Sie sind auf Seite 1von 352

Hans-Christian Riekhof (Hrsg.

Strategien der Personalentwicklung


Hans-Christian Riekhof (Hrsg.)

Strategien der
Personalentwicklung
Mit Praxisbeispielen von
Bosch, Linde, Philips, Siemens,
Volkswagen und Weka

6. Auflage
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 1986
2. Auflage 1989
.
.
.
6. Auflage 2006
Alle Rechte vorbehalten
© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
Lektorat: Ulrike M. Vetter
Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
www.gabler.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-
wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu-
stimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im
Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher
von jedermann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden
Satz: Publishing Service R.-E. Schulz, Dreieich
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
Printed in Germany
ISBN-10 3-8349-0114-8
ISBN-13 978-3-8349-0114-9
Vorwort zur 6. Auflage

Mit dieser Ausgabe erscheint der Band „Strategien der Personalentwicklung“ nun-
mehr in der 6. Auflage. Damit sind seit dem Erscheinen der ersten Auflage im Jahre
1986 genau 20 Jahre vergangen. Die einzelnen Auflagen dokumentieren, wenn man
sie vergleichend zur Hand nimmt, damit auch ein Stück Geschichte der Management-
und Personalentwicklung in Deutschland.
Vergegenwärtigen wir uns einmal die besonderen Schwerpunkte der einzelnen Auf-
lagen. Bereits in der ersten Auflage von 1986 waren die Beziehungen zwischen Unter-
nehmensstrategie und Personalentwicklung ein wichtiges Thema: Die strategiegerech-
te Ausrichtung des Human-Resources-Bereiches wurde thematisiert.
Diese Frage erfährt derzeit eine beachtliche Renaissance. Der Bereich Human Resour-
ces wird zunehmend als Business-Partner angesehen, der die Linienbereiche bei der
Bewältigung der strategischen Aufgabenstellungen unterstützen muss. Einige der neu
in die 6. Auflage aufgenommenen Beiträge nehmen hierauf Bezug – unter anderem
eine empirische Studie des Herausgebers zu diesem Themenkreis, die gemeinsam mit
Julian Voss verfasst wurde.
In der zweiten Auflage von 1989 finden wir erstmals Instrumente der Personalent-
wicklung wie das Einzel-Assessment (das als Management-Audit heute sehr aktuell
ist) oder auch die Aufwärtsbeurteilung (die wir heute in einer erweiterten Form unter
der Überschrift 360°-Beurteilung in der Praxis antreffen).
Die dritte Auflage von 1992 nimmt anhand von Unternehmensberichten u. a. die Inter-
nationalisierung der Personalentwicklung auf; auch über das Outplacement von Füh-
rungskräften wird berichtet.
Die vierte Auflage von 1997 beschreibt erstmals anhand von zwei Unternehmens-
beispielen das Outsourcing der gesamten Personalentwicklung. Das ist insofern ein
bemerkenswerter Vorgang, als man in den Unternehmen im Allgemeinen nur solche
Bereiche und Prozesse outsourct, die nicht zum strategischen Kern gehören. Offen-
sichtlich zählt die Mitarbeiterentwicklung in diesen Unternehmen nicht zu den strate-
gischen Kernaufgaben. Die Restrukturierungsprojekte zahlreicher Unternehmen blei-
ben nicht ohne Folgen für die Personalentwicklung, sodass in der vierten Auflage Mit-
arbeiterpotenzialanalysen, Management-Audits und Management Appraisals als
wichtige Analysewerkzeuge beschrieben werden. Erstmals taucht auch das Stichwort
„Telelernen“ auf.
Die Internet-Revolution hinterlässt ihre Spuren auch in der Personalentwicklung. In
der fünften Auflage von 2002 widmen sich mehrere Beiträge und auch empirische
Studien in einem eigenen Kapitel dem Themenbereich Wissensmanagement, E-Lear-
ning und E-Recruitment.
Die sechste Auflage zeichnet sich wie schon die vorangehenden Auflagen dadurch
aus, dass Kontinuität und Wechsel miteinander einhergehen: 7 Beiträge wurden neu
VI Vorwort

aufgenommen, und 6 Beiträge entfallen in dieser Auflage – vor allem deshalb, weil
die Autoren keine Chance sahen, neben dem Alltagsgeschäft die Zeit aufzubringen,
um die notwendigen Aktualisierungen vorzunehmen. Personalentwicklungskonzep-
tionen haben ganz offensichtlich eine begrenzte zeitliche Gültigkeit.
Neu aufgenommen und an den Beginn gestellt wurde ein Beitrag von Fredmund
Malik, überschrieben mit „Große Aufgaben für die Personalentwicklung“. In der ihm
eigenen provokanten Art beschreibt Malik darin grundsätzliche Fehlentwicklungen
der Personalentwicklung, angefangen von „wissenschaftlich unhaltbaren“ Manage-
menttrainings über das mangelnde Interesse des Top-Managements an Fragen der Per-
sonalentwicklung bis hin zu unausgeschöpften Potenzialen der Effizienzverbesserung.
Ein wichtiges Anliegen Maliks ist eine „unité de doctrine“: „Keine Organisation kann
funktionieren, wenn jeder eine andere Vorstellung über Management hat.“ Das ist in
der Tat eine Frage, die die Personal- und Managemententwicklung sträflich vernach-
lässigt hat. Maliks Ausführungen wird der eine oder andere Leser widersprechen wol-
len. Das ist gut so, denn über die angesprochenen Themen ist eine Auseinanderset-
zung dringend erforderlich.
Über die Studie von Riekhof/Voss mit der Überschrift „Strategiekompetenz als
Schlüsselqualifikation des Managements – eine empirische Analyse der Top-600-
Unternehmen der deutschen Wirtschaft“ wird im Anschluss berichtet. Hier geht es
darum, die Verbindungen von Unternehmensstrategie und Kernkompetenzen zu Ma-
nagemententwicklung und Qualifizierungsprozessen von Unternehmen zu untersu-
chen. Das Ergebnis ist im Kern sehr enttäuschend: Von einer strategischen Ausrich-
tung der Management- und Personalentwicklung kann in den betrachteten Unterneh-
men allenfalls in ersten Ansätzen gesprochen werden.
Ebenfalls neu aufgenommen wurde der Beitrag von Riekhof/Offermann über die „He-
bel zur wirksamen Implementierung von Strategien“. In diesem Beitrag geht es darum
darzustellen, welchen Stellenwert das Thema Strategie-Implementierung in Literatur
und Praxis hat und welche Hebel eine wirksame Strategieumsetzung sicherstellen
können. Es wäre sicherlich interessant, in einer empirischen Studie zu überprüfen, ob
im Rahmen der Managemententwicklung Führungskräfte mit Werkzeugen der Strate-
gieumsetzung konfrontiert werden.
Ansfried B. Weinert setzt sich in einem weiteren neu aufgenommenen Beitrag mit der
Messung von Führungskompetenz auseinander. Er stellt ein standardisiertes, interna-
tional validiertes Testverfahren vor, das im Rahmen von Potenztialanlysen und Aus-
wahlprozessen sowie im Rahmen der Maßnahmenplanung für die Managementent-
wicklung nutzbringend eingesetzt werden kann.
Mit dem Beitrag von Frank Albe und Gisela Nissen-Baudewig über die Wirtschafts-
kompetenz von Politikern und deren empirische Messung verlassen wir den engeren
Themenkreis der Managemententwicklung. Die Autoren stellen empirische Studien
des Instituts zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Politikern (Göttingen)
vor, in denen auf der Basis biografischer Erhebungen für verschiedene deutsche Par-
lamente dokumentiert wird, wie es um die Wirtschaftskompetenz unserer Politiker
bestellt ist.
Vorwort VII

Das Ergebnis wird den Leser vermutlich nicht überraschen: Die Wirtschaftskompe-
tenz unserer Politiker ist alles in allem als eher begrenzt zu beurteilen.
Dass sie erforderlich ist, steht für viele Bürger außer Frage: Wer über Milliarden-
Haushalte entscheidet und wer durch Gesetze und Verordnungen Rahmenbedingun-
gen für das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen und Arbeitnehmern setzt, der
sollte die Mechanismen ziemlich gut kennen, derer er sich bedient. Die daraus abzu-
leitenden Qualifizierungsaufgaben liegen auf der Hand; ob aber ein Prozess in Gang
gesetzt werden kann, um die Defizite tatsächlich abzubauen, steht auf einem anderen
Blatt.
Einem Kernthema der Managemententwicklung wendet sich Peter Fischer in seinem
neu aufgenommenen Beitrag zu. Er widmet sich dem Thema „Führungswechsel –
eine Schlüsselkompetenz modernen Managements“. Das Risiko für Seiteneinsteiger,
in einer neuen Führungsposition zu scheitern, liegt Fischer zufolge bei fast 50 % –
Grund genug, im Rahmen der Managemententwicklung hier präventiv tätig zu wer-
den. Doch in wie vielen Unternehmen werden entsprechende Programme zur Vorbe-
reitung und Begleitung eines Führungswechsels angeboten?
Michael Prochaska beschreibt den Change Case Linde AG unter der Überschrift „Wie
aus einem erfolgreichen Dax-30-Unternehmen eine LeadIng.-Company wird.“ Pro-
chaska unterstreicht in seinen Ausführungen den Stellenwert der Unternehmensstrate-
gie als Ausgangspunkt aller Überlegungen im Bereich Human Resources, und er
beschreibt sein Konzept als „strategieumsetzendes Personalmanagement“. In dieser
Konsequenz sind Strategie und Personalbereich vermutlich nur in sehr wenigen Un-
ternehmen miteinander verzahnt.
Herzlicher Dank gebührt allen, die am Zustandekommen dieser Auflage mitgewirkt
haben. Das sind natürlich in erster Linie die Autoren, die wiederum mit neuen Beiträ-
gen oder aber mit Aktualisierungen ihrer bisherigen Beiträge die Hauptarbeit geleistet
haben. Mein Dank gilt auch Julian Voss, der die Aufgabe der Koordination dieser Auf-
lage übernommen hat, sowie Ulrike M. Vetter, die wie gewohnt seitens des Verlages
die notwendigen Weichenstellungen vorgenommen hat.

Göttingen/Hamburg, im September 2006 Hans-Christian Riekhof


Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

A. Strategiegerechte Management- und Persoalentwicklung .......... 1


Einleitung: Strategiegerechte Management- und Personalentwicklung ...... 3
Hans-Christian Riekhof
Große Aufgaben für die Personalentwicklung ....................... 5
Fredmund Malik
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements – eine
empirische Analyse der Top-600-Unternehmen der deutschen Wirtschaft . . . . 15
Hans-Christian Riekhof/Julian Voss
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien ................ 31
Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

B. Instrumente und Methoden der Management- und Personal-


entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Einleitung: Instrumente und Methoden der Management- und
Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Hans-Christian Riekhof
Management Appraisal – zentrales Analyse- und Führungsinstrument für ein
wertorientiertes Talent-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Norbert Sack
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits ............... 81
Walter Jochmann
Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfteentwicklung . . . . . . 103
Siro Spörli/Fred W. Schmid

Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz mit Hilfe


des „Rev. Deutschen CPI“ (Revidierten Deutschen California
Psychological Inventory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Ansfried Weinert
Competencies statt Anforderungen – nur alter Wein in neuen Schläuchen? .. 133
Werner Sarges

Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht ............ 149


Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig
X Inhalt

Retention Management – die Leistungsträger der Unternehmung binden ... 173


Walter Jochmann
Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen Managements .... 191
Peter Fischer
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Management-
entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Hubert Schüle
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen.
Ergebnisse einer Befragung der Top-350-Unternehmen der
deutschen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

C. Strategien der Personalentwicklung: Praxisbeispiele ............ 245


Einleitung: Strategien der Personalentwicklung: Praxisbeispiele ......... 247
Hans-Christian Riekhof

Siemens Management Learning – ein ganzheitlicher Ansatz zur


Integration von Lernen und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Matthias Bellmann
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern . . . . . . . . 263
Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell
Personal- und Managemententwicklung in der Bosch-Gruppe:
Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Joachim Nickut
Wie aus einem erfolgreichen Dax-30-Unternehmen
eine LeadIng.-Company wird: Change Case Linde AG ............... 299
Michael Prochaska
Outsourcing der Bildungsfunktion in der Deutschen Philips-Organisation –
oder wie man eine Dienstleistung zu einem erfolgreichen Geschäft
machen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Ulrich Pühse
Strategisch ausgerichtete Anforderungsprofile: Basis des Management
Development der Weka-Verlagsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Hans-Christian Riekhof
Autoren ............................................... 345
Stichwortverzeichnis ...................................... 350
Teil A

Strategiegerechte
Management- und
Personalentwicklung
Einleitung: Strategiegerechte Management-
und Personalentwicklung
Hans-Christian Riekhof

Große Aufgaben für die Personalentwicklung


In einem durchaus als Einleitung oder vielleicht auch Einstimmung zu verstehenden
ersten Beitrag greift Fredmund Malik mit einem sehr kritischen Unterton die aus sei-
ner Sicht wesentlichen Aufgaben und Herausforderungen, aber auch krasse Fehlent-
wicklungen der Personalentwicklung auf.
Malik wendet sich gegen die „Mind Pollution“, die Verschmutzung des Denkens in
der Managemententwicklung:
• Werden die Inhalte der Managemententwicklung wirklich einer sorgfältigen Prü-
fung auf ihre Brauchbarkeit hin unterzogen?
• Hat das Top-Management ein wirkliches Interesse an den dort vermittelten Inhalten?
• Kümmert sich das Top-Management um eine einheitliche Ausrichtung – um eine
„unité de doctrine“?
Malik fordert, der Effektivitätsverbesserung des Managements im Rahmen der Perso-
nalentwicklung viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seiner Auffassung nach ist
die Effektivitätsverbesserung eine der Kernaufgaben der Managemententwicklung.
Gleichzeitig kann man seiner Auffassung nach auch auf viele methodische Spielereien
wie z. B. auf ein falsch verstandenes, mit vielen Schlagworten debattiertes Wissens-
management verzichten.
In der Managemententwicklung wird Malik zufolge die Karrieregestaltung bei den sehr
flachen Hierarchien in Unternehmen zukünftig eine sehr viel schwierigere Aufgabe wer-
den. Dieser Herausforderung wird sich die Managemententwicklung stellen müssen.

Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Manage-


ments – eine empirische Analyse der Top-600-Unternehmen
der deutschen Wirtschaft

Welche Rolle spielt das – für den langfristigen Unternehmenserfolg extrem wichtige
Thema – der Strategiekompetenz in der Managemententwicklung? Werden Strategie
und Managemententwicklung miteinander verzahnt? Werden Manager im Hinblick

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_1,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
4 Hans-Christian Riekhof

auf einfache, praxiserprobte Strategie-Tools geschult? Lernen Führungskräfte im Rah-


men der Managemententwicklung etwas darüber, mit welchen Hebeln man Strategien
in einem Unternehmen umsetzt?
Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der empirischen Studie von Riekhof und Voss, in
der die Top-600-deutschen Unternehmen befragt wurden. Um das Ergebnis bereits
hier anzudeuten: Zwar wird der Strategie eines Unternehmens von den Befragten eine
durchaus hohe Bedeutung für den langfristigen Unternehmenserfolg eingeräumt, aber
im Rahmen der Managemententwicklung werden daraus allenfalls in Ansätzen kon-
krete Aktionsprogramme abgeleitet. Die Förderung von Strategiekompetenz ist heute
eher eine nachgeordnete Aufgabe.

Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien


Die Literatur zur strategischen Planung und Analyse füllt Bibliotheken. Werkzeuge und
Methoden wie auch konzeptionelle Ansätze und Philosophien gibt es in hinreichender
Vielfalt. Anders sieht es mit der Literatur zum Themenbereich der Strategieumsetzung
aus. Hier gibt es einige wenige Dissertationen, und unter der Überschrift „Strategy
Execution“ finden sich erste Veröffentlichungen, die sich vornehmlich den Mechanis-
men einer wirksamen Strategieumsetzung zuwenden. Ist die Umsetzung von Strategien
ein unwichtiges Thema? Beherrschen Unternehmen diesen Prozess?
Im Beitrag von Riekhof und Offermann zur Strategieumsetzung geht es in erster Linie
um eine Bestandsaufnahme: Welche Hebel der Strategieumsetzung lassen sich auf
konzeptioneller Ebene identifizieren? Welchen Stellenwert haben sie im Unterneh-
men? Wie können sie eingesetzt werden? Um Aussagen zur tatsächlichen Verbreitung
und systematischen Anwendung dieser Hebel in Unternehmen treffen zu können,
wären allerdings empirische Studien notwendig. Dies ist mit einiger Sicherheit ein
lohnender Forschungsgegenstand.
Große Aufgaben für die Personalentwicklung
Fredmund Malik

1. Beendigung der Denk-Verschmutzung


2. Effektivitätsverbesserung
3. Falsch verstandenes Wissensmanagement
4. Einheit des Managementwissens
5. Menschengerechte Organisation
6. Karrieregestaltung
7. Schaffung einer Elite

Personalmanagement und besonders Personalentwicklung waren immer wichtig. Die


zukünftigen Aufgaben für diesen Managementbereich sind aber wahrscheinlich
größer als je zuvor und wohl auch schwieriger. Sie werden auch wichtiger sein. Sie
werden für die Wettbewerbsfähigkeit jedes Unternehmens und für die Leistungsfähig-
keit jeder Organisation entscheidende Bedeutung haben.
Dass die Menschen die Schlüsselressource jeder Organisation sind, ist allgemein aner-
kannt. Nicht überall wird auch konsequent danach gehandelt; vieles bleibt Lippenbe-
kenntnis. Selbst dort, wo das nicht so ist, sondern ernsthaftes und gutes Personalmana-
gement betrieben wird, zeigen die Sparprogramme und Personalabbau-Maßnahmen
der letzten Jahre ihre zwar für die Gewinne positive, für die Menschen aber zerstöreri-
sche Wirkung. Vor allem hat beweisbar falsche Orientierung der Unternehmens-
führung am Shareholder Value im Verbund mit Bereicherungsexzessen und massivem
Versagen in Top-Managementkreisen zu einer unnötigen Wirtschaftsfeindlichkeit und
zu sozialen Gräben bis weit in die Ebene des höheren Managements geführt.
Wo werden die größten, wichtigsten und schwierigsten Beiträge des Personalmanage-
ments zu leisten sein?

1. Beendigung der Denk-Verschmutzung


Es gibt „Environmental Pollution“, und sie ist gefährlich genug; es gibt aber auch
„Mind Pollution“, die Verschmutzung des Denkens, die ich für noch gefährlicher halte.
Rückblickend, falls sich die Historiker überhaupt je ernsthaft für das interessieren
werden, was in der Wirtschaft vor sich geht, wird man die achtziger und neunziger

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_2,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
6 Fredmund Malik

Jahre wohl als zwei Jahrzehnte der Modewellen, der Oberflächlichkeit und der geisti-
gen Verseuchung, Irreführung und Verführung mit Bezug auf Management klassifizie-
ren. Ich habe mich in diesen Jahren darüber gewundert, in welchem Umfang es von
Exekutiv- und Aufsichtsorganen zugelassen wird, dass geistiger Schrott verbreitet
wird, dass das Denken und damit auch das Handeln der Mitarbeiter durch leicht er-
kennbar völlig inhaltsleere Worthülsen und begriffliche Scheinwelten vergiftet wer-
den und wie viel dafür auch noch bezahlt wird.
So halte ich einen erheblichen Teil der Inhalte des heutigen Management-Trainings
für wissenschaftlich unhaltbar und – was wichtiger ist – für praktisch unbrauchbar, ja
für schädlich – z. B. wesentliche Teile dessen, was über Führungsstil verbreitet wird,
über Motivation, Kommunikation und Unternehmenskultur; aber auch – wie ich des
Öfteren darlegte – große Teile der gängigen Auffassungen über Vision und Synergie,
um nur einige Beispiele anzuführen. Ebenso unbrauchbar, ja nachgerade irreführend,
sind die Anforderungsprofile, die Kriterienkataloge in den Leistungsbewertungssyste-
men und die Potenzialbeurteilung.
Jeder Informatik-Chef wird alles daran setzen, dass keine Viren in die Computerpro-
gramme gelangen können. Aber es wird wenig dafür getan, dass keine geistigen Viren,
nämlich dummes Zeug, in die Köpfe der Leute gelangen können.
Denk- oder Geistesverschmutzung ist meines Erachtens einer der Hauptgründe für
fast alle Managementfehler der letzten zwei Jahrzehnte. Ich halte es daher für ein
oberstes Gebot, dass in Exekutiv- und Aufsichtsorganen nicht nur die Höhe der Perso-
nalentwicklungs- und Ausbildungsbudgets diskutiert wird, sondern vordringlich die
Inhalte einer sorgfältigen und kritischen Prüfung unterzogen werden.
Ich konnte, wenn es um Ausbildung von Führungskräften ging, nur in wenigen Fällen
ein Interesse des Top-Managements an den Inhalten beobachten. Dorthin gehört aber
die Verantwortung dafür, nicht wie viel, sondern was die Mitarbeiter gelehrt werden.
Es wird über die Themen der Ausbildung als solche diskutiert, also über die Über-
schriften der einzelnen Ausbildungsteile und -kapitel. Auch die Dauer von Ausbil-
dungsmaßnahmen ist naturgemäß von Interesse, selbstverständlich die Kosten und
gelegentlich auch die zum Einsatz gelangenden didaktischen Methoden. Über die
Inhalte im engeren Sinne wird erstaunlich wenig gesprochen. Das wäre aber das
Wesentliche. Darauf müssen sich die Diskussionen beziehen, denn durch die Inhalte –
nicht durch die Überschriften – werden Erwartungen und Einstellungen, Fähigkeiten
und Kenntnisse vermittelt.
Einige wenige Firmen sind vorbildlich. Es gibt Fälle, aber sie sind Ausnahmen, wo
jedes Managementseminar zuerst von den Top-Managern absolviert wurde. Meistens
geschieht das in etwas abgekürzter Weise – ohne Fallstudien und Übungen – und auf
das Wesentliche reduziert. Es ist kein Wunder, dass in diesen Firmen die Management-
ausbildung auch die größte Wirkung hat.
Es macht einen Unterschied, ob die Mitarbeiter wissen, dass die Firmenspitze selbst
und als Erste sich der Ausbildung unterzieht, oder ob sie merken, dass Ausbildung als
notwendiges Übel, Nebensächlichkeiten oder gar als bloße Aufwandsposition ange-
sehen wird.
Große Aufgaben für die Personalentwicklung 7

Es ist Top-Managementaufgabe, dafür zu sorgen, dass eine klare, aussagekräftige


Sprache im Unternehmen verwendet wird, dass niemand mit Worthülsen bluffen
kann, dass Leistung und nicht Rhetorik, Inhalt und nicht Verpackung dominieren, und
dass keine Phrasendrescher Karriere machen können.

2. Effektivitätsverbesserung
Der zweite große Bereich ist die Effektivität der Führungskräfte, vor allem jene der
Kopfarbeiter in einem Unternehmen. Das beste Wissen, die größten Talente, alle Intel-
ligenz und Fähigkeiten bleiben wertlos, wenn sie nicht genutzt werden. Fast alle Orga-
nisationsformen sind bezüglich der Wirksamkeit von Menschen eher Behinderungs-
maschinerien, als dass sie ihre Effektivität fördern würden.
Ich kann zwar keine quantitativen Statistiken im engeren Sinne als Beweis vorlegen,
aber nach rund 30 Jahren Erfahrung traue ich mich zu sagen, dass der Wirkungsgrad
der Mehrheit aller Manager und Kopfarbeiter kaum über 50 Prozent liegt und wahr-
scheinlich kommen viele nicht einmal auf 30 Prozent. Es gibt Ausnahmen, aber sie
sind selten. Gerade aus ihnen lässt sich aber eine Ahnung darüber ableiten, welche
Reserven mobilisiert werden können. Die Leistungsunterschiede zwischen effektiv
arbeitenden Menschen und den ineffektiven sind so groß, dass es sich niemand – we-
der ein Unternehmen noch eine Person – leisten kann, das zu ignorieren. Effektivität
wird die Voraussetzung für jedes Unternehmen sein, im Wettbewerb zu bleiben, und
für jede Person, überhaupt eine Beschäftigung zu haben.
Die Wirksamkeit der Kopfarbeiter, sach- und führungsbezogen, ihre Qualität und Pro-
duktivität sind praktisch ausschließlich Sache des Personalmanagements. Niemand
anderer kann dazu beitragen. Es ist eher unter- als übertrieben, dass die Hälfte der
volkswirtschaftlichen Wertschöpfung in Zukunft aus Kopfarbeit resultieren wird. In
immer mehr Unternehmen wird diese Quote bis zu 80 Prozent steigen und in einigen
überhaupt die gesamte Wertschöpfung ausmachen.
Damit wird Personalmanagement nebst dem Management der Finanzen zur wichtigs-
ten Managementaufgabe schlechthin. Kopfarbeit auf die bessere Lösung von bekann-
ten Problemen gerichtet ist Produktivität. Kopfarbeit auf die Lösung neuer und un-
bekannter Probleme gerichtet ist Innovation. Kopfarbeiter sind aber eine Spezies sui
generis, genauso wie der „Stoff“, mit dem sie arbeiten – Wissen – etwas völlig anderes
ist als die klassischen ökonomischen Ressourcen. Daher sind die bisherigen Manage-
mentkategorien für den Umgang mit Menschen nicht nur zunehmend unbrauchbar, sie
werden schädlich sein.

3. Falsch verstandenes Wissensmanagement


Es ist leiser geworden um eines der schillerndsten Modewörter der New Economy:
Wissensmanagement. Das heißt nicht, dass es aus der Mode gekommen wäre. Dazu
gab sich alles in diesem Umfeld zu beeindruckend.
8 Fredmund Malik

Es ist einmal mehr ein Tummelfeld für IT-Spezialisten, Consultants und Trainer ent-
standen, die ihre eigene Existenz zu rechtfertigen versuchen, ohne dafür Verantwor-
tung und Aufwand tragen zu müssen. Jede Führungskraft muss prüfen, wie es mit den
„Kleidern dieses Kaisers“ bestellt ist. Man kommt schnell dahinter, dass der Kaiser
nicht nur nackt ist, sondern dass er gar kein Kaiser ist. Wie so oft verstellen Irrlehren,
Angeberei, Bluff und Etikettenschwindel den vernünftigen Umgang mit Wissen als
der Schlüssel-Ressource der Wirtschaft.
Wenn man der Sache auf den Grund geht, stellt sich heraus, dass das, was als Wis-
sensmanagement bezeichnet wird, in Wahrheit etwas ganz anderes ist, nämlich Daten-,
Informations- und Dokumentenmanagement. Fortschritte auf diesen Gebieten sind
selbstredend nützlich und willkommen. Es ist nützlich, wenn Dokumente, wie auch
immer sie heißen mögen, besser und übersichtlicher verwaltet werden können; wenn
man sie leichter und in mehr Situationen einer größeren Zahl von Personen und vor
allem den richtigen Personen verfügbar machen kann. Das sind neue und bessere
Formen der Archivierung und des Retrievals, aber längst kein Wissensmanagement.
Klar zeigt sich das im Internet, das zwar riesige Dokumentenberge enthält, aber ganz
entschieden kein System von Wissen ist. Dabei ist das Retrievalproblem, also das Fin-
den von Dokumenten für den, der etwas sucht, nicht nur nicht gelöst, sondern es wird
mit dem Wachstum des Internets ständig schwieriger. Auch die leistungsfähigsten
Suchmaschinen finden längst nicht alles; aber selbst mit den vergleichsweise geringen
Suchleistungen bekommt man typischerweise zehn- oder hunderttausende von Such-
ergebnissen. Was soll man mit ihnen aber wirklich anfangen? Man kann sie nicht
einmal auf Relevanz prüfen, ganz zu schweigen davon, dass man auch nur Bruchteile
ihres Inhaltes in irgendeinem vernünftigen Sinne wissen könnte. Hier von Wissens-
management zu reden, ist schierer Unfug.
Wissen ist etwas, was beim derzeitigen Stand gar nichts mit Computern und IT zu tun
hat, sondern mit Gehirnen und mehr noch mit Verstand und Vernunft. Wissen ist
etwas, was seinen Ort – salopp formuliert – zwischen zwei Ohren hat und nicht zwi-
schen zwei Modems.
Die Wissenschaften, die sich am intensivsten mit dem befasst haben, was man am
ehesten als Wissensmanagement bezeichnen könnte, werden in der Diskussion über
Wissensmanagement am wenigsten, ja überhaupt nicht beachtet. Sie verwenden
notabene diesen Begriff gar nicht. Es sind die Pädagogik, die Lern- und Kognitions-
psychologie, die Neurowissenschaften, die Kybernetik und Teile der Philosophie.
Wenn man also fündig werden wollte, müsste man auf deren Ergebnisse abstellen und
diese weiterentwickeln. Stattdessen wird, das ist typisch für so vieles, was sich im
Management breit macht, auf naive Weise bei Null begonnen – und meistens bleibt
man dort auch stecken, oder man münzt einfach die Begriffe um und spricht statt von
Daten und Information nun von Wissen. Damit ist nichts gewonnen.
Wie verändern Menschen ihr Wissen? Man kann lernen und lehren, verstehen und be-
greifen, vermitteln und aufnehmen, vergessen und erinnern. Das alles hat mit Wissen
zu tun. Man kann vor allem denken, das dürfte wohl der wichtigste Teil von Wis-
sensmanagement sein, nachdenken und manchmal vielleicht auch vordenken, und
Große Aufgaben für die Personalentwicklung 9

hoffentlich denkt man richtig – im Sinne des logischen Schließens nämlich. Das alles
sind Elemente des Umgangs mit Wissen. Dazu kommt wohl auch noch das Sinnen
und Erkennen, das Forschen, Entdecken und Erfinden – und das kann, vielleicht und
hoffentlich, noch viel besser als bisher gemacht werden.
Man kann zu all dem „managen“ sagen, womit ungefähr so viel gewonnen ist, wie
wenn man das Kochen als „Food Management“ bezeichnet, die Aufführung einer
Beethoven-Symphonie als „Sound Management“ und die Malerei Monets oder
Cézannes als „Pinsel-Management“.
Man beginnt also schon mit der falschen Problemstellung, denn Wissen als solches
kann man nicht managen. Niemand hat das klarer gesehen als der Mann, der als erster
die Bedeutung von Wissen für die moderne Gesellschaft erkannt hat, der die Begriffe
der „Knowledge Society“ und des „Knowledge Workers“ geprägt hat. Es war Profes-
sor Peter F. Drucker, und er hat es nicht im Kontext der New Economy und der IT-
Euphorie getan, sondern bereits 1969 (!) in seinem Buch „The Age of Discontinuity“.
Bis heute findet sich bezeichnenderweise in keiner seiner Schriften der Begriff „Know-
ledge Management“, weil Drucker wusste, dass man Wissen nicht in einem vernünfti-
gen Wortsinn managen kann.
Was man managen kann und muss, ist nicht Wissen, sondern erstens das Arbeiten mit
Wissen und zweitens die Personen, die das tun, nämlich die Wissensarbeiter. Wissen,
Wissensarbeit und Wissensarbeiter sind nicht dasselbe. Management in diesem Zu-
sammenhang kann überhaupt erst vernünftig eingesetzt werden und zu Resultaten
führen, wenn man das sauber unterscheidet.
Wissen ist – hier besteht Konsens – die wichtigste Ressource einer entwickelten Wirt-
schaft und für manche Branchen ist es schon heute die einzige. Wem es gelingt, über
Daten-, Informations- und Dokumentenmanagement hinauszukommen, wird einen
kaum zu parierenden Konkurrenzvorteil haben. Dazu muss man Wissen produktiv ma-
chen. Das gelingt aber nicht durch Zauberformeln, sondern es kann nur gelingen durch
das Management der Wissensarbeit und des Wissens- oder besser Kopfarbeiters.

4. Einheit des Managementwissens


Manche sehen in gemeinsamen Werten das wichtigste Element einer Unternehmens-
kultur. So wichtig diese sind, ich stelle ein anderes Element an die Spitze, und zwar
nicht um ein Rangordnungsproblem aufzuwerfen, sondern weil das in den meisten
Organisationen nicht nur völlig übersehen, sondern bewusst dagegen gehandelt wird,
in der Meinung, damit besonders viel zur Kultur beizutragen und besonders fort-
schrittlich und professionell zu sein. In Wahrheit ist es das schlimmste Gift für die
Entstehung einer funktionsdienlichen Kultur.
Es ist die Vernachlässigung oder aktive Zerstörung der Einheit des Managements, der
Unité de Pensée und Unité de Doctrine durch die Zersplitterung der Managementaus-
bildung. Man tut das mit hehren Absichten im Dienste der Vielfalt und der Offenheit.
Es ist grundfalsch. Es ist Vielfalt am falschen Ort und Offenheit für die falschen Dinge.
10 Fredmund Malik

Ich trete nicht für blinden Dogmatismus ein. Jede Institution muss immer wieder prü-
fen, ob ihr Managementwissen richtig ist, ob es Neues und Besseres gibt, was andere
tun, woran sich Konkurrenten orientieren und was in der Wissenschaft geschieht. Man
muss prüfen, was andere Ansätze leisten können und wo sie allenfalls aufgegriffen
werden sollen. Das ist selbstverständliche Aufgabe der Spezialisten im Personal-
wesen, der Führungskräfteentwicklung und in den Ausbildungsabteilungen. Aber es
kann nicht angehen, dass jeder Manager sich aus der „Speisekarte“ der internationalen
Angebote sein privates „Menü“ zusammenstellt.
Keine Organisation kann funktionieren, wenn jeder eine andere Vorstellung über
Management hat. Man sollte meinen, das liege auf der Hand. Tatsächlich ist genau das
die Realität in den meisten Unternehmen. Ich habe den Gedanken der unabdingbaren
Einheit des Managementdenkens noch in keinem Buch über Corporate Culture oder
Wissensmanagement gesehen. Es wird zwar viel über „Shared Knowledge“ geredet,
aber es wird nicht gesagt, welches Wissen gemeint ist.
Viele Mitarbeiter sind überhaupt nicht in Management ausgebildet, weil man glaubt,
dass sie diese Kenntnisse nicht brauchen. Das an sich ist schon ein Fehler. Viele sind
schlecht und falsch ausgebildet. Nur wenige Unternehmen haben begriffen, dass sämt-
liche Mitarbeiter, gleichgültig welcher Funktion und Stufe, dieselbe Auffassung über
Management haben müssen, damit die Organisation überhaupt funktionieren kann,
fehlerrobust und belastbar ist, damit sie produktiv sein und vielleicht sogar perfekt
funktionieren kann, und – noch wichtiger – damit sie im außergewöhnlichen Falle der
Krise oder der einmaligen Chance richtig, diskussionsfrei und schnell handeln kann.
Managementausbildung muss alle Personen umfassen, die Chef sind, und alle, die
einen Chef haben – somit also: alle –, und es muss dasselbe gelehrt werden. Das heißt
nicht, dass alle denselben Stoff in derselben Intensität zu lernen haben. Die Grundele-
mente, die innere Logik und die wichtigsten Prinzipien müssen aber für alle gleich
sein, und jeder muss wissen, dass das für jeden verbindlich ist. Stufengerecht müssen
Umfang und Intensität dann unterschiedlich sein, nicht aber die Inhalte. Dieses ge-
meinsame Managementwissen ist zumindest so wichtig für die Kultur wie gemeinsa-
me Werte – zumal gerade das einer der wichtigsten Wege ist, auf dem Werte vermittelt
werden. Es ist aber, nochmals, nicht nur eine Frage der Kultur und somit, wie manche
Shareholder-Apostel abwertend meinen, des Softbereiches von Unternehmen. Es ist
zwingende Voraussetzung für gutes Funktionieren schlechthin.

5. Menschengerechte Organisation
Ein weiteres großes Feld der Personalentwicklung wird die Gestaltung von Organisatio-
nen sein. Wie schon erwähnt, sind die meisten Organisationen bezüglich der Effektivität
von Menschen in Wahrheit Be- und Verhinderungsmaschinerien. Wenn man absichtsvoll
etwas für die Behinderung von Menschen hätte erfinden wollen, so wären die heutigen
Organisationsformen und insbesondere die Matrixorganisation das Ergebnis gewesen.
Die Organisationsverantwortung wird von dort, wohin sie in den letzten zwei Jahrzehn-
ten gewandert ist – nämlich zur Informatik – zurückgeholt werden müssen in den Ver-
Große Aufgaben für die Personalentwicklung 11

antwortungsbereich des Personalmanagements. Man muss einsehen, dass es – bei allen


Schwierigkeiten – viel leichter ist, die Informatiksysteme und die Organisationsstruk-
turen zu verändern als die Menschen. Menschen an Systeme anpassen zu wollen, ist im
Kern ein kommunistischer Gedanke. Wir wissen, dass das nicht funktionieren kann.
So trivial es klingen mag, aber Menschen müssen menschengemäß behandelt werden.
Die weit verbreiteten Lippenbekenntnisse zu diesem Grundsatz verschleiern mehr, als
dass sie nützlich wären. In der Bibel kann man lesen, dass Gott den Menschen schuf.
Aber das stimmt nicht. Gott erschuf nicht den Menschen, sondern er erschuf Indivi-
duen. Keine zwei Menschen sind gleich. Daher kann man sie auch nicht gleich führen.
Eine vielleicht nicht ganz passende Analogie: Niemandem würde es einfallen, Hunde und
Katzen gleich zu behandeln, nur weil beide Tiere sind. Hundekenner wissen, dass jeder
Hund, selbst derselben Rasse und desselben Wurfes, ein ausgesprochenes Individuum, ja
ein Individualist ist. Er behandelt daher auch keine zwei Hunde gleich. Nur Menschen
zwingen wir immer wieder in das Dogma der Gleichmacherei, das in den unterschied-
lichsten Erscheinungsformen auftritt – in den Formen der Dienstverträge, der Anforde-
rungsprofile, der Beurteilungssysteme und der Organisationsstrukturen. Wir berauben sie
damit des einzigen, was sie in Wahrheit wirklich wertvoll – oder, wenn man es zynisch
und ökonomisch ausdrücken will – nützlich macht, nämlich ihrer Individualität, ihrer je
spezifischen Stärken und Fähigkeiten, oder man lässt diese jedenfalls ungenutzt.
Wenn wir die Dinge gleich haben müssen, ist es besser, Computer und Roboter einzu-
setzen. Wenn die Dinge aber verschieden sein müssen, wo es auf Komplexitätsbewäl-
tigung, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität ankommt, brauchen wir Menschen –
aber nicht Fiktionen irgendwelcher Managementtheorien, sondern Menschen in ihrer
ganzen Individualität.
Individualität war im klassischen Industrieunternehmen, insbesondere am Fließband,
eher störend. Dort war Standardisierung und Normierung wichtig. In einer Wissensge-
sellschaft ist das anders. Hier kommt es darauf an, dass der Besitzer der wertschöpfen-
den Ressource diese aus eigener Initiative und in eigener Verantwortung zum Einsatz
bringt, denn nur er kann erkennen, was gebraucht wird, was im Einzelfall zu tun ist, und
wie es getan werden muss. Wir werden daher, weil man Individualität eben nicht auf
bisherige Weise managen kann, nicht in erster Linie die informationsbasierte und auch
nicht die Netzwerk-Organisation brauchen. Diese Begriffe verschleiern den wesentli-
chen Punkt. Wir werden die verantwortungsbasierte Organisation schaffen müssen.
In jeden einzelnen Arbeitsplatz, in jeden Job, muss die individuelle Verantwortung
eingebaut sein – für Leistung, Qualität und Ergebnis. Das ist der eigentliche Zweck
von Total Quality Management – und nur wo das gelungen ist, sind auch die Qua-
litätsstandards erreicht worden. Der Einbau individueller Verantwortung in den Job ist
übrigens auch der Hauptzweck des Managements by Objectives, was noch immer
übersehen wird oder vergessen wurde. Sein „Erfinder“, Peter Drucker, hat daher auch
ausdrücklich von „Management by Objectives, Self-Control and Responsibility“ ge-
sprochen. Das kann nur von Menschen, nicht von Robotern geleistet werden. Daher
muss die Aufgabe der Organisationsgestaltung jenen zurückgegeben werden, die vor
allem von Menschen etwas verstehen, also dem Personalmanagement.
12 Fredmund Malik

6. Karrieregestaltung

Der nächste Beitrag, den das Personalmanagement zu leisten hat, bezieht sich auf die
Karrieren. Es wird die Frage zu stellen sein, was „Karrieren“ überhaupt in Zukunft
bedeuten werden, wie sie aussehen, wohin sie führen und wie sie zu gestalten sein
werden. Sicher scheint mir, dass sie ganz anders sein werden als die bisherigen Kar-
rieren. Wenn das stimmt, bedeutet es auch, dass Personalentscheidungen in ihrem
ganzen Spektrum – Auswahl, Entwicklung, Beförderung, Versetzung, Rückstufung
von Mitarbeitern und die Trennung von ihnen – nach völlig anderen Gesichtspunkten
zu treffen sein werden.

Das beginnt schon mit der Grundausbildung und den damit verbundenen Hoffnungen
und Erwartungen. Für meine Generation war ein Hochschulstudium fast eine Garantie
auf das, was man landläufig eine Karriere nennt. Für die jungen Menschen von heute
wird ein Studium nur noch eine elementare Voraussetzung dafür sein, überhaupt einen
Job zu bekommen.

Man ist gut beraten, bereits jetzt damit zu beginnen, den jungen Menschen, die auf
Grund ihrer Ausbildung und Erziehung noch immer die inzwischen obsoleten Karriere-
erwartungen haben, zu sagen, dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden können.
Diese Einsicht wird für viele ein Schock sein und zunächst eine Phase der Orientie-
rungslosigkeit auslösen. Die meisten haben das alte Grundmodell im Kopf: „Wer nicht
alle drei Jahre befördert wird, ist ein Versager ...“ Aber wohin soll man die Leute beför-
dern, wenn die Hierarchien abgebaut und die Organisationen flach werden? „Karrie-
re“ wird nicht mehr „nach oben“ heißen können; sie wird vor allem darin zu sehen
sein, einen größeren – nicht höheren – Job zu haben, vielleicht auch eine interessante-
re und wichtigere Aufgabe, aber nicht eine rangmäßig übergeordnete.

Man wird den jungen Leuten klar machen müssen, dass es schon ein großes Privileg
ist und ebenfalls Karriere und Erfolg bedeutet, wenn man eine große und interessante
Aufgabe hat.

Laufbahngestaltung wird auch mit Lebensgestaltung verbunden sein müssen. Sie wird
nicht um die Frage herumkommen, worin der Sinn einer beruflichen Tätigkeit liegen
kann, der Sinn einer Karriere und letztlich – auch wenn es etwas pathetisch klingt –
der Sinn eines Lebens. Ich begrüße diese Entwicklung nicht, aber ich fürchte, dass es
den Führungskräften, insbesondere jenen des Personalmanagements, nicht erspart
bleiben wird, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen – und zwar kompetent. Die meis-
ten Unternehmen werden auf diesem Gebiet noch lange nicht besonders gut sein. Aber
je mehr die bisherigen sinngebenden – oder besser, sinnermöglichenden – Institutio-
nen versagen und an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft einbüßen, desto mehr
wird die Wirtschaft zwangsläufig das Vakuum füllen müssen, wenn sie es nicht ande-
ren obskuren und nicht kontrollierbaren Organisationen überlassen will. Man stößt
damit auf den Urgrund menschlicher Motivation überhaupt, und man wird einsehen
müssen, dass alle bisherigen Motivationstheorien – wie ich glaube, beweisbar – falsch
sind.
Große Aufgaben für die Personalentwicklung 13

7. Schaffung einer Elite


Die vielleicht größte Aufgabe, die sich dem Personalmanagement – besonders in den
großen Unternehmen – stellt, ist die Schaffung einer Elite. Ich bin mir der potenziellen
Gefährlichkeit dieser Forderung sehr bewusst. Nach den Erfahrungen des 20. Jahr-
hunderts ist diesbezüglich größte Behutsamkeit erforderlich. Aber gerade dieses Jahr-
hundert ist – wenn es ihn noch gebraucht hat – der Beweis dafür, dass falsche Führung
in der Geschichte mehr Elend erzeugt und mehr Opfer gefordert hat als alle Krankhei-
ten und Naturkatastrophen zusammengenommen.
Die große Transformation, durch die Wirtschaft und Gesellschaft gehen, wird mehr
und bessere Führung verlangen als alle bisherigen Epochen. Man beachte, dass ich
nicht sage, dass wir Führer brauchen, sondern Führung. Es wird also ohne eine
Führungselite nicht gehen – aber es muss eine Elite sein, die nicht elitär ist – und die
es auf Grund von konstitutionellen Vorkehrungen auch gar nicht werden kann.
Ich weiß, dass das schwierig ist, und dass es (fast) das erste Mal in der Weltgeschichte
wäre, dass dieses gelänge. Es ist aber nicht unmöglich. Wenn man nur einen Bruchteil
der Intelligenz, die in die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates geflossen ist, in die Lö-
sung des Elitenproblems investierte, dürfte man – wenn auch keine idealen – so doch
viel bessere Lösungen erwarten, als sie bisher gefunden wurden.
Die obersten Führungskräfte, insbesondere der Großunternehmen, sind nach außen
sichtbar. Sie handeln in der Wahrnehmung der Menschen repräsentativ für die gesam-
te Wirtschaft, auch wenn es in Wahrheit gar nicht so ist. Sie verkörpern, ob sie wollen
oder nicht, als Personen die Maßstäbe für Führung und Elite. Ihr Verhalten muss daher
den strengsten Standards für Vorbild- und Beispielhaftigkeit genügen. Sie müssen da-
raufhin und dazu erzogen und geformt werden. Wer diesen Standards nicht genügen
kann oder will, gehört nicht in eine hohe Führungsposition und sollte dort nicht länger
belassen werden. Schon kleine Unkorrektheiten wirken sich desaströs auf die Wahr-
nehmung der Menschen aus, insbesondere in einer Mediengesellschaft.
Wir haben in der deutschen Sprache keine besonders passenden Möglichkeiten, den
Unterschied zwischen Management und Leadership auszudrücken. Die jetzt – wie
lange vorausgesagt und andernorts behandelt – in Gang gekommene Leadership-Dis-
kussion hat niedrigstes Niveau. Sie ist an Beschränktheit und Naivität kaum zu über-
bieten. In Wahrheit ist sie ein Sammelsurium von Widersprüchlichkeiten, Infantilismen
und romantischem Geschwätz. Sie ist ein weiterer Beitrag zur Geistverschmutzung.
Das ist umso bedrückender, als wir durchaus einen großen Bestand an Leadership-
Wissen und -Erfahrung haben. Das Problem von Leadership war einmal – wenn auch
nur temporär und in einem historisch einmaligen Kontext – bereits näherungsweise
gelöst. Selbst auf die Gefahr hin, missverstanden und falsch zitiert zu werden, möchte
ich eine Episode in Erinnerung rufen, wohl wissend, dass zwar Erscheinungsform und
Kontext nicht übertragbar sind, doch aber die Substanz: 1946 sagte Winston Churchill
im Pentagon anlässlich eines informellen Treffens mit einer Gruppe von etwa dreißig
der herausragendsten Militärs der US-Streitkräfte, er habe gewusst, dass Amerika in
der Lage sei, mit seiner ungeheuren Wirtschaftskraft das erforderliche Kriegsmaterial
14 Fredmund Malik

bereitzustellen; aber er frage sich noch immer, woher die Amerikaner eine so große
Zahl von so ausgezeichneten Offizieren in so kurzer Zeit für den Einsatz zur Verfü-
gung hatten.
Die Lösung der Frage, woher die tausenden von Kommandanten kamen, die eine
Streitmacht von zuletzt über zehn Millionen Männern und Frauen führten, ist einfach:
aus den Militärakademien, in denen sie ausgebildet und vorbereitet wurden, und aus
den Trainingscamps, die im Zuge der durch Pearl Harbour initiierten Mobilisierung
eingerichtet wurden.
Was auf dem Gebiet der militärischen Führung gelungen ist, kann auch auf jenem der
zivilen Führung gelingen. Viele Inhalte und Methoden werden verschieden sein, man-
che Prinzipien mögen Ähnlichkeiten aufweisen. Die Notwendigkeit als solche ist hier
wie dort gegeben.
Jede Gesellschaft braucht für die erfolgreiche, friedliche und den Menschen gemäße
Bewältigung der vor sich gehenden Transformation eine sehr große Zahl kompetenter,
wirksamer und verantwortender Führungskräfte. Nicht nur Ingenieure werden ge-
braucht, sondern Ingenieure, die managen können; nicht nur Naturwissenschaftler,
sondern solche, die sich und andere führen können; nicht nur Betriebswirtschafter,
sondern solche, die ihr Wissen und jenes anderer durch Management in Nutzen um-
wandeln können. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle Organisatio-
nen, und nicht nur für die obersten Ebenen, sondern für alle, auf denen sich Führungs-
aufgaben stellen.
Investitionen in Management und in Managementkompetenz können wir heute zwar
noch nicht rechnen, aber sie werden die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von
Organisationen, Branchen, Ländern und Wirtschaftsblöcken mehr als je zuvor bestim-
men. Sie werden ausschlaggebend sein für den Wohlstand, die Beseitigung von Armut
und Elend und die Korrektur der ökologischen Schäden; und sie werden entscheidend
sein dafür, ob die junge Generation eine Zukunft hat und wie sie aussehen wird. Auf-
gabe und Verantwortung dafür liegen größtenteils, ja fast ausschließlich beim Perso-
nalmanagement.
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation
des Managements – eine empirische Analyse
der Top-600-Unternehmen der deutschen
Wirtschaft
Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

1. Einleitung – Handlungsbedarf bei der Strategieumsetzung


2. Strategische Orientierung des Management Development
3. Methode der Erhebung und Beschreibung des Rücklaufs
4. Ergebnisse der empirischen Erhebung bei den Top-600-Unternehmen der deutschen
Wirtschaft
4.1 Stellenwert der Strategie im Unternehmen
4.2 Human-Ressourcen und Strategieprozesse
4.3 Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation
4.4 Seminare und Trainings zur Entwicklung von Strategiekompetenz
5. Fazit und Folgerungen für die Praxis

1. Einleitung – Handlungsbedarf bei der


Strategieumsetzung
Die Bedeutung der strategischen Planung und des strategischen Managements ist in
der betriebswirtschaftlichen Forschung und der Unternehmenspraxis weitestgehend
unbestritten. Strategisches Management gilt als Voraussetzung für eine klare Zu-
kunftsausrichtung und das langfristige Überleben von Unternehmen in der heutigen
turbulenten Umwelt. Executives benennen „Corporate Strategy“ als ihre größte He-
rausforderung.1
Wie steht es jedoch um die Umsetzung und die messbare Wirkung von Strategien?
Die Erfahrungen in der Praxis und zahlreiche Beiträge in der wissenschaftlichen Dis-
kussion zeigen, dass Strategien vielfach nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen
und sich immer schwieriger und seltener implementieren lassen.2 Klassische Instru-
mente der strategischen Planung wie die empirischen Ansätze nach dem Muster der
PIMS-Studien oder auch der Einsatz von Planungsinstrumenten wie der Portfolioana-
lyse haben in der Praxis nicht immer zum gewünschten Erfolg geführt.
Darauf reagierend haben sich die Schwerpunkte der strategischen Unternehmens-
führung in den letzten Jahren von einem planungsorientierten zu einem mehr imple-

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_3,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
16 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

mentierungsorientierten Ansatz verschoben. In diesem Prozess der Neuorientierung


sind u. a. personalbezogene Aspekte in den Blick des Interesses gerückt.3 Man trägt
dem Aspekt Rechnung, dass die strategische Ausrichtung von Unternehmen bestimm-
te Managementfähigkeiten und ausgeprägte Stärken des Mitarbeiterpotenzials voraus-
setzt. Strategische Managementkompetenzen und das Management Development
werden als zentrale Komponenten für den strategischen Erfolg und den Aufbau dauer-
hafter Wettbewerbsvorteile identifiziert. Daraus leitet sich ab, dass die Human Re-
sources (HR) stärker in das strategische Management integriert werden müssen und
ein strategieorientiertes Management Development die strategiebezogenen Kompe-
tenzen des Managements fördern soll.
Diese Neupositionierung der strategischen Unternehmensführung mit einer stärkeren
Betonung der strategischen Fähigkeiten des Managements und deren Entwicklung
scheint jedoch keine Berücksichtigung in der unternehmerischen Praxis zu finden. In
populärwissenschaftlichen Beiträgen stellen vor allem Personalberatungsgesellschaf-
ten deutschen Managern hinsichtlich ihrer strategischen Fähigkeiten ein schlechtes
Zeugnis aus.4
Um den State-of-the-Art der betrieblichen Praxis in diesem Themengebiet aufzuzei-
gen, hat die Private Fachhochschule Göttingen eine Analyse bei den Top-600-Unter-
nehmen der deutschen Wirtschaft durchgeführt. Dabei standen folgende Forschungs-
fragen im Mittelpunkt:
• Welche grundsätzliche Beziehung besteht in den Top-600-Unternehmen der deut-
schen Wirtschaft zwischen strategischer Unternehmensführung, Managementkom-
petenz und Führungskräfteentwicklung?
• Welchen Stellenwert nimmt die strategische Kompetenz bei der Bewertung der
wichtigsten Fähigkeiten von Führungskräften ein?
• Welchen Beitrag kann und soll die Führungskräfteentwicklung zur Unterstützung
von Strategien bzw. der strategischen Unternehmensführung aus der Sicht der zu-
ständigen HR-Manager leisten?
• Inwieweit wird strategische Kompetenz durch Management-Development-Pro-
gramme in deutschen Unternehmen tatsächlich entwickelt?

