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Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

Die Zukunft des Stationären Handels


… auf dem Weg zu Identitäts-Orten

Ich war neulich auf einer großartigen Veranstaltung zu Gast. Die Awards für den „Supermarkt des Jahres“ wurden
verliehen. Tolle Preisträger! Tolles Event! Mein Job war es wieder einmal, die Keynote zur „Zukunft des Stationären
Handels“ zu halten. Ein Heimspiel, schließlich haben wir Zukunftsforscher dutzende Studien und Analysen zum
Wandel im Handel, zur Zukunft der verlassenen Innenstädte und den Kundensegmenten der Digital-Ära gemacht.
Und doch war ich verblüfft: Denn alle Nominierten für den Supermarkt-Award verfolgen bereits einen Weg, den wir
Zukunfts-Berater als Strategie für die Zukunft empfehlen. Allerdings wissen sie offenbar nichts davon. Denn sie
beschreiben ihre eigene Strategie mit irreführenden Attributen: Öko-Bio-Nachhaltigkeit und Erlebnisshopping. Doch
das was sie tun ist: Identitätsmanagement. Der stationäre Handel wandelt sich zum Identitätsort. Lesen Sie selbst …

Das Missverständnis im stationären Schon seit Jahren verschwindet der


Handel lässt sich mit einem kurzen Blick Standardbereich, jenes Segment in dem
auf die Grafik auf der kommenden Seite die meisten der Supermärkte und statio-
aufklären. nären Händler schon immer ihr Geschäft
gemacht haben. Dies ist das, was die
Die klassische Supermarkt-Denke Branche seit Jahren spürt: Schrump-
Sven Gábor Jánszky (46) ist Chairman kommt aus einer Zeit, als es noch Kun- fende Umsätze, Verluste an den Online-
des größten Zukunftsinstituts Europas, denpyramiden gab. Sie erinnern sich? handel.
des „2b AHEAD ThinkTank“. Auf seine Unten ein breites Segment: Die Discoun-
Einladung treffen sich seit 18 Jahren ter! Oben eine kleine Spitze: Das Pre- Neu ist das nicht, nur die verbreiteten
CEOs und Innovationschefs der Wirt- mium-Segment! Und dazwischen der rie- Erklärungen und Lösungsansätze sind
schaft und entwerfen Zukunfts-Szenarien sige Standardbereich. Diese Pyramide immernoch falsch.
und Strategieempfehlungen für die kom- gibt es nicht mehr.
menden zehn Jahre.

Seine Trendbücher „2030“, „2025“ und


„2020“ werden von Unternehmen als Premiu Premium
m
Szenario für Zukunftsstrategien genutzt.
Sein Buch „Rulebreaker“ ist eine Anlei-
tung zur Eroberung neuer Märkte durch
bewusste Regelbrüche. Jánszky coacht
Top-Manager, gibt Unternehmen ihre Standard
Standard
Zukunftsbilder, berät Vorstände zu Zu-
kunfts- und Digitalstrategien, entwickelt
datengetriebene Geschäftsmodelle und
ist gefragter Keynotespeaker auf Strate-
gietagungen in Deutschland und Europa. Economy Economy

Kundenpyramide bis 2010 Kundenpyramide heute


Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

Denn wer behauptet, die gesamte alte Tipp: Schauen Sie sich die letzten Vor- Schauen Sie bitte nochmals auf die un-
Pyramide folge nun dem Trend zu öko, träge von Elon Musk zur Zukunft von tenstehende „Nicht-mehr-Pyramide“
bio, vegan und Erlebnis-Shopping, der Selbstfahrenden Autos und Robotaxis Dies ist Ihre Kundenstuktur in der Zu-
hat den grundlegenden Wandel der Kun- auf YouTube an. Der prognostiziert die kunft. Über dem Economy-Segment gibt
densegmente nicht beachtet: Gesamtkosten für einen gefahrenen Ki- es einen großen Premium-Bereich.
lometer eines Robotaxis auf etwa 0,10
Es gibt keine Kundenpyramide mehr, EUR. Ab dem Jahr 2020. Und da ist In diesen Premium-Bereich sind alle
die einem Trend folgen könnte. Noch noch kein Preisdruck aufgrund von Kon- heute awardverdächtigen stationären
sieht man Rudimente, demnächst ist kurrenz einberechnet. Händler „geflüchtet“. Die meisten aus
sie weg! Instinkt und Bauchgefühl. Und das ist
Kurz gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, gut, denn die Ergebnisse geben ihnen
Wir reden vom Verschwinden des Stan- dass jeder stationäre Händler seinen Recht.
dardbereichs und mit ihm von allen klas- Kunden einen kostenlosen Lieferdienst
sischen Lehren und Strategien, die bei mit Robottaxis anbieten kann, ist hoch. Allerdings sollten wir den Erklärungen
stationären Händlern bislang und be- Sagen wir ab ca. 2023. Die Kosten von misstrauen, es handele sich um Erfolg
kannten waren. Übrig bleibt ein riesiger 1 EUR pro Kunde werden eingepreist. durch Erlebnis-Shopping.
Economy und ein größerer Premiumbe-
reich.

Im Economy-Bereich bestimmen künf-


tig datengetriebene Geschäftsmodelle.
Wer Interesse daran hat: Auf den folgen-
den Seiten sind die Grundzüge dieser
datengetriebenen Geschäftsmodelle der
Zukunft beschrieben. Kurz zusammen-
gefasst: Derjenige der die Echtzeit-Da-
ten-Ecosysteme des Kunden mit künstli-
cher Intelligenz auswerten darf, der wird
Bedürfnisse des Kunden erkennen be-
vor sie auftreten und mit seinem Liefer-
dienst die Produkte liefern, bevor sie be-
stellt wurden. Die geringe Retouren-
quote ist eingepreist.

Der stationäre Handel wird in diesem


Economy-Segment in seiner bisherigen
Form keine Chance haben, es sei denn,
er verwandelt den POS zu Showrooms,
hinter denen ein Onlinesystem mit pro-
fessionellem Lieferdienst das Geld ver-
dient.

An alle heutigen stationären Händler:


Falls Sie jetzt denken, dass Sie gegen
die Logistik und Lieferdienste von Ama-
zon sowieso nie eine Chance haben
werden … urteilen Sie nicht zu früh! Ein
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

