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Vorlesung

Einführung in die pädagogisch-psychologische Diagnostik

6. Sitzung: Methodische Grundlagen der psychologischen


Diagnostik III: Normierung

Prof. Dr. Hanna Dumont


Ablauf der heutigen Sitzung

• Bezugsnormen
• Normierung
• Standardmessfehler und Konfidenzintervall

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Bezugsnormen

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Interpretation von Leistungen

Peter hat in der Mathematikarbeit 27 Punkte erreicht.


Wie gut hat er abgeschnitten?

Welche Informationen benötigen Sie, um die Leistung von


Peter interpretieren bzw. bewerten zu können?
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Interpretation von Leistungen

• Für die Interpretation einer Leistung benötigt man eine Bezugsgröße!


• Bezugsgrößen werden aus einer Bezugsnorm abgeleitet.
• Eine Bezugsnorm ist ein Vergleichsmaßstab, dem man entnehmen kann,
wie eine bestimmtes Ergebnis zu interpretieren ist.
• Es lassen sich drei Bezugsnormen unterscheiden:
 Individuelle Bezugsnorm
 Kriteriale Bezugsnorm
 Soziale Bezugsnorm

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Individuelle Bezugsnorm

• Bei der Anwendung der individuellen Bezugsnorm wird das Ergebnis einer
Person mit zurückliegenden Ergebnissen im gleichen Bereich verglichen.
• Der Bezugspunkt ist also die eigene Person.

Beispiel: Peter hat die Klasse wiederholt


und in der gleichen Mathematikarbeit letztes
Jahr 20 Punkte erreicht.
 Peter hat sich verbessert.

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Kriteriale Bezugsnorm

• Bei der Anwendung der kriterialen Bezugsnorm wird das Ergebnis einer
Person mit einem vorher festgelegten Ziel verglichen.
• Der Bezugspunkt ist ein inhaltlich definiertes Kriterium.

Beispiel: Die Lehrkraft hat als Ziel festgelegt, dass


jedes Kind mindestens 30 Punkte erreichen muss, um
die Mathearbeit zu bestehen.
 Peter ist durchgefallen.

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Soziale Bezugsnorm

• Bei der Anwendung der sozialen Bezugsnorm wird das Ergebnis einer
Person mit den Ergebnissen anderer Personen vergleichen.
• Der Bezugspunkt ist eine Referenzgruppe von Personen.

Beispiel: Im Durchschnitt hat die Klasse von Peter


25 Punkte erreicht.
 Peter ist besser als der Klassendurchschnitt.

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Normierung

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Übung

Neurotizismus: Personen mit hohen Werten in Neurotizismus neigen dazu,


nervös, ängstlich, traurig, unsicher und verlegen zu sein und sich Sorgen um
ihre Gesundheit zu machen.
Extraversion: Extravertierte Menschen sind gesellig, aktiv, gesprächig,
personenorientiert, herzlich, optimistisch und heiter. Sie möglichen
Anregungen und Aufregungen.
Offenheit für Erfahrungen: Personen mit hohen Werten in Offenheit für
Erfahrungen zeichnen sich durch eine hohe Wertschätzung für neue
Erfahrungen aus, bevorzugen Abwechslung, sind wissbegierig, kreativ,
phantasievoll und unabhängig in ihrem Urteil.
Verträglichkeit: Verträgliche Personen sind altruistisch, mitfühlend,
verständnisvoll und wohlwollend. Sie neigen zu zwischenmenschlichem
Vertrauen, zur Kooperativität, zur Nachgiebigkeit und sie haben ein starkes
Harmoniebedürfnis.
Gewissenhaftigkeit: Gewissenhafte Personen sind ordentlich, zuverlässig, hart
arbeitend, diszipliniert, pünktlich, penibel, ehrgeizig und systematisch.

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Übung

Wie können Ihre Ergebnisse interpretiert werden?

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Normierung

• Unter der Normierung eines Tests versteht man das Erstellen eines
Bezugssystems, mit dessen Hilfe individuelle Testergebnisse interpretiert
werden können.
• Die meisten Tests werden nach der sozialen Bezugsnorm normiert.
• Hierzu wird eine Testeichung durchgeführt: der Test wird mit einer
repräsentativen Stichprobe aus der Referenzpopulation durchgeführt.
• Anschließend kann ein individuelles Testergebnis mit den Testergebnissen
dieser Eichstichprobe verglichen werden kann.

