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Abscjehteznt baulsch im
Taandel erhältlich
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Kira Flinkenflügel
Schatten der Nacht
Vorwort
„Sue“, rief eine kalte, Angsteinflößende Stimme hinter mir, „Na
endlich“. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, ich wusste wer
es war, dennoch warf ich einen schnellen Blick über die Schulter.
Und dann sah ich ihn ein paar Meter von mir entfernt stehen, na
ja eher gesagt schweben. Er war in einen schwarzen Umhang ge-
hüllt, der fast den Boden berührte und so seine Beine verdeckte.
Der Jäger, ich versuchte nicht zu denken, mein Jäger, hatte kei-
ne Schuhe an und trug eine seltsame, spitze Stahlkette um den
Hals. Als er sah, dass ich ihn musterte, verzog er seinen Mund
zu einem Lächeln. Es war das grausamste Lächeln, das ich je zu
Gesicht bekommen hatte, und außerdem hatte ich Angst, fürch-
terliche Angst…
Für einen kleinen Moment verharrte mein Blick in seinen tiefen,
dunklen Augen, die mir so vertraut vorkamen, dass mich unwill-
kürlich ein Schmerz durchzuckte.
Als ich mich gefasst hatte, wandte ich mich ihm wieder zu. Er
hatte sich keinen Millimeter bewegt, doch noch immer lächelte
er. Mich ergriff die Furcht. Das war mein Ende. Plötzlich fühlte
ich auch noch was anderes als Angst… Ich fühlte Wut.
Ich war zutiefst geschockt von mir selbst, denn ich hatte auf ein-
mal die Lust ihm einfach den Kopf abzureißen oder mich auf ihn
zu stürzen…
Auch er schien meinen Drang zu spüren, denn er ging jetzt ge-
zielt, aber trotzdem ruhig auf mich zu, um seinen langen, dürren
Arm nach mir auszustrecken… ich konnte nicht mehr denken
und auch nicht mehr atmen. Bald war alles vorüber. Jetzt war alles
vorüber. Ich zitterte. Auf einmal hörte ich einen schrillen Schrei.
Es war meiner. Kurz darauf fiel ich in eine dunkle Höhle…
Kapitel 1
Ich irre, in meinem Traum, durch einen düsteren Wald. Die Blät-
ter von den Bäumen hängen dicht und feucht vom Regen herab
und schützen mich somit vor dem Unwetter, das über das Tal her-
grollt. Es ist alles sehr still. Nicht einmal ein Vogel zwitschert her-
um. Plötzlich sehe ich mein Ziel: Es ist ein kleines Haus mit einer
hübschen, rot angestrichenen Veranda. Rund um das Haus ranken
sich mehrere Pflanzen, wobei ich feststellen muss, dass das Haus
seit Jahren unbewohnt ist. Ich gehe auf die Tür zu und klopfe. Als
mir niemand antwortet, öffne ich sie und trete ein. Hier drin macht
das Haus nicht einmal annährend den einladenden Eindruck, wie
es von außen ausgesehen hatte. Die Tapete ist alt und schäbig und
haftet kaum noch an den Wänden. Der Fußboden ist schmutzig und
das Sofa, das in der Ecke steht, mottenzerfressen. Beim Begutachten
des Zimmers ist mir eine Wendeltreppe ins Auge gefallen und so
gehe ich mit zügigen Schritten auf sie zu. Bei jedem meiner Schritte
ächzt sie unter meinem Gewicht und pufft kleine Staubwolken aus,
die mir die Sicht vernebeln. Als ich endlich oben angekommen bin
(die Treppe hat genau 136 Stufen), betrete ich einen kleinen Raum,
der, mit Ausnahme eines kleinen Lichtspaltes am Fenster, völlig ver-
dunkelt ist. An einem kleinen Schreibtisch, aus Holz sitzt eine alte
Frau, die die grauen Haare offen über die Schulter hängen lässt. Ich
will sie nicht erschrecken, also gehe ich (oder will es zumindest)
langsam und leise in ein anderes Zimmer, doch bei meinem Glück
stolpere ich über einen, am Boden herumliegenden Aktenordner.
Die Frau erstarrt und dreht sich langsam zu mir um. Ich stehe wie
versteinert da und starre in ihre großen, runden und klugen Augen.