2. Strategische Orientierung des Management Development


Human-Ressourcen sind direkt oder indirekt Träger jeglicher Strategie. Werden ihre
Fähigkeiten und Fertigkeiten im Prozess des strategischen Managements nicht
berücksichtigt, werden Restriktionen für die Planung und Umsetzung von Strategien
übergangen.5 Insofern eine strategische Unternehmensführung die Erreichung und
Erhaltung zukünftiger Erfolgspotenziale anstrebt, sind auch die Potenziale der Mitar-
beiter als strategische Aktionsfelder einzubeziehen, da sie der Organisation in der Zu-
kunft neue Gestaltungsoptionen eröffnen können.
Untersuchungen in den USA haben gezeigt, dass der Erfolg von Unternehmen umso
stärker vom unternehmerischen Handeln der Führungskräfte abhängt, je dynamischer
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 17

und ungeordneter ein Markt ist.6 Die Forschung zur strategischen Führung unterstellt
dem Top-Management gleichzeitig eine zentrale Rolle bei der Unternehmenswick-
lung: Manager tragen die Gesamtverantwortung für Unternehmen, initiieren strategi-
sche Veränderungen und planen Aktionen zur Umsetzung bzw. Implementierung von
Strategien. Führungskräfte beeinflussen maßgeblich den Erfolg des strategischen
Managements und können Unternehmen zukunftsweisend positionieren. Der Ent-
wicklung der strategischen Kompetenz von Führungskräften ist somit ein exponierter
Stellenwert einzuräumen.
Strategiekompetenz beschreibt einen Mix aus Kompetenzen, der Führungskräfte
befähigt,
• alle Teilprozesse des strategischen Managements zu beherrschen und damit
anspruchsvolle, marktgerechte Strategien zu entwickeln und zu formulieren;
• erfolgreich den Gesamtprozess der Strategieentwicklung zu steuern;
• strategische Konzepte hinsichtlich ihrer Qualität und auch ihrer Umsetzbarkeit zu
bewerten;
• strategische Konzepte mit Hilfe entsprechender Programme wirksam umzusetzen und
• die erfolgreiche Umsetzung mit geeigneten strategischen Messlatten zu kontrollieren.
Der Personal- bzw. Managemententwicklung wird folglich die Aufgabe zuteil, Strate-
giekompetenz zu entwickeln. Damit trägt sie gleichzeitig maßgeblich zur Wettbe-
werbsfähigkeit von Unternehmen bei.
Ein strategisches Management Development ist die Gesamtheit aller Maßnahmen zur
Entwicklung des Managements mit dem Ziel, den strategischen Erfolg von Unterneh-
men durch den Aufbau langfristiger Wettbewerbsvorteile und den strategiegerechten
Ressourceneinsatz zu unterstützen sowie die Anpassungsfähigkeit von Organisationen
in einem sich rasant wandelnden Unternehmensumfeld zu sichern. Dabei wird pro-
aktiv auf die heute und zukünftig erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen
unter strategischen Aspekten gestalterisch Einfluss genommen.
Es liegt auf der Hand, dass strategisches Management Development eng mit dem Pro-
zess der strategischen Führung verknüpft sein muss. Aus diesen grundsätzlichen
Überlegungen ergeben sich in Hinblick auf die empirische Analyse acht wesentliche
Forschungsfragen und entsprechende Hypothesen.
These 1: Um die Realisierungsmöglichkeit von Unternehmensstrategien sicherzustel-
len, berücksichtigen Unternehmen bei der Formulierung von Strategien die Kompe-
tenzen der Mitarbeiter.
Die These zielt auf den Zusammenhang zwischen der Unternehmensstrategie und der
wichtigsten Ressource eines Unternehmens, nämlich den Mitarbeitern: Stellen Unter-
nehmen einen expliziten Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten der Belegschaft
und den Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens her? Wird in der Praxis der Mitar-
beiterentwicklungsbedarf aus den strategischen Erfordernissen und Aufgabenstellun-
gen abgeleitet?
18 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

These 2: Aus der Unternehmensstrategie resultieren strategische Zielsetzungen für


die Human Resources: Management-Entwicklung orientiert sich an dem Prozess des
strategischen Managements.
Diese These greift die möglichen (bzw. notwendigen) Beziehungen zwischen der
Unternehmensstrategie und den Fähigkeiten des Managements auf: Ist die Manage-
mententwicklung an der Unternehmensstrategie ausgerichtet, und werden im Rahmen
der Managemententwicklung die strategischen Kernkompetenzen des gesamten Unter-
nehmens weiterentwickelt und gefördert?
These 3: Die Priorität von Maßnahmen der Managemententwicklung richtet sich
nach strategischen Zielen: Managemententwicklung verschafft Unternehmensstrate-
gien eine Realisierungschance.
Mit dieser Forschungsfrage soll die konkrete Umsetzung der Verzahnung von Strate-
gie und Managemententwicklung untersucht werden: Gibt es bei den Top-600-Unter-
nehmen der deutschen Wirtschaft eine strategische Priorisierung der Managementent-
wicklungsprogramme? Unterstützt die Managemententwicklung dabei wirklich den
Prozess der Strategieumsetzung?
These 4: Management Development hat die Aufgabe, beim Aufbau strategischer Er-
folgspositionen mitzuwirken.
Strategische Erfolgspositionen oder strategische Kernkompetenzen sind besondere
Fähigkeiten eines Unternehmens, die sich vom Wettbewerb differenzieren. Deren Auf-
bau erfordert Zeit und Ressourcen, und idealerweise sind sie nicht imitierbar. Die Frage
lautet also: Wirkt die Managemententwicklung am Aufbau dieser langfristigen Fähig-
keiten einer Organisation mit, und wie ist sie in diesbezügliche Prozesse einbezogen?
These 5: Strategieentwicklung und -umsetzung setzen Strategiekompetenz des Mana-
gements voraus; im Anforderungsprofil von Führungskräften sind Elemente der stra-
tegischen Führung unverzichtbar.
Die strategische Ausrichtung und Führung eines Unternehmens setzt ein gewisses
Know-how in der Anwendung von Werkzeugen der Strategiearbeit voraus. Die Fähig-
keiten können als Strategiekompetenz bezeichnet werden: Ist eine solche Strategie-
kompetenz Bestandteil von Anforderungsprofilen des Managements? Wird bei den
untersuchten Unternehmen eine solche Strategiekompetenz gezielt aufgebaut?
These 6: Strategiekompetenz ist eine Schlüsselqualifikation des Managements.
Diese Forschungsthese steht in einer engen Verbindung mit vorangegangenen These
5. Die strategische Stoßkraft eines Unternehmens setzt Professionalität im Umgang
mit Strategien voraus. In diesem Sinne wird Strategiekompetenz zu einer Schlüssel-
qualifikation des Managements.
These 7: Die Strategiekompetenz von Managern ist stark ausgeprägt, sie entspricht
dem Stellenwert von Theorie und Praxis.
Es ist zunächst davon auszugehen bzw. zu vermuten, dass eine solche Strategiekom-
petenz tatsächlich vorhanden ist. Die Untersuchung soll zeigen, ob die Führungskräfte
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 19

in deutschen Unternehmen eine dem Stellenwert entsprechend strategische Kompe-


tenz besitzen.
These 8: Die Entwicklung von Strategiekompetenz spielt im Rahmen der Personalent-
wicklung eine wichtige Rolle: Die Inhalte der Personalentwicklung orientieren sich
nicht allein an Fach- und Sozialkompetenz.
Bei der Bewertung der konkreten PE-Progamme, bei der Beurteilung der gesetzten
Prioritäten und der Verwendung der eingesetzten Ressourcen zeigt sich – so die These –,
dass die lange Zeit übliche Konzentration auf die fachliche wie auch die soziale Kom-
petenz inzwischen nicht mehr der Realität entspricht.

3. Methode der Erhebung und Beschreibung des Rücklaufs


Mit Hilfe eines schriftlichen Fragebogens wurden die Leiter der Personalentwicklung
bzw. Leiter Human Resources der Top-600-Unternehmen der deutschen Wirtschaft im
Zeitraum vom 01. Juli bis 12. August 2005 befragt. Die Qualifizierung der „Top-600-
Unternehmen“ beruht auf einer Veröffentlichung der Tageszeitung „Die Welt“, welche
einmal jährlich Informationen über die 500 umsatzstärksten deutschen Unternehmen
sowie der Top-50-Banken und der Top-50-Versicherungskonzerne veröffentlicht.7 Zur
Ergänzung der Ergebnisse der schriftlichen Befragung wurden vier Experteninterviews
(Befragungszeitraum: 18. bis 25. August 2005) mit ausgewählten Befragungsteilneh-
mern der Top-600-Unternehmen durchgeführt.
Bei den angeschriebenen Top-600-Unternehmen konnte eine Rücklaufquote von 14 % er-
reicht werden, was einer absoluten Anzahl von 84 zurückgesandten Fragebögen entspricht.
Die Unternehmen im Rücklauf beschäftigen insgesamt mehr als 1,5 Millionen Arbeitneh-
mer. Firmen mit 1.500 bis 4.999 Mitarbeitern, zumeist Tochtergesellschaften mit eigener
Personalentwicklungsverantwortung, stellen im Rücklauf den größten Anteil von 37 %, die
zweitgrößte Gruppe stellen Unternehmen mit mehr als 9.999 Mitarbeitern (32 %). Indus-
trieunternehmen sind mit 43 % der größte Sektor des Rücklaufs, der Handel mit 12 % der
kleinste Herkunftsbereich der antwortenden Unternehmen (vgl. Abbildung 1).

Finanzen/Versicherung Handel
18 % 12 %

Dienstleistung
27 %

Industrie
43 %

Abbildung 1: Branchenherkunft der Unternehmen im Rücklauf


20 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

Die Interviewpartner haben zu 62 % die Leitung der Human-Ressourcen bzw. der Per-
sonalentwicklung und zu 26 % Referentenpositionen in den genannten Bereichen
inne. Den Leitern der Personalbereiche ist zu unterstellen, dass ihr Expertenwissen
und ihre Kenntnisse interner Abläufe ausreichen, qualifizierte Auskünfte im Sinne des
Forschungsziels der Arbeit zu geben. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Rücklauf im
statistischen Sinne sicherlich nicht repräsentativ ist, die Ergebnisse der Befragung
aber gleichwohl eine gute Aussagekraft haben.

4. Ergebnisse der empirischen Erhebung bei den Top-600-


Unternehmen der deutschen Wirtschaft
Die Ergebnisse der empirischen Studie werden nachfolgend in vier Blöcken dargestellt:
• Stellenwert der Strategie im Unternehmen
• Human-Ressourcen und Strategieprozesse
• Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation
• Seminare und Trainings zur Entwicklung von Strategiekompetenz

4.1 Stellenwert der Strategie im Unternehmen


Die Einschätzungen des Stellenwerts strategischer Pläne sowie strategischer Pla-
nungsprozesse in den Top-600-Unternehmen sind differenziert zu betrachten (vgl. Ab-
bildung 2): Nur 43 % der Unternehmen sehen ihren langfristigen Erfolg vornehmlich
abhängig von der strategischen Ausrichtung. 57 % sind einer anderen Meinung: Sie
sehen zu 34 % ihren Erfolg abhängig von der Beherrschung operativer Prozesse und

0,5

0,428974359

0,4
0,338009768

0,3
0,233015873

0,2

0,1

0
der Strategie der Beherrschung dispositivem Geschick im
operativer Prozesse Tagesgeschäft

Abbildung 2: Einschätzung der Abhängigkeit des langfristigen Erfolgs von Unternehmen


Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 21

zu 23 % vor allem abhängig vom dispositiven Geschick im Tagesgeschäft. Dieses


Ergebnis ist einigermaßen überraschend, bestätigt doch die Forschung den hohen Stel-
lenwert einer klaren Strategie. Vor allem auch das dispositive Geschick wird offen-
sichtlich überschätzt.
Bei direkten Fragen zum Stellenwert und zur Verankerung von Teilschritten im Pro-
zess des strategischen Managements wird diesen Teilschritten (Ausarbeitung strategi-
scher Unternehmenspläne, Umsetzung, Kommunikation und Reporting von Strategi-
en) durchgehend eine geringere Bedeutung als allen operativen Planungsprozessen
zugesprochen. Insbesondere die Kommunikation der Strategie und das strategische
Reporting erreichen niedrige Werte.
Im Detail stimmen 69 % der befragten Unternehmen der Aussage zu, dass die Erarbei-
tung strategischer Unternehmenspläne in ihrem Hause einen hohen Stellenwert hat.
Nur 4 % lehnen diese Aussage ab. Daraus ist zu schließen, dass eine strategische
Langfristplanung in den Unternehmen weitestgehend etabliert ist. Über die Wirksam-
keit dieses Prozess ist damit noch nichts gesagt.
In gut der Hälfte der befragten Unternehmen wird auf die Kommunikation der verab-
schiedeten Strategie großer Wert gelegt. Im Umkehrschluss heißt dies, dass in knapp
der Hälfte der Unternehmen darauf kein großer Wert gelegt wird. Das erschwert natür-
lich die Umsetzung von strategischen Unternehmensplänen. Überraschend ist das
Ergebnis, dass nur in 52 % der befragten Unternehmen die Wirksamkeit von verab-
schiedeten Strategien durch ein strategisches Reporting gemessen wird. Auch die in-
tensive Diskussion um Balanced Scorecards in der Praxis hat offensichtlich noch nicht
dazu geführt, dass der Grundsatz „what gets measured gets done“ konsequent berück-
sichtigt wird. Letztlich wäre zu erwarten gewesen, dass in allen Unternehmen der stra-
tegische Erfolg gemessen wird.

5,240963855

5
4,785714286 4,738095238
4,416666667
4,261904762

3
Planung und Einhaltung operativer Budgets
Ausarbeitung strategischer Unternehmenspläne
Aktionsprogramme zur Strategieumsetzung
Kommunikation der Strategie
Strategisches Reporting

Abbildung 3: Vergleich des Stellenwerts operativer und strategischer Aufgaben auf einer
Skala von 6 (hoher Stellenwert) bis 1 (geringer Stellenwert)
22 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

4.2 Human-Ressourcen und Strategieprozesse


Unternehmen erkennen, dass ihre Unternehmensstrategie bestimmte Kompetenzen
bzw. Fähigkeiten des Managements voraussetzt: Zwei Drittel der befragten HR-Ma-
nager sind der Meinung, dass die Unternehmensstrategie besondere Fähigkeiten des
Managements und der Mitarbeiter erfordert (vgl. Abbildung 4).
In den folgenden Fragen wird es darum gehen zu überprüfen, welche Konsequenzen
daraus in den befragten Unternehmen abgeleitet werden. Dabei zeigt sich ein erstaunli-
ches Bild: In rund 40 % der Unternehmen resultieren aus der Unternehmensstrategie
keine Zielsetzungen für den Personalbereich, in diesen Unternehmen scheinen Unter-
nehmensstrategie und HR-Strategie unabhängig bzw. nicht ineinander verzahnt zu sein.
Noch deutlicher fällt das Ergebnis bei der Frage aus, ob die derzeitigen und zukünfti-
gen Kompetenzen der Mitarbeiter und Führungskräfte bei der Entwicklung von Strate-
gien berücksichtigt werden. Bei 62 % der Unternehmen werden die Kompetenzen der
Mitarbeiter im Prozess der Strategieentwicklung nicht beachtet (vgl. Abbildung 5)!
So ist auch nicht verwunderlich, dass die Personalentwicklung bei dem Entwurf von
Konzern- und Geschäftsfeldstrategien nicht regelmäßig einbezogen wird, um HR-be-
dingte Restriktionen aufzuzeigen: Bei 78 % der befragten Unternehmen wird die Per-
sonalentwicklung selten oder nie bei der Erarbeitung von Konzernstrategien berück-
sichtigt. Nur 24 % der Interviewteilnehmer geben an, dass sie Geschäftsfeldstrategien
auf deren Umsetzbarkeit proaktiv überprüfen.
Diese Ergebnisse sind bemerkenswert, stimmen doch die HR-Manager gleichzeitig
mit großer Mehrheit (77 %) der Aussage zu, dass die Managemententwicklung die
Unternehmensstrategie und deren Umsetzung unterstützen soll. Gleichzeitig geben
gut die Hälfte der befragten HR-Verantwortlichen an, dass die Personalentwicklung in

0,8

67 %

0,6

0,4

28 %

0,2

5%

0
Zustimmung Neutral Ablehnung

Abbildung 4: Die Strategie unseres Unternehmens setzt bestimmte Managementfähigkeiten


und ausgeprägte Stärken bezüglich des Mitarbeiterpotenzials voraus, (n = 83)
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 23

0,6

48 %

38 %
0,4

0,2
14 %

0
Zustimmung Neutral Ablehnung

Abbildung 5: Die derzeitigen und zukünftigen Kompetenzen der Mitarbeiter und


Führungskräfte werden berücksichtigt, wenn in unserem Unternehmen
Strategien entwickelt werden, (n = 84)

ihrem Hause die Aufgabe hat, bei dem Aufbau strategischer Erfolgspositionen mit-
zuwirken. Dieses Antwortverhalten erscheint jedoch als Lippenbekenntnis der HR-
Manager. Denn die Priorität von Maßnahmen in der Managemententwicklung richtet
sich bei über 50 % der Unternehmen kaum oder gar nicht nach den strategischen
Zielen (vgl. Abbildung 6). Hier werden inkonsequente Vorgehensweisen sichtbar.
Wunsch und Wirklichkeit scheinen deutlich voneinander abzuweichen.
Es kann als Zwischenfazit festgehalten werden. dass Unternehmen erkennen, dass
ihre Unternehmensstrategie bestimmte Kompetenzen bzw. Fähigkeiten des Manage-
ments voraussetzt und diese aus nur einer explizit formulierten Strategie abgeleitet
werden können. Jedoch: Die Kompetenzen und Fähigkeiten von Mitarbeitern und
Führungskräften werden im Prozess der Strategieentwicklung kaum berücksichtigt.
Die tatsächliche Unterstützung der Human-Ressourcen für die Unternehmensstrategie
muss somit durchaus differenziert betrachtet werden.
Die Diskussion dieser Erkenntnisse in Experteninterviews führte zu keiner Relativie-
rung der Sachlage. Die interviewten Personalentwickler gaben zu erkennen, dass die
Personalentwicklungsprozesse in den meisten Unternehmen im Sinne einer strategi-
schen Orientierung oftmals nicht abgestimmt sind. Zwei wesentliche Gründe hierfür
sind, dass der HR-Bereich in vielen Unternehmen keinen besonders hohen Stellenwert
hat und vom Top-Management selten als besonders „wertvoll“ angesehen wird. Als
zweiten Aspekt attestieren die interviewten Personalmanager, die zweifelsohne aus
Best-Practise-Unternehmen im Sinne der Problemstellung dieser Arbeit stammen,
ihren Berufskollegen zu wenig Standfestigkeit und vermissen die „Einmischung“
bzw. Einbeziehung in den Prozess der strategischen Unternehmensführung.
24 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

0,6

48 %
43 %

0,4

0,2

8%

0
Zustimmung Neutral Ablehnung

Abbildung 6: Die Priorität von Maßnahmen in der Managemententwicklung richtet


sich in unserem Unternehmen nach den strategischen Zielen, (n = 83)

4.3 Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation


Die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte geben bereits Hinweise auf die Be-
deutung von Strategiekompetenz in der unternehmerischen Praxis. Diese werden bei
der konkreten Untersuchung dieses Kompetenzbereichs fast überwiegend bestätigt.
Unternehmen zeigen überraschend wenig Interesse an der strategischen Kompetenz
ihrer Mitarbeiter. Weder gilt die Fähigkeit im Sinne einer Schlüsselqualifikation als
besonders wertvoll, noch hat die Evaluierung und Entwicklung dieser Kompetenz
eine besondere Priorität.
Nur 54 % der interviewten Personalmanager sehen Strategiekompetenz als wichtige
Schlüsselkompetenz, bei 46 % der Unternehmen spielt diese Kompetenz eine unterge-
ordnete Rolle. Knapp die Hälfte der befragten HR-Manager gibt an, dass strategische
Kompetenz nicht im Anforderungsprofil von Führungskräften verankert ist (vgl. Ab-
bildung 7).
An dieser Stelle finden die Ergebnisse eines Desk-Researches ihre Verwendung: In
Stellenanzeigen spiegelt sich die geringe Bedeutung strategischer Fähigkeiten ebenso
wider. In den 60 untersuchten Anzeigen werden nur in etwa einem Drittel der Fälle
strategische Fähigkeiten verlangt, wohingegen fachliche oder soziale Kompetenzen in
100 % der Anzeigen gefordert werden (vgl. Abbildung 8).
Unter Berücksichtigung der Frage, ob die Strategiekompetenz der Führungskräfte re-
gelmäßig evaluiert wird und inwieweit die Strategiekompetenz des Managements in
den befragten Unternehmen stark ausgeprägt ist, zeigt sich, dass Anspruch (vgl. Ab-
bildung 7) und Wirklichkeit in den Unternehmen nicht gerade deckungsgleich sind.
76 % der befragten Unternehmen haben keinen Überblick über die Strategiekompe-
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 25

tenz ihrer Führungskräfte, eine regelmäßige Evaluierung dieser Kompetenz scheint in


diesen Unternehmen nicht stattzufinden. Damit ist auch nicht zu erwarten, dass es in
den Unternehmen Fortschritte in der Herausbildung strategischer Kompetenz gibt. In
knapp 70 % der Unternehmen wird die Strategiekompetenz des Managements als
wenig bzw. unzureichend ausgebildet wahrgenommen.
Ferner wird in 61 % der Unternehmen aus der Evaluierung der Strategiekompetenz kein
Handlungsbedarf für die Managemententwicklung abgeleitet. Damit wird noch einmal
deutlich, dass eine wirkliche Verzahnung von Strategie und Managemententwicklung
nur in einer Minderheit der Unternehmen zu vermuten ist. Die Studie lässt erkennen,
dass Unternehmen überraschend wenig tatsächliches Interesse an der strategischen
Kompetenz ihrer Mitarbeiter zeigen. Weder gilt die Fähigkeit im Sinne einer Schlüssel-
qualifikation als besonders wertvoll, noch haben die Evaluierung und Entwicklung
dieser Kompetenz eine besondere Relevanz im Unternehmensalltag. Gleichzeitig stellen
die Personalmanager ihren Führungskräften hinsichtlich der Beherrschung strategischer
Kompetenz ein allenfalls mittelmäßiges Zeugnis aus (vgl. Abbildung 9).

Seminare und Trainings zur Entwicklung von Strategiekompetenz


Die geringe Bedeutung von Strategiekompetenz findet auch ihren Niederschlag in den
Aussagen zu konkreten Maßnahmen und Trainings zur Verbesserung dieser Kompe-
tenz. Unsere Studie zeigt: Die strategische Kompetenz wird nur selten trainiert, Mana-
ger nehmen nicht regelmäßig an entsprechenden Seminaren teil.

0,6

52 %

0,4

32 %

0,2
15 %

0
Zustimmung Neutral Ablehnung

Abbildung 7: Im Anforderungsprofil von Führungskräften ist Strategiekompetenz


explizit verankert, (n = 84)
26 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

1 1
1

0,8

0,6
0,32

0,4

0,2

0
fachliche Kompetenz soziale Kompetenz strategische Kompetenz

Abbildung 8: Ergebnisse des Desk-Researches


Welche Kompetenzen werden in den untersuchten Stellenanzeigen ge-
fordert?

Nur in einem Viertel der befragten Unternehmen richten sich die Aktivitäten vor-
nehmlich auf die Entwicklung strategischer Kompetenz, 73 % der Inhalte der Mana-
gemententwicklung fördern die klassischen Kompetenzbereiche (vgl. Abbildung 10).
Die konkrete Beurteilung der Programme zu strategischen Planungs- und Analyse-
tools sowie zu den Hebeln zur Umsetzung von Strategien führt zu der Erkenntnis, dass

4,3

4,07

4,0
3,93
3,87
3,83

3,8

3,5

3,3

3,08

3,0
< 1.500 1.500 – 4.999 5.000 – 9.999 > 10.000 Top-600

Abbildung 9: Strategiekompetenz des Managements ist in unserem Unternehmen


stark ausgeprägt (nach Anzahl der Mitarbeiter, 6 = hohe Relevanz bis 1
= geringe Relevanz, (n = 84)
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 27

diese Instrumente nicht regelmäßig trainiert werden. Fast zwei Drittel der Unterneh-
men verzichten darauf, den Umgang mit strategischen Planungs- und Analysetools in
der Managemententwicklung zu verankern (auch bei dieser Frage zeigen kleine
Unternehmen bei der strategieorientierten Ausrichtung der Personalentwicklung er-
heblichen Handlungsbedarf).
Die Hebel zur Umsetzung von Strategien werden in 70 % der Unternehmen nie oder
selten trainiert, obwohl viele Strategien gerade in der Umsetzungsphase scheitern und
obwohl es wirksame und bewährte Werkzeuge zur Strategieumsetzung gibt. Nur 15 %
der befragten Personalverantwortlichen können angeben, dass in ihrem Tätigkeitsbe-
reich das Management mehrmals jährlich an Seminaren zur Entwicklung von Strate-
giekompetenz teilnimmt (vgl. Abbildung 11). Je konkreter die Frage also gestellt
wird, desto deutlicher wird es, wie wenig verzahnt strategische Unternehmensführung
und Managemententwicklung wirklich sind.

5. Fazit und Folgerungen für die Praxis


Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass personalentwicklungsbezogene Aktivitäten
hinsichtlich einer Unterstützung des strategischen Wandels von Organisationen in der
unternehmerischen Praxis Mangelware sind. Die Einbindung der Personalentwicklung
bzw. der Führungskräfteentwicklung in Bezug auf den Prozess des strategischen Mana-
gements ist daher kritisch zu beurteilen. Eine Kopplung von Unternehmensstrategie
und Management Development oder die Ableitung von Personalentwicklungsprogram-
men aus der Unternehmensstrategie konnte nicht durchgängig festgestellt werden.
Strategiekompetenz nimmt als Schlüsselqualifikation des Managements für die unter-
suchten Unternehmen noch keine wirklich herausragende Bedeutung ein. Die strate-

0,5

42 %
0,4

31 %
0,3
27 %

0,2

0,1

0
fachliche Kompetenz soziale Kompetenz strategische Kompetenz

Abbildung 10: Die Aktivitäten der Managemententwicklung richten sich vornehmlich auf …
28 Hans-Christian Riekhof/Julian Voss

gischen Fähigkeiten der Führungskräfte werden als eher mittelmäßig eingestuft, und
die Kompetenzen deutscher Führungskräfte gleichen eher dem Profil des operativen
Managers als dem des strategieorientierten Leaders.
Unternehmen sollten jedoch erkennen, dass Strategiekompetenz eine wesentliche
Qualifikation für ihre Führungskräfte ist, da diese die Basis für Strategieinnovationen
und ein maßgeblicher Faktor für den Erfolg strategischer Unternehmensführung ist.
Das Top-Management muss hierfür sensibilisiert werden und erkennen, dass der Wett-
bewerb nicht auf der Ebene von brillant formulierten Strategien stattfindet, sondern
dass es auf die erfolgreiche Umsetzung der Strategie ankommt. Das neue Terrain, auf
dem sich der Wettbewerb abspielt, heißt „Aufbau von Umsetzungsarchitekturen“.
Strategische Kompetenzen und eine strategieorientierte Management-Entwicklung
können hierfür einen wesentlichen Beitrag leisten.

0,6

50 %

0,4
35 %

0,2
15 %

0
Zustimmung Neutral Ablehnung

Abbildung 11: Das mittlere Management nimmt üblicherweise mehrere Tage an


Seminaren zur Entwicklung von Strategiekompetenz teil, ( n = 84)
Strategiekompetenz als Schlüsselqualifikation des Managements 29

Anmerkungen
1 Vgl. Egon Zehnder International (2004), S. 5 f.
2 Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 125 f. oder Riedl (1995), S. 1.
3 Vgl. Kammel (2000), S. 13 ff. oder Riekhof (1989), S. 49 ff.
4 Vgl. Lentz (2004), S. 68 ff. oder Katzensteiner (2003)
5 Vgl. Riedel (1995), S. 102.
6 Vgl. Waldmann et al. (2001)
7 http://www.welt.de/extra/service/740166.html

Literatur
Egon Zehnder International (2004). Risiko und Unsicherheit – Management in Zeiten des Um-
bruchs. Prioritäten und Herausforderungen internationaler Top Executives, Düsseldorf 2004
Kammel, A. (2000). Strategischer Wandel und Management Development: integriertes Konzept,
theoretische Grundlagen und praktische Lösungsansätze, Frankfurt/Main et al. 2000
Kaplan, R. S./Norton, D. P. (2006). Strategien (endlich) umsetzen, in: Harvard Business manager,
28. Jahrgang 2006, Ausgabe 01/2006, S. 33–35
Katzensteiner, T. (2003). Deutsche Manager: Hoch qualifiziert, aber strategisch schwach,
http://www.wiwo.de/pswiwo/fn/ww2/sfn/buildww/id/127/id/32140/ (28.08.2005)
Lentz, B. (2004). Mangelnder Mut, in: Das Capital. Das deutsche Wirtschaftsmagazin, 43. Jg. 2004,
Nr. 16, S. 68–70
Riedl, J. (1995). Strategie und Personal: Ansätze zur Personalorientierung der strategischen Unter-
nehmensführung, Wiesbaden 1995
Riekhof, H.-C. (1989). Strategierorientierte Personalentwicklung, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Stra-
tegien der Personalentwicklung, 2. Auflage, Wiesbaden 1989, S. 49–75
Riekhof, H.-C./Offermann, L. (2006). Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien, in:
Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Strategien der Personalentwicklung, 6. Auflage, Wiesbaden 2006, S. 31–55
Steinmann, H./Schreyögg, G. (2005). Management: Grundlagen der Unternehmensführung; Kon-
zepte – Funktionen – Fallstudien, 6. Auflage, Wiesbaden 2005
Waldmann, D. A./Ramirez, G. G./House, R. J./Puranam, P. (2001). Does leadership matter? CEO
leadership attributes and profitability under conditions of perceived and environmental uncer-
tainty, in: Academy of Management Journal, 44. Jg. 2001, Nr. 1, S. 134–143
Hebel zur wirksamen Implementierung
von Strategien
Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

1. Einleitung: Handlungsbedarf bei der Strategie-Umsetzung


2. Grundlagen der Strategie-Implementierung
2.1 Strategie-Implementierung oder Change Management?
2.2 Strategie-Implementierung und der Prozess des strategischen Managements
3. Status quo der Strategie-Implementierung
3.1 Stand der Implementierungsforschung
3.2 Ursachen für die Vernachlässigung des Themas Strategie-Implementierung
3.3 Zwischenfazit
4. Erfolgsfaktoren der Implementierung von Strategien
4.1 Operationalisierung des strategischen Konzeptes
4.2 Strategische Budgetierung und strategiegerechter Ressourceneinsatz
4.3 Strategisches Reporting und Controlling der Implementierung
4.4 Strategiekonformes Personalmanagement
4.5 Strategiegerechte Strukturen und Prozesse
4.6 Internes Marketing für die Strategie
5. Fazit

1. Einleitung: Handlungsbedarf bei der


Strategieumsetzung
„Execution is the great unaddressed issue in the business world today.“1

Einer Studie von 1999 zufolge werden nahezu 70 % der strategischen Pläne und Strate-
gien niemals erfolgreich implementiert.2 Andere Zahlen gehen sogar davon aus, dass
90 % der Strategien nicht die gewünschten Ergebnisse hervorbringen.3 In Gesprächen
mit Führungskräften in Deutschland bestätigt sich dieser Eindruck: Die wirksame Um-
setzung von Strategien zählen nur wenige Unternehmen zu ihren eigentlichen Stärken.
Andererseits gibt es auch Unternehmen, denen es gelingt, strategische Konzepte sehr
konsequent zu realisieren. Wo liegen die Ursachen für derartige Unterschiede?
Wenden wir uns zunächst dem Bereich der Wissenschaft und Forschung zu. Beim
Blick in die Literatur zur strategischen Planung und zum strategischen Management
wird schnell deutlich, dass dieses Thema sowohl in der Wissenschaft als auch in der
Praxis einen hohen Stellenwert einnimmt. Das strategische Management ist zu einem

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_4,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
32 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

eigenständigen, umfangreichen Forschungsbereich geworden und hat sich zu einem


wichtigen Thema in der Managementlehre entwickelt.4 Auch im Rahmen von Mana-
gement-Development-Programmen wird der strategischen Führung die gebührende
Aufmerksamkeit zuteil.5
So intensiv man sich mit dem Aspekt der Strategieentwicklung innerhalb des strategi-
schen Managements befasst, so stark wurde gleichzeitig die Strategieimplementierung
vernachlässigt. Nicht nur für die Wissenschaft – vor allem für Praktiker gilt die
Beschäftigung mit strategischen Visionen immer noch als vornehmer und anspruchs-
voller als die reine Umsetzung von Konzepten und Ideen.6
Allerdings ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingetreten, da viele gute Strate-
gien – wie bereits erwähnt – in der Umsetzungsphase scheitern. Die Überzeugung,
dass der Erfolg einer Strategie mit der Implementierung steht und fällt, setzt sich aller-
dings erst langsam durch. Wenn es nicht gelingt, Strategien zu implementieren, bleibt
das gesamte strategische Management wirkungslos und strategische Planung nur „in-
tellektuelle Spielerei“.7
In der Literatur hat sich diese Einsicht bislang noch nicht sehr stark bemerkbar ge-
macht. Zwar gibt es inzwischen einige Veröffentlichungen zum Thema Strategie-
Implementierung, jedoch hat die Thematik noch bei weitem nicht die Beachtung
gefunden, die nötig wäre, wenn man sich die Erfolgsquoten von Implementierungs-
vorhaben anschaut. Schon der rein quantitative Vergleich der Literatur der vergange-
nen Jahre zeigt, dass man sich immer noch vornehmlich über die strategische Analyse
und die strategische Planung Gedanken macht.

2. Grundlagen der Strategie-Implementierung


2.1 Strategie-Implementierung oder Change Management?
Unter Strategieimplementierung versteht man die Umsetzung strategischer Pläne in
konkretes, strategiebegleitendes Handeln der Unternehmungsmitglieder. Strategie-Im-
plementierung ist dabei nicht dem Change Management8 gleichzusetzen – auch wenn
in der Praxis der Unterschied manchmal zu verwischen scheint. Während sich das
Change Management mit dem langfristigen, geplanten Wandel von Unternehmen
beschäftigt und das Ziel hat, Veränderungsprozesse einzuleiten, und dabei auch die
Normen und Werte eines Unternehmens einbezieht, muss die Strategie-Implementie-
rung enger gefasst werden. Sie beinhaltet vor allem die Umsetzung konkreter, markt-
bezogener Geschäftsstrategien, die das Unternehmen an veränderte Umwelt- und
Wettbewerbsbedingungen anpassen, und sie umfasst auch den strukturellen Wandel,
den Ressourceneinsatz und die Zielsetzungsprozesse des Managements.9
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 33

2.2 Strategie-Implementierung und der Prozess des strategischen


Managements
Die Strategie-Implementierung ist eines der wesentlichen Elemente des strategischen
Management-Prozesses. Betrachtet man den traditionellen Prozess der strategischen
Planung, so wird die Implementierung von Strategien zeitlich oft als eine der Planung
und Entscheidung nachgelagerte Phase eingeordnet.10 In der Praxis jedoch sind die zu
lösenden Sachverhalte und Problemstellungen sehr komplex; sie führen meist zu
Überschneidungen und Rückkopplungen zwischen Strategieentwicklung und -imple-
mentierung11: Bisweilen zeigt sich erst in der Umsetzungsphase, ob Strategien über-
haupt realistisch sind und die erforderliche Bodenhaftung aufweisen.

Für den Erfolg der Strategieumsetzung ist daher die frühzeitige Integration der Imple-
mentierungsüberlegungen in den Planungsprozess wichtig. So kann die strategische
Planung schon frühzeitig mit der Umsetzbarkeit in der Praxis konfrontiert und der ge-
samte Prozess beschleunigt werden12, denn eine Strategie ist immer nur so gut, wie sie
sich als realisierbar erweist. Die Fähigkeit einer Organisation, eine Strategie über-
haupt zu verwirklichen, muss bereits bei der Strategieentwicklung und der Auswahl
strategischer Optionen Berücksichtigung finden.

3. Status quo der Strategieimplementierung

3.1 Stand der Implementierungsforschung

Ungeachtet der zentralen Bedeutung der wirksamen Implementierung von Strategien


herrscht über die konkrete Ausgestaltung der damit verbundenen Aufgabenfelder we-
nig konzeptionelle und empirische Klarheit in der Literatur.13 Zur Strategie-Umset-
zung als separatem Thema gibt es – abgesehen von einigen Dissertationen, die in den
letzten 15 Jahren entstanden sind – wenig deutschsprachige Veröffentlichungen.14

Sowohl im Bereich der Lehre als auch im Rahmen der Managemententwicklung wur-
de das Thema bislang vernachlässigt. Als Bestandteil des strategischen Managements
scheint die Behandlung der Strategie-Implementierung oft nur aus Gründen der Voll-
ständigkeit aufgenommen worden zu sein, auch wenn sich die Bedeutung in neuen
Werken langsam erhöht.15 Wie wir noch sehen werden, stehen dabei aber in der Regel
nur ausgewählte Aspekte der Umsetzung im Vordergrund.

Im englischsprachigen Raum gibt es zu diesem Themenkreis eine Reihe von Veröf-


fentlichungen – vor allem aktuelle Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelwer-
ken.16 Diese Veröffentlichungen basieren zu großen Teilen darauf, Probleme der
Implementierung zu beschreiben und eine Aneinanderreihung von Handlungsempfeh-
lungen zu geben. Als Grundlagen dafür dienen häufig Beispiele aus der Unternehmens-
praxis. Zudem existieren eine Reihe empirischer Untersuchungen zu den Problem-
feldern der Implementierung.17
34 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

Die bestehende Literatur lässt erkennen, dass sich das Thema im englischsprachigen
Bereich hauptsächlich durch den praktischen Bedarf entwickelt hat, während in deutsch-
sprachigen Dissertationen eine viel stärkere Strukturierung und systematischere Be-
trachtung und Analyse vorzufinden ist. Eine Aufnahme dieser konzeptionellen Ansätze
in deutsche Lehrbücher oder Standardwerke erfolgt bislang allerdings erst langsam.
Bisherige Veröffentlichungen zum Thema Strategie-Implementierung umfassen
hauptsächlich Ausführungen zu den Bereichen Organisation, Personalmanagement,
Kommunikation, Unternehmenskultur, Budgetierung und Controlling, und zwar in
unterschiedlich ausführlicher Form. Besonders die Aspekte Organisationsgestaltung
und Personalmanagement sind Mittelpunkt nahezu aller betrachteten Ansätze.
Andererseits gibt es natürlich Ansätze aus dem Controlling, die von der Erfolgsmes-
sung her die Strategie-Umsetzung betrachten. Insbesondere durch die von Kaplan und
Norton18 in die Diskussion gebrachte Balanced Scorecard wurden wichtige Impulse
im Hinblick auf die Erfolgsmessung gegeben.
Die Verknüpfung der Strategie-Umsetzung mit dem Themenbereich des internen Mar-
ketings19 im Rahmen der Literatur zur Strategie-Implementierung hat bislang nicht
oder erst nur ansatzweise stattgefunden; mit der Behandlung interner Kommunika-
tionsfragen wird lediglich ein Teilbereich untersucht.

3.2 Ursachen für die Vernachlässigung des Themas Strategie-


implementierung
„The evidence shows that once strategy is set, interest among top team members falls
rapidly away, implementations efforts pull up short, operational behaviours and short-
term goals take over.“20

● „Strategie“ wird vom Management als wichtig angesehen, die


Umsetzung als „operativ“ und damit als delegierbar
● Das Management hat kein spezifisches Know-how bezüglich
der Hebel der Strategieumsetzung
● Die Umsetzung ist aus verschiedenen Gründen die schwieri-
gere Phase; das Management zieht deshalb unbewusst die
Strategieentwicklung vor
● Strategieentwicklung verläuft in der Regel in gut strukturier-
ten, teilweise sogar schematisierten Prozessen, während die
Umsetzungsphase situative, unternehmennsbezogene und per-
sonelle Besonderheiten berücksichtigen muss und kann daher
keinem starren Schema folgen kann

Abbildung 1: Mögliche Ursachen für die Vernachlässigung der Strategie-Implementierung


Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 35

Als einer der Hauptgründe für die Vernachlässigung des Themas Implementierung in
der Praxis wird die Tatsache angesehen, dass Strategie-Umsetzung als nicht gleich-
wertig mit der Strategie-Entwicklung als Führungsaufgabe angesehen wird. Imple-
mentierung wird als taktische oder operative Aufgabe betrachtet und daher delegiert,
damit man sich den „größeren“ Aufgaben widmen kann. Dabei ist es eine der wichtig-
sten Führungsaufgaben überhaupt.21
Aber auch die Herausforderungen, die sich bei der Implementierung im Gegensatz zur
Strategie-Entwicklung ergeben, sind vielleicht ein Grund für die Vernachlässigung des
Themas: Manche Führungskräfte haben gar keine besonderen Kompetenzen ent-
wickelt, um Strategie umzusetzen, und sie sind auch nicht für diese Thematik sensibi-
lisiert. Sie kennen nicht das erforderliche „Werkzeug“, weil es beispielsweise nicht
explizites Thema im Rahmen der Managementausbildung war.
Vergleicht man die Phase der Strategie-Entwicklung mit der der Implementierung, so
wird deutlich, warum die Umsetzung oft als schwierigste Phase des strategischen
Managements bezeichnet wird. Während die Strategie-Entwicklung durch Anwen-
dung eines systematischen methodischen Instrumentariums weitgehend auf einer ra-
tionalen, geplanten, intellektuellen Ebene verläuft, ist der Umsetzungsprozess u. a.
auch durch emotionale Aspekte, durch Widerstände der Mitarbeiter oder durch schwie-
rige Personalfragen gekennzeichnet. Diese erschweren die Plan- und Steuerbarkeit.
Die Strategie-Entwicklung beansprucht meist nur wenige Wochen oder Monate an Ent-
wicklungszeit, demgegenüber erfordert die Umsetzung sehr viel mehr Zeit, Energie
und Geduld: Sie kann sich über Jahre hinziehen. Zudem verläuft der Prozess der Stra-
tegie-Entwicklung zumindest in seinen formalen Schritten in verschiedenen Unter-
nehmen ähnlich, während Umsetzungsprozesse viel eher unternehmensspezifischer
Natur sind: Die besonderen Gegebenheiten fließen in die konkrete Umsetzungsarbeit
ein. Außerdem sind an der Entwicklung von Strategien häufig nur Führungskräfte vor
allem der oberen Führungsebenen beteiligt, während die Umsetzung die aktive Mitar-
beit aller Führungskräfte und Mitarbeiter erfordert.22
Aus den empirischen Studien lassen sich vier Themengruppen ableiten, die die am
häufigsten genannten Problemfelder umfassen. Diese setzen sich aus den Bereichen
Implementierungsplanung, Personalmanagement, Organisationsstruktur und Kommu-
nikation zusammen.23
Unter Implementierungsplanung lassen sich zum einen Aspekte der zeitlichen und
finanziellen Planung fassen. Der Finanzbedarf fällt häufig höher aus als geplant; hier
liegt daher ein Problembereich der Implementierung. Zudem wird angeführt, dass die
Prioritäten der Verantwortlichen oft nicht bei der Implementierung liegen. Zum ande-
ren spielt die Operationalisierung der Strategie eine große Rolle. Dabei wurde im
Rahmen der Studien bemängelt, dass die Überführung der Strategie in konkrete Maß-
nahmen fehlgeschlagen ist. Mangelnde Konkretisierung, unklare Vergabe von Verant-
wortlichkeiten und ein unterschiedliches Verständnis der Strategie bei den Implemen-
tierenden wurden als Ursachen dafür angeführt.
Personalaspekte stellen die am häufigsten genannte Problemursache für das Scheitern
der Strategie-Implementierung dar. Dabei werden sowohl Ängste vor Veränderungen
36 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

und Machtverlust als auch Widerstände und fehlende Strategieakzeptanz seitens der
Mitarbeiter genannt. Zudem fehlen Mitarbeitern Anreize einerseits und Schulungen
andererseits im Hinblick auf die Implementierungsaktivitäten. Ferner werden unzurei-
chende Führungsfähigkeiten sowie fehlende Anleitung und Unterstützung durch die
Führungskräfte als Barrieren angeführt. Politische Machtkämpfe und mangelnde
Unterstützung für die Strategie von Seiten aller Stakeholder bieten weiteres Konflikt-
potenzial.
Auch die Organisationsstruktur wird in den meisten Studien als mögliche Barriere der
Implementierung angesehen. Ein Aspekt ist die mangelnde Koordination und Abstim-
mung, vor allem bei bereichsübergreifenden Prozessen. Dies ist insbesondere bei
funktionalen Organisationsstrukturen problematisch. Zudem wird die bestehende,
meist vielstufige Organisationsform mit ihren Strukturen und Anweisungen als hem-
mend betrachtet.
Die Kommunikation ist ebenfalls eine häufige Problemursache in den betrachteten
Untersuchungen. Mangelnde Informations- und Kommunikationspolitik und eine
damit verbundene unzureichende Vermittlung der Strategieinhalte werden ebenso er-
wähnt wie inadäquate Informationssysteme zur Überwachung der Implementierung.

Abbildung 2: Woran scheitert die Implementierung? Eine Übersicht über empirische Forschungs-
ergebnisse
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 37

Diese allgemein gehaltene Kritik an der Kommunikation im Rahmen der Strategieim-


plementierung wurde in den Studien jedoch nicht weiter konkretisiert.

3.3 Zwischenfazit
Überraschend ist bei der Durchsicht der empirischen Forschung, dass bei den Schwie-
rigkeiten manche Bereiche eher stark betont werden, andere hingegen keine besonde-
re Aufmerksamkeit erhalten. Beispielsweise wird die Thematik der Erfolgsmessung
im Rahmen von Balanced Scorecards bislang im Zusammenhang mit den Studien zur
Implementierung nicht beleuchtet. Die neuere Literatur zur Balanced Scorecard hin-
gegen stellt den Bezug zu Fragen der Strategieumsetzung explizit her24, ohne aller-
dings die übrigen Hebel der Strategie-Umsetzung in der gleichen Intensität und Tiefe
zu erörtern.
Ferner wird der Bezug des Themas Strategie-Implementierung zu den betrieblichen
Prozessen der Ressourcenvergabe (z. B. Budgetierung und Kostenstellenplanung,
Unternehmensplanung, Personalplanung, Investitionsplanung) nicht bzw. nicht im er-
forderlichen Detaillierungsgrad betrachtet. Strategien, für die keine Ressourcen be-
reitgestellt werden, kann man schwerlich umsetzen.
Gleichwohl liefern diese Studien einige wichtige Hinweise, worauf bei der Strategie-
Implementierung geachtet werden muss. Diesem Thema widmet sich der folgende
Abschnitt. Hier geht es – positiv ausgedrückt – um die Erfolgsfaktoren der Strategie-
Umsetzung.

4. Erfolgsfaktoren der Implementierung von Strategien

Abbildung 3: Hebel der Strategie-Umsetzung


38 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

4.1 Operationalisierung des strategischen Konzeptes

„An astonishing number of strategies fail because leaders don’t make a realistic
assessment of whether the organization can execute the plan.“25
Strategien sind nur so gut wie ihre Umsetzung. Eine der wichtigsten Aufgaben im
Rahmen der Strategie-Entwickung ist es daher, die Umsetzbarkeit strategischer Kon-
zepte abzuschätzen – ein Schritt, der in der Praxis allerdings zu selten getan wird.
Um zu prüfen, ob für die Umsetzung von Strategien in Unternehmen die ausreichen-
den Kapazitäten und Fähigkeiten vorhanden sind, müssen genau diese Anforderungen
schon im Vorfeld einer realistischen und kritischen Beurteilung unterzogen werden.
Die Umsetzbarkeit eines strategischen Konzeptes in der Praxis muss zum wichtigen
Prüfstein für die Qualität von strategischen Plänen gemacht werden.26 Ist eine Strate-
gie zur Zeit nicht realisierbar, sollte sie entweder schon vor der Umsetzung gestoppt
werden oder es sollten die dafür notwendigen Fähigkeiten aufgebaut werden.
Auch der Einsatz einer zweitbesten strategischen Alternative kann in einigen Fällen
zu einer besseren Umsetzung führen.27
Wird die Frage der Umsetzbarkeit von Strategien im Rahmen von Strategieprojekten
auf die Agenda gesetzt, so kann das sehr heilsame Wirkungen haben: Ein Dialog zwi-
schen oberen und den mittleren Führungsebenen über die Machbarkeit der Strategie,
über fehlende Voraussetzungen und Ressourcen etc. kann dazu führen, dass genau die
Schwierigkeiten antizipiert werden, die sonst das Scheitern verursacht hätten.
Eine weitere Problematik der Umsetzbarkeit der Strategie in operative Maßnahmen
besteht darin, dass die strategische Planung meist sehr abstrakt formuliert wird. Je
nach Ausgestaltung des Projektes handelt es sich um umfangreiche, in „Berater-
deutsch“ verfasste Präsentationen oder um von Stabsabteilungen fern der operativen
Wirklichkeit verfasste Papiere. Ein kritischer Blick auf das, was dort von internen
Stabsabteilungen oder externen Beratern formuliert wurde, erscheint also hilfreich.
Schon während der Strategie-Entwicklung muss beurteilt werden, inwieweit die ent-
wickelten Maßnahmen so formuliert sind, dass sie in die Praxis überführt werden kön-
nen. Die Strategie sollte so weit wie möglich konkretisiert werden. Vor allem sollten
für den Erfolg der Strategie kritische Abläufe des operativen Geschäftes berücksich-
tigt werden.28 Die Konzentration auf das Wesentliche und eine hohe Prägnanz der
Strategie für den Erfolg der Umsetzung unabdingbar.29 Parallel zur Prüfung der Um-
setzbarkeit der Strategie ist mit der Schaffung klarer Aktionsprogramme zu beginnen,
die die Grundlage für die Strategie-Implementierung darstellen.
Damit Mitarbeiter langfristig ausgerichtete Strategien umsetzen können, benötigen sie
eine genaue Übersetzung der Strategie in Aktionsprogramme. Die Strategie muss für
Mitarbeiter greifbar gemacht werden.30 Die Umsetzung einer Strategie scheitert oft
daran, dass die Ziele nicht gut genug in konkrete Einzelziele zerlegt und in Aktions-
programme umgesetzt werden und die Mitarbeiter sie daher nicht verstehen.31
Führungskräfte müssen also schon in der Strategie-Entwicklungsphase den Weg der
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 39

Umsetzung zumindest in seinen Grundzügen antizipieren. Wenn dies nicht gelingt,


spricht dies nicht für die Qualität der Strategie.
Strategien sind stufenweise in bereichs- und abteilungsbezogene Maßnahmenpro-
gramme zu übersetzen. Dies erfordert zunächst die detaillierte Zerlegung der Strategie
in Teilstrategien und die Planung der zeitlichen Abfolge der Teilprojekte.32 In den Ab-
teilungen oder Bereichen müssen dann Verantwortliche ernannt und Zeitrahmen für
die Umsetzung festgelegt werden.33
Das Setzen von Zielen im Rahmen von Aktionsplänen hat den Vorteil, dass sie zum
einen langfristige Ziele operationalisieren und zum anderen Messgrößen für die Aktions-
programme der einzelnen Bereiche bzw. Abteilungen schaffen.34 Hier setzen auch viele
Balanced-Scorecard-Projekte an: Sie verknüpfen die Strategie mit dem Zielsetzungspro-
zess. Strategien werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen quantifiziert. Dies ist ein not-
wendiger Schritt, keineswegs jedoch ein ausreichender, wie wir noch sehen werden.
Inzwischen wird diesem Aspekt bereits verstärkt Rechnung zu tragen versucht:
Kaplan und Norton sprechen von „Strategy Maps“, die die Aufgabe haben, für jeden
Verantwortungsbereich als „strategische Landkarte“ die Richtung vorzugeben.35

4.2 Strategische Budgetierung und strategiegerechter Ressourceneinsatz


Grundlagen der strategischen Budgetierung

Strategien bleiben auch dann wirkungslos, wenn die erforderlichen Mittel nicht zur
Verfügung stehen. Die verantwortlichen organisatorischen Einheiten benötigen ein
entsprechendes Budget, um ihren Teil des strategischen Plans überhaupt umsetzen zu
können. Gerade dies ist natürlich ein heikler Aspekt, tangiert doch die Ressourcenver-
teilung auch Machtfragen im Unternehmen. Vermutlich ist dies auch der Grund dafür,
dass Ressourcenfragen bisweilen schlichtweg ausgeklammert bleiben.
Ein wichtiger Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien besteht daher in
der Budgetierung der zur Strategie-Umsetzung erforderlichen sachlichen, personellen
und finanziellen Ressourcen.36 Das Budget der strategiebedingten Aktivitäten lässt
sich dabei zumindest in der Darstellung vom Budget des Basisgeschäfts trennen. Bei
jeder Ressourcenzuteilung kann dann geprüft werden, ob die Ressourcen einen Bei-
trag zur Erreichung der strategischen Ziele leisten.37
Der Erfolg einer Strategie ist in hohem Maße davon abhängig, wie gut die Implemen-
tierungsverantwortlichen die Budgetierung mit den Anforderungen der Strategie ver-
binden. Begrenzte Budgets können den Implementierungsprozess verlangsamen oder
gar verhindern. Zu großzügige Budgets wiederum wirken sich negativ auf die finanzi-
elle Performance der Strategie und des gesamten Unternehmens aus. Der für die Im-
plementierung Verantwortliche muss daher sehr stark in den Budgetierungsprozess in-
volviert sein und die Budgets der am Prozess beteiligten Einheiten bewerten und über-
prüfen können.38
Auch diese Überlegungen mögen auf den ersten Blick plausibel und nachvollziehbar
sein. Entscheidend ist jedoch, ob in der Praxis der Prozess der Strategie-Entwicklung
40 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

und -umsetzung mit den Prozessen der operativen Kostenplanung, der Investitionspla-
nung und der Personalplanung verknüpft ist. Dies dürfte in der Praxis weit seltener der
Fall sein, als man vielleicht vermutet. Die Implementierungsforschung sollte diesen
Aspekten zukünftig sehr detailliert nachgehen.
Relativ einfach gestaltet sich die Ressoucenplanung, wenn zusätzliche Ressourcen be-
reitgestellt werden können. Angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Unternehmen
ist daran aber nicht zu denken: Es wird eine Umverteilung knapper Ressourcen inner-
halb des Unternehmens unter strategischen Aspekten erforderlich; dies stellt eine der
großen Herausforderungen im Rahmen der Implementierung dar.39 Im Unternehmen
muss die Bereitschaft bestehen, konsequent Ressourcen von einem Bereich auf den
anderen zu verlagern, um neuen strategischen Prioritäten gerecht zu werden. Dies ist
oft eine hoch politische Aufgabe.40 Das Management muss daher aktiv ehemals strate-
gisch wichtige Bereiche dazu bringen, ihre Ressourcenforderungen zurückzuschrau-
ben und nicht erfolgsträchtige Projekte zu beenden. Wenn es allerdings gelingt, Res-
sourcenumschichtungen im Sinne der Strategie durchzusetzen, dann ist hier mit einer
entsprechenden Hebelwirkung zu rechnen – ganz abgesehen von der Signalwirkung,
die Ressourcenzuweisungen für die Organisation generell haben.

