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Vorwort 9
1 Einführung 13
1.1 Gang durch das Buch ............................................................................................... 15
1.2 Ergänzende Hinweise ............................................................................................... 16
4 Die Planungsphase 79
4.1 Festlegung der Fragestellung ....................................................................................79
4.1.1 Präzisierung der Fragestellung .................................................................................80
4.1.2 Offenheit der Fragestellung ......................................................................................80
4.1.3 Art der Fragestellung ................................................................................................81
4.1.4 Prozesshaftigkeit der Fragestellung ..........................................................................81
4.1.5 Einfachheit der Fragestellung ...................................................................................82
4.1.6 Zusammenfassung ....................................................................................................82
4.2 Festlegung der Interviewmethode .............................................................................83
4.2.1 Das Interview als qualitative Erhebungsmethode .....................................................84
4.2.2 Kriterien zur Auswahl der Interviewmethode ...........................................................88
4.2.3 Das narrative Interview ............................................................................................90
4.2.4 Das fokussierte Interview .........................................................................................95
4.2.5 Das problemzentrierte Interview ............................................................................101
4.2.6 Weitere Interviewmethoden ....................................................................................108
4.2.7 Zusammenfassung .................................................................................................. 112
4.3 Wahl der Stichprobe ................................................................................................ 114
4.3.1 Stichprobenziehungstechniken bei qualitativen Studien......................................... 116
4.3.2 Anforderungen an Interviewpartner........................................................................122
4.3.3 Wer nicht befragt werden sollte ..............................................................................123
4.3.4 Umfang der Stichprobe ...........................................................................................125
4.3.5 Zusammenfassung ..................................................................................................125
4.4 Erstellen des Interview-Leitfadens ..........................................................................128
4.4.1 Leitfadenkonstruktion und zentrale Prinzipien qualitativer Forschung ..................128
4.4.2 Aufbau des Leitfadens ............................................................................................132
4.4.3 Arten von Fragen ....................................................................................................138
4.4.4 Länge des Leitfadens und Leitfadenvarianten ........................................................142
4.4.5 Zusammenfassung ..................................................................................................145
6 Schlussbemerkung 217
zu Beginn der Studie deutlich, dass nur bestimmte Jugendliche Informationen zur Fragestel-
lung liefern können (bspw. lernschwache Jugendliche als Informanten für soziale Benachtei-
ligung), dann sollte dies in jedem Fall bei der Wahl der Interviewmethode berücksichtigt
werden. Ist die Zielstichprobe weniger stark spezifiziert (bspw. bei Fragen zum Sinn und
Zweck von Jugendkulturen für die jugendliche Entwicklung), so steht die Angemessenheit
der Methode für die Fragestellung im Vordergrund und Interviewpartner werden dann erst
vor dem Hintergrund der Anforderungen in der Interviewsituation gewählt.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Entscheidung für eine Interviewme-
thode vor dem Hintergrund folgender Fragen gefällt werden sollte:
• In welchem disziplinären Rahmen bewegt sich meine Studie?
• Welchen allgemeinen theoretischen Rahmen wähle ich als Ausgangspunkt?
• Welches Erkenntnisziel verfolge ich mit meiner Studie?
• Wie gut ist das Vorwissen zu meiner Fragestellung?
Die Anzahl der Interviews oder die Kombination verschiedener Methoden sollte von der
Frage geleitet sein:
• Wie viel Zeit und wie viel Personal steht für die Durchführung und Auswertung der
Interviews zur Verfügung?
Zum Teil leitend für die Wahl der Interviewtechnik sollte schließlich die Frage sein:
• Welche Personen können mir Informationen zu meiner Fragestellung liefern?
• Über welche kommunikativen Voraussetzungen verfügen mögliche Befragte?
Auf Fragen der Stichprobenwahl und den dabei notwendigen Arbeitsschritten wird im fol-
genden Kapitel ausführlich eingegangen.
Denn es ist denkbar – und sehr wahrscheinlich – dass gerade solche Personen nicht befragt
werden, die zu einem Erkenntnisgewinn beitragen könnten.
Auch wenn es qualitativer Forschung nicht um die Bestätigung von Hypothesen geht,18 sind
deren Befunde ebenso wie bei quantitativer Forschung von der Auswahl der befragten Per-
sonen abhängig. Bei quantitativen Studien würde man vom Problem der Repräsentativität
sprechen. Je weniger repräsentativ die Stichprobe für die Population ist, desto weniger zuläs-
sig sind generalisierende Aussagen, die über die Stichprobe hinaus Gültigkeit beanspruchen
können.
L
Bei qualitativer Forschung handelt es sich um das Problem der Varianzmaxi-
mierung (Erreichung maximaler Heterogenität der Aussagen, vgl. Patton,
1990). Je homogener die befragten Personen in relevanten Merkmalen oder
ihren Aussagen ausfallen, desto wahrscheinlicher ist, dass weitere, wichtige
Informationen nicht erhoben werden können.
