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Späte Hexenprozesse

Späte Hexenprozesse Gerrie ter Haar (Den Haag) und Stephen


Ellis (Leiden) wiesen in ihrem Vortrag „The
Veranstalter: Akademie der Diözese History of Witchcraft Accusations and Perse-
Rottenburg-Stuttgart in Zusammenarbeit cutions in Africa“ darauf hin, dass das Wort
mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre He- Hexerei nicht zu jeder Zeit und an jedem
xenforschung (AKIH), dem Lehrstuhl Frühe Ort die gleiche Bedeutung hatte und hat. Ih-
Neuzeit der Universität des Saarlandes und re Arbeit über Südafrika ließ sie zu folgender
dem Institut für Geschichtliche Landeskunde einstweiligen Definition von Zauberei gelan-
der Universität Tübingen gen: „A manifestation of evil believed to come
Datum, Ort: 29.09.2005 - 02.10.2005, Weingar- from a human source.“ Zauberei ist in Afrika
ten (Oberschwaben) immer nur ein Teilaspekt eines größeren Gan-
Bericht von: Kathrin Mutterer (Tübingen) zen, eines Glaubens an eine von unsichtbaren
spirituellen Wesen bewohnten Welt.
Das Ende der Hexenprozesse gilt als Beweis Der Begriff der Hexerei ist, ebenso wie sei-
für Europas Weg in die Moderne. Oft wird da- ne Auswertung durch Gelehrte, durch histo-
bei allerdings übersehen, dass auch nach den rische Faktoren bedingt. Erstens: Hexerei ist
großen Debatten des 17. Jahrhunderts und deswegen ein Gegenstand der Anthropolo-
noch weit ins Zeitalter der Aufklärung hin- gie geworden, weil sie in der eigenen Ge-
ein Hexenprozesse geführt und „Hexen“ le- sellschaftsgeschichte eine Rolle spielt. Zwei-
gal hingerichtet wurden. Das Anliegen der Ta- tens: Europäer betrachten Hexerei in evolu-
gung war es, Licht in das Dunkel dieser spä- tionärer Ansicht als Charakteristikum einer
ten, so gar nicht zur Identität des fortschritt- vormodernen Gesellschaft; und drittens: Ko-
lichen Europas passenden Hexenprozesse zu lonisation und Christianisierung führten in
bringen und dabei den Umgang mit dem Phä- Afrika zu einem Wechsel in der Beziehung
nomen Hexerei und die Bedingungen für das zwischen den Menschen und der spirituel-
Festhalten am Hexenparadigma zu beleuch- len Welt. Die traditionelle afrikanische Religi-
ten. Des Weiteren sollten über den Kernbe- on besitzt keine geschriebenen Dogmata und
reich Westeuropas hinaus Vergleiche zu spä- ist nicht von anderen „aspects of power“ ge-
ten Prozessen in Russland, Südamerika und trennt. Ursprünglich war man der Ansicht,
China sowie zur gegenwärtigen Welt in Afri- dass die Kräfte von „spirits“ gut oder böse
ka gesucht werden. sein können, in Abhängigkeit von der Person,
In Verbindung mit dem Arbeitskreis Inter- die sie betreffen. Diese Haltung wurde spä-
disziplinäre Hexenforschung (AKIH) wurde ter von der Vorstellung verdrängt, dass „spi-
die Tagung vorbereitet und geleitet von Dieter rits“ an sich immer böse sind. Im Unterschied
R. Bauer (Akademie der Diözese Rottenburg- zur westlichen Literatur, die Hexerei als sozia-
Stuttgart, Referat Geschichte), Professor Dr. les Phänomen betrachtet, sehen afrikanische
Wolfgang Behringer (Universität des Saar- Autoren diese als Bedrohung der moralischen
landes, Historisches Institut, Lehrstuhl Frü- oder kosmologischen Ordnung. Der Vergleich
he Neuzeit) und Professor Dr. Sönke Lorenz der Geschichte Afrikas mit der Europas er-
(Universität Tübingen, Institut für Geschicht- fordert, dass den sehr unterschiedlichen po-
liche Landeskunde und Historische Hilfswis- litischen und institutionellen Kontexten der
senschaften). Hexenverfolgungen auf zwei verschiedenen
Zu Beginn der Studientagung gab Wolf- Kontinenten Rechnung getragen wird.
gang Behringer (Saarbrücken) eine Einfüh- Christine Worobec (DeKalb/IL) stellte in ih-
rung in die Thematik der späten Hexen- rem Vortrag „Late Witchcraft Trials in Nine-
prozesse. Dabei umriss er, ausgehend von theenth Century Russia“ ihre aktuellen For-
den späten Hexenprozessen in Westeuropa, schungsergebnisse für die Zeitspanne zwi-
die Debatten der Aufklärung und beleuchte- schen 1775 und den 1850er Jahren vor. Ob-
te anschließend kurz die gegenwärtige Hexe- wohl das „Provincial Administrative Statute“
reiproblematik in Ländern wie Südamerika, von 1775 die Anwendung der Hexerei als Re-
Afrika und Indien. sultat von „stupidity, ignorance, and fraud“
1. Sektion: Außereuropäische Länder ansah sowie die Vorstellung verneinte, dass

