeit' ist vorbei - wir hoffen, sie ist's!"1
Dieses Aufatmen eines vom 19. Jahrhundert enttäuschten Bildungsbürgers und
"jugendbewegten" Katholiken war in den vielfachen kulturellen Neuansätzen begrün-
det, die allenthalben zu beobachten waren (vgl. Kapitel 1,2). Der Weg ging in die
Richtung einer neuen "Ganzheit", und Guardini war noch nach dem Zweiten Welt-
krieg davon überzeugt, daß dieser Weg nicht unbedingt in die totalitäre Katastrophe
hätte führen müssen: "Die Zukunft wird feststellen, wieviel Lebendiges diese

263
FGSllf.
264
Vgl. FGS 12.
265
FGS 13.
266
FGS 14.
1
Vgl. LB 26 [43; hier allerdings ohne das emphatische "wir hoffen, sie ist's!"]. Siehe bereits oben Kap.
IV.I.a.
376 Die Kultur am Ende der Neuzeit

geschmähte Zeit geleistet hat."2 Das Streben nach "Ganzheit" bleibe das entschei-
dende Charakteristikum der "Nach-Neuzeit":*
"Die Erde ist in Besitz genommen; einen freien Raum gibt es nicht mehr. Die
Ganzheit des sozialen und wirtschaftlichen Lebens, im Staat zusammengefaßt,
ist immer mächtiger geworden und hat durch ihre verschiedenen Organe und
Techniken alle Bereiche des Lebens umfaßt."4
Daß dies mit Gewalt einhergehe, wie in der unmittelbaren Vergangenheit, sei nicht
zwangsläufig.
"Die echte Form des kommenden Staates wird jene sein, in welcher die Freiheit
in lebendigem Bezug zu den immer stärker hervortretenden Ganzheiten steht."5
"Es wird sich nämlich zeigen, daß der Staat auf die Dauer in der Form der Ge-
walt nicht möglich ist ... Der Staat ist von Wesen auf die Person bezogen, ob
seine jeweiligen Führer es wollen oder nicht. Daraus erwachsen immanente
Notwendigkeiten, und mit ihnen muß der Einzelne sich verbünden."6
Diese Bemerkungen Guardinis (1948) fallen aber bereits in die Zeit unmittelbar vor
der Veröffentlichung der Schrift über das "Ende der Neuzeit" (diese erschien 1950).
Daß das, was seit der "Liturgischen Bildung" (1923) inzwischen in Deutschland ge-
schehen war, auf die Positionen des Spätwerks eingewirkt hat, soll durch die nun fol-
genden Ausführungen deutlich werden. Zunächst blicken wir auf jene Äußerungen, in
denen sich die bedrückende Lage der eigenen Zeit spiegelt (a); dann würdigen wir die
Art und Weise, wie sich Guardini mit der nationalsozialistischen Ideologie auseinan-
dergesetzt hat (b); und schließlich versuchen wir herauszuarbeiten, worin nach
Guardini die Hauptaufgabe der kommenden "nach-neuzeitlichen" Epoche liegen wird
- nämlich in der "Bändigung" der menschlichen Macht (c).

a. Die bedrückende Lage


Noch ganz im Duktus seiner "italienischen Briefe" formuliert Guardini im Jahr 1924:
"Unruhe überall. Schranken fallen; Elementares steht auf. Alles wird möglich,
von Zauberei bis zur Skepsis, von schamlosem Stoffwillen bis zu inbrünstigster
Frömmigkeit ... Gewalt überall, des Schlagwortes, der Partei, der
Gerissenheit ..."7

2
FGS Anm. 1,27.
3
Vgl. FGS 27-31. - Sinngemäß ist von "Nach-Neuzeit" überall dort die Rede, wo Guardini vom "Ende"
der Neuzeit spricht und auf eine neue, noch unbekannte Epoche vorausblickt (s. u. Abschn. 3). Den Begriff
selbst verwendet Guardini ausdrücklich erst in FGS (27 oben). Danach taucht er immer wieder in einzelnen
Beiträgen auf; vgl. z. B. Suche nach dem Frieden (1948/49), 12 ("der nach-neuzeitliche totale Staat", "der
nach-neuzeitliche Krieg") u. ö.
4
FGS 28.
5
FGS 29.
6
FGS 31. - Guardini sieht ansonsten die Haltung eines "wirklichen Anarchismus" heraufziehen - "nicht
nur die Auflehnung asozialer Naturen gegen die soziale Ordnung, sondern der Kampf der Person, ihres Ge-
wissens und ihrer Würde gegen einen Staat, der sie grundsätzlich ignoriert" (ebd., Anm. 1, 31).
7
Heilige Gestalt, 264.
Der Wille zur Macht 377

Das Zeitalter der "Masse", in den "Briefen" schonungslos beschrieben,8 tritt in seiner
bedrohlichen Gestalt immer deutlicher zutage, ohne daß die von Guardini geforderte
Stärkung des "Personalen" (vgl. dazu Kapitel IV,l,c) schon irgendwelche Früchte zu
tragen scheint. Auch in der Quickbornbewegung registriert er die Radikalisierung des
Denkens und Empfindens, die er als allgemeine Gefahr dieser Zeit bezeichnet.9 Und
wenig später, mitten in den eigenen Bemühungen um eine neue ethische Grundori-
entierung, muß er ausrufen:
"Wir leben in einer verwüsteten Zeit. Die Dinge des Geistes und die Dinge des
Heils sind ortlos geworden. Alles liegt auf der Gasse. Jeder redet und hört und
schreibt und liest über alles und zu jeder Zeit... Wir leben in einer Zeit, in wel-
cher die Entehrung des Geistes zur allgemeinen, gar nicht mehr besonders ver-
merkten Praxis geworden ist. Um das zu spüren, brauchen wir nur einen wachen
Blick in das öffentliche Bildungswesen zu tun; mit seinen Vorträgen, Diskussio-
nen, Zeitschriften und Zeitungen; brauchen nur auf die Weise zu achten, wie da
von geistigen Dingen gehandelt, auf die Sprache, die dabei gesprochen wird."10
Und dennoch dachte Guardini nicht etwa daran, seinen Appell zur Annahme der
gegenwärtigen kulturellen Situation zurückzunehmen. Das, was da vor sich ging,
mußte zur Aufgabe werden - daran führte kein Weg vorbei! Aber was war das für eine
Situation, und worin bestand die Aufgabe?
Als Guardini im Jahr 1926 seine erste Rundfunkansprache zu halten hatte, meinte
er plötzlich, diese "innerste Ebene unserer Zeit" zu spüren11 - ein lauschendes "Es"12,
und zwischen diesem und ihm selbst ein "noch nicht erfahrenes Verhältnis des Ich-
Du." Diese fremdartige Wahrnehmung, so schrieb er rückblickend, solle nicht gleich
abgelehnt, sondern vielmehr zur Basis für die Zukunft genommen werden: "Das ist
die Ebene, auf der die neue Welt wird."13 Auch die politischen Umwälzungen des
Jahres 1933, die für Guardini und die Quickbornbewegung durch die Hausübernahme
des freiwilligen Arbeitsdienstes auf Burg Rothenfels in greifbare Nähe rückten, wollte
er - wie viele andere in diesem Jahr - noch nicht von vornherein negativ beurteilen.14
Ohne Umschweife bekannte er sich vielmehr zu den Werten "Vaterland", "Heimat",
"Volk" und "Staat". Freilich fügte er sofort seine christliche Sicht hinzu: "Aber nicht
die Menschen haben das Land geschaffen; nicht die Menschen haben Volk werden
lassen." Mit dem Ersten Weltkrieg hätten gerade die "Wackersten und Tiefsten" zu
fühlen begonnen, daß hinter allem Gott steht: Er hat "Vaterland" und "Heimat"
geschaffen; "Volk" ist ein Geheimnis seiner Vorsehung; "was zu innerst im Staate

* Vgl. v. a. Briefe, 48-58.


9
Bericht über den "Thing" bei der Bundestagung im August 1927 auf Rothenfels, in: Quickborn 15
(1927), 3/4,40.
10
Das Gute, 6f. - Vgl. auch die ähnlichen Urteile in: Theodor Haeckers Vergilbuch (1932/33), 134; Gebet
des Herrn (1932), 9.
11
Rundfunk, 164.
12
Vgl. Rundfunk, 165.
13
Rundfunk (1926), 166; ebd. auch ein Verweis auf die "Briefe aus Italien". Es handelt sich bei dieser
Äußerung Guardinis um ein immer noch aufschlußreiches Zeugnis über das, was im Medium "Rundfunk"
eigentlich vor sich geht - Wahrnehmungen, die unserer Generation bereits verlorengegangen sind, die aber
unbewußt unsere Alltagserfahrungen prägen.
14
Vgl. dazu Gerl, Guardini, 240-249.
378 Die Kultur am Ende der Neuzeit

liegt, Hoheit, Recht, Autorität, das kommt von Gott und lebt nur, wenn der Staat Gott
fürchtet."15 Auch "in unserer Gemeinde" soll für Staat, Volk und Vaterland gearbeitet
werden. "Darüber soll nicht vergessen werden, daß wohl Menschen es schaffen, aber
Gott es gründen muß, segnen und erhalten." Und Guardini schließt mit dem Psalm-
zitat "Wenn der Herr das Haus nicht baut, mühen sich vergebens, die es bauen" -
"Wenn der Herr die Stadt nicht wahrt, wachen umsonst, die sie wahren"16 - eine
unmißverständliche Warnung vor einer Vergötzung des "Vaterlandes", ohne zugleich
dessen positive Werte zu verleugnen.17
Zur selben Zeit schrieb Guardini aber bereits an einem Manuskript unter dem Titel
"Die religiöse Offenheit der Gegenwart. Gedanken zum geistigen und religiösen Zeit-
geschehen".18 Es ging darum, das "Ja" zur Gegenwart erneut zu konkretisieren - aus
dem tiefen Glauben heraus, daß jede Zeit, auch die gegenwärtige also, zu Gott finden
könne:
"Keine Zeit steht, einfach dadurch, daß sie diese bestimmte Entwicklung hinter
sich hat, oder sich in diesem bestimmten Zustande befindet, Christus näher oder
ferner als eine andere."19
Die Entscheidung, vor die Christus den Menschen stelle, sei vielmehr "zu allen Zeiten
die nämliche"; die "scheinbar gesicherte Christlichkeit des Mittelalters" könne dafür
ein ebenso großes Hindernis sein "wie die anscheinende Gottesferne der Gegen-
wart".20 Guardini geht bewußt von seiner eigenen Epoche aus: "Denn wenn es un-
recht ist, die Heimat nicht zu achten, dann ebenso unrecht, die Heimat im Geschicht-
lichen, die eigene Zeit nicht ins Herz aufzunehmen."21 Jede Zeit aber hat eine unter-
schiedliche Disponiertheit für den christlichen Glauben, und nach ihr will Guardini
die Kultur seiner Zeit befragen:
"An welchen besonderen Stellen, aus welchen gerade ihr eigenen Zusammen-
hängen heraus steht unsere Zeit der christlichen Botschaft offen? Welche Erfah-

15
Vaterland, 77.
16
Vaterland, 78; vgl. Ps 127,1.
17
Vgl. auch Hastenteufel, Katholische Jugend, II, 545f. und Anm. 110, 594; dazu die beigelegte Erklä-
rung von H. J. Oeschger. Sie stellt die Deutung Prof. Hierdeis richtig, die dieser einer Dokumentation
Oeschgers ("Quickborn und Politik. Versuch einer Darstellung") entnommen hatte - die Aussage nämlich,
"daß selbst Romano Guardini, der geistliche Leiter des Quickborn, noch 1933 nicht im Nationalsozialismus,
sondern im Bolschewismus die eigentliche Gefahr für Staat und Kirche gesehen habe." Dazu bemerkt Oesch-
ger, "daß eine solche Äußerung Guardinis von ihm keineswegs in der Öffentlichkeit abgegeben wurde, son-
dern in einem persönlichen Gespräch mit mir am Osterdienstag 1933 erfolgte." - Freilich dokumentieren
bereits die Gespräche mit Erich Görner, die an Weihnachten 1933 einsetzen, eine große Abneigung gegen die
Nationalsozialisten (vgl. bes. ebd., 5-9, 14, 16 u. ö.). Die einzige öffentliche Äußerung Guardinis, die man als
Annäherung deuten könnte, ist die von mir angeführte (vgl. Vaterland).
18
Vgl. Offenheit* (1933/34). Zur Datierung vgl. ebd., Anm. 1, 5: "Der Aufsatz wurde vor etwa anderthalb
Jahren entworfen, und in allem Wesentlichen im Januar 1933 niedergeschrieben. Auch die letzte Durcharbei-
tung hat an Gestalt und Tenor nicht mehr viel geändert. Auch der Charakter der Skizze ist noch nicht ver-
schwunden; daher sind die einzelnen Teile verschieden weit und genau entwickelt." Die genannte "letzte
Durcharbeitung" erfolgte im Jahr 1934; vgl. ebd., 54: "Das Voraufgehende war vor den politischen Ereignis-
sen des vergangenen Jahres geschrieben."
19
Offenheit», 3.
20
Offenheit*, 3.
21
Offenheit*, 5.
Der Wille zur Macht 379

rangen hat sie gemacht, welche Spannungen liegen in ihr, die sie in besonderer
Weise zum Verständnis Christi und seiner Botschaft vorbereiten?"22
Es geht also um die Zukunft des Glaubens in diesem Manuskript, und wir werden
später von den Schwerpunktsetzungen hören, die Guardini dazu vorschlägt (vgl.
Kapitel VII,3,a). Ausgangspunkt jedoch ist eine Analyse der eigenen Zeit, und die
Stellen, die sich hier als Ansatzpunkte christlicher Verkündigung erweisen, sind
gleichzeitig die Gefahrenmomente der Epoche. Sie sollen jetzt zur Sprache kommen.
Zunächst spricht Guardini vom durchbrechenden Ganzheitsbewußtsein, das er
selbst im Zusammenhang seiner liturgischen und ekklesiologischen Reflexionen
ursprünglich ebenfalls begeistert begrüßt hatte:
"Wir erleben heute den Abschluß eines Vorgangs, dessen deutlichere Anfänge
hinter der Jahrhundertwende liegen; darin löst die individualistische und liberale
Gesinnung sich auf und macht einer entgegengesetzten Platz."23
Verwiesen wird erneut auf die Ansätze dazu bei Driesch, Wertheimer und Köhler,24
ferner auf das neue Gemeinschaftsbewußtsein und auf die neue Bedeutung von "Fa-
milie", "Volk" und "Gemeinwesen", also der soziologischen Totalität, sowie auf das
neue Bewußtsein der Natur, in das auch die unbezweifelbare Macht der Technik ein-
geordnet sei.25 Nachdem Guardini bereits früher vor einer Übersteigerung dieses
Bewußtseins gewarnt hatte,26 weist er nun noch deutlicher auf dessen mögliche
Gefahren hin. Allzu leicht könne der Einzelne dem soziologischen Zusammenhang
verfallen - "der Volkserregung, der Bewegung, der Organisation, dem Kollektiv, dem
Staate oder wie immer dieser Zusammenhang erscheinen mag."27 Die Gefahr drohe,
"daß die Hingabe an Volk und Staat zu einem Untergang der Person in den bio-
logischen Mächten der Gattung, in der quantitativen Dynamik der Masse, in der
verfügenden Macht der Organisation und des Staates werde."28
Aber auch dem Naturhaften könne der Einzelne verfallen.29 Es drohe ferner die Kapi-
tulation des Geistes vor der Technik.30 Gegen all das meint Guardini Einsprach erhe-
ben zu müssen, aber nicht um den alten Individualismus zu erneuern, sondern im
Sinne einer "Gegenwehr aus dem Mittelpunkt, aus dem Zeiterlebnis selbst, die auch
ebendaher ihre Rechtfertigung erhält."
12
Offenheit*, 5.- Eine spätere Fassung (Offenheit**, 5) formuliert: "An welchen besonderen Stellen, aus
welchen gerade ihr eigenen Zusammenhängen heraus scheint unsere Zeit durch die christliche Botschaft
anredbar zu sein? Welche Erfahrungen hat sie gemacht? Welche Spannungen und Nöte wirken in ihr, die sie
in besonderer Weise vorbereiten, zu verstehen, was von Christus kommt."
23
Offenheit*, 6.- Vgl. dazu die entsprechenden Passagen in: Sinn der Kirche, 23-34; LB 26-30 [39-43]
u.ö.
24
Vgl. Offenheit*, 9; dazu auch unter I,2,b,aa und II,2,b,bb [2] u. ö.
25
Vgl. Offenheit*, 9-11.
26
Vgl. v. a. Möglichkeit und Grenzen der Gemeinschaft (1932, dann 1935). Dazu Schmucker-von Koch,
Autonomie, 161-164; dieser sieht in den Äußerungen Guardinis zur Gemeinschaft eine "Warnung vor einem
Absturz humaner Praxis in den Kollektivismus" (ebd., 159) und ergänzt mit diesem Hinweis den Versuch
Eugen Bisers, "jene Elemente des Guardinischen Denkens freizulegen, von denen eine weltverändernde Kraft
auszugehen vermag" (ebd., 159; vgl. Biser, Interpretation, bes. 1 lf. und 107-112).
27
Offenheit*, 11. Gegenüber dem Aufsatz über "Sozialwissenschaft und Ordnung unter Personen" (1926),
zeigt sich hier deutlicher die konkrete gesellschaftliche Situation.
28
Offenheit», 12.
29
Vgl. Offenheit», 13f.
30
Vgl. Offenheit*, 14f.
380 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"In ihr stemmt sich der personale Kern gegen das Aufgesogenwerden."31
Guardini appelliert an den Staat, sich nicht zu leicht mit der Formel zufriedenzuge-
ben, der Einzelne solle sich frei einfügen.
"Er muß daran denken, wie sehr der Mensch selbst vor der Anstrengung perso-
nalen Daseins flieht, wie gern er sich in die Verantwortung abnehmende Kol-
lektivexistenz flüchtet, und wie geschickt seine Feigheit und Trägheit sich mit
den großen Ideen der Hingabe an das Ganze verhüllen."32
Guardinis Gedanken wollen also wieder "vorwärts, nicht zurück".
"Ich muß das betonen, führe ich doch vom Beginn meiner geistigen Arbeit an
den Kampf gegen den Individualismus; in philosophischen und theologischen
Gedanken; im pädagogischen Wirken, auf der Kanzel und dem Katheder und in
allen meinen Schriften. Das legt Pflicht auf und gibt Zuständigkeit. Was hier
gesagt wird, kommt aus dem Ja zur Geschichte. Aber dieses Ja wird notwendig
Mahnung zur vollen Aufgabe, die ebendiese Geschichte stellt."33
Sorgen bereitet ihm vor allem die "Vernachlässigung oder Vergewaltigung des Gei-
stes durch die Macht"*4. Er registriert eine Zunahme der Macht im Staat, in der Wirt-
schaft (durch Reklame und Planung der Bedürfnisse) und in den Medien und stellt
dann die These auf, "daß der unausdenklichen Machtsteigerung der Neuzeit kein ent-
sprechendes Wachstum der personalen Haltung gleichgelaufen ist."35 "So droht dem
Menschen unausdenkliche Gefahr von ihm selbst her."36 All diese "Erschütterungs-
felder des Gesamtdaseins"37 aber seien Aufgaben, die aus den unmittelbar gegebenen
Kräften nicht mehr bewältigt werden könnten; so würden sie zu "offenen Stellen nach
der Anrede der Offenbarung hin."38 In der Tat registriert Guardini ein Ansteigen der
"religiösen Begabung" seit der Jahrhundertwende, die freilich nicht mehr christlich
gebunden, sondern "ortlos" sei.39
Unter ausdrücklichem Bezug auf die "politischen Ereignisse des vergangenen Jah-
res" fügt Guardini 1934 einen längeren Passus in sein Manuskript ein, in dem er dar-
auf hinweist, daß durch diese Ereignisse der Zustand des "freien Schweifens" der
religiösen Potenz beendet wurde; diese werde nun endgültig nicht mehr auf das Abso-
lute gerichtet, sondern auf das Endliche selbst:
31
Offenheit*, 16.
32
Offenheit*, 17.
33
Offenheit*, 20. - Diese Rechtfertigung entfällt in der späteren Fassung. Dafür ist jetzt gleich von den
möglichen Rettungsmaßnahmen gegen das Aufgesogenwerden der Person die Rede: "Wo aber ist die Gegen-
macht? Wo ist die Kraft zum Maß? Woher kommen die Wertempfindungen, Achtungsgefühle, die die Person
schützen? Wo ist in den übermächtigen Zusammenhangsgebilden der neue Raum für die Person? Wo die
Tiefe, aus der heraus Eigensein und Selbstverantwortung, [der ?; im Manuskript findet sich hier ein "und"]
Handlung und des Daseins möglich werden" (Offenheit**, 16f.).
34
Offenheit*, 29; Hervorhebung von mir. Vgl. insgesamt ebd., 20-29.
35
Offenheit*, 41. - Zum Phänomen der Macht insgesamt vgl. ebd., 30-43.
36
Offenheit*, 43. - Auch hier geht Guardini auf das "Endlichkeitsbewußtsein" am Ende der Neuzeit ein,
das in der Philosophie Nietzsches offenbar geworden und durchgebrochen sei (vgl. ebd.). Es zeige sich auch
in der Einstellung gegenüber dem Tod (vgl. ebd., 45-47) - ein Thema, das dann besonders in der Hölderlin-
und Rilke-Interpretation aufgegriffen wird.
37
Offenheit*, 48.
38
Offenheit», 49; vgl. ebd., 48f.
39
"Darin besteht ja die Situation, daß die religiösen Kräfte, kulturell gesehen, ortlos geworden sind"
(Offenheit*, 53). Vgl. dazu auch Kap. I,2,c.
Der Wille zur Macht 381

"Das Endliche bedarf des Absoluten nicht mehr, um sich als autonom zu be-
gründen. Als Endliches ist es autonom, und als solches autark. Das bedeutet
aber zugleich, daß die ganze Endlichkeit sich als einziges und eines zusammen-
schließt: alle Kräfte in ein Dasein und Werk."40
Direkt auf die "Extremisten der gegenwärtigen Bewegung" bezogen, warnt Guardini
davor, die religiöse Potenz gerade an den Staat zu binden:
"Der homo religiosus wie der politicus können hier nur - um der Religion wie
um des Staates willen - große Sorgen haben. Sie braucht noch gar nicht von der
christlichen Kritik an der Welt ausgehen; es genügt das klare Bewußtsein, was
für eine gewaltige und gefährliche Energie die religiöse ist, und wie problema-
tisch, wie wahrhaft beunruhigend die Spannungen werden müssen, wenn sie in
solche Einheit mit der realistischsten aller Aufgaben, der politischen gebracht
wird. Nitroglyzerin ist gut, aber man kann damit keinen Mörtel anrühren um ein
Haus zu bauen."41
Guardini hat sein Manuskript nicht veröffentlicht. Die Warnungen vor der gesell-
schaftlichen Entwicklung, die 1934 noch verstärkt wurden, blieben im Verborgenen
bzw. wurden nur im engsten Freundeskreis weitergegeben.42 Guardini war kein
"Widerstandskämpfer"; er wählte eher den Weg der "inneren Emigration",43 wenn er
sich bemühte, seine Hörer und Leser in eine Auseinandersetzung mit den geistigen
Grundlagen der kulturellen Wirklichkeit zu führen.44 Was er später über den eigent-
lich viel aktiveren Widerstand der Geschwister Scholl sagt, paßt in Wirklichkeit auf
ihn selbst - daß es nämlich im gegenwärtigen Chaos darum gehe,
"die grenzenlose Verworrenheit der Begriffe, die furchtbare Entstellung und
Verschmutzung der geistigen Werte, wie sie überall eingerissen war, zu über-
winden, die Wesenheiten in ihrer blanken Wahrheit herauszuheben und die Ord-
nungen des Daseins so aufzurichten, wie sie wirklich sind."45
Gerade die Interpretationen wurden für Guardini zu behutsamen und präzisen Versu-
chen, in einer aufs Tiefste verunsicherten Zeit den Weg des Glaubens zu weisen.
Aber auch die eher systematisch vorgehende "Unterscheidung des Christlichen", die
40
Offenheit*, 57. Zum Endlichkeitsbewußtsein siehe auch oben Anm. 36.
41
Offenheit*, 57. - Am Schluß seiner Gegenwartsanalyse spricht Guardini noch von der
"eschatologischen" Daseinserfahrung seiner Zeit; der Begriff ist hier nicht im spezifisch christlichen, sondern
in einem allgemeinen Sinn verstanden - "im Gegensatz zum Bewußtsein ruhiger Sicherheit" (ebd., 59). In
diesen Zustand münden ursprünglich chrisüiche Affekte ein, gehen jedoch "in verwandelter, säkularisierter
Form in kulturell-politische Gestalten ein." (64) "So wartet das Dasein auch von hier aus auf die chrisüiche
Anrede. Denn es hängt alles davon ab, daß die religiöse Potenz durch den Glauben erleuchtet und gemeistert
werde - sowie die religiösen Gehalte von Welt- und Menschendasein durch die Offenbarung gemessen,
gerichtet und gedeutet werden müssen" (66f.).
42
Vgl. die Gesprächsnotiz Görners vom 17. 3. 1934: "Dann schickte er seinem Freund, Pfarrer Weiger,
das Manuskript über die religiöse Offenheit der Zeit als Ostergeschenk und ging in bester Laune fort"
(Görner, Guardini, 17).
43
Vgl. im Gespräch mit Görner vom 3.11, 1934: "Es wird aber doch einen festen Kern geben, der nur um
so fester er selber bleibt. Der klar sieht, der unterscheidet. Und der wird das Zentrum einer neuen Krise sein"
(ebd., 7).
44
Es wird berichtet, daß sowohl Vorlesungen wie Predigten Guardinis als auch die Gespräche auf Burg
Rothenfels von der Gestapo überwacht wurden; vgl. Kumpf, Guardini, 57; Biser, Interpretation, Anm., 31,
110.
45
Waage des Daseins, 21 f.
382 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Guardini betrieb, sollte als Dienst an einem "von so tiefen Auseinandersetzungen


erschütterten Deutschland"46 verstanden werden. Guardini war daher für seine Hörer
und Leser durchaus ein Gegenpol zu den herrschenden Geistesströmungen, ein kriti-
scher Denker, der das Wesentliche erschloß, von dem her dann jeder seine
"Weltanschauung" überprüfen konnte. Eugen Biser hat recht, wenn er schon im
"Standhalten" Guardinis ein Zeugnis des Widerstandes erblickt. Entscheidend sei
gewesen,
"daß er im Gegenwind der Verhältnisse das blieb, was er seiner Hörer- und
Lesergemeinde über Jahrzehnte hinweg gewesen war, und daß er die ihm zuge-
wachsene Rolle als Orientierangs- und Leitgestalt inmitten der auf breiter Front
betriebenen 'Umschulung' aufrechterhielt. So bildete er in der Zeit des von einer
Massenhypnose getragenen, wild ausufernden 'Führerkults' eins der wenigen
Gegengewichte, die wirklich zählten."47
Das unveröffentlichte Manuskript aus dem Nachlaß, das wir oben herangezogen
haben, zeigt jedenfalls vor diesem Hintergrund, welche klaren Analysen Guardinis oft
so wenig "aktuell" erscheinenden Veröffentlichungen vorausgingen.

b. Die geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus


Vor dem Hintergrund der eben angeführten Gedanken erscheinen auch die
"religionsphilosophischen" Stellungnahmen der dreißiger Jahre in einem neuen
Licht.48 Vor allem die von Hölderlin und Rilke ausgehende Prognose eines neuen
Götterglaubens steht in unverkennbarer Beziehung zu jener Entwicklung, in der die
"freischwebende" religiöse Potenz sich an innerweltliche Phänomene band. Diese
"Götter" finden nämlich ihre Ansatzstelle dort,
"wo die entscheidenden Verschiebungen im geschichtlichen Bewußtsein vor
sich gehen: Etwa in der Weise, wie das Volk erlebt wird, das Blut, der Staat, die
Macht usf."49
An einer anderen Stelle heißt es:
"Die Kultur kann zu einem Gott werden; der Fortschritt; die Macht. Von über-
allher steigen Götter herauf, die zuerst noch keine Gestalt haben, sie aber jeder-
zeit bekommen können; Gestalt und Namen und Tempel und Anbetung. Wo sie
einziehen, hat der Lebendige Gott keinen Raum mehr ..."50
Im Aufsatz über den "Heiland" bezog Guardini sich dann sogar ausdrücklich auf die
Versuche der herrschenden Ideologie, dem Christentum "Artfremdheit" zu unterstel-
len. "Der echte Heiland ist ja die Natur, ihre Lösungspotenz - so kann er nirgends
46
Unterscheidung (1935), XII. - Der Sammelband von 1935 (1963 in veränderter Form neu aufgelegt) ist
immer noch das eindrucksvollste Dokument für das gesamte Spektrum von Guardinis Tätigkeit in dieser Zeit.
Zur direkten christlichen Vergewisserung, die sich anschloß, siehe unten Kap. VII.
47
Biser, Interpretation, 111.
48
V. a. Religiöse Erfahrung; Heiland. - Siehe dazu auch in Bezug auf die Hölderlin-Interpretation Kap.
V,2,c.
49
Religiöse Erfahrung, 322f.
50
Glaube als Überwindung (1939; hier 1949), 105.
Der Wille zur Macht 383

anderswoher als aus dem eigenen Blut und der eigenen Erde kommen."51 Christus
erscheine als "mißglückter Heiland",52 so daß es an der Zeit wäre, "auf die echten
Heilande zu blicken: Dionysos oder Baidur."53 Nach 1945 gab Guardini denselben
Beitrag neu heraus und erweiterte ihn jetzt durch eine genauere Analyse der in den
vergangenen "zwölf Jahren" zu Tage tretenden Religiosität ("Der Heilbringer in
Mythos, Offenbarung und Politik").54 Hier sei etwas vor sich gegangen, das "ein
scharfes Licht auf die geistig-religiöse Situation der Nach-Neuzeit, darüber hinaus
aber auch auf die des Menschen überhaupt wirft."55
Guardini beschreibt jetzt die in diesen Jahren geschehene Verabsolutierang des
Staates:
"Nichts gegen den Staat, nichts außerhalb des Staates, alles für den Staat, alles
durch den Staat."56
"Nirgendwo durfte es eine selbständige Überzeugung, nirgendwo eine persönli-
che Initiative des Denkens, des Handelns, der Lebensgestaltung geben. Alles
mußte der Verfügungsgewalt des Staats anheimgegeben sein."57
Die zugehörige Ideologie habe man "im Gedanken des Blutes und der Rasse" gefun-
den.58
"So wurde die Biologie zur Grundlage nicht nur der Lehre vom Menschen, son-
dern auch von der Kultur, vom Staat, von der Religion."59
Die Leiblichkeit des einzelnen sei nun als Ausdruck einer größeren Leiblichkeit ver-
standen worden, "die sich durch alle einzelnen hin auswirkt und Rasse heißt"; unter
den Rassen aber sei die arische und darin wieder die "germanische" oder "nordische"
besonders hervorgehoben worden.60 Die Folgen dieser "Biologisierung" des Denkens
aber waren verheerend:
"Der Mensch wurde daran gewöhnt, sich selbst als ein Lebewesen anzusehen,
das zwar entwickelter, begabter, wertvoller als das Tier ist, wesentlich aber in
dessen Reihe steht. So wurde er in die Anonymität der Natur hinuntergedrückt
und für den Zugriff der Macht verfügbar gemacht."61
Die Ansätze dazu sieht Guardini schon bei Nietzsche - in dessen Einstellung zur
Leiblichkeit,62 seiner Idee der Züchtung63 und im Mythos von der Erde.64 Diese

51
Heiland, Anm. 1,374.
52
Heiland, 373.
53
Heiland, 374.
54
Vgl. Heilbringer (1946). Im folgenden wird dieser Beitrag nach der ursprünglichen Fassung zitiert;
eckige Klammern verweisen auf den Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963). - Guardini spricht immer
wieder ganz dezidiert von den "zwölf Jahren" der nationalsozialistischen Herrschaft - wohl um an die absurde
Proklamation eines "Tausendjährigen Reiches" zu erinnern.
55
Heilbringer, 4 [411] (Vorbemerkung).
56
Heilbringer, 34 [443].
57
Heilbringer, 35 [443].
58
Heilbringer, 35 [444]; Hervorhebungen von mir.
59
Heilbringer, 36 [444].
60
Vgl. Heilbringer, 36 [444].
61
Heilbringer, 37 [445].
62
Vgl. Heilbringer, 36 [444].
63
Vgl. Heilbringer, 37f. [446].
64
Vgl. Heilbringer, Anm. 1,43f. [Anm. 8, 451].
384 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Ideologie nun habe auch Hand auf den religiösen Kern des Menschen gelegt; vor
allem der Mythos vom Leben und vom Tode sei aufgegriffen worden - die Rede von
der Fruchtbarkeit, der allgemeinen, aber auch, und besonders, jener der Sippe, des
Stammes, des Volkes.65 Man habe diese Vorstellung zum "Mythos des zwanzigsten
Jahrhunderts" erklärt, auf den sich alle religiösen Kräfte des Volkes zu sammeln hät-
ten.
"Dem geheimnisvollen Etwas, 'Blut' genannt, sollten sich alle Gefühle der Ver-
ehrung, der Scheu, der Hingabe, des Opfers zuwenden. Zugleich mußten alle
jene Werte, Tugenden und Haltungen ausgerottet werden, welche im Wege
standen: geistiges Urteil, persönliche Überzeugung, Verantwortung des eigenen
Gewissens, Bewußtsein vom ewigen Wert der Person und so fort. Alles das
wurde als artfremd, als jüdisch-christliches Verderbnis, als Beirrung der heiligen
Kräfte der Natur, als Feindschaft gegen das Leben usw. hingestellt."66
"Soweit der Versuch gelang, wurde die christliche Überzeugung vom ewigen
Wert der Person und die Frömmigkeit individueller Gottesbeziehung aufgelöst
und durch eine Religiosität verdrängt, deren Sinn ausschließlich in den Zusam-
menhängen von Sippe und Volk lag - welch letztere, da es keinen im Gewissen
verwurzelten Widerstand mehr gab, wehrlos den Herren der Staatsmaschine
ausgeliefert waren."67
In diesem Mythos habe schließlich Adolf Hitler die Funktion des "Heilbringers" ein-
genommen. Guardini bringt eine Reihe von Beispielen - Aussagen über Hitler
("Meldegänger Gottes", "Hitlerwetter" usw.), religiöse Symbole (Hitler-Bild u. a.),
der sogenannte "deutsche Gruß" ("Heil Hitler" als Gegenbild zum hergebrachten
"Gelobt sei Jesus Christus"), ja sogar an Hitler gerichtete Gebete.68 Anschließend
versucht er, die Wurzeln dieser Verkehrung. ausfindig zu machen. Zuvor schon hatte
er im Anschluß an C. G. Jung die Auffassung vertreten, die Mythen seien im Grand-
gefüge der Psyche angelegt;69 in der geschichtlichen Frühzeit gehe aus solchen
"Bedeutungskernen" die Mythenwelt ungehindert hervor, werde dann aber im Fort-
schreiten des kritischen Verstandes und der Technik von theoretischen Gedankengän-
gen durchsetzt, um schließlich ganz von solchen abgelöst zu werden. Nun sänken die
Mythen zum Märchen und zur Fabel herab und nähmen auf diesem Wege immer
mehr den Charakter des Unernsten und Spielerischen an.
"Ihren Ernst behalten sie nur noch in jenem Bereich der Psyche, der nicht vom
bewußten Denken und Wollen beherrscht wird, vielmehr unzugänglich unter
ihnen liegt, dem Unbewußten. Von dort aus wirken sie aber in das Gefdge des
Gesamtlebens ein."70
Nun gebe es auch einen "Bedeutungskern", der zum Mythos vom "Heilbringer" führe.
Werde das Leben des Menschen vom Glauben an Christus bestimmt, "dann erfüllt
jener Bedeutungskern sich eben darin und die von ihm ausgehenden Impulse wirken

65
Vgl. Heilbringer, 38 [446].
66
Heilbringer, 38f. [447; leicht verändert].
67
Heilbringer, 39 [447].
68
Vgl. Heilbringer, 39-42 [447-451].
69
Vgl. Heilbringer, 26f. [434f.].
70
Heilbringer, 27 [435].
Der Wille zur Macht 385

sich im Verhältnis zu Christus aus. Ist das nicht der Fall, dann ist im Gemüte bestän-
dig ein Anlaß wirksam, einen Heilbringermythos zu schaffen, oder doch geeigneten
Erscheinungen des individuellen bzw. kollektiven Lebens einen mythischen Hinter-
grund zu geben."71 Dies gerade sei in der unmittelbaren Vergangenheit geschehen:
"Das nicht mehr durch Christus überwundene und zugleich erfüllte mythische
Grundmotiv des Heilbringers ist ins Heidnisch-Unerlöste zurückgefallen und hat
sich als solches zur Geltung gebracht. Seine ortlos gewordene Energie, die nicht
mehr durch die Gestalt des christlichen Herrschers gebunden und legitimiert
war, hat sich wieder in ihrer heidnischen, richtiger gesagt, in ihrer abgefallenen
Form den Weg in die Geschichte gebahnt."72
Guardini meint sogar, die Gewalthaber des Nationalsozialismus hätten bewußt "jenen
im Grundgefüge der Seele angelegten, aber ortlos und gegenstandslos gewordenen
'Bedeutungskern' geweckt und ihm eine Form gegeben, die nur den Sinn haben konn-
te, Christus, seine Überwindung und zugleich Erfüllung der Heilandsahnung auszulö-
schen und an seine Stelle wieder einen innerweltlichen Heilbringer zu setzen."73
"Der neue Mythos vom irdischen Heilbringer sollte Christus und seine Erlösung
aufheben und den Menschen in diese Welt hineinbannen. Wer ihm glaubte,
hatte keine Möglichkeit mehr, auch nur innerlich dem Griff, der nach ihm faßte,
zu entgehen. Er war mit Leib und Seele, mit Geist und Willen, mit allem, was er
war und tat, der Macht, die über Deutschland herrschte, preisgegeben."74
Vor dem Hintergrund dieser Reflexion des nationalsozialistischen "Mythos" wird
auch verständlicher, warum Guardini 1950 in einem Vortrag über den Mythos sagt,
jeder mythische Glaube sei zutiefst eine Folge der Sünde, des Abfalls von Gott.75
Damit werde
"nichts von dem geleugnet, was der Mythos an Positivem enthält: elementare
Erfahrungen des Menschen vom Dasein; große Wahrheiten, in unvergänglichen
Bildern ausgedrückt. Aber der Mensch, der diese Erfahrungen macht und diese
Weisheiten ausspricht, ist nicht, wie die allgemeine Anschauung als ganz selbst-
verständlich annimmt, der natürliche Mensch. Den 'natürlichen Menschen' gibt
es nicht. Es gibt nur den gefallenen - und den erlösten. Der gefallene aber ist es,
71
Heilbringer, 27f. [435]. Im Hintergrund steht deutlich die Darstellung der religionsphänomenologischen
Erkenntnisse G. van der Leeuws (vgl. Phänomenologie der Religion, § 11 - § 13, 100-133). Siehe Heilbringer,
Anm. 1, 15 [Anm. 2,422].
72
Heilbringer, 42f. [451].
73
Heilbringer, 43 [451].
74
Heilbringer, 43 [45lf.].
75
Vgl. Der Mythos und die Wahrheit der Offenbarung. Dazu Mercker, Weltanschauung, 121-125. - Deut-
lich ist die tiefenpsychologische Mythentheorie aus dem "Heilbringer"-Aufsatz aufgenommen (vgl. Mythos,
712-718); ferner wird immer wieder der Mythos des "Heilbringers" selbst herangezogen (vgl. ebd., 718f. und
722). Diese Überlegungen bilden aber in der späteren Schrift "Religion und Offenbarung" (1958) nur einen
kleinen Teil (101-113). Die mythische Religiosität gehört demnach bereits zum sekundären Vorgang der
"Gestaltung des religiösen Erfahrens" (vgl. ebd., 100-133), während der primäre Vorgang, die "religiöse
Erfahrung" selbst (vgl. 19-99), viel differenzierter geschildert wird. Die "Fragwürdigkeit" dieser Erfahrung
meint hier zunächst die Notwendigkeit einer Kritik des Religiösen - von der Vernunft, aber auch von der
Offenbarung her (vgl. ebd., 95-99, sowie 200-202). Ihr Ausgangspunkt ist die verwirrende Vielfalt religiöser
Gestaltungen, sowie der Eindruck einer letzten Vergeblichkeir. "Eine große Schwermut liegt in der religiösen
Geschichte der Menschheit; freilich auch eine große Sehnsucht und eine immer wieder ausschauende Erwar-
tung" (Religion, 202).
386 Die Kultur am Ende der Neuzeit

der im Mythos redet. Und er verkündet nicht die absolute Wahrheit des Daseins,
die zum Gehorsam und zur Anbetung führen würde, sondern eine relative, und
mißbraucht sie zur Rechtfertigung seines Ungehorsams."76
Nicht die religiöse Erfahrung selbst wird also von Guardini bestritten; sie kann echt
s;in und auch das Christentum kann von ihr profitieren.77 Kritisiert wird der Mensch,
der im Zustand der Sünde diese Erfahrung gegen den lebendigen Gott selbst stellt und
damit den Mythos in seine eigene Abfallbewegung einbezieht. Erst wenn durch eine
klare Unterscheidung des Christlichen die "Entlarvung" dieser mythischen Religiosi-
tät vollzogen ist, kann nach Guardini auch eine neue, positivere Verhältnisbestim-
mung erfolgen.78
Guardini reflektiert also durchaus die Ereignisse von 1933 bis 1945 - aber nicht im
engeren Sinne politisch oder historisch, sondern in ihrem Bezug auf die Tiefenschich-
ten des Menschen: Geschichtliche Ereignisse werden auf mythenbildende
"Bedeutungskerne" zurückgeführt; angesichts einer ungeheuren Vermengung der
Begriffe und Symbole wird eine Unterscheidung des Christlichen in Angriff genom-
men. Damit wird freilich die "Vergangenheitsbewältigung" in gewisser Weise
"vergeistigt" und steht etwas abseits von den konkreten Problemen des politischen
Neubeginns nach 1945. Es kann auch nicht bestritten werden, daß Guardini in seinem
Mooshausener Exil wenig von der konkreten Existenznot spürte, die gerade in den
Großstädten herrschte. Die "Flucht" aus Berlin markiert gewiß einen schwachen
Punkt in der Persönlichkeit des "Ästheten" Guardini, der stets Distanz brauchte, um
die tieferen Wurzeln des Geschehens aufzuspüren, und auf diesem Weg die
"eigentlichen" Antworten zu geben versuchte - genauer: seine Hörer und Leser auf die
Spur der "eigentlichen" Antworten bringen wollte.
In dieser "Schwäche" lag jedoch auch eine Stärke, die gerade nach 1945 durchaus
geschätzt wurde. Als in den Trümmern des zerstörten Ulm eine Gruppe engagierter
Bürger - unter ihnen Inge Scholl, Otl Aicher und Kurt Fried - an der Gründung einer
Volkshochschule arbeiteten, wurde gerade Guardini für den ersten Vortrag gewonnen
- bereits im Sommer 1945. Sein Thema lautete: "Was ist Wahrheit?"79 Ein Teilneh-
mer erinnert sich:
"Massenweise waren die Menschen über die Trümmer hergekommen. Das Ver-
langen nach einem offenen Wort, mochte es noch so hart sein, trieb sie aus ihren
demolierten Häusern."80
Auch in Stuttgart sprach Guardini über "Wahrheit und Lüge" (23. 9. 1945), über den
"Heiland in Mythos und Offenbarung" (24. 9. 1945), sowie über "unsere Verantwor-

76
Mythos, 721f.
77
Vgl. dazu deutlicher: Religiöse Erfahrung, 338.
78
"Ober dieses Verhältnis der Offenbarung zum Mythos wäre viel zu sagen. Dadurch würde auch der Ein-
druck überwunden, den die vorstehenden Ausführungen vielleicht erweckt haben, der Mythos werde zu nega-
tiv gesehen. Allein hier kam es auf eine klare Unterscheidung an, und die Begrenzung des Raumes gestattet
nichts weiteres" (Mythos, 723).
79
Vgl. Wieder, Kulturleben ohne provinzielle Enge (ohne Seitenangabe). - Über den ersten Kontakt mit
OÜ Aicher und die Entstehung der Ulmer Volkshochschule berichtet Guardini selbst: Pluralität und Entschei-
dung, 132.
80
Zum 80. Geburtstag von Romano Guardini (1964/65), 3.
Der Wille zur Macht 387

tung für die Sprache" (18. 11. 1946).81 Die Verwüstungen der Städte und die enor-
men sozialen Probleme standen in merkwürdigem Kontrast zu solchen
"grundsätzlichen" Themen. Auch in den Vorlesungen, die Guardini ab dem Winterse-
mester 1945/46 in Tübingen hielt, war von der Nachkriegsrealität kaum die Rede -
zum Befremden mancher ausländischer Beobachter.82 Doch was als hilfreich emp-
funden wurde, war gerade nicht unmittelbare Aktualität, sondern das "Vortasten an
die Gründe des Daseins"83. Guardinis "Standhalten in stürmischer Zeit"84 trag jetzt
seine Früchte. Sein frühes Herantasten an die "Kultur", seine interpretatorischen
Zugänge zu neuzeitlichen Daseinserfahrungen, seine christlichen Grundlagenre-
flexionen und die Versuche zu einer christlichen Anthropologie bildeten den Hinter-
grund für die notwendige "Orientierung" und "Wegweisung" am "Ende der Neuzeit".

c. Die Bändigung der Macht


In der Loslösung von der christlichen Offenbarung sah Guardini die Gemeinsamkeit
zwischen dem "Mythos des 20. Jahrhunderts" und dem "Autonomismus" der Neuzeit.
Er war sogar der Überzeugung, daß dieser "Autonomismus" dem Totalitarismus den
Boden bereitet habe:
"Der neuzeitliche Autonomismus, wonach jeder Kulturbereich sich aus seinen
eigenen Gesetzen heraus aufbauen soll, treibt den Staat, zum restlosen Staat zu
werden: zur Organisation aller politischen Macht; zum Subjekt jedes geschicht-
lichen Handelns. Er fühlt sich souverän sogar vor den sittlichen Maßstäben. So
entsteht eine Handlungsform, die scheinbar rein sachlich, in Wahrheit aber
normlos ist."85
"Der Autonomismus des neuzeitlichen Staates, der bis dahin immer noch von
bewußten Ehrfurchtshaltungen vor dem Menschen beziehungsweise einer trans-

81
Hinweis im Gottesdienst-Anzeiger der Pfarrgemeinde St. Josef, Stuttgart, vom 30. 9. 1945. Ich danke
dem Gemeindepfarrer, Prälat Anton Bauer, herzlich für diesen Hinweis und für andere wertvolle Anregungen
über die Beziehungen Guardinis in die Diözese Rottenburg. Vgl. auch A. Frey, Wahrheit und Lüge. Ein Vor-
trag von Prof. Guardini in Stuttgart, in: Stuttgarter Zeitung 1 (1945), Nr. 4 (- 29. 9. 1945), 2; Knoll, Begeg-
nungen, 89f; Gerner, Bildungslehre, 128f, bes. Anm. 23 und 24.
82
Vgl. etwa das Zitat von Enrico Castelli bei Gerl, Guardini, 333f.
83
Gerl, Guardini, 334. - Aus heutiger Sicht eigenartig mutet es ja ebenfalls an, daß die kritischen
"Frankfurter Hefte", die ab 1946 von Walter Dirks und Eugen Kogon herausgegeben wurden, nicht nur politi-
sche Analyse und Kommentare enthielten, sondern sich auch noch einen theologischen Teil "leisteten", zu
dem Guardini immer wieder Aufsätze beisteuerte; vgl. etwa: Abschied von der Tübinger Kunstausstellung
(1947); Christi Himmelfahrt und Wiederkehr (1947); Das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg
(1947); Das Gleichnis vom Sämann (1947); Die Soziale Indikation für die Unterbrechung der Schwanger-
schaft (1947); Der Tag des Herrn und die Heilsgeschichte (1948); Die Vorsehung (1948); Nachtrag zu einer
Kollegstunde über Rilkes erste Duineser Elegie (1948); Der Mythos und die Wahrheit der Offenbarung (1950;
s. o.); Der Friede und der Dialog (1952); Grundformen der Askese (1956). Auch dies wirft ein Licht auf den
geistigen Nachholbedarf nach 1945.
84
Vgl. Biser, Interpretation, 107-112.
85
Verantwortung (1952), 24.
388 Die Kultur am Ende der Neuzeit

zendenten Hoheit gezügelt war, wirft alle Hemmungen ab und entscheidet über
das Unantastbare: das Recht des Menschen, zu existieren."86
Mit dieser These, die Guardini in seiner späteren Schrift "Religion und Offenbarung"
wiederholt,87 sticht er auffällig von den herkömmlichen Erklärungsmodellen ab.88
Demnach wäre es gerade die irrationalistische Gegenbewegung zur Neuzeit gewesen,
die in die Katastrophe geführt hat. Heinz Robert Schlette weist daher auch Guardinis
These unter Berufung auf die neuzeitliche Rationalität zurück:
"Dem sogenannten Autonomiebewußtsein eignet eine letzte Strenge der Ratio-
nalität, der aufgeklärten Subjektivität; so gesehen führte nicht Autonomismus
zur Naziherrschaft, sondern gerade die Heteronomie des Irrationalen; man
beschwor das Leben, die Wirklichkeit, die geschichtliche Stunde, das Volk, die
Nation, die Gemeinschaft, das Schicksal, das neue Reich der Deutschen und
selbst die Vorsehung, denn - das läßt sich aus 'Mein Kampf mühelos beweisen -
Hitler war, jedenfalls in den zwanziger Jahren, ein leidenschaftlicher Feind des
Atheismus."89
Nun ist natürlich zu fragen, warum Irrationalität unbedingt mit Heteronomie in Ver-
bindung gebracht werden muß, Rationalität jedoch ausschließlich mit Autonomie.
Auch ist leicht festzustellen, daß die neuzeitliche Rationalität von Anfang an von Irra-
tionalismen begleitet war, also doch irgendwie mit ihnen in Zusammenhang stehen
muß. Es klingt sehr erhellend, wenn Guardini schon im Gegensatzbuch "Rationalis-
mus" und "Irrationalismus" bzw. "Intuitionismus" als sich gegenseitig bedingende
Phänomene begreift, die aus der gleichen Haltung hervorgehen - nämlich aus dem
Bemühen, die Zusammengehörigkeit der Pole lebendigen Erkennens im Sinne eines
"Autonomismus" aufzulösen.90 Die These vom "Autonomismus" als Wurzel des
Totalitarismus widerspricht also nicht prinzipiell jenen Erklärangsmodellen, die auf
den entscheidenden Anteil des "Irrationalismus" verweisen. Dieser hat in der Tat
unter dem Zeichen einer einseitig verstandenen "Ganzheit" zum Entstehen der natio-
nalsozialistischen Herrschaft am meisten beigetragen. Guardini bleibt nun zwar dem
"Rationalismus" gegenüber skeptischer als einem "Irrationalismus" und knüpft auch
später noch ausdrücklich an den Ganzheitsbestrebungen der zwanziger Jahre an.91
Aber seine These vom neuzeitlichen Charakter des Totalitarismus bezieht sich in
erster Linie nicht auf die moderne Rationalität, sondern vielmehr auf das Phänomen
der Macht, das für ihn wesentlich mit der Vorstellung einer autonomen Subjektivität
zusammenhängt. Die Macht wird für Guardini zum "Kernproblem, um das die künfti-
ge Kulturarbeit kreisen, und von dessen Lösung alles, nicht nur Wohlfahrt oder Not,
sondern Leben oder Untergang abhängen wird"92.

°b Verantwortung, 19.
87
Vgl. Religion und Offenbarung, 42, 128f, 198, 199f.
88
Vgl. v. a. Lukäcs, Zerstörung der Vernunft; an historischen Untersuchungen vgl. bes. K. Sontheimer,
Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus
zwischen 1918 und 1933, München 1968, 61-78.
89
Schlette, Guardini 1970, 274. - Vgl. auch Wechsler, Guardini, Anm. 131, 96f.
90
Vgl. Gegensatz, 15-24, bes. 23f., sowie 163-184. - Siehe dazu Kapitel II,2,b,bb [6], sowie oben unter
VI,1.
91
Vgl. bes. FGS 25-32. Siehe dazu in der Vorbemerkung zu Kap. VI,2.
92
EdN 77.
Der Wille zur Macht 389
Schon in seinen frühen Äußerungen zum neuzeitlichen "Begriff" wurde dieser in
direkte Beziehung zum technischen Apparat, zur Maschine gebracht:
"Beide beherrschen die Dinge dadurch, daß sie aus dem lebendigen Sonderver-
hältnis zum Einzelnen heraustreten, alle unter ein Ersatzzeichen stellen und so
eine künstliche Ordnung schaffen, in welche - ungefähr - alle passen."93
Das neuzeitliche Erkennen sucht nicht mehr "einzudringen, innezuwerden, mitzule-
ben"94, sondern zu herrschen:
"Dieses Wissen schaut nicht, sondern analysiert. Es versenkt sich nicht, sondern
packt zu. Es baut nicht ein Wesensbild, sondern eine Formel. Sein Wille ist, das
in Gewalt zu bekommen, von dem aus das Ding erzwungen werden kann: Das
rational formulierbare Gesetz. Damit ist auch Grundlage und Charakter seiner
Herrschaft gegeben: Zwang, willkürlicher, aller Ehrfurcht barer Zwang."95
Das bloße Erkennen aber wird in der Technik in die Tat umgesetzt; "und während der
Mensch alle inneren Bindungen durch organisches Maßgefühl und naturfolgende
Bindungsgestalt verliert, während er innerlich bild-, maß-, richtungslos wird, be-
stimmt er willkürlich seine Ziele, und zwingt die beherrschten Naturkräfte, sie zu
verwirklichen."96
Schon an dieser Stelle wies Guardini darauf hin, wie solcher Herrschaftswille sich
schließlich auch auf den Menschen selbst richten muß; die "Technik der Beherr-
schung des lebendigen Menschen",97 die sich aus der neuen "Biologie" entwickelt hat
und sowohl in der Politik wie in der "ungeheuren Organisation des wirtschaftlichen
Lebens" angewandt wird, aber auch das Bildungssystem bestimmt,98 "packt mit einer
so brutalen Gewalttätigkeit an", wie sie früheren Herrschaftsmcthoden "nie beigefal-
len wäre".99 Von der zugreifenden und zergliedernden Arbeit des Begriffs führte
damit eine gerade Linie über die technische Natur- zur politischen Menschenbeherr-
schung.
Mit solchen Äußerungen kommt Guardini aber so andersartigen Denkern wie Theo-
dor W. Adorno und Max Horkheimer erstaunlich nahe. Auch diese hatten - von einer
marxistischen Ausgangsposition her - den immanenten Herrschaftswillen der neuzeit-
lichen Vernunft klar herausgearbeitet.100 Wieder war es Descartes, der als Urheber
ausgemacht wurde; aber jetzt registrierte man nicht mehr nur die vom "cogito sum"
ausgehende idealistische Linie, die Hegel vor Augen hatte, als er Descartes den
"wahrhaften Anfänger" der modernen Philosophie nannte,101 sondern das einheitliche
Wissenschaftskonzept einer "mathesis universalis". Hierin sahen Adorno und Hork-
heimer einen Herrschaftsanspruch, der von der Herrschaft über die Natur zur Herr-

93
Briefe, 25; vgl. ebd., 21-25; zum "Begriff" vgl. Gegensatz, 17f. und 22f.
94
Briefe, 42.
95
Briefe, 43.
96
Briefe, 46.
97
Briefe, 45.
98
Vgl. Briefe, 44f.
99
Briefe, 46.
100 ygj Horkheimer/Adomo, Dialektik der Aufklärung. - Zur Parallelität mit Guardini vgl. auch Schlette,
Guardim 1973/1985, 34-36.
101
Siehe dazu oben zu Beginn von Abschn. l,a [bes. Anm. 3].
390 Die Kultur am Ende der Neuzeit

schaff über Menschen fortschritt und damit sein ursprüngliches Ziel humaner Selbst-
entfaltung in sein Gegenteil verkehrte.
"Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung
der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt... Technik ist
das Wesen dieses Wissens. Es zielt nicht auf Begriffe und Bilder, nicht auf das
Glück der Einsicht, sondern auf Methode, Ausnutzung der Arbeit anderer, Kapi-
tal."102
Auch für Martin Heidegger war das "Wesen" der neuzeitlichen Metaphysik mit dem
"Wesen" der Technik identisch.103 Erst in der Neuzeit nämlich werde der Mensch
von einem "Vernehmenden"104 zu einem "Subjectum", zu einem Seienden also, "auf
das sich alles Seiende in der Art seines Seins und seiner Wahrheit gründet."105 Und
erst jetzt könne Wissenschaft zur "Forschung" im Sinne einer "Vergegenständlichung
des Seienden"106, also eines "Vorstellens"107, werden- in Verbindung mit einer
Technik, deren Wesen eben das "vorstellende Herstellen" sei.
"Das Vorstellen ist nicht mehr das Vernehmen des Anwesenden, in dessen
Unverborgenheit das Vernehmen selbst gehört und zwar als eine eigene Art von
Anwesen zum unverborgenen Anwesenden. Das Vorstellen ist nicht mehr das
Sich-entbergen für..., sondern das Ergreifen und Begreifen von... Nicht das
Anwesende waltet, sondern der Angriff herrscht."108
Nach Heidegger hält sich die gesamte neuzeitliche Metaphysik, Nietzsche miteinge-
schlossen, in dieser, von Descartes angebahnten "Auslegung des Seienden und seiner
Wahrheit."109 Erst jetzt könne überhaupt von einem "Weltbild" gesprochen werden.
"Das Seiende im Ganzen wird jetzt so genommen, daß es erst und nur seiend ist,
sofern es durch den vorstellend-herstellenden Menschen gestellt ist."110
"Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild. Das Wort
Bild bedeutet jetzt: das Gebild des vorstellenden Herstellens. In diesem kämpft
der Mensch um die Stellung, in der er dasjenige Seiende sein kann, das allem
Seienden das Maß gibt und die Richtschnur zieht."'''
Die Vertreter der "Kritischen Theorie" ziehen aus ihrer Kritik der instrumentellen
Vernunft allerdings andere Konsequenzen als Heidegger; sie vertrauen auf die Selbst-
heilungskräfte dieser Vernunft, auf die immanente "Dialektik der Aufklärung", wäh-
rend letzterer eine radikale "Kehre" vollziehen möchte - hin zu einer wieder
"vernehmenden" Vernunft. Guardini wiederum ist gleichermaßen skeptisch gegen-
über der Leistungskraft der Vernunft, wie gegen die Aufforderung zum Ausstieg aus
der nun einmal eingetretenen Entwicklung. Schon die frühesten Zeugnisse der Kultur

102
Horkheimer/Adomo, Dialektik der Aufklärung, 10.
103 vg] Becher, Mensch und Technik, 176-280; G. Seubold, Heideggers Analyse der neuzeitlichen Tech-
nik, Freiburg-MUnchen 1986; Welsch, Postmoderne Moderne, 69f.
104
Vgl. Heidegger, Zeit des Weltbildes, 89.
105
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 86.
106
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 85.
107
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 90 u. ö.
108
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 106 (Zusatz 9; vgl. ebd., 104-109).
109
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 85.
110
Heidegger, Zeit des Weltbildes, 87.
1
' I Heidegger, Zeit des Weltbildes, 92.
Der Wille zur Macht 391

sind für ihn mit dem Willen zur Macht verbunden und führen zur Herrschaftsaus-
übung:
"Die Stoffe und Energien der umgebenden Natur werden entdeckt und nutzbar
gemacht. Die natürlichen Kräfte des Menschen, wie sie in seinen Sinnesorgani-
sationen, in seine Gliedern, in seiner Gestalt liegen, werden unterstützt und ihre
Wirkung vergrößert. Der Einfluß, den vermöge der Familien- und Stammesbe-
ziehungen ein Mensch auf den anderen ausübt, werden verstanden, geordnet, zu
den verschiedenen Formen sozialer Ordnung entwickelt und so fort."112
Die Neuzeit vollzieht gegenüber der gesamten vorausliegenden Entwicklung lediglich
einen weiteren, freilich einschneidenden Schritt:
"Die Wissenschaft als rationale Erfassung des Wirklichen und die Technik als
Inbegriff der durch die Wissenschaft ermöglichten Wirk-Anordnungen geben
dem Dasein einen neuen Charakter: den der Macht bzw. der Herrschaft in
einem, wenn man so sagen darf, akuten Sinn."113
Diese gegenwärtige "akute" Form ist Gegenstand von Guardinis Buch "Die Macht",
mit dem Guardini i951 seine kulturkritischen Werke fortsetzt. Ein wissenschaftlich
berechnetes und genau konstruiertes Funktionssystem löst sich vom Wirkzusammen-
hang des lebendigen Menschenkörpers immer mehr ab; aus einzelnen Maschinen wird
eine Fabrik, aus dieser ein Produktionsbereich, schließlich eine ganze Industrie. Dies
hat Rückwirkungen auf den arbeitenden Menschen selbst; denn dieser kann zwar den
Apparaten immer beliebigere Aufgaben setzen, muß ihnen aber seinerseits das eigene
Wollen und Gestalten anpassen. Die Möglichkeit individuellen Schaffens verschwin-
det mehr und mehr; es entsteht der "Arbeiter" und, auf der anderen Seite, der moderne
"Konsument, welchem durch Serienproduktion, Reklame und Verkaufstechnik die
Geschmacksmöglichkeiten vorgeschrieben werden."114 Ein völlig neuer Menschentyp
entstehe, der sich vom bisherigen Leitbild des "Humanen" radikal unterscheide.115
Hervorstechend ist vor allem die "Sachlichkeit" dieses Menschen, die es ihm einer-
seits ermöglicht, "sich ohne Rücksicht auf persönliche Empfindungen den jeweiligen
Aufgaben zuzuwenden", andererseits aber auch eine zunehmende "Gleichgültigkeit
im Verhältnis zum Menschen und zu den Dingen des Lebens" mit sich bringt.116 Es
kommt zur Auflösung der gewachsenen menschlichen Lebensgeftige, vor allem der
Familie. Der moderne Staat wird immer mehr zu einem "System beherrschender For-
men".
"Eine immer weiter sich verfeinernde Technik der Bestandsaufnahme, organisa-
torischen 'Erfassung' und behördlichen Verwaltung - hemmungslos ausgedrückt:
eine immer schärfer ausgebildete 'Menschenbewirtschaftung' neigt dazu, mit den
Menschen in der gleichen Weise umzugehen, wie die Maschine mit den Stoffen,
aus denen sie ihre Produkte herstellt."117

112
Macht, 129; vgl. ebd., 126-129.
113
Macht, 131; vgl. ebd., 129-131.
114
Macht, 132f.;vgl.ebd., 131-133.
115
Vgl. Macht, 133-137- Zum Begriff des "nicht-humanen" Menschen siehe im nächsten Abschnitt.
116
Macht, 134.
117
Macht, 138.
392 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Die Bedeutung ethischer Normen für das allgemeine Leben nimmt ab und wird von
Gesichtspunkten der Wirkung und des Erfolges ersetzt.118 "Dieses Verschwinden der
unmittelbar wirksamen ethischen Bindungen ist es, was den Menschen endgültig an
die Macht ausliefert."119 Hinzu tritt das Schwinden der religiösen Wertigkeit des
Daseins. "Die Dinge verlieren ihr Geheimnis und werden zu berechenbaren Gebilden
mit bestimmten wirtschaftlichen, hygienischen, ästhetischen Werten."120 Auch dies
verstärkt, ja "besiegelt" jene Wirkung, die mit dem Verlust der ethischen Bindungen
angedeutet war: "der Mensch kommt, mit allem, was er ist und hat, dem Zugriff der
Macht zur Verfügung."121 Damit enthülle die neuzeitliche Kultur selbst, daß die von
ihr ausgehende Machtsteigerang nicht automatisch "Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt,
Fortschritt" bedeutet, sondern auch in eine immer größere Gefährdung führt.122 Es
gelte klar zu erkennen,
"daß die eigentliche Rechtfertigung des kulturellen Strebens nicht in einem wie
immer gefaßten Nutzen liegen kann, weil dieses ganze Erkennen, Arbeiten,
Gestalten für den Menschen auch eine stets tiefer greifende Gefährdung mit sich
bringt. Kulturell leben heißt letztlich, aus der Entscheidung des Geistes leben;
das aber bedeutet, je größer die Verfügungsgewalt über die Welt wird, auf desto
größeres Wagnis hin leben."123
Als erstes müsse man sich daher eine Vorstellung von dieser Gefahr bilden. Guardini
erinnert zunächst daran, welches Ausmaß in Zukunft der Krieg annehmen würde:
"Die Zerstörungen an Menschenleben und Leistungskraft, an wirtschaftlichen
Gütern und kulturellem Besitz, die ein neuer Krieg verursachen würde, überstei-
gen jede Schätzung."124
Die inneren Folgen wären nach Guardini aber noch furchtbarer, auch bei den
"Siegenden"; es wäre "die Vollendung dessen, was Nihilismus heißt."125 Eine zweite
Gefahr:

118
Vgl. Macht, 139.
119
Macht, 140.
120
Macht, 142.
121
Macht, 143. Aufgrund dieser Gegenwartsanalyse muß die kritische Nachfrage von Hans Urs von
Balthasar stark relativiert werden: "Hat er je der schreienden materiellen Not der menschlichen Massen scharf
ins Antlitz geschaut? Das Entsetzen des jungen Marx vorder Welt, wie sie wirklich ist, verspürt?" (Guardini,
108). Sicher lebte Guardini in einer gut situierten bürgerlichen Existenz, auch im Weltkrieg in der beschauli-
chen Umgebung des Mooshausener Pfarrhauses. Sicher hat er außerdem als Intellektueller weniger unmittel-
bar die materielle Armut im Sinne der Marxisten und Gesellschaftskritiker reflektiert und eher nach dem
"Wesen" des Menschen als nach seinen äußeren Lebensumständen gefragt. Aber standen Adorno und Hork-
heimer (und von Balthasar) der materiellen Not der menschlichen Massen näher? Und betraf das, was Guar-
dini in seiner Zeitanalyse an Gefahren nannte, etwa nicht den arbeitenden Menschen, auf den "Die Macht" ja
sogar direkt Bezug nimmt (s. o.)?
122
Vgl. Macht, 144.
123
Macht, 146.
124
Macht, 148f. - Guardini verweist auf eine Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Truman,
"daß die Vereinigten Staaten über neue Waffen verfügten, deren Zerstörungskraft die der Atombombe überträ-
fen. Diese Waffen könnten im Falle eines allgemeinen Krieges die Zivilisation auslöschen" (FAZ vom 6. 9.
1951; zit. Macht, Anm. 18, 149).
125
Macht, 149.
Der Wille zur Macht 393

"Der Mensch bekommt immer mehr Macht über den Menschen selbst, vermag
ihn körperlich, seelisch, geistig immer tiefer zu beeinflussen - nach welcher
Richtung hin wird er es aber tun?"126
Zwei politische Systeme des 20. Jahrhunderts, der Nationalsozialismus und der Bol-
schewismus, haben nach Guardini bereits damit experimentiert.
"Unterschätzen wir die geschichtliche Kraft solcher Experimente nicht - um so
weniger, als in der ganzen Struktur unseres heutigen Lebens, seiner Rationalisie-
rung und Mechanisierung, seiner Technik der Meinungslenkung wie seiner päd-
agogischen Möglichkeiten ein beständiger Anreiz liegt, sie nachzuahmen."127
Aber nicht nur die Folgen falscher Machtausubung, sondern die Tatsache der Macht
als solche bringe eine Gefährdung des Daseins hervor. Immer mehr könne nämlich
die Meinung entstehen, daß alles mit Gewalt zu erreichen sei, während doch schon
das Lebendige, um so mehr aber das Personale etwas enthielten, was nur durch
"lebendige Aneignung, echte Überzeugung, inneres Einstehen", sowie durch
"Ehrfurcht, Ermutigung, Geduld" erreicht werden könne.128 Auch derjenige, der die
Macht ausübe, gerate dadurch in Gefahr:
"Es gibt nichts, was die Reinheit des Charakters und die höheren Qualitäten der
Seele derart in Frage stellte wie sie. Im Besitz einer Macht zu sein, die nicht
durch sittliche Verantwortung bestimmt und durch Ehrfurcht vor der Person
gebändigt ist, bedeutet Zerstörung des Menschlichen einfachhin."129
"Denn es gibt keine Wirkung, die nur auf ihren Gegenstand, ob Ding oder
Mensch, ginge; jede erfaßt auch den, der sie vollbringt. Es ist die furchtbare
Illusion des Handelnden, zu meinen, was er tut, bliebe 'draußen': in Wahrheit
geht es auch in ihn ein; ja, es ist früher in ihm selbst, als im Gegenstand seines
Handelns."130
Die Gefahren, die Guardini aufzeigt, sind deutlich an dem abgelesen, was in der un-
mittelbaren Vergangenheit in Deutschland vor sich gegangen ist. Aber mit dem Ende
des Nazi-Terrors sieht er die Gefahr der Macht selbst keineswegs gebannt - nicht nur,
weil jederzeit die Möglichkeit einer neuen Diktatur besteht, sondern weil auch in
einer demokratischen Gesellschaft der Wille zur "Ganzheit", der sich als Wille zur
"Macht" entpuppt hat, am Werk ist. Guardini spricht von einem "demokratischen
Totalismus", "jenen nämlich, in welchem die Bürokratie herrscht, die Publizistik das
Denken typisiert, die Werbung in die Motivationen eindringt, und die Privatsphäre
sich immer mehr auflöst."131 Die tatsächliche Macht des Menschen zeige sich auch in
der Möglichkeit des "absoluten Krieges", der nicht einfach mit dem "totalen Krieg"
der unmittelbaren Vergangenheit identisch sei.132 In ihm artikuliere sich vielmehr die
ins Ungeheure gewachsene Macht des Menschen überhaupt, sofern sie sich gegen das

126
Macht, 149.
127
Macht, 151; vgl. ebd., 149-151.
128
Vgl. Macht, 151 f.
129
Macht, 152.
130
Macht, 153.
131
Religion und Offenbarung, Anm. 7, 42 zum Zusammenhang zwischen "Autonomismus" und "Totalis-
mus" vgl. auch ebd., 42,128f., 198, 199f.
132
Vgl. Suche nach dem Frieden, 13-20.
394 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Leben selbst wende. 133 Die "Angst" des "nach-neuzeitlichen" Menschen, die im Exi-
stentialismus thematisiert wird (vgl. dazu oben Abschnitt l,c,bb [2]), entspringt nach
Guardini daraus,
"daß die ungeheuerliche Macht, welche er in den Händen hat, sich aus der Ord-
nung gelöst hat; daß sie, im letzten und ganzen, weder verantwortet noch
gelenkt ist. Der moderne Krieg aber bildet die heftigste Vergegenwärtigung der
drohenden Gefahr."134
Darum richtet Guardini seine Hoffnung auch nicht auf einen umfassenden Macht-
verzicht des Menschen, sondern - wie schon in den "Briefen" aus Italien (vgl. Kapitel
IV, 1, b und c) - auf einen neuen Umgang mit den eigenen Möglichkeiten. Der Sinn
der kommenden Epoche liege
"in der Bändigung der Macht durch den Menschen, der in Würde und Freiheit,
in lebendiger Spontaneität und in der Freude des Lebens existieren will."135
Er glaubt an diese Möglichkeit,136 wenn er auch um die großen Anstrengungen weiß,
die zur Verwirklichung einer neuen Haltung nötig sind. Aber:
"Wenn einmal - wer weiß, um welchen Preis? - die neue Haltung gewonnen ist
und der Mensch auf die Neuzeit zurückblickt, wird er den Kopf schütteln. Er
wird die Art, wie sie an den 'Fortschritt' glaubte, als unbegreiflich primitiv emp-
finden; die Unbedenklichkeit, mit der sie immer neue Macht gewann, ohne sie
durch ein entsprechendes Ethos zu sichern, als Verantwortungslosigkeit; die
Methode, hier eine Macht loszulassen und ihr dort eine andere entgegenzustel-
len, als Barbarei. Man wird eine neue Überlegenheit entwickeln; eine Fähigkeit
geistigen Regierens, nicht nur über den Menschen, sondern über die Mächte des
Menschen. Und sie wird von der Freiheit des mündigen Menschen getragen
sein, der sich nicht mehr berauschen läßt, sondern weiß, daß seine Existenz in
die Zone der äußersten Gefahr getreten ist."137
In diesem kritischen Optimismus artikuliert sich noch einmal Guardinis "Ja" zur
Gegenwart, das - so schwer es auch dem fallen mag, der mit seinem Herzen noch an
der Zeit vor der "Epochenschwelle" hängt - ausgesprochen und verwirklicht werden
muß. Mit dieser "Annahme" unterscheidet sich Guardini entscheidend von anderen
"Auguren",138 die auf den epochalen Umbruch verweisen und einen radikalen Neuan-
fang verkünden. Auch angesichts des bedrückenden Machtpotentials in der gegen-
wärtigen Menschheit und der davon ausgehenden Gefahren bleibt er davon überzeugt,
daß die Bewältigung der Zukunft nie gegen, sondern immer nur mit den kulturellen
Möglichkeiten der eigenen Epoche zu geschehen hat.
Genau dies aber will Guardini in seinen kulturkritischen Spätschriften vermitteln,
unter denen die Schrift über das "Ende der Neuzeit" die größte Breitenwirkung erzielt
hat.

133 vgl. Suche nach dem Frieden, 17.


134
Suche nach dem Frieden, 21 f.
135
Suche nach dem Frieden, 28.
136 vgl. die ausdrückliche Beteuerung in: Macht, 154.
137
Suche nach dem Frieden, 23f.
138
Vgl. Münster, Ende der Neuzeit?, 2 (siehe das Zitat zu Beginn des nächsten Abschnitts).
Orientierung und Wegweisung 395

3. Orientierung und Wegweisung am "Ende" der Neuzeit

Was Guardini über seine Schrift "Welt und Person" sagt, gilt in gewissem Sinne von
allen seinen Werken:
"Sie sind keine 'Abhandlungen'; Darlegungen überschauter und durchgearbeiteter
Gegenstände, sondern Experimente, worin gewisse Gedanken an die sehr verwo-
benen Zusammenhänge herangetragen werden, damit sich zeige, was sie
leisten."1
Der Autor wußte sich "auf dem Wege",2 wobei dieser Weg nie nur sein ganz persönli-
cher Weg war, sondern immer auch derjenige der Gegenwartskultur insgesamt. Die
Krisenstimmung nach dem Ersten Weltkrieg und noch mehr die Gewalt des nationalso-
zialistischen Staates ließ nun freilich an ein kontinuierliches Weiterschreiten nicht
mehr denken. Vielmehr ging es nach Auffassung Guardinis um einen epochalen Neu-
aufbruch, dessen entscheidende Momente er in seinen Spätschriften, vor allem aber in
den beiden Abhandlungen "Das Ende der Neuzeit" (1950) und "Die Macht" (1951),
herausstellen wollte. Die entscheidenden Passagen des zuletzt genannten Werkes
haben wir oben bereits vorweggenommen, weil sich dies aus dem Zusammenhang her-
aus nahelegte und weil das darin behandelte Thema, die "Macht", im Grunde auch
schon für die zuvor erschienene Schrift bestimmend war.
Schon 1946 hatte der Soziologe Alfred Weber den "Abschied von der bisherigen Ge-
schichte" angesagt - vorbereitet durch frühere, bereits im Anschluß an den Ersten
Weltkrieg entwickelte Gedanken.3 1948 meldete sich der Kunsthistoriker Hans
Sedlmayr zu Wort und sprach im Blick auf die Entwicklung der Bildenden Kunst im
19. und 20. Jahrhundert von einem "Verlust der Mitte"4, und zwei Jahre später reflek-
tierte der Schriftsteller Ernst Jünger über die "Linie", die den bisher herrschenden "Ni-
hilismus" von einer noch unbekannten Zukunft trenne.5 Gleichzeitig nahm der katholi-
sche Philosoph Josef Pieper die Gelegenheit wahr, anläßlich der epochalen Wende
vom "Ende der Zeit" überhaupt zu sprechen.6 Sie alle traten in die Fußstapfen früherer
Zeitdeuter - "Donoso Cort6s und Tocqueville, Nietzsche und Solowjew, Spengler und
Toynbee: jeder von ihnen Geschichtsphilosoph, Zeitkritiker und Augur neuer Art in
einem."7 Behutsamer als diese waren Karl Jaspers und Martin Heidegger in ihren
Analysen aus den dreißiger Jahren ans Werk gegangen.8 Alle aber waren vom Ende
der vergangenen Epoche überzeugt und fragten nach der Gestalt der künftigen. Diese
Frage beschäftigte jedoch auch die junge Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. In
der Erfahrung des radikalen "Zusammenbruchs" war sie bereit, die Prognose einer ra-
dikalen Epochenwende ernst zu nehmen, die sie den Worten erfahrener Persönlichkei-
ten entnehmen konnten. Es waren die alten kulturkritischen Traditionen, die jetzt eine
1
WP 10.
2
Vgl. den Titel der Aufsatzsammlung von 1923.
3
Vgl. Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie (1935), bes. 420-425, 433 und 444f; dann ders., Ab-
schied von der bisherigen Geschichte (1946).
4
Vgl. Sedlmayr, Verlust der Mitte (1948).
5
Vgl. Jünger, Über die Linie. - Auch der Untertitel von Webers Buch fragt: "Überwindung des Nihilismus?"
6
Vgl. Pieper, Das Ende der Zeit.
7
Vgl. Münster, Ende der Neuzeit?, 2.
8
Jaspers, Die geistige Situation der Zeit (1930); Heidegger, Die Zeit des Weltbildes (1938).
JVO Die Kultur am Ende der Neuzeit

neue Wiederbelebung erfuhren - Impulse Nietzsches und Spenglers,9 oder aber christ-
liche Perspektiven.10 Die sie vertraten, waren Menschen, die schon den Aufbruch der
Jugendbewegung nach dem Ersten Weltkrieg mitgemacht hatten und nun erneut an die
Öffentlichkeit traten.
Von Guardini hatten viele eine so unmittelbare Einmischung in das Zeitgeschehen
gar nicht erwartet. Walter Dirks, ein "Jugendbewegter" aus der Schule Guardinis,
wußte es besser:
"Das gleiche geschichtliche und heilsgeschichtliche Bewußtsein trägt alle Arbei-
ten dieses bedeutenden Mannes. Immer geht es darum, unseren wahren Ort und
unsere wahre Stunde in der Geschichte des Heils, in der Geschichte des mensch-
lichen Geistes und nun auch in der Geschichte der Gesellschaft und ihrer politi-
schen Ordnungen und Unordnungen zu erkennen, und immer gilt es, aus dieser
Wahrheit über unseren Ort so viel über denrichtigenWeg auszumachen, wie ein
Mensch, der kein politischer Hochstapler sein will, das redlich zu tun vermag. In
seinen beiden neuen Büchern spricht er direkter über diesen Weg, aber nicht
anders als sonst."11
Der eigentliche Ausgangspunkt der Schrift über das "Ende der Neuzeit" lag bei einer
Betrachtung der Gestalt Blaise Pascals, mit der sich Guardini bereits in den ersten Jah-
ren der Berliner Vorlesungstätigkeit beschäftigt hatte (vgl. dazu Kapitel V,2,b,aa). Als
er nun in Tübingen auf sie zurückkam, richteten sich seine Überlegungen mehr und
mehr auf die Kultur selbst, in der Pascal stand:12
"In langem Umgang mit den Gedanken des großen Naturforschers, Psychologen
und Philosophen der christlichen Existenz war mir deutlich geworden, wie eigen-
tümlich er in der Neuzeit steht. Er gehört zu jenen, welche deren Situation den-
kend und lebend vollziehen; während aber etwa ein Descartes - der große Zeitge-
nosse und Gegner Pascals - ganz in ihr aufgeht, reicht dieser über sie hinaus."13
Die Frage, von welcher Art eigentlich die Epoche Pascals und Descartes' gewesen sei,
veranlaßte Guardini dann zunächst, "das Wesen der mittelalterlichen Weltansicht zu
zeichnen", um davon die "neuzeitliche Anschauungs- und Denkform, und das Bild
vom Dasein, welches daraus erwuchs", abzuheben.
9
Zu Nietzsche vgl. etwa: Weber, Abschied, 144-217; Jünger, Linie, 249f. u. ö. - Zu Spengler vgl. v. a.:
Sedlmayr, Verlust der Mitte, 232-235 u. ö.
10
Vgl. bes. Sedlmayr, Verlust der Mitte; Pieper, Ende der Zeit.
1
' Dirks, Ende der Neuzeit, 32.
12
Vgl. EdN 9: "Die drei Kapitel dieser Schrift hatten ursprünglich die Aufgabe, eine Vorlesung über die
Anschauungen Pascals von der Welt und dem Menschen einzuleiten." Ebd., 10: "Der Leser findet also in dieser
Schrift keine Abhandlung, sondern eine Folge von Vorlesungen, die zuerst im Wintersemester 1947/48 an der
Tübinger, dann, im Sommer 1949, an der MUnchener Universität gehalten worden sind." Die erste Angabe
stimmt mit dem Tübinger Vorlesungsverzeichnis dieses Semesters nicht Uberein (vgl. Mercker, Bibliographie,
Nr. 668); eine Pascal-Vorlesung wird in Tübingen erst rar das Wintersemester 1946/47 angekündigt ("Pascals
Bild von der Welt, dem Menschen und der Gesellschaft"; vgl. ebd., Nr. 643). Die Widersprüchlichkeit der An-
gaben verkompliziert sich noch durch ein im Nachlaß erhaltenes Typoskript unter dem Titel "Zwischenspiel in
der Tübinger Vorlesung über das Menschenbild Pascals (Juli 1949)"*. Auch für das Sommersemester 1949 ist
in Tübingen jedoch eine andere Vorlesung (über Dostojewskij) angekündigt (vg). Mercker, Bibliographie, Nr.
732), dafür freilich eine Pascal-Vorlesung in München ("Einführung in die geistige Welt Pascals"; vgl. ebd.,
Nr. 733). Möglich ist, daß Guardinis Erinnerungen nicht sehr genau waren; vielleicht sind aber auch manche
Vorlesungsankündigungen doch nicht so zuverlässig, wie es scheint - besonders für die Phase, in der Guardini
teilweise zwischen München und Tübingen pendelte.
13
EdN 9.
Orientierung und Wegweisung 397

"Das schien um so eher möglich, als die Neuzeit im Entscheidenden zu Ende


gegangen ist; eine Zeitgestalt aber erst dann ganz sichtbar wird, wenn sie
sinkt."14
Von hier versuchte er dann aber, auch einen Blick "auf die kommende, noch unbe-
kannte Epoche" zu werfen.
"Und während mir Descartes in dieser kommenden Zeit keinen Ort zu haben
schien, glaubte ich zu sehen, daß Pascal ihr in lebendiger, ja helfender Weise
nahekomme."15
Man beachte, wie vorsichtig Guardini spricht - im Sinne jenes tastenden Suchens, von
dem oben die Rede war. Ebenso wird deutlich, daß nicht er die Neuzeit "abschaffen"
will, um an ihre Stelle etwas Neues (oder gar wieder etwas "Altes", etwa eine Neuauf-
lage des Mittelalters!) zu setzen. Die Neuzeit hat sich nach dieser Überzeugung viel-
mehr selbst abgeschafft und einer neuen Zeitgestalt Platz gemacht.16 Es kam nicht
mehr darauf an, ob man für oder gegen das "Ende der Neuzeit" war, sondern darauf,
wie man zur neuen "nach-neuzeitlichen" Kultur in das rechte Verhältnis trat.
Aus einer Umfrage unter Studenten, die 1957 durchgeführt wurde und in der unter
anderem nach den wichtigsten Beiträgen zur Klärung der geistigen Situation gefragt
wurde, ergab sich, daß Guardinis Schrift dabei ganz oben rangierte.17 Für Heinz
Robert Schlette handelt es sich sogar um "eines der bedeutendsten Bücher der Nach-
kriegszeit", das, wie immer man auch zu der Grundthese stehen mochte, noch immer
nichts von seiner "diagnostischen und prognostischen Kraft" verloren hatte.18 Biser
vergleicht die Arbeit mit Jaspers Untersuchung über "die geistige Situation der Zeit",
die zwar differenzierter und umfassender vorgehe und deren geradezu prophetische
Aktualität sich erst im Nachhinein voll erschließe, aber nicht wie bei Guardini zu jener
"Klarheit der Zusammenschau" führe, "die eine Gesamtbestimmung im Sinn des Titels
'Ende der Neuzeit' ermöglicht."19
"Daß es Guardini im Unterschied dazu gelingt, das Ergebnis seiner Analysen und
Strukturbestimmungen auf den Nenner dieser Formel zu bringen, ist die Folge der
von ihm einleitend geübten 'Kritik der Weltbilder', mit der er sich ebenso weit
von Jaspers entfernt, wie er sich Heideggers Erwägungen über 'Die Zeit des
Weltbildes' (von 1938) annähert."20
Guardini bezeichnet den ersten Band der geplanten Trilogie21 ("Das Ende der Neu-
zeit") als "Versuch zur Orientierung", den zweiten ("Die Macht") als "Versuch einer
Wegweisung" (so die jeweiligen Untertitel). Dem ersten Überblick sollten also konkre-
14
EdN 9.
15
EdN9f.
16
Lina Börsig-Hover dagegen geht in ihrer engagierten Schrift "Zeit der Entscheidung" offenbar davon aus
(1990), daß die Gegenwart noch nicht die von Guardini erwartete kommende Epoche darstellt, ja daß dieses
(als Idealbild verstandene) "Kommende" ersi noch herbeigeführt werden muß (vgl. ebd., 130, 133, 160 u. ö ) .
17
Vgl. Wissen und Leben, Stuttgart 1957, Nr. 8, 9-12; FAZ 1957, 5. April- Ebenso genannt wurden Hans
Sedlmayr, Albert Schweitzer, Martin Buber, Karl Jaspers, Jean Paul Sartre, Martin Heidegger und Thomas
Mann.
18
Vgl. Schlette, Guardini 1973/1985, 20.
19
Biser, Interpretation, 88f.
20
Biser, Interpretation, 89.
21
Ein dritter sollte ursprünglich dem Werk Nietzsches gelten; vgl. das unveröffentlichte Manuskript "Die
Macht und der Nihilismus"* (Guardini-Archiv der Kath. Akademie in Bayern), sowie den Tagebucheintrag
vom 23. 3. 1954 (Wahrheit des Denkens, 87).
398 Die Kultur am Ende der Neuzeit

te Impulse für den künftigen Weg folgen. So ergibt sich für die folgende Darstellung
ebenfalls eine Zweiteilung: Dem orientierenden Blick auf den Zustand der Kultur am
"Ende" der Neuzeit (a) folgt die Suche nach geeigneter Wegweisung, die zum Handeln
in der Zukunft befähigt (b).

a. Die Neuzeit am "Ende"

Guardini schickt seinen Ausführungen zum "Ende der Neuzeit" einen Überblick über
die früheren Epochen voraus. Es geht dabei nicht um eine historische Darstellung,
sondern um die Konzentration auf das Wesentliche, die freilich - das gilt es einschrän-
kend schon hier zu bemerken - stark durch die Abhebung vom Späteren beeinflußt und
daher notwendigerweise verkürzend ist. So ist die Antike schlicht das, woraus sich das
Mittelalter entwickelt, das Mittelalter das, wogegen die Neuzeit sich abgrenzt und die
Neuzeit das, was eben jetzt, in der "Nach-Neuzeit", "im Entscheidenden zu Ende
gegangen ist"22. Der platonisch geprägte und in "Welt-Anschauung" eingeübte Denker
sieht Wesensbilder, in denen sich die vielen geschichtlichen Einzelheiten bündeln,
nicht aber differenzierende Geschichtsabläufe, die in einem analysierenden Vorgehen
nachgezeichnet werden sollen.23 Wenn man so will, geht es um überzeitliche Grund-
haltungen, die sich in bestimmten Epochen vorrangig ausgeprägt haben, während
sekundäre, aber nicht unwichtige Elemente dieser Epochen nicht zur Sprache kommen
oder bereits als Ansätze für die spätere bzw. als Nachklänge der früheren Epoche an-
gesehen werden.
So erheben sich gegen Guardinis Darstellung schnell Einwände. Wir tragen dem im
Rahmen der folgenden Ausführungen dadurch Rechnung, daß wir seine Gedanken
jeweils gleich mit der Kritik zeitgenössischer Autoren konfrontieren.

aa. Das Mittelalter


(1) Abhebung von der Antike
Das Gesetz, daß eine Epoche als Epoche erst dann ganz sichtbar wird, wenn sie schon
im Sinken begriffen ist (vgl. dazu bereits oben im Blick auf die neuzeitliche Epoche!),
war Guardini vor allem bei Dante aufgegangen.24 Das von ihm dichterisch gestaltete
"Weltbild" wird als der repräsentativste Ausdruck der mittelalterlichen Epoche ver-

22
EdN 9.
23
Zum Geschichtsverständnis Guardinis siehe oben Kap. VI,l,d,aa. - Kritisch bemerkt Biser, daß "eine fast
ausschließlich auf Intuition gegründete Geschichtsbetrachtung unvermeidlich formal und blaß wirken muß.
Außerdem fehlt der Intuition dann das für ein ausgewogenes Urteil unerläßliche Korrektiv, so daß sie dazu
neigt, die wahrgenommenen Sachverhalte zu überzeichnen und die entdeckten Strukturen zu verdinglichen"
(Interpretation, 92). Aus diesem Grund reichen nach Biser die zeitanalytischen Studien "an Sensibilität und
Gestaltungskraft nicht an die 'weltorientierenden' Schriften und schon gar nicht an die großen Interpretations-
werke" heran (ebd.).
24
Vgl. Landschaft der Ewigkeit, 155 (innerhalb eines zeitgleich zu EdN erschienenen Beitrags - für die
Festschrift zu Heideggers 60. Geburtstag! -, dessen Titel dann auch zum Titel des Buches überhaupt geworden
ist: "Landschaft der Ewigkeit"; vgl. ebd., 125-156). Vgl. auch: Seinsordnung, 431; Dantes Persönlichkeit, 222f.
- Siehe dazu auch Kap. V,2,b,cc.
Das Mittelalter 399

standen.25 Es korrespondiere mit den gewaltigen Synthesen der großen Theologen, be-
sonders jedoch dem Denken des von Guardini immer noch hochgeschätzten Bonaven-
tura.26 In ihm bezeuge sich der "konstruktive" Charakter des mittelalterlichen Den-
kens, der Sinn für die großen "Ordnungen" des Daseins, als dessen künstlerische Ent-
sprechung bei Guardini immer wieder die Architektur der Kathedrale erscheint.27
Das Mittelalter-Bild der zwanziger Jahre wird jetzt also wiederaufgenommen (vgl.
Kapitel IV,l,a). Von hier war Guardini auch der Gedanke des Weiterwirkens der Anti-
ke vertraut, so daß die Darstellung des Mittelalters von einer grundlegenden Gemein-
samkeit beider Epochen ausgeht:
"Beide sehen und, was noch wichtiger ist, empfinden die Welt als begrenztes Ge-
bilde, als geformte Gestalt - bildlich gesprochen, als Kugel."28
Der "Ordo"-Gedanke, der Antike und Mittelalter verbindet, wird hier in einer ganz be-
sonderen Akzentuierung formuliert, nämlich schon aus der Perspektive der späteren
neuzeitlichen Entwicklung, in der die Welt sich immer mehr "zu dehnen und ihre Kon-
turen zu sprengen" beginnt.29 Die "Ordnung" innerhalb dieser endlich gedachten Welt
wird nach Guardini aber schon von Antike und Mittelalter unterschiedlich gewährlei-
stet - und dies ist auch der einzige Gesichtspunkt, unter dem die Antike von Guardini
vorgestellt wird: Während es für das Mittelalter nämlich einen außerhalb der "Welt"
im Ganzen liegenden Punkt gab, durch den die Ordnung gewährleistet wurde,30 gehö-
ren die antiken Göttergestalten ebenso zur "Welt"31 wie die letzten Prinzipien der
Philosophen - das "reine Sein" des Parmenides, das "Gute" Piatons, der "unbewegte
Beweger" des Aristoteles und das "Über-Eine" Plotins.32 Der antike Mensch
"betrachtet die Welt in keinerlei Sinn 'von außen' her, sondern nur 'von innen'. Ihr
Bild ist das Ergebnis einer Selbstabgrenzung, welche das Chaotisch-Endlose ab-
wehrt und auf das Übermäßige verzichtet - und eines Harmoniegefühls, welches
das Seiende als 'Kosmos', als Schön-Geordnetes empfindet."33
Daher kommt auch die Welt als "Ganzes" gar nicht in den Blick; das Leben bleibt
"freizügig" - womit Guardini meint, daß der Einzelne noch keinen fest zugewiesenen

25
Vgl. EdN 25: "Den vielleicht mächtigsten Ausdruck findet diese zur Einheit geformte Weltfülle in Dantes
Göttlicher Komödie. Sie entsteht am Ende des Hochmittelalters, in einem Augenblick, da dessen Gestalt bereits
zu sinken beginnt. Um so klarer wird sie geschaut, um so inbrünstiger geliebt und mit um so leuchtenderer
Herrlichkeit dargestellt." Daß freilich in dieser Idealisierung gerade das Problem der Verzeichnung liegt,
scheint Guardini nicht beachtet zu haben; siehe dazu unten.
26
Vgl. EdN 20f. und 23f. Die großen "Summen" enthalten nach Guardini "aus Gedanken errichtete Welt;
ein Ganzes, dessen unendliche Differenzierung und großartige Einheit mit dem Bilde der Kathedrale vergli-
chen werden kann, in welcher alles außer dem nächst-wirklichen auch einen symbolischen Charakter hat und
dem Menschen ein religiöses Leben und Schauen ermöglicht" (ebd., 20f).
27
Vgl. EdN 20 und 24- Theologisch ist für Guardini, auch hier im Anschluß an Bonaventura, der Gedanke
der "Hierarchien" typisch; ferner wird die Liturgie hervorgehoben, die sich streng in den Ordnungen von Raum
(Kirchenbau) und Zeit (Kirchenjahr) entfaltet, aber sich auch literarisch niederschlägt (liturgische Bücher,
volkstümliche Hausbücher wie die "Legenda aurea"); vgl. ebd., 24f.
28
EdN 11.
29
EdN 33; vgl. Dostojewskij, 212; WP 84.
30
Vgl. EdN 15f.
31
Vgl. EdN 11-13. Vgl. dazu noch einmal das in V,2,c,cc [Anm. 83] Gesagte, sowie die dort angeführten
bestätigenden Äußerungen von W. F. Otto und K. Kerenyi.
32
Vgl. EdN 12.
33
EdN 13.
4.00 Die Kultur am Ende der Neuzeit

notwendigen "Ort" im "Ganzen" erhalten hat.34 Dies gelte auch vom römischen Staat,
der es endlich doch unternommen habe, den "orbis terrarum" zu organisieren.
"Römische Geistesart ist aber so realistisch, allem Theoretischen, vollends allem
Metaphysischen so abgeneigt und bei aller Härte im Politisch-Notwendigen dem
Leben gegenüber so weitherzig, daß auch in ihrem Bereich die antike Freizügig-
keit nicht aufgehoben wird."35
Der Philosoph Gerhard Krüger wendet an dieser Stelle ein, man müsse doch genauer
zwischen den einzelnen griechischen Philosophen unterscheiden:
"Guardini wird immer auf die unüberwundene Rückbindung der antiken Theolo-
gie an die Welt hinweisen können. Er wird aber schwer leugnen können, daß die
Überwindung dieser mythischen Befangenheit in bestimmten Grenzen doch ge-
lingt und das Streben danach vom ganzen Sinn und Wesen der metaphysischen
Philosophie untrennbar ist."36
Andernfalls hätten doch die "philosophierenden Theologen" des Mittelalters für ihre
Konstruktion nicht ihre Prinzipien und Methoden übernehmen können.37 Guardini
denke wohl zu sehr von Pascal her, der zwischen dem "Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs" und dem "Gott der Philosophen" eine tiefe Kluft fand, aber wohl weniger die
antike Philosophie als vielmehr Descartes vor Augen hatte. Krüger zeigt sich über-
rascht darüber, daß Guardini im Grunde selbst platonisch denke, aber dennoch der
antiken Metaphysik keine selbständige Bedeutung zuerkenne. "Wenn er das aber täte -
müßte er seine Darstellung der Antike nicht mehr an ihrem Logos als an ihrem Mythos
orientieren? Die Bedeutung der Antike würde dadurch jedenfalls steigen."38
Krügers Einwände weisen in der Tat auf Schwächen in Guardinis Einstellung zur
antiken Philosophie, ja zum "natürlichen" philosophischen Denken überhaupt hin.
Allerdings hat Guardini sich intensiv mit den platonischen Dialogen auseinanderge-
setzt und gerade die sokratische Frage nach der Wahrheit sehr hochgeschätzt.39 Es
hängt aber nicht nur von Pascal, sondern von seinem Offenbarungsverständnis über-
haupt ab, daß er wirkliche "Transzendenz" in keinem noch so kühnen spekulativen
Aufschwung erreicht sehen kann. Gegenüber dem sich offenbarenden lebendigen Gott
ist aus der Sicht eines Glaubenden jede noch so sehr über diese Welt hinausstrebende
Wahrheitssuche immer noch ein Bemühen innerhalb dieser Welt. Im Mittelalter fand
Guardini dagegen den Standpunkt eines wberweltlich begründeten Glaubens - und zwar
nicht nur bei einzelnen Gläubigen, sondern im gesamten "Daseinsgefühl und Weltbild"
der Epoche. Hier bilde die absolute Souveränität Gottes gegenüber der Welt die neue,

34
Vgl. EdN 13-15.
35
EdN 15.
36
Krüger, Zukunft, 76f. - Krüger erwähnt als Beispiel etwa die Seelen im platonischen "Phaidros", die über
den "Himmel" hinaus einen "überhimmlischen" Ort erspähen (ebd., 76). Er verweist dazu auf sein Buch: Ein-
sicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt a. M. 1939 (21948).
37
Vgl. Krüger, Zukunft, 77f.
38
Krüger, Zukunft, 78.
39
Vgl. dazu: Sokrates (1926; 1943); Wahrheit und Ironie (1965). "Piaton hat die Sinn-Macht der Wahrheit
offenbar in einer Weise erlebt, welche die Erkenntnis absoluter Gültigkeit der Idee mit der Erfahrung mensch-
licher Unzulänglichkeit verband. Und die Ironie des Erkennens besteht darin, daß der Denkende erkennt, was
über sein Vermögen der Realisierung des Erkannten hinausgeht" (ebd., 49).
Das Mittelalter 401

"weder vom Mythischen noch vom Philosophischen her zu gewinnende Grundlage des
Daseins."40
Die "gewaltige mittelalterliche Bewegung über die Welt hinaus" war aber nach
Guardini selbst noch nicht unbedingt christlich, sondern entsprang zunächst einfach
einer Eigenheit des "germanischen Wesens" - dem Drang zum Allumfassenden und
Ganzen.41 Schon hier legt unser Autor die Grundlage für die Auffassung, daß eine
nachmittelalterliche Epoche aufgrund anderer kultureller Voraussetzungen ebenfalls
zu einem gläubigen Daseinsverständnis hätte kommen können. Für spezifisch christ-
lich am Mittelalter (und daher bleibend gültig) hält er jedoch die Tatsache, daß bei
dem Streben ins Transzendente nicht mehr irgendeine philosophische Wahrheitser-
kenntnis oder mythische Welterklärung, sondern die biblische Offenbarung als
"absoluter Stützpunkt" genommen werde - sowohl für das Bild vom äußeren Kosmos
(Guardini bezieht sich hier im Anschluß an "Welt und Person" erneut auf die "Pole des
Daseinsraumes" und spricht von der christlichen "Innerlichkeit" und der christlichen
"Höhe"),42 wie wissenschaftliche Methode, Staat und Gesellschaft, das Nacheinander
der Geschichte, sowie den Kult.43

(2) Abhebung von der Neuzeit


Hatte der erste Überblick über das Mittelalter vor allem den Kontrast zur Antike vor
Augen, so geht ein zweiter von der Neuzeit aus. Guardini hatte bereits zuvor deutlich
gemacht, daß dem mittelalterlichen Denker noch der "Wille zu empirisch-exakter
Wirklichkeitserkenntnis" gefehlt habe.44 Nun ist es ihm darum zu tun, das neuzeitliche
Bild vom Mittelalter als einem "Gemisch von Primitivität und Phantastik, Zwang und
Unselbständigkeit" zu überwinden, ohne dabei jedoch den "Verherrlichungen der
Romantik" zu verfallen, die "manch einen gehindert haben, in ein unbefangenes Ver-
hältnis zur Gegenwart zu kommen."45

40
EdN 16.
41
Vgl. EdN 17.
42
Vgl. EdN 17-19.
43
Vgl. EdN 19-25. - An dieser Stelle sei eine bibliographische Anmerkung zur Werkausgabe erlaubt. Die
hier vorgelegte Fassung von EdN, die sich als unveränderter Nachdruck der 9. Auflage von 1965 vorstellt, ist
ein besonders gutes Beispiel dafür, wie schon durch eine unsaubere Wiedergabe desselben Textes Mißverständ-
nisse oder zumindest Unklarheiten entstehen können. Durch große Absätze wollte Guardini 5 Unterabschnitte
markieren: 1) das Bild des äußeren Kosmos (23-25; hier nach der 2. Aufl., 1950); 2) wissenschaftliche Er-
kenntnis (25-28); 3) Staat und Gesellschaft (29f); 4) Nacheinander der Geschichte (30f); 5) Kult (31-33). Die
9. Aufl. hatte nach dem ersten Abschnitt einen Seitenwechsel, so daß der ursprüngliche Absatz nicht mehr
deutlich war (22/23); den zweiten Absatz unterschlug sie gleich ganz (25 unten); den dritten und vierten hatte
sie wieder (27 und 28). In der Werkausgabe nun wird auch der unkenntlich gewordene erste Absatz unterschla-
gen (21); der zweite bleibt weiterhin verschwunden (22); der dritte wird jetzt noch (abweichend von der zu-
grunde liegenden 9. Auflage!) unterschlagen (22); der vierte wird durch einen Seitenwechsel unkenntlich
(23/24). Nach mehreren Auflagen ist so ein ursprünglich von Guardini klar gegliedertes Ganzes in einen
zusammenhängenden Text verwandelt worden, der das Lesen erschwert. Besonders eklatant ist dies für den
Schlußabschnitt, der ursprünglich von den fünf Einzelaspekten klar abgetrennt war (33), in der 9. Aufl. dann
durch einen Seitenwechsel unkenntlich wurde (29/30) und in der Werkausgabe nicht einmal mehr durch einen
kleinen Absatz abgehoben ist, sondern ganz in die Darstellung des fünften Aspekts (Kult) integriert scheint
(25). Es wäre bei künftigen Ausgaben zu prüfen, ob nicht zumindest die jeweilige Erstauflage mit zum Ver-
gleich herangezogen werden könnte.
44
EdN 21.- Vgl. dazu Krüger, Zukunft, 79-81.
45
EdN 25.
402 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Der Maßstab, an welchem eine Zeit allein gerecht gemessen werden kann, ist
die Frage, wie weit in ihr, nach ihrer Eigenart und Möglichkeit, die Fülle der
menschlichen Existenz sich entfaltet und zu echter Sinngebung gelangt. Das ist
im Mittelalter in einer Weise geschehen, die es den höchsten Zeiten der Ge-
schichte zuordnet."46
Um diese Behauptung zu belegen, verweist Guardini zunächst auf die beeindruckende
Religiosität des Mittelalters, sowie auf das gewaltige Verlangen nach Wahrheit, durch
das, auch wenn die Haltung des eigentlichen "Forschens" noch fehlte, eine Fülle neuer
Erkenntnis gewonnen worden sei.47 Ferner erwähnt er das elementare Bewußtsein vom
Symbolgehalt des Dasein, das in den Willen zu künstlerischer Gestaltung übergehe.48
Die entscheidende Passage in Guardinis Charakterisierung des Mittelalters aus neu-
zeitlicher Sicht betrifft die Sicht der Autorität. Die Reflexion der früheren Schriften
darüber (vgl. v. a. Kapitel II,3,b,aa) kommt jetzt zum Tragen, wenn Guardini das Ver-
dikt der "Unfreiheit" noch einmal vehement zurückweist:
"Der Affekt dieses Urteils kommt aus dem Autonomie-Erlebnis der Neuzeit, das
sich gegen die autoritäre Denkweise des Mittelalters durchgekämpft hat; aber
auch aus dem Ressentiment der gleichen Neuzeit, welche weiß, daß in ihr die
Revolution zum dauernden Zustand geworden ist. Da aber die Autorität ein
Grandelement nicht nur des unmündigen, sondern jedes Menschenlebens, auch
des reifsten ist; nicht nur eine Hilfe für den Schwachen, sondern wesenhafte Ver-
körperung von Hoheit, muß die Zerstörung der Autorität ihr Zerrbild, nämlich die
Gewalt, erzeugen."49
Gerade die Autorität "als Beziehung zum Absoluten und als Standort im Irdischen"
habe dem mittelalterlichen Menschen die Möglichkeit gegeben,
"ein Ganzes von einer Größe des Stils, einer Intensität der Form und einer Viel-
falt lebendiger Ordnungen aufzurichten, mit dem verglichen unser Dasein ihm
wahrscheinlich als höchst primitiv erscheinen würde."50