Die Frage der Varianzmaximierung ist deshalb so bedeutsam bei qualitativen Studien, weil
erstens ihre Stärke gerade in der Entdeckung vorab nicht bedachter Aspekte liegt und zwei-
tens weil es um die Identifikation von typischen Fällen geht. Typische Fälle zu finden heißt,
eine oder mehrere Personen zu ermitteln, die typisch für eine bestimmte Form von Bedeu-
tungszuschreibungen oder Handlungsbegründungen etc. sind. Je größer die Varianz der be-
fragten Personen, desto wahrscheinlicher ist, dass die Typisierung (möglichst) umfassend
gelingt.
Diese Überlegungen führen zu dem Schluss, dass nicht relevant ist, wie viele Personen in
qualitativen Interviewstudien befragt werden, sondern wer befragt wird. Obwohl in diversen
Lehrbüchern zu qualitativer Forschung keine oder wenig Informationen zur Stichprobenaus-
wahl geliefert werden (allerdings: Merkens, 2000, 2003) ist sie bei qualitativen Studien be-
sonders wichtig für die Einordnung der Befunde hinsichtlich des Kriteriums des Erkenntnis-
gewinns.
In diesem Kapitel wird zunächst ein Überblick über verschiedene Stichprobenziehungstech-
niken für qualitative Interviewstudien gegeben (Kap. 4.3.1). Es wird nach einer deduktiven
(Theorie geleiteten) und induktiven (am Interviewmaterial orientierten) Vorgehensweise
unterschieden und verschiedene Varianten des Feldzugangs (Schneeball-Prinzip, Gatekeeper,
Selbstaktivierung, Profil-Sampling) hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile dargestellt. Hieran
schließen sich Ausführungen zu den Anforderungen an, die sich Befragte in einer qualitati-
ven Interviewstudie gegenüber sehen und die Einfluss auf ihre Motivation zur Teilnahme
besitzen werden (Kap. 4.3.2). Ferner werden Überlegungen darüber angestellt, wer in einer
Interviewstudie nicht befragt werden sollte (Kap. 4.3.3).
18
Verschiedene Autoren merken an, dass in qualitativer Forschung die sog. „Es gibt…“-Hypothesen
bestätigt oder widerlegt werden können. Dies ist zwar mit qualitativen Methoden möglich, stellt aber
erstens eine Einengung der Möglichkeiten qualitativer Ansätze dar und ist zweitens nicht genuin ein
qualitativer Vorzug. Im Gegenteil können durch quantitative Studien viel eher auch Randphänomene
entdeckt werden, weil die Zahl der befragten Personen ungleich größer ist als in qualitativen Studien. Ob
es Personen gibt, die dieses Buch auch als Tischbein-Ausgleich nehmen würden, ist eher durch eine breit
angelegte Befragung möglich als durch die Auswahl weniger Personen. Ich gehe aber davon aus, dass es
niemanden geben wird, der zu dieser Untat fähig ist…
116 4 Die Planungsphase
Geschlecht und die Schulform relevant, sind bspw. sechs Zellen (Hauptschülerin, Hauptschü-
ler, Realschülerin, Realschüler, Gymnasiastin, Gymnasiast) zu besetzen, also mindestens
sechs Jugendliche zu befragen. Kommt als weiteres Kriterium noch der Wohnort Stadt/Land
hinzu, erhöht sich die Zahl bereits auf ein Minimum von 12 Interviews. Da aber nicht jedes
Interview das Maximum möglicher Informationen liefern wird, sollten aus Sicherheitsgrün-
den pro Zelle mindestens zwei Interviews angesetzt werden, was dann bereits zu 24 Inter-
views führen würde. Mehr als drei Kriterien sind demnach nur noch schwer umsetzbar. Bei
Abschlussarbeiten sind solche Stichprobenziehungstechniken mit mehr als zwei Kriterien aus
Ressourcengründen problematisch.
Die Nachteile einer deduktiven Stichprobenziehung können durch deren flexible Handhabe
gemindert werden. Stellt sich bspw. im Verlauf der Interviews heraus, dass andere als die
vorab festgelegten Kriterien relevant für die Fragestellung sind, kann der Stichprobenplan
abgeändert und der neuen Informationslage angepasst werden. Die deduktive wurde um eine
induktive Vorgehensweise ergänzt.
Vorteile. Ein Grund, warum die meisten qualitativen Studien das Verfahren der induktiven
Stichprobenziehung verwenden, liegt in der großen Offenheit des Forschungsvorgehens und
der geringen Notwendigkeit von Vorwissen. Es werden nicht bereits vor Beginn der Erhe-
bung bestimmte Fälle ausgeschlossen sondern erhaltene Informationen zu einer immer neuen
Variation der Stichprobe und damit des Erkenntnishorizonts genutzt. Jede neue, nicht antizi-
pierte Information kann damit potenziell Eingang in die Studie finden und auf explorative
Weise das bestehende Wissen zu einem Forschungsthema erweitern. Die Nicht-Angewiesen-
heit auf Kriterien erlaubt es ferner, nicht auf die Besetzung einzelner Zellen der Stichprobe
achten zu müssen. Dies erleichtert die rasche Akquisition von Interviewpartnern.