Wer sich die award-gewinnenden Kon- seinem stationären Ort Erlebnisse wie Lesen Sie gleich hier schon das Zu-
zepte anschaut, der stellt schnell fest, etwa Konzerte organisiert, der schafft kunftsbild und das sachliche Erklär-Kapi-
dass ungewöhnliche Kundenerlebnisse nette Events. Aber er verbindet sich tel über den Stationären Handel der Zu-
zwar ein Element darin sind, aber nicht nicht mit einer Identität seiner Kunden. kunft:
die Grundlage. Sie werden nicht zu ihm zurückkommen,
denn er ist nicht der Identitätsträger.
Die Grundlage ist Identität: Kunden ge- Stationärer Handel
hen nicht zu diesen erfolgreichen statio- Erst wer das Erlebnis-Shopping hinter
nären Händlern, um Erlebnisse zu ha- sich lässt und sich als echter Identitäts- im Identitäts-Segment
ben. Die gehen dahin, um ihre Identität ort präsentiert, mit Identitäts.Mitarbei-
auszudrücken. Also um ihrem eigenen tern, Identitäts-Produkten, Identitäts-
„Boahh, die ist krass!“ Max schnellt von
Ego und den Anderen zu beweisen, Community und Identitäts-Story/Mythos
seinem Stuhl hoch und springt zu dem
dass sie besonders sind. Besonders: und Identitäts-Helden … hat die Zu-
Rack mit den Gitarren hinüber. Zielsi-
öko, heimatverbunden, sportlich, reich, kunftsstrategie für den stationären Han-
cher greift er eine und präsentiert sie mit
kulturinteressiert, designorientiert, intel- del gefunden.
kindlichem Stolz seinem Vater. Peter
lektuell, kinderlieb, familienbezogen, in-
muss lachen. Wie kindisch sein erwach-
novativ, kosmopolitische, musikalisch … Möchten Sie eine ausführlichere Er-
sener Sohn doch auch noch sein kann!
usw. klärung und Strategiebeispiele?
‚Und meistens passiert das hier‘, geht es
ihm noch durch den Kopf.
Wer sich die Kundenstruktur etwa der Ich habe diese Zukunft des stantionären
Bio-Supermärkte anschaut, der stellt Handels jüngst in meinem aktuellen
Max hat sich inzwischen auch schon die
fest, dass über 90% der Kunden nicht Buch „2030 – Wie viel Mensch verträgt
Gitarre über das Knie gelegt und imitiert
dort kaufen, weil sie überzeugt sind, die Zukunft?“ beschrieben. Im Buch le-
einen offenbar wild gewordenen Heavy-
bessere Produkte zu bekommen. Sie sen Sie, was wir Zukunftsforscher heute
Metal-Star. ‚Das ist aber wirklich ein
verbringen ihre Zeit im früheren POS, schon über die Zukunft von Wohnen,
schickes Teil‘, geht es Peter durch den
weil sie zur Bio-Community gehören wol- Mobilität und Essen, die Zukunft von
Kopf. Das Instrument in Max’ Hand sieht
len. Dies ist aktives Identitätsmanage- Liebe, Glück und Urlaub, die Zukunft von
keinesfalls aus wie eine Gitarre. Es ist
ment. Angst, Krankheit und Alter, die Zukunft
ein Schwert. Mit einem silber-goldenen
von Arbeit, Führung und Kollegen, die
Knauf, einer reich verzierten Parier-
Das ist nichts Schlechtes! Im Gegenteil! Zukunft von Lernen, Entscheiden und
stange und einer sichtbar scharfen
Die Zugehörigkeit zu Gruppen (und Ab- Kaufen, aber auch die Zukunft von Poli-
Klinge. Der absolute Blickfang sind aber
grenzung zu anderen Gruppen) ist wohl tik, Religion und Umwelt wissen.
die beiden überdimensionierten Adler-
eines der tiefsten menschlichen Bedürf-
schwingen, die sich direkt an die Parier-
nisse. Man könnte auch sagen: Dies ist Dabei grenzen wir Zukunftsforscher uns
stange anschließen. Und damit es eine
einer jener wenigen Bereiche, die durch bewusst von unrealistischen Apoka-
Gitarre wird, verlaufen die Saiten genau
die Digitalisierung mit höchster Wahr- lypse-Szenarien und utopistischen Man-
auf der Klinge. Einen Korpus und den
scheinlichkeit nicht verschwinden! müsste-mal-Visionen anderer Autoren
Kopf mit den Wirbeln hat man offensicht-
ab. Stattdessen verwenden wir die wis-
lich einfach weggelassen. Warum auch
Strategisch gesehen: Seinen stationären senschaftlichen Studien des Zukunftsfor-
nicht? Das ist ja schließlich ein Schwert!
Handel also zu einem Identitätsort um- schungsinstituts „2b AHEAD ThinkTank“.
zubauen, in dem Menschen eine längere
„Ein Wunder, dass du dich nicht ge-
Zeit (3-4 Stunden) verbringen, mit an-
schnitten hast“, bemerkt Peter beiläufig,
dere ihre Identität pflegen und dabei
als Max sich wieder setzt. „Ach was!“,
auch noch nebenbei etwas einkaufen … Hier finden Sie das Buch: weist der die Sorge seines Vaters
ist eine absolute Zukunftsstrategie.
2030 – Wieviel Mensch barsch zurück. „Aber du, Papa, warum
bist du so aufgewühlt? Ist es wegen dei-
Man muss nur wissen, dass dies nichts verträgt die Zukunft? nes Treffens mit Xiaoxi gerade eben?“
mit Erlebnis-Shoppnig zu tun hat. Wer in
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Peter schaut Max eindringlich an. „Wo- Texte: Liedtexte, Gedichte, Bücher. Es dann auch noch Nahrungsmittel. Irgend-
her weißt du das denn? Hat dir das sind jede Woche andere Künstler Das wann konnte man den Fakt einfach nicht
deine Emotionserkennung gesagt? Hast Café spendiert ihnen ihre Kaffees. Und mehr wegdiskutieren: Die Zukunft des
du etwa noch den Phoenix an?“ Max hat sie ziehen im Gegenzug Schaulustige Einkaufens im Mainstream-Segment
dem intelligenten Assistenten in seiner an, die ihren Kaffee auch einmal in würde ausschließlich eine Sache der
Kontaktlinse den Namen „Phoenix“ ge- Sichtweite eines Stars trinken wollen. Bots und digitalen Assistenten sein.
geben. „Bitte lass uns unsere Tradition Dann gibt es neben dem Café noch die Keine menschliche Entscheidung für o-
beibehalten, dass wir hier im ‚Star-Block‘ Musik-Kita und die Musikschule. Und die der gegen ein Produkt würden die intelli-
die Assistenten immer ausschalten!“, bit- gesamte rechte Seite des Blocks hat ein genten Assistenten noch dem Zufall o-
tet Peter. „Sonst geht der Zauber dieses Musikhotel in Beschlag genommen. Hier der gar dem Schicksal überlassen. Denn
Ortes verloren.“ Max nickt schuldbe- steigen traditionell alle Künstler ab, die wenn jede falsche Auswahl als Grund
wusst. „Phoenix – unsichtbar!“, flüstert er in der Stadt gastieren. Noch eine Ecke hat, dass ein Mensch nicht auf den Rat-
als Kommando in den Raum. Schon sind weiter, neben der Kneipe, gibt es die In- schlag seines intelligenten Assistenten
die Zahlen und Worte vor seinem Auge strumentenwerkstatt und Proberäume gehört hat, dann verschwinden mensch-
verschwunden. für lokale Bands. Und die Häuser auf der liche Entscheidungen. Es war bei Wei-
vierten Blockseite haben nach vorn her- tem nicht nur die Minderheit der Jungen
Hier in den „Star-Block“ in der Innenstadt aus eine Karaoke-Bar und nach hinten und Technikverliebten, für die dies galt.
kommen die beiden oft. Es ist ein unge- hinaus ein paar Büros und Co-Working- Es war der Mainstream. Und in diesem
schriebenes Gesetz, dass hier alle As- Spaces für Start-ups, Musiklabels, Agen- Mainstream-Segment bewegte sich je-
sistenten ausgeschaltet werden. Nicht turen und Künstlermanager. der Mensch zu mindestens 80 % seines
nur von Peter und Max, sondern von al- Alltags. Damit verschwanden dann auch
len Besuchern! Früher hätte man dazu Peter hatte den Wandel der Innenstädte große Teile des Zufälligen, des Sponta-
vermutlich Musikinstrumentenshop ge- in den vergangenen zehn Jahren sehr nen und des Schicksals aus dem Leben
sagt. Aber für Peter, Max und alle ande- bewusst miterlebt. Überall in der Welt der Menschen.
ren, die hierherkommen, ist es viel, viel wurden ja die stationären Einzelhändler
mehr. Es ist der Ort, an dem es noch in rasantem Tempo vom Siegeszug des Was also tun? Ohne die Mainstream-
Überraschungen gibt, Geheimnisse und digitalen Handels überrollt. Gerade als Einkäufer blieb für die Innenstädte nur
Spontanität. Es ist der Ort ihrer gemein- die wenigen verbliebenen Geschäfte noch das Premiumsegment übrig. Doch
samen Identität: der Musik. aufatmen wollten, kam durch die selbst- auch das entpuppte sich als ganz an-
fahrenden Autos und selbstfliegenden ders, als es sich die meisten vorgestellt
Im Prinzip ist der „Star-Block“ ein kom- Drohnen ihr endgültiger Todesstoß. Mit hatten: nicht als Luxus- oder Erlebniss-
pletter Häuserblock. In dessen Mitte be- dieser kostenlosen Logistik auf der letz- hopping, sondern als Identitätsorte! Pe-
findet sich dieser Instrumentenshop, in ten Meile konnte keiner der kleinen Ein- ter war damals oft zu den Sitzungen der
dem sie gerade sitzen. Nebenan ist eine zelhändler mehr konkurrieren. Es gab für örtlichen Wirtschaftsverbände und Han-
Musikkneipe mit einer echten alten Ju- die Menschen schlicht keinen Grund delskammern eingeladen worden. Jedes
kebox. So etwas findet man heute ei- mehr, zu einem normalen Einzelhändler Mal drehte sich alles um die Jammerei
gentlich nirgends mehr. Gegenüber ist zu gehen. Die Lieferungen nach Hause der Händler. Sie gefielen sich wirklich in
das Musikcafé mit Soundduschen über waren billiger und zeitsparender, also ihrer Opferrolle. Und sie dachten sich
jedem Tisch. Bei dieser Technologie fällt schlicht besser. immer sinnlosere Forderungen an die
der Schall von der Decke senkrecht Politik aus, um den Onlinehandel einzu-
nach unten und breitet sich nicht aus. Es gab Jahre, da wurde dieses Sterben schränken. Immer wieder das gleiche
Das heißt, dass jeder Tisch genau seine des Einzelhandels auf Kongressen und Spiel. Bis Peter eines Tages auf den
individuelle Musik hören kann, und in den Medien hoch und runter beklagt. Tisch gehauen und der versammelten
schon einen Meter entfernt ist absolute Und die gleichen Funktionäre, die auf Stadtprominenz die Leviten gelesen
Stille. Außerdem ist im Café noch die den Bühnen die Klagelieder sangen, gin- hatte. Dass diese Entwicklung schon seit
„Artist in Residence“-Ecke. Hier sitzt fast gen dann nach Hause und bestellten zehn Jahren absehbar war, dass dies
jeden Tag ein mehr oder weniger be- sich ihren nächsten Einkauf bei Amazon. ausführlich in Büchern und Studien be-
kannter Künstler und schreibt seine Zuerst Bücher, dann Klamotten und schrieben ist, dass in anderen Ländern
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sogar die Gegenstrategien schon getes- dies ihr Lieblingsplatz an ihrem Lieb- sionelle Sängerin, die mit den Hob-
tet wurden und dass jeder, der hier jam- lingsort ist. Denn hier kann man am bes- byjungs eine Megashow abzog, die
mert, einfach nur zu feige sei, seine Zu- ten beobachten, wie sich immer wieder Handvoll Musikliebhaber, die wie Hühner
kunft in die Hand zu nehmen. Das hatte wildfremde Menschen zufällig auf dieser auf der Stange an diesem Tresen saßen
gesessen! Bühne zusammenfinden und gemein- und mit Kopfhörern irgendwelche Musik
sam spontane Jamsessions starten. hörten. So wie ganz früher im CD-La-
Noch am gleichen Abend wurde die Ar- Weil sie gerade eine halbe Stunde Zeit den. Und natürlich die Stöberecke für
beitsgruppe „Identitätsorte“ eingerichtet haben, weil sie sich unter Gleichgesinn- alte Vinyl-Schallplatten.
und mit Planungen begonnen, um die In- ten fühlen oder weil sie ihrer Identität
nenstadt als Ansammlung verschiedener freien Lauf lassen wollen. Deshalb nennt An diesem Tag waren Peter und Max
Identitätsorte umzubauen: einen Häuser- Peter seine Besuche hier im „Star-Block“ nicht mehr beim Künstlermanager ange-
block für Ökofreunde, einen für die Hei- manchmal spaßeshalber seine „Schick- kommen. Als sie fast drei Stunden spä-
matverbundenen, einen für die Sportli- salsstunden“. Es sind diese wenigen ter wieder aus diesem Laden herauska-
chen, einen für die Innovativen, einen für Stunden im Monat, in denen er sich men, schauten sie sich an und wussten,
die besonders Reichen, einen für die In- ohne intelligenten Assistenten treiben dass sie eine Gemeinsamkeit gefunden
tellektuellen, einen für die Kulturinteres- lassen kann, in denen es noch Schick- hatten. Nicht nur einfach ein gemeinsa-
sierten, einen für Lesefreunde und Bü- sal, Zufälle und Überraschungen geben mes Interesse. Sondern etwas, das sie
cherwürmer, einen für Computerspieler, darf. über Jahrzehnte zusammenhalten
einen für Hobbymaler, einen für Desig- würde: ihre Identität.
ner und so weiter … und natürlich einen Peter erinnert sich noch gut an jenen
für Musikliebhaber. Mit Letzterem wurde Tag, als er zum ersten Mal mit seinem
die Umsetzung begonnen. Sohn hierherkam. Das muss vor etwa
neun Jahren gewesen sein. Max hatte Die Strategien des
Deshalb ist Peters „Star-Block“ hier das ihn in den Wochen zuvor mit seinen
Musterbeispiel für jene neuen Innen- ständigen Nachfragen genervt. Der da- Stationären Handels
städte, die inzwischen in jeder großen mals 14-Jährige hatte sich einen Berufs-
und kleinen Stadt entstanden sind. wunsch in den Kopf gesetzt, den er
der Zukunft
Diese Innenstädte sind keine Orte mehr selbst nicht verstanden hatte: Stardesig- Eine der stärksten Veränderungen der
für den Einzelhandel und Dienstleistun- ner. Was sollte das denn sein? Die Ant- kommenden Jahre in unserem Privatle-
gen, wie es ganz früher war. Sie sind wort, die der junge Max ihm daraufhin ben wird das Auftauchen von Bots sein.
auch keine Ansammlungen von Bou- gegeben hat, war: „Na, die Leute, die Bots sind intelligente digitale Software-
tiquen und Luxusläden, wie es später aus Musikern immer die Stars machen.“ programme, die auf allen unseren Gerä-
versucht wurde. Innenstädte sind Identi- Also war Peter eines Tages mit Max zu ten „leben“ und mit ihren Besitzern in
tätsorte geworden. Das heißt: Es sind einem Künstlermanager unterwegs ge- „normaler“ menschlicher Sprache reden.
Orte geworden, zu denen die Menschen wesen. Er wollte ihm einfach nur zeigen, Wir Zukunftsforscher sprechen von der
gehen, um sich selbst und anderen ihre was und wie die „Stardesigner“ in der kommenden Civilization of Bots.1 Dies
Identität zu zeigen. Und um mit Gleich- Realität arbeiten. Und auf dem Weg zur ist nicht ganz so neu, wie es klingt. Die
gesinnten zusammen zu sein. Agentur des Managers kamen die bei- Entwicklung hat schon lange begonnen.
den an diesem Laden hier vorbei. Heute heißen die Vorläufer der Zukunfts-
Max tippt Peter auf den Arm. Dieser folgt Bots schon Amazon Alexa, Apple Siri,
Max’ Blick auf die Bühne. Dieser Musik- Sie hatten sich kurz angeschaut und wa- Microsoft Cortana. Schon jetzt sprechen
instrumentenshop ist natürlich nicht ver- ren dann wortlos und gleichermaßen be- die ersten Nutzer mit ihnen, um Musik zu
gleichbar mit den Instrumentenläden von seelt hineingegangen. Natürlich wollten starten, den Wetterbericht oder die Uhr-
früher. Es gibt eine Bühne inmitten der sie kein Instrument kaufen. Es war die zeit und Verkehrsnachrichten zu hören
Racks – und Cafétische vor der Bühne. Mischung der Menschen darin, die sie sowie Produkte nachzubestellen. Immer
Genau dort sitzen Peter und Max ge- magisch anzog: die zufällige Hobbyband mehr Menschen stellen fest, dass die
rade. Man kann getrost behaupten, dass auf der Bühne, die offenbar halbprofes- Kommunikation mit Bots einfach, schnell
und zielführend ist. Google hat schon im
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

