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Grundlagen Der Inklusionspädagogik
Grundlagen Der Inklusionspädagogik
IOE
1
Vorlesung
Grundlagen der
Inklusionspädagogik/
Sonderpädagogisches
Orientierungswissen
3. Sitzung
Montags 10:15 bis 11:45 Uhr (wöchentlich)
Veranstaltungsort/Raum: online via Zoom
Inhalte
Ø Inklusion: Begriffliche Ein- und Abgrenzung
v eng versus weit gefasstes Inklusionsverständnis
v Inklusionskonzepte
v Inklusion als Antwort auf Diversität
v Definitionen für Behinderung, sonderpädagogischer Förderbedarf, Heterogenität und
Intersektionalität
Ø Inklusion als Antwort auf soziale Ungleichheit
v Bildungsexpansion und die gestiegene Bedeutung von Bildung in der Gesellschaft
v Genese von Bildungsungleichheiten
v Auswirkungen von Bildungsungleichheiten auf gesellschaftliche Teilhabe
Leitfragen
Ø Welche Unterschiede im Verständnis von Inklusion gibt es und wie relevant sind diese für den
Lehrberuf?
Ø Welche verwandten Begrifflichkeiten müssen Sie kennen und abgrenzen lernen?
Ø Wieso greift das eng gefasste Inklusionsverständnis zu kurz?
Ø Welche Auswirkungen hat die Exklusion von SuS vom Regelschulsystem im Allgemeinen und vor dem
Hintergrund weiterer Heterogenitäten?
Ø Wie kann durch Inklusion soziale Ungleichheit reduziert werden?
GRUNDLAGENLITERATUR
v Budde, Jürgen (2018): Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Inklusion und Intersektionalität.
In: Sturm, Tanja & Wagner-Willi, Monika (Hrsg.), Handbuch schulische Inklusion. Opladen: Verlag
Barbara Budrich: 46-59.
Inklusion: Verwendung
Unterscheidung von Inklusion nach ethischen, pädagogischen und politischen Verwendungsweisen:
Inklusion: allgemein
Diversity Differenz
Heterogenität
Vielfalt
Disparität
Verschiedenartigkeit
Diversität
Unterschiedlichkeit
Ungleichheit
Differenzkonstruktionen
Inklusion: 2 Definitionen
Ø steht primär für die Teilhabe von
Ø Menschen mit ‚Behinderungen‘ bzw.
Ø SuS mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF)
Nach Budde & Hummrich (2013) generelle Unterscheidung in:
Ø Eng gefasster Begriff: schulische Inklusion (Pädagogik)
v Inklusion von SuS mit Behinderungen bzw. konkreten körperlichen
Beeinträchtigungen
Ø Weit gefasster Begriff: gesellschaftliche Teilhabe (Sozialwissenschaften)
v Exklusion aufgrund einer Vielzahl von Differenzkonstruktionen, d.h.
unterschiedlichste Merkmale und Attribute bzw. Zuschreibungen, soll entgegen
getreten werden
v Heterogenität als prominentester Begriff zur Fassung von Differenz in Schulsettings,
beinhaltet SuS mir SPF aber nicht explizit
Ø ABER: beide Dimensionen beziehen sich klar auf verschiedene Ebenen
v schulische Inklusion (Pädagogik): als prinzipielles Muster moderner Schule
(organisatorisch)
v gesellschaftliche Teilhabe (Sozialwissenschaften): als ein aktueller Gegenstand
pädagogischer und bildungspolitischer Praxis
8 Dr. Steve R. Entrich, Ac8ng Prof. IOE
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Was bedeutet Inklusion?
Inklusion eng gefasst
Verschiedene Zugänge:
v Medizinisch: Behinderung durch Krankheit, Schädigung oder
Funktionsbeeinträchtigung (impairment)
o gesundheitliche Einschränkung, die unmittelbar zum Problem wird
(Behinderung als Defizit):
o Körperliche Behinderung (Mensch im Rollstuhl )
o Psychische Störung (bspw. diagnostizierte Schizophrenie)
o Geistige Behinderung (bspw. Trisomie 21)
o fachliche Unterstützung zielt auf die Heilung des Menschen oder die
therapeutische Kompensation
o ABER: Selbst diese Definition erfolgt nicht unabhängig vom gesellschaftlichen
Kontext
o selbst medizinische Wahrnehmung beruht darauf, dass der Mensch mit
Behinderung von den Erwartungen der Gesellschaft abweicht
o Andersartigkeit/Unterschiedlichkeit verhindert volle Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben
Sozialer Behinderungsbegriff
Als Behinderung gilt „eine dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen oder
seelischen Bereich, der allgemein ein ausgeprägt negativer Wert zugeschrieben wird. Ein Mensch ist
‚behindert‘, wenn erstens eine solche Abweichung von wie auch immer definierten gesellschaftlichen
Erwartungen vorliegt und wenn zweitens deshalb negativ auf ihn reagiert wird. Es kommt also auf die
‚soziale Reaktion‘ an, sie ‚schafft‘ Behinderung und Behinderte.“ (Cloerkes 2001: 75)
o Behinderung ist immer mit einer Identitätszuschreibung verbunden, wobei die Art
(Sichtbarkeit/ Ausmaß) der Behinderung bestimmend ist:
o gesellschaftlich hoch bewerteten Leistungen Mobilität, Flexibilität, Intelligenz,
Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit sind betroffen
o Stigmatisierungen möglich (bspw. gelten psychisch Gestörte oft als gefährlich)
Verschiedene Zugänge:
v Sozialrechtlich (juristische Definition):
o Integriert medizinische und soziale Dimensionen aus rechtlicher Perspektive
Juristisches Ziel
„Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern,
Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“ (SGB IX, § 1).