Nachteile. Der bedeutende Nachteil dieses Samplings liegt in ihrem pyramidenförmigen
Aufbau. Die Informationen einzelner Befragter werden für die Auswahl weiterer Interview-
partner genutzt. Dies bedeutet, wenn der Skateboarder und auch andere Jugendliche bspw.
die Sprayer-Subkultur nicht erwähnen, dass auch keine Jugendlichen dieser Szene in das
Design aufgenommen werden. Diese illegal operierende Szene könnte aber gerade einen
wichtigen, weil typischen Fall für illegale jugendliche Subkulturen darstellen. Auch der
Zeitpunkt, wann Informationen einen erschöpfend breiten Rahmen erreicht haben, ist schwer
feststellbar. Nur weil weitere Jugendliche keine neuen Informationen liefern, heißt dies nicht,
dass der Rahmen nicht doch weiter gefasst werden müsste, um dem Forschungsgegenstand
gerecht zu werden. Der Begriff des „selective samplings“ (Schatzmann & Strauss 1973: 38f.)
trifft dieses Problem pointiert. Vorherige Fälle führen zur selektiven Auswahl weiterer Fälle.
Auch bei der induktiven Vorgehensweise lassen sich die Nachteile durch Einbezug dedukti-
ver Techniken tendenziell ausgleichen. Das intensive Studium bestehender Forschung kann
helfen, potenzielle Fälle abzuleiten, die über das bisher Gesagte hinaus solche Interviewpart-
ner in den Blick nehmen, die den Informationshorizont erweitern können. Eine weitere Mög-
lichkeit besteht darin, „Gatekeeper“ zu finden, die aus eigener Erfahrung mit dem For-
schungsfeld vertraut sind, und deren Informationen die Breite der Stichprobe erhöhen können.
Gatekeeper buchstäblich die Tür zum sozialen Feld und fungieren als eine Art Reiseleiter. In
dieser Rolle werden Gatekeeper zumeist bei induktiven Stichprobenziehungstechniken ge-
nutzt. Sie stellen Kontakte zu betreffenden Jugendlichen her und wählen weitere Interview-
partner auf der Basis dessen aus, was der Forschende aus vorherigen Interviews „gelernt“
hat. Aber auch bei induktiver Vorgehensweise empfiehlt es sich, sich nicht nur auf einen
Gatekeeper zu konzentrieren, sondern bspw. zwei oder mehrere Sozialarbeiter aus verschie-
denen Jugendzentren als Türöffner zu nutzen.
Vorteile. In der Praxis Tätige verfügen durch ihre Alltagserfahrung über Wissen, welches
Forschende in der Regel nicht besitzen. Hierdurch stellen sie eine bedeutsame Basis für den
Zugang zum Feld dar, dessen Eigenheiten und Probleme sich nur aus der Innensicht er-
schließen lassen. Gerade Sozialarbeiter und -pädagogen kennen „ihre“ Jugendlichen, deren
Cliquenstrukturen, Kommunikationsmuster und szenischen Elemente sehr gut. Dieses Wis-
sen hilft dem Forschenden in besonderer Weise, sein Untersuchungsfeld besser zu verstehen.
Ferner kann der Gatekeeper durch sein Wissen über die Jugendlichen, mit denen er arbeitet,
besser jene Jugendlichen auswählen, die für die Studie Varianzmaximierung erwarten lassen
bzw. eine Typik bestätigen können. Schließlich liegt ein Vorteil des Zugangs über Gatekee-
per darin, dass diese zumeist das Vertrauen der Jugendlichen genießen und deshalb als eine
Art „Garant“ dafür fungieren können, dass das Interview nicht zum Nachteil der Jugendli-
chen genutzt wird. Dieser durch den Gatekeeper ermöglichte Vertrauensvorschuss gegenüber
dem Interview kann in der Interviewsituation selbst helfen, eine offene Atmosphäre herzu-
stellen.
Nachteile. Ein Problem beim Zugang zum Feld über Gatekeeper ist, dass sie nicht nur das
Feld öffnen, sondern dieses auch selektieren. Es sind die Auswahlkriterien des Gatekeepers,
die den Zugang ermöglichen, ohne dass der Forschende diese Kriterien hinterfragen kann
(weil er sie nicht zwingend kennt). So kann ein Sozialarbeiter in einem Jugendzentrum einen
Jugendlichen als für ein Interview ungeeignet einstufen, weil dieser in der Gruppe zu schüch-
tern ist. Im Einzelgespräch könnte dieser Jugendliche dennoch sehr auskunftsfreudig sein.