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Hexerei eine Realität sei, welche die Gesund- Am wichtigsten war die Bedeutung des
heit und das Leben von Menschen nachtei- Maleficium, welches mit Hexerei assoziiert
lig beeinflussen könnte, und das Statut so- wurde. Zum größten Teil wurden in den In-
mit den Prozess der Dekriminalisierung von quisitionstribunalen jedoch Zaubereidelikte
Zauberei und Hexerei einleitete, blieben den- verhandelt; Hexereidelikte waren eher selten.
noch der Glauben an Hexerei in allen sozia- Im kolonialen Amerika gab es insgesamt
len Schichten und die Widersprüche im rus- nur drei Inquisitionstribunale (1570 Lima,
sischen Recht bestehen. Die Rolle der Ortho- 1571 Mexiko-Stadt und 1610 Neu-Granada).
doxen Kirche bei der Bestrafung von Hexen Brasilien verfügte über kein eigenes Tribunal,
und Zauberern und die kirchliche Sichtwei- sondern war dem Inquisitionsgericht in
se, die die Hexerei potentiell bejahte, halfen Lissabon unterstellt. In den weit abgelegenen
der Aufrechterhaltung älterer Hexereivorstel- Gebieten wurden leichte Fälle direkt vor Ort
lungen und unterstützten den vorherrschen- verhandelt; nur die schweren Fälle wurden
den Glauben im Volk. Erst die Intervention vor das zuständige Tribunal bzw. nach Lissa-
der Medizin mit der Diagnose von Krank- bon gebracht. Die drei Tribunale bestanden
heiten wie Hysterie und Melancholie über- bis zum Ende der Kolonialzeit fort (Lima bis
zeugte die Richter und säkularen Autoritäten 1818, Mexiko-Stadt 1820, Cartagana 1821). Sie
nach und nach, dass Hexerei nicht möglich führten allerdings in den letzten Jahren ihres
sei. Dennoch blieb auch nach 1853 Hexerei ein Bestehens kaum noch Prozesse durch.
Delikt in den Gesetzbüchern, und das juristi- Einen ersten Einblick in die „Chinese Sorce-
sche System des imperialen Russlands folgte ry Scares in the 18th Century“ und damit
der Austreibung von Hexenglauben und Zau- in die späte imperiale Periode der chinesi-
berei nicht. Vielmehr entstand ein Keil zwi- schen Geschichte, gab Barend ter Haar (Lei-
schen den Bauern, die ihren Glauben an Hexe- den). Er stellte eine Kategorie von Hexerei
rei und Zauberei beibehielten, sowie der Or- vor, die nicht nur stereotype Furcht vor magi-
thodoxen Kirche auf der einen Seite und einer schen Handlungen, sondern auch die Brand-
gebildeten Schicht auf der anderen Seite, die markung und Verfolgung menschlicher Täter
sich mit der Zeit vom Hexenglauben distan- umfasst. Was unter anderem auch die Furcht
zierte. vor „Auntie Old Tiger“, dem Diebstahl von
In ihrem Vortrag „Späte Zauberei- und Lebenskräften (z.B. durch das Stehlen von
Hexereiprozesse vor amerikanischen Organen und Föten), Angriffen von fliegen-
Inquisitionstribu¬nalen“ ging Iris Gareis den Objekten und dem Diebstahl von loka-
(Frankfurt a.M.) zunächst auf die Besonder- lem Wasservorkommen durch so genannte
heiten der Zauberei- und Hexereivorstellung Dürre-Dämonen beinhaltete. Im Gegenzug zu
in Südamerika ein. Zur Fusion indigener, dem Vorschlag, den Begriff der Hexerei als
afrikanischer und europäischer Einflüsse allumfassende Bezeichnung zu verstehen, an-
kam es meist nur bei den unteren sozialen gelehnt an historische europäische Denkmus-
Schichten, während sich die höheren sozialen ter, die die grundlegende Erscheinung für Eu-
Schichten von jeglicher Art des Volksglaubens ropa im späten 18. Jahrhundert enden las-
zu distanzieren suchten. Der Unterscheidung sen und sie andernorts als Indikator für feh-
zwischen Hexerei- und Zaubereidelikt kam in lende oder mangelhafte Moderne sehen, plä-
Südamerika eine elementare Funktion in den dierte der Referent für einen erweiterten An-
Prozessen zu, was vor allem an folgenden satz. Dieser weiter gefasste Begriff soll ermög-
Punkten fixiert wurde: Zum einen beinhaltete lichen, dass die Fortdauer ähnlicher Phäno-
der Hexereivorwurf den expliziten statt den mene im Westen (vgl. McCarthyismus) mit-
impliziten Teufelspakt, und zum anderen einbezogen und auf die Annahme einer Ver-
wurden Hexen und Zauberern unterschied- bindung zwischen Modernität und dem Feh-
liche Fähigkeiten zugewiesen. Während den len von Hexereianklagen verzichtet werden
Hexen die üblichen Fähigkeiten wie Nacht- kann.
flug, Tierverwandlung und Wetterzauber 2. Sektion: Europäische Länder
nachgesagt wurden, brachte man Zauberer Über „die späten Hexenprozesse in den
nur mit magischen Ritualen in Verbindung. böhmischen Ländern und auf dem Gebiet der