Sie lächelt. Doch auf einmal verschwindet ihr Lächeln und es taucht
stattdessen eine Grimasse auf. Die braunen Augen verfärben sich in
ein beängstigendes Rubinrot und ihre Zähne die sich hinter ihrer
Grimasse verbergen, kommen mir plötzlich messerscharf vor. Ich
schlucke, noch immer bewegungsunfähig. Die Frau erhebt sich aus
ihrem Ledersessel und kommt auf mich zu. Nein. „Hilfe“, flüstere
ich, kaum hörbar. Sie grinst wieder… „NEIN“, diesmal schreie ich
aus Leibeskräften. „Nein, Hilfe, nein!“

„Mensch Sue, kannst du nicht einmal in der Nacht deine Klappe


halten? Ich will schlafen!“
Ich schlug meine Augen auf. Ich lag in meinem Bett und bemerkte
jetzt erst, dass ich schweißgebadet war.
Am Türrahmen einer alten Holztür stützte sich mein 11-Jähriger
Bruder ab und funkelte mich wütend an. „Ich…“, setzte ich an, doch
meine Stimme klang merkwürdig heiser. „Geh schlafen“, brachte ich
noch gerade raus, ehe sie ganz versagte. Mein Bruder brummte ir-
gendetwas Unzuverlässiges, das wie dumme Schwester und weiß
von gar nichts klang, bevor er das Zimmer verließ. Ich atmete tief
ein und aus. Ich musste mich beruhigen, das war nichts weiter als
ein dummer Alptraum und ich war noch dumm dazu. So! Ich dreh-
te mich auf die andere Seite und probierte wieder einzuschlafen,
doch das half wenig. Denn erstens war ich viel zu durcheinander
und aufgewühlt und zweitens wollte ich gar nicht mehr einschlafen,
denn ich hatte Angst noch mal genau denselben Traum (na ja, Alp-
traum) zu träumen. Also stand ich auf und ging nach unten in die
Küche, um mir einen heißen Tee zumachen. Die Wanduhr zeigte
00.01 an. Eine Minute nach Mitternacht. Wie mysteriös. Ich musste
lachen über mich selbst, seit wann hielt ich etwas von dem ganzen
Aberglauben?! Ich schüttelte meinen Kopf. Schwachsinn! Das heiße
Getränk brannte mir in der Kehle, als ich mich auf das Sofa legte. Im
nächsten Moment überwältigte mich die Müdigkeit und ich schlief
ein. Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr an den Alp-
traum erinnern.
Kapitel 2

Als ich die Augen aufschlug, befand ich mich schon im Flieger. Es
roch ein bisschen muffig und der Sitzplatz war auch nicht der be-
quemste, doch das alles war mir in diesem Moment egal. Auf ein-
mal wurde mir bewusst, dass ich Vater jeden Moment wiedersehen
könnte. Ich kannte ihn zwar nur von Bildern, die mir meine Mutter
früher gezeigt hatte, aber ich wusste, dass er sie, meinen Bruder und
mich verlassen hatte. Eines Tages ist er einfach verschwunden mit
der Nachricht, er hielte es nicht länger bei uns aus. Er hatte mei-
ner Mutter das Herz gebrochen. Kurz darauf starb sie. Nun glaubte
Vater, indem er mich bei sich einziehen ließ, dass alles wieder in
Ordnung sei und ich ihm verzeihen würde. Doch ich werde ihm nie
verzeihen. Nicht für das, was er Mutter angetan hatte. Ich kannte
den Ort zwar noch nicht, indem Vater lebte, aber ich hatte gehört,
dort müsse man arbeiten, um zu überleben. Ich vermisste meine
Mutter. Ich konnte mich noch an ihre weiche, warme Stimme erin-
nern, die mich abends in den Schlaf gewogen hatte. Um mich ab-
zulenken zählte ich die einzelnen Regentropfen, die je weiter wir in
Richtung Norden kamen zu kleinen, weißen Schneeflocken wurden.