Grenzen der klassischen Budgetierungsprozesse


„Budgets often have little to do with the reality of execution because they’re numbers
and gaming exercises, where people spend months figuring out how to protect their
interests instead of focusing in the business’s critical issues.“41
Insgesamt wird die klassische Budgetierung inzwischen als zu schwerfällig und zu
teuer kritisiert.42 Der Budgetierungsprozess beansprucht als jährliches Ritual 4 Mona-
te eines Jahres und mehr, er ist daher sehr kostspielig und bindet wertvolle Zeit und
Energie von Führungskräften. Diese Budgetierungspraxis passt nicht mehr in das heu-
tige Wettbewerbsumfeld, da die Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen durch
starre Budgets sehr eingeschränkt ist. Eine flexible Anpassung an neue Strategien, die
sich auch außerhalb des Planungszeitraumes ergeben, ist mit diesem klassischen Pro-
zess nur schwer möglich.
Man hat in vielen Unternehmen daher mit der Einführung verkürzter und vereinfach-
ter Planungs- und Budgetierungsprozesse sowie rollierender Budgets reagiert. Diese
aktuelleren und damit relevanteren Zahlen können allerdings zu einem weiteren An-
stieg der Arbeitsbelastung und noch höheren Kosten führen.43 Ein weiteres Problem-
feld stellt die Budgetmanipulation dar. Zwei Drittel der Befragten glauben, dass ihr
Planungs- und Budgetierungsprozess mehr durch Politik als durch die Strategie beein-
flusst wird.44 Besonders mit Veränderung verbundene Strategien dürften oft durch
solche Methoden benachteiligt werden und daher scheitern.
Insgesamt zeigen alle diese Probleme, dass der Budgetierungsprozess zu stark von
operativen Einflüssen geprägt ist und die Einbindung strategischer Aspekte zu kurz
kommt. Die derzeitige Budgetierungspraxis ist somit nicht nur uneffektiv, sondern
wirkt oftmals der erfolgreichen Implementierung von Strategien entgegen.
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 41

„Beyond Budgeting“ im Rahmen der Strategieimplementierung


Das von Hope und Fraser entwickelte Konzept des Beyond Budgeting setzt an diesen
Problemen an. Auch wenn das Konzept stark kontrovers diskutiert wird45, sind einige
Vorschläge speziell für die Umsetzung von Strategien interessant, auch über die Bud-
getierung im engeren Sinne hinaus. Hope und Fraser setzen sich für die Abschaffung
des jährlichen Budgetierungsprozesses ein; sie sehen als Alternative adaptive Mana-
gementprozesse und eine radikal dezentralisierte Organisation.
Adaptive Managementprozesse folgen den Prinzipien, dass Ziele relativ zu externen
Benchmarks anstatt zu intern verhandelten Zielen formuliert werden und dass die Leis-
tungsbewertung und -vergütung im Nachhinein anhand von Benchmarks stattfindet.
Durch die Festlegung dieser Vergleichsgrößen wird die Bereitschaft gefördert, die Um-
setzung langfristig wertsteigernder Strategien zu fördern, anstatt sich kurzfristig an
Planvorgaben zu halten. Eine Leistungsbeurteilung und -vergütung im Nachhinein
führen zusätzlich zu einer grundsätzlich strategischeren Budgetvergabe, um langfristig
die Leistung zu verbessern, was der Implementierung von Strategien entgegenkommt.
Zudem wird nach dem Konzept der jährliche Budgetierungszyklus durch einen konti-
nuierlichen Prozess ersetzt, um Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu schaffen. Die
dadurch mögliche flexible Vergabe von Ressourcen und Festlegung von Budgets kann
die ständige strategiegerechte Budgetierung entwickelter Strategien durch die zeitliche
Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Bedingungen erleichtern.
Die Grundideen des Beyond Budgetings erscheinen überaus überzeugend, gerade
auch für denjenigen, der die Budgetierungsprozesse in Konzernen aus eigener Erfah-
rung kennt. Deshalb bereiten Unternehmen wie beispielsweise die Otto Gruppe in
Hamburg den Übergang zu Planungsprozessen nach dem Beyond-Budgeting-Prinzip
vor. Es liegt auf der Hand, dass die Einbeziehung strategischer Stellgrößen auf diesem
Wege sehr erleichtert wird.

4.3 Strategisches Reporting und Controlling der Implementierung


Aufgaben des Controllings bei der Implementierung

„What gets measured gets done.“ Diese viel zitierte Management-Weisheit bringt die
Problematik der Kontrolle bzw. der Steuerung des Geschäfts im Rahmen von Strate-
gie-Implementierungsprozessen auf den Punkt.
Während im operativen Controlling monetäre Größen wie Finanzkennzahlen und
Kostenentwicklungen im Vordergrund stehen, konzentriert sich das strategische Con-
trolling eher auf Ziele wie Marktwachstum und -anteile, Börsenwert und langfristige
Planungsziele wie Investitions- und Akquisitionsplanungen.46 Anders als das opera-
tive Controlling soll sich das strategisches Controlling nicht an vergangenheitsgerich-
teten Zahlen orientieren, sondern alle Maßnahmen zeitnah begleiten und überprüfen,
um daraus Anpassungsbedarf abzuleiten.47 Das strategische Controlling kann daher
als Steuerung und Überwachung des Strategieprozesses verstanden werden.48
42 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

Im Rahmen der Prämissenkontrolle geht es darum, die Gültigkeit der Schlüsselannah-


men, auf denen die Strategie basiert, fortlaufend über den gesamten Strategieprozess
hinweg zu überprüfen. Verliert eine wichtige Prämisse ihre Gültigkeit, z. B. durch ver-
änderte volkswirtschaftliche Eckdaten wie Inflations- oder Zinsraten oder durch eine
veränderte Wettbewerbslandschaft, kann sich daraus die Notwendigkeit ergeben, die
Strategie zu ändern. Gerade die Prämissenkontrolle ist ein wichtiger Bereich des Im-
plementierungs-Controllings, wird hier doch transparent gemacht, ob die inhaltliche
Basis einer Strategie überhaupt noch Gültigkeit besitzt.
Bei der Durchführungskontrolle stehen die bisherigen Ergebnisse der Umsetzung von
Strategien im Vordergrund, die als Folge der im Unternehmen umgesetzten Maßnah-
men entstehen. Oft dienen definierte Meilensteine als Grundlage für diese Kontrolle.
Das strategische Monitoring ist eine Ergänzung der anderen Kontrollarten und hat die
Aufgabe, den Stand der Umsetzung vereinbarter Programme und Maßnahmen zu
dokumentieren. Über die Wirksamkeit der Maßnahmen ist damit nicht zwangsläufig
etwas gesagt.

Die Balanced Scorecard als Instrument der Implementierung


Die im strategischen Controlling geforderte Ausrichtung an nicht rein monetären und
vergangenheitsorientierten Zahlen stößt in der praktischen Anwendung schnell an ihre
Grenzen. Meist findet in Unternehmen eine Steuerung immer noch auf Basis von
Kennzahlen des Rechnungswesens statt; marktbezogene Steuerungsgrößen fehlen
sehr oft.49
Die von Kaplan und Norton entwickelte Balanced Scorecard (BSC) setzt an dieser
Schwachstelle an und wird in ihrer Grundidee als Erweiterung traditioneller Perfor-
mance-Measurement-Systeme eingesetzt. Basis des Konzepts ist die Erweiterung
finanzieller Kennzahlen um weitere Messgrößen aus den Bereichen „Kunden“, „inter-
ne Geschäftsprozesse“ sowie „Lernen und Entwicklung“.50 Für jede Perspektive
werden strategische Ziele, Kennzahlen und Zielvorgaben erarbeitet und Maßnahmen
spezifiziert, die für die Zielerreichung notwendig sind. Zwischen den vier Perspek-
tiven soll ein Gleichgewicht zwischen monetären und nicht monetären Kennzahlen,
Leistungen aus externer als auch aus interner Perspektive, lang- und kurzfristigen
Zielen sowie Früh- und Spätindikatoren ermöglicht werden.51
Kritisch anzumerken ist, dass die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen den Mess-
größen der Perspektiven in der Praxis nur schwer eindeutig zu bestimmen ist. Die
Umsetzung der Scorecards ist komplizierter als vielfach dargestellt.52
Obwohl die BSC einer ursprünglich anderen Idee folgte, wurde in der Praxis vermehrt
festgestellt, dass sie als Instrument der Strategiesteuerung eingesetzt werden kann und
auch der Unterstützung der Strategie-Implementierung dienen kann.53 Daher wurde
der ursprüngliche Ansatz der BSC zu einem Managementsystem weiterentwickelt, das
helfen soll, den gesamten Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozess im Unter-
nehmen zu gestalten.54 Dieser Ansatz, der ausgehend von der Balanced Scorecard
Managementprozesse zu einer Einheit verknüpfen soll, geht weit über den Ansatz eines
Performance-Measurement-Systems hinaus. Ob Implementierungsprozesse durch Ba-
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 43

lanced Scorecards tatsächlich unterstützt werden können, ist sicherlich auch davon ab-
hängig, inwieweit Scorecards sinnvoll ausgestaltet und in konkrete Aktionsprogram-
me überführt werden. Zudem wird man die Komplexität der Scorecards deutlich be-
grenzen müssen.

4.4 Strategiekonformes Personalmanagement


Einbindung des Personalbereiches in die Implementierungsprozesse

Wie eingangs bereits angedeutet, dürfen die zahlreichen Argumente auf der sachlich-
inhaltlichen Ebene nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letzten Endes Menschen
sind, die für die Umsetzung von Strategien verantwortlich sind. Sie entscheiden über
den Erfolg oder Misserfolg von Strategien.55 Die Erkenntnis setzt sich in der Praxis
zunehmend durch, dass Strategien zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie nicht mit
den vorhandenen und in Zukunft erforderlichen personellen Ressourcen abgestimmt
sind und wenn sie die Qualifikation und Motivation der Führungskräfte und Mitarbei-
ter nicht berücksichtigen.56 Wichtig ist also die Einbindung des Personalmanagements
in die Prozesse der Strategie-Entwicklung und -Implementierung.57
Dies mag zunächst wie eine Selbstverständlichkeit klingen. In der Praxis zeigt sich
jedoch, dass der Personalbereich selten im erforderlichen Umfang in Strategieent-
wicklungs- und -Umsetzungsprozesse einbezogen wird. Auch darf die Frage gestellt
werden, ob der Human-Resources-Bereich über ausgeprägte strategische Kompeten-
zen verfügt.58

Umgang mit Widerstand


„Es gibt keinen Veränderungsprozess ohne Widerstände und es wird auch in Zukunft
keinen ohne derartige Widerstände geben.“59 Auf Grund des offenen oder versteckten
Widerstandes von Mitarbeitern, der letztlich Folge von Unsicherheit und Angst vor
Nachteilen ist, stoßen Implementierungsvorhaben oft an ihre Grenzen.60 Wenn es kei-
nen direkten, offenen Widerstand gibt, dann kann auch das bewusste Unterlaufen von
Maßnahmen den gleichen Effekt haben.
Einen wichtigen Hebel zur Schaffung von Akzeptanz und zur Vermittlung der Ideen
des Implementierungsvorhabens stellt der Prozess der Mitarbeiterführung dar. „Der
Erfolg von Veränderungsprojekten steht und fällt mit der Fähigkeit der Top-Manager.
(…) Sie müssen den Prozess treiben und den Mentalitätswechsel bei den Mitarbeitern
fördern.“61

Strategie-Umsetzung und strategiebezogene Führungsprozesse


Information und Kommunikation werden in der Regel als zentrale Instrumente der
Mitarbeiterführung angesehen. Allerdings kommt es ganz wesentlich darauf an, wel-
che Inhalte kommuniziert werden, denn Information und Kommunikation sind kein
Selbstzweck: Ein einfaches Mehr an Information und Kommunikation ist selten die
Lösung des Problems.
44 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

Andererseits ist jedes Gespräch, das die Führungskraft formell oder informell mit dem
Mitarbeiter führt, verhaltenslenkend und damit ein wichtiger Faktor bei der Umset-
zung von Strategien.62 Besonders bei Implementierungsvorhaben ist es daher wichtig,
dass die Führungskraft neue Strategien mit Überzeugung kommuniziert.63 Gleich-
zeitig kommt es darauf an, den Mitarbeitern Wege zur Umsetzung von Strategien so
konkret wie möglich aufzuzeigen. Damit ergeben sich hier Verbindungen zu den
Überlegungen des Abschnitts 4.1, indem die Operationalisierung der Strategie im Mit-
telpunkt der Überlegungen stand – Information und Kommunikation sind die Wege,
um die Operationalisierung der Strategie in einem Unternehmen zu verankern.
Ein wichtiges Führungsthema ist natürlich auch die Motivation der Mitarbeiter. Eine
Aufgabe der Führungskräfte bei der Umsetzung von Strategien besteht darin, die
Widerstandsenergie der Mitarbeiter in einen Motivationsschub zu verwandeln.64
Ziele setzen und überprüfen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument
der Führung. Hier ist an das klassische Führen durch Vereinbarung von Zielen im Sin-
ne von „Management by objectives“ zu denken.65 Strategische Programme müssen
ganz offensichtlich mit den in den meisten Unternehmen inzwischen etablierten Ziel-
vereinbarungsprozessen in Verbindung gebracht werden. Klare Zielvorgaben bieten
dem Mitarbeiter im Rahmen von Implementierungsvorhaben Transparenz und Orien-
tierung, da er absehen kann, mit welchen Handlungen die Erreichung der Strategie
unterstützt werden kann.66 Hier leistet im Übrigen in vielen Unternehmen auch die
erwähnte Balanced Scorecard einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und Verbind-
lichkeit der strategischen Ziele.
In einigen Teilkonzernen des MAN-Konzern in München werden so genannte Strate-
gie-Steckbriefe eingesetzt, um die jeweilige Strategie auf den konkreten Verantwor-
tungsbereich eines Managers und seines Teams herunterzubrechen. Diese Steckbriefe
gehen über Balanced Scorecards weit hinaus, weil sie den Schwerpunkt nicht auf
quantitative Größen setzen, sondern die Verknüpfung von Aktionsprogrammen und
Messgrößen besonders betonen.

Strategiekonforme Anreizsysteme
Ein weiterer, ganz zentraler Hebel zur Motivation von Mitarbeitern und Führungskräf-
ten ist die Gestaltung der Anreizsysteme. Hier liegt also ein weiteres Aufgabenfeld des
Personalbereiches, die Strategieumsetzung wirksam zu unterstützen.
Häufig scheitern Strategien u. a. deshalb, weil die Anreizsysteme nicht auf die Strate-
gie abgestimmt sind: Sie belohnen eine kurzfristige Erfolgsorientierung des Manage-
ments, anstatt langfristiges, strategiekonformes Verhalten zu fördern. Es liegt auf der
Hand, dass aus derartigen Anreizen Fehlsteuerungen entstehen, die das Scheitern der
Strategie-Umsetzung zur Folge haben können.67 Ziel von Unternehmen sollte daher
sein, solche Systeme zu installieren, die Anreize für strategiekonformes Vorgehen von
Führungskräften und Mitarbeitern beinhalten.
Hier gibt es sehr unterschiedliche Ansätze, ein solches Anreizsystem einzusetzen. Ein
Ansatz ist die Berechnung der Anreize auf Basis von Ergebnissen mehrerer Jahre.
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 45

Dies führt zwar zu einer langfristigeren, aber weniger strategischen Ausrichtung.68


Auch die Orientierung an Marktwerten oder Wertkonzepten im Sinne des Share-
holder-Value-Konzeptes fokussiert eher auf der Vermeidung von bilanziellen Spiel-
räumen, hat aber auch weniger strategischen Charakter.69
Ein stärkerer strategischer Ansatz ist die teilweise Lösung von Zahlen des Rechnungs-
wesens und die Kopplung an direkte strategische Sollgrößen. Anreize werden dabei
auf Basis von Marktanteils-, Produktentwicklungs-, Produktivitäts- und Produktqua-
litätskennzahlen vergeben, was klare Ziele voraussetzt. Ein Anteil dieser strategischen
Komponente kann dabei je nach Hierarchiestufe variabel gestaltet werden, der andere
Anteil setzt sich weiterhin aus operativen Kennzahlen zusammen.70
Das Grundproblem solcher strategisch ausgerichteten Anreizsysteme besteht darin,
dass Erfolge meist erst nach mehreren Jahren eintreten. Die individuelle Zurechenbar-
keit des Erfolges ist daher nur schwer möglich, ebenso besteht zwischen Leistungs-
verhalten und nachfolgendem Leistungsergebnis keine eindeutige und stetige Bezie-
hung. Unzureichende Erkennbarkeit des Managementhandelns kann zudem dazu
führen, dass das System nicht anerkannt und verhindert wird, zudem können falsche
Messgrößen zur Fehlsteuerung führen.71 Hier sind also pragmatische Lösungen ge-
fragt, beispielsweise indem zunächst nur Teile eines bestehenden Anreizsystems von
operativen Größen losgelöst und an strategische Zielgrößen gekoppelt wird.

Managerprofile und Strategieumsetzung


Die Motivation zur Umsetzung von Strategien ist allerdings im Rahmen der
Führungsprozesse nur eines der zu untersuchenden Themen. Es stellt sich nämlich die
Frage, ob bei den Implementierungsprozessen auch unterschiedliche Fähigkeiten der
Verantwortlichen zu Tage treten. Hier sind sicherlich weitergehende Untersuchungen
angesagt, aber es darf vermutet werden, dass Führungskräfte in unterschiedlichem
Maße geeignet sind, bestimmte Strategietypen zu realisieren. Für den Aufbau und die
Entwicklung neuer Geschäftsfelder sind beispielsweise eher visionäre, unternehme-
rische Manager gefordert, die stark zukunftsorientiert arbeiten und Unsicherheiten
sowie Risiken gewohnt sind. Für Wachstumsstrategien sind eher Manager-Typen
gefragt, die rationaler und analytischer arbeiten, während in Rückzugsstrategien be-
sonders Manager mit Sanierungserfahrungen gefragt sind.72

Training der Implementierungskompetenz


Strategien können nur erfolgreich sein, wenn die für die Umsetzung Verantwortlichen
bzw. die an der Umsetzung Beteiligten die erforderliche Eignung aufweisen.73
Ziel entsprechender, an der Strategie ausgerichteten Personalentwicklungsprogramme
ist die Verbesserung des Leistungspotenzials der Mitarbeiter auf den verschiedenen
Hierachieebenen.74 Dabei liegt es auf der Hand, dass für alle Personalentwicklungs-
programme festgelegt werden muss, welchen speziellen Beitrag sie zur Umsetzung
der verabschiedeten Strategien leisten. Ein Blick auf die klassischen Bildungspro-
gramme von Unternehmen lässt diesen strategischen Bezug sehr selten erkennen.75
46 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

Um die Fähigkeit des Managements zur Umsetzung von Strategien zu stärken, bieten
sich spezielle Seminare zum Handwerkszeug der Strategieumsetzung an, wie sie etwa
der MAN-Konzern seit mehreren Jahren für alle Führungskräfte unterhalb des Vor-
stands vorsieht. Diese Art von Seminaren gibt es bislang in Unternehmen allerdings
nur äußerst selten – auf diesem Gebiet ist Nachholbedarf zu diagnostizieren.

4.5 Strategiegerechte Strukturen und Prozesse


Structure follows strategy

Nach der von Chandler 1962 veröffentlichten und seither viel diskutierten These
„structure follows strategy“ zieht eine Änderung der Strategie die Anpassung der
Organisationsstruktur nach sich. Diesen Zusammenhang erklärt Chandler damit, dass
die alte Organisationsstruktur mit Einführung neuer Strategien ineffizient wird.76
Die von Chandler aufgestellte Beziehung zwischen Strategie und Struktur wurde in
weiteren Studien zwar bestätigt, jedoch umgekehrt ebenso der Einfluss des Organisati-
onssystems auf die strategischen Optionen des Unternehmens festgestellt.77 Die Orga-
nisation stellt dabei das Umfeld dar, in das jede Strategie zu integrieren ist. Langjährige
Diskussionen zwischen den Anhängern dieser beiden Thesen lassen den Schluss zu,
dass Strategie und Organisation interagieren und sich gegenseitig beeinflussen.78
Obwohl weitgehend Einigkeit über diese grundsätzlichen Zusammenhänge besteht, ist
es schwer, eine für die Implementierung bestimmter Strategien optimale, allgemein
gültige Organisationsform zu bestimmen. Deshalb kann es leichter und zweckmäßiger
sein, sich den Widersprüchlichkeiten zwischen Strategie und Organisation zuzuwen-
den und sich so dieser Frage zu nähern.79
Stark zentralisierte Aufbauorganisationen mit tayloristischer Arbeitsteilung und die
Angst vor Macht- und Budgetverlust von Seiten der Führungsebenen werden oft als
Barrieren für die Umsetzung wettbewerbsfähiger Strategien angesehen. Vielstufige
Hierarchien, zu viel Bürokratie und Barrieren zwischen Abteilungen und Funktionen
stellen weitere grundsätzliche organisatorische Hindernisse dar.80 Durch die Wand-
lung der Unternehmensumwelt – kürzere Produktlebenszyklen, internationalere Märkte,
zunehmende Marktsättigung und Wettbewerbsdruck – ergeben sich zudem weitere
Herausforderungen für die Gestaltung von Organisationsstrukturen.81
Auch wenn viele Barrieren und Herausforderungen bestehen, lassen sich einige Aus-
sagen für die strategiegerechte Organisationsgestaltung treffen.82 Um hier gewisse
Erfolgsmuster zu identifizieren, soll im Folgenden ein Überblick über Organisations-
strukturen und deren Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Strategie-Implementie-
rung gegeben werden.
Eine divisionale Organisation nach Produkten, Dienstleistungen, Märkten, Kunden-
gruppen oder geografischen Regionen wird beispielsweise meist eingesetzt, um die
Komplexität eines diversifizierten Unternehmens zu reduzieren. Dabei wird die Ver-
antwortung für die Entwicklung und Umsetzung von Strategien auf die Divisionen
übertragen. Diese sind damit auch für den Erfolg von Strategien verantwortlich.83
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 47

Eine divisionale Organisation kann somit tendenziell marktnähere Strategien ent-


wickeln und umsetzen.
Die große Gefahr besteht darin, dass Divisionen nur ihre eigene Arbeit im Blickwin-
kel haben und dass die generelle strategische Sicht des Unternehmens verloren geht.
Auch die Koordination mit anderen Divisionen kann stark erschwert werden, was
wiederum die Nutzung strategischer Synergien behindert. Dies kann nur durch organi-
satorische Einplanung der Zusammenarbeit von Abteilungen und die Minimierung
von Divisionsgrenzen verbessert werden.84 Aufgabe der Konzernspitze ist es hier,
übergreifende Kernkompetenzen zu definieren und zu entwickeln.
Da die Kontrollmöglichkeit in großen Divisionsstrukturen schwierig wird, werden
oftmals Strategische Geschäftseinheiten (SGE) geschaffen, die eigene Ergebnisver-
antwortung haben. Diese subautonomen Einheiten verknüpfen die Vorteile eines
Großunternehmens mit der Flexibilität und Kundennähe kleiner Unternehmen.85 Hier
wird allerdings die Konkurrenz mit anderen SGEs und damit das Koordinationspro-
blem noch weiter verschärft.86 Dabei kann Konkurrenz in Unternehmen durchaus
auch positive Auswirkungen haben und zu höheren Leistungen und damit einer besse-
ren Erreichung von Umsetzungszielen führen. Letztlich führt eine marktgerechte
SGE-Struktur aber dazu, dass strategische Komplexität reduziert wird, weil strategi-
sche Aussagen wie auch konkrete Implementierungsprogramme auf überschaubare
Organisationseinheiten in überschaubaren Marktsegmenten bezogen werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine ideale Organisationsstruktur für eine Strategie
nicht einfach zu definieren ist. Eine spezifische Anpassung der Organisation auf die
jeweils umzusetzende Strategie ist in der Regel nicht machbar. Eine Organisation soll-
te daher flexibel genug sein und eine strategische Anpassungsfähigkeit besitzen, sich
also schnell auf die Umsetzung neuer Strategien einstellen können. Wenn Unterneh-
men grundsätzlich im Rahmen bestehender Strukturen zu schwerfällig sind, können
sie möglicherweise erst dann auf neue Bedingungen und Strategien reagieren, wenn es
zu spät ist.87

Process follows strategy


Wie bei der Frage der Gestaltung von Organisationsstrukturen deutlich wird, stellt
besonders die Koordination von Teilaktivitäten in Unternehmen bei der Implemen-
tierung eine besondere Herausforderung für Organisationen dar.88 Auch in den vor-
gestellten Studien wurde der Aspekt der nicht funktionierenden Koordination der Ak-
tivitäten als eines der Hauptprobleme für die Implementierung benannt.89 Um diese
Schnittstellenproblematik bei der Implementierung besser lösen zu können, ist es
sinnvoll zu betrachten, wie Prozesse im Unternehmen Einfluss auf die Strategie und
deren Implementierung haben.
Die Konzentration auf Geschäftsprozesse ist aufgrund sich wandelnder Umweltbedin-
gungen zu einem der wichtigsten organisatorischen Themen der letzten Zeit gewor-
den. Geschäftsprozesse sind wiederholbare, eindeutig abgrenzbare und beschreibbare
Abläufe.90 Sie durchziehen die Unternehmung horizontal über Abteilungsgrenzen hin-
weg und sind auf den Kunden und andere Stakeholder ausgerichtet. Durch Prozess-
48 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

management wird die hierarchische Ordnung im Unternehmen nicht überflüssig, aber


mit einer weiteren Dimension, der horizontalen Betrachtung, konfrontiert, und damit
in gewisser Weise relativiert.91
Insgesamt können Organisationen, in denen Prozesse definiert und gemessen werden,
generell bessere Voraussetzungen für die wirksame Strategie-Implementierung bieten.
Denn Prozessabläufe, Prozessowner und In- und Outputs sind in diesem Fall idealer-
weise bereits definiert.92 Werden Strategien nun umgesetzt, können diese Prozesse
leichter verändert und an die neue Strategie angepasst werden als in Unternehmen
ohne präzise beschriebene Prozesse.
Allerdings ist der Bezug zwischen Unternehmensstrategie, Strategie-Implementierung
und Geschäftsprozessen einer Organisation bislang selten in der erforderlichen syste-
matischen Form untersucht worden, obwohl es hier höchst bedeutsame Zusammen-
hänge gibt. So werden in der Praxis oftmals Prozessoptimierungsprojekte begonnen,
ohne nach dem strategischen Stellenwert der Prozesse zu fragen.
Gerade die besonderen, strategisch angelegten Fähigkeiten einer Organisation (Püm-
pin93 spricht hier von strategischen Erfolgspositionen; andere Autoren sprechen von
strategischen Kernkompetenzen) können in einer engen Beziehung zu den Geschäfts-
prozessen eines Unternehmens gesehen werden: Besonders diejenigen Schlüssel-
Geschäftsprozesse, in denen ein Unternehmen ein besonderes Know-how erworben
hat und vielleicht World Class Best Practices realisiert, sind natürlich auch Ausdruck
strategischer Kernkompetenzen. Beispielsweise hat Dell im Hinblick auf die Kern-
kompetenz Logistik und Handling eine Vielzahl von Prozessbausteinen patentieren
lassen. Dies ist ein offensichtliches Indiz dafür, dass das Know-how und damit der
Wettbewerbsvorteil u. a. in den Geschäftsprozessen steckt.
Was bedeutet das für die Strategieimplementierung? Wenn ein Unternehmen im Rah-
men der Strategie bestimmte strategische Kernkompetenzen definiert hat, dann muss
es ggf. nicht nur die Strukturen überprüfen, sondern vor allem auch die Auswirkungen
auf die Geschäftsprozesse prüfen. Strategische Kernkompetenzen lassen sich – dies ist
die logische Folge – auf- und ausbauen, wenn für die damit in Verbindung stehenden
Geschäftsprozesse entsprechende Ziele und Maßnahmen verabredet werden. Insofern
muss Chandlers Aussage „structure follows strategy“ wenn nicht ersetzt, so doch zu-
mindest ergänzt werden durch die Aussage „process follows strategy“: Prozessmana-
gement kann zum Hebel der wirksamen Strategieumsetzung werden.

4.6 Internes Marketing für die Strategie


Konzept und Ablauf des internen Marketings von Strategien

Seit dem Auftauchen erster Arbeiten zum internen Marketing wurde das Thema vor
allem marketingintern diskutiert.94 Ein Bezug zu Fragen der Strategieumsetzung wur-
de jedoch noch nicht hergestellt.95 Das Konzept wurde zudem bislang noch sehr selten
in die Praxis umgesetzt. Es gibt eine große Zurückhaltung, die bei externen Kunden-
beziehungen etablierten und bewährten Methoden und Instrumente auf den internen
Bereich zu übertragen.96 Das ist insofern überraschend, als es im Rahmen der Strate-
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 49

gieimplementierung eine mehr oder weniger klar definierte Kommunikationsaufgabe


gibt, die mit den Methoden und Instrumentarien des internen Marketings sehr gut
gelöst werden kann.
Eine wesentliche Problematik der internen (wie natürlich auch der externen) Kommu-
nikation ist heute die Begrenzung des Faktors Aufmerksamkeit. Viele interne Pro-
gramme eines Unternehmens konkurrieren um die Gunst der Mitarbeiter: neue Sozial-
leistungen, ein neues Qualitätsmanagement-System, die aktuellen Tarifabschlüsse, ein
neues Arbeitszeitmodell, ein neues Produktprogramm, eine veränderte IT-Landschaft
oder ein neues Bürogebäude: Dies sind alles Themen, die die Aufmerksamkeit der
Mitarbeiter in Anspruch nehmen. Daher muss die Zahl der internen Programme
begrenzt werden, die bei den Beschäftigten um Aufmerksamkeit konkurrieren, wenn
sie Wirksamkeit entfalten sollen.97
Kommunikationsmaßnahmen, die die Strategieumsetzung unterstützen, müssen sehr
aufmerksamkeitswirksam gestaltet werden, um von den Mitarbeitern in der Informa-
tionsflut richtig wahrgenommen zu werden.98 Eine besondere Rolle nehmen, wie auch
in der externen Kommunikation, der Inhalt und die Key Messages der Strategie ein.
Hierzu lassen sich einige Handlungsempfehlungen für interne Kommunikationsmaß-
nahmen bei Implementierungsvorhaben hervorheben. Die Kommunikation im Rah-
men von Implementierungsvorhaben sollte vor allem Unsicherheit bei den Mitarbei-
tern reduzieren, die aufgrund der Komplexität solcher Vorhaben hervorgerufen wird.99
Deshalb ist es sinnvoll, einfache und motivierende Kernaspekte des Wandels auf ein
zum Verständnis notwendiges Minimum zu beschränken und Bilder bzw. Metaphern
zur Orientierung und Vereinfachung einzusetzen.100 Da der Nutzen der Implementie-
rung im Vergleich zum Status quo von besonderer Bedeutung ist, sollte dieser in der
Kommunikation herausgestellt werden.101 Zudem sollten die Betroffenen über die
Gründe für die strategischen Veränderungen und deren Umsetzung, den konkreten
Inhalt, die damit verbundenen Folgen sowie regelmäßig über Erfolge bzw. Misserfol-
ge informiert werden.102
Empirischen Untersuchungen zufolge interessieren sich Mitarbeiter dabei vor allem
für Informationen, die sie als Abteilung direkt betreffen.103 Diese Anregungen mögen
selbstverständlich klingen; in der Praxis werden sie gleichwohl häufig nicht oder nur
unvollständig beachtet.

5. Fazit
Damit sind die wesentlichen Hebel zur Umsetzung von Strategien beschrieben. Über
jeden einzelnen Hebel der Strategie-Implementierung ließe sich noch viel detaillierter
berichten. Und der Bedarf ist groß – die zu Beginn angesprochenen Misserfolgs-
quoten und die in den Studien aufgezeigten Problemfelder lassen dies erkennen. Die
Untersuchungen der Literatur im Rahmen dieser Arbeit zeigen allerdings, dass sich
bislang wenige diesem sehr komplexen Thema zugewendet haben.
Die in dem Beitrag genannten Gründe für die Vernachlässigung der Strategie-Imple-
mentierung in Literatur und Praxis sind zwar nachvollziehbar, sollten aber in Zukunft
50 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

nicht mehr eine so unüberwindbare Barriere darstellen, sich mit dem Thema zu be-
schäftigen. „Arguably strategic management should achieve its very own paradigm
shift by moving from a 90 :10 concern with strategy formulation relative to imple-
mentation to at least 50:50 concern with each.“104
Dieses aus heutiger Sicht hochgesteckte Ziel sollte die Praxis konsequent verfolgen.
Dazu sollte das Feld Strategie-Implementierung vor allem in die Schulungsprogram-
me von Unternehmen aufgenommen werden, um Führungskräfte und Mitarbeiter
dafür zu sensibilisieren, zu mobilisieren und ihnen ein Handwerkszeug der Strategie-
Umsetzung zu vermitteln. Aber auch schon in Seminaren und Vorlesungen an den
Universitäten sollte sich der Schwerpunkt von der alleinigen Lehre der strategischen
Planung wegbewegen und das Thema Implementierung stärker in den Mittelpunkt
rücken. Nur durch die ständige Konfrontation mit dem Thema und durch die Vermitt-
lung eines entsprechenden Know-hows kann es sich in der Praxis durchsetzen und so
die Umsetzungsdynamik verbessern.
Letzten Endes wird für den Erfolg einer Strategie entscheidend sein, wie es Unterneh-
men gelingt, die beschriebenen Erfolgsfaktoren auf konkrete Projekte zu übertragen
und die einzelnen Hebel miteinander zu kombinieren. Gerade in der einseitigen Aus-
wahl und Bevorzugung mancher Hebel scheint eine große Gefahr zu liegen: Stabs-
leute bevorzugen ausführliche Power-Point-Präsentationen, Controller setzen auf
detaillierte Zahlengerüste, Unternehmensberater schlagen umfangreiche Reorganisa-
tionen vor, manche Top-Manager neigen dazu, erst einmal die wichtigsten Führungs-
kräfte auszuwechseln, andere Führungskräfte veranstalten einen großen kommunika-
tiven Aufwand, um für die Strategie zu werben. Hier zeigen sich Einseitigkeiten: Nur
der abgestimmte, ausgewogene Einsatz der Hebel verspricht letztlich Erfolg. Wenn
diese Herausforderungen bei der Implementierung von Strategien erfolgreich bewäl-
tigt werden, ist schon ein großer Schritt in Richtung einer erfolgreichen Umsetzung
getan. Hilfreich wäre es dabei, wenn das Thema Strategie-Implementierung sowohl in
der Theorie als auch in der Empirie zukünftig mehr Aufmerksamkeit erhalten würde.

Anmerkungen
1 Bossidy/Charan (2002), S. 5.
2 Vgl. Sterling (2003), S. 27, Studie von Corbuy & O’Corrbui, Management Accountants.
3 Vgl. Bigler (2001), S. 29.
4 Vgl. Mintzberg (1999), S. 20 ff., Hungenberg/Wulf (2003), S. 167 f.
5 Vgl. z. B. zum St. Gallener Management Navigator Müller-Stewens/Lechner (2001).
6 Vgl. Bea/Haas (2001), S. 88.
7 Welge (1996), S. 80
8 Vgl. dazu z. B. Doppler/Lauterburg (2002).
9 Vgl. Gattermayer/Al-Ani (2000), S. 13 f.
10 Vgl. Lombriser/Abplanalp (2004), S. 327, Bea/Haas (2001), S. 54.
11 Vgl. Kolks (1990), S. 90.
12 Vgl. Grimmeisen (1998), S. 9, Hinterhuber (1997), S. 202 f.
13 Vgl. Welge (1996), S. 80.
14 Vgl. hierzu z. B. die Dissertationen von Raps (2003), Kolks (1990), Tarlatt (2001), Daniel
(2001), Zeyer (1996), Hilker (1993), Krohmer (1999), Grimmeisen (1998), Lehner (1996),
Huber (1985), Reuter (1998).
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 51

15 Vgl. dazu z. B. Welge/Al-Laham (2003), Lombriser/Abplanalp (2004).


16 Vgl. dazu z. B. Sterling (2003), Bandrowski (1990), S. 84 ff., Zagotta/Robinson (2002), S. 30 ff.,
Gadiesh/Gilbert (2001), S. 72 ff.
17 Vgl. z. B. Alexander (1985), Welge/Al-Laham (1997), S. 801 ff., Nippa (1998), S. 24 ff., Beer/
Eisenstat (2000), S. 29 ff., Freedman (2003), S. 26 ff., Steinle/Thiem/Lange (2001), S. 31.
18 Vgl. Kaplan/Norton (2001), Kaplan/Norton (2004).
19 Vgl. zum Themengebiet des internen Marketings z. B. Bruhn (1999).
20 Freedman (2003), S. 26.
21 Vgl. Bossidy/Charan (2002), S. 6.
22 Vgl. Lombriser/Abplanalp (2004), S. 327 f.
23 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Alexander (1985), Welge/Al-Laham (1997), S. 801 ff.,
Nippa (1998), S. 24 ff., Beer/Eisenstat (2000), S. 29 ff., Freedman (2003), S. 26 ff., Steinle/
Thiem/Lange (2001), S. 31.
24 Vgl. Kaplan/Norton (2004), S. IX ff.
25 Vgl. Bossidy/Charan (2002), S. 195.
26 Vgl. Riekhof (1994), S. 285 f.
27 Vgl. Bossidy/Charan (2002), S. 196 f., Tarlatt (2001), S. 123 f.
28 Vgl. Welge/Al-Laham (2003), S. 555.
29 Vgl. Riekhof (1994), S. 286.
30 Vgl. Pearce/Robinson (2002), S. 250, Beaudan (2001), S. 65.
31 Vgl. Lombriser/Abplanalp (2004), S. 342 ff.
32 Vgl. Hinterhuber (1997), S. 207 ff.
33 Vgl. Pearce/Robinson (2002), S. 251.
34 Vgl. Pearce/Robinson (2002), S. 250.
35 Vgl. Kaplan/Norton (2004).
36 Vgl. Thompson/Strickland (1998), S. 310 ff.
37 Vgl. Welge/Al-Laham (2003), S. 571.
38 Vgl. Thompson/Strickland (1998), S. 310.
39 Vgl. Riekhof (1994), S. 286.
40 Vgl. Hamel/Välikangans (2003), S. 37.
41 Bossidy/Charan (2002), S. 229.
42 Vgl. Hope/Fraser (2003), S. 4 ff.
43 Vgl. Hope/Fraser (2003), S. 4 ff.
44 Lazere, C., Altogether Now, in: CFO, Februar 1998, S. 29, zitiert nach: Hope/Fraser (2003), S. 12.
45 Vgl. z. B. Becker (2004), S. 82 ff.
46 Vgl. Riekhof (2000), S. 122.
47 Vgl. Weber (1994), S. 326, Pearce/Robinson (2002), S. 319.
48 Vgl. Hinterhuber (1997), S. 269.
49 Vgl. Lombriser/Abplanalp (2004), S. 356.
50 Vgl. Kaplan/Norton (2001), S. 21 f.
51 Vgl. Horvath (1998), S. 356 f.
52 Vgl. Raps (2003), S. 236 ff.
53 Vgl. Kaplan/Norton (2001), S. 5.
54 Vgl. Horvath (1998), S. 437.
55 Vgl. Bleicher (1999), S. 739.
56 Vgl. Riekhof (1997a), S. V.
57 Vgl. Ridder (2001), S. 45, Krulis-Randa (1995), S. 23.
58 Vgl. hierzu Riekhof (1992a), S. 58 f.
59 Rosenstiel/Comelli (2003), S. 186.
60 Vgl. Krüger (1999), S. 864 ff.
61 Lentz (2004), S. 90; Vgl. hierzu auch Thompson/Strickland (1998), S. 271: „One make-or-bre-
ak determinant of successful implementation is how well management leads the process.“
52 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

62 Vgl. dazu das Thema internes Marketing unter 0


63 Vgl. Rosenstiel/Comelli (2003), S. 286.
64 Vgl. Lentz (2004), S. 90.
65 Vgl. Rosenstiel/Comelli (2003), S. 289.
66 Vgl. Raps (2003), S. 177.
67 Vgl. Welge (1996), S. 81.
68 Vgl. Bleicher (1994), S. 299 f.
69 Vgl. Welge (1996), S. 88.
70 Vgl. Bleicher (1994), S. 300 f.
71 Vgl. Becker (1995), S. 199.
72 Vgl. hierzu Laukamm (1992), S. 93 f.
73 Vgl. Riekhof (1994), S. 286.
74 Vgl. Scholz (1995), S. 232 f.
75 Vgl. hierzu Riekhof (1992a), S. 58 ff.
76 Vgl. Chandler (1962), S. 14 ff.
77 Vgl. Wheelen/Hunger (2002), S. 198.
78 Vgl. Miller/Dess (1996), S. 329.
79 Vgl. Riekhof (1994), S. 286 f.
80 Vgl. Riekhof (1994), S. 286 f, Schaudwet (2004), S. 83, Slater (1999), S.111 ff.
81 Vgl. Schaudwet (2004), S. 83.
82 Vgl. Wheelen/Hunger (2002), S. 198, Lombriser/Abplanalp (2004), S. 330.
83 Vgl. Lombriser/Abplanalp (2004), S. 333, Thompson/Strickland (1998), S. 294 f.
84 Vgl. Wheelen/Hunger (2002), S. 200.
85 Vgl. Link (1994), S. 311 f.
86 Vgl. Thompson/Strickland (1998), S. 295 f.
87 Vgl. Hamel/Välikangans (2003), S. 24 ff.
88 Vgl. Frese (2000), S. 10 ff.
89 Vgl. hierzu z. B. Alexander (1985), Welge/Al-Laham (1997), S. 801 ff., Nippa (1998), S. 24 ff.,
Beer/Eisenstat (2000), S. 29 ff., Freedman (2003), S. 26 ff., Steinle/Thiem/Lange (2001), S. 31.
90 Vgl. Riekhof (1997b), S. 11.
91 Vgl. Hinterhuber (1997), S. 112 ff.
92 Vgl. Riekhof (1997b), S. 11.
93 Vgl. Pümpin (1983).
94 Vgl. Bruhn (1999).
95 Vgl. dazu die inhaltliche Untersuchung von Veröffentlichungen aus dem Bereich Implementie-
rung in 3.1. Einige Werke bringen Change Management und internes Marketing in einen
Zusammenhang, wie z. B. Kling (2003), der dies unter dem Begriff „Change Marketing“ zu-
sammenfasst.
96 Vgl. Bruhn (1999), S. 17 ff., Ahmed/Rafiq (1999), S. 471.
97 Vgl. Davenport/Beck (2001), S. 27.
98 Vgl. Davenport/Beck (2001), S. 27.
99 Vgl. Gaßner (1999), S. 119.
100 Vgl. Kling (2003), S. 122, Quirke (2002), S. 165.
101 Vgl. Gaßner (1999), S. 119.
102 Vgl. Reiß (1997a), S. 100.
103 Vgl. Gaßner (1999), S. 119 ff.
104 Grundy (1998), S. 43
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 53

Literatur
Ahmed, P. K./Rafiq, M. (1999). The role of internal marketing in the implementation of marketing
strategies, in: Bruhn, M. (Hrsg.), Internes Marketing: Integration der Kunden und Mitarbeiter-
orientierung; Grundlagen – Implementierung – Praxisbeispiele, 2. Auflage, Wiesbaden 1999,
S. 471–491
Alexander, L. D. (1985). Successfully Implementing Strategic Decision, in: Long Range Planning,
Vol.18, 1985, S. 91–97
Bandrowski, J. (1990). Corporate Imaging Plus: Five Steps to Translating Innovative Strategies into
Action, New York 1990
Bea, F. X./Haas, J. (2001). Strategisches Management, 3. Auflage, Stuttgart 2001
Beaudan, E. (2001). The failure of strategy: It’s all in the execution, in: Ivey Business Journal,
January/February 2001, S. 64–68
Becker, A. (2004). Beyond Organization? Anmerkungen zum Konzept des Beyond Budgeting, in:
zfo Zeitschrift für Führung + Organisation 2/2004, S. 82–87
Becker, F. G. (1995). Strategische Anreizsysteme, in: Scholz, C./Djarrahzadeh, M., Strategisches
Personalmanagement: Konzeption und Realisationen, Stuttgart 1995, S. 185–200
Beer, M./Eisenstat, A. (2000). The Silent Killers of Strategy Implementation and Learning, in: MIT
Sloan Management Review, Summer 2000, S. 29–40
Bigler, W. R. (2001). The new science of business of strategy execution: how incumbents become
fast, sleek wealth creators, in: Strategy & Leadership, Vol. 29, May/June 2001, S. 29–34
Bleicher, K. (1999). Träger strategischer Unternehmensführung, in: Hahn, S./Taylor, B. (1999):
Strategische Unternehmensplanung – strategische Unternehmensführung: Stand und Entwick-
lungstendenzen, 8. Auflage, Heidelberg 1999, S. 739–768
Bleicher, K. (1994). Strategische Anreizsysteme, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Praxis der Strategie-
entwicklung, 2. Auflage, Stuttgart 1994, S. 291–307
Bossidy, L./Charan, R. (2002): Execution: The discipline of getting things done, New York 2002
Bruhn, M. (1999). Internes Marketing als Forschungsgebiet der Marketingwissenschaft: Eine
Einführung in die theoretischen und praktischen Probleme, in: Bruhn, M. (Hrsg.), Internes Mar-
keting. Integration der Kunden und Mitarbeiterorientierung; Grundlagen – Implementierung –
Praxisbeispiele, 2. Auflage, Wiesbaden 1999, S. 15–43
Chandler, A. D. (1962). Strategy and structure, Cambridge/London 1962
Daniel, A. (2001). Implementierungsmanagement: Ein anwenderorientierter Gestaltungsansatz,
Wiesbaden 2001
Davenport, T. H./Beck, J. C. (2001). Vieles lenkt von der Arbeit ab – was können Chefs dagegen
tun?, in: Harvard Business Manager 2/2001, S. 26–35
Doppler, K./Lauterburg, C. (2002). Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten, 10.
Auflage, Frankfurt/Main/New York 2002
Freedman, M. (2003). The genius is in the implementation, in: The Journal of Business Strategy,
March/April 2003, S. 26–31
Frese, E. (2000). Grundlagen der Organisation: Konzept – Prinzipien – Strukturen, 8. Auflage,
Wiesbaden 2000
Gadiesh, O./Gilbert, J. (2001). Transforming Corner-Office Strategy into Frontline Action, in: Har-
vard Business Review, May 2001, S. 72–79
Gaßner, W. (1999). Implementierung organisatorischer Veränderungen: eine mitarbeiterorientierte
Perspektive, Wiesbaden 1999
Grimmeisen, M. (1998). Implementierungscontrolling: Wirtschaftliche Umsetzung von Change-
Programmen, Wiesbaden 1998
Grundy, T. (1998). Strategy implementation and project management, in: International journal of
project management, Vol. 16, 1998, S. 43–50
Hamel, G./Välikangas, L. (2003). Das Streben nach Erneuerung, in: Harvard Business Manager,
Dezember 2003, S. 24–42
54 Hans-Christian Riekhof/Lena Offermann