Juristischer Behinderungsbegriff
„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung
zu erwarten ist“ (SGB IX, § 2, Abs. 1).
v Heterogenität 2. Ordnung:
Ø Innerhalb der Gruppe von SuS mit und ohne sonderpäd. Förderbedarf
Alter Geschlecht
Religion
Milieu Region
Ethnizität
Sozio- Migrations-
ökonomische hintergrund
Herkunft
Körper
Leistung/
sexuelle Disability Achievement
Orientierung
Sonderpädagogischer
Ability Behinderung Förderbedarf
…mit der Subjektivität der Individuen und pädagogischen Praktiken.
17 Dr. Steve R. Entrich, Ac8ng Prof. IOE
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Was bedeutet Inklusion?
Inklusion und Intersektionalität
Intersektionalität
=Überschneidung / Schnittmenge unterschiedlicher sozialer Kategorien und der damit
einhergehenden sozialen Positionierungen
Ø Verstärkt in soziologischer und erziehungswiss. Forschung verwandt, kaum für den Bereich
Inklusion
Ø Erlaubt jedoch umfassende Einblicke in und Erkenntnisse über soziale
Ungleichheitsgenese und Zusammenhänge von Teilhabe und Ausschluss
Ø Theoretisches Verständnis von Intersektionalität (nach Budde 2018):
v Gegenstand: Es geht darum, soziale Positionierungen als ein Zusammenspiel von
unterschiedlichen sozialen Differenzkategorien zu verstehen.
v Kontextualität: Das Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Kategorien ist nur in
ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen („relationale Kontextualität“).
v Begriffsgeschichte: in US-amerikanischer Frauenbewegung verortet (Gender X Race)
v Analyse von Ungleichheiten: Anspruch, nicht nur Positionierungsprozesse entlang der
Überschneidungen sozialer Kategorien zu dokumentieren, sondern die darin
eingelassenen Machtverhältnisse sichtbar zu machen (Analyse von Macht und
Herrschaft)
v Soziale Konstruktion: Differenzen sind sozial konstruiert und haben keinen
‚natürlichen‘, stabilen Grund (‚doing difference‘).
v Was bedeutet die Verschränkung von Inklusion mit einer Vielzahl von
Differenzkategorien?
O D
Figure 1: OED triangle
OED Triangle:
O=Social Origin (familiäre Herkunft, persönliche, soziale, ökonomische & kulturelle Ressourcen)
E=Educational Attainment (formale & informelle Bildungsressourcen von Individuen)
D=Social Destination (Position in der Gesellschaft, also Berufsstellung, Einkommen, Prestige, und
damit Möglichkeiten der Teilhabe)
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Was bedeutet Inklusion?
Die gestiegene Bedeutung von Bildung für gesells. Teilhabe
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Sources: BMBF; SOEP 2017, own calculation.
Persistente Bildungsungleichheit
Entwicklung schichtspezifischer tertiärer Bildungsbeteiligung
(schematische Darstellung, keine tatsächlichen Verteilungen)
70%
60%
Prozent der Bevölkerungsschicht mit ter6ärer Bildung
hoher
SES/Bildungsniveau
50%
40%
mittlerer
SES/Bildungsniveau
30%
niedriger
20%
SES/Bildungsniveau
10%
0%
1970 1980 1990 2000 2010 2020
Veränderung im Zeitverlauf
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Was bedeutet Inklusion?