Der Forschende ist auf die Selektion des Gatekeepers angewiesen. Ein zweiter Nachteil von
Gatekeepern kann darin liegen, dass sie ein Interesse an einem möglichst positiven Bild
„ihrer“ Jugendlichen haben und deshalb nur bestimmte Personen für ein Interview vorschla-
gen. In einem Fall nutzte ein Gatekeeper in unserer Studie das Interview als eine Art erziehe-
rische Maßnahme, um einen ewigen „Störenfried“ wenigstens für eine Stunde aus der
Gruppe herauszunehmen und ihn gleichzeitig zu einem „vernünftigen Gespräch, indem er
mal über sich nachdenkt“, zu bewegen. Solche Interviews sind nicht prinzipiell weniger
informativ, weisen aber noch am ehesten störende Randbedingungen auf (hier insbesondere
der Zwang). Die Nachteile dieser Variante lassen sich damit zusammenfassen, dass Gatekee-
per den Zugang zum Feld ermöglichen, aber nicht nur nach den Kriterien des Forschenden,
sondern auch nach eigenen Vorstellungen.
hängen wird dann um die Teilnahme an der Studie gebeten, kurz über die Studie informiert
und ein Ansprechpartner angegeben (vgl. ausführlich Kap. 5.1). Da Selbstaktivierung zu-
meist einen finanziellen Anreiz benötigt, wird eine Aufwandsentschädigung angekündigt
(und natürlich auch gezahlt). Ein solcher Aushang kann entweder willkürlich – etwa jedes
Jugendzentrum der Stadt – oder gezielt erfolgen. Bestehen bspw. Annahmen darüber, dass
sozial benachteiligte Jugendliche in bestimmten Jugendzentren anzutreffen sind, so werden
Aushänge primär an solchen Orten angebracht. Oder Flyer werden an solchen Schulen ver-
teilt, mit denen bestimmte Erwartungen bezüglich der Zusammensetzung der Schülerschaft
verbunden sind. Durch das gezielte Verteilen von Flyern oder Aushängen wird zwar der
Kreis möglicher Befragter vorab eingeengt, aber dennoch ist die Studie auf die Selbstaktivie-
rung der Jugendlichen angewiesen.
Vorteile. Der besondere Vorteil dieser Variante liegt darin, dass niemand zur Teilnahme an
der Studie gezwungen wird; es sei denn, die Handy-Rechnung ist so hoch, dass man das Geld
dringend benötigt. Die Jugendlichen entscheiden von sich aus, ob sie an dem Interview teil-
nehmen möchten. Fällt diese Entscheidung positiv aus, ist die Motivation der Befragten in
Schnitt höher als bei solchen, die explizit zur Teilnahme aufgefordert werden und aus unter-
schiedlichen Gründen trotz geringer Motivation einwilligen. Diese höhere Motivation lässt
einen flüssigeren und informativeren Gesprächsverlauf erwarten.
Nachteile. Durch die Selbstaktivierung treten gleichzeitig Prozesse der Selektion auf. Ähn-
lich wie bei Rückläufen von postalischen Befragungen werden nur bestimmte Jugendliche
ihre Bereitschaft erklären. Denn die Hürden sind hoch. Erstens muss hierfür Zeit investiert
werden, zweitens muss der Jugendliche von sich aus Kontakt mit einer ihm fremden Person
aufnehmen und drittens werden primär Jugendliche mit dem Selbstvertrauen, die unge-
wohnte Situation meistern zu können, ihre Bereitschaft zur Teilnahme bekunden (vgl. hierzu
ausführlicher Kap. 4.3.2). Aber selbst nach der Kontaktaufnahme kommt es zu weiteren
Selektionseffekte. So erscheinen nicht alle Jugendlichen, mit denen ein Termin vereinbart
wurde, ohne dass der Grund des Ausfalls identifizierbar wäre. Wird eine Aufwandsentschä-
digung angeboten (in der Regel zwischen € 10 und € 20), zieht dies zuweilen auch solche
Jugendliche an, die zwar kein Interesse am Interview, wohl aber am Geld haben. Diese wol-
len das Gespräch möglichst rasch abhaken und das Geld einstreichen. Das ist zwar verständ-
lich, aber wenig ertragreich für die Studie.19 Ein Verzicht auf eine Aufwandsentschädigung
kann diesen Bias verhindern helfen, führt aber nach eigener Erfahrung zu nur sehr spärlichen
Kontaktaufnahmen seitens der Jugendlichen.
Insgesamt bringt die Selbstaktivierung den Nachteil der Selektivität mit sich. Werden jedoch
die ersten Interviewpartner auf diese Weise gewonnen, können die erhaltenen Informationen
dazu genutzt werden, über Gatekeeper weitere Jugendliche gezielt auszuwählen.
19
Ein Jugendlicher hat in der Typen-Studie das Gespräch mit der Frage eröffnet, wie lange er hier sitzen
müsse, um das Geld zu bekommen. Zwar kann man hier pädagogisch tätig werden und den Jugendlichen
zur Geduld erziehen, das Interview selbst wird aber unter solchen Bedingungen nicht sehr ertragreich
sein.