Hilker, J. (1993). Marketing-Implementierung – Grundlagen und Umsetzung am Beispiel ostdeut-


scher Unternehmen, Wiesbaden 1993
Hinterhuber, H. H. (1997). Strategische Unternehmensführung – Strategisches Handeln: Direkti-
ven, Organisation, Umsetzung, Unternehmenskultur, strategisches Controlling, strategische
Führungskompetenz, 6. Auflage, Berlin/New York, 1997
Hope, J./Fraser, R. (2003). Beyond Budgeting, Boston 2003
Horvàth, P. (1998). Mit Balanced Scorecard Strategien erfolgreich umsetzen, in: Scheer, A.-W.
(Hrsg.), Neue Märkte, neue Medien, neue Methoden: Roadmaps zur agilen Organisation, Hei-
delberg 1998, S. 433–445
Huber, R. (1985). Überwindung der strategischen Diskrepanz und Operationalisierung der ent-
wickelten Strategie, Zürich 1985
Hungenberg, H./Wulf, T. (2003). Strategisches Management – Was die Wissenschaft für die Praxis
leisten kann, in: Hungenberg, H./Meffert, J. (Hrsg.), Handbuch Strategisches Management,
Wiesbaden 2003, S.165–183
Kaplan, R. S./Norton, D. P. (2004). Strategy Maps. Der Weg von immateriellen Werten zum materi-
ellen Erfolg, Stuttgart 2004
Kaplan, R. S./Norton, D. P. (2001). Die strategiefokussierte Organisation: Führen mit der Balanced
Scorecard, Stuttgart 2001
Kling, L. (2003). Change Marketing: Marketingbasierte interne Kommunikation im Change Mana-
gement, Aachen 2003
Kolks, U. (1990). Strategieimplementierung: Ein anwenderorientiertes Konzept, Wiesbaden 1990
Krohmer, H. (1999). Marktorientierte Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor der Strategieimple-
mentierung, Wiesbaden 1999
Krüger, W. (1999). Implementierung als Kernaufgabe des Wandlungsmanagements, in: Hahn, S./
Taylor, B., Strategische Unternehmensplanung – strategische Unternehmensführung: Stand und
Entwicklungstendenzen, 8. Auflage, Heidelberg 1999, S. 863–890
Krulis-Randa, J. S. (1995). Strategisches Denken im Personalbereich, in: Scholz, C./Djarrahzadeh,
M., Strategisches Personalmanagement: Konzeption und Realisationen, Stuttgart 1995, S. 19–34
Laukamm, T. (1992). Strategisches Management von Human Ressourcen, in: Riekhof, H.-C.
(Hrsg.), Strategien der Personalentwicklung, 3. Auflage, Wiesbaden 1992, S. 77–113
Lehner, J. M. (1996). Implementierung von Strategien: Konzeption unter Berücksichtigung von
Unsicherheit und Mehrdeutigkeit, Wiesbaden 1996
Lentz, B. (2004). Widerstände überwinden, in: Capital, 24.06.04, S. 90–93
Link, J. (1994). Strategie und Organisation, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Praxis der Strategieentwick-
lung, 2. Auflage, Stuttgart 1994, S. 309–322
Lombriser, R./Abplanalp, P. A. (2004). Strategisches Management: Visionen entwickeln, Strategien
umsetzen, Erfolgspotenziale aufbauen, 3. Auflage, Zürich 2004
Miller, A./Dess, G. D. (1993). Strategic Management, New York 1993
Mintzberg, H. (1999). Strategy Safari: Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Manage-
ments, Frankfurt/Main/Wien 1999
Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2001). Strategisches Management. Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, Stuttgart 2001
Nippa, M. (1997). Erfolgsfaktoren organisatorischer Veränderungsprozesse in Unternehmen:
Ergebnisse einer Expertenbefragung, in: Nippa, M./Scharfenberg, H., Implementierungsmana-
gement: Über die Kunst, Reengineering-Konzepte erfolgreich umzusetzen, Wiesbaden 1997,
S. 21–57
Pearce, J./Robinson, R. (2002). Formulation, Implementation and Control of Competitive Strategy,
8th edition, New York 2002
Pümpin, C. (1983). Management strategischer Erfolgspositionen, Bern/Stuttgart 1983
Quirke, B. (2002). Making the Connections: Using Internal Communication to turn strategy into
action, Aldershot 2002
Hebel zur wirksamen Implementierung von Strategien 55

Raps, A. (2003). Erfolgsfaktoren der Strategieimplementierung: Konzeption und Instrumente,


Wiesbaden 2003
Reiß, M. (1997a). Instrumente der Implementierung, in: Reiß, M./Rosenstiel, L. v./Lanz, A. (Hrsg.):
Change Management: Programme, Projekte und Prozesse, Stuttgart 1997, S. 91–108
Reuter, J. (1998). Komplexität und Dynamik der Implementierung von Wettbewerbsstrategien,
Wiesbaden 1998
Ridder, H.-G. et al. (2001). Strategisches Personalmanagement – Mitarbeiterführung, Integration
und Wandel aus ressourcenorientierter Perspektive, Landsberg/Lech 2001
Riekhof, H-C. (2000). Strategieumsetzung auf dem Prüfstand – Strategisches Prozesscontrolling in
der Praxis, in: Sierke, B. R. A. (Hrsg.), Zeitgerechtes Controlling, Wiesbaden 2000, S. 119–131
Riekhof, H.-C. (Hrsg.) (1997a). Strategien der Personalentwicklung, 4. Auflage, Wiesbaden 1997
Riekhof, H.-C. (1997b). Die Idee des Geschäftsprozesses: Basis der lernenden Organisation, in:
Riekhof, H.-C. (Hrsg.): Beschleunigung von Geschäftsprozessen: Wettbewerbsvorteile durch
Lernfähigkeit, Stuttgart 1997, S. 1–28
Riekhof, H.-C. (1994). Management der Strategieumsetzung; Das Spannungsfeld zwischen Strate-
gie und Alltagsgeschäft: Einleitung, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Praxis der Strategieentwicklung,
2. Auflage, Stuttgart 1994; S. 285–289
Riekhof, H.-C. (1992a). Strategiegerechte Personalentwicklung, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Strate-
gien der Personalentwicklung, 3. Auflage, Wiesbaden 1992, S. 49–75
Riekhof, H.-C. (1992b). Kernkompetenzen von Führungskräften: Herausforderungen für die Mana-
gemententwicklung der 90er-Jahre, in: Kienbaum, J. (Hrsg.), Visionäres Personalmanagement,
S. 143–165
Rosenstiel, L. v./Comelli, G. (2003). Führung zwischen Stabilität und Wandel, München 2003
Schaudwet, C. (2004). Richtige Balance, in: Wirtschaftswoche, Nr. 18, 22.04.2004, S. 82–84
Scholz, C. (1995). Strategische Personalentwicklung (Überblick), in: Scholz, C./Djarrahzadeh, M.,
Strategisches Personalmanagement: Konzeption und Realisationen, Stuttgart 1995, S. 213–246
Slater, R. (1999). Jack Welch and the GE way, New York et al. 1999
Steinle, C./Thiem, H./Lange, M. (2001). Die Balanced Scorecard als Instrument zur Umsetzung
von Strategien. Praxiserfahrungen und Gestaltungshinweise, in: Controller Magazin, 26. Jg.
(2001), S. 29–37
Sterling, J. (2003). Translating Strategy into effective implementation: dispelling the myths and
highlighting what works, in: Strategy & Leadership, Vol. 31, 2003, S. 27–34
Tarlatt, A. (2001). Implementierung von Strategien im Unternehmen, Wiesbaden 2001
Thompson, A. A./Strickland, A. J. (1998). Crafting and implementing strategy: text and readings,
10th edition, New York et al. 1998
Weber, J. (1994). Strategisches Controlling: Steuerung der Strategieentwicklung und Strategieum-
setzung, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Praxis der Strategieentwicklung, 2. Auflage, Stuttgart 1994,
S. 323–336
Welge, M. (1996). Anreizsysteme: Strategieimplementierung, Anreizsystemgestaltung und Erfolg,
in: zfo Zeitschrift für Führung + Organisation, 2/1996, S. 80–95
Welge, M./Al-Laham, A. (2003). Strategisches Management: Grundlagen – Prozess – Implementie-
rung, 4. Auflage, Wiesbaden 2003
Welge, M.,/Al-Laham, A. (1997). Stand der strategischen Planungspraxis in der deutschen Indus-
trie, in: zfo Zeitschrift für Führung + Organisation 7/8 1997, S. 790–806
Wheelen, T. L./Hunger, J. D. (2002). Strategic management and business policy, 8th edition, Lon-
don et al. 2002
Zagotta, R./Robinson, D. (2002). Keys to successful strategy execution, in: The Journal of Business
Strategy; January/February 2002, S. 30–34
Zeyer, U. (1996). Implementierungsmanagement – ein konzeptioneller Ansatz am Beispiel der Im-
plementierung von Lean Management, München 1996
Teil B

Instrumente und Methoden der


Management- und Personalentwicklung
Einleitung: Instrumente und Methoden der
Management- und Personalentwicklung
Hans-Christian Riekhof

Management Appraisal – zentrales Analyse- und Führungs-


instrument für ein wertorientiertes Talent-Management

Norbert Sack schildert in seinem Beitrag über das Management Appraisal in der von
Egon Zehnder durchgeführten Form, wie die Qualität von Führungskräften und Füh-
rungsteams analysiert und bewertet werden kann.
Dabei lassen sich Norbert Sack zufolge klare Korrelationen zwischen der Qualität der
Managementteams und den erzielten wirtschaftlichen Ergebnissen der betrachteten
Geschäftseinheiten feststellen. Selten werden so klare Zusammenhänge zwischen per-
sonalwirtschaftlichen Werkzeugen und Unternehmenserfolg präsentiert.
Management Appraisals sind dem Beitrag nach insbesondere sinnvoll
• im Rahmen von Mergers und Acquisitions,
• bei einem Strategiewechsel,
• im Rahmen der Nachfolge- und Entwicklungsplanung.

Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits


Während Mitarbeiterbeurteilungen in den meisten Unternehmen seit Jahren zum
Standardinstrumentarium der Personalarbeit gehören, sind systematische und regel-
mäßige Potenzialanalysen noch nicht überall etabliert. Walter Jochmann stellt in
seinem Übersichtsbeitrag die Vorgehensweise der Kienbaum Personalberatung zur
Einführung von Mitarbeiter-Potenzialanalysen und zur Durchführung von Manage-
ment-Audits vor.
Bezüglich der Potenzialanalyse wird bei Kienbaum die Unterscheidung getroffen in
eine so genannte Linearbeurteilung und eine Potenzialeinschätzung. Während erstere
immer bezogen ist auf ein definiertes Funktions- und Anforderungsfeld und der Funk-
tionsinhaber auch in diesem Aufgabenfeld weitgehend schon tätig ist, ist für eine
Potenzialeinschätzung die Zielposition eher grob umrissen und noch nicht im Detail
geklärt. Ferner wird unterstellt, dass sich die Zielpositionen und künftigen Anforde-
rungen in einer dynamischen Organisation auch noch ändern können. Jochmann weist
darauf hin, dass der wichtigere und für die meisten Situationen hilfreichere Ansatz in
der Potenzialeinschätzung, nicht in der Linearbeurteilung liegt.

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_5,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
60 Hans-Christian Riekhof

Das Management Audit dient Jochmann zufolge dazu, die wichtigsten Führungskräfte
eines Unternehmens oder eines Geschäftsbereiches hinsichtlich ihrer Stärken und
Schwächen zu analysieren. Dies geschieht in der Regel vor dem Hintergrund, dass die
Realisierbarkeit von Veränderungsprozessen wie zum Beispiel einer strategischen
Neuausrichtung oder einer Reorganisation überprüft werden muss. Während Assess-
ment-Center stärker auf die Ebene der individuellen Potenzialeinschätzung und der
Entwicklungsplanung ausgerichtet sind, zielen Management Audits unmittelbar auch
auf strategische und organisatorische Veränderungen, die auch flachere Hierarchien
und Personalabbau umfassen können.
In der Vorgehensweise zeigen sich naturgemäß Ähnlichkeiten zum Management
Appraisal, wie es von Egon Zehnder durchgeführt wird.

Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfte-


entwicklung
Die Management-Potenzialanalyse bzw. das Assessment-Center darf als bewährtes
Instrument der Führungskräfteauswahl und -entwicklung gelten. Sein Vorzug liegt
ganz offensichtlich darin, dass gerade das soziale Verhalten recht gut beurteilt werden
kann – ein Element des Anforderungsprofils von Führungskräften, dem im Allgemei-
nen eine stark steigende Bedeutung nachgesagt wird.
Spörli und Schmid beschreiben in ihrem Beitrag „Das Einzel-Assessment als Baustein
der Führungskräfteeinwicklung“ ein Verfahren der Eignungsdiagnostik, das auf den
ersten Blick dieses Element der sozialen Kompetenz zu vernachlässigen scheint. Sie
weisen allerdings nach, dass Einzel-Assessments, in denen Führungskräfte von exter-
nen Experten einer psychologischen Beurteilung unterzogen werden, in bestimmten
Situationen sogar eher angebracht sind als Assessment-Center. Man denke etwa an
Positionen im oberen Management, in denen Diskretion geboten ist und sich daher
soziale Situationen nicht beliebig herstellen lassen.
Spörli und Schmid vertreten ferner die These, dass zwischen Assessment-Center und
Einzel-Assessment so etwas wie eine Arbeitsteilung denkbar ist: über die soziale
Kompetenz jüngerer Nachwuchskräfte, die bislang ohne Führungserfahrungen sind,
ermöglichen Assessment-Center diagnostischen Aufschluss. Führungskräfte, die für
Top-Management-Aufgaben vorgesehen sind, haben in der Regel ihre soziale Kompe-
tenz im Alltag bereits praktisch nachweisen müssen. Das diagnostische Problem liegt
nach Ansicht von Spörli und Schmid daher eher auf integrativen und strategischen
Kompetenzanforderungen, die durch Einzel-Assessments gut abprüfbar sind.
Instrumente und Methoden der Management- und Personalentwicklung 61

Die Dimensionen und die Messung von Führungs-


kompetenz mit Hilfe des „Rev. Deutschen CPI“ (Revidierten
Deutschen California Psychological Inventory)
Im Rahmen der Personal- und Managemententwicklung ist die Frage von zentraler Be-
deutung, wie man Führungskompetenz möglichst frühzeitig erkennen kann. Führungs-
kompetenz scheint eine gewisse überdauernde Eigenschaft von Menschen zu sein.
Während das Management Appraisal im Wesentlichen eine Bestandsaufnahme vor-
handener Qualifikationen liefert, soll das von Ansfried B. Weinert vorgestellte Test-
verfahren vor allem auch Führungskompetenz zu prognostizieren helfen. Weinert
stellt das methodische Konzept des CPI vor. Er schildert dessen internationale Aussa-
gekraft und Validierung; ferner beschreibt er einige typische Führungskompetenz-Pro-
file, wie sie in der Praxis häufiger anzutreffen sind. Der CPI dient insofern der
„Früherkennung“ von Führungsfähigkeiten. Die Zuordnung gut passender Aufgaben
bezüglich des CPI kennzeichnet dann eine effiziente Organisation.

Competencies statt Anforderungen – nur alter Wein in


neuen Schläuchen?
Für denjenigen, der an den Hintergründen und Entwicklungslinien personalwirt-
schaftlicher Konzepte interessiert ist, enthält der Beitrag von Sarges eine Fülle von
Überlegungen, die für die alltägliche Arbeit im Bereich Human Resources durchaus
zu Konsequenzen führen können. Es geht in dem Beitrag um das für die Personalar-
beit bzw. die Personalrekrutierung unbestritten zentrale Konzept der Anforderungen
einer Aufgabe, das Sarges dem Konzept der Competencies gegenüberstellt.
Handelt es sich hier um eine „rein akademische“ Diskussion, oder hat die Entschei-
dung für eines der Konzepte wirklich praktische Konsequenzen? Als nachvollziehba-
re Vorteile des „competency“ Konzeptes nennt Sarges
• die größere Nähe der Begrifflichkeit zur Alltagssprache
• die Ableitung der „competencies“ aus den Verhaltensmustern erfolgreicher
Führungskräfte
• den damit verbundenen operationalen Verhaltensbezug der meisten Competency-
Konzepte
• den Bezug zur Zukunft und zur Unternehmensstrategie
Diese Vorteile werden bisweilen mit Mehrdeutigkeit und Austauschbarkeit erkauft.
Möglicherweise liegt der Ausweg an dem Dilemma in einem Kompromiss: der Begriff
der Anforderung deutet eher auf Sachverhalte hin, die aus der Aufgabenstellung abge-
leitet sind, und Kompetenzen oder „competencies“ sind allein von der Begrifflichkeit
her eher auf die Person bezogen. Von welcher Seite man auch immer sich dem Pro-
blem nähert, spielt dann eine geringere Rolle, wenn Kriterien wie Operationalität und
62 Hans-Christian Riekhof

Alltagstauglichkeit, Bezug zur strategischen Aufgabenstellung und Differenzierungs-


vermögen erfüllt sind.

Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht


Schon Max Weber hat darauf hingewiesen, dass Politik als ein Beruf zu begreifen ist.
Eine solche begriffliche Einordnung hat weit reichende Konsequenzen, insbesondere
im Hinblick auf die Bewertung der notwenigen Qualifikationen und Ausbildung, die
mit der Ausübung des Politikerberufs verbunden sein sollten.
Der Beitrag zur Wirtschaftskompetenz in der Politik fällt in gewisser Hinsicht aus dem
Rahmen des Bandes, weil es nicht um Führungskräfte in Konzernen geht, sondern eben
um Politiker. Gleichwohl darf man die Frage stellen, wie denn die Selektions- und
Qualifizierungsprozesse aussehen, wenn Politiker Verantwortung für das wirtschaftli-
che (und natürlich soziale) Wohlergehen von Staat und Gesellschaft tragen.
Das Institut zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Politikern an der Privaten
Fachhochschule Göttingen hat sich zum Ziel gesetzt, in vergleichenden, vornehmlich
biografischen Studien die Qualifikation von Politikern in Wirtschaftsfragen transpa-
rent zu machen. Die Ergebnisse aus mehreren Landesparlamenten werden in diesem
Beitrag vorgestellt. Dass sich daraus Aufgaben für die Qualifizierung von Politikern
ergeben, wird vermutlich niemanden wirklich überraschen.

Retention Management – die Leistungsträger der


Unternehmung binden
Im ersten Beitrag dieses Kapitels mit dem Thema „Retention Management – die Leis-
tungsträger der Unternehmung binden“ beschreibt Walter Jochmann, wie Retention
Management zu einem neuen strategischen Instrument der Personalarbeit entwickelt
werden kann. Jochmann argumentiert, dass die Attraktivität von Unternehmen in drei
Dimensionen abgebildet werden kann:
• Bewerber legen Wert auf die strategischen Qualitäten eines Unternehmens, die in
der Unternehmenspositionierung zum Ausdruck kommt
• Bewerber bewerten die Prozessqualitäten und damit die Professionalität der Perso-
nalinstrumente
• Bewerber beurteilen die Verhaltensqualitäten, die letztlich die Unternehmenskultur
ausmacht.
Damit werden an das Unternehmen letztlich sehr komplexe Anforderungen gestellt,
die nicht durch kurzfristige Aktionsprogramme geschaffen werden können, sondern
langfristig und im Zusammenwirken aller Unternehmensbereiche entstehen.
Jochmann erläutert die Bausteine eines Retention-Programms, die auf drei Ebenen
wirksam werden:
Instrumente und Methoden der Management- und Personalentwicklung 63

• Auf der strategischen Ebene müssen Vision und Unternehmensstrategie nachvoll-


ziehbar definiert werden, und eine people strategy sollte den Bezug zu den Mitar-
beitern herstellen.
• Die Führungsqualität und die Betreuung durch den Personalbereich müssen ver-
bunden werden mit attraktiven Anreizsystemen.
• Auf einer dritten Ebene ist ein persönliches Potenzialmanagement erforderlich, das
den Erwartungen der Mitarbeiter in Bezug auf ein life balancing gerecht wird.

Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen


Managements
Die Internationalisierung von Unternehmen, die strategische Neuausrichtung von
Konzernen, Wachstums- und Diversifikationsstrategien, aber auch die Karrierewün-
sche von Führungskräften führen dazu, dass ein relativ häufiger Jobwechsel zu den
Selbstverständlichkeiten eines Managerdaseins gehört. Gleichzeitig scheitern relativ
viele Führungskräfte in neuen Aufgaben innerhalb der ersten zwölf Monate ihrer
neuen Tätigkeit.
Die psychologischen und wirtschaftlichen Kosten einer solchen „Fehlbesetzung“ auf
beiden Seiten sind immens.
In einem Beitrag über den Führungswechsel als Schlüsselkompetenz wird die Fähig-
keit von Managern thematisiert, die ersten 100 Tage nach der Übernahme einer neuen
Aufgabe professionell zu gestalten und erfolgreich zu „überstehen“. Dazu bedarf es
einer systematischen Vorbereitung, einer Sensibilisierung für die mit dem Führungs-
wechsel verbundenen Herausforderungen und eines Trainings geeigneter Verhaltens-
weisen. In wie vielen Unternehmen sind derartige Aktivitäten Bestandteil der Mana-
gemententwicklung?

Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der


Managemententwicklung
Im ersten Beitrag dieses Kapitels zeigt Hubert Schüle auf, dass Wissen als strategi-
scher Erfolgsfaktor eines Unternehmens zu begreifen ist, der naheliegenderweise
einen Schwerpunkt in der Arbeit des Personalbereiches bildet. Allerdings erweist es
sich nicht ganz einfach, etwas so Abstraktes wie „Wissen“, das zudem an einzelne
Personen gebunden zu sein pflegt, steuerbar und entwickelbar zu machen.
Schüle schlägt vor, Wissensmanagement als einen eigenen Geschäftsprozess zu eta-
blieren, dessen einzelne Elemente klar definierbar sind und dessen Ergebnisse und
Erfolge gemessen werden können. Natürlich klingt dies zunächst noch sehr allgemein.
Wenn man aber die einzelnen Prozesselemente des Wissensmanagement („Wissens-
quellen identifizieren“, „Wissen verteilen“, „Wissen bewerten“) betrachtet, dann wird
deutlich, wie man sich der Thematik nähern kann.
64 Hans-Christian Riekhof

E-Learning und Wissensmanagement in deutschen


Großunternehmen. Ergebnisse einer Befragung der Top-
350-Unternehmen der deutschen Wirtschaft
Wissensmanagement in einem Unternehmen zu etablieren, ist ohne eine (webbasierte)
Vernetzung der Organisation im Grunde nicht mehr vorstellbar. Wissensmanagement
findet auf der Basis einer online-Infrastruktur statt und dient dem Ziel, das Know-how
eines Unternehmens dort verfügbar zu machen, wo es benötigt wird. Dies ist eine
äußerst anspruchsvolle Aufgabe, denn es kann nicht darum gehen, vorhandene Power-
Point-Präsentationen in einer riesigen Datenbank zu sammeln und mit einer mehr oder
weniger leistungsfähigen Suchmaschine auf dieses gesammelte, aber ungeordnete und
nicht bewertete Wissen zuzugreifen. Wissensmanagement kann nicht mit Informa-
tionssammlung und -archivierung übersetzt werden.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass gerade das entscheidende Know-how
eines Unternehmens in den Köpfen wichtiger Mitarbeiter verankert ist, ohne dass es in
allen relevanten Details dokumentiert wäre. Wie kann die Bereitschaft der Mitarbeiter
hergestellt werden, diesen Wissensvorsprung mit anderen zu teilen?
Vom online Wissensmanagement ist es nicht weit zum E-Learning. Die Nutzung elek-
tronischer Medien für die Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiter eröffnet be-
achtliche Chancen, um Kosten zu senken und die Aktualität der Inhalte zu erhöhen.
Welche Verbreitung E-Learning und Online-Wissensmanagement bei den Top 350-
Unternehmen der deutschen Wirtschaft haben, zeigt die von der unicmind.com AG in
Auftrag gegebene Studie, die im Frühjahr 2001 durchgeführt wurde. Aus der Studie
ist auch zu entnehmen, welche Themen mit E-Learning heute und zukünftig geschult
werden, wie E-Learning budgetiert wird, wie viele Mitarbeiter an Online-Lernein-
heiten teilnehmen und aus welchen Elementen die E-Learning- und Wissensmanage-
mentprogramme bestehen.
Das Management Appraisal –
zentrales Analyse- und Führungsinstrument
für ein wertorientiertes Talent Management
Norbert Sack

1. Kompetente Führungsteams als Voraussetzung für den wirtschaftlichen Unter-


nehmenserfolg
2. Über Egon Zehnder International
3. Typische Situationen für den Einsatz eines Management Appraisal
4. Grundphilosophie und Bewertungsmethodik
5. Ablauf eines Management Appraisals
6. Zusammenfassung und Aussichten

1. Kompetente Führungsteams als Voraussetzung für den


wirtschaftlichen Unternehmenserfolg
Es dürfte heute wohl außer Frage stehen, dass der Erfolg eines Unternehmens und die
Steigerung seines Wertes in hohem Maß von der Kompetenz seiner Führungskräfte
abhängen. Stand jedoch bis vor kurzem bei Management-Appraisal-Projekten, bei
Talent-Management-Programmen bzw. grundsätzlich bei Restrukturierungen des Füh-
rungsteams die Qualität der Führungskräfte oder der Führungsmannschaft in einem
allgemeineren Sinn im Mittelpunkt, so stellt sich heute zunehmend die Frage der
spezifischen Ergebniswirksamkeit von Talent-Management-Prozessen in einem
Unternehmen. Genauer gesagt heißt das etwa: Durch welche Maßnahmen können die
Qualität und die Kompetenzen eines Führungsteams wie stark und in welcher Zeit-
spanne verbessert werden? Welchen Einfluss haben diese Verbesserungen unmittelbar
auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens und damit letztendlich
auf den Unternehmenswert?
Dazu muss zunächst natürlich der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Leis-
tungsfähigkeit eines Unternehmens oder eines Unternehmensbereiches und der
Qualität des dort agierenden Führungsteams geklärt werden. Wir bei Egon Zehnder
International haben diesen Zusammenhang im Laufe zahlreicher Management-
Appraisal-Projekte in verschiedenen Umfeldern analysiert und dabei eine signifikante
Abhängigkeit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens von der

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_6,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
66 Norbert Sack

Managementqualität ermittelt. So haben wir etwa die Qualität der Führungsteams von
verschiedenen Business Units in einem Großkonzern mit den EBIT-Margins vergli-
chen, die diese Business Units jeweils erwirtschaften, und dabei festgestellt, dass
bereits ein leicht besseres Management-Team eine signifikant höhere EBIT-Marge er-
wirtschaften kann, wenn andere externe Faktoren als konstant vorausgesetzt werden.
Die Verbesserung der Kompetenz eines Führungsteams ist also nicht nur grundsätz-
lich gut für ein Unternehmen, sondern sie hat auch einen direkten Einfluss auf die be-
triebswirtschaftlichen Kennzahlen.
Um diese positive Korrelation sinnvoll nutzen zu können, ist die Fähigkeit, die Qua-
lität eines Management-Teams sowie die jeder einzelnen Führungskraft in diesem
Team strukturiert, möglichst genau, objektiv und faktenbasiert analysieren zu können,
eine zentrale Grundvoraussetzung. Die traditionelle Bewertung einer Führungskraft
durch den Vorgesetzten hat sich dabei oft als zu eindimensional und als zu stark von
persönlichen Vorzügen bzw. Abneigungen beeinflusst erwiesen. Auch die Beurteilun-
gen von Führungskräften durch ihre Mitarbeiter und Kollegen bilden sicher eine sinn-

Abbildung 1: Es besteht eine Korrelation zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg und der Manage-
ment Qualität
Das Management Appraisal 67

volle Erweiterung der Perspektive, scheinen aber für eine umfassende Evaluierung
nicht ausreichend; insbesondere nicht im Benchmarking zu anderen Unternehmen.
Gerade hier hat sich das Management Appraisal durch externe Berater als ein sinnvol-
les, ergänzendes Instrument zur Bewertung von Führungskräften und -strukturen eines
Unternehmens bewährt und etabliert.

2. Über Egon Zehnder International


Im Jahr 1964 von dem Schweizer Personalberater Egon Zehnder in Zürich gegründet,
gehört die Firma heute zu den weltweit größten Personalberatungsgesellschaften mit
einer dominierenden Position in Europa. Heute sind in 59 Büros in 37 Ländern etwa
300 Berater beschäftigt. In Deutschland ist Egon Zehnder International an den Stand-
orten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart vertreten. Egon
Zehnder International ist heute in allen wirtschaftlich wichtigen Regionen der Welt so
stark präsent, dass selbst sehr anspruchsvolle, globale Projekte rasch und mit hoher
Qualität gelöst werden können.
Sowohl in Philosophie und Arbeitsweise als auch in den Anreizsystemen für die Bera-
ter unterscheidet sich Egon Zehnder International grundsätzlich von seinen Wettbe-
werbern. Dies mag maßgeblich zu der heutigen Marktstellung beigetragen haben.

Abbildung 2: Weltweite Präsenz mit 300 Beratern in 59 Büros in 37 Ländern


68 Norbert Sack

Ganzheitlicher Beratungsansatz
Egon Zehnder International bietet seinen Klienten umfassende Unternehmensbera-
tung mit dem Fokus auf die Optimierung ihrer Führungsstrukturen an. Hierzu zählen
die Identifizierung und Gewinnung von Führungskräften für ein Unternehmen, der
klassische Executive Search sowie das Management Appraisal und Talent Manage-
ment. Dieses umfasst die systematische Evaluierung und Weiterentwicklung von
Führungskräften. Außerdem unterstützt Egon Zehnder International im Rahmen des
Board Consultings Unternehmen bei der Besetzung und Evaluierung von Aufsichts-
und Beiräten.

Vorrang des Klienten


Als professionelle Organisation bietet Egon Zehnder International seinen Klienten
umfassende Betreuung nach weltweit gleichen Grundsätzen und damit stets auf kon-
stant hohem Niveau. Die bestmögliche Lösung der Aufgabe im Sinne des Klienten
steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit jedes Beraters. Weder die Honorierung ein-
zelner Suchaufträge noch die Gehaltsstruktur der Berater ist erfolgsabhängig ausge-
legt. So wird verhindert, dass die Firma oder einzelne Berater eigene wirtschaftliche
Interessen über die Bedürfnisse des Klienten stellen.

One Firm Concept


Im Gegensatz zu seinen Wettbewerbern ist Egon Zehnder International weltweit eine
integrierte Firma und als ein einziges Profit Center organisiert. Die Einkommen der
Partner sowie der Berater sind nicht an eine Kombination aus ihren individuellen Er-
trägen und der ihrer jeweiligen Büros oder einer regionalen Einheit gebunden, son-

Abbildung 3: Beratungsleistungen für Kernfragen des Top-Managements


Das Management Appraisal 69

dern ergeben sich allein aus dem weltweit erzielten Ergebnis. Mit dieser Konstruktion
erreichen wir, dass alle an einem Projekt beteiligten Berater unabhängig von ihrem
geografischen Standort und möglichen Interessen bestimmter Büros gemeinsam und
objektiv an der Lösung eines spezifischen Klientenproblems arbeiten. Zur optimalen
Erfüllung ihrer Aufgaben müssen Egon Zehnder International-Berater deshalb von
ihrer persönlichen Grundeinstellung bereit sein, Klientenprobleme eindeutig über ihre
individuelle Ertragsoptimierung zu stellen.

Beraterqualifikation
In Auftreten und Argumentation müssen die Berater ihre Ansprechpartner in den Un-
ternehmensleitungen überzeugen. Sie sind häufig „Sparringspartner“ für Vorstands-
vorsitzende, Eigentümerunternehmer oder führende Personalverantwortliche, die ab-
solut fundierte, unabhängige Stellungnahmen erwarten. Dabei handelt es sich häufig
nicht nur um personalbezogene, sondern auch um übergeordnete Fragen der Unter-
nehmensführung. Alle Berater müssen zudem in der Lage sein, überwiegend inter-
nationale, über Länder-, Sprach- und Kulturgrenzen greifende Aufträge zu erfüllen. So
haben fast alle Egon Zehnder International-Consultants zwei Abschlüsse von Univer-
sitäten verschiedener Länder und mehrere Jahre eigene internationale Berufs- und
Führungserfahrung.

3. Typische Situationen für den Einsatz eines Management


Appraisals
Für den Einsatz eines Management Appraisals gibt es eine Vielzahl von typischen Si-
tuationen. Diese können sich aus extern oder intern bedingten Veränderungen ergeben
oder auch nur ein zeitlich befristeter integraler Bestandteil der bisherigen Führungs-
kräfteentwicklung sein. Wichtig ist aber zugleich der Hinweis, dass dieses Instrument
nur unterstützende und ergänzende Funktionen haben kann und eine langfristige, auf
die Bedürfnisse des Unternehmens genau abgestimmte Personalplanung nicht ersetzt.

Merger/Restrukturierungen
Für die erfolgreiche Verschmelzung zweier Organisationen oder im Zusammenhang
mit einer größeren Restrukturierung ist es sinnvoll und hilfreich, im Rahmen eines
Management Appraisals einen Überblick über das dann verfügbare Führungspotenzial
zu gewinnen. Ziele eines Appraisals können dabei unter anderem sein:
• Bewertung des Managements eines zu übernehmenden Unternehmens
• Bewertung des Managements zweier fusionierender Unternehmen, möglicherweise
weltweit
• Bewertung des Managements im Zusammenhang einer größeren Restrukturierung
• Erfassung unterschiedlicher Unternehmenskulturen
• Ermittlung von Potenzialträgern
70 Norbert Sack

In diesen Situationen kann das Appraisal zum Beispiel so genutzt werden, dass ein Un-
ternehmen eine neue Soll-Organisationsstruktur definiert, auf deren Positionen sich die
vorhandenen Führungskräfte bewerben. Aus den Ergebnissen des Appraisals werden
dann entsprechende Besetzungsempfehlungen abgeleitet. Das Managment Appraisal
dient hier nicht nur einer Beschleunigung der Integration oder der Restrukturierung,
sondern sorgt zugleich für einen möglichst neutralen, unpolitischen Prozess, führt
somit zu objektiveren Ergebnissen und damit meist auch zu einer deutlich höheren
Akzeptanz für nicht selten einschneidende personalpolitische Entscheidungen.

Benchmarking/Due Diligence
Zunehmend häufiger stellt sich für das Top-Managment eines Unternehmens die Fra-
ge, wie die eigene Führungsmannschaft in einem Benchmarkingvergleich mit potenzi-
ellen Wettbewerbern, anderen vergleichbaren Unternehmen, aber auch Unternehmen
in besonders expandierenden Märkten abschneidet. Dieses externe Benchmarking
kann sich sowohl auf einzelne Positionen und somit einzelne Führungskräfte be-
ziehen, aber auch auf ein Management-Team insgesamt, sodass die aggregierten
Ergebnisse dazu genutzt werden können, für die Situation des Unternehmens generell
Rückschlüsse zu ziehen.

Strategiewechsel
Ein Management Appraisal kann sich auch als sinnvoll erweisen, wenn sich die Stra-
tegie eines Unternehmens, aber auch das Marktumfeld signifikant ändern. In diesem
Fall ist es notwendig, die vorhandenen Kompetenzen des existierenden Management-
Teams mit jenen für die Realisierung einer bestimmten neuen Strategie notwendigen
Soll-Kompetenzen abzugleichen. Somit kann frühzeitig erkannt werden, ob eine an-
gestrebte Strategie überhaupt realistisch ist und welche Maßnahmen konkret im Top-
Management-Development ergriffen werden müssen, um die Kompetenzen des
Management-Teams so zu entwickeln, dass diese Strategie in einem möglicherweise
sich ständig verändernden Umfeld erfolgreich umgesetzt werden kann. Die Ableitun-
gen aus einem solchen Appraisal können in einer systematischen Weiterentwicklung
der Kompetenzen einzelner Führungskräfte liegen, aber auch in der Verstärkung des
Management-Teams durch Talente von außen.

Nachfolgeplanung/Entwicklungsplan
In diesem Fall liegt der Nutzen eines Management Appraisals darin, dass es den Aus-
gangspunkt bzw. den Auftakt für eine systematische Weiterentwicklungsoffensive für
das Top-Management darstellt. Somit sind in diesem Fall Besetzungsfragen von einer
weniger zentralen Bedeutung. Der Fokus liegt vielmehr auf der Ermittlung von weiter-
führendem Potenzial bei den einzelnen Führungskräften und der Ableitung von Maß-
nahmen, um dieses Potenzial zu entwickeln. In der Folge kann ein konkreter Nachfolge-
plan für die einzelnen Top-Führungspositionen aufgestellt werden. Wichtig ist in diesem
Zusammenhang, dass bereits während des Appraisals im Unternehmen die notwendigen
Weichen zu einer nachhaltigen Institutionalisierung des Prozesses gestellt werden.
Das Management Appraisal 71

Oft ist der Anlass für ein Management Appraisal und damit auch der erwartete Nutzen
für die Organisation nicht nur einer dieser Gründe für sich allein, sondern eine Kom-
bination von mehreren. Entscheidend für den Erfolg dieses Instruments ist deshalb,
dass Berater und Klient sich bereits im Vorfeld über die Erwartungen an das Manage-
ment Appraisal und damit über die Zielsetzung klar werden, um das Projekt spezi-
fisch auf das oder die Ziele zuzuschneiden. In jedem Fall ist es wichtig, dass das
Management Appraisal als Teilschritt im Talent Management des jeweiligen Unter-
nehmens verstanden und dort eingebunden wird.

4. Grundphilosophie und Bewertungsmethodik


Ein Management Appraisal ist kein Assessment im herkömmlichen Sinne. Es gibt kei-
ne Bewertungsübungen und Wettbewerbe, denen sich die zu beurteilenden, aber doch
zumeist gestandenen und erfahrenen Manager der obersten Führungsebenen eines
Unternehmen zu unterziehen hätten. Vielmehr führen in verschiedenen Einzelge-
sprächen gewonnene Eindrücke zu einer differenzierten Gesamteinschätzung. Diese
Gespräche werden von unabhängigen Beratern geführt, die aufgrund ihrer langjähri-
gen Tätigkeit im Executive Search in der systematischen Auswahl und Analyse von
Managern erfahren sind.
Als methodisches Rückgrat dient bei Egon Zehnder International das so genannte
„Kompetenzmodell“, dessen Einzelkompetenzen in unterschiedlicher Gewichtung
entsprechend den Anforderungen und Bedürfnissen des auftraggebenden Unterneh-
mens angewandt werden bzw. durch solche Kompetenzen ergänzt werden, die sich
aus der jeweiligen speziellen Unternehmenssituation ergeben. Die Einzelkompeten-

Abbildung 4: Ein Management Appraisal ist die zielgerichtete Analyse von Kompetenzen und
Potenzial
72 Norbert Sack

zen sind dabei so definiert, dass sie eine feine Differenzierung erlauben, sich in der
Charakterisierung nicht überschneiden und in ihrer Gesamtheit das von einer
Führungskraft erwartete Kompetenzprofil abdecken. Aus der Kompetenzanalyse wird
sodann ein „Benchmarking in derzeitiger Aufgabe“ abgeleitet. Dabei werden die
tatsächlich festgestellten Kompetenzen der Führungskraft mit dem Soll-Profil für die
eingenommene Position verglichen. Zugleich wird der Kandidat aber von Egon Zehn-
der International auch extern gebenchmarkt. Das heißt, dass die Berater untersuchen,
ob die betreffende Führungskraft im Rahmen eines Executive-Search-Projekts von
Egon Zehnder International für die eingenommene Position in Betracht gezogen wür-
de. Des Weiteren leitet sich aus der Kompetenzanalyse eine Einordnung in die „Poten-
zialmatrix“ ab, in welcher in der einen Dimension der Erfüllungsgrad in der heutigen
Aufgabe, in der anderen Dimension das Potenzial für weiterführende Aufgaben abge-
bildet wird.
Jede einzelne Kompetenz aus dem Kompetenzmodell von Egon Zehnder International
fächert sich in sieben Stufen auf, wobei jede einzelne Stufe durch mehrere explizite
und konkrete Verhaltensindikatoren definiert ist. Dies ist das Grundgerüst für eine
genaue Skalierung, die für das mittlere und das Top-Management angewandt werden
kann.
Für die verschiedenen Positionen bzw. für die Positionsgruppen, so genannte Job
Families wird sodann jeweils ein Soll-Profil definiert, mit dem das Ist-Profil der je-
weiligen Führungskräfte verglichen wird. Diese Methodik (Scaled Competencies)
ermöglicht es, im Rahmen von Besetzungsworkshops verschiedene personelle Kon-
stellationen anhand von Kompetenzvergleichen durchzuspielen.

Abbildung 5: Die Kompetenzanalyse ist die Grundlage für Benchmarking & Portfolioeinordnung
Das Management Appraisal 73

Abbildung 6: Jede Kompetenz ist über 7 Stufen definiert, die inhaltlich aufeinander aufbauen

Abbildung 7: Das Management Appraisal basiert auf einer Vielzahl vernetzter Schritte und Infor-
mationen
74 Norbert Sack

Die für die Ergebnisableitung notwendigen Informationen werden einerseits in einer


intensiven Vorbereitungsphase ermittelt, in der sich die Egon Zehnder International-
Berater detailliert und gründlich mit den strategischen Zielen und dem Wettbewerbs-
umfeld des Unternehmens beschäftigen. In der Evaluationsphase werden auf der Basis
des Lebenslaufs und eines Positionsprofils die Ist-Kompetenzen der jeweiligen
Führungskraft ermittelt, einem externen Benchmarking unterzogen und in einem Kali-
brierungs- und Referenzprozess endgültig verifiziert. Schließlich werden die Ergeb-
nisse in der Kommunikationsphase im Rahmen eines individuellen Feedbacks aus-
führlich mit der jeweiligen Führungskraft diskutiert und zudem in einer Abschlussprä-
sentation einschließlich ausführlicher Empfehlungen an die Unternehmensführung
kommuniziert.
Zusammenfassend ist das Management Appraisal also kein auf mehr oder weniger
künstlichen Testsituationen basierendes Diagnosetool, sondern es handelt sich um
eine Analyse der beruflichen Leistungen der jeweiligen Führungskraft und um eine
Identifizierung der diesen Leistungen zugrunde liegenden Kompetenzen anhand von
klar definierten Verhaltensindikatoren sowie um den Abgleich dieser Kompetenzen
an einem Kompetenz-Soll-Profil für die jeweilige Position.

Abbildung 8: Für jede Position gibt es ein Zielprofil


Das Management Appraisal 75

5. Ablauf eines Management Appraisals


Ein Management Appraisal verläuft in sechs Phasen, wobei der Prozess individuell
auf das jeweilige Unternehmen abgestimmt wird. Jeder einzelne Schritt hat seine inte-
grale Bedeutung für den Erfolg des Projektes und enthält spezifische Erfolgsfaktoren,
die zur Erreichung des Gesamterfolges erfüllt werden müssen. Die eigentliche Inter-
viewphase, obwohl zentraler Punkt, steht dabei nur für ein knappes Drittel des
Gesamtaufwandes eines Appraisals.

Ziele und Methode definieren


Für die erfolgreiche Zusammenarbeit ist es dringend erforderlich, dass der Berater die
Unternehmensziele und -strategie genau versteht. Er muss tiefen Einblick in die
Struktur und Kultur des Unternehmens erhalten und das Wettbewerbsumfeld analysie-
ren. Gegenstand dieser ersten Diskussionen ist nicht, die Strategie oder Struktur neu
zu entwickeln, sondern lediglich ein zwischen Klient und Berater übereinstimmendes
Verständnis über beides zu gewinnen. Denn die spezielle Situation eines Unter-
nehmens bestimmt grundlegend die Gewichtung der erforderlichen Fähigkeiten der
Führungskräfte. Diese müssen die strategischen Prioritäten der Unternehmensleitung
reflektieren.
Im Rahmen dieses Schritts muss die spezifische Zielsetzung des Management Apprai-
sals festgelegt und darauf basierend die Konzeption des Projekts erstellt werden. Des
Weiteren werden der Inhalt und die Form des Abschlussberichtes besprochen und eine
Vereinbarung über die gebotene Vertraulichkeit getroffen.

Abbildung 9: Die sechs Schritte eines Management Appraisals


76 Norbert Sack

Projekt detailliert planen


Sowohl das Unternehmen als auch Egon Zehnder International müssen nun logisti-
sche Vorbereitungen treffen, deren Genauigkeit und Eindeutigkeit den Erfolg des Pro-
jektes nachhaltig beeinflussen.
Der Planungsaufwand richtet sich nach der geografischen und funktionalen Verteilung
der zu bewertenden Führungskräfte. Ein Beraterteam muss zusammengestellt werden.
Es setzt sich zumeist aus einem Kernteam und ergänzenden lokalen bzw. funktional
erfahrenen Beratern zusammen. Sollen beispielsweise Interviews in der indischen
Niederlassung eines deutschen Unternehmens geführt werden, würde ein indischer
Egon Zehnder International-Berater zusammen mit einem Mitglied des Kernteams
diese Gespräche führen.
Das Unternehmen muss die Gruppe der zu bewertenden Manager sowie der zu befra-
genden Referenzgeber festgelegen, vorhandene personelle Informationen wie Lebens-
läufe, Stellenbeschreibungen und eventuell bestehende Nachfolgeplanungen an die
Berater übergeben.
Gemeinsam sind ein Zeitplan, Gesprächstermine und -orte, die Termine für Referenz-
prüfungen u. a. zu bestimmen.
Von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg des Projektes ist die Kommunikation in-
nerhalb des betroffenen Unternehmens. Sowohl die Führungskräfte selbst – unter Um-

Abbildung 10: Einzelanalysen werden zum Kompetenzprofil des gesamten Managements


zusammengefasst
Das Management Appraisal 77

ständen auch der Betriebsrat – müssen ausführlich über den Ablauf und den Inhalt des
Management Appraisals informiert werden. Die Personalabteilung, insbesondere die
Führungskräfteentwicklung, muss in jeden Schritt involviert werden, um zu gewähr-
leisten, dass nach Abschluss des Projektes die Ergebnisse als Grundlage für die weite-
re Arbeit dienen können und genutzt werden. Ohne die Einbeziehung der hauptamt-
lichen Personalverantwortlichen im Unternehmen dürfte es nicht möglich sein, Identi-
fikation mit dem Prozess und den Ergebnissen zu erzeugen. Zugleich muss jederzeit
Transparenz über Stand und Ablauf des Projekts gewährleistet sein.
Schließlich werden in dieser Phase im Rahmen eines oder mehrerer Workshops das
Kompetenzmodell festgelegt und ein erster Entwurf zu den Soll-Profilen erstellt, die
im Rahmen des Projektes angepasst werden können. Vor Beginn der Interviews wer-
den im Rahmen eines Kick-off-Workshops mit allen beteiligten Führungskräften Pro-
jekt und Vorgehen im Detail vorgestellt und Fragen der Führungskräfte ausführlich
beantwortet.

Interviews durchführen, Referenzen einholen


Für die zu bewertenden Manager kann das Appraisal von großer Bedeutung für ihre
weitere Karriereentwicklung sein. Das persönliche Interview mit den Egon Zehnder
International-Beratern empfinden sie zumeist als den für sie persönlich wichtigsten

Abbildung 11: Das Führungskräfteportfolio wird mit relevanten „Best Practice“-Unternehmen


verglichen
78 Norbert Sack

und entscheidenden Teil des gesamten Projektes. Hier besteht die Möglichkeit, sich
darzustellen und die eigene bisherige Entwicklung zu kommentieren. Es ist deshalb
für beide beteiligte Seiten wichtig, diesem Gespräch ausreichend Zeit einzuräumen.
Das Interview konzentriert sich auf die bisherigen beruflichen Herausforderungen und
Erfolge der Führungskraft, die gegenwärtige Situation und Erwartungen an die Zu-
kunft. Für die Egon Zehnder International-Berater bildet das zuvor beschriebene
Kompetenzmodell die Grundlage für das Gespräch. Mit der Gesprächsführung zielen
sie darauf ab, die Indikatoren für die zugrunde liegenden Kriterien festzustellen. In
Referenzgesprächen mit Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern wird ebenfalls nach
diesen Indikatoren gesucht.

Auswertung erstellen, kalibrieren


Interviews und Referenzgespräche werten alle beteiligten Egon Zehnder Internatio-
nal-Berater gemeinsam aus, zuletzt in einem so genannten Kalibrierungsworkshop.
Dies ist die Grundlage zur Bewertung der einzelnen Manager. Wichtig ist in diesem
Abschnitt, dass die verschiedenen Führungskräfte in ihren Kompetenzausprägungen
intensiv miteinander verglichen werden, um eine adäquate „Kalibrierung“ der Ergeb-
nisse und damit eine intrinsische Konsistenz sicherzustellen. Des Weiteren werden in
dieser Phase die Einzelergebnisse aggregiert, sodass ein Bild über die Kompetenzen
des gesamten evaluierten Management-Teams entsteht. Zu diesem Zeitpunkt werden
auch Maßnahmen und Empfehlungen auf individueller und aggregierter Ebene abge-
leitet und generelle Beobachtungen strukturiert und zusammengeführt.

Abbildung 12: Das „Handlungsorganigramm“ schafft Transparenz in Organisationseinheiten


Das Management Appraisal 79

Ergebnisse präsentieren und diskutieren


Nach Auswertung aller Informationen wird ein Abschlussdossier erstellt, das ausschließ-
lich für den vertraulichen Gebrauch beim Auftraggeber bestimmt ist. Hierbei wird
einerseits für jeden einzelnen Manager ein dreiseitiger Ergebnisbericht erarbeitet, in
dem seine Persönlichkeit, seine Karriereentwicklung, seine Stärken und Schwächen
sowie die Ausprägung der festgelegten Kompetenzkriterien dargestellt wird. Des Wei-
teren wird eine Empfehlung für seine weitere Entwicklung gegeben.
Darüber hinaus werden aggregierte Ergebnisse dargestellt wie beispielsweise das
Kompetenzprofil des Management-Teams (vgl. Abbildung 10), das Management Port-
folio in einem externen Benchmarking (vgl. Abbildung 11) oder ein für das Top-Ma-
nagement bestimmtes Handlungsorganigramm (vgl. Abbildung 12). Diese Ergebnisse
werden dem Auftraggeber im Rahmen einer Abschlusspräsention, die je nach Umfang
des Appraisals zwei bis fünf Stunden dauern kann, übermittelt.

Feedback geben
Der gesamte Prozess eines Management Appraisals findet seinen Abschluss in Feed-
back-Gesprächen. Diese werden in jedem Fall von jeweils einem der beiden Egon
Zehnder International-Berater gegeben, die die jeweilige Führungskraft im Interview
kennen gelernt haben. Je nach Situation und Zielsetzung des Management Appraisals
erfolgt das Feedback unter vier Augen, in Anwesenheit eines HR-Verantwortlichen
oder in Anwesenheit des Vorgesetzten der Führungskraft. Es ist hervorzuheben, dass es
sich beim Feedback um einen der wichtigsten Teile des Management Appraisals han-
delt. Die Bewertung von Top-Führungskräften ist ein sensibler Vorgang; zumal wenn
sie in einem sich stark verändernden Unternehmensumfeld stattfindet. Ohne ein kon-
struktives Feedback würde der Zirkel dieses sensitiven Vorganges nicht geschlossen.
Dies kann zu Verunsicherung und Missverständnissen, letztendlich zu abnehmender
Motivation führen. Nach unserer Erfahrung sind die Führungskräfte einer professionell
durchgeführten Bewertung gegenüber positiv eingestellt, solange sie sich fair behan-
delt fühlen. Bleiben allerdings Fragen offen, und wissen sie nicht, wie sie eingeschätzt
wurden und warum, sind negative Reaktionen fast schon absehbar. Diese Folgen ver-
meiden ausführliche Feedback-Gespräche fast immer mit großer Zuverlässigkeit.
Im positiven Fall kann das Feedback Auftakt zu einem intensiveren Coachingverhält-
nis beispielsweise zwischen der Führungskraft und dem Vorgesetzten sein. Gerade in
Unternehmenskulturen, in denen Feedback und konsequente Mitarbeiterentwicklung
bis dahin keinen ausreichend hohen Stellenwert einnahmen, kann das Feedback als
Initialzündung für eine verbesserte Unternehmens- und Führungskultur fungieren.
Schließlich müssen im Rahmen des Feedbacks erste Diskussionen zu Entwicklungs-
maßnahmen für die jeweiligen Führungskräfte stattfinden, die im Anschluss in kon-
krete Handlungen und damit Chancen für die Führungskraft und das gesamte Unter-
nehmen münden.
80 Norbert Sack

5. Zusammenfassung und Aussichten


In einer sich immer schneller verändernden Welt hängt der Erfolg eines Unterneh-
mens maßgeblich von den Kompetenzen seiner Führungskräfte ab. Um diese feststel-
len und bewerten zu können, reichen interne Analysen häufig nicht mehr aus. Als ein
ganzheitlicher Ansatz zur Analyse und Bewertung der Kompetenz von Führungskräf-
ten in einem konkreten Unternehmensumfeld bietet sich deshalb die Durchführung ei-
nes Management Appraisals durch externe Berater an. Die hierfür von Egon Zehnder
International angewandte Methode basiert auf einem eigens entwickelten „Kompe-
tenzmodell“. Dieses ermöglicht nicht nur die Beurteilung der Führungskräfte und
Führungsstrukturen nach präzise definierten Verhaltenskriterien, sondern auch die
umfassende Beurteilung von Führungskompetenz im Rahmen einer gegebenen Unter-
nehmenssituation und im konkreten Umfeld der Führungskraft. Die von – in der syste-
matischen Auswahl und Analyse von Managern – erfahrenen Beratern vorgenomme-
nen Einzelbeurteilungen sowie generelle, verdichtete Aussagen zur gegenwärtigen
Unternehmenssituation vermitteln regelmäßig eine Fülle konkreter Ansatzpunkte, um
ein Unternehmen insgesamt im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit zu korrigieren
oder gar neu zu gestalten. Somit ist ein Management Appraisal ein integraler Bestand-
teil eines dauerhaften Talent-Management-Prozesses, dessen Ziel es sein muss, die
Ertragssituation und damit den Wert eines Unternehmens nachhaltig zu steigern.
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und
Management-Audits
Walter Jochmann

1. Überblick
2. Linearbeurteilungen und Potenzialaussagen
3. Einbindung von Beurteilungsverfahren in der Personalentwicklung
4. Methodische Entwicklungen im Assessment-Center
5. Management-Audit
6. Ein Ausblick

1. Überblick
Beurteilungsverfahren zu Mitarbeitern auf der Sach-, Spezialisten- und Führungsebe-
ne sind seit vielen Jahren „musts“ im Instrumentenspektrum eines modernen Perso-
nalmanagements. Diese Verfahren werden mit leichten Modifikationen, dann mit ei-
nem konsequenter selektionsausgerichteten Modell, auf Auswahl und Einstellung
neuer Mitarbeiter/Innen (im Folgenden zur Vereinfachung: Mitarbeiter) angewendet.
Klassischerweise gibt es dabei die Einteilung in folgende Instrumenten-Gruppen:
• Sekundäranalyse bisheriger beruflicher Erfahrungen und Erfolgsfaktoren
• Gesprächsgestützte Verfahren
• Fragebögen und Testverfahren
• Arbeitsproben und Stichproben zu wichtigen beruflichen Aufgaben (von der Pro-
bezeit bis zu den Assessment-Center-Instrumenten)
• Befragung von wichtigen Partnern/Kollegen als Referenzpersonen
Im Grunde genommen ist der Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und
Qualität von Mitarbeitern/Führungskräften evident. Mit der zunehmenden Dienstleis-
tungsorientierung vieler Unternehmen, mit der entscheidenden Bedeutung von Service-
und Prozessqualitäten gegenüber Produktmerkmalen (Thienel, 1994) wird dieser eher
theoretische Ansatz allerdings noch praxisrelevanter. Es wird deutlich, dass Mitarbei-
ter entscheidend zur Gestaltung von Kundenverhältnissen beitragen, dass Mitarbeiter
am „point of sale“, auch an sonstigen Punkten des Kundenkontaktkreises (Telefon,
Schreiben) entscheidend das Image und die Attraktivität des Serviceanbieters prägen.