Plötzlich unterbrach mich eine tiefe, raue Stimme und ich schreckte
auf. „Wollen Sie nicht auch aussteigen, Madam?“ Ich schaute nach
draußen. Das Flugzeug war schon längst gelandet und die Passa-
giere ausgestiegen. Nur ich saß noch auf meinen Platz fest, wie
eine Gummischraube und starrte direkt in die Augen eines jungen
Mannes, der mich fragend anschaute und mit einer Handbewegung
zur Tür wies. Verdattert stand ich auf und kam mir selbst leicht be-
scheuert vor. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht führte mich der
Mann nach draußen, wo mir eine Böe eisiger Wind durch das Haar
fegte. Ich flüsterte ein „Danke“ und versteckte mich in meiner viel
zu großen, pelzigen Winterjacke. Doch der junge Mann lachte nur
und verabschiedete sich dann. Mir war ein bisschen mulmig zu-
mute, aber ich würgte das Gefühl hinunter, gleich schreiend in das
nächste Flugzeug zu stürzen, um nach Hause zu fliegen. Noch wäh-
rend ich wartete, wurde mir bewusst, dass niemand mich abholen
würde. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Taxi. Der
Flughafen hatte etwas Bedrückendes an sich. Die schmalen, spitzen
Häuser, die um ihn standen, glichen sich wie einem Ei dem ande-
ren. Ich lief zum Parkhaus. Die eisige Kälte schnitt mir in die Keh-
le bei jedem meiner Schritte. Hier war es alles andere als leer. Die
Menschen tummelten sich, wie ein zu großer Ameisenhaufen. Die
Autos hupten und überall schrien sich Leute Beleidigungen an den
Kopf. Ich winkte einem vorbeifahrenden Taxifahrer zu, der mit ei-
nem Schlittern zum Stehen kam.
Keine zwei Minuten später, saß ich in dem schön beheizten Wagen
und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Doch es klappte
nicht. Die schneebedeckten Felder huschten an uns vorbei und nach
einer halben Ewigkeit (so kam es mir vor) konnte man auch schon
ein paar einzelne Hütten erkennen, die fast im ganzen Weiß einge-
sunken waren. Noch während ich an mein neues Leben dachte, hielt
der Wagen plötzlich an. Ich bezahlte und stieg aus. Leicht verwirrt
schaute ich mich um. Ich hielt scharf den Atem an, als ich das er-
blickte, was ich am wenigsten erwartet hätte. Denn es war prächtig.
Eine gewaltige Villa mit einem Turm, der so hoch in die Höhe ragte,
dass es aussah als berühre er die Wolken. Ich fuhr die einzelnen
Linien nach, die sich um die Villa rankten. Die vielen Blüten und
Gewächse. Hinten im Hof stand ein riesiger Springbrunnen, der
das Wasser in alle Richtungen spukte. Es rannten Arbeiter vorbei.
Nickten sich kaum merklich zu. Hier war Hektik angesagt. Objek-
tiv gesehen, machte es einen freundlichen Eindruck, doch die Villa
sprühte eine Kälte aus, die man nicht beschreiben konnte. Irgend-
wie kam mir der Ort nicht vertraut vor. Irgendwas lauerte hinter
den schönen weißen Wänden, nur um darauf zu warten rausgelas-
sen zu werden. Ich wagte nicht meinen Blick abzuwenden, als ich
plötzlich Schritte hörte. Kleine trippelnde Schritte, die vielleicht zu
einem Kind gehörten. „ Ach du armes Kind! Du musst hier drau-
ßen ganz allein in der Kälte stehen. Komm schnell mit, ich habe
schon einen heißen Tee für dich vorbereitet“, hörte ich eine weiche
und sanfte Stimme sagen, die so gar nicht zu dem Kind passte, das
ich mir vorgestellt hatte. Ich drehte mich um und blickte hinunter
auf eine kleine, alte Frau, die die Jahre schon sehr mitgenommen
hatten. Dennoch hatte sie etwas Friedliches, etwas Beruhigendes an
sich, dass sie mich an meine Mutter erinnerte. Meine Mutter starb
vor wenigen Monaten an einem Herzstillstand. Doch ich glaubte
nicht daran. Irgendetwas gab mir den Anlass zu denken, dass sie
aus anderen Gründen starb. Aus Gründen, die vielleicht nichts mit
den täglichen Todesursachen zu tun hatten. Vielleicht war sie aus
Sehnsucht nach meinem Vater gestorben, vielleicht auch nicht. So
viele Fragen waren noch offen und dennoch hatte ich nie eine Ant-
wort auf sie erhalten. „Ich nehme mal an du bist Sue. Dein Vater
wartet schon ungeduldig auf dich. Folge mir, bitte.“ Ohne auf meine
Antwort zu warten, marschierte sie los. Wir gingen durch einen tie-
fen Wald, der uns Schutz bot vor dem wütenden Wind. Trotzdem
war es kalt. Zu kalt nach meinem Geschmack. Ich stampfte einfach
schweigend hinter der alten Dame her, ohne auch nur einen Mucks
von mir zu geben. Ich achtete sorgfältig darauf, mich wie ein Leo-
pard zu bewegen. Schnell, aber leise. Als meine Mutter gestorben
war, hatten mein Bruder und ich niemanden, der uns versorgen
konnte, also hatte ich die Aufgabe übernommen. Tag für Tag bin ich
Arbeiten gegangen und habe dafür gesorgt, dass unsere Hauskasse
immer voll blieb. Ich hatte eigentlich generell die ganzen Hausarbei-
ten übernommen. Putzen, Waschen und Versorgen. Das stand alles
auf meiner Liste. Und Fliehen. Fliehen vor der Polizei, da wir nicht
ins Heim wollten.