Jahr 2018 einen Bot präsentiert, der für ern, das Konto überwachen, die Privat- Informationen basierte. Das heißt, sie er-
seinen Besitzer eigenständig am Telefon buchhaltung führen und zu teure Anbie- halten Informationen zeitiger oder in
Friseurtermine vereinbart und Tische im ter durch billigere ersetzen, das Auto besserer Qualität und verdienen ihr Geld
Restaurant bestellt, ohne dass der Ge- steuern … und viele andere Dinge mehr. damit, dass sie anderen diese Informati-
sprächspartner am anderen Ende der Es wird ein Konglomerat an Bots um uns onen neu sortieren und individualisiert
Leitung merkt, dass er nicht mit einem herum sein. Weil wir Menschen aber be- zur Verfügung stellen.
Menschen redet.2 quem sind, werden wir wohl nicht mit je-
dem einzelnen von ihnen kommunizie- Menschen vertrauen Technologie
Im Jahr 2030 wird jeder Mensch viele ren. Vermutlich wird es sich so anfühlen, mehr als sich selbst
dieser Bots haben. Vermutlich wird es als sprächen wir nur mit einem einzigen.
noch nicht den einen einzigen Universal- Der wesentliche Wandel in unserem all-
Bot geben, der als Experte für alle Le- Selbstverständlich wird es auch im Jahr täglichen Leben wird sein, dass wir uns
bensbereiche gleichzeitig fungiert. So 2030 noch Situationen geben, in denen daran gewöhnen werden, dass die Rat-
weit ist die Entwicklung der künstlichen uns die klugen Ratschläge der Bots egal schläge und Hinweise der technologi-
Intelligenz bis 2030 vermutlich noch sind. Und natürlich hat jeder Mensch die schen Bots oftmals „klüger“ sind als die
nicht. Doch es gibt dann Experten-Bots Möglichkeit, seine Bots abzuschalten o- der menschlichen Experten. Diese Bots
für Mobilität, Kommunikation, Gesund- der zu ignorieren, wenn er mit anderen werden uns in die Lage versetzen, zu je-
heit, Finanzen, Wissen, Einkauf, Menschen sprechen will. Diese unter- der Zeit bessere Entscheidungen zu tref-
Freunde und so weiter. Diese digitalen schiedlichen Bedürfnissegmente, zwi- fen, als menschliche Experten sie getrof-
Helfer sind deshalb intelligent, weil sie schen denen jeder Mensch hin und her fen hätten. Oder noch besser: treffen zu
uns Menschen permanent begleiten. Sie springt, werden wir auf den kommenden lassen, um sich selbst um Wichtigeres
erfassen unsere Gewohnheiten, Tages- Seiten erklären. kümmern zu können. Jeder Amateur-
abläufe, Bedürfnisse, Emotionen und sportler trainiert dann mit Profimethoden,
Entscheidungskriterien. Mit diesem Wis- Und nicht zuletzt wird es selbstverständ- jeder Patient weiß mehr als sein Arzt, je-
sen beschaffen sie gewünschte Informa- lich auch im Jahr 2030 noch einige Men- der Autofahrer nutzt die Fahrt für Erledi-
tionen, machen intelligente Entschei- schen geben, die keine Bots benutzen gungen, denn sein Auto fährt besser,
dungsvorschläge und managen die Be- wollen, weil sie die neuste Technologie wenn der Bot es steuert. Und: Jeder
lange ihres Nutzers. Früher hätte man ablehnen oder ihre Daten nicht freige- Käufer bekommt eine bisher noch nie da
gesagt: Jeder von uns bekommt einen ben wollen. Diese Menschen nehmen gewesene Informationsqualität über alle
Privatsekretär. Und nicht irgendeinen – damit bewusst in Kauf, dass sie nicht je- Produkte, die qualitativ und preislich am
sondern den besten der Welt! derzeit die passenden Informationen ha- besten in sein übliches Bedürfnisprofil
ben, dass sie schlechtere Produkte kau- passen. Egal, ob sie gerade vor ihm im
Doch es wird nicht dabei bleiben, dass fen, die nicht individuell und situativ an Regal liegen oder, per Touch bestellt, in
uns unser digitaler Privatsekretär ledig- ihre Bedürfnisse angepasst sind, und zwei Stunden beim ihm an der Woh-
lich nette Empfehlungen gibt. Seine wirk- dass sie aus manchen Kommunikations- nungstür sind.
liche Stärke spielt er erst dann aus, strängen ihrer Freundeskreise und der
wenn wir ihn mit anderen Bots kommuni- Gesellschaft mehr und mehr ausge- Aus Kundensicht ist das Ersetzen dieser
zieren lassen. Wir werden ihn also in un- schlossen werden. Experten zumeist großartig. Probleme
serem Namen in die digitale Welt schi- haben damit vor allem jene Menschen,
cken und dort unsere Dinge erledigen So bedrohlich uns der Gedanke heute die bislang ihr Geld als Experten ver-
lassen: einkaufen, Termine vereinbaren, auch erscheinen mag, nur noch vorgefil- dient haben. Bisher war deren Ge-
Verträge aushandeln, den Newsstream terte Informationen von digitalen Assis- schäftsmodell recht klar: Sie nahmen
zusammenstellen, die Kleinkinder be- tenten zu erhalten, so ist die doch im aus einer einst gelernten Fülle an Wis-
schäftigen, gesunde Essenspläne auf- Grunde für uns Menschen nichts Unge- sen jeweils den richtigen Teil heraus und
stellen und das Kochen überwachen, in- wöhnliches. Denn auch früher haben wir gaben diesen an ihre Kunden weiter.
dividuelle Fitnesspläne erstellen und die uns auf Informationsfilter verlassen. Nur Gemeint sind damit Verkäufer im Handel
Intensität an jedem unserer Geräte steu- waren das Menschen, deren Tätigkeit genauso wie Ärzte, Steuerberater, Fi-
auf der asymmetrischen Verteilung von
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nanzbeamte, Makler, Berater, Reisefüh- chen! Sie verkaufen nicht mehr ihr Wis- meisten heutigen Digitalisierungsstudien
rer, Lehrer, Wissenschaftler. Aber ge- sen, sondern ihre Fähigkeit, andere greifen viel zu kurz. Sie beschreiben zu-
meint sind auch jene, die handwerkliche Menschen zu motivieren, zu Verände- meist nur die Vernetzung, Automatisie-
Fähigkeiten verkaufen. Also: Taxifahrer, rungen zu befähigen und ihnen Identität rung und Rationalisierung. Das ist auch
Journalisten, Piloten, Busfahrer und zu geben. nicht falsch, aber unvollständig. Denn
Bauarbeiter. die wirklichen Auswirkungen der Digitali-
Echtzeit reicht nicht! Wir werden sierung kommen erst danach, wenn die
In all diesen Branchen werden durch die schneller sein als Echtzeit Computer mit ihrer Prognostikkompe-
Digitalisierung in den kommenden zehn tenz die Steuerung und Kontrolle in Un-
Jahren Technologien entstehen, welche Wenn wir in diesen Tagen mit Experten ternehmen übernehmen. Sie sind
die Leistung der durchschnittlichen des stationären Handels über deren Zu- schneller als Echtzeit! Wir sprechen in
menschlichen Arbeitskraft erreichen und kunftsstrategien diskutieren, fällt uns re- der Strategieentwicklung bei unseren
wenig später entweder bessere Qualität gelmäßig etwas auf: Sie haben ein komi- Kunden nur noch von „Predictive Enter-
bieten oder erheblich billiger sind. Doch sches Verständnis von Daten. Sie den- prises“.
was tun dann all diese Menschen? ken oft, dass Daten Worte und Zahlen
wären, die in Datenbanken stehen. Stati- Dies klingt zunächst nach Science-Fic-
Experten werden zu Coaches sche Daten also. Und dies ist ja auch tion. Ist es aber nicht, denn es ist heute
nicht falsch! Es ist nur komisch. Denn schon ein Bestandteil unserer Welt. Wer
Es gibt keinen Grund, den Kopf wegen diese Vorstellung ist schon sehr alt. Sie in die Kundenliste des heutigen deut-
dieser Prognose in den Sand zu ste- kommt aus der Entstehungszeit von schen Marktführers für Predictive-Enter-
cken. Zweifellos werden anstelle der Computern. prise-Software schaut, findet dort er-
wegfallenden Jobs neue Berufe in ande- staunlich viele stationäre Händler. Wa-
ren Bereichen entstehen; möglicher- Die heutigen Experten für Onlinehandel rum? Weil diese Software dem Betreiber
weise sogar noch mehr, als wir uns wün- hingegen wissen, dass diese statischen einer Supermarktkette heute schon sagt,
schen können. Die Zukunftsstudien für Daten nahezu keine Relevanz mehr ha- dass er am kommenden Samstag in ge-
den deutschen Arbeitsmarkt der nächs- ben. Außer natürlich dafür, dass ein Pa- nau diesem Supermarkt an der Ecke
ten zehn Jahre beschreiben eine kom- ket auch ankommt. Für die Frage, wofür Müller-/Meier-Straße das Produkt A in
mende Ära der Vollbeschäftigung. Das und wogegen Kunden sich entscheiden, der Anzahl X braucht. Dies errechnet die
bedeutet: mehr Jobs als arbeitsfähige spielen heute jedoch die Echtzeitdaten Software aus Kundendaten der Vergan-
Menschen.3 eine Rolle. Wer erkennt, wo sich ein genheit, Wetterdaten der Zukunft, Kalen-
Kunde in diesem Augenblick befindet, derdaten der Zukunft und bald auch
Und selbst die von der intelligenten was er sucht, woran er gerade denkt, noch weiteren Datenarten. Jeder Händ-
Technologie attackierten Experten be- worüber er gerade redet, der macht ler, der heute bereits mit einer solchen
kommen ihre zweite Chance. Sie wer- heute das große Geschäft im Onlinehan- Software zu arbeiten beginnt, wird sofort
den nicht mehr ihr gelerntes Wissen ver- del. Denn dieser basiert auf Echtzeitda- seine Lager-, Logistik- und Beschaf-
kaufen, sondern die Technologie als ten. Die waren vor 20 Minuten noch fungsprozesse umstellen. Dieser Händ-
Wissensbasis nehmen. Darauf aufbau- nicht da und sind in 20 Minuten wieder ler wird also zum Predictive Enterprise.
end, werden sie die menschliche Kom- irrelevant. Aber jetzt, in diesem Augen- Die Basis seines Geschäfts ist eine Soft-
ponente hinzufügen: Sie werden ihre blick sind sie entscheidend. ware, welche die nahe Zukunft prognos-
Kunden motivieren, ihnen in den Hintern tiziert. Und alle Mitarbeiter, alle Pro-
treten und sie auf den nächsten zwei bis Doch auch diese Echtzeitdaten der heu- zesse werden auf Grundlage dieser
drei Schritten ihrer Entwicklung beglei- tigen Onlinehändler haben nichts mit der Prognose gesteuert.
ten. Zukunft des Jahres 2030 zu tun. Denn
der Handel 2030 wird schneller sein Auch dies gibt es bereits heute. Es ist
In der Bot-Economy werden menschli- müssen als Echtzeit. Die heutige Echt- nicht die Zukunft. Wie sieht also der
che Experten zu menschlichen Coaches. zeitkommunikation, über die wir bei In- Handel des Jahres 2030 aus? Versu-
Und das in allen heutigen Expertenbran- dustrie 4.0 und Social Media reden, ist chen wir uns dazu vorzustellen, dass ein
nur ein kleiner Zwischenschritt. Die Händler des Jahres 2030 die Prognosen
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seines Computersystems nicht nur für Services an die sich verändernden Nut- Glauben, dass es Standard gibt. Die
seine Warenhaltung verwendet, sondern zungsbedürfnisse jedes einzelnen Kun- Vorstellung von Einheitsprodukten für
dass er bei seinen Produzenten jeweils den: individuell und situativ. Einheitskunden zu Einheitspreisen
nur die Produkte in Auftrag gibt, die er stammt aus einer analogen Zeit. Und
zwei Tage später vermutlich auch ver- In der zweiten Phase wird dann der dort wird sie auch bleiben.
kaufen wird. Und stellen wir uns vor, Kunde an das Predictive Enterprise „an-
dass die prognostizierende Software zu- geschlossen“. Er wird natürlich nicht In der digitalen Welt gibt es keine „lenk-
dem genau ausrechnen kann, zu wel- dazu gezwungen, aber es wird für ihn bare“ Masse an Käufern mehr, wenn de-
cher Minute das Produkt im Regal wel- nützlich sein, per Ein-Klick auch seinen ren jeweiliger Einkaufszettel durch indivi-
chen Preis haben muss, damit ein idea- digitalen Payment-Bot im Smartphone, duelle elektronische Assistenten zusam-
ler Abverkauf erfolgt. Dann reicht das seinen Ernährungs-Bot im Kühlschrank, mengestellt wird. Es gibt keine „lenk-
Predictive Enterprise bis zurück in die seinen Koch-Bot im Herd usw. mit dem bare“ Masse an Zuschauern für Werbe-
Produktion und bis nach vorn ins Preis- digitalen Betriebssystem seines Lieb- botschaften mehr, wenn Fernsehpro-
schild. lingssupermarktes zu verbinden. Auf Ba- gramme und Zeitungen individuell zu-
sis der so ermittelten individuellen Kun- sammengestellt werden. Und wenn nicht
Die erste Folge ist eine enorme Effi- dendaten wird der Händler 2030 prog- mehr der Einkäufer des Supermarktes
zienzsteigerung. Wohlgemerkt: Es wer- nostizieren, welche Bedürfnisse jeder unser Warenangebot zusammenstellt,
den in diesem Supermarkt zunächst mal einzelne Kunde in der nahen Zukunft sondern der elektronische Assistent in
noch keine besseren Produkte angebo- hat. Damit wir uns richtig verstehen: Der unserem Handy, dann drohen selbst
ten. Aber weniger falsche! Die digitale Bot wird dies besser wissen als die bis- emotional starke Marken an Wert zu ver-
Intelligenz vermeidet im ersten Schritt herigen menschlichen Ver- und Einkäu- lieren.
Streuverluste. Plötzlich verkauft der Su- fer. Vermutlich wird er das sogar besser,
permarkt 95 % seiner Waren statt so wie oder zumindest eher, wissen als der Schauen wir nochmals in die Automobil-
zuvor viel weniger. Kein Konkurrent wird Kunde selbst. branche, um anhand eines Beispiels die
sich dieser Entwicklung lange widerset- wirkliche Bedeutung dieser Entwicklung
zen können, wenn der Vorreiter seine Dies führt zu nicht weniger als einem zu erfassen: Der Verkaufsschlager der
Effizienzsteigerung in Form von niedri- Paradigmenwechsel für die Geschäfts- nun langsam zu Ende gehenden analo-
geren Preisen an die Kunden weitergibt. modelle des Handels! Denn während es gen Ära sind die Familienautos. Lange
heute bei der Digitalisierung des Han- Zeit sind die Kunden der von den Auto-
Keine Einheitsprodukte für Einheits- dels noch darum geht, Standardpro- mobilkonzernen vorgegebenen Vorstel-
kunden zu Einheitspreisen dukte so gut wie möglich digital zu ma- lung gefolgt, ein Auto sei dann ideal,
nagen, wird in den kommenden fünf Jah- wenn es möglichst viele verschiedene
In dieser beschriebenen ersten Phase, ren der Fokus darauf liegen, Standard- Nutzungssituationen abdecken kann. Es
die bei innovativen Händlern bereits ein- produkte generell abzuschaffen. Die dra- haben sich nur wenige Menschen ge-
gesetzt hat, geht es also darum, die rich- matischste Konsequenz für unsere Un- fragt, wieso jene von den Autokonzer-
tigen Standardprodukte in der richtigen ternehmen und Branchen lässt sich in ei- nen gepriesenen „Alleskönner“ so toll
Anzahl zum richtigen Preis ins Regal zu nem Schlagwort zusammenfassen: „der sein sollen. In der Realität boten sie ja e-
nehmen. Damit werden Lager abge- Tod der „Masse“! her „alles und nichts“: versprachen alles,
schafft, Prozesse effektiver gestaltet und aber hielten nichts. Solange es an Alter-
Kosten gespart. Das Phänomen der „Masse“ wird all- nativen fehlte, mussten die Kunden die-
mählich aus unserer Gesellschaft ver- sen Mangel zähneknirschend akzeptie-
Doch dies ist nur ein erster kleiner schwinden. Die Digitalisierung führt ren.
Schritt auf einem langen Weg. Die ei- dazu, dass Produkte und Services ihre
gentlichen Zukunftschancen in einer Gestalt verändern. Sie passen sich ihren Doch ein ideales Familienauto hätte
Schneller-als-Echtzeit-Welt liegen näm- Kunden an, individuell und situativ. schon immer anders ausgesehen: Am
lich in der Anpassung der Produkte und Wenn dies geschieht, wird einer Grund- Abend, wenn Mama und Papa mal eine
annahme der meisten heutigen Ge- gemeinsame Ausfahrt genießen wollen,
schäftsmodelle die Basis entzogen: dem wäre es ein nettes Cabrio gewesen, in
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