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_7,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
82 Walter Jochmann

Dies bedingt, dass Verhalten und Einstellungen von Mitarbeitern/innen mindestens


ebenso wie fachliche Kompetenz und funktionale Orientierung an den Notwendigkei-
ten des Arbeitsplatzes zur Kundenbindung und damit zum Unternehmenserfolg beitra-
gen. Das Denken in der klassischen Stab-Linien-Organisation mit relativ isolierten
Abteilungs- und Bereichszielen wird ebenso in Frage gestellt wie die typischen Vorge-
setzten-Mitarbeiter-Führungsbeziehungen. Die Arbeit in Projektgruppen, in Ad-hoc-
Teams und dauerhaft institutionalisierten funktionsübergreifenden Arbeitsgruppen
wird auch in Dienstleistungsunternehmen dem Trend der Produktionsunternehmen
folgen (Sonntag, 1996). Vor diesem Hintergrund stellen sich andere/neue Anforderun-
gen an das Top-Management und an das Mittelmanagement sowie an Kundenmanager
und Projektleiter, die bei einer ganzheitlichen Betrachtung wesentliche Zielgruppen
bei der Beurteilung der personalwirtschaftlichen Steuerungskompetenz eines Unter-
nehmens sind. Der vorliegende Artikel wird bewährte und neue Ansätze in der Beur-
teilung dieser Zielgruppen aufzeigen und mit Praxisbeispielen belegen.

2. Linearbeurteilungen und Potenzialaussagen


Beurteilungsmaßnahmen sollten sich neben dem generellen Ansatz der Stärken-
Schwächen-Analyse an übergreifenden Beurteilungsmerkmalen auch an den jeweili-
gen Positions- und Funktionserwartungen orientieren. Es gibt sicherlich einen stabilen
Satz an fachlichen und überfachlichen Qualifikationsvoraussetzungen – zusätzlich ha-
ben natürlich die jeweiligen Erfordernisse einer Position (in all ihrem Veränderungs-
prozess) mit Bezug auf die Erfolgsfaktoren des jeweiligen Marktes, in dem das Unter-
nehmen tätig ist, einen wesentlichen Einfluss (Jochmann, 1995a). Der Markt wird
hierbei definiert als Zusammenspiel zwischen Unternehmen, Kunden, Wettbewerbern
und dem politisch-gesellschaftlichen Einflussfeld, welches die Marktmechanismen
beeinflusst. In den 80er-Jahren wurden die klassischen Anforderungsanalysen mit fol-
genden Vorgehensweisen verknüpft:
• Ableitung der fachlichen und teilweise verhaltensbezogenen Anforderungen aus
den Schlüsselaufgaben, die ausführlichen Stellenbeschreibungen entnommen wur-
den
• Critical-incident-Methoden, um anhand von zu bewältigenden Schlüsselerlebnis-
sen mit guten und schlechten Positionsinhabern die differenzierenden Vorgehens-
weisen herauszuarbeiten und auf Anforderungskriterien umzulegen
• Ausführliche Interviews mit guten und weniger guten Positionsinhabern, um wie-
derum die Unterscheidungsmerkmale im Vorgehen und in den dahinterliegenden
Persönlichkeitsdimensionen herauszuarbeiten
• Strukturierte Befragungen des Managements und der jeweiligen Vorgesetztenfunk-
tion zu den Anforderungen an die Position.
Durch den permanenten Veränderungsprozess der Märkte, die sich im idealen Sinne
auf die Unternehmens- und Produktstrategien und die nachfolgenden Organisations-
strukturen umschlagen, wird in der Phase der Anforderungsanalyse (die nach wie vor
für jedes Beurteilungsverfahren ein klarer Erfolgsfaktor ist) eine stärker strategisch-
84 Walter Jochmann

(vgl. Abbildung 1). Insgesamt gestaltet sich diese Veränderbarkeit in den 3 Schichten
der Kienbaum-Kompetenzpyramide dahingehend, dass
• die Fachkompetenz eine hohe Anpassbarkeit und damit Verbesserbarkeit aufweist.
Dies gilt insbesondere bei guten fachlichen Schulungskonzepten und bei über-
durchschnittlichem persönlichen Intellekt bei Problemlösekompetenz und Analyse-
vermögen sowie entsprechender Lernmotivation
• die Verhaltenskompetenzen gerade auf der zwischenmenschlichen Ebene mit Ge-
sprächstechnik und Verhandlungsführung verbesserbar sind – wobei sie natürlich
von den tieferliegenden inneren Kooperationshaltungen abhängen
• der Grenzbereich zwischen Verhalten und Persönlichkeit, festgemacht insbesonde-
re an der Führungsbandbreite und den Problemlösungsfähigkeiten, eine eher
schwierige Veränderbarkeit aufweist und wiederum von Intellekt und Leistungs-
motivation/Veränderungsbereitschaft profitiert
• die Persönlichkeitsdimensionen mit beispielsweise Kontaktfreude, Ehrgeiz, Wett-
bewerbsmotivation oder Einfühlungsvermögen letztlich nicht veränderbar sind.
Allerhöchstens „kritische Lebensereignisse“ nach dramatischen Veränderungen im
privaten oder beruflichen Umfeld, mitunter auch durch tiefgehende Persönlich-
keits- und Outdoor-Trainings initiiert, können in diesem Bereich zu Veränderungen
führen.
Neben der Notwendigkeit, unternehmens- und vielmehr marktspezifisch die jeweili-
gen Anforderungen herauszuarbeiten, gibt es natürlich über die Analyse von Vorbild-
unternehmen (Benchmarking) einige Schlüsselanforderungen, die sich derzeit heraus-
kristallisieren. Abbildung 2 verknüpft die vorgestellten vier wesentlichen Funktions-
gruppen (die den traditionell eingesetzten Begriff der Führungskräfte ersetzen sollen)
mit derartigen Schlüsselanforderungen. Die aufgeführten Anforderungsdimensionen
weisen mit Führungsverhalten, Überzeugungskraft und strategischer Kompetenz eher
klassische Anforderungskriterien auf – ergänzt mit modernen Kriterien, die sich aus

Abbildung 2: Schlüsselanforderungen für die entscheidenden Management-Führungstypen


Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 83

zukunftsorientierte Vorgehensweise notwendig, die mit folgenden Vorgehensweisen


realisiert wird:
• Analyse strategischer Veränderungsnotwendigkeiten mit den resultierenden Aus-
wirkungen auf Erfolgsfaktoren im Bereich und somit in der Führungsfunktion
• Analyse der Anforderungsprofile von Vorbildunternehmen im Wettbewerb oder ge-
nerell im Wirtschaftsumfeld (Benchmarking)
• Top-down-Ansatz in der Analyse von Schlüsselaufgaben (Kienbaum Key-task-An-
satz)
• Bottom-up-Anforderungsdefinition mit allen wichtigen Mitarbeitern eines Unter-
nehmensbereiches, um über den ganzheitlichen Arbeitsprozess und insbesondere
die Netze der Zusammenarbeit die „musts“ und „wants“ der Zielposition zu be-
schreiben.
Alle Verfahren der Anforderungsanalyse benötigen ein theoretisches Grundkonzept,
wobei in den bisherigen Ausführungen schon zwischen fachlichen und überfachlichen
Merkmalsbereichen unterschieden wurde. Mit der stärker werteorientierten Ausrich-
tung von Unternehmensleitbildern und auch Erfolgsfaktoren (etwa im Sinne von Kun-
denorientierung, Serviceeinstellung, Veränderungsbereitschaft und unternehmerischem
Denken/Mitunternehmertum) steigt allerdings die Bedeutung tieferer Anforderungs-
faktoren, die sich klassischerweise als Persönlichkeitsdimensionen beschreiben lassen.
Sie hatten in den 60er-Jahren einen Schwerpunkt in der Führungskräfte-Beurteilung,
der sich in den zum damaligen Zeitpunkt intensiven Fragebogenentwicklungen nie-
dergeschlagen hat (Cronbach & Gleser, 1965). Es liegt im Trend der 90er-Jahre, dass
ein ganzheitlicher Beurteilungsansatz neben den Fachkompetenzen und den normalen
Verhaltensanforderungen auch zugrunde liegende Motive und Einstellungen umfasst

Abbildung 1: Die Kienbaum-Kompetenzpyramide


Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 85

den Erfolgsfaktoren eines notwendigen Change Managements (Doppler/Lauterburg,


1994) ergeben (beispielsweise Empowerment, Clienting und übergreifendes Ressour-
cenmanagement).

Mit dem Begriff der Potenzialanalyse wird häufig pragmatisch und wenig differenziert
umgegangen. Letztlich müsste zwischen einer Linearbeurteilung und einer Potenzial-
beurteilung unterschieden werden. Dabei zeichnet sich eine Linearbeurteilung da-
durch aus, dass
• ein präzises Funktions- und Anforderungsfeld von der Position oder Funktion vor-
liegt, auf die hin jemand beurteilt wird
• der Funktionsinhaber weitgehend schon im geforderten Aufgabenbereich tätig ist
• die Beurteilungsschwerpunkte auf der Fach- und Verhaltensebene liegen (womit
insbesondere die Beurteilung durch den Vorgesetzten oder durch die internen und
externen Leistungsempfänger im Unternehmen bedeutsam wird).

Demgegenüber ist der Fall der Potenzialeinschätzung dadurch gekennzeichnet, dass


• jemand derzeit in einer anderen oder sehr viel enger umfassten Aufgabengruppe
tätig ist
• die Zielposition eher rudimentär oder visionär, mit generellen Anforderungskriteri-
en beschrieben wird
• übergreifende, eher auch tieferliegende und persönlichkeitsorientierte Erfolgsfak-
toren in das Anforderungsprofil einfließen
• die Positionsbilder sich kontinuierlich verändern und somit von der Vorstellung ei-
ner dynamisch-flexiblen Aufbauorganisation (Gouillart/Kelly, 1995) ausgegangen
wird, in deren Rahmen beispielsweise auch übergreifende und multifunktionale
Positionen zu übernehmen sind (beispielsweise Mischfunktionen aus Personal-
und Kundenmanagement, aus Produktionsmanagement und Controlling).
Der interessantere und für die meisten Unternehmenstypen und Marktcharakteristika
derzeit hilfreiche Beurteilungsansatz liegt in der Potenzialeinschätzung. Er beinhaltet
allerdings höhere methodische Anforderungen und auch Einschätzungsrisiken. Wichtig
ist für die Praxis, dass sich die Personalmanager angesichts anstehender Beurteilungs-
aufgaben über den jeweils vorliegenden Typus der zu leistenden Beurteilungsaufgaben,
festgemacht an den Zielsetzungen der Aktion/des Projektes, bewusst werden.

3. Einbindung von Beurteilungsverfahren


in der Personalentwicklung
Die klassische Differenzierung zwischen Permanentfunktionen und Sonderaktionen/
Projektnotwendigkeiten lässt sich sinnvollerweise auch auf die Beurteilung der vier
Management-Funktionsgruppen übertragen. Gerade für die Permanentfunktionen
stellt sich natürlich die Aufgabe, sie in die bestehenden Leistungsfelder und zugehöri-
gen Instrumente des Personalmanagements im Unternehmen zu integrieren. Generell
besteht das Personalmanagement aus folgenden Kernfunktionen (Jochmann 1996).
86 Walter Jochmann

• Resourcing und Betreuung


• Personalstrategie und Führungssysteme
• Qualifizierung und Personalentwicklung
• Mitarbeitermobilisierung und Change Management
Alle diese Leistungsstränge sollten sich am Unternehmensleitbild und an den konti-
nuierlich fortschreitenden Unternehmensstrategien ausrichten. Mehr denn je ist es er-
folgsentscheidend, die personellen Ressourcen auf allen Mitarbeiterebenen (explizit
auch auf der Ebene von Nichtführungskräften, von Sachbearbeitern mit und ohne
Kundenkontakt) auf eine aus Kundensicht optimale Unternehmensleistung (insbesondere
im Hinblick auf die Qualitäten von Service, Kundenkommunikation und Prozess-
bewältigung) auszurichten (Thienel, 1996). Beurteilungsinstrumente und resultieren-
de Beurteilungsprojekte sollten dem Funktionsstrang von Qualifizierung und Perso-
nalentwicklung zugeschrieben werden, wobei Abbildung 3 diese Funktionsgruppe
noch einmal tiefergehender beschreibt. Unter der Sparte Beurteilungswesen ergeben
sich dann auch die klassischen, permanent eingesetzten Instrumente zur Beurteilung
der Managementbefähigungen und Managementpotenziale:
• Mitarbeiterbeurteilungssysteme und Zielvereinbarungen, die durch den Vorgesetz-
ten umgesetzt werden (klassische Führungsinstrumente)
• Fördergespräche mit dem Personalmanagement/dem Top-Management
• Personalreviews und resultierende Personal-Portfolios
• Assessment-Center und Einzel-Assessment.
Insbesondere in Phasen der überdurchschnittlichen Neuausrichtung eines Unterneh-
mens oder einer Sparte, etwa im Rahmen eines Change-Projektes, ergibt sich stan-
dardmäßig die Notwendigkeit der Einschätzung der vorhandenen Managementbefähi-
gungen in Bezug auf neue Geschäfte, neue Strategien und resultierende veränderte
Aufgabenfelder. Teilweise in der Überschneidung, allerdings auch in der Ergänzung
steht für diesen wirklichen Bewährungsfall eines modernen Personalmanagements das
folgende Instrumentespektrum zur Verfügung:
• teilweise Gruppen-Assessments, insbesondere aber das Instrument des eintägigen
Einzel-Assessments
• das Personalreview in der Erhebung über interne Referenzpersonen aus der Vorge-
setztenebene
• Benchmarking anhand von personellen und abteilungsbezogenen Erfolgskennzah-
len
• das Management-Audit, welches häufig über teilstandardisierte ausführliche Inter-
views mit externen Beurteilern/Beratern durchgeführt wird.
Diese Instrumentengruppen funktionieren nach den in der Einführung genannten
Informationsquellen der Sekundäranalyse (intelligenterweise wird neben der Werde-
gangsanalyse auf Leistungskennzahlen der bisherigen betreuten Einheit geachtet), der
Befragung von Referenzpersonen (neben dem Vorgesetzten wichtige interne Leis-
tungsempfänger und externe Kunden), der direkten Befragung (über strategiegeleitete
teilstandardisierte Interviews) sowie der Beobachtung in erfolgskritischen Aufgaben-
gruppen/Key tasks (Assessment-Verfahren und Real-life-Assessment). Aus den inten-
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 87

Abbildung 3: Funktionen der Personalentwicklung

siven Erfahrungen des Autors in der Beurteilung von Führungsmannschaften resultiert


in Abbildung 4 ein Beurteilungsmodell für wichtige Mitarbeitergruppen, das die
Grundlage für die im Folgenden notwendigen Anforderungsprofile darstellt. Es kon-
zentriert sich auf den Verhaltensbereich, ergänzt bei den Einstellungen und Motiven
einige persönlichkeitsorientierte Dimensionen. Es ist davon auszugehen, dass die in
den einzelnen Dreiecken aufgeführten Beurteilungsdimensionen wirklich erfolgsrele-
vant sind, um Leistungsträger zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund könnten diese
Dimensionen einen Grundstock für Anforderungsprofile darstellen, die häufig zwi-
schen 10 und 20 einzelne Beurteilungsdimensionen umfassen (Jochmann, 1994).
88 Walter Jochmann

Abbildung 4: Kompetenzmodell für Schlüsselmitarbeiter

4. Methodische Entwicklungen im Assessment-Center


Das Grundprinzip der Assessment-Verfahren liegt darin, unterschiedliche Beurtei-
lungsansätze miteinander zu verknüpfen (in der Regel Gespräche, Arbeitsproben/Fall-
studien und Fragebögen/Testinstrumente) und insbesondere die Kernaufgaben in
Arbeitsbeispiele zu kleiden, in denen das Vorgehen/Verhalten des Teilnehmers beo-
bachtet werden kann. Es liegt eine umfangreiche Literatur zu den methodischen
Erfolgsfaktoren und Gütekriterien von Assessment-Center-Verfahren vor (siehe bei-
spielsweise Obermann, 1992), von denen die wesentlichen an dieser Stelle noch ein-
mal aufgeführt werden:
• Strategisch-geschäftsorientierte Ableitung der Beurteilungsdimensionen
• Kompetente Abbildung der Schlüsselaufgaben/Key tasks in anspruchsvollen Fall-
studien
• Inhaltliche Gestaltung der Fallstudien (Akzeptanz durch die Teilnehmer, Abbil-
dung der Erfolgsfaktoren der Branche, Vermeidung von Über- oder Unterbetonung
des realen fachlichen Umfeldes)
• Gestaltung eines Übungsmixes in der Abdeckung von teilweise fachlichen Funk-
tionen, insbesondere aber problemanalytisch-intellektuellen Aufgabenstellungen
einerseits, zwischenmenschlich-führungsbezogenen Herausforderungen anderer-
seits
• Sicherstellung der repräsentativen Aussagenqualität zur beurteilten Führungskraft
(Rolle der Vorinformation, Abbau von Überstress oder Fehlerwartungen, Zwi-
schenfeedbacks, Abdecken der realen Verhaltensbandbreite des Kandidaten)
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 89

• Sicherstellung einer überzeugenden Beurteilerqualität durch methodische Unter-


stützung einerseits und Beurteilertraining andererseits (Gerpott, 1985)
• Mix aus summarischer und systematischer Dateninterpretation, um sowohl nume-
rische Ergebnisprofile als auch ganzheitliche Aussagen in Bezug auf die Schlüssel-
anforderungen abzuleiten
• Erfolgsfaktor aus dem Mix firmeninterner und firmenexterner Beurteiler (somit
Abbildung Unternehmensumfeld/Unternehmenskultur, Strategie und Markt, psy-
chologische Beurteilerkompetenz, Benchmarking-Kompetenz externer Beurteiler)
• Prozessqualität in der Durchführung der Assessments (Teilnehmerakzeptanz, Ver-
ständnis des Teilnehmers als interner Kunde, Feedback-Qualität und anschließen-
des Coaching im Einleiten von Personalentwicklungsmaßnahmen).
Weitere Trends in der Entwicklung von Assessment-Center-Verfahren werden in Ab-
bildung 5 aufgeführt.

Insgesamt hat sich das Assessment-Beurteilungsverfahren in seinen Varianten der


Gruppendurchführung (Seminarform, eher jüngere Teilnehmer) und der individuellen
Durchführung (Einzel-Assessment, Durchführung in der Regel an einem Tag, von
mittleren bis zu höchsten Führungskräften) von einem standardisierten Personalent-
wicklungsinstrument zu einem Erfolgsbaustein in Change-Projekten mit größerer
Auswahl- und Coachingrelevanz entwickelt. Alle Formen der Potentialanalyse auf der
Managementebene haben sowohl auswahl- und zuordnungsorientierten Charakter
(etwa in Bezug auf bestimmte Aufgabenfelder) als auch Leitlinien-Funktionen für
Personalentwicklung/Qualifizierungsinvestments. Wichtig ist dabei, dass

Abbildung 5: Trends im Assessment-Center-Verfahren


90 Walter Jochmann

• die Top-Führungskräfte in den Beurteilungsprozess eingebunden werden (etwa als


Beurteiler oder später als Coaches)
• nach dem Assessment in verbindlicher Form ein Personalentwicklungsplan erstellt
wird, der Teil des Zielvereinbarungssystems ist (ggf. mit Vergütungsrelevanz)
• Personalentwicklung ein Erfolgsfaktor für den weiteren beruflichen Aufstieg ist
(und kein Luxus- oder Hygienefaktor mit Freiwilligkeitscharakter)
• im Rahmen der Folgemaßnahmen nicht nur Trainings/Seminare angeboten werden,
sondern ein intelligentes Mix aus Literatur, Projektarbeit, Impulsseminare und Co-
aching gewählt wird (Sattelberger, 1996)
• der beurteilte Teilnehmer unternehmerische Eigeninitiative für seine Optimierung
übernimmt (und sich im Hinblick der eigenen Arbeitsplatzsicherheit nach einem
bestimmten Zeitraum über interne und externe Kundenbefragungen daran messen
lassen muss, ob persönliche Verbesserungen sich in verbesserten Leistungsqualitä-
ten niedergeschlagen.
Als Beispiel für die Methodenvariante Assessment-Center (meist 2 bis 3 Tage Durch-
führungsdauer, 5 bis 12 Teilnehmer, 2 bis 6 firmeninterne und -externe Beobachter)
dokumentiert Abbildung 6 das Soll-Ist-Profil eines Teilnehmers in einem Projektmana-
ger-Verfahren. Der Autor hat daher mit einem Kienbaum-Beraterteam eine Großbank
bei einem sowohl strategie- als auch organisationsorientierten Kundenorientierungs-
Projekt betreut. Derartige Projekte umfassen die Phasen der Analyse, der Konzeption,
der Realisierung und der Evaluation (Hamel/Prahalad, 1995). Im Rahmen der Projekt-
planung, der Entwicklung des Projektstrukturplanes mit den einzelnen Teilprojekten
(beispielsweise Geschäftsprozessoptimierung Konsumentenkredit, Prozessoptimierung
Baufinanzierung, Neugestaltung Geschäftsstellen, Bildungsprogramm Kundenberater)
wurde es dringend notwendig, neben den externen Beratern interne Leiter für die Teil-
projekte als Change Agents zu bestimmen. Als Zielgruppe kamen prinzipiell die Ebene
des Mittelmanagements in Frage, des Weiteren hervorragende Führungsnachwuchs-
kräfte (mit und ohne bisherige Projekterfahrungen). Im Rahmen eines Personalreviews
wurden 100 interne Kandidaten für die Zielfunktion Projektleiter Kundenorientie-
rungs-Programm identifiziert. In 10 zweitägigen Assessment-Centers wurden jeweils
10 Teilnehmer mit 6 Beurteilern (2 Personalspezialisten Bank, 2 Linienvorgesetzte
Bank, 2 externe Berater) im Hinblick auf ihre Stärken und Schwächen analysiert, wo-
bei das Anforderungsprofil sehr stark aus dem Benchmarking mit Vorbildunternehmen
entwickelt wurde. Folgende Beurteilungsbausteine und Fallstudien sind in diesen Ver-
fahren zum Einsatz gekommen:
• Strukturierte Interviews zu den Themen Werdegangsanalyse/bisherige Erfahrun-
gen, eigene Stärken-Schwächen-Sicht und Karriereplanung, Kundenorientierung
und Leistungsmotivation, persönliche Change-Philosophie
• Handlungsorientierte Fallstudie aus dem Projektalltag
• Auswahl von Projektmitarbeitern (Analyse von Werdegängen/Beurteilungen)
• Motivationsgespräch mit einem gewünschten Projektmitarbeiter (der sich nicht aus
seiner Linienfunktion lösen möchte)
• Moderation und Steuerung eines Projektmeetings (Gruppe von 5 Kollegen)
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 91

• Rückmelde- und Konfliktgespräch mit einem weniger leistungsstarken Projektmit-


arbeiter
• Präsentation des eigenen Teilprojektes vor Kollegen und Vorstand
• Krisensitzung in der Projektgruppe
• Analysefallstudie mit der Auswertung von Markt- und Wettbewerberinformationen
• Fragebögen zur Leistungsmotivation, zum Führungspotential und zur internen und
externen Kundenorientierung.

Die Verfahrensvariante des Einzel-Assessments (Jochmann, 1988, 1991) hat in den


vergangenen Jahren massiv Aufschub erhalten. Kienbaum führt jährlich 300 bis 400
derartiger Beurteilungen für bestehende Führungskräfte oder externe Kandidaten
durch, der derzeitige „Markt“ in Deutschland dürfte insbesondere für die Absicherung

Problemlösungskompetenz

Analysevermögen
Logik und Schlussfolgern
Projektmanagement
Entscheidungsverhalten
Flexibilität

Zwischenmenschliches Verhalten

Führungspotenzial
Überzeugungskraft
Konfliktbereitschaft
Kooperation
Kooperation

Motive und Einstellungen

Unternehmerisches Denken
Begeisterungsfähigkeit
Leistungsmotivation
Kundenorientierung
Belastbarkeit und Ausdauer

Soll-Profil
Ist-Profil

Abbildung 6: Kienbaum-Assessment-Center Projektmanagement Bank


92 Walter Jochmann

von Einstellungs-/Aufstiegsentscheidungen und die Durchführung von Management-


Audits derzeit bei zwanzig- bis dreißigtausend Realisierungen jährlich liegen. Ent-
scheidend ist dabei der Trend, diese Verfahren nicht mehr nur bei potentiellen Aufstei-
gern und Hochleistern einzusetzen, sondern auch „zweifelhafte Fälle“ (dann teilweise
ohne firmeninterne Beurteiler, ausschließlich im Sinne eines externen Benchmar-
kings) im Hinblick auf die Veränderungsfähigkeit und damit die prinzipielle Machbar-
keit der bestehenden personellen Besetzung zu durchleuchten. Die Vorteile der Vari-
ante Einzel-Assessment liegen in
• Vertraulichkeit und Diskretion
• absoluter Flexibilität in der zeitlichen und methodischen Durchführung (beispiels-
weise Übungsauswahl auf der Basis vorangehender Ergebnisse)
• der Möglichkeit von Wiederholungssimulationen/Überprüfungsschleifen
• der absoluten Anpassbarkeit des Übungsdesigns auf die zur Diskussion stehende
Zielposition (bei entsprechendem methodischen Vorbereitungsaufwand)
• der besseren Berücksichtigung auch von fachlichen Anforderungen in den Fallstu-
dien (bei entsprechender Umarbeitung unternehmensinterner Materialien in Fall-
studien und ggf. der Verfügbarkeit eines unternehmensinternen Fachspezialisten
zur Beurteilung der Ergebnisqualität)
• der intensiven persönlichen Beziehung, die zwischen Beurteiler und Kandidat ent-
steht und beispielsweise für das spätere Coaching und die Personalentwicklung ge-
nutzt werden kann (beispielsweise Feedback-Gespräche nach Berichterstellung,
maßgeschneiderte ein- bis zweitägige Einzeltrainings auf der Basis der Stärken-
Schwächen-Analyse)
• der zeitlichen Flexibilität und Ökonomie der Vorbereitung (bei Vorhandensein ei-
nes Fallstudien-Repertoires Vorbereitungsintervall höchstens 3 bis 4 Tage, Verkür-
zung der Durchführungsdauer auf 3 bis 4 Stunden bei der Beurteilung nach Ab-
bruchkriterien).
Abbildung 7 zeigt das Ergebnisprofil eines internen Anwärters auf eine Bereichsleiter-
funktion Marketing in einem mittelgroßen Lebensmittelkonzern. In Veränderungspha-
sen bietet sich das Einzel-Assessment auf der Ebene der mittleren Führungskräfte
dazu an, eine Kompletterhebung der Stärken und Schwächen vorzunehmen und damit
die Funktion eines Management-Audits zu übernehmen. Neben der individuellen
Stärken-Schwächen-Auswertung und den Personalentwicklungskonsequenzen oder
auch Veränderungen des Arbeitsfeldes lassen Gesamtauswertungen der Führungskräf-
te strategische Ableitungen zu übergreifenden Handlungsfeldern zu. Diese können
sich auf ein Coaching-Programm zur Führung in der neuen Unternehmensorganisation
(beispielsweise Prozessorganisation mit reduziertem Mittelmanagement) beziehen,
des Weiteren auf das Arbeiten in stärker kundenbezogener Position oder die Fachaus-
bildung in Projektmanagement und Controlling. Weiterhin bewirken fast alle laufenden
Umstrukturierungen einen Personalabbau im Mittelmanagement, zu dessen Einzelent-
scheidungen die quasi ein internes Benchmarking abbildenden Assessment-Ergebnisse
der Führungsmannschaft ein wichtiges Entscheidungskriterium neben der Vorgesetz-
teneinschätzung und bisherigen Leistungsergebnissen bereitstellen.
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 93

Arbeitssystematik

Organisation und Planung


Entscheidungsverhalten

Zwischenmenschliches Verhalten

Führungspotenzial
Überzeugungskraft
Durchsetzungsvermögen
Kooperationsbereitschaft
Einfühlungsvermögen
Rhetorik

Problemlösungsverhalten

Analysevermögen
Logik und Schlussfolgern
Flexibilität

Motive und Einstellungen

Beharrlichkeit und Ausdauer


Stressresistenz
Leistungsmotivation
Tatkraft und Energie
Kundenorientierung

Soll-Profil
Ist-Profil

Abbildung 7: Ergebnisprofil Kienbaum-Einzel-Assessment, Bereichsleiter Marketing


94 Walter Jochmann

5. Management-Audit
Im Kern ist das Management-Audit ein Ansatz, um die wesentlichen Entscheider und
Gestalter eines Unternehmens oder einer Sparte/einer Geschäftseinheit im Hinblick auf
Stärken und Schwächen zu analysieren und somit die Machbarkeit von Veränderungs-
prozessen (neue Strategie und resultierende Organisationsformen) zu überprüfen
(Jochmann 1995b). Der strategisch-organisatorische Bezug und die Auswirkung auf
die Arbeitsplatzgestaltung einschließlich Beförderung und Personalabbau ist beim Ma-
nagement-Audit höher einzuschätzen als bei personalentwicklungsorientierten Assess-
ment-Centers. Beispielhafte Zielsetzungen eines Management-Audits liegen darin,
• Personalentscheidungen dahingehend zu unterstützen, welche Führungskräfte zu-
künftig (etwa im Rahmen der abgeflachten Organisationsstruktur) in einer Füh-
rungsstruktur einer Führungsfunktion verbleiben sollen
• herauszuarbeiten, welche Nachwuchskräfte als Verstärkung des Turnaround-Pro-
zesses befördert werden sollten (ggf. über die Zwischenstufe des Projektmana-
gers)
• bei den für eine Führungsfunktion vorgeschlagenen Mitarbeitern über die Stärken-
Schwächen-Analyse hinaus konkrete Personalentwicklungspläne zu vereinbaren
(um dem in der Regel stärkeren zeitlichen Druck von Veränderungsphasen des Un-
ternehmens gerecht zu werden)
• für Mitarbeiter mit negativen Ergebnissen abzuleiten, wo sie im Sinne eines Newpla-
cements im Unternehmen oder auch im externen Markt sinnvollerweise eingesetzt
werden können (Unterstützung im Outplacement-Prozess)
• die internen Ressourcen im Management im Sinne eines Benchmarking mit externen
Vergleichsmaßstäben in Bezug zu setzen (und damit die klassischen Benchmarks auf
Leistungskennziffern-Ebene und Prozessqualität zu ergänzen und entsprechende
Auffrischungsmaßnahmen, etwa durch Recruitments aus diesen Vorbildunternehmen,
zu ergänzen)
• neu geschaffene Organisationsformen mit entsprechenden Führungsfunktionen
(„relativ unabhängig von der Vergangenheit“) neu zu besetzen und damit glaub-
würdig einen neuen Anfang zu machen.
Letztlich sind Change-Prozesse auf der Strategie- und Organisationsebene unglaub-
würdig, wenn in neu geschaffenen Managementfunktionen ausschließlich die „alte
Garde“ nach dem Kriterium der Minimalabweichung neu platziert wird!
Gerade bei Management-Audits greifen die Überlegungen, Anforderungsprofile abso-
lut strategisch etwa über Expertengespräche oder die mehrfach erwähnten Bench-
marks abzuleiten. Des Weiteren ist eine sensible Informations- und Kommunikations-
phase mit der Zielgruppe zu empfehlen, um Verunsicherung zu vermeiden und somit
eine wichtige Voraussetzung für qualitativ gute Ergebnisse zu erfüllen. Methodisch ist
idealerweise der Einsatz des Einzel-Assessments zu wählen, wobei dann neben dem
externen Berater oder Beraterteam firmeninterne Beobachter nur aus der Geschäfts-
führer- oder Vorstandsebene denkbar sind. Bei parallel durchgeführten Einzel-Assess-
ments können sich derartige Top-Führungskräfte an einem Tag den beispielhaften
Überblick über mehrere Kandidaten verschaffen. Wichtig ist insgesamt, dass über die
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 95

Anforderungsprofile und Übungstypen wirklich neue, zusätzliche Informationen (eben


über den klassischen Unternehmensalltag hinaus) ermittelt werden. Der häufigere me-
thodische Ansatz beim Management-Audit ist allerdings, mit den Teilnehmern 3- bis 4-
stündige vorstrukturierte Interviews mit ein bis zwei Beratern (ggf. einem Vorstand/ei-
nem Geschäftsführer) durchzuführen. Auf der Basis der Anforderungsprofile wird dazu
ein Interviewleitfaden entwickelt, der neben der Unterfütterung jeder Beurteilungsdi-
mension mit 3 bis 4 Leitfragen ein sensibles Gesamtdesign repräsentiert und neben in-
dividuell-persönlichen Informationen auch übergreifend-ganzheitliche betriebliche Zu-
sammenhänge (in der Interpretation des Kandidaten) aufgreift:
• Keine Überbetonung der bisherigen beruflichen Erfahrungen und der klassischen
Stärken-Schwächen-Abfrage
• Vielmehr ausführliche Erörterung von Strategien und Zielsetzungen des Unterneh-
mens insbesondere in der Anfangsphase des Interviews
• Stärken und Schwächen von Gesamtunternehmung und Einzelabteilungen, Verbes-
serungsvorschläge und konkretisierende Projektbeispiele aus der Sicht des Kandi-
daten
• Effizienzeinschätzung der wichtigen Netzwerke der Zusammenarbeit im Unterneh-
men (beispielsweise Kollegen im Mittel- oder Top-Management, Effizienz der Ge-
schäftsprozesse)
• Analyse von Kundenrückmeldungen und sonstigen Referenz-/Sekundärinformatio-
nen zum Unternehmen
• Gemeinsames Gespräch über kleine Fallstudien oder Szenarien.
Wichtiger als im Assessment-Verfahrensmix ist im interviewgestützten Ansatz die
Qualifikation der Berater/Interviewer im Hinblick auf Flexibilität, sensibel-vertiefen-
de Fragetechnik, Vernetzung und Verknüpfung von Aussagen zu einer Gesamtaussage
auf einer bestimmten Beurteilungsdimension, Sparringspartner sein in der Beurteilung
der Abteilungs- und Unternehmenssteuerung. Eine sinnvolle Ergänzung des Mediums
Interview liegt in vorbereitend ausgegebenen Management-Fragebögen, die sich ne-
ben der klassischen Analyse von Führungs- und Arbeitsstil auf Leistungsmotive, Inno-
vationseigenschaften und Kunden-/Serviceorientierung beziehen können (siehe als
Beispiel dazu in Abbildung 8 die Kienbaum-Verkaufsstil-Analyse). Entscheidend ist
insgesamt das Design der Informationserhebungs-Matrix und ihr Bezug zum Anforde-
rungsprofil, weil es in den interviewgestützten Ansätzen sehr viel stärker als beim ar-
beitsprobenbezogenen AC-Ansatz darauf ankommt, unterschiedlichste Informationen
in ihrer Absicherung und Wiederholung (auch im Einfließen lassen von Querinforma-
tionen etwa durch Kollegen oder Bereichskennziffern) zu überprüfen und zu tragfähi-
gen Ergebnisprofilen zu kommen. Dabei wird mit den Teilnehmern mehr über betrieb-
liche Themen oder über die Branche und das Wirtschaftsumfeld gesprochen als klassi-
scherweise die eigenen Aufgaben und Karrierevorstellungen. Bestimmte Phasen des
Gespräches sollten fachlich extrem anspruchsvoll und tiefgehend geführt werden, um
die Bandbreite des Antwortverhaltens und somit auch die wirkliche Qualität und den
entsprechenden Tiefgang zu ermitteln. Auf stressorientierte Interviewphasen mit per-
sönlichen Angriffen oder Verunsicherungen sollte aus der Sicht des Autors im Sinne
der Fairness und Kundenorientierung gegenüber den Kandidaten allerdings verzichtet
werden. Im Übrigen sind an die soziale Akzeptanz und an den Feedbackprozess zum
96 Walter Jochmann

Management-Audit die gleichen hohen Anforderungen zu stellen als an das klassische


Assessment-Center – was wohl in vielen derzeit durchgeführten Management-Audits
mit negativen Kandidatenrückmeldungen bis hin zur absoluten Verunsicherung und
Verängstigung nicht der Fall zu sein scheint.

Abbildung 8: Kienbaum-Verkaufsstil-Analyse, Ergebnisprofil

Das Instrument Management-Audit wird als Einmalprojekt durchgeführt und bereitet


betriebliche Veränderungsphasen vor oder bewertet in Ergänzung zu betrieblichen
Ressourcen, Kundenzufriedenheit und Marktperspektiven das interne Management
Capital. Neben Einzelaussagen und entsprechenden Schlussfolgerungen ist die Analyse
auf der Ebene des Managementteams entscheidend. Viele Unternehmen profitieren
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 97

von einem gut besetzten, gemischten Kompetenzansatz und sind stärker als Wettbe-
werber, die die besseren Einzelführungskräfte haben – allerdings mit gegenseitiger
Behinderung durch Ehrgeiz, ähnliche Qualifikationsbilder, Mängel im Ausnutzen
von Synergien und im sinnvollen Verknüpfen/Kompensieren von Stärken und
Schwächen (Berth, 1994). Neben strategischen Anforderungsprofilen gewinnen des-
halb Betrachtungen zu Managertypen an Bedeutung, um für die Führung einer Spar-
te oder die Besetzung eines Bereiches mit Bereichsleiter und unterstützenden Abtei-
lungsleitern Gesamtbetrachtungen der Managementeffizienz anzustellen und für ein
ausgewogenes Personal-Portfolio zu sorgen (siehe Abbildung 9). Dabei kommt es
insbesondere darauf an,
• in jedem Bereich eine hohe Analysekompetenz einerseits und eine hohe zwi-
schenmenschliche Kompetenz andererseits sicherzustellen. Das Idealbild des dreidi-
mensionalen Hochkompetenz-Managers (hohe Analysekompetenz, hervorragende
zwischenmenschliche Kompetenz, extreme Leistungsmotivation) ist selten zu finden
• die gegenseitigen Schwächen starker Analyse mit begrenztem zwischenmenschli-
chen Handlungsspektrum und umgekehrt durch entsprechende Managementteams
zu kompensieren
• eine hohe Handlungsorientierung und Entscheidungsfreude etwa durch einen Ma-
cher-orientierten Manager oder durch einen Visionär mit entsprechender Organisa-
tions- und Analysekompetenz zu unterlegen
• auf der Ebene des Top-Managements eher Macher, Analysierer und Visionäre zu
repräsentieren (und weniger Organisierer oder kreative Individualisten)
• den Anteil der sogenannten Anpasser in allen Führungsbereichen gering zu halten
(und keinesfalls beispielsweise als Projektleiter in Change-Projekten einzusetzen)
• die Bedeutung von organisations-orientierten Führungskräften nicht zu überschät-
zen, da gerade in autonomen Arbeitsteams viele Organisations- und Steuerungsauf-
gaben günstiger und flexibler durch die Teams selber übernommen werden
• die Personalentwicklung über differenzierte Anforderungsprofile hinaus auch auf
den pragmatischen Managertypus zu übertragen und hier den deutlichsten
Schwachpunkt (beispielsweise Analyse- oder Macher-Orientierung) zum Verände-
rungsschwerpunkt für das nächste Jahr zu definieren.
Ein weiteres Merkmal eines Management-Audits ist, dass es eher flächendeckend
durchgeführt wird – insbesondere bei allen Mitarbeitern, die derzeitig eine Steue-
rungsverantwortung ausüben. Die Wichtigkeit wird durch ein Projektbeispiel des Au-
tors verdeutlicht, der im Jahr 1995 in einem 400 Millionen DM Industrieunternehmen
im Auftrag der Holding die 3 Geschäftsführer, die 10 Bereichsleiter und 30 Abtei-
lungsleiter im Rahmen von vierstündigen Interviews analysiert hat. Abbildung 10
zeigt das Ergebnisprofil des Geschäftsführers Vertrieb, der beim Aufsichtsrat und in
der Holding sicherlich kein uniform positives Ansehen hatte, über Standing und
Selbstbewusstsein sowie auch Seniorität und bisherige Berufserfahrungen allerdings
in seiner Positionierung nicht gefährdet war. Die Umsatzentwicklung in den meisten
Sparten des Unternehmens war unbefriedigend, wurde jedoch sehr stark auf stagnie-
rende Märkte und den internationalen Wettbewerb mit niedrigeren Produktionskosten
in Asien zurückgeführt. Das Profil zeigt nun das Bild eines sehr durchsetzungsorien-
tierten Einzelkämpfers, der nach absolut traditionellen Managementgrundsätzen ar-
98 Walter Jochmann

Abbildung 9: Ebene Management-Team: Komplementarität im Management

beitet, intuitiv entscheidet und sehr wenig über Stärken und Schwächen der eigenen
Person und des Unternehmens reflektiert. Es gab hervorragende Einzelverbindungen
zu Kunden – wobei zunehmend die Zielgruppe der älteren und zudem sehr traditionell
arbeitenden Partner „auf der anderen Seite des Geschäftes“ dramatisch abnahm. Deut-
lich überbetont wurden in der Vergangenheit die sicherlich vorhandene Leistungs-
motivation, absolute Einsatzbereitschaft, Loyalität und das Denken in expansiven ge-
schäftlichen Zielen. Insgesamt wird das absolute Gefahrenpotential deutlich, welches
in einer derartigen personellen Besetzung liegt, bei der keineswegs nur durch das Al-
ter bedingt (55 Jahre), sondern primär durch die Einzelgänger-orientierte Dynamik
und Konfliktstärke die Prognose für Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit (sie-
he dazu auch den sehr schwachen Wert in der strategischen Kompetenz und somit im
Analysevermögen) deutlich begrenzt ist. Die Schlussfolgerungen aus diesem Ergebnis
wurden durch die Holding derart gefasst, dass der Geschäftsführer aus der Linie her-
ausgenommen wurde und jetzt interne Restrukturierungsprojekte als Berater begleitet,
bei denen es auf Konsequenz und Durchsetzungsstärke, auf die Arbeit im Detail und
die persönliche Belastbarkeit ankommt. Die Gesamtauswertung derartiger Einzelpro-
file ließen in diesem Unternehmen viele weitere personelle und organisatorische Maß-
nahmen entstehen, die den Prozess der Neuausrichtung sinnvoll unterstützen konnten.
Beispielsweise wurden
• jüngere Kundenmanager identifiziert, die in der neu geschaffenen Funktion eines
Key-account-Managers oder eines Product-Managers eingesetzt wurden
• die Abbauentscheidung der Abteilungsleiter-Ebene um 40 Prozent evaluiert, um
die wirklich überzeugenden Führungskräfte zu halten und von den weiteren bishe-
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 99

rigen Abteilungsleitern einige in Spezialisten- und Projektleiterfunktionen zu über-


führen, andere in eine Outplacement-Maßnahme zu leiten
• in 15 Prozent der Zielpositionen gezielt externe Besetzungen eingeleitet, um vor-
handene Schwächen in der Strategie und der Kundenorientierung durch Personen
aus Vorbildunternehmen mit dem sogenannten schnellen Umsetzungserfolg anzu-
streben (die sich im Übrigen im Rahmen ihrer Einstellung dem identischen struktu-
rierten Audit-Interview unterzogen haben)
• Korridorthemen und abgeleitete Teilprojekte definiert, die vor dem Hintergrund
der Unternehmenskultur ganzheitliche Defizite darstellten (beispielsweise Kun-
denorientierungs-Teilprojekt, Definition von Prozess- und Servicekriterien, profes-
sionelles Kundenmanagement und Clienting-Programm)
• die wichtigen internen Kunden-Zuliefer-Verbindungen in den jeweiligen Gruppen
erarbeitet, um langgehegte Unzufriedenheiten oder unausgesprochene Anforderun-
gen explizit zu machen und mit konsequenten Aktionsplänen zu unterlegen.
Im Extremfall kann die Methodik des Management-Audits auf alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eines Unternehmens übertragen werden, um somit zu ebenenorien-
tierten Profilen für jede Funktion zu gelangen. Der Autor verfügt über Erfahrungen,
um Einheiten von mehreren tausend Mitarbeitern im Rahmen eines halbjährlichen Be-
urteilungsprogramms auf eine völlig neu gestaltete Aufbauorganisation (neu geschaf-
fene Positionen, Umschichtungen in der Anzahl benötigter Funktionen) auszurichten.
Unter Verfügbarkeit von Funktions- und Anforderungsprofilen für neu geschaffene
Funktionen oder Berufsbilder lassen sich mit einem der Bedeutung der Positionen ent-
sprechenden Beurteilungsmix (ausschließlich Bewerbungsfragen, Fragebogen und In-
terview, vertieftes Interview mit Teil-Assessment, kompletter Einzel-Assessment-An-

Abbildung 10: Ergebnisprofil Management-Audit, Geschäftsführer


100 Walter Jochmann

satz) wesentliche Informationsbausteine zu den Potentialen und Veränderbarkeiten er-


heben, um sequentiell im Top-down-Ansatz die wichtigen Funktionen zu besetzen.
Diese Besetzungskonferenzen werden von den zukünftigen Führungskräften mitge-
staltet, damit sie auf den Aufbau ihrer Mitarbeitergruppe Einfluss ausüben können. Es
muss allerdings ebenfalls sichergestellt werden, dass die Zugriffskompetenzen gleich-
berechtigt zwischen den Abteilungen aufgeteilt werden (sonst suchen sich die Top-
Führungskräfte auch die besten Mitarbeiterteams aus, sodass überdeutliche Defizite in
anderen Bereichen entstehen). In Zweifelsfällen oder bei möglichen Doppelbewer-
bungen für eine Zielposition liefern die Ergebnisse des Management-Audits oder des
Mitarbeiter-Audits die notwendigen Details, um über die Eigenbewertung oder die
unternehmensinterne Einschätzung des Mitarbeiters hinaus den wirklich optimalen
Entscheidungsmix zu erzielen.

6. Ein Ausblick
Die Beurteilung der heutigen und potentiellen Führungs- und Steuerungsressourcen
im Unternehmen ist ein entscheidendes Instrument, um einen wirklichen betrieblichen
Überlebensfaktor zu aktivieren. Sie rückt damit von einer klassischen Permanentauf-
gabe des Personalleiters/des Personalmanagers hin zu einer Funktion des kaufmänni-
schen Vorstandes/der kaufmännischen Geschäftsführung, die insbesondere vor oder
im Rahmen von Change-Projekten als Sondermaßnahme zur Pflicht wird. Angesichts
der immensen Kosten von weitreichenden Veränderungsprojekten (Personalumbeset-
zung, Beraterkosten, DV-Neuausrichtung, Kundenbefragungen und Marktanalysen
etc.) erweist sich das Investment in die Erhebung der derzeitigen Personalpotentiale
als überschaubar. Abbildung 11 verdeutlicht die Aufgabe der betriebswirtschaftlichen
Allokation von Personalressourcen, die sich bei jeder tiefgreifenden Veränderung der
Unternehmensstrategie mit resultierenden Veränderungen in der Aufbau- und Ablauf-
organisation ergibt.
Anders als in früheren Jahren ist die methodische Ausgestaltung der Beurteilung, etwa
im Rahmen von Interviews oder Assessment-Centers, sekundär. Sie orientiert sich an
den Zielprofilen, an den zur Verfügung stehenden zeitlichen und finanziellen Ressour-
cen. Sicherlich sind die verhaltensorientierten Ansätze des Assessment-Centers zu be-
vorzugen, wenn der höhere zeitliche Aufwand und die Teilnehmerakzeptanz aufge-
baut werden können. Allerdings sollten auch die elaborierten interviewgestützten An-
sätze nicht vernachlässigt werden, wenn auch auf der Top-Ebene und unter absolutem
zeitlichen Druck eine Orientierung für personelle Umsetzungsmaßnahmen geschaffen
werden muss. Aus der Sicht des Autors wird die weitere Entwicklung der Beurtei-
lungsmaßnahmen nur sekundär über Durchführungstechniken und methodische Vari-
anten bestimmt. Sicherlich gibt es Entwicklungen in der multimedialen Ausgestaltung
von Fragebögen und AC-Bausteinen, die adaptiv auf vorangegangene Antworten/Ver-
haltensweisen und somit Qualifikations-Zwischenstände des Kandidaten eingehen.
Insgesamt sieht der Autor den Einsatz der modernen DV allerdings in der Gestaltung
von Qualifikations- und Lerntools in dem Mix aus Fach- und Verhaltensinhalten als
noch interessanter an. Entscheidender wird für die Beurteilungsverfahren das Design
Mitarbeiter-Potenzialanalysen und Management-Audits 101

Abbildung 11: Reallokation einer Personalstruktur

der Anforderungsprofile sein, um die sich wirklich verändernden Arbeitsweisen auf


den Dreiklang von Persönlichkeit, Verhalten und Fach-Know-how umzusetzen. Dabei
sollte das Instrument des Personalreviews mit resultierenden Personal-Portfolios kon-
sequenter als bisher umgesetzt werden und mit intelligenten Beurteilungsinformatio-
nen gefüttert werden, um im Idealfall permanent eine hohe Transparenz über die be-
stehende Personalstruktur vorzuhalten.