Doch dann hatte sie uns erwischt und so wurden wir getrennt. Mein
kleiner Bruder wurde ins Heim geschickt, ich zu meinem Vater. Wa-
rum sie uns getrennt hatten, wussten wir nicht und auch warum ich
zu Vater musste, war unklar. Ich fühlte auf einmal einen pochenden
Schmerz in meiner Brust, der gleich mein Herz zerreißen würde,
als ich an meinen geliebten Bruder Jake dachte. Meine Beine waren
schon taub, als wir endlich zu einer kleinen Hütte gelangten, in der
anscheinend mein Vater lebte.
Den ganzen Weg über hatte mich die ganze Zeit ein einziges Ge-
fühl geplagt. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es Angst war. Angst
davor meinen Vater zu sehen. Je näher wir der Hütte kamen, desto
unruhiger wurde ich. Plötzlich schwang die Tür auf. Und mein Va-
ter trat heraus.

Ich hatte mich nicht genug darauf vorbereitet. Ich hatte nicht ge-
wusst was mich erwartet. Ich hatte es mir wahrscheinlich anders
vorgestellt. Auf jeden Fall nicht so.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, kam es mir vor wie ein
Traum indem ich umherwandelte, nicht wissend, wohin ich gehen
sollte.
Es war wie ein Schock. Ich hatte mir ihn früher wie einen bösen
Wissenschaftler vorgestellt: Mit weißen zerzausten Haaren und ei-
ner großen Brille. Aber nein. Vor mir stand ein Mann, mit einem
freundlichen Gesichtsausdruck, braunen Haaren, die ihm auf die
Schultern fielen und einem kleinen Geschenk in der Hand. Viel-
leicht hatte ich mich vorher viel zu sehr in die Sache hineingestei-
gert, aber vielleicht täuschte sein Aussehen, vielleicht saß der Schock
auch nur so tief, da mir in diesem Moment bewusst geworden war,
dass das hier der Mann war, der meiner Mutter das Herz gebrochen
hatte, der sie so lange gequält hatte, bis sie starb. „ Sue, kommst
du?!“, die Stimme meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken.
„ Es gibt Frühstück. Ich habe extra Eier und Speck aus dem Dorf
geholt.“ Nun ja, als Gastgeber war er nicht schlecht, aber dennoch
hatte ich das Gefühl ihm nicht vertrauen zu können. Ich durfte ihm
nicht vertrauen.
Nachdem ich geduscht, gekämmt und angezogen war, ging ich in
die Küche. Niemand war da. Mit Ausnahme eines kleinen Zettels,
der an der Küchenschublade hing. Ich kam näher und schaute ihn
genauer an. Tut mir leid, ich habe einen Auftrag vom Fürsten be-
kommen. Du findest mich später in den Minen. Gut, dann konnte
ich ohne Vater frühstücken, was vielleicht sogar besser war, da ich
keine Lust hatte, ihm jetzt unter die Augen zu treten. Noch nicht.
Als ich gefrühstückt hatte, ging ich nach draußen um frische Luft
zu schnappen. Eisiger Wind schoss mir ins Gesicht und verdeckte
meine Augen mit kleinen, weißen Flocken.