(3) Kritische Rückfragen


Schon im Umfeld der "Briefe vom Comer See" hatte die Newman-Übersetzerin Maria
Knoepfler berechtigte Einwände gegen das von Guardini gezeichnete Mittelalter-Bild
vorgebracht:
"Weißt Du, ich habe noch viel über unsere Gespräche nachgedacht. Vor allem
darüber, warum wir Deine Trauer um die vergangene Kultur nicht so aus der
Tiefe heraus teilen ... Ich kann ob der Schönheit, die auch ihr anhaftende Man-
gelhaftigkeit nicht vergessen. Ich sehe als Hinter-, Untergrund der Schönheit des
Griechentums ein Heer von Sklaven und eine entwürdigte Frau. Und ich kann ob

46
EdN 25f.
47
Vgl. EdN 26f. - Durch den gegenüber der Erstauflage neuen Absatz (27) wird, hier wohl treffender, die
Absicht Guardinis betont, Religiosität und Wahrheitsverlangen einerseits (25-27), Symbolgehalt des Daseins
und künstlerische Gestaltung andererseits (27f.) in Beziehung zu setzen. In diesem Fall hätte aber auch der Ab-
schnitt über die Autorität abgesetzt werden müssen, da dieser nochmals ein neues Thema eröffnet (28).
48
Vgl. EdN 27f.
49
EdN 28.
50
EdN 28.
Das Mittelalter 403

der schönen Stätten des Mittelalters die engen Winkel nicht vergessen, in denen
die Armut und das Laster hauste, just wie heute."51
Ganz ähnlich weist nun auch der Naturwissenschaftler Clemens Münster darauf hin,
daß die Kultur des Mittelalters keineswegs mit jener spekulativen Ordnung identisch
sei, von der Guardini ausgehe. Dem von Pest, Hunger und Krieg gepeinigten Volk sei
die soziale und politische Unordnung näher gewesen als jede kosmologisch-hierarchi-
sche oder gedankliche Ordnung. Das Mittelalter habe eher eine "große Möglichkeit
vertan denn sie vorbildlich verwirklicht." Für noch bedenklicher hält er es, "wenn ein
idealisiertes Mittelalter einer Neuzeit gegenübergestellt wird, die vorwiegend in ihren
fragwürdigen Zügen gesehen wird, während ihre geistigen und künstlerischen Leistun-
gen außer acht bleiben, so hoch deren Rang auch sein mag."52
Guardini gibt in seiner Replik auf Münster eine gewisse Parteilichkeit in der unter-
schiedlichen Bewertung der Epochen zu, wehrt sich aber gegen den Vorwurf, er habe
nicht das ganze Mittelalter zur Kenntnis genommen. "Es ist unvermeidlich, daß man
eine Zeit, die man liebt, höher stellt als andere." Er wisse durchaus, "welch dunkle
Schatten" auch auf dem Mittelalter gelegen hätten.
"Ich glaube aber, daß das Mittelalter trotz alles Dumpfen, Grausamen und Zerstö-
renden doch, als Ganzes genommen, im Vergleich mit den folgenden Epochen
ein großes Plus aufzuweisen hatte; in ihm war Gottes Majestät anerkannt, und
wenn einer Unrecht tat, dann geschah es mit schlechtem Gewissen."53
Eben bei dieser Formulierung hakt ein anderer Kritiker, Walter Dirks, ein. Er erinnert
an den Unterschied, der zwischen der theoretischen und dichterischen Gestalt eines
Weltbildes einerseits und der politischen Ordnung andererseits bestehe.54
"Was dort legitim und 'wahr' ist ..., das wird im Bereich der Politik bedenklich
und gefährlich. ... In der Welt der positiven Interessen eine faktische, durchge-
setzte und in immer neuen Kämpfen und Befehlen durchzusetzende Macht-Ord-
nung als Gottes Ordnung zu 'konstruieren', ist wesentlich bedenklicher, als die
Welt als heilige Ordnung denkend oder dichtend zu konstruieren oder sie als sol-
che durchzufühlen, durchzumeditieren."55
Nicht mit einem "schlechten Gewissen", sondern mit einem "zu gutem Gewissen" sei
damals Politik getrieben worden, weil man allzu unmittelbar den Herrn der Geschichte
selbst dafür in Ansprach genommen habe. Der marxistisch vorgeprägte, aber allem
Totalitären feindlich gesonnene Publizist Dirks, erinnert hierzu an das analoge
"pantheokratische" Begründungsmodell des Bolschewismus, das er entschieden
ablehnt.56
Wie immer man zu diesem Vergleich stehen mag - die Stoßrichtung der Kritik trifft
etwas Wahres: Guardini beschränkt sich in seiner Darstellung auf die theoretischen

51
Brief Maria Knoepflers an Romano Guardini, Ostern 1925, abgedruckt in: Gerl, Mooshausen, 69. - In
dem "Wir" ist aller Wahrscheinlichkeit nach Guardinis Freund Josef Weiger eingeschlossen, als dessen Haus-
hälterin Maria Knoepfler tätig war.
52
Münster, Ende der Neuzeit?, 14; vgl. ebd., 13f.
53
Guardini, Erwiderung, 26.
54
Vgl. Dirks, Ende der Neuzeit, 41 f.
55
Dirks, Ende der Neuzeit, 42.
56
Vgl. Dirks, Ende der Neuzeit, 42-44.- Mit dem Hinweis auf das Phänomen des Bolschewismus beginnt
bereits Dirks' Stellungnahme; vgl. ebd., 29-32.
404 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Grundlagen des Mittelalters und nimmt sie für das Ganze; auch wenn ihm die Kenntnis
der politischen und sozialen Fakten nicht abgesprochen werden kann, haftet seiner
Analyse des Mittelalters doch etwas "Aristokratisches" an.57 Gerade wenn sich Guar-
dini dem Mittelalter nur zuwendet, um das neuzeitliche Bewußtsein davon abzuheben,
und daher notwendigerweise verkürzen muß, ist solche Einseitigkeit gefährlich; denn
sie erweckt den Eindruck, als sei auch die Neuzeit nur als geistiger Vorgang zu begrei-
fen und nicht gleichzeitig auch von ganz realen ökonomischen, sozialen und politi-
schen Vorgängen her zu begreifen - eine Fehleinschätzung, die auch dem
"kulturkritischen" Bildungsbürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder
unterläuft und die sich daher auch leicht in einer marxistischen Umkehrung rächen
kann.
Aber man muß gar nicht auf die Praxis rekurrieren, um Guardinis Mittelalter-Bild zu
kritisieren. Gerhard Krüger weist darauf hin, daß diese Epoche auch im theoretischen
Bereich niemals so einheitlich gewesen ist, wie Guardinis Darstellung es vermuten
läßt. Neben Bonaventura und Dante gibt es eben auch Albert und Thomas, die mit
ihrer relativen Verselbständigung der Vernunft nicht so recht in Guardinis ganz von
der Offenbarung her entworfene Mittelalter passen wollen.58 Offenbar wurden diese
von Guardini aber schon als Vorboten der Neuzeit gesehen, weil in ihnen die Haltung
des eigentlichen "Forschens" auftauche, die dem Mittelalter noch fremd, ja sogar als
"unheimlich" erschienen sei.59
Bei allen berechtigten Einwürfen darf jedoch nicht übersehen werden, daß Guardini
mit seiner Darstellung des Mittelalters exakt an der gleichen Stelle ansetzt wie die neu-
zeitliche Absetzbewegung. Auch sie wandte sich nicht gegen sämtliche Aspekte der
vergangenen Epoche, sondern gegen jene alle Lebensbereiche umfassende christliche
Weltordnung, die von Guardini als das charakteristisch "Mittelalterliche" gezeichnet
wurde. Nur aus diesem Grund konnte ja etwa Hans Blumenberg zwischen Mittelalter
und Neuzeit eine entschiedene Diskontinuität feststellen (vgl. dazu oben
Abschnitt l,a). Auch er bestritt nicht das Vorhandensein von Kontinuitäten, betrachtete
diese jedoch vor allem als Kontinuität von Problemen, nicht von Lösungen.60 Die
Antike habe dem Mittelalter die ungelöste Frage nach dem Bösen hinterlassen, das
dieses mit der christlichen Theodizee beantwortet habe. Seit Augustinus habe sich
diese "Lösung" aber immer mehr in einen "theologischen Absolutismus" verwandelt,
der sich im spätmittelalterlichen Nominalismus so zuspitzte, daß sich der Mensch zur
Gegenwehr herausgefordert sah. Der neuzeitliche Akt humaner Selbstbehauptung sei
die neue "Lösung" des alten Problems, auch wenn noch mittelalterliche Nach-
wirkungen festzustellen seien. Selbst wenn man mit Pannenberg die Bedeutung der
Theodizeefrage relativiert und im Vorgang der Inkarnation das Zentrum christlichen
57
Ebenso wertet Biser mit Verweis auf die Eingangspassage von "Die Macht" (vgl. ebd., 97): "Bei aller
Klarheit der Strukturerfassung fällt bei diesem Durchblick doch auch der von realgeschichtlichen Kenntnissen
unangefochtene Aristokratismus auf, der die vorzeitlichen Epochen nur von ihrer Aristie, nicht aber von ihrer
ökonomischen Basis her würdigt und sich fatal mit einer Neigung zu romantischer Verklärung des Vergange-
nen verbindet" (Biser, Interpretation, Anm. 21, 88). Positiver bewertet Helmut Kuhn dasselbe Faktum einer
aufs Antropologisch-Vergeistigte beschränkten Geschichtsphilosophie (vgl. ders., Guardini, 70).
58
Vgl. Krüger, Zukunft, 79.
59
Vgl. EdN 27. "Es ist bezeichnend, daß Albert der Große, obwohl für heilig angesehen, in Sage und
Legende den Charakter eines Magiers angenommen hat" (ebd.).
60
Vgl. v. a. Blumenberg, Legitimität, I, 60.
Die Neuzeit 405

Weltverständnisses und damit auch eine Wurzel jener "humanen Selbstbehauptung"


entdecken will, von der Blumenberg ausgeht,61 so kann doch nicht bestritten werden,
daß die Neuzeit selbst sich - bis hin zu Blumenberg - als Absetzbewegung vom
mittelalterlichen Welt- und Menschenbild definiert hat.
Damit ordnet sich aber Guardini mit seiner Zeichnung des Mittelalters gerade in die
neuzeitliche Perspektive ein, auch wenn er die neuzeitliche Wertung des Mittelalters
ablehnt. Der gesuchte Standpunkt geht über beide Epochen hinaus. Wenn er bei sich
selbst eine Neigung zum Mittelalter feststellt, so ist das nicht mit dem zu verwechseln,
was er als angemessen für die Zukunft betrachtet. Das einzige, was vom Mittelalter
objektiv bleibt, ist der christliche Glaube, den Guardini für die Zukunft als "absoluten
Stützpunkt" des Daseins gerettet wissen möchte.62

bb. Die Neuzeit


(1) Die Charakterisierung der Epoche
Zwar bürgerte sich der Begriff "Neuzeit" selbst erst im letzten Viertel des 19. Jahrhun-
derts ein, also zu einem Zeitpunkt, als mit Nietzsche bereits ihr Ende proklamiert
wurde. Von einer "neuen Zeit" sprach man aber schon früher, im Sinne einer Epochen-
bezeichnung dann freilich ebenfalls erst seit dem 18. Jahrhundert.63 Erst jetzt verband
sich damit "das Bewußtsein, seit drei Jahrhunderten in einer neuen Zeit zu leben, die
sich, und das nicht ohne Emphase, als eigene Periode von den vorangegangenen unter-
scheidet."64
Latent war dieses Bewußtsein jedoch schon da, als die auf die Antike zurückgehen-
den Humanisten eine "barbarische" Zwischenzeit ausgrenzten, die es zu überwinden
galt;65 in der damit eingebürgerten Vorstellung "mittlerer Zeiten", die dieser Epoche
schon eine größere kulturelle Eigenständigkeit einräumte und aus der nach und nach
die Bezeichnung "Mittelalter" wurde,66 war sprachnotwendig bereits eine andere, jün-
gere Zeit freigelegt, die allerdings noch keinen einheitlichen Namen hatte. Auch der
Begriff der "Renaissance", der wie der der "Reformation" den Anbruch einer "neuen
Zeit" signalisierte,67 wurde erst durch die Aufklärung zu einem kunst- und literarhisto-
rischen Epochenbegriff, um dann im 19. Jahrhundert - vor allem durch Michelet und
Burckhardt zu einer allgemeinen Periodenbezeichnung zu werden.68 Erst als die
"Neuheit" selbst als Grundcharakteristikum der Zeit nach dem "Mittelalter" erkannt

61
Vgl. Pannenberg, Legitimität, bes. 119-123.
62
Vgl. Erwiderung, 26.
63
Zur Begriffsgeschichte vgl. v. a. Koselleck, Neuzeit, bes. 302-304; ferner: Günther, Neuzeit, bes. 792-
796. - "Neue Zeit" bezeichnete zunächst schlicht die gegenwärtige Zeit in Abhebung zur vergangenen, ohne
damit die Gegenwart in besonderer Weise zu qualifizieren; vgl. Koselleck, a.a.O., bes. 310 und 316.
64
Koselleck, Neuzeit, 318.
65
Vgl. Kosellek, Neuzeit, 305f.
66
Vgl. Günther, Neuzeit, 791 f.
67
Der Begriff der "Reformation", entscheidend für die protestantische Kirchengeschichtsschreibung,
bezeichnete vor allem einen Epocheneinsc/mw, der die letzte christliche Periode eröffnete; als Epoche sah man
die "Reformation" bereits im 17. Jahrhundert als abgeschlossen an (vgl. Koselleck, Neuzeit, 307-309).
68
Vgl. Koselleck, Neuzeit, 307. - Natürlich sprach man bereits früher von "renascitä" und "renaissance" im
Sinne von kulturellen Durchbrüchen (vgl. ebd.).
406 Die Kultur am Ende der Neuzeit
wurde,69 gewann die Redeweise von der "neuen Zeit" jene Dimension, die schließlich
zum Begriff der "Neuzeit" führte - als "geschichtlicher Erfahrungsbegriff, an den sich
immer neue Erwartungen an die Zukunft schließen"70. So kann Hans Blumenberg
resümieren:
"Die Neuzeit hat sich ihren Namen selbst gegeben. Sie wollte nicht nur die 'neue
Zeit' und nicht nur die Zeit des Neuen, sondern beides aus der Authentizität des
Menschen sein."71
Entscheidend für die "Neuzeit" ist also für den entschiedenen Verteidiger ihrer
"Legitimität" die inhaltliche Qualifizierung des "Neuen". Von derselben Feststellung
geht auch Guardini aus, wenn er von einem "Umbau der Existenz"72 spricht, der sich
seit der zweiten Hälfte des 14., vor allem aber dann im 15. Jahrhundert immer ent-
schiedener vollzogen habe73 und der es ermögliche, überhaupt zwei Epochen vonein-
ander zu unterscheiden.
Ein erster Blick richtet sich wieder, wie bei der Darstellung des Mittelalters, auf die
unterschiedlichen "Lebens- und Schaffensbereiche" - nämlich auf die neuzeitliche
Wissenschaft (hier bezeichnenderweise in erster Stelle genannt!), das wirtschaftliche
Leben, die Politik, sowie die kosmologischen Anschauungen.74 In jedem dieser Berei-
che zeige sich das "Verlangen nach individueller Bewegungsfreiheit",75 das sich gegen
jede einengende Autorität, die von außerhalb seiner selbst kommt, zur Wehr setzt. "Die
Wissenschaft löst sich als autonomer Kulturbereich aus der bisher religiös bestimmten
Einheit von Leben und Werk heraus und stellt sich auf sich selbst."76 Auch die Wirt-
schaft verselbständigt sich zum kapitalistischen System, das nur seinen eigenen Geset-
zen folgen will.77 Das politische Handeln trägt ebenfalls seine Normen in sich; es sind
die Zwecke des Machterwerbs, der Machtbehauptung und -Verwaltung.78
Das größte Interesse widmet Guardini aber der neuzeitlichen Kosmologie. Hier voll-
ziehe sich zuerst die Überwindung der Endlichkeit, von der noch Mittelalter und Anti-
ke gleichermaßen ausgegangen seien.
"Nun beginnt die Welt sich zu dehnen und ihre Konturen zu sprengen. Man ent-
deckt, daß es nach allen Seiten hin weitergeht. Der alte, für den Charakter des
Lebens wie des Schaffens maßgebende Wille zur umgrenzten Gestalt verschwin-
det, und ein neuer erwacht, welcher die Ausweitung einfachhin als Befreiung
erlebt."79

69
Bezeichnend ist dafür als Zwischenstufe die schnelle Einbürgerung des Terminus "neueste Zeit"; er ist für
Koselleck der "Indikator eines beschleunigten geschichtlichen Erfahrungswandels und seiner erhöhten bewußt-
seinsmäßigen Verarbeitung" (Neuzeit, 320). Maßgeblich beteiligt war daran die Französische Revolution, die
als entscheidende Schwelle zwischen "neuer" und "neuester" Zeit angesehen wurde. Dadurch gewann die "neue
Zeit, die eine neueste Zeit aus sich hervortrieb", geschichüiche Qualitäten, die über das traditionelle Schema
einer annalistischen Tradition hinausführte (ebd., 319f).
70
Koselleck, Neuzeit, 317.
7
' Blumenberg, Vorbereitung der Neuzeit, 81.
72
Vgl. EdN 42.
73
Vgl. EdN 29 und 30.
74
Vgl. EdN 30-35.
75
EdN 29.
76
EdN 31; Hervorhebung von mir.
77
Vgl. EdN 31.
78
Vgl. EdN 32.
79
EdN 33.
Die Neuzeit 407

Dies wirkt sich nach Guardini auch auf das Geschichtsbild aus, in dem ebenfalls
Anfang und Ende, Umriß und Mitte verschwinden.80 Im Blick auf die noch unerforsch-
ten Gebiete der Erde, will der Mensch nun entdecken und erobern; er fühlt die Mög-
lichkeit, "sich in die endlose Welt zu wagen und sich zu ihrem Herrn zu machen."81
Das neuzeitliche Persönlichkeitsbewußtsein ist mit dem Gefühl für das Menschlich-
Außerordentliche ("Genie") verbunden.82 Was zunächst jedoch als "Freiheit der Bewe-
gung und persönlichen Betätigung" erlebt werde, bringe auch eine neue Form der
Angst hervor:
"Die Angst des mittelalterlichen Menschen hing wohl mit dem Randdruck der
Weltendlichkeit gegen den Ausweitungsdrang der Seele zusammen, der sich dann
in der immer neu vollzogenen Transzension beruhigte. Die neuzeitliche Angst
hingegen entsteht nicht zum wenigsten aus dem Bewußtsein, weder symbolhaften
Standort, noch unmittelbar überzeugende Bergung mehr zu haben; aus der be-
ständig sich erneuernden Erfahrung, daß die Welt dem Menschen keine das Sinn-
bedürfnis überzeugende Stelle des Existierens gewährt."83
Nun setzt Guardini noch einmal neu an, um in verkürzter Form die drei Grundele-
mente zu rekapitulieren, die er in "Welt und Person" entwickelt hatte.84 Das Ergebnis
ist dasselbe:
"Auf die Frage, in welcher Weise das Seiende da sei, antwortet das neuzeitliche
Bewußtsein: als Natur, als Persönlichkeits-Subjekt und als Kultur ... Ihr Gefüge
bedeutet ein Letztes, hinter das nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Es be-
darf keiner Begründung von anderswoher, noch duldet es eine Norm über sich."85
Daß Guardini im Gefüge von Natur, Persönlichkeit bzw. Subjekt und Kultur einen
radikalen "Umbau der Existenz" (s. o.) erkennt, wird in der gegenüber "Welt und
Person" verkürzten Darstellung allerdings nicht so deutlich. Dort war deutlicher ausge-
führt worden, wodurch die spezifisch neuzeitliche "Angst" eigentlich entsteht - näm-
lich aus der Erfahrung einer Welt, die weder nach "innen", noch nach "oben" mehr
überstiegen werden kann.86 Diese Erfahrung bewirke nicht nur eine neue "Mündigkeit"
des Menschen, die nach Guardini auch vom christlichen Glauben her zu begründen
wäre - nämlich von einer theologischen Deutung der "Grenze" her -87, sondern schlage
auch unvermittelt in dessen Gegenteil um:
"Das alle Planung tragende Bewußtsein von der eigenen Souveränität und Welt-
verantwortung, der verborgene Ansprach, jene Haltungen, die der Glaube als
Vorrechte Gottes angesehen hatte - Schöpfung, Vorsehung, Weltregierang -
selbst zu übernehmen, gehen in das Gefühl über, überhaupt Niemand mehr zu
sein (Depersonalisation). So hebt auch hier das Übermaß des Welterlebnisses
sich selbst auf."88

80
Vgl. EdN 33f.
81
EdN 34.
82
Vgl. EdN 34f.
83
EdN 35.
84
Vgl. WP 1-24; vgl. oben Abschn. l,c,aa.
85
EdN 41; vgl. WP 23.
86
Vgl. WP 83-87 ("Die Selbstverschließung der Welt")
87
Vgl. WP 35f., sowie 80-83.
88
WP 79.
408 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Vor diesem Hintergrund fragt Guardini in seiner späteren Schrift nach den Folgen für
die Religiosität des Menschen.89 Hier vollzieht sich für ihn der einschneidendste Wan-
del. Während nämlich bei der Darstellung des Mittelalters, aber auch der Antike, das
"Religiöse" bzw. das "Christliche"90 ganz selbstverständlich in den Zusammenhang
eingeordnet werden konnte, tritt es in der Neuzeit gerade aus diesem Zusammenhang
heraus. Der christliche Glaube werde immer mehr in eine "Verteidigungsstellung" ge-
drängt und verliere seine "ruhige Selbstverständlichkeit". "Er fühlt sich nicht mehr in
einer ihm gehörigen, sondern in einer fremden, ja feindlichen Welt."91 Vor allem ver-
liert im neuen Weltbild Gott seinen "Ort", weil es ja keine "Höhe", kein "Droben"
mehr gibt.92 Guardini denkt hier keineswegs daran, die naive Gleichsetzung von
"Oben" und "Gott" zu erneuern; er beschreibt nur die Schwierigkeit, die für den reli-
giösen Akt durch die im Weltbild begründete "Ortlosigkeit" Gottes entsteht. Ebenso
gravierend ist die "Ortlosigkeit" des Menschen. Der Prozeß gegen Galilei ist nach
Guardini, unbeschadet seiner negativen Auswirkungen, aus einer "Sorge um die exi-
stentiellen Grundlagen des Daseins"93 hervorgegangen. Der Glaube selbst sieht sich
vor neue Fragen gestellt, innere Spannungenttetenmit größerer Intensität hervor und
spiegeln sich in den großen religiösen Bewegungen der Zeit, vor allem in jenen, die als
"Reformation" und "Gegenreformation" bezeichnet werden.94

(2) Einwände und Präzisierungen


Auch gegen diese Darstellung der neuzeitlichen Epoche können Einwände erhoben
werden. So kann man kritisieren, daß Guardini nicht genügend zwischen "Aufklärung"
und "Neuzeit" unterschieden habe,95 ja daß er überhaupt die "verwirrende Mannig-
faltigkeit des 'modernen' Daseins"96 übersehe. Gerhard Krüger meint zu erkennen, daß
Guardini im ersten Anlauf mehr von der "Aufklärung" herkomme, bei den drei
"Grandelementen" jedoch aber an die durch Goethe repräsentierte deutsche Klassik
und die an sie anschließende idealistische Romantik denke.97 Dies ist jedoch eindeutig
nicht der Fall, wie ein Seitenblick auf die ausführlichere Darstellung von "Welt und
Person" zeigt. Zwar bezieht sich Guardini in den "Grundelementen" immer wieder auf
Goethe, aber das Persönlichkeitserlebnis der Renaissance ist genauso präsent wie das
Subjektverständnis der Aufklärung; nicht nur die "Gott-Natur" Goethes wird erwähnt,
sondern auch die Natur als "chaotische Masse der Möglichkeiten, aus denen das

89
Vgl. EdN 42-46.
90
Guardini unterscheidet sonst diese Begriffe schärfer. Hier betrachtet er die kulturelle Entwicklung gewis-
sermaßen "von außen"; "Religiöses" und "Christliches" bilden zunächst noch eine Einheit, die sich im Lauf der
Neuzeit erst langsam auflöst, bis dann im 20. Jahrhundert die "Unterscheidung des Christlichen" voll zutage
tritt.
91
EdN 42.
92
Vgl. EdN 42f.- Auch hier findet sich in der Erstausgabe (2. Aufl., 56) ein (kleiner) Absatz zwischen "...
feindlichen Welt" und "Eine besondere religiöse Problematik ..." Der Grund: Zunächst ging es um die äußere
Veränderung in der Artikulation des Glaubens, nun aber um ein besonders hervorstechendes Beispiel, nämlich
die Gottesbeziehung selbst.
93
EdN 44.
94
Vgl. EdN 45f.
95
Schlette, Guardini 1973/1985, 21.
96
Krüger, Zukunft, 82.
97
Vgl. Krüger, Zukunft, 82.
Die Neuzeit 409

Subjekt, selbstherrlich gestaltend, die Welt der Kultur hervorbringt, wie das in der
Philosophie Kants durchgeführt wird."98 Und nicht nur die vom klassischen Bildungs-
ideal bestimmte "Kultur" kommt zum Tragen, sondern auch das Phänomen der Tech-
nik als "Inbegriff jener Verfahrensweisen, durch welche der Mensch fähig wird, seine
Zwecke nach Belieben zu setzen."99 Die Unterschiede der einzelnen "Unterepochen"
der Neuzeit liegen nach Guardini lediglich in der unterschiedlichen Akzentuierang und
Verhältnisbestimmung der genannten Momente; wesentlich ist der Charakter der Auto-
nomie, der in jedem Fall diese Akzentuierung und Verhältnisbestimmung prägt.100
Und hier will auch er nicht bestreiten, daß dieser Charakter sich besonders im Subjekt,
in der souveränen Freiheit des autonomen Ich konzentriert.101
Im Hintergrund steht bei Krüger aber letztlich der unterschwellige Vorwurf, Guar-
dini habe die Neuzeit immer noch zu positiv beschrieben. Er spricht von den bisher
verdeckten "wesenhaften Aporien der Neuzeit"102 und bemüht sich aufzuzeigen, daß
die Auflösung der genannten drei Grundelemente, die Guardini in der Gegenwart am
Werk sieht, bereits innerhalb der Neuzeit selbst zutage trete.103 Er fordert deshalb eine
"radikale Revision" der "verhängnisvollen Grundlagen der Neuzeit",104 während Guar-
dini seiner Ansicht nach zu sehr von der Zwangsläufigkeit der neuzeitlichen Entwick-
lung überzeugt ist. Dieser nimmt die Anfrage des befreundeten Philosophen ernst, der
gerade an den Platoniker in ihm appelliert, er möge doch weniger auf die historische
Faktizität als vielmehr auf die übergeschichtlichen Wesenheiten und Normen ver-
trauen.105 Er fragt aber zurück:
"Was wäre davon zu erwarten, wenn man sagte, seit soundsoviel Jahrhunderten
gehe die Geschichte einen falschen Weg, man müsse zum kritischen Punkt
zurückgehen und eine andere Richtung einschlagen? Kann man das? Und hätte
der Versuch einen realen Wert?"106
"Hat der Versuch, eine lange Geschichtsstrecke zu verwerfen und wieder an ihren
Anfang zurückzukehren, beziehungsweise den Anfang im Heute neu zu setzen,
wirklich eine größere Chance als jener, die im Gang befindliche Geschichte ins
Richtige zu lenken?"107
Guardini tut sich also bei allen Vorwürfen, die er selbst an die Neuzeit richtet, schwer
damit, zu glauben, daß ein halbes Jahrtausend der Menschheitsgeschichte total falsch
gelaufen ist.108 Er nennt sein Verhältnis zur Neuzeit "kompliziert" und gesteht einen

98 W P 22.
99
EdN 41; vgl. WP 22.
100
Vgl. WP23f.;EdN41.
101
Vgl. Krüger, Zukunft, 83f. - Bestätigt wird Guardinis Beschreibung der Neuzeit anhand der Momente
"Natur", "Subjekt/Persönlichkeit" und "Kultur" übrigens von Alfons Auer, der in seiner "Umweltethik" (1984)
ausdrücklich darauf Bezug nimmt (vgl. ebd., 11-13).
102
Krüger, Zukunft, 89.
103
Vgl. bes. Krüger, Zukunft, 84-89.
104
Vgl. Krüger, Zukunft, 90.
105 v ^ Guardini, Zukunft, 97. - Darin spricht auch Guardini von der Gefahr, "die Wucht der Realität stär-
ker zu fühlen als die Gültigkeit der Norm."
106
Guardini, Zukunft, 104.
107
Zukunft, 105.
108
Vgl. Zukunft, 99.
410 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Mangel an Klarheit in der Gedankenführung durchaus ein. 109 Die Neuzeit zeige eben
selbst ein zutiefst "zweideutiges" Bild:
"Es wäre durchaus eine richtige Neuzeit möglich gewesen; das heißt, eine Reali-
sation der neuzeitlichen Wissenschaft und Technik im Gehorsam gegen Gott.
Daß es so gekommen ist, wie es kam, war nicht Folge der Wissenschaft und
Technik als solcher, sondern der Gesinnung, in der sie geschaffen und gebraucht
wurden. So besteht die Aufgabe darin, nicht eine Generalverurteilung zu vollzie-
hen, sondern zu unterscheiden und das Richtige in der richtigen Haltung zu ent-
wickeln."110
Mit der Unterscheidung einer "richtigen" und "falschen" bzw. "verkehrten" Neuzeit111
distanziert sich Guardini also von denjenigen, die an der zu Ende gehenden Epoche
nichts Gutes lassen möchten. Dennoch warfen ihm andere vor, er habe die Neuzeit -
im Vergleich zum Mittelalter - immer noch zu negativ gezeichnet.112 In der Tat glaubt
Guardini, daß die Neuzeit, so "richtig" sie in ihrem Grundansatz auch gewesen sein
mag, faktisch eben doch die "falschen" Konsequenzen daraus gezogen hat. Diese Auf-
fassung unterstreicht er immer wieder und betont:
"Mit der These, daß sie als Ganzes eine falsche Richtung eingeschlagen habe,
stehe ich nicht allein. Die Fähigkeit, das zu sehen und zuzugeben, gehört meiner
Meinung nach zu der Metanoia, die von uns verlangt wird, wenn wir den Bann
des Fortschrittsgedankens brechen wollen. Hier 'wertet' meine Schrift wirklich;
aber nach einem Maßstab, der nicht vom Mittelalter, sondern aus der Ordnung
der Wahrheit beziehungsweise aus der Offenbarung genommen ist."113

cc. Die Gegenwart


(1) Das "praktische" Interesse
Helmut Kuhn warnt davor, die Schrift vom "Ende der Neuzeit" einfach als eine "neue
Diagnose der Gegenwart" zu nehmen. "Deren gibt es so viele, daß man versucht ist,
die Aufmerksamkeit unserer Zeitgenossen für sich selbst ihrerseits diagnostisch zu
beurteilen."114 Dies mag zutreffen, ändert aber nichts an der Tatsache, daß es Guardini
eben doch um eine "Diagnose der Gegenwart" ging. Während die frühere Schrift "Welt
und Person" in der Tat eine philosophisch-theologische Auseinandersetzung mit der
Neuzeit war,115 dient der Blick auf die neuzeitlichen Grundelemente jetzt nur noch der
Erinnerung an eine bereits vergangene (oder zumindest vergehende) Epoche, um sich

109
Vgl. Zukunft, 106.
110
Zukunft, 107f- Guardini gibt hier sogar zu, er empfinde gewisse Sympathien zur Neuzeit hin, begründet
dies jedoch nur mit dem Hinweis auf Persönlichkeiten, die Altes und Neues noch verbinden konnten (vgl. ebd.,
108; dabei ist wohl vor allem Pascal im Blick).
111
Vgl. dazu auch: Schmucker-von Koch, Autonomie, Anm. 70, 30; dort wird auch daraufhingewiesen,
daß die "Dialektik im Guardinischen Neuzeitbegriff" in zahlreichen Arbeiten über Guardini nicht gesehen
werde.
112
Vgl. Zukunft, 26f.
113
Zukunft, 27.
114
Kuhn, Guardini, 71.
115
Kuhn geht denn auch tatsächlich ausführlich auf diese frühere Schrift ein (vgl. Guardini, 73-105).
Die Gegenwart 411

dann ausführlicher der Gegenwart und der in ihr angebrochenen ";?ac/i-neuzeiflichen"


Epoche zuwenden zu können.116
Im Unterschied zur früheren Schrift ist Guardinis Anliegen nun auch nicht mehr ein
"philosophisches", sondern ein eher "praktisches":
"Gewiß muß ich auch philosophisch nach dem Wesen der Dinge fragen, tue es
aber aus der Situation heraus, in der sich unser Dasein heute befindet, und dar-
aufhin, wie ihr geholfen werden könne."117
Guardini versteht sich als Pädagoge, der vom "Gegebenen" ausgeht und von ihm her
"Überwindung" fordert.118 Gerade die Ge-ge/iwambezogenheit weckte das Interesse
von "Freunden und Hörern", die Guardini zu einer gesonderten Veröffentlichung
rieten.119

(2) Das "Ende" der "Natur"


Immer wieder verweist Guardini auf Goethe und sein Naturverständnis, von dem sich
die Gegenwart immer mehr entferne:
"Daß unser Verhältnis zur Natur - ebenso wie das zur Persönlichkeit und zur Kul-
tur - sich von dem Goethes wegbewegt, bildet ja den wichtigsten Grund für jene
Krisis im Verhältnis zu seinem Werk, welche im vergangenen Jahr (1949) deut-
lich geworden ist."120
Gerade im Blick auf Goethes Verehrung der Natur, wie sie der von Guardini herange-
zogene (vermutlich allerdings gar nicht von Goethe selbst stammende) Text aus dem
"Tiefurter Journal" widerspiegelt, zeige sich, wie sehr sich das Empfinden der Men-
schen in der Zwischenzeit geändert habe.121 Eine "Ernüchterung" sei eingetreten,
deren Beginn Guardini vorsichtig in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts datiert -
also in die Zeit der politischen Wende in Deutschland.122 Zwar richteten sich auch
jetzt noch - und wieder - religiöse Empfindungen auf die Natur, aber es sei schwer, in
diesen Regungen - Guardini erwähnt den späten Rilke, das Daseinswagnis der Exi-
stenzphilosophie, das neue Ernstnehmen des Mythos, die Entdeckung der seelischen
Tiefenschichten, sowie den "technisch-politischen Titanismus unserer Tage" - eine
einheitliche Linie zu erkennen.123

1 lb
Es ist unverständlich, wenn Kuhn empfiehlt, die Bedeutung der Grenze zwischen Neuzeit und nach-
neuzeitlicher Entwicklung für Guardinis Denken nicht allzusehr zu betonen (vgl. Guardini, 71). Völlig mißver-
standen ist Guardini aber, wenn Kuhn behauptet, Guardini unterscheide an anderer Stelle (vgl. Kultur als Werk
und Gefährdung) eine "primitive", eine "humane" und eine neuzeitliche (!) Kultur (vgl. Kuhn, Guardini, 72).
Wie schon in EdN unterscheidet Guardini nämlich auch hier in Wirklichkeit zwischen einer "primitiven", einer
"humanen" und einer "mic/i-neuzeiüichen" Kultur; letztere wird auch als "nicht-humane" bezeichnet, während
das Kennzeichen des "Humanen" auf die Neuzeit durchaus noch angewendet werden kann (siehe dazu weiter
unten in diesem Abschnitt).
117
Zukunft, 96f.
118
Vgl. Zukunft, 98f. - "Am Anfang jeder Erziehung, ob das nun die des Einzelnen oder die einer ganzen
Zeit ist, steht die Annahme. Sie bedeutet nicht, daß ich sage, wie der gegebene Zustand ist, sei er richtig, son-
dern ich muß zeigen, was verkehrt ist, und Überwindung fordern. Das ist aber nur möglich aus dem heraus,
was Einzelner und Zeit sind" (ebd.).
119
Vgl. EdN 10.
120
EdN 48. - Im Jahre 1949 wurde der 200. Geburtstag Goethes (* 28. 8. 1749) gefeiert.
121
Vgl. EdN 48f.
122
Vgl. EdN 49.
123
Vgl. EdN 49f.
412 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Jedenfalls erfährt der Mensch die Welt nicht mehr als bergenden Inbegriff. Sie
ist etwas anderes geworden, und eben als das gewinnt sie religiöse Bedeu-
tung." 124
Das Verhältnis zur Natur werde vor allem grundlegend verändert durch das Phänomen
der Technik. Guardini kann an das anknüpfen, was er in den "Briefen vom Comer See"
entwickelt hatte - daß nämlich die Technik bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts lang-
sam heraufgewachsen, aber zunächst immer noch von einer "nicht-technischen" Men-
schenart getragen worden sei. 125 Mußte er damals feststellen, daß der Mensch, der zu
dem mit der Technik heraufkommenden Neuen gehört, "noch nicht da ist"126, scheint
es ihm jetzt, als ob dieser Mensch "in den letzten Jahrzehnten, endgültig im letzten
Krieg, durchgebrochen sei." 127 Hatte er damals gehofft, diese neue "Menschenart"
könne die Gefahren der ins Unermeßliche gewachsenen Technik besser bewältigen als
die alte, und sah er in der Stärkung des Personalen den entscheidenden Kern dieser
Haltung, so muß er jetzt feststellen, daß der Durchbrach des neuen Bewußtseins nur
um so größere Gefahren sichtbar gemacht hat.
"Die Neuzeit liebte es, die Maßnahmen der Technik mit ihrem Nutzen für die
Wohlfahrt des Menschen zu begründen. Damit deckte sie die Verwüstungen zu,
welche ihre Skrapellosigkeit anrichtete. Die kommende Zeit wird, glaube ich,
anders reden. Der Mensch, der sie trägt, weiß, daß es in der Technik letztlich
weder um Nutzen noch um Wohlfahrt geht, sondern um Herrschaft; um eine
Herrschaft im äußersten Sinn des Wortes, sich ausdrückend in einer neuen Welt-
gestalt."128
Die in der Technik liegende Ambivalenz spitzt sich nach Guardini in bedrückender
Weise zu, gerade im Verhältnis zur Natur: Entweder gelingt es dem Menschen, "das
Herrschaftswerk richtig zu machen, und dann wird es gewaltig - oder aber alles geht zu
Ende." 129

(3) Zwischenreflexion: Die Einteilung in kulturelle Epochen


An dieser Stelle ist es hilfreich, eine Zwischenüberlegung einzuschieben, um Guardi-
nis Epochengliederung richtig einzuordnen. Die klassische Dreiteilung der Geschichte
in "Altertum", "Mittelalter" und "Neuzeit" (vgl. oben die einleitenden Bemerkungen zu
Abschnitt bb [1]) war bereits von Oswald Spengler in Frage gestellt worden.130 Seine
Auffassung, daß um die Mitte des 19. Jahrhunderts die zivilisatorische Endphase der
abendländischen Geschichte begonnen habe, war wiederum von Nietzsche geprägt, der
die gesamte Geschichte seit Sokrates - als Geschichte des "Nihilismus", der

124
EdN 50.
1
25 Vgl. EdN 50; Briefe, 68 und 70f.
126
Briefe, 71.
127
EdN 50.
128
EdN 51.
129
EdN 51.
130
Vgl. Spengler, Untergang, I, 20-22.
Die Gegenwart 413

"ddcadence", des "Ressentiment" oder wie auch immer - zu seiner Zeit an einen
Abschluß gelangt sah.131
Auch für Martin Heidegger bildete das "Wesen" der neuzeitlichen Wissenschaft und
Technik nur noch die letzte Stufe der abendländischen Metaphysik überhaupt, die es
als Ganze zu überwinden galt.132 Dieselbe Relativierung des Einschnitts zwischen
Mittelalter und Neuzeit findet sich schließlich bei Karl Jaspers. Für ihn sind zwar "die
letzten viereinhalb Jahrhunderte" der Neuzeit eine Einheit gegenüber dem Vorherge-
henden, aber betont wird doch vor allem die Kontinuität zum Vorhergehenden: Eine
nirgends Halt machende Rationalität, begründet in der griechischen Wissenschaft; die
Subjektivität des Selbstseins, eingeleitet in den jüdischen Propheten, den griechischen
Philosophen und den römischen Staatsmännern; die Welt als faktische Wirklichkeit in
der Zeit, die der abendländische Mensch nicht überspringen möchte.133 Der eigentliche
Bruch - "gegenüber aller bisherigen Geschichte"134 - vollziehe sich daher nicht um
1500, sondern erst seit dem 19. Jahrhundert; "Entgötterung der Welt" und "Prinzip der
Technisierung" seien vorläufige Kennzeichen für dieses Neue, das damit jedoch noch
keineswegs begriffen sei.135
"Noch ohne klares Wissen wird nur immer entschiedener bewußt, in einem
Augenblick der Wellwende zu stehen, die nicht an einer der partikularen
geschichtlichen Epochen der vergangenen Jahrtausende gemessen werden kann.
Wir leben in einer geistig unvergleichlich großartigen, weil an Möglichkeiten und
Gefahren reichen Situation, doch müßte sie, würde ihr niemand genug tun kön-
nen, zur armseligsten Zeit des versagenden Menschen werden."136
Gegenüber solch einem radikalen Neuansatz, der auch bei Heidegger in anderer Form
festzustellen ist, bleibt Guardini im Grunde sehr "traditionell", was in diesem Falle
heißt: "neuzeitlich". In der Autonomwerdung des Menschen sieht er das entscheidende
Identitätsmerkmal der neuzeitlichen Epoche, das sie von den früheren radikal unter-
scheidet. Zwar hatte Guardini, vor allem in den "Briefen vom Corner See", im Sieges-
zug des technischen Fortschritts in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen wichtigen
Einschnitt gesehen und tatsächlich den Eindruck erweckt, als beginne schon hier die
neue, nach-neuzeitliche Epoche.137 In Wirklichkeit beginnt hier erst eine Übergangs-
phase, in der der Mensch noch unzureichend mit dem "Neuen" umzugehen vermag.

131
Vgl. dazu Müller-Lauter, Nietzsche, 53f.; sowie oben unter Kap. I,2,a,bb. - Für Heidegger gehörte
Nietzsche jedoch noch zur abendländischen Metaphysik, freilich als deren Vollender; vgl. Pöggeler, Denkweg,
104-135, bes. 109.
132
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, § 6, 19-27 ("Die Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontolo-
gie"). Hier fragt Heidegger rückwärts - von Kant zu Descartes, von Descartes zur mittelalterlichen Scholastik,
von dort zur Ontologie Piatons und Aristoteles'; der zweite Teil von "Sein und Zeit" sollte diese
"phänomenologische Destruktion" ausführlicher entfalten (vgl. ebd., 39f.).
133 vg] J a s p e r Dj e geistige Situation, 17f.
134
Jaspers, Die geistige Situation, 19.- Vgl. auch das Stichwort Alfred Webers: "Abschied von der bisheri-
gen Geschichte".
135 vg]. Jaspers, Die geistige Situation, 22f.
136
Jaspers, Die geisüge Situation, 23.
137 vg]. Briefe, 68. - Zu diesem Einschnitt vgl. bereits Kap. I,2,a,aa ("Vom Idealismus zum Realismus"). -
Vgl. dagegen die Auffassung von Lina Börsig-Hover, daß die 100 Jahre von 1850 bis 1950 für Guardini gewis-
sermaßen erst die eigentliche Neuzeit bilden - "ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum, wenn bedacht wird, daß
die mittelalterliche Daseinsgestalt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gewirkt hat und bestimmend war ..." (Zeit
der Entscheidung, 131). Ähnlich Kuhn, Guardini, 73-105.
414 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Erst im 20. Jahrhundert - irgendwann zwischen dem Ersten und dem Zweiten Welt-
krieg138 - beginnt der Mensch, unter der Voraussetzung eines den neuen Möglichkeiten
entsprechenden Menschenbildes, diese entschlossen zu ergreifen und damit eine Macht
von bisher ungekanntem Ausmaß zu erlangen. Der Nationalsozialismus und die ande-
ren totalitären Systeme in Vergangenheit und Gegenwart waren erste, wenn auch per-
vertierte Verwirklichungen dieser neuen Macht (vgl. oben in Abschnitt 2 dieses Kapi-
tels). Mit ihnen erst ist die neue Epoche da, von der sich die Neuzeit nochmals als ein-
heitliches Ganzes abgrenzen läßt.

(4) Das "Ende" der "Persönlichkeit"


Jetzt endet aber nicht nur die bisherige Verehrung der "Natur", sondern auch die Zeit
der "Persönlichkeit" und des "Subjekts" im spezifisch neuzeitlichen Sinn. Für das neue
Menschenbild wird das Phänomen der "Masse" bestimmend.139
"Sie bildet nicht eine Vielzahl unentwickelter, aber entwicklungsfähiger Sonder-
gestalten, sondern steht im vorhinein in einer anderen Struktur: dem Gesetz der
Normung, welches der Funktionsform der Maschine zugeordnet ist... Bei diesem
Menschen kann von Persönlichkeit und Subjektivität im oben entwickelten Sinn
nicht mehr gesprochen werden. Er hat gar nicht den Willen, eigen in seiner
Gestalt und originell in seiner Lebensführung zu sein, noch sich eine Umwelt zu
schaffen, die ihm ganz und möglichst ihm allein entspricht. Er nimmt vielmehr
die Gebrauchsdinge und Lebensformen an, wie sie ihm von der rationalen Pla-
nung und den genormten Maschinenprodukten aufgenötigt werden, und tut das
im Großen und Ganzen mit dem Gefühl, so sei es vernünftig und richtig."140
Auch bei den "Führern", die dieser Menschentypus hervorbringe, finde sich die alte
"Persönlichkeit" nicht mehr, weil sie lediglich das "Komplement der Vielen" seien.141
Immer selbstverständlicher würden jetzt auch Menschen als Objekte behandelt, "von
den unzähligen Weisen statistisch-behördlicher 'Erfassung' bis zu den unausdenklichen
Vergewaltigungen des Einzelnen, der Grappen, ja ganzer Völker. Und das nicht nur in
den Notständen und Paroxysmen des Krieges, sondern als normale Form des Regierens
und Verwaltens."142
Andererseits verschwinde zwar das Wort "Persönlichkeit" aus dem Tagesgebrauch,
an seiner Stelle sei aber immer öfter von "Person" die Rede; damit sei nicht mehr das
Reiche oder gar Außerordentliche menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten gemeint,
wie sie im Begriff der "Persönlichkeit" angedeutet seien, sondern etwas "Karges und
Herbes", das aber dafür nicht nur bei einigen Wenigen verwirklicht, sondern "in jedem
menschlichen Individuum aufrechterhalten und entwickelt werden kann." 143
In dieser Beschreibung zeigt sich schon, worauf Guardini hinaus will: Verzicht soll
geleistet werden auf den Anspruch, der im Persönlichkeitsideal der Vergangenheit lag,

138
Vgl. nochmals EdN 49 (s. o.)
139
Vgl. EdN 51-63.
140
EdN 53.
141
Vgl. EdN 54.
142
EdN 54.
143
EdN 55.
Die Gegenwart 415

nicht aber auf den Ansprach menschlicher Personalität. Darin liegt vielmehr die
"entscheidende Tatsache des Menschlichen"144:
"Person zu sein. Angerufen von Gott; von daher fähig, sich selbst zu verantwor-
ten und aus innerer Anfangskraft in die Wirklichkeit einzugreifen."145
Solche Personalität liegt zwar auch dem neuzeitlichen Persönlichkeits- und Subjekt-
verständnis zugrunde, dieses habe jedoch in gewisser Hinsicht den Blick darauf ver-
stellt, weil sie immer an die "kleine Zahl" geknüpft gewesen sei - gebunden an Origi-
nalität und Begabung, das kulturell Hochwertige und Schöne.146 Im Verlust dieses
Ideals liege daher auch eine Chance:
"So seltsam es klingen mag: die gleiche Masse, welche die Gefahr der absoluten
Beherrschbarkeit und Verwendbarkeit in sich trägt, hat auch die Chance zur vol-
len Mündigkeit der Person in sich. Allerdings sind dabei Aufgaben einer inneren
Befreiung, einer Stählung gegen die immer ungeheuerlicher anwachsenden Es-
Mächte gestellt, die wir noch kaum erst zu ahnen vermögen."147
Nicht gerne ringt sich Guardini auch diesmal zu einem "Ja" durch, obwohl er bereits in
den "Briefen zum Comer See" die Möglichkeit eines positiven Verhältnisses zur Masse
angedeutet hatte.148 Es ist auch in der Tat waghalsig - angesichts der negativen Kenn-
zeichnungen, die er diesem Phänomen zuvor gegeben hat.149 Aber gerade weil er um
seine Voreingenommenheit für das neuzeitliche Persönlichkeitsideal weiß, meint er
"mit einer entschiedenen Anstrengung" über sich hinausgehen und sich dem öffnen zu
müssen, "was vielleicht ihn selbst in seinem geschichtlich geformten Wesen
bedroht."150
Aber noch ein zweiter Gesichtspunkt erleichtere diese Öffnung. Es geht um das
"Herrschaftswerk über die Welt".151
"Der Vorgang vollzieht sich heute unter so viel Entwürdigung und Vergewalti-
gung des Menschen, daß man in Gefahr steht, seinen positiven Sinn nicht zu
sehen."152
Er besteht darin, daß dieses Werk gar nicht aus den Möglichkeiten des Einzelnen zu
lösen ist, sondern nur in einer vollkommenen "Solidarität" der Vielen. Guardini spricht
von der "Kameradschaft" als "Anzeichen von Werdendem". Sie könnte, aus der Person
heraus begriffen, zum großen menschlichen "Positivum" der Masse werden. Auch
echte Demokratie könne nur dort verwirklicht werden, wo nicht mehr die Persönlich-
keit Weniger das Leitbild sei, sondern die Personalität Aller.153 Freilich will Guardini
nicht etwa die Masse heiligsprechen. Wenn er sie positiv nimmt, dann deshalb, weil er
weiß, daß es keine Alternative dazu gibt.

144
EdN 56.
145
EdN 56. - Zum Grundansatz im Anschluß an die "Briefe vom Comer See" siehe Kap. IV,I,c; zur philo-
sophisch-theologischen Begründung Kap. VI,l,c.
146
Vgl. EdN 56.
147
EdN 57.
148
Vgl. Briefe, 48-58, bes. 58.
149
Biser spricht von der "ans Verwegene grenzende(n) Kühnheit dieser Prognose" (Interpretation, 91).
150
EdN 56.
151
Vgl.EdN57f.
152
EdN 58.
153
Vgl. EdN 58f.
416 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Gewiß tritt sie, da sie noch keine Tradition hat, ja sich gegen die bisher gültigen
Traditionen durchsetzen muß, am fühlbarsten unter negativem Charakter hervor;
im Wesen bildet sie aber eine geschichtliche Möglichkeit wie andere auch. Sie
wird nicht die Lösung der Existenzprobleme bringen und ebensowenig die Erde
zum Paradies machen; aber sie trägt die Zukunft - die nächste Zukunft, welche
dauern wird, bis die übernächste anfängt."154
Chance kann die Masse nur unter der Anerkennung der Personalität jedes einzelnen
Menschen sein.
"Gelingt das nicht, dann tritt die zweite furchtbare Möglichkeit ein: daß der
Mensch den Es-Mächten verfällt."155
Ein neuer Gedankengang Guardinis faßt das bisherige Menschenbild unter dem Begriff
des "Humanen" zusammen, mit dem nun doch eine Klammer um Antike, Mittelalter
und Neuzeit gezogen wird. Das entscheidende Kennzeichen dieses "Humanen" aber
liegt nach Guardini darin, "daß das Wirkfeld dieses Menschen mit seinem Erlebnisfeld
zusammenfiel."156 Wollen und Können hätten ebenso im Einklang mit der körperlich-
seelischen Organisation des Menschen, wie mit der unmittelbar gegebenen Natur ge-
standen: "Der Mensch beherrschte sie, indem er sich in sie einfügte."157 Wir kennen
diese Definition aus den "Briefen vom Comer See" und erinnern uns, daß dieses Men-
schenbild damals schon als vergangen erklärt wurde. Nun sieht Guardini ausdrücklich
den "nicht-humanen" Menschen kommen, ohne damit freilich ein Werturteil zu ver-
binden; gemeint ist vielmehr einfach dies, daß die alte Harmonie zwischen "Erlebnis-
und Wirkfeld" nun nicht mehr in dieser Form besteht:
"Der Mensch weiß nun intellektuell-wissenschaftlich einfachhin mehr, als er sin-
nenhaft sehen, ja auch nur vorstellen kann, denken wir an die Größenordnungen
der Astronomie. Er vermag Wirkungen zu planen und durchzuführen, die er ein-
fachhin nicht mehr durchfühlen kann, denken wir an die durch die Physik er-
schlossenen technischen Möglichkeiten."158
Dem "nicht-humanen" Menschen in diesem Sinne aber entspricht eine "nicht-natürli-
che" Natur, so daß die oben angedeutete "Ernüchterung" erklärt ist:
"Jetzt wird die Natur schlechthin fern und ermöglicht keine unmittelbare Bezie-
hung mehr. Sie kann weithin nicht mehr anschaulich, sondern nur noch abstrakt
gedacht werden. Sie wird immer mehr zu einem verwickelten Gefüge von Rela- j
tionen und Funktionen, nur in mathematischen Zeichen zu erfassen, und von
etwas getragen, das nicht mehr eindeutig benannt werden kann."159
In den beiden Phänomenen des "nicht-humanen" Menschen und der "nicht-natürli-
chen" Natur" sieht Guardini den Grandbezug, auf dem das kommende Dasein auf-
bauen wird.160

154
EdN 52.
155
EdN 59. - Auch danach käme eigentlich ein Absatz im Text; Guardini beginnt mit einem neuen Gedan-
kengang (vgl. 2. Aufl., 80).
156
EdN 59.
157
EdN 60.
158
EdN 60.
159
EdN 62.
160
Vgl. EdN 63.
Die Gegenwart 417

(5) Zwischenreflexion: "Ende" oder "Vollendung" der Neuzeit?


Bevor wir der Auflösung des dritten Grundelementes, der "Kultur", folgen, ist es sinn-
voll, die bisherige Analyse einer kritischen Besinnung zu unterziehen. Ein erster
Ansatzpunkt dafür bildet die These von der Auflösung des neuzeitlichen Naturbegriffs
in der Gegenwart. Reicht es wirklich aus, dazu den Naturbegriff Goethes zu verfolgen?
Handelt es sich bei dieser Auflösung nicht in Wirklichkeit bereits um das Ergebnis
einer neuzeitlichen Selbstkritik, die bereits in der Aufklärungszeit beginnt? Gehört also
das, was Guardini der Gegenwart vorbehält - nämlich daß Natur "weder als gültige
Norm, noch als lebendige Bergung" erfahren wird, - nicht bereits zum Charakteristi-
kum der modernen Naturerfahrung selbst?161 Ist daher die von Guardini
"nachneuzeitlich" verstandene Epoche nicht in Wirklichkeit nur "die dritte, die Vollen-
dungsperiode der Neuzeit"162?
In der Tat deutet Krüger mit seiner Frage etwas an, was wir vor dem Hintergrund der
weiteren Entwicklungen, die auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre folgten, durchaus
bestätigen können. Vor allem in den sechziger Jahren kam es ja zu einer neuen An-
knüpfung an die Errungenschaften der Aufklärung - allerdings nicht nur dadurch, daß,
wie Krüger ahnte, die Herrschaftsausübung der aufgeklärten Vernunft sich noch stei-
gerte; 163 hinzu kam vielmehr die Selbstkritik der aufgeklärten Vernunft, eine
"Dialektik der Aufklärung" (Horkheimer/Adorno),164 die freilich selbst schon wieder
inzwischen "postmodern" überholt zu sein scheint.165 Wenn aber "Dialektik der Auf-
klärung" heißt, daß das "Richtige" an der Neuzeit, das auch Guardini in der
"Mündigkeit" des Menschen sieht (vgl. dazu v. a. Kapitel VI,l,c,aa), in neuer Weise

101
Vgl. Krüger, Zukunft, 84f.
162
Krüger, Zukunft, 86.
163 vgl. Krüger, Zukunft, 89-91. - "Wenn der Grundcharakter der Neuzeit in der Emanzipation von allen
religiösen Bindungen und im Verlust der wahren Personalität besteht, dann kommt offenbar alles darauf an,
das 'Kommende', nämlich die 'rettungslose Vollendung der Emanzipation und den definitiven Verlust der wah-
ren Humanität' gar nicht kommen zu lassen, sondern die unleugbare Erschütterung aller modernen Menschen,
die um ihre 'Existenz' fürchten, zum Ausgangspunkt einer Besinnung zu machen, in der die verhängnisvollen
Grundlagen der Neuzeit selbst einer radikalen Revision unterzogen werden" (ebd., 90). Solch eine "Revision"
wollte Guardini nicht anstreben, sondern vielmehr eine aus der "Annahme" des Massenmenschen hervorge-
hende personale Verwirklichung.
164
Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung (urspr. 1944; dt. 1947). Zu Adorno vgl. H. Brunk-
horst, Der Intellektuelle im Land der Mandarine, Frankfurt 1987; ders., Theodor W. Adorno. Dialektik der
Moderne, München-Zürich 1990. Siehe auch die Bemerkungen oben unter Kap. VI,2,c.
165
Der entscheidende Streitpunkt ist deshalb auch heute wieder, ob die Gefahren menschlicher Herr-
schaftsausübung in einem "Zuviel" oder in einem "Zuwenig" an Rationalität begründet liegen. Modellhaft dafür
scheint die Auseinandersetzung Schmucker-von Kochs mit Dieter Henrich, der für eine "Universalisierung des
modernen Prinzips" und gegen eine "Revision der Grundstellung der Moderne" eintritt (Die Grundstruktur der
modernen Philosophie, in: H. Ebeling (Hg.), Subjektivität und Selbsterhaltung. Beiträge zur Diagnose der
Moderne, Frankfurt 1976, 97-122, hier 119). Schmucker-von Koch dagegen fragt - unter Berufung auf
Guardini! -, "ob nicht eine 'Revision der Grundstellung der Moderne' um einer humanen Zukunft willen drin-
gend an der Zeit ist" (Autonomie, 11; vgl. ebd., 10f.). Diese "Revision" sieht er in einer Wiederentdeckung der
"Transzendenz", wobei dies - anders als bei Guardini! - ein philosophischer, kein theologischer Begriff ist.
Während Guardinis Offenbarungsstandpunkt sich sehr wohl - zumindest grundsätzlich - mit dem neuzeitlichen
Grundansatz verträgt, nur nicht mit seiner "autonomistischen" Übersteigerung, ist die "Transzendenz"
Schmucker-von Kochs offenbar etwas "Neues" gegenüber der Moderne. "War es Kant darum zu tun, die Auto-
nomie der Vernunft dadurch zu begründen, daß er sie gegen jegliche transzendenten Ansprüche sicherte, so ist
vom Denken heute gefordert, sich der transzendenten Ansprüche an die Vernunft anzunehmen, um die
Vernünftigkeit der Vernunft selbst zu retten" (ebd., 11).
418 Die Kultur am Ende der Neuzeit

zur Geltung kommt, dann steht er einer solchen Selbstkritik näher, als manche
"posrmoderne" Guardini-Interpreten vermuten.166 Dann darf Guardinis These vom
Ende der "Neuzeit" aber nicht allzu wörtlich genommen werden, sondern eher als
durchaus zeitgebundener Ausdruck eines Daseinsgefühls, das - unter dem Eindruck
gewaltiger Katastrophen - die Diskontinuitäten höher bewertete als die positiven wie
negativen Kontinuitäten.
Auch der Aufstand der Arbeiter im 19. Jahrhundert, der sich im Namen der neuzeit-
lichen Emanzipation vollzog und das Zeitalter der "Masse" mit heraufgeführt hat, ge-
hört zu diesen Kontinuitäten. Der marxistisch geprägte Walter Dirks hat diese Brücke
geschlagen, wenn er in Guardinis Verabschiedung des neuzeitlichen Persönlichkeits-
ideals eine Grandforderang der Arbeiterklasse erkennt.167 Indem Guardim sich gegen
die elitäre Persönlichkeitskultur entscheide, stelle er sich
"in seiner Weise auf die Seite des arbeitenden Menschen und seiner besten Kraft,
der Solidarität. Das wird vielen Menschen Mut machen. Er verurteilt den kleinen
Mann nicht zum geistigen Tode, sondern weist ihm eine große Aufgabe zu, eine
gefahrvolle und noble Aufgabe. Er sieht in dem, was wir ängstlich oder hochmü-
tig 'Masse' nennen, den Ort für den Heiligen Geist neu bereitet."168
Guardini-Kritiker, die bezweifeln, ob im Zeitalter der "Masse" überhaupt so etwas wie
personale Verwirklichung möglich ist, und die deshalb dazu raten, das Massenphä-
nomen selbst zu bekämpfen,169 stellen sich darunter offenbar immer noch etwas Min-
derwertiges vor und nicht die von personalen Werten getragene solidarische Ganzheit
von Menschen, die Guardini und Dirks erahnten, deren Verwirklichung aber immer
noch aussteht.

(6) Das "Ende" einer "humanen" Kultur


Die Bezeichnungen "human" und "nicht-human" dürfen sicherlich nicht überstrapaziert
werden, zumal Guardini selbst ihre Unzulänglichkeit erkannte und deutlich zwischen
"nicht-human" und "inhuman" unterschieden wissen wollte.170 Wenn er "human" jene
menschliche Existenz nennt, die noch durch eine Übereinstimmung von Erlebnis- und
Wirkfeld gekennzeichnet ist,171 dann will er mit dem Begriff des "nicht-humanen"
Menschen vor allem auf die inzwischen eingetretene radikale Distanzierung des Men-
schen von der Natur verweisen, zugleich aber auch die Möglichkeit einer qualitativ
anderen Beherrschbarkeit der Natur andeuten. Zwischen Mensch und Natur trete jetzt
immer mehr die Maschine, so daß der Mensch zwar die Wirkungen seines Handelns
auf die Maschine spüren kann, immer weniger jedoch die Wirkungen, die er selbst mit
der Maschine auslöst.172 In Zukunft werde der Mensch daher fähig sein,

166 vgl. bes. Börsig-Hover, Zeit der Entscheidung. - Schmucker-von Koch weist dagegen auf die
"dialektische" Einstellung Guardinis zur Neuzeit hin (vgl. bes. Autonomie, Anm. 70, 30).
167
Er sieht eine tiefe Verwandtschaft zwischen der "Solidarität" bei Guardini, dem "personalistischen
Sozialismus" bei Mounier und den Formen gewerkschaftlicher Aktivität (vgl. Dirks, Ende der Neuzeit, 36f).
168
Dirks, Ende der Neuzeit, 37.
169
Vgl. etwa Krüger, Zukunft, 86-91; Münster, Ende der Neuzeit?, 1 lf.
170
Vgl. EdN Anm. 8 (ab 3. Aufl.), 61.
171
Kritisch dazu aus naturwissenschaftlicher Sicht allerdings: Münster, Ende der Neuzeit?, 12-15.
172 vgl. EdN 59-61. Es ist anzunehmen, daß Guardini hierbei auch an die Atombombe denkt (vgl. etwa
Macht, 98), zumindest aber an die Bombenabwürfe auf die deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg. Vgl. dazu
Die Gegenwart 419

"seine Herrschaft über die Welt zu ihren letzten Konsequenzen zu führen, indem
er seine Zwecke frei setzt, die unmittelbare Wirklichkeit der Dinge auflöst und
ihre Elemente zur Verwirklichung seiner Ziele verwendet - ohne Rücksicht auf
irgendwelche Unantastbarkeiten, wie sie sich aus dem früheren Menschen- und
Naturbild ergeben mochten."173
Damit sind wir beim dritten Daseinselement der Neuzeit, der "Kultur". Auch sie erhält
nach Guardini in der Gegenwart einen völlig neuen Charakter. Wo sich "Natur" und
"Persönlichkeit" (im neuzeitlichen Sinne) auflösen, muß sich auch das verändern, was
"zwischen" diesen beiden "Polen" sich jeweils neu bildet. Es verschwindet jedoch
nicht etwa auch noch, sondern wird im Gegenteil in solchem Maße gesteigert, daß es
in der Lage ist, jene Funktion zu erfüllen, die bisher die "Natur" für den Menschen
gehabt hat. Die Technik wird in der "nach-neuzeitlichen" Epoche dem Menschen sozu-
sagen zur zweiten "Natur".
Dies sieht Guardini auch in der gegenwärtigen Kulturkritik zum Ausdruck kommen,
die mcht mehr von außen, sondern von innen, aus der Kultur selbst, kommt. Darin
werde nicht mehr nur ein einzelnes Element der neuzeitlichen Entwicklung in Frage
gestellt, sondern der für die Neuzeit typische Kulturoptimismus selbst:
"Die Dinge sind einen falschen Weg gegangen, die Zustände zeigen es. Unsere
Zeit fühlt das, und ist im Tiefsten beunruhigt. Darin liegt aber auch ihre große
Chance: den Optimismus der Neuzeit durchbrechen und die Wahrheit sehen zu
können."174
Dies zeige sich zum Beispiel an der Wesensbestimmung des Menschen, die sich
zunehmend als unzureichend erweise: "Wäre die Kultur, als was die Neuzeit sie gese-
hen hat, dann hätte sie den Menschen nie in einer solchen Weise verfehlen, ihn nie
derart aus dem Blick und den Ordnungen verlieren können, wie sie es getan hat."175
Dann kommt Guardini aber auf die Macht zu sprechen:
"Der neuzeitliche Mensch ist der Meinung, jede Zunahme an Macht sei einfach-
hin 'Fortschritt'; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wert-
sättigung. In Wahrheit ist die Macht etwas durchaus Mehrdeutiges; kann Gutes
wirken wie Böses, aufbauen wie zerstören. Zu was sie tatsächlich wird, hängt
davon ab, wie die Gesinnung ist, die sie regiert, und der Zweck, zu dem sie
gebraucht wird."176
Da nun aber die Erziehung zumrichtigenGebrauch der Macht nicht mit ihrer immen-
sen Zunahme Schritt gehalten habe, wachse beständig die Möglichkeit, der Mensch
werde die Macht falsch gebrauchen.
"Mehr: die Entwicklung macht den Eindruck, als ob die Macht sich objektiviere;
als ob sie im Grande überhaupt nicht mehr vom Menschen innegehabt und

Erwiderung, 25: "Wenn einer, um ein primitives Beispiel zu nehmen, den vor ihm stehenden Menschen nieder-
schlägt, dann kann er noch Tat und Wirkung in einer ganz anderen Weise fühlend realisieren, als wenn er in
ferner Höhe auf einen Knopf drückt und daraufhin unten eine Stadt in Trümmer fällt und Hunderttausende
sterben."
173
EdN63f.
174
EdN 67.
175
EdN 69f. - Vgl. dazu auch bereits WP 9.
176
EdN 70.
420 Die Kultur am Ende der Neuzeit

gebraucht werde, sondern sich selbständig aus der Logik der wissenschaftlichen
Fragestellungen, der technischen Probleme, der politischen Spannungen
weiterentfalte und zur Aktion bestimme."177
Wenn "Kultur" das wäre, als was die Neuzeit sie ansieht, nämlich etwas "Gesichertes"
und in sich Gutes, dann hätten nach Guardini nicht die Dinge geschehen können, die in
den letzten Jahrzehnten geschehen sind.
"Diese Erkenntnis bricht sich allmählich Bahn - ob rasch genug, um ein die ganze
Erde treffendes, weit über einen Krieg hinausgehendes Unheil aufzuhalten, ist
eine andere Frage. Jedenfalls ist der bourgeoise Aberglaube an die innere Zuver-
lässigkeit des Fortschritts erschüttert. Viele ahnen, daß 'Kultur' etwas anderes ist,
als die Neuzeit gemeint hat: keine schöne Sicherheit, sondern ein Wagnis auf
Leben und Tod, von dem niemand weiß, wie es ausgehen wird."178
Jetzt wird ergänzt, was dann die nachfolgende Schrift über die Macht näher erläutert
(vgl. bereits oben Abschnitt 2,c und unten Abschnitt 3,b,aa [2]): Die Kultur, die
eigentlich ursprünglich Sicherheit schaffen sollte gegenüber den Gefahren der Natur,
wird nun plötzlich selbst zur Quelle der Gefahr.
"Die Wildnis in ihrer ersten Form ist bezwungen: die unmittelbare Natur
gehorcht. Sie kehrt aber innerhalb der Kultur selbst wieder, und ihr Element ist
eben das, was die erste Wildnis bezwungen hat: die Macht selbst."179
An dieser Stelle werden Guardinis Prognosen am düstersten und sind nicht mehr weit
von Spenglers Visionen über die Untergangsphase der abendländischen Kultur ent-
fernt:
"Alles wuchernde und erwürgende Wachstum der Wälder dringt wieder vor. Alle
Ungeheuer der Einöden, alle Schrecken der Finsternis sind wieder da. Der
Mensch steht wieder vor dem Chaos; und das ist um so furchtbarer, als die mei-
sten es gar nicht sehen, weil überall wissenschaftlich gebildete Leute reden,
Maschinen laufen und Behörden funktionieren."180
Guardini kann sich aber dennoch nicht entschließen, in Entsprechung zu den Formulie-
rungen von einer "nicht-natürlichen" Natur und einem "nicht-humanen" Menschen nun
auch von einer "nicht-kulturellen Kultur" zu sprechen.181 Er findet überhaupt keinen
passenden Begriff dafür, obwohl der Gesamttendenz seiner Ausführangen nach
eigentlich leicht von einer "nicht-humanen" Kultur gesprochen werden könnte; die
Gestalt der jeweiligen Kultur ist ja abhängig vom jeweiligen Menschentyp. Jedenfalls
unterscheidet sich nach ihm das kommende "Menschenwerk" fundamental von demje-
nigen der vorausgehenden neuzeitlichen Epoche:
"Der existentielle Raum, in dem es steht, ist ein anderer; anders ist sein Charakter
und anders, was von ihm abhängt."182

177
EdN 71.
178
EdN73f.
179
EdN 77.
180
EdN 77.
181
Vgl. EdN 74 und 77.
182
EdN 77.
Die Gegenwart 421

(7) Das Schicksal des Glaubens


Nachdem Guardini sowohl bei der Darstellung des Mittelalters wie bei der der Neuzeit
die Auswirkungen auf den Glauben thematisiert hat, bleibt dieser Aspekt auch noch für
die kommende Zeit zu klären. Welche Gestalt wird die Religiosität in der Zukunft
haben?
Allerdings muß jetzt immer klarer zwischen dem christlichen Glauben und der
unmittelbaren religiösen Erfahrung unterschieden werden.183 Ein Rückblick ins
Mittelalter zeigt, daß dort nicht nur Glaube und Kultur, sondern auch Glaube und
religiöse Erfahrung untrennbar miteinander verbunden waren, daß aber die Form dieser
Einheit nicht einfach mit dem Wesen des Christentums verwechselt werden darf - eine
Erkenntnis, in denen Guardini langjährige Reflexionen zur "Unterscheidung des
Christlichen" verwertet.184 In der Neuzeit nun fällt auf, daß ein "von direkten christli-
chen Einflüssen abgelöstes autonomes Weltdasein" entsteht. Ihm entspricht jedoch
auch
"eine Christlichkeit, die in eigentümlicher Weise diese 'Autonomie' nachahmt.
Wie sich eine rein wissenschaftliche Wissenschaft, eine rein wirtschaftliche Wirt-
schaft, eine rein politische Politik herausbildet, so auch eine rein religiöse Reli-
giosität."185
Hinzu kommt aber etwas, das bisher in den Schriften Guardinis noch nicht so stark
herausgestellt worden war:
"... der neuzeitliche Mensch verliert weithin nicht nur den Glauben an die christ-
liche Offenbarung, sondern erfährt auch eine Schwächung seines natürlichen reli-
giösen Organs, so daß er die Welt immer mehr als profane Wirklichkeit sieht."186
Nicht nur der Vorsehungs-, sondern auch der Schicksalsglaube mache jetzt dem
modernen Versicherungswesen Platz, in dem man sich für alles "vorsehen" könne. Der
Geheimnischarakter von Empfängnis, Geburt, Krankheit und Tod schwinde ebenfalls
wie der religiöse Akzent, der früher auf dem Staat geruht habe. "Überall bilden sich
Weisen des Existierens, die sich nur vom Empirischen herleiten."187
Diese Beobachtungen scheinen im Widersprach zu den Ausführungen in "Welt und
Person" zu stehen, wo Guardini noch ausdrücklich hervorgehoben hatte, daß der Pro-
zeß der Autonomisierung nicht mit einer Leugnung des Religiösen verbunden sein
muß, ja sogar selbst religiös motiviert sein kann.188 Mehr und mehr scheint Guardini
aber inzwischen erkannt zu haben, daß zwar die nachchristliche "Religiosität" der
Neuzeit sich an neue Inhalte und Objekte binden kann - zuletzt sogar an "Führer",
"Volk" und "Rasse" (vgl. dazu oben Abschnitt 2,b) -, daß dies aber die reine Profanität

183 vgl. EdN Anm. 11, 80, sowie der satztechnisch abgehobene und als "Anmerkung" gekennzeichnete
Textabschnitt ebd., 81-85. In den ersten Auflagen der Schrift standen diese Ausführungen im Textkorpus
selbst, erst die späteren haben sie aus dem Zusammenhang genommen, weil Guardini darin offenbar ein Seiten-
thema sah.
184
Vgl. EdN Anm. 11, 80. - Vgl. Christentum und Kultur (1926); Wesen des Christentums (1929); Reli-
giöse Erfahrung (1934); Unterscheidung des Christlichen (Sammelband 1935); Offenbarung (1940) u. ö.
185
EdN 81.
186
EdN 82.
187
EdN 83; vgl. ebd., 82f.
188
Vgl. WP 87-89; vgl. ebd., 89-96, wo Guardini diese These im Blick auf die Jenseitsvorstellungen bei
Hölderlin und Rilke erläutert.
422 Die Kultur am Ende der Neuzeit

nur vorläufig verschleiert. Während bei Hölderlin noch in der Tat der Durchbruch zu
einer neuen echten Religiosität zu beobachten war, enthüllte die Beschäftigung mit
Rilke sehr bald, daß ein solcher Versuch am Ende der Neuzeit im Grunde gar nicht
mehr gelingen konnte (vgl. Kapitel V, 2,d). Gerade die Versuche dieses Dichters,
"durch Säkularisierung christlicher Gedanken und Haltungen einen neuen Mythos
hervorzubringen",189 sind nach Guardini in religiöser Hinsicht nur noch "von einer
rührenden und, bei dem Anspruch der 'Elegien', befremdenden Hilflosigkeit."190
Weder die Versuche, von der Antike aus einen neuen religiösen Weg zu suchen,
noch die einer Erneuerung des nordischen Mythos führen daher letztlich zum Ziel.191
Dies hat seinen Grund nicht nur in der kulturellen Entwicklung, sondern bereits im
christlichen Glauben selbst. Guardini spielt hier auf die entscheidende geschichtliche
Wirkung des Offenbarungsglaubens an - auf die radikale Entwertung des Mythos und
die Durchbrechung aller mythischen Weltzusammenhänge zugunsten einer personalen
Verantwortung vor Gott. "Auch das nordische Heidentum stand noch vor jener Ent-
scheidung, die es zwang, aus dem geborgenen und zugleich gebannten Leben des
unmittelbaren Daseins mit seinen Rhythmen und Bildern in den Ernst der Person zu
treten - wie immer auch die Entscheidung ausfallen mochte."192 Schon das Alte
Testament aber zeige den "Lebendigen Gott, der den mythischen Weltbann ebenso
durchbricht wie die heidnisch-politischen Weltmächte"193, und so machen sämtliche
Versuche zur Bildung neuer Mythen immer den Eindruck eines "Unerwachsenseins"
und wirken "wesenlos".194
Nun war Guardini überzeugt, daß religiöse Erfahrungen von der Offenbarung geläu-
tert und in ihren Sinnzusammenhang aufgenommen werden,195 ja dem Glauben auf
diese Weise sogar besonders dienlich sein konnten; sie führten "dem christlichen
Glauben elementare Kräfte und einen Welt- und Lebensstoff zu, durch welchen die
Inhalte der Offenbarung auf die irdische Wirklichkeit bezogen werden."196 Daher hat
das Schwinden der religiösen Erfahrung durchaus bedeutsame Konsequenzen für die
christliche Existenz:
"Die religiöse Fülle hilft glauben; sie kann aber auch den Inhalt dieses Glaubens
verschleiern und verweltlichen. Nimmt sie ab, dann wird der Glaube karger,
dafür aber reiner und kräftiger. Er bekommt einen offeneren Blick für das, was
wirklich ist, und der Schwerpunkt rückt tiefer ins Personale: in Entscheidung,
Treue und Überwindung."197
Die nichtchristlich gewordene Kultur aber, die auch noch das "Religiöse" abstreift,
werde in neue Aporien geraten. Am Beispiel des Eides macht Guardini deutlich, daß
ohne religiöse Wirklichkeit kein großer Sinn mehr hinter diesem Vorgang steht, da es
ja letztlich nichts Unantastbares mehr gibt, auf das man sich berufen kann.
189
EdN 89.
190
EdN 90.
191
Vgl. EdN 88f.
192
EdN 89.
193
EdN 93.
194
Vgl. EdN 89.
195 vgl. EdN Anm. 11, 80. An anderer Stelle hatte Guardini von "Heimholung" des Religiösen gesprochen;
vgl. Religiöse Erfahrung, 338f.
196
EdN Anm. 11,80.
197
EdN Anm. 13,91.
Die Gegenwart 423

"Ohne das religiöse Element wird das Leben wie ein Motor, der kein Öl mehr
hat. Es läuft sich heiß. Alle Augenblicke verbrennt etwas. Überall sperren sich
Teile, die genau ineinander greifen müßten. Mitte und Bindung gehen verloren.
Das Dasein desorganisiert sich - und dann tritt jener Kurzschluß ein, der sich seit
dreißig Jahren in immer steigendem Maße vollzieht: es wird Gewalt geübt. Durch
sie sucht sich die Ratlosigkeit einen Ausweg. Wenn die Menschen sich nicht
mehr vom Innern her gebunden fühlen, werden sie äußerlich organisiert; und
damit die Organisation arbeitet, setzt der Staat seinen Zwang dahinter. Kann aber
auf die Dauer aus Zwang existiert werden?"198
Der Verlust des religiösen Elements ist also sowohl vom Christentum wie von der Kul-
tur her problematisch. Dennoch sieht Guardini darin eine nicht mehr aufzuhaltende
Entwicklung. Sie ist nur ein Aspekt jener gesamten Entwicklung, die mit der Entfrem-
dung zwischen Christentum und Kultur in der Neuzeit begonnen hat. Diese wurde nur
vorläufig verschleiert dadurch, daß die Kultur durchaus ethische Werte, die sich unter
dem Einfluß des Christentums entwickelt hatten, bewahrt hatte, z. B. die Werte der
Personalität, der individuellen Freiheit, Verantwortung und Würde, der gegenseitigen
Achtung und Hilfsbereitschaft. Für Guardini sind diese Werte nicht typisch neuzeit-
lich, sondern an die Offenbarung gebunden; darum kann er es nur als "Unredlichkeit"
verbuchen, wenn die Neuzeit sich ihre Entdeckung selbst zuschreibt.199
Diese Einschätzung, auf die andernorts schon eingegangen worden ist (vgl. Kapitel
V,2,d), verbindet sich für Guardini mit dem Begriff der "Säkularisierung". Die kom-
mende Zeit werde in diesen Dingen eine furchtbare, aber heilende Klarheit schaf-
fen.200 Die nicht-christliche Existenz werde aus dem "Nebel der Säkularisation" her-
austreten und das bisherige "Nutznießertum" aufgeben.201 Guardini rechnet damit, daß
auch die christlichen Werte, die sich die Neuzeit angeeignet hatte, bei dieser Bereini-
gung verschwinden werden und erkennt darin nur die äußerste Konsequenz der gesam-
ten bisherigen Entwicklung. Einen Beleg dafür sieht er in der Ideologie des National-
sozialismus, die offenbar aller neuzeitlichen Kulturtradition widersprach; "in Wahrheit
hat sich da eine Leere kundgetan, die schon lange vorher bestanden hatte. Die echte
Personalität mitsamt ihrer Welt von Werten und Haltungen war mit der Absage an die
Offenbarung aus dem Bewußtsein verschwunden."202 Auf der anderen Seite muß auch
der christliche Glaube sich von den "Säkularisationen, den Ähnlichkeiten, Halbheiten
und Vermengungen" befreien.203 Sie haben nämlich in der Vergangenheit den Christen
unsicher gegenüber der Neuzeit gemacht. Wenn die Kultur auch die säkularisierten
Christlichkeiten für "Sentimentalitäten" erklärt, wird die Luft klarer werden: "Voll
Feindschaft und Gefahr, aber sauber und offen."204
Jetzt erst tritt auch der eschatologische Charakter der Glaubensentscheidung klar
hervor, den Guardini am Ende seines "Versuchs zur Orientierung" ins Gespräch bringt:

198
EdN 84f.
199
Vgl. EdN 86.
200
Vgl. EdN 87f.
201
Vgl. EdN 88.
202
EdN 87.
203
EdN 90.
204
EdN 92.
424 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Dieser eschatologische Charakter wird sich, scheint mir, in der kommenden


religiösen Haltung anzeigen. Damit soll keine wohlfeile Apokalyptik verkündet
werden. Niemand hat das Recht zu sagen, das Ende komme, wenn Christus selbst
erklärt hat, die Dinge des Endes wisse der Vater allein (Mt 24,36). Wird hier also
von einer Nähe des Endes gesprochen, dann ist das nicht zeithaft, sondern
wesensmäßig gemeint: daß unsere Existenz in die Nähe der absoluten Entschei-
dung und ihrer Konsequenzen gelangt; der höchsten Möglichkeiten wie der
äußersten Gefahren."205
Keine fatalistische Einwilligung in den Untergang ist also gemeint (mit der nur Speng-
lers Geschichtsmorphologie christlich umgedeutet wäre), sondern vielmehr gerade eine
Ermutigung für jeden Menschen, die Herausforderung der Zukunft anzunehmen. Die
"weltüberwindende" Kraft des Glaubens kann ihm nämlich helfen,
"im Ortlosen und Ungeschützten zu stehen und Richtung zu wissen. Sie wird ihn
fähig machen, in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zu treten, quer durch alle
Situationen des Zwanges und der Gefahr hindurch; und in der wachsenden Ein-
samkeit der kommenden Welt - einer Einsamkeit gerade unter den Massen und in
den Organisationen - lebendige Person zu bleiben."206

dd. Folgerungen: Die "Gefährdung" der Kultur und die " Unvollständigkeit" des
Menschen
Wenn Guardini von der Macht als dem Kernproblem der künftigen Kulturarbeit
spricht,207 dann hat er offenbar nicht nur die totalitären Systeme und die totalistischen
Tendenzen des modernen Staates überhaupt vor Augen (vgl. oben Abschnitt 2 dieses
Kapitels), sondern auch die Entbindung unkontrollierter Kräfte durch die moderne
Technik, wie sie im Abwurf der Atombombe über Hiroshima zum Ausdnick gekom-
men war.208 All dies steigert die im Grande aller Technik innewohnenden Gefahr ins
Ungeheure.
"Der Mensch will die Welt erkennen, um sie in neuer Form hervorzubringen. Das
ist der Sinn des kulturellen Schaffens, und seine Verwirklichung führt durch
immer größere Gefahr."209
In einer Analyse über die "Situation des Menschen" hat Guardini diesen Aspekt dann
noch näher ausgeführt. Er beschreibt, wie sich die Erfahrung der "Natur" im Zuge der
kulturellen Entwicklung einschneidend verändert hat. Bis in die Neuzeit hinein sei die
Natur dem Menschen mit einer "in ihrem Wesen entspringenden Initiative" entgegen-
getreten.210 Nun scheine sie zum bloßen Objekt geworden zu sein.211 Ja, das Daseins-
element der "Natur" selbst sei im "Schwinden" begriffen und werde immer mehr

205
EdN 94.
206
EdN 93f.
207
Vgl. EdN 77.
208 vg], Macht, 98: "Diese Bedrohung hat in der Atombombe jenen Ausdruck gefunden, der die Allge-
meinheit in ihrer Phantasie und ihrem Lebensgefilhl erfaßt, zum Symbol für etwas überall Bedeutsames wird."
209
Macht, 146.
210
Situation, 220; vgl. ebd., 220-222.
211
Vgl. Situation, 222f.
Folgerungen 425

"durch das der 'Geschichte' aufgezehrt"212. Die Gefährdung, die in diesem Vorgang
steckt, veranschaulicht Guardini mit der Sprengung eines "Atoms":
"Vermag der Mensch die von ihm ins Freie gezwungene Energie neu zu binden?
Nicht im physikalischen Sinne, indem die und die Wirkungen eintreten, sondern
im geschichtlichen? Kann die geschichtliche Bindung an die Stelle der natürli-
chen treten, damit nicht irgendwo Chaos entstehe?"213
Und wenn der Einzelmensch als das "Atom" der Geschichte bezeichnet werde - was
geschieht dann, wenn die menschliche Individualität "durch psychologische Forschung
und Technik, durch Tiefenanalyse und Suggestionsmethoden, durch Erblehre und
Geburtenkontrolle, Eugenik und Euthanasie, durch soziologische und historische Funk-
tionalisierang aller Art" immer mehr aufgelöst und aufgebrochen wird?214 Und noch
einmal folgt die Feststellung:
"Man scheint sich nicht viel Gedanken über die Tatsache zu machen, daß wir
noch keine Ethik des Machtgebrauchs haben; noch viel weniger eine Erziehung
zu diesem Gebrauch, oder gar eine Tradition in ihm. Im Gegenteil, der Unernst
und die Verantwortungslosigkeit hierin scheinen, aufs Ganze gesehen, immer
größer zu werden."215
Dabei denkt Guardini nicht mehr daran, daß der Zustand der Gefahr als solcher über-
wunden werden könnte. Dieser bilde vielmehr die Struktur, von der der Mensch der
Zukunft ausgehen müsse.
"Die größte Aufgabe, die unser wartet, von der aber noch kaum geredet wird, ist
die Entwicklung einer Souveränität des Geistes den wissenschaftlichen und tech-
nischen Möglichkeiten gegenüber. Einer Sorge für das Dasein. Einer Fähigkeit,
die entbundenen und immer weiter sich entbindenden (!) Möglichkeiten und
Energien zu regieren."216
Ähnliches ergibt eine weitere Überlegung über die "Kultur als Werk und Gefähr-
dung".211 Der kulturschaffende Vorgang bestehe zunächst darin, daß der Mensch aus
dem Naturzusammenhang heraustrete und zum naturhaft Gegebenen Abstand nehme;
dann folge jener Akt, in der er auf die Natur zugeht und sie ergreift.218 Die Freiheit,
die sich darin ausdrücke, bedeute aber gleichzeitig eine Gefahr:
"Das Tun des Tieres ist durch die Naturnotwendigkeit, die es bindet, zugleich
gesichert. Die Erfordernisse seines Wachstums und seiner Selbsterhaltung drük-
ken sich in den Instinkten aus, die seinem Verhalten Richtung geben und Grenzen
ziehen. Die Freiheit hingegen, in welcher der Mensch aus dem Naturzusammen-
hang heraustritt, bringt ihn in Gefahr ... Je stärker sich im Fortgang der Geschich-
te die Freiheit entfaltet, desto unsicherer wird der Instinkt."219

212
Situation, 224.
213
Situation, 225.
214
Vgl. Situation, 225.
215
Situation, 227.
216
Situation, 228. - Inhaltlich die gleiche Analyse findet sich in: Der unvollständige Mensch und die
Macht, 39-47.
217
Vorgetragen anläßlich der Gründung der Katholischen Akademie in Bayern im Jahr 1957.
218
Vgl. Kultur als Werk, 15-17.
219
Kultur als Werk, 18.
426 Die Kultur am Ende der Neuzeit

"Die Kulturgefahr kommt also aus dem gleichen Zentrum, aus dem die Kultur-
möglichkeit hervorgeht."220
Guardini unterscheidet nun eine "primitive", eine "humane" und die gegenwärtige
Epoche.221 Eine immer stärkere Ablösung von der Naturbasis zeichne sich ab und
damit eine immer größere Gefährdung, die in der Gegenwart in eine "kritische Phase"
getrieben werde.222
"Die Chancen kühnsten Bauens und die eines bis auf den Grund gehenden Zer-
störens waren im allgemeinen Bewußtsein noch nie so eng verbunden wie
heute."223
Mit dem Phänomen der Macht hängt etwas zusammen, das vor allem in den Interpre-
tationen als die bestimmende Daseinshaltung am Ende der Neuzeit erschienen war -
die radikale Endlichkeit (vgl. dazu v. a. Kapitel V,2,a,bb). Dieses Gefühl wird nach
Guardini aber erst in der Zukunft voll durchschlagen. Jetzt wird die Welt "als etwas
Gestaltetes und damit Begrenztes" erfahren. "Wohl ungeheuerlich in seinen Maßen,
des Großen wie des Kleinen, aber eben doch gemessen."224 Die Haltung des Menschen
wird "herber, härter, hat aber zugleich in eigentümlicher Weise Kopf und Hände frei.
Die Welt überwältigt nicht, sondern fordert heraus, und ebendamit ruft sie zu geistiger
Verantwortung."225 Für die Politik hat sich die Erde "zu einem einzigen politischen
Feld zusammengeschlossen, das keine leeren Bereiche mehr enthält." Die Aufgaben
verschieben sich "vom Extensive ins Intensive."226 Das Ganzheitsstreben schreite
voran:
"Durch die ganze Welt geht eine totalitäre Tendenz, nicht bloß durch die kom-
munistische, sondern auch durch die freiheitliche; nur daß sie hier einen anderen
Charakter annimmt - es sei nur erinnert an den Behördenapparat, der in immer
mehr Gebiete des Lebens eingreift; an die Presse, welche Gedanken, Urteile,
Stellungnahmen der Bevölkerung bestimmt; an die Prägung des Lebensgefühls
und des Geschmacks durch Film, Radio und Television; an die fortschreitende
Veröffentlichung alles Lebens, die den privaten Bereich zerstört."227
Besonders den letzten Gesichtspunkt hat Guardini immer wieder angeführt, weil ihn
dies offenbar in besonderem Maße beunruhigte.228 Bis in die letzten Lebeasjahre
hinein reflektiert Guardini das Phänomen der Macht,229 bis hin zu dem mit seiner
eigenen Zuversicht hadernden Schluß des ganz aus Fragen bestehenden Beitrags für
die Festschrift Karl Rahners:
"Kann es sein, daß die wachsende Macht des Menschen zum Werkzeug des
Untergangs der 'Welt' und des Gerichts werde?"230

220
Kultur als Werk, 19.
221
Vgl. dazu oben Anm. 116.
222
Vgl. Kultur als Werk, 19-25.
223
Kultur als Werk, 28.
224
Macht, 155.
225
Macht, 155.
226
Macht, 156.
227
Sonntag, 206.
228
Vgl. Kultur als Werk, 24f.; Gentleman, 55.
229
Vgl. bes. Das Phänomen der Macht (1962); Fragen zum Problem der Macht (1965).
230 Fragen zum Problem der Macht, 44.
Folgerungen 427

Die entscheidende Sorge Guardinis galt dabei immer dem Menschen.2*1 Fast beschwö-
rend wiederholte er die These, daß dieser dem Zuwachs an Macht in einer immer ge-
schlosseneren Welt noch keineswegs gewachsen sei. Durch den Verlust der unmittel-
baren "Naturbasis" seien vielmehr bestimmte Grundhaltungen verlorengegangen, die
einen wichtigen Ausgleich zum technisch-zweckhaften Handeln gebildet, ja dieses
selbst in seiner Sinnhaftigkeit begründet hätten.232 Die Welt des Menschen sei künstli-
cher geworden; Sinne und Hand hätten an Bedeutung verloren.233 Es schwinde nicht
nur die religiöse Erfahrung, sondern die kontemplative Haltung überhaupt.234
"Das Wissen, das intellektuelle Haben und Beherrschen nimmt zu; in einem so
ungeheuerlichen Maß, daß es den Menschen förmlich überstürzt, ... jenes Tiefere
aber, das aus dem inneren Durchblicken und Durchleben hervorgeht, das Verste-
hen des Wesens, das Begreifen aus dem Ganzen heraus, das Erfahren des Sinnes,
wird schwächer."235
So verliere der Mensch aber auch nach und nach die Fähigkeit zu unterscheiden: "die
Menge der Reize macht unfähig, zu sehen, was hinter ihnen steht. Das Getöse der Re-
klame, das Gerede in Zeitung und Rundfunk verwirren den inneren Sinn. Immer
schwerer wird es dem heutigen Menschen, die Rangordnung der Werte zu sehen, zwi-
schen Mittel und Zweck, Hauptsache und Nebensache zu unterscheiden und zu einem
echten Urteil zu gelangen."236
Trotz des Versuchs, die Masse positiv zu deuten, übersieht Guardini auch das Phä-
nomen der Vereinsamung nicht, das mit ihr verbunden ist.
"Diese Isolierung unterscheidet sich wesentlich vom Individualismus des frühen
neunzehnten Jahrhunderts. Für diesen war die Entfaltung der eigenen Art etwas
durchaus Positives; der so betonte Einzelne fand aber auch leicht die Verbindung
zum anderen Menschen - siehe die reich entwickelte Kultur der Geselligkeit, der
Freundschaft, des Eros, der Autoritätsbeziehungen und so fort. Die Isolierung
aber, von der wir sprechen, bildet nur die Kehrseite der Masse, in welcher der
Einzelne, die zahllosen Einzelnen, einsam sind ... 'Masse' ist die große Zahl kon-
taktarmer Individuen - die sich aber, eben ihrer Beziehungsarmut wegen, leicht
und beliebig zusammenfügen lassen."237
Guardini versucht, die unterschiedlichen Aspekte in der These von der
" Unvollständigkeit" des heutigen Menschen zusammenzufassen.238
"Als der Mensch der Neuzeit jenes Ungeheure leistete, das in den letzten fünf
Jahrhunderten geleistet worden ist, hat er eine Veränderung erfahren. Bestimmte
Begabungen in ihm sind immer stärker, feiner, genauer - andere aber schwächer,

251
Vgl. den Titel der beiden letzten Sammelbände: "Sorge um den Menschen" (1962/1966).
232
Vgl. Situation.
233
Vgl. Kultur als Werk, 21-24.
234
Situation, 229-231.
235
Der unvollständige Mensch, 50.
236
Der unvollständige Mensch, 50f. - Zu den Phänomenen des Lärms, der Geschwindigkeit und der Reiz-
Überflutung, die dem kontemplativen Ästheten Guardini wohl am meisten zu schaffen machten, vgl. auch etwa:
Askese als Element, 35-41; Gentleman, 53-56; Sonntag, 205f. Besonders bezeichnend - fast erschütternd - ist
die Aussage: "Ein einziges Motorrad genügt, um die Ruhe einer ganzen Landschaft zu zerstören. Ein einziges
Radio am offenen Fenster, und ein Sonntagnachmittag ist verwüstet" (Gentleman, 54).
237
Kultur als Werk, 24.
238
Vgl. v. a. Der unvollständige Mensch, bes. 47-51.
428 Die Kultur am Ende der Neuzeit

stumpfer und unsicherer geworden. Kräfte und Haltungen, die gegeben sein
müßten, wenn von einem vollen Menschen die Rede sein soll, sind verloren
gegangen. Er ist 'unvollständig' geworden."239
Der Hinweis auf diese "Unvollständigkeit" gehört für Eugen Biser zum wichtigsten
Resultat von Guardinis Gegenwartsanalysen:
"So viel an Guardinis analytischen Prämissen auszusetzen und gegen seine Pro-
gnosen einzuwenden ist, so schwer wird man dieser Behauptung widersprechen
können. Denn sie zeigt, daß der interpretatorische Zugriff Guardinis dort die
größte Sicherheit aufweist, wo er im 'Gewebe des Unsinns' (Goethe), Geschichte
genannt, die Gestalt des Menschen zu fassen bekommt. Zumindest mit dieser
Diagnose hat er, wie gegen Theunissen festzuhalten ist, keinen 'falschen Alarm1
geschlagen."240

b. Befähigung zum Handeln


Nach der grundlegenden Standortbestimmung ("Ende der Neuzeit") konnte Guardini
nun auch versuchen, das "Kommende" in den Blick zu bekommen.241 Das war freilich
angesichts des beschriebenen düsteren Szenarios nicht gerade einfach. Zwar hatte
Guardini immer wieder deutlich gemacht, daß er an eine Zukunft glaube - aber die ins
Unermeßliche gewachsenen Gefährdungen des Menschen in der "nach-neuzeitlichen"
Kultur242 konnte auch den Eindruck einer tiefen Vergeblichkeit und Aussichtslosigkeit
erwecken.243 Blieb da nichts übrig außer einem verzweifelten Appell an die Treue und
Tapferkeit des Glaubens?
Daß die Wegweisungen Guardinis manchmal blaß und unkonkret wirken, hat meh-
rere Gründe. Einmal ist zu veranschlagen, daß noch die nötige Distanz zum Geschehen
der Gegenwart fehlte, um sachlichere Bewertungen vornehmen und überzeugende

239
Der unvollständige Mensch, 47; vgl. auch ebd., 52..
240
Biser, Interpretation, 99f.; vgl. Theunissen, Falscher Alarm.
241
Vgl. die Überschrift "Die Auflösung des neuzeitlichen Weltbildes und das Kommende" (EdN 47; vgl.
ebd., 47-94). Während in dieser Schrift der Ausblick nur knapp ist und sich in den Zusammenhang der
Gegenwartsanalyse einfügt, folgt in "Die Macht" auf die Schilderung der "Entfaltung der Macht" (126-143) ein
Blick auf das "neue Welt- und Menschenbild" (144-175) und auf "Möglichkeiten des Tuns" (176-186).
242
Der Terminus "nach-neuzeitlich" ist bei Guardini nicht so häufig, wie es vielleicht nach meiner Dar-
stellung erscheint. Meist spricht er vorsichtig vom "Kommenden", von der "kommenden, noch unbekannten
Epoche" o. ä. Da er jedoch vom Ende der Neuzeit ausgeht, scheint die Bezeichnung "nach-neuzeitlich", die bei
Guardini sehr wohl vorkommt (vgl. etwa FGS 27), nicht unangemessen zu sein.
243
Im Nachlaß Guardinis befindet sich ein Typoskript "Zwischenspiel in der Tübinger Vorlesung über das
Menschenbild Pascals" (Juli 1949), in dem Guardini auf Wunsch der Studenten versuchte, etwas "Greifbareres"
(ebd., 1) zu sagen darüber, was man tun könne. Seine Ausführungen hatten offenbar einen zu düsteren
Eindruck hinterlassen, den der Professor nun korrigieren wollte: "Das eine kann ich Ihnen nur sagen, daß es
keinen Sinn hat, sich an Vergangenes zu klammern; daß man sich entschlossen und freudig in das stellen soll;
was am Werden ist. Die Wende, die sich vollzieht, ist ungeheuer groß ... Das aber ist sicher, daß auch aus ihr
eine Daseinsgestalt hervorgehen kann, in welcher der Mensch als Mensch in Ehre und Freude existieren, und
in der er ein Werk tun kann, das lohnt, getan zu werden" (Zwischenspiel*, lf.).
Befähigung zum Handeln 429

Konsequenzen ziehen zu können.244 Zum anderen ist Guardinis Stärke immer schon
eher die Analyse und Diagnose als die Therapie gewesen, so daß er nicht umsonst die
"Weltanschauung", nicht die "Weltveränderang" zum Programmwort gewählt hat.245
Dennoch zog Guardini immer wieder auch Konsequenzen für das Handeln der
Gegenwart, die in der einen großen Forderung nach einer personalen Bildung kulmi-
nierten (vgl. v. a. Kapitel IV,l,c). Es handelt sich nicht um unmittelbar "praktische"
Konsequenzen, sondern um eine fundamentale Neuorientierung, die sich in allen Be-
reichen menschlichen Handelns auswirken soll. Die folgenden Hinweise kommen
ebenfalls alle darin überein, daß sie als wichtigsten ersten Schritt die Bewußtmachung
und Vertiefung menschlicher Personalität ansehen. Mag dies für manchen ungeduldi-
gen Praktiker zu wenig erscheinen - für Guardini ist es sehr viel - ja das Entschei-
dende.

aa. Die christliche Verantwortung


(1) Spielt der Glaube keine Rolle?
In Guardinis Gegenwartsanalyse, wie sie in der Schrift "Das Ende der Neuzeit" ent-
halten ist, scheint der christliche Glaube keine wesentliche Rolle zu spielen. Über
weite Strecken redete hier einfach ein nachdenklicher Zeitgenosse, der beschrieb, was
er sah, und dessen wacher Blick das Ende des neuzeitlichen Daseinsverständnisses
und die Heraufkunft einer neuen Kulturgestalt bemerkte. Dies gilt auch noch für die
Frage nach Konsequenzen für das Religiöse im allgemeinen und für den christlichen
Glauben im besonderen. Hier kam zumindest zum Vorschein, daß dem Betrachter der
zunehmende Bedeutungsverlust der religiösen Erfahrung und des christlichen Glau-
bens keineswegs gleichgültig war, ja daß er mit Entschiedenheit die "Unredlichkeit"
der neuzeitlichen "Säkularisierungen" verurteilte.246 Doch Guardini blieb im Duktus
des reinen Beschreibens, wenn er feststellte, die kommende Zeit werde in diesen Din-
gen "eine furchtbare, aber heilende Klarheit"247 schaffen, die nicht-christliche und die
christliche Existenz würden sich nun immer schärfer voneinander abheben.248
Diese Tatsache widerspricht anscheinend dem Grundansatz der katholischen Welt-
anschauungslehre, die ja gerade aus dem Glauben heraus Perspektiven für die

244 Guardini selbst hat dies offenbar auch so empfunden. Immerhin betont er in der Vorbemerkung zum
"Ende der Neuzeit", es handle sich um den Versuch, "sich "in der verwickelten und noch ganz fließenden Si-
tuation unserer Zeit zurechtzufinden. So tragen die folgenden Überlegungen in jeder Beziehung den Charak-
ter der Vorläufigkeit" (10).
245 vgl. bes. Weltanschauung, 19: "Ihr geht es um Anschauung, Kontemplation, nicht um Handlung,
Aktion. Gewiß bedeutet sie Einsicht in die Welt als Aufgabe, als Aufforderung zum Werk, aber sie selbst ist
eben doch Einsicht, nicht Werk; Grundlage des Tuns, nicht selber ein Tun." - Zu diesem Ansatzpunkt, der in
der späteren Theorie-Praxis-Diskussion der 60er-Jahre auf Unverständnis stoßen mußte, vgl. Biser, Interpreta-
tion, 9f.; dort aber auch der Versuch, den Begriff der "Veränderung" zu erweitern, so daß darunter auch die
"statische Veränderung" falle, die Guardini faktisch bewirkt habe (vgl. ebd., 101-112).
246
Vgl. EdN 86f.
247
EdN 87.
248 vgl. EdN 87-94. - Am Schluß reflektiert wieder der Glaubende über den eigenen Standpunkt zur
Nach-Neuzeit bzw. über deren Auswirkungen für eine neue Glaubensgestalt (siehe dazu auch Kap. VII.4).
430 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Betrachtung der Welt gewinnen wollte.249 Eine gläubige Kulturbetrachtung hat Guar-
dini aber sehr wohl vorgelegt - freilich nicht in der (eigentlich aus dem Zusammen-
hang gerissenen) Schrift vom "Ende der Neuzeit", sondern in der früheren anthropo-
logischen Arbeit über "Welt und Person" (vgl. dazu oben Abschnitt l,c). Hier war
tatsächlich die neuzeitliche Kultur mit ihrem autonomen Daseinsverständnis im Licht
der christlichen Offenbarung betrachtet und kritisch durchleuchtet worden. In der
späteren Schrift ging es dagegen weder um eine philosophische noch um eine theolo-
gische Frage nach der Wahrheit, sondern um "praktische" Hinweise eines
"Pädagogen".250 Guardini veränderte jetzt offenbar seine ursprüngliche Methode
doch stärker in die Richtung einer "Weltveränderung", was sich auch im immer deut-
licher hervortretenden Bemühen um eine Ethik zeigt.251 Für eine ethisch-pädagogi-
sche Aufgabe aber ist der Blick auf die kulturelle Situation nur noch die notwendige
Voraussetzung, um mit der eigentlichen Argumentation einsetzen zu können; sie ent-
nimmt diese am besten der möglichst allgemein anerkannten Erfahrung.252 Erst wenn
dieses "Gegebene"25* klar vor Augen steht und die Frage in Angriff genommen wird,
welches Handeln jetzt gefordert und "richtig" wäre, muß für einen Vertreter der

249
Auf diese Widersprüchlichkeit hat Hans Mercker in aller Deutlichkeit hingewiesen; vgl. Weltanschau-
ung, 138-158.
250 vg). Zukunft, 96f. und 99. Siehe dazu bereits oben Kap. VI,3,a,cc [1]. - Guardini verstand sich immer
schon als Pädagoge und bemühte sich um ethische Weisungen; die "Briefe über Selbstbildung" (Buchausgabe
1925; vgl. Gottes Werkleute) und die Schrift "Das Gute, das Gewissen und die Sammlung" (1929) sind wich-
tige Belege dafür. Doch scheint er diese Bemühungen eher außerhalb der eigentlichen
"Weltanschauungslehre" angesiedelt zu haben. Angeblich soll Guardini bereits in seiner Bonner Zeit eine
Ethik ausgearbeitet "in der Schublade" gehabt haben (Brief von Kunibert Mohlberg OSB vom 17. 2. 1955 an
Guardini zu dessen 70. Geburtstag Guardinis; Stabi; zit. bei Gerl, Guardini, 135). Doch zum Bereich der
Ethik gehörten lediglich zwei Semestervorlesungen der Berliner Zeit: "Grundprobleme des sittlichen Lebens"
(SS 1925; vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 198); "Grundfragen lebendiger Sittlichkeit, 2. (jedoch selbständi-
ger) Teil" (SS 1926; 222). Freilich kam Guardini im Rahmen seiner neutestamentlichen Vorlesungen auf
ethische Fragen zu sprachen; vgl. etwa SS 1929: "Wertlehre des Neuen Testaments, 3. (selbst.) Abschnitt"
(296); WS 1929/30: "Wertprobleme im Neuen Testament, 4. (aber selbst.) Teil" (297). Auch die Pädagogik
spielte in den Vorlesungen eine Rolle, aber mehr im Sinne einer "Grundlegung" als im Sinne konkreter päd-
agogischer Anstöße. Vgl. v. a. "Wesen und Aufbau lebendiger Bildung" (WS 1926/27; 223); "Grundfragen
der Bildungslehre" (2. und 3. Teil im WS 1927/28 und SS 1928; 244 und 273).
251
Zur Einordnung der kulturkritischen Spätschriften Guardinis in den Rahmen einer anthropologisch
orientierten Ethik vgl. auch Schmidt, Pädagogische Relevanz, 31-59; Henner, Pädagogik, 243-299, bes. 243-
245. Beide weisen auch auf die enge Beziehung zwischen Ethik und Pädagogik bei Guardini hin (vgl. bes.
Schmidt, a.a.O., 57; Henner, a.a.O., 246) und arbeiten (als Pädagogen) vor allem die "pädagogische Rele-
vanz" (Schmidt) der Ethik Guardinis heraus. Henner weist dabei auf die Parallelen zur Ethik Schleiermachers
(vgl. a.a.O., 143f. u. ö.).- Der erste Vorlesungszyklus umfaßte sieben Semestervorlesungen zwischen 1950
und 1954 ("Grundfragen der Ethik"; 787, 836, 837, 882, 883, 931, 932), der zweite (1954-1956) und der drit-
te (1957-1959) nur vier ("Ethik als Lehre von der sitüichen Aufgabe"; 992, 993, 1040, 1041 - "Struktur und
Ethos der chrisüichen Existenz"; 1181, 1182, 1233, 1234). Hinzu kommen vereinzelte Themenstellungen der
letzten Jahre (vgl. 1364, 1365, 1503). Guardini arbeitete intensiv an einer Veröffentlichung seiner Ethik; vgl.
etwa Wahrheit des Denkens, 34 (31. 5. 1953). Er betrachtete sie sogar als "eine Art Synthese meiner Arbeit
überhaupt." (Lebensalter, 69). Sie liegt jetzt (1993) gedruckt im Rahmen der Guardini-Werkausgabe vor (vgl.
Ethik).
252
Ganz ähnlich sind auch die Situationsbeschreibungen zu bewerten, die das II. Vatikanische Konzil in
seiner Pastoralkonstitution vorlegt (vgl. bes. GS 4-10, sowie 54-56); auch sie nehmen noch nicht auf den
Glauben selbst Bezug, sondern bestimmen lediglich das Feld, auf dem sich Kirche und Welt in der Gegenwart
treffen.
253
Vgl. Zukunft, 98.
Befähigung zum Handeln 431

katholischen Weltanschauung auch der Glaube ins Spiel kommen. Dies geschieht bei
Guardini vor allem in der Abhandlung über die "Macht".