Literatur
Berth, R. (1994). Aufbruch zur Überlegenheit. Düsseldorf
Cronbach, L./Gleser, G. (1965). Psychological Tests and Personnel Decisions, Chicago
Doppler, K./Lauterburg, C. (1994). Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten.
Frankfurt/Main
Gerpott, T. (1985). Training von Beurteilern zur Verbesserung von Leistungsbeurteilungsprozessen
in Organisationen, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 29, S. 116–127
Gouillart, F./Kelly, J. (1995). Business Transformation, Wien
Jochmann, W. (1988). Fundierte Führungskräfte-Beurteilung durch Einzel-Assessments, in: Personal-
wirtschaft, 4, S. 183–187
Jochmann, W. (1991). Einzel-Assessment und Assessment-Center im Methodenvergleich, in: Per-
sonalführung, 4, S. 262–270
Jochmann, W. (1994). Trends zur Optimierung und Veränderung von Beurteilungsinstrumenten für
Führungskräfte, in: Kienbaum, J. (Hrsg.): Visionäres Personalmanagement. 2. Auflage, Stuttgart,
S. 71–97
102 Walter Jochmann

Jochmann, W. (1995a). Einbindung von Management-Diagnostik in Ziele und Strategien von Un-
ternehmungen, in: Sarges, W. (Hrsg.): Management-Diagnostik, Göttingen, S. 22–31
Jochmann, W. (1995b). Moderne Personalarbeit als integraler Bestandteil des Change Manage-
ments, in: Jochmann, W. (Hrsg.): Personalberatung intern, Göttingen, S. 186–208
Jochmann, W. (1996). Optimierung von Geschäftsprozessen im Personalbereich, in: Kienbaum, J.
(Hrsg.): Benchmarking Personal. Stuttgart
Obermann, Chr. (1992). Assessment-Center. Wiesbaden
Sattelberger, T. (1996). Human Resource Management in der flachen Organisation. In: Sattelberger,
T. (Hrsg.): Human Resource Management im Umbruch, Wiesbaden, S. 80–113
Sonntag, K. (1996). Lernen im Unternehmen, München
Thienel, A. (1994). Mit Total Quality Management zu kundenorientierten, schlanken Unternehmen,
in: Skirl, S./Schwab, U. (Hrsg.). Das Ende der Hierarchien, Wiesbaden, S. 171–186
Thienel, A. (Hrsg.) (1996). Professionelles Qualitätsmanagement in Dienstleistungsunternehmen,
Berlin
Das Einzel-Assessment als Baustein
der Führungskräfteentwicklung
Siro Spörli/Fred W. Schmid

1. Einleitung
2. Das Assessment als „best effort“
3. Die diagnostischen Ziele eines Führungskräfte-Assessments
3.1 Analytische und konzeptionelle Problemlösungsfähigkeit
3.2 Initiatorische und belastbare Dynamik
3.3 Anpassungs- und durchsetzungsfähiges Kontaktvermögen
4. Das psychologische Assessment als Objektivierungshilfe
5. Der professionelle Beurteiler als Anwalt des Realitätsprinzips
6. Grenzen psychodiagnostischer Erkenntnismöglichkeiten
7. Das Assessment als Seismograph von Stilmomenten
8. Psychologische Beurteilung für, nicht gegen den Kandidaten
9. Das Einzel-Assessment im Vergleich mit anderen Erfassungsmethoden
9.1 Vorstelungsgespräch
9.2 Graphologie
9.3 Assessment-Center

1. Einleitung
Unternehmen unterschiedlichster Größen und Branchen machen seit vielen Jahren
Gebrauch von der Möglichkeit, interne oder externe Kandidaten für Führungspositionen
von psychologischen Spezialisten auf ihre Eignung hin beurteilen zu lassen. Kandida-
ten stellen sich solchen Abklärungen hie und da mit unterschwelligem Gefühlszwie-
spalt, vereinzelt auch Widerstand. Solche Regungen sind durchaus nachvollziehbar
und verlangen eine Klarstellung des Was, Wie und Wozu eines Führungskräfte-
Assessments. Die Autoren pflegen sich im einleitenden Gespräch folgendermaßen zu
legitimieren:

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_8,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
104 Siro Spörli/Fred W. Schmid

2. Das Assessment als „best effort“

Beide Autoren sammelten ihre ersten diagnostischen Ausleseerfahrungen im Selektions-


dienst der Swissair. Schon damals wich die Fachbegeisterung einer gewissen Ernüchte-
rung über die Krückenhaftigkeit psychologischer Erfassungswerkzeuge. Im Psycholo-
genteam pflegte man scherzhaft zu sagen: Eigentlich ist der wahre Test das Leben selbst;
also lassen wir sämtliche Kandidaten zur Ausbildung zu; wir lassen sie die aufwändige
Grundschulung absolvieren und ziehen sie dann in der praktischen Weiterbildung über
die verschiedenen Flugzeugmuster hoch, bis sie als Jumbo-Captain mit mehreren hun-
dert Passagieren zum ersten Atlantikflug starten. Einzelne Kandidaten werden eines Ta-
ges mit ihren Passagieren abstürzen; sie haben den Test nicht bestanden!
So scherzhaft absurd dieser Gedankengang anmuten mag, zeigt er doch, was es ei-
gentlich mit psychologischen Testverfahren auf sich hat: Sie versuchen die verheeren-
de Kosten-Nutzen-Relation zu umgehen, die mit dem „vollen Realitätstest“ verknüpft
wäre. Tests sind Versuche, Lebensrealität zu simulieren, und zwar unter möglichst
kontrollierten und standardisierten Bedingungen, wobei evident ist, dass die Simula-
tion stets nur ausschnitt- und näherungsweise erfolgen kann. Dies hängt nicht nur mit
Machbarkeitsgrenzen bei der Herstellung der „Welt in der Nussschale“ zusammen,
sondern auch mit Wünschbarkeitsgrenzen: Offensichtlich wäre ja ein Test seinerseits
um so aufwändiger, je mehr er der konkreten Bewährungswirklichkeit angenähert
wäre; das testmäßige Können eines Kandidaten wäre erst nach langem Schulungs-
und Trainingsaufwand beurteilbar. Der Testkonstrukteur steht hier vor einem grundsätz-
lich unüberwindbaren Dilemma zwischen Treffsicherheit und Ökonomie eines Tests:
Wirklichkeitsnähe bedeutet Aufwand, Aufwandersparnis bedeutet Verlust an Voraus-
sagekraft des Tests. Viele Kandidaten und manche Auftraggeber neigen im ersten Mo-
ment zur Auffassung, ein etliche tausend Mark kostendes, den Kandidaten einen
ganzen Tag und den Gutachter bei der Testauswertung und Berichterstattung ein bis
zwei zusätzliche Tage beanspruchendes Führungskräfte-Assessment sei ein erhebli-
cher Umtrieb. Recht besehen ist es aber der gerade noch vertretbare Minimalaufwand,
wenn man einen „best effort“ in einem komplexen Beurteilungsproblem mit folgen-
den diagnostischen Zielrichtungen anstrebt.

3. Die diagnostischen Ziele eines


Führungskräfte-Assessments
Zwar ist klar, dass es in der Vielfalt möglicher Firmenkulturen und Positionsanforde-
rungen viele Wege zu Managementerfolg bzw. -misserfolg gibt. Deshalb ist die sorg-
fältige Analyse der Positionsanforderungen – mit Einschluss aller klimatischen Um-
feldströmungen – eine unerlässliche Voraussetzung für kompetente Führungskräftebe-
urteilung.
Auf der anderen Seite führt die jahrzehntelange Beschäftigung mit unterschiedlichen
Klientenfirmen und Kandidatenpersönlichkeiten doch auch zur Uberzeugung, dass es
Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfteentwicklung 105

ungeachtet aller Anforderungsvielfalt gewisse eignungspsychologische „Urkonstan-


ten“ gibt, gleichsam psychische Säulen, auf denen Erfolg in höherer Führungs-
verantwortung ruht. Man stößt immer wieder auf wenige Grundkategorien, die schon
seit alter Zeit als Kernfaktoren menschlichen Formats bekannt sind. Es scheinen im
Wesentlichen drei Fähigkeits- und Einstellungskomplexe zu sein, die in unternehmeri-
scher Führungsverantwortung beansprucht werden; jeder dieser drei Komplexe hat
zwei gegenpolige Teilkomponenten, die in möglichst günstigem Mischungsverhältnis
ausgeprägt sein sollten:

3.1 Analytische und konzeptionelle Problemlösungsfähigkeit


Ganz unabhängig davon, mit welchen speziellen Fachinhalten sich der arbeitende
Mensch befasst, geht es immer in irgendeiner Weise um die Lösung anstehender Pro-
bleme. Ein Entwicklungschemiker hat im Prinzip genauso wie ein Marketingleiter
Aufgaben zu lösen, bei denen es einmal auf Problemanalyse und Lagebeurteilung an-
kommt. Bevor einem Auswege aus einer Schwierigkeit einfallen können, muss man
sie überhaupt erst einmal, und zwar früh genug, als solche erfassen. Natürlich ist es
nicht getan mit der pauschalen Feststellung einer Ist-Soll-Abweichung; vielmehr sind
deren Ursachen möglichst präzise und tiefgründig aufzuklären. Dann allerdings muss
das analytische Denken durch Kreativität abgelöst werden, es müssen zweckmäßige
Maßnahmen zur Behebung des Mangelzustandes konzipiert werden. Fast immer ist
dabei mehr gefordert als ein genialischer Einfall; in der Regel müssen mehrere hypo-
thetische Lösungsstrategien entwickelt und auf die Aus- und Nebenwirkungen hin be-
dacht werden.

3.2 Initiatorische und belastbare Dynamik


Viele weitreichende Problemlösungsideen zerbröckeln an den Widerständen, die ih-
nen eine veränderungsfeindliche Umwelt entgegenstellt. Wer im Weltenlauf etwas be-
wegen will, muss Anstöße geben. Es gibt viel emsigen Fleiß, dem dennoch unterneh-
merische Stoßkraft fehlt, weil er Herausforderungen nur re-aktiv beantwortet und es
unterlässt, soweit wie möglich schon dem Entstehen von Problemzuständen entgegen-
zuwirken. Initiative im Handeln entspricht der Voraussicht im Erkennen: In beiden
Fällen geht es um ein Vorgreifen auf Zukünftiges und um ein Rechnen mit Mögli-
chem. Dabei darf visionäre Sicht nicht zu Utopistik, alarmierbare Wachheit nicht zu
Hektik, ideenreicher Enthusiasmus nicht zu Strohfeuerhaftigkeit degenerieren; Initia-
tive muss gepaart sein mit Ausdauer. Freilich muss und darf ein Manager nicht alles
selbst machen; echte Delegationsfähigkeit ist aber mehr als Abneigung gegen Detail-
arbeit; die Sache darf für den Feldherrn nicht gelaufen sein, wenn er die Truppen ins
Feld geschickt hat; die sprichwörtliche 3-K-Maxime umfasst bekanntlich außer dem
Kommandieren auch noch die ebenso wichtigen Belange des Kontrollierens und des
Korrigierens. Damit stößt man – last but not least! – auf die dritte Fundamentalfähig-
keit einer Führungskraft:
106 Siro Spörli/Fred W. Schmid

3.3 Anpassungs- und durchsetzungsfähiges Kontaktvermögen


Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei, da man sich Vorgesetztenformat militaris-
tisch als gehorsamerzwingende Autorität vorstellte. Es war recht besehen schon im-
mer so, gewinnt aber unter dem Einfluss von egalitären Denkweisen vermehrt Beach-
tung, dass wirkungsvolle Führung vor allem geschicktes Motivieren und Fördern von
Mitarbeitern verlangt; dies wiederum setzt die Fähigkeit und die Bereitschaft voraus,
sich in Partner einzufühlen und ihren Problemen und Bedürfnissen ein Stück weit
Rechnung zu tragen. Nicht nur Zusammenarbeit mit Gleich- und Höhergestellten,
sondern auch Führung verlangt also ein Stück Anpassungsbereitschaft und -elastizität.
Allerdings würde solche Elastizität zur Rückgratlosigkeit verkommen, wenn sie nicht
ergänzt würde von einer gesunden Dosis Durchsetzungsrobustheit. Auch im Zeitalter
partizipativer Managementphilosophie führt nichts an der Notwendigkeit vorbei, dass
nach allen Anhörungen und Diskussionen mutige Kapitänsentscheide den Kurs des
Schiffes bestimmen müssen.

4. Das psychologische Assessment als Objektivierungshilfe

Im Falle interner Besetzungsentscheidungen trifft der Führungskräftebeurteiler nicht


selten auf gestandene Manager, die der Organisation schon lange Jahre angehören und
denen das Ansinnen, sich einem Assessment zu unterziehen, den verwunderten Ausruf
entlockt: „Meine Vorgesetzten müssten mich doch inzwischen durch und durch ken-
nen!“ Diese Reaktion ist zwar begreiflich, verkennt aber den mit einem Assessment
erzielbaren Objektivitätszuwachs:
Ähnlich der „diplomatischen Immunität“, die ausländische Botschafter vor gesetzli-
chem Zugriff bewahrt, verfügt der Managerbeurteiler kraft seiner Außenposition über
eine „diagnostische Immunität“, die ihn vor unprofessionellen Urteilsverzerrungen
schützt. Er ist nicht nur beurteilungskundig, sondern vor allem auch unabhängig, weil
er nicht eingebunden ist in das soziale Beziehungsnetz mit seinen vielschichtigen po-
litischen Strömungen und dazugehörigen unterschwelligen Abhängigkeiten, Koalitio-
nen und Rivalitäten. Mit wissenschaftlich untermauerten Mitarbeiterbeurteilungssy-
stemen versucht man zwar solche Einflüsse in Grenzen zu halten; die wechselseitige
Involviertheit aller Beteiligten setzt solchen Objektivierungsbemühungen indessen
verhältnismäßig enge Grenzen.
Betriebsinterne Beurteilungen kranken aber nicht nur am „menschlich Allzumenschli-
chen“; ihre Hauptschwäche besteht darin, dass sie Bewährung immer unter positions-
spezifischen und damit einseitigen Anforderungen registrieren. Schlummernde Mitar-
beitertalente können in einem Unternehmen jahrzehntelang unerkannt bleiben, weil
diese Talente von den konkreten Anforderungen nie „abgefragt“ werden. Umgekehrt
können auch Schwächen über lange Zeit unerkannt bleiben, weil sie sich im konkreten
Anforderungsfeld nicht auswirken; wenn sie unter erhöhten Beanspruchungen plötz-
lich sichtbar werden, hat das Peter-Prinzip wieder einmal seine Wirkung getan. Ein
noch so abschlussstarker Verkäufer ist nicht unbedingt auch ein fähiger Verkaufsleiter,
Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfteentwicklung 107

und ein noch so kreativer Entwicklungsingenieur ist nicht ohne Weiteres ein effizien-
ter Forschungsmanager. Ähnlich wird eine Führungskraft, die in Mitteleuropa Erfolg
gehabt hat, diesen nicht zwingend in Japan oder Brasilien wiederholen können.
Man kann dieses Problem in versuchsstatistischen Begriffen formulieren: Sowohl die
Berufswirklichkeit wie die Eignungstest-Situation fordern dem Individuum Stichpro-
ben seines Verhaltensrepertoires ab. Sie tun dies aber in unterschiedlicher Weise: Be-
rufswirklichkeitsstichproben sind zwar in der Regel intensiver, aber bedeutend weniger
extensiv als testsituative Verhaltensstichproben. Ein gut konzipiertes und durchge-
führtes psychologisches Assessment lotet in aller Regel ein viel breiteres Fähigkeits-
und Persönlichkeitsspektrum aus als ein einzelner Job. Das Assessment erlaubt deshalb
Eignungsprognosen für unterschiedlichste Positionsanforderungen; es kann sowohl
schlummernde Talente wie Peter-Prinzip-Gefahren ermitteln.

5. Der professionelle Beurteiler als Anwalt


des Realitätsprinzips
Ein Führungskräfte-Assessment ist kein examenhaftes Nadelöhr, an dem sich der Zu-
gang zu beruflichen Paradiesen entscheidet, sondern ein menschen- wie aufgabenkun-
diger und verantwortungsbewusster Beitrag zu einem Dialog mündiger Verhandlungs-
partner, die darüber nachdenken, ob ein gemeinsamer Zukunftsschritt sinnvoll sei.
Auch für Manager gilt, dass der Mensch in jener Lebensnische am zufriedensten und
gleichzeitig am leistungsfähigsten ist, die seinem Wesenszuschnitt möglichst gut ent-
spricht. Ein modernes Führungskräfte-Assessment dient also nicht nur dem Unterneh-
men, das seine „human resources“ möglichst gut ausschöpfen will, sondern es hilft
auch dem Beurteilten bei der Abstimmung zwischen seinem Neigungs- und
Fähigkeitsprofil und einer chancenbietenden, aber auch klippenreichen Umwelt.
Die Annäherung an so stolze Erkenntnisziele stellt allerdings hohe fachliche und
menschliche Ansprüche an den Beurteiler: Ganz besonders wichtig ist es für die Ver-
antwortbarkeit seines Tuns, dass er sich auch kritisch auseinandersetzt mit den Gren-
zen psychodiagnostischer Erkenntnismöglichkeiten.

6. Grenzen psychodiagnostischer Erkenntnismöglichkeiten


Imitationswelten im Nussschalenformat weisen wie erwähnt den Nachteil auf, dass sie
Wirklichkeit nur ausschnitt- und näherungsweise abbilden können. Die mit einer gut
zusammengestellten Testbatterie erzielbare Verhaltensstichprobe ist zwar insgesamt
meist um einiges repräsentativer als die aus den bisherigen Job-Bewährungen ables-
bare; niemand weiß aber besser als der professionelle Testkonstrukteur und -anwen-
der, dass, bezogen auf einen konkreten, aber noch außerhalb des Erfahrungsbereiches
des Probanden liegenden Zielberuf, die Wirklichkeitstreue der Verhaltensabbildung
im Test stets einige Wünsche offen lässt. Das Problem lässt sich grafisch folgender-
maßen veranschaulichen:
108 Siro Spörli/Fred W. Schmid

Abbildung 1: Partielle Übereinstimmung der Anforderungen in Test und Realität

Nur im Bereich B besteht jene anforderungsstrukturelle Übereinstimmung zwischen


Test (etwa ein wirtschaftspolitisches Planspiel) und realer Anforderung (Konzipieren
von Unternehmensstrategien), welche eine Voraussage vom Testergebnis auf künftige
Berufskompetenz erlaubt. Im Bereich A sind dagegen bloß testsituative Anforderun-
gen enthalten, welche in der Berufswirklichkeit keine Rolle spielen, während der Be-
reich C diejenigen Anforderungen umfasst, die mit dem Test nicht vorhergesagt oder
vorausgesehen werden können (darunter nicht zuletzt diejenigen zufälligsituativer
Art).
Es gibt zweifellos Menschen, die infolge von Examensangst Schwierigkeiten damit
haben, in einer auch nur von ferne an eine Prüfung erinnernden Situation ihre Leis-
tungsmöglichkeiten unverkrampft zu mobilisieren. Allerdings wird man gerade von
einer Führungskraft erwarten dürfen, dass sie sich auch unter Rampenlicht-Bedingun-
gen mit hinreichender Souveränität zu bewegen versteht. Man wird aber bei besonders
prüfungsängstlichen Kandidaten doch sehr sorgfältig abwägen müssen, wie weit die
von ihnen produzierten Testresultate zum Nennwert genommen werden können.
Das klassische Einzel-Assessment weist ferner einen gewissen „intellectual bias“ auf.
Im Unterschied zum Assessment-Center – das aber aus Diskretionsgründen auf den
höheren Stufen und in kritischen Ausscheidungssituationen oft gerade deshalb nicht
anwendbar ist – setzt es den Kandidaten keinem Gruppengeschehen aus. Die soziale
Dimension ist auf den Dialog mit dem Interviewer und die Zusammenarbeit mit dem
Testassistenten reduziert; dieser legt dem Kandidaten im Anschluss an das vom Bera-
ter geführte, zwei- bis dreistündige Explorationsgespräch eine Anzahl schriftlicher
Aufgaben vor, die in konzentrierter „desk“-Arbeit bewältigt werden müssen. Anders
als im Berufsalltag hat der Kandidat keine Gelegenheit, seine Konzepte im „geistigen
Pingpong“ mit Partnern zu entwickeln; es gibt keine Möglichkeit zur Delegation von
Teilaufträgen und zur Beschaffung zusätzlicher Informationen. Dies alles sind Re-
striktionen, die unterschiedliche Kandidatenpersönlichkeiten vor sehr unterschiedli-
Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfteentwicklung 109

che Probleme stellen: der gestandene Betriebspraktiker hat in der Regel mehr Mühe
als der case-study-trainierte Jungakademiker, sich mit denksportlicher Gewandtheit
auf die Papier-Bleistift-Tests einzustellen; ein ausschließlich front- und kundenorien-
tierter Marketingmann findet wohl weniger Möglichkeiten als ein auch über Stabser-
fahrung verfügender Kollege, im Testfeld seine besonderen Stärken zur Geltung zu
bringen; und ein autonomiehungriges Pioniernaturell mag sich an der engmaschigen
Reglementiertheit einzelner Testanordnungen stoßen.
Solche Affinitätsunterschiede beschwören zweifellos Irrtumsgefahren herauf. Der er-
fahrene diagnostische Könner weiß sie allerdings zu reduzieren, ja er macht sogar in
gewisser Weise aus der Not eine Tugend.

7. Das Assessment als Seismograph von Stilmomenten


Jeder Führungskräfte-Beurteiler hat schon Fälle von der Art erlebt, dass ein akade-
misch hochdekorierter Mathematiker bei Rechentestaufgaben kläglich versagt. Es
wäre in einem solchen Fall fraglos völlig kurzschlüssig gedacht, das Testresultat als
Indikator für so etwas wie mangelnden Zahlenverstand zu interpretieren. Es wäre aber
ebenso falsch, es einfach als „Testartefakt“ unter den Teppich zu kehren. Interessant
und ergiebig wird Diagnostik dann, wenn man zu fragen beginnt, wie gerade dieses
Individuum in gerade dieser Testsituation zu gerade diesem Verhalten kam. Für das
genannte Beispiel mag die naheliegendste Interpretationshypothese lauten, im Com-
puter-Zeitalter hätten selbst Mathematiker das Kopfrechnen verlernt. Es könnte aber
auch sein, dass das schlechte Testresultat Ausfluss einer dünkelhaften Überheblichkeit
war, die es für unter ihrer Würde liegend hielt, sich mit „so doofem Gymnasiasten-
kram“ abzugeben. Solches Testverhalten würde dann freilich eine Reaktionsbereit-
schaft signalisieren, die durchaus als zum persönlichen „make-up“ dieses Kandidaten
gehörig einzustufen und auf ihre möglichen Auswirkungen in der betrieblichen Um-
welt zu hinterfragen wäre.
An solchen Beispielen, die beliebig vermehrt werden könnten, wird klar, wie schwie-
rig psychodiagnostische Urteilsbildung im Einzelfall sein kann. Sie bewegt sich auf
einem schmalen Grat zwischen Messen und Deuten. Mit Sicherheit wachsen die
„Überlebenschancen“ bei dieser schwierigen Gratwanderung, wenn der Gutachter
Folgendes zutiefst beherzigt und dem Kandidaten glaubwürdig vermitteln kann:

8. Psychologische Beurteilung für, nicht gegen


den Kandidaten
Viele testängstliche Kandidaten, aber leider immer wieder auch mit der Materie noch
wenig vertraute Auftraggeber sprechen das Assessment mehr oder weniger explizit als
Entlarvungs-Instrument an, von dem man befürchtet bzw. erhofft, es werde die Schutz-
haltungen des Geprüften unterlaufen und seine intimsten Schwächen ans Tageslicht
zerren. Leider ist nicht zu verleugnen, dass auch in der wissenschaftlichen Psychodia-
110 Siro Spörli/Fred W. Schmid

gnostik da und dort noch unausgesprochene Vorstellungen dieser Art herumgeistern.


Sie sind mit Nachdruck zu bekämpfen; unter solchen Vorzeichen wären Tests ein Weg,
auf dem man dem Menschen im Probanden mit Sicherheit nicht begegnen würde. Es
gibt zum Glück eine ganz andere Art, Tests anzuwenden; sie sind dann gleichsam
„Fortsetzung des Gesprächs mit anderen Mitteln“. Kennzeichnendes Merkmal dieser
Vorgehensweise ist die Bereitschaft des Gutachters, nicht nur seinen Auftraggeber, son-
dern mindestens so umfassend auch den Kandidaten selber über die Testergebnisse und
die sich daraus ergebenden Interpretationen, Vermutungen und Fragen zu informieren.
Zu den ehernen Bestandteilen eines ethisch vertret- und verantwortbaren Führungs-
kräfte-Assessments gehört das Angebot eines ausführlichen (oft mehrstündigen) Feed-
back-Gesprächs. Es dient dem Kandidaten zur Überprüfung seines Selbstbildes und
kann oft Anstöße vermitteln zur Entwicklung eines nuancierteren Selbstverständnisses
und zum Ausprobieren noch wesensgemäßerer Entfaltungsmöglichkeiten.
Ein Feedback-Gespräch, das sich positiv auf den Kandidaten einstellt, hat nicht das ge-
ringste mit doppelzüngiger Schönfärberei von Mängelbefunden zu tun. Gewiss wird
sich der Berater bemühen, dem Kandidaten problematische Wesensseiten in möglichst
wenig kränkender Form vor Augen zu führen. Dies hindert aber nicht, dass er als „An-
walt des Realitätsprinzips“ die Dinge nüchtern beim Namen nennt. Es ist immer wieder
erstaunlich und erfreulich festzustellen, wie positiv die Resonanz der Beurteilten auf
konstruktive Kritik ist. Wenn ein Kandidat spürt, dass sein Beurteiler sich darum
bemüht, ihn in seinem – auch weniger gelungene Lebensbewältigungsversuche umfas-
senden – Gewordensein zu verstehen, ist er in aller Regel in hohem Maße bereit, sich
selbstkritisch zu hinterfragen. Das Feedback-Gespräch wird so auch für den Berater
häufig zum schönsten und menschlich befriedigendsten Teil seiner Tätigkeit.

9. Das Einzel-Assessment im Vergleich mit anderen


Erfassungsmethoden
Die hier geschilderte Beurteilungspraxis ist für die sie Ausübenden wie auch für ihre
Auftraggeber aufwändig und anspruchsvoll. Dies schlägt sich nicht nur in Honorarno-
ten nieder, sondern vor allem auch in Beurteilungsberichten, die vom auftraggebenden
Empfänger eine hohe Bereitschaft zu nuancierter Verstehensarbeit verlangen.
Beide Aufwandaspekte führen bei geplagten Personalverantwortlichen hie und da
zum Stoßseufzer: „Es müsste doch einfachere Verfahren geben, sich einen hinreichen-
den Eindruck über die Eignung eines Kandidaten zu verschaffen!“ Einfachere Verfah-
ren gibt es in der Tat; dem Praktiker der Personalarbeit bestens bekannt ist etwa das
altehrwürdige

9.1 Vorstellungsgespräch
Zu diesem traditionsreichen Beurteilungsverfahren existiert eine sehr umfangreiche
Literatur. Es hat manche methodische Wandlung vom freien Gespräch über die struk-
turierte Exploration bis hin zum aggressiv geführten Belastungsinterview durchge-
Das Einzel-Assessment als Baustein der Führungskräfteentwicklung 111

macht. Fraglos kann es in all seinen Schattierungen wertvolle Informationen liefern,


aber es krankt wie alle „Monomethoden“ an der Schwäche, die in der Persönlich-
keitsdiagnostik auf den Kurznenner gebracht wird: Ein Test ist kein Test! Dieser Pro-
blematik trägt das Einzel-Assessment sehr viel besser Rechnung; es ist eine „Multi-
methode“, die sich dem zu erfassenden Individuum von verschiedenen Seiten her
nähert; die auf den einzelnen Kanälen gewonnenen Informationen relativieren und
präzisieren sich gegenseitig, und darüber hinaus eröffnet sich die unschätzbare Chance,
Hypothesen über psychologische Kausalzusammenhänge im Verlauf der Untersu-
chung direkt zu überpüfen. Diesem Ziel dient nicht selten auch noch das Feed-
back-Gespräch; es ist ja kein Monolog eines sich orakelhaft gebärdenden Alleswis-
sers, sondern das Dialogangebot eines Verstehenwollenden, der nicht nur behauptet,
sondern vor allem auch fragt, und seine Deutungen selbstkritisch zu verifizieren
sucht.

9.2 Graphologie
Auch diese Methode erfreut sich trotz aller Mängel, die man ihr mit mehr oder weni-
ger guten Begründungen schon angelastet hat, gleichbleibender Beliebtheit, wohl
nicht zuletzt wegen ihrer Handlichkeit: Die Schriftbeurteilung hat den unschätzbaren
Vorteil, ohne physische Präsenz des Kandidaten Persönlichkeitseinblicke zu ge-
währen, die – wenn sie von Kennern stammen – erstaunlich nuanciert sein können.
Als „Abwesenheitsverfahren“ verleitet aber die Graphologie wie kaum eine andere
Methode zu einem „Entlarvungs-“ und „Abstempelungs“-Denken, das im Extremfall
weit von der diagnostischen Philosophie entfernt ist, wie man sie in einem Einzel-
Assessment, welches die Feuerprobe eines offenen Feedback-Gesprächs zu bestehen hat,
zu verwirklichen trachtet. Freilich bleibt durchaus Raum dafür, im Einzel-Assessment
unter anderen auch graphologische Hinweise zu registrieren; sie sind dann aber nicht
mehr und nicht weniger als alle anderen „Mosaiksteine“ relativierungs- und interpre-
tationsbedürftige Teile eines in seiner Ganzheit kritisch zu würdigenden Befund- und
Eindrucksbildes. Gerade in dieser Verknüpfung entsteht dann ein realistisches Bild
von den Leistungsmöglichkeiten und Grenzen der Graphologie, die von ihren Anwen-
dern und Konsumenten wohl ebensooft über- wie unterschätzt wird: in einer ganzheit-
lichen diagnostischen Optik zeigt sich, dass Graphologie zwar bei Weitem nicht im-
mer sichere Antworten, aber allzumal interessante Fragen und häufig auch eine weite-
re Überprüfung verdienende Hinweise zu liefern vermag.

9.3 Assessment-Center
Oberflächlich Informierte erhoffen sich vom Assessment-Center wie von anderen
Gruppenverfahren oft eine Ökonomisierung, „weil ja gleichzeitig mehrere Kandidaten
getestet werden“. Leider wird diese Erwartung in der Praxis kaum je bestätigt. Man
weiß heute, wie aufwändig die Entwicklung eines Assessment-Centers in Tat und
Wahrheit ist; dass schon die Entwicklung geeigneter Übungen und das Training der
Beobachter zahlreiche Mannmonate erfordert und dass auch die operative Durch-
führung des Programms mit erheblichen Aufwendungen verbunden ist. Ein Assess-
112 Siro Spörli/Fred W. Schmid

ment-Center ist also mit Sicherheit kein „Fertiggericht“, das nach kurzer Aufwärmzeit
auf den Tisch gebracht werden könnte, sondern es erfordert eine Auftraggeberorgani-
sation, die mit hohem „commitment“ die Institutionalisierung einer ihren Zielsetzun-
gen und ihrer Firmenkultur entsprechenden Nachwuchsförderung in Gang setzt.
Gegenüber dem Einzel-Assessment hat das Assessment-Center den unbestreitbaren
Vorteil, dass es die Teilnehmer mit vergleichsweise realitätsnahen Gruppensituationen
konfrontiert. Dies wird aber meist mit dem Nachteil geringerer Individuums-Zen-
triertheit erkauft. Letzteres gilt vor allem dann, wenn das Assessment-Center kein
vertieftes Einzelgespräch mit dem Psychologen enthält. Der verhaltensnahen Ausrich-
tung des Assessment-Centers liegt wie anderen Entwicklungen in der psychologi-
schen Diagnostik (etwa derjenigen von „objektiven Testbatterien“ u. a.) das immer
radikalere Bestreben zu grunde, „soft science“ durch „tough science“, einfühlende In-
terpretation durch unwiderlegbare Fakten zu ersetzen. Dabei wird aber leicht über-
sehen, dass nicht nur zwischen Aufwand und Ergiebigkeit eines Verfahrens, sondern
auch zwischen den Zielen der Objektivierung und Individualisierung letztendlich Un-
vereinbarkeit besteht. ,,Harte“ Test- und Beobachtungsdaten verleihen zwar ein Ge-
fühl von Sicherheit, man kann mit ihnen Berechnungen anstellen und sich dabei gar
vom Computer unterstützen lassen. Sehr leicht entartet aber die Suche nach mehr Ein-
deutigkeit zu einer oberflächlichen Scheinobjektivität, der die Tiefe und Nuanciertheit
psychologischen Verstehens – d. h. der Einsicht in die Strukturzusammenhänge und
Dynamik der individuellen Persönlichkeit – geopfert wird. So sehr derartig technokra-
tische Tendenzen in der Psychologie gegenwärtig noch „en vogue“ sind, ist doch anzu-
nehmen, dass kommende Generationen sich wieder davon ab- und vermehrt solchen
Auffassungen zuwenden werden, die sowohl mit einer organismischökologischen Be-
trachtungsweise als auch mit den humanistischen Traditionen besser vereinbar sind,
wie dies in anderen Disziplinen bereits beobachtet werden kann. Auch in der Assess-
ment-Center-Bewegung dürfte die Zukunft einem kombinierten Vorgehen gehören,
das auf eine bestmögliche Harmonisierung zwischen den Idealen der Objektivierung
und der Individualisierung hinzielt. Unter solchen Voraussetzungen sind Einzel-
Assessment und Assessment-Center keine Gegensätze, sondern sie können sich im
Rahmen umfassender Mitarbeiterförderungs-Programme sehr wohl ergänzen: Das
Assessment-Center ist die Methode der Wahl für die Beurteilung von Nachwuchskräf-
ten, die ihre Führungsfähigkeiten noch wenig unter Beweis stellen konnten; bei Spit-
zenkräften, die das bereits geleistet haben, geht es mehr um die Beurteilung der strate-
gischen und integrativen Kompetenzen, zu denen das Einzel-Assessment den besseren
Zugang bietet.
Die Dimensionen und die Messung von
Führungskompetenz mit Hilfe des
„Rev. Deutschen CPI“ (Revidierten Deutschen
California Psychological Inventory)
Ansfried B. Weinert

1. Unser Wissen über Führung


2. Führungskompetenzen und Führungsinkompetenzen
3. Wem nützt die Verwendung des „Rev. Deutschen CPI“?
3.1 Nutzen für die individuelle Führungskraft
3.2 Nutzen für das Unternehmen
4. Beschreibung des Verfahrens „Rev. Deutsche CPI“
4.1 Die Bedeutung der 20 Basisskalen
4.2 Wichtige Besonderheiten im „Rev. Deutschen CPI“
4.3 Validierung des Verfahrens
4.4 Die drei Vektorskalen
4.5 Skalen für bestimmte Ziele und Zwecke
5. Wie erkennt man Führungskompetenz mit dem „Rev. Deutschen CPI“?
6. Zwei praktische Interpretationsbeispiele

1. Unser Wissen über Führung


Führung ist real und hat erhebliche Konsequenzen. Deshalb ist die Frage danach, wer
soll herrschen, lenken, leiten bzw. entscheiden, eine der ältesten Fragen der Mensch-
heit. Wird sie unangemessen beantwortet, dann verlieren Teams, Armeen werden be-
siegt, Volkswirtschaften schrumpfen, Länder und Nationen erleiden Fehlschläge und
Misserfolge. Es wundert deshalb nicht, dass das Thema Führung in den angewandten
Verhaltenswissenschaften zu den am häufigsten erforschten und in der Literatur am
intensivsten diskutierten Themen gehört. Die Zahl der Veröffentlichungen geht in die
tausende. Dabei ist auch vieles spekulativ und empirisch leer.
Gleichwohl ist gesichert: Führung beschäftigt sich mit dem Problem, kollektive
Bemühungen zu organisieren und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. In kollektiven
Unternehmungen wird jeder davon beeinflusst, wer „am Ruder“ sitzt. Führung ist damit

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_9,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
114 Ansfried B. Weinert

der Schlüssel zur Wirksamkeit und Effizienz eines Unternehmens. Unter „Guter
Führung“ florieren und blühen Organisationen. „Gute Führung“ entwickelt wirksame
Gruppen und Teams. Aus der Welt des Sports ist uns bekannt, dass es Trainer bzw. Coa-
ches gibt, die von einem Team zum anderen überwechseln und aus Verlierern Gewinner
machen. Dies hat etwas mit der Wirksamkeit einer Führungsperson zu tun, mit den Aus-
wirkungen und dem (messbaren) Einfluss, den sie in ihrem Umfeld erzielt (Liste von
Gewinnen und Verlusten eines Teams; Servicequalität; Marktanteile; Profitabilität).
Zwar ist es nicht nur die Persönlichkeit, die effiziente Führung bewirkt (auch kogni-
tive Faktoren, die praktische Erfahrung, Situationsfaktoren, die Geführten etc. spielen
eine erhebliche Rolle). Gleichwohl hat die Persönlichkeit der Führungsperson einen
enormen Einfluss auf die Teamleistung: Wer wir sind bestimmt auch wie wir führen.
Die Enge der Verbindung zwischen Führung und Persönlichkeit ist in mehreren Län-
dern wiederholt empirisch untersucht worden. Judge et al. (2002) haben in einer Zu-
sammenfassung 78 solcher Studien vorgestellt. Deshalb macht es Sinn, Informationen
über die Wirksamkeit von Persönlichkeitsfaktoren von Führungskräften dazu zu ver-
wenden, um zukünftige Führungskräfte auszuwählen oder die Performance gegenwär-
tiger Rollenträger zu verbessern.
Ein Beispiel soll dazu dienen, um die motivatorische Rolle zu konkretisieren, die
Persönlichkeitsvariablen – allein im Prozess der Karriereentwicklung einer Nachwuchs-
führungskraft – spielen. Die Motivation einer Nachwuchsführungskraft wird ganz
wesentlich von zwei übergreifenden Grundprinzipien bestimmt: (1) dem Bedürfnis, von
der Gruppe/dem Team Anerkennung, Akzeptanz und Bestätigung zu erhalten, und (2)
von dem Bedürfnis, in der „Hierarchie“ des Unternehmens aufzusteigen. Unterschiedli-
che Forscher haben diesen zentralen Bedürfnissen zwar unterschiedliche Namen gege-
ben. Aber sie alle lassen sich mit zwei Begriffen erfassen: „Vorankommen“ und „Zu-
rechtkommen“. Beide Faktoren sind mit persönlichen Strategien verbunden und diese
Strategien sind Teil der Persönlichkeit. Der Faktor „Zurechtkommen“ (mit dem Umfeld)
lässt sich am besten definieren mit: Teamfähigkeit, Kooperation, soziale Fähigkeiten,
Zuverlässigkeit, Dienstleistungsorientierung und „Organizational Citizenship“. Der
Faktor „Vorankommen“ wird definiert durch: „Führungsfähigkeit“, Unabhängigkeit (im
Denken und Handeln), Resultate erzielen/Ziele erreichen, Initiative und Überzeugungs-
kraft. Gemeinsam ist diesen „Ankern“, dass es messbare Persönlichkeitsvariablen sind,
die eine hohe Stabilität besitzen, die aber auch weiterentwickelt werden können.

2. Führungskompetenzen und Führungsinkompetenzen


Zu den Vorstellungen darüber, worin das Wesentliche in der Führung besteht und wel-
che Persönlichkeitseigenschaften, Talente und Verhaltensmuster eine Person in einer
Führungsrolle besitzen sollte, gibt es ein breites Band an Taxonomien, die von Theo-
retikern und Praktikern vorgeschlagen worden sind. Sie reichen von Globalvorstellun-
gen einer einzelnen Dimension (= Überredungs- bzw. Überzeugungsfähigkeit) bis hin
zu einer breiten Anzahl von Kategorien des Führungsverhaltens (z. B. Entwicklung
von Teams, Planen und Organisieren, Problemlösen, Klarstellen, Motivieren etc.; vgl.
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 115

hierzu auch Borman & Brush, 1993). Der Trend, sich mit Führungskompetenzen wis-
senschaftlich stärker zu beschäftigen, wurde u. a. von einem Aufsatz von McClelland
(1973) eingeleitet. Er stellte die Forderung auf, in der Auswahl von Nachwuchs-
führungskräften eher nach Kompetenzen als nach Intelligenz zu suchen. Verstärkung
fand diese Anregung durch ein Buch von Boyatzis (1982), das zu seiner Zeit eine un-
gemeine Popularität erreichte (= Der kompetente Manager). Dabei ist die Forderung
nach sinnvollen und empirisch gut abgesicherten Kompetenzdomänen alles andere als
unwichtig. Wie sonst will man Führungs- und Nachwuchsführungskräfte auswählen
und bewerten, wenn man keine klar definierten und messbaren Kriterien hat?
Die über die Jahre vorgeschlagenen Kompetenzmodelle lassen sich alle in das von
Warrenfeltz entwickelte Domänen-Modell integrieren (vgl. Hogan & Warrenfeltz,
2003). Dieses Modell identifiziert vier breite Klassen von Führungskompetenzen:
(1) Intrapersönliche Domäne (Anker hierfür sind z. B. Ehrgeiz, Ausdauer, Integrität,
Ambiguitätstoleranz)
(2) Interpersönliche Domäne (Anker hierfür sind z. B. Beziehungen zu Gleichgestell-
ten und Vorgesetzten, Kommunikationsfähigkeit, Selbstpräsentation, Eindrucks-
management)
(3) Geschäftsdomäne (Anker hierfür sind z. B. Qualität des Entscheidungsfällens,
Organisations- und Planungsfähigkeit, Setzen von Prioritäten)
(4) Führungsdomäne (Anker hierfür sind z. B. Richtung vorgeben; Motivationsfähig-
keit, Entwicklung wirksamer Teams, Umgang mit Diversity (= Vielfalt).
Hinter jeder dieser Kompetenzdomänen ist ein Entwicklungsaspekt zu erkennen, wo-
bei sich die intrapersönlichen Fähigkeiten zuerst entwickeln und die Führungsfähig-
keiten zuletzt. Im Hinblick auf Veränderbarkeit und Führungskräfteentwicklung sind
die Führungsfähigkeiten am leichtesten zu verändern bzw. zu verbessern und die
intrapersönlichen Fähigkeiten am schwierigsten. Die vier vorgeschlagenen Domänen
haben den Vorteil, dass sich jedes andere Kompetenzmodell nach dieser Strukturie-
rung organisieren lässt.
Diese Domänen und die Eigenschaften, die sie definieren bzw. verankern, sind zu
einem ganz wesentlichen Teil messbare Persönlichkeitseigenschaften bzw. stabile
Charakteristika (vgl. Weinert, 2004, S. 131). Es gibt (seit den 60er-Jahren) viele Un-
tersuchungen darüber, welche „Art“ von Menschen in großen (hierarchischen bzw.
bürokratischen) Unternehmen und Organisationen aufsteigt und über welche besonde-
ren Fähigkeiten und persönlichen Charakteristika sie verfügen: Die Menschen sind
ehrgeizig, hart arbeitend, klug, selbstbewusst/durchsetzungsfähig etc., und viele pas-
sen auch in die Konzeption und Wertestruktur der von ihnen Geführten. Dabei sollte
unbedingt ein Unterschied gemacht werden zwischen Führung und Status. Menschen,
die in einer Organisation ganz nach oben gelangen, mögen ihre Position mehr ihren
politischen Fähigkeiten verdanken als ihren Fähigkeiten zu führen. Eine wichtige Fra-
ge ist, ob Führungs- und Nachwuchsführungskräfte – je nach Bereich und Ebene –
auch kreativ sind, ob sie Vorstellungsvermögen besitzen, ob sie „visionär“ sind und
wie strategisch sie vorgehen. Gleichwohl gibt es eine relativ gut definierte Anzahl von
Charakteristika, die Personen besitzen, die Karriere-Erfolg in Führungsrollen vorwei-
116 Ansfried B. Weinert

sen können. Allein dies zu wissen scheint wichtig, weil damit klar erkennbar wird,
dass Führung nicht allein eine Funktion der Situation ist.
Neben der Erarbeitung von Aspekten für erfolgreiche Führung und ihrer Erfassung hat
über die letzten Jahre auch das Interesse an der „gescheiterten Führung“, an Faktoren
der Führungsinkompetenz (engl. „Derailment“) beachtlich zugenommen (vgl. hierzu
Weinert, 2004, S. 533). Zu einem erheblichen Teil basiert diese Problematik auf Per-
sönlichkeitsstörungen wie auf Schüchternheit, Überempfindlichkeit, Neid, Missgunst,
Zögern und Aufschieben (v. a. Entscheidungen), Unzuverlässigkeit, Reizbarkeit, Aus-
nutzen und Benutzen anderer, Unfähigkeit in der Stellenbesetzung, Disziplinlosigkeit
etc. – aber auch auf der Unfähigkeit, effiziente Teams zu formen. Lombardo et al.
(1988) haben hierzu bereits geschrieben, dass die Glaubwürdigkeit bzw. die Vertrau-
enswürdigkeit einer Führungsperson den wichtigsten Faktor in der Beurteilung von
Untergebenen gegenüber der Effizienz ihres Vorgesetzten darstellt.
Diese negativen Neigungen bestehen – nebeneinander – mit den gut entwickelten so-
zialen Fähigkeiten, die die negativen – zumindest über kürzere Zeiträume – maskieren
oder kompensieren. Langfristig aber führen negative (Derailment-)Tendenzen dazu,
Vertrauen zu untergraben und Beziehungen zu unterminieren. Es wird kaum gelingen,
sie in einem kurzen Gespräch aufzuspüren bzw. zu identifizieren. Aber sie sind mess-
bar. Das empfehlenswerteste Verfahren zur Messung von Faktoren, sowohl der Kom-
petenz als auch der Inkompetenz in der Führung, ist der „Rev. Deutsche CPI“, ein
international erprobtes Verfahren. Hierzu liegt eine Fülle von Erfahrungen zu
Führungskräften aus vielen Ländern vor. Allein in Deutschland wurden bisher meh-
rere tausend Untersuchungen durchgeführt.
Der „Rev. Deutsche CPI“ findet weltweite Anwendung zu Themen wie Potenzialana-
lysen, Früherkennung von Führungstalent, Auswahl von Führungs- und Nachwuchs-
führungskräften, als Basis für die Planung von Interventionsprogrammen, zur Füh-
rungskräfte- und Personalentwicklung und zur Selbsterfahrung („Erkenne dich selbst“).
Es ist ein Spitzenprodukt internationaler Forschung, ein „Breitbandverfahren“, nicht
ein simpler Test.

3. Wem nützt die Verwendung des „Rev. Deutschen CPI“?


Der Einsatz des Instruments bringt erhebliche Vorteile, sowohl für die einzelne (Nach-
wuchs)-Führungskraft als auch für Gruppen und Teams und letztlich auch für das
Unternehmen insgesamt, in der Auswahl – mehr aber noch – in der Personal- und
Führungskräfteentwicklung.
Dies soll im Einzelnen kurz konkretisiert werden.
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 117

3.1 Nutzen für die individuelle Führungskraft


Hier steht meist der Entwicklungsgedanke im Vordergrund. Häufig fragen Führungs-
und Nachwuchsführungskräfte: „Was sind meine relativen Stärken und Schwächen?“,
und: „Wie kann ich meine Fähigkeiten verbessern?“
Um diese Fragen zu beantworten, kann das entstehende Profil dazu verwendet wer-
den, den von der Person praktizierten Führungsstil zu analysieren (vgl. hierzu die spä-
ter zu erläuternden Beispiel-Profile des „Change Agent“ bzw. des „Auslösers“ und des
„Erhalters vorhandener Umstände“ bzw. „Verwalters“ unter 6.
Damit weist das Instrument einen Weg auf, um der Führungskraft ihre Pluspunkte und
eventuelle Schwierigkeiten bewusst zu machen. Bevorzugte Stile und Ansätze werden
aufgezeigt, aber auch Vorteile von Alternativen, die üblicherweise von der Person
nicht benutzt werden.
Daneben können mit diesem Verfahren mögliche Probleme in den Bereichen Arbeits-
leistung, Effizienz, Interaktion und Beziehungen fokussiert werden. Diese Probleme
können umso wirksamer gelöst werden, je mehr über die psychologische Dynamik,
die dem Handeln der Führungskraft zugrunde liegt, bekannt ist. So mag zum Beispiel
eine Führungskraft im interaktiven Bereich damit Stress und Reibung verursachen, in-
dem sie in ihrer Kommunikation zu direkt, unverblümt und zu rechthaberisch ist. Das
Instrument wird solche Charakteristika problemlos identifizieren, klarstellen und kann
als „neutrale Instanz“ der Person helfen, sich zu verbessern.
Der „Rev. Deutsche CPI“ ist schließlich auch im Bereich der Planung und der Wahl
einer Berufskarriere bzw. eines bestimmten Karrierepfades behilflich. So kann das Ins-
trument eine Nachwuchs-Führungsperson dazu befähigen, die „Passung“ zwischen
sich (dem eigenen Stil, den persönlichen Werten und Zielen etc.) und verschiedenen
Arbeitsumfeldern (deren Anforderungen, Bedingungen etc.) auszuloten und für sich
optimaler zu wählen. Über die Jahre ist es der Forschung zu diesem Instrument gelun-
gen, für eine Reihe von Berufsrollen (z. B. Management oder Verkauf) vorteilhafte
Skalenmuster und -konstellationen zu ermitteln.

3.2 Nutzen für das Unternehmen


Dem Unternehmen nutzt der Einsatz des „Rev. Deutschen CPI“ auf dreifache Weise:
im Bereich der Führungskräfte (auf verschiedenen Ebenen), im Bereich der Gruppen
und Teams und im Human-Resources-Bereich.
Führungskräfte, deren Aufgabe darin besteht, mit den ihnen unterstellten Mitarbeitern
Leistungen zu erzielen und gesteckte Ziele zu erreichen, fragen sich häufig: „Wie
kann ich mit dieser Person besser zusammenarbeiten?“, oder: „Was muss ich unter-
nehmen, um diese Person zu motivieren?“ Sie suchen nach praktischen Leitlinien. Ein
Profil des „Rev. Deutschen CPI“ kann hierzu die richtige Antwort geben. Gruppen
und Teams arbeiten häufig nicht sehr effizient und produktiv auf ein gemeinsames
Ziel hin, weil die Zusammenarbeit der Mitglieder behindert ist, wegen: den unter-
schiedlichen Persönlichkeiten, die nicht zusammenpassen; Schwierigkeiten in der
118 Ansfried B. Weinert

Kommunikation; schlechten wechselseitigen Beziehungen; dem unangebrachten Stil


der Führungsperson; externalen Leistungsforderungen, denen die Gruppe nicht ge-
recht werden kann. Hier kann der „Rev. Deutsche CPI“ dabei behilflich sei, die Inner-
gruppen-Beziehungen zu verbessern, Differenzen klar aufzeigen und Nähen und
Distanzen zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten verständlich zu machen.
Im Human-Resources-Bereich wird bewertet und selegiert mit dem Ziel, dem Unter-
nehmen die „passenden“ Mitarbeiter und Führungskräfte zu erhalten und sie zu för-
dern – und neue einzustellen, um die gewünschten Produkte und Dienstleistungen zu
erbringen. Hierbei kam der „Rev. Deutsche CPI“ auf zwei verschiedene Weisen für
das Unternehmen nützlich sein: Zum einen kann der „Ist-Zustand“ (= Stärken und
Schwächen) vorhandener Mitarbeiter und Führungskräfte festgestellt werden, um
nach „passenden Fähigkeiten“ unter Bewerbern Ausschau zu halten und so „Lücken“
zu schließen. Andererseits kann das Instrument in der Auswahl eingesetzt werden, um
Bewerber zu identifizieren, die über die gewünschten Fähigkeiten und Neigungen
(z. B. als Führer eines Teams) verfügen.
Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren bereits die Vorteile des „Rev. Deut-
schen CPI“ für unterschiedliche Zielsetzungen genutzt: in der Entwicklung und
Auswahl von Führungs- und Nachwuchsführungskräften (AC; CCW, Einzel-AC), im
Bereich von Schulung und Personalentwicklung, bei der Frühidentifikation von Talent
(inbes. Führungstalent), bei der Prognostizierung beruflicher Leistung und Entwick-
lung und im Bereich von Gruppen- und Team-Consultation. Es sind u. a. die Unter-
nehmen Philips, Bosch, Sony, 3M, BP, der Heinrich Bauer Verlag, Lucent Technology,
die Telekom und mehrere Personalberatungsfirmen zu nennen.