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Späte Hexenprozesse

heutigen Slowakei“ informierte Petr Kreuz lung durch Magie sowie Wetterzauber bis hin
(Prag), der den letzten nachweisbaren He- zu Besenritt und Teufelspakt. Des Weiteren
xenprozess für die böhmischen Ländern auf war der Glaube an Werwölfe, Vampire und
1755/56 datiert. Bis ins 15. Jahrhundert hinein Hexen sowohl in der Unterschicht als auch im
lässt sich für Böhmen und Mähren nur ein ein- Adel weit verbreitet. Als Begründung, war-
ziger Hexenprozess nachweisen. Zur ersten um in Deutschland zur gleichen Zeit keine
belegten Hinrichtung einer angeblichen Hexe Hexenprozesse mehr stattfanden, wurde da-
kam es in Böhmen 1498. Die Höhepunkte der mals seltsamerweise das niedrigere Bildungs-
Verfolgungen lassen sich in zwei Wellen dar- niveau Polens genannt, weswegen die Hexen
stellen – die erste vom letzten Drittel des 16. alle von Deutschland dorthin umgezogen sei-
Jahrhunderts bis in die ersten zwei Jahrzehn- en. Vor allem ab den 1760er Jahren gab es in
te des 17. Jahrhunderts und die zweite Welle Polen immer wieder Bemühungen, die Hexe-
im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Bis auf reiverfolgung zu beenden. Zeitschriften, Bro-
drei bekannte Ausnahmen in Böhmen und ei- schüren, Bücher erschienen und verbreiteten
ne Ausnahme in Mähren hatten alle durch- neben den Ideen der Aufklärung auch im-
geführten Prozesse individuellen Charakter. mer wieder die Forderungen nach der Ab-
Das gerichtlich geahndete Delikt der Zaube- schaffung der Wasserprobe, der Folter, der
rei trug in den böhmischen Ländern bis zur Bestrafung vermeintlicher Hexen und nach
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Re- einem öffentlichen Strafverfahren. Obgleich
gel den Charakter verschiedener abergläubi- 1766 das Verbot der Folter verhängt wurde,
scher Praktiken oder bezog sich auf den Ein- war der Hexenglauben weit verbreitet und
satz schädigender Zaubertränke; nur in ver- konnte sich bis ins 20. Jahrhundert halten. Der
einzelten Fällen wurde Kontakt mit dem Teu- oft in der älteren Literatur genannte letzte He-
fel vorgeworfen. Bis auf Einzelfälle gewann xenprozess in Polen von 1775 in Doruchów
das Delikt der Zauberei in Böhmen ebenfalls fand jedoch nicht statt. Dafür ist ein Prozess
nie die Gestalt der Apostasie, der Teilnahme in Kleinpolen aus dem Jahre 1785 bezeugt.
am Hexensabbat oder der Zugehörigkeit zu Gründe für die lang anhaltende Prozesstätig-
einer Hexensekte; dasselbe gilt für Mähren bis keit sind vor allem im Fehlen einer juristi-
zum Ausbruch der nordmährischen Hexen- schen Ausbildung der Stadtrichter und einer
verfolgungen im Jahre 1678. Auch für die Slo- vorgesetzten Gerichtsbehörde zu suchen.
wakei sind hauptsächlich Individualprozesse Rainer Decker (Paderborn) stellte in sei-
nachweisbar. Die Verfolgungswelle hatte hier nem Vortrag die „Hexen- und Magieprozes-
ihren Höhepunkt Ende des 17. und erstreck- se im Kirchenstaat während des 19. Jahrhun-
te sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahr- derts“ dar. Wurde die päpstliche Inquisiti-
hunderts. Das geahndete Delikt der Zaube- on in Italien spätestens mit den napoleoni-
rei hatte in dieser Periode in der Slowakei in schen Kriegen abgeschafft, konnte sie sich im
seinen realen Äußerungen in der Regel die Zuge der Restauration im Kirchenstaat re-
Form von verschiedenen Praktiken der Volks- generieren und bis zu dessen Ende 1861/70
magie oder der Volksmedizin. Der Teufels- halten. Als Ursachen für die Ahndung wei-
pakt tauchte zwar in vielen Fällen der Hexen- ßer und schwarzer Magie sind das Festhal-
verfolgung auf, trat aber selten in den Vorder- ten der katholischen Kirche an der Möglich-
grund. keit von Hexerei und Teufelspakt zu nennen.
Um „Hexenprozesse in Polen im Zeitalter Des Weiteren führte Decker die – wegen der
der Aufklärung“, genauer: um Prozesse zwi- relativ fairen Prozesse – fehlende schockie-
schen 1728 und 1795, ging es im Vortrag von rende Erfahrung von Folter- und Gewaltex-
Jacek Wijaczka (Torun). Er stellte dar, dass zessen an. Die Delikttypen des 18. Jahrhun-
Hexenverfolgungen in Polen in der ersten derts: „blasphemia“, „sollicitationes“, „pro-
Hälfte des 18. Jahrhunderts keine Seltenheit positiones haereticales“, „polygamia“, „su-
waren. Die Bandbreite der Vorwürfe reich- perstitio“ und „maleficium“, wurden unter
te von Milch- und Bierverderbung, über Lie- dem Eindruck der italienischen Nationalbe-
beszauber, das Anhexen von Krankheiten bei wegung durch die Zugehörigkeit zu der „sec-
Mensch und Vieh, angebliche Krankheitshei- ta carbonariorum“ oder der „secta liberali-