der Woche, wenn Papa zum Business- Schon heute gibt es die ersten adapti- ten attraktiv zu halten. Andere heute sta-
termin fährt, ein sportlicher Flitzer, am ven Smartphone-Tarife, adaptive Com- tionäre Dienstleistungen werden in der
Samstag für die Familieneinkäufe ein puterspiele, adaptive Versicherungspa- Folge auch adaptiv werden: von Thera-
Kombi und für die Urlaubsfahrt zur Oma kete, adaptive Konten und Finanzierun- peuten, die die Fahrzeit ins Büro beset-
ein Van. gen, adaptive Shops und Einkaufspro- zen, über Versicherungsagenten, Ban-
zesse, adaptive Häuser und adaptive ken und Beratungen aller Art bis hin zu
In Zeiten der Digitalisierung werden Medizintechnik. Sogar an der Entwick- Friseuren und dem mobilen Restaurant
exakt diese Kundenwünsche erfüllbar. lung von adaptivem Essen wird gearbei- – aus „Drive in“ und „Coffee to go“ wird
Möglicherweise allerdings nicht durch tet. Es wäre für uns Zukunftsforscher ein DWYD: „Dine while you drive.“4
ein und dasselbe Auto. In allen Zu- Wunder, wenn es eine Branche gäbe,
kunftsstudien aller Automobilkonzern ist die an dem generellen Trend zur Adapti- Was wir damit verdeutlichen wollen:
von der Vision des sogenannten „Mobi- vität vorbeikäme. Wenn digitale Bots die Bedürfnisse ihrer
lity Service Providers“ die Rede. Das be- Nutzer kennen und im Voraus prognosti-
deutet: Den Kunden werden irgendwann Die Konsequenzen dieser Welt der zieren können, werden alle Produkte
keine Autos mehr verkauft, sondern „Mo- Adaptivität im Jahr 2030 sind möglicher- adaptiv. Autos genauso wie Services,
bility Cards“, die uns dazu berechtigen, weise größer, als es auf den ersten Blick etwa Arztbesuche. Langlebige, teure
ein Auto zu besitzen, aber auch, es zu ersichtlich wird. Denn es geht nicht nur Produkte wie Versicherungen genauso
tauschen! um die Frage, ob wir Menschen unseren wie kurzlebige, billige wie Joghurt. Die
Bots vertrauen und diese uns das beste Bots des Jahres 2030 sorgen dafür,
Das Mantra der Bot-Economy heißt Produkt vorschlagen. Noch wesentlicher dass sich alle an die individuellen und si-
Adaptivität ist die Frage, wie sich unsere Produkte tuativen Bedürfnissen von uns Bot-Besit-
und Services verändern, wenn die Bots zern anpassen.
Mit der gerade beschriebenen Funktio- genau wissen, was ihr Besitzer will: indi-
nalität realisiert das vernetzte Auto die viduell und situativ. Wird der Bot dem Commoditys werden kostenlos
wesentliche Kundenanforderung der di- Besitzer dann ein Standardprodukt vor-
gitalen Gesellschaft: Es ist individuell schlagen? Oder wird er mit dem Anbie- Es gibt noch eine weitere Steigerung bei
und bleibt auf Dauer veränderbar, um ter verhandeln, damit das Produkt indivi- der Entwicklung von intelligenten Bots
sich jeweils situativ an unterschiedliche duell und situativ exakt an die Bedürf- und adaptiven Produkten bis zum Jahr
Nutzungssituationen anzupassen. Wenn nisse des Käufers angepasst wird? 2030: Wenn derjenige Anbieter das
wir Zukunftsforscher über individuelle beste Geschäft machen wird, der sein
und situative Produkte sprechen, ver- Nehmen wir als Beispiel die Hotelbran- Produkt am besten adaptiv an die Be-
wenden wir das Wort „adaptiv“! Es wird che, die sich neuer adaptiver Konkur- dürfnisse des Kunden anpassen kann,
der Schlüssel zum Kaufen und Verkau- renz gegenübersehen wird: autonom dann bedeutet dies zugleich, dass derje-
fen in der Zukunft sein. fahrenden Autos, die Menschen über nige Anbieter am erfolgreichsten ist, der
Nacht an ihren Zielort bringen, an dem auf die meisten Daten des potenziellen
Wir werden Adaptivität von den Anbie- sie dann ausgeschlafen ankommen. Das Kunden zugreifen kann.
tern erwarten. In jeder Branche. Denn geht nicht mit einem umgebauten Golf,
wir Kunden geben in der digitalen Welt wohl aber mit optimierten Fahrzeugen, Dabei geht es nicht um das strategielose
unsere Daten frei und erwarten, dass mit Hotelzimmern auf Rädern, die sich Sammeln aller möglicher Daten, das
Unternehmen diese Daten nutzen, um flexibel zu Kolonnen zusammenschlie- heute noch in einigen Unternehmen vor-
ihre Produkte besser zu machen. Besser ßen und wieder separieren lassen. Auf herrscht, sondern vielmehr um den
bedeutet: besser an uns Kunden ange- der Fernstrecke wie ein Nachtzug, an strukturierten Zugriff auf einige wenige,
passt. Individuell und situativ! Deshalb Start und Ziel auf individuellem Kurs. Be- aber dafür idealerweise vollständige Da-
werden wir Kunden nach adaptiven Pro- treiber von Hotelketten werden prüfen, ten-Ecosysteme. Nach heutiger Prog-
dukten fragen, und von den Unterneh- wie sie diese adaptiven Services in ihr nose gibt es mindestens fünf verschie-
men werden wir diese Angebote erhal- stationäres Modell integrieren können, dene Daten-Ecosysteme, die eine ziel-
ten. Eine Dynamik, die sich wechselsei- um die klassischen Hotels in Kombipak- genaue Prädiktion von Kundenbedürf-
tig verstärkt. nissen ermöglich:
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