Positive & negative Folgen der Bildungsexpansion
Ø überrepräsentiert von Bildungsarmut bedrohte Schulabgänger sind Kinder von un- und
angelernten Arbeitern und aus anderen „bildungsfernen“ Schichten sowie (männliche)
Jugendliche mit Ausländerstatus oder Migrationshintergrund
Ø Bildungschancen von Jungen und Mädchen mehr als angeglichen
Ø gestiegene Chancengleichheit beim Zugang zum Gymnasium
Ø ABER: soziale Exklusivität des Gymnasiums ist gesunken; gleichzeitig die
sozio-strukturelle Homogenität in der Hauptschule gestiegen
Ø erneute soziale Schließung der Gymnasien:
Ø statt nach sozioökonomischen Ressourcen des Elternhauses erfolgt sie nunmehr
nach Bildungsniveau und Klassenlage der Eltern
Ø gewachsene soziale Distanz zwischen den höheren und niedrigeren Bildungsschichten
nach dem Übergang in die Sekundarstufen
Becker26
& Lauterbach (2016): 11. Dr. Steve R. Entrich, Ac8ng Prof. IOE
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Was bedeutet Inklusion?
Primäre und sekundäre Herkunftseffekte sozialer Stratifizierung
Inhalte
Ø Die inklusive Schule als Institution und Organisation
v Theoretische Zugänge und Begrifflichkeiten
Ø Bedingungsfaktoren inklusiver Schulentwicklung
v Komponenten von Schulentwicklung
Leitfragen
Ø Worin unterscheidet sich Schule als Institution von der Organisation Schule?
Ø Welche theoretischen Zugänge gibt es und wie erweitern diese unseren Blick auf die
inklusive Schule und deren institutioneller und organisatorischer Entwicklung?
Ø Die Institution „Sonderschule“ wurde zugunsten eines neuen Systems in Frage gestellt und
befindet sich nun (zumindest theoretisch) in Auflösung. Wie ist das zu erklären?
Ø Wie wandeln sich Institutionen/werden diese abgelöst?
Ø Ist die „inklusive Schule“ bereits eine Institution? Oder sind inklusive Schulen zwar als
Organisationen existent, aber wenig institutionalisiert?
Ø Was sind Komponenten (inklusiver) Schulentwicklung?
GRUNDLAGENLITERATUR
Ø Nohl, Arndt-Michael (2018): Inklusion in Bildungs- und Erziehungsorganisationen. In: Tanja
Sturm & Monika Wagner-Willi (Hrsg.), Handbuch schulische Inklusion. Opladen: Verlag Barbara
Budrich: 15-29.
Ø UNESCO (2009): Inklusion: Leitlinien für die Bildungspolitik. Bonn: Deutsche UNESCO-
Kommission e.v. (DUK).
30 Dr. Steve R. Entrich, Ac8ng Prof. IOE
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Literatur (Auswahl)
Ø Becker, Rolf & Wolfgang Lauterbach (2016): Bildung als Privileg - Ursachen,
Mechanismen, Prozesse und Wirkungen. In: Rolf Becker & Wolfgang Lauterbach
(eds.), Bildung als Privileg: Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der
Bildungsungleichheit. Wiesbaden: SpringerVS.
Ø Böttinger, Traugott (2017): Exklusion durch Inklusion? Stolpersteine bei der
Umsetzung. Stuttgart: Kohlhammer.
Ø Budde, Jürgen (2018): Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Inklusion
und Intersektionalität. In: Sturm, Tanja & Wagner-Willi, Monika (Hrsg.),
Handbuch schulische Inklusion. Opladen: Verlag Barbara Budrich: 46-59.
Ø Budde, Jürgen & Merle Hummrich (2013): Reflexive Inklusion. Zeitschrift für
Inklusion 8 (4): https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-
online/article/view/193/199
Ø Stichweh, Rudolf & Paul H. Windolf [Hrsg.] (2009): Inklusion und Exklusion:
Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit. Wiesbaden: SpringerVS.
Ø Sturm, Tanja (2016): Lehrbuch Heterogenität in der Schule. München/Basel:
Reinhardt.
Ø Textor, Annette (2015): Einführung in die Inklusionspädagogik. Bad Heilbrunn:
Julius Klinkhardt.
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Literatur (weiterführend)
Ø Arrow, Kenneth (1973): Higher Education as a Filter. Journal of Public
Economics 2:193–216.
Ø Becker, Gary S. (1964): Human Capital. New York: The National Bureau of
Economic Research.
Ø Boudon, Raymond (1974): Education, Opportunity, and Social Inequality:
Changing Prospects in Western Society. New York: Wiley.
Ø Collins, Randall (1979): The Credential Society. New York, San Francisco,
London: Academic Press.
Ø Hirsch, Fred (1976): Social Limits to Growth. Cambridge: Harvard University
Press.
Ø Schultz, Theodore W. (1961): Investment in Human Capital. The American
Economic Review 51(1):1-17.
Ø Shavit, Yossi and Hyungjoon Park (2016): Introduction to the Special Issue:
Education as a Positional Good. Research in Social Stratification and Mobility
43(1):1-5.
Ø Spence, Michael. (1973): Job Market Signaling. The Quarterly Journal of
Economics 87(3):355-74.
Ø Thurow, Lester C. (1976): Generating Inequality. London: Macmillan.
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!