(2) Theologie der "Macht"


Guardinis Schrift beginnt mit einer Begriffsbestimmung.254 Demnach wird unter
"Macht" nicht schon das verstanden, was den Kräften der unmittelbaren Natur inne-
wohnt; auch um die "Macht" einer Idee oder einer Norm soll es nicht gehen. Damit
vielmehr von "Macht" im eigentlichen Sinne gesprochen werden könne, müsse zu den
realen Energien ein bewußter Wille treten, wie er nur dem Menschen eigen sei. Dieser
Wille erst verleihe dem Akt der Machtausübung einen bestimmten Sinn. In dieser
"Sinngebung" sieht Guardini aber das "Wesen" menschlicher Macht255 Das heiße
nicht, daß jede Machtausübung von vornherein "sinnvoll" sei, sondern nur, daß der
Mensch ihr erst einen Sinn setzen muß.
"Es gibt also keine von vornherein sinn- und wertvolle Macht. Sie empfängt ihre
Bestimmung erst dadurch, daß der Mensch ihrer inne wird, über sie entscheidet,
sie in Tat umsetzt - was alles heißt, daß er sie verantworten muß."256
Auch dann, wenn die Macht anonym geworden sei und kein einzelner Verantwort-
licher mehr genannt werden könne, entbinde dies den Menschen nicht von seiner
grundsätzlichen Verantwortung. Dies gelte gerade dann, wenn durch die Zunahme der
Macht auch die Gefahr des Mißbrauchs wachse, daß also "ein sittlich [falsch gerichte-
ter bzw. nicht mehr sittlich] verpflichteter Wille über sie verfügt"257 Macht könne
"dämonischen" Charakter annehmen, wo sich das Bewußtsein ausbreitet, "im Grunde
sei es überhaupt kein Jemand, der da handelt, sondern eine nirgends faßbare, nieman-
dem sich stellende, auf keine Frage antwortende, das Geschehen ver-antwortende
Unbestimmtheit"258 Dies sei dann der Fall, wenn die Person "übersehen, verleugnet,
vergewaltigt" wird; dann trete an ihre Stelle eine andere Initiative, die "dämonische",
die Guardini ebenfalls in personaler Gestalt, nämlich als "Satan" deutet259
Macht gehört demnach wesentlich zum Menschen und ist grundsätzlich wertneu-
tral, kann sich also sowohl zum Guten wie zum Bösen wenden. Sie ist auch nicht von
vornherein an einen bestimmten "Sonderbereich des Daseins" gebunden, sondern
kann sich mit jeder Tätigkeit und Zuständlichkeit verbinden - auch mit solchen, die
zum Machtcharakter zunächst keine Beziehung zu haben scheinen. Nicht nur durch
direktes Handeln, sondern auch schon durch den Erkenntnisvorgang kann nach

254
Vgl. Macht, lOlf. - Zur Reflexion über das Phänomen der Macht (ebd., 126-175) vgl. oben unter
Abschn. 2,c.
255
Zum folgenden vgl. Macht, 102-109.
256
Macht, 103.
257
Macht, 106. - Der in der Werkausgabe falsch wiedergegebene Text ist von mir aufgrund der 1. Aufl.
korrigiert worden, da sich sonst ein anderer, genau entgegengesetzter Sinn ergibt; in der abgedruckten
Formulierung wäre die Macht ausgerechnet dann gefährlich, wenn "ein sittlich verpflichteter Wille über sie
(sc. die Macht) verfügt".
258
Macht, 106.- Guardini verweist auf Kafkas Romane "Der Prozeß" und "Das Schloß" (vgl. ebd., Anm.
5, 106).
259
Vgl. Macht, 107.
432 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Guardini Macht ausgeübt werden; sogar Zustände des Leidens, der Entbehrung, der
Unterlegenheit können sich mit dem Willen zur Machtausübung verbinden.260
An dieser Stelle fragt Guardini nach der religiösen Bedeutung der Macht, handelt
aber nun nicht davon, inwiefern auch die Religion Macht ausüben kann, was eigent-
lich zu erwarten wäre, sondern kommt sofort auf den "theologischen Begriff der
Macht" zu sprechen. Somit fährt er nicht im begonnenen Gedankengang fort, sondern
setzt noch einmal neu bei der Frage nach dem Wesen der Macht an, nun freilich unter
dem Blickwinkel der Offenbarung.261 Gerade sie aber bestätigt und deutet den
anthropologischen Charakter der Macht, den die Phänomenbeschreibung ergeben
hatte.
Grundlage dafür sind die ersten Kapitel der Genesis.
"Diese Texte, welche dann ihren Widerhall durch das Alte und Neue Testament
finden, sagen, daß dem Menschen Macht sowohl über die Natur wie über sein
eigenes Leben gegeben ist. Sie sagen weiter, daß ihm aus dieser Macht eine
Befugnis und eine Aufgabe wächst: zu herrschen."262
Darin besteht für Guardini die "natürliche Gottebenbildlichkeit des Menschen":
"Der Mensch kann nicht Mensch sein und außerdem Macht üben oder es auch
nicht tun; sondern sie zu üben, ist ihm wesentlich. Daraufhin hat der Urheber
seines Daseins ihn bestimmt"263
Entscheidend aber ist, daß diese Macht dem Menschen "nicht aus eigenem Recht, in
Autonomie, sondern als Lehen zu eigen"264 ist.
"Er ist Herr von Gnaden, und soll seine Herrschaft in Verantwortung gegen Den
ausüben, der Herr von Wesen ist. Dadurch wird die Herrschaft zum Gehorsam,
zum Dienst"265
Genau darum geht es nach Guardini auch in der Erzählung von der Erprobung des
Menschen. Gott wolle dem Menschen nicht etwa die Erkenntnisfähigkeit verwehren,
"das Freiwerden des Menschen zur Unterscheidung von Wahr und Falsch, von Recht
und Unrecht" und damit auch "Herr seiner selbst"; auch die Geschlechtlichkeit sei
nicht etwa verboten, wie immer wieder angenommen worden sei. "Im Gegenteil; der
Mensch soll ja doch gerade die Freiheit der Erkenntnis, die Macht über die Dinge und
die Erfüllung des Lebens gewinnen."266 Er soll
"zur Herrschaft im weitesten Sinne gelangen, aber ebendadurch, daß er im
Gehorsamsverhältnis zu Gott bleibt und sie als Dienst vollzieht. Er soll Herr
werden, aber so, daß er im Ebenbild bleibt und nicht nach der Urbildlichkeit
verlangt"267

260
Vgl. Macht, 108f.
261
"So wird für die tiefere Erkenntnis der Macht wichtig, was die Offenbarung über ihr Wesen sagt"
(Macht, 110).
262
Macht, Ulf.
263
Macht, 112.
264
Macht, 112f.
265
Macht, 113.
266
Macht, 114.
267
Macht, 115.
Befähigung zum Handeln 433

Die Schlange aber verschiebe diese Erprobung ins "Mythische". Sie wolle dem
Menschen einreden, "Gott habe Angst, Er fühle seine Göttlichkeit durch den Men-
schen bedroht; denn er stehe zu diesem in dem Verhältnis, in welchem die mythi-
schen Gottheiten zum Menschen stehen."268 Weil aber die Menschen auf diesen Trug
eingehen, "gibt es nach der biblischen Lehre das reine Phänomen der Macht und der
aus ihr hervorgehenden Herrschaft nicht mehr."269
Der Blick in die Heilige Schrift ergibt also zunächst einen ganz nüchternen und
ehrlichen Umgang mit der eigenen Macht. Diese wird weder von vornherein dämoni-
siert noch verherrlicht, sondern vielmehr als das genommen, was sie ist: eine wesent-
liche Äußerung des Menschseins - von Gott gewollt, aber durch die Erbsünde in
Unordnung geraten. Mit diesem Realismus unterscheidet sich nach Guardini der
Christ bewußt vom "Bürger" des 19. Jahrhunderts, der in immer gründlicherer Weise
Macht ausgeübt, sich ihrer jedoch gleichzeitig geschämt habe. "So hat er Herrschaft
ausgeübt, ohne ein Ethos der Herrschaft zu entwickeln."270 Das biblische
Geschichtsbild widerspricht sowohl der naturhaft-optimistischen, als auch der kultur-
pessimistischen Vorstellung der Neuzeit. Ihr Blick auf die Sündhaftigkeit des Men-
schen weist jedoch auf die Gefahr hin, in die ein falscher, nicht im Gehorsam vollzo-
gener Gebrauch der Macht den Menschen bringt.
"Daß sie falsch gebraucht werde, ist nun nicht nur möglich, sondern wahr-
scheinlich - falls man nicht sagen muß, unausweichlich."271
Dieses "Verhängnis" wird aber durch die Erlösungstat Jesu Christi noch einmal ver-
wandelt272 Die entscheidende Haltung, die nun in die Geschichte eintritt, ist die
Demut. Und zwar ist das für den Christen "eine Tugend der Kraft, nicht der Schwä-
che"273. Nach dem Philipperhymnus ist es die Form, in der Gott selbst in die Welt
eintritt.
"Betrachtet man die Lebenssituation Jesu; die Art, wie seine Tätigkeit vor sich
geht und sein Schicksal sich gestaltet; die Weise seines Verkehrs mit den Men-
schen; den Geist seines Tuns und Sprechens und Sich-Haltens, dann sieht man,
wie sich hier beständig höchste Macht in die Form der Demut übersetzt. ...
Aktiv gesagt: in den Gehorsam gegen den Willen des Vaters, wie er sich in der
jeweiligen Situation ausdrückt."274

268
Macht, 115f.
269
Macht, 117.
270
Macht, 112.
271
Macht, 118. - Auch Gogarten spricht nicht nur von der "Hoffnung", sondern ebenso vom "Verhängnis"
der Neuzeit, von diesem sogar an erster Stelle (vgl. den Titel "Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit"). Auch
er spürt (1953), daß die "Gefahren, die mit der Säkularisierung verbunden sind, heute immer deutlicher wer-
den. Es wird uns mit jedem Tag fraglicher, ob der Mensch, der durch die Säkularisierung zum selbständigen
Herrn der Welt und seiner selbst wurde, der ihm damit gestellten Aufgabe gewachsen ist, oder ob er, der sie
mit dem Pathos und Ethos der Freiheit in Angriff nahm, nicht drauf und dran ist, sich selbst in der schauer-
lichsten Weise um diese Freiheit zu bringen" (ebd., 9). Vgl. auch die theologische Grundlegung Gogartens,
die freilich eher an Paulus als am Alten Testament orientiert ist: "Die Verantwortung des Menschen für die
Welt" (25-35); "Der chrisüiche Begriff der Sünde" (36-50); "Das Heil des Menschen" (36-66).
272
Vgl. Macht, 118-125.
273
Macht, 120.
274
Macht, 121 f.
434 Die Kultur am Ende der Neuzeit

Es handelt sich um eine Macht, "so vollkommen sich selbst beherrschend, daß sie
fähig ist, auf sich zu verzichten. In einer Einsamkeit, die so groß ist, wie ihre Souve-
ränität"275 Die Aussagen des Alten Testaments werden also im Neuen bestätigt und
vertieft: Die Macht wird nicht als solche verworfen, sondern als das empfunden, was
sie ist, eine Wirklichkeit. Ebenso deutlich zeigt sich die Gefahr, die in der Macht
steckt. Die Demut aber bildet die "Befreiung vom Bann der Macht aus der innersten
Wurzel her."276 Wo aber Gott selbst einen neuen Anfang gesetzt hat, da kann auch
der Mensch die Zwangsläufigkeit menschlicher Machtsteigerang durchbrechen:
"Die Geschichte fängt mit jedem Menschen neu an, und in jedem Menschenle-
ben mit jeder Stunde. So hat sie auch die Möglichkeit, jederzeit aus dem Anfang
heraus neu anzufangen, der hier gesetzt ist"277
Wenn Guardini in solcher Weise über das Phänomen der Macht reflektiert, dann führt
er weiter, was er im Blick auf die neuzeitliche Autonomie in "Welt und Person" erör-
tert hatte (vgl. Abschnitt l,c dieses Kapitels). Hatte er dort durch die Unterscheidung
von "relativer" und "absoluter" Autonomie versucht, dem neuzeitlichen Grundanlie-
gen von Mündigkeit und Verantwortung gerecht zu werden, indem er es in der christ-
lichen Offenbarung selbst verankerte, so macht er nun auch die nach-neuzeitliche
Macht - in ihrer gefährlichen Ambivalenz - vom christlichen Menschenbild her als
entscheidenden Faktor der zukünftigen Kultur einsichtig. Damit nähert sich Guardini
aber sachlich dem an, was bei Gogarten und anderen Theologen die Säkularisierungs-
these leistet, auch wenn der Begriff der "Säkularisierung" selbst in einem anderen, vor
allem negativ belasteten, Sinne verwendet wird.278 Seine Aussagen über die
"Verantwortung" und "Mündigkeit" des Menschen,279 seine Warnungen vor dem
"religiösen Kurzschluß" des Mittelalters und seine Abwehr des Heteronomie-
Vorwurfs (vgl. dazu Abschnitt l,b dieses Kapitels) mündeten schon in der anthropo-
logischen Schrift in den entscheidenden Satz:
"Nur weil der Mensch aus dem Anruf Gottes hervorgeht und in seinem Anruf
besteht; weil er das 'Du' ist, von Dem errufen, der sich selbst den 'Ich-bin' nennt,
hat er überhaupt die Möglichkeit, sich als autonomes Selbst zu verstehen. Nur
weil der schaffende Gott dem Menschen das Weltwerk wirklich in die Hand
gegeben hat, kann dieser auf den Gedanken kommen, er habe eine autonome
Kultur zu schaffen."280

275
Macht, 123.
276
Macht, 124.
277
Macht, 125.
278
Als erster hat wohl Alfons Auer, der bereits zu Beginn der sechziger Jahre um eine positive christliche
Würdigung der modernen Profanität bemüht war, diese Verwandtschaft Guardinis mit der Theologie der
Säkularisierung erkannt; vgl. Gestaltwandel des christlichen Weltverhältnisses (1964), Anm. 6, 335; 338 mit
Anm. 13, ebd., 338f.; 340f; 344.
279
Auch Guardini spricht wie Gogarten von der "Sohnschaft" des Menschen, fügt jedoch ausdrücklich die
Erwähnung der "Töchter" hinzu (vgl. WP 166). Bewußt vermeidet er auch das Wort "Kind Gottes", weil es
allzuleicht an eine "infantile" Grundhaltung erinnere. "Was Christus mit dem Kinde Gottes meint, nimmt
vom biologischen Kindesalter gewisse Züge, um es gegen den im falschen Sinn 'Erwachsenen', nämlich rech-
nenden, verhärteten, skeptischen Menschen zu unterscheiden und die reine Empfänglichkeit und Demut aus-
zudrücken, die er meint. Im übrigen ist das Wiedergeborensein etwas personal ganz Durchgereiftes und
Mündiges" (WP Anm. 62, 166).
280 W P 34
Befähigung zum Handeln 435

In den "Briefen vom Comer See" war in diesem Zusammenhang auch gesagt worden,
daß dieselbe christliche Grundhaltung, wenn sie von einer nichtchristlichen Kultur
aufgenommen und damit von der Verantwortung gegenüber Gott losgelöst wird, zu
den gefährlichen Entwicklungen der Gegenwart führen konnte.281 Dies wird nun,
nach der Katastrophe des Totalitarismus und dem Abwurf der ersten Atombombe, in
nochmaliger Verschärfung aufgegriffen. Wieder erinnert Guardini an
"eine geschichtliche Tatsache, ... die in der Diskussion über die Kulturbedeu-
tung des Christentums oft übersehen wird: daß erst das Christentum den unge-
heuren Vorstoß des abendländischen Menschen zur Herrschaft über die Welt
möglich gemacht hat. ... Erst die Botschaft und das Werk Christi hatten dem
Glaubenden einen Standort gegeben, der einerseits nicht in die Welt eingefan-
gen, andererseits in ihr wirksam war, und damit eine Freiheit, die vorher nicht
hätte verwirklicht werden können. Diese war zunächst religiöser Art, wirkte
aber in das ganze seelisch-geistige Leben hinein. Durch sie gewann der Mensch
jene innere Unabhängigkeit von der Natur, jene Möglichkeit des Wagens und
Zugreifens, aus denen die wissenschaftliche, künstlerische, technische Kultur
der Neuzeit hervorgegangen ist."282

(3) Einordnung in die spätere Diskussion


Während manche christliche Neuzeitbefürworter nur noch das Positive an der Neuzeit
sehen und dieses dann auch noch auf christliche Wurzeln zurückführen,283 scheint
Guardini umgekehrt die negativen Erscheinungen dieser Epoche hervorzukehren.
Damit nimmt er etwas vorweg, was sich in den folgenden Jahrzehnten in weiten Krei-
sen durchgesetzt hat. Die ökologische Krise hat inzwischen die Ambivalenz der neu-
zeitlichen Autonomievorstellung ins Bewußtsein gehoben und damit auch die christli-
che Säkularisierungsthese in ein neues Licht gestellt284 Jetzt konnte plötzlich sogar
die christliche Wurzel der Neuzeit als Grand für eine völlig andersartige (vielleicht

z 1
* Vgl. Briefe, 73. Siehe dazu unter Kap. IV,l,b,cc.
282
FGS 93.
283
Dieser Vorwurf trifft sicher nicht Gogarten, der sehr genaue Differenzierungen vornimmt (s. o. Anm.
271), obwohl er freilich noch nicht die ökologische Problematik im Blick hat (vgl. Pannenberg, Anthropolo-
gie, 76), die bei Guardini doch schon in vielen Äußerungen anklingt. Auch J. B. Metz stand später seiner
eigenen Säkularisierungsthese skeptisch gegenüber und verschob den Schwerpunkt stattdessen nun auf eine
"politische Theologie" (vgl. bereits Theologie der Welt, 99-131). Indem der christliche Glaube die Welt "an
sie selbst frei" gebe, bezahle er selbst dies mit einer "eigentümlichen Weltlosigkeit" (Glaube, 23); es bestehe
die Gefahr, "daß seine mutige Weltlichkeit im Grunde nichts anderes als eine neuerliche Form der Immuni-
sierung des Christlichen darstelle, d. h. eine schlechte Apologetik im sublimsten Sinne des Wortes" (ebd., 24).
Metz warnt auch vor einer "Selbstauflösung theologischer Vernunft in die abstrakt-emanzipatorische Ver-
nunft der Neuzeit" und erinnert darin, daß die Aufklärung "Probleme aufgeworfen hat über das hinaus, was
sie selbst zum Problem erhoben, als Frage auf die Tagesordnung gepreßt und zu reflektieren vermocht hat"
(ebd., 25). An diese "Dialektik" der Aufklärung erinnert auch Walter Kasper (vgl. Autonomie, I68f.) und
schließt daraus, daß sich aus der Offenbarung auch inhaltliche Kriterien ergeben müßten, "welche die neuzeit-
liche Autonomie und die modernen Befreiungsprozesse nicht nur bestätigen und überhöhen, sondern auch in
neuer Weise beurteilen helfen" (ebd., 169).
284 vgl. etwa den Überblick über die ökologische Krise bei: Auer, Umweltethik, 15-31.
436 Die Kultur am Ende der Neuzeit

typisch nach-neuzeitliche) Kritik am Christentum herhalten.285 In Deutschland wurde


dies besonders prononciert von dem Schriftsteller Carl Amery vertreten:
"Der Erfolg des Christentums besteht in der wirksamen Teilnahme am Aufbau
eines Machtpotentials, das in den letzten Jahrhunderten insbesondere den Ver-
lauf der Weltgeschichte bestimmt hat. Es hat sich auf dem geographischen und
historischen Boden des Christentums entfaltet, was selbstverständlich kein
Zufall ist. Es hat in der Unterwerfung fremder Kulturen, in der Durchsetzung
seiner eigenen Denk- und Aktionsformen, in der Beherrschung der Natur alle
bisher bekannten Mächte weit übertroffen und ist dabei, diesen Sieg in der Form
der sogenannten Welt-Zivilisation zu konsolidieren."286
Dies alles gehe letztlich auf den biblischen Herrschaftsauftrag zurück ("Macht euch
die Erde untenan"), der ungeachtet der Wirklichkeit der Sünde aufrechterhalten und
dessen verhängnisvolle Auswirkungen durch Christus indirekt noch gefördert worden
sei, insofern dieser die Aufmerksamkeit seiner Jünger von konkreten Handlungsmaxi-
men abgelenkt und somit die immer stärker säkularisierte Herrschaftsausübung des
Menschen sich selbst überlassen habe.
Natürlich sind Aussagen in solcher Zuspitzung leicht zu widerlegen. Amery über-
sieht, daß der Herrschaftsauftrag der Genesis in die Verantwortung vor Gott und für
die Schöpfung eingebunden ist und daß daher zwischen christlichem Sinn der Herr-
schaft und ihrem Mißbrauch deutlich unterschieden werden muß. Bereits Gogarten
hatte dem Rechnung getragen, als er zwischen "Säkularisierung" und "Säkularismus"
differenzierte, ohne freilich noch die ökologische Krise im Blick zu haben. Vor allem
Wolfliart Pannenberg führte diese Unterscheidung dann weiter, indem er gegen die
neuen Kritiker einwandte:
"Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde aus dem Auftrag an den Menschen zur
Repräsentation der Herrschaft Gottes in der Schöpfung ein Anspruch auf unum-
schränkte Verfügungsgewalt des Menschen über die Natur, in einer Zeit also, als
sich das Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen von der Bindung an den
biblischen Schöpfergott ablöste. Es ist darum nicht zutreffend, die westliche
Christenheit pauschal mit dieser Verkehrang des biblischen Herrschaftsauftra-
ges, mit der Verkennung seiner treuhänderischen Funktion, zu belasten. Erst
durch die Emanzipation des neuzeitlichen Menschen von der biblische Offenba-
rung wurde aus dem biblischen Herrschaftsauftrag eine Unterwerfung der Natur
aus eigener Machtvollkommenheit und zu beliebigem Gebrauch."287
Trotz dieser berechtigten Richtigstellung darf jedoch nicht vorschnell die "Schuld"
einseitig auf die "verweltlichte" Neuzeit verteilt werden, während dem Christentum
nur die positiven Seiten zukommen. Letzteres muß sich selbstkritisch nach ihrem

285
Vgl. bes. L. White, Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise (urspr. engl. 1972: The
Historical Roots of Our Ecological Crisis), in: F. A. Schaeffer, Das programmierte Ende. Umweltschutz aus
chrisüicher Sicht, Wuppertal 1973, 71-88; J. B. Cobb (jr). Der Preis des Fortschritts. Umweltschutz als Pro-
blem der Sozialethik. Mit einem Vorwort von K. Scholder, München 1972; C. Amery, Das Ende der Vorse-
hung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1974 ('1972). Dazu:
Pannenberg, Anthropologie, 74-76.
286
Amery, Ende der Vorsehung, lOf.
287
Pannenberg, Anthropologie, 75.
Befähigung zum Handeln 437

geschichtlichen Anteil sowohl an der "Hoffnung", wie am "Verhängnis" der Neuzeit


befragen und zugestehen, daß auch christliche Denker den ursprünglichen Schöp-
fungsauftrag in einer einseitigen Weise ausgelegt haben.288 Die entscheidende Kon-
sequenz des Christen besteht aber darin, neben einer mit allen verantwortungsbe-
wußten Zeitgenossen gemeinsamen kritischen Reflexion der Wirklichkeit und einer
aus dieser Reflexion gewonnenen ethischen Grundorientierung den christlichen Sinn-
horizont menschlichen Handelns auf der Grundlage der biblischen Offenbarung zur
Geltung zu bringen.289 Guardini hat in seiner Aufarbeitung des Phänomens "Macht"
ein wichtiges Modell dazu geliefert.290 Ohne methodisch hinreichend zu reflektieren,
wie sich denn christlicher Glaube und allgemeines Menschheitsethos zueinander ver-
halten, deutet sich doch auch hier schon eine Richtung an, die später zu einem Neu-
ansatz der theologischen Ethik führte:
"Das Sittliche, soweit es das menschliche Weltverhalten betrifft, erscheint ihr ...
zunächst als Schöpfung der gesellschaftlich-geschichtlichen Vernunft des Men-
schen: Es steht also in deren authentischer Kompetenz. Angesichts der Aporien
freilich, die sich für jede autonom entwickelte Ethik hinsichtlich ihrer letzten
Begründung unweigerlich einstellen, impliziert die 'Autonomisierung des Sittli-
chen' gerade nicht die Abdankung der Theologie."291
Sie sieht ihre Aufgabe freilich nicht "in der Statuierung konkreter material-ethischer
Normen", sondern in der Vermittlung eines entscheidenden "Sinnhorizonts", der nicht
nur einen motivierenden, sondern auch einen kritisierenden und stimulierenden Effekt
hat 292 Wenn Guardini die Aporien stärker hervorhebt und immer wieder daran zwei-
felt, ob der Mensch wirklich aus eigener Einsicht fähig sein wird, die großen Heraus-
forderungen der Zukunft zu bestehen, dann setzt er doch in seinen eigenen ethischen
Ansätzen auf eben diese Einsicht, um vor dem christlichen "Sinnhorizont" die eigene
Verantwortung für die Durchführung der gewonnenen Handlungsorientierungen zu
entbinden.293 War in der allgemeinen Wesensbestimmung der Macht von der notwen-

z
°° Vgl. dazu etwa die Position von Günter Altner, der weder die Aufklärung noch das Christentum von
ihrer Verantwortung für die "katastrophalen Folgen abendländischer Emanzipation" lossprechen möchte:
"Nein, Christentum und Aufklärung stehen Seite an Seite gemeinsam vor der Erfahrung, daß sie gescheitert
sind, 'daß der Gott, gegen den sie sich prometheisch erheben, in seiner Abwesenheit am mächtigsten ist'"
(Schöpfung am Abgrund. Die Theologie vor der Umweltfrage, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1977, 152).
289
^ Vgl. auch Auer, Umweltethik, 190-2%. Zum methodischen Vorgehen vgl. ebd., 297-311.
290
Ähnlich aufgebaut ist auch die kurze Theologie der Arbeit, die in die Überlegungen zum Sonntag ein-
geschachtelt ist; vgl. Sonntag (1957). Eine "Theologie" der Macht hat auch Peter HUnermann angeregt; vgl.
Macht und Wahrheit. Vorbemerkungen zu einer Theologie der Macht, in: W. Weber (Hg), Macht, Dienst,
Herrschaft in Kirche und Gesellschaft, Freiburg-Basel-Wien 1974, 9-20; ferner B. Weite, Über das Wesen und
den rechten Gebrauch der Macht, Freiburg 1960.
291
Auer, Umweltethik, 297.
292
Vgl. Auer, Umweltethik, 298; ders. Autonome Moral, bes. 27 und 160-197.
293
Der Entwurf einer "autonomen Moral im christlichen Kontext" mißt freilich der rationalen Begrün-
dung eine ungleich bedeutendere Rolle zu als Guardini. Vgl. dazu besonders den Abschnitt über die
"normative Artikulierung der Rationalität der Wirklichkeit" in: Auer, Autonome Moral, 36-54; ferner ders.,
Umweltethik, 1. Teil: "Modell eines ökologischen Ethos", 33-187. Dies liegt jedoch weniger an einer grundle-
gend anderen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, sondern an einer gewandelten erkennt-
nistheoretischen Ausgangsposition; bei Guardini spielte das Moment des "Intuitiven" (das ebenso "natürlich"
ist wie das "Begriffliche") eine wichtigere (wenn auch nicht ausschließliche) Rolle (vgl. Gegensatz, 15-24 und
163-184; siehe II,2,b,bb [6]).
438 Die Kultur am Ende der Neuzeit

digen "Sinngebung" die Rede,294 so macht die christliche Deutung klar, daß dieser
Sinn von Gott gesetzt, vom Menschen aber immer wieder verraten wurde.
Konnte auch schon eine phänomenologische Annäherung die "Verantwortung" des
Menschen erkennen,295 so wird jetzt von einer Verantwortung vor Gott gesprochen,
die sich nicht in der unumschränkten Herrschaft gegenüber den Geschöpfen Gottes
äußert, sondern - nach dem Vorbild Gottes selbst - dienenden Charakter hat. Das
christliche Menschenbild enthält, wie Guardini immer wieder hervorhebt, gerade
durch seine Gottbezogenheit eine handlungsstiftende Dimension, die die Aporien
allgemeinmenschlicher Reflexionen überwindet und damit zu einem wirklich mündi-
gen und verantwortlichen Handeln befähigt Gerade in der Praxis bewährt sich der
Sinn jenes Satzes, auf dessen theologische Bedeutung wir später noch eingehen müs-
sen (vgl. Kapitel VII,3,d):
"Nur wer Gott kennt, kennt auch den Menschen."296

bb. Perspektiven für den Menschen der Gegenwart


(1) Noch einmal: Verzicht auf das Spezifisch-Christliche?
Obwohl Guardini im Rahmen seiner Schrift über die "Macht" Ansätze zu einer
"Theologie" der Macht vorlegt, bilden die Glaubensaussagen doch nicht den Kern der
Argumentation. Die theologischen Überlegungen haben aufs Ganze gesehen eher den
Charakter eines längeren Exkurses, der in die Situationsbeschreibung lediglich einge-
schoben ist. Er ergänzt die allgemeinen Einsichten über die Herausforderungen der
Nach-Neuzeit durch eine christliche Sinngebung, um die bereits unabhängig davon
vorgetragene Aufforderang zu verstärken; letztlich würde es jedoch nicht auffallen,
wenn dieser Abschnitt fehlen würde. In seiner Ethik-Vorlesung bewegte sich Guardini
über weite Strecken auf einer rein phänomenologischen Ebene.297 Die Ausführungen
über das "christliche Ethos"298 dienten nicht etwa dazu, die im ersten Teil gewonne-

294
Vgl. Macht, 102.
295
Vgl. Macht, 103f.
296
So der Titel eines Vortrags zu Beginn der Arbeitstagung des 75. Deutschen Katholikentages in
Berlin 1952.
297 vgl. Ethik (1993). - Auch wenn man Guardini nicht einfachhin einer "autonomen Moral" zuordnen
kann (in Abhebung von einer "glaubensethischen" Position; vgl. dazu Auer, Nachtrag, 206f), ist man doch
erstaunt über den Aufriß der Ethik-Vorlesungen. Der erste Teil behandelt die "natürliche Sittlichkeit" (5-976):
Das Grundphänomen (Das Gute; Das Böse; Das Gewissen); Bedingungen für die Möglichkeit des ethischen
Phänomens (Anthropologische Bedingungen: Mensch, Erkenntnis, Freiheit usw.; Zusammenhang: Natur,
soziale Ganzheiten, Geschichte); Ethische Verwirklichung; Die Mannigfaltigkeit der ethischen Aufgaben
(persönliches Leben, Werkleben). Erst im 7. Semester seines ersten Ethik-Zyklus (der 2. Teil der gedruckten
Ausgabe; vgl. ebd., 977-1243) kommt Guardini auf das "Ethos des Christentums" zu sprechen (vgl. WS
1953/54; Mercker, Bibliographie, Nr. 932).
298
Sie sind bezeichnenderweise überschrieben mit "Ethik und Offenbarung", womit offenbar eine gewisse
Unabhängigkeit beider Sachverhalte angedeutet werden soll. Dieser Teil fiel Guardini schwerer als der erste,
wie sich an einer Reihe von Äußerungen zeigt: "Was freilich die Hörer sagen werden, wenn ich versuche, das
Sollen aus dem genuinen Offenbarungssinn abzuleiten?" (Wahrheit des Denkens, 69 [11. 11. 1953]). Die
Resonanz scheint auch in der Tat nicht so groß gewesen zu sein wie in den früheren Semestern: "Man hat das
Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen. Nur selten meine ich durchzukommen" (ebd., 75 [9. 12. 1953]). Aus
diesem Grund brach Guardini sogar den ersten Zyklus ganz ab, um noch einmal von vorne zu beginnen -
"und nun hoffe ich, richtig durchzukommen" (Lebensalter, 70). "Die erste Lesung hat sich durch sieben
Befähigung zum Handeln 439
nen sittlichen Verhaltensnormen nun noch einmal nachträglich durch christliche
Normen zu ergänzen (dies war lediglich im Hinblick auf die unmittelbar religiöse
Praxis der Fall299); sie sollten vielmehr den Verpflichtungscharakter jener Normen im
Horizont der Offenbarung begründen. Christliche Sittlichkeit bestand nach Guardini
im "Aufgerufensein durch den heiligen Gott" und dem "Mittun mit seinem Han-
deln".300 Von daher relativiert sich auch die Frage von Hans Mercker, ob Guardini in
seinen Spätschriften etwa plötzlich mit der Möglichkeit rechne, "über den Weg von
unten, über eine bloße Phänomenanalyse zu verbindlicher Erkenntnis zu kommen,
gleichsam aus natürlicher Denkanstrengung heraus jene Folgerungen zu ziehen, die er
sonst nur aus dem gläubigen Entgegennehmen der Offenbarung meint gewinnen zu
können."301 Darin läßt sich nämlich nicht etwa eine Zurücknahme der Weltanschau-
ungskonzeption erkennen bzw. die Hilflosigkeit eines christlichen Denkers, der die
Offenbarung so weltunabhängig konzipiert hätte, daß sie schließlich überhaupt nicht
mehr in weltlichen Zusammenhängen konkretisierbar wäre.302 Vielmehr ist gerade die
Weltunabhängigkeit der Offenbarung die Voraussetzung dafür, daß Guardini auch
"kulturimmanent" an die Einsicht seiner Zeitgenossen appellieren kann. Er bestreitet
nicht, daß die Offenbarung für den Christen die entscheidende Basis für Weltan-
schauung und Welthandeln ist;303 aber in seinen kulturkritisch-handlungsorientierten
Schriften verzichtet er ausdrücklich darauf, die theologische Begründung zu sehr in
den Mittelpunkt zu rücken.304
Besonders eklatant dafür ist der Vortrag über "Pluralität und Entscheidung", den
Guardini auf der Volkshochschultagung 1962 in Frankfurt am Main hielt. Die Bewer-
tung des gesellschaftlichen Pluralismus, die darin vorgenommen wird, könnte an sich
unmittelbar an die frühen Überlegungen zur Vielfalt der "Weltanschauungen" an-

Semester hin erstreckt; dann mußte ich sie abbrechen, weil ich mir über die Problematik des letzten Teils
nicht klar werden konnte, der von der eigentlich christlichen Sittenlehre handelte" (ebd., 69f.).
299
Auch Alfons Auer unterscheidet "Heilsethos" und "Weltethos"; auf letzteres ist sein Ansatz einer
"autonomen Moral" bezogen (vgl. Autonome Moral, bes. Anm. 2, 12.). Guardini kam jedoch bei der Darstel-
lung des "Heilsethos" nicht viel weiter als zur Darstellung der geschichtlichen Situation (Verhältnis des Sitt-
lichen und des Religiösen bis zur Offenbarung; Die Offenbarung; Die Preisgabe der Offenbarung durch die
Neuzeit; Natur, Subjekt, Kultur; Der heutige Zustand; Die existentialistische Position) und der grundsätzli-
chen Bestimmung dessen, was Offenbarung heißt (Das religiöse Grundproblem der Neuzeit; Der Charakter
der Offenbarung und ihres Ethos). Er begann lediglich Schöpfung, Urzustand und SUndenfall in ethischer
Hinsicht zu reflektieren und brach dann ab. Vgl. den Entwurf für den letzten Teil in: Ethik, 1240-1243.
300
Vgl. Wahrheit des Denkens, 62 [11. 10. 1953].
301
Mercker, Weltanschauung, 138. - Im folgenden analysiert Mercker sehr gründlich den Gedankengang
einiger später Beiträge Guardinis und weist deren kulturimmanente Argumentation auf (vgl. ebd., 138-158).
302 "Hj er zeigt sich letztlich der Preis für die starke Betonung der Inkommensurabilität des Christlichen,
welche die Gesprächsansätze zwischen Guardinis Offenbarungsverhältnis mit anderen Daseinsentwürfen er-
schwert, wenn Guardini seinen ursprünglichen Ansatz durchhalten will" (Mercker, Weltanschauung, 143).
303
Gerade in seiner Spätzeit intensivieren sich nochmals Guardinis Überlegungen zur "christlichen Exi-
stenz"; siehe dazu Kapitel VII,3,d und 4.
304
Sie fehlt durchaus nicht ganz, wie ebenfalls Mercker immer wieder hervorhebt (vgl. Weltanschauung,
142f., 144 u. ö.). Dieser spricht jedoch von einer "merkwürdigen Zurückhaltung" (ebd., 150). Guardini versu-
che offenbar, dem Selbstverständnis des gegenwärtigen Menschen möglichst weit entgegen zu gehen, "in der
Hoffnung, die systemimmanenten Aporien der Neuzeit, die sich nun nach-neuzeitlich zu zeigen beginnen, er-
gäben von sich aus eine Einlaßstelle für die Mahnung zur Umkehr" (ebd., 152). Aber widerspricht diese Hoff-
nung wirklich so sehr dem Grundansatz Guardinis, wie Mercker meint?
440 Die Kultur am Ende der Neuzeit

knüpfen, in denen Guardini auf der Basis des Offenbarungsglaubens eine die Vielfalt
übergreifende Perspektive gewann (vgl. dazu Kapitel 111,2). Der späte Vortrag aber
mündet bezeichnenderweise nicht in ein Ja zur Offenbarung Gottes, sondern in eine
Erinnerung an den Ursprung der abendländischen Philosophie. Aus Sokrates spreche
die "tiefe Gewißheit, daß es die Wahrheit gebe, vom Menschen, vom Staat, vom
Dasein, und man sie erkennen könne; daß es das Gute gebe, der Mensch es finden
und tun und dadurch den Sinn seines Daseins erreichen könne."305 Zusammen mit
Piaton biete er einen wichtigen Maßstab für die Gegenwart:
"Ein Grundlegendes bleibt für immer: daß es das Absolute, das Wahre und Gute
gibt, daß man es erkennen und erfahren kann, nein soll; daß in jedem Ding seine
Wahrheit steckt, über die wir nicht verfügen, sondern die uns in den Gehorsam
gegen ihre Sinnforderang nimmt; daß erkannt werden kann und soll."306
Die "formale Zurücknahme des theologischen Ansatzes"307 zeigt sich auch in der Art
und Weise, wie Guardini am Schluß nochmals auf seine Funktion als Theologe
zurückkommt. Er meint, den Erwartungen an einen Theologen durchaus gerecht
geworden zu sein, denn als solcher sei er ja "zur Sorge verpflichtet, wie die verschie-
denen Faktoren des Lebens ineinander greifen und sich gegenseitig im Maß halten
müssen, soll das Ganze, soll der Mensch heil bleiben."308 In dieser Formulierung
drückt Guardini zwar sehr genau das Anliegen seiner "Weltanschauung" aus, ver-
schweigt allerdings gerade den für ihn entscheidenden Punkt - nämlich daß dieses
"Heil-Bleiben" letztlich nicht in der menschlichen Vernunft, sondern in der Tat Got-
tes begründet ist.
Mercker verweist dazu mit Recht auf die gewandelte Zusammensetzung des in den
kulturkritischen Spätschriften angesprochenen Adressatenkreises.309 Meist handelte
es sich nämlich nicht um Veranstaltungen im Rahmen des Lehrstuhls für "Christliche
Weltanschauung", sondern um Vorträge vor einer breiten Öffentlichkeit.*10 Hier
sprach der inzwischen hoch angesehene und vielfach geehrte Professor, und er ant-
wortete auf die Fragen der Zeit in einer Form, die eher den Konsens, nicht mehr so
sehr die Unterscheidung suchte. Freilich begab sich Guardini damit auf eine Ebene,
auf der die Wirkung seiner Äußerungen von der "Tragfähigkeit seiner geistesge-
schichtlichen Analysen" abhing.311 Hier konnte jemand, der die Verwurzelung in

305
Pluralität, 149.
306
Pluralität, 151.
307
Mercker, Weltanschauung, 143.
308 pluralität, 152.- Mercker sieht darin eine für Guardinis Lehrauftrag "Christliche Weltanschauung" be-
deutsame Definition (vgl. Weltanschauung, 142).
309
Vgl. Mercker, Weltanschauung, 148.
310
Viele Beiträge in dieser Zeit sind aus Vorträgen außerhalb der Universität hervorgegangen. Am näch-
sten lag da noch die Rede zur Eröffnung der Katholischen Akademie in Bayern (1957; vgl. Kultur als Werk).
Aber die Rede als Friedenspreisträger (vgl. Der Friede und der Dialog), der Vortrag bei der Volkshochschul-
tagung 1962 in Frankfurt a. M. (vgl. Pluralität und Entscheidung), sowie die Vorträge vor der Technischen
Hochschule München (vgl. Die Maschine und der Mensch) und bei der Hauptversammlung des Vereins Deut-
scher Eisenhüttenleute in Düsseldorf (vgl. Der unvollständige Mensch und die Macht) wenden sich an Men-
schen, für die Guardini ganz erheblich Abstriche an seinem sonst üblichen Argumentationsweg machen
mußte.
311
Vgl. Mercker, Weltanschauung, 148. Dort ist auch der Hinweis auf eine Tagebuchnotiz Wilhelm
Hausensteins anläßlich des Vortrags über "Die Kultur als Werk und Gefährdung": "Ich weiß nicht, was ich
Befähigung zum Handeln 441

einem gläubigen Weltverständnis nicht kannte, leicht den Eindruck einer


"Problemverflachung", einer "diffusen Wortwahl" oder argumentativer Vereinfachung
bekommen.312 Auch Zweifel konnten aufkommen, ob die kleinen Schritte, die Guar-
dini vorschlug, denn auch tatsächlich eine geeignete Antwort auf die von ihm
zunächst sehr drastisch geschilderte Problemlage sein könnten. So wüßte etwa Hans
Mercker gerne,
"wie der gleiche Mensch, welcher in einer sich über Jahrhunderte zu verfolgen-
den unheimlichen Logik am Rand des Chaos anzukommen droht, fähig sein soll-
te, in einer grundsätzlichen Umorientierang wieder Überschau, Mitte und Maß
zu finden. Ist es genügend und deutlich genug, zu fordern, der Mensch müsse
'wieder absolute Positionen zu beziehen lernen'313, wenn dieses 'Absolute' nicht
in jener Klarheit definiert wird, die für den Hörer jene Deutlichkeit durchaus
nicht gehabt haben muß, in welcher sie Guardini im Innersten versteht, aber
nicht ausdrücklich artikuliert?"314
Aber sind die kleinen Schritte, die Guardini vorschlug, wirklich so klein, wie es zu-
nächst scheint? Sie mögen nicht ganz zu Ende gedacht sein und daher oft unausgego-
ren und ergänzungsbedürftig wirken; diskussionswürdig sind sie jedoch allemal. Auch
sie belegen, daß Guardini nicht allzu rasch eine Strategie vorlegen und sich, um eine
leichtere Argumentationsbasis zu haben, einfach auf die Argumentation vom Glauben
her zurückziehen will, sondern, wie er es im Grunde immer getan hat, bereit war, ein
unfertiges Konzept vorzustellen - als Impuls zu weiterem, vertieften Nachdenken.315
Im folgenden seien die wichtigsten Impulse, die Guardini gegeben hat, jeweils knapp
skizziert.

gegen ihn (Guardini) habe. Ein Priester soll bei seinem Zentrum bleiben" (Impressionen und Analysen. Letzte
Aufzeichnungen, München 1969, 186f). Mercker fügt hinzu: "Hier wurde Guardini, gerade indem er die
Sorge um den Menschen vornehmlich in geschichtsphilosophischen Kategorien formulierte, weder als
'Philosoph' noch als Theologe akzeptiert. Dem Theologen Guardini wird die Grenzüberschreitung übelge-
nommen und dem Philosophen Guardini die kulturkritische Kompetenz abgesprochen. Mag dieses Verdikt
vom Selbstverständnis Guardinis aus gesehen auch nicht zutreffen, so ist es aber in den angeführten Vorträ-
gen durch die von ihm eingeschlagene Methode der immanenten Kulturkritik zumindest provoziert worden"
(ebd.).
312
Vgl. Mercker, Weltanschauung, 150.
313
Guardini, Kultur als Werk, 35.
314
Mercker, Weltanschauung, 148.
315
Langsam kommt auch eine vertiefte Auseinandersetzung über Guardinis Ethik in Gang. Vgl. bisher
v. a. Schmidt, Die pädagogische Relevanz einer anthropologischen Ethik; Böhm, Erbe, 616-618 (zum Zusam-
menhang von Guardinis und Schleiermachers Ethik); Henner, Pädagogik, 243-299. - In Vorbereitung befindet
sich eine Promotionsarbeit von Reinhard Haubenthaler über "Askese" bei Romano Guardini, die einen wichti-
gen Teüaspekt dieser Frage untersuchen wird (vgl. dazu auch Lechner, Theologie des Maßes). Ein intensives
Studium der jetzt veröffentlichten Ethik-Vorlesungen wird hier sicher noch weitere Gesichtspunkte zutage
fördern. Jetzt erst kann sich zeigen, ob die Günter Henners Warnung vor einer Veröffentlichung berechtigt
war (vgl. Pädagogik, Anm. 36, 71).
442 Die Kultur am Ende der Neuzeit

(2) Die Bedeutung der "Sinne "


Noch während des Zweiten Weltkriegs hat Guardini mehrmals zu einer Neuent-
deckung der "Sinne" aufgefordert.316 Dies geschah bezeichnenderweise in einer
Phase, in der Guardini nach längerer Pause wieder in die Fortentwicklung der Liturgi-
schen Bewegung eingriff (vgl. dazu Kapitel VII,4,c,bb). Die Pflege der Sinne sollte -
ähnlich wie schon in den frühen Schriften - dem Menschen der Gegenwart einen
neuen Zugang zur Liturgie zeigen.
Dies erforderte jedoch nun größere Anstrengungen als in der Anfangsphase der
Liturgischen Bewegung, als ein allgemeines Streben nach Unmittelbarkeit und Ganz-
heitlichkeit zu spüren war. Doch konnte sich Guardini durchaus vorstellen, daß eine
neue Vertiefung des sinnenhaften Empfindens Zukunft haben könnte.
"Die Sinne werden eine ganz neue Bedeutung bekommen; aber nicht im sensua-
listischen Verstände; im Gegenteil, der Sensualismus wird überwunden werden -
ebenso wie der Intellektualismus, welche beide zusammengehören ... Worum es
geht, ist das lebendige Auge - und ebenso Ohr und Hand - dessen Zusammen-
hang von den äußersten Zellen bis in Herz und Geist reicht. Die Dinge müssen
wieder gesehen, gehört, gegriffen, geschmeckt, in ihrer ganzen Erscheinungspo-
tenz aufgefaßt werden; dann kann erst wieder das Denken, und zwar ein eben-
falls regeneriertes, einsetzen, welches der Wirklichkeit gehorsam ist und alles
aufnimmt, was an ihr erscheint; fähig, sie zu benennen, zu verstehen und aus ihr
'Welt' zu bauen. Von hier aus bekommt der alte Satz: 'nichts ist im Verstände,
was nicht vorher in Sinneswahrnehmung gewesen', seine eigentliche Bedeu-
tung."317
Unklar bleibt, ob Guardini mit diesen Worten einer Erwartung Ausdruck verleiht oder
aber eine Forderung ausspricht, deren Verwirklichung noch keineswegs sicher ist.
Auffallend ist jedenfalls, daß die Erwähnung der "Sinne" in den späteren kulturkriti-
schen Schriften nicht mehr im Vordergrund steht. Die "Ablösung von der Naturba-
sis"*1* erscheint jetzt so beherrschend, daß die Möglichkeit, den Bedeutungsverlust
der Sinne rückgängig zu machen, gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Der An-
satzpunkt liegt jetzt vielmehr endgültig dort, wo Guardini von Anfang an die Bedin-
gung der Möglichkeit für eine "Ablösung von der Naturbasis" gesehen hat - in der
Personalität des Menschen.319

316
Vgl. Das Auge und die religiöse Erkenntnis (1941), dann umgearb. in: Die Sinne und die religiöse Er-
kenntnis (1950); dort zusammen mit: Die liturgische Erfahrung und die Epiphanie. Vgl. ferner: Gesamt-
zusammenhang, 87; Die mystagogische Predigt, 314f. (beide 1942).
317
Auge, Anm. 7, 116; ähnlich: Mystagogische Predigt, 157f.
318
Vgl. Kulturals Werk, 21-25.
319
Von daher muß auch Lina Börsig-Hovers Deutung revidiert werden, daß Guardini grundsätzlich die
kommende Epoche als eine Epoche des "Schauens", ja der Wiederentdeckung der Sinne verstanden habe (vgl.
Zeit der Entscheidung, 61 f.). Die Autorin schließt daraus, daß deshalb die Gegenwart noch nicht die von
Guardini erwartete namenlose neue Epoche sein könne (vgl. ebd., 62-64). Die Zukunft, die Guardini erwartet,
besteht aber gerade in dem, was Börsig-Hover als die "Merkmale des gegenwärtigen Bewußtseins" bezeichnet
(vgl. ebd., 64-79): Vom Allgeftlhl zur Kontingenzerfahrung, Skepsis, Proletarisierung und Ortlosigkeit,
Machtwille, Unvollständigkeit des Menschen, Sachlichkeit, Aktivismus und Auslieferung an die Arbeit.
Gesucht wird nach einer personalen (und gläubigen) Grundhaltung, die diesem nach-neuzeitlichen Endlich-
keitsbewußtsein gerecht wird.
Befähigung zum Handeln 443

(3) Stärkung des Personalen


Wenn Guardini seit den "Briefen vom Comer See" die Überzeugung vertritt, daß
gerade die Masse die "Chance zur vollen Mündigkeit der Person" in sich trage,320
dann bedeutet das weder, daß er nicht um die Gefährdung dieses Personkerns im
Massenzeitalter wüßte,321 noch daß er etwa meinte, erst in der Gegenwart sei ein
"personales Zeitalter" angebrochen.322 In "Welt und Person" hatte Guardini ja zwi-
schen der unverlierbar im Menschen angelegten Personalität und ihrer Aktuierung
unterschieden und war selbstverständlich davon ausgegangen, daß solche Aktuierung
sich bei jedem Menschen und in jeder Epoche vollziehen lasse - im Mittelalter noch
im Bewußtsein einer in Gott gegründeten Personalität, in der Neuzeit als von Gott
emanzipierte "Persönlichkeit", in der Nach-Neuzeit schließlich als Hervortreten der
"reinen" Personalität ohne die schützenden und bereichernden Möglichkeiten einer
"elitären" Persönlichkeitskultur. Aus diesem Grund tritt aber gerade in der Gegenwart
und Zukunft der Kern menschlicher Personalität besonders deutlich zutage:
"Hier wappnet sich der Mensch gegen die Gefahr, die ihm von der Masse wie
von den Ganzheiten droht, um zunächst jenes Mindeste zu retten, von dem her
allein er noch Mensch sein kann. Von da wird die neue Eroberung des Daseins
durch den Menschen und für die Menschlichkeit auszugehen haben, welche die
Aufgabe der Zukunft bildet"323
Der Stärkung dieser Personalität hat also das Bemühen der Zukunft in erster Linie zu
gelten. Das Grundanliegen der neuzeitlichen "Autonomie" ist bewahrt, wird jedoch als
"Verantwortung" interpretiert, die sich beim Glaubenden als Verantwortung gegen-
über Gott, bei jedem Menschen aber zumindest als Wille zur Gerechtigkeit versteht -
dem Willen nämlich,
"das Wesen der Dinge zu sehen und zu tun, was von dorther das Richtige
ist"324

(4) "Regieren " als Kunst


Immer wieder spricht Guardini in seinen späten Schriften von einer "geistigen Regie-
rungskunst", "in welcher Macht über die Macht ausgeübt wird. Sie unterscheidet
Recht und Unrecht, Ziel und Mittel."325 Diese Ausdrucks weise knüpft an den ur-
sprünglichen Wortsinn an: "Regieren" deutet "Sehen, Beurteilen, Erfassen, Lenken
und Verwerten des Gegebenen im Hinblick auf das Ganze"326. Der Begriff sei
"verdorben" durch bisherige Formen der Herrschaftsausübung; in Wirklichkeit handle
es sich um eine "menschliche, sittlich-geistige Haltung"327, die im Wissen um die Art

320
Vgl. EdN 57.
321
Vgl. Zukunft, 24.
322
Vgl. Börsig-Hover, Zeit der Entscheidung, 103 u. ö.
323
EdN 55.
324
Macht, 163. - Vgl. zu der auch hier zugrundeliegenden und auf Thomas von Aquin zurückgehenden
"Seinsethik": Auer, Autonome Moral, 15-54.
325
EdN 78.
326
Macht, 156.
327
Macht, 164.
444 Die Kultur am Ende der Neuzeit

der kommenden Epoche und um die eigene Macht verantwortlich und sachgerecht
handelt 328
Guardini hat dann wohl die "Regierenden" im eigentlichen Sinn vor Augen, wenn
er über den Menschentypus der Zukunft sagt, dieser müßte vor allem "ein ursprüngli-
ches Verhältnis zur Macht haben"329. Damit meint er die Abkehr von der Einstellung
des "Bürgers", der die Macht nur mit schlechtem Gewissen ausgeübt und Sicherheit,
Nutzen, Wohlfahrt als Motive vorgeschoben habe, damit aber gerade die Ausbildung
eines Herrschaftsethos und eines echten Herrschaftsstils verhindert habe. Ebenso
ursprünglich werde das Verhältnis zur Technik sein; und hier hofft Guardini offen-
sichtlich noch einmal auf die Jugend, die anders als seine Generation unbefangener
agieren kann:
"Von Hiroshima ab wissen wir, daß wir am Rande des Untergangs leben und
weiterhin leben werden, solange die Geschichte währt. Der Mensch des neuen
Typus fühlt diese Gefahr. Er fürchtet sie natürlich auch, erliegt der Furcht aber
nicht, denn er ist mit ihrer Atmosphäre vertraut. Er kennt sie und stellt sich ihr.
Sie bildet sogar einen zuinnerst empfundenen Charakter der Größe." 330
Schließlich gehöre zur "geistigen Regierungskunst" auch ein "Bewußtsein der Verant-
wortung för die Welt", die den Optimismus der Fortschrittsgläubigkeit abgelegt hat.
Damit sei wieder ein "Gefühl für absolute Forderungen" verbunden, der Sinn für eine
neue "Disziplin" - nicht "als passives Eingefügtsein, sondern aus der Verantwortung
des Gewissens und der Ehre der Person"331 -, sowie für eine neue "Askese".332 Die
"Kameradschaft von Mensch zu Mensch",333 die "Solidarität", gewinne eine neue
Bedeutung, die nichts mit soldatischer Härte zu tun habe, sondern mit einer Kraft, die
"aus dem Geist, aus der freien Hingabe des Herzens"334 komme.

(5) Männliche und weibliche Sichtweise


Guardini war sensibel genug, um zu spüren, daß das neue Menschenbild, das er ent-
worfen hatte, lediglich "vom Manne her entworfen ist".
"Das der Frau zu zeichnen, wäre Aufgabe der Frau - es sei denn, der Mann un-
ternähme es, der Frau zu sagen, wie er sie wünscht. ... Ebenso wie die Frau zu
sagen hätte, wie sie den rechten Mann sieht. Das wäre kein schlechter Weg." 335
Auf diese Differenzierang in eine männliche und eine weibliche Sichtweise muß ge-
rade vor dem Hintergrund wachsender Gleichberechtigung der Geschlechter eigens
hingewiesen werden. Guardini warnt damit jedoch zugleich vor einer völligen

iz
* Vgl. Macht, 164f.
329
Macht, 169.
330
Macht, 170.
331
Macht, 171.
332
Vgl. Macht, 172. Näheres dazu siehe im Text unter [8].
333
Macht, 172.
334
Macht, 173.
335
Macht, 175; Hervorhebung von mir. Vgl. auch Lebensalter, 68. Die Sensibilität für Verschiedenheit
und Gleichberechtigung der Geschlechter ist bei Guardini seit der Beschäftigung mit Weiningers Polaritäts-
philosophie festzustellen (siehe dazu unter II,2,a,aa). Im Gegensatzbuch kritisierte er dann auch das Überge-
wicht des "Maskulinen" in der abendländischen Kultur (vgl. 121f. und 123).
Befähigung zum Handeln 445

"Angleichung" der Geschlechter, die er an anderer Stelle sogar als "verhängnisvolle


Tendenz" bezeichnet.
"Der echte Weg zum Gleichgewicht der Rechte führt über die Entfaltung der
Eigenart, denn nur in dieser liegt der Sinn und nur aus ihr kommt die Kraft."336

(6) Mögliche Instanzen


Guardini weist in seinen Spätschriften auf verschiedene Instanzen hin, die für die
künftige Menschenbildung wichtige Bedeutung erhalten könnten. Zunächst sind da
Schule und Hochschule, die überhaupt einmal dem Menschen die Einsicht in die
geschichtlichen Veränderungen der Gegenwart vermitteln und ihm zur Wahrnehmung
seiner Verantwortung helfen sollen.337 Er bestimmt die Universität als Ort der Wahr-
heit und fordert immer wieder dazu auf, aus dem Versagen der Vergangenheit zu ler-
nen.
"Wenn in ihrem Raum, der doch wesensgemäß vom Ethos der Wahrheit be-
stimmt ist, die Fähigkeit nachläßt, Wahrheit zu empfinden und zur erkannten
Wahrheit zu stehen - wo soll sie dann sonst sein?"338
Guardini erinnert aber auch an "jene Formen erkennender und bildender Bemühung,
wie sie sich im Zusammenhang mit der pädagogischen Arbeit der letzten fünfzig
Jahre und der Jugendbewegung entwickelt, und in Werkwochen, Ferientreffen, Aka-
demien usw. verdichtet haben. Der soziologische Ort dieser Bemühungen liegt zwi-
schen Schule und Hochschule, individuellem Suchen und Beruf."339 Guardini war
nach dem Zweiten Weltkrieg selbst am Entstehen der Volkshochschulen beteiligt und
hat diesem Typ von Bildung auch später noch eine ganz entscheidende Bedeutung
zugemessen.340

(7) Kontemplation
Bei aller Suche nach geeigneten Bildungsinstanzen liegt der Schwerpunkt bei Guar-
dini weiterhin auf der Überprüfung der eigenen Existenz, in der Haltung, mit der der
Einzelne in seinem jeweiligen Beruf steht:
"Es gibt bereits Menschen, und vielleicht sind es gar nicht so wenige, denen
gegenüber man, ohne auf Hohn oder Skepsis zu stoßen, behaupten darf, worauf
es ankomme, sei eine Metanoia: eine Prüfung der ganzen Lebenshaltung und
eine Änderung der Weise, wie Menschen und Dinge gesehen und genommen

336
Lebensalter, 68; vgl. bereits Sozialwissenschaft, 150. Später heißt es dann: "Das Leben vermännlicht
sich immer mehr - wie es manchmal scheinen will, auch die Frauen selbst." Es bestehe die Gefahr, an der
Herrschaft des Maskulinen "nicht bloß zu erkranken, sondern zu sterben" (Bernhard von Clairvaux, 567).
337
Vgl. Macht, 177f. - Zur RoDe der Universität bei Guardini vgl. Henner, Pädagogik, 281-285. Zu er-
wähnen sind vor allem folgende Beiträge Guardinis: Beginn der Vorlesungen in Tübingen*; Beginn des
ersten Kollegs in München'; Verantwortung des Studenten.
338
Verantwortung des Studenten, 24f.
339
Macht, 178; Hervorhebung von mir.
340
Vgl. Pluralität, bes. 131-135 und 144-147. Zu diesem Engagement Guardinis siehe auch in
Kap. VI,2,b.
446 Die Kultur am Ende der Neuzeit

werden. Diese Menschen sind es, auf die es für die künftigen Entscheidungen
ankommt, und an sie wendet sich das, was im Folgenden zu sagen ist"341
Auf diese "Selbstbildung"342 konzentriert sich Guardini in seinen konkreten Vor-
schlägen. Ausgehend von der These der "Unvollständigkeit" des gegenwärtigen
Menschen fordert er vor allem eine neue kontemplative Haltung, in der es aber nicht
mehr in erster Linie um die Betrachtung der Natur mit allen Sinnen geht, von der
Guardini zunächst gesprochen hatte (vgl. oben unter Punkt [2]). Vielmehr geht es um
eine "Vertiefung" eines Alltags, der sich gerade im technisch geprägten Berufsleben
abspielt343 Im Leben des Menschen
"muß es wieder Zeiten, in seinem Tag Augenblicke geben, in denen er still wird,
sich sammelt und sich mit offenem Herzen eine der Fragen vorlegt, die ihn am
Tag berührt haben."344
Das Wort "kontemplativ" habe daher nichts mit "Mystizismus" zu tun, sondern sei
"ebenso realistisch wie praktisch". Es gehe auch nicht um ein spezifisch-religiöses
Verhalten, sondern eher um eine "Kultur-Meditation"; sie habe den Sinn, daß sich im
Leben des heutigen Menschen eine echte Innerlichkeit ausbilde,
"die den veräußerlichten und zerstreuenden Tendenzen der Zeit zu widerstehen
vermag. Der personale Kern muß eine Festigung erfahren, die ihn fähig macht,
jeweils aus dem Wahrheitsgewissen heraus eine Position zu beziehen, die stär-
ker ist als Parole und Propaganda. .. Er wird in den Stand kommen, das, was ge-
schieht, neu zu sehen, richtig zu beurteilen und die überall festgefrorenen
Schein-Selbstverständlichkeiten zu durchschauen."345
An anderer Stelle schlägt Guardini eine neue Art "geistlicher Übungen" vor, die je-
dem Menschen zugänglich sein müßten - "sich an einen Ort zurückziehen, der dafür
geeignet wäre; still, ohne Konzessionen an den modernen Diskussionsbetrieb, und wo
jemand, der etwas vom Menschen und von den Problemen seines Lebens weiß, Nütz-
liches darüber sagte"346. Stille und Besinnung hätten in solchen Tagen ihren Platz,
aber auch das Aufnehmen "wesentlicher Gedanken" - ob diese nun aus Schriften
weiser Menschen, aus Werken der Dichter oder aus der Heiligen Schrift stammten.347
Außerdem könnte der Sonntag aus einem "Tag der Erholungshetze und Vergnügungs-
industrie" zu einer Möglichkeit werden, in der die "Kräfte der Stille, der Sammlung,
der inneren Tiefe" zu ihrem Recht kämen.348 Auch am Werktag könnte es eine Vier-

341
Macht, 179.
342 vgl. da7U diefrühen"Briefe zur Selbstbildung" (vgl. Gottes Werkleute), die bereits von diesem Ansatz
ausgingen. Bildung ist für Guardini in erster Linie Anregung zur Selbstbildung (vgl. auch Bildungslehre). Für
Erwachsene sieht sie anders aus als für Jugendliche (vgl. die Vorbemerkung in. Das Gute, XI-XVI), und - so
können wir ergänzen - im Kontext der Nach-Neuzeit anders als in der "humanen" Welt des frühen 19. Jahr-
hunderts.
343
Bezeichnend dafür ist, daß Guardini diese und ähnliche Gedanken auch auf einer Jahrestagung des
Vereins der Deutschen Eisenhüttenleute 1955 in Düsseldorf vorgetragen hat; vgl. Der unvollständige Mensch.
344
Macht, 181.
345
Kultur als Werk, 32; vgl. ebd., 32-34. - Daß dies möglich ist, hatte ihm schon früh die Beschäftigung
mit den Mystikerinnen Lucie Christine und Madeleine Semer gezeigt, die beide mitten in den Verpflichtun-
gen des Alltags standen und gerade hier ein kontemplatives Leben führten (vgl. Christine; Semer).
346
Der unvollständige Mensch, 62.
347
Vgl. Der unvollständige Mensch, 62.
348
Vgl. Der unvollständige Mensch, 63f.
Befähigung zum Handeln 447

telstunde geben, in der der Berufstätige sich sammeln könnte - vielleicht mit einem
Kunstblatt oder einem Gedicht, einem Satz aus dem "Tao-te-king", aus Goethes
"Maximen und Reflexionen", "freilich auch, und damit erst das Eigentliche: ein Wort
der Heiligen Schrift"349. Ausdrücklich hebt Guardini hervor, es gehe nicht um
irgendeine "Psychotechnik" oder um eine "Arbeitsaskese" im Sinne Max Webers, also
um die bloße Steigerung der Leistungsfähigkeit des Menschen.350 Das Gegenteil solle
vielmehr erreicht werden - "die Überwindung von Arbeitszwang und Leistungssucht
um des Menschlichen willen."351
Gegen den Einwand, solche Vorschläge seien unrealistisch und weltfremd, wappnet
sich Guardini bereits mit einem Argument, das nochmals sein tiefes Vertrauen in die
Kräfte menschlicher Personalität zum Ausdruck bringt:
"In Wahrheit führen alle, auch die 'realistischsten' Entscheidungen auf eine
Stunde zurück, in welcher der Mensch mit seiner Einsicht, seinem Willen und
seinem Gewissen allein war und sich fragte: Was ist das Rechte? Oder aber eine
solche Stunde fehlte, und dann war eben dieses Fehlen das Erste, und von dort-
her kam die Sinnleere, die sich an sein Tun heftete."352

(8) Askese
Bereits oben wurde die Bedeutung der Askese kurz erwähnt353 Dieser Begriff ist be-
lastet; er wurde in der Vergangenheit oft als "Ausdruck mittelalterlicher Lebensfeind-
schaft angesehen".354 Guardini dagegen grenzt sich von Auffassungen ab, die in eine
solche Richtung deuten könnten - so wie etwa die radikale Askese des Buddhismus
(Überwindung des Lebenswillens), eine dualistischen Sichtweise (Überwindung der
Materie), magische Vorstellungen (Entwicklung geheimnisvoller Kräfte), puritani-
sches Denken (gegen jede Sinnenbefriedigung und Freude), sowie eine Askese, die
aus negativen Lebenserfahrungen hervorgegangen ist (innerer Groll gegen das
Leben).355 Er versteht Askese vielmehr als Grundprinzip sittlichen Handelns, das aus
einem realistischen Menschenbild entspringt, nämlich aus der Erkenntnis, daß der
Mensch weder radikal gut noch radikal böse ist:
"Erst beides zusammen bildet das Ganze. So muß der sittlich Gewillte in sich
selbst unterscheiden und aus seinem Guten heraus seinem Bösen widerstehen.
Das geht aber nicht ohne weiteres vor sich, sondern macht Mühe, und diese
Mühe auf sich zu nehmen, ist schon 'Askese'; denn das Wort stammt vom grie-

i49
Der unvollständige Mensch, 65; vgl. ebd., 64f.
350
Vgl. Der unvollständige Mensch, 59f.
351
Der unvollständige Mensch, 60.
352
Der unvollständige Mensch, 66. Zum Gleichgewicht zwischen "vita activa" und "vita contemplativa"
vgl. auch Henner, Pädagogik, 285-290. Kritisch zu Guardinis Lösungsansätzen: Mercker, Weltanschau-
ung, 153.
353
Mehr und mehr tritt dieser Aspekt ins Blickfeld der Guardini-Interpretation. Vgl. Lechner, Theologie
des Maßes, bes. 195-308; ferner die im Entstehen begriffene Promotionsarbeit von Reinhard Haubenthaler,
München.
354
Macht, 183. - Vgl. den geschichtlichen Überblick bei Lechner, Theologie des Maßes, 255-269.
355
Vgl. Askese, 24-29.
448 Die Kultur am Ende der Neuzeit

chischen 'askein' und bedeutet nichts anderes als 'üben', übend verwirkli-
chen."356
Askese äußert sich daher zunächst im Verzicht und bildet "jenes Element der Härte,
das aus dem Gewissen kommt und das amorphe oder widerstrebende Triebleben ord-
net"357 Es ist nicht gegen den Menschen gerichtet, sondern gehört zu jedem geistigen
Akt, sofern dieser von seinem Wesen her die immanente Logik der Triebe durchbre-
chen kann und soll. Gerade gegenüber der modernen Technik aber erhält die Askese
eine neue und entscheidende Bedeutung. Die Geschwindigkeit der Bewegung, der
Lärm, die auf uns eindringenden Reize und der Automatismus sind Phänomene, die
eine Gegenwehr dringend notwendig machen.358 Was also oben über Kontemplation
gesagt wurde, setzt bereits solche Askese voraus - das Sichmühen um ein Wieder-
gewinnen von Ruhe und Tiefe. Noch entscheidender wird Askese aber im Umgang
mit der gewachsenen Macht des Menschen.359 Gerade vor diesem Hintergrund sei es
notwendig, "daß der Mensch sich selbst in die Hand bekomme"360.
Guardini beruft sich auf Arnold Gehlen, der ebenfalls auf die Bedeutung der Aske-
se hingewiesen hatte.361
"Die Zukunft des Menschen ruht wirklich darauf, ob er die Fähigkeit gewinnt,
den Trieb nach Macht und Gewinn durch Entsagung und Selbstüberwindung zu
bändigen."362
Müssen etwa wissenschaftliche Erkenntnisse immer gleich allgemein zugänglich
gemacht werden? Darf jede technische Entdeckung und Erfindung einfachhin als
Gewinn betrachtet werden? Um solche Fragen geht es bei der Askese, die Guardini
vor Augen steht363 Bei der Analyse des kulturschaffenden Vorgangs hatte Guardini
aufgewiesen, daß alle Kultur, bevor sie auf die Natur "zugreift", "Abstand" von ihr
nehmen muß.364 Dies muß erst recht für den Umgang mit dem kulturellen Werk selbst
gelten. Gerade Kontemplation ermöglicht eine solche Distanz zur Welt und ist daher
Voraussetzung für die notwendige Askese des modernen Menschen,365 wie auch
umgekehrt ein kontemplatives Vertiefen des Alltags Askese voraussetzt366

(9) Rehabilitierung der Tugend


Askese und Kontemplation bilden auch die beiden Grandachsen in Guardinis Buch
über die "Tugenden", einem der geschlossensten und eindracksvollsten Bücher seiner
Spätzeit und vielleicht ein adäquater Ersatz für die zu Lebzeiten nicht mehr erschie-

356
Askese, 29; vgl. ebd., 29-32.
357
Askese, 33; vgl. ebd., 32-35.
358
Vgl. Askese, 35-41.
359 vgl. Askese, 42-46.- Guardini hat diesen Gedanken erst bei der zweiten Fassung des Beitrags ausführ-
licher entfaltet (vgl. in der ersten Fassung "Grundformen der Askese", 203f.).
360
Macht, 184; vgl. ähnlich EdN 78; Kultur als Werk, 34-38.
361
Vgl. A. Gehlen, Sozialpsychologische Probleme der industriellen Gesellschaft, Tübingen 1949; zit. bei
Guardini, Der unvollständige Mensch, 55.
362
Der unvollständige Mensch, 55.
363
Vgl. Kultur als Werk, 36f.
364
Vgl. Kultur als Werk, 15f.; Der unvollständige Mensch, 56.
365
Vgl. Der unvollständige Mensch, 58f.
366
Vgl. dazu Askese, 35-41.
Befähigung zum Handeln 449

nene große "Ethik".367 Hier vollzieht Guardini die "Wende von der abstrakten Ethik
zur konkreten Tugendlehre";368 er verzichtet wieder auf ein System und beschränkt
sich auf "Meditationen über Gestalten des sittlichen Lebens"369. Mit Scheler fordert
er eine "Rehabilitierung der Tugend", die etwas "Lebendiges und Schönes" sei.370
Allzusehr sei die sittliche Lehre zu einer Lehre vom Verbotenen geworden.371
Tugenden aber seien "Gestalten, wie der Mensch im Guten steht"; sie zeigten, "wie
das Leben ihm zur Aufgabe wird; wie er dessen Sinn erfüllt oder verspielt"372
Am Anfang stehen die Tugenden der "Wahrhaftigkeit" und der "Annahme", wobei
erstere "in unserer Zeit viel Schaden gelitten hat",373 letztere die "Voraussetzung für
jedes sittliche Streben bildet, wenn es wirksam sein, Verkehrtes ändern, Verkümmer-
tes stärken, Einseitiges ausgleichen soll".374 Neben der Annahme des eigenen Selbst
erwähnt Guardini auch die Annahme der geschichtlichen Epoche, in der jemand lebt:
"Alles muß ich zunächst annehmen, ehe ich an ihm ändern kann. Wie wesent-
lich das ist, wird an den Haltungen derer deutlich, die es nicht tun, vielmehr aus
der eigenen Zeit hinauszukommen suchen: in die Vergangenheit, wie der
Romantiker, der das Gegenwärtige reizlos und nur das Gewesene schön findet;
oder in die Zukunft, wie der Utopist, der voranhetzt und nur in Künftigem
lebt"375
Es folgen die Tugenden der Geduld, der Gerechtigkeit, der Ehrfurcht, der Treue und
der Absichtslosigkeit. In der Mitte des Buches findet sich ein Abschnitt über die Aske-
se - einer Tugend, die sich mit allen anderen Tugenden, als "Element jedes recht ge-
lebten Lebens"376, verbindet. Die Tugend des "Mutes" oder der "Tapferkeit" ist
wieder etwas, das für die Beziehung zur geschichtlichen Gegenwart wichtig ist. Es
geht um den "Mut, der es mit der Zukunft wagt", um die Tapferkeit, "in der Gefahr
standzuhalten".377 Güte, Verstehen, Höflichkeit, Dankbarkeit und Selbstlosigkeit
werden in weiteren Abschnitten behandelt. Sie münden ein in die Ausführungen über
Sammlung und Schweigen, also über jene kontemplative Grundhaltung, von der oben
die Rede war und die mit der Askese die Voraussetzung jeder einzelnen Tugend
bildet. Guardini spricht hier erneut von der "Innerlichkeit" als "Gegengewicht gegen
die Masse der Dinge, die Menge der Menschen und das Getriebe des äußeren
Geschehens; gegen Öffentlichkeit, Mode und Reklame".
"Sie ist auch - nach den Erfahrungen des vergangenen halben Jahrhunderts müs-
sen wir das betonen - das einzige wirkliche Gegengewicht gegen die Gewalttä-

367
Vgl. Tugenden (1963).
368
Schmidt, Pädagogische Relevanz, 57.
369
Tugenden, Untertitel.
370
Tugenden, 11.
371
Vgl. Tugenden, 10.
372
Tugenden, 18.- Die Aktualität einer Tugendlehre auch für eine zeitgemäße Ethik hat später v. a.
Dietmar Mieth herausgestellt; vgl. Die neuen Tugenden. Ein ethischer Entwurf, Düsseldorf 1984 (= Schriften
der Katholischen Akademie in Bayern, 104).
373
Tugenden, 20.
374
Tugenden, 30.- Vgl. dazu auch: Annahme seiner selbst.
375
Tugenden, 34.
376
Tugenden, 90.
377
Tugenden, 97.
450 Die Kultur am Ende der Neuzeit

tigkeit des Staates. Des modernen, rationalisierten, technisierten Staates, der


immer in Gefahr steht, zum Massenstaat und als solcher totalistisch zu werden,
und der den Menschen, um ihn beherrschen zu können, ich-los, innerlichkeits-
los machen muß."378

(10) Europa
Die bisherigen Aspekte sind auf die personale Vertiefung des einzelnen Menschen in
der nach-neuzeitlichen Kultur bezogen. Aber Guardini richtet seinen Blick auch auf
die Gestalt der Kultur als Ganzer, für die ihm vor allem die Größe "Europa" wichtig
ist 379
Schon in der Zeit nationalistischer Höhenflüge hatte sich Guardini als entschiede-
ner Europäer bekannt und dabei nicht nur die für seine eigene Biographie wichtige
Nord-Süd-Achse, sowie das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland,380
sondern auch die Zusammengehörigkeit von Ost- und Westeuropa hervorgehoben.381
Nach dem Zweiten Weltkrieg verwendete er den Begriff "Europa" dann synonym mit
dem des "Abendlandes" und hob besonders den christlichen Charakter dieser Größe
hervor, die sich nach dem Zusammenbruch eines nichtchristlichen Nationalismus auf
neue Weise anbot382 Die "abendländische Kultur" sei wesentlich "aus der Wirkung
hervorgegangen, welche das Christentum in den europäischen Völkern hervorge-
bracht hat" 383 Ganz unter dem Eindruck einer von Christus losgelösten Ideologie
schließt sich Guardini erneut der Warnung des Romantikers Novalis an:
"Europa wird christlich, oder es wird überhaupt nicht mehr sein."384
Von seinem bisherigen Ansatz her kann dies jedoch nicht im Sinne einer neuen
"christlichen Kultur" gemeint sein, sondern zielt wohl eher auf eine von Christen ge-
tragene oder zumindest in Verantwortung gegenüber Gott gestaltete Kultur.385 Doch
378
Tugenden, 158. - Es wäre Sache einer ethisch orientierten Untersuchung, den Zusammenhang zwi-
schen theologischen und phänomenologischen Begründungen in der Schrift über die "Tugenden" zu analysie-
ren. Dazu wäre vor allem von den Schlußbemerkungen auszugehen (vgl. ebd., 169-183: "Die Gerechtigkeit
vor Gott").
379 vg]. dazu bes. Schlette, Europas Aufgabe.
380
Vgl. dazu Europa 1955, 14f.; Europa 1962, 238-240.
381
Vgl. Untergehende christliche Werte, 98. - Wichtig für diese Auffassung war Guardinis Dostojewskij-
Interpretation, in der er ebenfalls auf das Faktum "Europa" anspielte (vgl. Dostojewskij, 315f). Völlig anders
akzentuiert war der von Spengler populär gemachte Begriff des "Abendtandes", der sich auf die westeuropä-
isch-amerikanische Kultur beschränkte: "Das Wort Europa sollte aus der Geschichte gestrichen werden. Es
gibt keinen 'Europäer' als historischen Typus". "Es war allein das Wort Europa mit dem unter seinem Einfluß
entstandenen Gedankenkomplex, das Rußland mit dem Abendlande in unserm historischen Bewußtsein zu
einer durch nichts gerechtfertigten Einheit verband" (Untergang, I, bes. Anm. 1,21).
382
Vgl. Heilbringer, 31-34 [439-442] und 43-47 [452-456]. - Zum Begriff des "Abendlandes" insgesamt
vgl. dazu Hurten, Der Topos vom Abendland; ders., "Abendland", 27-30.
383
Heilbringer, 32 [440].
384
Heilbringer, 46 [454]; vgl. auch ebd., 34 [442]. Guardini verweist auf das Fragment des Novalis "Die
Christenheit oder Europa" [1799 entstanden, 1826 veröffentlicht].
385
Guardini hatte in dem angeführten Zitat ausdrücklich von der Wirkung gesprochen, die das Christen-
tum, genauer die Gestalt Christi selbst in den europäischen Völkern hervorgebracht hat. Diese Wirkung be-
stand nach ihm in einer Unabhängigkeit von der Natur, die das "ungeheure Wagnis der modernen Wissen-
schaft und Technik" erst möglich gemacht habe (Heilbringer, 32 [440]), aber auch im abendländischen
Geschichtsbewußtsein (vgl. ebd., 32f. [441]; siehe dazu auch Gogarten, Verhängnis und Hoffnung!), in der
"Tiefe und Differenziertheit der abendländischen Seele", sowie in einer größeren "Freiheit zum Guten wie
Befähigung zum Handeln 451
auch diese "Christlichkeit" tritt in Guardinis späteren Äußerungen zu Europa zurück.
Wenn er nun von der Aufgabe spricht, "die in besonderer Weise Europa zugewiesen
ist"386, dann sieht er diese in enger Zuordnung zum immer aufs Neue in Erinnerung
gerufenen "Kernproblem" künftiger Kulturarbeit387, der Macht. Wenn der Fortschritt
von Wissenschaft und Technik, der in die heutige Situation geführt habe, von Europa
ausgegangen sei, so sei auch die "Kritik an der Macht" jene Aufgabe, die Europa im
Dienst an der Zukunft der Menschheit insgesamt zugewiesen sei.388
"Die ihm vorbehaltene Aufgabe liegt, so denke ich, nicht darin, daß es die
Macht, die aus Wissenschaft und Technik kommt, steigere - obwohl es natürlich
auch das tun wird - sondern diese Macht bändige."389
Es ist die Umkehrung des alten Kolonialismus, wenn Guardini eine "Machtausübung"
fordert, die nicht vom Willen zur "Herrschaft" geleitet ist, sondern sich als "Dienst"
versteht - in Verantwortung "für alles das, was Leben heißt: Mensch, Volk, Kultur,
Ordnung des Landes und der Erde."390

(11) Neue Chancen für den Glauben?


Trotz des Bemühens, an die personale Verantwortung aller Zeitgenossen, ja an die
kulturelle Neuorientierung Europas insgesamt zu appellieren, behält Guardini natür-
lich den christlichen Glauben im Auge. Er gibt sich sogar der Hoffnung hin, dieser
werde nicht nur auf eine immer entschiedener auf sich selbst zurückgeworfene Glau-
bensgemeinschaft beschränkt bleiben, sondern irgendwann einmal wieder in seiner
Bedeutung auch für die Kultur wiederentdeckt werden. Denn einmal ist der Glau-
bende für die Aufgaben der Zukunft in besonderer Weise prädestiniert, nämlich fähig,
"im Ortlosen und Ungeschützten zu stehen und Richtung zu wissen", ja "in der wach-
senden Einsamkeit der kommenden Welt - einer Einsamkeit gerade unter den Massen
und in den Organisationen - lebendige Person zu bleiben."391 Zum anderen ist Guar-
dini überzeugt daß das Experiment des Atheismus, "ob der Mensch wirklich ohne
Gott Mensch sein kann" - "das furchtbarste Experiment, das je unternommen worden
ist" - 392 zum Scheitern verurteilt sei.
"Kräfte, die stark genug wären, die eigene Macht in Ordnung zu halten, kommen
weder aus der Wissenschaft noch aus der Technik selbst. Sie kommen aber auch

zum Bösen" (Heilbringer, 33 [441]). Es ging um die Verwirklichung dieser Werte, wobei Guardini überzeugt
war, daß dies nur dann gelingen konnte, wenn auch ihre Wurzel, die Gestalt Jesu Christi (nicht eine diffuse
Größe namens "Christentum" oder eine allzu unbedachte Beschränkung auf die konkrete "Kirche") lebendig
blieb.
386
Europa 1962, 249.
387
Vgl. EdN 77.
388 vg]. Europa 1962, 249f.
389
Europa 1962, 250f.
390
Europa 1962, 252; vgl. ebd., 251f. - Dies wäre auch ein wichtiger Impuls für die am Ende des zweiten
Jahrtausends fällige "Neuevangelisierung Europas": Europa wird nur dann auch künftig eine eigenständige
Kultureinheit bilden, wenn es Verantwortung für das Leben auf dieser Erde übernimmt und gerade so seine
christlichen Wurzeln wiederentdeckt.
391
EdN 93f.
392
Glaube in unserer Zeit, 97.
452 Die Kultur am Ende der Neuzeit

nicht aus einer autonomen Ethik des Einzelnen und ebensowenig aus einer sou-
veränen Weisheit des Staates."393
Hier biete sich vielmehr der Glaube als tragfähigeres Fundament an, wobei Guardini
immer wieder betont, daß auch er sich verändern und die lange vernachlässigte Ver-
antwortung für die Welt erst noch wiederentdecken und lernen müsse.394 Zu dieser
veränderten Glaubensgestalt hat Guardini ebenfalls Wichtiges gesagt; darauf werden
wir im letzten Kapitel (vgl. unter VII,4) noch eigens zurückkommen.

(12) Ausblick
Die genannten Aspekte, die hier natürlich nur kurz angerissen wurden - sie weiter zu
reflektieren, wäre die Aufgabe einer ethischen Untersuchung - konzentrieren sich, wie
bereits eingangs gesagt, auf die personale Vertiefung der menschlichen Existenz.
Hierin sah Guardini bis zuletzt die Zukunftsaufgabe schlechthin in einer zunehmend
vom Phänomen der "Macht" bestimmten Welt.
Er selbst wollte dazu mit seiner Anthropologie und seiner Ethik einen Beitrag lei-
sten. Beides blieb Fragment. Dies war auch bei Guardinis Ansatz nicht anders zu
erwarten; denn die personale Bildung, die ihm seit den zwanziger Jahren vor-
schwebte, konnte nicht durch irgendein abstraktes, systematisierendes Denken, son-
dern nur in der pädagogischen Bemühung um den konkreten Menschen erreicht wer-
den. Die "Sorge um den Menschen"395 blieb Guardinis Vermächtnis vor allem an die
Pädagogen, Seelsorger und Bildungseinrichtungen, die in ganz konkreter Weise Gele-
genheit haben, dem Menschen Lebensmöglichkeiten in dieser gefährdeten Welt zu
erschließen und seine Verantwortungsfähigkeit für den Gebrauch der eigenen
Machtmittel zu stärken.
Auf Blaise Pascal, dessen Bedeutung für die "kommende, noch unbekannte Epo-
che" am Beginn der kulturkritischen Spätschriften aufgeleuchtet war,396 kam Guar-
dini nicht mehr ausdrücklich zurück. Auch eine eingehende Interpretation von
Nietzsches Werk, die nach "Ende der Neuzeit" und "Die Macht" den dritten Teil einer
Trilogie gebildet hätte,397 wurde nicht mehr zu Ende geführt. Überhaupt verloren die
konkreten Persönlichkeiten, denen sich Guardini in seinen Interpretationen zugewandt
hatte, mehr und mehr an Bedeutung. Was Guardini bei Pascal aufgegangen war,
wurde jetzt an der Kultur der Gegenwart selbst abgelesen - die "Schwebe" des
Menschen zwischen "grandeur" und "misere",*9* die Erfahrung der "Ortlosigkeit"
(6garemenf)399 und das Zerbrechen allzu optimistischer Erwartungen an den mensch-
lichen Geist.400 Pascals elitäre Vorstellungen im ethisch-pädagogischen Bereich
mußten revidiert werden - zugunsten der personalen Bildung aller, die erheblich

393
Theologie der Welt, 78.
394 vgl. dazu bes. Theologie der Welt.
395
So der Titel der späten Sammelbände (GW 9/10).
396
Vgl. EdN 9f.
397
Siehe dazu bereits oben in der Einleitung zu Abschn. 3, sowie dort Anm. 21.
398 vgl. Pascal, 58f. Die wichtigsten Aussagen Pascals dazu finden sich in den Fragmenten 400-423 aus
den "Pensees" (nach der von Leon Brunschvicg hg. Ausgabe, Paris 31925).
399
Vgl. Pascal, 63-66.
400
Vgl. Pascal, 76-78. - Zu diesen Punkten siehe unter Kap. V,2,b,aa.
Befähigung zum Handeln 453

größere Anforderungen stellte und die Pascalvon seinem pessimistischen Men-


schenbild aus offenbar noch für unmöglich gehalten hatte.401 Was aber blieb, war die
Einsicht, daß alles "scheinbar Feste schwankt, weil es auf mühsam gebändigten, halb-
schlummernden Titanenmächten ruht"402, verbunden mit der Bereitschaft, diese Er-
fahrung zum Ausgangspunkt des Handelns zu machen - in der Kraft des Glaubens,
der zum Guten verpflichtete. Die entschiedene Absage an den "alten, leichtherzigen
Optimismus, trotz noch so vieler Malheurs werde schon alles gut werden"403, durfte
nach Guardini nicht einfach abgelehnt werden, weil es sich um "Pessimismus" hand-
le.404 Es gebe nämlich auch einen "richtigen" Pessimismus, und ihm wisse er selbst
sich verpflichtet. Ohne ihn
"wird nichts Großes. Er ist die bittere Kraft, die das tapfere Herz und den schaf-
fensfähigen Geist zum dauernden Werk befähigt"405

401
Vgl. Pascal, 119-121. Dazu Fragment 325 aus den Pensees.
402
Pascal, 126.
403
Sorge um den Menschen, 12.
404
Vgl. Sorge um den Menschen, 12f.
405
EdN 79.
Kapitel VII

Das Ziel:
Erschließung des Glaubens

Mit seinem Wechsel von Bonn nach Berlin hatte sich Romano Guardini für immer
von der Lehrtätigkeit an einer katholisch-theologischen Fakultät verabschiedet. Von
nun an galt er nicht mehr als "Dogmatiker" (wie noch in Bonn), sondern als
"Religionsphilosoph" oder Dozent der "katholischen" bzw. "christlichen Weltan-
schauung". Doch der Ausgangspunkt blieb derselbe wie in der "Glaubens-Wissen-
schaft":
"Was ich hier verließ, war die systematische Theologie; was ich suchte, war 'die
Welt'. Das Erste durfte aber nicht verlassen werden; so entstand die Einheit
jenes Blickes, der vom Glauben her die lebendige Wirklichkeit der Welt
erfaßt"1
Für Guardini war aber der Glaube nicht nur Ausgangspunkt einer auf die "Welt" ge-
richteten Denkbewegung ("katholische Weltanschauung"; vgl. dazu Kapitel III). Um
die Welt in verantwortlicher Weise gläubig betrachten zu können, mußte er immer
wieder klären, was es denn eigentlich mit diesem Glauben auf sich habe und wodurch
er sich von den kulturellen Wirklichkeiten innerhalb der "Welt" unterscheide.2 Diese
theologischen Reflexionen entwickelten bald eine Eigendynamik und erhielten einen
eigenständigen Stellenwert in Guardinis Gesamtwerk. Die grundsätzlichen Überle-
gungen über "Heilige Schrift und Glaubenswissenschaft" (1928), das "Wesen des
Christentums" (1929) und die "Bewegung Gottes" (1929), über das Glaubensver-
ständnis und die Bedeutung der Liebe im Neuen Testament (1930), sowie über das
"Leben des Glaubens" (1932), das Christusbild des Neuen Testaments (1936 und
1940) und die "Offenbarung" (1940) sind nichts anderes als die Äußerungen eines
Theologen. Themen aus dem Bereich der "systematischen Theologie" gehörten ja
auch zum festen Bestandteil von Guardinis Vorlesungstätigkeit in Berlin, Tübingen
und München (vgl. dazu Kapitel 111,3).