4. Beschreibung des Verfahrens „Rev. Deutscher CPI“


Der „Rev. Deutsche CPI“ macht spezifische, berufsrelevante Aussagen darüber, wel-
che Charakteristika eine Person daran hindern – oder sie fördern – ihren beruflichen
Zielen näher zu kommen, wie effizient sie das tun und welche Entwicklung in einer
neuen Rolle oder einem neuen Aufgabengebiet erwartet werden kann. Bis heute lie-
gen hierzu validierte Ergebnisse und Erfahrungen mit einer großen Anzahl von
Führungskräften in unterschiedlichen Funktionsbereichen wie auch zu Nachwuchs-
führungskräften vor. Dabei verfolgt der „Rev. Deutsche CPI“ zwei wesentliche Ziele:
(1) Zum einen wird damit ein umfassendes Gesamtbild der zu beurteilenden Person
erstellt, das demjenigen gleicht, das Personen haben, die die zu beurteilende Person
gut kennen (z. B. Kollegen, Vorgesetzte, Gleichgestellte). Das Verfahren erstellt ein
„Fremdbild“! Diese Zielsetzung ist sehr wichtig für eine Validierung der Ergebnisse.
(2) Zum Zweiten will dieses Instrument vorherbestimmen, wie sich (Führungs- oder
Nachwuchsführungs-)Personen in bestimmten Situationen und unter bestimmten Be-
dingungen verhalten werden (wobei – im Führungsbereich – neben den Stärken auch
die Schwächen bzw. die eher „dunklen“ Seiten gut beleleuchtet werden (Beispiele
wären: Arroganz; Unfähigkeit, Teams zu formen; Perfektionismus; Passive Aggressi-
vität etc.).
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 119

Der „Rev. Deutsche CPI“ besteht aus 20 Basisskalen, 3 Vektorskalen und mehreren
wahlfreien Skalen für bestimmte Ziele und Zwecke, wie Management-Potenzial oder
Arbeitsorientierung.
Die 20 Basisskalen messen sowohl Potenziale als auch Defizite im inter- und intraper-
sönlichen Bereich, im Leistungsbereich und im Bereich der Ausdrucksformen des In-
tellekts und der Interessen, sofern sie für bestimmte Rollen und Funktionen berufsre-
levant sind, wie z. B. in der Führung, im Management oder im Verkauf.

4.1 Die Bedeutung der 20 Basisskalen


Klasse I: Zwischenpersönliche Domäne – Messskalen zur sozialen/gesellschaftlichen
Rolle, wie Ausgeglichenheit, bestimmende Einflussnahme, Selbstsicherheit und zwi-
schenmenschliche Kompetenz
1. Dominanz (Do) Zweck: Messen von Faktoren der Führungsfähigkeit, Dominanz,
Beharrlichkeit und gesellschaftlichen Initiative, Wettbewerbsorientierung, Streben
nach Macht, Einfluss und Kontrolle
2. Erfolgspotenzial (Ep) Zweck: Dient als Hinweis für die Fähigkeit einer Person,
Erfolg zu haben; misst Eigenschaften und Qualitäten, die zu Erfolg führen, Ehr-
geiz, Interesse an Erfolg, Karrierestreben, Stressreaktion
3. Geselligkeit (Gk) Zweck: Identifiziert Personen, die ein geselliges umgängliches
Temperament haben, die aus sich herausgehen und gern und aktiv an Gruppenakti-
vitäten teilnehmen
4. Soziales Auftreten (Sa) Zweck: Misst Faktoren wie Stabilität, innere Ausgegli-
chenheit, Spontaneität, Selbstvertrauen in persönlichen und gesellschaftlichen Be-
ziehungen und das Energie- und Wirksamkeitsniveau
5. Selbstbejahung (Sj) Zweck: Misst Faktoren wie das Gefühl für den persönlichen
Wert oder Selbstwert, die Fähigkeit für unabhängiges Denken und Handeln und
Selbstbewusstsein, die Freiheit von Selbstzweifeln
6. Eigenständigkeit (Eg) Zweck: Identifiziert Personen, die unabhängig, selbstsicher
und findig sind, entschlossen und zielorientiert, willensstark und tüchtig
7. Mitgefühl (Mf) Zweck: Misst die Fähigkeit, über Leute intuitiv nachzudenken und
ihre Gefühle und Einstellungen nachvollziehen zu können, sich in die Situation
anderer intuitiv hineinversetzen zu können
Klasse II: Intrapersönliche Domäne – Messskalen für Sozialisation, Maturität, Verant-
wortlichkeit und intrapersönliche Wertsystemstrukturierung
8. Verantwortlichkeit (Ve) Zweck: Identifiziert Personen mit gewissenhaften/pflicht-
bewussten, verantwortungsvollen und zuverlässigen Dispositionen und Tempera-
ment, Personen, die Verantwortung übernehmen und ihren Verpflichtungen nach-
kommen
9. Soziale Anpassung (So) Zweck: Weist hin auf den Grad der sozialen Reife, der In-
tegrität und der Redlichkeit, auf die Tendenz, Regeln und Verhaltensnormen in
Frage zu stellen und die Neigung, risikofreudig oder risikoscheu zu handeln
120 Ansfried B. Weinert

10. Selbstbeherrschung (Sb) Zweck: Misst Grad und Qualität der Selbststeuerung, der
Selbstbeherrschung, die Neigung zu impulsiven Handlungen und die Tendenz,
Veränderungen einzuleiten/auszulösen, zu unterstützen oder sich dagegen zu stel-
len (Status quo)
11. Guter Eindruck (Ge) Zweck: Identifiziert Personen, die einen günstigen Eindruck
bewirken wollen, die sich darüber sorgen, wie andere ihnen gegenüber reagieren,
die an der Meinung anderer sehr interessiert sind und ihre eigenen Ideen gut ver-
kaufen können
12. Konventionalität (Ko) Zweck: Weist darauf hin, zu welchem Grad die Reaktionen
und Antworten einer Person dem allgemeinen Muster in der Bevölkerung ähnlich
sind; weist auf das Zusammenpassen/Hineinpassen hin, indem die Person die glei-
chen Reaktionen und Gefühle hat wie jeder andere auch
13. Wohlbefinden (Wo) Zweck: Identifiziert Personen, die ihre Sorgen, Klagen und
Beschwerden auf ein Minimum reduzieren, und die relativ frei sind von Selbst-
zweifeln und Enttäuschung; weist auf Personen hin, die mit ihrer jetzigen Lebens-
situation als zufrieden wahrgenommen werden
14. Toleranz (To) Zweck: Identifiziert Personen mit zulassenden, erlaubenden und
nicht be- und verurteilenden gesellschaftlichen Meinungen und Einstellungen, die
tolerant sind, offen und ohne starke Vorurteile
Klasse III: Messskalen für Leistungspotenzial und intellektuelle Effizienz
15. Leistung durch Anpassung (La) Zweck: Identifiziert jene Interessen- und Motiva-
tionsfaktoren, die eine Leistung bzw. Ausführung in all jenen Situationen erleich-
tern/fördern, in denen Anpassung als positives Verhalten gewertet wird (Personen
mit einem starken Leistungsbedürfnis, die am besten in Situationen mit genauen
Regeln und Strukturen arbeiten)
16. Leistung durch Unabhängigkeit (Lu) Zweck: Identifiziert jene Interessen- und
Motivationsfaktoren, die eine Leistung bzw. Ausführung in all jenen Situationen
erleichtern/fördern, in denen Autonomie und Unabhängigkeit/Selbständigkeit als
positives Verhalten gewertet wird (Personen mit einem starken Leistungsbedürf-
nis, die am besten sind in neuen oder unerprobten Situationen, in denen sie allein
und ohne externe Anleitung arbeiten)
17. Einsatz von Intelligenz (Ei) Zweck: Zeigt den Grad der persönlichen und intellek-
tuellen Effizienz/Leistungsfähigkeit an, den die Person erreicht hat (Effizienz, mit
der man seine intellektuellen und persönlichen Ressourcen verwendet; eine Auf-
gabe rasch beginnen und über längere Zeit dranbleiben zu können)
Klasse IV: Dispositionsdomäne: Messskalen für persönliche Orientierung und Leben-
seinstellung
18. Psychologisches Feingefühl (Pf) Zweck: Misst den Grad, zu dem eine Person in-
teressiert ist an und eingeht auf die inneren Bedürfnisse, Motive und Erfahrun-
gen/Erlebnisse anderer, die Sensibilität der Wahrnehmung und die Treffsicherheit
der Personenbeurteilung
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 121

19. Flexibilität (Fl) Zweck: Zeigt den Grad an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
im Denken und im gesellschaftlichen Verhalten – auch die Flexibilität gegenüber
Veränderungen und Überraschungen
20. Rationalität/Intuition (R/I) Zweck: Misst die rationale oder intuitive Grundhaltung
einer Person, Sensibilität gegenüber Kritik, die Maskulinität oder Femininität der
Interessen

4.2 Wichtige Besonderheiten im „Rev. Deutschen CPI“


Kulturübergreifende Alltagskonzepte

Der „Rev. Deutsche CPI“ zielt darauf ab, „kulturübergreifende Alltagskonzepte“ als
Messeinheiten zu verwenden. Dies sind Aspekte des sozialen Verhaltens, die von zwi-
schenkultureller Signifikanz und Relevanz sind und die auch von Nicht-Psychologen
intuitiv verstanden werden. Mit anderen Worten: Ein „kulturübergreifendes Alltags-
konzept“ steht für einen Begriff, den Menschen überall auf der Welt in ihrem tagtäg-
lichen Leben regelmäßig verwenden, um ihr eigenes Verhalten und das Verhalten ande-
rer zu beschreiben und zu erklären. Es ist die Art und Weise, wie die Persönlichkeit
beschrieben oder begrifflich gefasst werden kann, wie sie von normalen Leuten im
Alltag verwendet wird und wie sie in allen Gesellschaften und sozialen Gruppen aufge-
funden werden kann. Beispiele für solche „kulturübergreifenden Alltagskonzepte“ sind
„Dominanz“, „Geselligkeit“, „Selbstbeherrschung“, „Toleranz“ und „Flexibilität“. Natür-
lich hat jede der 20 Basisskalen ihre eigene theoretische Grundlage, Forschungsge-
schichte und Feinheiten in ihren Bedeutungsinhalten. Aber die erste Wirkung jeder
Skala sollte darin bestehen, Attribute zu identifizieren, die jeder sofort erkennen kann.

Offenes System
Das Instrument ist ein offenes System, d. h., es kann einer Erweiterung oder Verkür-
zung unterzogen werden, indem entweder neue Skalen entwickelt und hinzugefügt
oder auch vorhandene Skalen gestrichen werden, sollten diese sich in Zukunft als irre-
velant erweisen, z. B. aufgrund des Wertewandels.

Instrumentalität der Skalen


Das instrumentelle Ziel für das vorliegende Instrument basiert auf dem Standpunkt,
dass eine Skala nach Kriterien der Nützlichkeit und des Pragmatismus beurteilt
werden sollte. Jede der Skalen soll zwei Funktionen haben: (1) Vorauszusagen, was
Personen in definierten Situationen sagen oder tun werden; (2) Personen so zu iden-
tifizieren, die von anderen in differenzierter Weise beschrieben werden. Die Skalen
wurden deshalb mit Bezug auf externale Kriterien entwickelt (Beispiele wären die
Nominierung durch Gleichgestellte für „Dominanz“ oder die Verwendung von Schul-
noten für bestimmte Leistungsformen).
122 Ansfried B. Weinert

Die besondere Skalenkonstruktion


Besonders wichtig ist der Hinweis, dass die Fragen, aus denen die einzelnen Skalen
bestehen, nichts mit dem zu messenden Gegenstand zu tun haben (= keine Korrelati-
on), sondern dass sie eine Art „Trägerelement“ darstellen. Aus vielen tausenden mög-
licher Fragen wurden auf rein empirischem Wege solche Items ausgewählt, die von
Personen, denen von Seiten Dritter bestimmte Eigenschaften zu- oder abgesprochen
werden, in signifikant unterschiedlicher Weise beantwortet werden. Oder umgekehrt:
Personen, die die im Testheft gestellten Fragen in individuell charakteristischer Weise
beantworten, werden von Seiten Dritter bestimmte Eigenschaften mit unterschiedli-
cher Ausprägung zu- oder abgesprochen (z. B. die Person ist dominant und durchset-
zungsfähig versus die Person ist an Einflussnahmen nicht interessiert). Dabei haben
die Inhalte der Testfragen mit den gemessenen Eigenschaften und Verhaltensweisen
von der Thematik her nichts zu tun. Hier ein paar Beispiele aus dem Fragenkatalog:

Dominanz-Skala
Jeder Staatsbürger sollte sich die Zeit nehmen, um sich mit den Problemen des Staates
auseinander zu setzen, auch wenn er dafür auf einige Privatvergnügen verzichten muss.

Flexibilitäts-Skala
Ich muss zugeben, dass ich ziemlich viel rede.

Erfolgspotenzial-Skala
Ich höre mir gern im Radio Sinfoniekonzerte an.
Testteilnehmer fragen immer wieder, welcher Zusammenhang zwischen den Testfra-
gen und einem arbeitsrelevanten Verhalten bestehen mag, weil sich die Inhalte der
Testfragen nicht mit beruflichen Thematiken beschäftigen. Die Antwort ist: Keiner.
Die Fragen sind nur „Trägerelemente“. Aber das System funktioniert ausgezeichnet in
allen uns bekannten Kulturen. Es gibt tausende von Datensätzen, die dies belegen.
Momentan ist auch eine russische und eine chinesische Form in der Erarbeitung.

4.3 Validierung des Verfahrens


Gleichermaßen liegen Validierungen für alle wichtigen Sprachräume vor, wie für die
USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Japan.
Die Bedeutung, die ein Testwert besitzt, finden wir durch den Prozess der Test-Vali-
dierung. Es gibt viele Wege und eine größere Anzahl von Methoden, um die Bedeu-
tung, die Skalenwerte haben, nachzuweisen. Dabei sind wir an dieser Stelle vor allem
mit dem Prozess der „Konstrukt-Validität“ beschäftigt. Es können drei Arten von
Nachweisen zur Konstrukt-Validität der Basisskalen des „Rev. Deutschen CPI“ ange-
boten werden: Korrelationen mit Skalen anderer über die Jahre hinreichend validierter
Tests; Korrelationen mit Peer-Ratings und Korrelationen mit Einstufungen, z. B. der
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 123

Arbeitsleistung in Unternehmen. Bisher liegen Korrelationen zwischen den Skalen


der „Rev. Deutschen CPI“ und den Skalen des „16 PF“, des „NEO“, des „FPI“, des
„IST 70“, des „Rev. Deutschen HPI“, des „SDI“ und des „Gießen-Tests“ vor. Über die
Jahre sind zur Standardform des „Deutschen CPI“ viele Validitäts-Studien durch-
geführt worden, auch in unterschiedlichen Sprachräumen. Dabei wurden auch Korre-
lationen zu Studienleistungen, zu spezifischen Begabungen und zur Kreativität durch-
geführt. Daneben gibt es korrelative Beziehungen: in der Erforschung der Karriereent-
wicklung, zur Identifikation von Führungs- und Managementtalent, bei der Erfor-
schung von Erfolg und Misserfolg in unterschiedlichen Berufsgruppen sowie in der
Personalauswahl und -entwicklung.
Dabei haben sich auch Überraschungen gezeigt: So ist wiederholt gefunden worden,
dass ein bestimmtes Verhalten, das nach logischem Ermessen aufgrund einer Skalen-
konstellation beobachtbar sein müsste, unter gewissen Konstellationen nicht eintritt.
Ein Beispiel hierfür bildet die Dominanz-Skala des „Rev. Deutschen CPI“. Das inten-
dierte Ziel dieser Skala besteht darin vorauszusagen, in welchem Maße Personen in
spezifischen Situationen Dinge tun werden, die von anderen als dominant, stark und
durchsetzungsfähig klassifiziert werden. Personen, die an der Do-Skala hohe Werte
haben, neigen dazu, in Gruppen bereits in einem frühen Stadium ihre Meinung zu
äußeren und andere anzuweisen, neue Handlungen zu initiieren und sehr rasch die
Namen anderer zu lernen. Viele Studien mit der Standardform haben dies auch belegt.
Ob dieses zu erwartende Verhalten bei Personen, die an der Skala Do hoch liegen,
auch wirklich beobachtet werden kann, hängt in hohem Maße vom Kontext der Situa-
tion ab. Experimente haben gezeigt, dass in einer Gruppensituation, in der die Erledi-
gung einer Aufgabe und die Teamleistung im Vordergrund stehen, die Personen, die in
der Do-Skala hoch liegen, nur nach dem „Zufallsprinzip“ die Kontrolle übernehmen.
Wenn aber die experimentellen Anweisungen eine Bewertung der Führungsqualität
beinhalten, dann übernehmen dominante Gruppenmitglieder praktisch immer die
Führung.
Ein weiteres Problem liegt in der Natur von Ratings. Zu mehreren Skalen sind in den
letzten Jahren viele Validierungen über den Rating-Prozess vorgenommen worden.
Als Beispiel mag hierfür die Skala für Verantwortlichkeit dienen. Man kann deren
Validität schätzen, indem man Werte an der Ve-Skala mit subjektiven Ratings für
Verantwortlichkeit korreliert. Korrelationen zwischen Skalenwerten und z. B. Peer-
Ratings für dasselbe Konstrukt bilden eine wichtige Quelle für die Validierungsinfor-
mation. Trotzdem müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass die Ratings für sich
selbst bereits ungenau, fehlerhaft und unzulänglich sind. Oft sind Peers (= Gleichge-
stellte) nicht in der Lage, über ein definiertes Verhalten der gleichen Meinung zu sein.
Gleichwohl repräsentieren Ratings, zumindest in einem gewissen Grad, die „Wahr-
heit“ über soziale Verantwortlichkeit, weshalb eine valide Skala mit einer solchen
Einstufung korreliert werden muss.
Für andere Skalen wie z. B. für „Leistung durch Anpassung“ liegt dieses Problem ein-
facher, weil hierfür z. B. Schulnoten als direktes und akzeptables Kriterium, gegen das
die Skala überprüft werden kann, dienen können.
124 Ansfried B. Weinert

Datenbasis und Normen


Die Datenbasis zum „Rev. Deutschen CPI“ dürfte sich allein für den deutschsprachi-
gen Raum bei ca. 15.000 Protokollen bewegen. Im internationalen Bereich wird die
Datenbasis diese Anzahl um ein Vielfaches übersteigen. Bisher liegen Normen aus
dem deutschen, amerikanischen, rumänischen, italienischen, spanischen, französi-
schen und japanischen Raum vor. Für die deutschsprachige Version wurden zur
Erstellung der Normen für Männer N = 2.700 und für Frauen 1.200 Personen aus-
gewählt. Darüber hinaus gibt es Normen für eine große Anzahl von Zielgruppen (z. B.
für Berufs- und Altersgruppen).

4.4 Die drei Vektorskalen


Daneben verfügt der „Rev. Deutsche CPI“ über eine zweite Gruppe von Skalen: die
drei Vektorskalen, mit deren Hilfe Lebens-, Arbeits- und Managementstile untersucht
werden (also Meta-Themen) und die sich dazu eignen, (Arbeits-)Gruppen- und Team-
beratungen durchführen zu können (Zusammenpassen der Gruppen- bzw. Team-
mitglieder). Sie repräsentieren zwei Hauptthemen bzw. zwei zu Grunde liegende
Dimensionen in der Psychologie, wie Extraversion, Emotionale Stabilität und Ge-
wissenhaftigkeit (V 1 = Extraversion; V 2 = Gewissenhaftigkeit; V 3 = Emotionale
Stabilität; vgl. hierzu auch die Diskussion zu den „Big Five“; vgl. auch Weinert, 2004,
S. 149; Weinert & Gough, 2006 im Druck).
V I: Die Grundorientierung gegenüber Menschen (d. h., wir messen damit den zwi-
schenpersönlichen Faktor); niedrigere Werte sind verbunden mit Kontaktfreude,
Involviertheit, zwischenpersönlicher Orientierung; höhere Werte sind verbunden mit
einer mehr nach innen gewendeten, privaten Neigung und einer intrapersönlichen
Fokussierung.
V 2: Die Werteorientierung (d. h., wir messen damit den normativen Faktor); niedri-
gere Werte sind verbunden mit dem Hinterfragen und Herausfordern von Regeln und
Rollen bzw. mit einem regeln-widersetzenden Verhalten; höhere Werte sind verbun-
den mit dem Akzeptieren von Regeln, Normen und Gebräuchen.
Die Verbindung dieser beiden Vektoren definiert vier Lebens-, Arbeits- und Manage-
mentstile, von denen ein jeder beides besitzt, positive und negative Potenziale: Alpha,
Beta, Gamma und Delta. Die dritte Struktur-Skala (V3) stellt den Grad der Realisie-
rung dieser Stile dar (d. h., sie fokussiert den Grad der Selbst-Integration bzw. den
Grad der Selbstverwirklichung).
Dieses Modell eignet sich zum einen für Einzelinterpretationen (z. B. wenn es um Ent-
wicklungspläne für eine Nachwuchsführungskraft geht), da die Positionierung einer
Person in bestimmten Quadranten für verschiedene Berufs- oder Führungs- bzw. Ma-
nagement-Rollen günstiger oder ungünstiger ist (vgl. hierzu Managementstile und
Führungskompetenzen in Weinert, 2004, S. 457; Weinert & Scheffer, 1999).
Das Vektor-Modell bietet sich aber auch für Gruppeninterpretationen an (z. B. für die
Arbeit im Bereich des Team-Buildings).
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 125

Die Lebens- und Arbeitsstile, die von den Vektor-Skalen beschrieben werden, und die
durch die 20 Basisskalen produzierten Profile können dazu verwendet werden, um die
Dynamik, die bevorzugten Rollen und die besetzten Parameter innerhalb eines Teams
zu verstehen. Auf diese Weise können die Effizienz und die Produktivität eines Teams
wesentlich gesteigert und können die Arbeitsbeziehungen verbessert werden.

4.5 Skalen für bestimmte Ziele und Zwecke


Schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe von Skalen: die Skalen für besondere Ziele
und Zwecke. Beispiele hierfür sind die Skalen „Management-Potenzial“ und „Arbeits-
orientierung“. Allerdings sollten diese in bestimmten Situationen nachgereicht werden.
Managementpotenzial (Mp) Zweck: Identifiziert Personen, die Interesse an bzw.
besondere Fähigkeiten für Aufsichts- und Führungsrollen haben, und die auch dazu
neigen, solche Positionen anzustreben (guter Prädiktor für zukünftige Führungsleistung
beim Berufsstart). Diagnostiziert die Wirksamkeit des Verhaltens und Zielorientierung
Arbeitsorientierung (Ao) Zweck: Identifiziert Personen, die bei der Arbeit Pflicht-,
Verantwortungsbewusstsein und Selbstdisziplin zeigen, und die vermutlich auch bei
eintönigen Tätigkeiten und in untergebenen Positionen gute Arbeit leisten (guter Indi-
kator für Personen, die mit Ausdauer, Zuverlässigkeit und sorgfältiger Aufmerksam-
keit ihrer Arbeit und ihren Pflichten nachgehen)

5. Wie erkennt man Führungskompetenz mit dem „Rev.


Deutschen CPI“?
Die Dominanz-Skala (Do) hat in vielen Studien wiederholt bewiesen, dass sie sehr ge-
nau zwischen solchen Personen differenziert, die führen, und jenen, die nicht führen.
Dies trifft sowohl auf ernannte als auch auf gewählte Führungskräfte zu: Beide Male
ist die Do-Skala hoch. Allerdings ist bei ernannten Führungskräften mehr Variabilität
unter den anderen Skalen zu beobachten. Bei ihnen hängt der Führungsstil in hohem
Maße von der Situationskonstellation ab, und bei ihnen sind die Leistungsskalen (La,
Lu, Ie) wichtiger als die anderen Skalen. Dagegen sind bei der „sozialen Führung“ (=
gewählt) die Skalen der 2. Gruppe (= intrapersönliche Skalen) – neben der Do-Skala –
gleichermaßen stark angehoben. Damit macht es der „Rev. Deutsche CPI“ möglich,
den individuellen Stil einer Führungsperson zu bestimmen. Hier drei Beispiele:
(1) Liegen die Skalen Do, Ep und Sa hoch, dann wird die Führungsperson gewöhn-
lich als charismatisch, überzeugungsfähig, die Aufmerksamkeit auf sich ziehend
und voller Energie gesehen.
(2) Liegen neben einer hohen Do-Skala auch die Werte an Sj und La hoch, dann zeigt
die Führungsperson ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle, sie fordert Aufmerk-
samkeit, fürchtet sich vor Zurückweisung und bevorzugt klare Strukturen und
präzise Vorgaben.
126 Ansfried B. Weinert

(3) Sind die Skalen Do und Lu hoch positioniert, dann sind solche Personen von an-
deren unabhängig und sehr selbständige Leistungsträger, die häufig auch noch
recht kreative Initiatoren sind.
Diese Beispiele sollen darauf hinweisen, dass sich eine Interpretation der Skalenwer-
te, die eine Person erhält, mit Mustern und Kombinationen von hohen und niedrigen
Werten befassen muss (= Interaktionen zwischen verschiedenen Skalenmustern).
Im folgenden Beispiel wird dieser Gedanke anhand der Skalen Do und Ve konkre-
tisiert: Wie die Darstellung der Beziehung zwischen den Skalen Do und Ve in Ab-
bildung 1 zeigt, verändert sich die Bedeutung von Do mit der relativen Höhe von Ve.

Do hoch

dominant dominant
stark verantwortungsbewusst
aggressiv progressiv
rechthaberisch klug
hart ernst
reizbar ehrgeizig
robust weitblickend
zynisch gewissenhaft
nüchtern formal
temperamentvoll aufmerksam

Ve niedrig Ve hoch

unverantwortlich ruhig
sorglos friedlich
instabil bescheiden
apathisch reserviert
durcheinander kooperativ
beeinflussbar still
dumm mild
vergnügungshungrig sanft
veränderlich rücksichtsvoll
faul ehrlich

Do niedrig

Abbildung 1: Beispielhafte Darstellung der Beziehungen zwischen den Skalen Do und Ve


weiblich
DO EP GK SA SJ EG MF VE SO SB GE KO WO TO LA LU EI PF FL R/I
100 100
Figur 1

90 90 a7
40
35 35
45 35
80 35 30 80
35 25 30 25
35 30 35 40 25
35 25 30 30
30 30 40 30
70 30 70
25 30
35 25
20 35
30 25 25 30 20 20
25 25 25 35 35
60 20 25 60
20 25 25
20
25 30 30
20 15 20 20 15 20
50 20 30 20 25 50
20 15
15 15 15
15 20 20 30 25
15 25 15 25 10
40 15 15 40
10 10 20 15
10 15

Standardwerte
10 15
10 20
10
30 10 10 15 20 5 20 30
10 15 5
5 5 25 10
10 5 10 10
5 15
0
20 5 15 20
Univ.-Prof. Dr./UCB A.B. Weinert (Ph.D.), Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg.

0 5 10 15 5 0
5 0 10
Experimentelle Form. Nachdruck oder Nachahmung in jedweder Form nicht ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz

0 5 0 5 5
10
6. Zwei praktische Interpretationsbeispiele

10 0 10 20 5 10

0 10
0 5 5
0 0 0 5 0
0 0
Einsatz

Toleranz

Mitgefühl
Flexibilität

Dominanz
Feingefühl

Anpassung

Geselligkeit
Wohlbefinden
von Intelligenz

Leistung durch
Leistung durch

Guter Eindruck
Erhalter

Erfolgspotential
Selbstbejahung
Unabhängigkeit

Konventionalität

Eigenständigkeit
Psychologisches

Verantwortlichkeit

Soziales Auftreten
Soziale Anpassung
Rationalität/Intuition

Selbstbeherrschung
vorhandener
Beispiel 1: Der „Erhalter vorhandener Umstände“ bzw. der „Verwalter“

Rohwerte Zustände
127

Abbildung 2: Profilblatt für den „Verwalter/Administrator“


128 Ansfried B. Weinert

Zur Person: Vorgesetzter einer großen Abteilung für Informationssysteme – Verkauf.


Wenngleich mehrere Elemente dieses Profils jene eines „autoritären Antreibers“
widerzuspiegeln scheinen, so gibt es hierbei ganz entscheidende Unterschiede:
1. Als Alpha 7 wird diese Person am besten in einem Unternehmen arbeiten, in dem
Ordnung, Struktur und Vorhersagbarkeit wichtige Elemente darstellen.
2. Die Stärken der Skalen in Klasse II weisen auf Konformität, starke Einstellungen
und Haltungen, Zuverlässigkeit und Selbstverleugnung hin. Diese Person hält
Regeln und Vorgehensweisen ein und sie erwartet auch von anderen, sich gleicher-
maßen zu verhalten. Sie mag unter Umständen auch recht rigide und moralistisch
darin sein, auf deren Einhaltung zu drängen. Wenngleich man diese Person eher als
aufgaben- denn als menschenorientiert beschreiben kann, schwächen doch einige
der CPI-Resultate diese Beobachtung entscheidend ab: Der hohe Wert an Gk weist
auf Umgänglichkeit hin, der hohe Wert an Mf lässt vermuten, dass sie anderen als
recht sympathisch erscheint. Ihr hoher Wert an Ge weist auf ihren Wunsch hin, von
anderen gemocht zu werden und einen positiven Eindruck zu machen. Darüber
hinaus ist es eine gegenüber anderen sehr einsichtsvolle Person, die andere auch
toleriert (Pf).
Ein „Erhalter vorhandener Umstände“ hat es gern, Ordnung und Struktur zu schaffen.
Er ist gewöhnlich sehr gut darin, Leistung zu beaufsichtigen und zu überwachen, und
ist mehr darum bemüht, den Status quo zu unterstützen, als Dinge zu verändern. Diese
Person möchte sich sicher sein, dass sie ihre Arbeit richtig macht, und wenn sie es fer-
tig bringt, die Dinge problemlos und effizient in Gang zu halten, dann ist sie schon zu-
frieden damit. Sie steht dem Bedürfnis nach Veränderung positiv gegenüber und wird
die Voraussetzungen für Veränderungen so gut wie möglich herstellen. Aber ihrer Na-
tur nach ist diese Person primär interessiert an Kontinuität und am Abwenden von
Chaos.
Die etwa durchschnittlichen Skalenwerte an Ep, Sa und Sj beschreiben diese Person
als relativ uninteressiert an persönlicher Anerkennung. Wenn sie weiß, dass das, was
sie tut, richtig ist, oder dass ihr Unternehmen davon profitiert, mag ihr das genug an
Anerkennung sein. Ihr Vorgesetzter beschreibt diese Person als fähig, als jemand, der
am besten mit klaren Zielsetzungen und vorgegebenen Kriterien arbeitet, aber auch
als jemand, dem es an Kreativität mangelt.
männlich
DO EP GK SA SJ EG MF VE SO SB GE KO WO TO LA LU EI PF FL R/I
100 100 Figur 2
30

90 90 g5
35 40 25

80 35 35 25 80
25 45
30 35 35 30 25
35 35 30 40
30 25
70 30 40 35 30 70
30 30 20
20
30 20 25 25
35 35 20
25 30 25 25 30
60 25 25 35 35 25 60
25 20
30 30 15
20 20 15
20 30 25
15 25 20 20
50 20 20 25 30 20 15 50
20
25
15 25 20
15 15 15 15 10
20 20 15
40 15 25 40
10 15 15 15 10
10 20 20
15 10 15 10

Standardwerte
10 10
10
15 20 15 10 5
30 10 5 15 30
10 10 10 10 5 10
5 5
5 5
10 0 15 10 5 5 5
Beispiel 2: Der „Change Agent“ bzw. der „Auslöser“

20 5 5 10 20
Univ.-Prof. Dr./UCB A.B. Weinert (Ph.D.), Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg.

0 0
5 5 5
0
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz

Experimentelle Form. Nachdruck oder Nachahmung in jedweder Form nicht ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers

5 0 10 5
0 0
5 0 0 0 5 0
10 0 10
0 0
0 0
5 0
0 0
0 0
Toleranz

Mitgefühl
Flexibilität

Dominanz
Intelligenz
Feingefühl

Anpassung

Geselligkeit
Einsatz von

Wohlbefinden
Leistung durch
Leistung durch

Auslöser
Guter Eindruck

Erfolgspotential
Selbstbejahung
Unabhängigkeit

Konventionalität

Eigenständigkeit
Psychologisches

Verantwortlichkeit

Soziales Auftreten
Soziale Anpassung
Rationalität/Intuition

Selbstbeherrschung
von
Rohwerte Veränderungen
129

Abbildung 3: Profilblatt für den „Chance Agent“


130 Ansfried B. Weinert

Zur Person: Vorgesetzter einer Abteilung für Organisationsentwicklung in einem Un-


ternehmen, das zurzeit eine starke Veränderung von einem hoch regulierten und regle-
mentierten zu einem sehr konkurrenzorientierten Betrieb vornimmt.
Das vorliegende Profil ist charakteristisch für eine Person, die laufend nach neuen
Herausforderungen sucht, die immer neue Möglichkeiten sieht und die auf Verände-
rungen aus ist.
Nicht nur, dass diese Person ein Gamma-Typ ist, sondern die Gesamtwerte in den
Skalen der Klasse II und die hohen Werte an den Skalen für Lu und Fl weisen
nochmals auf diesen Antrieb hin.
Anstatt ein Großteil der Arbeit mit Hilfe einer großen Menge von Mitarbeitern zu be-
werkstelligen, spielt diese Person lieber die Rolle eines Katalysators. Dieser Mensch
sucht eher nach Möglichkeiten, um der Sprecher für Veränderungsmaßnahmen zu sein
(hoher Sa-Wert), und er wird häufig von anderen als auf andere zugehend, spontan
und motivierend gesehen.
Der Schlüssel für seine Wirksamkeit besteht in dem Grad, zu dem er und die Firmen-
leitung im Hinblick auf die grundsätzlichen Unternehmenswerte und die Werte der
Mitarbeiter übereinstimmen. Wäre dies nicht der Fall, dann müsste man diese Person
eher als rebellisch denn als kreativ beurteilen.
Der hohe Skalenwert an Lu und an Fl verbunden mit dem niedrigen Skalenwert an Ve,
So und Sb beschreibt Unabhängigkeit, mangelndes Einhalten bzw. Berücksichtigun-
gen von Regeln, von Reglementierungen und Konventionen, auch etwas Impulsivität,
ein hohes Energieniveau und sogar etwas an Ablenkbarkeit.
Für diese Person ist es sehr attraktiv, neue Projekte zu beginnen. Diese aber bis zum
Ende durchzuführen, ist es nicht. Sie ist deshalb immer in Gefahr, zu einem neuen
Element oder Projekt überzugehen, noch ehe das gegenwärtig laufende Projekt zum
Abschluss gekommen ist. Als Katalysator für Veränderungen jedoch arbeitet diese
Person effizient, da es andere im Unternehmen übernehmen, den Prozess weiterzu-
führen. Dies ist deshalb kein ungewöhnliches Profil für einen Berater.
Die Dimensionen und die Messung von Führungskompetenz 131

Literatur
Borman, W. C.,/Brush, D. H. (1993). More progress towards a taxonomy of managerial perfor-
mance requirements. Human Performance, 6, S. 1–21
Boyatzis, R. E. (1982). The competent manager, New York
Hogan, R./Warrenfeltz, R. (2003). Educating the modern manager. Academy of Management Learn-
ing and Education, 2, S. 74–84
Judge, T. A./Bono, J. E./Ilies, R./Gerhardt, M.W. (2002). Personality and leadership: A qualitative
and quantitative review. Journal of Applied Psychology, 87, S. 765–780
Lombardo, M. M./Ruderman, M. N./McCauley, C. D. (1988). Explanations of success and derail-
ment in upper-level management positions. Journal of Business and Psychology, 2, S. 199–216
McClelland, D. C. (1973). Testing for competence rather than intelligence. American Psychologist,
28, S. 1–14
Weinert, A. B. (2004). Organisations- und Personalpsychologie, 5. Auflage, Weinheim
Weinert, A. B./Gough, H. G. (2006; in Vorbereitung zum Druck). Manual zum „Rev. Deutschen
CPI“, Hamburg: Helmut-Schmidt-Universität
Weinert, A. B./Scheffer, D. (1999). Neue Wege zur Identifikation von Führungs- und Management-
potenzial. Zeitschrift Führung und Organisation, 4, S. 194–201
Competencies statt Anforderungen –
nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Werner Sarges

1. Zur Entstehung der „Competency“-Bewegung und Vorbehalte dagegen


2. Rückblick: McClellands Verdienst
3. Wie kann man Competencies definieren?
4. Vorteile der heutigen Competency-Bewegung
4.1 Größere Nähe zur Alltagssprache
4.2 Ausrichtung auf die Zukunft
4.3 Ideal: Competencies als allgemeiner Bezugsrahmen für HR-Aktivitäten
4.4 Competency Models
4.5 Nicht zu vergessen: die übergreifenden Trends und Anforderungsmerkmale
5. Vom Competency Model zur Messung der Competencies
6. Abschließendes

1. Zur Entstehung der „Competency“-Bewegung


und Vorbehalte dagegen
Testing for Competence Rather Than for „Intelligence“ war der Titel eines Artikels
von McClelland (1973), der den Grundstein gelegt hat für die beachtliche „Competen-
cy“-Bewegung der letzten zwei Jahrzehnte. Der Erfolg dieses Begriffs war nicht vor-
herzusehen. Zwar wandte McClelland sein Konzept selbst auch als Berater an (1973
gründete er mit einem seiner Psychologen-Mitarbeiter, David Berlew, die Firma Mc-
Ber), um seine Ideen über Competency-Testing fruchtbar in die Praxis zu übertragen.
Aber es gab auch starke Mitbewerber (Kraut & Korman, 1999, S.213). Für den Be-
reich des Managements etwa wurden die relevanten Anforderungsmerkmale von den
Autoren der berühmten AT&T-Management-Progress-Study (Bray & Grant, 1966)
„Variablen“ genannt, von den prominenten Arbeits- und Organisationspsychologen
Campbell, Dunnette, Lawler und Weick (1979) „Managerial Job Dimensions“;
Byham (1970) bezeichnete sie nur als „Dimensions“, ein Begriff, der dann schnell zu
einem weithin benutzten kommerziellen Terminus der 70er und frühen 80er Jahre
wurde; Boyatzis schließlich griff 1982 in seinem Buch The Competent Manager das
„Competency“-Konzept auf, das McClelland knapp zehn Jahre vorher kreiert und
operationalisiert hatte. Seitdem hat sich eine wahre Competency-Euphorie entwickelt.

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_10,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
134 Werner Sarges

Damit beeinflusste McClelland, wenn auch mit Zeitverzug, sowohl die akademische
Disziplin der Arbeits- und Organisationspsychologie als auch die populäre Psycholo-
gie in starkem Maße. Seine Ansichten und weiteren Veröffentlichungen sind seit den
80er-Jahren sehr umfangreich in Presse und Managementliteratur, aber auch in psy-
chologischen Textbüchern für Studenten gewürdigt worden. Und der Glaube an die
Richtigkeit seiner Betrachtungen ist inzwischen so weit verbreitet, dass man von ei-
nem „common knowlegde“ sprechen könnte (Barret & Depinet, 1991; Barret, 1994).
Allein in der letzten Dekade haben tausende von Firmen weltweit Competency-Unter-
suchungen in Auftrag gegeben, die als Basis für Entscheidungen über Einstellungen,
Trainings, Promotions und andere HR-Aktivitäten dienen. Competencies sind inzwi-
schen im Beratergeschäft derart „in“, dass sich letztlich kaum mehr ein HR-Berater
dem entziehen dürfte – zumal sich mit Competency-Models nach wie vor guter Um-
satz generieren lässt. Dies alles gilt natürlich nicht nur für die USA, sondern – wegen
der Internationalität der weltweit operierenden Konzerne – auch für Europa, und das
wohl auch noch für eine geraume Weile: „Competence – and its role in achieving peak
performance – remains one of the hot issues in business today“ (Zwell, 2000).
Indes: In dem jüngst erschienenen deutschsprachigen Lehrbuch der Personalpsycholo-
gie, das der renommierte Eignungsdiagnostiker Schuler (2001) herausgegeben hat,
kommen weder der Anglizismus „Competency“ noch das im Deutschen durchaus
geläufige Fremdwort „Kompetenz“ vor, dafür aber der in der Arbeits- und Organisati-
onspsychologie hinreichend etablierte, gute alte Begriff „Anforderungen“ bzw. „An-
forderungsmerkmale“ – und zwar in diversen Schattierungen: Eigenschaftsanforde-
rungen, Verhaltensanforderungen, tätigkeitsspezifische und tätigkeitsüber-greifende
Anforderungen, Anforderungen an Führungskräfte etc. Dies kann man auch als einen
passiven Widerstand deutschsprachiger Wissenschaftler gegen eine in ihren Augen
überflüssige Mode werten. Auch manche amerikanische Kritiker meinen, dass Com-
petencies bestenfalls als ein trendiges Wort für Fähigkeiten/Fertigkeiten sind (Wood-
ruffe, 2000, S. 87; Barrett & Depinet, 1991; Barrett, 1994), also für gängige Kategori-
en, in denen man gewöhnlich Anforderungen an einen Job formuliert. Und davon ist
sicherlich Manches wahr.
Ist dies alles nun lediglich ein oberflächlicher Streit um Bezeichnungen oder doch
mehr? Es hat ein bisschen etwas von beidem. Zur Klärung dieser Frage wollen wir die
Entstehungsgeschichte kurz betrachten und von da aus die weitere Entwicklung der
Competency-Idee verfolgen und beurteilen.

2. Rückblick: McClellands Verdienst


McClelland (1973) behauptete damals, dass weder traditionelle Begabungstests („In-
telligence“) noch Examensnoten in der Lage wären,
• Berufserfolg oder sonstige Leistungen im Leben eines Menschen vorherzusagen
und
• fair zu sein gegenüber Minoritäten, Frauen oder Personen aus schwächeren Sozial-
schichten.
Competencies statt Anforderungen 135

Er begründete dies mit Befunden aus der Forschung und eigenen Erfahrungen/Ein-
drücken. (Inzwischen ist übrigens zumindest seine erste Behauptung bei weitem nicht
mehr haltbar (Schmidt & Hunter, 2000).)
Konsequenterweise suchte er daraufhin neue Wege, um an die leistungsrelevanten An-
forderungsmerkmale eines Berufes oder Jobs heranzukommen, und in dem 1973 er-
schienen Artikel demonstrierte er anhand eines Beratungsprojekts, wie er die oft sehr
versteckten, für den betreffenden Job aber tatsächlich erfolgsrelevanten Merkmale,
die er dann „Competency“-Variablen nannte, herausfindet.
Seine Methode ist durch zwei zentrale Bausteine charakterisiert: durch den Erhebungs-
plan des Kontrastgruppendesigns und das Erhebungsinstrument des Behavioral Event
Interviews (BEI). Um für einen gegebenen Job (z. B. Abteilungsleiter) oder eine Rolle
(z. B. das Leiten von Meetings) die relevanten Competencies zu finden, betrachtet er
zwei in ihrer Leistung hinreichend verschiedene Gruppen: Top- versus Medium-Perfor-
mer. Probanden beider Gruppen müssen dann in spezifischen Einzelinterviews (BEIs)
jeweils drei Vorkommnisse aus ihrem Job beschreiben, bei denen sie sehr erfolgreich,
und drei Vorkommnisse, bei denen sie deutlich weniger erfolgreich waren. Dabei müs-
sen sie erzählen, was jeweils die Ausgangslage war, wie sie gehandelt haben, was sonst
noch eine Rolle spielte, und was schließlich als Ergebnis dabei herauskam. Nach Analy-
se der Geschichten sucht McClelland dann nach Mustern: welche besonderen Compe-
tencies die Top-Performer zeigen, die die anderen nicht haben und vice versa. Dabei
folgte er der Idee von Flanagan (1954) mit seiner so gennannten „Critical Incident Tech-
nique“, die kritische Traits und Skills für erfolgreiches Verhalten in einer bestimmten
beruflichen Position zu identifizieren hilft. Aber Flanagans Critical-Incident-Technique
beachtete primär das Verhalten, nicht aber auch die Gedanken und Gefühle oder gar
Motive, insofern wurde dieser Ansatz durch McClelland von der engen behaviouisti-
schen Perspektive befreit.
Was ist nun der Nutzen dieser Vorgehensweise? In der Tat erhöht eine solche Anforde-
rungsanalyse deutlich die Chance, wirklich erfolgsrelevante Merkmale eines Jobs zu
finden, statt nur vermeintlich wichtige, faktisch aber wenig entscheidende Merkmale
als Anforderungen heranzuziehen – ein in der Praxis auch heute noch weit verbreiteter
Fehler. Und damit hat McClelland unzweifelhaft einen großen Fortschritt in der Ver-
besserung der Anforderungsanalyse erreicht, der auch in die klassische Arbeits- und
Organisationspsychologie integriert wurde. Allerdings ist deren Arsenal an Methoden
umfassender als der von McClelland hier vorgeschlagene und von vielen Competency-
Jüngern praktisch allein beibehaltene Weg, die damit die Möglichkeit eines Mono-
Methoden-Fehlers ignorieren. Nun ist es natürlich nicht so, dass man mit der besonderen
Methode der Anforderungsanalyse von McClelland immer deutlich andere Anforde-
rungen erhielte als mit den diversen herkömmlichen Methoden. Dies merkten Barrett
und Depinet (1991, S.1020) denn auch polemisch an: „Did the techniques of Klemp
and McClelland (1986) identify any competencies different from the constructs already
developed and tested for many years by other techniques, such as assessment centers?
For example, was the competency of planning and causal thinking identified by
Klemp and McClelland any different form the variable labeled organization and plann-
ing, identified 20 years earlier (Bray & Grant, 1966)?“. In diesem Beispiel nicht, aber
das muss ja auch nicht immer, könnte aber gelegentlich der Fall sein.
136 Werner Sarges

3. Wie kann man Competencies definieren?


Was genau versteht man nun in der Tradition von McClelland unter einer Competen-
cy? Nichts Einheitliches jedenfalls, denn jede längere Liste von Competencies enthält
• Verhalten (z. B. der Proband verhält sich sensibel anderen gegenüber),
• dessen vermutliche (Mit-)Ursachen (z. B. emotionale Stabilität),
• und dessen (Mit-)Folgen (z. B. gute Mitarbeiterführung).
Entsprechend bestehen Competency-Listen inhaltlich meist aus einem Potpourri von
Persönlichkeitsmerkmalen, Motiven, Werten, Verhaltensweisen, Einstellungen, Leis-
tungsvariablen, Fertigkeiten, Wissensbeständen usw. (vgl. auch Boyatzis, 1982). Man
ist sich aber heute darüber einig, dass Competencies berufs-/tätigkeitsrelevante, ver-
haltensnahe und messbare Charakteristika einer Person sein sollten. Viele Competen-
cies sind sogar Konfigurationen (Bündelungen) aus verschiedenen Einzelmerkmalen,
z. B. Lernpotenzial als Summe (bzw. Produkt) von Lernfähigkeit und Lernwilligkeit
(Sarges, 2000) oder Sozialkompetenz als situationsgerechte Ausprägung von Selbstän-
digkeit und Kooperation (Wunderer & Bruch, 2000). Nicht wenige Competencies sind
aber noch komplexer zusammengesetzt, sodass man sie für Zwecke seriöser Messung
(s.u.) entsprechend „entknäueln“ muss.
Struktural präziser dürfte die Definition von Spencer und Spencer (1993, S. 9) sein:
„A competency is an underlying characteristic of an individual that is causally related
to criterion-referenced effective and/ or superior performance in a job or situation.
Underlying characteristic means the competency is a fairly deep and eduring part of a
person’s personality … Caussally related means that a competency causes or predicts
behavior and performance. Criterion-referenced means that the competency actually
predicts who does something well or poorly, as measured on a specific criterion or
standard. Examples of ciriteria are the dollar volume of sales for salespeople or the
numer of clients who stay „dry“ for alcohol-abuse counselors.“
Genauso aber sind auch Anforderungs- bzw. Eignungsmerkmale definiert. Demnach gibt
es auf dieser Betrachtungsebene keinen Unterschied zwischen Competencies und Anfor-
derungen. Methodisch gesehen könnten wir daher den Disput „Competencies statt Anfor-
derungen“ als reinen Streit über Namen/Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache und
damit als irrelevant abtun – wenn es nicht darüber hinausgehende Argumente gäbe.

4. Vorteile der heutigen Competency-Bewegung


Was spricht dann für Competencies? Einmal das, was wir eben als einen Unterschied
zwischen „Competencies“ und „Anforderungen“ ausgemacht haben: die Bezeichnun-
gen, zum anderen aber auch ihre Konzeption als final orientierte Konstrukte.
Zwei Trends entwickelten sich nämlich und konstituieren inzwischen einen deutlichen
Abstand zum klassischen Anforderungsdenken:
Competencies statt Anforderungen 137

1. Man erlaubte sich einfach eine größere Unbefangenheit in Richtung auf die All-
tagssprache.
2. Man konnte die Zukunft explizit mit einbeziehen, die Competencies auf die Unter-
nehmensstrategie beziehen und teilweise sogar einen breiteren Bezugsrahmen für
viele wichtige HR-Aktivitäten erhalten.

4.1 Größere Nähe zur Alltagssprache


Competencies sind oft deutlich stärker in der Sprache der Arbeitswelt formuliert als in
Dispositions- oder Fähigkeitsbegriffen der Psychologie. Damit verlässt man die Ex-
pertensprache und zieht die Terminologie der Nutzer (auch in den Begriffsschattierun-
gen der eigenen Firma) heran. Illustriert sei dies anhand zweier unterschiedlicher
Competency Models für Führungskräfte (vgl. Abbildung 1): Das Specific Competency
Model ist für eine bestimmte Firma in deren Jargon formuliert, das Generic Compe-
tency Model für mehrere Firmen in eher akademischer Diktion.

Specific Competency Model Generic Competency Model

• Team Player • Breadth of Awareness


• Customer Focus • Incisiveness
• Bias toward Action • Reasoning
• Analytic Thinking • Organization
• Integrity • Drive
• Innovation • Self-confidence
• Global Vision • Sensitivity
• Good with People • Cooperativness
• Goal Orientation

Abbildung 1: Two Competency Models (aus McCall, 1998, S.129)

Dass die neue Lockerheit bei der Namensgebung von Competencies aber auch die Ge-
fahr der Laxheit in der Begriffspräzision birgt, soll folgendes Beispiel belegen: Wenn
man – wie Henderson, Anderson und Rick (1995, S. 22) es tun – unter der Competen-
cy-Bezeichnung „Interpersonal Skills“ die folgenden Indikator-Merkmale subsumiert
• Creativity
• Initiative
• Judgement
• Negotiation
138 Werner Sarges

• Integrity
• Empathy
• Persuasiveness
• Assertiveness,
dann verwirrt man jeden halbwegs begriffssensiblen Beurteiler. Denn Creativity ist
ein Merkmal aus dem kognitiven Bereich und Initiative eines aus dem motivatori-
schen, nicht aus dem interpersonellen Bereich – von anderen kritischen Zuordnungen
hier gar nicht erst zu reden. Derartige Beispiele begrifflicher Unsauberkeit finden sich
in vielen Competency-Listen leider allzu oft. Begriffliche Klarheit ist also gefragt und
sollte mit Nachdruck eingefordert werden.
Von daher kann man die Empfehlung von Woodruffe (2000, S. 95) nur unterstreichen,
dass die Bezeichnung für eine Competency ein Wort sein sollte, das den gemeinsamen
Nenner der Indikator-Merkmale auch tatsächlich trifft. Beispielweise könnte man ein
Cluster mit den Verhaltensweisen
• Identifies priorities
• Thinks back from the deadline
• Identifies elements of task
• Anticipates resource requirements
• Allocates resources to tasks
• Manages own and others’ time
recht treffend mit Organisation bezeichnen.
Eine Competency repräsentiert also eine mehr oder weniger komplexe Konstellation
von Komponenten, d. h. psychologischen Verhaltensmerkmalen. Und logischerweise
sind die Konstellationen oder Cluster solcher Merkmale, die eine Competency ausma-
chen, größer bei breitgefassten Competencies und kompakter bei enger gefassten.