Hier und da sah man gestresste Menschen vorbeihetzen und Kin-
der, die auf den Straßen spielten. Das Wetter tat gut, da es mich
abkühlte und ich so wieder richtig denken konnte. Noch während
ich durch den dichten Schnee tapste, kam plötzlich Bewegung in die
Menge. Der Arbeitstag hatte angefangen. Jeder wollte nur so schnell
wie möglich zu seinem Platzt kommen, an dem er arbeitete. Je mehr
man schaffte, desto mehr Geld bekam man auch. Hier wurde ge-
schubst und einander beschimpft. Ich wusste, dass auch ich heute
meine Aufgabeneinteilung von dem Politiker, Samuel Thomson er-
halten werde. Es gab vier verschiedene Aufgabenbereiche, die man
zugewiesen bekommen konnte. Einmal Feldarbeit. Dort musste
man genug gutes Getreide anbauen um sich selbst und den Staat zu
versorgen. Den Staat sollte man allerdings mit Geld versorgen, das
man beim Großhandelsmarkt verdienen konnte. Der zweite Aufga-
benbereich war Viehzucht. Es war eine ähnliche Arbeit, wie beim
Getreideanbau außer, dass man mehr Geld für frisches Fleisch be-
kam, aber dementsprechend musste man dies auch wieder für das
Tierfutter ausgeben. Der dritte Aufgabenbereich war das Putzen
und Kochen in der Villa, in der Samuel Thomson mit seinem Sohn
Danilo lebte. Die vierte Arbeit war das Jagen, um frisches Fleisch
zu besorgen und damit der Anteil der Tiere im Wald nicht zu hoch
wurde. Die fünfte und damit die letzte Aufgabe, war das Organisie-
ren von Festen, Bauplanungen von Gebäuden und das Zählen von
Geld. Samuel wollte seinen Geldbetrag immer wissen um damit vor
anderen, etwas ärmeren Politikern prahlen zu können. Ja, das Le-
ben war eigenartig und hart hier. Ich fragte mich, warum in diesem
Gebiet so viele Leute lebten. Ich würde fast schon lieber auf dem
Mond wohnen.

Ich betrat den marmorgepflasterten Boden des Schlosses. Es war


alles blitzblank poliert. Man konnte von hier aus den prächtigen
Garten sehen, der von Rosen umringt war. In der Mitte plätscherte
ein Springbrunnen.
Hier und da eilte ein Hausarbeiter vorbei mit ihren Schneeweißen
Anzügen. Im Gegensatz zu ihnen, fühlte ich mich leicht schmutzig
in meiner durchlöcherten Jeans und meinem dreckigen Pullover.
Meine Schritte hallten auf dem Boden wieder, als ich den Raum be-
trat, wo man mir sagte, hier säße immer Samuel Thomson. Doch da
war niemand. Ich schaute mich ein bisschen genauer um. Ich war
hier in der größten Bibliothek, die ich je in meinem Leben gese-
hen hatte, gelandet. Ich liebte Bücher. In ihnen konnte man seinen
Gedanken freien Lauf lassen und seine Sorgen vergessen. Ich ging
zu den Bücherregalen, die fast bis zur Decke reichten. Ich strich
über die Einbände und las die Titel. Schließlich zog ich eines her-
aus und überprüfte es. Ich setzte mich in den großen Ohrensessel
der neben dem Kamin stand und fing an zu lesen. Ich war so in das
Buch vertieft, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass die Tür aufging
und jemand eintrat. „ Ich hoffe, ich störe nicht, junges Fräulein.“
Ich schreckte hoch und hätte fast laut auf geschrien, als ich einen
jungen Mann, Anfang zwanzig sah. „ Entschuldigung, ich wollte Sie
nicht erschrecken, aber ich glaube mein Vater erwartet Sie schon
sehnsüchtig im Salon“ sagte er mit einem französischen Akzent in
der Stimme. Oh mein Gott! Er war der Sohn von Samuel! Ich war zu
beschämt um eine Antwort zu geben. Stattessen nickte ich nur und
wollte am liebsten im Boden versinken.

Der Salon war riesig und es war alles vergoldet. Mächtige Säulen
ragten vom Boden bis zur Decke empor und es war als ob alles wie
tausende von Diamanten glitzerte. In der Mitte des Salons stand ein
prächtiger Tisch, der anscheinend aus vielen Edelsteinen zu beste-
hen schien. Auf einem großen Sessel thronte Samuel. Er wirkte wie
ein König, mächtig und (nun ja) herrschsüchtig. „Fräulein Smith
ist eingetroffen, Herr. Wünschen Sie noch irgendetwas?“, fragte ein
Hausarbeiter.