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um“ erweitert. selbst über diese Einbildung sprach, kam der
3. Sektion: Deutschsprachige Länder Fall dem Landrichter zu Ohren. Schwägelin
Zu einer Sektion über letzte einzelne He- wiederholte freiwillig, ohne jeglichen Druck,
xenverfolgungen lassen sich die folgenden den Pakt und die Teufelsbuhlschaft. Wolf-
Vorträge zusammenfassen. Erika Münster- gang Petz (Kempten) konnte durch das Auf-
Schröer (Ratingen) stellte den letzten Hexen- finden der für verschollen gehaltenen Pro-
prozess am Niederrhein vor, der zugleich zessakten nachweisen, dass die Angeklagte
der erste in der Region seit etwa 200 Jahren nicht, wie bisher angenommen, hingerichtet,
war: „Tödliche Gelehrsamkeit. Ein Richter, sondern das Todesurteil suspendiert wurde.
seine Karriere und seine Opfer: der Düssel- Klaus Graf (Freiburg i.Br.) berichtete über
dorfer Hexenprozess 1737/38“. Zwei Frauen die wohl letzte Hinrichtung einer „Hexe“ im
wurden unter dem Vorwurf, Hexen zu sein, heutigen Baden-Württemberg: den „Endinger
Devotionalien gefälscht und Wunder vorge- Hexenprozess gegen Anna Trutt von 1751“.
täuscht zu haben, die Teufelsbuhlschaft einge- Anna Trutt wurde zunächst wegen des Vor-
gangen zu sein und sich der Tierverwandlung wurfs, einen verheerenden Brand in Endin-
und der Hostienschändung schuldig gemacht gen gelegt zu haben, verhaftet. Unter Folter
zu haben, mit dem Tod durch Verbrennung gestand sie allerdings, dass sie eine Hexe sei,
bestraft. In der Begründung wurden mehr einen Teufelspakt geschlossen und das Feu-
als 30 führende Dämonologen und Juristen er absichtlich gelegt habe. Aufgrund dieser
aufgeführt. Zusammenfassend lassen sich als Aussagen wurde sie am 24. April 1751 vor ei-
Gründe dieses sowohl zeitlich als auch örtlich ner riesigen Zuschauermenge erdrosselt und
isolierten Hexenprozesses und der Hinrich- dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In
tung der beiden Frauen folgende fünf Fak- den Gerichtsprotokollen findet sich die vor-
toren nennen: die Befürwortung der Hexen- sichtige Begriffswahl „veneficium“, was so-
verfolgung und Untermauerung auf wissen- wohl Hexerei als auch Giftmischerei bedeuten
schaftlicher Basis, die strikte Ablehnung auf- konnte.
geklärter Verfolgungsgegner, Strafverschär- „Hexenjagd am Alpenrand: die Verfolgun-
fung als Maßnahme des absolutistischen Staa- gen in der Innerschweiz 1670–1754“ war Ge-
tes, Rekatholisierungsabsichten und in star- genstand des Vortrags von Philippe Bart (Zü-
kem Maße auch persönliche Karrieregründe rich). Vor diesem Zeitraum folgte die schwei-
des Amtsrichters. zerische Hexenverfolgung dem mitteleuro-
Johannes Dillinger (Trier) sprach in seinem päischen Verfolgungszyklus mit drei Wellen,
Vortrag „Von der Giftmischerin zur Hexe: der danach fanden in der Innerschweiz keine
Prozess gegen Katharina Reitterin aus Eglofs Massenprozesse mehr statt. Nach gut einem
1743“ über einen späten Prozess im Allgäu. halben Jahrhundert ohne Hexenverfolgungen
Zunächst als Giftmörderin angeklagt, gestand kam es 1737 im Stand Zug aufgrund einer
Katharina Reitterin ohne äußeren Druck die Selbstanzeige der 16jährigen Katharina Kal-
Teufelsbuhlschaft und legte ein vollständi- bacher, die auch andere Personen der Hexe-
ges Hexengeständnis ab. Es lässt sich zei- rei bezichtigte, zu einer letzten Hexenverfol-
gen, dass die Deutungskategorie „Hexerei“ in gung, in deren Verlauf acht Personen ihr Le-
der Bevölkerung immer noch akzeptiert war. ben verloren. Angetrieben durch immer neue
Schließlich wurde ein Rechtsgutachten ange- Anschuldigungen weiteten sich die Verfol-
fordert, welches aufgrund des Geständnisses gungen von Zug auf die benachbarten Stände
die Todesstrafe empfahl. Luzern und Obwalden aus. Allerdings hielt
Ebenfalls durch Selbstbezichtigung wur- sich die Obrigkeit in diesen Ständen zurück
de „der letzte Hexenprozess im Reich: der und ließ die Angelegenheit nach einigen Ver-
Fall der Anna Maria Schwägelin 1775 in der hören ruhen, sodass sich festhalten lässt, dass
Fürstabtei Kempten“ ausgelöst. Durch mehre- hier im 18. Jahrhundert der Ausgang der Ver-
re Schicksalsschläge hatte sich bei Anna Ma- fahren stark von den obrigkeitlichen Vertre-
ria Schwägelin die Vorstellung entwickelt, ei- tern abhängig war, welche die Prozesse führ-
nen Pakt und sexuellen Kontakt mit dem ten.
Teufel gehabt zu haben. Da sie mehrfach Sieben Frauen fielen den „späten He-