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Beispiel: NEO-FFI

Eichstichprobe

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Normwerte

• Ziel der Testeichung ist es, sogenannte Normwerte für die Interpretation
einzelner Testergebnisse zu gewinnen.
• Normwerte ermöglichen somit einen Vergleich einzelner Testergebnisse mit
der Referenzpopulation.
• Bei der Konstruktion der Normwerte macht man sich zu nutze, dass die
meisten psychologischen Merkmale einer Normalverteilung folgen: Mittlere
Testwerte kommen häufig, extreme Testwerte kommen selten vor.
• Jede empirisch gewonnene Testwertverteilung, die der Normalverteilung
entspricht, kann anschließend in die Standardnormalverteilung transformiert
werden.

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Standardnormalverteilung

Die Standardabweichung ist ein


Maß für die Streuung der
Verteilung und gibt an, wie weit die
Werte um den Mittelwert streuen.

Mittelwert = 0
Standardabweichung = 1
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Standardnormalverteilung

• Jeder empirisch gewonnene Testwert kann in einen z-Wert transformiert


werden, wenn Mittelwert und Standardabweichung der Verteilung bekannt sind:

• Dadurch kann ein Testwert mit einer Vergleichsgruppe verglichen und somit
besser interpretiert werden. Auch lassen sich so zwei Testwerte miteinander
vergleichen.
• Die Standardabweichung ist hierbei die Maßeinheit.
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Standardnormalverteilung

Peter hat 27 Punkte erreicht. Der Mittelwert seiner


Klasse lag bei 25 Punkten. Die Standardabweichung
betrug 2 Punkte.

27 − 25
𝑧𝑧 = =1
2

 Peter ist eine Standardabweichung besser als


der Durchschnitt seiner Klasse.

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Standardnormalverteilung

Max geht in die Parallelklasse von Peter. Er hat die


gleiche Mathematikarbeit geschrieben und ebenfalls 27
Punkte erreicht. Der Durchschnitt seiner Klasse lag bei
29 Punkten, die Standardabweichung bei 4 Punkten.

27 − 29
𝑧𝑧 = = −0.5
4
 Max ist um eine halbe Standardabweichung
schlechter als der Durchschnitt seiner Klasse.

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Standardnormalverteilung

Der Durchschnitt für die gesamte Jahrgangsstufe lag bei


26 Punkten, die Standardabweichung bei 2 Punkten.

27 − 26
𝑧𝑧 = = 0.5
2

 Peter und Max sind um eine halbe


Standardabweichung besser als der
Jahrgangsdurchschnitt.

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Standardnormen

• Um negative Zahlen und Zahlen in Dezimalstellen zu vermeiden,


werden zur besseren Interpretation häufig andere Normskalen,
sogenannte Standardnormen, verwendet.
• Diese Standardnormen ergeben sich durch lineare Transformationen
aus der Standardnormalverteilung:

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Standardnormen

Die Standardnormskalen
unterscheiden sich in ihrem
Differenzierungsgrad.

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Standardnormen

Peter und Max sind um eine halbe


Standardabweichung besser als der
Jahrgangsdurchschnitt. Welchen T-Wert haben Sie
erzielt?

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Prozentränge

• Der Prozentrang eines Testwertes gibt an, wie viel Prozent einer
Referenzgruppe einen gleich großen oder geringeren Wert erzielt haben.

• Prozentränge sind „verteilungsunabhängig“ und setzen somit keine


Normalverteilung und keine Intervallskalierung des Merkmals voraus.

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Prozentränge

In der Jahrgangsstufe von Peter und Max haben von 120


Schüler:innen insgesamt 83 Schüler:innen 27 Punkte oder
weniger erreicht.

83
𝑃𝑃𝑃𝑃 = 100 𝑥𝑥 ≈ 69
120

 69% der Schüler:innen haben gleich gut oder


schlechter als Peter und Max abgeschnitten, 31%
haben besser abgeschnitten.

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Testinterpretation anhand von Normwerten

• Zur Interpretation eines individuellen Testergebnisses wird der zugehörige


Normwert verwendet.
• Jeder psychodiagnostische Test enthält Normtabellen, in denen die
Normwerte abgelesen werden können.
• Häufig stehen verschiedene Normen aus unterschiedlichen
Referenzpopulationen zur Verfügung (z.B. Alterskohorte und
Jahrgangsstufe).
• Die Normen dürfen nicht veraltet sein, d.h. der Test muss regelmäßig neu
normiert werden.