werden wir in der Wirtschaft eine durch- Diesem Preisstrudel können sich nur
1. Finanztransaktionsdaten greifende Veränderung unserer Bran- jene Anbieter entziehen, die ihre Pro-
2. Bewegungsdaten in der Woh- chen und Märkte erleben. Die ehemalige dukte nicht aufgrund des rationalen
nung oder im Haus Marktpyramide mit den klar definierten Preis-Qualitäts-Vergleichs verkaufen,
3. Bewegungsdaten außerhalb Economy-, Standard- und Premiumseg- sondern nach einer gänzlich anderen
des Wohnbereiches menten gibt es heute schon nicht mehr. Logik. Es gibt nämlich noch eine zweite
4. Körperdaten inkl. Gesundheits- Künftig wird sich das auf nur noch zwei Logik, nach der wir unsere Kaufentschei-
daten, Emotionsdaten und Psy- ernst zu nehmende Segmente reduzie- dungen treffen: die Logik des Identitäts-
chogramm ren: den Economy- und den Premiumbe- managements. Jeder von uns kauft
5. Wissensdaten inkl. Kompeten- reich. manchmal Produkte nicht wegen der
zen und Skills Qualität und des Preises sondern um
Das ursprünglich zwischen Economy Freunden, Kollegen, Familie und sich
Der Zugang zu diesen Daten-Ecosyste- und Premium liegende Standardseg- selbst zu beweisen, dass wir zu einer
men wird für die Anbieter bis zum Jahr ment wird im Jahr 2030 verschwunden bestimmten Identität gehören. Auf gut
2030 so wertvoll werden, dass sie dafür sein. Das geht nicht von heute auf mor- Deutsch: dass wir besonders ökologisch,
wesentliche Basisprodukte kostenlos an- gen, aber Schritt für Schritt. Doch wa- besonders sportlich, besonders heimat-
bieten. Google arbeitet von Anfang an rum?5 verbunden, besonders reich, besonders
auf diese Weise: Das Hauptprodukt, clever, besonders intellektuell, beson-
nämlich dem Kunden Wissen zu einer In der Vergangenheit funktionierten ders kulturinteressiert und so weiter
Frage zu geben, hat noch nie auch nur scheinbar alle Kundensegmente nach sind. Wir alle nutzen Produkte, um un-
einen Cent gekostet. Aber in der Zeit, in der gleichen rationalen Logik: dem sere Identität zu managen: die einen
welcher der Kunde Google nutzt, werden Preis-Qualitäts-Vergleich. Entsprechend größere Premiumprodukte wie Autos,
auf Basis der gesammelten Wissensda- haben wir niedrige Preise und niedrige Uhren und Jachten, die anderen kleinere
ten individuelle und situative Angebote Qualität im Economy-Segment verortet, Premiumprodukte wie Biomöhren, Craft-
gemacht, von Werbung über Reisebu- während wir höchste Preise und höchste Bier oder den Besuch im Edelrestaurant.
chungen bis hin zu Schuhverkäufen. Qualität im Premiumsegment vorfanden.
Nach diesem Modell, so prognostizieren Logischerweise gab es dazwischen ei- Was wir damit sagen wollen: Das Vorur-
wir Zukunftsforscher, werden Autokon- nen großen Standardbereich mit mittle- teil stimmt nicht, dass viele Menschen
zerne auch Mobilität kostenlos anbieten, ren Preisen und mittlerer Qualität. Doch ihre Entscheidungen immer im Eco-
Banken werden Kontoführung und Fi- dies gilt nicht mehr! nomy-Bereich treffen und andere Men-
nanzprodukte kostenlos anbieten, und schen immer im Premiumbereich. Rich-
Food-Konzerne werden einen Echtzeit- Mit der Digitalisierung und später der tig ist, dass wir alle in den meisten Situa-
Körpercheck kostenlos anbieten. Es künstlichen Intelligenz ist die rationale tionen des Lebens unsere Entscheidun-
spricht einiges dafür, dass nach dem Logik des Preis-Qualitäts-Vergleichs im- gen im rationalen Economy-Bereich tref-
kostenlosen Wissen bei Google, der mer weiter optimiert worden. Alle Ange- fen und dabei 2030 die Hilfe der intelli-
kostenlosen Kommunikation bei Face- bote sind vergleichbar. Deshalb sehen genten Bots nutzen. Und richtig ist auch,
book, Twitter & Co. und der kostenlosen sich Anbieter gezwungen, ihre Preise dass wie alle in einigen wenigen Situati-
Mobilität auch andere Commoditys wie niedriger als die Konkurrenz anzusetzen. onen unseres Alltags das Bedürfnis ha-
Energie, Wasser, Telefon und Internet Diese abwärtsgerichtete Preisspirale ben, nicht rational zu entscheiden, son-
für den Kunden kostenlos werden. Aller- geht immer weiter und findet ihr Ende dern uns treiben zu lassen, den Tag zu
dings nicht alle schon bis 2030. erst, wenn die Margen der Anbieter ge- genießen und unverschämt teure Dinge
gen null tendieren. Entsprechend zieht zu kaufen. Wir tun das vor allem, um an-
Digitalisierung tötet den Standardbe- die Digitalisierung auch die bisherigen deren Menschen zu zeigen, wer wir sind,
reich Standard- und Premiumanbieter in den wie wir denken und was wir fühlen. Wir
Economy-Bereich. managen unsere Identität!
Doch nicht nur Produkte und Services
werden sich in den Zeiten der Digitalisie- Für jeden Anbieter oder Verkäufer ist die
rung grundlegend verändern. Vielmehr wesentliche Veränderung bis zum Jahr
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