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Späte Hexenprozesse

xenprozessen in der Reichsabtei Marchtal blieb der Glaube an übernatürliche Kräfte, ob


1745–1757“ zum Opfer. Wie Constanze Störk- gut oder böse, erhalten.
Biber (Tübingen) darlegen konnte, ging die H. C. Erik Midelfort (Charlottesville/VA)
Initiative vom lokalen Verfolgungseifer des stellte in seinem Vortrag „Johann Joseph
Dorfes Allenhausen aus. Das Deutungsmus- Gassner und die Modernisierung der teufli-
ter Hexerei diente hier den betroffenen Bau- schen Besessenheit“ einen Mann vor, der mit
ern grundsätzlich als Interpretationsfolie für zur „Entzauberung der Besessenheit“ beitrug.
verschiedene Schadensfälle. In den überliefer- Gassner (geboren 1727) begann mit Exorzis-
ten Gutachten zu den Prozessen zeigen sich men Teufelsbesessenheit zu heilen. Sprach er
Versuche, die Existenz von Hexerei nachzu- 1773 noch davon, dass Hexerei oder Scha-
weisen. Die Argumentation in Bezug auf He- denzauber Krank¬heiten verursachen könn-
xenprozesse hatte in Gutachten aus den Jah- ten, nahm er seit 1774 davon Abstand. Indem
ren 1745–1747 bei den Maximen der Pein- er feststellte, dass der Teufel und seine Besit-
lichen Halsgerichtsordnung begonnen und zungen in einer modernen Welt nur ohne die
endete schließlich bei der „natürlichen Ver- schwindende Schlag¬kraft des Zaubers über-
nunft“ zur Erklärung der Existenz von Hexen leben könnten, bejahte er zwar die trügeri-
als evidentem Paradigma. Die Beendigung schen Handlungen des Teufels; die Kraft und
der Hexenprozesse in Marchtal kann letzten Verantwortlichkeit einer Hexe oder eines Zau-
Endes auf zwei Momente zurückgeführt wer- berers bestritt er aber. Somit wurde der tradi-
den: zum einen auf den inhaltlichen Bruch mit tionelle Zusammenhang zwischen Teufelsbe-
der magischen Sinnwelt durch die Dorfelite sessenheit und Hexerei gelöst.
aus Alleshausen und zum anderen durch ju- Eine über die „Aufarbeitung der Hexerei-
ristische Kritik der zwei Gutachten aus dem vorstellungen im Strafrecht um 1800“ hinaus-
Jahre 1757, durch die fassbar wird, dass die gehende übergreifende juristische Betrach-
Juristen Hexerei nicht mehr als Option im Ka- tung der Hexenprozesse und ihrer Vorausset-
non strafbarer Delikte wahrnahmen. zungen lieferte Wolfgang Schild (Bielefeld).