1
Europa, 20f.
2
Diese Rückbesinnung beginnt - nach den theologischen Vorarbeiten im eigentlichen Sinn (siehe dazu
unter Kap. 111,1) - mit der Berliner "Antrittsvorlesung" (vgl. Weltanschauung; dazu Kap. 111,2), setzt sich
dann in den "Gedanken zum Verhältnis von Christentum und Kultur" fort (vgl. CK; dazu Kap. IV,3,c) und
mündet schließlich zunächst in den theologischen Grundsatzbeitrag über das "Wesen des Christentums"
(1929; s.u.).
456 Erschließung des Glaubens

Wenn hier von "Theologie" gesprochen wird, so muß freilich beachtet werden, daß
der wissenschaftliche Anspruch deutlich hinter dem Verkündigungscharakter zu-
rücktritt. Es handelt sich um echtes "Glaubensdenken"; aber dieses steht der Praxis
der Kirchenväter wohl näher als dem seit dem Hochmittelalter entstandenen Konzept
einer "Glaubenswissenschaft"3. In der Patristik nämlich wurde "Theologie" noch ganz
ursprünglich in engem Zusammenhang mit der Verkündigung innerhalb der Liturgie
betrieben - einem Ort, der für die Wissenschaftspraxis der Theologie jedoch zu keiner
Zeit außer acht gelassen werden darf.4 Im Folgenden wird deutlich werden, daß es
Guardini gerade darum geht, von der liturgischen Predigt, dem Ursprungsort der
Theologie, her eine neue, "andere" Form theologischen Denkens grundzulegen.
Wir setzen am Ende der zwanziger Jahre ein, als Guardini sich mit seinen Überle-
gungen zum "Wesen katholischer Weltanschauung" (1923; vgl. Kap. 111,2) und zum
"Verhältnis von Christentum und Kultur" (1926; vgl. Kap. IV,3,c) die Basis für sein
künftiges Wirken geschaffen hatte und sich nun - neben der interpretatorischen und
kulturkritischen Tätigkeit (vgl. Kapitel V und VI) intensiv auch theologischen Fragen
widmete. So kam es zu einer weiteren Klärung des Glaubensverständnisses, die wir,
zum Teil unter Rückbezug auf die Ergebnisse der Interpretationen, im Folgenden
nachzuvollziehen versuchen (1). Parallel zu Texten der kulturellen Tradition griff
Guardini nun auch auf Texte der Heiligen Schrift zurück; wir beschreiben sein Bemü-
hen, auf dem Weg biblischer "Mystagogie" Menschen in die Begegnung mit Jesus
Christus zu führen (2). Dann fragen wir nach Ansätzen zu einer "anderen" Theologie
(3) und nach Aussagen über die Zukunft des Glaubens (4), die Guardini im Kontext
kultureller Neuorientierungen vorlegte. Es können natürlich keineswegs alle
"theologischen" Gedanken angesprochen, geschweige denn näher entfaltet werden.
Was deutlich werden soll, ist aber das Grundprofil von Guardinis "Glaubensdenken"
und seine Situierung im Spannungsfeld von Glaube und Kultur. Alles andere muß
theologischen Einzeluntersuchungen überlassen bleiben.5

3
Vgl. dazu Seckler, Glaubenswissenschaft. - Die "Theologie" der Väterzeit war nach Seckler "wirkliches
Glaubensdenken, das sich der verschiedensten Methoden bedienen kann, auch 'wissenschaftlicher', aber ihr
Ideal ist ursprünglich, neben und in der Ausarbeitung ihres Objektbereiches, nicht eigentlich die rationale
Vergewisserung des diskursiven Denkens, sondern die intelligible Gewißheit des geistigen Schauens ... Sie
bewegt sich leichter in Entdeckungs- als in Begründungszusammenhängen, obwohl ihr diese wesensmäßig
nicht fremd sind. Gebet, Meditation und Predigt sind ihr näher. Ihr Ziel ist aber nicht primär GoU-Künden,
sondern das Innewerden und Innesein in der Wahrheit und in der Gottes-Kunde" (ebd., 189f.). Insofern unter-
scheidet sich solche "Theologie" sowohl von der ersten verwissenschaftlichen ("Gott-KUnden") wie von der
zweiten philosophischen Grundgestalt von Theologie (vgl. ebd., 182-186). Guardini legt nun keinen großen
Wert darauf, den üblichen Kriterien wissenschaftlichen Forschens (zur Theologie als Glaubens>vi.sjerwc/ui/i
vgl. Seckler, a.a.O., 200-215) gerecht zu werden. Max Seckler weist allerdings daraufhin, daß dem seit dem
Hochmittelalter gültigen Konzept der Theologie als "Glaubenswissenschaft" keineswegs ein Monopolan-
spruch für das, was im geistigen Leben von Christentum und Kirche als "Theologie" bezeichnet werden kann,
zuerkannt werden darf (vgl. ebd., 191).
4
Vgl. dazu Kasper, Wissenschaftspraxis, bes. 242-246. Hier ist von einem dreifachen "Sitz im Leben" die
Rede: Theologie als Reflexion der Glaubensverkündigung, als gedachte Liturgie und in ihrem pastoralen Cha-
rakter. Grundlegend in dieser Richtung auch: HUnermann, Ort und Wesen theologischen Denkens; besonders
die Ausführungen über die "Gründung theologischen Denkens im Zeugnis Jesu Christi" (ebd., 63-65), über
die Gemeinschaftlichkeit und den Bekenntnischarakter theologischen Denkens (ebd., 73-78).
5
Vgl. dazu v. a. Schilson, Perspektiven theologischer Erneuerung (1986); ders., Romano Guardini und die
Theologie der Gegenwart. Aspekte einer vergessenen Wirkungsgeschichte (1990); Sorger, Romano Guardini.
Glaube als "Anfang 457

1. Glaube als "Anfang"

Das Thema des Glaubens kam in der Frühzeit von Guardinis Schaffen vor allem als
Frage nach dem "Geist" der Liturgie und dem "Sinn" der Kirche vor (vgl. Kapitel
11,3). Die Überlegungen über das "Wesen" der Theologie und das "Wesen" katholi-
scher Weltanschauung (vgl. Kapitel III) lenkten dann aber den Blick auf den Glau-
bensakt als solchen und legten vor allem Wert auf die Feststellung, daß sein Ursprung
außerhalb alles "Welthaften" liege - in der geschichtlichen, übernatürlichen Offenba-
rung Jesu Christi. Die "Unterscheidung" des Christlichen wurde in den folgenden
Jahren ein wichtiges Anliegen Guardinis - zumal er erkannte, wie wenig eindeutig die
"religiöse", aber auch die anthropologische Terminologie der Neuzeit war. Es gehe
darum,
"die christlichen Begriffe von all den An-Ähnlichungen, Abschwächungen und
Überdeckungen, Fehlleitungen und Verzerrungen zu befreien, die sie seit dem
Beginn der Neuzeit erfahren haben."6
Es gebe Bestrebungen, die sich angesichts der drohenden Überfremdung durch "nicht-
christliches Dasein und Werk"7 zu regen begännen: Das christliche Bewußtsein
"sucht die Wurzeln, um sich des Eigentlichen und Echten zu vergewissem;
andererseits beginnt es die umgehenden Worte und Gestalten zu prüfen, und all
den Zerstörungen entgegenzutreten, die aus der Säkularisation des abendländi-
schen Daseins entspringen."8
Guardini identifiziert sich mit dieser gläubigen Selbstvergewisserung und bekennt, er
selbst habe dies von Anfang an "mehr oder weniger klar" versucht9
Wir sind bereits mehrfach daraufgestoßen, daß Guardini in der konkreten Existenz
des Menschen mehrere qualitativ und rangmäßig voneinander unterschiedene Wirk-
lichkeitsebenen unterscheidet (vgl. Kapitel IV,3,c,dd; V,2,b,aa). So ist für ihn schon
von der "Welt" her eine rein "materielle" Wirklichkeit von einer "organischen" zu
unterscheiden, und letztere wiederum von einer "geistig-personalen" Wirklichkeit.
Der letzte Überstieg in die Wirklichkeit der göttlichen Selbstoffenbarung aber sei
noch fundamentaler, weil er ins schlechthin "Überweltliche" führe. Wenn daher
schon organische Phänomene nicht mit materiellen Kriterien gemessen werden konn-
ten und die Maßstäbe des "Konkret-Lebendigen", die Guardini in seiner Gegensatz-
philosophie ja ausführlich entwickelt hatte (vgl. Kapitel 11,2), schon für das Phäno-
men des Personal-Geistigen nicht ausreichten, dann blieben erst recht alle innerwelt-

Christliche "Welt-Anschauung" und Theologie (1988). Die wichtigsten Beiträge zu theologischen Einzelthe-
men im Werk Guardinis seien hier noch einmal zusammengestellt: Wechsler, Romano Guardini als Kerygma-
tiker; Eicher, Offenbarung, 261-292; Gerber, Glaubensbegriff, 159-168; Kühn, Natur und Gnade, 54-65;
Kleiber, Glaube und religiöse Erfahrung; Schilson, Erneuerung der Sakramententheologie (1987); Faber,
Kirche (1993); Fischer, Wort und Welt (1993).
6
Unterscheidung (1935), XI.
' Unterscheidung (1935), XI. Guardini denkt hier sicher auch an die nationalsozialistische Ideologie; siehe
dazu VI,2,b.
8
Unterscheidung (1935), XII.
9
Vgl. Unterscheidung (1935), XII.
458 Erschließung des Glaubens

lieh erprobten Wege unzureichend, wenn es darum ging, den Schritt des Glaubens zu
tun. Schon innerweltlich bedeute der Wechsel von einer Ebene zur anderen einen
"Sprung", d. h. ein "Hergeben" bisher gültiger Maßstäbe. Vor allem dort, wo es um
geistig-personales Existieren gehe, werde dieser "Sprung" zu einem Wagnis, in dem
die gesamte Existenz aufs Spiel gesetzt werde, ohne daß von vornherein plausibel ge-
macht werden könne, daß sich dieser Einsatz auch wirklich lohne.10 Immer hat sich
Guardini daher auch mit Persönlichkeiten schwer getan, die zu einem solchen
existentiellen Wagnis nicht bereit waren oder - wie etwa Goethe im "Faust"11 - alles
in eine letzte Unverbindlichkeit auflösten.
Die Interpretationen thematisierten dann aber - im Blick auf die kulturelle Situation
der Gegenwart - die religiöse Existenz der jeweiligen Gestalten. Damit kam der letz-
te, entscheidende "Sprung", das "Wagnis" des Glaubens, in den Blick. Die Figuren
Dostojewskijs waren in ihrer religiösen Haltung noch zu "naturhaft" und wenig
"personal" (vgl. Kapitel V,2,a), weshalb der Blick auf die platonisch-augustinische
Tradition (Pascal, Augustinus, Dante) eine ganz in der personalen Tiefe verwurzelte
Frömmigkeit offenlegte, die allerdings noch mit den Herausforderungen der Gegen-
wart vermittelt sein wollte (V,2,b). Auch Hölderlin hatte die Ebene des Glaubens
nach Guardini nicht mehr erreicht; er blieb bei unmittelbaren religiösen
(Welt-)Erfahrungen stehen und deutete sie im Rückgriff auf die antike Mythologie.
Aber wenigstens beruhten seine Götter noch (oder wieder) auf echten Erfahrungen,
die die ganze Existenz des Dichters berührten (V,2,c). Ja, bis zum Schluß blieb offen,
ob die Christusgestalt von ihm endgültig in die "Welt" gezogen oder nicht doch noch
in ihrer eigentlichen Christlichkeit erkannt werden würde.12 Vollends löste aber Rilke
das Wagnis des Glaubens in ein innerweltlich "Offenes" auf und enttäuschte somit die
Erwartung des Interpreten, bei ihm den Ansatzpunkt einer der Gegenwart gewachsene
Glaubenshaltung zu entdecken (V,2,d).
Am ausgeprägtesten, freilich auch ins Unmögliche übersteigert, fand Guardini
"existentielles" Denken bei Kierkegaard.1* Dieser habe gezeigt, daß es Dinge gebe,
die zur Gegebenheit erst gelangten, sobald sie persönlich realisiert würden.
"Kierkegaard überspannt den Gedanken. Auch in diesen Fragen gibt es objektive
Gegebenheit. Aber darin hat er Recht: Das 'Eigentliche' eines Heilsproblems
wird mir erst 'inne' in der persönlichen Realisierung. Insofern hängt das Maß
meiner Erkenntnis von dem Maß meines Tuns ab."14
Zur Glaubenswirklichkeit gelange man demnach erst durch einen "Sprung", den Kier-
kegaard freilich zu einem "absoluten Paradox" übersteigere.15 Blaise Pascal hatte
diesen "Sprang" nicht nur selbst vollzogen, sondern in seinem berühmten Fragment
793 auch die Gliederung in drei unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche entwickelt, an
der sich auch Guardini künftig orientierte. Er unterschied "les corps", "les esprits"

10
Zu dieser Stufentheorie vgl. v. a. CK 158f, 165 und 167-172; Heilige Schrift, 25f., 30-34.
11
Zu dieser Deutung des "Faust" und ihrer Kritik durch Kunisch siehe unter Kap. V,l,d.
12
Vgl. Hölderlin, 574.
13
Vgl. CK; Ausgangspunkt; Heilige Schrift, 33; Pascal, 21-23.
14
Heilige Schrift, 33.
15
Vgl. Pascal, 169-176, femer CK Anm. 18, 170f..
Glaube als "Anfang" 459

und "la charite", wobei der zuletzt genannte Begriff jene Ebene meinte, die nur im
"Sprung" des Glaubens erreicht werden konnte:
"Alle Körper, das Firmament, die Sterne, die Erde und ihre Königreiche wiegen
nicht den kleinsten der Geister auf; denn dieser erkennt jenes alles, und sich
(dazu); die Körper aber (erkennen) nichts. Alle Körper zusammen und alle Gei-
ster zusammen und alle ihre Hervorbringungen wiegen nicht die geringste
Bewegung der (christlichen) Liebe auf. Diese gehört einer unendlich höheren
Ordnung an."16
Die augustinische Tradition, aus der er kam, führte Pascal wohl dazu, die neue Ebene
nicht mit dem Begriff des "Glaubens", sondern mit dem der "Liebe" zu benennen.
Guardini stand in derselben Linie, auch wenn er sich enger an den Sprachgebrauch
von 1 Kor 13,13 hielt, wonach der "Liebe" zwar der höchste Rang zukam, diese aber
erst mit der "Hoffnung" und dem "Glauben" zusammen die christliche Grundhaltung
bildete.17 "Glaube" vertrat in dieser Perspektive eher die erkenntnismäßige Seite der
christlichen Existenz - im Unterschied zur Liebe, die auf den menschlichen Willens-
akt bezogen war.18 Nun bestand aber auch das Erkennen für Guardini vor allem in
einer Begegnung mit dem zu erkennenden Gegenstand. Auch schon "Körper" durften
nicht einfach als passive Objekte behandelt werden, sondern mußten sich "zeigen",
um wirklich erkannt werden zu können.19 Noch viel mehr galt das für das "Erkennen"
von Menschen ("les esprits"), für das Pascal den Begriff "esprit de finesse" (in Ab-
grenzung vom "esprit de g6om6trie") geprägt hatte. Hier geschah Erkenntnis dadurch,
daß das Leben des Anderen ein Stück weit mitvollzogen wurde:
"Ich gerate dabei unter die wirkende Kraft der Persönlichkeitsform des Anderen;
unter die Dynamik seines Charakters; unter die Macht seines Schicksals. Aber
das ist nötig, sonst verstehe ich ihn nicht"20
Hier erst geschehe wirkliche Begegnung; "Erkenntnis" und "Wille", damit aber auch
das, was "Liebe" meint, rückten also eng zusammen, wobei im "personalen Bezug"
die Initiative der Begegnung von beiden Seiten her kommen mußte.21 Nochmals an-
ders verhielt es sich bei der Erkenntnis Gottes: Für ein solches Begegnungsgeschehen
liege die erste Initiative ganz bei Gott selbst, während der Mensch antworte bzw. sich
mit seiner ganzen Existenz dem auf ihn zugehenden Gott öffne.22 Hier erst recht sei
nicht nur der Verstand, sondern in erster Linie der Wille des Menschen gefragt:
"Gott wendet sich fordernd an mich. Mein Heil hängt ganz von ihm ab. ... So
tritt Gott erst in die für mich mögliche volle und entscheidende Gegebenheit,
wenn ich ihn als das Heil meiner Person nehme. Nicht wenn ich sage 'Gott';
sondern erst wenn ich sage 'Mein Gott'. Und in dem Maß kommt er mir zur
16
Fragment Nr. 793 aus den "Pensees", hier übers, von Guardini selbst; vgl. Pascal, 33.
17
Vgl. Glaube, 494.
18
Vgl. Leben des Glaubens, 71-95.
19
Vgl. Heilige Schrift, 31: "Jeder Gegenstand, auch schon der tote, mechanische, erfordert ein bestimmtes
Maß von Ernst-nehmen. Ich nehme ein Ding ernst, wenn ich ihm Wirkung einräume auf mich. Sonst sehe ich
es nicht in seiner qualitativen Wucht." Vgl. auch die Ausführungen zum "Wortcharakter" der Dinge in: WP
149-142.
20
Heilige Schrift, 31 f.
21
Vgl. WP 133-136.
22
Vgl. WP 143-145.
460 Erschließung des Glaubens

Gegebenheit, als ich mit ihm ernst mache; in dem Maß, als ich in immer tieferer
Innerlichkeit ihn für mich ernst nehme; in dem Maß, als ich das 'mein' in dem
Satze 'mein Gott' realisiere. Das heißt aber: Im Maß ich seinen 'Willen
erfülle'."23
"Unbeteiligte Objektivität ist hier unmöglich. Glaube ist wesentlich Heilsaneig-
nung; wesentlich 'Hingeben der Seele'."24
Glaube ist daher für Guardini eine Art "Zirkelbewegung":25
"Ich glaube, weil Gott hier spricht. Wie werde ich aber religiös inne, daß er
spricht? Im Letzten, weil Gott mich überzeugt; weil er mir die Gnade des Glau-
bens gibt; weil er 'mich zieht'."26
Solch ein "Zirkel" wohnt nach Guardini jedem echten "Anfang" inne, im Bereich des
natürlichen Lebens etwa der Geburt oder dem Erwachen.21
"Mein Erwachen kann ich nicht aus dem vorausgehenden Schlafe oder von
irgend einer physiologisch und psychologisch wirkenden Ursache her ableiten,
sondern nur aus ihm selbst heraus verstehen: das Wachsein aus dem Erwachen,
aus dem Aufschlagen der Augen im neuen Lebensstand, welches Erwachen ich
aber wiederum nur verstehe, wenn ich wach bin .."28
Pascals religiöser Durchbruch, der im "Mdmorial" niedergelegt ist,29 und die Bekeh-
rung des hl. Augustinus, die dieser selbst in seinen "Confessiones" beschreibt,30
stellen nach Guardini solche echten "Anfänge" dar - "aus nichts Vorausgehendem
abzuleiten, vielmehr nur zu denken, indem der Wiedergeborene in seinem neuen
Dasein die Augen aufschlägt, sich selbst annimmt und vorangeht"31
Der "Anfang" des Glaubens ereignet sich also dort, wo der Mensch in die Begeg-
nung mit Gott eintritt. Dieser wird selbst in einer "Bewegung" befindlich gedacht - in
einer "Bewegung" zum Menschen hin. Alle jene biblischen Aussagen, in denen der
philosophische Standpunkt nur "Anthropomorphismen" erblickt, drücken daher ge-
rade das Wesentliche an der Wirklichkeit Gottes aus:
"Was den Gott der Offenbarung und alles über ihn Ausgesagte vom
'philosophischen Gott' unterscheidet, ist, daß er Initiative hat" 32

23
Heilige Schrift, 34.
24
Heilige Schrift, 39; vgl. ebd., 37-40. - Zu diesem Leitwort Guardinis siehe unter Kap. II,l,c und
II,3,b,aa.
25
Vgl. dazu auch die Stellungnahme Karl Adams: Von dem angeblichen Zirkel im katholischen Lehr-
system oder von dem einen Weg der Theologie (1939).
26
Glaube, 495; vgl. auch Heilige Schrift, 40 u. ö.
27
Vgl. Glaube. 496f; Heilige Schrift, 42.- "Überall gilt, daß kein Gedanke voraussetzen darf, was erst sein
Ergebnis sein kann; immer ist der Zirkelschluß ein Zeichen des Irrtums - nur an einer einzigen Stelle nicht:
dort, wo lebendiger Anfang geschieht, Existenz die Augen aufschlägt und sich selbst annimmt" (Anfang, 20).
28
Anfang, 20.
29
Vgl. Pascal, 20-48.- "Glaube ist jener Akt des personalen Dazutretens, des Sichbindens in endgültiger
Treue, wodurch Jesus Christus zum Anfang wird, aus dem etwas Neues, eine neue Existenz im vollsten Sinne
des Wortes ersteht" (ebd., 44f.).
30
Vgl. Bekehrung, bes. 161-252; v. a. aber die spätere Schrift "Anfang".
31
Anfang, 20f.
32
Bewegung, 295.
Glaube als "Anfang" 461

Wieder stützt sich Guardini auf Pascal, der den tiefen Unterschied zwischen dem
"Gott der Philosophen" und dem "lebendigen Gott" der Bibel in seinem "M6morial"-
Erlebnis erfahren hatte.33
"Was ist also geschehen, daß Pascal dieses Zerbrechen des bloß philosophischen
Gottesgedankens mit so erschütterndem Glück erfährt? Mit dem Bewußtsein,
erst jetzt, nachdem er in den Bereich der 'anthropomorphen' Begriffe gekommen
ist, vor dem Eigentlichen zu stehen? Es gibt nur eine Antwort, die Pascal selbst
anerkennen würde: Weil er dem lebendigen Gott begegnet ist. Weil dieser Gott
eben so ist, daß man, will man richtig reden, von ihm sagen muß: Er kommt, er
handelt, er spricht ... Weil ihm Gott entgegengetreten ist als 'Dieser', und also
Begegnung geschehen ist, von der man nur mit solchen Worten reden kann, wie
sie auf jeder Seite der Heiligen Schrift stehen."34
Die Bewegung Gottes "erhält ihren vollen Sinn erst aus dem Personalen. Sie geht von
Person aus und richtet sich auf Person."35 Sie schafft immer größere "Nähe" und er-
reicht ihren Höhepunkt im "Innesein" des Menschen.36 Glaube als Erkenntnis- und
Liebe als Willensbegegnung können daher für Guardini nicht mehr reinlich voneinan-
der geschieden werden; beide verbinden sich mit der dritten theologischen Tugend -
mit der Hoffnung als dem "Zustand des werdenden Reiches Gottes."37
Guardini verwendet daher jetzt mehr und mehr einen umfassenderen Glaubensbe-
griff**, der sich auf den "christlichen Akt schlechthin" (Liebe und Hoffnung einge-
schlossen) bezieht und die gesamte Antwort auf Offenbarung und Erlösung meint:
"Glauben ist das Getroffenwerden durch das Kommen Gottes in Christus; lebendige
Begegnung, Aufnahme, Verbindung in Zutrauen und Treue. Die Fähigkeit dazu gibt
der Gleiche, der da kommt"39 Mitten in dem, was "Welt" heißt, trete "ein Punkt her-
vor, der nicht zur Welt gehört: ein Ort, auf den man treten; ein Raum, in den man
gehen; eine Kraft, auf die man sich stützen; eine Liebe, der man sich anvertrauen
kann."40
"'Glaube' im Sinne des Neuen Testaments bedeutet nicht nur religiöses Zu-
trauen, Verehrung, Hingabe, Aufgeschlossenheit gegenüber dem religiösen Mei-
ster, sondern etwas ganz Bestimmtes, nämlich das von Christus geforderte Ver-
hältnis zu Ihm und zu dem Gott, der durch Ihn spricht. 'Glaube' meint keinen
allgemeinen Begriff für die Beziehung zum religiösen Verkünder, die man also
zu Buddha, zu Zarathustra, zu Moses, und ebenso zu Jesus hätte, sondern das
Wort bildet den Namen für etwas Einmaliges und Einziges: das Verhältnis zu

33
Vgl. Pascal, 40-45.
34
Pascal, 42. - Guardini kündigt an dieser Stelle die Veröffentlichung einer "seit langem vorbereiteten
Theologie des Neuen Testamentes" an (Anm. 15, 42). Grundlage dafür bildeten vermutlich die neutestament-
lichen Vorlesungen in Berlin; als erste Kostproben sind die vier Schildgenossen-Aufsätze aus den Jahren
1929 und 1930 zu verstehen (Das Wesen des Christentums; Die Bewegung Gottes; Die Liebe im Neuen
Testament; Der Glaube im Neuen Testament).
35
Bewegung, 299.
36
Vgl. Bewegung, 299.
37
CK 215; vgl. ebd., 215-219; Leben des Glaubens, 85-95; Harren der Schöpfung.
38
Zum folgenden vgl. bes. Kleiber, Glaube, 194-217.
39
Menschliche Wirklichkeit, 197f.
40
Herr, 231.
462 Erschließung des Glaubens

Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes. Und damit beginnt die
Umwertung der Maßstäbe, die Umwendung des Herzens, der Umbau des Den-
kens, wie vor allem Paulus immer wieder zeigt .."41
Kein "theologisches" Bemühen kann daher die Glaubensentscheidung des einzelnen
Christen ersetzen - auch nicht durch ein noch so großes Aufgebot an Argumenten.
Möglich ist nur das Deutlichmachen jener "Bewegung" Gottes, auf die sich der Glau-
be bezieht und die ihn ermöglicht. Wenn der Mensch aber dann diese Wirklichkeit
spürt und sich von ihr ergreifen läßt, wenn er den "Sprang" wagt, den ihm niemand,
auch nicht der Theologe, abnehmen kann - dann gewinnt er eine neue Basis für seine
ganze Existenz. Und die Ermöglichung dieser neuen Basis - das versteht Guardini als
seine Aufgabe.

2. Biblische Mystagogie: Glaube als Begegnung

a. Hermeneutische Prinzipien theologischer Schriftauslegung


In einem Aufsatz aus dem Jahre 192842 fragt Guardini nach der theologischen
Methode der Schriftinterpretation und führt damit die Grandlagenreflexion weiter, die
er in seiner Bonner Antrittsvorlesung vorgetragen hatte.43 Demnach ist Theologie
durch ein eigenes Objekt ("Offenbarung") und eine diesem zugeordnete Erkenntnis-
haltung ("Glaube") von anderen Wissenschaften, wie z. B. Religionspsychologie,
Religionsphilosophie, Religions- und Kulturgeschichte usw., deutlich abgrenzbar.
"Sie benützt wohl die Ergebnisse dieser Wissenschaften, will aber selbst durch-
aus anderes. Sie ist die Wissenschaft von der übernatürlichen Selbstoffenbarung
Gottes, von deren Geschehnis, Inhalt und Wirkung. Und zwar nicht als einer
einfachen Tatsache, sondern als einer verbindlichen, mit Autorität an den Ein-
zelnen herantretenden: als Voraussetzung des Heiles."44
Wenn Guardini von dieser Vorgabe her nun fragt, in welcher Hinsicht die Texte der
Heiligen Schrift zur "Erkenntnisquelle" einer bestimmten Wissenschaft, nämlich der
Theologie werden können,45 dann fragt er von vornherein nach dem spezifischen Bei-
trag dieser Wissenschaft gegenüber anderen Disziplinen, die sich ebenfalls mit ihr be-
fassen können. Im Blick stehen dabei besonders die historischen Wissenschaften, die
seit dem 19. Jahrhundert immer größere Bedeutung gewonnen haben und zur Zeit
Guardinis vor allem die protestantische Bibelauslegung prägten.46 Guardini hält es
41
Herr, 520; vgl. ebd., 230-232.
42
Vgl. Heilige Schrift und Glaubenswissenschaft. - Zum Folgenden vgl. bes. Wechsler, Guardini, 174-
179; Kleiber, Glaube, 179-183; Theobald, Autonomie, 23-26.
43
Vgl. Anselm 49-61. Dazu näheres unter III,l,b.
44
Anselm, 50f.
45
Vgl. Heilige Schrift, 24.
46
Vgl. Mertens, Historisch-kritische Methode, 146.
Biblische Mystagogie 463

durchaus für richtig, sich zum Verständnis der Heiligen Schrift dieser Methode zu
bedienen, denn es handle sich ja dabei um "historische Dokumente"47, literarische
Zeugnisse und "geschichtliche Quellen", die "als solche genommen und ausgehoben
werden" müßten.48 Auch wenn Guardini sich nicht selbst auf die Methode der Lite-
rarkritik und die historisch-kritische Methode insgesamt einläßt,49 so will er sie doch
keineswegs aus der theologischen Wissenschaft ausgeschlossen wissen; sie kann nach
ihm aber keineswegs das Ganze einer spezifisch theologischen Exegese ausmachen,
sondern lediglich einer ihrer Bausteine sein.
"Das Wort Gottes ist ein geschichtliches. So muß es als solches auch geschicht-
lich gefaßt werden. Aber ohne weiteres ist klar, daß dieser Weg nicht der einzi-
ge zum Wort Gottes als solchem sein kann; ja nicht einmal, wesenhaft gesehen,
der wichtigste."50
Negativ vorbelastet durch die Verabsolutierang der historischen Methode in der pro-
testantischen Bibelwissenschaft, kommt Guardini sogar zu sehr harten Urteilen:
"Unsere biblische Wissenschaft ist weithin historistisch. ... Die Wirkung ist -
ganz abgesehen von der Gefahr historischer Relativierung - sehr verhängnisvoll:
Das Eigentlich-Theologische droht zu entgleiten; das Heilig-Pneumatische; das
Lesen, Aufschließen und Ausheben des Wortes Gottes, welches absolut und
ewig ist"51
Während diese Kritik eigentlich die Anwendung aller wissenschaftlichen Methoden
betrifft, enthält das historische Denken für Guardini aber auch noch eine weitere
Gefahr:
"Es droht die Gegenwärtigkeit verloren zu gehen; das Heute, in welchem Theo-
loge wie Hörer stehen. Der Historismus verliert in seinem Gestern das Ewige
und auch das Jetzt. So wird er unaktuell, akademisch."52
Im Vorwort zu seinem Christusbuch "Der Herr" grenzt sich Guardini deshalb sowohl
gegen eine "Psychologie Jesu" wie gegen den Versuch eines "Lebens Jesu" entschie-
den ab.53 Einige Jahre später vertieft er auf dem Hintergrand seiner bereits praktizier-
ten Schriftauslegung die früheren hermeneutischen Prinzipien.54 Erneut stellt er fest:

47
Vgl. Heilige Schrift, 24.
48
Vgl. Heilige Schrift, 35. - Theobald liest den Terminus "geschichüich" im Sinne der gängigen exegeti-
schen Fachbegrifflichkeit: "Wohl läßt Guardini eine gattungskonforme Interpretation neutestamentlicher
Texte verbal zu, nimmt dieses Zugeständnis faktisch aber dadurch wieder zurück, daß er z. B. die Evangelien
a priori als 'geschichtliche Quellen' nimmt" (Autonomie, 25). Theobald hat sofort auch eine Erklärung dafür:
Guardini tue das, weil "die Deutung z. B. der Kindheitserzählungen Jesu als 'Legenden' den geschichtlich-
realen Einbruch des Göttlichen in Jesus im Unglauben verleugnen würde" (ebd.). Doch der Begriff
"geschichüich" bzw. "historisch" meint bei Guardini keine literarische Gattung; er ist im Sinne von
"zeitbedingt" oder "zeitgebunden" zu verstehen und verweist damit auf die Grundvoraussetzung gerade der
/»'«orisc/i-kritischen Exegese.
49
Vgl. dazu etwa: Herr, IXf.; Christusbild, 15.
50
Heilige Schrift, 48. - Guardini bestreitet also keineswegs eine gewisse "Autonomie" der historischen
Kritik (vgl. Theobald, Autonomie, 29, 32 u. ö.). Vgl. auch Christusbild, 15.
51
Heilige Schrift, 51.
52
Heilige Schrift, 51f.
53
Vgl. Herr, IXf.
54
Vgl. Christusbild, 22-31.
464 Erschließung des Glaubens

"Echte Theologie wird es zehnmal lieber auf einen Konflikt mit scheinbarer
wissenschaftlicher Unmöglichkeit ankommen lassen, als auf die Gefahr, das,
was hinter dem Text, steht am Reden zu hindern."55
Dieses Wort Gottes könne nämlich allzu leicht "niedergehalten, lächerlich gemacht,
mit vielen und scheinbar sehr starken Gründen ins Unrecht gedrängt werden."56
Guardini dreht hier die hermeneutischen Prinzipien der historisch-kritischen
Methode geradezu um. Nicht die wissenschaftliche Kritik muß nach ihm die Quellen
zubereiten, um sie dadurch dem Glauben zugänglich zu machen; genau das Umge-
kehrte ist der Fall:
"... soll wissenschaftlich genaue theologische Erkenntnis möglich werden, dann
muß zuerst die Quelle in Stand gebracht sein, so zu sprechen, daß 'Ärgernis' und
'Torheit' des Evangeliums sich fühlbar machten (1 Kor 1,23). Die Haltung der
'Unmündigen' muß verwirklicht werden, denen nach dem Worte Jesu allein die
Wahrheit gegeben ist (Mt 11,25). Und nicht als erbauliche Übung, sondern als
Vorbedingung kritisch genauer Erkenntnis; als Voraussetzung dafür, daß der
Gegenstand überhaupt zur Gegebenheit gelangt"57
Worin aber besteht dieser "Gegenstand"? Wieder knüpft Guardini bei den Wirklich-
keitsstufen Pascals an und bezeichnet die höchste, nur dem Sprung des "Glaubens"
erreichbare Ebene als die "pneumatische" Wirklichkeit58 Diesem Bereich entstam-
men aber auch die Texte der Heiligen Schrift; sie sind entstanden
"aus dem Pneuma, dem heiligen Geiste, durch den Offenbarung geschieht und
verständlich wird; der Christus den Menschen inne macht; der bewirkt, daß der
Mensch glaubend, liebend und lebend Christus und das, was in Christus sich
aufgetan hat, ergreift, zu eigen gewinnt, erkennt und handelnd auswirkt"59
"Glaube ist die der Offenbarung zugeordnete Erkenntnishaltung."60
Sofern daher in der Heiligen Schrift nicht nur historische oder psychologische Er-
kenntnis gesucht wird, sondern das, was sie von anderen literarischen Zeugnissen und
geschichtlichen Dokumenten unterscheidet, darf vom Glaubensakt nicht abstrahiert
werden.61 "Der Inhalt der Heiligen Schrift kann, als Wort Gottes, nur erfaßt werden
im Glauben."62 Diese "Glaubenserkenntnis" kommt an sich jedem Glaubenden zu.
Sie kann allerdings auch auf die wissenschaftliche Ebene gehoben werden, wenn das
gläubige Eindringen in die biblischen Texte "methodisch geschieht, mit kritischem
Bewußtsein der Urteilsbildung und systematischer Ordnung des Vorgehens":
"Die Theologie hat die Aufgabe, aus dem Glauben das Wesen und den Inhalt
des Gotteswortes zu bestimmen, Worte und Begriffe von ihm her zu prägen. Als
Hilfe nimmt sie alles an, was ihr die geschichtliche, psychologische, philologi-
55
Christusbild, 30.
56
Christusbild, 31.
57
Christusbild, 31.
58
Vgl. auch CK 172-184 (siehe unter Kap. IV,3,c,dd). Guardini zitiert im Zusammenhang seiner herme-
neutischen Vorbemerkungen nochmals in voller Länge das Fragment 793 aus Pascals "Pensees" (vgl. Chri-
stusbild, Anm., 4, 29f.).
59
Heilige Schrift, 36.
60
Heilige Schrift, 37.
61
Vgl. Heilige Schrift, 42.
62
Heilige Schrift, 44.
Biblische Mystagogie 465

sehe Untersuchungsweise an die Hand geben. Überträgt es aber nicht eben-sin-


nig, univok, sondern analog; sie ordnet es unter die spezifischen Kategorien des
Heilig-Übernatürlichen ein."63
Wenn Theologie dies leisten wolle, müsse sie selbst "von Glauben getragen" sein;64
dies entspreche durchaus der Praxis anderer Wissenschaften, die ebenfalls eine be-
stimmte Erfahrung voraussetzen:
"Soll Ästhetik als Wissenschaft möglich werden, dann muß die ästhetische Er-
fahrung vorausgegeben sein. Soll Theologie möglich werden, dann muß die
Glaubenserkenntnis vorgegeben sein, wie sie sich u. a. in der erkennenden Auf-
fassung der Schrift als Offenbarungsniederschlag vollzieht"65
Wenn Guardini an dieser Stelle auf den "aeviternen" Grundcharakter der pneumati-
schen Wirklichkeit zurückkommt und betont, daß die Offenbarung unmittelbar zu
jeder Zeit stehe, dann ist das für ihn ein weiterer Grund zur Kritik an einem historisti-
schen Exklusivitätsanspruch.66 Man würde die Zugangsweise zur Bibel auf die
"Allerwenigsten" einschränken und zu einem "Gelehrtenprivileg" machen, ginge man
davon aus, daß das Wort Gottes nur durch die "verschiedenen Formen geschichtlicher
Vermittlung"67 und nicht auch unmittelbar gegeben sei. Nun "koexistiert" das Wort
Gottes aber jeder Zeit; daher
"brauche ich nicht in jenes Damals zurückzugehen, in dem es historisch
geschrieben wurde, also in historisch-verstehender Haltung, sondern kann als
Heutiger, aus meiner heutigen Situation heraus zu ihm gehen, als zu einem in
mein Heute gesprochener Text"68
Die Theologie hat daher zwar die Erkenntnisse der historischen Wissenschaft aufzu-
nehmen, muß aber außerdem, ja sogar in erster Linie vom heutigen Glaubensbewußt-
sein ausgehen und von ihm her die Schrift erhellen.69
Nun gehört aber für Guardini zum Glaubensbewußtsein immer auch das Eingebun-
densein in die konkrete Kirche (vgl. dazu Kapitel II,l,c und 3, sowie unten Abschnitt
3,e). Dadurch werde gewährleistet, daß die Heilige Schrift nicht von jedem Einzelnen
nach seinem Gutdünken ausgelegt wird.70 Sie sei also nicht nur dem Einzelnen, son-
dern auch, ja in erster Linie, der Kirche als ganzer übergeben; dies könne zwar
manchmal hemmend wirken, und zwar nicht nur auf das individuelle christliche
Leben, sondern auch auf die "kritische Untersuchung, auf die historische wie psycho-
logische Analyse und Stellungnahme"71. Das Positive aber überwiege. Denn durch
dieses Eingebundensein werde dem Einzelnen ermöglicht, "sich über die psychologi-
sche Bestimmtheit durch Anlage, Vererbung, Umgebung, Bildungsweg usw. zu erhe-
ben." Ferner werde er davor bewahrt, "in der Deutung der Schrift den jeweils herr-
63
Heilige Schrift, 45.
64
Vgl. Heilige Schrift, 45
65
Heilige Schrift, 49.
66
Vgl. Heilige Schrift, 47-52. - Zum Begriff des "Aeviternum" vgl. auch Mysterium, 405-407 [142-144].
Dazu oben Kap. II,3,a,dd.
67
Heilige Schrift, 48.
68
Heilige Schrift, 50.
69
Vgl. HeUige Schrift, 52.
70
Vgl. Heilige Schrift, 54-57. Ähnlich: Anselm, 56-61.
71
Heilige Schrift, 56.
466 Erschließung des Glaubens

sehenden Zeitströmungen zu verfallen; den Strömungen der kulturellen und wissen-


schaftlichen Mode."72 Vor allem aber habe die Kirche immer dafür gesorgt, daß das
Spezifisch-Christliche nicht ins "rein Geschichtliche, Psychologische, Philosophi-
sche" abgeglitten sei. Guardini übersieht nicht die Problematik dieser "Kirchlichkeit"
und versäumt es auch nicht, am Rande zu bemerken, daß die Kirche dadurch oftmals
gerade den wissenschaftlichen Fortschritt verhindert habe; aber sie bleibt ihm deswe-
gen doch die verbindliche Instanz gläubiger Schriftauslegung.73
Berücksichtigt man den theologiegeschichtlichen Kontext Guardinis und sein vor-
dringliches Anliegen einer gläubigen Erschließung der Heiligen Schrift, so wird man
weder die Grenzen seiner Hermeneutik noch die Berechtigung seines Anliegens über-
sehen können.74 Wenn nun einmal Gottes Wort in Menschenwort eingegangen ist,
d. h. sprachliche und geschichtliche Gestalt angenommen hat, dann ist es für Men-
schen anderer Sprache und Zeiten immer nur "vermittelt" zugänglich. Man mag noch
so sehr auf die Gegenwärtigkeit des Heiligen Geistes vertrauen und in seiner Kraft die
pneumatische Wirklichkeit in den Texten der Bibel erkennen; es käme einem
"biblischen Doketismus"75 gleich, würde man meinen, man könne diese Dimension
direkt, d. h. am konkreten Text vorbei erreichen. Gerade die historisch-kritische Exe-
gese bewahrt davor, "den geschichtlichen Abstand zwischen dem ersten und dem
zwanzigsten Jahrhundert schwärmerisch zu überspringen und zwingt ihn, mit allen
Mitteln danach zu trachten, 'dem Sinn und der Absicht des biblischen Textes gerecht
zu werden. Eine subjektive Interpretation, mag sie noch so geistlich sein und wirken,
ist ihm verwehrt.'"76
Diese von Guardini oft übersehene Bedeutung der historischen Kritik ist aber ihrer-
seits ebenfalls nicht das Ganze. Eine vom Glaubensbewußtsein der Kirche getragene
geistliche Schriftauslegung, die über ein rein kognitives Verständnis hinaus die per-
sönliche Begegnung sucht, bleibt vielmehr sogar das eigentliche Ziel theologischer
Exegese, auch wenn sie das historisch-kritische Instrumentarium intensiver einsetzt,
als dies bei Guardini geschieht.
Dieser führt somit auch in seine Schriftauslegung eine Methode ein, die er parallel
dazu in den Interpretationen kultureller Zeugnisse und religiöser Gestalten erprobte -
mit all den Einseitigkeiten und Problemen, auf die dort bereits hinzuweisen war, aber
auch mit der intuitiven Kraft, durch die sich diese unmittelbaren "Begegnungen" aus-
zeichneten (vgl. Kapitel V,l,b). So kann Guardini zu Recht sagen:

72
Heilige Schrift, 56.
73
Vgl. Heilige Schrift, 57.
74
Vgl. Wechsler, Guardini, 213-220; Biser, Interpretation, 68f. - Man kann zur Rechtfertigung Guardinis
in der Tat nicht einfach sagen, zur Zeit, als "Der Herr" niedergeschrieben wurde, habe man eine deutlichere
Berücksichtigung historischer Methoden von einem katholischen Theologen noch gar nicht erwarten können.
Guardini hat seinen Grundansatz auch später nicht mehr geändert, als die historische Methode in der katholi-
schen Kirche längst "hoffähig" geworden war (vgl. Wechsler, a.a.O., 219f.
75
Wechsler, Guardini, 217.
76
Wechsler, Guardini, 217; das Zitat stammt aus: H. Kahlefeld, Die biblische Homilie, in: R. Schnacken-
burg/H. Kahlefeld, Exegese und Verkündigung, Stuttgart 1964, 23-37, hier 36.
Biblische Mystagogie 467

"Meine Arbeiten über Augustinus, Dante, Pascal, Hölderlin und Dostojewskij


waren in gewissem Sinne Vorübungen für den Versuch, die Gestalt Dessen zu
zeichnen, der der Sohn Gottes und der Menschensohn ist"77
Allerdings begann die Auslegung des Neuen Testaments zeitgleich mit der übrigen
interpretatorischen Tätigkeit, so daß wohl eher von einem beide Bemühungen über-
greifenden bzw. von ihnen vorausgesetzten Ziel gesprochen werden müßte. Wieder
bestätigt sich der Eindrack, daß Guardini im Spannungsgefiige von "Begriff und
"Intuition" letztlich doch dem "intuitiven" Moment den Ausschlag gab, auch wenn er
in die angestrebte "Anschauung" das begriffliche Erkennen integrieren wollte (vgl.
Kapitel II,2,b,bb [6], sowie III,2,d).
Auch hier gilt es aber, das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten, das der Interpret
sowohl in der Begegnung mit der Kultur wie in der Begegnung mit dem Ursprungsge-
schehen des Glaubens verfolgte: Es ging jedesmal um einen Dialog, in den der Inter-
pretierende und die Menschen, denen er die Ergebnisse seines Interpretierens mit-
teilte, mit ihrer eigenen Existenz eintraten. Was bei der theologischen Schriftausle-
gung freilich hinzukam, war die Erwartung, daß in der Begegnung mit dem Text die
menschliche Existenz von Grand auf neu definiert werden würde - und zwar aufgrund
der pneumatischen Gegenwart des sich selbst in Christus offenbarenden Gottes. Wo
aber ein solches Ziel vor Augen stand, da konnte man sich in der Tat nicht in histo-
risch-kritische oder philologische Einzelheiten verlieren, sondern mußte versuchen,
den heiligen Text in möglichst großer Unmittelbarkeit sprechen zu lassen. Der
ursprünglichste Ort dieses Bemühens war dann nicht in erster Linie die wissenschaft-
liche Abhandlung, sondern die liturgische Predigt.

b. Die Predigt als Ort biblischer "Mystagogie"


Ab 1927 übernahm Guardini die Aufgabe, in der Sozialen Frauenschule jeweils am
Mittwoch eine Heilige Messe mit Ansprache zu halten. Hinzu kam bald ein Studen-
tengottesdienst am Sonntagmorgen,78 bei dem Guardini übrigens bereits dem Volk
zugewandt am Altar stand.79 Die Predigt*0 erhielt in diesen offenbar atmosphärisch
besonders dichten Gottesdiensten eine besondere Bedeutung:

77
Christusbild, 14.
78
Der Gottesdienst fand in der Benedikt-Kapelle in der Schlüterstraße statt, die als zweite Kapelle für die
Studentenseelsorge eingerichtet worden war (vgl. Berichte, 106f).
79
Guardini übernahm diese Gepflogenheit von Johannes Pinsk, der ab 1928 Studentenseelorger in Berlin
war und bald ebenfalls zu einem einflußreichen Vertreter der Liturgischen Bewegung wurde (vgl. R. Grosche,
Pinsk, Johannes, in: LThK2 VIII (1963), 512; Guardini, Berichte, 107). "Es war die Zeit, in der man etwas
Derartiges noch tun konnte, ohne gleich zurechtgewiesen zu werden, und so blieb es auch", schreibt Guardini
dazu am Beginn der vierziger Jahre (Berichte, 107), nach der großen "Krise" der Liturgischen Bewegung also
(vgl. Maas-Ewerd, Krise). "Ich habe mich eine Weile dagegen gesträubt, da ich den Gedanken, mir so beim
Gebet und der heiligen Handlung ins Gesicht sehen zu lassen, als unerträglich empfand, habe aber dann
nachgegeben und bereut, es nicht früher getan zu haben. Besonders in einem kleinen Raum ist das die einzig
natürliche Art, die heilige Messe zu feiern. Durch sie entsteht ein wirklicher Zusammenhang. Alle sehen, was
geschieht und können jeder Einzelheit folgen" (Guardini, Berichte, 107).
80
Zu Guardinis "christozentrischer Predigt" vgl. v. a. Wechsler, Guardini, 172-212.
468 Erschließung des Glaubens

"Nachdem das Evangelium gelesen war, blieb man vor dem offenen auf einem
flachen Kissen liegenden Meßbuch stehen und sprach über es hinweg, gleich-
sam aus ihm heraus, zur Gemeinde."81
Guardini bekennt später, daß ihn wenige Dinge so glücklich gemacht hätten wie das
Predigen. Es sei ihm darum gegangen, "die Wahrheit zum Leuchten zu bringen"82:
"Manchmal ... war mir zu Mute, als ob die Wahrheit wie ein Wesen im Raum
stünde."83
Dabei sei es ihm nicht um unmittelbare Wirkung gegangen; denn Wahrheit erschließe
sich nur im geduldigen Zuwarten, so daß man am besten gar nicht auf Wirkungen
bedacht sei, sondern einfach darauf, die Wahrheit "um ihrer selbst, ihrer heiligen
göttlichen Größe willen" darzustellen.84 "Wenn irgendwo, dann ist hier die Absichts-
losigkeit die größte Kraft. Das habe ich oft erfahren."85
Besonderen Eindrack machte vor allem Guardinis Sprache; sie vermied sowohl
Pathos wie äußerliche Rhetorik; der Hörer sollte wirklich mitgehen können und nicht
einfach etwas vorgesetzt bekommen. Der Sprachstil entsprach weniger einer Beleh-
rung als der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit86 Guardini nahm immer wieder
den inneren Dialog des Hörenden vorweg und formulierte ihn aus; ein eigentliches
Gespräch kam auf diese Weise zwar nicht zustande, aber der Einzelne wurde in das
Suchen des Predigers selbst einbezogen und auf diese Weise zum eigenen Weiterden-
ken ermutigt. Die Schüchternheit, die Guardini von Natur aus eigen war, wirkte sich
in einer Grundhaltung aus, die sich im Sprechen zurücknehmen und auf die Seite der
Hörenden stellen konnte.87
"So redet der werbende Sprecher nicht zu den Menschen, sondern in sie hinein,
nicht zu den vielen als einem Kollektiv ..., sondern zu jedem einzelnen, so daß
aus dem Kollektiv eine Gemeinde wird ... Der Prediger steigt von der Höhe der

81
Berichte, 107.
82
Berichte, 109.
83
Berichte, 110.
84
Berichte, 109.
85
Berichte, 110.
86
Vgl. Wechsler, Guardini, 204f. Dort auch der Hinweis auf die frühe Glaubensverkündigung Guardinis
als geisüicher Begleiter der Mainzer "Juventus" (siehe auch unter Kap. I,3,b,bb): "Der Priester stand nicht
mehr als unnahbare Lehrautorität am Katheder, sondern setzte sich in den Kreis der Jungen, um, ihnen ein-
gegliedert, nahe zu sein; dementsprechend mußte sich der pathetische Vortragston umwandeln in den leise
und behutsam führenden Gesprächston des im Kreise sitzenden Freundes, der darauf achten mußte, ob seine
Worte auch ankamen und angenommen wurden; auch für den Inhalt des Gebotenen wurde dies bedeutsam,
denn hier half kein gescheit aufgebautes Gedanken- und Wortspiel, hier mußte auf die einfachen Dinge des
Alltags der neben einem Sitzenden eingegangen werden" (Henrich, Bünde, 75f; vgl. Wechsler, a.a.O., Anm.
195, 205). Vgl. auch Lopez Quintäs, Guardini, 73-84, bes. 82-84.
87
Vgl. Kuhn, Guardini, 1 lf. - "Guardini ist nicht das, was man gemeinhin unter einem großen Rhetor
versteht. Er gehört vielmehr zu jener schwerer zu enträtselnden Klasse von Sprechern, der beispielsweise der
verstorbene Primas der anglikanischen Kirche, William Temple angehöre: er konnte mehrstündig sprechen,
ohne je ein Wort durch eine Geste zu unterstreichen, ohne je die Stimme zu erheben, während Tausende an
seinen Lippen hingen. So ist auch Guardinis Predigt frei von Pathos. Doch folgt sie einer bestimmten
Methode, die gerade deswegen wirksam ist, weil sie nicht ausgeklügelt, sondern dem Sprecher zugewachsen
ist aus seiner eignen Denk- und Glaubenserfahrung und aus seiner Kenntnis des menschlichen Herzens"
(ebd, 9f.).
Biblische Mystagogie 469

Kanzel und hat sich neben den Angesprochenen gestellt, die Ansprache ist zur
Zwiesprache, das große Anliegen unser Anliegen geworden."88
Guardini entschied sich für Predigtreihen, die über mehrere Sonntage, in der Regel
sogar über ein ganzes Semester hinweg denselben Gegenstand vertieften und in ähnli-
cher Form gleichzeitig auch auf Burg Rothenfels gehalten wurden.89 Von themati-
schen Predigten ging er bald mehr und mehr zur "Homilie" über, legte also nun direkt
biblische Texte zugrunde:90
"Gewiß muß der Prediger auch aus dem unmittelbaren Glaubensbewußtsein der
Kirche und aus seiner persönlichen religiösen Erfahrung heraus sprechen kön-
nen ... Trotzdem ist die Heilige Schrift als Zeugnis der ersten inspirierten Ver-
kündigung des Gotteswortes die eigentliche Grundlage."91
Sehr schnell konzentrierte sich sein Predigen auf die Gestalt Jesu Christi, in der
Guardini das eigentliche "Wesen des Christentums" sah.92 Über acht Semester
erstreckte sich die Predigtreihe, in der Guardini ab 1932 diese Gestalt zu zeichnen
versuchte.93 Auf Wunsch der Hörer erschienen die Predigten seit 1933 in monatlichen
Lieferungen als Manuskript der Rothenfelser Stiftung, und zwar unter dem Titel "Aus
dem Leben des Herrn".94
Guardini verzichtete von Anfang an auf wissenschaftlichen Anspruch und sprach
bescheiden von "Betrachtungen"95:

88
Kuhn, Guardini, 12.
89
Die ersten Veröffentlichungen erfolgen denn auch im Kontext der Quickborn-Älterenbewegung; vgl.
Vom lebendigen Gott (1930; zuerst in den "Schildgenossen", im gleichen Jahr in Buchform); Vom Leben des
Glaubens (1932 in den "Schildgenossen", 1935 in Buchform).
90
"Die homiletische Fachterminologie versteht unter Homilie jene Predigtform, die im Gegensatz zur
thematischen Predigt eine Schriftperikope Vers für Vers (= niedere Homilie) oder unter einem übergreifenden
Gesichtspunkt (= höhere Homilie) erklärt" (Art. Homilie, in: PLH, 209f, hier 209f.). Im Verständnis der
neueren liturgischen Dokumente nach dem II. Vaticanum umfaßt "Homilie" jedoch jede Auslegung eines
heiligen Textes, also auch von Texten aus dem Ordinarium oder Proprium der Tagesmesse (vgl. Allgemeine
Einführung in das Römische Meßbuch, in: Die Feier der Heiligen Messe. Meßbuch. Für die Bistümer des
deutschen Sprachgebrauchs, Einsiedeln-Köln u. a. 1975, 22*-73*, hier Nr. 41).
91
Berichte, 108.- Guardini erwähnt neben den Predigten über das "Leben des Herrn" (s. u.) auch solche
über die Psalmen, über die Apostelgeschichte und Briefe des Apostels Paulus (vgl. ebd, 109).
92
Vgl. Weltanschauung, 23f; Mysterium; CK 146; Wesen des Christentums (1929), bes. 131; noch präzi-
ser ebd, 151: "Das 'Wesen des Christentums' ist Jesus Christus." Dazu Schilson, Christologie, 90-95. Siehe
auch oben unter Kap. IV,3,c,aa. - Schon früh hatte Guardini auf den Christus der "Evangelienwirklichkeit"
(vgl. Reichtum Christi, 165) in Ergänzung zur liturgischen Christusgestalt hingewiesen: "Der ganze Zauber
geschichtlicher Lebendigkeit ist um das Bild des Herrn gebreitet ... und das ist es, wonach gerade der heutige
Mensch dürstet" (Liturgie, 42; vgl. auch: Reichtum Christi). Vgl. zu diesen "Vorübungen und erstetn) Ausge-
staltungen": Schilson, Christologie, 86-90.
93
Vgl. Berichte, 109; Gerl, Guardini, 304. - Bereits vorher hatte sich Guardini in einer kürzeren Predigt-
reihe der Gestalt Christi zugewandt - allerdings nicht in der Weise, daß er jeweils einen biblischen Text in der
heute üblichen Form auslegte, sondern indem er aus verschiedenen Texten jeweils einen bestimmten
Gesichtspunkt herausgriff ("Die Mutter", "Das Hindurchgehen", "Die Erfolglosigkeit", "Die heilige Macht",
"Christus heilt" usw.; vgl. Jesus Christus, 1930/31 in einer Zeitschrift des Kath. Frauenbundes, erst 1957 in
Buchform veröffentlicht).
94
Vgl. Leben des Herrn, I (1933/34), Bd. II (1934/36).
95
So der Untertitel der 1937 erstmals erschienenen Ausgabe von "Der Herr": "Betrachtungen über die
Person und das Leben Jesu Christi". Vgl. auch ebd, X: "Diese 'Betrachtungen' machen keinen Anspruch auf
Vollständigkeit..."
470 Erschließung des Glaubens

"Sie versuchen nicht das Leben Jesu im Zusammenhang zu erzählen, sondern


greifen immer nur einzelne Worte und Begebnisse heraus. Sie wollen nicht seine
Gestalt in ihrer Folgerichtigkeit entwickeln, sondern zeichnen einen Zug in ihr,
und dann wieder einen, so wie sie gerade lebendig werden. Sie sind keine wis-
senschaftlichen Darlegungen, weder Historie noch Theologie, sondern geistliche
Ansprachen, durch vier Jahre hindurch beim sonntäglichen Gottesdienst gehal-
ten, und möchten nichts anderes, als nach ihrem Vermögen den Auftrag erfüllen,
den der Herr selbst gegeben hat: Ihn, seine Botschaft und sein Werk zu verkün-
den."96
Dennoch konnte gerade hier die entwickelte Hermeneutik theologischer Schriftaus-
legung (s. o.) erprobt werden. Keine Psychologie Jesu sollte entstehen; wohl aber
konnte man
"von immer neuen Ausgangspunkten her zeigen, wie alle Eigenschaften und
Wesenszüge dieser Gestalt ins Unbegreifliche münden; in eine Unbegreiflichkeit
freilich, die voll unendlicher Verheißung ist"97
Und auch ein "Leben Jesu" war nicht beabsichtigt; statt historisch zu analysieren,
werde man
"immer wieder vor einer Begebenheit, vor einem Worte, vor einer Tat stehen
bleiben, lauschen, sich belehren lassen, anbeten und gehorchen."98
Für dieses Bemühen Guardinis möchte ich an dieser Stelle den Begriff der
"Mystagogie" einführen.99 In den antiken Mysterienkulten bezeichnete er die Auf-
gabe, "den Mysten, d. h. den Eingeweihten und Eingegliederten, Geleit zu geben, sie
zum inneren Verstehen und Erleben der Mysterien und zu einem von diesen gepräg-
ten Leben zu führen."100 Die vor allem in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten an-
gesiedelten "mystagogischen" Katechesen der Kirchenväter dienten dann der vertie-
fenden Erschließung der Ostermysterien.101 Die Liturgische Bewegung knüpfte an
diese Praxis wieder an, und auch Guardini forderte eine "mystagogische Predigt", in
der - im Unterschied zur biblischen Homilie - die Erschließung des liturgischen
Geschehens selbst im Vordergrand stünde.102 Seine eigenen liturgischen Schriften,
und zwar sowohl die grundsätzlichen wie die konkret-praktisch ausgerichteten (vgl.
Kapitel II,3,a und VII,4,c), können in diesem Sinne als "mystagogisch" verstanden
werden.

96
Herr, X.
97
Herr, IX.
98
Herr, X.
99
Diesen Begriff hat erstmals Eugen Biser auf Guardinis Annäherung an die Gestalt Jesu angewendet,
allerdings nur im Hinblick auf die "eigentümliche Doppelwertigkeit" der Interpretationen: "Indem sie die
Kunst der Auslegung betreiben, verfolgen sie, überspitzt ausgedrückt, zugleich ein 'mystagogisches' Ziel: die
'Einweihung' in die mit der Gestalt Jesu gegebene Mitte des Christentums" (Interpretation, 47).
100
Art. Mystagogie, in: PLH, 362f, hier 362. Vgl. dazu auch H. Rahner, Griechische Mythen in chrisüi-
cher Deutung, Zürich 1957, bes. 13 (dazu: Bleistein, Mystagogie, 288f.). In LThK2 fehlt noch das Stichwort
"Mystagogie"; zur "mystagogischen Predigt" wird kurzerhand auf die Ausführungen zur "Meßpredigt" ver-
wiesen (VII [1962], 717). Vgl. aber: V. Warnach, Mysterientheologie, ebd, 724-727; B. Neunheuser, Myste-
rium^ ebd, 727-731.
101
Vgl. Merz, Liturgie und Mystagogie, 299-301. - Von besonderer Wichtigkeit waren die
"mystagogischen Katechesen" Cyrills von Jerusalem (4. Jh.).
102 ygj Mystagogische Predigt (1942). Dazu Merz, Liturgie und Mystagogie, 301f.
Biblische Mystagogie 471

In Anknüpfung an diese Versuche Guardinis, aber auch an das Bemühen Odo


Casels, Theologie als Sakramententheologie zu verstehen, wird heute immer wieder
auch die Liturgie selbst (nicht nur ihre Erschließung) "mystagogisch" verstanden - als
"Einweihung" in das Geheimnis des Glaubens.103 Schon die frühkirchlichen
Mystagogen reflektierten nämlich zwar die konkret erfahrene Liturgie - ihr Hauptziel
war jedoch die Vertiefung des in dieser Liturgie gefeierten Glaubens, und zwar vor
allem im Licht der Schriftverkündigung.104 Die Erweiterung des Sprachgebrauchs ist
vor allem Karl Rahner ZU verdanken, der in seinen Anstößen zu einer "mystagogi-
schen" Theologie allerdings die Liturgie eher ausblendete, obwohl er natürlich den
Ursprung des Begriffs bei den Kirchenvätern kannte.105 Als Jesuit hatte er die
"Exerzitien" des hl. Ignatius vor Augen, in denen der einzelne Christ sich tiefer in die
Beziehung zu Gott, und zwar in enger Anlehnung an sein eigenes Leben, "einüben"
sollte.106 Es ging Rahner vor allem um eine "Mystagogie in die Erfahrang der
Selbstmitteilung Gottes"; sie sollte mehr sein als nur eine "Mystagogie in die Mystik
(im üblichen Sinn des Wortes)", zu der etwa Disziplin des Leibes, Sammlung,
Schweigen usw. gehören. "Von dieser Seite einer umfassenden Mystagogie habe ich
eigentlich nie gesprochen, ohne dadurch diese Seite als für das christlich religiöse
Leben für belanglos zu halten." Es ging um die "eigentlich christliche und theologi-
sche Seite der Mystagogie".107 Ihr Ausgangspunkt war die Erfahrung des Menschen;
"mystagogische" Theologie war die Konsequenz einer "anthropologisch gewendeten"
Theologie:
"Der Mensch von heute wird auch in der Dimension seiner theoretischen, satz-
haften Überzeugungen nur dann ein Glaubender sein, wenn er eine wirklich
echte, persönliche religiöse Erfahrung gemacht hat, immer neu macht und darin
durch die Kirche eingeweiht wird. Eine bloße Vermittlung satzhafter, katego-
rialer Lehrsätze des christlichen Dogmas genügt nicht"108
Guardini hat den Begriff der "Mystagogie" noch nicht in diesem grundlegenden Sinne
gebraucht, sondern verblieb im Sprachgebrauch der Liturgischen Bewegung (s. o.).
Dennoch kann man seine Art der Schriftauslegung, ja seines "Glaubensdenkens"
insgesamt durchaus als "mystagogisch" bezeichnen.109 Dies trifft sein Bemühen

103 vgl. dazu Merz, Liturgie und Mystagogie, bes. 306-312; Richter, Mystagogische Liturgie.
104 vg]. Merz, Liturgie und Mystagogie, 300.
105 vgl. v. a. Rahner, Selbstvollzug der Kirche. Dazu: Bleistein, Mystagogie; Schilson, Theologie als
Mystagogie, 225f. - Zu Rahners Vertrautheit mit dem Mystagogie-Verständnis der Kirchenväter vgl. Blei-
stein, a.a.O., 288f.
106
Zu diesem Bezug vgl. Merz, Liturgie und Mystagogie, 306; Bleistein, Mystagogie, 287f.
107
K. Rahner, zit. bei: K. P. Fischer, Der Mensch als Geheimnis. Die Anthropologie Karl Rahners, Frei-
burg i. Br. 1974, 407.
108
Rahner, Selbstvollzug der Kirche, 269f. - Vgl. Merz, Mystagogie und Liturgie, 306f; Bleistein,
Mystagogie, 287-291; Schilson, Theologie als Mystagogie, 225f.; K. P. Fischer, Gotteserfahrung. Mystagogie
in der Theologie Karl Rahners und in der Theologie der Befreiung, Mainz 1986.
109
Im Anschluß an das Verständnis Rahners kann es unterschiedliche Ausgangspunkte einer
"mystagogischen Theologie" geben - das Geheimnis des Menschen (Rahner), die Feier der Liturgie (Casel),
die Erfahrung des Kosmos (Teilhard de Chardin), die politische Wirklichkeit (Theologie der Befreiung, Poli-
tische Theologie) u. a. - Vgl. Schilson, Theologie als Mystagogie, 221-226; M. Blasberg-Kuhnke, Politische
Mystagogie der Nachfolge. Suchbewegungen im Christentum, in: Schilson, Weisheit, 44-60.
472 Erschließung des Glaubens

sicher mehr als der Terminus "geistliche Schriftauslegung"110 oder - auf der anderen
Seite - die Verwechslung mit einer rein wissenschaftlichen Zwecken dienenden Exe-
gese. Wenn Guardini in seiner Berliner Phase nicht mehr in erster Linie das liturgi-
sche "Mysterium",111 sondern die Heilige Schrift zum Ausgangspunkt seines
"theologischen" Schaffens wählte, dann praktizierte er sogar die ursprünglichste und
für alle Zeiten primäre Form der "Einweihung" in das Geheimnis des Glaubens.
Den Hörern und Lesern wurde daher in diesem Bemühen nicht einfach das Ergeb-
nis einer Auslegung präsentiert, das der Vortragende statt auf historisch-kritischem
nun eben auf einem meditativ-intuitiven Weg gewonnen hatte; sie wurden vielmehr
selbst in die Auslegung der Heiligen Schrift hineingeführt, um nun ihrerseits dem
Lebendigen Gott begegnen zu können. Deshalb beginnen die Christusbetrachtungen
ausdrücklich mit dem Hinweis, es gehe zwar nicht um etwas "Neues", sondern um
das "Ewige":
"Wenn allerdings der vorübergehenden Zeit, unserer, das Ewige entgegenträte -
das würde wahrlich 'neu' sein, rein, fruchtbar und den Staub der Gewohnheit ab-
streifend."112
Die "Mystagogie" geht also über den einzelnen anwesenden Hörer hinaus auf die als
"unsere Zeit" bezeichnete Gegenwartskultur; und sie hat als Ziel nicht nur intellektu-
elle Einsicht, sondern Begegnung mit dem, der als der "Ewige" entgegentritt.
Vollends die Sprache des Mystagogen spricht Guardini aber, wenn er fortfährt:
"Manchmal werden vielleicht dem Leser ungewohnte Gedanken begegnen. Sie
machen keinen besonderen Anspruch, sondern möchten helfen, daß dem
Geheimnis Gottes besser nachgedacht werde; jenem Geheimnis, 'das verborgen
war vom Anbeginn der Zeiten und Geschlechter, aber nun offenbar wurde
seinen Heiligen, denen Gott kund tun wollte, welches der Reichtum der Herr-
lichkeit dieses Geheimnisses bei den Völkern sei: Christus in uns, die Hoffnung
der Herrlichkeit' (Kol. 1, 26-27)."113
Bei der Haltung, die einzunehmen ist, handelt es sich hier um die eines bereits
"Bekehrten" und anfänglich schon "Eingeweihten", der seine grundlegende Erfahrang
des "Christus in uns" aber vertiefen möchte; die Zirkelbewegung des "Anfangs" ist
bereits im Gang, so daß es nicht mehr darauf ankommt, mit "Menschengedanken" den
Einstieg zu suchen.
"Worauf es ankommt, ist die Erkenntnis, die Christus selbst gibt, wenn er 'die
Schrift aufschließt' und 'das Herz in uns zu brennen anfängt'. (Lk. 24,27 u.
32)"H4_
Der mit dem Werk Kierkegaards gut vertraute Guardini (vgl. dazu Kapitel IV,3,c,
sowie oben in Abschnitt 1 u. ö.), hat bei seinem Bemühen sicher auch an dessen

1lu
So der Titel einer Reihe von Einzelauslegungen in einem Topos-Taschenbuch (1980). Im Nachwort
versucht Heinrich Kahlefeld, Guardinis Texte in diesem Sinne zu charakterisieren und damit gegenüber histo-
risch-kritischen Ansprüchen abzusichern (vgl. Kahlefeld, Nachwort).
111
Vgl. Mysterium (1925).
112
Herr, XI (hier auch die folgenden Zitate); vgl. auch die Vorbemerkungen insgesamt ebd, IX-XI, bes.
Xf.
113
Herr, XI.
114
Herr, XI.
Biblische Mystagogie 473

"Einübung im Christentum" gedacht115 Darin wurde nicht einfach nach dem "Wesen
des Christentums", ja mcht einmal nach dem "Wesen des Christen" gefragt;
"Kierkegaards Frage lautet vielmehr: Wie werde ich ein Christ? Seine Antwort
ist ebenso einfach wie hintergründig: Ich werde dadurch ein Christ, daß ich mit
Christus gleichzeitig werde. Die Kategorie der Gleichzeitigkeit ist die Mitte-
Kategorie der 'Einübung'. Immer wieder und immer eindringlicher mahnt Kier-
kegaard seinen Leser: 'Achte auf die Gleichzeitigkeit!'"116
Dabei denkt dieser vor allem an eine "imaginative Vergegenwärtigung der heiligen
Geschichte ..., die der Mensch mit der Bibel in der Hand zu leisten hat"117 Genau
dasselbe aber hatte Guardini einer theologischen Schriftauslegung zur Aufgabe ge-
stellt (s. o.); die Christusbetrachtungen sollten in die "Gleichzeitigkeit" mit dem
"Herrn" führen und auf diese Weise in die christliche Glaubenshaltung "einüben".

c. Begegnung mit dem "Herrn"


Schon der erste Satz der Christusbetrachtungen bemüht sich, die Hörer bzw. Leser in
die Situation der "Gleichzeitigkeit" hineinzuversetzen:
"Wenn damals in Kapharnaum oder Jerusalem einer den Herrn gefragt hätte:
Wer bist Du? Wer sind Deine Eltern? Aus welchem Geschlechte kommst
Du?..."118.
Es handelt sich um eine Perspektive, die verstehen möchte, wie es mit der Persön-
lichkeit Jesu Christi steht, welches ihr "Geheimnis" ist. Immer wieder bemüht sich
Guardini, Nachdenklichkeit hervorzurufen119; er arbeitet gerade das Auffällige und
Fremdartige an dieser Gestalt deutlich heraus;120 so entsteht Neugier und Interesse -
genauer: die Ahnung davon, daß es mit dieser Gestalt mehr auf sich haben muß, als
eine oberflächliche Kenntnis seiner Geschichte und eine bloße Wiederholung christo-
logischer Dogmen vermuten lassen. So regt Guardini an, sich in Jesus Christus hin-
einzudenken,121 und sich die ganze Bandbreite möglicher Verhaltensweisen Gottes

115
Vgl. S. Kierkegaard, Einübung im Christentum (1850], Düsseldorf-Köln 1955 (= Gesammelte Werke
26). Für die Guardini-Festschrift 1965 (Interpretation der Welt) hat Theoderich Kampmann eine eingehende
Interpretation dieses Werkes beigetragen (vgl. Kierkegaards "Einübung im Christentum"). Guardini nimmt
auf Kierkegaards Überlegung ausdrücklich Bezug in: Offenbarung, 134; Evangelisches Christentum, 231f;
Kirche des Herrn, 158; Existenz, 378. Siehe dazu weiter unten in Abschnitt 3,e.
116
Kampmann, Kierkegaards "Einübung", 523.
117
Kampmann, Kierkegaards "Einübung", 526. Zu den Grenzen dieser "Vergegenwärtigung" vgl. ebd,
526-531.
118
Herr, 1.
119
"Man kann wohl nachdenklich werden, wenn man den Namenreihen der Geschlechtsregister folgt...
Wie diese Namen reden!" (Herr, 4).
120
Die Frauennamen der matthäischen Genealogie etwa (Mt 1,1-17) lassen ahnen, was es überhaupt
heißt, daß Gott Mensch wird: "Eingegangen zu sein in die Menschengeschichte, mit ihrem Schicksal und
ihrer Schuld" (Herr, 6).
121
"In den langen stillen Jahren zu Nazareth hat Jesus wohl manchmal über diese Namen nachgesonnen.
Wie tief muß er da gefühlt haben, was das heißt: Menschengeschichte! All das Große darin, das Starke, das
Verworrene, das Armselige, das Dunkle und Böse, auf dem er selbst mit seinem Dasein stand, und das an ihn
herandrängte, damit er es in sein Herz nehme, vor Gott trage und verantworte" (Herr, 6).
474 Erschließung des Glaubens

vor Augen zu stellen, um etwas von der erstaunlichen Freiheit und Ungewöhnlichkeit
dieses Geschehens zu erahnen.122
Daher auch die zunächst so müßig klingende Frage: "Was wäre gewesen,
wenn ...?"12* Sie spitzt sich zu in der gewagten und von Hans Urs von Balthasar gar
als "fixe Idee"124 bezeichneten Überlegung, was eigentlich gewesen wäre, wenn das
Volk Israel damals wirklich zum Glauben gekommen wäre und das Reich Gottes sich
hätte entfalten können:
"Neues Dasein wäre geworden. Neue Schöpfung. Neue Geschichte. Was die
Worte sagen: 'Das Alte ist vergangen; siehe alles ist neu geworden'... - das wäre
buchstäblich geschehen!"125
Nur wer sich die Mühe macht, diese "unnütze" Phantasie in sich hochsteigen zu las-
sen, empfindet die ganze Tragweite dessen, was von Guardini dann als "zweiter Sün-
denfall"126 bezeichnet wurde: die Ablehnung des "Herrn" durch sein Volk! Und nur
er kann dann über die noch gewaltigere Tatsache staunen, daß Gott selbst aus diesem
"Scheitern" noch etwas Gutes machen und somit doch noch - auf andere Weise, als es
möglich gewesen wäre - sein Ziel, die Erlösung, zu erreichen:
"Jesus war gekommen, sein Volk und in ihm die Welt zu erlösen. Das sollte
durch die Hingabe des Glaubens und der Liebe geschehen; die aber versagte
sich. Trotzdem blieb der Auftrag des Vaters, aber er wandelte seine Gestalt.
Was sich aus der Ablehnung zusammenzog, das bittere Schicksal des Todes,
wurde zur neuen Gestalt der Erlösung - jener, die nun für uns die Erlösung ein-
fachhin ist"127
Hier vollzieht sich eine Mystagogie, die nichts "Neues" sagen, aber im Durchbrechen
der Selbstverständlichkeiten vor das wirkliche "Geheimnis" führen möchte.128 Das

1ZZ "wie könnten wir uns wohl Gottes Verhältnis zur Welt vorstellen? Etwa so, daß er, nachdem er die
Welt geschaffen, über ihr lebte, in unendlicher Enthobenheit selig sich selbst genügend; die Schöpfung aber
ihren ein für allemal bestimmten Gang gehen ließe .. Oder aber so, daß er in der Welt wäre; als schöpferischer
Urgrund, aus dem alles hervorginge; als gestaltende Macht, die alles durchwaltete; als Sinn, der sich in allem
ausdrückte Dieses aber, daß Gott aus der Ewigkeit ins Endlich-Vergängliche eintritt; daß er den Schritt
über die 'Grenze' ins Geschichtliche tut, das begreift kein menschlicher Geist" (Herr, 13f).
123
"Wenn das Volk ihn angenommen hätte., wenn er weiter hätte wachsen dürfen an 'Weisheit, Alter und
Gnade', durch das vierzigste Jahr, und sechzigste, und achtzigste, bis in höchstes Alter hinein - was wäre da
an menschlicher und göttlicher Herrlichkeit geworden? Jesus im Alter des Abraham, im Alter des Moses!
Gewiß, das christliche Denken fühlt sich vom Geheimnis des göttlichen Ratschlusses gewarnt und hält inne.
So weit darf es aber doch gehen, als nötig ist, um zu fühlen, wie abgründig die Liebe war, die sich in dieses
Opfer hineingegeben hat!" (Herr, 34).
124 vgl. Balthasar, Guardini, 99. - Guardini rechtfertigt jedoch in der Nachbemerkung zu seinem Buch
ausführlich, warum er diese Fragen überhaupt stellt (vgl. Herr, 651-657).
125
Herr, 44 (vgl. 2 Kor 5,17, sowie Apk 21,5); vgl. ebd, 46f.
126
Vgl. Herr, 105, 108, 115, 171, 247, 283, 410. - Guardini urteilt in manchem sicherlich zu pauschal, v.
a. gegenüber den Pharisäern und der jüdischen Gesetzespraxis, über die es heute differenziertere Ansichten
gibt. Ich halte es aber für problematisch, überall "antijudaistische" bzw. "antisemitische" Tendenzen zu ver-
muten (so Klein, Anti-Judaismus; darin zu Guardini: 30f, 55f, 76, 104). Dem steht sogar eine eindeutige
Aussage von Guardini selbst entgegen: "Aber sagen wir nicht: die Pharisäer, die Hierarchen, die Juden haben
ihn getötet. Als Gerufene, als Partner des Bundes stehen sie für Alle - so wie der erste Mensch als Haupt des
Geschlechtes für Alle stand. Ihre Verantwortung ist auch die unsere. Alle sind wir in der Gemeinschaft der
Schuld und der Erlösung verbunden" (Bild, 117).
127
Herr, 253.
128
Vgl. Herr, XI.
Biblische Mystagogie 475

Eigentliche freilich muß sich im Herzen des Hörers bzw. Lesers selbst abspielen;
Guardini kann nur auf eine Spur führen, zum Staunen anleiten; den Weg muß jeder
selbst gehen:
"Nimm die Schrift, lies,129 und im Maße der Vater es Dir gibt, wirst Du dem
Sohn begegnen. Dieses gerade Dir zugewendete Angesicht des Herrn kann Dir
kein anderer zeichnen; Du selbst mußt es erschauen. Und Du darfst es Dir auch
von keinem anderen verdrängen lassen; denn daß Du selbst dem Herrn begeg-
nest, ist das Größte, was Dir beschieden sein kann."130
Gerade dort aber, wo dieses "Geheimnis" am fremdartigsten und am wenigsten mehr
"menschlich" erscheint, bei der Verklärung Jesu auf dem Berg, wird der betrachtende
Mensch sogar am deutlichsten auf sich selbst zurückverwiesen.131
"Jesus hat unser Menschenleben wirklich gelebt. Und er hat unser Sterben erfah-
ren. Er ist wirklich den Tod gestorben; und dessen Schrecken waren um so
furchtbarer, als sein Leben zarter und stärker war. Dennoch war bei ihm alles
anders als bei uns."132
Im Blick auf ihn leuchtet jedoch auf, wie jedes menschliche Leben eigentlich hätte
sein können (wieder das "Was wäre, wenn ...", diesmal bezogen auf den ersten Sün-
denfall!). Das Bild eines "Flammenbogens" wird herangezogen, um auszudrücken,
daß der Mensch "von Gott herüber" lebt - "von oben herab", nicht "von unten herauf
wie das Tier. Das "Auf-Gott-Hin" und "Von-Gott-Her", das Guardinis Anthropologie
von Anfang an bestimmt hat (vgl. dazu v. a. Kapitel V,2,b,bb und VI,l,c), wird als
das "Lebensganze" sichtbar, das in der Sünde zerbrochen worden ist. In Jesus Chri-
stus aber "steht der Flammenbogcn göttlich rein und stark."133 In ihm leuchtet nicht
nur das Geheimnis Gottes, sondern auch das Geheimnis des Menschen auf. Jesus lebt
unser Menschenleben und stirbt unseren Menschentod,
"tiefer, als wir es je vermöchten, und ebendamit beides verwandelnd. Von ihm
her wird auch unser Leben anders und unser Tod. Von dorther beginnt eine neue
Möglichkeit des Lebens und Sterbens."134
Die Verklärungsszene wird so zum "Wetterleuchten der kommenden Auferstehung
des Herrn", aber auch zum "Unterpfand unserer eigenen Auferstehung". "Erlöstsein
heißt ja, Teil zu haben am Leben Christi"; es ist das "himmlische Leben, welches in
der Teilnahme am Leben Gottes besteht"135 Somit folgt auf die Erinnerung an die
konkrete Vorfindlichkeit des Menschen und an seine eigentliche Berufung die aus der
Verklärungsgeschichte gewonnene These, daß auch jetzt noch der Mensch zu seiner
ursprünglichen Bestimmung zurückfinden kann, wenn er sich für Christus entschei-
det, und daß auch in uns dann jenes Etwas aufleuchtet, das in Christus war - "jener

129
Hier spielt Guardini deuüich auf das "Tolle, lege" aus der Bekehrungsgeschichte des Augustinus an
(vgl. Bekehrung, 239-247).
130
Herr, 233.
131
Die Interpretation der Verklärungsperikope (nach Mt 17,1-9; vgl. Herr, 269-278, bes. 275-277) ist
ganz eingerahmt durch anthropologische Überlegungen (vgl. ebd, 217-275 und 277f.).
132
Herr, 274.
133
Herr, 275.
134
Herr, 275.
135
Herr, 277.
476 Erschließung des Glaubens

Flammenbogen, der zum ersten Mal auf dem Berge durchbrach, und der sich in der
Auferstehung siegreich offenbarte."136
Nach dem Herabsteigen vom Berg der Verklärung geht es für die Jünger zunächst
darum, Christus auf dem Weg in das Leiden hinein zu folgen. Die Ambivalenz von
"Offenbarung und Verhüllung" tritt jetzt immer schärfer zutage:137
"Daß hier Gott aus Menschenangesicht, aus Menschenwort und -Schicksal, ins
Unsere übersetzt, herspricht, öffnet ewige Tore ... Daraus kommt uns aber auch
ein ungeheurer Einwand gegen die Glaubwürdigkeit jenes Geschehens, denn
diese Menschlichkeit weckt in mir das Gefühl: So kann Gott nicht sein! Was
offenbart, verhüllt zugleich. Was anrührt, richtet Mauern auf. Was nahebringt,
bewirkt, daß wir zweifeln, ob wir auch tatsächlich vor Gott stehen. Was die
Offenbarung zur Offenbarung macht, ist gerade das, wodurch das Ärgernis
möglich wird."138
Der Einzelne kann sich aber bereit halten:
"Der Hörende darf nicht mehr in der Welt sein ganzes Genüge finden; er muß
nach Anderem ausschauen. Ist nun dieses Andere tatsächlich erschienen, dann
wird er es eines Tages erkennen."139
Durch den Leidensweg Christi hindurch öffnet sich der Weg in die eigene
"Verklärung".140 Von Ostern, genauer gesagt, von Pfingsten an, ist Christus nicht
mehr unmittelbar geschichtlich gegenwärtig, sondern "pneumatisch"; es bildet sich
die "Innerlichkeit des glaubenden Einzelnen und der Kirche, wechselseitig bezogen
und eins."141 Es ist der "ewige Christus", der sich immer schon hinter dem konkret-
geschichtlichen andeutete, nun aber überhaupt nicht mehr "dem Fleische nach", son-
dern nur "im Geiste" gegeben ist 142 Aber auch hier wiederholt sich nur, was bereits
in der Verklärangsszene zu beobachten war: Der Blick ins "Ewige" führt den Men-
schen nicht von sich weg, sondern zu sich selbst; die konkrete menschliche Existenz

'-*" Herr, 278. - Theobald weist gerade angesichts dieser Interpretation darauf hin, daß Guardini die
Einwände der historisch-kritischen Vernunft allzu schnell beiseitegeschoben hat (vgl. Autonomie, 29f).
Allerdings geht es Guardini um die gegenwärtige christliche Existenz, so daß sein apodiktisches Urteil über
die These, bei der Erzählung handle es sich um ein Zurückprojizieren der Ostererfahrungen (vgl. Herr, 270f.),
heute zwar etwas deplaziert wirkt, für das Gesamtanliegen Guardinis aber eigentlich auch keine tragende
Rolle spielt.
137
Vgl. Herr, 291-301.
138
Herr, 298.
139
Herr, 300.
140
Vgl. Herr, 365-476 (5. Teil: "Die letzten Tage"), 477-571 (6. Teü: "Auferstehung und Verklärung").
141
Herr, 512; Hervorhebung von mir.
142 vgl. die Erläuterung dieses Tatbestandes durch die Herausgeber der Einzellieferungen, zu Beginn
des 5. Teils ("Die letzten Tage"): "Der Herr ist nicht nur der Mensch Jesus, den die nichtglaubende Profange-
schichte sieht, und dessen Leben mit dem Tode endet, um dann durch das Bild seiner Persönlichkeit und seine
Lehre historisch weiterzuwirken. Er ist Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, der auferstanden ist,
zum Vater heimgekehrt und ebendamit zu den Seinen wiedergekommen im Heiligen Geiste; der von da ab in
ihnen, in der Innerlichkeit der Kirche wie auch jeder einzelnen Seele, welche Glied der Kirche ist und
gottunmittelbare Einzigkeit zugleich, wohnt und wirkt. Der Vollzug dieses Inne-Seins und dieser Selbst-Aus-
wirkung ist die christliche Geschichte. Der gleiche Christus wird wiederkommen zum Gericht und darin die
Geschichte der Welt vollenden, um dann alles Sein und Geschehen in die Neue Schöpfung aufzunehmen oder
zu verwerfen. Das alles gehört in die Wirklichkeit Jesu, welcher der Christus ist, hinein" (Leben des Herrn, II,
Beilage, 1).
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 477

ist eine "christliche" geworden, weil der pneumatische Christus in ihr wirkt.143
Ebendies entdeckte Guardini auch in der Schlußvision von Dantes "Göttlicher
Komödie": Der gewaltige Aufstieg in die Ewigkeit Gottes führt vor ein
"Menschenantlitz"; und in diesem Augenblick beendet ein "Blitz" die gesamte Schau
des Dichters und läßt ihn wieder bei sich selbst ankommen - in der endlichen Welt
seiner konkreten menschlichen Existenz.144

3. Die Suche nach einer "anderen" Theologie

a. Kulturelle Herausforderungen

Als Guardini im Schicksalsjahr 1933 an seinem Manuskript über "die religiöse


Offenheit der Zeit" schrieb (vgl. dazu bereits unter Kapitel VI,2,a), ging es ihm vor
allem um die Frage, ob in den kulturellen Umbrüchen und Gefährdungen seiner Zeit
auch mögliche Ansatzpunkte für den christlichen Glauben zu finden seien:
"An welchen besonderen Stellen, aus welchen gerade ihr eigenen Zusammen-
hängen heraus steht unsere Zeit der christlichen Botschaft offen? Welche Erfah-
rungen hat sie gemacht, welche Spannungen liegen in ihr, die sie in besonderer
Weise zum Verständnis Christi und seiner Botschaft vorbereiten?"145
In einem zweiten Schritt sollte dann aber die christliche Botschaft selbst befragt
werden. Es ging darum, welche Seiten an ihr
"heute vor allem dringlich sind. Im absoluten Sinn dringlich ist wirklich alles an
ihr, immer und für jeden. Mit dem Fortgang der Geschichte aber kommen in der
sich umbildenden Zeitstraktur jeweils andere besondere Elemente der heiligen
Botschaft gleichsam in Erdnähe, und andere treten zurück. Da die Botschaft
aber ein Ganzes bildet, so ziehen jene nahekommenden Elemente, wenn sie an-
genommen werden, den ganzen Zusammenhang des christlichen Daseins in die
Aneignung."146
Guardini formulierte diese Dringlichkeiten zur selben Zeit, als er mit den Christus-
predigten begann; so wollen wir seine Überlegungen an dieser Stelle zur Kenntnis
nehmen, weil sie Einblick geben in Entscheidungen, die für das spätere theologische
Schaffen von grundlegender Bedeutung geworden sind.
Im ersten Teil seines Manuskripts bezog sich Guardini vor allem auf jene Gegen-
tendenzen zur neuzeitlichen Geisteshaltung, die er selbst begeistert aufgegriffen,
freilich immer auch - als Gegensatzdenker! - in das Ganze des "Lebens" zu

143
Vgl. bes. die Kapitel "Neuwerdung" (Herr, 531-536), "Der neue Mensch" (ebd, 537-545).
144
Vgl. Landschaft, 187-191; siehe oben Kap. V,2,b,cc.
145
Offenheit», 5.
146
Offenheit*. 68.
478 Erschließung des Glaubens

integrieren versucht hatte: das Ganzheitsbewußtsein, die Hinwendung zu den vitalen


Kräften und das Wiedererwachen des Religiösen. Die in solchen Tendenzen liegende
"Offenheit" für den Glauben sah er jetzt aber eher negativ, denn sie wurzelte in den
Gefahren und Existenznöten, die aus der Übersteigerung des an sich notwendigen
Grundansatzes hervorgingen.147 Da gleichzeitig eine "freischwebende" Religiosität
und eine "eschatologische" Daseinserfahrung entstand, die in ihrer Verbindung mit
kulturell-politischen Kräften die Gefährdung noch steigerten, erwies sich der christli-
che Glaube als die entscheidende Antwort:
"Denn es hängt alles davon ab, dass die religiöse Potenz durch den Glauben
erleuchtet und gemeistert werde - sowie die religiösen Gehalte von Welt- und
Menschendasein durch die Offenbarung gemessen, gerichtet und gedeutet
werden müssen."148
Dieser Glaube hatte nämlich nach Guardini die Kraft, jene "Gegenwehr aus dem
Mittelpunkt", jenen Widerstand des personalen Kerns "gegen das Aufgesogenwerden"
durch die Ganzheitsmächte zu vollziehen.149 Daraus ergaben sich aber für die christli-
che Verkündigung "Dringlichkeiten", die sich von denen unmittelbar nach dem Ersten
Weltkrieg ganz erheblich unterschieden. Damals sah Guardini selbst noch voll Hoff-
nung auf den neuen "Sinn für das Wirkliche", auf die Abkehr von Individualismus
und Rationalismus und auf die Hinwendung zum "Ganzen" des Lebens. Er lenkte die
Aufmerksamkeit der Jugendbewegung, aber auch des Katholizismus insgesamt auf die
Bedeutung der Kirche, der christlichen "Ganzheit", und auf die Liturgie, der christli-
chen Verkörperung des "Objektiven"; denn die Kirche schien ja im geistigen Leben
der Gegenwart aufs neue in den "Seelen" zu "erwachen, und die Zeit schien "reif für
die Liturgie".150 Jetzt - nur gute zehn Jahre nach diesen Äußerungen - gab es andere
Schwerpunkte zu setzen.
Guardini erinnerte sich nun an den "Kampf Nietzsches gegen ein vor der Wirklich-
keit fliehendes Christentum und schloß daraus, die Welt könne die eigentliche Bedeu-
tung des christlichen Glaubens erst dann erkennen, wenn sie dem "wirklichen", dem
"menschlich-ebenbürtigen, aber christlich-echten" Christen begegne.151 Dringlich sei
daher in erster Linie ein um "Realisierung" bemühter christlicher Glaube, der das
"Endlichkeitsbewußtsein" Nietzsches ernstnehme:
"In der Philosophie Nietzsches ist etwas offenbar geworden und durchgebro-
chen, das für die neuzeitliche Situation nicht nur des Denkens, sondern des gan-
zen Menschen von größter Bedeutung ist: die Endlichkeit als solche wird dring-
lich."152

147
Vgl. Offenheit*, 29, 43,48f.
148
Offenheit*, 66f.
149
Vgl. Offenheit«, 16.
150
Vgl. Sinn der Kirche, 19; LB 13 [27], Zum Ganzen s. o. Kap. 11,3.
151
Vgl. Offenheit*, 74. - Zu Guardinis Begegnung mit Nietzsche vgl. jetzt auch Gerl, Unterscheidung aus
Verstehen.
152
Offenheit*, 43.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 479

Guardini spricht weiter von einem "christlichen Bewußtsein" und meint damit, "daß
die Gegebenheiten des Glaubens zum Ausgangspunkt für die Stellungnahme zur Welt
werden."153
"Es bedeutet, daß der Glaubende sich nicht mehr nur religiös oder dogmatisch
verhält; auch nicht nur apologetisch oder polemisch; sondern daß er den Offen-
barungsinhalt ins Subjekt seines Denkens aufnimmt und von dort her die Welt
denkt. Nicht in der naiven Unbedenklichkeit des Mittelalters, für welches im
Großen und Ganzen Welt- und Glaubenswahrheit noch in der Einheit eines pri-
mären Weltgefühls aufgingen ...; aber auch nicht in der polemischen oder pro-
pagandistischen oder extremistischen Scheinsicherheit, die in Wahrheit eine, mit
Entmutigung gefühlte Kluft überschreit. Sondern eine neue Haltung, für die
vielleicht wirklich erst jetzt die Zeit kommt; weil sie Dinge voraussetzt, die jetzt
erst gegeben sind ..."154
Guardini plädiert für eine Haltung, die Probleme nicht ausklammert, sondern in ihnen
gerade fruchtbare Voraussetzungen für die Kraft des Glaubens sieht. Er erinnert an
seine Bestimmung katholischer Weltanschauung, die gerade von einem Punkt "über"
der Welt her die Spannungsvielfalt der Endlichkeit integrieren kann.
"Woher kommt die eigentümliche Ohnmacht des Christentums unserer Zeit vor
dem immer deutlicher als heidnisch sich enthüllenden Gegenmächtigen? Nicht
daher, daß nicht heroisch genug geglaubt, oder nicht innig genug gebetet, oder
nicht großmütig genug gearbeitet und geopfert würde; das alles wird da sein.
Auch nicht, weil die wissenschaftliche Arbeit noch mangelhaft wäre. Sondern
weil kein auf echter christlicher Erfahrung ruhendes und zu echter Einbegrei-
fung fähiges christliches Bewußtsein da ist, in welchem alle Dinge stehen wie
sie sind, gesehen und gemessen, deshalb, weil dieses Bewußtsein die Wahrheit
der Offenbarung als Koordinatensystem in sich aufgenommen hat. Dieses Be-
wußtsein erst kann den Kampf auf dem eigentlich geschichtlichen Felde auf-
nehmen."155
Die "reine Endlichkeit" Nietzsches entsprach nach Guardini der massiven Zunahme
menschlicher Macht - durch technisches Gebrauchen der Natur, durch politische und
gesellschaftliche Beherrschung des Menschen.156 Demgegenüber habe die christliche
Verkündigung die Würde der menschlichen Person und die Bedeutung des Gewissens
zu betonen.157 Guardini war sich sehr wohl bewußt, daß er selbst in seinen frühen
Jahren diesen Aspekt ebenfalls nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt hatte.
Nicht als ob er die Bedeutung von Personalität und Freiheit nicht stets im Auge
gehabt hätte; aber angesichts des zurückliegenden Individualismus und Subjektivis-
mus schien es auch ihm zunächst an der Zeit, auf Objektivität und Autorität hinzu-
weisen (vgl. dazu Kapitel II,3,b,aa).

153
Offenheit*, 75.
154
Offenheit*, 76.
155
Offenheit*, 77f. - Interessant ist auch die Anmerkung über die Tendenz zum Ausweichen ins Eschato-
logische: "Wo bleibt der Sieg? Sehr billig, ihn in die Eschata hinauszuschieben! Tragizismus der Ohnmacht!"
(ebd, Anm. 1,78).
156
Vgl. etwa Offenheit*, 30-43; EdN 49-51, 70-79; Macht, 154-165.
157
Vgl. Offenheit*, 79-89.
480 Erschließung des Glaubens

"Der Verfasser ist zu einer Zeit, als es schwerer war als heute, so bewußt und
konsequent für eine Fundierung des Autoritätswillens im Kriegs- und Nach-
kriegsdeutschland eingetreten, daß er sein Verhältnis dazu wohl nicht weiter
nachzuweisen braucht"158
Nun aber ging es um die "Gefahrenmomente im Autoritätswillen der Neuzeit (!)", der
gerade zu diesem Zeitpunkt in einer verhängnisvollen Weise kulminierte.159 Die Be-
deutung des christlichen Glaubens lag nun nicht mehr in erster Linie darin, gegenüber
einem schrankenlosen Liberalismus die Autorität hochzuhalten, sondern - gerade
umgekehrt - gegenüber einem schrankenlosen Kollektivismus und Autoritätsglauben
für die menschliche Freiheit einzutreten. Die Kirche mußte jetzt an eine wichtige
Wahrheit erinnert werden:
"'Autorität' ist an sich noch nicht christlich. Ja, nicht einmal christlicher als ihr
Widerspiel, die Eigenständigkeit und deren Selbstdurchsetzung."160
Dies war auch der Grund, weshalb Guardini nun nicht mehr in erster Linie die Kirche
in den Vordergrund stellte, sondern die "Person Christi".161 Es gehe nicht darum,
etwas auseinanderzureißen, was wesentlich zusammengehöre: "Christus hat die Kir-
che gewollt und gestiftet. Er in seiner pneumatischen Inexistenz bildet das Leben der
Kirche ,.."162 Aber es sei jetzt an der Zeit, in der "Ökonomie des christlichen Lebens"
eine stärkere Betonung auf die Person Christi selbst zu legen - nicht "gegen die Kir-
che", sondern in ihr.163 Zu sehr sei das "Problem" der Kirche in der Vergangenheit
"aus dem spezifisch kirchlichen Element selbst heraus erfaßt worden",164 und Guar-
dini gesteht ein, daß auch er dieser Verengung anfangs erlegen sei.165
"Offenbar muß es in einen neuen Raum gelangen; aus tieferen Wirklichkeits-
wurzcln und Wertansätzen heraus erlebt und angefaßt werden. Das aber wird
sofort geschehen, wenn die Person Jesu Christi als solche zur Geltung kommt.
Sobald 'Kirche' zu sehr für sich genommen wird, neigt das christliche Gesamt-
dasein dazu, in die Struktur eines gedanklichen, moralischen juridischen, kulti-
schen oder staatsmächtigen Systems überzugehen und den Kontakt mit der ein-
malig-ursprünglichen, personalen Realität 'Christus' zu verlieren - wodurch dann
auch der eigentliche Existentialitätscharakter des Christseins in Gefahr
kommt"166
"'Die Kirche wird lebendig in den Seelen', hat der Verfasser vor zehn Jahren
geschrieben. Heute fügt er hinzu: Dann, wenn Christus in den Seelen lebendig

158
Offenheit*, 84. - Der nachfolgende Satz ist im Manuskript unvollständig: "Wenn auf die Gefah-
renmomente im Autoritätswillen der Neuzeit, der jetzt in einer entscheidenden Weise kulminiert und eine
neue Sinnrichtung einschlägt."
159 vgl. Offenheit*, 84 (siehe die vorhergehende Anm.).
160
Offenheit*, 85.
161
Vgl. Offenheit», 89-94.
162
Offenheit*, 90.
163
Vgl. Offenheit*, 90f.
164
Offenheit*, 91.
165
Vgl. Offenheit*, Anm. 1, 91 (mit ausdrücklichem Verweis auf die Schrift über den "Sinn der Kirche").
166
Offenheit*, 91f. - Für diese gewandelte Perspektive verweist Guardini auf seinen Aufsatz über "das
Wesen des Christentums" (1929).
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 481

wird; Er, wie er ist, aus der Sendung des Vaters an den Menschen herantre-
tend."167
Auch hier gebe es Hindernisse zu überwinden; unzureichend sei vor allem eine
"abstrakt dogmatische Denkweise". Ratsam wäre es, "vorgeprägte Begriffe und Bilder
einmal fürs Erste auf sich beruhen zu lassen und einfach zu sehen, was da ist und
herspricht."168
Abschließend fordert Guardini noch die Entwicklung eines christlichen
"Existenzbewußtseins" .169 Ausdrücklich Bezug nimmt er dabei auf Martin Heidegger,
dessen Philosophie "eine Herausforderung an den Christen" sei und diesen "an ein
langes Versäumnis" erinnere. Als Antwort auf ihn müsse der "Charakter des christli-
chen Existierens" herausgearbeitet werden, "ganz aus dem Eigenen, aus dem ersten
Anfang, 'in Zuversicht'. Was heißt für ihn 'Sein'? Was 'Nichts'? Was 'Selbst'? Was 'der
Andere'? 'Absolutheit' und 'Endlichkeit'? 'Geburt, Leben, Tod'? Was ist für ihn
'Angst'? 'Sünde', 'Offenheit' und 'Verschlossenheit'?"170 Guardini formuliert hier Leit-
fragen einer christlichen Anthropologie, die sich aus dem Glauben heraus des eigenen
"Daseins" zu versichern versucht171 Sie hätte theologisch zu sein, das heißt von der
christlichen Offenbarung selbst auszugehen und in ihrem Licht die "existentiellen"
Daseinsfragen zu beantworten, die gerade Heidegger für die Gegenwart gestellt hat.
Ein "eigentliches christliches Existentialbewußtsein" sei aber seit dem ausgehenden
Mittelalter immer mehr geschwunden; daher sei auch "eine Antwort an die großen
Wortführer des von Gott losgelösten, bloß-menschlichen Daseinsbewußtsein(s), etwa
eines Nietzsche, eines Marx, eines Freud oder Lenin noch nicht erfolgt"172 -ja nicht
einmal an die Renaissance. Gestalten wie Franz von Sales, Pascal, Kierkegaard oder
Newman seien bezeichnenderweise vom christlichen Gesamtbewußtsein noch nicht
aufgenommen worden.173
"Heidegger geht von der neuzeitlichen Existenzerfahrung aus, in welcher sich
die Probleme der Endlichkeit und Unendlichkeit, des Etwas und des Nichts, des
Absoluten und des Faktischen in einer anderen Form anmelden, als es noch im
15. Jahrhundert geschah. Soll ihm geantwortet werden können, so muß, auf glei-
cher menschlicher, kultureller und geschichtlicher Ebene, eine originäre christli-
che Existenzerfahrung da sein, von welcher aus jene Phänomene wirklich
christlich gesehen werden."174
Die Philosophie Nietzsches, die Daseinskonzeption Freuds, das Wirken Lenins wer-
fen nach Guardini Fragen an das christliche Denken auf, die nur beantwortet werden
können, "wenn der Christ seiner Existenz lebendig inne wird."175 Ausdrücklich weist
er die Vorstellung zurück, man könne sich einfach auf eine "Philosophia perennis"

167
Offenheit*, 92.
168
Offenheit*, 93.
169
Vgl. Offenheit*, 95-105.
170
Offenheit*, 99.
171
Vgl. Offenheit*, 97 (Dringlichkeit einer chrisüichen Anthropologie) und 101.
172
Offenheit*, 99f.
173
Vgl. Offenheit*, 100.
174
Offenheit*, 101.
175
Offenheit*, 103.
482 Erschließung des Glaubens
berufen, mit der das mittelalterliche Denken fortgeführt werden soll; die intellektuelle
Annahme der Sozialtheorie eines Thomas von Aquin genüge ebensowenig wie die
Konstraktionsprinzipien Erwins von Steinbach.
'"Gib mir einen festen Punkt, und ich will die Welt bewegen', soll Archimedes
gesagt haben. Diese bloßen Gedanken bewegen noch nicht; sie sind nur Hebel.
Erst gib den Punkt, dann fassen die Hebel, und die Wirklichkeit kommt in Be-
wegung. Der Punkt aber ist die christliche Existentialerfahrung, verwurzelt in
der Erfahrung von Christus."176
Von diesen Überlegungen her wird verständlich, warum Guardini sich bei der Neu-
auflage seines Kirchenbuches im selben Jahr 1933 so merkwürdig distanziert äußerte:
"Der Ansatz ist zu einfach genommen; die ausgesprochene Hoffnung nicht tief
genug in der Wirklichkeit begründet; das negative Moment nicht in der ganzen
Bedeutung gesehen, die es hat. ... Seitdem ist alles viel schwerer geworden. Man
hat erkannt, wie viel verwickelter die Fragen sind, wie viel enger verflochten
Gutes und Schlimmes, und wie viel länger für eine Hoffnung der Weg zu ihrer
Erfüllung ist, als es bei jüngerem Mute schien. Auf diesem Wege hat man viel
gelernt..., und schriebe man wieder, so würde wahrscheinlich gerade das ver-
schwinden, was die ersten Leser dieses kleinen Buches angezogen hat, nämlich
die einfache Linie und die auf überall hervorsprießende Erfüllung rechnende
Zuversicht - aber doch nur, um einem wahreren Bilde und einer tiefer begründe-
ten Hoffnung Raum zu geben."177

b. Christologische Versuche
Guardini hat in seinem unveröffentlicht gebliebenen Manuskript "Dringlichkeiten"
der Glaubensverkündigung in der Gegenwart des Jahres 1933 formuliert. Er hat damit
zugleich ein theologisches Arbeitsprogramm entworfen, dessen Umsetzung wir in der
weiteren Entfaltung seines Werkes tatsächlich beobachten können. Vielleicht ist ihm
von hier aus erst richtig deutlich geworden, daß auch seine Bemühungen um die
Gestalt Jesu Christi, die er ohne wissenschaftlichen Ansprach im Rahmen einer Pre-
digtreihe vollzog, sich in die Gestalt einer neuen, "anderen" Theologie einfügen konn-
ten, an deren Ausarbeitung er sich beteiligen wollte. Die Christozentrik war ja eine
jener "Dringlichkeiten", die sich dem christlichen Glauben von der kulturellen Situa-
tion her nahelegten.
So begann Guardini bald, die einzelnen Betrachtungen der Gestalt des "Herrn" auch
in theologisch-systematischer Weise auszuwerten.178 Aber auch in diesen christologi-
schen Schriften, blieb das mystagogische Interesse leitend. Guardini setzte an beim

176
Offenheit*, 102f.
177
Sinn der Kirche (Vorwort zur 3. Aufl.), 16.
1/8 vgl. Das Bild von Jesus dem Christus (1936); Jesus Christus. Sein Bild in den Schriften des Neuen
Testaments (1940; später: "Das Christusbild der paulinischen und johanneischen Schriften"). - Zur Christolo-
gie Guardinis vgl. v. a. Balthasar, Guardini, 90-107; Wechsler, Guardini, 182-197; Kleiber, Glaube, 166-174;
Schilson, Christologie; ders, Christusverkündigung.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 483

"Christusbild des allgemeinen Bewußtseins", das sich durch die Verkündigung der
Kirche, vor allem aber durch die Zeugnisse der Kunst im Laufe der Zeiten gebildet
habe und in jeder Epoche auch die Spuren der jeweiligen Kultur an sich trage.179 Von
hier aus sollte dann zurückgefragt werden zum Zeugnis der Heiligen Schrift, wofür
allerdings ein zumindest anfänglicher Glaube vorausgesetzt werden mußte:
"Er kann schon in der Unruhe beginnen; in der ehrlichen Frage: 'Was ist mit
Diesem, von dem da berichtet wird? Wer ist Er?"180
Im Laufe der weiteren Betrachtung sollte dieser "Vor-Glaube" sich dann vertiefen, bis
er - und das ist ja das Ziel aller Mystagogie -
"zum vollen Glauben gereift ist, der Jesus nicht mehr als Gegenstand nimmt,
über den er nachdenkt, sondern als Voraussetzung und Ausgang des rechten,
christlichen Denkens über jeden möglichen Gegenstand."181
Diesem Bemühen galt die christologische Vertiefung, die keine abstrakte Theorie
sein, sondern sich weiterhin vom Neuen Testament selbst führen lassen wollte. So
beschrieb Guardini zunächst das paulinische, dann das johanneische und zuletzt das
synoptische "Christusbild", um nun noch einmal nach dem "Ganzen" zu fragen, das
schon in den "Betrachtungen" immer wieder ansichtig geworden war.182
Daß Guardini gerade mit Paulus begann, hat seinen Grund nicht darin, daß von
dessen Hand die ältesten schriftlichen Christuszeugnisse des Neuen Testaments stam-
men; dies wäre eine historisch-kritische Sichtweise, der Guardini weiterhin fremd
gegenübersteht. Der Grund ist vielmehr der, daß Paulus sich "in der gleichen Situa-
tion befindet, wie wir".
"Paulus ist der einzige Apostel, der Jesus nicht gesehen hat - den irdischen
Jesus, der auf den Straßen des heiligen Landes gegangen war; der in den Dör-
fern und Städten gelehrt und geheilt hatte, der gestorben war und auferstanden.
Von ihm hat Paulus nur in der Weise Kunde erhalten, wie auch wir sie erhalten
können: Einmal äußerlich, durch die Derer, die von Ihm berichteten und durch
die Wirkungen, die von Ihm in der Geschichte weiterliefen; dann innerlich, als
der Herr ihn anrief und sich seinem Geiste und Herzen zu erfahren gab."183
Von hier aus führt der Weg weiter zu Johannes, der - teilweise in Auseinanderset-
zung mit der Gnosis - ein langes Leben lang die Christusgestalt meditierte, aber doch
auch eine wirkliche Begegnung mit dem irdischen Jesus voraussetzen konnte.184 Die
Synoptiker schließlich zeichnen das Bild Christi aus der Perspektive der
1 9
' Vgl. Bild, 13-23. - Diese HinfUhrung fehlt allerdings in der breiter angelegten zweiten Darstellung des
neutestamentlichen Christusbildes (vgl. Christusbild).
180
Bild, 33; vgl. die Eingangsfrage in: Herr, 1!
181
Bild, 33.
182
Vgl. Bild, 12: "Dennoch scheint sich, ohne daß der Betrachter es erstrebt oder gar der Schriftsteller
darauf hingearbeitet hätte, aus all den Ansätzen eine Art Einheit, etwas wie das Ganze eines Ubergewaltigen
Wesens zu erheben."
183
Bild, 38; vgl. Christusbild, 39-41.
184 vgl. Bild, 65-69. Ausführlicher über die Persönlichkeit des Johannes und sein Verhältnis zur Gnosis,
mit der ihn nach Guardini eine gemeinsame "Struktur" verband, in: Christusbild, 136-160. Es braucht wohl
nicht eigens daraufhingewiesen zu werden, daß Guardinis unkritische Herleitung aller johanneischen Schrif-
ten vom "Lieblingsjunger" Jesu einer exakteren Forschung nicht standhält. Zutreffend ist jedoch die Charakte-
risierung des johanneischen "Blicks", der tief in das "Wesen" eindringe, ohne dabei die konkrete geschichtli-
che Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren.
484 Erschließung des Glaubens

"Gleichzeitigkeit", womit Guardini freilich nicht einen historischen Bericht meint,


sondern den Versuch, die konkrete Begegnung der Menschen damals mit dem ge-
schichtlich "gleichzeitigen" Herrn in einer theologisch reflektierten Form noch einmal
nachzuvollziehen.185 Die drei ersten Evangelien seien deshalb gerade nicht "einfach";
denn "Nähe", "Erfaßtsein", "Innigkeit", "Gewißheit" seien immer "mit dem Rätsel der
Gleichzeitigkeit, mit der Verhüllung der leiblich-geschichtlichen Gegenwart und der
großen Gefahr des Ärgernisses bezahlt ..."186 Und dennoch war es gerade diese
"Gleichzeitigkeit", in die, wie wir oben (Abschnitt 2,b) gesehen haben, jede christli-
che Mystagogie führt - vor allem, wenn sie auf den Spuren Kierkegaards geht
Zwar verzichtete Guardini darauf, seine breit angelegte Darstellung des paulini-
schen und des johanneischen Christusbildes um eine Interpretation der synoptischen
Evangelien zu erweitern, in denen es ja gerade um diese Gleichzeitigkeit gehen konn-
te.187 Dafür legte er aber 1958 eine Arbeit über die "menschliche Wirklichkeit des
Herrn" vor. Jetzt hatte er auch einen neuen Zugang zur "psychologischen" Methode
gefunden, die ursprünglich nicht auf Christus angewendet werden sollte.188
"Dann aber mußte ich mir sagen: Wenn Christus wirklich der Mensch gewor-
dene Gott ist, als den die Offenbarung Ihn kund tut, dann muß es möglich sein,
mit dieser Menschlichkeit auch denkend ernst zu machen; will sagen, sie auf
jenem Wege zu verstehen, auf dem wir jeden Menschen verstehen, nämlich dem
der Psychologie. Der Versuch, sie aufzubauen, brachte das Ergebnis, daß die
Linien des Verständnisses immer nur eine Weile weitergingen, dann aber vom
überbegrifflichen Kern dieser Gestalt verschlungen wurden. Dieses 'Scheitern'
des psychologischen Verstehens auf den Linien seines eigenen Verfahrens
schien die eigentliche 'Psychologie' der Christusgestalt zu sein."189
Guardinis christologisches Bemühen bleibt aber immer noch von jenem Christusbild
geprägt, für das die Verklärungsperikope (vgl. oben Abschnitt 2,c) typisch ist. Nicht
die konkreten Begebenheiten des Lebens und Wirkens Jesu sind darin entscheidend,
sondern das "Ewige", das an ihnen aufscheint. Darin liegt sicher die Gefahr
"doketistischer" Verengung.190 Doch geht es Guardini nicht etwa darum, die Gött-
lichkeit gegenüber der Menschlichkeit überzubetonen; er sucht gerade die
"menschliche Wirklichkeit des Herrn" zu erschließen, will diese aber in ihrer letzten
Undurchdringlichkeit stehen lassen.191 Das "Ewige" kann seit der Menschwerdung
nicht anders begegnen als eben im Menschlich-Irdischen; aber es bleibt dabei doch
das "Ewige", das in menschlich-irdischen Maßstäben nie aufgeht192

185
Vgl. Bild, 101-103.
186
Bild, 104. - Siehe dazu das Kapitel "Offenbarung und Verhüllung" in: Herr, 291-301.
187
Von der dreibändigen Darstellung "Jesus Christus. Sein Bild in den Schriften des Neuen Testaments"
(1940) erschienen lediglich die beiden Bände über das paulinische und johanneische Christusbild (vgl.
Christusbild).
188
Vgl. Herr, IX.
189
Existenz, 271; vgl. ebd., 270f.; Christusbild, 14; Menschliche Wirklichkeit, 75-78.
190 vgl. dazu auch Wechsler, Guardini, 217.
191
Vgl. schon Christusbild, 14: "Dabei geht es vor allem darum, seine echte und zugleich einzigartige
Menschlichkeit sichtbar zu machen; eine Aufgabe, welche der psychologischen Analyse nicht nur ein Äußer-
stes an Leistung, sondern auch die Opferung ihrer selbst vor dem, was über alle Psychologie ist, zumutet."
192
Vgl. Herr, Xf.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 485