2030, dass es den großen Standardbe- den die Erfahrung machen, dass ihre di- ihre eigene Identität ausdrücken können.
reich zwischen Economy und Premium gitalen Bots ihnen wesentlich passen- Dementsprechend zielen die empfeh-
nicht mehr gibt! Jeder, der bislang dort dere Angebote machen als herkömmli- lenswerten Strategien für Einzelhändler
sein Geld verdient hat (und das waren che Verkäufer. Und selbst der eigenen und Shops in Innenstädten etwa darauf
die allermeisten), muss sich bewusst Suche werden Kunden weniger ver- ab, sich selbst als Identitätsort anzubie-
entscheiden, ob er künftig gemäß der di- trauen als den Empfehlungen ihrer digi- ten.6
gitalen Logik des großen Economy-Be- talen Assistenten. Denn deren Antwor-
reiches oder der Identitätslogik des klei- ten auf die Fragen von Preis und Quali- Die Grundwerte menschlicher Ent-
nen Premiumbereiches verkaufen will. tät – also Fragen, die sich rational be- scheidungen: Warum Vertrauen nicht
rechnen lassen – sind schlicht besser! mehr Vertrauen und Nähe nicht mehr
Wie Economy im Jahr 2030 funktio- Der Economy-Bereich, sprich: unsere Nähe ist
niert Alltagsentscheidungen des Jahres 2030,
werden bestimmt durch intelligente Bots Je stärker die kommende Bot-Economy
Im Economy-Bereich waren in den ver- und adaptive Angebote. jeden Menschen intelligent bei seinen
gangenen Jahren die Profiteure dieser Kaufentscheidungen unterstützt und je
Entwicklung die Vergleichsportale, spä- Wie Premium im Jahr 2030 funktio- mehr unsere intelligenten Bots die Ange-
ter kamen Onlinehändler hinzu. Beide niert bote und Produkte jeweils individuell und
funktionieren heute nach wie vor auf Ba- situativ an unsere Bedürfnisse anpas-
sis einer aktiven Suche der Kunden so- Der Premiumbereich ist das Gegenteil sen, desto unsinniger werden die etab-
wie eines weitgehend „unintelligenten“ von Economy. Hier suchen Kunden ganz lierten Formen herkömmlicher Marktfor-
Preisvergleichs. bewusst nicht nach der rationalen Ant- schung in den Unternehmen. Die meis-
wort auf Preis und Qualität, sondern ten Kundensegmentierungen, die wir Zu-
In den kommenden Jahren werden schalten ihre Bots ab. Doch warum soll- kunftsforscher in den Marketingabteilun-
Technologien der smarten Prognostik in ten sie das tun, wenn die digitalen Assis- gen antreffen, basieren auf Sinusmilieus
unsere Verkaufsprozesse einziehen. tenten doch so intelligent sind? oder Alterskohorten. Diese Modelle sind
Dann werden die digitalen Bots intelli- mehr als 30 Jahre alt und stammen aus
gent. Sie sind individuell und haben ih- Die Antwort ist: weil der Mensch in man- einer Zeit, in der es noch nicht einmal
ren Platz im Handy und auf den Displays chen Situationen nicht nach rationaler Handys gab.
der Kunden. Auf der Basis von Daten- Logik agiert, sondern nach der Logik des
analyse verstehen sie, wie ihr Besitzer „Identitätsmanagements“. Das bedeutet: Es versteht sich von selbst, dass diese
„tickt“ und welche Kundenbedürfnisse Menschen tun Dinge, deren Hauptzweck Modelle schnellstens ersetzt werden
ihn treiben. Darüber hinaus bemerken nicht die Erledigung von rationalen Not- müssen durch neue Kundensegmente
sie aufgrund von situativen Daten auch, wendigkeiten ist. Stattdessen wollen sie der Digitalära, die auf der unterschiedli-
wie sich von Moment zu Moment die ihre eigene Identität ausdrücken. Sie chen Technologieaffinität, der Bereit-
Kundenbedürfnisse ihres Nutzers verän- wollen ihren Mitmenschen, ihren Kolle- schaft zur Datenfreigabe und dem Grad
dern. Sie sind Teil eines großen „intelli- gen, Freunden und Bekannten und na- des Vertrauens in Technologie basieren.
genten Touchpoint-Managements“, das türlich auch ihrem eigenen Ego gegen- Eine entsprechende zukünftige Kunden-
die von vielen verschiedenen digitalen über beweisen, dass sie besonders sind: segmentierung hat der 2b AHEAD
Geräten gesammelten Daten verbindet besonders öko, besonders kulturinteres- ThinkTank ja schon im Jahr 2014 vorge-
und zu intelligenten Schlussfolgerungen siert, besonders sportlich, besonders in- stellt und seitdem immer wieder opti-
zusammenführt. novativ, besonders sparsam, besonders miert.7
luxusorientiert, besonders designaffin,
In der Konsequenz werden Verkaufspro- besonders regional verwurzelt – es gibt Doch hinter dem nötigen Wandel von
zesse, aber auch Produkte und Dienst- eine limitierte Anzahl von Identitäten. Tools und Methoden versteckt sich zu-
leistungen adaptiv, um bestmöglich zur dem ein Wertewandel, der die Art, wie
jeweiligen Nutzungssituation des Kun- Im Premiumbereich ist das treibende Be- wir Menschen vertrauen und wie wir un-
den zu passen. Zudem werden die Kun- dürfnis der Kunden, an Orte zu gehen sere Entscheidungen treffen, tiefer als
und Produkte zu kaufen, mit denen sie gedacht verändert.8 Lassen Sie uns das
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