4.3 Wahl der Stichprobe 121
Frage käme. So könnte das erste Interview mit einem Jugendlichen begonnen werden, der
sich selbst auf einen Aushang hin gemeldet hat. Dieser Jugendliche könnte dann am Ende
des Interviews gebeten werden, Gleichaltrige zu nennen, die seiner Meinung nach ebenfalls
etwas zum Thema sagen können. Die Befragten würden dann Freunde oder Bekannte nen-
nen, von denen sie glauben, dass sie etwas zur Fragestellung der Studie beisteuern könnten
oder würden. Diese Vorgehensweise orientiert sich dann nicht an der Maximierung von Va-
rianz oder der Bestätigung bestehender Typen, sondern an den Netzwerken der Jugendlichen.
Aufgrund der noch zu skizzierenden Vor- und Nachteile ergibt sich, dass diese Methode vor
allem dann Anwendung finden sollte, wenn es um die Betrachtung eines Netzwerkes geht
(bspw. Freundschaftswahrnehmungen, Cliquen-Strukturen, Gruppen-Rivalitäten etc.). In
einigen Fällen wurde diese Technik in der Typen-Studie angewandt (vgl. Kap. 3.2.1), um den
gleichen Sachverhalt von unterschiedlichen Mitgliedern einer Clique beleuchten zu lassen.
Vorteile. Durch diese Technik lassen sich ohne großen Aufwand Stichproben zusammenstel-
len, da die vorher befragten Jugendlichen als eine Art Gatekeeper fungieren und ihre (hof-
fentlich) positiven Erfahrungen an ihre Freunde weiter tragen. Dies erhöht zumeist die Moti-
vation der Freunde zur Teilnahme. Ist das Ziel die Betrachtung eines Netzwerks, ist dieses
Netzwerk durch die Schneeball-Technik sehr leicht erschließbar.
Nachteile. Da Jugendliche sich in der Regel in Gleichaltrigen-Gruppen befinden, die eine
hohe Aktivitäts- und Einstellungshomogenität aufweisen, ist die Schneeball-Technik nicht
zur Maximierung von Varianz geeignet. Allein durch dieses Verfahren zusammengestellte
Stichproben sind mit höherer Wahrscheinlichkeit homogen als auf andere Art gewonnene
Samples. Hinzu kommt das Problem, dass die Jugendlichen sich untereinander über das
Gespräch informieren werden und auf diese Weise zur zusätzlichen Homogenisierung des
Erzählten beitragen werden.
Geht es, wie erwähnt, um die Untersuchung von Netzwerken, ist die Schneeball-Methode das
Verfahren erster Wahl. Ansonsten empfiehlt es sich, diese Variante mit anderen Techniken
zu kombinieren, um keine selektiven Befunde durch hohe Homogenität der Aussagen zu
erhalten.
4.3.1.6 Profil-Sampling
Schließlich ist eine Möglichkeit, eine Stichprobe für eine qualitative Interviewstudie zu gewin-
nen, das Profil-Sampling. Bei dieser Technik liegen bereits Informationen über eine Reihe von
Jugendlichen vor, aus denen dann jene ausgewählt werden, von denen vielfältige Informatio-
nen erwartbar sind. In der Regel findet das Profil-Sampling im Anschluss an eine quantita-
tive Studie statt. So wurde in der Studie zu interethnischen Freundschaften (vgl. Kap. 3.2.4)
zunächst eine quantitative Fragebogenstudie durchgeführt, bei der die Nationalität des
Freundes und die Qualität der Freundschaft erhoben wurde. Diese quantitativen Profile wur-
den dazu genutzt, Jugendliche mit interethnischer Freundschaft zu identifizieren, die einer-
seits eine hohe und andererseits eine geringe Freundschaftsqualität berichteten. Hierdurch
war es möglich, die Auswirkungen interethnischer Freundschaften auf ethnische Vorurteile
in Abhängigkeit der Freundschaftsqualität detaillierter zu erfassen. Die qualitativen Daten
wurden zu einem vertieften Verständnis der quantitativ aufgefundenen Zusammenhänge
genutzt.
Das Profil-Sampling ist notwendigerweise in ein umfassenderes Forschungsprogramm ein-
gebunden, bei dem bereits Profile der in Frage kommenden Stichprobe vorliegen. Hierzu
122 4 Die Planungsphase
sprechen, kann es sein, dass der Interviewort nicht der gewohnten Umgebung ent-
spricht. Gerade bei jüngeren Jugendlichen, die nie oder selten in Cafés gehen, stellt
auch ein von ihnen vorgeschlagenes Café eine eher ungewohnte Umgebung dar.
• Interviewte müssen eventuelle Unsicherheiten ertragen. Die erste Kontaktaufnahme
zwischen Interviewer und Interviewtem kann durch Unsicherheiten gekennzeichnet
sein, weil der Jugendliche nicht weiß, wie er der fremden (u.U. als Autorität angesehe-
nen) Person begegnen soll. Unsicherheiten entstehen ferner aus der zwar alltagsnahen,
aber dennoch ungewohnten Frage-Antwort-Gesprächssituation. Zuweilen stehen Ju-
gendliche zu Beginn des Interviews vor dem Problem, dass sie keine „falschen“ Ant-
worten geben wollen oder ihnen unangenehm ist, keine Antwort geben zu können (vgl.
ausführlich Kap. 5.3.4).