Gerade so wird freilich die Menschlichkeit Jesu - wie schon bei der Interpretation
der Verklärungsperikope - zum Maßstab und Prinzip des "neuen Menschen" über-
haupt. Die Christologie Guardinis mündet in die Anthropologie, wie umgekehrt jede
Frage nach dem Wesen des Menschen erst dort ans Ziel kommt, wo der Blick auf die
"menschliche Wirklichkeit des Herrn" gerichtet wird. Ja, das letzte und eigentliche
Ziel ist sogar erst dort erreicht, wo - wie Guardini es bereits in seiner Berliner
"Antrittsvorlesung" vorgeschlagen hatte - diese einzigartige Gestalt das prägende
innere Prinzip des Menschen selbst wird, von dem aus er die Welt und sich selbst
beleuchtet und durchwirkt sein läßt 193 Die "Andersartigkeit" und "Anfanghaftigkeit"
Jesu, die nach Guardini gerade aus einer ganz "menschlichen" Betrachtungsweise
aufscheint,194 ermutigt dazu, bisherige anthropologische Maßstäbe aufzugeben, um
von einem "jenseits" aller Welthaftigkeit gelegenen Punkt aus das wahre Wesen des
Menschen wiederzufinden (Mt 10,39).

c. Offenbarung und Personalität


Schon in der Bonner Antrittsvorlesung hatte Guardini die Offenbarungskategorie
eingeführt (vgl. Kapitel III,l,b) und diese anschließend auch zum Ausgangspunkt
"katholischer Weltanschauung" erklärt (vgl. Kapitel III,2,c). Als "Konkretisierung"
göttlicher Selbstoffenbarang trat nach ihm das "Christentum" der menschlichen
"Kultur" gegenüber und verband sich mit ihr unter dem eschatologischen Vorbehalt,
daß es innerweltlich zu keiner letzten Einheit von Glaube und Kultur kommen konnte
(vgl. Kapitel IV,3,c). Die "übernatürliche" und zugleich "geschichtliche" Offenbarung
Gottes in Jesus Christus brachte etwas grundlegend Neues - auch gegenüber der
"natürlichen" Offenbarung, die in allem Geschaffenen vorlag und deren Reflex die
unterschiedlichen religiösen Erfahrungen der Menschheit waren (vgl. Kapitel
IV,3,c,bb und V,2,c). "Glauben" bedeutete daher, einen radikal neuen "Anfang" zu
wagen - und zwar in der Begegnung mit Jesus Christus (vgl. oben Abschnitt 1).
Von dieser Grandüberzeugung her fragte Guardini am Ende der zwanziger Jahre
nach dem "Wesen des Christentums" und rückte die Gestalt des "Herrn" von nun an
ganz in den Mittelpunkt seines theologischen Denkens. Am Ende seines Bemühens,
Jesus Christus aus den biblischen Texten heraus neu zu verstehen (vgl. oben die
Abschnitte 2 und 3,b), kam er jedoch noch einmal ausführlich auf die Offenbarungs-
kategorie zurück und erläuterte sie nun theologisch genauer auf dem Hintergrund der
vorangegangenen biblischen Betrachtungen.195 Sie bezeichnete nun jene grundle-
gende "Bewegung" Gottes (vgl. oben Abschnitt 1), ohne die der neue "Anfang" des
Glaubens nicht Ereignis werden konnte. Damit deutete sich ein Offenbarangsver-

193
Vgl. dazu auch Pascal, 87-91 (Christus als "Kanon" der menschlichen Existenz).
194
Vgl. Menschliche Wirklichkeit, 171-208; zur "Anfanghaftigkeit" bes. 180-191. Zur Kategorie des
"Anfangs" und des damit gegebenen "Zirkels" siehe oben in Abschn. 1.
195
Zum Offenbarungsverständnis Guardinis gibt es bereits eingehende Untersuchungen; vgl. v. a.
Wechsler, Guardini, 155-172; Eicher, a.a.O., 261-292; Kleiber, Glaube, 153-179; Mercker, Weltanschauung,
121-131 u. ö.; Kraus, Personale Offenbarung.
486 Erschließung des Glaubens

ständnis an, das von der traditionellen Schultheologie entscheidend abwich196 und
sich stattdessen eng an das "epiphanische" Verständnis der Bibel anlehnte.197 Offen-
barung war jetzt wieder ein Handeln Gottes in der Geschichte,198 und zwar ein
personales Handeln, das zunächst im Bund mit Israel, dann aber vor allem in der
Person Jesu Christi zum Ausdruck kam.199 Sie vermittelte zwar auch Inhalte; aber das
Entscheidende war doch die fundamentale Neuausrichtung des ganzen Menschen auf
Gott in einer personalen Begegnung. Darin unterschied sie sich als "ausdrückliche"
Offenbarung Gottes auch von den religiösen Erfahrungen der Menschheit, die ledig-
lich die "Offenbarung durch das Sein der Welt" wahrnahmen200 - Spuren des ur-
sprünglichen Schöpfungshandelns Gottes, die allerdings durch das Faktum der
menschlichen Sünde verwischt und daher von einer tiefen "Vergeblichkeit" geprägt
waren.201 Nur in der "Schule der Schrift" konnte nach Guardini die "ausdrückliche"
Offenbarung erkannt - genauer: erlebt - werden;202 nur durch sie konnten auch die
religiösen Ahnungen der Menschheit ins Christliche "heimgeholt" werden.203
Mehr kann an dieser Stelle über das Offenbarungsverständnis Guardinis nicht
ausgeführt werden. Wichtig war nur aufzuzeigen, daß es hierbei um eine personale
Beziehung zwischen Gott und Mensch geht: Gott bewegt sich selbst auf den Men-
schen zu und befähigt ihn zum neuen "Anfang"; der Glaube aber ist nicht in erster

19b
Zu diesem "instruktionstheoretischen" Offenbarungsverständnis vgl. W. Beinert, Offenbarung, in:
LKDogm, 399-403, hier 400f; Seckler, Offenbarung, 64-66.
197 vgl. d a z u Seckler, Offenbarung, 62f. - "Kennzeichnend für dieses epiphanische Offenbarungsmodell
ist, daß nicht die theoretische Belehrung oder die Enthüllung von verborgener Wahrheit die Substanz der
Sache ausmacht, sondern der geschichtliche Durchbruch des Heilsgeschehens selbst. So geht es auch in den
Offenbarungen des Da-seins Gottes nicht um theoretische Existenzbehauptungen, sondern um die Erfahrung
der lebendigen Gegenwart dessen, der große Dinge tut" (ebd, 63).
198
"Gott offenbart' heißt vor allem: 'Gott handelt'" (Offenbarung, 1).
199
Guardini sprach schon in der "Antrittsvorlesung" von der "Selbstoffenbarung" Gottes (vgl. Weltan-
schauung, 23). Das I. Vaticanum hatte diesen Begriff noch mit einem "doktrinalen" und
"konzeptualistischen" Anliegen verbunden (vgl. Schmitz, Christentum als Offenbarungsreligion, 19-22, bes.
22; Eicher, Offenbarung, 71-162). Guardini war bereits auf dem Weg zum II. Vaticanum, das Offenbarung als
reale Selbstmitteilung Gottes verstand (vgl. Schmitz, a.a.O., 23-28; Eicher, a.a.O., 481-543; Seckler, Offenba-
rum- 63).
z w
Vgl. Offenbarung, 7-46 ("Die Offenbarung durch das Sein der Welt"). - Peter Eicher versteht fälschli-
cherweise unter den " Vorentwürfen zur Offenbarung" die Phänomene religiöser Erfahrung (vgl. Offenbarung,
275-278); bei Guardini handelt es sich jedoch lediglich um Vorgänge innerhalb der "Welt", in denen sich so
etwas wie "Selbstoffenbarung" in Analogie zur Selbstoffenbarung Gottes ereignet (vgl. Offenbarung, 1-6;
dazu Kleiber, Glaube, 159-161), während die religiöse Erfahrung anschließend in den Zusammenhang der
"Offenbarung durch das Sein der Welt" gestellt wird (s. u.).
201
"So bleibt als letzter Eindruck der einer tiefen Vergeblichkeit, um nicht zu sagen Trostlosigkeit. Hohes
steht neben Niedrigem, Freies neben Verängstigtem, Edles neben Gemeinem" (Offenbarung, 45).
202 vgl. Offenbarung, 1: "Der erste Satz jeder Lehre von der Offenbarung lautet: Was diese ist, kann nur
sie selbst sagen. Sie bildet keine Stufe in der Folge der natürlichen Daseinserschließungen, sondern kommt
aus dem reinen, göttlichen Anfang. Sie bildet auch keine notwendige Selbstmitteilung des höchsten Wesens,
sondern ein freies Tun des persönlichen Gottes. Einen Vorgang also, zu dessen Verständnis das Denken in die
Schule der Schrift gehen und lieber die Gefahr auf sich nehmen muß, Gott zu 'menschlich', als ihn zu
'philosophisch' zu verstehen."
203
Vgl. Religiöse Erfahrung, 338. Vgl. auch ebd, 336-339; WP 139-142; Offenbarung, 47f. und 85-95;
Religion, 13. - "Zu jeder spontanen Frömmigkeit sagt Christus zunächst Nein; dann erst, wenn im Gehorsam
des Glaubens, im 'Verlieren der Seele' an den offenbarend-richtenden Gott dieses Nein angenommen ist,
spricht er, innerhalb jenes Nein, ein Ja. Er führt jede Frömmigkeit in den Untergang; dann freilich aus diesem
Untergang zur Auferstehung" (Offenbarung, 89).
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 487

Linie ein Bejahen von Inhalten, sondern die personale Antwort auf das Handeln Got-
tes in Jesus Christus. Und so ist auch Theologie nicht in erster Linie distanzierte
"Reflexion", trockene "Information" oder autoritäre "Instruktion". Sie wird vielmehr
gerade dadurch zur "Mystagogie", daß sie versucht, dem Menschen jenen Raum zu
erschließen, in dem die Beziehung mit Gott sich entfalten kann. In die Beschreibung
dieses personalen Glaubensvollzugs können daher bei Guardini auch die anthropolo-
gischen Überlegungen einmünden, die sich immer klarer im Begriff der "Person"
verdichtet hatten.
Schon in den frühen Versuchen einer "verstehenden Psychologie" war bei Guardini
ein anthropologisches Interesse zum Vorschein gekommen, das zunächst in die
Gegensatzphilosophie, schließlich aber in das Persondenken der zwanziger und
dreißiger Jahre einmündete (vgl. dazu schon Kapitel II,2,b,bb [4]; IV,l,c; VI,1). Auch
das "Anschauen" der "Welt", das Guardini in der Berliner "Antrittsvorlesung" an-
kündigte, wollte im Grunde eine indirekte "Anthropologie" sein, da es nie um die
"Welt" an sich ging, sondern immer nur, insofern es sich um die "Welt" des Men-
schen handelte.204 Gerade in den Interpretationen wollte Guardini in "ein Gespräch
... über die Dinge des Menschendaseins" eintreten.205 Auch die Zeitkritik am "Ende"
der Neuzeit war von nichts anderem getragen als von der "Sorge um den Menschen"
und mündete daher auch in Ansätze zu einer anthropologisch begründeten Ethik (vgl.
Kapitel VI,3,b,bb). Eine ähnliche Anthropozentrik zeigte sich auch in den spezifisch
theologischen Beiträgen Guardinis. Insofern schon die Interpretationen als "indirekte
Verkündigung" zu verstehen sind,206 sind sie damit zugleich Bausteine zu einer indi-
rekten theologischen Anthropologie (vgl. dazu Kapitel V,l). Die mystagogische
Exegese Guardinis und die darauf aufbauenden theologischen Vertiefungen mündeten
ebenfalls, wie wir gesehen haben, in die christliche Deutung der menschlichen Exi-
stenz.207
Zu Beginn des Jahres 1934 sprach Guardini in einem Gespräch mit seinem Sekretär
Erich Görner daher denn auch von dem groß angelegten Plan einer christlichen
Anthropologie als "Zusammenfassung alles dessen, was er gedacht und gearbeitet"
habe. Görner faßte das Gespräch so zusammen:
"Vielleicht wird er sein Werk über die Biblische Theologie' gar nicht heraus-
bringen, sondern es nur als 'Schacht' benutzen, aus dem er alle Erkenntnisse holt
und diese dann in die Anthropologie hereinarbeiten. Ich meinte, all das, was er
aus Augustinus, Pascal, Nietzsche, Kierkegaard, Hölderlin, Rilke und vor allem

z m
Vgl. Biser, Interpretation, 82.
205
Vgl. Dostojewskij, 316. Siehe dazu Kapitel V.
206 vgl. Wechsler, Guardini, 133-153.
207
Es gilt noch nachzutragen, daß auch die übrigen Bibelauslegungen Guardinis von einer anthropologi-
schen Fragestellung bestimmt waren; vgl. Gebet und Wahrheit (1960); Anfang (1961); Johanneische Bot-
schaft (1962); Psalmen (1963). So beginnt die Genesis-Auslegung mit folgenden Sätzen: "Manchmal, in
nachdenklicher Stunde, tritt uns eine Frage ins Bewußtsein, die aber leise, untergründig, immer in uns redet:
Wie ist das mit mir? Warum bin ich so, wie ich bin, und nicht anders? Warum bin ich überhaupt? Wo ist
mein 'Grund'?" Guardini nimmt die biblischen Texte als eine "Existenzlehre", als Antwort von Gott her,
durch die der Mensch "sich selbst und seinen rätselhaften Weg auf dieser Erde verstehen kann" (Anfang aller
Dinge, 9). Und von den Psalmen heißt es einleitend, "daß wir nämlich, sie sprechend, uns selbst offenbar
werden" (Psalmen, 128).
488 Erschließung des Glaubens

Dante usw. herausgeholt hat, käme doch auch in irgendeiner Form als Ertrag mit
in dieses Werk. Er bejahte es und sagte: 'Hier können Sie erleben, wie ein Werk
wächst.'"208
Die Schrift "Welt und Person"(1939), kurz vor dem Offenbarungsbuch veröffentlicht,
war ein Ergebnis der anthropologischen Vorlesungen Guardinis in den dreißiger Jah-
ren. Der Mensch wird hier in seinem konkreten "In-der-Welt-Sein" beschrieben,
andererseits in einer vorgegebenen Personalität begründet (vgl. Kapitel VI,l,c). Sie
ist Ausdruck seiner Geschöpflichkeit und damit unverlierbar, zugleich aber durch die
Wirklichkeit der Sünde gestört und somit auf die Erlösung durch Christus angewie-
sen. Christlich gelebte Personalität besteht daher in einem "Von-Gott-Her" und "Auf-
Gott-Hin", das durch die "Inexistenz" Christi im glaubenden Menschen ermöglicht ist.
So beschreibt die anthropologische Schrift jene Mitte des Menschen, auf die jenes
Geschehen bezogen ist, das im Offenbarungsbuch vorgestellt wird. Sie gehört mit
diesem eng zusammen und eröffnet eine neue Phase in Guardinis theologischem
Schaffen. In ihr geht es um die Zusammenfassung und Systematisierung der bisheri-
gen Erkenntnisse auf der Grundlage der Kategorien "Personalität" und
"Offenbarung".

d. Theologie und menschliche Existenz

"Offenbarung" und "Personalität" bildeten für Guardini die beiden "Pfeiler", auf
denen eine "andere", sich vom ncuscholastischen "System" unterscheidende Theolo-
gie aufgebaut werden konnte. Es handelte sich um eine Theologie, die wesentlich auf
die konkrete menschliche Existenz bezogen war und daher die Dringlichkeit eines
neuen "christlichen Existenzbewußtseins" (siehe dazu oben in Abschnitt a) ernst zu
nehmen begann. In diese Richtung deuteten aber bereits die Überlegungen zum trini-
tarischen Dogma, zum "Reich Gottes", zum "Corpus Christi Mysticum" und zur
Wirklichkeit des "Pneuma" (vgl. dazu Kapitel II,3,b,dd und IV,3,c,dd). Sie mündeten
ein in das christliche Verständnis der Erlösung, das in Guardinis Werk eine entschei-
dende Bedeutung für die inhaltliche Füllung seines theologischen Neuansatzes erhielt.
War "Offenbarung" die Formalisierang des göttlichen Handelns, so bezeichnete der
Erlösungsbegriff das Ziel dieses Handelns - seine Auswirkungen auf den Menschen
und seine "Welt".
Von der Dissertation über die Erlösungslehre Bonaventuras (1915) bis zu dem
nachgelassenen Werk über "die Existenz des Christen", in der die Erlösungslehre
nochmals einen zentralen Platz einnimmt,209 zeigt sich die kontinuierliche Beschäfti-
gung Guardinis mit diesem Thema, und zwar in einer ganz bestimmten Ausrichtung.
Obwohl sich von Bonaventura her verschiedene "Typen" von Erlösungslehren als
möglich erweisen (vgl. dazu Kapitel III,l,a), konzentriert sich Guardini auf die auch
Bonaventura selbst besonders wichtige Auffassung von der Erlösung als

208
Gesprächsnotiz vom 20. 1. 1934; vgl. Görner, Guardini, 5f, hier 6.
209
Vgl. Existenz, 197-339.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 489

"Neuschöpfung"210 und verbindet diese mit der paulinischen Vorstellung der "Inexi-
stenz" Christi (s. o.) als dem entscheidenden Kennzeichen des christlichen Glaubens,
das die "Mündigkeit" des Menschen nicht ausschließe, sondern gerade erst begründe
(vgl. dazu Kapitel V,2,b,bb; VI,l,c,cc [4] u. ö.).
"Christ zu werden, bedeutet, in die Existentialität Christi einzutreten. Der Wie-
dergeborene spricht 'Du' zum Vater, indem er am Du-Sagen Christi Anteil emp-
fängt. In einem letzten und endgültigen Sinne sagt er zu Christus nicht 'Du'. Er
tritt ihm nicht gegenüber, sondern geht mit ihm, 'folgt ihm nach'. Er geht in Ihn
ein und vollzieht mit Ihm die Begegnung. Mit Ihm zusammen sagt er zum Vater
'Du' und von sich selbst 'Ich'. ... Der Geist aber ist es, der den Menschen in die
Innigkeit der personalen Relation bringt. Er fügt ihn in Christus ein und ruft ihn
so zu seinem eigentlichen Ich-Sein. Er stellt ihn dem Vater gegenüber und befä-
higt ihn so, das eigentliche 'Du' zu sprechen."211
Auf der Grundlage dessen, was Guardini in "Welt und Person" entfaltet hat, wird aber
Erlösung nicht nur individuell, sondern universal verstanden; die gesamte Wirklich-
keit wird einbezogen, wenn der Mensch, dem ja von Gott die Verantwortung für die
Welt anvertraut ist, sich von Christi Erlösungshandeln bestimmen läßt:
"Die Welt, die Gott eigentlich gemeint hat, als er schuf, wird erst am Menschen.
Gott hat ihn gerufen, daß er sie in der Begegnung vollende."212
Von diesem Grundduktus sollten auch die großen systematischen Werke erfüllt sein,
an denen Guardini seit Beginn der dreißiger Jahre arbeite. Zunächst war eine großan-
gelegte "biblische Theologie" bzw. eine "Theologie des Neuen Testamentes" ge-
plant,213 die jedoch bald dem Projekt einer "Christlichen Anthropologie" (s. o.) Platz
machen mußte.214 Auch sie blieb unvollendet; stattdessen wandte sich Guardini nach
dem Zweiten Weltkrieg einer großangelegten "Ethik" zu, die aber ebenfalls nicht zur
letzten Reife gelangte.215 Das anthropologische Interesse kam jedoch schließlich zum
Tragen in dem letzten Versuch Guardinis, eine "Summe" seines Denkens und Schaf-
fens vorzulegen. Es handelt sich um das posthum veröffentlichte Werk "Die Existenz
des Christen"216 - ein Durchgang durch die gesamte christliche Glaubenswelt, in
engem Anschluß an die biblische Botschaft des Alten und Neuen Testaments und im
ständigen Hinblick auf die konkrete menschliche Existenz.

210
Erlösung, 190f- Die tragenden Grundideen im Gedanken der Neuschöpfung standen dann auch im
Mittelpunkt der zweiten Bonaventura-Arbeit (vgl. Elemente, 1964).
211
WP 159.
212
Gebet des Herrn, 99.
213
Vgl. Görner, Guardini, 6 (Notiz vom 20. 1. 1934; s. o. Abschn. c); Pascal, Anm. 15, 42. Im Guardini-
Archiv findet sich (ohne Datum) ein umfangreiches Manuskript (Zählung bis 500 Seiten!) unter dem Titel
"Die christliche Erkenntnis im Bewußtsein des Neuen Testaments"*.
214
Vgl. WP 10. - Das unveröffentlichte Manuskript (es liegt in mehreren Teilfassungen vor) trägt den
Titel "Der Mensch. Grundzüge einer christlichen Anthropologie"*.
215
Vgl. die kritische Ausgabe unter dem Titel "Ethik. Vorlesungen an der Universität München" (1993).
216
Die Anfänge dieser späten Vorlesungen, die in der "Existenz des Christen" vorliegen, gehen auf Ver-
anstaltungen im Rahmen der Tübinger Studentenseelsorge zurück. Zusammen mit dem damaligen Studenten-
pfarrer Alfons Auer entwickelte Guardini hier die Idee einer Art "Summa theologiae", einer katholischen
Glaubensschule für Studenten aller Fakultäten. Fünf Semester lang gehörten die gutbesuchten
"Mittwochabende" in der Johanneskirche zu den Aufgaben, denen sich Guardini besonders gern widmete.
Vgl. dazu Gerl, Guardini, 332; Knoll, Begegnungen, 93.
490 Erschließung des Glaubens

Darin wird noch einmal die anthropologische Relevanz aller theologischen Aussa-
gen festgehalten:
"Die Offenbarungswahrheit ist wesentlich Heilswahrheit. Sie ruft an und ver-
pflichtet. Sie deutet nicht nur, sondern begründet die Existenz des Menschen -
jedes Menschen, auch dessen, der über sie nachdenkt. Das tut sie, auch wenn
der Nachdenkende es nicht anerkennt; tut es unausweichlich, in jedem Augen-
blick und in Bezug auf alle Lebensinhalte."217
Es darf nach Guardini nicht nur - wie noch bei Wilhelm Koch (vgl. dazu Kapitel
II,l,c) - darum gehen, "welche praktischen, ethisch-religiösen Folgerungen sich aus
dem Inhalt der Offenbarang ergeben". Vielmehr muß gefragt werden, "wie das Dasein
des Menschen gebaut sei, der mit ihr in eine ernsthafte Beziehung tritt - wobei natür-
lich dahingestellt bleibt, wie weit der Ernst reicht und in welcher Weise er wirksam
wird."218 Der Existenzbegriff Kierkegaards, Jaspers' und Heideggers wird - in einem
allgemeineren Verständnis freilich219 - aufgegriffen, wenn Guardini formuliert:
"Wie ist die Existenz dessen geartet, der auf den Anruf der Offenbarung durch
Glauben antwortet; der mit diesem Glauben ernst zu machen sucht, und in dem
Maße, als er das tut?"220
Diese Frage soll nicht in bloß theoretischer Absicht gestellt werden, sondern so, daß
die Inhalte zur "Überzeugung" werden und der Mensch aus dieser Überzeugung
heraus leben kann.221 Die Leitidee dafür hatte Guardini bereits anläßlich des Katholi-
kentags von 1952 formuliert: "Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen."222 Zwar
schwächte Guardini diese sehr ausschließlich klingende These in doppelter Weise ab
- zunächst in der Formulierung "Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß"22*,
dann in dem noch allgemeineren Titel "Der Mensch im Licht der Offenbarung"224.
Hinter den eigentlichen Ansprach ging er jedoch nicht mehr zurück.
Hatte Guardini nämlich 1939 noch relativ bescheiden nach der Antwort der Offen-
barung gefragt, die in der Erschütterung der bisherigen anthropologischen Antworten
auf neue Offenheit stoßen könne,225 so wies er jetzt - nach dem Buch über das "Ende
der Neuzeit" und der als endgültige Demaskierang des neuzeitlichen Autonomismus
betrachteten Katastrophe des Totalitarismus - erheblich selbstbewußter all jene Theo-
rien zurück, die unabhängig von Gott das Wesen des Menschen bestimmen wollten.
Aus der Tatsache, daß sowohl ein materialistisches wie ein idealistisches, ein sozio-
logistisches wie ein individualistisches, ein deterministisches wie ein existentialisti-
sches Menschenbild gleichermaßen Ansprach auf Gültigkeit erhoben hatten, schloß er
nun, daß ein "autonomistisches" Denken gar nicht das Ziel erreichen konnte, das es
sich selbst einmal gesteckt hatte. Er fragte, ob die rechte Erkenntnis des Menschen

* ' ' Existenz, 5.


218
Existenz, 5f.
219
Vgl. Existenz, 6, sowie 425-431.
220
Existenz, 9; Hervorhebung von mir.
221
Vgl. Existenz, 10.
222
Vgl. Nur wer Gott kennt.
223
So der Gesamttitel der 4. Auflage von 1965, in der der ursprüngliche Text um zwei weitere, inhaltlich
nahestehende Beiträge erweitert ist ("Der Name des Menschen", "Gottes Nähe und Ferne").
224
So ist in der 4. Aufl. (siehe die vorhergehende Anmerkung) der ursprüngliche Beitrag überschrieben.
225
Vgl. WP 9.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 491

nicht überhaupt von Bedingungen abhänge, die das neuzeitliche Denken von vorn-
herein vernachlässige, weil es den Menschen nur aus der eigenen Natur heraus erklä-
ren wolle und die Beziehung zu Gott bewußt ausblende.226 In der Botschaft der
Heiligen Schrift von der Gottebenbildlichkeit des Menschen liege aber gerade das
"Unbegreifliche",
"daß Gott, wenn es erlaubt ist, so zu sprechen, die unendliche Fülle und voll-
kommene Einfachheit seines Wesensbildes in die Endlichkeit und Gebrechlich-
keit seines Geschöpfes übersetzt"227
Wenn das aber gelte, dann könne man sagen:
"Der Mensch ist Mensch nur in der Beziehung zu Gott. Das 'Von-Gott-her" und
'Auf-Gott-hin' begründet sein Wesen."228
Von dieser Voraussetzung her kann es auch gar nicht anders sein, als daß ein
Menschenbild, das diesen grundlegenden Bezug ausblendet, in widersprüchliche
Theorien auseinanderfällt und der Mensch sich dadurch gerade mißversteht.229 Als
der Mensch
"Gott losließ, wurde er sich selbst unbegreiflich. Seine unzähligen Versuche,
sich zu deuten, spielen immer wieder zwischen den beiden Polen: sich absolut
zu setzen, oder sich preiszugeben; den höchsten Anspruch auf Würde und Ver-
antwortung zu erheben, oder sich einer Schmach auszuliefern, die um so tiefer
ist, als sie gar nicht mehr empfunden wird."230
Ein kurzer Überblick über die Grundaussagen der biblischen Offenbarung beschloß
ursprünglich diesen Beitrag: Schon die "Ursünde" bedeutete das Heraustreten aus der
dem Menschen wesentlichen Gottesbeziehung; und erst die Offenbarung und Erlö-
sung in Christus schenkte dem Menschen wieder die Fähigkeit, sich selbst zu verste-
hen.231 Das tiefe Mißverständnis des Menschen, das Guardini für die Neuzeit regi-
striert, erhielt somit heilsgeschichtliche Relevanz; es konnte verglichen werden mit
der pathologischen Erscheinung der "Amnesie", in der jemand vergißt, wer er eigent-
lich ist. Der Mensch der Neuzeit ist
"fieberhaft tätig. Er leistet Ungeheures, um sich selbst zu bestätigen. Er bringt
die Welt in seine Macht, um sie als sein Werk aufzurichten. Im Grunde weiß er
aber nicht mehr, wer das Wesen ist, welches das tut, noch woher es kommt,
noch wohin es geht"232
Guardini sieht jetzt nur noch zwei einander immer härter gegenübertretende Daseins-
entwürfe, die nicht mehr vermittelbar sind, zwischen denen man sich vielmehr nur
noch entscheiden kann -
"die jenes Menschen, der den Ansprach erhebt, sein Dasein und sein Werk aus
ihm selbst heraus zu verstehen, und die des anderen, der seinen Namen immer-

226
Vgl. Nur wer Gott kennt, 12f.
227
Nur wer Gott kennt, 16.
228
Nur wer Gott kennt, 17.
229
Vgl. Nur wer Gott kennt, 18-21.
230
Nur wer Gott kennt, 21.
231
Vgl. Nur wer Gott kennt, 21-24, bes. 23.
232
Nur wer Gott kennt, 26.
492 Erschließung des Glaubens

fort aus dem Namen Gottes, und seinen Auftrag vom wirklichen Herrn
empfängt."233
Im Jahre 1953 legte er dann einen kleinen Beitrag vor, dessen Titel ebenso aussage-
kräftig ist wie derjenige des Katholikentag-Vortrags: "Die Annahme seiner selbst."2*4
Hier redet in erster Linie der Pädagoge, der darangeht, seine anthropologischen Ein-
sichten auf die konkrete Existenz des Menschen anzuwenden und dem Einzelnen
Lebenshilfe zu geben. Die Krise der Menschenbilder wird nun als eine persönliche
Lebenskrise verstanden, und hinter der gar nicht dezidiert christlich klingenden For-
derung nach der "Annahme seiner selbst" verbirgt sich nichts anderes als eben das
christliche Menschenbild. Der Glaube sagt, "daß mein Anfang in Gott liegt",235 daß
er derjenige ist, "der mich mir gegeben hat"236 Der gläubige "Zirkel" zwischen der
"Annahme" und Erkenntnis Gottes (vgl. oben Abschnitt 1) kehrt jetzt als anthropolo-
gisches Problem wieder:
"Wirklich um sich wissen kann man nur, wenn man sich wirklich annimmt - und
wirklich sich annehmen kann man nur, wenn man rein um sich weiß. Eines setzt
das Andere voraus."237
Von diesen früheren Aussagen her erschließt sich nun auch der eigentliche Sinn der
Vorlesungen über die "Existenz des Christen":
"Soviel weiß der Mensch, wer er ist, als er sich selbst aus Gott heraus versteht.
Dazu muß er aber wissen, wer Gott ist; und das kann er nur, wenn er Seine
Selbstbezeugung annimmt"238
Die theologische Anthropologie ist jetzt endgültig zu einer anthropologisch
"gewendeten" Theologie geworden, so daß Eugen Biser sagen kann, "daß es - abgese-
hen vom Schrifttum Rahners - kaum ein Werk der neueren Theologie geben dürfte,
das den Gedanken der anthropologischen Rückbezüglichkeit der Glaubenswahrheiten
so kraftvoll ausarbeitet wie die 'Existenz des Christen'"239. Mag Karl Rahner diese
Rückbezüglichkeit auch stringenter und konsequenter durchgeführt haben, vor allem
auch auf der Grundlage einer tieferen Auseinandersetzung mit der philosophischen
und theologischen Tradition,240 so ist doch nicht zu übersehen, daß Guardini auf
seine Weise dasselbe Ziel verfolgte.
Gleichzeitig forderte er aber in seinen "Theologischen Briefen an einen Freund", in
denen er - eher am Rande seines sonstigen Schaffens und im Ringen um noch unge-

233
Nur wer Gott kennt, 26.
234 vgl. Annahme (urspr. 1953 in der Reihe "Chrisüiche Besinnung", dann als eigenständige Veröffentli-
chung in 1. Aufl. 1960).
235
Annahme, 22.
236
Annahme, 21.
237
Annahme, 32.
238
Nur wer Gott kennt, 21.
239
Biser, Interpretation, 145; vgl. zum ganzen ebd, 138-145, sowie Anm. 44, 145-147.
240
Vgl. G. Becker, Theologie in der Gegenwart, Regensburg 1978, 108-112; Bleistein, Mystagogie; K. P.
Fischer, Der Mensch als Geheimnis. Die Anthropologie Karl Rahners, Freiburg i. Br. 1974; ders. Wo der
Mensch an das Geheimnis grenzt. Die mystagogische Struktur der Theologie Karl Rahners, in: ZKTh 98
(1976), 159-170; H. Vorgrimler, Karl Rahner verstehen. Eine Einführung in sein Leben und Denken, Frei-
burg-Basel-Wien 1988.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 493

löste Fragen - "Einsichten an der Grenze des Lebens" formuliert,241 eine Theologie,
die sich nicht mehr allein von der "Sorge um das Heil des Menschen" bestimmen läßt.
"Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß dieses Moment sein volles Recht hat.
Ist es aber das im Letzten Entscheidende? Müßte der Theologe nicht vor allem
um Gott Sorge tragen? Sich dafür verantwortlich fühlen, daß Er mit der ganzen
Majestät seines Herrentums im gläubigen Bewußtsein steht? Und wäre damit
das Anliegen des Menschen nicht schon ganz von selbst gewahrt?" 242
Auch in dieser im tiefsten Sinne theologischen Fragestellung wird also das anthropo-
logische Anliegen nicht vergessen; die Frage nach Gott kann keine andere Antwort
finden als eine solche, die für den Menschen von entscheidender Bedeutung ist.
Gerade in den "Theologischen Briefen" wird aber auch deutlich, daß viele Fragen
offen bleiben müssen bis zum "Jüngsten Gericht", über das Guardini im dritten Brief
nachdenkt.243 So ist im letzten Brief vom "Vertrauen" die Rede - Gedanken, die
Guardini als "Frucht einer langen Krankheit"244 vorstellt.
"Vertrauen worauf? Auf das Leben? Die Ordnung des Daseins? Jedes Abstrak-
tum wäre falsch; es muß vielmehr heißen: Auf Den, der die Welt geschaffen hat,
sie erhält und sie in einem letzten Sinne regiert. Das Entscheidende ist Gottes
Gesinnung, die es mit uns von Grand auf gut meint. Ist seine Weisheit, welche
die Verflechtung des Daseins durchschaut; die sieht, daß diese Verflechtung
zugleich Verwirrung ist, weil vom Anfang her etwas Zerstörendes darin wirkt,
nämlich die Empörung gegen Gott und seinen Willen. Ist endlich eine Macht,
die im Letzten den Sieg Seiner Gesinnung über den Zustand des Daseins bewir-
ken wird. Darauf zu vertrauen, ist der einzige Schlüssel, um bestehen zu kön-
nen."245
So gewinnt am Schluß von Guardinis Leben die eschatologische Dimension mensch-
licher Existenz immer größere Bedeutung. Dem Vortrag vom Katholikentag 1952 fügt
Guardini jetzt (zusätzlich zum Geschaffen-, Sünder- und Erlöstsein des Menschen)
noch einen "vierten" Gesichtspunkt hinzu: Was der Mensch sein wird, "wenn er ins
echte Ebenbild gelangt ist, wird erst deutlich am Ende, nach der Auferstehung und
dem Gericht. Dazwischen liegt das Kämpfen in der Verhüllung; das Werden im
beständigen Widerspruch."246 Hier schließt sich auch noch eine verblüffende Schluß-
bemerkung an, in der Guardini noch einmal das anthropologische Leitmotiv seines
Wirkens zusammenfaßt:
"Man könnte sagen, im Text des Glaubensbekenntnisses fehle ein Artikel; der
müßte lauten: Ich glaube an den Menschen, der gebildet wird nach dem Bilde
Christi; daß er in mir ist, trotz allem, und daß er, trotz allem in mir reife."241

241
Vgl. Theologische Briefe an einen Freund. Einsichten an der Grenze des Lebens.
242
Theologische Briefe, 7f.
243
Vgl. Theologische Briefe, 29-31.
244
Theologische Briefe, 62; vgl. ebd, 62-64.
245
Theologische Briefe, 63.
246
Nur wer Gott kennt, 28 [in der letzten Fassung von 1965 wurde der Passus S. 26-28 hinzugefügt, sowie
auch die Strukturierung nach den vier Grundbestimmungen christlicher Anthropologie im vorausgehenden
Text deutlicher hervorgehoben].
247
Nur wer Gott kennt, 28; Hervorhebung von mir.
494 Erschließung des Glaubens

e. Die bleibende Bedeutung der Kirche


Auch als die vorrangige Beschäftigung mit der Kirche einer christozentrischen Theo-
logie Platz gemacht hatte (vgl. dazu oben die Abschnitte 2,c und 3,b), wurde in
Guardinis Werk die Bedeutung der Kirche nicht einfach ausgeblendet; sie erhielt aber
einen neuen Stellenwert im Ganzen einer von den Kategorien "Offenbarung" und
"Personalität" her bestimmten und in Jesus Christus begründeten Theologie.
Guardini versuchte dabei, die Forderung Kierkegaards nach einer "Einübung" in
die "Gleichzeitigkeit" mit Christus (vgl. oben Abschnitt 2,b) mit der Wirklichkeit der
Kirche zu vermitteln.248
"Kierkegaard hat gesagt, der eigentliche Glaube sei jener, der sich im gleichzei-
tigen Hörer gegenüber dem dastehenden Offenbarungsträger vollziehe. Hier
allein liege das Wagnis; hier allein der echte Index der Glaubenssituation, näm-
lich die Möglichkeit des Ärgernisses. Der Gedanke enthält etwas tief Wahres.
Allein die Gleichzeitigkeit, die hier gefordert wird, kann nicht die unmittelbar-
geschichtliche zu Jesus Christus sein, denn die ist definitiv vorbei. Die Forde-
rung aber, sie durch geistiges Versenken und Vergegenwärtigen, durch Verzicht
auf alle Deutung und Hilfskonstruktion wieder aufzubauen, wie es die
'Einübung ins Christentum' will, ist unerfüllbar, ja phantastisch. Christus ist nun
einmal nicht mehr gleichzeitig. An einer anderen Stelle aber tritt die göttliche
Gleichzeitigkeit hervor, und wahrlich ohne daß der Einzelne etwas dafür zu
'üben' brauchte: Aus der gegenwärtigen Kirche. 'Wer euch hört, der hört mich.'
Hier ist Christus. Und hier ist auch die Möglichkeit des Ärgernisses."249
Mit dem Hinweis auf die "Gleichzeitigkeit" der Kirche führt Guardini auch die
Überlegungen zu ihrer Mangelhaftigkeit aus dem frühen Kirchenbuch weiter, auf
deren Problematik wir bereits an früherer Stelle (vgl. Kapitel II,3,b,cc) eingegangen
sind. Das "Ärgernis", das von menschlicher Schuld ausgeht, wird hier nicht genügend
von jenem wirklichen "Ärgernis" unterschieden, das in der "Menschlichkeit" Jesu
Christi gründet und in der "sichtbaren" Kirche, soweit Christus in ihr weiterhin prä-
sent ist, weitergeht. Hat man das letztere vor Augen, kann man sich aber dem sehr
realistischen Gedanken Guardinis nicht verschließen: "Gleichzeitigkeit" mit Christus
vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern in und gegenüber der konkreten Kir-
che, soweit durch sie Christus selbst spricht.
Ursprünglich sollte diese Kirche nach Guardini verhindern, daß "Gott" die Projek-
tion der eigenen Selbstbehauptung werde.250 Diese Funktion wird später aber Chri-
stus selbst zugeschrieben, während die Kirche nun als vermittelnde Instanz zwischen
den Glaubenden und den "Herrn" tritt. Schon im Jahre 1920 ist die These formuliert:

248
Vgl. Schilson, Ekklesiologie, 238f.; Mercker, Weltanschauung, 18-24; Faber, Kirche, 25, 79f, 84. -
Die "gedankliche Verknüpfung zwischen Kirche und der 'Gleichzeitigkeit' mit Christus" erfolgte jedoch nicht,
wie Mercker (ebd, 22) meint, erstmals in der Offenbarungsschrift (1940), sondern bereits in dem Aufsatz
"Der Glaube im Neuen Testament" (1930) (hier 404f.; s. Zitat weiter unten im Text).
249
Glaube, 404.
250
Vgl. Berichte, 72; siehe dazu Kap. II,l,c.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 495

"Nur durch Christus gelangen wir zum Vater. Aber nur durch die vom Heiligen
Geist geleitete Kirche zu Christus. Das ist das Grundgesetz des Christentums,
und es hilft nichts, sich dagegen aufzulehnen."251
Da Christus aber der Kirche nach Guardini nicht einfach nur gegenübersteht, sondern
in ihr selbst fortlebt, bleibt immer Christus der eigentliche Mittler; die einfache For-
mel "Durch die Kirche" muß ersetzt werden durch die präzisere Aussage "Durch
Christus, in der Kirche."252 Hierin sah Guardini immer die Hauptdifferenz zum evan-
gelischen Christentum, mit dessen Anfragen er sich in den letzten Jahren seines Wir-
kens wiederholt beschäftigte. Ein Vortrag vor einer evangelischen Gemeinde knüpfte
daher noch einmal an Kierkegaard an und versuchte verständlich zu machen, warum
dessen Forderung nach "Gleichzeitigkeit mit Christus" nur ekklesiologisch einzulösen
war.253
Zuvor schon hatte Guardini in der Universitätskirche St. Ludwig in München mit
Predigten über die Kirche begonnen.254 Aus ihnen entstand 1965 das zweite Kirchen-
buch, mit dem Guardini am Schluß seines Lebens noch einmal das frühe Thema in
neuer Weise behandelte.255 Neben den Predigtgedanken wurden auch die Überlegun-
gen zu Kierkegaard darin aufgenommen256 und geben nun dem Ganzen die eigentli-
che Ausrichtung. War früher nur vom "Sinn" der Kirche gehandelt worden (vgl. dazu
Kapitel II,3,b), so kommt jetzt neben dem "Auftrag" auch ihr bleibendes "Wesen" zur
Sprache.257 Ganz bestimmend wird jetzt das Bild des "Corpus Christi Mysticum", das
die Kirche wie einen lebendigen Organismus nimmt, der "geboren" werden und
Geschichte haben kann, und von dem aus auch die "Sichtbarkeit" dieser Glaubensge-
meinschaft begründet werden kann. Es ist nun ganz die "Kirche des Herrn", so daß
das, was über "Offenbarung und Verhüllung" des "Henn" selbst gesagt worden
war,258 nun erst recht auf die Kirche angewandt werden muß.259 Auf den Willen
Christi geht sie zurück und wird an Pfingsten geboren, um von nun an seine

251
Neue Jugend, 35. - Nicht erst im Spätwerk "Die Kirche des Herrn" wird also die Alternative "Gott -
Kirche" zu einer "Dreierreihe: Gott - Christus - Kirche" ausdifferenziert (so Mercker, Weltanschauung, 15).
252 vgl. Wesen des Christentums 1938, Anm. 10, 35: "Ein Inhalt ist christlich, sofern er durch Christus in
der Kirche gegeben ist." Darauf zielt auch die mißverständliche Formel von der "Elongatur der Menschwer-
dung" (vgl. Pascal, Anm. 16, 44; sinngemäß auch schon Sinn der Kirche, 50 u. ö.). Der Ausdruck geht wohl
auf Erik Peterson zurück, obwohl ein gleichlautendes Zitat bisher nicht nachgewiesen werden konnte (vgl.
Schilson, Ekklesiologie, 235-242, bes. 235f). Die Vorstellung von der Kirche als "Christus prolongatus" fin-
det sich auch bei Johann Adam Möhler (vgl. Symbolik, Bd. I (1958), 389, 353, 355; vgl. dazu Keller, Volk
Gottes, 47f.).
253
Vgl. Evangelisches Christentum (1958), bes. 230-233. Der Vortrag ist für Guardinis Verhältnisse un-
gewöhnlich persönlich gehalten; der Redner schildert seinen eigenen Weg zur Kirche und bekennt schließ-
lich, daß ihm zum Verständnis dessen, was darunter zu verstehen sei, vor allem der "große evangelische Den-
ker Sören Kierkegaard" geholfen habe (vgl. ebd, 230).
254
Vgl. Wahrheit und Ordnung Nr. 8-10 (überschrieben: "Die Kirche. Meditationen um Pfingsten").
255 vgl. dazu die Einführung "Zwischen zwei Büchern" (Kirche des Herrn, 105-113).
256 vgl. Kirche des Herrn, 150-161 (schon zuvor 1963 unter dem Titel "Dogma und Kirche - Weg in die
Freiheit" erneut veröffentlicht; für das Buch leicht bearbeitet).
257 vgl. der Untertitel "Meditationen über Wesen und Auftrag der Kirche"!
258
Vgl. Herr, 291-301 ("Offenbarung und Verhüllung").
259
Vgl. Kirche des Herrn, 141-149 ("Offenbarung und Verhüllung").
496 Erschließung des Glaubens

"pneumatische" Gegenwart in der Geschichte zu verwirklichen.260 So wird die Kirche


zur entscheidenden Instanz, der gegenüber der echte "Sprung" des Glaubens im Sinne
Kierkegaards erst möglich wird.261
Damit wird aber auch die Kirche eingeordnet in eine Theologie, die sich auf den
Kategorien "Offenbarung" und "Personalität" aufbaut, und erhält einen hervorragen-
den Platz in dem Spätwerk "Die Existenz des Christen".262 Seit der Ablehnung und
Kreuzigung Jesu sei - so wird darin ausgeführt - eine "neue Situation" entstanden, in
der der Auferstandene durch den Heiligen Geist den Glaubenden "inne" werden
müsse, damit er sich für die Nachfolge Christi entscheiden könne.263 Dies geschehe,
nach der Herabkunft des Heiligen Geistes, in der "lebendigen Ganzheit" der Kirche264
und bestehe nicht in einer Kenntnisnahme von Sätze und Lehren, sondern in der per-
sonalen Gottesbeziehung, der "christlichen Existenz".265 Es geht, wie schon in Guar-
dinis ersten Denkschritten, um den Weg des Menschen, der sich von Gott her neu
verstehen lernt und im "Hergeben" des "Von-Gott-Her" und "Auf-Gott-Hin" seine
eigene "Seele", d. h. sein "Selbst", erst in Wahrheit findet (vgl. Guardinis Auslegung
von Mt 10,39; dazu Kapitel II,l,c).
Von dieser personalen Beziehung her wird daher sogar die Heilige Schrift zugun-
sten der Wirklichkeit der Kirche relativiert. Schon zu Beginn des späten Kirchenbu-
ches führt Guardini aus, "Jesu Wille" sei nicht in die Richtung einer schriftlichen
Fixierung des von ihm Gesprochenen und Erlittenen gegangen.
"Er hat nicht Schrift und Buch als maßgebende Form für die Weitergabe des
Seinigen bestimmt, sondern hat... Boten bestellt, die verkünden und lehren soll-
ten. Für diese war dann das schriftliche Wort eine je nach den Umständen sich
nahelegende Ergänzung des mündlichen. ... Das ist für das erste Werden wie für
das fernere Wachsen und Sich-Vertiefen des Glaubens; für die Entfaltung der
Glaubensgedanken wie für die Selbstkritik des gläubigen Denkens von der größ-
ten Bedeutung. Aber die Botschaft Jesu wäre ihren Gang durch die Geschichte
gegangen, auch wenn die Urheber der Heiligen Schriften diese nicht geschrieben
hätten."266
Die Kirche als lebendige Ganzheit gelebter personaler Nachfolge ist für Guardini der
primäre Ort des in der Geschichte weiterwirkenden Christusereignisses. Dies zu beto-
nen, ist Guardini auch im Blick auf das vom II. Vatikanischen Konzil angeregte Kir-
chenverständnis wichtig. Das Konzil habe eine doppelte "Öffnung" vollzogen - in der
Richtung nach außen etwa zu den nichtkatholischen Christen und den nichtchristli-
chen Religionen und Mythen, in der Richtung nach innen im Verhältnis des Priesters

260
Vgl. Kirche des Herrn, 115-140. - Diese Ausführungen basieren ebenfalls auf dem Christusbuch (vgl.
Hern 278-284 und 545-551).
261
Vgl. dazu neben den Ausführungen über die "Gleichzeitigkeit mit Christus" (s. o.) den Abschnitt "Die
Kirche als Wahrerin und Erschließerin der Wahrheit" (Kirche des Herrn, 162-171).
262
Vgl. Existenz, 341-424: "Der Fortgang des Werkes Christi in der Geschichte: Die Kirche".
263
Vgl. Existenz, 355f.
264
Vgl. Existenz, 380-392.
265
Vgl. bes. die Ausführungen über den "Christlichen Einzelnen" (in Existenz, 425-513), in denen Guar-
dini ausdrücklich von einer "Theologie der Existenz" spricht.
266
Kirche des Herrn, 119.
Die Suche nach einer "anderen" Theologie 497

zu den Laien und besonders in der Liturgie.267 Guardini hebt auch hervor, daß jetzt
die "Welt" positiver gesehen werde - nicht nur als das "Profane und Gefährliche",
sondern auch, nein vor allem, als das "Werk Gottes ..., von Ihm geliebt und den
Menschen anvertraut"268 All dem steht er uneingeschränkt positiv gegenüber, denn er
sieht darin ein Anliegen des kirchlichen Aufbruchs seit den zwanziger Jahren, in dem
auch er selbst mit seinem Wort vom "Erwachen der Kirche in den Seelen" seinen
Platz gefunden hatte. Aber er äußert dennoch den Wunsch,
"... das Geschehen unserer Gegenwart möge zu keiner Verflachung oder Auf-
weichung der Kirche führen ,.."269
Er richtet diese Warnung nicht gegen das Konzil selbst und erst recht nicht gegen
Papst Johannes XXIII., dem er sein Buch über die "Kirche des Herrn" ja ausdrücklich
widmet, sondern an eine möglicherweise einseitige Rezeption der vom Konzil ausge-
henden Impulse.270 Er faßt das Anliegen seiner eigenen "Meditationen" zusammen,
wenn er schon zu Beginn zum Ausdruck bringt, "daß die Kirche 'Mysterium', und daß
sie 'Fels' ist."
"Sie ist 'Mysterium', weil sie ihrem Kern nach weder aus der Psychologie, noch
aus der Soziologie, noch aus irgendwelchen historischen Notwendigkeiten ent-
standen, sondern aus der Stiftung Christi und der Herabkunft des Heiligen Gei-
stes geboren ist."
Und sie ist "Fels", weil sie
"trotz aller Zeitbindungen unerschütterbar in der Unterscheidung von Wahr und
Falsch steht"271
Guardini fügt noch etwas hinzu, was ihm von Beginn an das entscheidende Anliegen
war - daß nämlich diese Unterscheidung keineswegs eine "Nichtachtung gegenüber
dem Einzelnen wie der Geschichte" bedeute, sondern gerade "aus Achtung vor dem
Menschen und seinem Gewissen" geschehe.272 Autorität dürfe nicht nach dem
Modell weltlicher Herrschaft ausgeübt werden, sondern nach dem Vorbild Jesu

zbl
Bereits am 11. 9. 1962 hatte Johannes XXIII. die Unterscheidung der Kirche ad intra und ad extra
eingeführt, und zwar inspiriert durch einen Hirtenbrief von Kardinal Suenens; damit war der Grundgedanke
der Pastoralkonstitution bereits eingeführt (vgl. Moeller, Pastoralkonstitution, 245). Ein Meilenstein war fer-
ner die Antrittsenzyklika Pauls VI. "Ecclesiam suam" vom 6. 8. 1964, die den Gedanken des Dialogs ins
Zentrum rückte und die Idee von den konzentrischen Kreisen einführte: dem Kreis der Ungläubigen, dem
Kreis der gläubigen NichtChristen, sowie dem Kreis der getrennten Christen; bereits am 18.5. war das Sekre-
tariat für die nichtchristlichen Religionen errichtet worden, am 8. 4. 1965 folgte ein entsprechendes Sekreta-
riat für die Nichtglaubenden (vgl. ebd, 261; Rahner/Vorgrimler, Geschichte des Konzils, 34-36, hier 35).
268
Kirche des Herrn, 112. Vg). dazu v. a. die Sicht der Welt in GS 2.
269
Kirche des Herrn, 112.
270 vgl. Kirche des Herrn, 112. - Ich kann nicht erkennen, daß Guardini das Kirchenbild des Konzils
"eher reserviert als zustimmend" beurteile (vgl. Mercker, Weltanschauung, 22). Beeindruckt spricht Guardini
sogar von der Zuversicht, mit der durch das Konzil "das Ewige in die gegenwärtige Geschichtsstunde hinein-
gesprochen wurde" (Kirche des Herrn, 110). Mercker meint auch, daß die von Guardini angeführten Themen
des Konzils von ihm selbst früher nur "unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung des Christlichen defen-
siv und abgrenzend behandelt" worden seien, während das Konzil "affirmativ" formuliere (vgl. ebd., 23). In
der Tat ist das Konzil optimistischer als Guardini. Aber liegt das in einem rückwärtsgewandten Beharren,
oder nicht vielmehr in einem Realismus, der bereits über die momentane Euphorie hinweg in die Zukunft
sieht?
271
Kirche des Herrn, 112 (Hervorhebungen von mir).
272
Vgl. Kirche des Herrn, 112f.
498 Erschließung des Glaubens

selbst, das heißt, in der Haltung des Dienens.273 Die Kirche stehe heute in einer
"pluralistischen Zeit", und nur in der Haltung des Dienens und der Liebe könne sie
Identität und Weltoffenheit gleichermaßen wahren. Nur in beidem kann sie nach
Guardini der Welt einen Dienst erweisen, und zwar einen für sie entscheidenden.274
Ganz neu für die Veröffentlichung von 1965 erarbeitet Guardini ein Kapitel über
den "eschatologischen Charakter der Kirche".215 Er verhindert, daß man die Kirche
einfach mit ihrer empirischen Wirklichkeit gleichsetzen kann; auch sie nämlich
unterliege dem Einfluß all dessen, "was irdische Begrenzung, geschichtliche Beein-
flussung, menschlich-irdische Unzulänglichkeit bedeutet"276 Noch einmal erinnert
Guardini an die Versuchung, die "Sinn-Hoheit der Verkündigung" mit empirischer
Macht gleichzusetzen und damit den wahren Charakter der Kirche zu verdecken, die
ja - wie es jetzt in deutlicher Anspielung an die Kirchenkonstitution heißt - "noch erst
die wandernde ist, unterwegs auf ein Kommendes zu; verdeckt, und nur im Glauben
zu erkennen."277
"Es war Symbol und vielfache Weisung zugleich, als Papst Paul VI. auf dem
Konzil die Tiara mit der dreifachen Krone auf den Altar legte, damit sie verkauft
werde, um von dem Erlös Hungrige zu speisen."278
Am Schluß seines Kirchenbuches kommt Guardini dann noch auf die Aufgaben einer
künftigen Ekklesiologie zu sprechen, die über die von ihm selbst vorgelegten
"Meditationen" hinausginge. Dazu zählt er das Nachdenken über die "Katholizität"
der Kirche, also über das "Spannungsvoll-Vielfache und doch immer sich selbst Glei-
che"279 - ein Grandanliegen seines eigenen Nachdenkens über Kirche von Anfang an.
In der "Existenz des Christen" spricht er zudem noch von der "communio"2*0 der Kir-
che - einem Gedanken, der immer deutlicher als der eigentliche Ertrag des konziliarcn
Kirchenverständnisses erkannt wird.281 Es gehe um eine "letzte Gemeinsamkeit des
Daseinsverständnisses, der Gesinnung, der Hoffnung"282, die sich besonders im
Gebet miteinander und füreinander, sowie in dem Verständnis des Anderen als des
"Nächsten" äußere.283
Gerade der "communio"-Gedanke gewinnt aber auch eine entscheidende Bedeutung
für etwas, das Guardini immer wichtiger wird: die Verantwortung für die Menschheit
bzw. die Welt überhaupt. Ganz im Sinne der Pastoralkonstitution wird das Bild einer
Welt entworfen, die immer mehr zu einem geschlossenen Daseinsraum zusammen-

273
Vgl. Kirche des Herrn, 137.
274
Vgl. Kirche des Herrn, 139f.
275
Vgl. Kirche des Herrn, 182-193.
276
Kirche des Herrn, 192.
277
Kirche des Herrn, 192.
278
Kirche des Herrn, 193.
279
Kirche des Herrn, 195.
280
Vgl. Existenz, 402-410.
281
Vgl. dazu auch Kasper, Kirche als communio. Überlegungen zur ekklesiologischen Leitidee des II.
Vatikanischen Konzils.
282
Existenz, 408.
283
Vgl. Existenz, 408f.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 499

rückt und eine besondere Anforderang an die Ausübung menschlicher Macht stellt284
Hier entsteht das Bewußtsein einer tiefen Solidarität der Kirche mit der Welt:285
"Sie realisierte diese Verantwortung schon in der Weise, wie ihre Leitung an das
Kirchlich-Ganze dachte. Die eigentümliche Weise aber, wie seit einigen Jahr-
zehnten die mündigen Christen in ihr hervortreten, wie ihr Gewissen sich für
diese Kirche selbst, aber auch, von ihr her, für die Welt verantwortlich weiß,
wird wachsen ... Vielleicht ist eine Vorstellung von der Kirche im Werden, die
neben jene tritt, von denen im Vorausgehenden die Rede war: der Kirche als
Gemeinschaft derer, die für das Dasein Verantwortung tragen."286
Der Dialog zwischen Glaube und Kultur, der sich in Guardinis Werk auf vielfältige
Weise vollzieht, mündet daher schließlich in die Aufgabe, die Kirche in ihrem Ver-
hältnis zur Welt zu bestimmen, d. h. ihren Dienst an der kulturellen Entfaltung des
Menschen neu zur Geltung zu bringen.

4. Die Zukunft des christlichen Glaubens

Unsere Darstellung von Guardinis Suche nach einer "anderen" Theologie endete mit
einem Überblick über sein spätes Kirchenverständnis. Dabei kam bereits ein Ge-
sichtspunkt zur Sprache, unter dem jetzt noch der Glaube insgesamt betrachtet wer-
den soll: die Frage nach der Zukunft dieses Glaubens.
Das unveröffentlichte Manuskript von 1933 über die "religiöse Offenheit der
Gegenwart" hatte - neben Aussagen über die kulturelle Situation selbst (vgl. dazu
Kapitel VI,2,a) - "Dringlichkeiten" formuliert, die für die Glaubensverkündigung und
die wissenschaftliche Theologie von entscheidender Bedeutung werden sollten. In ihr
waren jedoch auch Hinweise auf die konkrete Verwirklichung dieses Glaubens im
Leben des Menschen in der Gegenwart enthalten (vgl. dazu oben Abschnitt 3,a). Auf
diese Fragestellung kommen wir jetzt noch einmal zurück und verfolgen sie vor allem
im Hinblick auf jene offenen Fragen, mit denen Guardinis Denkweg schließlich
endet. Zunächst werden die wichtigen inhaltlichen Akzentsetzungen des Spätwerks
herausgehoben (a). Dann fragen wir nach Guardinis Prognose für die Glaubensgestalt
und Glaubenserfahrung nach dem "Ende der Neuzeit", indem wir zum Teil noch
einmal die zurückliegenden Phasen seiner Entwicklung rekapitulieren, bisher nicht
genannte Äußerungen ergänzen und ihre Wetterführung in der letzten Schaffenspe-
riode beobachten (b). Schließlich nehmen wir die Frage nach der "Liturgiefähigkeit"
des heutigen Menschen auf, mit der Guardini ein irritierendes Schlußlicht hinter seine
eigene liturgiepädagogische Tätigkeit setzte (c).

284
Vgl. Existenz, 409f. - Vgl. dazu Kap. VI,3.
285 vgl. dazu Kasper, Kirche als communio, 287f.
286
Existenz, 410.
500 Erschließung des Glaubens

a. Späte Akzentsetzungen
In einer Rundfunkansprache des Jahres 1961 ("Der Glaube in unserer Zeit") kommt
Guardini noch einmal auf die Frage nach den "Dringlichkeiten" des Glaubens in der
Gegenwart (vgl. oben Abschnitt 3,a) zurück.287 Die epochalen Veränderungen seit
1933 (Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit) haben offenbar eine
Situation geschaffen, in der behauptet werden kann, daß künftig "Fähigkeit und Be-
reitschaft zum Glauben überhaupt aufhören"288. Freilich - auch in früherer Zeit habe
der Glaube das "Umwerden des natürlichen Menschen" gefordert, sei also nie ohne
Widerstände zu erlangen gewesen. Um diese Schwierigkeiten gehe es jedoch hier
nicht, sondern vielmehr um die "besonderen Voraussetzungen", die für solche
"Metänoia" hinderlich oder förderlich sein könnten. Guardini ist nicht der Meinung,
diese Voraussetzungen seien heute völlig verschwunden.289 Er sucht vielmehr auch
jetzt nach "offenen" Stellen für den Glauben und verbindet damit gleichzeitig eine
neue Schwerpunktsetzung der Glaubensverkündigung.
Die entscheidende Herausforderung sieht er nun im Phänomen des Atheismus.290
Guardini hat eine klare Vorstellung bei diesem Wort; es meine "die grundsätzliche
Ablehnung des Gottes, der sich in der biblischen Offenbarung kundtut; darüber hin-
aus aber auch jeder irgendwie gearteten göttlichen Wirklichkeit"291 Es handelt sich
also um das gleiche Phänomen, das in Nietzsches Wort "Gott ist tot" beschrieben war
(siehe dazu auch unten in Abschnitt b,cc), nur ist es jetzt weniger als philosophische
oder geistesgeschichtliche Grundhaltung im Blick, sondern als politische Macht. Im
Kommunismus habe er sich zu einer "Weltmacht von heftigstem Angriffs willen"
entwickelt292 Aber überhaupt stecke er im Typus des "technischen" Menschen, der
meine, es gehe überall auch ohne Gott. Nun könne sich zeigen, "ob der Mensch wirk-
lich ohne Gott Mensch sein kann. Es ist das furchtbarste Experiment, das je unter-
nommen worden ist"293 Guardini ist offenbar der Meinung, daß dieses Experiment
fehlschlagen muß; eines Tages aber könne der Glaube wieder zeigen, welche Bedeu-
tung er für das Menschsein habe. Schon jetzt sei die Wirkung des Atheismus nicht nur
negativ, sondern führe auch zu einer entscheidenden "Klärung des religiösen Feldes".
Er zwinge zu einer klareren Entscheidung, "und die Christlichkeit, die aus dieser ent-
steht, weiß, welches ihre echten Gehalte und Maßstäbe sind..." Er beende auch end-
gültig die Reihe der neuzeitlichen "Säkularisierungen" (vgl. dazu Kapitel V,2,d und
VI,3,a,cc [7]); die Halbheiten des so entstandenen "Synkretismus" würden "der klaren

287 vg]. bes. Glaube in unserer Zeit, 93: "... wie der heutige Mensch zur biblischen Offenbarung stehe, der
ich mich verpflichtet weiß; ob und wie er - im Unterschied etwa zu jenem vor dem Wandel, den die großen
Kriege und die letzten wissenschaftlich-technischen Durchbrüche gebracht haben [-], durch sie ansprechbar
sei."
288
Glaube in unserer Zeit, 94.
289
Vgl. Glaube in unserer Zeit, 95.
290 vgl. bereits die Überlegungen Guardinis in: Religion, 126-133 ("Die negative Verarbeitung des Reli-
giösen").
291
Glaube in unserer Zeit, 96.
292
Glaube in unserer Zeit, 96.
293
Glaube in unserer Zeit, 97.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 501

Negation des Atheismus nicht Stand halten. Auch das zwingt zu einer Entscheidung,
in der die christliche Botschaft wieder ihren echten Sinn gewinnen wird."294
Als eigenen Punkt behandelt Guardini noch einmal die "Endlichkeit der Welt".295
Im Gegensatz zur anhebenden Neuzeit mit ihrem Unendlichkeitsgefühl stehe das
nüchterne Endlichkeitsbewußtsein der Gegenwart, denn dieses bilde eine wichtige
Basis für den biblischen Schöpfungsglauben:
"Dieser Sachverhalt öffnet die Erlebnismöglichkeit für jene religiöse Aussage,
die alle übrigen trägt: daß nämlich die Welt geschaffen ist und die schöpferische
Macht 'Gott' heißt. Die psychologische Chance, den Schöpfer der Welt zu erken-
nen und existentiell zu Ihm in Beziehung zu treten, ist unvergleichlich] größer
als sie es seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts war."296
Damit setzt Guardini noch einmal das christliche Personverständnis in Beziehung;
die "Seins- und Aktdichte der Person" werde genauso evident wie ihr Gegenspiel, die
Mächtigkeit der Materie, und genau dies werde in der "religiösen Erfahrung" der
Gegenwart und angesichts der Gewalttätigkeit des politischen Atheismus neu heraus-
gestellt: In ihr scheint "das Ich-Du-Verhältnis zu Gott die Verschwommenheiten des
Pantheismus und die Abstraktionen des Idealismus zu verdrängen ..."
"Es gibt in der geistigen Geschichte nicht viele Vorgänge, die so erregend sind,
wie dieser stille, durch die Welt gehende Kampf um die Unabhängigkeit der
Person. Letztlich wird er im Kampf um Gott ausgetragen: der Glaubende ge-
winnt das Bewußtsein, daß er, glaubend, für die Freiheit und die Ehre des Men-
schen steht"297
Nochmals etwas Entscheidendes vollzieht sich nach Guardini in der Gegenwart, und
zwar wiederum gefördert durch den "Randdruck" des Atheismus298: Die gegenseitige
Ablehnung der christlichen Konfessionen weicht dem Bemühen, sich wirklich zu ver-
stehen und einander näherzukommen; auch eine Annäherung an das Judentum findet
statt. Guardini spricht sogar von einer "Veränderung des Verhältnisses zwischen dem
biblischen Bewußtsein überhaupt und der aus anderen Quellen gespeisten Religiosität
der Weltvölker."299 Ja, sogar gegenüber dem Atheismus könne ein positiveres Ver-
hältnis gefunden werden; über die indirekt positiven Folgen hinaus, die diese Geistes-
haltung für die Selbstbesinnung der Glaubenden hat (s. o.), könne man nun zu verste-
hen suchen,
"wie er geworden ist; welche Kräfte in ihm wirksam sind; was er an Wirklich-
keiten in Welt und Gesellschaft besser erfaßt. Und, vor allem, welches Unrecht,
welche Fehler und Versäumnisse auf christlicher Seite ihn herausgefordert

294
Glaube in unserer Zeit, 98.
295
Vgl. Glaube in unserer Zeit, 98-100; vgl. auch Religion, 65-74.
296
Glaube in unserer Zeit, 99.
297
Glaube in unserer Zeit, 100.
298
Vgl. Glaube in unserer Zeit, 102.
299
Glaube in unserer Zeit, 104; vgl. ebd., 101-106.
502 Erschließung des Glaubens

haben; denn immer ist es auch eine Schuld des Glaubens, die den Unglauben zu
verantworten hat"300
Schon im Blick auf das späte Kirchenverständnis Guardinis haben wir außerdem
etwas wahrgenommen, was auch sonst in den letzten Äußerungen Guardinis auffal-
lend stark hervortritt: die Verantwortung des Christen für die Welt. Unter dem später
auch von Johann Baptist Metz verwendeten Titel "Theologie der Welt" hatte Guardini
bereits 1959 eine biblisch-christliche Grundlegung dafür geliefert.301 Während Metz
sich aber vor allem auf die politische Dimension konzentrierte, verblieb Guardini in
der Linie seiner anthropologischen Bestimmung von "Welt". Ein Rückblick auf die
unterschiedlichen Ausprägungen der Weltvorstellungen in der Geschichte verwies auf
den entscheidenden Beitrag des Christentums: die grundsätzliche Überwindung des
Mythos und die Begründung einer "durch das Wort der Offenbarung ernüchterten
Welt, aus welcher Götter und Götterschicksale verschwinden, um den Blick auf die
Wirklichkeit freizugeben."302 Die gewaltige Konstruktion des Mittelalters einerseits,
die die Welt als "Symbol des Ewigen", aber auch als vom Bösen geprägte Wirklich-
keit verstand, und das neuzeitliche Denken andererseits, in der die Welt immer
"eigenständiger" und die Wirklichkeit Gottes immer schwächer erscheint, hätten bei
den Christen, besonders den Katholiken, eine tiefe Unsicherheit gegenüber der Welt
hinterlassen.303 Die dadurch entstehenden Widersprüche seien immer noch nicht
wirklich verarbeitet; sie bewirkten,
"daß es heute ein einheitliches christliches Weltbild nicht gibt"304
Den Ansatzpunkt für ein solches sah Guardini in den biblischen Schöpfungsberich-
ten:305
"Heute scheint es darum zu gehen, daß die Welt deutlich als das erkannt werde,
was sie ist: Werk Gottes; als solches, wie der Schöpfungsbericht (Gen 1,3-31)
siebenmal sagt, gut und sehr gut von Ihm geliebt und dem Menschen anver-
traut"306
Die gläubige Verantwortung für die Welt bisher vernachlässigt zu haben, stelle nicht
nur ein "Versäumnis" dar, sondern sei "wirkliche Schuld". "Der Christ hat die Welt
weithin ihr selbst - das heißt aber, dem Unglauben und seinem Herrschwillen über-
lassen."307 Gerade angesichts der ungeheuerlichen Gefahren, die aus einem von Gott
losgelösten Machtwillen kommen können, sei hierbei eine Kurskorrektur dringend
nötig. Ein verstärkendes Motiv entspringt aus dem christlichen Gottesbild, das nicht
den "Absoluten" vor Augen stelle, sondern den "Lebendigen Gott", dem diese Welt so

JU0
Glaube in unserer Zeit, 102. - In diesem Punkt hat das II. Vatikanische Konzil eine neue Basis
geschaffen, indem es als das Gemeinsame zwischen Christen und Atheisten das "humanistische" Interesse be-
tonte (vgl. GS 19-21; DH 4319-4321).
301
Vgl. Guardini, Zur Theologie der Welt (1959); Metz, Zur Theologie der Welt (1968). Der Beitrag
Guardinis ist auch im Nachlaßwerk "Existenz des Christen" enthalten; vgl. ebd, 484-494.
302
Theologie der Welt, 72.
303
Vgl. Theologie der Welt, 71-76.
304
Theologie der Welt, 76.
305
Vgl. Theologie der Welt, 69f.
306
Theologie der Welt, 77.
307
Theologie der Welt, 78.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 503

wichtig gewesen sei, daß er in die personale Einheit mit dem endlichen Geschöpf
habe eintreten wollen.
"So ist der Christ gerufen, mit dieser Intention Gottes ins Einvernehmen zu tre-
ten."308
Und es gehe nicht nur darum, Aufgaben "in" der Welt zu übernehmen; vielmehr sei
die Welt als solche ihm zur Aufgabe gesetzt und in die christliche Verantwortung
übergeben.309
"Es ist klar, daß auch dabei eine Gefahr entsteht: unter dem Deckmantel jener
Verantwortung in einer neuen Weise 'weltlich' zu sein. Aber immer hat ja das
Dasein den Charakter gehabt, daß es zum Guten und zum Bösen geführt werden
kann."310
Diese Überlegungen nimmt der Rundfunkvortrag von 1961 wieder auf, wobei dieser
zusätzlich auf eine "Theologie der Macht" verweist, die im Anschluß an die Genesis
zu entwerfen sei.311 Wie schon zuvor gibt Guardini der Überzeugung Ausdruck, daß
gerade der Beitrag des Glaubens in der jetzigen Situation entscheidend sein könne:
"Gegen die aus dem Grundcharakter der heutigen Situation erwachsende Gefahr
kann nur eine Instanz aufgerufen werden, die nicht im unmittelbaren Zusam-
menhang der Welt aufgeht, sondern fähig ist, aus ihm herauszutreten, und das
kann nur die Person in jener Freiheit und Verantwortung, die aus ihrer Unmit-
telbarkeit zu Gott erwächst ,.."312
Für diese Aufgabe gewinne besonders das Alte Testament an Bedeutung, das in der
bisherigen Theologie keine wesentliche Rolle gespielt habe.313 Schon in der Schrift
vom "Ende der Neuzeit" hatte Guardini gesagt, das Alte Testament zeige:
"den Lebendigen Gott, der den mythischen Weltbann ebenso durchbricht wie
die heidnisch-politischen Weltmächte, und den glaubenden Menschen, der, im
Einvernehmen des Bundes, sich auf dieses Handeln Gottes bezieht. Das wird
wichtig werden. Je stärker die Es-Mächte anwachsen, desto entschiedener be-
steht die 'Weltüberwindung' des Glaubens in der Realisation der Freiheit; im
Einvernehmen der geschenkten Freiheit des Menschen mit der schöpferischen
Freiheit Gottes."314
An anderer Stelle hebt Guardini auch noch die neue Bedeutung des christlichen Laien
hervor, dem die Verantwortung für die Welt in besonderer Weise anvertraut sei.315

308
Theologie der Welt, 80.
309
Vgl. Theologie der Welt, 80f.
310
Theologie der Welt, 81.
31
1 Vgl. Glaube in unserer Zeit, 106-110, hier 109f. (vgl. dazu Kap. VI,3,b,aa [2]).
312
Glaube in unserer Zeit, 109.
313 vgl. Glaube in unserer Zeit, 103. - In Guardinis eigenem Werk hatte das Alte Testament schon länger
immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die Reihe der Münchner Universitätspredigten begann mit einer Aus-
legung von Psalmen ("Der Geist der Psalmen"; vgl. Wahrheit und Ordnung, Nr. 1-4, erschienen 1956; 1963
unter dem Titel "Weisheit der Psalmen" herausgegeben). Später folgten Predigten zur Genesis (Nr. 11, er-
schienen 1956, sowie Nr. 12-16, erschienen 1957; 1961 unter dem Titel "Anfang aller Dinge" herausgege-
ben). Bereits aus den Jahren 1933/34 sind jedoch "Betrachtungen über Gestalten aus der Heiligen Schrift" er-
halten: Die ersten Menschen - Der Vater der Glaubenden (Abraham) - Der Kämpfer mit Gott (Jakob) - Got-
tesknecht, Führer und Gesetzgeber (Mose).
314
EdN 93.
315
Vgl. Der Heilige, 224-234; vgl. aber bereits WP 35f.
504 Erschließung des Glaubens

Um dies zu verdeutlichen, fragt er, welche Heiligengestalten dafür besonders typisch


seien. Es handle sich um den Typ des "unscheinbaren" Heiligen*16: "Der Mensch,
der diesen Weg geht, tut, was jeder tun müßte, der jetzt und hier seine Sache richtig
machen will. Nicht mehr und nicht weniger."317 Er brauche den "Heiligen der Außer-
ordentlichkeit" als ständiges Korrektiv, um nicht die Loslösung aus der unmittelbaren
Weltverbundenheit zu vergessen, die in den evangelischen Räten in besonderer Weise
zum Ausdruck komme. So gewinne er einen "geheimnisvollen Doppelcharakter", der
ihn von anderen unterscheide, die ebenfalls Verantwortung für die Welt übernähmen:
"... er meint die wirkliche Welt und ihre wirkliche Unordnung, mit einer Wahr-
haftigkeit und Unbeirrbarkeit, die größer ist, als irgendein Reformer sie haben
kann. Auf der anderen Seite weiß er aber, daß das, was er tut, in die Unbe-
kanntheit von Gottes Plan hineingezogen wird, der es verwendet, wo Er will -
vielleicht sogar erst im Gericht und in der neuen Schöpfung."318

b. Glaubensgestalt und Glaubenserfahrung am "Ende" der Neuzeit


aa. Der Glaube in der Reflexion
Hat Guardini in den eben behandelten Äußerungen nach neuen Inhalten des Glaubens
gefragt, so geht es jetzt um die veränderte Gestalt des G\aubensaktes. Die Überlegun-
gen dazu begannen schon früh. Bereits in der Schrift "Vom Leben des Glaubens"
(zwischen 1932 und 1934 entstanden)319 fragte Guardini nach der "erfahrbaren"
Seite des Glaubens, die wir "an uns selbst und an anderen beobachten können"320.
Die "verstehende Psychologie" des frühen Guardini, der Gedanke der "Struktur" und
der "Typen", die seiner Gegensatzlehre zugrunde lag, sowie die im Interpretieren
gewonnene Einsicht in die Vielfalt menschlicher Existenz wurden jetzt in eine Art
"Phänomenologie" des Glaubens eingebracht
Vorausgesetzt war der Grundsatz der Berliner "Antrittsvorlesung", daß der Glaube
selbst jenseits aller Typen stehe, sich aber gerade deshalb in allen Typen auszuprägen
vermöge. Die zentrale These lautete:
"Es gibt eine Fülle von Glaubensgestalten, die mit dem zusammenhängen, was
Art und Begabung heißt; der besonderen Struktur also, wie sie in der Veranla-
gung eines Menschen, eines Standes, eines Volkes, einer Zeit liegt. Sie bilden
gleichsam das besondere Feld, auf welchem der Glaube lebt. Sie bestimmen die
besondere Form seiner Entfaltung; die dem betreffenden Menschen eigenen Hil-
fen und Schwierigkeiten und die gerade ihm gestellten Aufgaben. In ihnen
drückt sich, möchte man sagen, der Beruf im Glauben aus."321

316
Vgl. Der Heilige, 216-219.
317
Der Heilige, 218.
318
Der Heilige, 233.
319
Vgl. teben des Glaubens (Buchausgabe 1935).
320
Leben des Glaubens, 13.
321
Leben des Glaubens, 112. Vgl. insgesamt den Abschnitt ebd, 98-116 ("Die Mannigfaltigkeit der Glau-
bensgestalten").
Die Zukunft des christlichen Glaubens 505

So gibt es nach Guardini bei jedem Menschen unterschiedliche wahlverwandte In-


halte innerhalb des einen umfassenden Glaubensgegenstandes;322 schon die Entste-
hung des Glaubens sei so vielfältig, als es Menschen gibt, obwohl in allen möglichen
Formen inurier dasselbe geschehe - ein "Verlieren der Seele", ein Anerkennen einer
"anderen Wirklichkeit", ja ein Leben von ihr her. 323 Es gebe eine "Typik" der Glau-
bensgeschichte und der Glaubenskrisen, wobei sich Guardini besonders für jene Kri-
sen interessiert, "die aus den entscheidenden Umlagerangen im Fortgang des
menschlichen Lebens selbst hervorgehen".324
In diesem Zusammenhang kommt er auch auf die Bedeutung der Erfahrung für den
Glauben zu sprechen. Dabei geht es nicht um jene Erfahrung, an die die Verkündi-
gung anknüpfen kann, um zum Glauben hinzuführen (vgl. dazu oben in Abschnitt a),
sondern um jene, die der einmal grundgelegte Glaube zu seiner weiteren Entfaltung
braucht. Ausgangspunkt ist der Satz Anselms von Canterbury: "Wer nicht erfährt, der
erkennt nicht; wer aber nicht glaubt, der wird nicht erfahren."325 Guardini sieht darin
eine Reihenfolge:
"Den Anfang bildet das Glauben. Der Glaube macht das Erfahren möglich. Aus
der Erfahrung endlich entspringt die Erkenntnis."326
Erst im Erfahren "erschließt sich die in sich selbst verborgene, in ihre Knospe gehüll-
te Wahrheits- und Wertfülle des Glaubensinhaltes auf, tritt klar in den Geist und
dringt lebendig ans Herz." 327 "Erfahren" bedeute aber zunächst einmal mit den Inhal-
ten des Glaubens, mit seinen "Wirklichkeiten, Gestalten, Ereignissen und Werten" zu
leben und mit ihnen "umzugehen".328 Zweitens bedeute es, daß der glaubende
Mensch "an Wirklichkeit gerät":
"Da wird er zum Handeln aufgefordert, zu einem bestimmten Handeln; aus Gott
her und auf Ihn hin. Ihm werden Kräfte gegeben, um das Dasein zu bewältigen.
Das alles, Forderungen, Antriebe, Kräfte versteht man erst, wenn man sie ver-
sucht" 329
Schließlich aber geht es darum, daß die geglaubten Inhalte selbst "wirklich" werden.
"Das meinte Kardinal Newman, wenn er von der 'Realisation' sprach:330 daß sie
aus dem Zustand des Gedachtseins, Gemeintseins, Gewolltseins, Festgehalten-
seins in den lebendiger Präsenz und Wirklichkeitsdichte übergehen. Damit kann

322
Vgl. Leben des Glaubens, 107.
323
Vgl. Leben des Glaubens, 15-28, bes. 26f.
324
Leben des Glaubens, 48; vgl. ebd., 43-56.
325
Leben des Glaubens, 119; Guardini zitiert hier ohne genaue Stellenangabe aus Anselms "Proslogion".
Ein Satz, der wörtlich dem angeführten entspricht, konnte von mir nicht verifiziert werden. Inhaltlich kreisen
jedoch viele Sätze um die gemeinte Stufenfolge. Vgl. etwa: "Dank Dir, guter Herr, Dank Dir, daß ich das, was
ich zuvor durch Dein Geschenk geglaubt habe, jetzt durch Deine Erleuchtung so einsehe, daß ich, wollte ich
es nicht glauben, daß Du existiert, es nicht einsehen könnte" (Anselm von Canterbury, Proslogion. Untersu-
chungen, lat.-dt. Ausgabe, hg. v. F. S. Schmitt, Stuttgart 1962, 4. Kap, 89).
326
Leben des Glaubens, 119.
327
Leben des Glaubens, 121.
328
Vgl. Leben des Glaubens, 122-124, hier 122.
329
Leben des Glaubens, 124; vgl. ebd, 124-126.
330
Zum Begriff des "Realizing" bei Newman vgl. Artz, Newman-Lexikon, 913f. Vgl. besonders die Stel-
len in: Entwurf einer Zustimmungslehre (8, 24, 53-55, 62, 83, 115, 128); ferner der Brief an Wilfrid Ward
vom 20. 12. 1884 (in: Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, 727f, bes. 727).
506 Erschließung des Glaubens

es lange dauern; sehr lange. Es kann einem Menschen auferlegt werden, Jahr um
Jahr im Dienst des bloßen Glaubens zu stehen, mühselig und fern. Einmal aber
kommt der Augenblick, da der Mensch nicht mehr den Glauben tragen muß,
sondern der Glaube selbst es ist, der den Menschen trägt."331
Auf diesem Wege aber tritt nach Guardini in der Neuzeit eine entscheidende Krisis
zutage, und zwar durch die große Bedeutung der "Reflexion".
"Nicht nur die Inhalte des Lebens, sondern das Leben selbst, sein Vollzug, sein
Umfeld, seine Voraussetzungen werden betrachtet. Und zwar, was hier ent-
scheidet, nicht konstruktiv betrachtet, sondern kritisch. Mit der Frage also: Wie
ist das zusammengesetzt? Warum und woher ist es so? Wovon hängt es
ab? ..."332
Dadurch verliert das Leben in gewissem Sinne seine Unmittelbarkeit, es sinkt "seine
Fähigkeit, meine Existenz zu tragen"333 und eine "Verdünnung" tritt ein. Zwar fallen
dadurch auch manche bisherigen Illusionen, und man kommt der geschichtlichen
Wahrheit näher; dies könnte dem Glauben sogar eher dienlich sein. Problematischer
ist, "daß das Leben selbst unsicher wird", daß dadurch seine "Tragfähigkeit für abso-
lute Inhalte" und die Intensität, mit der Sinngehalte realisiert werden können, schwin-
det 334 Im Mittelalter waren die "Ursprünge des Lebens" noch "so stark und lagen in
solchen Tiefen, daß kein Denken ihnen etwas anhaben konnte. Ja, ihre Seele, ihr
Gemüt, ihr Blut, ihr ganzes sprossendes Menschengewächs lebte mit solcher Kraft,
daß sie des Denkens bedurften, um dieses Leben zu objektivieren und so seine Gewalt
zu dämpfen." Auch das Glaubensleben sei von einer intensiven Erfahrung getragen
gewesen, so daß der Glaube bei allem Denken immer "Anfang" geblieben sei.
"Man denkt über die Glaubensinhalte nach, und über die ganze Welt aus dem
Glauben her; nicht über den Glauben selbst. Doch ja; auch über den Glauben
selbst denkt man nach; aber konstruktiv, nicht kritisch. Man denkt über den
Glauben nach, um die Wunder seiner Struktur zu betrachten; um zu sehen, wie
er zu anderen Erkenntnisformen stehe. Man nimmt ihn aber nicht unter den kri-
tischen Blick."335
Dies aber geschehe in der Neuzeit; im Zuge der lebensverdünnenden Wirkung der Re-
flexion werde jetzt die "Kraft des Glaubensaktes als Aneignung der Offenbarungs-
inhalte" geschwächt336 Trotzdem hält Guardini mit Entschiedenheit den "christlichen
Fundamentalsatz" aufrecht, "wonach jedem Menschen der Weg in den Glauben
offenstehe".

331
Leben des Glaubens, 127; vgl. ebd, 126-129. Als eine besondere Ausprägung dieses "Erkennens im
Glauben" beschreibt Guardini das, was "mit dem fragwürdigen Wort 'Mystik' bezeichnet wird, sobald man
nicht vorzieht, es einfach den Glauben in seiner Fülle zu nennen" (ebd, 130).
332
Glaube in der Reflexion, 280.
333
Glaube in der Reflexion, 282; vgl. ebd, 280-282.
334
Vgl. Glaube in der Reflexion, 284.
335
Glaube in der Reflexion, 279.
336
Glaube in der Reflexion, 284.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 507

"Das aber bedeutet, daß aus jeder psychologischen Verfassung heraus und an
jedem Punkt der christlichen Entwicklung der Akt des Glaubens vollzogen wer-
den kann."337
Also kann auch eine Schwächung der "glaubenden Sinnrealisierung" und "religiösen
Werterfahrangskraft" die "Realisierung"338 nicht unmöglich machen; sie wird nur
schwieriger und mühsamer. "Es ist jene Glaubenssituation, die das Newmansche
Wort ausdrückt: 'Glaube heißt, tragfähig sein für Zweifel.'"339

bb. "Realisierung" des Glaubens in der Zukunft


Die obigen Gedanken über den "Glauben in der Reflexion" hatte Guardini bereits im
Jahr 1928 niedergeschrieben - etwa zum selben Zeitpunkt wie die hermeneutischen
Überlegungen zur theologischen Schriftauslegung (vgl. dazu oben Abschnitt 2,a). In
diesen wird aber das Erkennen insgesamt als ein Begegnungsvorgang beschrieben;
jeder Gegenstand, vollends derjenige der Heiligen Schrift, sei erst dann wirklich er-
kannt, "wenn in diesem Erkennen sich die Innerlichkeit aktuiert; spezifisch aktuiert;
ebendadurch, daß dieser Gegenstand in diese Innerlichkeit hineingenommen
wird ..."340 Auf jeder Ebene des menschlichen Erkennens gehe es daher - so fährt
Guardini jetzt im Anschluß an Newman fort - um "Realisation":
"Es genügt nicht, daß jene Inhalte richtig 'gemeint', durch Hinweise bezeichnet,
zutreffend bestimmt, objektiv als geltend beurteilt sind. Der Sinngehalt soll im
Akt, im Lebensvollzug realisiert werden; das Maß aber dieser Sinnrealisation
hängt nicht nur von der objektiven Richtigkeit der Inhalte ab, sondern auch -
und immer genauer, je mehr es sich um die eigentlich personalen Sinngehalte
handelt - vom Gewicht des Akterlebnisses; vom Umfang und Tiefgang der Er-
fahrung; von der Lebendigkeit und Fühligkeit des realisierenden Aktes."341
"Richtigkeit" sei aber noch nicht "Wahrheit". Sie werde es erst, wenn sie "dem Er-
kennenden inne" geworden sei.342 Der Unterschied und damit auch die Spannung
zwischen "Wahrheit" und "Richtigkeit" sei um so größer, je höher die qualitative
Stufe des zu erkennenden Gegenstandes sei, am größten daher im Glaubens-
verhältnis.343
"Im Glaubensverhältnis findet sich im höchsten Maße jene Spannung, von der
wir oben gehandelt haben ... Die menschlich-konkrete Realisationskraft, die
Aneignungsfähigkeit, die Intensität der Wahrheitserfahrung, des Werterlebnisses
usf. stehen in einem wesenhaft unzulänglichen Verhältnis sowohl zum Inhalt als
auch zum - selbst geglaubten - übernatürlichen Aktkern des Glaubens- und
Liebesverhältnisses."344

337
Glaube in der Reflexion, 285.
338
Vgl. Glaube in der Reflexion, 290.
339
Glaube in der Reflexion, 290.
340
Heilige Schrift, 30.
341
Glaube in der Reflexion, 283.
342
Vgl. Glaube in der Reflexion, 291.
343
Vgl. Glaube in der Reflexion, 292-298.
344
Glaube in der Reflexion, 298.
508 Erschließung des Glaubens

Die Neuzeit füge dem nur noch eine besondere, zeitbedingte Unzulänglichkeit hinzu,
die einer "konstitutiven Schwächung der psychologischen Glaubenskraft - ich betone:
der psychologischen, erfahrungsmäßig prüfbaren Aktkraft." Sie sei von Glaubens-
zweifeln im eigentlichen Sinne verschieden und könne daher nicht einfach "gelöst",
sondern immer nur "getragen" werden.
"Und überwunden; besser: geheilt. Freilich, als Gesamtzustand, erst in weiter
Zukunft. Dann, wenn wir die Neuzeit überwunden haben. Wenn der Mensch,
der die Naivität des mittelalterlichen Glaubens verloren hat, und nun seit langem
durch die Reflexion geht, dieser gegenüber Stand gewinnt. Wenn er wirklich
mündig geworden ist; auch religiös mündig."345
Auch in diesem Zusammenhang kämpft Guardini also nicht eigentlich gegen die Neu-
zeit, sondern beschreibt die mit ihr gegebenen psychologischen Bedingungen, die die
"Realisierang" des Glaubens erschweren. "Überwindung" der Neuzeit bedeutet daher
nicht Rückkehr ins Mittelalter und Abkehr von der "reflektierenden" Grundhaltung,
die die Neuzeit heraufgeführt hat, sondern ein "Stand-Gewinnen" ihr gegenüber und
ihre Integration ins Christliche. Bis das der Fall ist, kann es freilich lange dauern;
Guardini spricht von der "Hoffnung auf ein Pfingsten"346 und erinnert wieder an
Newman, der die momentane Situation so zusammenfasse: "Wir wissen, wie es wäre,
wenn wir mit ungeschwächter Vollzugskraft glaubten. Wir wünschten, es wäre so.
Aber es ist nicht"347 "Realisierung" wird also zur Aufgabe; die Glaubensinhalte, die
zunächst ohne die Erfahrungsfülle und die Erlebnisintensität des Mittelalters schlicht
für wahr gehalten werden, müssen mehr und mehr lebendig vollzogen werden. Dies
sage bezeichnenderweise gerade Newman, "der das Problem des angestrengten Glau-
bens erfahren hat wie kaum ein theologischer Schriftsteller sonst" und "der den Glau-
ben definiert hat als die Fähigkeit, jene Unzulänglichkeit in beständiger Gehorsams-
anstrengung zu tragen."348 Ausdrücklich weist Guardini die (restaurative) Vorstellung
zurück, man brauche einfach dem "Katholizismus des Lebens und der Fülle" abzusa-
gen und sich zu einem "Katholizismus der Zucht" zu entschließen, der mit den "alten,
vor den letzten Krisen geläufigen Psychologien und Methoden" gleichzusetzen
wäre.349 In aller Entschiedenheit plädiert er dafür, sich der Zukunft zu stellen und lie-
ber eine Zeit der Ungewißheit zu ertragen, als vorschnell auf vergangene Glaubens-
muster zurückzugreifen.
"Wir müssen zugeben, was ist. Mehr: wir müssen das Große sehen, was da wer-
den will: Die gewaltige Aufgabe der durch die Reflexion gegangenen Glaubens-
haltung."350
Es sei ein Glaube mit einem "herben Ernst", der aber gerade dadurch der Gegenwart
gerecht werden könne und "der Maschine gewachsen" sei.351

345
Glaube in der Reflexion, 299.
346
Glaube in der Reflexion, 300; vgl. ebd, 303f.
347
Glaube in der Reflexion, 301.
348
Glaube in der Reflexion, 304.
349
Vgl. Glaube in der Reflexion, 302.
350
Glaube in der Reflexion, 303.
351
Vgl. Glaube in der Reflexion, 303.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 509

"Vor dem Reichtum des Mittelalters fühlen wir uns arm. Arm auch vor der, fast
möchte man sagen, dionysischen Glaubensfülle des Barock. Aber wir lieben
unsere Armut. In ihrer Strenge liegt eine Reinheit des Geistes."352
Nicht nur die natürliche Welt sei "entzaubert", sagt Guardini in Anspielung auf die
Formulierung Max Webers, sondern auch die christliche. Dies anzunehmen, sei nicht
Resignation, sondern Wahrheit. Die Glaubensgestalt, die daraus entstehe, sei ebenso
groß, in gewisser Hinsicht sogar größer als die des Mittelalters.353 Doch dies sei Zu-
kunft, und vorwärts gewandte Romantik sei ebenso schlimm wie eine rückwärts
gewandte. "Was uns zugewiesen bleibt, ist das Ausharren im Gehorsam jenes Glau-
bens, dessen ständige Leistung im 'Tragen von Zweifel' besteht"354
Diese Glaubensgestalt ist übrigens, wie Guardini später noch verdeutlicht, auf eine
psychologische Möglichkeit zurückzuführen, die nicht allein auf die Neuzeit
beschränkt ist. Es gebe grundsätzlich die "Glaubensgestalt der Fülle" und jene der
"Leere".
"Beides ist Glaube, nur von verschiedener Haltung. Jener ist von der Kraft seeli-
schen Erfahrens getragen. Daraus hat er seine Wärme, Nähe und Fülle; ebendar-
aus kann er aber auch phantastisch werden, genießerisch, unernst, unrein. Die
andere Haltung steht in einer Leere; doch in dieser Leere wird ein Sinnpunkt
aufgefaßt, und der trägt. Im Innern ist es kühl; aber die Kühle ist tapfer. Was ge-
schieht, geschieht aus Wille und Überwindung, und das hat große Reinheit"355

cc. "Nihilistischer" Glaube


Im Jahre 1961 wiederholt Guardini noch einmal die frühe Erkenntnis, der Glaube der
Zukunft werde ein "reflektierter", ein "angefochtener" Glaube sein - fähig, "Zweifel
tragen zu können" (Newman)356. Er sei "mühsamer" und "schwerer" als früher und
werde sich in die Treue zum gesprochenen Ja "einüben" müssen (Kierkegaard).357
Neben Kierkegaard taucht auch hier wieder sein Antipode Nietzsche auf; beide ziehen
ja unterschiedliche Konsequenzen aus demselben Bewußtsein der radikalen
"Endlichkeit".
Schon in der Dostojewskij-Interpretation hatte Guardini ausgerechnet in den
"Gottlosen" der Dämonen, in denen sich die Position Nietzsches spiegelt, Ansatz-
punkte für eine Glaubensgestalt der Zukunft entdeckt (vgl. dazu Kapitel V,2,a,cc).
1954 stieß er dann bei der Ausarbeitung einer Vorlesung über "Macht und Nihilismus
mit einer Stellungnahme zu Nietzsche"358 auf Heideggers Interpretation des Satzes
"Gott ist tot".359 Dabei wurde ihm klar, "in wie engem Zusammenhang das zu dem

552
Glaube in der Reflexion, 305.
353
Vgl. Glaube in der Reflexion, 305f.
354
Glaube in der Reflexion, 306.
355
Leben des Glaubens, 1 lOf.
356
Vgl. Glaube in unserer Zeit, 112f.
357
Vgl. Glaube in unserer Zeit, 113f, hier 114.
358 vg]. Wahrheit des Denkens, 87 (Tagebuchnotiz vom 23. 3. 1954). Guardini plante, aus dieser Thema-
tik "das dritte Bändchen nach "Ende der Neuzeit' und 'die Macht" entstehen zu lassen (ebd.).
359
Vgl. M. Heidegger, Nietzsches Wort "Gott ist tot" [urspr. 1943], in: ders, Holzwege, 205-263.
510 Erschließung des Glaubens
steht, was ich 1928 über den 'Glauben in der Reflexion' geschrieben habe. Wiesehr
das, was da gemeint ist, mein eigenstes Problem darstellt"360
"Hier liegt wirklich eine der Grundfragen von allem. Und der Grandentschei-
dungen: ob die hier gemeinte Struktur durch Willen oder Gehenlassen in den
wirklichen Nihilismus geht oder ob sie aufgenommen und zur Grundlage einer
sehr kargen, aber anständigen und ganz positiven Haltung gemacht wird."361
In der Interpretation Heideggers bedeutete das Wort "Gott ist tot", daß die übersinnli-
che Welt nunmehr "ohne wirkende Kraft" war. "Sie spendet kein Leben."362
"Jene übersinnliche Welt der Ziele und Maße erweckt und trägt das Leben nicht
mehr. Jene Welt ist selbst leblos geworden: tot. Christlicher Glaube wird da und
dort sein. Aber die in solcher Welt waltende Liebe ist nicht das wirkend-wirk-
same Prinzip dessen, was jetzt geschieht. Der übersinnliche Grund der über-
sinnlichen Welt ist, als die wirksame Wirklichkeit alles Wirklichen gedacht,
unwirklich geworden. Das ist der metaphysische Sinn des metaphysisch gedach-
ten Wortes 'Gott ist tot'."363
Heidegger fordert vor diesem Hintergrund einen "vollständigen" Nihilismus. Während
nämlich der "unvollständige" lediglich die leer gewordene Stelle durch etwas Anderes
ersetze,364 tue sich für den "vollständigen" an anderer Stelle etwas Neues, Entspre-
chendes auf- die neuzeitliche "Subjektivität",365 die schließlich in den Kampf um die
Erdherrschaft, in die "unbedingte Herrschaft des Willens zur Macht" führte.366 Der
Philosoph folgt der Spur des "tollen Menschen" Nietzsches, "der Gott sucht, indem er
nach Gott schreit",367 und hat dabei in erster Linie das in der abendländischen Ge-
schichte immer schon vergessene "Sein des Seienden" und das von ihm her erst wie-
der eröffnete "Denken" im Blick.368 Guardini dagegen fragt vor dem Hintergrund des
gleichen "Nihilismus" nach der Zukunft des christlichen Glaubens. Für ihn bleibt
Nietzsche die entscheidende Verkörperung jener Bedingungen, die der Glaube in der
Gegenwart vorfindet. Der Satz "Gott ist tot" meine,
"das numinose Element in der Welt-Erfahrung verfliege immer mehr; das durch
es Gemeinte werde immer wesenloser. Die Welt, die vorher mit Geheimnis ge-
sättigt war, wird immer hüllenloser. Sie verliert den Charakter der Schöpfung,
wird 'Natur'. Der Mensch bekommt immer stärker das Gefühl, mit ihr schalten,
sie nach seinem Belieben verwenden, ja das, was vorher 'Natur' war, nun selbst
leisten, als 'Kultur' machen zu können."369
Hier wird der "nach-neuzeitliche" Wille zur "Macht" mit den Formulierungen der
anthropologischen Schrift "Welt und Person" in Zusammenhang gebracht (vgl. dazu
Kapitel VI,l,c,bb). Inzwischen ist aber klar geworden, daß die "mühsame" Glaubens-
360
Wahrheit des Denkens, 86 (Tagebuchnoüz vom 11.3. 1954).
361
Wahrheit des Denkens, 87.
362
Heidegger, "Gott ist tot", 212.
363
Heidegger, "Gott ist tot", 249.
364
Vgl. Heidegger, "Gott ist tot", 221.
365
Vgl. Heidegger, "Gott ist tot", 251.
366
Vgl. Heidegger, "Gon ist tot", 252f.
367
Heidegger, "Gott ist tot", 262f.
368
Vgl. Heidegger, "Gott ist tot", 262f.
369
Gang der Geschichte, 140f.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 511
gestalt nicht nur eine Übergangserscheinung darstellt, die so lange gilt, bis die Neu-
zeit "überwunden" ist. Vielmehr wird sie gerade nach dem "Ende" der Neuzeit ak-
tuell; die geschilderte Spannung zwischen Fürwahrhalten und "Realisierung" dieses
Fürwahrhaltens in der eigenen Erfahrang erreicht jetzt sogar erst ihren Höhepunkt.
Das "Schwinden der religiösen Erfahrung"370 wird jetzt, angesichts der großen
Gefährdungen im Zeitalter der Macht, erheblich düsterer gesehen als 1928:371 Jetzt
gibt es keine "Geheimnisse" mehr, sondern nur noch "Probleme". Durch die Technik
geht die "Dimension des Nicht-Rationalen, Gewährten, Gnadenhaften, alles, was
'Vorsehung' heißt," verloren.372 Im Zeichen der "Masse" stumpft die Wahrnehmungs-
fähigkeit ab, der Faktor des "Geheimnishaften" verschwindet, stolz spricht man von
der "Zerstörung der Tabus", der Wert der einzelnen Person schwindet373
"Damit erwacht das Problem, ob denn Offenbarung und Glaube mit jenem Ab-
nehmen der religiösen Erfahrungen und Lebensakte selbst abnehmen müssen.
Ob daher die These, der Glaube habe darauf beruht, daß der Mensch rational
und technisch noch nicht mündig gewesen sei, nicht zutreffe?"374
Im Blick auf Nietzsches Formulierung wird die gestellte Frage wiederholt:
"Fällt mit diesem religiösen Element der Welt auch die Offenbarung dahin?
Wird mit dem religiösen Erfahren auch das Glauben sinnlos?"*15
Guardini ist natürlich nicht dieser Meinung; aber er ist bereit, die Frage in dieser Ra-
dikalität ernst zu nehmen. Es geht dabei um nichts geringeres als um die Möglichkeit
einer "nihilistischen" Glaubensgestalt, das heißt eines Glaubens, der bewußt auf die
früheren religiösen Erfahrungen verzichtet:
"Die Frage muß ... klar gestellt werden: Wie sieht echter Glaube an die Offenba-
rang in einem Menschen beziehungsweise in einer Epoche aus, in welcher jene
Verflüchtigung des 'Religiösen' herrschend geworden ist? Gehört er selbst zu
einer bestimmten Periode der geschichtlichen Entwicklung oder ist er für jede
möglich, ja verpflichtend? Wenn ja: Müssen wir dann annehmen, es gebe eine
geschichtlich bedingte Situation des, psychologisch gesprochen, 'nackten' Glau-
bens, des Glaubens ohne 'religiöse Erfahrung' ...[?] Worin besteht das, was in
solchen Augenblicken das Glauben nicht bloß möglich, sondern zur Pflicht
macht?"376
Überwog 1928 immer noch die Zuversicht, durch ein tapferes "Standhalten" werde
sich schon mehr und mehr die neue Glaubensgestalt herausbilden, die "der Maschine

370
So der Titel des fünften der "Theologischen Briefe" (vgl. ebd, 35-45, datiert vom 18. 12. 1963); leicht
überarbeitet wurde er an den Schluß des Sammelbandes "Sorge um den Menschen II" gestellt und erhielt da-
mit einen deutlichen Akzent (vgl. Gang der Geschichte).
371
Guardini schlägt ausdrücklich den Bogen zu den Gedanken von 1928 zurück: "Vor kurzem habe ich
etwas erlebt, von dem ich Dir berichten möchte. Angesichts einer an sich ganz nebensächlichen Erfahrung ist
mir ein Zusammenhang klar geworden, der mich seit sehr langer Zeit - seit fast vierzig Jahren - beschäftigt
hat" (Theologische Briefe, 35; in der veröffentlichten Fassung von 1966 weggelassen; vgl. Gang der
Geschichte).
372
Gang der Geschichte, 138.
373
Vgl. Gang der Geschichte, 138f.
374
Gang der Geschichte, 140.
375
Gang der Geschichte, 141.
376
Gang der Geschichte, 142.
512 Erschließung des Glaubens

gewachsen"377 sei, so ist diese Möglichkeit jetzt im eigentlichen Sinne des Wortes "in
Frage" gestellt. Guardini zweifelt nicht an der Zukunft des Glaubens als solchem,
aber daß dieser auch eine der kulturellen Entwicklung entsprechende Gestalt haben
könnte, ist ihm jetzt im wahrsten Sinne des Wortes frag-würdig geworden. Die Ver-
neinung der Frage würde die Rückkehr ins Ghetto bedeuten, aus der Guardini mit sei-
ner Generation ja in einer völlig anderen kulturellen Stimmungslage aufgebrochen
war. Eine Bejahung dagegen hätte Konsequenzen, die "die Pädagogik des gläubigen
Lebens, die religiöse Erziehung und Praxis, die 'Theologie' im weitesten Sinne" nach
Meinung Guardinis noch überhaupt nicht hinreichend in den Blick genommen
haben.378 Der Appell an die Kirche, sich dieser Frage zu stellen, beschließt wie ein
Vermächtnis die Reihe von Guardinis Veröffentlichungen.379 Guardinis Werk er-
reicht damit keinen Abschluß, sondern bleibt auch hier noch "auf dem Wege".380 Die
Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Kultur ist immer noch nicht abschließend
zu beantworten, sondern nur noch in besonders radikaler, eben "nach-neuzeitlicher",
Weise zur Aufgabe der Zukunft erklärt.

c. Die Frage nach der Liturgiefähigkeit

aa. Die Fragestellung


Zu den letzten Äußerungen Guardinis gehört ein Brief an den Dritten Liturgischen
Kongreß für den deutschen Sprachraum, der im Jahre 1964 in Mainz stattfand.381
Darin zog der 79jährige Verfasser Bilanz über die Entwicklung der Liturgischen Be-
wegung bis hin zum II. Vatikanischen Konzil, das eben stattfand und dessen Liturgie-
konstitution bereits veröffentlicht war. Aber nicht die hellsichtigen Rückblicke in die
Vergangenheit382 erregten damals Aufsehen, sondern eine Frage, die fast am Ende
des "Briefes" stand:
"Ist vielleicht der liturgische Akt, und mit ihm überhaupt das, was 'Liturgie'
heißt, so sehr historisch gebunden - antik, oder mittelalterlich -, daß man sie der
Ehrlichkeit wegen ganz aufgeben müßte? Sollte man sich vielleicht zu der Ein-
sicht durchringen, der Mensch des industriellen Zeitalters, der Technik und der
durch sie bedingten psychologisch-soziologischen Strukturen sei zum liturgi-
schen Akt einfach nicht mehr fähig? Und sollte man, statt von Erneuerung zu
reden, nicht lieber überlegen, in welcher Weise die heiligen Geheimnisse zu

77
Glaube in der Reflexion, 304.
378
Vgl. Gang der Geschichte, 141.
379
Der 2. Band von "Sorge um den Menschen" erschien 1966. Guardini hat die genannte Abhandlung
sicher ganz bewußt an den Schluß der Aufsätze gestellt. Damit handelt es sich um die letzte, von Guardini
selbst verantwortete Veröffentlichung (vgl. Mercker, Bibliographie, Nr. 1699ff.).
380
So der Titel des frühesten Sammelbandes (1923).
381
Vgl. Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der liturgischen Bildung.
382 vgl. dazu Schilson, Guardini und die liturgische Bewegung, 53f.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 513

feiern seien, damit dieser heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen
könne?"383
In der begeisterten konziliaren Aufbrachsstimmung mußte diese Fragestellung erheb-
liche Irritationen auslösen. Noch deutlicher als in seinem zweiten Kirchenbuch (vgl.
oben Abschnitt 3,e) setzte Guardini hier Gegenakzente. Durchkreuzte er dadurch aber
nicht seine eigenen lebenslangen Bemühungen um "liturgische Bildung"? Stellte nun
einer der herausragenden "Wegbereiter und Wegbegleiter der Liturgischen Erneue-
rung"384 nun die Liturgie völlig in Frage? Guardini selbst präzisierte aber anläßlich
der von ihm entfachten Diskussion sein Anliegen; er habe sagen wollen,
"daß die liturgische Pädagogik noch nicht zum Grandproblem vorgedrungen sei.
Dieses liege in der Frage, worin der tragende Akt des liturgischen Verhaltens
bestehe. Man hat den Eindruck, dieses werde meist vom Rationalen her verstan-
den, während es sich in Wahrheit um ein in der Neuzeit verlorengegangenes
religiöses Verhalten, den Kultakt, handelt. Wenn ich dann die Frage gestellt
habe, 'ob man, anstatt von Erneuerung zu reden, nicht lieber überlegen sollte, in
welcher Weise die liturgischen Geheimnisse zu feiern seien, damit der heutige
Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen könne', so war das durchaus kein 'in
Frageform gekleideter Vorschlag' ..., den liturgischen Akt überhaupt aufzuge-
ben, sondern ein energischer Hinweis, sich um das eigentliche Problem zu
bemühen."385
Eine von der Abtei Maria Laach veranstaltete Umfrage "Ist der Mensch von heute
noch liturgiefähig?"386 griff kurz nach dem Konzil dieses Anliegen auf. Es habe sich
gezeigt, "daß die Liturgiereform in der Tat noch vor gewaltigen Aufgaben zu stehen
scheint, und wir uns also, wie Guardini meint, mit dem, was noch zu tun ist, erst 'am
Anfang' befinden."387
Das von Guardini angesprochene "eigentliche Problem" war ihm freilich nicht etwa
erst im Alter aufgegangen. Verfolgen wir daher nochmals den Denkweg Guardinis
anhand seiner verschiedenen Äußerungen zur Liturgie, um so den Ansatzpunkt der
späten Frage zu verstehen und damit an einem für Guardini wichtigen Thema die
Problemstellung seiner letzten Lebensjahre nachvollziehen zu können.

