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8 Arbeitsblatt 2 Mit literarischen Texten umgehen

Den Inhalt einer Kurzgeschichte wiedergeben

1 Lesen Sie die Geschichte und klären Sie unbekannte


Begriffe.

Im falschen Zimmer?

. „Um sieben beim ‚Thai‘?“, fragt die Chefin. Also gut, um . nem Schatten löst sich eine zweite Person, eine Frau. „Bitte,
. sieben beim Thai; jetzt ist es zwanzig nach sechs − heißt 40 . Entschuldigung“, sagt sie, „eine Verwechslung. Ich bin gleich
. Minuten zum Hetzen ins Hotel, Anrufen zu Hause, was ma- . wieder weg.“ Mein Hirn bereitet die Frage vor, ob sie ihren
. chen die Kinder, hustet Johannes noch, nein, ich bin nicht 50 Begleiter wohl bei mir lassen will. Doch auch der macht jetzt
5 genervt, vielleicht noch ein bisschen frisch machen, viel- . Anstalten zu gehen. Fast ist er schon draußen, als er sich
. leicht auch nicht. Dann „zum Thai“ in die schicke Shopping- . noch einmal umdreht und triumphierend seinen Schlüs-
. Galerie sprinten und schönen Großstadt-Menschen beim . selbund hochhält, wie ein kleiner Junge, der ein Spielzeug
. After-Work-Chillen zugucken. . wiedergefunden hat. „Ich schließe auch wieder ab!“, seine
. Im Hotelzimmer empfangen mich, da, wo normalerweise 55 Stimme hat sich wieder gefangen.
10 der Koffer geparkt wird, wie sorgfältig arrangiert, ein T- . Es rappelt und klackert noch einmal kurz, Schritte entfer-
. Shirt, ein Taschenbuch, eine Bürste, ein Fön. Wie konnte das . nen sich, dann ist Ruhe. Was ich außer dem Straßenverkehr
. der Room-Service übersehen? „Oh, sorry, sorry … tun wir . noch höre, ist mein Atem. Bin erstaunt, wie ruhig der geht.
. gleich weg!“, meint der Mensch an der Rezeption lächelnd. . Meine linke Hirnhälfte flüstert mir, dass ich das alles
. Ich lächle zurück und haste hinaus − mit dem Zimmer- 60 geträumt habe. Die rechte ist anderer Meinung. Ich mache
15 schlüssel in der Tasche. . das Licht aus, Dunkelheit und Müdigkeit nehmen mir eine
. Das merke ich erst nachts um 11, als ich wieder reinkom- . Entscheidung ab.
. me. Schnell rupfe ich das klobige Teil aus dem Mantel, halte . Doch beim Aufwachen stellt sich die Frage erneut: War
. es fast triumphierend hoch und, froh, keinen Smalltalk mit . das ein Traum? Oder war da wirklich jemand im Zimmer?
. dem Portier machen zu müssen, stürme ich an ihm vorbei 65 Eine Antwort habe ich auch immer noch nicht, als ich den
20 Richtung Aufzug. . Frühstücksraum wieder verlasse. Die Themen des neuen
. Eine, vielleicht zwei Stunden habe ich geschlafen, als . Tages beginnen sich in den Vordergrund zu drängen − und
. mich heftiges Schlüsselgerappel auf dem Gang weckt. Wer . werden schlagartig weggeschoben, als ich eine irgendwie be-
. kämpft da so mit seinem Schlüsselloch? Geht das leiser? . kannte Silhouette an der Rezeption sehe. Zwei Meter, Glatze.
. Vielleicht haben diese smarten Chipkarten doch etwas Gu- 70 Noch bevor ich überlegen kann, wie ich jetzt vorgehen
25 tes. Aber das Getöse lässt nicht nach, im Gegenteil, es wird . soll, hat er mich gesehen.
. noch lauter und es ist jetzt klar meine Tür, um die es hier . „Also wirklich“, textet er los, „tut uns echt leid. Aber die
. geht. . hat so einen Stress hier gemacht heut’ Nacht“. Er schaut sich
. Gibt es eigentlich etwas Privateres als ein Hotelzimmer? . kurz um, ob „die“ ihn nicht versehentlich hört.
. 22 Jahre Außendienst haben diese Meinung gepflegt. Jetzt 75 „Ich konnte die nicht überzeugen“, fährt er fort, „die be-
30 bricht sie in sich zusammen. Ich versuche mich aufzurich- . stand einfach darauf, in Ihr Zimmer zu kommen. Bevor mir
. ten, irgendwie ins Sitzen zu kommen. Noch während dieser . das dann zu laut wurde, habe ich den Generalschlüssel …“
. seltsam komplizierte Vorgang abläuft, schafft es der Ein- . Er zögert, setzt wieder an. „Na ja, und so sind wir eben bei
. dringling ins Zimmer. Knapp zwei Meter groß, Glatze, mehr . Ihnen gelandet.“
. bleibt mir erspart. Das Licht hat er dankenswerterweise 80 Ganz langsam sortieren sich bei mir die Fakten. Aber of-
35 nicht eingeschaltet. Nur vom Korridor her fällt etwas davon . fenbar schaue ich ihn noch immer reichlich verständnislos an.
. ins Zimmer, beleuchtet ihn spärlich von der Seite. . „Es tut uns leid“, fängt er wieder an. „Der Kollege hat das
. „So ist das also“, denke ich, „da hast du immer gedacht, . Zimmer quasi zweimal vergeben.
. dir passiert nichts, andere werden überfallen, ausgeraubt . D i e (er schaut sich wieder um) war eben schon früh am
. und Gott weiß, was alles noch. Und jetzt sitzt du hier in dei- 85 Nachmittag da, hat ihren Schlüssel an der Rezeption abge-
40 nem Schlafanzug, vor dir steht ein Zweimeterkerl und macht . geben − und, na ja, Sie haben ihn dann bekommen. Aber
. dir gleich ein Angebot, welches du besser nicht abschlagen . − sein Gesicht hellt sich merklich auf, er beugt sich konspi-
. solltest.“ . rativ vor, ganz so, als würde er mir ein besonderes Geschenk
. „Ach, äh, Sie sind hier drin“, krächzt er und ich überlege, . machen − da hätten Sie doch mal ’ne klasse Frau im Zimmer
. warum gewaltige, massige Männer oft dünne Stimmchen 90 gehabt, also wirklich …“
45 haben. Seine Feststellung klingt schwach, geradezu banal. . „Wie meinen Sie?“, höre ich mich fragen.
. Ein Räuspern kommt dazu − aber nicht von ihm. Aus sei- . „Na ja, also, die war wirklich gut, sehr passabel …!“
Martin Kraemer, Petersberg 2013

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Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch
Autor: Richard Schürmann deutsch.kompetent, Berufliche Schulen
ISBN: 978-3-12-803701-1
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gestattet. Die Kopiergebühren sind abgegolten.

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