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Übung

Bitte beantworten Sie auf Grundlage der Normtabellen


in Moodle folgende Fragen:

1. Welchen T-Werten entsprechen Ihre Testwerte?


2. Wie viel Prozent der Personen aus der
Vergleichsstichprobe haben einen höheren Wert in
Gewissenhaftigkeit als Sie?
3. Welchem Stanine-Wert entspricht Ihr T-Wert in
Offenheit für Erfahrungen?

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Übung

Wie sicher können Sie sich sein, dass die Testwerte


ihren wahren Werten auf den fünf
Persönlichkeitsfaktoren entsprechen?

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Standardmessfehler und
Konfidenzintervall

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Standardmessfehler

• Mit dem sogenannten Standardmessfehler kann die Ungenauigkeit von


individuellen Testwerten angegeben werden.
• Der Standardmessfehler berechnet sich aus der Reliabilität des Tests
sowie der Standardabweichung der Testwerte.
• Ist ein Test vollständig reliabel, ist der Standardmessfehler null.

𝑆𝑆𝐷𝐷𝐸𝐸 = 𝑆𝑆𝑆𝑆𝑥𝑥 � 1 − 𝑟𝑟𝑥𝑥𝑥𝑥 𝑆𝑆𝑆𝑆𝐸𝐸 = Standardmessfehler


𝑆𝑆𝑆𝑆𝑥𝑥 = Standardabweichung der Testwerte
𝑟𝑟𝑥𝑥𝑥𝑥 = Reliabilität des Tests

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Konfidenzintervall

• Der Standardmessfehler ermöglicht die Berechnung eines sogenannten


Konfidenzintervalls bzw. Vertrauensintervalls.
• Dieses Intervall ist der Bereich oberhalb und unterhalb des Messwerts,
in dem sich mit hoher Wahrscheinlichkeit (in der Regel 95%
Wahrscheinlichkeit) der wahre Wert befindet.
• Das Konfidenzintervall ist aussagekräftiger als der einzelne Messwert,
da die Messungenauigkeit mitberücksichtigt wird.
• Je größer die Reliabilität, desto kleiner der Standardmessfehler und
desto kleiner das Konfidenzintervall.

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Konfidenzintervall

• Das Konfidenzintervall berechnet sich aus dem Testwert, dem


Standardmessfehler und der Normalverteilung (da zufällige Messfehler
normalverteilt sind):

CI = Konfidenzintervall
CI = X ∓ 𝑧𝑧𝛼𝛼 � 𝑆𝑆𝑆𝑆𝐸𝐸 X = Testwert
2 α = Irrtumswahrscheinlichkeit
SDE = Standardmessfehler
zα = Wert auf der Standardnormalverteilung
2

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Übung

In welchem Bereich liegt mit einer 99%-


Wahrscheinlichkeit Ihr wahrer Wert für Neurotizismus?

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In der Praxis

Da Tests nie komplett reliabel sind, müssen Diagnosen


immer mit großer Vorsicht vergeben werden und sollten nie
auf nur einem Testergebnis basieren, sondern auf
verschiedenen diagnostische Informationen beruhen!

Einmal getroffene Diagnosen und Urteile sollten immer


wieder hinterfragt und auf der Basis verschiedener
diagnostischer Informationen überprüft werden!

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Lernziele der heutigen Sitzung

Nach der heutigen Sitzung sollten Sie:


 die drei Bezugsnormen kennen und in eigenen Worten erklären können.
 wissen, was unter dem Prozess der Normierung verstanden wird.
 einen Testwert in einen z-Wert umwandeln können.
 Testwerte anhand von Standardnormen interpretieren können.
 wissen, was ein Standardmessfehler ist und wofür man ihn benötigt.
 Konfidenzintervalle von Testwerten interpretieren können.

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Literatur zur heutigen Sitzung

Literatur zu heutigen Sitzung:


Hesse, I. & Latzko, B. (2017). Diagnostik für Lehrkräfte. Opladen &
Torono: Verlag Barbara Budrich.  Kapitel 2.3
Tröster, H. (2019). Diagnostik in schulischen Handlungsfeldern.
Methoden, Konzepte, praktische Ansätze. Stuttgart: Kohlammer.
 Kapitel 3.5

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