• Befragte müssen dem Interviewer Vertrauen ohne vorherigen Beziehungsaufbau schen-
ken. Je nach Fragestellung der Studie wird von Jugendliche verlangt, zu intimen, per-
sönlichen oder heiklen Themen Auskunft zu geben, ohne dass die Jugendlichen sicher
sein können, dass ihre Antworten tatsächlich vertraulich behandelt werden.
Neben diesen, die Motivation hemmenden Faktoren gibt es eine Reihe weiterer Anforderun-
gen, denen Interviewpartner sich ausgesetzt sehen, um sich in der Interviewsituation als
souveräner Gesprächspartner zu erleben. Morse (2011) benennt drei solcher Faktoren:
• Die befragten Personen müssen über das notwendige Wissen und/oder die Erfahrung
verfügen, die der Interviewer erfragt. Gerade bei Interviews zum Eltern-Kind-Verhältnis
erleben es vor allem solche Jugendliche häufig als unangenehm, hierzu nichts beitragen
zu können, die keine Eltern oder keinen Kontakt zu diesen haben.
• Interviewpartner müssen über die Fähigkeit zur Reflektion über eigene Erfahrungen,
Handlungs- und Denkweisen verfügen. „Warum“-Fragen, die zentral bei der Erfassung
subjektiver Bedeutungszuschreibungen sind, erfordern von Jugendlichen die Fähigkeit,
von ihren Erlebnissen etc. zu abstrahieren und hierüber Metakognitionen zu entwickeln.
• Befragte müssen in der Lage sein, sich zu artikulieren. Jugendlichen, denen es schwer
fällt, sich in freier Rede auszudrücken, erleben Interviews als frustrierend, weil sie ers-
tens mit einem Interviewer konfrontiert sind, der über eine elaboriertere Ausdrucks-
weise verfügt. Zweitens kann das Problem auftauchen, dass sich solche Jugendliche
nicht verstanden fühlen und Blockaden aufbauen.
Insbesondere bei Stichprobenziehungstechniken, die auf die Selbstaktivierung von Jugendli-
chen setzen, entsteht das Problem einer selektiven Stichprobe. Jugendliche mit wenig Zeit,
geringem Vertrauen, hohen Unsicherheitserwartungen sowie Artikulations- und Reflektions-
unsicherheiten weisen eine geringe Wahrscheinlichkeit auf, sich freiwillig für eine Interview-
teilnahme zu melden. Zuweilen und je nach Fragestellung der Studie können es aber gerade
diese Jugendlichen sein, die die bereits erwähnte Varianz von Aussagen maximieren können,
also relevante Extreme darstellen.
von Personen übrig, aber die Eingrenzung ist notwendig, um die Verzerrung von Aussagen
möglichst zu vermeiden.
Zunächst einmal sollte – trivialerweise – niemand in die Stichprobe aufgenommen werden,
der keine Informationen zur Fragestellung der Studie liefern kann. So macht es bei einer
Jugendstudie selbstverständlich keinen Sinn, Kinder oder Senioren zu befragen; es sei denn,
Zukunftsvorstellungen von Kindern und Vergangenheitserleben von Senioren stehen im
Mittelpunkt der Untersuchung. Bei jeder Studie ist vorab eingrenzbar, welche Personen-
gruppe auf keinen Fall in Betracht kommt. Auch wenn es selbstverständlich klingt, ist es zur
Spezifikation der Zielstichprobe – entweder vorab oder im Verlauf der Erhebung – sinnvoll,
unpassende Fälle auszuschließen und auf diese Weise mehr Klarheit über die in den Blick zu
nehmenden Personengruppen zu erhalten. Ich nenne dies das „Sherlock Holmes“-Prinzip:
Bei Ausschluss aller unlogischen Möglichkeiten muss notwendigerweise die logische Va-
riante, auch wenn sie noch so unsinnig erscheint, übrig bleiben. Will heißen: wenn ich mich
für rechtsextreme Jugendkulturen interessiere, führt der Ausschluss aller anderen Szenen
unweigerlich zu der spezifisch interessierenden, selbst wenn es unmöglich erscheint, solche
Jugendliche zu erreichen.
Zweitens gilt für jedwede Form der Befragung, dass niemand interviewt werden sollte, der
nicht freiwillig an der Studie teilnehmen möchte. Zwar kann der „Freiwilligkeit“ durch fi-
nanzielle Anreize nachgeholfen werden. Besteht aber grundsätzlich keine Bereitschaft zur
Teilnahme, ist ein Zwang nicht nur aus ethischen abzulehnen, sondern auch aus ganz prag-
matischen Gründen. Solche Interviews werden nicht zu einem befriedigenden Ergebnis füh-
ren und die Interviewsituation selbst wird reichlich unbehaglich ausfallen. Lässt sich ein
solcher Zwang nicht vermeiden – da vom Forscher ungewollt –, weil bspw. ein Gatekeeper
einem Jugendlichen bei Nicht-Teilnahme Sanktionen androht oder Lehrer auf der Teilnahme
bestehen, dann sollten diese Interviews so kurz wie irgendmöglich gehalten werden. Sollte
der Jugendliche wider Erwarten dennoch Gefallen an dem Interview finden, ist die Bedin-
gung der Freiwilligkeit wieder gegeben.