„Nein, bitte lassen Sie mich mit Fräulein Smith allein.“ Er machte
eine kurze Atempause und fuhr fort, als sein Diener gegangen war:
„Nun ja, Sue nehme ich mal an. Bitte, steh nicht so rum, such dir
doch einen gemütlichen Platz aus.“ Erst stand ich noch eine Weile
wie versteinert da, dann setzte ich mich langsam auf einen Stuhl,
der am weitesten weg von ihm war. Er tat so als würde er es nicht
bemerken.
„Vielleicht hast du dich schon ein wenig über unsere Lebenswei-
se und den verschiedenen Arbeitseinteilungen informiert…“ Ich
nickte. „Nun gut, umso besser. Du musst allerdings wissen, dass
niemand das Recht hat, wenn ich die Einteilungen mache, mir zu
widersprechen. Also, du nimmst die Arbeit, egal ob sie dir gefällt
oder nicht. Verstanden?!“ Wieder nickte ich. Dann fuhr er mit ho-
nigsüßer Stimme fort:
„Dann verrate mir mal was deine Stärken sind.“ Was sind meine
Stärken? Darüber hatte ich noch nie nachgedacht… Ich kann zwar
jagen… aber ist das meine Stärke? „Ähm… also ich kann gut Ja-
gen und…“, flüsterte ich. „Prima… das wäre doch schon mal etwas.
Am besten fangen wir schon morgen früh an dich zu trainieren.
Du musst schließlich fit sein, wenn du in diesem Bereich arbeiten
willst“, unterbrach Samuel Thomson mich und schenkte mir ein
aufgesetztes Lächeln. „Ich werde mich gleich darum kümmern ei-
nen angemessenen Lehrer für…“ „Ich brauche keinen Lehrer. Ich
kann jagen. Ein früherer Nachbar von uns, der auch Jäger ist, hat
mich mal in den Wald mitgenommen“, sagte ich. Zwar wusste ich,
dass man die Leute, die gesellschaftlich über einem stehen nicht un-
terbrechen durfte, aber ich wollte ihm das nur gesagt haben. Jetzt
fing ich an mich für mein Benehmen zu schämen. Auch mein neuer
Chef wirkte leicht erstaunt. Er versuchte diese unangenehme Situa-
tion zu überspielen, indem er einfach da weitermachte, wo er seinen
Satz beendet oder besser gesagt wo ich ihn unterbrochen hatte. Vie-
len Leuten würde er vielleicht sympathisch rüber kommen mit sei-
nen hellen Haar, seinen weichen Gesichtszügen und den blauen Au-
gen, aber ich hatte schon immer hinter die Fassade von Menschen
schauen können, die auf den ersten Blick so freundlich erschienen.
Auf einmal ging die Tür auf und ein Schwall kalter Luft strömte in
den Salon.
Ich drehte mich um. Es war der Sohn. „Was geleitet dich denn hier
her, Danilo?“ „Ich bitte um Entschuldigung, Vater. Aber du wirst
gerufen“, antwortete der junge Mann. Bis jetzt hatte ich noch nicht
die Möglichkeit ihn mir näher anzuschauen. Auf den ersten Blick,
war Danilo genau das Gegenbild seines Vaters. Er hatte kohlraben-
schwarze, etwas längere Haare, dunkle Augen, einen muskulösen
Körperbau und etwas härtere Gesichtszüge. Doch wenn man ge-
nauer hinblickte, erkannte man, dass die Beiden die gleichen ge-
schwungenen Augenbrauen hatten, die gleichen hohen Wangen-
knochen und die vollen Lippen. Samuel wirkte offen, herrschsüchtig
und sehr penibel. Sein Sohn eher geheimnisvoll und zielstrebig.
Plötzlich bemerkte ich, dass die beiden mich anstarrten und wurde
rot. Das war das Nervige an mir. Ich wurde immer sehr schnell rot,
da ich helle Haare mit einem rötlichen Schimmer hatte „Ich glaube
du kannst gehen, Sue“, sagte mein neuer Chef und ich machte mich
so schnell es möglich war, aus dem Staub.
Draußen angelangt, wurde ich von einer frischen Brise überrascht.