383
Kultakt, 15f.
384
So der Titel eines Aufsatzes von Arno Schilson.
385
Zit. in einem Beitrag der Herder-Korrespondenz (1966): Ist der heutige Mensch liturgiefähig?, 518.
Guardini bezieht sich auf einen vorausgegangenen Artikel derselben Zeitschrift; vgl. Die deutschen Katholi-
ken nach dem Konzil, 300. In einem Gespräch mit Ernst Tewes hatte Guardini dieselbe Präzisierung ange-
bracht: "Es stellte sich heraus, daß die interessierte Öffentlichkeit sich dieses Satzes aus dem Brief besonders
annahm und ihn dahin interpretierte, Guardini stelle seine Arbeit in der liturgischen Erneuerung und diese
selbst in Frage; er verneine die Möglichkeit für den heutigen Menschen, Liturgie zu feiern. Ich habe in einem
Gespräch ihn über diese Interpretation befragt. Er war darüber erstaunt und sagte, er wollte mit diesen Fragen
die umfassende Aufgabe beschreiben, die anstehe. Er sei durchaus der Meinung, daß der heutige Mensch
liturgiefähig sei" (Guardini 1969, 137).
386
Vgl. Bogler, Liturgiefähig (1966).
387
Th. Bogler, Zur Einführung, in: ders. Liturgiefähig, 7-9, hier 8. - Vgl. auch die grundsätzlichen Über-
legungen von Burkhard Neunheuser im selben Band (vgl. Liturgiefähigkeit. Mindestmaß der Vorbedingun-
gen).
514 Erschließung des Glaubens

bb. Stationen eines Weges


(1) Im Aufwind der zwanziger Jahre
Der Brief von 1964 erinnerte selbst daran, daß die Frage nach "Liturgiefähigkeit"
bzw. "-Unfähigkeit" nicht etwa als neues Problem auftauchte, sondern schon den
Ausgangspunkt der Liturgischen Bewegung bildete. Die unmittelbare Vergangenheit
war nämlich dem rechten Vollzug des liturgischen Aktes keineswegs förderlich:
"Wenn ich recht sehe, war der typische Mensch des neunzehnten Jahrhunderts
zu diesem Akt nicht mehr fähig, ja er hat von ihm nichts mehr gewußt"388
Das religiöse Verhalten sei in dieser Zeit nämlich einfachhin das "individuell-innerli-
che" gewesen.
"Damit aber war der Sinn der liturgischen Handlung verloren, denn was der
Gläubige vollzog, war gar kein eigentlich liturgischer, sondern ein von Zere-
moniell umgebener privat-innerlicher Akt - nicht selten noch von dem Gefühl
begleitet, er werde ourch jenes Zeremoniell gestört. Von hierher mußten die Be-
strebungen der um die Liturgie Bemühten als eine Absonderlichkeit von Ästhe-
ten erscheinen, denen es am christlichen Ernst fehlte."389
Diese angeblichen "Ästheten" richteten aber den Blick vor allem auf das Gemein-
schaftlich-Objektive in der Liturgie. Guardini war ihnen darin gefolgt, obwohl er - im
Unterschied zu vielen "liturgisch Bewegten" - das Recht der privaten bzw.
"Volksfrömmigkeit" durchaus aufrecht erhalten wollte (vgl. dazu Kapitel II,3,a).
Seine Ausgangsfrage lautete bereits 1923:
"Ob jene Bildung derart an bestimmte Zeiten gebunden bleibe, daß sie mit ihnen
endgültig versinkt, oder aber ob es sich um gemeinmenschliche Wesensmöglich-
keiten handele, die immer wieder erwachen, sobald die Bedingungen dafür
gegeben sind."390
Doch die anthropologischen Anknüpfungspunkte fielen dem Pädagogen damals
gewissermaßen wie von selbst zu:
"Aus innerer Notwendigkeit wird unsere Zeit reif zur Liturgie."391
In einer solchen Situation konnte sich liturgische Bildung darauf beschränken, eine
Brücke zwischen dem neuerwachten Interesse der Zeitgenossen und den Formen der
Liturgie zu schlagen, was Guardini denn auch durch eine anthropologisch-kulturphi-
losophische Begründung der Liturgie versuchte. Abt lldefons Herwegen hat diese
Bemühung bereits damals durch den Begriff "Liturgiefähigkeit" gekennzeichnet392 In
den dreißiger Jahren aber war dann der Optimismus des liturgischen Aufbruchs ver-
flogen. Nicht nur das Buch über die Kirche wurde nun von Guardini bereits als ein
Zeugnis einer vergangenen Phase betrachtet, im Vergleich zu der jetzt "alles viel
schwerer" und "verwickelter" geworden sei;393 auch die frühe Schrift über den "Geist

388
Kultakt, 9.
389
Kultakt, 9f.
390
LB 12 [26].
391
LB 13 [27].
392
Vgl. Herwegen, Einführung, XIII.
393
Vgl. Sinn der Kirche, 16.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 515

der Liturgie" schien nun nicht mehr so recht zu passen: "Eigentlich geht es heute
nicht mehr an, diese Dinge in dieser Weise zu behandeln."394
Guardinis Schwerpunkt hatte sich seit seinem Aufsatz über das "liturgische Myste-
rium"395 inzwischen vom Anthropologisch-Kulturphilosophischen auf das Spezifisch-
Christliche verschoben, wobei die Beschäftigung mit der Liturgie immer mehr
zurücktrat Eine angemessene Neubesinnung auf die Liturgiefähigkeit des Menschen
erfolgte erst dann wieder, als Guardini in seinen biblisch-christologischen Schriften
einerseits, in der Interpretation kultureller Zeugnisse andrerseits die Beziehung von
Glaube und Kultur in einer grundsätzlicheren Weise thematisiert hatte.

(2) Die Epiphanie Christi in der Liturgie


Je weiter Guardini in die Frage nach Christus und der Existenz des Christen eindrang,
desto stärker kam er auch wieder auf die Liturgie zurück. Die zwei Bändchen zur
"Besinnung vor der Heiligen Messe", sowie die noch grundlegendere "Vorschule des
Betens", die noch während des Zweiten Weltkriegs erschienen,396 waren die beiden
wichtigsten Früchte dieser erneuten Zuwendung zur Liturgie.
Parallel zum "epiphanischen" Offenbarungsverständnis der dreißiger Jahre (vgl.
oben unter Abschnitt 3,c) entwickelte Guardini nun ein "epiphanisches " Liturgiever-
ständnis, an dem seine vom "Schauen" ausgehende Erkenntnistheorie einen wesentli-
chen Anteil hatte. Diese führte nämlich bei allen Themen dazu, den Schwerpunkt vor
allem auf die "Gestalt", den "Ausdruck", das innewohnende "Bild" eines Menschen,
eines Textes oder eines Vorgangs zu legen und nicht so sehr das "Wort" und den
Informationsgehalt einer Aussage hervorzuheben. Schon in der "Liturgischen Bil-
dung" von 1923 beschrieb Guardini daher das Menschsein als Ausdrucksgeschehen -
als Ausdruck der Seele im Leib, in den Dingen und im Leben der Gemeinschaft. So
sei liturgische Gebetshaltung "objektiver Ausdruck der Seele im Leib; Ausdruck des
Menschlichen in den Dingen; Ausdruck des Einzelnen in der Gemeinschaft"397. Ent-
scheidend war hier das Wörtchen "objektiv";*9* denn das, "was" zum Ausdruck kam,
war nicht eine individuelle Persönlichkeit (wie im privaten Beten), sondern das
"wahre Wesen des Menschen" - also eine "objektive" Größe, an der der Einzelne An-
teil gewann. Doch das wahre Wesen des Menschen bedeutete gleichzeitig, "Christo
eingebildet" zu sein, so daß die "Objektivität" nicht nur anthropologisch, sondern
christologisch zu verstehen war. 399 Diese Überlegungen führte der "Mysterium"-
Aufsatz weiter, indem er Liturgie als pneumatische Vergegenwärtigung des
"aeviternen" Christus verstand (vgl. Kapitel II,3,a,dd). Das dadurch vermittelte "Bild"
von Jesus dem Christus bildete daher, wie Guardini später - im Zusammenhang seiner

Jy4
Herwegen 49 (23. 4. 1934), 261 (anläßlich der neu durchgearb. 13714. Aufl., 1934).
395
Vgl. Mysterium (1925).
396 vg]. Besinnung (1939); Vorschule des Betens (1943). Eine gesonderte Überlegung richtete sich auf die
Grundgestalt der Heiligen Messe; vgl. Zu meinem Vortrag im Wiener Seelsorge-Institut (1943).
397
LB 74 [91]. Vgl. aber bereits das Kapitel "Liturgische Symbolik" in: Liturgie, 48-57.
398
In der Uberarb. Fassung (1966; jetzt GW 19) ist von "form- und gegenstandsgebundenem Ausdruck"
die Rede (91).
399
Vgl. LB 74 [92].
516 Erschließung des Glaubens

christologischen Überlegungen - hervorhob, eine wichtige Brücke zwischen den bibli-


schen "Christusbildern" und dem Leben des heutigen Menschen:
"Es enthält die gleiche Wirklichkeit, von welcher die Schrift redet, jedoch aus
den besonderen Bedingungen des Kultes, aus der Seelenlage der verfaßten
Kirchengemeinde, aus der objektiven Mystik des Sakraments und des Opfers
heraus geformt. Das Bild ist reich entwickelt und durch die vielfältigsten Bezie-
hungen mit dem täglichen Leben verbunden."400
Die Liturgie wurde von Guardini jetzt auch immer häufiger mit der Kunst in Verbin-
dung gebracht. Deren ursprünglicher Sinn sei die "Offenbarung der Bilder"401; sie
gehe hervor aus der Sehnsucht nach einer Welt, "wie sie sein sollte"402; darin liege
ihr "religiöser" und "eschatologischer" Charakter.403
"Das Kunstwerk sagt: Es gibt mehr als mich. Die Sphäre, in welcher dieses Ge-
heimnis ausdrücklich angerufen, zur Anschauung und zum Vollzug gebracht
wird, ist die Liturgie."404
Die frühen Gedanken über die Liturgie als "Spiel"405 wurden nun erneut aufgegriffen:
"In der Liturgie begegnen wir den Formen der Kunst: dem gestalteten Wort, der
stilisierten Gebärde, der dramatischen Handlung, dem Symbol, dem Lied und
der Musik, dem architektonischen Raum und so fort. Das alles aber nicht als
'Kunst' im oben geschilderten Sinn des Wortes. Kunst stellt das, was nicht ist,
im unwirklichen Raum der Anschauung dar; die Liturgie stellt nie dar, sondern
ist" 406
"Mysterium" und "Sakrament" seien bereits wirklich die "Durchbruchsstellen der
neuen Schöpfung. Wohl im Glauben; aber Glaube ist Vergewisserung von Wirklich-
keit"407 Dieses "Erscheinen des Göttlichen in sinnenhafter Gestalt"408 bezeichnete
Guardini als "Epiphanie". Hierin sah er überhaupt den Grundcharakter der Offenba-
rung; Christus sei die eigentliche Epiphanie, die nach Pfingsten in neuer Form weiter-
gehe.409 Jetzt erhalte auch die Liturgie eine wichtige Bedeutung für das "Aufleuchten,
Auftönen, Greifbar-Werden der heiligen Wirklichkeit"410
"Der Mensch sucht im Liturgischen, bewußt oder unbewußt, die Epiphanie, das
Aufleuchten der heiligen Wirklichkeit im kultischen Geschehen; das Auftönen

400
Bild, 20.
401
Bereiche, 213.
402
Bereiche, 215.
403
Vgl. Bereiche, 216; Wesen des Kunstwerks.
404
Bereiche, 218.
405
Vgl. Liturgie, 58-72.
406
Bereiche, 218.
407
Bereiche, 218. - Diese Gedanken fuhren auch zu der Unterscheidung von "Kultbild" und
"Andachtsbild"; ersteres stamme aus dem "Pneuma" (Kultbild, 167) und stehe in "Fortsetzung zum Dogma,
zum Sakrament, zur objektiven Wirklichkeit der Kirche" (ebd, 165). "Das Andachtsbild hingegen stellt eine
Steigerung dessen dar, was im gläubigen Menschen selbst lebt" (ebd, 166).
408
Liturgische Erfahrung (1950), 41.
409
Vgl. Liturgische Erfahrung, 41-51. - Die hinter diesen Aussagen stehende Struktur entspricht dem
theologischen Gesamtkonzept Guardinis; vgl. bes. oben Abschn. 2,c und 3.
410
Liturgische Erfahrung, 51.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 517

des ewigen Wortes im Sprechen und Singen; die Gegenwärtigkeit heiligen Gei-
stes in der Leibhaftigkeit des Greifbaren."41'
Aber das lebendige Sehen, ja die Offenheit der Sinne für diese "Epiphanie" schien im
Lauf der Geschichte verlorengegangen zu sein. Hier lag für Guardini der eigentliche
Grand dafür, daß der liturgische Akt in eine Krise geraten war:
"Aus dem Sehen ist ein Beobachten und Konstatieren geworden, an das nachher,
ordnend, verarbeitend, die Arbeit des abstrakten Verstandes anknüpfte. Damit
konnte man aber der Liturgie nicht Genüge tun, und von dorther kam der Nie-
dergang des liturgischen Lebens." 412
Man beachte den Imperfekt, hier verwendet wird: Gemeint ist immer noch die Litur-
gieunfähigkeit des 19. Jahrhunderts, die in der Gegenwart allerdings nachwirkte. Wei-
terhin glaubte Guardini an ein Wiedererwachen des liturgischen Bewußtseins:
"In einer Zeit, in der einerseits Begriffe und Formeln klappern, andererseits ein
dämonischer Materialismus alles ins Nur-Sinnenhafte zieht, möchte der Mensch
der ganzen Wirklichkeit inne werden, welche Körper und Geist, Gestalt und
Licht, Sein und Sinn ist - der heilen Welt" 4 1 3
Aber die Situation hatte sich gewandelt. Die begeisterte Freude wich immer mehr
einem beschwörenden Appell. Nicht mehr die Kultur als Ganze erschien nun "reif für
die Liturgie"; der Einzelne vielmehr mußte für eine bewußte Entscheidung zum litur-
gischen Akt gewonnen werden.

(3) Reform der Liturgie


Am "Ende der Neuzeit" (vgl. dazu Kapitel VI,3) fordert Guardini im Blick auf die
Liturgie zweierlei. Einmal mußten
"die Akte neu entdeckt werden, welche auf das Deutlichwerden jener Wirklich-
keiten in Zeit und Raum und Dinggestalt, das heißt, auf das epiphanische
Element der Liturgie gerichtet sind."414
Es ging also immer noch um die anthropologischen Grundlagen des liturgischen
Aktes, an die man aber nun nicht mehr einfach anknüpfen konnte, die vielmehr über-
haupt erst geweckt werden mußten. Auf der anderen Seite aber mußte nach Guardini
auch die Gestalt der Liturgie überprüft werden:
"Es muß aber auch, mit ebensoviel Entschiedenheit wie Besonnenheit, gefragt
werden, ob die konkrete Gestalt der Liturgie so ist, daß jene Akte sich auf sie
richten können."415
Der Aspekt der Liturgiere/orm, der in den früheren Schriften Guardinis kaum hervor-
getreten war, ist hier deutlich betont. Jetzt wird klarer, daß nicht nur der Mensch
selbst sich in die Liturgie einüben, d. h. "liturgiefähig" werden soll, sondern daß auch
die Liturgie so verändert werden muß, daß sie "erfahrungsfähig" werden kann, also -

41
1 Liturgische Erfahrung, 55.
412
Liturgische Erfahrung, 62.
413
Liturgische Erfahrung, 54. - Vgl. dazu bereits die im gleichen Band veröffentlichte Abhandlung von
1941 "Das Auge und die religiöse Erkenntnis"; siehe dazu auch unter VI.3,b,bh [2].
414
Liturgische Erfahrung, 73.
415
Liturgische Erfahrung, 73; vgl. ebd, 73f.
518 Erschließung des Glaubens

wie das Konzil dann sagt, 'das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum
Ausdruck bringen, und so, daß das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und
in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann."416 Der erkennt-
nistheoretische Grundansatz Guardinis kommt auch hier zum Tragen:
"Organ und Gegenstand bilden zusammen ein Ganzes, einen Bezug, in welchem
sich Dasein vollzieht. Wenn also das Auge wieder fähig sein soll, das Epiphani-
sche zu schauen, das Ohr, es zu vernehmen, die Hand, es zu begreifen, dann
muß der Vorgang der Liturgie so werden, daß das - soweit es sich um den Anteil
des Menschen handelt - auch möglich sei." 417
Die Gestalt der Liturgie sei aber selbst noch vom 19. Jahrhundert geprägt und zu
einem "Mittel der Belehrung und Erbauung, oder ein Ausdruck religiöser Festlich-
keit" geworden. "Sie hat weithin aufgehört, jener Raum, jene Lebensordnung, jener
Inbegriff von Geschehnissen zu sein, worin der Erlöste schauend, hörend, handelnd in
heiligen Bildern lebt" 418 Das "Heidentum" aber, das Guardini 1923 als Alternative
zur katholischen Liturgie heraufkommen sah, hatte sich in noch erheblich radikalerer
Form in Deutschland etabliert und die neu erwachte, aber "freischwebende"
Religiosität an Volk und Rasse gebunden (vgl. dazu Kapitel VI,2). Auch dadurch
hatte die liturgische Bildung für Guardini eine neue Dringlichkeit erhalten.
Im Jahre 1940, als die Liturgische Bewegung in ihre bisher größte Krise geriet und
Guardini mit seinem "Wort zur liturgischen Frage" zur Versachlichung der Diskus-
sion beitrug,419 äußerte dieser daher die Vermutung, die seelsorgerliche Arbeit werde
künftig
"in einem bisher nicht gekannten Maße auf das Eigentlich-Religiöse beschränkt
sein. Um so wichtiger also, dieses Eigentlich-Religiöse ganz rein und stark zu
gestalten. Es darf nicht nur auf 'das Praktische' ausgerichtet sein. Es darf nicht
ins Bloß-Erbauliche oder Allzu-Moralische abgleiten. Der ganze Reichtum der
Offenbarurgswahrheit muß es erfüllen. Das biblische Wort und der theologische
Gedanke müssen es bestimmen. Das christliche Vollkommenheitsbild muß groß
und begeisternd in ihm stehen. Die heiligen, sinnstarken Symbole der Kirche
müssen es erleuchten. Ihr Gemeinschaftsbewußtsein muß es tragen. Eine der
ersten und wichtigsten Bedingungen dafür ist aber, daß die Liturgie die Entfal-
tung erfährt, deren sie bedarf."420
Dies erfordere eine innerkirchliche Umorientierung, die der gewandelten seelsorgerli-
chen Lage gerecht werde.421 Guardini hat dieses Ziel nach dem "Zusammenbruch"
des "Dritten Reiches" nicht mehr revidiert. Was im Nazi-Terror durchgebrochen war
und im kommunistischen System noch weiter andauerte, war für ihn ja nur die poli-
tisch radikalste Gestalt einer allgemeinen Grundhaltung oder zumindest einer Gefahr,

416
Vat. II: SC 21,2.
417
Liturgische Erfahrung, 62.
418
Liturgische Erfahrung, 66f.
419 vgl. Wort zur liturgischen Frage (1940); dazu Schilson, Wegbereiter, 54-58; zur Entwicklung im
Ganzen vgl. Maas-Ewerd, Krise; Schilson, Liturgische Bewegung, 41-44. Guardini hat noch ein zweites Mal
Stellung bezogen; vgl. Zur Beurteilung der liturgischen Bestrebungen (1943).
420
Wort zur liturgischen Frage, 195.
421
Vgl. Wort zur liturgischen Frage, 195.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 519

die auch in einer demokratischen Gesellschaft wirksam blieb. Die Erneuerung der
Liturgie erhielt daher jetzt einen viel provozierenderen Charakter als diejenige unmit-
telbar nach dem Ersten Weltkrieg. Guardini erinnert an den missionarischen Charak-
ter, den sie schon in früheren Jahrhunderten gehabt habe:
"Die Historiker sagen uns, der stärkste Eindruck auf die heidnischen Völker sei
von den heiligen Handlungen der Eucharistie und den Sakramenten ausgegan-
gen. Ebenso wie man immer wieder die Erfahrung macht, daß es vor allem das
Verlangen, an ihnen Anteil zu haben, ist, was den Einzelnen zur Kirche
führt."422
Der rechte Vollzug des liturgischen Lebens helfe aber vor allem dem Glaubenden
selbst, "der Wahrheit der heiligen Handlung lebendig inne" zu werden, und daher
auch "den von außen Herantretenden zu überzeugen"423. Ja, um gegen die "totalitären
Mächte" wirklich gefestigt zu sein, müsse dem Einzelnen die Kirche "ins Blut gegan-
gen sein." Dafür habe aber das Leben der Liturgie größte Bedeutung.
"Die christlich-katholische Frömmigkeit besteht nicht nur darin, daß Messe und
Sakramente objektiv vollzogen werden; der Einzelne aber, sobald er fromm
wird, sich in sein persönliches Empfinden zurückzieht. Das ist nur der eine Pol
des religiösen Lebens. Der andere liegt in der Weite und Größe der Kirche
selbst. Der liturgische Akt aber besteht darin, dieses All-Leben der Kirche mit-
zuvollziehen."424
Und noch einmal erinnert Guardini daran, daß dies nur dann der Fall sei, wenn die Li-
turgie eine Gestalt habe, die dem Menschen gemäß sei.425

cc. Eine ungelöste Aufgabe


Wenn wir die verschiedenen Äußerungen Guardinis zwischen 1923 und 1964 noch
einmal Revue passieren lassen, erscheint die späte Frage nach der Liturgiefähigkeit
des heutigen Menschen also nur als die speziellere Fassung jener Frage, die Guardini
im Hinblick auf die Glaubensgestalt der Zukunft formuliert hat (vgl. oben
Abschnitt b):
"Wirdmit dem religiösen Erfahren auch das Glauben sinnlos?"426
Guardini ist dieser Meinung nicht; er sieht eine andere Glaubensgestalt heranwach-
sen - herber, aber echter und noch viel stärker von der personalen Entscheidung jedes
einzelnen Christen getragen, der auf die bisherigen "Stützen" an Erfahrang und kultu-
reller Bedeutsamkeit verzichtet, dafür aber ganz aus der eigenen Überzeugung heraus
lebt. Wie diese neue Form christlicher Existenz aber in einen liturgischen Akt umge-
setzt werden kann - das ist für Guardini nicht nur eine rhetorische, sondern eine
wirkliche, ihn selbst zutiefst aufwühlende Frage. Die christlichen Pädagogen der
Zukunft müßten sich daher zuallererst fragen, "ob sie selbst zum liturgischen Akt
gewillt seien".

422
Pius XII, 135.
423
Pius XII, 136.
424
Pius XII, 136.
425
Vgl. Pius XII, 136f.
426
Gang der Geschichte, 141; siehe dazu oben unter Abschn. b,cc.
520 Erschließung des Glaubens

"Schärfer ausgedrückt: ob sie überhaupt wissen, daß es ihn gibt, wie er beschaf-
fen, und daß er weder ein 'Luxus', noch eine Sonderbarkeit, sondern etwas Kon-
stitutiv-Wesentliches ist. Ob das, was sie darunter verstehen, nicht im Grande
das Gleiche sei, was zum Beispiel ein Seelsorger des ausgehenden neunzehnten
Jahrhunderts im Auge hatte, wenn er sagte: 'Wir müssen die Prozession besser
ordnen; sorgen, daß besser gebetet und gesungen wird' - er aber nicht bedachte,
daß die eigentliche Frage hätte lauten müssen: Wie wird das Gehen selbst zum
religiösen Akt, nämlich zum Geleit für den Herrn, der sein Land durchzieht,
wobei sich 'Epiphanie' ereignen kann?"427
Die eigentliche Frage lautet nach Guardini, "worin der alles tragende liturgische Akt
bestehe"428. Ihre Beantwortung sei vor allem durch das II. Vatikanische Konzil zur
Aufgabe gestellt429 Auf die "restaurative", die "akademische" und die "praktische"
Phase der liturgischen Bewegung430 habe diese Kirchenversammlung nämlich nun
eine vierte Phase eingeleitet,
"die sich mit dem lebendigen Vollzug beschäftigt und fragt: Wie ist der echte
liturgische Vorgang geartet - im Unterschied zu anderen religiösen Vorgängen,
dem individuellen und dem sich frei bildenden Gemeinschaftsvorgang der
'Volksandacht'? Wie ist der tragende Grundakt gebaut? Welche Formen nimmt
er an? Welche Fehlgänge bedrohen ihn? Wie verhalten sich die Anforderungen,
die er stellt, zur Struktur und zum Lebensbewußtsein des heutigen Menschen?
Was muß geschehen, damit dieser ihn in echter und redlicher Weise lernen
könne?"431
Erster Schritt zu einer Antwort aber ist eine Besinnung auf die Situation des Men-
schen in der gegenwärtigen Kultur. Und dabei kommt man um die Frage, ob denn der
Mensch der Gegenwart noch liturgiefähig sei, nicht herum. Diejenigen, die diese
Frage verneinen zu müssen glauben, dürfe man nicht von vornherein als
"Abgestandene" bezeichnen, sondern man müsse, ihre Anfrage aufnehmend, überle-
gen, "wie man - wenn Liturgie wesentlich ist - ihnen nahekommen könne."432 Guar-
dini sieht durchaus "ermutigende Zusammenhänge"; doch läßt sich auch hier die
Skepsis nicht verleugnen, die seine späten Veröffentlichungen überhaupt prägt433
Dreißig Jahre später scheint die Entwicklung immer noch nicht über die von Guar-
dini aufgeworfene Frage hinausgegangen zu sein. Vielmehr hat die Entfremdung
zwischen menschlicher Lebenspraxis und liturgischen Vollzügen inzwischen in
bedrohlicher Weise zugenommen. Jetzt erinnert man sich daher wieder, daß Guardini
sich schon damals - anders viele sogenannte "Praktiker"434 - nicht mit äußeren

427
Kultakt, llf.
428
Kultakt, 12.
429
Vgl. Kultakt, 9f.
430
Vgl. Kultakt, 14f.
431
Kultakt, 15.
432
Kultakt, 16.
433
Es ist also durchaus etwas Wahres dran, wenn manche in Guardinis "Brief" eine "an den Grundpfei-
lern rüttelnde Skepsis" wahrnahmen (vgl. Nachwort der Herausgeber, in: Guardini, Liturgie und liturgische
Bildung, 191-197, hier 197.).
434
Vgl. Schilson, Wegbereiter, 62.
Die Zukunft des christlichen Glaubens 521

Reformen zufriedengeben, sondern an die Grundlagen rühren wollte.435 Deutlicher


als unmittelbar nach dem Konzil erscheint er nun als ein noch in hohem Alter weit-
sichtiger Denker in liturgischen Fragen, dessen Anstöße trotz weitgehender liturgi-
scher Reformen immer noch nicht eingelöst sind.436 Seine Frage darf nicht als Auf-
forderung verstanden werden, sich mit der Entfremdung resignierend abzufinden. Sie
setzt vielmehr - in besonders zugespitzter Weise - noch einmal neu den Glauben in
Beziehung zu der kulturellen Situation, in der er verkündet, gelebt und - in der Litur-
gie - gefeiert werden soll. Das Liturgieverständnis, das den Pionieren der Liturgischen
Bewegung überhaupt eigen war, hat auch Guardini nicht aufgegeben. Liturgie war
von ihnen zu keinem Zeitpunkt als eine weitabgewandt-esoterische Zeremonie ver-
standen worden, sondern als ein bevorzugter Ort der Begegnung von Glaube und
Kultur - mit all den Nöten, die darin liegen, aber auch mit ihren oft übersehenen
Chancen.

5. Fazit

Wir haben in diesem letzten Kapitel unserer Untersuchung jene Schriften Guardinis
befragt, in denen der Autor versuchte, den Menschen seiner Zeit den Glauben zu
erschließen. Die Entwicklung verlief parallel zu jenen Denkschritten, denen wir in
den vorausgegangenen Kapiteln gefolgt sind, und erschien auf vielfache Weise mit
ihnen verzahnt. Es war also nicht nur so, daß Guardini "Leben", "Welt" und "Kultur"
des Menschen im Licht des Glaubens betrachtete; er versuchte auch umgekehrt, den
Glauben seinerseits im Licht von "Leben", "Welt" und "Kultur" zu thematisieren.
Damit löste er ein, was ihm nach eigenen Worten bereits von Anfang an vor Augen
stand - nämlich die Absicht,
"die Unbedingtheit des gläubigen Denkens mit dem unbefangenen Blick auf die
Wirklichkeit der Dinge und den Reichtum der Kultur ins Verhältnis zu brin-
gen."4*1
Unbedingtheit kennzeichnete in der Tat sein Verständnis des christlichen Glaubens,
den Guardini im Gefolge Kierkegaards und Pascals als qualitativen "Sprung" und
wirklichen "Anfang" in der Existenz eines Menschen bezeichnete (Abschnitt 1). Auf
dem Weg biblischer Mystagogie begann er daraufhin, den gläubigen Christen tiefer in
die Begegnung mit der Gestalt des "Herrn" hineinzuführen, damit dieser sich von sei-
nem Geheimnis ergreifen lasse (Abschnitt 2). Guardini hat ferner anfanghaft versucht,
435
"Daß der Liturgie nicht mit irgendwelchen Retuschen und Symptomkuren wirklich geholfen ist, son-
dern nur mit Radikalkuren, die tatsächlich an die Wurzel gehen und aus der Wurzel heraus wachsen, haben
mannigfache Irrwege, Halbheiten, Äußerlichkeiten und Nachlässigkeiten im Gang der konziliaren Liturgiere-
formen gezeigt" (Schilson, Wegbereiter, 50).
436
Vgl. Schilson, Wegbereiter, 48-50; Richter, Liturgiefähigkeit, bes. 137-140, 146-150, 158-163;
Marschall, In Wahrheit beten, 49 (leider die einzige Erwähnung dieses Themas in einem Buch, das sich doch
eigens mit Guardini als "Denker liturgischer Erneuerung" beschäftigt!).
437
Berichte, 86.
522 Erschließung des Glaubens

diese Bemühungen in eine "andere" Theologie einmünden zu lassen, die auf


"Offenbarang" und "Personalität" gründen und elementar auf die Existenz des Men-
schen bezogen sein sollte (Abschnitt 3). Gerade durch ihre Verankerang in der Tiefe
der menschlichen Person wurde nämlich die gläubige "Unbedingtheit" fähig, in einer
Kultur Stand zu gewinnen, die dem Glauben keineswegs mehr so offenstand wie noch
das Mittelalter oder in den wenigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als die Kirche
"in den Seelen" zu "erwachen" schien (Abschnitt 4). Der Verlust an Erfahrang - auch
religiöser Erfahrang -, den Guardini gerade in der Rückbesinnung auf sein frühes
Thema, die Liturgiefähigkeit des Menschen, aufzuzeigen wagte, forderte jetzt end-
gültig einen Glauben, der in der Person jedes Einzelnen begründet war. Nicht nur die
theologische Lehre, sondern auch die Praxis der Kirche und der Vollzug des liturgi-
schen Aktes mußten vor dem Hintergrund einer kulturellen Situation neu bestimmt
werden, die Guardini als eine Situation "nach" dem "Ende der Neuzeit" glaubte
bestimmen zu müssen.
Schluß

In unserer Untersuchung über das Verhältnis von Glaube und Kultur im Werk
Romano Guardinis haben wir einen weiten Weg zurückgelegt. Wir haben versucht,
der inneren Dynamik dieses Werkes zu folgen, gleichzeitig aber auch eine inhaltliche
Strukturierung vorzunehmen. Diese doppelte, historische und systematische Aspekte
miteinander verbindende Absicht hätte nicht bei jedem Autor in einem einzigen
Durchgang bewältigt werden können. Es gehörte aber zur besonderen Eigenart Guar-
dinis, daß er seine Themen in ständiger Bewegung hielt und eine theologische Syste-
matisierung ihm allenfalls als zukünftige Zusammenschau vor Augen stand. Die Fest-
stellung, die er seinem frühesten Sammelband vorausschickte, gilt daher im Grunde
für sein gesamtes Werk:
"'Auf dem Wege' sind diese Arbeiten entstanden. Richtiger noch: auf der Suche.
Nicht aus sicherem Besitz, sondern auf der Suche nach der wesenhaften Ord-
nung von Sein und Leben, darin alle Wirklichkeiten stehen, wie sie sind, an dem
Ort und in dem Rang, der ihnen zukommt"1
Eine Vorgehensweise, die Guardinis Schriften in den Kontext der Zeit und der Bio-
graphie ihres Autors stellt, hat daher den großen Vorteil, die tieferen Absichten und
das innere Werden einer solchen "Ordnung von Sein und Leben" ans Licht zu bringen
und damit dem Gesamtwerk gerechter zu werden als der Versuch, aus den vielen
Äußerungen einer gut sechzig Jahre umspannenden Schaffenszeit (ca. 1905 bis ca.
19662) ein möglichst einheitliches und spannungsfreies System herauszulesen. Es gibt
aber auch Nachteile, die jetzt - am Ende des Durchgangs - noch ein wenig aufgefan-
gen werden müssen: Wer sich der Dynamik eines Werkes anvertraut, verliert leicht
die Distanz, die nötig ist, um Stärken und Schwächen seiner Aussagen gegeneinander
abzuwägen und von der Gegenwart aus zu bewerten. Außerdem verlieren sich die
systematischen Gesichtspunkte leicht im historischen Geflecht der verfolgten Gedan-
kenstränge und partizipieren an der "Unübersichtlichkeit" des Werkes selbst3 Darum
muß abschließend das Ergebnis der Untersuchung noch einmal angeschaut (1), dann
bewertet (2) und schließlich ausgewertet werden (3), um - in Anlehnung an Guardinis
eigene Begrifflichkeit - nach dem Durchgang durch das "Lebendig-Konkrete" nun
auch noch deutlicher den Blick auf das "Ganze" zu gewinnen.
1
AufdemWege(1923),7.
2
Spätestens nach dem Wintersemester 1904/05 begann Guardini (unterstützt von Karl Neundörfer) mit
nicht erhalten gebliebenen Aufzeichnungen zu einer psychologischen Typenlehre (vgl. Kap. 11,1,b); die letzte
veröffentlichte Äußerung trägt den Titel "Vom Gang der Geschichte und von der Aufgabe des Glaubens" und
wurde 1966 dem Sammelband "Sorge um den Menschen II" hinzugefügt (vgl. aber bereits Theologische
Briefe [1963], 35-45).
3
Vgl. Balthasar, Guardini, 32f.
524 Schluß

1. Ein Blick zurück

Der erste Schritt dient einer nochmaligen Sichtung der vorgetragenen Ergebnisse. In
sieben Kapiteln wurde das Denken Guardinis im Spannungsfeld von Glaube und Kul-
tur dargestellt Die wichtigsten Aspekte sollen jetzt noch einmal genannt werden,
wobei es nicht um Vollständigkeit geht, sondern um Gewichtung - im Blick auf das
"Ganze".

Das Umfeld (Kapitel I)

Der Katholizismus präsentierte sich in Deutschland nach dem Ende des Ersten Welt-
kriegs als Alternative für eine zutiefst verunsicherte, an sich selbst irre gewordene
Kultur neuzeitlicher Prägung. Die Ghettoisierung des 19. Jahrhunderts schien über-
wunden. Auch die Auseinandersetzungen um den "Modernismus" konnten als über-
holt gelten. Die neu gehobenen Schätze der Liturgie und die als befreiend erfahrene
Zugehörigkeit zur Kirche boten offenbar genügend Nahrung, um den Katholizismus
als die entscheidende kulturelle Kraft der Zukunft ansehen zu können, auch wenn
kritische Stimmen zur Zurückhaltung mahnten und schon nach wenigen Jahren die
vorübergehende Annäherung der Kultur an den Katholizismus wieder abflaute.
Die Krise selbst hatte Wurzeln, die tief in die kulturelle Tradition des deutschen
Bildungsbürgertums hinabreichten. Sie hing mit einer "realistischen" Wende im
gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Leben zusammen, die den Einfluß der
"humanistisch" Gebildeten mehr und mehr untergrub und in ihrer Mitte ein kulturkri-
tisches, oft sogar kulturpessimistisches Potential freisetzte. Der Eindrack, am "Ende"
der Neuzeit (Guardini), ja der gesamten "abendländischen" Entwicklung (Spengler)
zu stehen oder gar "Abschied von der bisherigen Geschichte" (A. Weber) nehmen zu
müssen, wurde immer stärker und erreichte nach dem Ersten Weltkrieg seinen Höhe-
punkt. Ergebnis war jedoch nicht nur die Flucht ins Irrationale; es gab auch zu-
kunftsweisende Neuansätze im kulturellen Leben (z. B. die Jugendbewegung) und im
wissenschaftlichen Denken (z. B. die Lebensphilosophie oder die Phänomenologie),
in deren Gefolge teilweise auch wieder größeres Verständnis für die Kultur des Mit-
telalters und damit zugleich für die Bedeutung des Katholizismus wuchs. Freilich be-
gann sich daneben längst eine nicht mehr kirchlich gebundene Religiosität zu entwik-
keln; und die These vom "Untergang des Abendlandes" (Spengler) dachte nicht mehr
an ein neues Mittelalter, sondern an die Geburt einer radikal neuen, bisher nicht
dagewesenen Kultur.

Die Anfänge (Kapitel II)

Romano Guardini partizipierte in einer doppelten Weise an der kulturellen Krise zu


Beginn des 20. Jahrhunderts. Als Vertreter des neuen katholischen Selbstbewußtseins
("Pionier" der Liturgischen Bewegung, "Mentor" der katholischen Jugendbewegung,
Ein Blick zurück 525

"Vorposten" der katholischen Akademiker im liberal-protestantischen Berlin) leistete


er einen indirekten Beitrag, indem er die katholische Antwort auf die kulturellen Ver-
änderungen mitformulieren half. Längst zuvor hatte jedoch in den frühen psychologi-
schen Versuchen (ab 1905) auch eine direkte Auseinandersetzung begonnen, die
schließlich in die Gegensatzphilosophie einmündete. In ihren Anfängen verband sich
die Absicht, die "Struktur" der eigenen Persönlichkeit besser zu verstehen und in das
"Ganze" der Wirklichkeit einzuordnen, mit dem romantischen Polaritätsgedanken, der
es ermöglichte, die Vielfalt nicht mehr als Chaos, sondern als lebendige Spannungs-
einheit zu begreifen. Die weitere Ausarbeitung der Idee partizipierte dann in ihrer
Methode an der phänomenologischen Wende zum "Objekt", in ihrer inhaltlichen
Struktur an der Lebensphilosophie, wobei Guardini den reinen "Intuitionismus" durch
seine Gegensatztypologie, die Verabsolutierung des "Lebendigen" mit Hilfe persona-
ler Kategorien (Kierkegaard) zu vermeiden versuchte. Neben der Erkenntnistheorie,
in der Guardini "Begriff und "Intuition" als Einheit eines lebendig-konkreten Er-
kenntnisaktes ("Anschauung") vorstellte, fällt besonders die anthropologische Kon-
zentration der Gegensatzlehre und ihre Relevanz für das Verstehen von "Kultur" und
"Gemeinschaft" auf. Sofern diese nämlich im Lebendig-Konkreten wurzeln, partizi-
pieren nach Guardini auch sie an deren polar strukturierter Vielfalt; ihre Pluralität,
die sich herauszubilden beginnt und an der Guardini zunächst leidet, wird aus einem
chaotischen Wirrwarr zu einer durchsichtigen "Ordnung", innerhalb derer der Einzel-
ne den ihm selbst zugewiesenen Platz leichter finden kann.
Während Guardini auf diese Weise an den kulturellen "Suchbewegungen" partizi-
piert und dabei einen sehr eigenständigen Weg einschlägt, hat er darüber hinaus die
Notwendigkeit erkannt, seine "Seele" im Sinne von Mt 10,39 an Gott - also an eine
über aller Vielfalt stehende Instanz - zu binden. Die eigentliche religiöse Einsicht
Guardinis bestand jedoch darin, daß diese Bindung nur gegenüber der konkreten Kir-
che möglich war, die als innerweltliche Instanz des überweltlichen Gottes ihren
eigentlichen "Sinn" erfüllte. Auch für ihn stellte sich dieser "Sinn" besonders deutlich
in der Liturgie der Kirche dar, die Guardini deshalb den Menschen seiner Zeit er-
schließen wollte. Unter Vernachlässigung der eigentlich theologischen Fragestellun-
gen konzentrierte er sich vor allem auf die anthropologischen Grundlagen und die
kulturelle Gestalt der Liturgie, um damit deren Bedeutung für den suchenden Men-
schen deutlich zu machen; gerade durch ihre "Objektivität" hob sie den Menschen aus
der pluralen Lebenswelt heraus und vermittelte ihm den Sinn für das "Ganze". Das-
selbe galt für die Kirche insgesamt: Ihre Autorität konnte den Menschen erst wirklich
frei machen, wobei Guardini - und hier deutete sich bereits eine Weiterentwicklung
an - auch an die unverfügbare Eigenständigkeit der einzelnen Persönlichkeit erinnerte.
Sowohl für die liturgischen wie für die ekklesiologischen Aussagen konnte, da es in
erster Linie um die kulturelle Außengestalt ging, die Gegensatzphilosophie herange-
zogen werden, um jedes Übergewicht bestimmter kultureller Aspekte zu vermeiden
und die Vielfalt (des Lebendigen) in eine übergreifende Ganzheit (Kirche) zu inte-
grieren. In dieser Richtung interpretierte Guardini auch den Begriff der "Katholizität",
den er nicht ausschließlich auf die eigene Konfession bezog, sondern in einem quali-
526 Schluß

tativen Sinn deutete - als die gläubige Offenheit für das Ganze des menschlichen
Lebens.

Die Weichenstellung (Kapitel III)

Seinen wissenschaftlichen Weg begann Guardini als "zünftiger" Theologie, der sich
in seiner Promotion und Habilitation mit dem Werk Bonaventuras befaßte. Hier fand
er theologische Kategorien, die ihm in seinem künftigen Schaffen besonders wichtig
wurden ("Erlösung", "Corpus Christi Mysticum", "Lumen Mentis" u. a.), eine theo-
logische Tradition, der er sich künftig verpflichtet fühlte (die augustinisch-franziska-
nische Linie), sowie eine theologische Systematik, die ihm half, die Enge des neu-
scholastischen Systems zu überwinden. Guardini war daher vor allem an der
"Gestalt" dieser Theologie interessiert, deren mögliche "Pluralität" er ebenfalls mit
Hilfe der Gegensatzkategorien veranschaulichte. Erst als Dogmatik-Dozent in Bonn
konzentrierte er sich stärker auf das "Wesen" der Theologie, und zwar im Anschluß
an Anselm von Canterburys Axiom "Credo ut intelligam". Dabei interpretierte Guar-
dini den darin vorausgesetzten "Glauben" im Sinne seiner eigenen religiösen Grund-
entscheidung - als Bindung an Gott in der Vermittlung der Kirche -, die er nun aber
klarer auf ihren Ausgangspunkt, die Selbstoffenbarung Gottes bezog.
Nach seinem Wechsel auf den Berliner Lehrstuhl (1923) suchte er denselben Aus-
gangspunkt in einer wörtlich verstandenen "Welt-Anschauung" zur Geltung zu brin-
gen. "Katholizität" war jetzt immer noch die Offenheit für das Ganze des Lebendig-
Konkreten, wurde jedoch nun klarer im "über-typischen" Standort des sich selbst in
Christus offenbarenden und von der Kirche vertretenen Gottes begründet. Dieses
methodische Konzept stand in Spannung zum Berliner Diasporakatholizismus, der
vor allem eine profilierte Darlegung der katholischen Position erwartete; Guardini
bemühte sich in Wirklichkeit um ein Gespräch mit zeitgenössischen Reflexionen über
die "Typen" der Weltanschauung (bes. Dilthey und Jaspers), indem er deren Ergeb-
nisse bestätigte, ihnen aber gleichzeitig den "über-typischen" Blickwinkel des christ-
lichen Glaubens als Ergänzung anbot. Aus der Kultur selbst war in der Tat keine ein-
heitliche "Weltanschauung" mehr zu erwarten, da diese sich sofort in die Pluralität
unterschiedlicher Perspektiven auflöste; wohl aber war vom Glauben her ein Blick
auf das Ganze möglich, dessen Einheit freilich weniger in einem System von Inhalten
bestand, als vielmehr im "formalen" Ausgangspunkt einer in Gott gegründeten Exi-
stenz. Ein Überblick über die Vorlesungsthemen Guardinis hat uns gezeigt, daß die
hiermit vorgenommene Zielsetzung für sein gesamtes weiteres Schaffen bestimmend
blieb.

Die Konkretisierung (Kapitel IV)

Schon von früh an - innerhalb der liturgisch-ekklesiologischen Schriften und der


Gegensatzphilosophie, aber auch unabhängig davon - hatte Guardini die "Welt" in
Augenschein genommen. Eine besondere Bedeutung erhielt dabei der Blick auf die
Ein Blick zurück 527

konkrete kulturelle Situation. Erstaunlich war nicht, daß hier das Mittelalter als
zukunftsträchtiges Kulturideal ins Spiel kam, sondern lediglich, eine wie geringe
Rolle das christliche Element im Bild dieser Epoche zunächst spielte. Auch hier kam
nämlich eher wieder die Gegensatzphilosophie zum Tragen, wenn Guardini die
Balance von Subjektivem und Objektivem, von germanischer "Fülle" und antiker
"Form" als das entscheidende Kennzeichen des Mittelalters hervorhob und darin den
"klassischen" Charakter dieser Kulturgestalt erkannte.
Entscheidend wurde für Guardinis Kulturkritik aber dann die Auseinandersetzung
mit der modernen Technik, die er zum Gegenstand seiner "Briefe vom Comer See"
wählte. Wir konnten sehen, mit welcher Wehmut, aber auch mit welchem Abscheu
der "humanistisch" gebildete Autor die Zerstörung der klassischen Balance von Natur
und Kultur beobachtete, wie er aber andererseits die jüngere Generation, die zur
Flucht in eine romantisch erträumte "Natur" neigte, für eine Bejahung der künftigen
Kulturgestalt gewinnen wollte. Es ging Guardini selbst erst in einem mühsamen Pro-
zeß auf, daß mit den gewaltigen Umbrüchen der Gegenwart nicht etwa das Ende der
"Kultur" überhaupt, und auch nicht das Ende des "Menschen" gekommen war, son-
dern lediglich die Wende zu einer neuen, schwierigeren und gefährdeteren "Kultur".
Sie forderte einen neuen "Typ" des Menschseins - nicht mehr die reiche, aber im
Grunde doch elitär-aristokratische "Persönlichkeit" der Neuzeit, sondern den Men-
schen des Massenzeitalters, dem nichts mehr blieb als die unverwechselbare Würde
seiner Personalität. Personale Bildung war somit als entscheidende Aufgabe der Zu-
kunft erkannt, und auch der Denkweg Guardinis selbst mußte nun zielsicher von einer
Philosophie des Lebendig-Konkreten zu einer Interpretation der menschlichen Perso-
nalität fortschreiten.
Guardini hat dann auch grundsätzlich zum Kulturbegriff Stellung genommen:
"Kultur" wurde - in guter "humanistischer" Tradition - von der "Natur" abgehoben
und der Tätigkeit des menschlichen Geistes zugeordnet. Mit Hilfe der Gegensatzlehre
wurde jetzt aber eine "naturdistanzierte" durch eine "naturnahe" Geistestätigkeit
ergänzt. Ferner läßt sich zwar eine bildungsbürgerlich beeinflußte Wertung auch in
Guardinis Schriften nicht ganz verbergen; der Autor bemüht sich jedoch, den Kultur-
begriff auf eine Weise zu bestimmen, daß er nicht nur die "elitäre" Geisteskultur um-
faßt (und diese einer abfällig beurteilten "Zivilisation" gegenüberstellt), sondern alle
Tätigkeiten und Ergebnisse des menschlichen Geistes, auch diejenigen des techni-
schen und industriellen Zeitalters. So zeichnen sich verschiedene Bereiche innerhalb
der einen umfassenden "Kulturwelt" des Menschen ab, der gegenüber nun das Chri-
stentum das rechte Verhältnis gewinnen muß.
Wir konnten schon in den frühen Schriften Guardinis verschiedene Bezüge zwi-
schen Glaube und Kultur feststellen: Der Glaube nahm die Kultur in seinen Dienst,
um sich in der Liturgie oder in anderen Formen des christlichen Lebens zu entfalten.
Er konnte andererseits selbst - etwa im Mittelalter, das nun schließlich doch auch in
seinem religiösen Charakter gewürdigt wurde - zu einem prägenden Bestandteil der
Kultur werden. Sein Ursprung im Christusereignis bewirkte freilich, daß in beiden
Konstellationen der Glaube nie ganz in Kultur aufging, sondern diese immer wieder
kritisch in Frage stellte. Diese verschiedenen Aspekte wurden im kirchlichen und
528 Schluß

theologischen Umfeld der zwanziger Jahre weiter vertieft: und zwar einmal in der
protestantischen "Dialektischen Theologie" um Karl Barth, zum anderen in den davon
nicht unberührten Bemühungen katholischer Laien um eine klarere "Unterscheidung
des Christlichen", sowie schließlich innerhalb der neuen theologischen Klärungsver-
suche zum Verhältnis von Natur und Gnade, denen es insgesamt um eine Verabschie-
dung des klassischen neuscholastischen "Zweistockwerk"-Denkens ging. Wir konnten
feststellen, daß Guardini an allen drei Bewegungen partizipierte und den schwierigen
Versuch unternahm, sowohl dem Anliegen christlicher Unterscheidung, wie dem
einer "kulturkatholischen" Einheit von "Natur" und "Gnade" bzw. "Kultur" und
"Christentum" Rechnung zu tragen.
Mit Erich Przywara griff unser Autor dazu auf den katholischen Analogiebegriff
zurück, innerhalb dessen seiner Meinung nach nicht nur das Ähnlichkeitsmoment zu
beachten war (wie in der Neuinterpretation des alten scholastischen Axioms "gratia
supponit naturam et perficit eam" durch Theologen wie Karl Adam und Karl
Eschweiler), sondern auch das Moment der Unähnlichkeit, das Guardini in deutlicher
Anlehnung an Kierkegaard mit den Begriffen des "Ärgernisses" und dem Hinweis auf
die Wirklichkeit des Kreuzes zum Ausdruck bringen wollte. So entstand eine grund-
legende "Antinomie" im Analogieverhältnis von Christentum und Kultur - die Span-
nung eines "Ja und Nein zugleich", die letztlich auf keine Seite hin eindeutig aufge-
löst werden konnte, und zwar weder bei der Frage nach der grundsätzlichen Bewer-
tung der Kultur durch den christlichen Glauben, noch im Hinblick auf die Hilfsfunk-
tionen, die die Kultur innerhalb des Christentums zu leisten imstande war, noch
schließlich im Blick auf die Prägungen, die der Kultur umgekehrt durch das Christli-
che zukommen konnte.
Gerade der zuletzt genannte Aspekt gewann für Guardini besondere Bedeutung -
nahm er doch die Linie der göttlichen Selbstmitteilung in Christus und dessen
"pneumatisches" Weiterwirken in der Geschichte auf der Ebene der Kulturbegegnung
auf. Entscheidend war schließlich aber die eschatologische Perspektive: Sie erklärte,
warum es innerhalb der Geschichte überhaupt nicht zu einer eindeutigen und endgül-
tigen Einheit von Christentum und Kultur kommen konnte, und warum die
"Antinomie" nach keiner Seite hin einseitig aufgelöst werden durfte. Der letzte Schritt
sollte Gott selbst überlassen bleiben; das Bemühen, den Glauben in die Kultur hin-
einzutragen, wurde dadurch aber keineswegs (wie bei Kierkegaard und seinen Nach-
folgern) beeinträchtigt, sondern lediglich davor bewahrt, über das Ziel hinauszu-
schießen - sei es in (protestantisch-)"liberaler" Form (wogegen sich Kierkegaard und
Barth wandten), sei es in (katholisch-)"integralistischer" Weise (wie es im Kampf
gegen den "Modernismus" geschehen war und im Zuge eines neuen katholischen
Selbstgefühls leicht wieder geschehen konnte).
Auffällig war an dieser Stelle auch das besondere Interesse, das Guardini der
"religiösen" Erfahrang widmete. Er unterschied diese klar vom christlichen Glauben,
der von einer überweltlichen Instanz seinen Ausgang nahm, während die unterschied-
lichen religiösen Erfahrungen an der kulturellen Vielfalt selbst partizipierten. Auch
sie konnten letztlich auf "Offenbarung" zurückgeführt werden ("Offenbarung durch
das Sein der Welt"), unterschieden sich jedoch grundlegend von der expliziten, in
Ein Blick zurück 529

Altem und Neuem Testament bezeugten geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes.


Die "religiöse" Welt war somit nicht einfach nur ein Teil der Kulturwelt, wohl aber
ein mit dem kulturellen Schaffen des Menschen in Wechselbeziehung stehender
Aspekt innerhalb der "Welt".

Die Entfaltung (Kapitel V)

Guardinis interpretatorische Tätigkeit kann im Rückblick als besonders typische Ent-


faltung der Weltanschauungsaufgabe angesehen werden. Die Interpretationsmef/io^e
war vor allem von einem "existentiellen" Interesse geleitet: Es ging um die im Text
zur Sprache kommenden oder in ihm beschriebenen "Gestalten" und um eine persön-
liche Begegnung mit ihnen. Die ausgewählten Autoren waren außerdem allesamt in
der Lage, entweder die "kulturelle" Weltanschauung des neuzeitlichen bzw. des
gegenwärtigen Menschen zum Ausdruck zu bringen (Dostojewskij, Hölderlin, Rilke)
oder als geeignete Modelle gläubiger Existenz (Pascal, Augustinus, Dante) zu dienen.
So entstand ein Gespräch, in dem es nicht um ästhetische Liebhaberei, sondern um
die Suche nach der Wahrheit im Selbst- und Weltverständnis des Menschen ging.
Die inhaltliche Auseinandersetzung Guardinis konzentrierte sich vor allem auf die
Herausbildung einer "finitistischen" Grundhaltung, der begeisterten oder verzweifel-
ten Forderung reiner Endlichkeit, wie sie Dostojewskij in einigen seiner Gestalten
zeichnete; sie klang aber bereits bei Pascal an, wurde von Nietzsche und Kierkegaard
in unterschiedlicher (anti-christlicher bzw. radikal-christlicher) Weise aufgenommen
und fand schließlich im Denken Martin Heideggers seinen Ausdruck. Die radikale
Bindung des "Herzens" an Gott, mit der Pascal - ähnlich wie dann auch Kierkegaard -
auf die Erfahrung der reinen Endlichkeit reagierte, führte an jenen Punkt zurück, den
Guardini im Zusammenhang seiner kulturkritischen Schriften benannt hatte: zur
menschlichen Personalität, die jetzt auch zu einem ganz "personal", also in der Tiefe
des Menschen selbst - und nicht in weltlich-kulturellen Ausdrucksformen - veranker-
ten Glauben führte.
Schon in der Begegnung mit Pascal, noch ausdrücklicher aber in der Augustinus-
Interpretation, setzte sich Guardini aber auch mit der neuzeitlichen Autonomieforde-
rung auseinander. Wir sahen, wie Guardini die Grenzen der augustinisch-mittelalter-
lichen Tradition, der er selber folgte, nun deutlich markierte und hierbei sogar von
einem "religiösen Kurzschluß" sprach, der die Eigenbedeutung der "Welt" außer acht
lasse und die Wirklichkeit Gottes allzu unmittelbar ins Spiel bringe. Demgegenüber
konnte Guardini einer recht verstandenen "Autonomie" durchaus etwas abgewinnen,
und in ihr sogar einen wichtigen neuzeitlichen Erkenntnisfortschritt erkennen. Eine
Brücke dazu schien ihm Dante zu sein, der die augustinische "Innerlichkeit" nach
"außen" wendete und so als "Dichter der irdischen Welt" (Auerbach) interpretiert
werden durfte. Doch letztlich blieb auch er ein Mensch des Mittelalters, der nach
Guardini den entscheidenden Schritt in die "Weltlichkeit" der Neuzeit noch nicht
gehen konnte, damit aber auch kein Modell für einen Glauben abgab, an dem sich ein
von der Erfahrung reiner Endlichkeit geprägter Mensch orientieren konnte. Demge-
genüber interpretierte Guardini Hölderlin als einen neuzeitlichen Menschen, der von
530 Schluß

der Erfahrung autonomer Weltlichkeit her den Weg zum Glauben suchte, dabei aber
über einen echt religiösen, aber dennoch "vor-" bzw. "nach-christlichen" Götterglau-
ben nicht hinauskam.
Gerade gegenüber Hölderlin wird die Unterscheidung von Religion und christli-
chem Glauben zu einem wichtigen Bestandteil der Interpretation. Gleichzeitig wird
die vom Glauben unabhängige Qualität religiöser Erfahrungen besonders deutlich
hervorgehoben und in ihrer Ernsthaftigkeit gewürdigt. War bei Hölderlin allerdings
immerhin noch eine "Heimkehr" zu Christus möglich, so hatte Rilke die Entscheidung
für eine ganz "weltliche" Existenz endgültig getroffen. Die christlichen Inhalte wirk-
ten nur noch in "säkularisierter" Gestalt weiter, was Guardini ausdrücklich als falsch,
ja sogar als illegitim einstufte. Von Bedeutung war ferner, daß Guardini im Blick auf
die Entwicklung, die von Hölderlin zu Rilke führte, neben dem fortschreitenden Ab-
fall vom Glauben innerhalb der neuzeitlichen "Weltanschauung" auch einen Verlust
an Personalität registrierte, und zwar nicht nur aufgrund einer naturhaften Existenz-
auffassung vorneuzeitlicher (Dostojewskij) oder nach-neuzeitlicher Prägung
(Hölderlin), sondern in Folge einer "Überanstrengung" der Person: Wo sie mit der
Verantwortung für die "Welt" allein gelassen werde, da komme es letztlich gar nicht
zur erwarteten "Autonomie" des Menschen, sondern - im Gegenteil - zu dessen Aus-
lieferung an die "Ganzheitsmächte".

Die Standortbestimmung (Kapitel VI)

Die kulturelle Standortbestimmung begann, wie wir gesehen haben, längst vor den
großen kulturkritischen Schriften nach dem Zweiten Weltkrieg; sie begleitete Guar-
dinis Tätigkeit vor und nach der Berliner "Antrittsvorlesung" und gewann innerhalb
des Projekts "katholischer Weltanschauung" ein neues Gewicht. Gerade die anthropo-
logische Hauptschrift "Welt und Person" (1939) führte die begonnene Auseinander-
setzung mit der Gegenwartskultur auf ihren Höhepunkt, indem sie zur Autonomiefor-
derung der Neuzeit Stellung nahm, die "finitistische" Welterfahrung am "Ende der
Neuzeit" reflektierte und die Kategorie der Personalität, die in den bisherigen Äuße-
rungen immer wieder ins Spiel kam, gründlich unter die Lupe nahm. All dies geschah,
dem Weltanschauungskonzept entsprechend, von einem dezidiert christlichen Stand-
punkt aus. Von ihm her mußte der radikale "Autonomismus" der Neuzeit, der sich in
den Begriffen "Natur", "Subjekt" und "Kultur" Ausdruck verschafft hatte, eindeutig
abgelehnt werden; eine "Autonomie" im Sinne von "Mündigkeit" dagegen war auch
aus christlicher Sicht berechtigt, ja mußte gegenüber dem "religiösen Kurzschluß" des
Mittelalters sogar deutlicher zur Geltung gebracht werden. Das neuzeitliche Sprechen
von "Natur", "Subjekt" und "Kultur" erinnerte dann daran, daß Gott dem Menschen
die Welt in einer "zugleich großen und erschreckenden Weise" "in die Hand gege-
ben", d. h. seiner personalen Verantwortung anvertraut hatte.4
Von zwei Seiten her - der Bewegtheit des menschlichen "Daseins" selbst und der
Erfahrang der "Welt" als das "Ganze" dieses "Daseins" - versucht Guardini dann die

4
Vgl. WP 26.
Ein Blick zurück 531

"finitistische" Grunderfahrung der Gegenwart zu beschreiben. Es geht letztlich um


den Umgang mit der "Grenze", die in einem gläubigen Verständnis offen ist für den
von "jenseits" dieser "Grenze" in die "Welt" hereinwirkenden Gott, im Zuge
"autonomistischer" Bestrebungen aber entweder ins Unendliche hinausgeschoben (so
daß die Welt "alles" und "unendlich" ist) oder aber in radikaler Weise als eine die
reine "Endlichkeit" der Welt umschließende Klammer (so daß die "Welt" vom
"Nichts" umschlossen ist) zur Geltung gebracht wird. Der Verweis auf den Gedanken
einer Schöpfung aus dem "Nichts", vor allem aber die christliche Erlösungsbotschaft
sind dagegen nach Guardini gerade in der Lage, die Erfahrung radikaler "Endlichkeit"
christlich zu deuten und zu bewältigen.
Schon in den Ausführungen zum menschlichen "Dasein" hatte Guardini darauf
verwiesen, daß die Pole "Innerlichkeit" und "Höhe", zwischen denen es sich bewegte,
von niemandem sonst als von Gott gewährleistet sein konnten. Diese Auffassung wird
nun zum entscheidenden Bestandteil der christlichen Personlehre. Guardini nähert
sich ihr phänomenologisch an ("Gestalt", "Individualität", "Persönlichkeit"), wobei
dadurch aber seiner Auffassung nach die "Person im eigentlichen Sinn" nicht begrün-
det werden kann. Er übernimmt auch Positionen, die dem zeitgenössischen Persona-
lismus nahekommen, um freilich im Unterschied dazu ausdrücklich zu betonen, daß
die Personalität selbst zwar in der Begegnung mit Dingen und vor allem mit anderen
Personen "aktuiert" werde, nicht aber in diesem Vollzug erst entstehe. Guardini rettet
also die "Substantialität" des traditionellen Personverständnisses. Die Weise, wie er
das tut, ist jedoch neu: "Substantiell" zum Menschen gehörig ist "Personalität" nicht
deswegen, weil sie ein "dinghaft" verstandener Bestandteil der menschlichen Natur
ist, sondern aufgrund der wesensmäßigen Bezogenheit auf Gott. Indem Gott den
Menschen "anruft", entsteht der Mensch und wird "Person", die von der Seite Gottes
her nie aufgehoben wird, von der Seite des von der Sünde geprägten Menschen her
aber zu ihrer Verwirklichung der Erlösung durch Christus bedarf. Gott ist daher nicht
ein "Anderer", der den Menschen "heteronom" entmündigt; sondern gerade dadurch,
daß er den Menschen als sein "Du" anruft, schafft er ihn als Person und setzt ihn
gleichzeitig in Stand, daß er die "Welt" in jener "zugleich großen und erschrecken-
den" Weise "in die Hand nehmen" kann, wie die Gegenwart es erfordert.
Diese Herausforderung der Gegenwart wird von Guardini vor und nach der anthro-
pologischen Schrift weiter reflektiert. Gerade in der Beobachtung der kulturellen
Entwicklung während der Zeit des Nationalsozialismus ging ihm auf, daß die
menschliche "Macht" den grundlegenden Aspekt der neuen, nach-neuzeitlichen Epo-
che darstellen würde: Wo die "Welt" in ihrer radikalen Endlichkeit erfahren wird und
gleichzeitig der Mensch immer größere technische Möglichkeiten in den Händen hält,
droht der Mensch diese "Welt" auf ganz neue Weise aus den Händen zu verlieren.
Die Forderung, wieder "Macht" über die eigene "Macht" zu gewinnen, ist daher die
eigentliche Sinnspitze der kulturkritischen Spätschriften nach dem Zweiten Weltkrieg.
Guardini zeigt, wie sich das bisherige neuzeitliche Daseinsgefüge aus "Natur",
"Subjekt" und "Kultur" auflöst. Die "nicht-natürliche" Natur ist nicht mehr ein ber-
gender Raum, sondern nur noch eine abstrakte Größe, die dem Zugriff menschlicher
Macht (Technik) zur Verfügung steht. Der "nicht-humane" Mensch hat die harmoni-
532 Schluß

sehe Einheit von "Wirk-" und "Erlebnisfeld" hinter sich gelassen; der Reichtum der
"Persönlichkeit" ist im Massenzeitalter auf die herbe Einfachheit des "Nur-Persona-
len" reduziert. Die "Kultur" schließlich, die einmal angetreten war, um die Gefähr-
dungen der Natur zu besiegen, erweist sich jetzt als etwas zutiefst Ungesichertes und
wird selbst zur Quelle ungleich größerer Gefährdungen. Guardinis Interesse ist nun
vor allem "praktischer", nicht mehr - wie noch in "Welt und Person" - "theoretischer"
Art. Aber schon die anthropologische Schrift lief auf jenen Punkt zu, an den nun auch
die späten Werke führen: zur immer dringlicher klingenden Mahnung, aus der nach-
neuzeitlichen "Gefahr" dierichtigenKonsequenzen zu ziehen - nämlich sich ganz der
Bildung der menschlichen Personalität und ihrer Weltverantwortung zu widmen.
Wir haben die wichtigsten Impulse aufgezählt, die sich bei Guardini in Bezug auf
diese neue Praxis finden. Wichtig aber ist jetzt zum Schluß vor allem die Frage nach
der Rolle des Glaubens. Gleichzeitig oder wenig später setzten sich ja auch andere
christliche Denker mit der neuzeitlichen Autonomievorstellung auseinander und ent-
deckten in ihr gar ein wichtiges christliches Anliegen, ja eine "säkularisierte" Gestalt
des Glaubens. Guardini erwies sich in dieser Hinsicht vorsichtiger, obwohl die These
von der relativen Autonomie der Kultur den Auffassungen Gogartens etwa doch sehr
nahe kommt. Schon in den frühen "Briefen vom Comer See" hatte Guardini angedeu-
tet, daß die technische Entwicklung und daher auch die Zerstörung des bisherigen
Daseinsverständnisses ("Natur" - "Subjekt" - "Kultur") in der christlichen Überzeu-
gung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen wurzle. In der letzten Phase seines
Schaffens wiederholte er diese These, indem er, ausgehend vom Schöpfungsglauben,
eine "Theologie der Macht" entwickelte, also zeigte, daß die menschliche Macht, die
in der Gegenwart freilich ins Unermeßliche gewachsen war, nicht erst eine Folge
sündiger Abwendung von Gott darstellte, sondern bereits im ursprünglichen Auftrag
des Schöpfers an den Menschen gründete. Von dieser theologischen Perspektive her,
die allerdings nicht mehr weiter ausgezogen wurde, deutete Guardini an, daß die Auf-
gabe des nach-neuzeitlichen Menschen, "Macht" über die "Macht" zu gewinnen, in
der christlichen Interpretation der Personalität ihre wichtigste Stütze besaß. Gleich-
zeitig wurde damit aber der unter Christen nicht seltenen Tendenz zur Flucht vor der
nach-neuzeitlichen Realität erneut eine klare Absage erteilt; gerade diejenigen, die
sich von Gott in die Verantwortung für die Welt gestellt wußten, und deren Grundan-
liegen auch die Neuzeit in "säkularisierter" Gestalt bewahrt hatte, waren zur Mitarbeit
an der Gestalt der Zukunft aufgerufen.

Das Ziel (Kapitel VII)

Worin liegt das eigentliche Ziel von Guardinis Lebenswerk? Im Aufbau unserer
Untersuchung wurde diese Frage dadurch beantwortet, daß zuletzt die speziellen
Bemühungen um eine Erschließung des Glaubens besprochen wurden. Sie begleiten
die gesamte Tätigkeit im Sinne einer katholischen Weltanschauungslehre (seit 1923),
gehören aber dennoch an den Abschluß seines Denkweges, weil sie einerseits im Lauf
der Jahre mehr und mehr die Konturen einer systematischen Zusammenfassung des
Ein Blick zurück 533

Glaubens erkennen lassen, andererseits aber gerade die Gestalt des Glaubens vor dem
Hintergrund einer nach-neuzeitlichen Kultur abschließend reflektieren.
Erschließung des Glaubens geschieht bei Guardini schwerpunktmäßig eher indirekt;
indem der Glaubensstandpunkt in die Interpretation von Welt und Kultur eingebracht
wird, erschließt er sein Wesen denen, die ebenfalls um die Zukunft des Menschen
besorgt sind. Dennoch vergißt Guardini auch die direkte Form der Glaubensverkündi-
gung nicht; aus der punktuellen Rückbesinnung auf die eigene Glaubenstradition wird
mehr und mehr das Bemühen um eine "andere" Gestalt von Theologie und der Ver-
such, die verstreuten Äußerungen zusammen mit den im Blick auf die Gegenwartskul-
tur gewonnenen Erkenntnissen in ein letztes großes Werk über die "christliche Exi-
stenz" einmünden zu lassen. Am Anfang stand dabei eine Reflexion über das Wesen
des Glaubens als des "Anfangs" christlicher Existenz. Wir haben gesehen, wie Guar-
dini diesen Begriff in Anlehnung an Kierkegaard, Pascal und Augustinus ganz ernst
nahm: Theologisches Bemühen konnte immer nur von einem bereits vorausgesetzten
"Anfang" herkommen, den Gott selbst dem Menschen schenkte und den dieser im
wagenden "Sprung" beantwortete. Guardinis Christuspredigten, die in seinem wichti-
gen Buch "Der Herr" enthalten sind, erwiesen sich vor diesem Hintergrund als
"mystagogische" Bemühungen, den in Christus entgegentretenden Gott lebendig
werden zu lassen, um den Menschen neu in die Beziehung zu ihm einzuladen.
Die Bemühungen um eine "andere" Theologie verliefen jedoch nicht unabhängig
von der Betrachtung der konkreten kulturellen Situation. Vielmehr haben wir in der
Lektüre eines unveröffentlichten Manuskripts von 1933/34 erkannt, daß Guardini sich
damals ganz genau überlegte, welche Aspekte innerhalb des Ganzen der christlichen
Glaubenswirklichkeit in der Gegenwart besonders "dringlich" wären. Es handelte sich
um jene Aspekte, die geeignet waren, die Würde der menschlichen Person und die
Bedeutung des Gewissens zu betonen, so daß Guardini nun nicht mehr die Wirklich-
keit der Kirche, sondern die Person Christi in den Mittelpunkt stellen, andererseits
aber der von Nietzsche und Heidegger her kommenden Herausforderung ein eigenes
christliches "Existenzbewußtsein" entgegenstellen wollte. So wurden die Christusbe-
trachtungen zu eigenen christologischen Versuchen ausgearbeitet, in denen die
"mystagogische" Perspektive bestimmend blieb, nun aber die gesamte Theologie auf
das "Bild von Jesus dem Christus", wie es im Neuen Testament aufleuchtete, ausge-
richtet wurde. Auch die Bestimmung des Wesens menschlicher Personalität, die wir
im sechsten Kapitel nachgezeichnet haben, fügte sich nun - im Rahmen einer
"christlichen Lehre vom Menschen" - in das theologische Programm Guardinis ein, da
sie die Grundlagen eines christlichen Existenzbewußtseins erhob. Wenig später er-
schien zudem die Monographie über die "Offenbarung", in der die christologischen
Erkenntnisse in die Fundamentalkategorie des Glaubens eingebracht wurden. Beide
Schriften - "Welt und Person" und "Die Offenbarang" - können so als die Grundpfei-
ler der gesuchten Synthese verstanden werden, in der auch die Kirche weiterhin einen
wichtigen Platz einnehmen sollte.
Noch enger an der kulturkritischen Arbeit blieb Guardini bei der Reflexion über die
Zukunft des Glaubens selbst. In der Schrift über das "Ende der Neuzeit" hatte er be-
reits auf die Folgen hingewiesen, die sich aus der kulturellen Situation für den Glau-
534 Schluß

ben ergaben. Guardini erwartete, daß die nach-neuzeitliche Kultur auch noch die
bereits säkularisierten Restbestände des Christlichen aufgeben werde, daß es ferner
überhaupt zu einem Verschwinden der religiösen Erfahrung kommen werde und daß
sich schließlich der Schwerpunkt des christlichen Glaubens selbst immer tiefer ins
Personale senken werde - "in Entscheidung, Treue und Überwindung"5. Eine furcht-
bare, aber heile Klarheit werde entstehen, in der ein ganz im Personalen wurzelnder
Glaube einer völlig der losgelösten menschlichen Macht ausgelieferten Existenzsitua-
tion gegenüberstehe. Diese Auffassung wird auch in den späteren Äußerungen aufge-
nommen; der Glaubende steht demnach für die Freiheit und Ehre des Menschen - in
einer Kultur, die der Würde der Person immer feindseliger gegenübertritt.
Andererseits braucht dieser Glaube nicht nur die Verankerung im Perso/tkern des
Menschen, sondern auch den Bezug auf die Welt, die dieser Person "in die Hand ge-
geben" ist. Aus diesem Grund fordert Guardini ein christliches Weltbewußtsein, eine
"Theologie der Welt", die >is jetzt noch nicht da sei, auf deren Grundlage aber der
Christ erst seine Aufgabe in der Nach-Neuzeit erfüllen könne. Andeutungsweise hat
Guardini selbst dies in seiner "Theologie der Macht" und in seinen Überlegungen zur
radikalen "Endlichkeit" der Welt geleistet. In Bezug auf deren inhaltliche Entfaltung
ist er nicht viel weiter vorgedrungen; wohl aber finden sich Gedanken über die Ge-
stalt gläubiger Existenz, die aus der nach-neuzeitlichen Existenzsituation Konsequen-
zen zu ziehen versuchen.
Schon früh hatte Guardini die künftige Glaubensgestalt als einen "reflektierten"
Glauben bezeichnet, der auf bisher selbstverständliche "Erfahrungen" zu verzichten
habe. An die Stelle einer Erfahrang, auf der der Glaubensakt des Menschen aufruht,
tritt eine nachträgliche "Realisierung" (Newman) des zunächst für wahr gehaltenen
Glaubens in der nachfolgenden Glaubenspraxis. Guardini beschäftigt sich noch ein-
mal mit der Herausforderung durch Nietzsche und Heidegger ("Gott ist tot") und geht
schließlich sogar so weit, eine "nihilistische" Glaubensgestalt zu fordern - eines
"nackten" Glaubens ohne "religiöse Erfahrang", der aber nicht weniger echt und
"real" sei. Andernfalls würde der Glaube selbst verschwinden. Doch Guardini ist
überzeugt, daß jede kulturelle Situation (jede "Zeit") zumindest prinzipiell für den
Anruf Gottes offensteht. Darum muß es auch eine Zukunft für die Liturgie geben, die
ebenfalls einer viel grundlegenderen Erneuerung unterworfen werden muß. Guardini
hinterläßt der nachkonziliaren Kirche die Frage nach der Liturgiefähigkeit des Men-
schen in der nach-neuzeitlichen Epoche und artikuliert damit noch einmal seine von
Anfang an durchgehaltene Absicht, Glaube und Kultur in ein neues, für beide Seiten
lebensnotwendiges Verhältnis zueinander zu bringen.

5
EdN Anm. 13,91.
Versuch einer Bilanz 535

2. Versuch einer Bilanz

Im Rückblick auf Guardinis Gesamtwerk hat sich bestätigt, was bereits in der Einlei-
tung dieser Arbeit als Ergebnis einer ersten Durchsicht festgehalten wurde: Die Be-
ziehung von Glaube und Kultur bildete die eigentliche Triebfeder im Leben und
Schaffen Romano Guardinis; in den unterschiedlichen Themen artikulierte sich das
Bestreben, die "Kultur" wieder zu einem Thema des Glaubens zu machen, umgekehrt
aber diesen "Glauben" angesichts einer nach-neuzeitlichen Kultur am Leben zu erhal-
ten.
In welcher Weise hat sich bei Guardini dieses Bemühen konkretisiert, und was ist
davon zu halten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir aus seinem Gesamt-
werk noch einmal die wichtigsten Akzente herausheben (a) und bewerten (b).

a. Inhaltliche Schwerpunkte
aa. Drei Phasen der Werkgeschichte
Der "Suchweg" Guardinis6" verlief nicht einfach kontinuierlich.7 Deutlich lassen sich
zwei Weichenstellungen erkennen, die sein Schaffen in drei voneinander abgehobene
Phasen gliedern. Die erste ist deutlicher zu erkennen; sie wurde in unserer Arbeit
auch besonders herausgehoben, da sie sich unmittelbar auf das Spannungsverhältnis
von Glaube und Kultur bezog: Es handelt sich um Guardinis Wechsel nach Berlin und
die Entwicklung einer eigenen Konzeption "katholischer Weltanschauungslehre" (vgl.
Kapitel III). Weniger klar scheint die zweite Weichenstellung zu sein, die etwa mit
dem Ende der Berliner Lehrtätigkeit zusammenfällt; sie hat vor allem ihre Bedeutung
für das spezifisch theologische Schaffen Guardinis, der mit seinen beiden Schriften
"Welt und Person" und "Die Offenbarang" um 1940 die wesentlichen Fundamente für
eine systematische Zusammenschau bereitstellte (vgl. Kapitel VII,3,c). Beide Vor-
gänge bedeuten jeweils nicht einen völligen Bruch, sondern vielmehr die Bündelung
des Bisherigen mit dem Ziel, künftig andere Schwerpunkte zu setzen.
Die erste Phase reicht somit von den frühen Arbeiten des jungen Studenten bis zur
Übernahme des Berliner Lehrstuhls im Jahre 1923, wobei auch noch das Gegensatz-
buch von 1925 als Abschluß einer schon zwanzig Jahre zuvor begonnenen Reflexion
über diese Thematik dazugerechnet werden muß. Als Schwerpunkte dieser Phase sind
das Gegensatzdenken und die Schriften zur Liturgie und zur Kirche zu nennen
(Kapitel II); daneben kam es aber bereits zu Reflexionen über Gestalt und Wesen der
Theologie (111,1), sowie zu einer Kulturkritik, die schließlich in die "Briefe vom
Comer See" (1924/25) einmündete (IV, 1).
Die zweite Phase umfaßt dann im Wesentlichen die Berliner Lehrtätigkeit.
Schwerpunkte sind einerseits die großen Werkinterpretationen (Kapitel V), anderer-

Vgl. dazu Auf dem Wege, 7 (s. o.).


So Balthasar, Guardini, 33; sowie ebd., 1 lf. Dazu bereits oben in der Einleitung, Abschn. 3
536 Schluß

seits die Christusbetrachtungen des Buches "Der Herr", die sich in eine umfassendere
Suche nach einer "anderen" Theologie einordnen lassen (VII,2). Sie werden begleitet
durch eine vertiefte Reflexion auf das Phänomen der Kultur und sein Verhältnis zum
Christentum (Kapitel IV,2 und 3), sowie durch die Wetterführung der Auseinander-
setzung mit der Gegenwartskultur, besonders in der Situation des nationalsozialisti-
schen Totalitarismus (Kapitel VI,2,a).
Die dritte Phase beginnt etwa mit dem Jahr 1940 und dauert bis zu Guardinis Tod
im Jahre 1968. Sie enthält einmal die abschließende Auseinandersetzung mit der
Gegenwartskultur; auf der Grundlage der Reflexionen zur neuzeitlichen Autonomie-
vorstellung und zu den geistigen Grundlagen der nationalsozialistischen Ideologie
führt Guardini seine These vom "Ende der Neuzeit" aus und fragt nach konkreten
Schritten des Menschen in eine nach-neuzeitliche Zukunft hinein. Daneben bemüht er
sich, die verschiedenen Ergebnisse des bisherigen Denkens in eine systematisch auf-
gebaute theologische Gesamtschau zu integrieren - in eine Gesamtdeutung menschli-
cher Existenz im Licht der Offenbarang.
Hilfreich ist diese Unterteilung nicht zuletzt für die Betrachtung der Beziehung von
Glaube und Kultur. Denn die drei Phasen entsprechen zugleich drei Schwerpunkten,
die Guardini im Hinblick auf dieses Spannungsverhältnis setzt.

bb. Drei Schwerpunkte im Verhältnis von Glaube und Kultur


In der ersten Phase lassen sich das Gegensatzdenken und die liturgisch-ekklesiologi-
sche Schriften den Themenkomplexen "Kultur" (Wirklichkeit des Lebendig-Konkre-
ten) und "Glaube" (Liturgie und Kirche) relativ leicht zuordnen. Das gegenseitige
Verhältnis artikuliert sich vor allem so, daß der Glaube die Kultur in Anspruch
nimmt, um sich selbst in einer bestimmten Zeit und im Leben eines bestimmten
Menschen Geltung zu verschaffen.
Es handelt sich also um jene "zweite Variante", die Guardini in seinen "Gedanken
über das Verhältnis von Christentum und Kultur" (1926) zur Debatte stellt (vgl. Kapi-
tel IV,3,c,cc [6]): "Kann das Kulturelle in das Christliche hineingetragen werden?"*
Dem aufrichtigen "Ja" auf diese Frage stellt sich in der späteren Reflexion Guardinis
ein ebenso deutliches "Nein" gegenüber, das in einer Besinnung auf das "Wesen" des
Christentums begründet ist 9 In der ersten Phase dagegen war von diesem "Nein" erst
am Rande die Rede. Auch die gegenteilige Frage, ob das Christliche seinerseits "in
das Natur-Kulturhafte hineingetragen" werden kann,10 wurde noch nicht ausdrücklich
thematisiert. Vielmehr erschien die Kultur - in der Gegensatzphilosophie und der frü-
hen Kulturkritik - schlicht als das Vorgegebene und Aufgegebene des Menschen, das
eben auch für das Leben des Glaubens seine Rolle spielte.
Die zweite Phase führte das Thema der "Kultur" nicht nur in den explizit
kulturkritischen und kulturphilosophischen Texten weiter, sondern auch und vor
allem in den großen Interpretationen, in denen sich das neuzeitliche Bild von der
Welt und vom Menschen spiegelte und mit Modellen gläubiger Existenz konfrontiert
8
Vgl. CK 163.
9
Vgl. CK 163f. (siehe dazu Kap. IV,3,c,cc [6]
10
Vgl. CK 162f.
Versuch einer Bilanz 537

wurde. Seit der "Antrittsvorlesung" wird der Glaube vor allem in seiner Weltbezogen-
heit thematisiert, weshalb sich die Interpretationen einer "katholischen Weltanschau-
ung" einordnen und die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Kultur sich über-
haupt erst explizit stellt. Die beiden Themenkomplexe "Glaube" und "Kultur" sind
jetzt noch enger miteinander verzahnt, werden aber auch deutlich voneinander unter-
schieden. Jede "Seite" wird auf das ihr Wesentliche zurückgeführt: Die Kultur wird
nicht mehr ausschließlich als ein Phänomen des "Lebendig-Konkreten" gesehen,
sondern immer deutlicher von seiner Wurzel, der menschlichen Personalität her, be-
trachtet. Auf der anderen Seite beobachten wir eine Konzentration auf die Frage nach
dem "Wesen" des Christlichen; einer "Personalisierung" der Kulturbetrachtung tritt
eine theologische Vertiefung des Glaubens an die Seite.
Die Beeinflussung ist wechselseitig: Die theologischen Akzentsetzungen, vor allem
die Konzentration auf die Person Christi und die christliche Begründung der Persona-
lität, verdanken sich der Interpretation der Kultur. Diese wird ihrerseits - innerhalb
des Projekts "katholischer Weltanschauung" - vom Glauben her beleuchtet. Der ein-
deutige Schwerpunkt aber hat sich gegenüber der ersten Phase deutlich verlagert. Es
geht nun umgekehrt vor allem um den "inkarnatorischen" Aspekt des Problems,11 um
die "erste Variante" des Beitrags von 1926 (vgl. Kapitel IV,3,c,cc [5]): "Kann das
Christliche in das Kulturelle hineingetragen werden?"12 Gleichzeitig wird auch die
grundsätzliche Frage gestellt: "Hat vor dem Christlichen das Kulturelle einen eigenen
Wert?"1* Es geht um die neuzeitliche Autonomieforderung, die in dieser Phase immer
wieder aus gläubiger Perspektive reflektiert wird.
Die dritte Phase macht die Charakterisierung des Verhältnisses von Glaube und
Kultur am schwierigsten: Das Nachdenken über die Kultur wird jetzt ganz praktisch
und mündet in ethische Fragestellungen, wobei der Glaube als Ausgangspunkt inter-
pretatorischer Annäherung plötzlich nur noch eine sehr schwache Rolle zu spielen
scheint. Die theologischen Systematisierungen führen währenddessen das in der
zweiten Periode Begonnene weiter, wobei der kulturelle Horizont nun wieder deutli-
cher zum Tragen kommt. Beide Themenkomplexe sind nicht als abgeschlossen zu be-
trachten; es ist vielmehr damit zu rechnen, daß sich die künftige Schwerpunktsetzung
in Guardinis Spätwerk erst ankündigt. Wenn in der gesuchten "Theologie der Exi-
stenz" die Erfahrang der "reinen Endlichkeit" christlich ernst genommen würde (wie
es in der "Theologie der Macht" bereits ansatzweise geschieht), und wenn sich
Glaube und Kultur begegnen könnten in der gemeinsamen Reflexion über die
menschliche Person (die vom Glauben begründet und im kulturellen Schaffen ver-
wirklicht wird), dann wäre hier die Möglichkeit eines echten Dialogs eröffnet.

1
' Zur theologischen Grundlegung vgl. CK, 172-181 (siehe dazu Kap. IV,3,c,dd und ee)
12
Vgl. CK 162f.
13
Vgl. CK 160-162 (siehe oben Kap. IV,3,c,cc [4].
538 Schluß

b. Stärken und Schwächen


Die Begegnung von Glaube und Kultur im Werk Guardinis zeichnet sich somit durch
drei unterschiedliche Akzente aus:
- in der ersten Phase durch die Suche nach einer "Beheimatung" des Menschen im
Glauben;
- in der zweiten Phase durch das Projekt einer "gläubigen Interpretation" der Kultur;
- in der dritten Phase schließlich durch zaghafte Ansätze zu einem wirklichen Dialog
zwischen Glaube und Kultur, dessen Thema die Zukunft des Menschen ist.
Diese Akzentsetzungen enthalten sowohl Stärken wie auch Schwächen, die nun im
Einzelnen noch genannt werden müssen.

aa. Die Beheimatung des Menschen im Glauben


Romano Guardini versucht den Menschen seiner Zeit vor allem dadurch im Glauben
zu "beheimaten", daß er (neben einer unmittelbar dem Verstehen des eigenen Lebens
zugewandten Gegensatzphilosophie) die anthropologischen Grundlagen und die
kulturelle Gestalt von Liturgie und Kirche in den Vordergrund stellt. Er nimmt dem
Menschen damit die Angst, in der Bindung an die Kirche heteronom entmündigt zu
werden. Er öffnet den Raum für unterschiedliche "Typen" christlicher Existenz, deu-
tet aber gleichzeitig die Möglichkeit an, im Raum des Glaubens von der Enge des
eigenen Selbst befreit zu werden. Dem entspricht auch eine Pluralität möglicher
theologischer Systembildungen. In diesen Bemühungen liegt die eigentliche Stärke
Guardinis gegenüber einer uniformen Glaubenspraxis und einem theologischen Abso-
lutismus.
Allerdings kommt die spezifisch christliche Begründung in dieser Phase eindeutig
zu kurz. Nirgendwo wird das "Unterscheidend-Christliche" aufgegeben; Guardini
distanziert sich deutlich von ästhetischer Beliebigkeit und synkretistischer Ver-
flachung, sowie von der Reduktion auf das anthropologische Bedürfnis. Nur eine
klare theologische Begründung jedoch könnte Pluralität vor Beliebigkeit, christliche
Universalität vor Synkretismus und anthropologisch "gewendete" Theologie vor
anthropologischer Reduktion wirksam schützen. Guardini nennt nun zwar theologi-
sche Kriterien, führt sie aber nicht näher aus, so daß der Leser dieser frühen Versuche
eine deutliche Lücke empfindet. Die spätere Wiederaufnahme der Themen "Kirche"
und "Liturgie" hat dagegen die theologischen Ansätze zwar vertieft, diese aber nicht
mehr hinreichend in die kulturelle "Außenseite" übersetzt. Das Ziel der ersten Phase,
die Gestalt der Liturgie und die "Katholizität" der Kirche auf die anthropologischen
und kulturellen Erfahrangen des Menschen zu beziehen, bliebe aber gerade in einer
"nach-neuzeitlichen" Situation von größter Bedeutung.

bb. Gläubige Interpretation der Kultur


Die Absicht, die "Welt" zu einem Thema des Glaubens und damit auch der Theologie
zu machen, muß als die wohl bedeutendste Leistung Guardinis betrachtet werden.
Das Gewicht dieser Weichenstellung wird noch erhöht dadurch, daß "Welt" nicht nur
als "Gegenstand" gläubigen Selbstverständnisses ins Spiel kommt, sondern daß sie
Versuch einer Bilanz 539

- in den Zeugnissen der Kultur, unter denen die Dichtung einen besonderen Platz ein-
nimmt - im Originalton zur Sprache kommen darf. Bedeutsam ist ferner Guardinis
grundsätzliche Klärung des Verhältnisses von Glaube und Kultur, in der er die Ex-
trempositionen jeder Couleur (Integralismus, Liberalismus, "radikale" Christlichkeit,
Autonomismus) vermeidet und deutlich macht, daß Bezogenheit auf Gott nicht als
Auflösung der Eigenständigkeit (relative Autonomie) menschlicher Existenz verstan-
den werden darf. Wichtig ist schließlich die Konzentration christlichen Denkens in
einer personalen Anthropologie, die das Anliegen substantialen Persondenkens mit
dem eines dialogisch verstandenen Personalismus verbindet.
Als Problem wurde im Laufe unserer Untersuchung immer wieder das Schwerge-
wicht des "intuitiven" Moments innerhalb des erkenntnistheoretischen Ausgangs-
punkts (Lebensphilosophie) wie auch im Rückgriff auf die theologische Tradition
(platonisch-augustinische Linie) erkannt. Zwar hatte Guardini im Gegensatzbuch eine
Balance von "Intuition" und "Begriff gefordert (verbunden sogar mit einer Führungs-
rolle des begrifflichen Erkennens), sowie in seinen theologischen Äußerungen für die
Ergänzungsbedürftigkeit augustinischer Unmittelbarkeit durch die thomasische Diffe-
renzierung von Vernunft und Glaube plädiert (wieder verbunden mit der Einsicht in
dessen Überlegenheit). Aber in der Praxis trat doch die Bedeutung begrifflichen Er-
kennens, fachwissenschaftlicher Analyse und methodischer Reflexion deutlich
zurück, wie wir vor allem in seiner Weltanschauungskonzeption, in den Interpretatio-
nen, in den biblischen Arbeiten, sowie in der Anthropologie feststellen konnten. Ein
Vorteil liegt in der schnellen Einbeziehung des Lesers durch die erzeugte existentielle
Unmittelbarkeit des Betrachtens, die Guardini aufgrund seiner intuitiven Begabung in
großem Maße zu nutzen versteht. Von Bedeutung ist angesichts einer zunehmend
"realistischen" und durchrationalisierten Welt ferner die Erinnerung daran, daß die
entscheidenden Veränderungen nur aus einer existentiellen Betroffenheit hervorgehen
können. Dennoch darf solche Betroffenheit die fachwissenschaftliche Analyse nicht
ausschließen; nur wo diese mit einbezogen wird, kann letztlich jene Allgemeingültig-
keit erreicht werden, die den Dialog auch über persönliche, gesellschaftliche und kul-
turelle Barrieren hinweg erst möglich macht. Es ist sicher kein Zufall, wenn Guardini
keine "Schule" im eigentlichen Sinn bilden konnte und gerade innerhalb der
Theologie, die sich im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts um eine größere
Wissenschaftlichkeit bemühte, zeitlebens eher ein Randdasein führte.
Ferner werden in Guardinis "Schau" bestimmte Aspekte ausgeblendet, auf die eine
vollständige "Weltanschauung" heute sicher nicht mehr verzichten kann. Ich denke im
Blick auf die Anthropologie etwa an die humanwissenschaftlichen Erkenntnisse, im
Blick auf die Kultur an die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Realitäten,
sowie an die Ergebnisse soziologischer Untersuchungen. Dazu müßte aber die
"idealistische" Perspektive humanistischer Bildungstradition in Richtung auf die
empirische "Realität" entscheidend ausgeweitet werden. Guardini blieb nicht umsonst
bei den Werken der Dichtung stehen, die bereits im 19. Jahrhundert eine so große
Rolle für das Kulturideal des deutschen Bildungsbürgertums gespielt hatten; auch in
philosophischer Hinsicht kam er nicht wesentlich über jene Strömungen hinaus, die
seit der Jahrhundertwende gegen den neuzeitlichen "Rationalismus" zu Felde gezogen
540 Schluß

waren. Bei der Betrachtung der Ereignisse während der nationalsozialistischen


Gewaltherrschaft konnte er zwar intuitiv die geistigen Prozesse wahrnehmen, die hin-
ter den Ereignissen standen; diese durchaus geschätzte Fähigkeit war jedoch erkauft
durch ein weitgehendes Ausblenden der brutalen Realitäten dieser Schreckenszeit.
Gerade hier blieb die "humanistische" Perspektive des deutschen Bildungsbürgertums
bestimmend, die sich um "geistige" Bildung bemühte, die Analyse der konkreten
Praxis aber gern vernachlässigte. Inzwischen hat sich dagegen ein Kulturverständnis
etabliert, das die geistigen Vorgänge geradezu als Folge gesellschaftlicher Entwick-
lungen begreift und durch das die sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts, die mate-
riellen Folgen der Industrialisierung und des Nationalstaats, sowie die grausame Rea-
lität des Nationalsozialismus die Neuzeit in einem viel realistischeren Licht erschei-
nen lassen (s. u.).
Schließlich bleiben trotz des Bekenntnisses zu einer "relativer Autonomie" bei
Guardini doch große Vorbehalte gegenüber einer auch unabhängig vom Glauben die
Wirklichkeit betrachtenden Vernunft. Hier macht sich die fehlende Auseinanderset-
zung mit der von Thomas von Aquin ausgehenden theologischen Tradition deutlich
bemerkbar; zu sehr konzentriert sich Guardini auf ein "augustinisches" Denken, das
die Unterscheidung von Philosophie und Theologie relativiert und Glaube und Kultur
allzu selbstverständlich als Einheit begreift. Seine Einsicht in die Ergänzungsbedürf-
tigkeit dieser Tradition kommt in der konkreten Praxis nicht deutlich genug zum Aus-
druck, so daß Guardinis "katholische Weltanschauung" bei aller Offenheit zwar
innerhalb eines gläubigen Denkens überzeugen kann, im Dialog mit Außenstehenden
jedoch erhebliche Vermittlungsprobleme verursacht

cc. Der gemeinsame Dialog über die Zukunft des Menschen


Während ein wirklicher Dialog in der zweiten Schaffensperiode nicht zustande kam,
legte die folgende in dieser Hinsicht überzeugendere Grundlagen. Eine wesentliche
Stärke in Guardinis Analyse der Gegenwartskultur besteht sicher in seiner Bereit-
schaft, sich aus der Bindung an eine bestimmte kulturelle Epoche (die Neuzeit, die
"humanistische" Kultur, aber auch das Mittelalter) zu lösen. Weil sowohl Christsein
wie Personsein in jeder Kultur möglich sein muß, kann es weder zu einer radikalen
Verurteilung der Neuzeit kommen, noch zu einer völligen Resignation im Hinblick
auf die gegenwärtigen Entwicklungen. Guardini kritisiert die Kultur - aber nicht mehr
in rückwärtsgewandter Wehmut, sondern in der Entschlossenheit für die Zukunft.
Dabei gibt er wichtige Hinweise auf die Veränderungen in den geistigen Grundlagen
des 20. Jahrhunderts - die Erfahrang reiner Endlichkeit in einer immer geschlossener
erscheinenden Welt; die gefährliche Steigerung der Macht, die sich aus dieser Exi-
stenzsituation ergibt; die Forderung personaler Bildung als Konsequenz aus dieser
Situation; das Hineinverwobensein des Christentums in die von Autonomiestreben,
Technik und Machtsteigerang geprägte Entwicklung; die Bedeutung der Religion, die
sich neu zu etablieren versucht - außerhalb des Christentums, ja sogar in politischen
Ideologien.
Von großer Bedeutung ist auch die von Guardini konsequent betriebene personale
Vertiefung des Glaubens, die mystagogische Ausrichtung der Theologie, sowie die
Versuch einer Bilanz 541

Konzentration des "Christentums" auf die Anforderungen "christlicher Existenz".


Äußerst bedenkenswert erscheint die Forderung, auf kulturelle Selbstverständlichkei-
ten vergangener Kulturepochen, sowie auf religiöse und sinnenhafte Erfahrangen zu
verzichten, um sich ganz auf das Wesentliche, die personale Beziehung zu Gott, zu
konzentrieren. Wo diese Ansätze weitergeführt werden und zum Tragen kommen, da
kann der Glaube in der Tat auch in einer nach-neuzeitlichen Kultur überzeugend wir-
ken und als Dialogpartner ernst genommen werden. Dahingehend darf wohl auch der
bedeutsame Satz Karl Rahners verstanden werden:
"Der Fromme von morgen wird ein 'Mystiker' sein, einer, der etwas 'erfahren'
hat, oder er wird nicht mehr sein ..."14
Die These vom "Ende der Neuzeit" allerdings ließ sich schon damals nur unzurei-
chend in einen Dialog mit der Kultur einbringen. In ihr zeigen sich besonders deutlich
die Grenzen des "Gebildeten", auf die oben bereits hingewiesen wurde. Letztlich hat
Guardini doch das "humanistische" Bildungs- und Kulturverständnis, das er zu Recht
überwinden wollte, mit der "Neuzeit" identifiziert und daher zwangsläufig deren
"Ende" angekündigt. Wer "Kultur" aber bereits in einem realistischeren Sinne versteht
(als naturwissenschaftlich-technische, sowie gesellschaftliche Realität), der wird die
Kontinuität der Gegenwart zur Neuzeit erheblich deutlicher erkennen als Guardini.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und gesellschaftlichen Prozesse der Neuzeit sind
dann nicht etwa zu "Ende", sondern erfahren in der Gegenwart erst ihre eigentliche
Vollendung (s. u.).
Es muß auch darauf verwiesen werden, daß in den letzten Äußerungen zur Zukunft
von Kultur und Glaube der religiösen Erfahrung zu wenig Gewicht gegeben wird -
und dies obwohl Guardini deren eigenständige Bedeutung früh erkannt und noch
1958 in einer eigenen Monographie15 behandelt hat. Es ist bezeichnend, daß die Wei-
terführang dieser Arbeit innerhalb einer christlichen Offenbarungslehre nicht mehr
gelang (ein zweiter Band erschien nicht!) und die religiöse Erfahrung in den späten
Vorlesungen zur "Existenz des Christen" nur noch am Rande16 vorkommt. Guardini
übersah, daß die vielen religiösen Entwicklungen, die seit der Jahrhundertwende
außerhalb des Christentums entstanden waren, nicht einfach verschwanden, sondern
daß auch die "nach-neuzeitlichen" Menschen weiterhin religiös ansprechbar waren.
Er thematisierte die Person in einer Weise, die auf religiöse Erfahrangsfülle gerade
verzichten wollte und übersah die Chance, auf die religiösen Erlösungssehnsüchte der

14
Vgl. K. Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: ders., Schriften zur Theologie VII, Einsiedeln-
Zürich-Köln 1966, 11-31, hier 22. In diesem Beitrag entwickelt Rahner Grundlinien einer zukünftigen
"Mystagogie", die davon ausgeht, daß "die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer
personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und reli-
giöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre
Dressur für das religiös Institutionelle sein kann" (ebd., 22t). "Die Mystagogie muß von der angenommenen
Erfahrung der Verwiesenheit des Menschen auf Gott hin das richtige 'Gottesbild' vermitteln, die Erfahrung,
daß des Menschen Grund der Abgrund ist..." Sie muß konkret lehren, "es auszuhalten, diesem Gott nahe zu
sein, zu ihm 'Du' zu sagen, sich hineinzuwagen in seine schweigende Finsternis ..." Sie muß "natürlich auch
wissen, wie Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte und Auferstandene, in sie hineingehört" (ebd., 23).
15
Vgl. Religion.
16
Vgl. Existenz, 15f.
542 Schluß

Menschen aus christlicher Sicht zu antworten und die religiöse Erfahrung überhaupt
in den Dialog zwischen Glaube und Kultur einzubeziehen.
Damit sind wir aber bereits über die immanente Bewertung von Guardinis Werk
hinausgeschritten. Denn im Grunde hat sich das eben Beschriebene erst in einer
neuen Phase herauskristallisiert, von der Guardini lediglich die Anfänge erlebte und
die auch wir Heutigen noch keineswegs als abgeschlossen betrachten können. Wir
dürfen nie vergessen, daß gerade die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg
noch äußerst unüberschaubar war; die zurückliegende Katastrophe und der neue
"Nachholbedarf an geistiger Orientierung machten eine ruhigere und differenzierte
Betrachtung noch äußerst schwer. Die eigentliche Grenze von Guardinis späten Stel-
lungnahmen ist daher im Grunde zuerst eine kulturelle Grenze und eine Grenze des
Glaubens in einem bestimmten kulturellen Horizont: Die Kultur sah sich am Anfang
einer neuen Epoche, während der Glaube sich angesichts der bewegten Entwicklung
der vergangenen Jahrzehnte immer noch nicht von seiner kulturellen Orientierungs-
losigkeit erholt hatte.