Drittens ist es nicht empfehlenswert, Freunde, Bekannte oder Verwandte mittels Interview zu
befragen. Auch wenn es bei Abschlussarbeiten aus Gründen der Forschungsökonomie reiz-
voll ist, die eigene Schwester oder den Cousin zu interviewen, tut man sich damit keinen
Gefallen. Diese Beziehungen sind voraussichtlich durch eine gemeinsame Vergangenheit
„belastet“ und werden auch in der Zukunft fortdauern. Dadurch entsteht eine wenig offene
kommunikative Atmosphäre, weil Gesagtes in späteren Interaktionen eine Rolle spielen wird
und früher gemeinsam Erlebtes die Kommunikation begrenzen werden. Die Offenheit der
Gesprächssituation ist dadurch eingeschränkt. Auch Freunde von Geschwistern oder Be-
kannte von Arbeitskollegen, also Personen entfernterer Bekanntschaft, kommen nicht in
Frage, da die Situation durch den Gedanken des Interviewten belastet sein wird, dass das im
Interview Gesagte an gemeinsame Bekannte weiter gegeben wird. Und bei Lebenspartnern
ist es wie mit dem „Therapy“-Gesellschaftsspiel: es gibt Dinge, die will man besser nicht
wissen. Freunde oder Bekannte können aber durchaus für das Üben des Interviews und für
eine Art Pretest des Interview-Leitfadens genutzt werden. Hier ist dann allerdings explizit
deutlich zu machen, dass Bekannte eine Art technische Unterstützung geben und das Gesagte
selbst völlig irrelevant ist.
Insgesamt sollten also in Interviews nicht Personen befragt werden, bei denen wenig rele-
vante Informationen erwartbar sind, die zum Interview gezwungen werden oder sich ge-
4.3 Wahl der Stichprobe 125
zwungen fühlen und zu denen eine über das Interview hinaus andauernde soziale Beziehung
besteht.
4.3.5 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden Überlegungen zur Stichprobenwahl bei qualitativen Interviews
angestellt. Stichproben bei qualitativen Studien dienen nicht dazu, generalisierende Aussagen
zu treffen oder Hypothesen zu prüfen, sondern eine möglichst große Bandbreite an verschie-
denen Personen in das Design aufzunehmen und gleichzeitig Informationstiefe herzustellen.
Vergleichende qualitative Studien haben in der Regel die Identifikation von Typen oder
typischen Mustern zum Ziel und benötigen deshalb eine maximale Varianz, um diese Typen
möglichst umfassend erfassen und beschreiben zu können. Für die Akquisition von Inter-
viewpartnern stehen verschiedene Techniken zur Verfügung (vgl. Abbildung 9):
• Bei der deduktiven Vorgehensweise werden vorab Kriterien festgelegt, die sich aus dem
(theoretischen) Vorwissen der Forschenden ergeben. Anhand dieser Kriterien wird ein
Stichprobenplan erstellt und anschließend zu Befragende gewählt. Diese werden bei
einer rein deduktiven Vorgehensweise interviewt, ohne dass die Interviews selbst
Rückwirkungen auf den Stichprobenplan besitzen.
• Die induktive Variante geht demgegenüber von geringem Vorwissen aus. Die ersten
Interviews werden dazu genutzt, Kriterien für weitere, relevante Fälle zu generieren, die
dann in die Stichprobe einbezogen werden. Die ausgewählten Befragten werden inter-
viewt und die neu hinzu gewonnenen Informationen zur Präzisierung oder Veränderung
der Kriterien der Befragtenauswahl verwendet. Das Wissen über die geeignete Stich-
probe entsteht also im Forschungsprozess selbst.
• Bei der Gatekeeper-Variante werden Personen als Ausgangspunkt genutzt, die durch
ihre Tätigkeit und Erfahrung im interessierenden sozialen Feld in der Lage sind, Inter-
viewpartner für den Forschenden zu identifizieren. Auch können Gatekeeper als Exper-
ten angefragt werden, wenn es um die Erarbeitung von Kriterien für die Stichproben-
wahl geht. Die von den Gatekeepern erhaltenen Kriterien und/oder Personenvorschläge
werden für die Befragtenauswahl genutzt und die Interviews durchgeführt. Das in den
126 4 Die Planungsphase
Interviews erhaltene Wissen dient dazu, sich weitere Vorschläge für Interviewpartner
von den Gatekeepern unterbreiten zu lassen oder den Kriterienkatalog zu verändern.