in Form einer kleinen Anekdote erläu- gibt es die relationale Nähe. Sie be- Doch unsere Vorstellung des Kunden-
tern: schreibt den Grad der Zuneigung zuei- vertrauens wird gerade umdefiniert: Ver-
nander, die gleiche „Wellenlänge“. Ge- trauen ist kein starres Konstrukt mehr.
Wir waren eingeladen von den Vorstän- messen wird sie in der Qualität und Es wird nicht einmalig abgegeben von
den eines großen volksnahen Unterneh- Quantität der Interaktionen. Eine der einem kleinen Kunden an eine große
mens in Deutschland, um mit ihnen die Auswirkungen der Digitalisierung ist, Marke. Vielmehr wird Vertrauen dyna-
5-Jahres-Strategie für ihr Business zu dass in unseren Lebenswelten die relati- misch. Es entsteht, wenn zwei Partner
entwerfen und dabei unsere Expertise onale Nähe im Vergleich zu physischen miteinander gemeinsam an etwas „Gu-
im Bereich der unterschiedlichen Kun- Nähe an Bedeutung gewinnt. Es spricht tem“ arbeiten. Und es muss bei jedem
densegmente und deren Wertevorstel- einiges dafür, dass die relationale Nähe Kontakt erneut bewiesen werden. Dies
lungen einzubringen. Wir waren noch künftig sogar wichtiger wird als die phy- ist das Geheimnis der boomenden Bio-,
gar nicht zu Wort gekommen, da hatten sische. Öko- und aller anderen Social-Com-
bereits zwei Vorstände lautstark den merce-Modelle. Vertrauen ist in die Ni-
Werteverfall der Jugend beklagt. Wir wa- Oder in einfacheren Worten: Wenn sche gewandert, weil die Masse schon
ren nicht überrascht, denn dies passiert „Nähe“ zu Ihren zentralen Unterneh- immer nur ein Hilfskonstrukt für Zeiten
derzeit häufig in Vorstandskreisen. Wer menswerten gehört, dann werden Sie war, in denen wir es nicht besser wuss-
dies jedoch unwidersprochen stehen diese 2030 natürlich nicht mit Filialen ten. Falls also „Vertrauen“ zu Ihren zent-
lässt, macht es sich allzu einfach. Wir herstellen, sondern damit, dass Sie mit ralen Unternehmenswerten gehört, wer-
haben die Vorstände damals nach ihren Ihren Bots permanent auf den Displays den Sie Ihren Markenglauben ersetzen
zentralen Unternehmenswerten gefragt. Ihrer Kunden verfügbar sind, dass Sie müssen. Wer Vertrauen will, muss per-
Die Antwort kam wie aus der Pistole ge- die Bedürfnisse Ihrer Kunden beobach- manent Anerkennung geben.
schossen: „Nähe“, „Vertrauen“ und „Si- ten, analysieren und proaktiv erfüllen.
cherheit“! Bravo! Zustimmendes Nicken
in der großen Runde. „Und wie messen Vertrauen wird nicht mehr an Marken
Sie die ‚Nähe‘?“, fragten wir. „Wir sind vergeben!
nah am Kunden, unsere Filialen sind Für Fragen, Anregungen oder Anfra-
überall“, antwortete der gefragte Vor- Auch bei einem zweiten zentralen Unter- gen zu Beratungsprojekten des
stand im Brustton der Überzeugung. Wir nehmenswert gibt es Veränderungen: Zukunftsforschungsinstituts
schauten in die Runde und fragten: dem Kundenvertrauen. Früher war die „2b AHEAD ThinkTank“ erreichen Sie
„Dann messen Sie also Nähe in Me- Welt des Vertrauens recht einfach: Es Sven Gabor Janszky unter:
tern?“ wurde aufgrund von Größe vergeben.
Denn wer eine große Marke war, bei Email: sven.janszky@2bahead.com
Nähe wird nicht mehr in Metern ge- dem kauften viele Menschen, und die Tel.: +49 341 1247 9610
messen konnten sich ja nicht alle irren. Die Basis
dieser Art des Vertrauens war ein Miss- Web: www.zukunft.consulting
Mit dieser Frage sind wir schon am Kern stand: Es schien für uns Kunden unmög-
des weit verbreiteten Missverständnis- lich, aus der Masse der angebotenen Twitter: @janszky
ses über Werte. Wer nämlich glaubt, die Produkte jederzeit das tatsächlich pas- LinkedIn: svengaborjanszky
Nähe zum Kunden durch viele Filialen sende herauszufiltern. Es gab einfach zu WeChat: wxid_r0t3bq89keuq22
herstellen zu müssen, misst seine Kun- viele. Unsere Lösung war einfach: Wir Xing: SvenGabor_Janszky
dennähe als Abstand von der Kunden- vertrauten der Masse. Unsere Wirtschaft Facebook: svengabor.janszky
wohnung zu seiner Filiale. Und misst da- war eine Massenwirtschaft. Für Unter-
mit an der Realität vorbei! nehmen bedeutete das: Sie mussten al-
les daransetzen, eine große, schillernde
Die Wissenschaft kennt seit jeher ver- Marke zu werden.
schiedene Definitionen von Nähe. Da-
von ist die physikalische Nähe, also die
„Nähe in Metern“, nur eine. Daneben
Trendanalyse 6/2019 Sven Gábor Jánszky