Es wurde bald schon Abend. Der Himmel verfärbte sich in einen
angenehmen roten Farbton. Noch heute wollte ich Vater bei seiner
Arbeit besuchen gehen. Der Weg führte durch den Wald an Gas-
sen und Häusern vorbei und endete schließlich an einem See. Das
Wasser war tiefblau und er war inmitten einer Lichtung. Die Sonne
schien hell und klar, wie schon lange nicht mehr. Die Berge, die fast
die Wolkendecke berührten, lagen groß und mächtig da, wie ein
lauernder Löwe. Plötzlich schoss aus den Gebüschen ein Schwarm
lauter Vögel hervor. Bunt und in allen Farben vorhanden. Es war
wie ein Farbenspiel. Mir wurde warm ums Herz.
Dennoch setzte ich meinen Weg fort.

Es war ein kleines Haus, indem Vater arbeitete. Es war sehr belebt
hier und die Arbeiter schienen in Eile zu sein. Als ich durch die gro-
ße, gläserne Eingangstür gehen wollte, wurde ich von einem Arbei-
ter zurückgepfiffen. „Na kleine Lady, was führt dich denn hier her?“
„Ich suche meinen Vater. Manu Smith. Ist er vielleicht hier?“ Ich
zeigte mit einer Handbewegung auf die Minen. Der Arbeiter run-
zelte die Stirn: „Nee, der ist schon längst gegangen. Hat einen Auf-
trag bekommen vom Chef. Handelt sich bestimmt wieder um einen
Betrug von einem anderen Politiker oder so. Er muss immer die
Drecksarbeit machen.“ Er schüttelte den Kopf und seufzte.
„Ähm… wo finde ich denn Vater?“ Der Mann sah so aus, als ich
hätte ich genau die Frage gestellt, die er am wenigsten beantworten
wollte. „Ich weiß es nicht genau. Nur eines, nämlich da wo sich kein
Mädchen deines Alters aufhalten sollte.“ Er beendete das Gespräch
mit einer komischen Geste und war dann verschwunden. Wenn Va-
ter sich nicht hier aufhält, wo soll er denn sonst sein, wo ich mich
nicht aufhalten durfte? Welches Geheimnis verbirgt Vater vor mir
und was wollte Samuel mit ihm besprechen? Ein Haufen Fragen
und irgendetwas war ziemlich faul an der Sache. Ich musste nur he-
rausfinden was. Ich sollte nach Hause gehen, sagte mein Verstand,
doch mein Gefühl meinte etwas anderes. Etwas zog mich zur Villa
hin, in die Bibliothek. Ich könnte mich jetzt von meinem Gefühl
leiten lassen und… Doch ich verwarf den Gedanken sofort. Wenn
ich in die Bibliothek wollte, dann bei Nacht.
Es war stockduster. Man konnte noch nicht mal seine eigene Hand
vor den Augen sehen. Es knisterte irgendwo. Plötzlich knackte ein
Ast unter mir. Ich hielt vor Schock den Atem an. Dann ging ich
weiter, immer schneller und schneller. Dann sah ich die Wachen,
die mit ihren Uniformen um die Villa hergingen. Schwer bewaffnet.
Als erwartete man noch heute einen Angriff. Ich war Jägerin. Ich
brauchte Mut, aber den hatte ich ja. Auf einmal hörte man Hufge-
trappel und die Wachen rannten zu dem Lärm. Noch während das
Geräusch lauter wurde, hörte man jemanden aufstöhnen. Es wa-
ren nur die Reiter, die auf der Jagd gewesen waren. Sie redeten leise
aufeinander ein. Ich nutzte die Chance. Ich schlich an der Mauer
vorbei, direkt auf die Villa zu. Mit ein bisschen Geschick kletter-
te ich an der Wand empor. Meine Hände waren voller Blasen, als
ich mich an der Fensterbank abstützte und hochzog. Mein eigener
Atem beschlug die Fensterscheibe und machte damit meine Sicht
zunichte. Das Fenster war einen Spalt breit geöffnet. Weit genug,
dass meine Hand hindurchpasste. Ich drehte den Griff so weit um
bis das Fenster aufging. Ich kletterte hindurch. Der Raum, in dem
ich gelandet war, war eher ein kleiner Dachboden auf zweiter Etage.