4. Sektion: Debatten Anhand einzelner Rechtsfälle und unter Be-
Mit dem Zusammenhang zwischen „En- rücksichtigung der Rechtsquellen der jeweili-
lightenment and Witchcraft“ beschäftigte sich gen Zeit sowie ihres Einflussgebiets konnte er
Dries Vanysacker (Leuven). Obwohl im Zeit- einen komplexen rechtsgeschichtlichen Über-
alter der Aufklärung mit einer großen intel- blick vor Augen stellen.
lektuellen Bewegung die Existenz des Teufels Der Titel „Späte Hexenprozesse“ impliziert
und dadurch auch die Existenz der Hexen in ein Ende der Hexenverfolgungen, was – wie
Frage gestellt wurden und Hexerei als vulgäre die Tagung deutlich zeigte – so nur für den eu-
Ansicht, hervorgebracht durch Ignoranz und ropäischen Raum Geltung hat. Weltweit kann
Leichtgläubigkeit, betrachtet wurde, wies Va- man dagegen eine neue Dimension der He-
nysacker darauf hin, dass auch das Zeitalter xenverfolgungen erkennen, die mit den eu-
der Aufklärung weit davon entfernt war, als ropäischen Verfolgungen der Frühen Neu-
frei von Hexereivorstellungen gelten zu kön- zeit nur bedingt etwas gemein hat, vielmehr
nen. Es leitete zwar das Ende der großen He- von der eigenen Geschichte und Kultur be-
xenverfolgungen und die Dekriminalisierung einflusst ist. So stellt sich nun die Frage, ob
der Hexerei ein (dies im größeren Zusammen- sich das Wort „Hexerei“ auf diese Phänome-
hang eines Wandels der juristischen Geistes- ne übertragen lässt und ob mit einem Wort
haltung), aber die aufgeklärten und gebilde- alle seine unterschiedlichen Bedeutungen ge-
ten Katholiken und Protestanten hatten nach fasst werden können. Um interkulturelle Ver-
wie vor mit dem Gedanken, dass die Exis- gleiche anstellen zu können, muss zunächst
tenz des Teufels auf göttliche Vorsehung zu- geklärt werden, was eine „Hexe“ im engeren
rückzuführen sei, zu kämpfen. Ein Dilemma, Sinn eigentlich ist. Für die weitere Handha-
das sich bis heute in unserer „supermoder- bung des Hexereibegriffs einigte man sich da-
nisierten“ europäischen Gesellschaft gehalten rauf, ihn als historischen Begriff zu verstehen,
hat. Obwohl der Glaube an Hexen mittlerwei- um dann mit dieser Definition einen interkul-
le weitgehend verschwunden zu sein scheint, turellen Vergleich anstellen zu können.