• Bei der Stichprobenziehung durch Selbstaktivierung wird auf die Eigeninitiative mögli-
cher Befragter gesetzt. Durch Aushänge etc. wird auf die Studie aufmerksam gemacht
und um Teilnahme gebeten. Befragte kontaktieren von sich aus die Forschenden und
finden durch diese Eigeninitiative Eingang in die Stichprobe.
• Das Schneeball-Prinzip eignet sich besonders zur Erfassung sozialer Netzwerke. Die
ersten Interviews werden genutzt, um sich weitere Personen aus dem Bekanntenkreis
des Interviewten nennen zu lassen, die ebenfalls zur Fragestellung der Studie Informa-
tionen liefern können. Auf der Basis dieser Hinweise wird dann die Stichprobe sukzes-
sive erweitert.
• Ein bereits gutes Vorwissen über die zu Befragenden erfordert das Profil-Sampling.
Interviewpartner werden auf der Basis bereits vorhandener, personenbezogener Profile
identifiziert und in die Stichprobe aufgenommen. Auch bei dieser Variante werden
vorab Befragte ausgewählt ohne dass die Interviews zu einer Veränderung des Stich-
probenplans beitragen.
Jede dieser Stichprobenziehungstechniken weist eine Reihe von Vor- und Nachteilen auf, die
eine Kombination der Verfahren sinnvoll machen. So können Selbstaktivierungs- und Gate-
keeper-Techniken miteinander verknüpft werden oder induktives und deduktives Vorgehen
im Wechsel eingesetzt werden. Bei Interviews nach dem Schneeball-Prinzip können Profile
des Bekanntenkreises des Befragten erstellt und für die selektive Auswahl weiterer Personen
genutzt werden. Welche Variante sich für die jeweilige Studie anbietet, hängt von verschie-
denen Faktoren ab, die abschließend als kleine Hilfestellung zusammengetragen werden:
• Je geringer das Vorwissen ist, desto eher empfiehlt sich eine induktive Vorgehensweise.
Informationen aus den Interviews werden genutzt, das eigene Vorwissen zu präzisieren
und weitere, relevante Fälle zu identifizieren.
• Je geringer das Vorwissen ist, desto eher empfehlen sich Gatekeeper als Zugang zum
Feld. Die Befragung von Gatekeepern zum Thema oder die Rekrutierung von Inter-
viewpartnern durch die Gatekeeper ermöglicht es, eigenes, fehlendes Wissen durch je-
nes der Gatekeeper zu ergänzen.
• Je offener die Fragestellung ist, desto eher empfehlen sich induktive Vorgehensweisen.
Da hier die Festlegung auf eine Stichprobe wegfällt, ist hier die Offenheit für nicht be-
dachte Aspekte der Fragestellung auch durch die Offenheit der Wahl von Interviewpart-
ner gegeben.
• Je schlechter der Zugang zum sozialen Feld (bspw. Randgruppen) ist, desto eher emp-
fehlen sich Gatekeeper, die diesen Zugang ermöglichen. Ihr Wissen um die spezielle
Zielgruppe und ihr häufiger Kontakt zu dieser erleichtern es, die Motivation zur Teil-
nahme zu erhöhen.
• Je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen und je besser das Vorwissen ist, desto eher
empfiehlt sich die vorherige Erstellung von Profilen möglicher Befragter. Diese Profile
helfen, einzelne Fälle gezielter auszuwählen und bei deren Wegfall alternative, ähnlich
profilierte Fälle einzubeziehen.
4.3 Wahl der Stichprobe 127
• Je weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, desto weniger empfehlen sich deduktive
Herangehensweisen mit vielen Kriterien zur Fallauswahl. Mit jedem Kriterium steigt
die Anzahl zu erhebender Interviews und belastet somit die Ressourcen des Projekts.
• Je weniger Zeit für die aktive und gezielte Suche nach Interviewpartner zur Verfügung
steht, desto eher empfiehlt sich die Stichprobenakquise durch Selbstaktivierung. Personen
müssen auf diese Weise nicht gefunden werden, der Forschende selbst wird gefunden.
Diese groben Entscheidungshilfen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch
eine für die eigene Studie optimale Stichprobenziehungstechnik Nachteile mit sich bringt.
Diese Nachteile sollten bei der Wahl einer Technik bewusst wahrgenommen, die Entstehung
der Stichprobe nachvollziehbar dokumentiert und die Nachteile bei der Auswertung der
Daten berücksichtigt und offen gelegt werden.
Von den Strategien, die in eigenen qualitativen Studien angewendet wurden, hat sich jene
des Profil-Samplings als sehr effizient bei der Identifikation interessierender Fälle erwiesen.
Die Stichprobe konnte relativ zügig und zielorientiert zusammengestellt werden. Gleichwohl
bleiben auch hier Nachteile zu bedenken und diese Vorgehensweise ist ressourcenaufwändig.
Für Abschlussarbeiten kommt sie eher nicht in Betracht.
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