1
Die derzeit aktuellste Zukunftsstudie zur kommenden Bot- https://www.zukunft.business/foresight/trendanalysen/analys zusammengefasst in der Trendanalyse des 2b AHEAD
Economy haben die Zukunftsforscher des 2b AHEAD e/selbstfahrende-autos-das-ende-von-bahn-oepnv-taxi/ - ThinkTanks. Vgl. JANSZKY, Sven Gabor: Der Luxus der
ThinkTanks vorgelegt. Vgl. CARL, Michael; LÜBCKE, Maria: Aufgenommen: 1.8.2018. Zukunft – Wie sich Premiummärkte verändern. Trendanalyse
Kundendialog 2025. Leipzig: 2b AHEAD Publishing. 2018. 5
Die kommenden „Kundensegmente der Digital-Ära“ inklu- des 2b AHEAD ThinkTanks. 2014.
https://www.zukunft.business/foresight/trendstudien/trendstu sive der beiden großen Economy- und Premiumbereiche so- https://www.zukunft.business/foresight/trendanalysen/analys
die/kundendialog-2025-der-dialog-zwischen-intelligenten- wie der darin befindlichen 9 Einzelkundensegmente sind e/trendanalyse-der-luxus-der-zukunft-wie-sich-
systemen/. - Aufgenommen: 27.06.2018 ausführlich und mit Strategieempfehlungen für den Handel premiummaerkte-veraendern/ - Aufgenommen: 1.8.2018.
2 7
Vgl. PICHAI, Sundar: Keynote Google I/O 18. beschrieben. Vgl. CELKO, Max; JANSZKY, Sven Gabor: Zu- Vgl. JANSZKY, Sven Gabor: Die neuen Kundenzielgruppen
https://www.youtube.com/watch?v=ogfYd705cRs, 2018. - kunft des Stationären Handels. Trendstudie des 2b AHEAD der Digital-Ära. Trendanalyse des 2b AHEAD ThinkTanks,
Aufgenommen: 12.05.2018. ThinkTanks. Leipzig: 2014, https://www.zukunft.business/fo- Leipzig, 2014: https://www.zukunft.business/foresight/trenda-
3
Vgl. JANSZKY, Sven Gabor: Das Recruiting-Dilemma. Frei- resight/trendstudien/trendstudie/zukunft-des-stationaeren- nalysen/analyse/trendanalyse-die-neuen-kundenzielgruppen-
burg: Haufe Verlag, 2014 und ABICHT, Lothar; JANSZKY, handels/ und JANSZKY, Sven Gabor: Zukunft des Verkau- der-digital-aera/ - Aufgenommen: 1.8.2018.
Sven Gabor: 2025 – So arbeiten wir in der Zukunft. Wien: fens. Trendstudie des 2b AHEAD ThinkTanks. Leipzig. 2013. 8
Für eine ausführliche Analyse zum Wertewandel in den
Goldegg-Verlag, 2013 https://www.zukunft.business/foresight/trendstudien/trendstu- kommenden Jahren, vgl. JANSZKY, Sven Gabor (Hrsg.): Die
4
Vgl. JANSZKY, Sven Gabor: Selbstfahrende Autos – Das die/zukunft-des-verkaufens/ - beide aufgenommen: 1.8.2018. Neuvermessung der Werte. Wien: Goldegg-Verlag, 2014
6
Ende von Bahn, ÖPNV und Taxi? Trendanalyse des 2b Sie finden die ausführliche Erklärung zu den verschiedenen
AHEAD ThinkTanks, Leipzig, 2015: Handels-Strategien im neuen Premium-Segment

Das aktuelle Trendbuch aus dem 2b AHEAD ThinkTank

Mit seinen Erfolgsbüchern „2020“ und „2025“ zog Europas führender Zu-
kunftsforscher die Leser bereits in seinen Bann. In „2030“ lässt er uns einen
Tag im Jahr 2030 erleben. Mit allen Gefühlen, Hoffnungen und Ängsten.
Lebensecht! Faszinierend! Schockierend! Folgen Sie ihm in unsere aufre-
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Ihre Zukunft zu lieben! Sie werden Ihr ganzes Leben mit ihr verbringen!
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