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Ein Tagungsband ist in Vorbereitung. Es ist
zu hoffen, dass dafür auch die drei Beiträge
zur Verfügung gestellt werden, die bedauerli-
cherweise ausfallen mussten: Über „den Weg
von den ‚weisen Frauen’ zu den Geburtshelfe-
rinnen: Hexenglaube und medizinisches Wis-
sen um Geburtswesen im Ungarn des 18. Jahr-
hunderts“ wollte Lilla Krász (Budapest) spre-
chen, Hubert Giger (Chur) über „die letzten
Hexenprozesse in Graubünden im 18. Jahr-
hundert“ und Walter Hauser (Zürich) über
„den Hexenprozess gegen Anna Göldi im Jahr
1782 in der Beurteilung der Zeitgenossen“.
Das Buch soll in der Reihe ‚Hexenfor-
schung’ erscheinen. Der bisher letzte Band
dieser Reihe (Bd. 9: „Dämonische Besessen-
heit. Zur Interpretation eines kulturhistori-
schen Phänomens“) wurde in Weingarten im
Rahmen eines festlichen Abends vorgestellt.
Anlass für die kleine Feier gab ein „Arbeits-
jubiläum“: 20 Jahre zuvor, im April 1985, war
von einer Akademietagung am selben Ort der
Impuls zur Gründung des Arbeitskreises In-
terdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) aus-
gegangen.

Tagungsbericht Späte Hexenprozesse.


29.09.2005 - 02.10.2005, Weingarten (Ober-
schwaben), in: H-Soz-Kult 14.08.2006.

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