Überall hingen Spinnenweben und Staub in der Luft. Es war kalt
und der Boden war schon morsch. Ich entdeckte eine kleine Tür in
der Ecke. Sie war über und über mit Staub bedeckt. Ich probierte sie
zu öffnen, aber es ging nicht. Das kleine goldene Schloss an ihrer
Front, war so verrostet, dass ich meine Zweifel hatte ob überhaupt
ein Schlüssel reinpasste. Meine Hände fingen an zu schwitzen, als
ich versuchte die Tür aufzumachen. Ich stellte fest, dass ich in der
Klemme saß. Plötzlich machte sie einen Ruck und ging auf. Ich
fiel hin. Kurz darauf verfluchte ich die Tür, weil sie wahrscheinlich
durch den Lärm ein paar Wachen angelockt hatte.
Aber mein Weg zur Bibliothek blieb frei. Auf einmal hörte ich
Stimmen, als ich an einem Zimmer vorbeiging. Ich blieb stehen,
unschlüssig was ich tun sollte. Schließlich gab ich meinem Willen
nach und lauschte an der Tür. Doch diese war so dick, dass man
nur Wortfetzen verstand. „…Aber… locken… wie willst…“, hörte
ich einen Mann sagen, dessen Stimme ich nicht kannte. Der andere
Mann, dessen Stimme ich schon mal gehört hatte, räusperte sich
und fuhr fort: „Wir… kriegen… nicht einfach…“ Plötzlich mischte
sich ein dritter Mann ein: „Die Geschöpfe… Ihr nicht kriegen.“ wei-
ter verstand ich nicht, denn ich hatte mich schon abgewandt. Das
war die Stimme meines Vaters gewesen und die zweite gehörte zu
Samuel. Aber wer war der dritte Mann? Worüber hatten sie gespro-
chen? Mir wurde mulmig zumute. Hier hatte irgendwer einen Pakt
geschlossen, der eigentlich verboten gehörte, so hatte ich zumindest
den Eindruck. Das wurde zu viel für mich. Ich musste hier raus.
Und zwar sofort. Mit Panik in den Augen rannte ich die Steintrep-
pe hinunter und hätte fast Danilo umgerannt, der wie angewurzelt
auf dem Treppenabsatz stand. „Du bist aber spät dran… eigentlich
wollte ich gerade ins Bett gehen um ehrlich zu sein. Außerdem was
machst du überhaupt hier?“ Er runzelte die Stirn. Ich wollte ansetz-
ten und etwas sagen, aber mir wurde auf einmal schwarz vor den
Augen und ich fiel in einen dunklen Traum.

Ich bin in einem Wald. Ich renne. Regentropfen verfangen sich in


meinem Haar und lassen meine Locken, auf die ich so stolz bin,
hängen.
Ein Tier jagt an mir vorbei, doch ich bin schneller. Ich rase mit so ei-
ner Geschwindigkeit durch den Wald, dass mir speiübel wird. Plötz-
lich hebe ich ab. Leicht wie eine Feder, fliege ich über die Grenzen
des Landes, über den Ozean hinweg und schließlich dem Himmel
entgegen. Die Wolken fangen mich auf und kitzeln mich an meinen
Armen und Beinen. Es ist ein tolles Gefühl zu fliegen. Meine Sorgen
sind wie weggeblasen und ich fange an zu lachen. So laut, wie ich
noch nie gelacht habe. Ich bin frei, denke ich und knuffe leicht mit
der Hand in die nächste Wolke. Sie verfällt zu Regen.
Plötzlich verdunkelt sich der Himmel. Die Wolken verpuffen und es
ist nur noch eisiger Wind da. Ich fühle mich unbehaglich angreif-
bar und verletzlich. Ich versuche umzudrehen, doch es gelingt mir
nicht. Ich habe mich selbst nicht mehr unter Kontrolle. Es tauchen
Rauchwolken auf und ich habe immer mehr das Gefühl zu sinken
und gleichzeitig mit beängstigender Geschwindigkeit über das Tal
hinweg zu rasen nur um gleich festzustellen, dass ich in der Hölle
gelandet bin. Ich versuche mich zu bremsen. Auf einmal taucht ganz
unerwartet eine Fratze am Himmel auf. Die messerscharfen Zäh-
ne… die weit aufgerissenen Augen… Ich keuche auf vor Schmerz
als die Bestie nach meinem Bein schnappt. Ich will fliehen, aber
dennoch fliege ich immer weiter… weiter in den Tod.
Lesen sie jetzt wie es weiter geht

Kira Flinkenflügel
Schatten der Nacht
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