3. Ausblicke

"Gebildet" ist heute nicht mehr allein derjenige, der die "alten Sprachen" beherrscht,
sich an Dichtung, Bildender Kunst und Musik erfreut und auf diese Weise zu einer
"kultivierten" Persönlichkeit wird. Vielmehr gehören naturwissenschaftliche Kennt-
nisse und technisches "Know-how" heute ebenso zum Allgemeinwissen wie die Be-
schäftigung mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strömungen. In diesem
gewandelten Bildungskonzept erscheint nun aber auch das von Guardini beobachtete
Spannungsgefiige von Glaube und Kultur in einem neuen Licht.

a, "Postmoderne" Realität

Für eine Analyse dieses Spannungsgefüges bietet sich heute besonders die soziologi-
sche Wissenschaft an, die in namhaften Vertretern inzwischen einen unbefangeneren
Blick auf Wirklichkeit der Religion und des Christentums gewonnen hat 17 In ihr er-
scheint die Neuzeit, die jetzt häufiger "Moderne" genannt wird, als Absage an jede
Art von "Tradition" - nicht vergangenheits-, sondern zMJfcwn/ttorientiert, nicht am
"Bestand", sondern an der "Veränderlichkeit" aller Dinge interessiert.18 Bis ins 20.
Jahrhundert hinein kann daher die neuzeitliche Kultur aus dieser Perspektive nur als
"eingeschränkte" Modernität erscheinen, weil die entstandene bürgerlich-moderne

17
Vgl. dazu den Überblick bei K. Gabriel, Religionssoziologie JUS "Soziologie des Christentums", in:
K.-F. Daiber/Th. tuckmann (Hg.), Religion in den Gegenwartsströmungen der deutschen Soziologie,
München, 182-198.
18
Vgl. Kaufmann, Religion, 19; vgl. insgesamt ebd., 19-13.
Ausblicke 543

Industriegesellschaft immer noch von vielen traditionellen Elementen durchsetzt blieb


und auch das Christentum in ihr eine prägende Funktion behielt19 Demgegenüber
kam es nach einer retardierenden Phase in den fünfziger Jahren, in denen nicht um-
sonst Neuzeitkritiker wie Guardini neue Beachtung fanden, zu einem entscheidenden
Modernisierungsschub in den sechziger und siebziger Jahren, die die Auflösung des
traditionalen Sektors zur Folge hatte und schließlich in einer radikalen Pluralisierung
und Individualisierung der Kultur endete. Diese begann sich als "Postmoderne"20 zu
begreifen und zu thematisieren, womit freilich nicht ein Bruch mit der "Moderne" an-
gekündigt war, sondern gerade ihre - nunmehr der eigenen Ambivalenz bewußte -
Radikalisierung und Vollendung.21
Vom Ansatz einer "Soziologie des Christentums", wie sie unter anderem Karl
Gabriel und Franz Xaver Kaufmann vertreten, wird daher auch eine größere
"Pluriformität" des Katholizismus für den Weg in diese "Postmoderne" gefordert.22
Soziologische Analysen ergaben nämlich auch neue Auskünfte über die Entwicklung
des Christentums im Fortgang der "Moderne". Das Beklagen "kultureller Inferiorität"
am Ende des 19. Jahrhunderts hatte wohl zu sehr aus dem Blick verlieren lassen, daß
auch der Katholizismus bereits in den zurückliegenden Jahrzehnten zwar nicht inte-
grierter Bestandteil einer "humanistischen" Bildungskultur war, aber längst seinen
Platz innerhalb der bürgerlich-modernen Industriegesellschaft gefunden hatte.23 Wie
alle anderen "Traditionen" war auch der Katholizismus zu einem "Milieu" innerhalb
der Gesellschaft geworden, der mit anderen "Milieus" gemeinsam die Entwicklung im
sozialen und politischen Leben mitbestimmte. "Milieu" ist für Gabriel ein
"Gruppenzusammenhang mit einem gewissen Wir-Gefühl", der "über eine eigene
'Welt-Anschauung', eigene Institutionen und eigene Alltagsrituale verfügt"24 Gerade
die Neuscholastik habe eine wesentliche Rolle für die Durchsetzung des Katholizis-
mus als Sozialform gespielt;25 die "katholische Weltanschauung", die dem katholi-
schen Milieu sein Gepräge gab, beschreibt Gabriel als ein "dualistisches" Gebilde, in
dem der Welt Gottes und der Kirche die Welt der bösen Mächte gegenübergestanden
sei.26 Ob diese Kennzeichnung zutrifft, mag dahingestellt sein; jedenfalls wird damit
angedeutet, in welcher Weise eine dem Volk vermittelte "Weltanschauung" zum inte-
grierenden Faktor eines katholischen "Milieus" innerhalb der bürgerlich-modernen
Industriegesellschaft werden konnte.
In der restaurativen Phase der fünfziger Jahre vermochte das katholische "Milieu"
sogar zu einer neuen, bisher nicht dagewesenen Bedeutung aufzusteigen.27 Das
"Abschmelzen der Milieus" im Zuge des nachfolgenden Modernisierungsschubs

19
Vgl. Gabriel, Christentum, 69-79.
20
Zur Verwendung dieses umstrittenen Begriffes vgl. Gabriel, Christentum, Anm. 9, 17.
21
Vgl. Gabriel, Christentum, 121-141.
22
Vgl. Gabriel, Christentum, 193-202; F. X. Kaufmann/t B. Metz, Zukunftsfähigkeit. Suchbewegungen
im Christentum, Freiburg i. Br. 1987
23
Vgl. Gabriel, Christentum, 80-104. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. v. a. Hurten, Kurze
Geschichte.
24
Gabriel, Christentum, 96.
25
Vgl. Gabriel, Christentum, 82-87.
26
Vgl. Gabriel, Christentum, 99f.
27
Vgl. Gabriel, Christentum, 104-117.
544 Schluß

dagegen führte zur Auflösung des Katholizismus als Sozialform, in dessen Verlauf
auch die "katholische Weltanschauung" bedrohliche Risse bekam.28 Es kam zu einer
Pluralisierung des vormals einheitlichen Gebildes; verschiedene "Sektoren" (ein
"fundamentalistischer", ein "explizit-interaktiver", ein "diffuser", ein
"arbeitsorganisatorischer", sowie ein in "Bewegungen" engagierter Katholizismus)
traten auseinander. Längst hat somit faktisch die "Postmoderne" in die Kirche Einzug
gehalten, ohne daß diese sich damit bereits versöhnt und auf dieser Grundlage eine
neue überzeugende Zukunftsperspektive formuliert hätte.

b. "Postmodernes" Denken

Der neuen kulturellen Situation entspricht auch ein bestimmtes Denken, das sich
dezidiert als "postmodern" definiert.29 Seine Vertreter plädieren für einen "forcierten
Pluralismus"*0, der zwar an der Pluralität der Moderne anknüpft, sie aber nun bis in
die letzten anthropologischen und kulturellen Bereiche hinein durchsetzen und zur
Vollendung bringen möchte.31 Postmoderne Denker grenzen sich dabei durchaus von
einer reinen "Beliebigkeit" ab;32 sie setzen darauf, daß sich im Konzept radikaler
Pluralität eine neue Form von "Einheit" herausbildet, die die Form der "Offenheit"
hat:33
"Postmodern gilt es gerade nicht irgendeine Realwerdung von Einheit zu betrei-
ben, sondern dafür Sorge zu tragen, daß nicht eine einzelne Konzeption mit
ihrer Partikularität... die Position des Ganzen für sich beansprucht - mit all den
unterdrückenden, terroristischen und vernichtenden Konsequenzen, die das zu
haben pflegt. Ganzheit - die nur offene Ganzheit sein kann - vermag aus Strak-
turgründen einzig durch ein plurales Denken gewahrt zu werden. Hier liegt eine
geschichtliche Rechtfertigung und Überlegenheit postmodernen Denkens. Es hat
aus realen Erfahrangen mit Ganzheit die Konsequenzen gezogen."34
Philosophisch sieht Wolfgang Welsch nach Kants "Kritik der reinen Vernunft" und
Diltheys "Kritik der historischen Vernunft" die Aufgabe einer "Kritik der pluralen
Vernunft" gestellt35 Genau dies aber hatte auch Guardini in der ersten Phase seines
z
° Vgl. Gabriel, Christentum, 163-192; zur "katholischen Weltanschauung" bes. 166-168.
29
Vgl. dazu v. a. Welsch, Postmoderne Moderne. Ferner: Koslowski/Spämann/Löw, Moderne oder Post-
moderne?; Höhn, Ende oder Wende der Moderne?; ders., Krise der Moderne; Koslowski, Prüfungen der Neu-
zeit. Innerhalb der Philosophie verstehen sich als "postmoderne" Denker v. a. Jean-Francois tyotard, Jacques
Derrida und Gianni Vattimo. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion aus den Bereichen Kunst, Soziolo-
gie und Philosophie sind zusammengestellt in: Welsch, Wege aus der Moderne (1988).
30
Vgl. Welsch, Postmoderne Moderne, 40.
31
"Indem die Postmoderne nicht nur unsere Höhen, sondern auch unsere Tiefen betrifft, entfaltet sie eine
Pluralität, die - anders als im lauen herkömmlichen Pluralismus - auf Elementarfragen durchschlägt. Sie ist
nicht mehr durch den Boden einer gemeinsamen Übereinstimmung getragen und entschärft, sondern tangiert
die Definition noch eines jeden solchen Bodens. Gerade das macht das Dramatische und Prekäre der Postmo-
derne aus und bezeichnet einen ihrer wesentlichen Unterschiede von der Moderne" (Welsch, Wege, 14).
32
Vgl. Welsch, Postmoderne Moderne, 41-43; dagegen Biser, Glaubensprognose, 34-41 ("Prinzip Belie-
bigkeit").
33
Vgl. Welsch, Wege, 16.
34
Welsch, Wege, 16f.
35
Vgl. Welsch, Wege, Anm. 23, 17.
Ausblicke 545

Wirkens grundzulegen versucht; die Gegensatzlehre führte zu einer "Kritik der kon-
kreten Vernunft"36 und vertrat das Konzept einer plural strukturieren Wirklichkeit des
Menschen. Auch die Berliner "Antrittsvorlesung" ordnete "katholische Weltanschau-
ung" in die Vielfalt menschlicher "Blickwinkel" ein, von denen keiner die Position
des Ganzen für sich in Ansprach nehmen konnte. Als "Vordenker" der
"Postmoderne"37 kann Guardini daher nicht so sehr deswegen bezeichnet werden,
weil er das "Ende der Neuzeit" verkündet hat, sondern in erster Linie durch sein
Ernstnehmen menschlicher Pluralität. Sie verband sich freilich bei ihm mit einem
gewissen Pessimismus hinsichtlich der autonomen Leistungskraft einer pluralen Kul-
tur: Daß die Einheit des Ganzen schon durch die Pluralität selbst gewährleistet sein
könnte, schien ihm unmöglich. Wohl aber war sie ermöglicht durch einen
"übertypischen" Glauben, der Pluralität und Einheit miteinander verband.

c. "Postmoderne" Theologie

Guardinis Konzept einer "katholischen Weltanschauungslehre" müßte noch erheblich


vertieft werden, um im Gespräch mit "postmodernen" Denkern und Kulturkonzeptio-
nen tragfähig und überzeugend genug erscheinen zu können; seine Bedeutung jedoch
liegt weniger in der konkreten Durchführung, als vielmehr in der darin zutage treten-
den Absicht: Es geht um nichts weniger als um die christliche Antwort auf eine
"vollendete Moderne" in Gestalt einer "postmodernen" kulturellen Pluralität.
Zu bedauern ist, daß Guardini selbst an der Grundlegung einer "postmodernen"
Theologie (in diesem Sinne!) nicht weitergearbeitet hat 38 Inzwischen kommen Im-
pulse dazu vor allem aus der nordamerikanischen Theologie.39 Auch die europäische
Theologie wird aber "auf dem Weg in die 'Postmoderne'"40 nicht daran vorbeikom-
men, sich mit dem Konzept radikaler Pluralität konstruktiv auseinandersetzen, und
zwar auf eine Weise, die gleichzeitig das Spezifisch-Christliche wahrt.41 Es geht da-
bei nicht allein um eine Auseinandersetzung mit den konkreten Konzeptionen
"postmodernen" Denkens, deren Angemessenheit und Wahrheit wir in unserem Zu-
sammenhang ruhig dahingestellt lassen können. Wichtig ist vor allem, ob sich die
Jb
Vgl. Gegensau, 191.
37
Vgl. Biser, Glaubensprognose, 29.
38
Vgl. allerdings die späten Bemerkungen in: Pluralität und Entscheidung (1962); siehe dazu oben unter
Kap. VI,3,b,bb [1].
39
Einen Überblick über die Diskussion bieten v. a. Kasper, Postmoderne Dogmatik; T. Rendtorff, Die
umstrittene Moderne in der Theologie. Ein transkultureller Vergleich zwischen der deutschen und der nord-
amerikanischen Theologie, in: Renz/Graf, Umstrittene Moderne, 374-389. Ein wichtiges Werk erschien vor
kurzem in deutscher Übersetzung: D. Tracy, Theologie als Gespräch. Eine postmoderne Hermeneutik, Mainz
1993. "Das Thema dieses Buches ist das Gespräch. Vielleicht kann diese häufig vernachlässigte Grundgege-
benheit unseres Geisteslebens durch einige strenge Reflexionen über ihre Möglichkeiten in unserer postmo-
dernen Situation gestärkt werden. Es gibt keine intellektuelle, kulturelle, politische oder religiöse Interpretati-
onstradition, die nicht letztlich von der Qualität ihres Gesprächs lebte; und es gibt auch keine Tradition, die
nicht schließlich ihre eigene Pluralität und Ambiguität anerkennen müßte" (ebd., 11; vgl. den amerikanischen
Originaltitel: "Plurality and Ambiguity"!).
40
Vgl. KUng, Theologie im Aufbruch, 16-27.
41
Im Rahmen der Ekklesiologie versucht dies Medard Kehl (vgl. Kirche, 165-210); er greift dazu ausführ-
lich auf die soziologischen Untersuchungen von F. X. Kaufmann und K. Gabriel zurück.
546 Schluß

Theologie der "postmodernen" Realität stellt, die die Existenz des heutigen Menschen
prägt.
Gabriels Analyse ist in dieser Hinsicht erhellend; sie ersetzt zwar nicht theologi-
sche Überlegungen über das Wesen des Christentums und seine Vermittlung, kann
aber diese Überlegungen in die kulturelle Gesamtsituation einordnen helfen. An
einem Punkt allerdings weist Gabriel einen entscheidenden Schwachpunkt auf: Er
übersieht die innerkirchlichen Aufbrüche nach dem Ersten Weltkrieg, denen Guardini
seine eigentliche Prägung verdankte. Kurzerhand wird diese Phase übersprungen bzw.
der vorangegangenen Phase des Milieukatholizismus zugeordnet42 Ähnlich ausge-
blendet wird der katholische Aufbrach der zwanziger Jahre immer noch in den Äuße-
rungen zu einem theologischen "Paradigmenwechsel",43 sowie in ekklesiologischen
Standortbestimmungen.44 Die Beschäftigung mit Romano Guardini hat jedoch ge-
zeigt, daß bereits damals Wege beschritten wurden, die nicht mehr nach rückwärts,
sondern in die Zukunft orientiert waren. Dies zeigt sich vor allem an der Art und
Weise, wie Guardini von "katholischer Weltanschauung" sprach; er verstand daranter
bereits etwas völlig anderes als die in verschiedenen Inhalten zu charakterisierende
Weltanschauung eines bestimmten innerkulturellen "Milieus" (s. o.). "Katholizität"
bedeutete gerade die Überwindung jedes "Milieus", und "Weltanschauung" war kein
System, sondern die "Offenheit" eines Blicks, der sich vom Glauben auf das "Ganze"
der "Welt" richtete. In diesem Sinne weist Guardinis Werk weit voraus in die Zu-
kunft, und es darf erwartet werden, daß die Untersuchung weiterer Theologen seiner
Generation ein viel differenzierteres Bild dieser Übergangsphase ans Licht fordern
wird, als dies bisher der Fall war.

d. Offener Blick und fester Stand

Der soziologisch geschärfte Blick läßt uns heute weit differenzierter in die kulturelle
und kirchliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts blicken, als dies Guardini - aus per-
sönlichen, milieubedingten und historischen Gründen - möglich war. Wir haben ihm
aber auch das Wissen voraus, wie es tatsächlich weitergegangen ist - nämlich in vieler
Hinsicht durchaus anders: Die Säkularisierung der Kultur (im Sinne einer die Religi-
on ausscheidenden "Verweltlichung") ist nicht weitergegangen, sondern zum Still-
stand gekommen.45 Die Religion verschwand keineswegs aus dem öffentlichen
Bewußtsein,46 so daß - wie Guardinis letzte Prognosen andeuteten - das Christentum
sich, auf alle kulturellen und religiösen Stützen verzichtend, in einer sehr "kargen",

42
Ohne Übergang wechselt Gabriels Rückblick vom "neuscholastisch" geprägten Milieukatholizismus
(vgl. Christentum, 80-104) zum Katholizismus der fünfziger Jahre (vgl. ebd., 104-119).
43
Vgl. v. a. KUng, Theologie im Aufbruch, bes. 222-233: "Das Paradigma des katholischen Traditiona-
lismus" - "Spekulativer Ausweg? Karl Rahner" - "Theologie der Krise: Karl Barth".
44
Vgl. etwa Kehl, Kirche, 354-384: "Das 1. Vatikanische Konzil: Der Papst als entscheidender Garant der
Einheit und Wahrheit" - "Das 2. Vatikanische Konzil: Wiederentdeckung des gemeinsamen Subjektseins der
Kirche".
45
Vgl. dazu Biser, Glaubensprognose, 83 u. ö.
46
Vgl. dazu etwa H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz-Wien-Köln 1986; Gabriel, Christentum,
157-163.
Ausblicke 547

auf das Wesentliche konzentrierten Gestalt bewähren müßte. Die Pluralisierang der
Kultur führte vielmehr lediglich zur Individualisierang, De-Institutionalisierung und
Pluralisierung der Religion;47 die "Postmoderne" setzte wider Erwarten nicht nur
religions-, sondern auch christentumsproduktive Tendenzen frei;48 religiöse, esoteri-
sche und ganzheitliche Strömungen erfuhren allerdings eine gewaltige Aufwertung -
zu Lasten eines kirchlich gebundenen Glaubens.49 Das allgemeine Krisengefühl
scheint sich ferner durch die ökologische Problematik noch verschärft zu haben und
mündet nun wieder in die Suche nach "ganzheitlicher" Wissenschaft, Religiosität und
Lebenspraxis ein.50
Nicht nur von dieser "Ganzheitlichkeit" her kommt jedoch nun neuer Widerstand
gegen die neuzeitliche Rationalität und einen radikalen "postmodernen" Pluralismus.
Die vielschichtige "fundamentalistische" Strömung in Politik, Gesellschaft und Reli-
gion sucht sich wieder auf einfache Wahrheiten und beruhigende Sicherheiten
zurückzuziehen.51 Auch innerhalb der Kirche kommt es jetzt neben ernsthaften Dia-
logversuchen auch zu einem ängstlichen Rückzug in das vertraute katholische
"Ghetto". Damit kehren aber auch die alten Frontstellungen des 19. Jahrhunderts und
der "Modernismus-Krise" ("Liberalismus" einerseits, "Ultramontanismus" bzw.
"Integralismus" andererseits) zurück; ja es ist zu erwarten, daß dieser Konflikt sich
noch weiter zuspitzt. Weder eine unkritische Übernahme des "postmodernen Para-
digmas" noch die totale Ablehnung hat aber eine Chance, die Zukunftsfähigkeit des
christlichen Glaubens zu begründen. Ein möglicher "Postmodernismus", der das
"Unterscheidend-Christliche" übersieht, und ein "Fundamentalismus", der die
"relative Autonomie" der Kultur leichtfertig überspringt, führen je auf ihre Weise zum
Abbruch des Dialogs zwischen Glaube und Kultur, von dem nur dort gesprochen
werden kann, wo beide Gesprächspartner ihre Identität klar zum Ausdruck bringen
und mit einer Offenheit füreinander verbinden können. Dies erfordert von Kirche und
Theologie schwierige "Balanceakte", die aber schon das Zweite Vatikanische Konzil
zur Pflicht der Kirche erklärt hat: Es gehe darum,
"nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu
deuten."
So könne die Kirche
"in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fra-
gen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen
Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben" (GS 4,1).
Indem das Konzil das "Licht des Evangeliums" ins Spiel bringt, erinnert es Kirche
und Theologie an die bleibende Identität des christlichen Glaubens. Die Rückbesin-
nung auf dieses "Fundament" darf daher auch in Zukunft nicht den
"Fundamentalisten" überlassen bleiben. Gleichzeitig darf aber auch die

47
Vgl. Gabriel, Christentum, 141-157.
48
Vgl. Gabriel, Christentum, 157-163.
49
Vgl. hierzu etwa Sudbrack, Neue Religiosität; Kehl, New Age.
5
" Vgl. v. a. F. Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. Aktualisierte Ausgabe, München
1991.
51
Vgl. dazu etwa Pfurtner, Fundamentalismus; Balthasar, Integralismus heute; Beinert Fundamentalis-
mus. Neuner, Warnungen.
548 Schluß

"Gesprächsbereitschaft" mit der "postmodernen" Kultur nicht allein die Sache derer
bleiben, nach denen sowieso alle Religionen, Weltanschauungen und Lebenskonzepte
"dasselbe" sind und jede Erinnerung an die einmalige und unüberbietbare Offenba-
rung Gottes in Jesus Christus einem überholten "Fundamentalismus" gleichkommt.
Gerade Romano Guardini hat gezeigt, daß sich Offenheit und fester Stand durchaus
verbinden können. So können wir abschließend im Anschluß an ihn, aber auch im
Blick über ihn hinaus, nach möglichen Zukunftsperspektiven fragen.

e. Akzente und Fragestellungen

Wir haben drei Schwerpunkte in Guardinis Werk feststellen können. Sie können auch
den Rahmen für mögliche theologische Akzentsetzungen in der gegenwärtigen und
künftigen Theologie bilden.

aa. Die Beheimatung des Menschen im Glauben


Für die kulturelle Beheimatung des Glaubens ist es auch in Zukunft wichtig, wie die
maßgeblichen Vertreter der Liturgischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg auf
die Sehnsüchte und Erwartungen der Menschen zu hören und ihnen in den Aus-
drucksformen des Glaubens Raum zu geben. Theologie und Pastoral müssen wieder
"mystagogisch" werden, d. h. den Menschen in seinen anthropologisch-kulturellen
Voraussetzungen "abholen" und ihn behutsam vor das "Geheimnis" des Glaubens
führen. Dazu könnten folgende Akzente hilfreich sein:
1. Immer noch bildet die Liturgie einen wichtigen Ort für "mystagogische" Bemü-
hungen.52 Nicht nur mittels Worte kann dabei das "Geheimnis" erschlossen werden;
auch die Kraft der "heiligen Zeichen" (Guardini) steht zur Verfügung, die gegebenen-
falls neu erschlossen bzw. dahingehend verändert werden müßten, daß sie "das Hei-
lige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, daß das
christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaft-
licher Teilnahme mitfeiern kann" (SC 21,2).
2. Die Wirklichkeit der Kirche insgesamt muß "mystagogische" Qualitäten zurück-
gewinnen. Das verheerende Image der Kirche in der Gegenwart bedarf dringend Kor-
rekturen im Blick auf die Frage, wie Kirche sich in der Öffentlichkeit darstellt und
inwiefern sie auch einem legitimen Pluralismus Raum geben kann. Ein "Erwachen der
Kirche in den Seelen", wie es in den zwanziger Jahren aufkam, kann aber nicht her-
beigezwungen werden. Es ereignet sich immer dort, wo lebendige Glaubensgemein-
schaft in kleinen Gruppen und engagierten Gemeinden erfahren wird. Kirche darf
nicht nur der Konfliktraum zwischen amtlich-autoritativem Lehramt und gläubigem
Einzelnen sein; sie bedarf der Gemeinschaften, in denen der Einzelne sich selbst als
Glied der Kirche erfährt und so für eine gläubige Existenz in der Welt zugerüstet
wird.53 In der theologischen Lehre von der Kirche bedarf es begleitend einer Konzen-
tration auf den "commM/tiV-Gedanken, der nicht nur das Verhältnis von Ortskirchen

->z Vgl. etwa Richter, Mystagogische titurgie.


53
Vgl. dazu auch Gabriel, Christentum, 188-192, sowie 198-200.
Ausblicke 549

oder zwischen Laien und Amtsträgern regelt, sondern auch - angeregt durch Erfah-
rungen in Ländern der Dritten Welt - die christliche Qualität menschlicher Gemein-
schaft angemessen würdigt54
3. Liturgie und Kirche bedürfen der christlichen Vertiefung: Die Rückbesinnung
auf die Heilige Schrift und die Konzentration auf die Gestalt Jesu Christi, die wir bei
Romano Guardini beobachten konnten, ist inzwischen innerkirchlich nachvollzogen
worden (vgl. die Basisgemeinden in Lateinamerika, die Schriftgespräche in katholi-
schen Gemeinden, die zahlreichen Jesus-Bücher). Die historisch-kritische Exegese
erhält dabei zu Recht ein stärkeres Gewicht, als es bei Guardini der Fall war. Sie muß
aber wohl stärker als bisher ihren wissenschaftlichen Anspruch mit der Existenz des
konkreten Menschen in Verbindung bringen. Dies ist Guardinis Herausforderung für
alle theologischen Disziplinen. Nicht nur die Praktische Theologie muß in diesem
Sinne "praktisch" sein; auch die historischen und vor allem die systematischen Fächer
müssen die gegenwärtige kulturelle Situation und ihre Folgen für die christliche Exi-
stenz in ihre Überlegungen einbeziehen. Entscheidende Bedeutung wird dabei wei-
terhin einer christlichen Anthropologie zukommen, die nach dem Wesen des Men-
schen im Licht der Offenbarung fragt. Für die Grundlegung "mystagogischer" Bemü-
hungen, aber auch im Dialog mit anderen religiösen Traditionen (s. u.) wird auch die
Rückbesinnung auf das Phänomen der "Mystik" von Bedeutung werden, die einen
festen Bestandteil der christlichen Glaubensgeschichte bildet, im Ganzen des kirchli-
chen Lebens aber oft abgelehnt, ausgegrenzt oder in eine "spirituelle Nische" abge-
schoben worden ist 55

bb. Gläubige Interpretation der Kultur


Guardini hat den Blick auf die Welt zu einer wichtigen Aufgabe des Glaubens erklärt.
Dies ist immer noch nicht überholt, auch wenn in formaler und inhaltlicher Hinsicht
neue Akzente gesetzt werden müßten.
1. Zunächst gilt es, die Begriffe "Welt" und "Kultur" theologisch noch genauer zu
klären; dazu muß beim Selbstverständnis des heutigen Menschen angesetzt, dieses
jedoch auf dem Hintergrund der christlichen Schöpfungs- und Erlösungslehre vertieft
und dann in eine theologische Anthropologie (s. o.) integriert werden. Autonomie und
Theonomie müssen in das rechte Verhältnis zueinander kommen.56 Das restaurative
Modell (Autonomie als Abfall von Theonomie) läßt sich dabei nicht mehr verwenden;
aber auch das progressive (Autonomie als Verwirklichung der Theonomie) stößt an-
gesichts der negativen Folgen des neuzeitlichen Fortschrittsglaubens an Grenzen. So
bleibt nur eine Lösung übrig, die das gegenseitige Verhältnis nicht einseitig auflöst,
sondern in seiner spannungsvollen Problematik stehen läßt57 Hierzu könnte Guardi-
nis "antinomische" Interpretation des katholischen Analogiegedankens weiterbedacht
werden, in der die positive Bezogenheit von Autonomie und Theonomie (Kultur und

54
Vgl. dazu v. a. Kehl, Kirche.
55
Vgl. dazu v. a. Schilson, Gottes Weisheit im Mysterium. Vergessene Wege christlicher Spiritualität.
56
Vgl. dazu Kasper, Autonomie, 165-169.
57
Kasper erwähnt zwei Modelle: das der "Korrelation" (Tillich) und das der "Analogie" (vgl. Autonomie,
172-175).
550 Schluß

Glaube, Natur und Gnade) einer klaren Unterscheidung des Christlichen gegenüber-
gestellt und in eine eschatologische Gesamtschau von Welt und Geschichte integriert
wird. Auf diese Weise wird nämlich sowohl einem Fundamentalismus (katholischer
oder protestantischer Prägung) der Boden entzogen wie einem radikalen Liberalis-
mus: Der "theonome" Glaube wird gerade verwirklicht im offenen Dialog mit einer
"autonomen" Kultur, während die "autonome" Verwirklichung des Menschen nur im
Glauben ihre letzte Begründung (nicht unbedingt freilich ihre inhaltliche Konkretisie-
rung) empfangen kann.
2. Nicht nur in der theologischen Begründung, sondern auch im konkreten Vollzug
ist eine Anknüpfung an Guardini möglich. Dies gilt vor allem für zwei Bereiche, in
denen seine katholische Weltanschauung besonders fruchtbar geworden ist: in der
Interpretation von Dichtung, sowie in der Kritik der Gegenwartskultur. Dichterische
Zeugnisse bringen die Selbstinterpretation menschlicher Existenz angesichts einer
bestimmten kulturellen Situation besonders unmittelbar zum Ausdrack. Gerade hier
aber kann sich auch die oben angedeutete Verhältnisbestimmung von Glaube und
Kultur (Theonomie und Autonomie) bewähren. Schon das II. Vatikanische Konzil hat
den Zeugnissen von Literatur und Bildender Kunst gegenüber die "Konfrontations-"
durch eine "Korrelationsmethode" abgelöst58. Karl-Josef Kuschel geht noch darüber
hinaus, wenn er eine "Theopoetik" vorschlägt, die nach der Methode einer
"strukturellen Analogie" arbeitet; sie überwindet eine bloße Funktionalisierung von
Literatur, wie sie auch noch in der korrelativen Methode anklingt (christliche
Botschaft als Antwort auf die Fragen, die Literatur stellt), ohne dabei jedoch die
Loyalität mit den Urzeugnissen der Heiligen Schrift aufzugeben.59 "Ziel ist eine
Theologie, die für ihr eigenes Reden von Gott den Dialog mit der Literatur sucht,
ohne sich bis zur Profillosigkeit wegzunivellieren oder kulturell anzupassen."60
Genau diesem Ziel wußte sich auch Guardini verpflichtet; in seinen Interpretationen
artikulierte sich eine "antinomisch" verstandene "Analogie", die keineswegs die
Literatur bloß für eigene Zwecke funktionalisiert, sondern Entsprechungen und
Entfremdungen gleichermaßen registriert.61 So können sie weiterhin als Modelle
theologischer Literaturinterpretation dienen, auch wenn sie methodisch und inhaltlich
in mancher Hinsicht inzwischen überholt sein sollten.
3. Über Guardini hinaus müßte ein heutiger Umgang mit Literatur auch die Ergeb-
nisse der zuständigen Fachwissenschaft intensiver zur Kenntnis nehmen. Dadurch

58
"Auf ihre Weise sind auch titeratur und Kunst für das teben der Kirche von großer Bedeutung, denn
sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und Erfah-
rungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; sie gehen darauf aus, die
Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not
und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der
Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen ...
So wird das Wissen um Gott besser verdeutlicht, die evangelische Botschaft wird dem Geist der Menschen
zugänglicher und zeigt sich als etwas, was gewissermaßen ihrem Dasein schon immer eingestiftet war"
(GS 62). Zur Einordnung dieses Textes vgl. Kuschel, Dichter, 380-383.
59
Vgl. Kuschel, Dichter, 384-396.
60
Kuschel, Dichter, 386. - Kuschel verweist bereits im Vorwort seiner Arbeit auf Guardini, "der wie kaum
ein anderer katholischer Theologe den Dialog zwischen Theologie und Literatur geführt hat" (ebd., 12).
61
Vgl. Kuschel, Dichter, 385.
Ausblicke 551

müßte die intuitive Begegnung nicht unbedingt schwächer werden, sondern könnte
sogar noch gewinnen. Darüber hinaus darf nicht mehr Literatur bzw. Kunst mit
"Kultur" überhaupt identifiziert werden, wie das in einem "humanistischen" Bil-
dungskonzept (nicht mehr aber bei Guardini) der Fall sein konnte. Theologie müßte
neben der Dichtung auch noch viele andere Felder entdecken, die heute für das kultu-
relle Selbst- und Weltverständnis der Menschen von Bedeutung sind und hier nur
benannt werden können: die Welt der elektronischen Medien mit ihren Methoden und
Inhalten; die Symbole und Botschaften der modernen Rockszene, in denen sich das
Selbstverständnis der heranwachsenden Generation spiegelt; die revolutionären Ver-
änderungen durch die elektronische Datenverarbeitung, die mehr und mehr in jede
Familie Einzug hält und völlig neue kulturelle Möglichkeiten eröffnet; die Erkennt-
nisse der Naturwissenschaften, die weiterhin zu den bestimmendsten Faktoren des
modernen Selbst- und Weltverständnisses gehören; die Ergebnisse soziologischer
Untersuchungen, aus denen sich - wie oben gezeigt wurde - entscheidende Verschie-
bungen in der kulturkritischen Praxis ergeben; nicht zuletzt schließlich die konkrete
politische und soziale Wirklichkeit der heutigen Menschheit mit ihren gewaltigen
ungelösten Problemen und Herausforderungen. Auch diese Felder gehen weit über
Guardinis Versuche und das darin verwendete methodische Instrumentarium hinaus;
sie zu beschreiten, bedeutet aber gerade eine Fortführung dessen, was er mit seinem
Vorschlag einer "katholischen Weltanschauungslehre" gemeint hat.
4. Der Blick auf Welt und Kultur darf nicht ohne Rückwirkungen auf den Glauben
bleiben. Auch dies hat Guardini deutlich gezeigt. Seine Suche nach einer "anderen"
Theologie nahm ihren Ausgang von der Frage nach den "Dringlichkeiten" des Glau-
bens angesichts einer gewandelten kulturellen Situation. Es ging dabei nicht um die
Leugnung bisher gültiger Glaubenswahrheiten, sondern um eine deutlichere Akzentu-
ierang und Gewichtung im Blick auf das, was die Menschen in einer bestimmten Kul-
tursituation existentiell umtreibt. "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Men-
schen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude
und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi" (GS 1). Wenn diese Behauptung
des II. Vatikanischen Konzils zutreffen soll, dann muß die Existenzsituation in der
"Welt von heute" auch für die systematische Gewichtung der Glaubensinhalte von
Bedeutung sein.62 Wenn dabei andere Schwerpunkte gesetzt werden als im Werk
Guardinis, dann hängt das mit einer schon wieder veränderten Entwicklung der
Menschheit zusammen. Im großen und ganzen bleiben seine Akzentsetzungen gültig,
vor allem die Bündelung der Glaubensinhalte in einer christlichen Anthropologie und
einer Theologie der gläubigen Existenz, die auch für eine immer schwieriger werden-
de Lehre von der Kirche den notwendigen Ausgangspunkt bildet.

cc. Der gemeinsame Dialog über die Zukunft des Menschen


Die beiden bisher genannten Fragestellungen - Beheimatung des Menschen im Glau-
ben, gläubige Interpretation der Kultur - haben ein gemeinsames Ziel: Zwischen
Glaube und Kultur bzw. christlicher Existenz und menschlicher Selbstentfaltung soll

Vgl. dazu auch Biser, Glaubensprognose, bes. 339-382.


552 Schluß

eine Beziehung hergestellt, ein "Dialog" ermöglicht werden. Der Begriff setzt voraus,
daß "Glaube" und "Kultur" sich als verschiedene "Subjekte" gegenüberstehen, was
ohne den Autonomieprozeß der Neuzeit nicht denkbar wäre. Dennoch beginnt der
"Dialog" schon als Selbstdialog in der Existenz des einzelnen Glaubenden, der zu-
gleich die Botschaft der Kirche aufnimmt und von einer bestimmten Kultur geprägt
ist; er setzt sich fort im innerkirchlichen Dialog, der angesichts zunehmender Plurali-
sierung gläubiger Existenz eine immer größere Bedeutung gewinnt; er greift schließ-
lich über die Grenzen der eigenen Kirche hinaus und sucht das Gespräch mit Men-
schen anderer christlicher Konfessionen, anderer Religionen, ja sogar mit Menschen,
die auf jede religiöse Bindung verzichten.
1. Alle Formen des Dialogs gewinnen besondere Bedeutung in der Frage nach der
Zukunft des Menschen; ja sie werden von dorther besonders dringlich. Das
II. Vatikanische Konzil hat über diese Zukunft optimistischer gedacht als Guardini,
während inzwischen die negativen Seiten der kulturellen Entwicklung wieder mit
aller Wucht auf die Gemüter drücken. Vieles von dem, was Guardini in seinen kultur-
kritischen Schriften aufgegriffen hat, ist jetzt noch besorgniserregender geworden -
das Phänomen der Macht, die Folgen der Technik, die Zerstörung der Umwelt, das
Phänomen der Masse, die Einsamkeit und "Ortlosigkeit" des Menschen. Die Bedeu-
tung menschlicher Personalität bleibt das Thema in einer "postmodernen" Welt - für
Christen wie für NichtChristen. In den Dialog darüber hat das christliche Denken
Wesentliches einzubringen und darf diese Aufgabe gegenüber innerkirchlichen
Nebenthemen nicht vernachlässigen. Wenn es Christen gelingt, die unbedingte Würde
und Unverfügbarkeit der Person deutlich zu machen und vorzuleben, werden sie als
Dialogpartner auch in Zukunft ernstgenommen werden - auch wenn sie sich - zumal
in Europa - nun mit einer Minderheitenrolle zufriedengeben müssen. Die Chance
eines kulturellen Pluralismus besteht ja darin, nun endlich - ohne um Leib und Leben
fürchten zu müssen, aber auch ohne mit sekundären Mitteln die eigene Überzeugung
anderen aufzuzwingen - den Glauben bezeugen und vorleben zu können.
2. Der Dialog beginnt im Menschen selbst und hat als Ziel die eigene Person und
ihre Entfaltung in einer christlich gelebten Existenz. Kirche und Theologie müssen
Hilfen dazu bereitstellen. Dazu gehören alle Punkte, die oben genannt sind, vor allem
aber das Ernstnehmen des christlichen Einzelnen mit seiner unverwechselbaren
Lebensgeschichte und seinen besonderen Charismen. Theologie und Kirche müssen
einerseits offen sein für die Vielfalt möglicher Berufungen, andererseits die
"katholische" Einheit zu gewährleisten suchen in der Rückbindung an den Ursprung
in Gottes Offenbarang in Christus. So wird von selbst der Dialog mit anderen
Christen innerhalb und außerhalb der eigenen Konfession entstehen, wobei die Feier
der Liturgie für das Zusammenfinden der vielen Einzelnen eine nicht zu unterschät-
zende Bedeutung haben wird. Es müßte möglich sein, daß Christen sich gerade im
Gottesdienst ihrer Vielfalt freuen und sich gleichzeitig ihrer Zusammengehörigkeit
und Einheit versichern. So verstanden, könnte Liturgiefähigkeit auch in einer plural
verstandenen Kultur wieder wachsen.
3. Doch der Dialog greift über die Grenzen von Liturgie und Kirche weit hinaus. In
einer pluralen Kultur leben Menschen anderer religiöser Überzeugungen nicht mehr
Ausblicke 553

in fernen Ländern oder in fremden "Milieus". Sie begegnen vielmehr mitten im eige-
nen Lebensraum - am gemeinsamen Arbeitsplatz, im gleichen Verein, in derselben
Familie. So ist schon der Einzelne zum Dialog mit NichtChristen aufgefordert, um so
mehr aber die Theologen, die Seelsorger und das kirchliche Lehramt. Guardini hat
bereits, herausgefordert durch die besondere Berliner Situation, in seinen Vorlesun-
gen und Schriften überraschende Schritte über das eigene "Milieu" hinaus getan -
nicht nur im Blick auf die Kultur, sondern auch in Bezug auf die religiösen Erfahrun-
gen der Menschheit. Der Dialog blieb allerdings noch recht anfanghaft, während das
II. Vatikanische Konzil mit mutiger Entschlossenheit die Brücke "ad extra" geschla-
gen hat (Ökumenismusdekret, Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen
Religionen, Erklärung über die Religionsfreiheit). Die Pastoralkonstitution ging sogar
ausführlich auf den Atheismus ein (GS 19-21), forderte zu einem "aufrichtigen und
klugen Dialog" (GS 21,7) mit ihm auf und bot die Verteidigung der Menschenwürde
als wichtigstes Thema dafür an (GS 21,8). Dieser Dialog muß auch - gegen
"fundamentalistische" Einsprüche - unbeirrt fortgesetzt werden; nur unter dieser Vor-
aussetzung kann von einer wirklichen "Neucvangelisierung" Europas gesprochen
werden; und nur so kann eine "Re-Inkulturation" des Christentums in die abendländi-
sche Kultur und in die zusammenwachsende Weltkultur gelingen. So wird die Theo-
logie sicher gut daran tun, etwa die Gestalt und die Lehre des Buddha, die Guardini
auffallend oft erwähnt, näher zu betrachten; sie wird sich mit den östlichen
Erlösungslehrcn beschäftigen müssen, die seit Jahrzehnten auch in Europa große
Faszination auslösen und in der Gegenwart an Bedeutung eher zu gewinnen scheinen;
sie wird die Begegnung mit den großen Weltrcligionen verstärken müssen und neben
den Unterschieden die gemeinsame Basis hervorkehren (etwa im Blick auf die
Ethik63). Vielleicht stehen wir - wie Guardini - erst am Anfang einer
"Suchbewegung", die die Zukunft des Christentums im nächsten Jahrhundert bestim-
men wird, und in der es darum geht,
"die Unbedingtheit des gläubigen Denkens mit dem unbefangenen Blick auf die
Wirklichkeit der Dinge und den Reichtum der Kultur ins Verhältnis zu brin-
gen."64

Kann dieser Balanceakt aber heute noch gelingen?


Ist der Mensch dazu fähig, nicht nur den Weg zum Glauben zu finden, sondern mit
seiner Hilfe auch die Herausforderungen der Kultur zu meistern?
Romano Guardini, der sich selbst auch zu einem recht verstandenen Pessimismus
bekannte, erinnerte kurz vor dem Ende seines Lebens, mitten in eigenen schweren
Anfechtungen, an den Optimismus, den der christliche Glaube einem an sich selbst
verzweifelnden Menschen vermittelt und der unausgesprochen im Credo enthalten ist.
Gerade dieser Glaube traut dem Menschen letztlich nicht weniger, sondern mehr zu
als jede sonstige "Weltanschauung":

bi
Vgl. etwa H. KUng, Projekt Weltethos, München-Zürich 1990.
64
Berichte, 86.
554 Schluß

"Man könnte sagen, im Text des Glaubensbekenntnis fehle ein Artikel; der
müßte lauten: Ich glaube an den Menschen, der gebildet wird nach dem Bilde
Christi; daß er in mir ist, trotz allem, und daß er, trotz allem in mir reife."65
Wer an Gott glaubt, glaubt an den Menschen und damit auch an die Kultur, die dieser
kraft seiner unverlierbaren Personalität hervorbringen kann.
Er weiß um die Sünde und kennt daher die Gefahr, in die das kulturelle Schaffen füh-
ren kann.
Er weiß aber auch um die Erlösung durch Christus und das Wirken des Heiligen Gei-
stes - um die Selbstoffenbarung Gottes also, die dem Menschen seine ursprüngliche
Fähigkeit zurückgibt, die "Welt" wieder in der rechten Weise "in die Hand"66 zu
nehmen.

65
Nur wer Gott kennt, 28 [1965 hinzugefügt; vgl. oben unter Kap. VII,3,d].
66
Vgl. WP 26.
Abkürzungen

Alle Abkürzungen - außer den folgenden - entsprechen den Angaben in:


TRE. Abkürzungsverzeichnis, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin-New York
1976.

a. Allgemeine Abkürzungen
DH Heinrich Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen
Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit
von Helmut Hoping hg. v. Peter HUnermann, 37. Aufl., Freiburg i. Br.-Basel-Rom-Wien
1991.
DV IL Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung "Dei
Verbum" (LThK.E II, 479-583).
GS II. Vatikanisches Konzil: Paslorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute
"Gaudium et Spes" (LThK.E III, 241-592).
HFTh Handbuch der Fundamentaltheologie, hg. v. W. Kern / H. J. Pottmeyer / M. Seckler, 4
Bde., Freiburg-Basel-Wien 1985-1988.
HK Herder Korrespondenz, Freiburg.
KatBl Katechetische Blätter, München.
LG II. Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium"
(LThK.E I, 137-359).
LKDogm Lexikon der katholischen Dogmatik, hg. v. Wolfgang Beinert, Freiburg-Basel-Wien 1987.
NHThG Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe, hg. v. Peter Eicher, 4 Bde., München
1984/85.
PLH Adolf Adam / Rupert Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, 2. Aufl., Freiburg-Basel-
Wien 1981.
RJKG Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte, hg. vom Geschichtsverein der Diözese
Rottenburg-Stuttgart, Sigmaringen.
SC II. Vatikanisches Konzil: Konstitution über die heilige Liturgie "Sacrosanctum Concilium"
(LThK.E 1,9-110).
Stabi Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek München, Ana 342.
TTS Tübinger Theologische Studien, Mainz.
556 Abkürzungen

b. Schriften Romano Guardinis

Vgl. zum Folgenden Literaturverzeichnis I.

CK Christentum und Kultur (urspr. 1926).


LB Liturgische Bildung (urspr. 1923).
EdN Ende der Neuzeit, 10. Aufl., Mainz-Paderborn 1986 (GW 1,9-94).
FGS Freiheit, Gnade, Schicksal. Drei Kapitel zur Deutung des Daseins, München 1948.
GW Romano Guardini Werke, hg. v. Franz Henrich (siehe Literaturverzeichnis I,b).
WP Welt und Person, 6. Aufl., Mainz-Paderborn 1988 (GW 7).

Die übrigen Schriften Guardinis werden mit ihren Kurztiteln zitiert (siehe
Litaraturverzeichnis).
Literaturverzeichnis

I. Schriften Romano Guardinis

Im Folgenden handelt es sich nicht um eine vollständige Liste aller Veröffentlichungen. Eine
solche wäre den unten (a) aufgeführten Bibliographien zu entnehmen. Es werden vielmehr je-
ne Schriften angegeben, die meiner Untersuchung in besonderer Weise zugmndeliegen und
von mir auch in den Fußnoten zitiert werden. Im Blick auf die neuere Literatur (seit 1985)
war ich jedoch um möglichst große Vollständigkeit bemüht.
Die Reihenfolge ist alphabetisch und basiert auf den Kurztiteln, die in den Fußnoten
verwendet werden und im Folgenden jeweils kursiv hervorgehoben sind. Unveröffentlichtes
Material (Kurztitel mit *) wird gesondert (d) aufgeführt.

a. Bibliographie
Mercker, Hans: Bibliographie Romano Guardini (1885 - 1968). Guardinis Werke, Veröffentlichungen
über Guardini. Rezensionen. Hg. von der Katholischen Akademie in Bayern, Paderborn-München-
Wien-Zürich 1978.
Genier, Berthold: Nachtrag zur Bibliographie Romano Guardini, Reutlingen 1987 (masch.;
eingesehen wurde das Exemplar im Besitz der Burg Rothenfels).

b. Romano Guardini Werke


Hg. v. Franz Henrich im Auftrag des Sachverständigengremiums für den literarischen Nachlaß
Romano Guardinis bei der Katholischen Akademie in Bayern, Mainz-Paderborn 1986ff. - Im
folgenden abgekürzt: GW.

Diese Ausgabe erhebt nicht den Anspruch einer Gesamtausgabe, möchte aber wichtige, bisher nur
noch schwer zugängliche Werke in einer einheitlichen Reihe vorlegen. Dieses Vorhaben ist aus der
Sicht der Guardini-Forschung sehr zu begrüßen, da eine kritische Ausgabe wohl noch nicht so bald zu
erwarten ist. Zu bedauern ist allerdings das Fehlen einer Bandnumerierung, die den wissenschaftlichen
Benutzem eine einheitliche Zitation ermöglichen könnte. Der Herausgeber beschränkt sich auf die
Angabe von "Sachgebieten", die lediglich eine grobe inhaltliche Einordnung ermöglicht.
Dabei hat im Verkaufsprospekt der "Schriften der Katholischen Akademie in Bayern" (mir liegt die
Ausgabe vom Frühjahr 1991 vor) die an der Herausgabe der Werke beteiligte Institution selbst eine
überaus sinnvolle Numerierung in der Reihenfolge des Erscheinens eingeführt. Ich greife sie an dieser
Stelle aus praktischen Gründen auf und führe sie über den mir vorliegenden Prospekt hinaus fort, um
im anschließenden Verzeichnis der Werke Guardinis auf bereits erschienene Bände dieser Ausgabe
558 Literaturverzeichnis

verweisen zu können. Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich dabei auf die Erstauflage, Zahlen in
runden Klammern auf die Werkausgabe.]

GW 1 Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung (101986) [abgekürzt: EdN; 1950] -
Die Macht. Versuch einer Wegweisung (71986) [1951].
GW 2 Vorschule des Betens (81986) [1943].
GW 3 Das C/in'srMifc/Wderpaulinischen und johanneischen Schriften (31987) [1940].
GW 4 Der Tod des Sokrates. Eine Interpretation der platonischen Schriften Eutyphron, Apologie,
Kriton und Phaidon (51987) [1943].
GW 5 Tugenden. Meditationen über Gestalten sittlichen Lebens (31987) [1963].
GW 6 Der Anfang aller Dinge. Meditationen über Genesis Kapitel 1-3 (31987) [1961] - Weisheit
der Psalmen. Meditationen (21987) [1963]-
GW 7 Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen (61939) [abgekürzt WP;
1939].
GW 8 Gebet und Wahrheit. Meditationen über das Vaterunser (31988) [i960].
GW 9 Sorge um den Menschen, Bd. 1 (41988) [abgekürzt Sorge I; 1962].
GW 10 Sorge um den Menschen, Bd. 2 (21989) [abgekürzt Sorge II; 1966],
GW 11 Religiöse Gestalten in Dostojewskijs Werk. Studien über den Glauben (71989) [1932 unier
dem Titel "Der Mensch und der Glaube. Versuche über die religiöse Existenz in
Dostojewskijs großen Romanen"; in GW 11 fälschlicherweise "1933"].
GW 12 Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen
(41989) [1935].
GW 13 In Spiegel und Gleichnis. Bilder und Gedanken (71990) [1932].
GW 14 Religion und Offenbarung (21990) [1958 unter dem Titel "Religion und Offenbarung.
Erster Band"].
GW 15 Vom Sinn der Kirche. Fünf Vorträge (51990) [1922] -Die Kirche des Herrn.
Meditationen über Wesen und Auftrag der Kirche (21990) [1965].
GW 16 Das Wesen des Christentums (71991) [1938; erw. Fassung von: Christentum 1929; zit.
Christentum 1938] - Die menschliche Wirklichkeit des Herrn. Beiträge zu einer
Psychologie Jesu (31991) [1958].
GW 17 Wille und Wahrheit. Geistliche Übungen (61991) [1933],
GW 18 Christliches Bewußtsein. Versuche über Pascal (4I991) [1935].
GW 19 Liturgie und liturgische Bildung (21992 [1966]).
GW 20 Johanneische Botschaft (21992 [1962]) - Jesus Christus. Geistliches Wort (21992 [1957].
GW 21 Sprache, Dichtung, Deutung (21992 [1962]) - Gegenwart und Geheimnis (31992 [1957]).

c. Veröffentlichte Schriften
Die Abende im Rittersaal, in: Hoffmann, Wehender Geist (1920), 86-89.
Abschied. (Gedicht von Goethe) und ein Wort dazu, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 498; dann unter
dem Titel "Ein Gedicht von Goethe und ein Wort dazu" in: Spiegel und Gleichnis (GW 13), 26f.
Schriften Romano Guardinis 559

Das Ärgernis und das Herz, in: Die Schildgenossen 13 (1934), 492-511 [dann eingegangen in: Pascal
(GW 18), 127-152].
Anfang. Eine Interpretation der fünf ersten Kapitel von Augustins Bekenntnissen, Colmar 1944;
2. Aufl., München 1950; zit. nach der 3. Aufl., München 1953.
Der Anfang aller Dinge. Meditationen über Genesis, Kapitel I-I1I, Würzburg 1961; zit. nach GW 6, 7-
116.
Die Annahme seiner selbst, in: R. Guardini / H. Kahlefeld / F. Messerschmid (Hg.), Christliche
Besinnung. Eine religiöse Hausbibliothek, Bd. 6, Würzburg 1953, 5-30; zit. nach der
Taschenbuchausgabe (unveränd. Nachdruck der 5. Buch-Aufl., 1969) in: Die Annahme seiner selbst
- Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß, Mainz 1987 (= Topos-Taschenbücher 171), 7-35.
Anselm von Canterbury und das Wesen der Theologie, in: Auf dem Wege (1923), 33-65
[Antrittsvorlesung in Bonn 1922; vgl. Herwegen 31, 244].
Arbeitswoche in Rothenfels, in: Die Schildgenossen 2 (1921), 144-147; zit. nach dem Abdruck unter
dem Titel "Aus der katholischen Jugendbewegung. Arbeitswoche in Rothenfels" in: Die Tat 14
(1922), H. 1 (Kath. Sonderheft), 62-64.
Das Argumentum ex pietate beim hl. Bonaventura und Anselms Dezenzbeweis, in: ThGl 14 (1922),
156-165.
Grundformen der Askese, in: Frankfurter Hefte 11 (1956), 40-45 und 200-204; zit. nach der etwas
bearb. Fassung unter dem Titel "Askese als Element der menschlichen Existenz" in: F. Messer-
schmid/ H. Waltmann (Hg.), Vom stilleren Leben, Würzburg 1956 (= Weltbild und Erziehung 16),
23-48.
Der Atheismus und die Möglichkeit der Autorität [1961], in: Sorge I (GW 9), 82-92.
Auf dem Wege. Versuche, Mainz 1923.
Das Auge und die religiöse Erkenntnis, in: Die Schildgenossen 20 (1941), 108-116; zit. nach dem
Wiederabdruck in: Guardini, Sinne (1950), 13-38.
Religiöser Ausdruck (Über Dostojewskijs: Der Idiot und Lesskows: Der versiegelte Engel), in: Die
Schildgenossen 5 (1925), 418-421 [es folgt ein Auszug aus: Nikolai Lesskow, Der versiegelte
Engel, ebd., 422-433].
Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards, in: Hochland 24/11 (1927), 12-33; dann
in: Unterscheidung (1935), 466-496; zit. nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963),
473-501.
Zum Begriff des Befehls und des Gehorsams, in: Pharus 7/11 (1916), 834-843.
Die Begegnung. Ein Beitrag zur Struktur des Daseins, in: Hochland 47 (1954/55), 224-234; auch als
Sonderdruck zum Weihnachtsfest 1955 unter dem Titel: "Die Begegnung. Aus einer Ethikvorle-
sung", Würzburg 1955; dann in: R. Guardini / O. F. Bollnow (Hg.), Begegnung und Bildung,
Würzburg 1956,9-24.
Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen, Leipzig 1935
(GW 12).
Die Bereiche des menschlichen Schaffens, in: Die Schildgenossen 17 (1938), 321-334; zit. nach dem
Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 202-218.
Berichte über mein Leben. Autobiographische Aufzeichnungen. Aus dem Nachlaß hg. v. Franz
Henrich, Düsseldorf 1984 (= Schriften der Katholischen Akademie in Bayern, hg. v. Franz Henrich,
Bd. 116).
Bernhard von Clairvaux in Dantes Göttlicher Komödie, in: Hochland 46 (1953/54), 55-64; zit. nach
dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 555-568.
Zum Begriff des Berufes, in: Akademische Bonifatius-Korrespondenz 35 (1919), 29-41.
Besinnung vor der Feier der hl. Messe, 2 Bde. (Erster Teil: Die Haltung; Zweiter Teil: Die Messe als
Ganzes), Mainz 1939.
Betrachtungen über Gestalten aus der Heiligen Schrift [urspr. in: Burgbrief 1933/1934]; neu
abgedruckt in: Predigten zum Kirchenjahr (1963), 15-19 ("Die ersten Menschen"), 20-25 ("Der
Vater der Glaubenden"), 26-31 ("Der Kämpfer mit Gott"), 32-36 ("Gottesknecht, Führer und
Gesetzgeber").
Zur Beurteilung der liturgischen Bestrebungen, abdruckt in: Theodor Maas-Ewerd, Romano Guardinis
"Beurteilung der liturgischen Bestrebungen". Ein bisher unveröffentlichtes Dokument, in: Bibel und
Liturgie 49 (1976), 176-184, hier 178-181.
560 Literaturverzeichnis

Die Bewegung Gottes, in: Die Schildgenossen 9 (1929), 291-303.


Das Bild von Jesus dem Christus im Neuen Testament, Würzburg 1936.
Grundlegung der Bildungslehre [urspr. 1928], in: Guardini, Unterscheidung des Christlichen (1935),
75-107; später als Monographie: Grundlegung der Bildungslehre. Versuch einer Bestimmung des
Pädagogisch-Eigentlichen, Würzburg 1953 (= Weltbild und Erziehung, hg. v. Felix Messerschmid,
Georg Picht, Hans Waltmann, Bd. 1).
Das Bitten [urspr. 1934], in: Guardini, Unterscheidung des Christlichen (1963), 350-358 (= Drei
Lehrreden, II).
Der Blick auf das Ganze. Ausgewählte Texte zu Fragen der Zeit, hg. u. erläutert von Walter Dirks,
München 1985.
Briefe aus Italien, in: Die Schildgenossen 4 (1923/24), 335-342, 435-442; 5 (1924/25), 17-25, 155-
167, 351-361; zit. nach der Buchfassung unter dem Titel "Briefe vom Comer See", Mainz 1927.
Neuausgabe unter dem Titel "Die Technik und der Mensch" (1981).
De rede van het hart. Correspondentie van F. J. J. Buytendijk met Romano Guardini, ingeleid en
geannoteerd door H. S. Boudier, Zeist 1986.
Um das "Jahrbuch für Liturgie Wissenschaft". Briefe an Odo Casel 1920-1921, hg. v. Angelus A.
Häußling OSB, in: ALW 28 (1986), 184-192.
Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur, in: Die Schildgenossen 6 (1926), 281-
315; dann in: Unterscheidung (1935), 177-221; zit. nach: Unterscheidung (1963), 145-184.
Abgekürzt: CK.
Christi Himmelfahrt und Wiederkehr. Eine Betrachtung, in: Frankfurter Hefte 2 (1947), 829-836.
Lucie Christine, Geistliches Tagebuch (1870-1908), hg. v. P. August Poulain SJ, nach der 2.,
durchges. u. verm. Ausg. v. 1912 übers, v. Romano Guardini, Düsseldorf 1921 (mit einem Vorwort
des Übersetzers); zit. nach der 3. Aufl., Mainz 1952.
Christlicher Realismus [1935], in: Unterscheidung (1963), 359-366.
Das Christusbild der paulinischen und johanneischen Schriften [= 2. Aufl. von: Jesus Christus. Sein
Bild in den Schriften des Neuen Testaments, 2 Bde., WUrzburg 1940; Bd. I: Das Christusbild der
Paulinischen Schriften; Bd. II: Das Christusbild der Johanneischen Schriften], Würzburg 1961; zit.
nach der 3. Aufl., Mainz-Paderborn 1987 (= GW 3).
Notizen zu einem Bilde von Dantes Persönlichkeit, in: Die Schildgenossen 18 (1939), 221-229.
Die Daseinsgestalt Jesu [Wiederabdruck von: Die Grundgestalt von Jesu Dasein, in: Die
Schildgenossen 20 (1941), 1-6], in: Unterscheidung (1963), 611-620.
Eine Denkergestalt des hohen Mittelalters: Bonaventura, in: Die Schildgenossen 10 (1930), 1-12; dann
in: Unterscheidung (1935), 389-403; zit. nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963),
459-472.
Das Dogma, Würzburg 1940 (= Christliche Besinnung 4,28); zit. nach dem Wiederabdruck in:
Glaubenserkenntnis (1949), 127-144.
Der Mensch und der Glaube. Versuche über die religiöse Existenz in Dostojewskijs großen Romanen,
Leipzig 1932. Urspr. als Aufsatzfolge: Die religiöse Existenz in Dostojewskijs großen Romanen, in:
Die Schildgenossen 11 (1931), 98-130; 193-228; 316-351; 420-451. Spätere 2. Aufl.: Religiöse
Gestalten in Dostojewskijs Werk. Studien über den Glauben, Leipzig 1939; zit. nach GW 11).
Die Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben der Gemeinschaft, in: ThGl 8
(1916), 400-406; zit. Dreieiniger Gott - soweit nicht anders angegeben, nach: Auf dem Wege
(1923), 86-94.
Zum Begriff der Ehre Gottes, in: Philosophisches Jahrbuch 31 (1918), 321-334; zit. nach: Auf dem
Wege (1923), 66-85.
Einführung, in: Blaise Pascal, Gedanken. Nach der endgültigen Ausgabe übertragen von Wolfgang
Rüttenauer. Mit einer Einführung von Romano Guardini, Leipzig [1937] (= Sammlung Dieterich,
Bd. 7), VI1-XXVI1I [später unter dem Titel "Die 'Gedanken' Blaise Pascals" in: Die Schildgenossen
17 (1938), 79-92].
Systembildende Elemente in der Theologie Bonaventuras. Die Lehren vom Lumen Mentis, von der
Gradatio Entium und der Influentia Sensus et Motus, hg. v. W. Dettloff, Leiden 1964 (= Studia et
Documenta Franciscana III) [= Habil. 1922 unter dem Titel "Die Lehre vom lumen mentis, von der
gradatio entium und von der influentia sensus et motus und ihre Bedeutung für den Aufbau des
Systems Bonaventuras"].
Schriften Romano Guardinis 561

Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung, Basel 1950; zit. nach GW 1, 7-94. Abgekürzt:
EdN.
Der Engel in Dantes Göttliche Komödie, Leipzig 1937 (= Dantestudien, Bd. 1).
Die Entfernung des Andromeda-Nebels [urspr. in: Briefe aus der Zeit 1/2, in: Die Schildgenossen 6
(1926), 519-530], in: Spiegel und Gleichnis (= GW 13), 173-180.
Die Erkenntnis Widder Kirchenlehrer in Dantes Göttlicher Komödie, in: Hochland 28/11 (1931), 212-
225; dann in: Unterscheidung (1935), 410-429; dann in: Landschaft der Ewigkeit (1958), 195-216.
Die Lehre des heil. Bonaventura von der Erlösung. Ein Beitrag zur Geschichte und zum System der
Erlösungslehre, Düsseldorf 1921 [= Diss. 1915].
Erscheinung des Herrn. Eine Lehrrede, in: Die Schildgenossen 17 (1938), 185-193; zit. nach:
Predigten im Kirchenjahr (1963), 49-59.
Erwiderung, in: Unsere geschichtliche Zukunft (1953), 17-28 [zuerst in: Ende der Neuzeit? Kritik von
Clemens Münster. Erwiderung von Romano Guardini, in: Hochland 44 (1951), 103-120, hier
114-120].
Ethik. Vorlesungen an der Universität München. Aus dem Nachlaß hg. v. Hans Mercker, unter
Mitarbeit von Martin Marschall, 2 Bde., Mainz-Paderborn 1993 (= GW).
"Europa" und "christliche Weltanschauung". Aus der Dankrede bei der Feier meines siebzigsten
Geburtstags in der Philosophischen Fakultät der Universität München am 17. Februar 1955, in:
Guardini, Stationen (1965), 9-22.
Europa. Wirklichkeit und Aufgabe. Rede nach der Verleihung des "Praemium Erasmianum" in Brüssel
am 28. April 1962, in: Sorge I (GW 9), 238-253. Zit.: Europa 1962.
Evangelisches Christentum in katholischer Sicht. Vortrag vor einer evangelischen Gemeinde, in: Una-
Sancta-Rundbriefe 13 (1958), 225-233; später umgearbeitet zu: Kirche und Dogma (1963); ferner
eingearb. in: Kirche des Herrn (GW 15), 150-161.
Die Existenz des Christen. Hg. aus dem Nachlaß, Paderborn 1976.
Fragen zum Problem der Macht, in: Gott in Welt. Festgabe für Karl Rahner, hg. v. J. B. Metz u. a.,
Freiburg 1964, Bd. II, 104-106; zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge II (GW 10),41-44.
Der heilige Franziskus. Zum Gedächtnis, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 3-18.
Zum Begriff der sittlichen Freiheit, in: Pharus 7/11(1916), 977-987.
Freiheit. Eine Gedenkrede (gehalten auf einer Gedenkfeier der Stadt München und der Akademie für
politische Bildung in Tutzing zum 20. Juli 1944 im Alten Rathaus zu München am 19. Juli 1960),
hg. v. d. Akademie für politische Bildung, Tutzing, Würzburg 1960 (= Beiträge zur politischen
Bildung 1); zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge I (GW 9), 116-130.
Freiheit, Gnade, Schicksal. Drei Kapitel zur Deutung des Daseins, München 1948; zit. nach der
6. Aufl., München 1979. Abgekürzt: FGS.
Freiheit und Unabätulerlichkeit, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 257-271; zit. nach: Unterscheidung
(1963), 102-120.
Sigmund Freud und die Erkenntnis der menschlichen Wirklichkeit [urspr. 1956 unter dem Titel
"Philosophische Anmerkungen zu Sigmund Freuds Psychologie"], in: Sorge II (GW 10), 85-102.
Der Friede und der Dialog [Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen
Buchhandels am 24.9. 1952], in: Guardini, Sorge II (GW 10), 29-40.
Vom Gang der Geschichte und von der Aufgabe des Glaubens [1966; leicht überarb. Neufassung des
5. Briefes "Vom Schwinden der religiösen Erfahrung" (1963) in: Theologische Briefe, 35-45], in:
Sorge II (GW 10), 131-142.
Das Gebet des Herrn, Mainz 1932 [erste Fassung als Aufsatzfolge 1931]; zit. nach der 8. Aufl.,
Mainz 1959.
Gebet und Wahrheit. Meditationen über das Gebet des Herrn, Würzburg 1960 [leicht veränd. Fassung
der Universitätspredigten in: Wahrheit und Ordnung, Heft 23-33 (1958/59)]; zit. nach GW 8.
Ein Gedicht von Goethe und ein Wort dazu, in: Spiegel und Gleichnis (GW 13), 26f.
Die Gefährdung der lebendigen Persönlichkeit, in: Die Schildgenossen 6 (1926), 33-52.
Gegenwart und Geheimnis. Eine Auslegung von fünf Gedichten Eduard Mörikes. Mit einigen
Bemerkungen über das Interpretieren [durchgearb. Vorträge von 1956, gehalten auf Burg Rothen-
fels a. M.], Würzburg 1957; jetzt in GW 21, 151-244.
Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Mainz 1925; zit. nach der 3.,
mit einem Nachwort von Hanna-Barbara Gerl versehenen Aufl., Mainz 7985.
562 Literaturverzeichnis

Gegensatz und Gegensätze. Entwurf eines Systems der Typenlehre (als Manuskript gedruckt),
Freiburg i. Br. 1914.
Vom Sinne des Gehorchens, in: Die Schildgenossen 1 (1920), 33-41; zit. nach dem Wiederabdruck in:
Guardini, Auf dem Wege (1923), 19-31.
Vom Sinne des Gehorchens. Erwiderung auf K. G. Wilhelm Kelbers Kritik meines Aufsatzes, in: Die
Schildgenossen 1 (1920), 115-120.
Der religiöse Gehorsam, in: Pharus 7/II (1916), 737-744; zit. nach dem Wiederabdruck in: Guardini,
Auf dem Wege (1923), 9-18.
Vom Geist der dritten Burgtagung, in: Die Schildgenossen 2 (1921), 25-28.
Geistliche Schriftauslegung. Mit einem Nachwort von Heinrich Kahlefeld, Mainz 1980 (= Topos-
Taschenbücher 98).
Gemeinschaftliche Andacht zur Feier der Heiligen Messe. Übers, v. R. Guardini, Düsseldorf 1920.
Wer ist ein Gentleman! Ein Brief, in: F. Messerschmid/H. Waltmann (Hg.), Vom stilleren Leben,
Würzburg 1956 (= Weltbild und Erziehung, 16), 49-56.
Der Gesamtzusammenhang des christlichen Gebetslebens, in: K. Borgmann (Hg), Volksliturgie und
Seelsorge, Colmar 1942, 18-24; zit. nach: A. Kirchgässner (Hg.), Unser Gottesdienst, Freiburg-
Basel-Wien 1960, 85-94.
Hölderlins Bild von der Geschichte, in: Die Schildgenossen 15 (1935/36), 218-233 und 321-354;
später in stark bearb. und erg. Form eingegangen in: Hölderlin, 115-189.
Über das Geschichtsbewußtsein Dantes, in: ThQ 127 (1947), 1-16; dann unter dem Titel "Dantes
Geschichtsbewußtsein" neu abgedruckt in: Landschaft der Ewigkeit (1958), 177-194.
Gläubiges Dasein. Drei Meditationen, Würzburg 1951.
Der Glaube im Neuen Testament, in: Die Schildgenossen 10 (1930), 394-407 und 481-498.
Der Glaube als Überwindung, WUrzburg 1939 (= Christliche Besinnung, 2. Folge, 15. Heft); zit. nach
dem Wiederabdruck in: Glaubenserkenntnis (1949), 95-106.
Der Glaube an die Gnade und das Bewußtsein der Schuld [1933], in: Unterscheidung (1963),
367-390.
Der Glaube in der Reflexion [zuerst unter dem Titel "Reflektierter Glaube" in: Die Schildgenossen 8
(1928), 216-237], in: Unterscheidung (1963), 279-306.
Der Glaube in unserer Zeit (Rede im Bayerischen Rundfunk), Würzburg 1961; zit. nach dem
Wiederabdruck in: Sorge I (GW 9), 93-115.
Glaube und Dasein. Zur Verkehning religiöser Gehalte im Denken der Neuzeit [urspr. Vortrag auf
den Salzburger Hochschulwochen 1951], in: Wissenschaft und Weltbild 5 (1952), 225-231; dann
leicht überarb. unter dem Titel "Über religiöse Dichtung der Neuzeit" in: R. Guardini/H.
Kahlefeld/F. Messerschmid (Hg.), Christliche Besinnung. Eine religiöse Hausbibliothek, Bd. 7,
Würzburg 1953, 26-38; schließlich [in der ersten Fassung] auch unter dem Titel "Zum Geleit" in: R.
Rochefort, Kafka oder die unzerstörbare Hoffnung, Wien-München 1955,9-20.
Glaubenserkenntnis. Versuche zur Unterscheidung und Vertiefung, Basel 1944; zit. nach der
Neuausgabe Würzburg 1949.
Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel, Würzburg 1939 (= Christliche Besinnung, 1. Folge,
5. Heft); zit. nach dem Wiederabdruck in: Glaubenserkenntnis (1949), 107-126.
Das Gleichnis vom Sämann, in: Frankfurter Hefte 2/II (1947), 586-592; dann in: Wahrheit und
Ordnung. Universitätspredigten, Heft 7, 157-169.
Das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg. Eine Betrachtung, in: Frankfurter Hefte 2 (1947),
408-413.
Gottes Walten und die Freiheit des Menschen, Würzburg 1939 (= Christliche Besinnung, 1. Folge,
3. Heft); zit. nach dem Wiederabdruck in: Glaubenserkenntnis (1949), 33-44.
Gottes Werkleute. Briefe über Selbstbildung (6 Einzelhefte), Burg Rothenfels a. M. 1921; 2. Aufl.,
1922; erweiterte Ausgabe (Einzelhefte): Burg Rothenfels a. M. 1921-1924; in Buchform unter dem
Titel "Gottes Werkleute. Briefe über Selbstbildung. Erste Reihe", Rothenfels a. M. 1925 [weitere
Reihen sind nicht erschienen]; 2. Aufl. unter dem Titel "Briefe über Selbstbildung", Mainz 1930.
Grenzen. Zur Werkwoche auf Burg Rothenfels, in: Die Schildgenossen 5 (1924), 9-16.
Zum Aufsatz von Dr. Hans Grundei über die Gefährdung der katholischen Studentenseelsorge und der
Weltanschauungsprofessuren [in: Allg. Rundschau 20 (1923), Nr. 40, 4. 10. 1923, 474-476], in:
Allgemeine Rundschau 20 (1923), Nr. 44/45, 6. 11. 1923,522f.
Schriften Romano Guardinis 563

Gruppe oder Kreis, in: Die Schildgenossen 2 (1921), 86-89.


Das Gute, das Gewissen und die Sammlung, Mainz 1929 [zuerst 1928 als Aufsatzfolge unter dem
Titel "Über einige Fragen des inneren Lebens"].
Das Harren der Schöpfung. Eine Auslegung von Rom 8,12-39, Würzburg 1940 (= Zeugnis und
Auslegung 1); zit. nach dem Wiederabdruck in: Geistliche Schriftauslegung (1980), 34-57.
Der Heiland, in: Die Schildgenossen 14 (1935), 97-116; zit. nach: Unterscheidung (1935), 97-116;
später umgearb. zu: Heilbringer (1946).
Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik. Eine theologisch-politische Besinnung [umgearb.
u. erw. Fassung von: Heiland (1935)], Stuttgart 1946 (= Der Deutschenspiegel. Schriften zur
Erkenntnis und Erneuerung, 7); dann wieder abgedruckt in: Unterscheidung (1963), 411-456. Zitiert
wird nach beiden Ausgaben; die Seitenzahl in den eckigen Klammem bezieht sich dabei auf die
spätere Fassung.
Heilige Gestalt. Von Büchern und mehr als von Büchern, in: Die Schildgenossen 4 (1924), 256-268.
Der Heilige in unserer Welt [Vortrag vom 6. Januar 1956 im Bayerischen Rundfunk], Würzburg
1956; zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge I (GW 9), 211-234.
Von heiligen Zeichen Erstes Heft, Rothenfels a.M. 1922; Zweites Heft, Rothenfels a. M. 1923 [frühe
Fassung 1920-1922 unter dem Titel "Liturgie im Alltag"]; Gesamtausgabe: Von heiligen Zeichen,
Mainz 1927.
Heilige Schrift und Glaubenswissenschaft, in: Die Schildgenossen 8 (1928), 24-57.
Heilige Zeit. Liturgische Texte aus Missale und Brevier, Mainz 1925.
Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1937. Frühere
Fassung: Leben des Herrn (1933-1936). Zit. nach: 15. Aufl., Paderborn-München-Wien-Zürich
1985.
Briefe an den Laacher Abt lldefons Herwegen aus den Jahren 1917 bis 1934, hg. v. Angelus A.
Häussling OSB, in: ALW 27 (1985), 205-265, sowie 408-411 (Nachtrag); zit.: Herwegen, [Nr.],
[Seite].
Hölderlin. Weltbild und Frömmigkeit, Leipzig 1939 [Vorstufen: Der Strom und der Raum (1935);
Hölderlins Bild von der Geschichte (1936)]; zit. nach der 3. Aufl. (der im Kösel-Verlag 1955
erstmals erschienenen unveränd. Neuausgabe), München 1980.
In Gloria Sanctorum. Liturgische Texte, Mainz 1928.
Die christliche Innerlichkeit. Eine Lehrrede, in: Die Schildgenossen 13 (1934), 465-472; zit. nach dem
Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 340-350. Auch in überarb. Form aufgenommen in: WP,
51-59.
Bemerkungen über Sinn und Weise des Interpretierens (1957), in: Gegenwart und Geheimnis (jetzt in
GW 21), 231-243.
Jesus Christus. Geistliches Wort [urspr. als Aufsatzfolge 1930], Würzburg 1957 (= Rothenfelser
Reihe 4); jetzt in GW 20, 119-191.
Johanneische Botschaft. Meditationen über Worte aus den Abschiedsreden und dem Ersten Johannes-
Brief, Würzburg 1962; jetzt in GW 20, 7-118.
Jugendbewegung vor dem Ende? Eine Erwiderung an Albert Mirgeler, in: Die Schildgenossen 4
(1923/24), 94-101.
Aus einem Jugendreich, hg. (!) von Dr. Romano Guardini, Mainz 1920; zit. nach der 2.(-4.) Aufl.,
Mainz 1921.
Katholische Religion und Jugendbewegung. Eine Antwort an Max Bondy, in: Die Schildgenossen 2
(1921/22), 96-110; zit. nach: Kindt, Grundschriften (1963), 287-302.
Die Kirche des Herrn. Meditationen über Wesen und Auftrag der Kirche, Würzburg 1965; zit. nach
GW 15, 101-197.
Kirche und Dogma: Weg in die Freiheit, in: Mario von Galli / Manfred Plate (Hg.), Kraft und
Ohnmacht der Kirche. Kirche und Glauben in der Erfahrung unserer Zeit (Festschrift für Karl
Färber zum 75. Geburtstag), Frankfurt a. M. 1963, 32-47. Umgearb. Fassung von: Evangelisches
Christentum (1958). Später eingearb. in: Kirche des Heim (GW 15), 150-161.
Vom klassischen Geist, in: Die Schildgenossen 5 (1924/25), 64-68; zit. nach dem Wiederabdruck
unter dem Titel "Von Goethe und Thomas von Aquin und vom klassischen Geist. Eine Erinnerung",
in: Spiegel und Gleichnis (GW 13), 20-25.
Maria Knöpfler zum Gedächtnis, in: Die Schildgenossen 8 (1928), 516-523.
564 Literaturverzeichnis

Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes, Mainz 1919.


Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgie. Ein Brief [1964], in: Liturgie und liturgische
Bildung (GW 19), 9-17.
Kultbild und Andachtsbild. Brief an einen Kunsthistoriker, in: Die Schildgenossen 16 (1937), 162-
170; dann als Monographie gleichen Titels, Würzburg 1939.
Die Kultur als Werk und Gefährdung [Vortrag bei der Gründung der Kath. Akademie in Bayern am
1. Februar 1957], Würzburg 1957; zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge I (GW 9), 14-38.
Reflexionen über das Verhältnis von Kultur und Natur, in: Die Schildgenossen 11 (1931), 1-14; zit.
nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 145-201.
Abschied von der Tübinger Kunstausstellung, in: Frankfurter Hefte 2 (1947), 701-705.
Landschaft der Ewigkeit, München 1958 (= Dantestudien, Bd. 2). Darin enthalten ein Aufsatz gleichen
Titels aus dem Jahre 1950 (125-156).
Vom Leben des Glaubens [zuerst als Aufsatzfolgen unter dem Titel "Der Glaube" (1932) und "Der
Glaube und die Kirche" (1934)], Mainz 1935; zit. nach der 5. Aufl., Mainz 1963.
Aus dem Leben des Herrn, 2 Bde. aus Einzellieferungen, Burg Rothenfels a. M. 1933-1934 und 1934-
1936; später umgearb. zu: Der Herr (1937).
Lebendige Freiheit, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 257-271; zit. nach: Unterscheidung (1963),
82-101.
Vom lebendigen Gott [urspr. Ansprachen aus dem Jahr 1929; dann als Aufsatzfolge 1930], Mainz
1930; zit. nach der 3. Aufl., Mainz 1950 [ab der 2. Aufl. mit dem Anhang "Lumen Cordis"].
Lebendiger Geist, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 249-368; zit. nach: Unterscheidung (1963),
121-144.
Lebendiger Geist, Zürich 1950 (= Gestalten und Wege, hg. v. Peter Schifferli). Enthält: Lebendige
Freiheit; Freiheit und Unabänderlichkeit; Lebendiger Geist (alle urspr. 1927).
Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung, WUrzburg 1953 (= Weltbild und
Erziehung 6); zit. nach der 5. Aufl., Würzburg 1959 [ab der 4. Aufl. (1957) vermehrt um die Titel
"Die Lebensalter und die Philosophie" (1955) und "Vom Altwerden" (1957)].
Leib und Leiblichkeit in Dantes Göttlicher Komödie, in: Anteile. Martin Heidegger zum
60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1950, 154-177; dann in: Landschaft (1958), 99-123.
Die letzten Dinge. Die christliche Lehre vom Tode, der Läuterung nach dem Tode, Auferstehung,
Gericht und Ewigkeit, Würzburg 1940.
Lex Orandi. Gedanken über die Liturgie, in: Akademische Bonifatius-Korrespondenz 34 (1919),
106-112.
Die Liebe im Neuen Testament, in: Die Schildgenossen 10 (1930), 97-125.
Vom Geist der Liturgie, Freiburg 1918 (= Ecclesia Orans. Zur Einführung in den Geist der Liturgie,
hg. v. Dr. lldefons Herwegen, Abt von Maria Laach, Bd. 1). Soweit nicht anders angegeben, zit.
nach der 4J5. Aufl., Freiburg 1919 [diese Fassung enthält erstmals das Kapitel "Der Ernst der
Liturgie"]. 6.-7., verb. Aufl., Freiburg 1921. Neuausgabe mit einem Nachwort von Hans Maier:
Freiburg 1983 (= Herder-Bücherei 1049).
Liturgie im Alltag, in: Quickborn 8 (1920/21), 194-195, 217-218, 290-292; ebd. 9 (1921/22), 57-58,
214-215; ebd., 10 (1921/22), 30-31; später aufgenommen in: Heilige Zeichen (1922/23).
Liturgie und liturgische Bildung, Würzburg 1966 (GW 19).
Liturgische Bewegung und liturgisches Schrifttum, in: LitHw 58 (1922), 49-58; zit.: Liturgische
Bewegung I.
Liturgische Bewegung und liturgisches Schrifttum. Zweite Folge, in: LitHw 59 (1923), 589-598; zit.:
Liturgische Bewegung IL
Liturgische Bewegung und liturgisches Schrifttum. Dritte Folge, in: LitHw 60 (1924), 67-72; zit.:
Liturgische Bewegung III.
Liturgische Bewegung und liturgisches Schrifttum. Fünfte Folge, in: LitHw 62 (1926), 7-22; zit.:
Liturgische Bewegung V.
Liturgische Bildung. Versuche (Erstes Bändchen), Burg Rothenfels am Main 1923 [weitere Bände
sind nicht erschienen]; dann in: Liturgie und liturgische Bildung (1966; jetzt als GW 19), 19-125. In
der Regel zitiert nach der 1. Aufl. Seitenangaben in eckigen Klammem beziehen sich auf den
Wiederabdruck in der Werkausgabe (GW 19). Abgekürzt: LB.
Schriften Romano Guardinis 565

Die liturgische Erfahrung und die Epiphanie [urspr. unter dem Titel "Die Liturgie und die geistige
Situation unserer Zeit" vorgetragen auf dem liturgischen Kongreß in Frankfurt a. M. vom 19. bis
22. Juni 1950], in: Sinne (1950), 39-74.
Logik und religiöse Erkenntnis, in: Die Schildgenossen 9 (1929), 179-206; dann als Kapitel 5 unter
dem Titel "Das Argument der Wette. Ein geschichtlicher Zusammenhang" aufgenommen in: Pascal
(GW 18), 153-191.
Die Macht. Versuch einer Wegweisung, WUrzburg 1951; zit. nach dem Wiederabdruck in: GW 1,
95-186.
Manuskripte aus dem Nachlaß Guardinis, hg. v. Felix Messerschmid, in: Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht 21 (1970), 711-759.
Die Maschine und der Mensch [1959], in: Unterscheidung (1963), 238-250.
Menschenwelt [Vorbemerkungen zum Text aus Adalbert Stifters "Nachsommer"], in: Die
Schildgenossen 4 (1924), 342.
Die menschliche Wirklichkeit des Herrn. Beiträge zu einer Psychologie Jesu, Würzburg 1958; zit.
nach dem Wiederabdruck in: GW 16, 71-208.
Die heilige Messe, in: Chrysologus 60 (1920), 448-457, 517-524, 585-593, 646-655, 709-717,
778-781.
Michelangelo. Gedichte und Briefe. In Auswahl hg. (u. übers.) von R. A. Guardini, Berlin 1907
(= Das Museum 8).
Über die Möglichkeit öffentlichen Sprechens, in: Die Schildgenossen 5 (1925), 239-242.
Möglichkeit und Grenzen der Gemeinschaft [urspr. 1930], in: Guardini, Unterscheidung des
Christlichen (1935), 56-74; Neuausgabe unter dem Titel "Vom Sinn der Gemeinschaft", Zürich
1950 (= Die kleinen Bücher der Arche); zit. nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963),
64-81. Frühere Fassung unter dem Titel "Mögliche Gemeinschaft", in: Die Schildgenossen 8 (1928),
377-386.
Die Mutter des Herrn. Ein Brief und darin ein Entwurf, Würzburg 1955.
Die mystagogische Predigt, in: K. Borgmann (Hg.), Volksliturgie und Seelsorge, Colmar 1942, 157-
169. Später in etwas gestraffter Form abgedruckt in: A. Kirchgässner (Hg), Unser Gottesdienst.
Überlegungen und Anregungen. Ein Werkbuch, Freiburg-Basel-Wien 1960, 313-322.
Vom liturgischen Mysterium, in: Die Schildgenossen 5 (1925), 385-414; dann in: Liturgie und
liturgische Bildung (1966), 127-177. Zitiert wird nach der Erstfassung; eckige Klammem beziehen
sich auf den Wiederabdruck 1966.
Der Mythos und die Wahrheit der Offenbarung [Vortrag auf der 3. "Semaine des intellectuels
catholiques" in Paris (1950)], in: Frankfurter Hefte 5 (1950), 712-723.
Nachtrag zu einer Kollegstunde über Rilkes erste Elegie, in: Frankfurter Hefte 3/1 (1948), 346-351.
Nachwort nach zwei Jahren [zu: Vom Sinn des Gehorchens], in: ders., Auf dem Wege (1923), 3 lf.
Neue Jugend und katholischer Geist, Mainz 1920 (= Das Neue Münster. Baurisse zu einer deutschen
Kultur); zit. nach der 273. Aufl., Mainz 1921. Die 4. Aufl. (1924) enthält ein neues Vorwort
Guardinis.
Karl Neundörfer zum Gedächtnis, in: Die Schildgenossen 6 (1926), 385-391.
Notizen zu einem Wesensbild platonischen Denkens, in: Die Schildgenossen 19 (1940), 105-111; zit.
nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 534-544.
Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen [Vortrag zu Beginn der Arbeitstagung des 75. Deutschen
Katholikentages in Berlin 1952), Würzburg 1952; dann umgearb. unter dem Titel "Der Mensch im
Licht der Offenbarung" in: Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß, Würzburg 1965
(= 4. Aufl. von: Nur wer Gott kennt), 7-28.
Das Objektive im Gebetsleben. Zu P.-M. Festugieres "Liturgie catholique", in: JLW 1 (1921),
117-125.
Die Offenbarung. Ihr Wesen und ihre Formen, Würzburg 1940.
Die Offenbarung als Geschichte, Würzburg 1940 (= Christliche Besinnung, 5. Folge, Heft 33); zit.
nach dem Wiederabdruck in: Glaubenserkenntnis (1949), 77-94. Der Beitrag ist identisch mit: Die
Offenbarung (Sechs Abschnitte), in: Die Schildgenossen 19 (1940), 22-31.
Die Offenbarung und die Endlichkeit. Eine Frage und der Versuch einer Antwort [urspr. unter dem
Titel "Geschichtlichkeit und Absolutheit der Offenbarung. Eine Frage und der Versuch einer
566 Literaturverzeichnis

Antwort" (1950)], Würzburg 1951; zit. nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963),
398-410.
Prinzipielles und Praktisches zur Organisation von Schillern höherer Lehranstalten, in: Monatsblätter
für den katholischen Religionsunterricht an höheren Lehranstalten 20(1919), H. 3/4,72-78.
Parzival, in: L. Neundörfer / H. Bachmann (Hg.), Der neue Anfang. Vierter deutscher Quickbomtag
1922 = [Quickborn] 10 (1922), H. 6/7, Rothenfels a. M. 1922, 137-138.
Christliches Bewußtsein. Versuche über Pascal, Leipzig 1935 (GW 18).
Pascals Gebet, Gott um den guten Gebrauch der Krankheiten zu bitten, in: Die Schildgenossen 9
(1929), 26-37.
Pascals innere Stunde, in: Die Schildgenossen 7 (1927), 417-424; umgearb. unter dem Titel "Die
religiöse Entscheidung im Leben Pascals" (1932/33); dann als 1. Kapitel unter dem Titel "Das
Memorial. Die religiöse Entscheidung im Leben Pascals" in: Pascal (GW 18), 20-48.
Das Phänomen der Macht [1962], in: Sorge II (GW 10), 45-58.
Pluralität und Entscheidung [1962; urspr. ein Vortrag auf der Volkshochschultagung 1962 in
Frankfurt a. M.], in: Sorge I (GW 9), 131-152.
Gedanken über politische Bildung, in: Felix Lampe / Georg H. Franke (Hg), Staatsbürgerliche
Erziehung, Breslau 1926, 505-514; zit. nach dem Wiederabdruck in: Die Schildgenossen 13 (1933),
177-182.
Eine neue politische Wirklichkeit, in: Die Schildgenossen 4 (1924), 448-453.
Papst Pha XII. und die Liturgie, in: LJ 6 (1956), 125-138.
Predigten zum Kirchenjahr, gesammelt und hg. v. Werner Becker, Leipzig 1963.
Prüfung, in: H. Hoffmann (Hg.), Wehender Geist. Der zweite deutsche Quickborntag, Burg Rothenfels
a. M. 1920, 115-119.
Die Psalmen vom Brevier des Donnerstags und das geistliche Leben, in: Guardini, Auf dem Wege
(1923), 131-194 [urspr.: Die Bedeutung der Psalmen feriae quintae für das geistliche Leben.
Vortrag auf der Konferenz des Dekanates Mainz-Stadt, in: Der Katholik 197 (1917), 83-97; bei
Mercker findet sich irrtümlich die Jahresangabe "1913" (Bibliographie, Nr. 3)].
Die Liturgie und die psychologischen Gesetze des gemeinsamen Betens. Ein Beitrag zur religiösen
Sozialpädagogik, in: Pharus 8/1 (1917), 241-255; dann in Überarb. Form unter dem Titel
"Liturgisches Beten" aufgenommen in: Liturgie, 1-24.
Quickborn. Tatsachen und Grundsätze, in: Pharus 12 (1921), H. 3-4, 96-115; dann als Monographie:
1. Aufl., Pützchen 1921; 2. Aufl., Burg Rothenfels am Main 1922; dann in: Kindt, Grundschriften,
335-350.
Die religiöse Entscheidung im Leben Pascals, in: Hochland 30/1 (1932/33), 23-34 und 167-175; dann
als 1. Kapitel unter dem Titel "Das Memorial. Die religiöse Entscheidung im Leben Pascals" in:
Pascal (GW 18), 20-48.
Zu Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins. Eine Interpretation der zweiten, achten und neunten
Duineser Elegie, Berlin 1941 (= Schriften für die geistige Überlieferung 4); zit.: Rilke 1941.
Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins. Eine Interpretation der Duineser Elegien, München 1953;
zit.: Rilke 1953.
Über die Bedeutung der reflexen und direkten Akte für das religiöse Leben. Mit besonderer Beziehung
zur Frage der liturgischen Kommunionfeier, in: Pharus 10 (1919), 486-502; überarb. unter dem
Titel "Unmittelbares und gewußtes Beten" in: Auf dem Wege, 111-130.
Ein Gespräch vom Reichtum Christi, in: Guardini, Auf dem Wege (1923), 151-165.
Religiöse Erfahrung und Glaube, in: Die Schildgenossen 13 (1934), 283-306; zit. nach dem
Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 307-339.
Religiöser Ausdruck, in: Die Schildgenossen 5 (1925), 418-421.
Die religiöse Sprache [1959], in: Sprache, Dichtung, Deutung (1962), 9-34.
Religion und Offenbarung. Erster Band, Würzburg 1958 [weitere Bände sind nicht erschienen]; zit.
nach GW 14.
Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance, in: Historisch-politische Blätter
148(1911), 881-891.
Rettung des Politischen, in: Die Schildgenossen 4 (1924), 112-121.
"Richtungen", in: Die Schildgenossen 2 (1921), 103-105.
Schriften Romano Guardinis 567

Erscheinung und Wesen der Romantik, in: Theodor Steinbüchel (Hg), Romantik. Ein Zyklus Tübinger
Vorlesungen, Stuttgart 1948, 235-249.
Der Rosenkranz Unserer Lieben Frau, Würzburg 1940.
Rundfunk. Zwei Briefe [Guardini an A. H. Bermng und dessen Antwort], in: Die Schildgenossen 6
(1926), 164-171, hier 164-166 (Brief Guardinis).
Vom Sinn der Schwermut, in: Die Schildgenossen 8 (1928), 103-125; zit. nach dem Wiederabdruck in:
Unterscheidung (1963), 502-533.
Seinsordnung und Aufstiegsbewegung in Dantes Göttlicher Komödie [1933], in: Unterscheidung
(1935), 430-465; dann in bearb. Form unter dem Titel "Die Ordnung des Seins und der Bewegung"
in: Landschaft (1958), 51-83.
Der Sinn der Seligpreisungen [urspr. unter dem Titel "Briefe aus der Zeit 4: Der Sinn der
Seligpreisungen" in: Die Schildgenossen 7 (1927), 138-141], in: Spiegel und Gleichnis (GW 13),
167-172.
Felix Klein, Madeleine Simer 1874-1921. Übersetzung und Nachwort von Romano Guardini, Mainz
1929.
Madeleine Semer, in: Die Schildgenossen 15 (1935), 488-511; zit. unter dem Kurztitel Stmer 1935
nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 578-610.
Die Sendung der katholischen Jugend, in: Die Tat 13 (1921), H. 1 (- kath. Sonderheft), 9-18; dann in:
Ernst Michel (Hg), Kirche und Wirklichkeit. Ein katholisches Zeitbuch, Jena 1923, 167-179.
Die Grundlagen des Sicherheitsbewußtseins in den sozialen Beziehungen, in: Historisch-politische
Blätter 152 (1913), 687-702.
Vom Strifl der Kirche. Fünf Vorträge, Mainz 1922; 2. Aufl., 1923; 3., mit einem Vorwort versehene
Aufl., 1933; 4., mit einem Beitrag von Johannes Spörl eingeleitete Aufl., 1955; zit. nach GW 15,
7-99.
Die Sinne und die religiöse Erkenntnis, Würzburg 1950; 2., erw. Aufl., Würzburg 1958.
Die Situation des Menschen [Vortrag 1953; veröffentlicht 1954], in: Unterscheidung (1963), 219-237.
Der Tod des Sokrates. Eine Interpretation der platonischen Schriften Eutyphron, Apologie, Kriton und
Phaidon, Berlin 1943 (= Studia humanitatis. Abt.: Studien zur Antike); zit. nach GW 4.
Der Tod des Sokrates. Versuch einer Deutung, in: Die Schildgenossen 6 (1926), 396-435. Zit.:
Sokrates (1926).
Der Sonntag gestern, heute und immer [Vortrag 1957 unter dem Titel "Die Theologie des Sonntags"],
Würzburg 1957; zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge I (GW 9), 176-210. Frühe kürzere
Fassung: Tag des Herrn (1948).
Sorge um den Menschen, Bd. 1, Würzburg 1962; zit. nach GW 9 (Sorge I).
Sorge um den Menschen, Bd. 2, Würzburg 1966; zit. nach GW 10 (Sorge II).
"Sorge um den Menschen", in: Sorge 1,9-13.
Die soziale Indikation für die Unterbrechung der Schwangerschaft. Ein Vortrag vor Ärzten, in:
Frankfurter Hefte 2 (1947), 926-938; dann leicht verändert und ergänzt unter dem Titel "Das Recht
des werdenden Menschenlebens. Zur Diskussion um den § 218 des Strafgesetzbuches" abgedruckt
in: Sorge I (GW 9), 153-175.
Über Sozialwissenschaft und Ordnung unter Personen, in: Die Schildgenossen 6 (1926), 125-150; zit.
nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 34-63.
In Spiegel und Gleichnis. Bilder und Gedanken, Mainz 1932; zit. nach GW 13.
Sprache, Dichtung, Deutung, Würzburg 1935; jetzt in GW 21.
Stationen und Rückblicke, Würzburg 1965.
Über Wilhelm Raabes Stopfkuchen, Würzburg 1932.
Der Strom und der Raum des menschlichen Daseins in der Dichtung Hölderlins, in: Die
Schildgenossen 14 (1935), 322-346 und 443-471; dann in überarb. u. erg. Form eingegangen in:
Hölderlin, 21-114.
Auf der Suche nach dem Frieden [Vortrag an der Sorbonne 1948], in: Hochland 41 (1948/49), 105-
122; zit. nach dem Wiederabdruck in: Sorge n (GW 10), 7-28.
Über die systematische Methode in der Liturgiewissenschaft, in: JLW 1 (1921), 97-108.
Der Tag des Herrn und die Heilsgeschichte, in: Frankfurter Hefte 3 (1948), 38-48.
Die Technik und der Mensch. Briefe vom Comer See. Mit einem Vorwort von Walter Dirks, Mainz
1981 (= Topos-Taschenbücher 1089 [Neuausgabe von: Briefe (1927)].
568 Literaturverzeichnis

Zur Theologie der Welt [1960], in: Sorge I (GW 9), 67-81.
Theologische Briefe an einen Freund. Einsichten an der Grenze des Lebens. Hg. aus dem Nachlaß,
Paderborn-München-Wien-Zürich 1976; zit. nach der 4. Aufl., 1985.
Theologische Gebete, Frankfurt a. M. 1948; 7. Aufl., 1963.
Das Thing im Ostermond 1925, in: Quickborn 13 (1925), H. 1/2,4-6.
Thule oder Hellas? Klassische oder Deutsche Bildung?, in: Der Wächter 3 (1920), 2-16 und 66-79.
Tugenden. Meditationen über Gestalten sittlichen Lebens, Würzburg 1963; zit. nach GW 5.
Über den Heiligen und den hl. Franziskus, in: Die Schildgenossen 14 (1934), 18-25.
Ueber die Schildgenossen [Verfaßt v. Josef Außem und Romano Guardini], in: Die Schildgenossen 4
(1924),363-364.
Universalität und Synkretismus, in: Jahrbuch der deutschen Katholiken, Augsburg 1920/21, 150-155.
Untergehende christliche Werte. Zu der Aufsatzreihe über religiöse Gestalten in den Werken
Dostojewskijs, in: Die Schildgenossen 11 (1931), 97-98.
Unterscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923-1935, Mainz 1935; in der Regel zit. nach
derdurchges., um 13 Aufsätze vermehrten 2. Aufl., Mainz 1963.
Der unvollständige Mensch und die Macht [1955], Würzburg 1956; zit. nach dem Wiederabdruck in:
Sorge I (GW 9), 39-66.
Vaterland. Ansprache in der heiligen Messe am Tage der Hausübernahme des freiwilligen
Arbeitsdienstes auf Burg Rothenfels, in: Burgbrief Nr. 1, 1933, Sept./Okt., 1-3; zit. nach dem
Wiederabdruck unter dem Titel "Vaterland. Meßansprache über Gemeinde und Vaterland", in: Karl
Borgmann (Hg.), Parochia. Handreichungen für die Pfarrseelsorger, Colmar 1943, 76-78.
Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage, in: Hochland 44 (1952), 481-493; dann als
Monographie gleichen Titels, München 1952.
Die Verantwortung des Studenten für die Kultur, in: Romano Guardini / Walter Dirks / Max
Horkheimer, Die Verantwortung der Universität. Drei Vorträge, Würzburg 1954 (= Weltbild und
Erziehung 8), 5-35.
Zur Verwertung der Liturgie für das außerliturgische gemeinschaftliche Gebet (Mit einer Andacht für
die Sonntagsstunde), in: Monatsblätter für den katholischen Religionsuntemcht an den höheren
Lehranstalten 18 (1917), 270-272.
Vision und Dichtung. Der Charakter von Dantes Göttlicher Komödie, Tübingen-Stuttgart 1946 (• Die
Brunnenbücherei 1); dann unter dem Titel "Das visionäre Element in der Göttlichen Komödie"
eingegangen in: Landschaft (1958), 15-50.
Zum politischen Problem des Völkerbundes, in: Die Schildgenossen 5 (1925), 288-291.
[Vorbemerkung und Anmerkungen zu: Karl Neundörfer, Personalität und Autorität im Kirchenrecht,
in: Die Schildgenossen 7 (1927), 127-137], in: Die Schildgenossen 7 (1927), 127f.
Vorbereitung auf Dante, in: Die Schildgenossen 13 (1934), 212-215; dann in: Unterscheidung (1935);
zit. nach dem Wiederabdruck in: Landschaft (1958), 247-253.
Vorschule des Betens, Mainz 1948; zit. nach GW 2.
Die Vorsehung, in: Frankfurter Hefte 3 (1948), 1116-1126; zit. nach dem Wiederabdruck in:
Glaubenserkenntnis (1949), 63-76.
Die Waage des Daseins. Rede zum Gedächtnis von Sofie und Hans Scholl, Christoph Probst,
Alexander Schmorell und Prof. Dr. Huber. Gehalten am 4. November 1945, Tübingen-Stuttgart
1946.
Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns. Notizen und Texte 1942-1964. Aus nachgelassenen
Aufzeichnungen hg. v. F. Messerschmid, Paderborn-München-Wien-Zürich 1980.
Wahrheit und Ironie. Dankrede bei der Feier des achtzigsten Geburtstages in der Münchener
Universität am 17. Februar 1965, in: Stationen und Rückblicke, 41-50.
Wahrheit und Ordnung. Universitätspredigten (Einzelhefte Nr. 1-33), Würzburg 1956-1959.
Weisheit der Psalmen. Meditationen, Würzburg 1963; zit. nach GW 6, 116-261.
Vom Wesen katholischer Weltanschauung, in: Die Schildgenossen 4 (1923/24), 66-76; Neuausgabe
mit einem Nachwort von Heinrich Fries: Vom Wesen katholischer Weltanschauung, Basel 1953.
Soweit nicht anders angegeben, zit. nach dem Wiederabdruck in: Unterscheidung (1963), 13-33.
Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen, Würzburg 1939; zit. nach GW 7.
Vorstufe unter dem Titel "Zum christlichen Begriff der Welt", in: Die Schildgenossen 17 (1938),
1-19, 97-114, 397-422. Abgekürzt: WP.
Schriften Romano Guardinis 569

Das Wesen des Christentums, in: Die Schildgenossen 9 (1929), 129-152.


Das Wesen des Christentums, Würzburg 1938 [erw. Ausg. von 1929]; zit. nach GW 16, 7-70.
Über das Wesen des Kunstwerks, Stuttgart 1947.
Wille und Wahrheit. Geistliche Übungen, Mainz 1933; zit. nach GW 17.
Ein Wort zur liturgischen Frage, Mainz 1940; zit. nach dem Wiederabdruck in: Liturgie und
liturgische Bildung (1966), 193-213.
Das Wunder und das Bild vom Menschen und von der Welt, in: Die Schildgenossen 13 (1933), 1-15.
Brief an Peter Wust vom 21. 3. 1927, in: Peter Wust, Aufsätze und Briefe, Münster 1966
(= Gesammelte Werke, hg. v. Wilhelm Vemekohl, Bd. VII), 432-434 (mit biographischer
Einführung zu Guardini: ebd., 430-432).
Zu Albert Mirgelers "Schlußwort" und anderem, in: Die Schildgenossen 4 (1924),477.
Unsere geschichtliche Zukunft. Antwort an Gerhard Krüger, in: Geschichte in Wissenschaft und
Unterricht 4 (1953), 219-227; zit. nach dem Wiederabdruck in: Unsere geschichtliche Zukunft. Ein
Gespräch über "Das Ende der Neuzeit" zwischen Ciemens Münster, Walter Dirks, Gerhard Krüger
und Romano Guardini, Würzburg 1953,95-108.
Zu meinem Vortrag im Wiener Seelsorge-Institut über Wesen und Gestalt der heiligen Messe am
19. 1.43, erstmals abgedruckt in: Theodor Maas-Ewerd, Zur Grundgestalt der Messe, in: Bibel und
Liturgie 49 (1976), 23-30, hier 24f.
Zu Theodor Haeckers Vergilbuch, in: Die Schildgenossen 12 (1932), 133-136.

d. Unveröffentlichte Schriften
[Fundort: Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern; in den Fußnoten durch einen Stern
(*) gekennzeichnet]

Die Autonomie des Dichtwerks (23. 2. 1956).


Zum Beginn der Vorlesungen in Tübingen (15. 11. 1945).
Vor dem Beginn des ersten Kollegs in München am Dienstag, den 25. 5. 1948.
Berichte. Erinnerungen aus meinem Leben (bis 1945; aber daraus nur einige Linien). Geistige
Entwicklung und schriftstellerische Arbeit (7. 3. 1945).
Brief an Reinhold Schneider (16. 10. 1946).
Briefe an F. J. J. Buytendijk (Kopie der deutschen Originalfassung zur holländischen Ausgabe; vgl.
Guardini, Buytendijk (Literaturverzeichnis I,c) bzw. Boudier, de rede van het hart
(Literaturverzeichnis II).
Die christliche Erkenntnis im Bewußtsein des Neuen Testaments (ohne Datum).
Dante. Vorlesung vom 15. 7. 1946.
Dantes Göttliche Komödie. Ihre philosophischen und religiösen Grundgedanken (Vorlesungen) [1950].
EinBrief (10.4. 1954).
Ein Brief (27.1. 1964).
Zu "Der Gegensatz": Sinn der Gegensatzlehre (26. 5. 1964).
Geordnete Welt. Vorlesungen über das Daseinsbild von Dantes Göttlicher Komödie (o. J.).
Goethes Faust [vermutlich 1946; vgl. Brief an Reinhold Schneider*].
Dokumente zur Habilitation in Bonn.
Zur Interpretation des Faust [vermutlich 1946; vgl. Brief an Reinhold Schneider*]. Die Macht und
der Nihilismus. Über die Bedeutung Nietzschescher Grundgedanken für unsere Epoche. Skizze zu
einem einstündigen Kolleg im WS 1954/55 (23. 3. 1954).
Der Mensch. Grundzüge einer christlichen Anthropologie (o. J.) [1. bis 4. Abschnitt].
Teilmanuskript zu "Der Mensch" (o. J.) [enthält v. a. den 5. Abschnitt und einen Teil des
6. Abschnitts].
Teilmanuskript zu "Der Mensch" (o. J.) [enthält den 6. Abschnitt].
Nietzsches Lehre vom Endlichen. Skizze (o. J.).
Pascal. WS 1956/57 (12. 11. 1956).
570 Literaturverzeichnis

Dokumente zur Promotion in Freiburg.


Die religiöse Offenheit der Gegenwart. Gedanken zum geistigen und religiösen Zeitgeschehen [erste
Fassung 1933; Überarb. 1934].
Die religiöse Offenheit (Letzte Fassung); zit.: Offenheit**.
Zu "Der Gegensatz": Für den Todesfall (5. 2. 1964).
Der Zusammenhang des menschlichen Schaffens. Umriß einer Kulturphilosophie [laut Vorbemerkung
(ebd., V) im Frühjahr 1941 verfaßt].
Zwischenspiel in der Tübinger Vorlesung über das Menschenbild Pascals (Juli 1949).

II. Literatur zum Werk Romano Guardinis

Albert, Karl: Romano Guardinis 'Geist der Liturgie', in: ders., Vom Kult zum Logos. Studien zur
Philosophie der Religion, Hamburg 1982, 108-114.
Babolin, Albino: Romano Guardini - Filosofo dell'alteritä. Bd. I: Realta e persona, Bologna 1968; Bd.
II: Situazione umana ed esperienza religiosa, Bologna 1969.
Balthasar, Hans Urs von: Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung, München 1970
(= Münchener Akademie-Schriften, hg. v. Franz Henrich, Bd. 53).
Becher, Paul: Mensch und Technik im Denken Friedrich Dessauers, Martin Heideggers und Romano
Guardinis, Frankfurt-Cincinnati-Kaiserslautem 1974, 280-460.
Beißner, Friedrich: Neue Bücher zur Literaturgeschichte, in: Geistige Arbeit 7 (1940), Nr. 11, 3f., hier
3 (zu: Guardini, Hölderlin).
Berning-Baldeaux, Ursula: Person und Bildung im Denken Romano Guardinis, Würzburg 1968
(= Weltbild und Erziehung 28).
Bilo, Carl. Romano Guardini. Een inleiding tot zijn denken, Tielt-Den Haag 1965.
Binkowski, Johannes: Jugend als Wegbereiter. Der Quickbom von 1909-1945, Stuttgart 1981.
Binkowski, Johannes: Guardinis Verhältnis zur Sprache, in: Zur geistigen Gestalt Romano Guardinis
(1981), 17-38.
Birnbaum, Walter: Das Kultusproblem und die liturgischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Bd. I:
Die deutsche katholische liturgische Bewegung, Tübingen 1966, bes. 40-47 ("Das 'Objektive' bei
Guardini") und 98-107 (zur theologischen Position Guardinis).
Biser, Eugen: Erkundung des Menschlichen. Romano Guardinis Anthropologie im Umriß, in:
Ratzinger, Wege zur Wahrheit (1985), 70-95.
Biser, Eugen: Glaubensprognose. Orientierung in postsäkularistischer Zeit, Graz-Wien-Köln 1991,
23-33 ("Zwei Deuter des Epochenendes: Guardini und Lyotard").
Biser, Eugen: Wer war Romano Guardian Fragen zu einer Antwort, in: StZ 110 (1985), 435-448.
Biser, Eugen: Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guardinis, Paderborn-
München-Wien-Zürich 1979.
Biser, Eugen: Romano Guardini - Versuch einer Spiegelung, in: Theologie und Glaube 69 (1979),
431-446.
Biser, Eugen: Romano Guardini - Wegweiser in eine neue Epoche. Überlegungen zu einer kritischen
Guardini-Rezeption, in: Seidel, Christliche Weltanschauung (1985), 210-236 [ebenso unter dem
Titel "Romano Guardinis rückwärtsgewandte Deutung des Epochenendes - Überlegungen zu einer
kritischen Guardini-Interpretation", in: Anton Rauscher (Hg), Religiös-kulturelle Bewegungen im
deutschen Katholizismus seit 1800, Paderborn-München-Wien-Zürich 1986 (= Beiträge zur
Katholizismusforschung. Reihe B: Abhandlungen), 99-120].
Böckenhoff, Josef: Die Begegnungsphilosophie, Freiburg-München 1970, 151-153.
Böhm, Winfried: Über das geistige Erbe Romano Guardinis, in: Josef Schreiner / Klaus Wittstadt
(Hg), Communio Sanctorum. Einheit der Christen - Einheit der Kirche. Festschrift für Bischof
Paul-Werner Scheele, Würzburg 1988, 610-623.
Böhm, Wilhelm: Gestalt und Glaube in der Hölderlinliteratur, in: Zeitschrift für Ästhetik und
Kunstwissenschaft 35 (1941), 26-42, hier 33-38 (zu: Guardini, Hölderlin).
Literatur zum Werk Guardinis 571

Börsig-Hover, Lina: Das personale Antlitz des Menschen. Eine Untersuchung zum Personbegriff bei
Romano Guardini, Mainz 1987.
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Sonstige Literatur 595

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596 Literaturverzeichnis

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Zander, L. A.: Vom Geheimnis des Guten. Eine Dostojewskij-Interpretation, Stuttgart 1956.
Register der zitierten Schriften
Romano Guardinis

Angegeben sind die jeweiligen Kurztitel aus dem Literaturverzeichnis. Ein hinzugefügter
Stern (*) bezeichnet eine unveröffentlichte Schrift (vgl. Literaturverzeichnis I,d).

Abende: 55; 121 Christentum und Kultur: 129; 167; 170; 203;
Anfang: 306; 307; 400; 487 214; 224; 234; 235-260; 263; 296; 370; 421;
Anfang aller Dinge: 487; 503 455; 458; 461; 464; 536f.
Annahme: 492 Christi Himmelfahrt: 387
Anselm: 138-141; 182; 217; 238; 462; 465 Christine: 446
Ärgernis: 171; 293 Chrisüiche Erkenntnis*: 489
Arbeitswoche: 55 Christusbild: 77; 83; 463; 464; 467; 482; 483;
Argumentum ex pietate: 136 484
Askese: 387; 427; 447; 448
Auf dem Wege: 108; 116; 138; 232; 523; 535 Dantes Göttliche Komödie*: 308; 312
Auge: 442; 517 Dantes Persönlichkeit: 398
Ausgangspunkt: 91; 249; 254; 263f.; 345; 458 Denkergestalt: 158
Dogma: 161
Befehl: 115; 120f. Dostojewskij: 266f.; 268; 278-291; 293; 307;
Beginn der Vorlesungen*: 147; 171f.; 445 335; 399; 487
Beginn des ersten Kollegs in München*: 445 Dreieiniger Gott: 84; 117f.; 136; 196; 264
Bekehrung: 137; 163; 263; 294; 300; 301-307;
348; 460; 475 Ehre Gottes: 128
Bereiche: 211; 258; 516 Ein Brief (27. 1. 1964)*: 77
Berichte: 15; 21; 58; 59; 62; 66-73; 80; 100- Elemente: 98; 129; 134-137; 158; 159; 163;
103; 114; 119; 134; 136; 137; 138; 140; 255; 371; 489
141; 147; 148; 149; 150; 161; 166; 167; Ende der Neuzeit: 182; 388; 396f.; 398^24;
168; 169; 170; 171; 172; 173; 261; 266; 428f.; 443; 448; 451; 452; 453; 479; 503;
268; 326; 343; 467; 468; 469; 494; 521; 554 534
Berichte*: 67; 69; 70; 75; 77; 78; 100; 263; Engel: 66; 272, 307; 308
270 Erlösung: 80; 98; 113; 126; 129; 134f.; 137f.;
Beruf: 196 141; 158; 159; 163; 249; 255; 489
Besinnung: 515 Erwiderung: 403; 405
Betrachtungen über Gestalten: 503 Ethik: 21; 430; 438; 439; 489
Bewegung: 460; 461 Europa: 66; 67; 141; 150; 151; 166; 170; 180;
Bild: 474; 482; 483; 484; 516 277; 450; 451; 455
Bildungslehre: 22; 194; 260; 446 Evangelisches Christentum: 473; 495
Briefe (aus Italien): 183-196; 205f.; 209; 211; Existenz: 19f., 24; 117; 264; 352; 473; 484;
218; 285; 289; 307; 377; 389; 412; 413; 488; 489f.; 492; 496; 498f.; 502; 542
415; 435;536
Buytendijk (Briefe): 21; 278; 283; 291 Fragen zum Problem der Macht: 426
Buytendijk*: 283; 291; 352 Franziskus: 215
Freiheit: 115; 116; 120; 193; 343
Casel (Briefe): 21; 101; 104; 303
598 Werke-Register

Freiheit, Gnade, Schicksal: 193; 373-375; Herwegen (Briefe): 21; 58; 101; 102; 103;
375f; 388; 428; 435 104; 111; 112; 128; 136; 138; 169; 184; 515
Freiheit und Unbänderlichkeit: 193; 194; 206; Hölderlin: 267f.; 272; 274; 308; 314; 316;
260 317; 319-326; 327; 334; 458
Friede: 69; 387; 440
Innerlichkeit: 256; 306
Gang der Geschichte: 510; 511; 512; 519; 523 Interpretieren: 272
Gebet des Herrn: 377; 489
Gebet und Wahrheit: 487 Jesus Christus: 469
Gefährdung: 94; 193; 194; 197 Johanneische Botschaft: 487
Gegensätze: 76; 78-81; 85 Jugendbewegung vor dem Ende?: 62; 200
Gegensatz: 74; 76; 77; 79; 80; 81-99; 106; Ju-endreich: 55
107; 108; 137; 155; 157; 167; 181; 186;
193; 202; 205; 209; 210; 212; 232; 240; Katholische Religion: 116; 216
303; 306; 343; 344; 345; 388; 389; 437; Kirche des Herrn: 127; 473; 495-498
535; 545 Klassischer Geist: 137
Gegensatzlehre*: 77 Kreuzweg: 104
Gegenwart und Geheimnis: 271 Kultakt: 512f.; 514; 516; 519-521
Gehorchen: 116 Kultbild: 516
Gehorchen. Erwiderung: 116 Kultur als Werk: 425f.; 427; 440; 441; 442;
Gehorsam: 72; 115f. 446; 448
Gemeinschaftliche Andacht: 105 Kultur und Natur: 203-210; 212; 259; 280;
Gentleman: 426; 427 316
Geordnete Welt*: 312 Kunsterziehung: 378
Gesamtzusammenhang: 442
Geschichte: 307; 316; 319; 321; 322; 325 Landschaft: 270; 307-313; 398; 477
Glaube als Überwindung: 382 Leben des Glaubens: 459; 461; 469; 504; 505;
Glaube an die Gnade: 249 506; 509
Glaube in der Reflexion: 506f.; 507-509 Leben des Herrn: 469; 476
Glaube in unserer Zeit: 451; 500-502; 503; Lebendige Freiheit: 194; 206; 260; 345
509 Lebendiger Geist: 193; 194; 206; 249; 259;
Glaube und Dasein: 334; 335 260; 347f.; 374
Glaube: 435; 459; 460; 461; 494 Lebendiger Gott: 373; 469
Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg: Lebensalter: 430; 438; 444; 445
387 Letzte Dinge: 330
Gleichnis vom Sämann: 387 LexOrandi: 108; 112; 197
Goethes Faust*: 271 Liebe: 461
Gottes Werkleute: 199; 430; 446 Liturgie: 26; 85; 102f.; 103-109; 109f.; 119;
Grenzen: 200 123; 129; 136; 197; 207; 210; 214; 215;
Das Gute: 348-350; 371; 372; 377; 430; 438; 216; 264; 469; 515; 516
446 Liturgie im Alltag: 108
Liturgische Bewegung I: 58; 112
Habilitation in Bonn*: 134; 138; 141; 167 Liturgische Bewegung II: 112
Harren der Schöpfung: 461 Liturgische Bildung: 83; 85; 86; 94; 103; 105;
Heiland: 22; 382f. 107; 108f.; 110f.; 178; 182; 183; 190; 194;
Heilbringer: 383-385; 450f. 197; 206; 212; 215; 216f.; 217f.; 219-221;
Der Heilige: 503; 504 224; 248; 251; 252; 375; 379; 514; 515
Heilige Gestalt: 376 Liturgische Erfahrung: 442; 516; 517; 518
Heilige Schrift: 138; 139; 458; 459; 460; 462- Logik und religiöse Erkenntnis: 170; 265; 266;
466; 507 293
Von heiligen Zeichen: 108
Herr: 129; 239; 461 f.; 463; 466; 469-477; Macht: 390-394; 397f.; 404; 424; 426; 431-
483; 484; 495; 496 435; 438; 443-448; 479
Macht und Nihilismus*: 397
Werke-Register 599

Die Maschine und der Mensch: 440 Rilke 1941: 275; 327-333
Mensch*: 295; 352; 354; 489 Rilke 1953: 267; 268; 270; 272; 274; 329-
Menschenwelt: 188 332; 334
Menschliche Wirklichkeit: 461; 484; 485 Rundfunk: 377
Michelangelo: 176
Möglichkeit öffentlichen Sprechens: 199 Schwermut: 91; 263; 264; 289
Möglichkeit und Grenzen (der Gemeinschaft): Seinsordnung: 267; 308; 312; 398
194; 259; 346; 379 Seligpreisungen: 278
Mystagogische Predigt: 442; 470 Semer: 254; 264; 292; 301; 303; 310; 446
Mysterium: 111-114; 129; 193; 234; 256; 465; Seiner 1935: 254
469; 472; 515 Sendung: 55; 61
Mythos: 385f.; 387 Sicherheitsbewußtsein: 196
Mythos und Offenbarung: 238 Sinn der Kirche: 58; 61; 85; 94; 112; 116f.;
119-121; 124-129; 160; 182; 207; 216; 218;
Nachtrag zu einer Kollegstunde: 274; 387 219; 234; 244; 343; 379; 478; 480; 495; 514
Nachwort: 116 Sinne: 442
Neue Jugend: 55; 121-123; 178; 183; 203; Situation: 206; 424f.; 427
211; 344; 345; 459 Sokrates 1926: 170; 264f.; 278; 400
Neundörfer: 69 Sokrates 1943: 265; 267; 278; 400
Nietzsches Lehre vom Endlichen*: 264 Sonntag: 426; 427; 437
Nur wer Gott kennt: 490-493; 554 Sorge I: 427
Sorge II: 427; 511; 512; 523
Das Objektive: 104 Sorge um den Menschen: 453
Offenbarung: 101; 168; 169; 238; 241; 334; Soziale Indikation: 387
368; 421; 473; 486f.; 533; 535 Sozialwissenschaft: 92; 94; 143; 193; 194;
Offenheit*: 378-381; 477^82 197f.; 259; 345; 346; 347; 367; 379; 445
Sprache, Dichtung, Deutung: 278
Pascal: 171; 255; 265; 267; 290; 292; 293- Stopfkuchen: 271; 278
300; 370; 452; 453; 458f.; 460; 461; 485; Strom: 308; 316; 317f; 319
489;495 Suche nach dem Frieden: 393f.
Pascals Gebet: 171; 293 Systematische Methode: 103; 107; 217
Pascals innere Stunde: 170; 255; 265; 266;
293;294 Tag des Herrn: 387
Phänomen der Macht: 426; 431 Theologie der Welt: 452; 502f.
Pius XII.: 519 Theologische Briefe: 492f.; 511; 523
Pluralität und Entscheidung: 386; 440; 445; Thule: 123; 127; 178-180; 215; 219; 239
545 Todesfall*: 77
Politische Bildung: 94; 199 Tugenden: 448-450
Politische Wirklichkeit: 94; 198f.
Promotion in Freiburg* 134 Über den Heiligen: 215
Psalmen: 102; 487 Über die Schildgenossen: 200
Psychologische Gesetze: 102; 103-106; 110 Universalität: 126f.; 215
Untergehende christliche Werte: 279; 450
Quickborn: 55; 183; 217; 377 Unterscheidung: 111; 194; 259; 306; 332; 382;
383; 421; 457
Reflexe und direkte Akte: 108; 217 Der unvollständige Mensch: 427f.; 440; 446;
Reichtum Christi: 112; 216; 469 447;448
Religion: 151; 168; 238; 240; 276; 334; 385;
388; 393; 486; 500; 542 Vaterland: 378
Religiöse Entscheidung: 171; 255; 265; 293 Verantwortung: 387f.
Religiöse Erfahrung: 237; 238; 240f.; 317f.; Verantwortung der Studenten: 445
323; 327; 334; 382; 386; 421; 422; 486 Verwertung: 102; 103
Renaissance: 114f.; 176f. Völkerbund: 199
Rettung des Politischen: 198 Vom klassischen Geist: 188
600 Werke-Register

Vorbereitung auf Dante: 269; 308 350-373; 395; 407; 409; 421; 430; 434; 459;
Vorlesungen in Berlin: 148f.; 150-162; 167- 486; 489; 490; 503; 530f.; 533; 535; 554
171; 213; 224; 234f.; 263f.; 278; 293; 300; Weltanschauung: 98; 123f.; 148; 151-162;
308; 316; 326; 354; 381; 430; 455; 461; 164-166; 194; 202; 207; 213; 219; 241; 247;
486; 487f. 259; 261; 295; 371; 429; 430; 440; 455;
Vorlesungen in Bonn: 138; 141; 167; 235 469;486
Vorlesungen in München: 172f.; 396; 430; Wesen des Christentums: 129; 421; 455; 461;
438f.; 445; 489f.; 492; 308 469; 480; 495
Vorlesungen in Tübingen: 147; 171f.; 274; Wesen des Christentums 1929: 129
308; 387; 396; 428; 445 Wesen des Kunstwerks: 516
Vorschule des Betens: 515 Wort zur liturgischen Frage: 518
Vorsehung: 387 Wunder: 373

Waage des Daseins: 381 Zu Albert Mirgelers Schlußwort: 62


Wahrheit des Denkens: 21; 271; 326; 328; Zu meinem Vortrag: 515
352; 397; 430; 438; 439; 509; 510 Zu Theodor Haeckers Vergilbuch: 140
Wahrheit und Ironie: 400 Zukunft: 409; 410; 411; 430; 443
Wahrheit und Ordnung: 495; 503 Zusammenhang*: 211f.; 241f.; 258
Welt und Person: 92; 193; 202; 203; 249; 295; Zwischenspiel*:; 396; 428
304; 305; 306; 316; 330; 331; 333; 348;
Personenregister

Bahr, H., 270


Abele, Th., 53 Baidur (german. Gott), 383
Abraham (AT), 474; 503 Balthasar, H. U. v., 20; 22; 23; 25; 75; 114;
Adam, A., 54; 528 122; 135; 140; 223; 231; 232; 264; 275;
Adam, K., 60; 61; 62; 98; 119; 122; 126; 127; 276; 279; 294; 300; 301; 307; 308; 328;
138; 229-231; 233; 234; 247; 265; 342; 460 334; 392; 474; 482; 523; 535; 547
Adickes, E., 69; 146 Barth, K., 92; 222-224; 231; 233; 234; 245;
Adorno, Th. W., 389f.; 392; 417 252; 276; 339f.; 341; 367; 528; 546
Ahlheim, K.H., 16 Baudelaire, Ch, 275
Aicher, O., 386 Bauer, A., 386
Aischylos, 274; 319 Bauer, C , 33
Albert der Große, 230; 404 Baumgartner, A., 43
Albert, K., 101 Beauduin, Dom L., 53
Allemann, B., 314; 315 Becher, P., 27; 390
Altner, G., 437 Becker, C. H., 59; 148; 199
Amery, C, 436 Becker, G., 492
AndnJ.H., 127 Beinen, W., 486; 547
Anselm v. Canterbury, 135-140; 149; 158; Beißner, F , 268; 269; 272; 316
Bendiscioli, M., 67
169; 505
Benedikt v. Nursia, 182; 215
Anwander, A., 240
Benjamin, W., 24
Apfelbacher, K.-E., 145; 148
Bergengruen, W., 48
Apollon (griech. Gott), 38; 89; 122; 322
Berger, R., 54
Archimedes, 482
Bergson, H., 42; 44; 87; 97
Aristoteles, 76; 136; 163; 230; 399; 413
Bernhard v. Clairvaux, 149; 226; 292; 445
Artz.J., 505
Berning, V., 49; 53
Aubert, R., 34; 35; 49; 50; 51
Auer, A., 339; 348; 371; 409; 434; 435; 437; Berning-Baldeaux, U., 22; 194; 363; 367
438; 439; 443; 489 Bertram, E., 43
Auerbach, E., 270; 309; 312; 529 Beyerwaltes, W., 76; 87; 88
Aufmuth, U., 37; 39 Binkowski, J., 55; 56
Augustinus, 18; 72; 97; 136; 137; 140; 163; Birnbaum, W., 53; 101; 104
169; 170; 172; 230; 234; 256; 263; 277; Biser, E., 24; 25; 26; 134; 264; 269; 277; 286;
278; 291; 292; 295; 300-307; 308; 309; 310; 294; 300; 308; 312; 340; 341; 351; 363;
312; 313; 320; 323; 326; 331; 335; 348; 371; 379; 381; 382; 387; 397; 398; 404;
349; 350; 354; 356; 360; 374; 404; 458; 415; 428; 429; 466; 470; 487; 492; 544;
459; 460; 467; 475; 487; 526; 529; 533; 545; 546; 551
539;540 Blasberg-Kuhnke,M.,471
Außem, J., 200; 225 Bleickett, G., 49
Bleistein, R., 470; 471; 492
Blennerhassett, Ch.: 48
Baader, F. v., 43 Blumenberg, H., 338; 339; 340; 342; 404;
Babolin, A., 74
405; 406
Bachern, J., 50 Bodammer, Th., 42
Bachofen, J.J., 207; 208; 315 Böckenfbrde, E.-W., 34; 62
Bacon, F., 199 Böckenhoff, J., 22; 346; 363; 367
Baeumler, A.: 43; 207; 208f.; 315; 316; 317 Böckmann, P., 313f.; 315; 316
602 Personenregister

Böhm, Winfried, 76; 441 Dante, 66; 170; 172; 173; 181; 263; 267; 269;
Böhm, Wilhelm, 267; 313; 315; 316 270; 272; 274; 277; 278; 283; 291; 292;
Börsig-Hover, L., 22; 25; 193; 346; 363; 397; 293; 307-313; 318; 319; 321; 322; 326; 335;
413; 418; 442; 443 398; 399; 404; 458; 467; 477; 488; 529; 530
Bogler, Th., 513 Darwin, Ch., 36; 43; 246
Bollnow, O. F., 45; 46; 272; 352; 371 Demeter (griech. Göttin), 208
Bonaventura, 74; 80; 129; 133; 134-138; Denifle, H., 134
141; 149; 158f.; 163; 178; 232; 247; 249; Demda, J., 544
255; 292; 295; 308; 399; 404; 488f.; 526 Descartes, R., 31; 296; 338; 389; 390; 396;
Bondy, M., 116; 343 397; 400; 413
Bonhoeffer, D., 341 Dettloff, W., 26
Braig, C , 134 Diederichs, E., 38; 45; 46; 62
Brecht, F. J., 272 Diekamp, F., 31; 231
Breithaupt, M., 36 Dilthey, W., 41f.; 57; 69; 79; 87; 97; 142;
Brentano, Ct., 76 143f.; 146; 150; 151; 153; 154; 166; 273;
Breuning, K., 62 371; 526; 544
Bröckling, U., 63 Dionysius (Pseudo-)Areopagita, 136
Brugger, W., 16; 76 Dionysos (griech. Gott), 38; 89; 122; 184;
Brüning, H., 53 208; 321; 322; 325; 329; 360; 383; 509
Brüske, M., 237 Dirks, W., 63; 69; 183; 189; 199; 200; 224;
Brunkhorst, H.,417 225; 226; 228; 229; 387; 396; 403; 418
Brunner, E., 367 Döllinger, J. J. I., 140
Bruno, G., 338 Dostojewskij, F. M., 166; 170; 172; 262;
Brunschvicg, L., 452 266f.; 270; 271; 275; 277; 278-291; 292;
Buber, M., 45; 352; 367; 369; 397 293; 294; 296; 307; 318; 326; 327; 328;
Buchheim, K., 34 335; 396; 450; 458; 467; 509; 529; 530
Buddha, 239; 240; 243; 257; 461; 553 Drey, J. S, 76; 128
Bugnini, A., 53 Driesch, H., 43; 88; 119; 146; 153; 246; 379
Bultmann, R, 201; 222; 341 Droysen, J. G., 41
Burckhardt, J., 181; 405
Buytendijk, F. J. J., 278; 352 Ebeling, H.,417
Eberle,J.,51
Cajetan, 232 Ebner, F., 45; 367; 368; 369
Calvin, J., 340 Egenter, R.,371
Camus, A., 352 Ehlen, N., 54
Capra, F., 547 Ehrhard, A., 50
Casel, O., 53; 54; 59; 101; 103; 104; 105; Eichendorff.J. v.,39
Ulf.; 471 Eicher, P., 23; 27; 74; 75; 222; 457; 485; 486
Casper, B., 45 Eisler, R., 142; 201
Castelli, E., 387 Eiert, W., 227
Chomjakoff, A. St., 292 Elisabeth von Thüringen, 292
Christine, L., 71; 182; 446 Eller, A., 39; 40
Cicero, 16; 31 Engen,226
Cloeren, H. J., 33 Epikur, 264
Cobb.J. B.,436 Eschweiler, K., 22; 60; 138; 230f.; 233; 234;
Cohn, J., 143 247;528
Comte, A., 36; 40 Eucken, R., 42
Congar, Y., 17
Coreth, E., 41; 42; 44 Faber,E.-M.,21;23; 114; 125; 231; 233;
Cort6s, D., 395
248; 249; 457; 494
Cox, H., 342
Faber, K.G., 29
Cyrill v. Jerusalem, 470
Faber, R., 62
Färber, K., 141
Dalferth, I. U., 138 Farias, V., 314
Personenregister 603

Fastenrath, E., 23; 69; 74; 141 Goethe, J. W. v., 25; 32; 35; 44; 76; 77; 87;
Fechner, Th., 40 94; 142; 143; 182; 188; 249; 254; 269; 271;
Ferber, W., 50 319; 322; 327; 408; 411; 417; 428; 447; 458
Feuerbach, L., 24; 36; 204; 339 Gogarten, F., 191f.; 222; 341f.; 367; 433;
Fichte, J. G., 76; 87 434; 435-437; 450
Figl, J., 340 Gögler.M., 171
Fischer, B., 53 Görner, E., 102; 161; 189; 264; 270; 271;
Fischer, D., 23; 457 279; 285; 293; 308; 378; 381; 487; 488; 489
Fischer, K.P., 471; 492 Görres.J. v.,43; 142
Florenskij, 292 Gottron, A., 55
Flury, J., 138; 230 Gräff.O., 180
Foerster, F. W., 226 Graf, F. W., 222; 223; 545
Fomi, Msgr., 147 Gratry, A.-J.-A., 97
Franz v. Assisi, 140; 214; 215; 221; 226; 292 Greschat, M., 34; 222
Franz v. Sales, 481 Groethuysen, B., 146
Freckmann, K., 61; 108 Grimme, A., 59
Frecot, J., 37 Grosche, R., 467
Freud, S., 481 Groß, W., 101
Freudenberger, T., 116 Grundei, H., 61; 148; 149
Frey, A., 387 Gueranger, P., 53
Freyer, H., 36 Günther, H., 405
Fried, K., 386 Gurian, W., 39; 270
Fries, H., 22; 46; 49; 59; 74; 97; 98; 126; 142; Gurlitt, L., 39
145; 146; 147; 150; 165; 222; 237; 238
Frischeisen-Köhler, M., 146 Haeckel, E., 36
Frobenius, L., 33 Haecker, Th., 45; 48; 140; 224; 227f.; 377
Frühwald, W., 270; 271 Haendler, O., 40; 41
Fuchs, F., 52 Häußling, A. A., 101; 103; 104; 136; 138
Fuhrmann, M., 32 Hagen, A., 49; 51; 52
Funk, Ph, 51; 52; 53; 61; 69; 226; 229; 242 Halder, A., 46
Hanssler, B , 269; 308; 311
Gabriel, K, 542-544; 545; 546f.; 548 Harnack, A. v., 126; 141; 148; 236; 245
Gadamer, H.-G., 269; 270; 272; 273f.; 277; Harth, Ph., 66
328; 330; 331 Hartmann, N., 46; 85
Gaede, 149 Hastenteufel, P., 54; 55; 56; 378
Gandhi, M., 198f. Haubenreißer, W., 41
Ganoczy, A., 30; 31 Haubenthaler, R., 441; 447
Gehlen, A., 46; 205; 448 Hauptmann, G., 67
Geiselmann, J. R., 53; 76; 128 Hausenstein, W., 440
George, St., 85; 270; 318; 327 Hauser, R., 16
Gerber, U., 23; 27; 457 Heck, B., 171
Gerl, H.-B., 21; 24; 29; 55; 56; 57; 59; 61; 62; Hefele,H.,51;52; 176
66-70; 74; 75; 76; 87; 98; 100; 101; 133; Heftrich, E„ 270; 272
134; 136; 141; 147; 148-150; 166; 171; 172; Hegel, E., 33
176; 188; 199; 200; 215; 229; 264; 352; Hegel, G. W. F., 35; 45; 76; 82; 88; 91; 115;
377; 387; 403; 430; 469; 478; 489 142; 227; 315; 339; 340; 342; 353; 389
Gerlach, W., 36 Heidegger, M., 45f.; 142; 201; 262; 268; 272;
Gerner, B., 20; 22; 23; 25; 74; 195; 363; 387 273; 283; 284; 313-317; 321; 325; 327; 332;
Gertrud die Große, 292 333; 351C; 357; 360; 367; 371; 390; 395;
Getzeny, H., 43; 146; 224 397; 398; 413; 481; 490; 509f.; 529; 533;
Geyser, J., 97 534
Gnade, D., 149 Heiler, F., 47; 51; 119; 126f.; 215
Heilmann, A., 51
Heim, K., 48
604 Personenregister

Hellingrath, N. v., 267; 315; 316; 317 Iserloh, E., 48; 53


Henner, G., 20; 21; 23; 75; 137; 193; 195;
300; 312; 351; 363; 430; 441; 445; 447 Jäger, W., 148
Henning, H. J., 37 Jahn, J., 41
Henrich, D., 417 Jahr, L, 328
Henrich, F., 54; 55; 56; 468 Jakob (AT), 503
Herakles (griech. Halbgott), 322; 325 Janssen, P., 40
Herder, J. G. v., 31; 32; 204 Jaspers, K., 41; 45f.; 69; 75; 79; 144f.; 150;
Hermanns, M., 94 151; 153; 157; 202; 264; 340; 352; 371;
Hermes (griech. Gott), 323 395; 397; 413; 490; 526
Herms, E., 32 Jatho, C , 38
Hersch,J.,371 Jesus Christus, 30; 31; 54; 55; 57; 70; 71; 83;
Hertling, G. v., 49 100; 109; 112f.; 114f.; 117; 119; 120; 123;
Herwegen, I., 53f.; 57; 61; 101; 102f.; 104;
125; 129; 130; 139; 158-162; 171; 202; 215;
105; Ulf.; 128; 183; 514 216; 217; 220; 223; 226; 235f.; 239; 242;
Herzfeld, M., 176 243f.; 248; 249; 250; 254; 255-257; 259;
Hesse, H., 67; 279; 294; 315 280; 282; 286; 288; 290f.; 291; 292; 294;
Hessen, J., 122 296; 303; 306; 311; 317; 318; 319; 321;
Hien, H., 56 322; 324-326; 343; 358f.; 362; 369f.; 373;
Hierdeis, 378 378; 379; 383-385; 387; 424; 433f.; 435;
Hildebrandt,K.,43;315;316 436; 450f; 455; 456; 457; 458; 460; 461;
Hitler, A., 384; 388 462; 463; 464; 467; 469; 470; 472; 473-477;
Hirschberger, J., 36; 40; 42; 44; 46; 85; 97 480; 482^185; 486; 487; 488; 489; 491; 493;
Hirscher, J. B., 53; 128 494; 495; 496; 497; 498; 515-517; 521; 533;
Hoeber, K., 61 536; 537
Höhn, H.-J., 544 Joeckle, C , 25
Hölderlin, J. Chr. F., 169; 170; 172; 173; Johannes (Evangelist), 112; 201; 301; 305;
188; 262; 267; 268; 269; 270; 271; 272; 368; 483; 484
274; 276; 277; 278; 294; 307; 308; 312; Johannes XXIIL, 497
313-326; 327; 328; 331; 333; 334; 335; 351; Jünger, E., 395f.
361; 380; 382; 421; 422; 458; 467; 487; Jüssen, K., 31
529f. Julian (Apostata), 221
Höltershinken, D., 23; 116; 363 Justin der Märtyrer, 111
Hoffmann(-Fölkersamb), H., 39 Jung, C. G., 77; 384
Hoffmann, H., 55 Jungmann, J. A., 59
Hofmannsthal, H. v., 67
Homer, 269
Honecker, M., 59; 142 Kafka, F., 334; 335; 431
Horkheimer, M., 389f.; 392; 417 Kahlefeld, H., 466; 472
Hover,W.,316 Kampmann, Th., 473
Huch, R., 67; 75 Kant, L, 40; 44; 45; 47; 67; 85; 86; 97; 99;
Hübinger, G., 38 106; 116; 142; 143; 144; 145; 201; 301;
Hübner, P., 279; 282 315; 339; 344; 348; 349; 353; 409; 413;
Hünermann, P , 17; 35; 41; 42; 201; 323; 437; 417;544
Kasper, W., 17; 231; 233; 339; 342; 348; 349;
456
Hurten, H., 29; 33; 34; 37; 50; 54; 57; 198; 435; 456; 498; 499; 545; 549
Katharina von Siena, 292
228; 229; 231; 248; 450; 543
Kaufmann, F. X., 34; 543; 545
Hufnagel, A., 97
Kaufmann, W., 38
Hulewicz,W. v., 329; 330
Kehl, M., 17; 34; 545; 546; 549
Humboldt, W. v., 35; 142; 207
Kelber, K. G. W., 116; 343
Husserl, E., 40; 44f.; 97
Kelsos (Celsus), 221
Keller, E., 53
Ignatius v. Antiochien, 292 Keller, M., 54; 129; 495
Ignatius v. Loyola, 226; 233; 303; 471 Keller, W., 32
Personenregister 605

Keppler, P. W. v., 52; 101 Kunz, E., 140


Kerenyi,K.,323;399 Kurth, G., 53
Kern, W., 339 Kuschel, K.-J., 550
Ketteier, W. E. v., 67
Kierkegaard, S., 45; 46; 90-95; 169; 170; Lagarde, P. de, 38
213; 223f.; 228; 229; 231; 234; 244-246; Lanczkowski, G., 18
248; 249; 251; 254; 255; 263f.; 265; 266; Landmann, M., 41
269; 270; 275; 279; 283f.; 285; 287; 289; Landsberg, P. L., 47; 150; 151; 180-182;
291; 292; 294; 296; 297; 302; 303; 321; 270;312
325; 328; 345; 351; 352; 360; 367; 371; Langbehn, A. J., 37f.; 48; 43; 52
458; 472f.; 481; 484; 487; 490; 494-496; Langemeyer, B., 22; 346; 363; 367; 368
509; 521; 525; 528; 529; 533 Langer, M., 224
Kindt, W., 39; 54; 55; 56 Langgässer, E., 315
Klages, L., 42; 208; 298 Langner, A., 225
Kleiber, H., 21; 23; 27; 74; 114; 134; 135; Laqueur, W. Z., 29; 39; 180
150; 363; 457; 461; 462; 482; 485; 486 Laros, M., 265
Klein, Ch., 474 Lechner, M., 21; 74; 441; 447
Klein, J., 142 Le Fort, G. v., 29; 48; 148
Klenk, F., 323 Leeuw, G. v. d., 47; 237; 240; 241; 385
Klimke, F., 57 Lehmann, K, 19; 34
Kloith, F., 149 Leibniz, G. W., 97
Klopstock, F. G., 313 Lengeling, E., 54
Kluke, P., 59 Lenin, W. 1., 481
Knies, R., 62 Lenz, H., 363
Knoepfler, M., 141; 402; 403 Leo XIII., 49f.; 67
Knoll, A., 134; 171; 387; 489 Lercher, H., 231
Koch, W., 51; 60; 73; 117; 135; 141; 490 Lessing, G. E., 244
Köhler, O., 34; 50 Lesskow, N., 278
Köhler, W., 379 Lövy-Bruhl, L., 47; 237; 240
König, F., 18 Lill, R., 34; 35; 50; 147
Kogon, E., 387 Link, Chr., 339
Kolbe, F., 53 Link, F., 271
Kolping, A., 60; 62; 138; 140 Linse, U., 39
Korfmacher, K., 114 Low, R., 544
Koselleck, R., 405; 406 Löwith, K, 340-342
Koslowski, P., 544 Loisy, A , 49; 50; 51
Krähe, M.J., 111 Loome, Th. M., 48; 49
Kratzsch, G., 37 Lopez Quintäs, A., 74; 468
Kraus, F. X.,48f.;50 Lowitsch, B., 61; 226
Kraus, G., 30; 485 Lübbe, H., 340; 546
Krebs, E., 57; 60; 62; 134; 135; 138; 352 Lüueler, H., 141; 150; 269; 294; 314; 316
Kreidler, H., 60; 98; 126; 229; 230; 231; 238 Lukäcs, G., 388
Kremer, J., 18 Luther, M., 222; 231; 360
Krüger, G., 400; 401; 404; 408; 409; 417 Lutz, H., 62
Krummel, R. F., 38 Lutz-Bachmann, M., 47; 58; 114
Kuhn, H., 26; 44; 45; 58; 75; 97; 140; 272; Luz,U.,71
305; 309; 328; 343; 363; 404; 410; 411; Lyotard, J.F., 26; 544
413; 468; 469
Kühn, U., 22; 60; 229; 230; 231; 233; 234; Maas-Ewerd, Th., 53; 101; 467; 518
457 Maaß, F.-D., 47
Küng, H., 545; 546; 553 Macchiavelli, N., 298
Kumpf,A.,58; 141; 381 Mack,E.,51
Kunisch, H., 264; 268; 269; 271; 272; 273; März, F., 26
313; 314; 315; 316; 328; 458 Maier, H., 180; 271
606 Personenregister

Mann, G., 29; 36 Neundörfer, K., 69-72; 75; 77; 78; 101f.;
Mann, Th., 29; 44; 67; 77; 271; 397 114; 197; 199; 226; 228; 229; 523
Manser, A., 53 Neuner, P., 18; 547
Manzoni, A., 184 Neunheuser, B., 74; 141; 470; 513
Marc, F., 46f.; 58; 75 Newman, J. H., 141; 224; 292; 402; 481; 505-
Marschall, M., 24; 101; 104; 109; 521 507; 508; 509; 534
Martini, F., 35; 41; 66 Niedermann, J., 16
Marx, K, 24; 36; 204; 339; 389; 392; 403; Niedner, F., 178
404; 418; 481 Nietzsche, F., 36; 38; 42; 43; 44; 87; 89; 118;
Matarazzo, F., 176 170; 204; 249; 254; 264; 270; 275; 283f.;
Mayer, A. L., 53 287; 291; 292; 297; 298; 301; 307; 315;
Mayer, H., 29; 44 318; 321; 322; 327; 328; 330; 331; 332;
Menke, A., 22; 363 334; 339; 340; 352; 372; 380; 383f.; 390;
Menne, A., 76; 87; 88 395; 396; 397; 405; 412f.; 452; 478f.; 481;
Mensching, G., 62 487; 500; 509-511; 529; 533; 534
Mercker, H., 20; 21; 23; 25; 27; 72; 81; 92; Niggl,G.,271
128; 134; 146; 150; 153; 155; 157; 160; Nikolaus v. Cues, 76; 338
165; 166; 167; 168; 173; 213; 224; 234; Nipperdey, Th., 29; 38; 47
247; 253; 254; 263; 277; 278; 316; 385; Nissen, B. M., 43; 52
396; 430; 438; 439; 440; 441; 447; 485; Nocent, A., 53
494; 495; 497; 512 Nohl, H., 37; 79
Mertens, A., 63; 462 Nosbüsch, J., 22; 45; 346; 363; 367; 368; 369
Merz.M. B., 103; 470; 471 Novalis, 43; 76; 315; 450
Metz, J. B., 342; 348; 435; 502; 543
Michel, E., 61f.; 63; 101; 199; 224; 226; 228;
Oeschger, H. J., 378
229; 242; 251 Oesterreich, T. K., 36; 40; 44; 153
Michelangelo, 176 Onasch, K., 286
Michelet, J., 405 Ott, H., 283; 314; 315; 317; 352
Mieth, D , 449 Otto, R., 47; 60; 76; 237; 240f.; 317
Mill.J. St.,40 Otto, W. F., 22; 47; 171; 237; 240; 317; 323;
Mirgeler, A., 62; 227; 229 399
Misch, G., 142; 146
Mittelstraß, G., 39
Möhler, J. A., 54; 76; 129; 140; 495 Pannenberg, W., 204; 205; 339; 340; 341f.;
Möller, H., 29 404f.; 435; 436
Moeller van den Brück, A., 43 Papen, F. v., 229
Moeller, Ch., 17; 201; 497 Parmenides, 327; 332; 333; 399
Mogge, W., 47; 55; 200 Pascal, B., 22; 97; 169; 170; 172; 173; 224;
Mohlberg, K., 102; 430 255; 263; 264; 265f.; 267; 270; 275; 277;
Montaigne, M., 170; 283; 298; 327 278; 279; 284; 285; 291; 292; 293-300; 301;
Mörike, E., 189; 269; 270; 271; 334 302; 304; 305; 320; 325; 326; 328; 335;
Mose (AT), 461; 474; 503 348; 350; 351; 396f.; 400; 410; 452f.; 458-
Mounier, E.,418 461; 464; 467; 481; 487; 521; 529; 533
Muckermann, F., 61 Paul VI., 17; 497; 498
Müller, A. H., 43; 76 Paulus (Apostel), 57; 112; 201; 224; 233;
Müller,}., 49; 50 256; 292; 305; 341; 369f.; 433; 462; 469;
Müller-Lauter, W., 413 483; 484; 489
Münster, Cl., 394; 395; 403; 418 Perpeet, W., 16; 31
Mulert, 38 Peterson, E., 495
Muth, K., 50; 52; 63 Petrarca, F., 176
Mwana, A. M., 340 Pfürtner, St. H., 547
Pieper, J., 371; 395; 396
Netzer, R., 41 Pigenot, L.v., 267; 315; 316
Neumann, K., 55 Pilgram, F., 54; 127; 129
Pindar, 274; 319; 327
Personenregister 607

Pinsk, J., 467 Rodi, F., 16; 31; 32; 33


Pius X., 49; 50; 53 Roest Crollius, A. A., 17
Pius XII., 17 Rolland, R., 199
Piaton, 71; 76; 97; 163; 169; 170; 173; 181; Rosenberg, A., 43; 146; 316
247; 264; 292; 295; 301; 303; 309; 310; Rosenmöller, B., 57; 73
311; 312; 320; 358; 371; 398; 399; 400; Rosenzweig, F., 45; 367
409; 413; 440; 458 Rost, H., 57; 60
Platz, H., 53; 57 Roth, G., 33
Plessner, H., 46; 205 Rothe, R., 222
Plotin, 399 Rousseau, J. J., 32; 37; 286
Pöggeler, O., 46; 314; 321; 352; 413 Rousseau, O., 53
Pohlmann, R., 339 Rousselot, P., 140
Polpiquet, A. de, 122 Ruegg,W.,36
Poseidon (griech. Gott), 322 Ruh, U., 17; 340
Preysing, K. Kard. v., 149
Pribilla, M, 61 Sägmüller, J. B., 101
Przywara, E., 22; 23; 61; 108; 114; 231-234; Salaverri, J., 122
243; 246; 247; 248f.; 251; 279; 291; 294; Salier, M., 22; 363
528 Sartre, J. P., 352; 397
Pufendorf, S., 31 Saturn (röm. Gott), 322
Schaeffer, F. A., 436
Raabe, W., 180; 188; 189; 270; 271; 278 Schaeffler, R., 18
Rademacher, A., 240 Schaper, E., 48
Raffael (Künstler): 176 Schaumann, R., 48
Rahner, H., 59; 470 Scheffczyk, L., 59
Rahner, K, 19; 22; 23; 34; 59; 60; 140; 231; Scheffler, K., 178; 180
276; 342; 348; 426; 471; 492; 497; 541; 546 Scheler, M., 22; 45; 46; 47; 48; 59; 60; 87;
Rappmannsberger, F., 50 93; 97f.; 145f.; 150f.; 166; 167; 169; 170;
Rassem, M., 31 181; 204f.; 237f.; 261; 266; 270; 278; 345;
Rathenau, W., 187 367; 368; 449
Ratzinger, J., 72 Schell, H., 49; 72
Reble, A., 32 Schelling, F. W. J., 76; 97; 124; 315
Reding, M., 142; 143; 146; 147 Schelsky, H., 39; 40
Rehm, W., 282 Scheuert, H., 37
Reinhard, E., 48 Schieder, Th., 29
Reinhardt, R., 49; 51; 102 Schiller, F., 32; 313; 315; 322; 327
Rembrandt, 37; 38 Schilson, A., 21; 23; 24; 26; 27; 47; 53; 54;
Rendtorff, T., 323; 342; 545 61; 101; 104; 111; 112; 114; 127; 128; 129;
Renz, H., 545 130; 134; 141; 204; 256; 363; 371; 456;
Reuter, F., 66 457; 469; 471; 482; 494; 495; 512; 513;
Ribbat,E.,271 518; 520; 521; 549
Richter, G., 171 Schlegel, F. v., 32
Richter, K., 471; 521; 548 Schleiermacher, F., 33; 47; 76; 223; 227; 237;
Richter, L., 244 340; 430; 441
Rickert, H, 87; 143; 157 Schlette, H. R., 25; 26; 178; 180; 343; 388;
Riley, A. W., 315 389; 397; 408; 450
Rüke, R. M., 25; 67; 169; 170; 172; 173; 262; Schleußner, W. und J., 67; 70; 71; 72
267; 269f.; 271; 272; 273-275; 277; 278; Schlüter-Hermkes, M., 58; 74
307; 308; 318; 326-335; 352; 361; 380; 382; Schmaus, M., 22; 60
411; 421; 422; 458; 487; 529; 530 Schmid, C , 171
Ritschi, A., 222 Schmid, J., 38
Ritter, J., 36 Schmidt, P., 23; 27; 74; 195; 363; 430; 441;
Robinson, A. T., 342 449
Rochefort, R., 334 Schmidt-Biggemann, W., 340; 342
608 Personenregister

Schmieden, A., 309 Solle, D., 342


Schmitt, C , 47; 63; 198; 199 Sokrates, 38; 170; 244; 264f.; 278; 328; 400;
Schmitz, J., 486 412; 440
Schmitz, Ph., 53 Solowjew (Solowjow), W., 292; 395
Schmucker-von Koch, J. F., 25; 26; 356; 363; Sombart, W., 87; 148
379; 410; 417; 418; 342 Sonnenschein, C , 147f.; 149
Schnabel, F., 29 Sontheimer, K., 43; 388
Schnackenburg, R., 466 Sorge, R. J., 48
Schnitzler, A., 67 Sorger, K, 456
Scholder, K., 436 Spael, W., 49; 50; 54; 55; 57
Scholl (Geschwister), 381 Spämann, R., 544
Scholl, L, 386 Spann, O., 43; 47
Schoof, M., 59; 276 Speck, J., 23
Schopenhauer, A., 204 Spencer, H., 40
Schott, A., 53 Spengler, O., 33; 42; 43f.; 195; 212; 395;
Schott, E., 33 396; 412; 420; 424; 450; 524
Schreiber, G., 58; 59 Spinoza, B., 97
Schreijäck, Th., 23; 193; 195; 256; 306; 351; Splett,}., 22; 363
354; 355; 357; 363; 369 Spranger, E., 79; 146; 148; 171
Schrey, H.-H., 340; 341; 342; 363 Staudenmaier, F. A., 97; 138; 140
Schroeder, O., 49; 50; 76; 126 Steck, K. G., 339; 340
Schüler, A., 148 Steenberghen, F. v., 251
Schulte, K. J. Kard., 57 Steffes, J. P., 59
Schultz, H. J., 342 Stegmüller, W., 44; 45; 46; 146
Schulz-Henke, H., 116 Stein, E., 48
Schulz-Hoffmann, C , 75 Steinbach, E. v., 482
Schumann, R., 53 Steinbüchel, Th., 45; 59; 172; 346; 367
Schupp, F., 17 Steinmann, J., 298
Schuster, H, 58; 149 Steiner, R., 47
Schwaiger, G., 49 Stern, F., 38; 40
Schwartländer, J., 349 Stifter, A., 188f.; 270
Schwarz, R. 55 Stoeckle, B., 30; 230
Schweitzer, A., 397 Strehler, B., 55f.
Seckel, D , 316 Ströker, E., 44
Seckler, M., 18; 51; 122; 123; 124; 128; 138; Sudbrack, J., 547
165; 251; 456; 486 Suenens, L. J. Kard., 497
Sedlmayr, H., 395f.; 397 Switek, G., 17
Seebaß, F., 315
Seeber, D., 17 Tanner, K., 222; 223
Seiterich-Kreuzkamp, Th., 200; 224; 225; Teilhard de Chardin, P., 471
226; 229 Temple, W., 468
Semer, M., 71; 254; 264; 446 Tewes, E., 513
Semmelroth, O., 57 Theobald, M., 462; 463; 476
Seubold, G., 390 Theunissen, M., 428
Shakespeare, W., 269 Thiel, B., 53
Siebert, W., 76 Thielicke, H., 171
Siefken, H., 224 Thomas v. Aquin, 50; 97; 137; 138; 140; 163;
Sievemich, M., 17 181; 182; 188; 230; 232; 234; 251; 270;
Siewerth, G., 279; 282 299; 300; 304; 310; 339; 342; 348; 371;
Sigmund, G., 37; 89
404; 443; 482; 539; 540
Simmel, G., 42; 88; 89; 97
Thrasolt, E., 54; 148; 149
Skutella, M., 300
Tieck, L., 76
Sladeczek, F., 74
Tillmann, K., 140
Slök,J.,223
Tocqueville, A. de, 395
Söhngen, G., 22; 142; 232
Personenregister 609

Tönnies, F., 43 Weber, W , 437


Tolstoi, L , 278; 286 Wechsler, F., 23; 74; 114; 150; 210; 279; 308;
Toynbee, A., 33; 395 311; 328; 363; 389; 457; 462; 466; 467;
Tracy, D., 545 468; 482; 484; 485; 487
Troeltsch, E., 42; 59; 145; 148; 161; 222; 245 Weiger, J., 101; 171; 183; 184; 215; 239;
Troyan, L., 24; 74; 101 381; 403
Trütsch, J., 97; 140 Weininger, O., 77; 87; 444
Truman, H. S., 392 Weischedel, W., 339
Tucci, R., 17 Weitlauff, M., 34; 49; 50
Tyrell,G.,51 Welsch, W., 390; 544
Weite, B., 35; 437
Uexküll, J. v., 99; 202; 205 Wende, E., 59
Uhl, A., 74 Wertheimer, M., 112; 119; 153; 379
Uhsadel, W., 39; 40 White, L., 436
Wieder, K., 386
Vattimo, G., 544 Winckelmann, J. J., 32; 315; 341
Vergil, 269; 377 Windelband, W., 87
Vietor,K.,315 Winterswyl, L. A., 22; 75
Vondung, K., 37 Wirth, G., 58; 149
Vorgrimler, H., 122; 265; 298; 492; 497 Wisser, R., 41
Wittig, J., 62
Wolff, P., 53; 57
Wackenroder, W. H., 76 Wolker, L., 56
Wackerzapp, HI., 97 Worringer, W., 180
Wagenhammer, H., 236
Wagner, J., 53 Wucherer-Huldenfeld, K., 22; 74; 76; 91; 153
Wagner, R., 43 Wunderle, G., 240
Waldenfels, H., 17; 18 Wundt, W., 40; 153
Walter, R., 17 Wust, P., 61; 74; 84; 98; 149; 346
Ward, W., 505 Wyneken, G., 39
Warnach, V., 470
Wassermann, J., 67; 281 Zahner, W., 55
Watzal, L., 27; 198 Zähringer, D., 53
Weber, A.,395f.; 413; 524 Zander, L. A., 286
Weber, Chr., 50 Zarathustra, 461
Weber, M., 340; 341; 447; 509 Zimmermann, H. D., 47
Sachregister

Abendländische Kultur/Abendland: 17; 93; Antimodernisteneid: 51


190; 191; 209; 212; 281; 293; 450; 553 Antinomie (der Gnade): 244-246; 249f.; 253;
- "Untergang des Abendlandes": 43f.; 420; 259; 370; 528; 549f.
450; 524 Antisemitismus: 474
Absolutheit des Christentums: 145; 161; 245 Arbeit(er): 288; 374; 391; 392; 418; 437; 447
"Advent": 324 Architektur: 195f.
Ärgernis: 220; 224; 233; 244-246; 248; 250; Aristokratischer Charakter: 188; 404
290f.; 295; 464; 476; 494; 528 Aristotelisch: s. Aristoteles im
Ästhetische Betrachtungsweise: 386; 465 Personenverzeichnis
Ästhetizismus: 109f.; 219; 226 Askese: 214; 444; 447f.; 449
Aeviternum: 112f.; 256; 465; 515 Atheismus: 285; 339; 451; 500-502; 509f.;
Akademie-Gedanke: 55f.; 445 552f.
Akademikerbewegung: 53f; 57-59; 62; 65; Atombombe: 392; 418f.; 424f.; 435; 444
525 Auferstehung Jesu: 476
"Allonomie": 302f.; 304; 305; 349; Aufklärung (Epoche): 31f.; 53; 299; 408; 417
s. Autonomie - Dialektik der Aufklärung: 389-391; 417f.;
Altes Testament: 241; 335; 422; 489; 503 435
Amnesie: 491 Augustinisch: s. Augustinus im
Analogie: 83f.; 232f.; 246-250; 251; 253; 349; Personenverzeichnis
370; 528; 549f. Ausdruck: 83; 109; 210; 515
"Anderer": s. Heteronomie-Vorwurf Außen (im Daseinsraum): 313; 322; 366
Anfang: 306; 362; 434; 460-462; 472; 485; s. Daseinsraum
486f.;492;521;533 Autonome Moral: 437f.; 452
Angst: 285; 289; 360f.; 394; 407; 481 Autonomie: 30; 94; 221; 249; 253f.; 281; 284;
Annahme: 449; 492 292f.; 299; 302-305; 310; 312; 323; 324;
Anschauung: 98f.; 152; 154; 155; 157; 163; 325; 326; 327; 331; 333; 335; 337; 338-375;
186; 202; 245f.; 267; 268; 291; 294-299; 387f.; 402; 404f.; 409; 413; 417; 421; 430;
467; 525 432; 434; 435; 443; 452; 529f.; 532; 537;
Anthropologie: 16; 23; 24; 92f.; 108f.; 168; 539; 540; 545; 547; 549f.; 552
171; 173; 202f.; 345f.; 350-370; 387;; 424- Autonomismus (i. U. zu "relativer
428; 331 f.; 447; 452f.; 475-477; 481; 485; Autonomie"): 345; 346; 348; 387f.; 490,
487f.; 489; 490-493; 530f.; 539 530; 531; 539
s. Person, Persönlichkeit, Leib u. a. Autorität: 114-121; 130; 139f.;402; 177; 196;
- Philosophische Anthropologie: 46; 204f. 479f.; 497f.; 525
- Christliche (Theologische) Anthropologie:
350f.;549;551 Barock: 194; 509
Anthropologische Ausrichtung: 92f.; 108f.; Begegnung: 166; 203; 265-269; 277; 366-369;
128; 130; 131; 193-195; 201-203; 210; 471; 459f.; 461; 466; 472; 473-477; 489; 529;
475-477; 487; 488f.; 492; 514; 519; 525; 531
526; 538; 548; 553f. Begriff: 96-99; 131; 155; 163f.; 186; 266f.;
Anthropomorphismen: 460f. 268; 389; 437; 467; 525; 539
Anthroposophie: 47 Beheimatung: 538; 548f.
Antike: 32; 177; 178f.; 180; 181; 398; 399f.; Benediktinerorden: 215; s. Benedikt v. Nursia
412; 527 im Personenverzeichnis
Antike Religion: 322f.; 399f.; 400f.; 408; 422; Bergpredigt: 373
458
Sachregister 611

Berlin Chrisüiche Kultur: 217; 228; 242; 251 f.; 450


- Guardini als Student: 72 s. Kultur - christlicher Beitrag
- Guardinis "Antrittsvorlesung": 142-164; 215; Christliche Verantwortung für die Welt: 429-
218; 219; 223; 241; 243; 259; 291; 337; 438; 452; 498f.; 502-504; 532; 534; 554
485; 487; 504; 526; 530 Christliches Bewußtsein: 479; 481
- Guardinis Lehrtätigkeit: 15; 29; 58f.; 80f.; Christologie: 23f.; 113f.; 473-477; 482-485;
123; 126; 133; 141; 142-171; 184; Kap. III, 533
bes. 133, 141, 142-171; 316; 455; 525; 526; s. Leben Jesu, Psychologie Jesu, sowie
535;553 Jesus Christus im Personenverzeichnis.
s. Katholische Weltanschauung, sowie Christozentrik: 60; 112; 130; 158; 223; 467;
Vorlesungen in Berlin im Werke-Verzeichnis 480; 482; 485; 494; 515; 533; 549
- Guardini als Seelsorger: 467f. - Jesus Christus als "Wesen" des Christentums:
Berliner Katholizismus: 147f.; 149; 526 243; 469
Berufsleben: 445-447 Christuserfahrung/-frömmigkeit: 54; 362;
Beuron: 53; 101; 215 369f.; 470; 472f.; 473-477; 482
Bewegung Gottes: 460f; 462; 485f. s. Inexistenz
s. Offenbarung Chthonische Religiosität: 208
Bewußtsein: 364; s. Christliches Bewußtsein Coincidentia oppositorum: 83
Bibel: s. Heilige Schrift Collegium Leibnizianum (Tübingen): 172
Biblische Theologie: 487; 489 Communio: 498; 548f.; s. Gemeinschaft
Bild: 211; 390; 515 Corpus Christi mysticum: 119; 125; 129f.;
Bildung: 30-33; 178-180; 193-200; 211; 31 lf.; 136; 137; 256; 259; 488; 495; 526
445
s. Humanistische Bildung, Personale Dasein: 203; 35lf.; 352f.; 357; 363; 366; 396;
Bildung, Politische Bildung 481;530f.
BildungsbUrgertum: 17; 27; 30-33; 35-48; Daseinsraum: 319; 320; 351; 357-359; 362;
204; 375; 524; 539f. 401; s. Oben, Innen, Außen
s. Humanistische Bildung Demokratie: 415
Biozentrische Metaphysik: 43; 146; 379; 383 Demut: 433f.
Blut: 293; 299; 317; 383f. Deutsche Kultur: 66f.; 127; 178-182; 190;
Bolschewismus: 393; 403 219;288f.;314f.;401;527
Bonn - Guardinis Lehrtätigkeit: 59; 133; OS- "Deutsche" Religion: 180; 219; 518
MI s. Nationalsozialismus
s. Vorlesungen in Bonn im Werke- Deutscherldealismus: 142; 315; 319f.
Verzeichnis Dialektik: 76f.; 82; 87f.; 91; 137; 163
Bonn - Guardinis Habilitationsstudium: 133; Dialektische Theologie: 222-224; 234; 245;
136f. 252; 253; 317; 341; 527
Buddhismus: 239f.; 243; 257; 447 Dialog: 165-167; 374; 467; 468; 497; 537;
s. Buddha im Personenverzeichnis 539; 540; 540-542; 547f.; 551-553
Bürgerliche Gesellschaft: 543f. Dialogisches Denken: 45; 345f.; 366-369
Dichtung: 143; 170; 188f.; 262; 269; 270f.;
Christentum (Begriff, Wesen): 18f.; 145f.; 272; 314f.; 317; 539; 542; 550f.
171; 274; 235f.; 243; 455; 469; 485; 536f.; Dinge: 109; 216; 329; 515
545f.; 547 Dionysisch:
- und Mittelalter: 181 s. Dionysos im Personen Verzeichnis
-Zukunftschancen: 17f.; 451 f.; 499-521 Dogma: 100; 117; 119; 343; 481
s. \bendländische Kultur, Dogmatik: 15; 102; 134; 141; 455
Glaube - Zukunft Doketismus: 466; 484
Christianisierung: 17 Du (Ich-Du-Verhältnis): 366-369; 531
Christliche Existenz: 173; 254-258; 280f.; s. Dialogisches Denken
288-291; 294-300; 305-307; 308f.; 312f.; Dualismus: 77; 82; 245; 250; 251; 358; 447;
335; 326; 369f.; 370-375; 421-424; 451- 543
453; 457-462; 472f.; 475-477; 478; 481;
488-493; 496; 504-512; 519-522; 529; Einsamkeit: 427; 552
533f.;536f.;541;548;551;552 "Einübung im Christentum": s. Mystagogie
612 Sachregister

Ekklesiologie: s. Kirche Fortschritt: 36; 394; 420; 444; 451; 549


Elektronische Datenverarbeitung: 551 Französische Revolution: 34
Ende der Welt: 426 Frau: 77; 93; 402f.; 444f.
Endlichkeit/radikale Endlichkeit: 283-286; s. Gleichberechtigung der Frau
289; 296f.; 321; 322: 325; 327f.; 333f.; 352; Freiburg
360; 362f.; 38f.; 406f.; 426; 478; 481; 501; - Guardini als Student: 73
509; 529; 530; 531; 534; 537; 540 - Guardinis Promotionsstudium: 102; 133;
Engel: 307f.; 321; 332 134f.;316;352
Entelechie: 43; 88 Freiheit: 114-117; 130; 206; 339f.; 342; 343f.;
Entmythologisierung: 222 347; 373f.; 425; 479f.; 501; 534
Epiphanie: 486; 515-517; 518 Fundamentalismus: 547f.; 550; 553
Epochenwende: 395f.; 413
s. Neuzeit - Ende der Neuzeit Ganzheit: 43; 87-90; 112; 121-128; 131; 152-
Erbsünde: 433; s. Sünde/Sündenfall 157; 160; 164; 202; 320; 343f.; 346; 357;
Erfahrung: 505-507; 522; 534 360; 371; 375f.; 379f.; 388; 393; 477f.; 517;
ErkenntnisAtheorie: 95-99; 267; 301; 389; 525f.; 544; 547
459; 507; 525 Ganzheitlichkeit: 547
Erlösung: 134-136; 137; 159; 167; 233f.; 249; Ganzheitsmächte/Totalität: 320; 331; 374;
250; 291; 262f.; 369; 433f.; 474; 467; 488f.; 376; 377; 416; 519
491; 526; 531; 541f.; 549; 553; 554 Geburt: 320; 460; 481
Eschatologie: 23; 222; 257f.; 259; 381; 423f.; Gefahr: 392-394; 413; 420; 424-426; 434;
478; 479; 493; 498; 516; 528; 550 478; 532; 554
Esoterik: 547 Gegenreformation:; 124; 161; 408
"Esprit de finesse": 267; 292 Gegensatzlehre: 15; 21; 22; 23; 68-70; 74-99;
Ethik: 23; 117; 173; 301; 338; 339; 348-350; 100; 106; 122-124; 130f.; 137f.; 139; 155;
371; 392; 425; 430; 437-439; 448-450; 452; 157; 162; 163; 167; 178; 181f.; 186; 202;
487; 489; 537; 553 209f.; 219; 232; 236; 239f.; 245; 246; 262f.;
- christl. Begründung: 437-441 266f.; 268; 291; 303; 305; 337; 343; 346;
Ethizismus: 106 437; 457; 477f.; 487; 504; 523; 525; 526;
Eucharistiefeier: 53f.; 11 lf.; 519 527; 535; 536; 539; 545
Europa: 17f.; 228; 450f.; 552; 553 Gegenwartskultur (in Guardinis Blickwinkel;
s. Abendländische Kultur vgl. der Überblick in Kap. I): Kap. II, bes.
Evangelium: 547 85f.; 114f.; 177f.; 180; 182; 183-192; 193-
Evangelische Räte: 214; 504 200; 212; 269-271; 278; 305; 307; 337f.;
Evangelisierung/Neuevangelisierung: 17; 451; 375-394; 395f.; 410^28; 458; 472; 477;
519,553 487; 500-512; 512f.; 514f.; 517; 519-522;
Ewig: 472; 484 526f.; 529; 531; 533f.; 536; 540; 550
Exegese: 462-467; 471 f.; 487; 507; 549 s. Neuzeit - Ende der Neuzeit
s. Historisch-kritische Exegese, Geheimnischarakter: 421; 510; 511
Psychologische Schriftauslegung, s. Mysterium
Theologische Schriftauslegung Gehorsam: 114f.; 116; 120f.; 177; 196; 432f.
Exerzitien: 446; 471 Geist: 31; 186; 204-206; 209f.; 255; 296f.;
Existenz: 92f.; 262-269; 291; 352; 365; 370; 298f.; 303; 347; 369; 452; 457; 527
371; 402; 445; 457f.; 467; 476f.; 481; 485; s. Heiliger Geist
488f.; 490; 529; 539 Geistliche Schriftauslegung: 466; 472
s. Christliche Existenz Gemeinschaft: 43; 61f.; 84; 94; 104; 107; 109;
Existenzebenen: 255; 294; 321; 325; 370; 117-121; 128f.; 130; 160; 182; 196-198;
457f.; 458f.; s. Stufen der Wirklichkeit 216; 302; 344; 379; 498; 514; 515; 525;
Existenzphilosophie: 45f.; 270; 346; 352; 411; 548f.
480 Gerechtigkeit: 443
Expressionismus: 25; 41; 46; 58 Germanien: 314; 321; s. Deutsche Kultur
Geschichte/Geschichüichkeit: 31; 32f.; 35f.;
Fakultäten, kath.-theol.: 35 208; 311; 313; 318f.; 319f.; 321; 324; 340;
Familie: 391 341f.; 347; 371f.; 398; 401; 407; 409; 425;
Finitismus: s. Endlichkeit 462f.; 550
Sachregister 613

- Theologie der Geschichte: 341f. Handeln: s. Verantwortung für die Welt, Ethik,
Geschichtswissenschaft: 35f; 154; 371; 462f. Praktische Ausrichtung
s. Historismus Heidentum: 110f.; 183; 216f.; 219; 255; 280f.;
Gestalt: 364f.; 366; 515; 531 285; 317; 322; 518
Gestalttheorie: 112 Heiland/Heilandsgötter: 325f.; 382f.; 384f.;
Gewalt: 376; s. Macht 386
Gewerkschaftsstreit: 50; 147 Heilig/das "Heilige": 241
Gewissen: 347; 371; 448; 479; 497; 533 Heilige: 504
Glaube (Begriff, Wesen): 18f.; 23; 139f.; 159; Heiliger Geist: 236; 255f.; 259f.; 321; 464;
243f.; 245f.; 421-424; 457-462; 462; 464; 554; s. Pneumatische Wirklichkeit
478; 485-487; 505; 507; 521; 526; 532f.; Heilige Schrift: 447; 462-467; 469; 472; 475;
545 483; 496; 549; 550
s. Christliche Existenz, Christentum s. Altes Testament, Neues Testament
- als Ausgangspunkt des Denkens: Heilsethos: 439
s. Katholische Weltanschauung, Theologie Heilsgeschichtlicher Ansatz: 231-234; 248f.;
- Gegenwärtige "Dringlichkeiten": 477-482; 259f.
499; 500; 533; 551 Hermeneutik (biblische): 462-467; 507
- Zukunft des Glaubens: 279; 421-424; 507- Hermeneutische Philosophie: 41f; 87; 143f.;
512; 512f.; 519-521; 533f.; 547 153f.; 157; 272-274
Glaubensbegründung: 60; 97f.; 140 Herrschaft: 389; 391; 412; 415; 417; 418f.;
GlaubensentscheidungTSprung": 291; 458f.; 432f.; 436; 443f.; 479f.
462; 487; 494; 496; 500f.; 505; 506f. s. Macht
s. Anfang, Paradox, Qualitativer Sprung Herz: 70f.; 285f.; 290; 291-293; 300; 301;
Glaubenserfahrung: 499; 505; 508 305;308f.;310;329f.;529
Glaubenserkenntnis: 464f.; 505 Herz-Jesu-Verehrung: 216
Glaubensgestalt: 289f.; 379; 452; 499; 504- Heteronomie-Vorwurf: 302; 348f.; 356; 369f.;
512; 519; 529; 534; 542; 546f. 372f.;434;531;538
Glaubenswissenschaft: 138; 456; 462; 463f. s. Autonomie
s. Theologie (grundsätzlich) Hierarchie(n): 118; 136; 137
Glaubenszweifel: 508 Historisch-kritische Exegese: 49; 463f.; 483;
Gleichberechtigung der Frau: 444f. 549
Gleichzeitigkeit: 473; 484; 494f. Historismus: 35-40; 41; 131; 463; 465
Gnade: 304; 370; 373f. "Hochland" (Zeitschrift): 50
s. Natur und Gnade. Höhe: s. Oben
Gnadenlehre: 24 Hoffnung: 256f.; 459; 461
Gnosis: 77; 483 "Human" und "Nicht-Human": 411; 416; 418;
Götter: 313-319; 322-326; 382; 399; 458; 530 420; 426; 53lf.
Gotik: 180f. Humanistische Bildung (Neuhumanismus):
Gott/Gotteslehre: 24; 332; 335; 493 16f.; 30-33; 178f.; 182; 188; 194; 204; 207;
s. Bewegung Gottes 212; 524; 527; 539f.; 541; 543; 551
Gottebenbildlichkeit: 432; 491; 532 Humanität: 32; 188; 207
Gottesbeziehung: 71; 115; 238f.; 279f.; 292f; Humanwissenschaften: 539
294-297; 300; 301-307; 309; 313; 347; 363;
368f.; 370; 438; 459f.; 488; 491; 496; 525; Idealismus: 35; 295; 298; 328; 501; 539
526; 529; 531; 533; 541 Ideenlehre (platonische): 295; 312; 371; 409
Gotteserkenntnis: 233; 237f.; 247; 490 Immanenz: 232; 240; 243f.; 346
Gradatio entium: 136; 254f. Impressionismus: 41
"Gral" (Freundeskreis): 51 Individualismus: 43; 119; 139; 331; 337; 339;
"Gratia supponit naturam ...": 30; 60; 215; 343; 379; 380; 427; 479; 514; 543
220; 224; 229f.; 247; 250; 528 Individuum: 364f.; 366; 531; 552
Grenze: 359; 360-362; 531 Industrialisierung: 32; 36; 183; 185; 195f.;
"Großdeutsche Jugend": 54 391;512;527;542f.
Gut (das Gute, das höchste Gut): 292f.; 349f.; Inexistenz (Christus "im" Glaubenden): 305f.;
440; 449 358; 369f.; 488; 489
s. Christliche Existenz
614 Sachregister

Influentia sensus et motus: 136 162; 174, 191; 215; 218; 219; 223; 229;
Inkarnation: 236; 243; 248; 311; 404f.; 537 258f.; 261; 275-277; 295; 337; 429-431;
Inkommensurabilität: 290f; 439 439f.; 455; 457; 479; 485; 487; 526; 530;
s. Ärgernis, Paradox 533; 535; 537; 538-540; 543f.; 545; 546;
Inkulturation: 17; 553 549-551
Innen (Daseinspol): 84; 88; 90; 131; 210; SOS- s. Berlin - Guardinis Lehrtätigkeit
SO?; 313; 320; 322; 331; 332; 346; 357-359; Katholischer Aufbruch (20. Jh.):
362; 365; 401; 531 s. Katholische Jugendbewegung, Liturgische
Innerlichkeit: 131; 203; 303; 305-307; 313; Bewegung, Akademikerbewegung, Theologie
320; 322; 329; 331; 346; 357-359; 364f.; (Geschichte)
369; 375; 401; 446; 449; 476; 507; 529; Katholizismus (Begriff): 19; 34
531; s. Innen, Immanenz, Herz Katholizismus (Wesen): 124; 126-128; 161
Integralismus: 50; 51; 73; 140; 225; 250f; Katholizismus (Geschichte und
528; 539; 547 Erscheinungsbild): 15; 33-35; 46-48; 48-63;
Intellektualismus: 442 65; 124; 222; 225; 508; 524; 543f.; 547
Interpretation: 275 s. Italienischer Katholizismus
- der Kirche: 15 Katholizität: 19; 121-128; 130f.; 140; 141;
- der Kultur: 537; 538-540; 549-551 159f.; 161; 162f.; 215; 219; 498; 525f.; 538
- von Texten und Gestalten: 15; 164f.; 166f.; Kerygmatik: 23
169-171; 172f.; 260; Kap. V (261-335), bes. Kind (Sohn, Tochter) Gottes: 341; 347; 370;
261-277; 337; 371; 381; 387; 452; 458; 434
466f.; 470; 487f.; 529f.; 536f.; 550 Kirche: 19; 23; 70-72; 100-102; 108; 114-130;
Intuition: 42; 96-99; 131; 153; 155; 163f.; 133; 140f.; 146; 160; 180; 183; 215f.; 218;
186; 266f; 268; 337; 371; 437; 467; 525; 234; 256; 262; 288f.; 321; 337; 343; 457;
535 478; 480; 494-499; 512; 514; 519; 524; 525;
Irrationalismus: 32; 37; 40; 131; 179; 209; 526; 533; 535; 536; 538; 548f.
266; 337; 388; 524 Kirchenbindung: 70-73; 140f.; 160; 218; 343;
Islam: 18 465f.; 525; 526
Italienische Kultur: 66; 184 Kirchenerfahrung: 54; 56; 58; 72; 101; 119f.;
- Guardinis Reise: 183-186 478; 524
Italienischer Katholizismus: 66 - "Erwachen der Kirche in den Seelen": 47; 58;
72; 119f.; 160f.; 218; 337; 478; 480f.; 497;
Jahrbuch für Liturgiewissenschaft: 54; 103 548
Jansenismus: 299 Kirchenrecht: 101f.; 119; 252; 343
Jenseits: 310; 320; 333; 361 Kirchenväter: 456
Jesuiten: 299 Klassik: 32; 137; 179; 182; 184; 188; 344;
Judentum: 18; 281; 474; 501 408; 527
Jugendbewegung (deutsche): 15; 25; 39f.; 116; Klassizismus: 194
119; 121; 177f.; 182; 183; 188f.; 191; 196; Kommunismus: 146f.; 334; 393; 500; 518
200; 207; 322; 343f.; 375; 396; 445; 524 Konfessionen (chrisüiche): 19
s. Katholische Jugendbewegung. s. Protestantismus, Katholizismus
Jugendkultur: 39 Konkret/das Konkrete: 84f.; 85-87; 95-99;
"Juventus": 55; 468 152f.; 157; 182; 202; 236; 267; 371
Kontemplation/kontemplativ: 101f.; 154f.;
Katholikentag München (1922): 56 427; 429; 445-447; 448; 449
Katholische Bewegung (19. Jh.): 34 Konvertiten: 48
Katholische Jugendbewegung: 15; 54-56; 65; Korrelation: 439; 549; 550
133; 148; 183f.; 188f.; 191; 196; 200; 224; Kreuz: 125; 219; 220; 221; 224; 233f.; 248;
524 254;528
Katholische Religionsphilosophie:: 22; 165 Kreuzwegandacht: 104
- bei Guardini: 15; 133; 142; 165; 168f.; 171; Krieg (allgemein): 392; 393f.
455 - 1. Weltkrieg: 39; 180
Katholische Weltanschauung: 17; 19; 21; 22; - 2. Weltkrieg: 500
23; 27; 123f.; 133; 141; Kap. 111,2 (142- Kritische Theorie: 389-391
164), bes. 142, 147-150, 151f., 156f., 158-
Sachregister 615

Kultakt: 512; s. Liturgie Laien (in der Kirche): 356; 497; 503f.; 548
Kultur (Begriff): 30-33; 203-206; 210-213; Landschaft: 310f.; 318; 319
235; Lateranense IV: 234; 247
s. Abendländische Kultur, Leben: 15; 42f.; 65; 100; 106; 130f.; 139;
Deutsche Kultur, Gegenwartskultur, 143f.; 152f.; 173; 245f.; 337; 346; 384; 457;
Italienische Kultur, Russische Kultur 477; 481; 521; 526; s. Organisch
Kultur (allgemein): 15-18; 19; 23; 26f.; 55f.; Leben Jesu: 463; 470
63; 65; 75; 93f.; 105f.; 106-109; 110f.; 113; Lebendig-Konkretes: 84f.; 87-90; 92f.; 95-99;
115; 131f.; 174; 175-259 (Kap. IV); 269- 157; 525; 526; 527; 536; 537
271; 277; 288; 297-299; 319f.; 337; 338; s. Leben, Gegensatzlehre, Konkret
353-356; 364f.; 370; 387; 390f.; 407; 418- Lebensphilosophie: 21; 25; 42f.; 87-90; 131;
420; 422f.; 424-426; 429f.; 43lf.; 446; 448; 143f.; 153; 236; 246; 266; 298f.; 337; 524;
450; 451; 455; 456; 485; 499; 512; 521; 525;539
525; 527f.; 530; 531 f.; 534; 535; 536-542; Lebenswert/-bezug (des Dogmas, des
548-554 Glaubens, der Theologie): 26; 60; 73; 117;
- religiöses Fundament: 422f. 135f.; 137; 262; 490
s. Religion - Verhältnis zur Kultur Leere: 285f.; 509; s. Nichts
- christlicher Beitrag für die Kultur:: 158-167; Legitimität der Neuzeit: 338-342; 406
191f.; 213; 217f.; 227f.; 236; 251f.; 258f.; s. Neuzeit
370; 378; 405; 434f.; 435-438; 450f.; 451 f.; Leib/Leiblichkeit: 108f.; 216f.; 310; 313; 383
453; 485; 527; 528; 536f.; 549-551 Leib Christi:
- Kultur im Dienst des Glaubens: 105-109; s. Corpus Christi mysticum
122f.; 126-128; 137f.; 214-217; 221; 234; Leib und Seele: 77; 83; 107; 108; 109; 302;
236f.; 252f.; 258; 525; 527; 528; 536; 538; 310; 332; 515
548f. Liberaler Katholizismus: 34; 48f.; 52; 62; 72
s. Abendländische Kultur, Technik; Macht Liberalismus: 72; 221; 480; 528; 539; 547;
- christliche Kritik: 109-114; 156f.; 218; 219- 550
221; 222-229; 231; 242; 252f.; 258; 288; Liebe: 304; 309; 320; 330f.; 332; 347; 356;
370; 405; 430; 527 370; 459;461
s. Unterscheidung des Christlichen Literaturstreit: 50
- Dialog zwischen Glaube und Kultur: Literaturwissenschaft: 550f.
s. Dialog Liturgie: 19; 24; 100-114; 117; 119; 123; 129;
- "Kulturelle" Weltanschauung: 271; 277; 130; 133; 171; 177; 178; 181; 183; 210;
529f. 214; 215-217; 219; 234; 252; 262; 337; 343;
Kulturbereiche: 94; 211; 344f.; 406 401; 442; 456; 457; 467f.; 470f.; 478; 512-
Kulturepochen: 212; 398; 408f.; 412-414; 442 521; 522; 524; 525; 527; 534; 535; 536;
s. Antike, Mittelalter, Neuzeit, Nach-Neuzeit 538; 548; 552
Kulturkampf: 34f.; 221; 222; 225 Liturgiefähigkeit: 102f.; 105; 499; 512-521;
Kulturkatholizismus: 57f.; 225; 229; 231; 234 522; 534; 552
Kulturkreise, - zyklen: 33 Liturgiereform: 517-519
Kulturkrise: 29; 35-37; 51f.; 65; 131, 175f.; Liturgiewissenschaft: 53f.; 103; 107
218; 222; 275 Liturgische Bewegung: 15; 53f.; 65; 101f.;
Kulturkritik: 23; 31 f.; 37f.; 183; 419; 440f.; 442; 470; 471; 512; 514; 518; 520; 524; 548
524; 535; 551 Liturgischer Kongreß (1964 in Mainz): 512
Kulturphilosophie: 93f.; 108; 168; 258 Logos und Ethos: 106; 107; 108
Kulturprotestantismus: 33f.; 222-225 Lumen Mentis: 136; 159; 526
Kulturreform: 37f.
Kulturwelt: 210-213; 241; 527; 529 Macht: 372; 376; 380; 387-394; 414; 418-
Kunst: 32; 106; 176; 179; 195f.; 211; 252; 420; 424-426; 43 M35; 437; 443f.; 448;
272-275; 364; 516; 542 451; 452; 479f.; 510f.; 531 f.; 534; 540; 552
s. Dichtung - chrisüiche Wurzeln: 431-438; 532
Kunsterziehungsbewegung: 37 - der Kirche: 497f.
Kurzschluß (religiöser): 163f.; 304; 348; 354; Mächtigkeit (der Welt): 360f.
434; 529; 530 Magie: 447
616 Sachregister

Mainz Mythos: 208f.; 315f.; 322; 357f.; 365; 383f.;


- Guardinis Jugend: 66f. 385f.; 400f; 411; 422; 433; 458; 496; 502;
- Guardini im Priesterseminar: 69 503
Maria Laach: 53f.; 102; 104
Maschine: 177; 184; 186f.; 389; 391; 418f.; Nach-Neuzeit: 283; 286-291; 321; 324; 338;
508;511f. 375; 376; 383; 394; 397; 398; 410-428; 434;
Masse: 36; 186f.; 189; 377; 379; 414-416; 443; 51 lf.; 522; 53lf.; 533f.; 536; 538;
427; 443; 449; 511; 527; 552 54 lf.
Materialismus: 36; 204 s. Neuzeit - Eiuie der Neuzeit
Mathesis universalis: 389f. Nationalismus: 37f.; 450
Mechelner Ereignis (1909): 53 Nationalsozialismus: 21; 40; 43f.; 47; 62f.;
Medien: 380; 426; 551 146f.; 198; 207; 228f.; 231; 270; 281; 314;
Meißner Treffen (1913): 39; 114; 116; 183; 331; 337; 374; 377f.; 38lf.; 382-387; 387f.;
343 393; 395; 414; 423; 435; 500; 518; 531;
Mensch/Menschenbild: 389; 427f. 536; 540
s. Anthropologie - und Christentum: 382f.; 384-386
Menschenwürde: 534; 553; s. Würde "Natürliche" Offenbarung: 158; 238; 241;
Menschheit: 207; 219; 498; 551; 553 485f.; 528
Metaphysik: 84; 142-144; 153; 155f.; 390; "Natürliche" Theologie: 223
413; 510; s. Biozentrische Metaphysik Natürlichkeit: 31f:, 189; 206; 207; 254; 297
Milieu: 543; 546; 553 Natur: 30f.; 31f.; 105f.; 107; 184-186; 189;
Mission: 519; s. Evangelisierung 190; 203; 206-210; 214; 215-217; 235; 254;
Mittelalter: 47; 163f.; 176-182; 212; 217f.; 279-281; 297; 319f.; 324f.; 353-356; 364f.;
225; 242; 251f.; 281; 289; 303; 304f.; 307; 389; 379; 383f.; 391; 407; 409f.; 41 lf.; 414;
312f.; 321; 337; 375; 378; 396; 398^105; 416; 417; 418f.; 424-426; 442; 458; 527;
410; 412; 421; 443; 447; 481; 502; 506; 530;531f.
508; 509; 524; 526; 527; 529; 530; 540 - Ausbeutung der Natur: 436f.
Mittlerschaft: 494f. Natur und Gnade: 22; 30; 60; 215; 220f; 224;
Moderne: 542; 544; s. Neuzeit, Postmoderne 229-235; 246-250; 253f.; 259f.; 296; 299f.;
Modernisierungsprozeß: 542f. 347f.; 528; 550
Modernismus: 48-51; 5lf.; 62; 72f.; 136; 225; Naturalismus: 204
524; 528; 547 Naturwissenschaft: 31; 36; 178; 204; 542; 551
Mönchtum:53;214f. "Neudeutschland": 56
Molinismus: 231; 299 Neues Testament: 168; 169; 241; 483; 489
Monismus: 82 s. Synoptiker, sowie Paulus, Johannes, Jesus
Mooshausen: 171; 386; 392; 403 Christus im Personenverzeichnis
Mt 10,39: 71; 72; 114; 115; 343; 485; 496; Neuhumanismus:
525 s. Humanistische Bildung.
München Neukantianismus: 40; 85f.; 142f.; 150f.
- Guardini als Student: 66f.; 69 Neuplatonisch: 136
- Guardinis Lehrtätigkeit: 172f.; 396 Neuschöpfung: 135; 136; 241; 362; 369f.;
s. Vorlesungen in München im Werke- 373; 489
Verzeichnis Neuscholastik: 50; 134; 138; 230f.; 232; 358;
Mündigkeit: 327; 341; 356; 370; 394; 407; 486; 488; 526; 527; 543
434; 443; 489; 508; 530; s. Autonomie Neuzeit: 15; 23; 30-33; 65; 114; 116; 164;
Mystagogie: 470-473; 482f.; 487; 521; 533; 204; 217; 222; 278; 282-286; 287; 293; 301;
540; 541; 548; 549 302-307; 312f.; 322; 325; 327; 330f.; 337;
Mysterienkulte: 111; 470 337-375; 380; 387; 391f.; 396; 398; 401f.;
Mysterientheologie: 54; 111-114 404f.; 405-410; 412; 414; 417f.; 419f.;
Mysterium: 111-114; 129; 234; 256; 470-472; 421f.; 423; 427; 429f; 457; 477; 480; 491;
515; 548 502; 506f.; 508; 511; 524; 527; 529f.; 536;
- der Kirche: 497 539; 540; 542f.; 544; 547
Mystik: 46f.; 67; 135; 155; 182; 471; 516; - christliche Wurzeln: s. Säkularisierungsthese
541; 549 - Ende der Neuzeit: 23; 26; 182; 218; 221;
283; 286-291; 325; 327f.; 337f.; 342; 360-
Sachregister 617

362; 362f.; 375; 387; 395-453; 490; 508; 527; 529; 530; 531f.; 533f.; 537; 539; 540f.;
522; 524; 530; 536; 541; 545 552; 554
New Age: 547 Personale Bildung: 193-200; 213; 377; 379;
Nichts/Nihilismus: 284f.; 289f.; 296; 359; 412; 429; 443; 452; 527; 540
360f.; 362f; 392f.; 395; 397; 481; 509- 512; Personalismus: 22f.; 45; 91; 345; 367; 369;
531; 534 531; 539
Nordische Religiosität: 180; 239; 240; 243; Pessimismus: 453; 545; 553
422; s. Deutsche Kultur Pfingstereignis: 236; 256; 476; 495f.; 508; 516
Numinos/das "Numinose": 241; 322f.; 333 Phänomenologie: 44f.; 85-87; 139; 150; 202;
236; 263; 264f.; 373; 438; 524; 525
Oben (Daseinspol): 305f.; 313; 322; 331; 332; - des Glaubens: 504; s. Glaubensgestalt
346; 357-359; 362; 401; 408; 531 Philosophia perennis: 482f.
Objektiv: 85-87; 103-106; 109; 123; 177f.; Philosophia bzw. Theologia cordis: s. Herz
179f.; 182; 210f.; 478; 479; 514; 515f.; 525; Philosophie (Geschichte): 35f.; 40-46; 47; 48;
527 67; 69; 76f.; 85f.; 87f.; 90f.; 97f.
Ökologische Krise: 435f.; 547; 552 Philosophie (grundsätzlich): 15 lf.; 154; 244f.;
Ökumene: 496; 501; 552f. 302; 374; 399-401; 440; 461; 540
s. Protestantismus (grundsätzlich) "Philosophia ancilla theologiae": 110; 214;
Offen/das Offene: 321; 331f; 458; 481 250f.
Offenheit (der Welt für Gott): 362 Platonisch: 76; 97; 163; s. Neuplatonisch
Offenbarang: 18; 23; 74f.; 100f.; 131; 139; Pluralismus/Pluralität: 137; 439f.; 479; 525;
157; 158; 160f.; 162f.; 166; 169; 172; 219; 526; 538; 543; 544; 545; 547; 548; 552f.
235; 238; 241 f.; 243; 295f.; 317; 318; 323; Pneumatische Wirklichkeit: 236; 255-258;
324f.; 334; 339f.; 343; 352; 359; 369; 374; 259; 321; 325; 347; 369f.; 464; 467; 476f.;
380; 400f; 410; 422; 423; 432; 439f.; 457f.; 480; 488; 495f.; 528; s. Heiliger Geist
462; 464f.; 471; 476; 478; 479; 485-487; Polarität: 76-78; 23 lf; 525
488; 490; 494; 495; 511; 516f.; 522; 526; s. Gegensatzlehre, Daseinsraum
528f; 533; 536; 541; 552; 554 Politik: 198-200; 211; 255f.; 228f; 403; 406;
s. "Natürliche" Offenbarung 426; 542; 551
- Offenbarung und Verhüllung: 476; 495 Politische Bildung: 199
Ontologischer Ansatz: 248 Politische Theologie: 435; 471; 502
Ordo-Gedanke/Ordnung: 181; 197; 294; 312f.; Positivismus: 36; 40
399; 523 Postmoderne: 26; 542-546; 547; 552
Organisch: 135; 137; 153; 164 - "Postmodeme" Theologie: 545f.
Ortlosigkeit: 297; 407; 408; 452; 552 Potentia oboedientialis: 230; 233; 248
Praktisches Interesse: 410f; 438; 532; 537
Pädagogik: 15; 23; 211; 252; 297; 338; 411; Predigt: 456; 467-473
430; 445; 452; Priesterlicher Dienst: 467f.; 496f.
s. Reformpädagogik, Bildung Proletarisierang: 193
Pantheismus: 328; 501 Protestantismus (Geschichte): 33f.; 221-224;
Paradox: 244f.; s. Ärgernis 225
Participatio actuosa: 54; 105 Protestantismus (grundsätzlich): 19; 124; 160;
Parusie: 257 227; 250; 299; 358; 495
Passion Jesu: 476 Psychologie: 40f.; 464; 508f.
Persönlichkeit: 32; 104; 107; 116f.; 117-121; s. Verstehende Psychologie.
128f.; 130; 196f.; 256; 353-356; 364f; 366; Psychologie Jesu: 463; 470
407; 408; 414-416; 419; 443; 525; 527; 531; Psychologische Bibelauslegung: 464
532 Psychologismus: 40f.; 68; 131
Person: 45; 91 f.; 92f.; 94f.; 193-200; 204f.;
207; 210; 213; 262f.; 287f.; 295f.; 307; 325; Qualitativer Sprung: 91; 325; 458f.
330f.; 344; 345-347; 351; 356; 357; 363- s. Existenzebenen, Stufen der Wirklichkeit
370; 371; 376; 377; 379f.; 412; 414-416; "Quickborn": 55f.; 121; 183; 200; 217; 344;
422; 423f.; 442; 443; 451; 452; 458; 478; 377; 378; 469
479; 486f; 488; 494; 501; 511; 522; 525;
Räumlichkeit: 371; s. Daseinsraum
618 Sachregister

Rasse: 383; 518 Russische Kultur: 279


Rationalismus: 96f.; 266; 298; 337; 388; 539 - russische Revolution: 216; 286f.
Rationalität: 163f.; 388; 413; 437
s. Begriff Sachlichkeit: 391
Realisierung ("realizing"): 458; 478; 505f.; Säkularisation: 33; 225; 340; 457; 546
507-509; 511; 534 s. Weltlichkeit
Realismus: 35-37; 524; 539f. Säkularisierung: 320f.; 326; 328-335; 340;
Reflexion: 506f.; 508; 509; 510; 534 342; 413; 423; 429; 434; 435; 457; 500f.;
Reformation: 34; 342; 405; 408 530; 534; 546
Reformkatholizismus: 49-51; 5lf. Säkularisierungsthese: 191 f.; 340-342; 404f.;
Reformpädagogik: 37; 39; 178 434f.; 450f.; 532
Regierangskunst: 425; 443f. Säkularismus: 340-342; 436
Reich Gottes: 120; 128f.;155; 167; 256f.; 259; Sakramente/Sakramententheologie: 24; 471;
321; 370; 461; 474; 488 516;519
Relativismus: 45; 82; 98; 116; 131; 144f.; Satisfaktionstheorie: 135; 149
146; 164; 458 Schichtenmodell: 363-365; 366
Religiöse Existenz: 278f.; 319-326; 458 s. Stufen der Wirklichkeit, Existenzebenen
s. Christliche Existenz Schicksal: 208; 320; 366; 373; 374; 421
Religion/religiöse Erfahrung: 18; 23; 38; 47; "Schildgenossen" (Zeitschrift): 21; 56; 183;
110f.; 143; 168f.; 170; 172; 223; 237-242; 200; 225
247; 255; 313-327; 334; 341; 353; 359; 361; Schönheit: 109f.
380; 382-386; 392; 399; 402; 421 f.; 427; Schöpfung/Schöpfungslehre: 24; 250; 302;
458; 478; 485f.; 518; 524; 528f.; 530; 540; 354-356; 357; 359; 361; 362; 369; 432; 486;
541f.;546f.;549;553 501; 502; 549
s. Natürliche Offenbarung, Chthonische Schöpfungsauftrag: 432; 436f.
Religiosität, "Deutsche" Religion, Schulreformbewegung: 37
Nordische Religion, Buddhismus, Schwermut: 68; 264; 289f.
Antike Religion Seele: 42f.; 70f.; 72; s. Leib und Seele
- Unterscheidung vom christl. Glauben: 223; - Verlieren der Seele: 70-72; 114f.; 117f.; 343;
238; 241 f.; 317f.; 321; 322-326; 32Vf.; 334; 496; 505; 525; s. Mt 10,39
341; 408; 421; 528f.; 530 - Erwachen der Kirche in den Seelen:
- Verhältnis zur Kultur: 238-242; 243; 422f. s. Kirche - Erwachen der Kirche
- Schwinden der religiösen Erfahrung: 392; Seinsdenken: 46
421-423; 510f.; 519; 522; 534 Selbst: 481
- innerhalb des Christentums: 421; 422 - Annahme seiner selbst: 492; s. Annahme
Religionen: 18;496;552f. - Selbsthingabe: s. Seele - Verlieren der Seele
Religionsfreiheit: 553 - Selbstbewahrung: 118; 120f.; 130
Religionsgeschichüiche Schule: 222 Selbstbewußtsein: 364
Religionskritik: 36 Sensualismus: 442
Religionspädagogik: 23 Sexualität: 432
Religionsphänomenologie: 47; 237; 385 Sinn: 106; 364; 427
Religionsphilosophie: 46; 47; 59; 165; 237f.; Sinne: 442
382-386; 455; 462 Situation: 350; 371 f.; 496
s. Katholische Religionsphilosophie. Sohnschaft: s. Kind Gottes, Mündigkeit
Renaissance: 31; 114; 176f.; 178; 181 f.; 194; Solesmes: 53
283; 353; 405; 408; 481 Solidarität: 415; 418; 444; 499
Restauration (19. Jh.): 53 Sonntag: 437; 446
Rockmusik: 551 Soziale Beziehungen: 196-198; 379; 542; 551
Romanik: 181 s. Gemeinschaft
Romantik: 32; 33; 75-78; 82f.; 87; 91; 194; Sozialismus: 288f.; 334
207-210; 217; 264; 280; 285; 287; 353; 401; Soziologie/Sozialwissenschaft: 94; 145; 539;
408; 449; 509; 525 542-544; 546; 551
- im 20. Jh.: 39; 43; 207-210; 509 Spiel: 106; 107; 108; 215
Rothenfels (Burg): 55f.; 121; 171; 469 Sprache:; 272; 367f.; 386f.
Rundfunk: 377; 426 - Sprachstü Guardinis: 24; 468
Sachregister 619

Staat: 34; 95; 198; 199; 281; 347; 376; 377f; Theologische Schriftauslegung: 466; 472; 507
379f.; 381; 383; 387f; 391; 401; 423; 424; s. Exegese
450;452 Theonomie: 339; 347f.; 349f; 356; 370; 373;
Stil: 106; 113; 215; 516 549f.
Strukturen: 41f.; 123; 302; 363; 425; 465f.; s. Allonomie
504f; 525; s. Typen Thomasisch/thomistisch: s. Thomas v. Aquin
Strukturpsychologie im Personenverzeichnis
s. Verstehende Psychologie, Gegensatzlehre Tiefenpsychologie: 327; 384; 385; 411
Studentenbewegung (1968): 24 s. Unbewußtes
Stufen der Wirklichkeit: 246f; 249; 253f.; Tod / Leben nach dem Tod: 264f.; 310; 320;
254f.; 267; 294; 325 330f.;481
Sturm und Drang (Epoche): 32 Totalismus: 377; 383; 387f.; 393f.; 424; 449f;
Subjekt/Subjektivität: 307; 353-356; 364f.; 519; s. Ganzheitsmächte/Totalität
369; 388; 390; 407; 408; 413; 414-416; 510; Tradition: 542
530; 531f. Transzendentale Begründung: 355; 363
Subjektivismus: 176f.; 178; 179; 182; 337; Transzendenz: 232; 240; 243f; 346
348f;479; 527 Trinitätslehre: 117f.; 119; 128f.; 488
Sünde/Sündenfall: 125f.; 220; 233f.; 248f.; Triumphalismus: 57f; 60-63
260; 296; 330; 359; 360; 385f.; 432f.; 481; Tübingen
486; 488; 491; 532; 554 - Guardini als Student: 66; 69f; 73; 101; 161;
- "zweiter Sündenfall": 474 176
Symbol: 106; 107; 108f.; 113; 182; 215; 281; - Guardinis Lehrtätigkeit: 147; 171f.; 387;
364; 402; 516 396; 489
Synkretismus: 124f.; 500; 538 s. Vorlesungen in Tübingen im
Synoptiker: 484 Werkeverzeichnis, Collegium Leibnizianum
System: 78; 99; 134-138; 449 Tübinger Schule (kath.): 53; 76; 140f.
Tugenden: 448-450
Technik: 36; 177; 182; 183-192; 195f; 211; Typen: 41 f.; 57; 80; 123f.; 127; 160; 218;
213; 329; 337; 354; 364; 379; 389f.; 391; 219:465f.;504f.;526;538
409; 412; 413; 416; 418f.; 424; 435; 444; Typologie: s. Verstehende Psychologie,
446; 448; 450; 479; 500; 511; 512; 527; Gegensatzlehre, Weltanschauungs-
531; 532; 540; 542; 552 philosophie
- christliche Wurzeln: 191f.
Teufel; 286; 431 Ultramontanismus: 34; 62; 67; 222; 547
Theodizeefrage: 404f. Umwelt: 202; 204; 205; 373
Theologie (Geschichte): 33f.; 35; 47; 48-51; s. Welt
53f.; 57; 59f.; Ulf.; 276 Unbewußtes: 208f.; 327; 384; 385
Theologie (grundsätzlich): 18; 60; 134-141; Unendlichkeit: 283f.; 361; 406f.; 501; 531
151; 158; 165; 214; 237; 252; 440; 456; s. Endlichkeit
457; 462-466; 471 f.; 482; 487; 512; 526; Universität: 171 f.; 445
535;549 Unterscheidung des Christlichen: 19; 111; 222-
s. Politische Theologie, "Postmoderne" 229; 231; 244-246; 252f.; 288; 317; 324;
Theologie, Vermittlungstheologie, 332; 374; 381 f.; 386; 455; 457; 500f.; 515;
Geschichte - Theologie der Geschichte, 518; 528; 538; 547; 550
Dialektische Theologie u. a. Unterscheidungsfähigkeit: 427
- Gestalt der Theologie/Systembildung: 134- Unvollständigkeit des Menschen: 427f.
138; 456; 477-499; 522; 526; 533; 535f.
s. Geschichte - Theologie der Geschichte, Vaticanum I: 23; 35
Politische Theologie, "Postmoderne" Vaticanum II: 16; 17; 23; 201f.; 496f.; 498;
Theologie 502; 512; 518; 520; 534; 547; 550; 551;
- Theologie der Welt: 502; 534 552; 553
- Theologie "nach dem Tode Gottes": 342 Verantwortung ftlr die Welt: 341; 354f; 356;
- Guardini, ein Theologe?: 19; 21-24; 26f.; 366; 375; 394; 426; 428^153; 438; 443; 444;
134; 165;455f. 451; 452; 498f.; 502-504; 530; 531 f.; 534;
554
Sachregister

Verkündigungstheologie: 59 Weltanschauung des Nationalsozialismus:


Verklärung: 112; 475; 484 62f.; 146f.
Vermittlungstheologie: 33 Weltanschauungslehrstühle: 58f.
Verstehen: 41 Weltanschauungsphilosophie: 41f.; 69; 142-
Verstehende Psychologie: 41; 68-70; 143-145; 146; 150-157; 271-275; 526
154; 473; 504; 525 Weltbild: 142; 283f.; 312f.; 318f.; 322; 390;
Visionärer Charakter (einer Dichtung): 308; 397; 399f.; 403; 406f.; 502
311; 319; 327 Weltethos: 439
Völkische Bewegungen: 37 Welüichkeit: 309f.; 313; 322; 341; 354f.; 503;
Volk: 39; 119; 198; 207; 216; 219; 280f.; 285; 529f.; s. Säkularisation
320;377f.;379;383f.;518 Wertphilosophie: 25
Volk Gottes: 281 Widerspruch: 76; 83
Volksfrömmigkeit: 103f.; 107; 181; 514 Widerstand (gegen den Nationalsozialismus):
Volkshochschule: 386; 439f; 445 38lf.; s. Nationalsozialismus
Vorsehung: 208; 302; 371-373; 421; 511 Wiederkehr: 320; 321
Wille: 459f.
Wagnis: 458 Wirtschaftsleben: 380; 406; 542
Wahrhaftigkeit: 449 Wissenschaften: 80; 156; 162f.; 171; 211;
Wahrheitsfrage: 109f; 142-147; 152; 156f; 354; 391; 406; 451
161f.; 271-275; 386; 400; 402; 440; 445; Wissenschaftlichkeit: 139; 150; 151-153; 163;
458; 468; 497; 507; 529 389f.; 401; 456; 462; 539
Weimarer Republik: 29; 43 Wissenschaftslehre: 80
Welt: 15; 17; 141; 152f.; 154f.; 173; 201-203 Würde: 346; 534; s. Transzendenz, Oben
211-213; 240-242; 257; 261; 277; 313; WUrzburg - Wirkungsstätte H. Schells: 72f.
318f; 323; 332; 333; 337; 341; 351f.; 354;
357; 359-363; 366; 374; 390; 398-401; 413 Zeichen der Zeit: 547
426; 455; 479; 487; 488; 489; 497; 499; Zentrum: 228
502-504; 521; 529f; 530f.; 534; 538f; 549 Zentrumsstreit: 50; 147; 251
s. Daseinsraum, Verantwortung für die Zirkelbewegung: 460; 472; 492
Welt, Christliche Verantwortungftlrdie Zivilisation: 32; 44; 183; 190; 195; 212; 218;
Welt, Ende der Weh 285;412f.;537
Weltanschauung (Begriff): 99; 142f.; 151; Zukunft des Menschen: 552f.; s. Nach-Neuzeit
291; 429; 543 Zweifel: 507; 508; 509
s. Katholische Weltanschauung,
"Kulturelle" Weltanschauung / Bayerische j
I Staatsbibliothek I
l München

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