4.2 Ausrichtung auf die Zukunft


Ein großer Vorteil von Competency Models ist darin darin zu sehen, dass ein Bezug
auf das Leitbild und die strategische Positionierung des betreffenden Unternehmens
hergestellt werden kann (Schippmann, 1999), lautet doch heut zu tage mehr denn je
die Devise „Focus on the future!“.
Dies ist für herkömmlich orientierte Anforderungsanalytiker der akademischen Ar-
beits- und Organisationspsychologie allerdings ungewohnt, denn sie sind methoden-
bedingt primär vergangenheitsorientiert. Übrigens war dies auch bei McClelland mit
seinem anforderungsanalytischen Ansatz des Extremgruppenvergleichs und des Beha-
vioral Event Interviews der Fall.
Die Orientierung der Anforderungen an der Zukunft kam erst während der jüngeren
Entwicklung der Competency-Bewegung auf, nämlich durch die drängende Frage,
wie man das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter besser auf die Unternehmensziele und
-strategie ausrichten könne. Daher begann man, die generellen und spezifischen Com-
petencies eines Unternehmens von vornherein auf den zukünftig gewünschten Zu-
Competencies statt Anforderungen 139

stand zu beziehen. Dies heißt nun keinesfalls, dass man vergangenheitsorientierte An-
forderungsanalysen unterlassen könnte. Denn nach wie vor benötigt man Informatio-
nen aus der Analyse der bestehenden Arbeitsplätze und der derzeitigen Hoch- und
Schwachleister, und es existieren auch wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse über
Merkmale, die mit Leistung über verschiedene Berufe und Organisationen hinweg
substantiell korrelieren (Hossiep, 2000, 2001; Hough/Oswald, 2000).
Dennoch war und ist die Zukunftsbezogenheit von Competencies ein genuines Sur-
plus gegenüber Anforderungen aus nur klassischen Anforderungsanalysen. Zusätzli-
cher Vorteil: Da Competencies meist so formuliert sind, dass sie beschreiben, was ex-
zellente Leistung in einem Job oder einer Rolle sein sollte (= klare Definition der Leis-
tungsstandards), kann die Verwendung von Competencies – so die Hoffnung – auch zu
einer weiteren Anhebung der Leistungsniveaus im ganzen Unternehmen führen.

4.3 Ideal: Competencies als allgemeiner Bezugsrahmen


für HR-Aktivitäten
Zentrale operative Aufgaben im HR-Bereich sind Anwerbung, Auswahl, Entwicklung,
Karriereberatung/-planung und Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern, wohingegen
die Nachfolgeplanung, die Entgeltgestaltung und die Organisationsentwicklung mehr
strategiebezogene Aufgaben darstellen (Schuler/Jackson, 1999).
Competency Models sollten – so das Ideal – nützlich sein für etliche oder gar alle diese
Anwendungen in der ganzen Organsation (Byham/Meyer, 1996; Green, 1999; Schipp-
mann, 1999; Sparrow, 1997). In der Praxis aber wurden und werden häufig solche Com-
petency Models konstruiert, die erst einmal die Bedarfe eines spezifischen Aspekts des
HR-Mangements in einem bestimmten Bereich der Organsiation befriedigen. Daher
sind viele dieser Modelle lediglich von einer Ad-hoc-Natur und sie variieren stark bez.
der Qualität und Brauchbarkeit (Fletcher Baldry/Cunningham-Snell, 1998).
Oft kann man allerdings erleben, dass ein für einen eingeschränkteren Zweck und/
oder einen begrenzten Teil der Organisation entwickeltes Competency Model auf an-
dere Anwendungen oder Organisationsbereiche übertragen wird, offenbar weil man
annimmt, dass Competency Models per se mit einem universalistischen Anspruch
auftreten können. Viele HR-Manager und deren Vorgesetzte erhoffen sich von der Er-
stellung und Implementierung eines Competency Models, damit einen allgemeinen
Begriffsrahmen zu schaffen, der eine annähernde Vergleichbarkeit zur Einschätzung
von Mitarbeitern für die verschieden Aufgaben im HR-Bereich ermöglicht. Nur: Die-
ser Weg dürfte viel weiter sein als manche denken.

4.4 Competency Models


Trotz aller strategiebezogener Zukunftsorientierung: Einen umfangreichen Katalog
firmenübergreifender Competencies für bestimmte Funktionen (Generic Competency
Models) hat eigentlich jede größere Beratungsfirma parat, um das Rad nicht immer
neu erfinden zu müssen. Die allgemeinen Erkenntnisse aus der Vergangenheit und die
140 Werner Sarges

allgemeine Zukunftserwartung spielen vermutlich doch eine größere Rolle als die Be-
sonderheit der einzelnen Unternehmung im Hier und Jetzt bzw. im Dann und Dort –
auch wenn die Eigenwahrnehmung oft anders aussieht.
Beispiele der Beratungsfirma McBer etwa für verschiedene Job-Kategorien liefern
Spencer und Spencer (1993, S.159 ff.): für Technicians & Professionals, Salespeople,
Helping & Human Service Workers, Managers und Entrepreneurs. Die Formulierun-
gen der Competencies sind dabei eher akademisch gehalten, aber sie werden im kon-
kreten Beratungskontext dann der unternehmensspezifischen Sprachkultur sowie sons-
tigen Bedürfnissen des Auftraggebers angepasst. Wobei man aber sagen muss, dass
die Dinge so kundenspezifisch („customer tailored“), wie manche Berater es vorge-
ben, oft nun auch wieder nicht sind.
Auch die Verhaltensindikatoren pro Competency werden angepasst, und zwar an die
Jobs, z. B. für die Competency „Impact and Influence“ explizieren Spencer und Spen-
cer (1993)
• für Technicians & Professionals: Uses direct persuasion, facts and figures; gives
presentations tailored to audience; shows concern with professional reputation;
• für Salespeople: Establishes credibility; addresses customer’s issues/ concerns; in-
direct influence; predicts effects of own words and actions.
Außerdem sind Competencies von unterschiedlichem Grad der Generalisierbarkeit:
Stark generalisierbar wäre etwa die „Fähigkeit, andere zu überzeugen“, nur in gewis-
ser Weise generalisierter wäre die „Fähigkeit, potenzielle Kunden zu überzeugen, die
Vorteile eines Finanz-Anlagenprodukts oder -Services zu überdenken“.
Zur Illustration (vgl. Abbildung 2) sind nachfolgend Competency-Listen für Manager
von drei bekannten Firmen wiedergegeben.
Weltweit gibt es viele Competency Models, spezifische und generelle, mehr aus der
akademischen Welt kommende und solche aus der Praxis. Die praxis-basierten Mo-
delle sind in der Regel weiter entwickelt und detaillierter in Richtung auf Instrumen-
tierung, Verhaltensanker und zugeordnete Entwicklungsinstrumente. Die akademi-
schen Modelle dagegen versuchen, eine kleinere Anzahl von generellen Dimensionen
zu finden, die ein umfassendes, dennoch sparsames Instrumentarium für die Domäne
relevanter Anforderungsmerkmale darstellen. Was man nunmehr immer dringlicher
braucht, ist die Kombination aus Sparsamkeit und Struktur der akademischen Modelle
und Brauchbarkeit und Praktikabilität der Modelle, die in der Praxis entwickelt wur-
den (Kurz/Bartram, im Druck).
Die meisten größeren Beratungsfirmen bieten inzwischen hierarchische Modelle an,
aus denen sie in Zusammenarbeit mit dem Kunden die relevanten Competencies samt
geeigneter Komponenten zusammenstellen und firmenspezifisch benennen. Derartige
Modelle konstituieren sich durch eine kleine Zahl breiter Faktoren bzw. Cluster oben,
eine erweiterte Anzahl von „Competencies“ oder „Dimensions“ in der Mitte und eine
große Menge von Komponenten oder Elementen unten. Abbildung 3 zeigt dies synop-
tisch für die Beratungsfirmen DDI (Development Dimensions International, Pitts-
burgh, USA), PDI (Personnel Decisions International, Minneapolis, USA) und SHL
(Saville & Holdsworth, Thames Ditton, UK).
Competencies statt Anforderungen 141

ABB IBM KPMG

• Innovation/creativity • Customer insight • Client responiveness


Relationship-building
• Teamworking skills • Breakthrough thinking Professional judgement
• Custumer focus • Drive to achieve • Business Skills
• Communication skills • Team leadership Commerciality
Business development
• Flexibility • Straight talk
• Business Skills
• Quality of Work • Teamwork Commerciality
• Development of others • Decisiveness and Business development

• Professional knowledge/ decision-making • Management


skills • Building organisational Task management
Team skills
• Leadership capability
• Personal effectiveness
• Accepting responsibility • Personal dedication
Drive and commitment
• A passion for the business to results

• Social skills
Communication skills
Social confidence

• Thinking skills
Analytical thinking
Proactive Thinking

• People development

Abbildung 2: Examples of competency lists (aus Woodruffe, 2000, S.101)

Dabei haben Kurz und Bartram (in press) von SHL die Brücke zwischen Wissenschaft
und Praxis besonders vorbildlich geschlagen. Unter Bezug auf den derzeitigen Stand
der akademisch-organisationspsychologischen Forschung, aber nicht zuletzt auch auf
Basis umfangreicher eigener Analysen schlagen sie eine Struktur mit acht breiten Fak-
toren vor, die „Big Eight“:
• „g“ oder generelles analytisches Denken,
• die „Big Five“ Persönlichkeitsfaktoren (Extraversion, emotionale Stabilität, Offen-
heit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit),
• die zwei Motivationsfaktoren Leistungsmotivation und Machtmotivation.
142 Werner Sarges

DDI PDI SHL

6 8 8
Clusters Factors Factors
e.g. Expressing Individual e.g. Thinking Skills e.g. Interacting &
Potential Presenting

ca. 50 ca. 25 20
Dimensions/ Competencies Dimensions
Competencies e.g. Analytical Thinking e.g. Persuading &
e.g. Adaptability Influencing

Key Actions Behaviors Competency


e.g. Approaches change e.g. Systematically Components
positively gathers relevant e.g. Gaining agreement
information

Abbildung 3: Synoptischer Vergleich der hierarchischen Competency-Kataloge der Firmen DDI,


PDI und SHL

4.5 Nicht zu vergessen: die übergreifenden Trends


und Anforderungsmerkmale
Zur Bewältigung von wachsender Dynamik und Komplexität angesichts einer immer
ungewisser werdenden Zukunft werden für Manager teilweise neue generelle Kompe-
tenzen gefordert, z. B. Vernetztes Denken (Gomez/Probst, 1999), Intuition (Schanz,
1997) Umsetzungskompetenz (Wunderer/Bruch, 2000) oder auch allgemeines Lernpo-
tenzial (Sarges, 2000). Derartig relevante „Core Competencies“ sollten in neueren
Competency Models denn auch nicht fehlen.
Aber: Bei aller Zukunftsorientierung auch in der Strategie werden die zukunftsbezo-
genen Competencies wegen der zunehmenden Unvorhersagbarkeit der Dinge manch-
mal nur von eher kurzer Relevanz sein. Nehmen wir als Beispiel dafür die Weltwirt-
schaft, die in den 90er-Jahren einen ganz anderen Verlauf genommen hat als nach den
gängigen Theorien zu erwarten gewesen wäre. Ob Keynesianer oder Monetaristen,
Neoliberale oder Neomarxisten, Parteigänger christlicher oder sozialistischer Lehren
– es ist alles anders gekommen, als man glaubte. Der Zusammenbruch der Sowjetuni-
on, der weltweite Triumph des Kapitalismus, die Misere des schwedischen Wohl-
fahrtsstaats wie der Sozialen Marktwirtschaft, der Verfall Japans, die schockartige
Finanzkrise in Südostasien, aber auch das fulminante Comeback der US-Wirtschaft,
die Erfolge kleiner Länder von Irland bis Chile – in diesem bewegten Jahrzehnt folgte
eine Überraschung der anderen (Zänker, 1998). Und ob wir uns, wie manche Strate-
gie-Denker optimistisch annehmen, die Zukunft in dem Umfang „erfinden“ können,
wie wir es gern möchten (Stahl/Hinterhuber, 2000), ist doch sehr fraglich.
Competencies statt Anforderungen 143

Angesichts von so viel Unbestimmtheit auch in Bezug auf die Änderung der Anforde-
rungen sowie der beruflichen Weiterentwicklung der Mitarbeiter sollte man zugleich
auf die generalisierbaren Potenziale, d. h. auf die Basiskompetenzen im Leistungs-
und Persönlichkeitsbereich setzen. Diese sind bei der Vielzahl möglicher Einsatzbe-
reiche häufig sogar ausschlaggebender als die optimale aktuelle Passung einer Person
zu einer bestimmten Position (Wottawa, 2000b). Merkmale, die relativ unabhängig
von den spezifischen Anforderungen einer konkreten Führungsfunktion beispielswei-
se als erfolgsrelevant gelten können, sind nach dem heutigen Forschungsstand: allge-
meine Intelligenz, Leistungsmotivation, Selbstvertrauen, Dominanz, soziale Kompetenz,
Integrität, insbesondere aber Flexibilität und Lernpotenzial (Schuler, 2001, S. 55 ff.).
„The ability (and willingness) to learn from experience may prove to be more impor-
tant in the long run than a high rating in a currently valued competency“ (Spreitzer/
McCall/Mahoney, 1997, S. 6; vgl. auch Sarges, 2000).

5. Vom Competency Model zur Messung der Competencies


Schließlich geht es darum, die praxisorientierten Competency Models mit psycho-
logisch-messtechnischem Know-how solide zu verankern. Denn ein Competency
Model zeigt zunächst einmal nur seine Oberflächenstruktur, die dann aber einer elabo-
rierten Tiefenstruktur bedarf. Dies mag die folgende Analogie zum Automobil veran-
schaulichen (übernommen von Bartram/Kurz/Bailey, 2000): Die Tiefenstruktur reflek-
tiert die Technologie unter dem Blech, Oberflächenstruktur meint das Aussehen des
Wagens u. ä. Die Kunden wollen, dass das Auto gut aussieht, sich gut anfühlt und
handhaben lässt; sie wollen wählen können beim Design, bei der Farbe, der Ausstat-
tung und den Extras. Aber gleichzeitig erwarten sie ein ingenieurmäßig bestens kon-
struiertes Produkt hinter dem äußeren Erscheinungsbild.
Zunächst: So sehr die weiter oben besprochene Nähe zur Alltagssprache ein „Design“-
Vorteil von Competencies ist, so ist doch nicht zu leugnen, dass damit zugleich der Nach-
teil der Diffusität der Bezeichnungen verbunden ist. Diesem Nachteil muss man mit Hilfe
einer Präzisierung durch die Festlegung spezifischer Messinstrumente begegnen, die
auch die Unterschiede zwischen den Hierarchiestufen berücksichtigen (Wottawa, 2000a):
„Zum Beispiel bedeutet „Kundenorientierung“ durchaus sehr Verschiedenes, je nach-
dem, ob es sich um Verfahren zur Auswahl von Auszubildenden für eine spätere
Tätigkeit als Mechaniker in der Produktion oder die Beurteilung des Potenzials eines
Projektleiters im Großanlagenbau handelt. Gemeinsam ist der Verwendung der glei-
chen Competency-Bezeichnung für verschiedene Arbeitsfunktionen die finale Orien-
tierung, also das Beziehen auf Komponenten, die eine bessere Leistung für den Kun-
den zur Folge haben. Beim Azubi mag das die Neigung zu besonderer Sorgfalt bei der
Erledigung einfacher Aufgaben auch unter Zeitdruck sein, bei dem Vertriebsingenieur
eine bestimmte Sprachgewandtheit (Flexibilität in der Nutzung und Anwendung von
Kundenbegriffen) und beim Topmanager die Fähigkeit zur Beachtung der sich ver-
mutlich verändernden Wünsche der späteren Abnehmer einer Anlage. Man muss also
differenzieren und aus „Kundenorientierung“ nicht eine einzige Dimension für alle
hierarchischen Stufen und funktionalen Bereiche machen wollen“ (Wottawa, 2000a).
144 Werner Sarges

Des Weiteren: Die Messinstrumente, die für die vielen Competency Models der letz-
ten 20 Jahre angeboten wurden, sind zumeist nicht nach den nötigen psychometri-
schen Standards konstruiert und evaluiert worden (Barrett/Depinet, 1991; Kurz/
Bartram, im Druck). Kommt hinzu, dass man zur Erfassung von Competencies über-
wiegend zu sog. BARS (Behaviorally Anchored Rating Scales) Zuflucht genommen
hat und damit doch sehr stark mono-methodisch vorgegangen ist.
Schließlich: Die Basis von Competencies sind eindimensionale Persönlichkeitsdispo-
sitionen sowie Fähigkeits- und Fertigkeits-Attribute. Eine Competency ist somit ein
multidimensionaler Komplex von psychologischen Attributen (Merkmalen), der Dis-
positionen und Fähigkeiten/Fertigkeiten mit Verhalten verknüpft (Kurz/Bartram, im
Druck). Dies gilt es, systematisch und multimethodal zu erfassen und nicht nur mit
Ratings von Vorgesetzten auf BARS.
Schuler hat dazu eine geeignetes Bezugskonzept entwickelt, dessen Kern die Unter-
scheidung dreier methodischer Ansätze in der Berufseignungdiagnostik ist, nämlich
Eigenschaftsansatz, Simulationsansatz und Biographischer Ansatz; diesen entspre-
chen als Methoden Tests, Arbeitsproben und biographische Information (vgl. Abbil-
dung 4).

Eigenschaften

T
e
s
t
s

Kon-
strukt

Validierung

Inhalt Kriterium
Bio
ionen grap
ulat hie
Sim

Verhalten Ergebnisse

Abbildung 4: Drei Ansätze der Eignungsdiagnostik (aus Schuler, 2000a, S. 65)


Competencies statt Anforderungen 145

Und er weist zu Recht darauf hin, dass kein wichtiges Merkmal beruflicher Eignung
mit nur einer einzelnen diagnostischen Methode ernsthaft zu ermitteln ist, weshalb
schon seit langem das Prinzip der Multimethodalität der Messung empfohlen wird,
zumindest zur Erfassung der zentralen Anforderungsmerkmale (Schuler 2000a, S. 63).
Multimethodalität ist übrigens kein Spezifikum der Eignungsdiagnostik, sondern ge-
nerell von großem Nutzen zur validen Informationsgewinnung auch in sonstigen Be-
reichen der Management-Arena (Brocklesby, 1997) und vermutlich auch andernorts.
Ein weiteres interessantes Rahmenmodell haben Kurz und Bartram (in press) jüngst
entworfen und mit dem plakativen Namen „WoW“ (World of Work) betitelt: „This ...
offers a broader perspective on competency based approaches to human resources ma-
nagement (HRM) by providing a common „surface“ language for both worlds (i. e.
world of work and world of assessment), with firm links to „deep“ underlying psycho-
logical constructs“. Man darf auf die Veröffentlichung dieses Bezugsmodells gespannt
sein.

6. Abschließendes
Weil durch anhaltende Globalisierung, technologische Evolutionen und firmeninterne
Reorganisationen die Mitarbeiter immer effektiver und effizienter eingesetzt werden
müssen, ist man von Seiten des HR-Managements natürlich ständig auf der Suche
nach Methoden und Instrumenten, die diesen Zielen dienlich sind. Als die Rede von
Competencies aufkam, erfreuten sie sich deshalb so schnell so großer Beliebtheit,
weil sie den Bedürfnissen der Praxis endlich entgegen kamen. Die Praxis konnte ihre
eigenen Konzepte und Namen einbringen, Best Practice-Standards formulieren und
die Zukunftsorientierung einbauen. Nunmehr allerdings gilt es, die Präzision der Mes-
sung voran zu treiben und Nachweise der Validität dieser Messergebnisse für die be-
rufliche Leistung zu erbringen, denn adäquate Validierungskonzepte sind vorhanden.
Für das Gesamtverständnis darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass die in den USA
entstandene Competency-Bewegung in Deutschland zumindest den Weg von einer
Konvergenz mit einem einflussreichen Trend aus dem Bereich der hiesigen berufli-
chen Weiterbildung weiter geebnet bekam: Unter dem Druck des wirtschaftlichen und
sozialen Wandels hat die deutsche Arbeits- und Berufspädagogik schon vor einiger
Zeit ihr Konzept vom Berufskönnen (fremdorganisiert) über die Berufsqualifikation
(selbständig) zur Berufskompetenz (selbstorganisiert) erweitert (Arnold, 1997), wobei
unter Kompetenz zumindest die Befähigung verstanden wird, in einem beruflichen
Aufgabengebiet erfolgreich arbeiten zu können (Weiß, 1999) – was dem Bedeutungs-
gehalt des Competency-Konstrukts durchaus entspricht –, in einem weitergehenden
Verständnis aber sogar die Befähigung zu selbstorganisiertem Lernen meint (Beer-
mann, 2000) – was der immer mehr propagierten Schlüsselkompetenz „Lernpotenzi-
al“ sehr entgegen kommt (z. B. Erpenbeck/Heise, 1999; Wildmann, 2001).
Zum Schluss noch einmal die wichtigsten publikatorischen Eckpunkte zur Geschichte
der Competency-Bewegung. Zunächst gab es einen Dreischritt: ausgehend von
McClelland (1973: Testing for competence rather than for intelligence) über Boyatzis
146 Werner Sarges

(1982: The competent manager) zu Spencer und Spencer (1993: Competence at


work). Danach sind meines Ermessens vor allem bedeutsam: Lucia und Lepsinger
(1999: The art and science of competency models – Pinpointing critical success fac-
tors in organizations), Schippmann (1999: Strategic job modeling – Working at the
core of integrated Human Resources) sowie Kurz und Bartram (in press: Competency
and individual performance: Modelling the world of work). Dazwischen gab es 1991
von testpsychologischer Seite einen Versuch, die Ungeeignetheit von Competencies
nachzuweisen (Barrett/Depinet, 1991), der aber 1994 in einem Kreuzfeuer zwischen
Angreifern und Angegriffenen (Barrett, 1994; Boyatzis, 1994; McClelland, 1994) ver-
sandete und bis heute keiner weiteren Erwähnung mehr für würdig befunden wurde –
wahrscheinlich weil die Competency-Bewegung doch mehr ist als nur alter Wein in
neuen Schläuchen.

Literatur
Arnold, R. (1997). Von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung. In Arbeitsgemeinschaft Qua-
lifikations-Entwicklungs-Management-Berlin (Hrsg.), Kompetenzentwicklung ’97, S. 253–307,
Münster
Barrett, G. V. (1994). Empirical data say it all. American Psychologist, 49, S. 69–71
Barrett, G. V./Depinet, R. L. (1991). A reconsideration of testing for competence rather than for in-
telligence. American Psychologist, 46, S. 1012–1024
Bartram, D./Kurz, R./Bailey, R. (2000). The SHL Competency Framework. Internal SHL Memo-
randum. Thames Ditton
Bermann, B. (2000). Kompetenzentwicklung im Arbeitsprozess. Zeitschrift für Arbeitswissen-
schaft, 54 (2), S. 138–144
Boyatzis, R. E. (1982). The competent manager, New York
Boyatzis, R. E. (1994). Rendering unto competence the things that are competent. American Psy-
chologist, 49, S. 65–66
Bray, D. W./Grant, D. L. (1966). The assessment center in the measurement of potential for business
management. Psychological Monographs, 80, Whole No. 625
Brocklesby, J. (1997). Becoming multimethodology literate: An assessment of the cognitive diffi-
culties of working across paradigms, in: J. Mingers/A. Gill (Hrsg.), Multimethodology – The
theory and practice of combining management science methodologies, S. 189–216, Chichester
Byham, W. C./Moyer, R. P (1996). Using competencies to build a successful organization. Interna-
tional DDI Monograph, Pittsburgh
Erpenbeck, J./Heise, V. (1999). Die Kompetenzbiographie – Strategien der Kompetenzentwicklung
durch selbstorganisiertes Lernen und multimediale Kommunikation. Münster
Fletcher, C./Baldry, C./Cunningham-Snell, N. (1998). The psychometric properties of 360 degree
feedback: An empirical study and a cautionary tale. International Journal of Selection and Assess-
ment, 6, S. 19–34
Green, P. C. (1999). Building robust competencies – Linking Human Resource systems to organiza-
tional strategies, San Francisco
Gomez, P./Probst, G. (1999). Die Praxis des Ganzheitlichen Problemlösens: Vernetzt denken – un-
ternehmerisch handeln – persönlich überzeugen, 3. Auflage, Bern
Henderson, F./Anderson, N./Rick, S. (1995). Future competency profiling. Personnel Revue, 24, S.
19–31
Hossiep, R. (2000). Konsequenzen aus neueren Erkenntnissen zur Potenzialbeurteilung, in: L. von
Rosenstiel/T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspektiven der Potenzialbeurteilung, S. 75–105, Göttingen
Hossiep, R. (2001). Psychologische Tests – die vernachlässigte Dimension in Assessment Centern,
in: W. Sarges (Hrsg.), Weiterentwicklungen der Assessment Center-Methode, 2. Auflage, Göttingen
Competencies statt Anforderungen 147

Hough, L. M./Oswald, F. L. (2000). Personnel selection: Lookong toward the future – remebering the
past. Annual Review of Psychology, 51, S. 631–664
Klemp, G. O., Jr./McClelland, D. C, (1986). What characterizes intelligent functioning among seni-
or managers? In R. J. Sternberg/R. K. Wagner (Hrsg.), Practical intelligence: Nature and origins
of competence in the everyday world, S. 31–50, Cambridge
Kraut, A. I./Korman, A. K. (Hrsg.). (1999). Evolving practices in Human Resource Management –
Responses to a changing world of work, San Francisco
Kurz, R./Bartram, D. (in press). Competency and individual performance: Modelling the world of
work, in: I. Robertson/M. Callinan/D. Bartram (Hrsg.), Organsational effectiveness: The role of
psychology, Chichester
Lucia, A. D./Lepsinger, R. (1999). The art and science of competency models – Pinpointing critical
success factors in organizations, San Francisco
McCall, M. W., Jr. (1998). High flyers. Developing the next generation of leaders. Boston
McClelland, D. C. (1973). Testing for competence rather than for intelligence. American Psycholo-
gist, 28, S. 1–14
McClelland, D. C. (1994). The knowledge-testing-educational complex strikes back. American
Psychologist, 49, S. 66–69
Sarges, W. (2000). Diagnose von Managementpotenzial für eine sich immer schneller und unvor-
hersehbarer ändernde Wirtschaftswelt, in: L. von Rosenstiel/T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspek-
tiven der Potenzialbeurteilung, S.107–128, Göttingen
Schanz, G. (1997). Intuition als Managementkompetenz. DBW Die Betriebswirtschaft, 57, S.
640–654
Schippmann, J. S. (1999). Strategic job modeling – Working at the core of integrated Human Re-
sources, Mahwah, NJ
Schippmann, J. S. et al. (2000). The practice of competency modeling. Personnel Psychology, 53,
S. 703–740
Schmidt, F. L./Hunter, J. E. (2000). Messbare Personmerkmale: Stabilität, Variabilität und Validität
zur Vorhersage zukünftiger Berufsleistung und berufsbezogenen Lernens, in: M. Kleinmann/
B. Strauß (Hrsg.) Potenzialfeststellung und Personalentwicklung, 2. Auflage; S.15–43, Göttingen
Schuler, H. (2000). Das Rätsel der Merkmals-Methoden-Effekte: Was ist „Potenzial“ und wie lässt
es sich messen? In L. von Rosenstiel/T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspektiven der Potenzialbeur-
teilung, S. 27–71, Göttingen
Schuler, H. (Hrsg.). (2001). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen
Schuler, R. S./Jackson, S. E. (1999). Strategic Human Resources Management. Oxford
Sparrow, P. R. (1997); Organizational competencies: Creating a strategic behavioural framework
for selection and assessment, in: Anderson, N./Herriot, P. (Hrsg.), International handbook of sel-
ection and assessment, S. 343–368, Chichester
Spencer, L. M., Jr./Spencer, S. M. (1993). Competence at work – Models for superior performance,
New York
Spreitzer, G. M./McCall, M. W., Jr./Mahoney, J. D. (1997). Early identification of international
executive potential. Journal of Applied Psychology, 82, S. 6–29
Stahl, H. K./Hinterhuber, H. H. (2000). Strategische Unternehmensführung: Von der „vorwegge-
nommenen“ zur „erfundenen“ Zukunft, in: Hejl, P. M./Stahl, H. K. (Hrsg.), Management und
Wirklichkeit – Das Konstruieren von Unternehmen, Märkten und Zukünften, S. 407–426, Hei-
delberg
Weiß, R. (1999). Erfassung und Bewertung von Kompetenzen – empirische und konzeptionelle
Probleme. In Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hrsg.), Kompe-
tenzentwicklung ’99 – Aspekte einer neuen Lernkultur. Argumente, Erfahrungen, Konsequen-
zen, S. 433–493, Münster
Wildmann, L. (2001). Der Kompetenzmensch. Lernen – ein Leben lang, Sternenfels
Wood, R./Payne, T. (1998). Competency-based recruitment and selection, Chichester
148 Werner Sarges

Woodruffe, C. (2000). Development and assessment centres – Identifying and assessing competen-
ce, 3. Auflage, London
Wottawa, H. (2000a). Das SIEMENS-Kompetenz-Modell und seine Nutzung im Internet-Recruiting.
Bochum: Unveröff. Manuskript
Wottawa, H. (2000b). Perspektiven der Potenzialbeurteilung: Themen und Trends, in: L. von Rosen-
stiel/T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspektiven der Potenzialbeurteilung, S. 27–51, Göttingen
Wunderer, R./Bruch, H. (2000). Umsetzungskompetenz – Diagnose und Förderung in Theorie und
Unternehmenspraxis, München
Zänker, A. (1998). Konjunkturzyklen: Schumpeters Welt. Die Welt v. 13.8.98, S. 14.
Zwell, M. (2000). Creating a culture of competence, New York
Wirtschaftskompetenz in der Politik –
ein Werkstattbericht
Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

1. Einleitung
1.1 Rahmenbedingungen
1.2 Politik als Beruf
2. Zielsetzung und Vorgehen der Untersuchung
2.1 Ziele des Instituts
2.2 Untersuchungsdesign und idealtypisches Vorgehen
3. Ausgangslage
3.1 Wahlbürgerbefragung durch infas
3.2 Vorgefundene Haltung in den untersuchten Bundesländern
3.3 Datengrundlage in der WiKOMP(r)-Datenbank
3.4 Vergleich: Desk Research versus Gesamtergebnis
4. Desk Research in den neu gebildeten Landtagen
4.1 Datengrundlage
4.2 Ergebnisse im Ländervergleich
4.3 Ergebnisse im Parteienvergleich
5. Ausblick

1. Einleitung
1.1 Rahmenbedingungen
Die Wertschätzung, die der politischen Klasse in Deutschland entgegengebracht wird,
tendiert mittlerweile gegen Null.1 Die Boulevard-Presse, aber auch dereinst seriöse
Medien beschreiben generalisierend die Politikerklasse vorrangig als inkompetent,
-visionslos, nicht durchsetzungsfähig, egozentrisch und mit einer Mentalität der
Selbstbedienung und Machtgier ausgestattet. Dieses Gefühl geißelte insbesondere der
Altbundeskanzler Gerhard Schröder in seiner letzten Rede auf dem SPD-Parteitag im
November 2005 sinngemäß als ein „Politiker Bashing“.2 Dieses Verhalten weist eine
Gefahr auf, da „am Ende dieses Weges nicht mehr Demokratie steht, sondern deutlich
weniger“. 3
Das beschriebene Gefühl mag bei Gerhard Schröder besonders stark ausgeprägt sein,
trifft aber auch für die überwältigende Mehrheit der Politiker zu. Sie sieht ihre hoch-

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_11,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
150 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

komplexe, arbeitsintensive, richtunggebende, am Gemeinwohl ausgerichtete, zum


Teil nicht angemessen bezahlte Arbeit nicht gewürdigt.
Diese Divergenz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung war ein Auslöser für die
Forschungsarbeit des „Instituts zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Poli-
tikern“ (IEWP).
Ziel ist, an einem Thema zu arbeiten, das Politikern immer negativ vorgehalten wird,
nämlich die Inkompetenz in Wirtschaftsfragen, jedoch nicht mit dem Ziel, durch eine
Vorfestlegung und somit wissenschaftlich fragwürdig den Beweis anzuführen, dass
dem so ist, sondern vielmehr der Hypothese folgend, dass Wirtschaft und damit das
Wissen und Kennen über die Zusammenhänge der Wirtschaft eine elementare Grund-
lage für jegliches politisches Handeln darstellt.
Der Antritt des IEWP, die Gespräche mit Generalsekretären und anderen führenden
Politikern aller Parteien auf Bundes- und Landesebene haben die Ambivalenz der Po-
litiker mit dem Thema deutlich aufgezeigt.4 Einerseits wurden abblockend andere
Kompetenzen eingefordert und damit unverhohlen eine Eindimensionalität und da-
raus abgeleitet eine Vorverurteilung der Politiker durch den Forschungsansatz unter-
stellt. Andererseits bekannte man sich immer wieder dazu, dass die Ökonomie und das
effiziente Umgehen mit begrenzten Mitteln das politische Handeln auf allen Poli-
tikfeldern elementar beeinflussen. Auch ein steter Weiterbildungsbedarf insbesondere
in den Wirtschaftsfragen wurde parteiübergreifend eingeräumt, der so weit ging, dass
ein Generalsekretär nach gewonnener Wahl angeboten hat, mit dem IEWP eine Wei-
terbildungsinitiative für die neue Landtagsfraktion ins Leben zu rufen. Das ist nicht
das Ziel der derzeitigen Grundlagenforschung des IEWP. Eine Zielüberprüfung wurde
dann auch nicht notwendig, da trotz gewonnener Wahl dieses Versprechen seitens der
Politik „vergessen“ wurde.
Dem Einwand, dass die Wirtschaftskompetenz einen zu geringen Ausschnitt für eine
Überprüfung von Politikern darstellt und deshalb andere Kompetenzen ebenfalls einer
Untersuchung bedürfen, wird vom IEWP dem Grunde nach zugestimmt. Jedoch hie-
raus eine Blockadehaltung für den ersten Untersuchungsschritt abzuleiten, belegt eine
Problematik, die aus dem „Politiker Bashing“ erwachsen ist, nämlich ein Misstrauen
gegen jede kritisch-rationale Annäherung an den Politiker und Politik als Beruf.5 Es
wird dann darauf hingewiesen, dass man einer wissenschaftlichen Auseinanderset-
zung gerne zur Verfügung steht, sofern sie anonym in Dissertationen behandelt wird.
In Zeiten von Rankings und Ratings wie z. B. PISA, Hochschulrankings und Basel II
sind Veröffentlichungen und die objektive Zusammenarbeit mit Medien eine wichtige
Möglichkeit, den Status quo aufzuzeigen, Veränderungsbedarfe festzustellen und an-
zustoßen. Wenn dies wie bei PISA für Schüler und Lehrer, bei Hochschulrankings für
Studenten und Professoren und bei Basel II für Unternehmer und Banken gilt, so soll-
te es auch für Politiker und ihre Wählern Geltung haben.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 151

1.2 Politik als Beruf


Das geflügelte Wort „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Bret-
tern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“,6 findet nach den gemachten Erfah-
rung Zustimmung und gilt analog für die Forschungsarbeit des IEWP.
Das obige Zitat des deutschen Soziologen Max Weber wird gerne verkürzt von Politi-
kern benutzt, wenn der Fortschritt sich nicht so zügig einstellt wie gewünscht oder
versprochen. Es ist gegen Ende des Vortrags über „Politik als Beruf“ zu finden.7 Ohne
auf die Begriffe der Gesinnungs- und Verantwortungsethik explizit einzugehen, stellt
dieser richtungweisende Vortrag auch heute noch eine interessante und zum Teil aktu-
elle Lektüre dar. Ein weiteres Zitat soll dies belegen.
„Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder man lebt für
die Politik – oder aber von der Politik. Der Gegensatz ist keineswegs ein exklusiver.
In aller Regel vielmehr tut man, mindestens ideell, meist aber auch materiell beides:
Wer für die Politik lebt, macht im innerlichen Sinne sein Leben daraus: Er genießt ent-
weder den nackten Besitz der Macht, die er ausübt, oder er speist sein inneres Gleich-
gewicht und Selbstgefühl aus dem Bewusstsein, durch Dienst an einer Sache seinem
Leben einen Sinn zu verleihen ... Die Unterscheidung bezieht sich also auf eine viel
massivere Seite des Sachverhaltes: auf die ökonomische. Von der Politik als Beruf
lebt, wer danach strebt, daraus eine dauernde Einnahmequelle zu machen – für die
Politik der, bei dem dies nicht der Fall ist.“8
Diese Zeilen – in den Revolutionsunruhen der Weimarer Frühzeit verfasst – lassen die
Hellsichtigkeit von Max Weber zumindest für die heutige Bundesrepublik Deutsch-
land erkennen. Viele Politiker leben sicherlich für ihre Politik, aber fast alle leben von
der Politik.
Wenn diese Aussage stimmt, dann ist Politik ein Beruf, und die, die Politik gestalten
und treiben, sind Berufspolitiker. Für ein Berufsfeld wird in der Regel eine Ausbil-
dung verlangt, und eine Arbeitsplatzbeschreibung tut ein Weiteres, wenn die Arbeit in
einer Institution oder Organisation ausgeführt wird. Diese schlichten analogen Anfor-
derungen für den Politikerberuf besitzen einen forschungsleitenden Charme.
Was muss ein Politiker können, wenn es sein Ziel ist, gewählt und wiedergewählt zu
werden? In der Regel zumindest in eine Partei eintreten und sich im besten Sinne hoch-
arbeiten bzw. hochdienen oder hochbefördern lassen – Ochsentour oder Nepotismus
bzw. Seilschaften sind hier die umgangssprachlichen Wörter für die möglichen Wege.
Unterstellen wir nun, die Politiker sind Angestellte des Wahlvolkes und diesen werden
für vier oder fünf Jahre Arbeitsplätze zugewiesen, deren Aufgabe darin besteht, als
Management die Rahmenbedingungen für eine Volkswirtschaft, die Kulturnation, den
Rechtstaat usw. zu bilden. Dann besteht eine nahe liegende Analogie zwischen Mana-
gern und Politikern; Letztere führen ein Bundesland oder die „Deutschland AG“,
wobei sowohl die Legislative als auch die Exekutive betrachtet werden.
Gehen wir diesen Weg konsequent weiter, so lassen sich folgende Fragen ableiten.
Was qualifiziert einen Politiker für seine Aufgabenfelder, und welche Kompetenzen
152 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

muss er mitbringen? Welche zukünftigen Kernkompetenzen muss ein Politiker ent-


wickeln? Wie müssen Auswahlprozesse seitens der Parteien gestaltet werden? Die
Legitimation soll hierbei nicht in Frage gestellt werden. Die Bürger als „Arbeitgeber“
sollten ihre Personalauswahl nach ihren persönlichen Zielsetzungen treffen und dem
vielleicht noch nicht ganz optimalen Bewerber bei der Weiterentwicklung helfen oder
die Parteien zumindest auffordern, Mindeststandards zu entwickeln und darüber trans-
parente Rechenschaft abzulegen.
Der Begriff der „Wirtschaftskompetenz“ wird zwar vielfach verwendet, es fehlt aller-
dings an einer eindeutigen Definition. Wirtschaftskompetenz wird vom IEWP verstan-
den als Wissens- und Erfahrungsgrundlage für verantwortliches und zielgerichtetes
Handeln in wirtschaftlichen Zusammenhängen.
Im Folgenden wird ein Einblick in die ersten Ergebnisse dieses Forschungsvorhabens
gegeben. Dabei zeigen Umfrageergebnisse die Akzeptanz der Zielsetzung und Vorge-
hensweise der Institutsarbeit seitens der Wahlbürger auf. Des Weiteren werden ver-
gleichende Ergebnisse über die untersuchten Bundesländer und Parteien hinweg dar-
gestellt. Schließlich werden Ausblicke der Forschungsarbeit des IEWP angeführt.

2. Zielsetzung und Vorgehen der Untersuchung


2.1 Ziele des Instituts
Das Institut zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Politikern (IEWP) als
Forschungsinstitut an der Privaten Fachhochschule Göttingen fokussiert seine Arbeit
auf wirtschaftskompetentes Handeln und effiziente Entscheidungsstrukturen in der
Politik. Die Analyse der Wirtschaftskompetenz von Politikern und deren Rolle als
multithematische Experten soll eine objektive Vergleichbarkeit von Inhalts- zu Ver-
haltenskomponenten ermöglichen. Die Forschungsaktivitäten sollen Grundlagen
schaffen, um
• die Optimierungspotenziale in der Wirtschaftskompetenz für die Politik erkennbar
und nutzbar zu machen,
• die Qualität von wirtschaftsrelevanten Prozessen und Entscheidungen in der Poli-
tik zu verbessern,
• den qualitätsfördernden Dialog zwischen Bürgern und Politikern zum Thema Wirt-
schaftskompetenz zu intensivieren und die Entwicklung eines positiven Denkens
gegenüber der Politik zu begleiten.
Das IEWP will mit seiner Forschung die Basis für eine vorurteilsfreie Diskussion
schaffen. Nur so kann der Weg aus einer häufig genug mit Pauschalurteilen durchsetz-
ten Debatte um die Professionalität von Politikern gefunden werden.
Das Institut bedient sich in der unabhängigen Forschungsarbeit unterschiedlicher wis-
senschaftlicher Instrumente, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Eine dem
Leitbild des Instituts entsprechende Öffentlichkeitsarbeit unterstützt die Verbreitung
der Forschungsergebnisse zum Nutzen der Bürger und Politiker.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 153

Das erste Forschungsfeld ist die empirische Erhebung der Kompetenzprofile9 von
Politikern, die den Status quo der Wirtschaftskompetenz in deutschen Parlamenten
aufzeigt und über definierte Zeiträume Vergleiche und Veränderungen – vor allem
aber auch qualitative Entwicklungen – von Wirtschaftskompetenz dokumentiert.
Im den ersten gut 18 Monaten der Institutsarbeit von Februar 2004 bis August 2005
fanden Wahlen zu den Landesparlamenten in Thüringen, Saarland, Brandenburg,
Sachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen statt, sowie die vorgezogene
Bundestagswahl im September 2005. Die Wirtschaftskompetenz der Bewerber um
Mandate in den Landesparlamenten in diesen sechs Bundesländern war Gegenstand
der ersten Projekte des Instituts. Die Erhebungen in diesem Bereich sollen die Ab-
sprungbasis für weitere Diskussionen und die Beobachtung von Entwicklungen der
Wirtschaftskompetenz von Politikern bilden.
Zur weiteren Konkretisierung des Begriffs Wirtschaftskompetenz werden zunächst
zentrale Kompetenzfelder abgegrenzt, die im Rahmen der Untersuchungen realpoliti-
sche Handlungsfelder der Landespolitik genannt werden.10 Diese sind definiert an-
hand unternehmerischer Aufgabenbereiche und deren Transformation in den Bereich
der Politik. So werden z. B. Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich der Finan-
zen und Investitionen als relevant für das Politikfeld Wirtschaftsförderung betrachtet,
und die Haushaltsplanung – heutzutage besser Haushaltssanierung – wird mit dem
Controlling-Verständnis gekoppelt, das Planung, Steuerung und Kontrolle umfasst.11
Diese Beispiele sollen genügen, um die verwendete Verknüpfung von betriebswirt-
schaftlichen Erfahrungshintergründen und den volkswirtschaftlich beeinflussbaren
realpolitischen Handlungsfeldern zu verdeutlichen. Folgende realpolitische Handlungs-
felder sind auf Grund der benannten Vorgehensweise herausgearbeitet worden:
• Arbeitsmarkt/Human Resources
• Haushaltsplanung/Controlling
• Wirtschaftsförderung/Finanzen und Investitionen
• Projektmanagement
• Unternehmerische Erfahrung
Allerdings entzieht sich Kompetenz der direkten Beobachtung und muss daher operatio-
nalisiert werden. Diese Operationalisierung erfolgt über Eigenschaften der Politiker, deren
Ausprägungen wiederum Rückschlüsse auf das individuelle Kompetenzprofil zulassen.
Bei jeder Bewerbung um einen Arbeitsplatz ist der Lebenslauf zentrales Element; er
wird in jedem Stellenangebot gefordert, der Lebenslaufanalyse ist in nahezu jedem
Lehrbuch für die Personalwirtschaft ein eigener Abschnitt gewidmet. Aus diesem
Grund ist dann wohl auch auf den Websites nahezu aller Politiker die Rubrik Lebens-
lauf/Vita zu finden. Deshalb sind die formale Ausbildung und die praktische Berufser-
fahrung des einzelnen Politikers die Eigenschaften, die im ersten Schritt zur Ermitt-
lung der Wirtschaftskompetenz herangezogen werden. Diese Annahme baut darauf
auf, dass Ausbildung und Berufserfahrung das Fundament für einen kompetenten Um-
gang mit wirtschaftlichen Fragestellungen bilden und sich Kompetenz in der konkre-
ten beruflichen Erfahrung entwickelt. Hinzu kommen Erfahrungen in politischen Äm-
tern und in Ehrenämtern mit wirtschaftlichem Bezug.
154 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Ein Interview mit Fragen zu den Erfahrungen in den realpolitischen Handlungsfeldern


ergänzt die Informationen aus dem Desk Research. Dies entspricht in einem Bewer-
bungsverfahren dem Vorstellungsgespräch.
In konjunkturell schwierigen Zeiten stellt sich die Frage, ob die entscheidenden
Politiker in Bund und Ländern über ausreichende Kompetenzen verfügen, um die viel
zitierte „Deutschland AG“ führen zu können. Dieser Überlegung schließt sich umge-
hend die Frage an, wie denn eine solche Kompetenz ausgestaltet sein sollte.
Genau wie in der Wirtschaft ist auch die Politik arbeitsteilig organisiert. Im Kompe-
tenzgefüge des idealen Politikers sind daher sicherlich unterschiedliche Felder, je nach
Einsatzbereich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zu erwarten. Auch wenn die
Welt der Politik – wie die der Wirtschaft – arbeitsteilig organisiert ist, so sind doch an
alle Politiker Mindestanforderungen in Bezug auf die Wirtschaftskompetenz zu stellen.
Es wird hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit nicht die Ausrichtung an
Unternehmensinteressen gemeint ist. Allerdings sollte gerade die Entscheidung über
die Verwendung knapper Ressortbudgets auch wirtschaftlichen Kriterien genügen. Alle
Politiker sollten angesichts der unbestrittenen Bedeutung ökonomischer Wirkungszu-
sammenhänge über einen Grundstock an Wirtschaftskompetenz verfügen.
Es existiert eine Vielzahl von Studien zu Themen wie Sozialkompetenz oder Hand-
lungskompetenz12; zu der Frage der Wirtschaftskompetenz von Parteien und Politi-
kern gibt es trotz deren unbestrittener Bedeutung bislang – bis auf wenige Ausnah-
men aus dem Bereich der Meinungsforschung – keine Untersuchung. Das Institut
zur Entwicklung der Wirtschaftkompetenz von Politikern (IEWP) hat sich zur Auf-
gabe gemacht, diese Lücke zu schließen und mit den Ergebnissen seiner Studien den
diesbezüglichen Diskussionsprozess auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu
stellen.

2.2 Untersuchungsdesign und idealtypisches Vorgehen


Anhand öffentlich verfügbarer Informationen werden im ersten Schritt der Untersu-
chung für jeden Politiker die biografischen Daten in einem Kurzprofil zusammenge-
stellt. Dieses Kurzprofil enthält Informationen zu Schulabschluss, Berufsausbildung,
Studium sowie die durchlaufenen Berufsstationen, politischen Ämter und Ehrenämter.
Im zweiten Schritt der Untersuchung wird das Kurzprofil den Politikern im Sinne einer
offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zur Vervollständigung zugeschickt.
Ein ergänzender Fragebogen zur Selbsteinschätzung enthält neben aktuellen gesamt-
wirtschaftlichen Fragestellungen Fragen zur Einschätzung der Kompetenz in den
oben genannten Kompetenzfeldern.
Im dritten Schritt der Untersuchung werden dann im Interview detaillierte Fragen zum
konkreten Erfahrungshintergrund in den fünf Kompetenzfeldern bearbeitet.13 Die Fra-
gen beziehen sich auf die Umsetzung betriebswirtschaftlicher Verfahren in der prakti-
schen Arbeit und den Umfang sowie die Spannweite von Management-Aufgaben, die
die Kandidaten in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn übernommen haben. Diese
Informationen werden mit einem Scoring-Modell in Zahlenwerte umgesetzt.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 155

Selbstverständlich werden hier kaufmännische bzw. betriebswirtschaftliche Abschlüsse


höher bewertet als Abschlüsse z. B. aus technischen oder pflegerischen Berufen. Es
wird dabei auch berücksichtigt, wie viel Zeit seit dem Abschluss der Ausbildung oder
des Studiums vergangen ist. Diese Berücksichtigung schlägt sich in Maluspunkten
nieder.
Mit Maluswerten wird der Veralterung des in der theoretischen Ausbildung erworbe-
nen Wissens Rechnung getragen. Gleichzeitig haben ältere Politiker in der Regel eine
längere Zeit in der beruflichen Praxis zugebracht als ihre jüngeren Mitbewerber.
Durch die Maluspunkte wird dieser Effekt nivelliert, sodass jüngere Politiker nicht
systematisch benachteiligt werden.
Nach der Bewertung der Informationen anhand des Scoring-Modells werden die Er-
gebnisse der Teilnehmer zu einem Rating der jeweiligen Partei zusammengefasst.
Dafür wird die Wirtschaftskompetenz über alle Teilnehmer der jeweiligen Partei zu
einem Mittelwert zusammengeführt; als weitere Informationen werden Minimum und
Maximum angegeben, um deutlich zu machen, wie weit die Einzelergebnisse streuen.

Abbildung 1: Ablauf der Untersuchungen und Scoring-Modell WiKOMP®


156 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

3. Ausgangslage
3.1 Wahlbürgerbefragung durch infas
Eine wesentliche Grundlage zum Aufbau des IEWP war die Prämisse, dass in der
Öffentlichkeit ein breites Interesse an der Kompetenz der Politiker besteht. Gleich-
zeitig wurden die fehlenden Informationen über diesen Bereich ausgemacht.
Zur Fundierung dieser Annahme hat das IEWP das Institut für angewandte Sozial-
wissenschaften GmbH (infas) mit einer Untersuchung beauftragt, in der jeweils 500
Wahlberechtigte in den zur Wahl aufgerufenen Bundesländern Brandenburg, Saarland
und Sachsen nach ihrer Einschätzung befragt wurden.
Kurz zusammengefasst wurde mit den Ergebnissen – unabhängig vom Bundesland –
deutlich, dass die Bürger ein sehr großes Interesse an dem Kompetenzprofil der Politiker
haben und dass sie gleichzeitig mit den Informationen über die Qualifikation der Politi-
ker nicht zufrieden sind. Die beiden folgenden Abbildungen 2 und 3 geben an, wie groß
der Anteil der Befragten ist, die mit „wichtig/sehr wichtig“ geantwortet haben.
Gefragt danach, wie gut sich die Bürger über die Fachkompetenz von Politikern im
Wahlkampf informiert fühlten, ergab sich in den drei Bundesländern ein einheitliches
Bild. Die nachfolgenden Werte ergaben sich als Mittel der Nennung auf der Skala
zwischen 1 (sehr gut) und 5 (mangelhaft).
Im Gesamtbild wird deutlich, dass die befragten Bürger

Abbildung 2: Wie wichtig sind Informationen zu …


Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 157

Abbildung 3: Wie wichtig ist Fachkompetenz im Bereich …

Abbildung 4: Die Informationen zu den Fachkompetenzen der Politiker sind …


Benotung auf der Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft)
158 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

• die Wirtschaftskompetenz zu einer der wichtigsten Fachkompetenzen zählen und


• mit den Informationen zu den Fachkompetenzen allgemein und mithin auch der
Wirtschaftskompetenz nicht zufrieden sind.
Insofern wird auch durch die Bürgerbefragung die Relevanz des Forschungsansatzes
bestätigt. Dies ist auch ein zentrales Ergebnis einer Internet-Befragung in Kooperation
mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ im Vorfeld der Landtagswahl in Nordrhein-West-
falen. Über zwei Wochen konnten sich Interessierte zu vier Fragenkomplexen äußern.
Unter anderem wurde die Frage „Würden Sie es begrüßen, wenn jeder zur Wahl ste-
hende Politiker seine Wirtschaftskompetenz überprüfen ließe?“ gestellt. Zum Stichtag
15. April 2005 beantworteten rund 68 % der Teilnehmer diese Frage mit „Ja“; dagegen
verneinten nur 18 %. Nur rund 40 % der Befragten fühlten sich über die Wirtschafts-
kompetenz der zur Wahl stehenden Kandidaten ausreichend informiert.
Es wird deutlich, dass der Forschungsansatz des IEWP einem ausgeprägten öffent-
lichen Interesse nach mehr Information und Transparenz über die Kompetenz in der
Politik nachkommt.

3.2 Vorgefundene Haltungen in den untersuchten Bundesländern


In den ersten 15 Monaten der Institutsarbeit fanden in sechs Bundesländern Landtags-
wahlen statt; damit war das Aufgabenfeld der Institutsarbeit definiert.
Die Vorgehensweise bei Aufnahme der Untersuchungen war für jedes Bundesland
identisch: Zunächst wurde Kontakt zu den Fraktionen und dem Präsidenten der Lan-
desparlamente mit der Zielsetzung aufgenommen, das Institut und das Forschungsvor-
haben vorzustellen.
Die Reaktion auf diese Kontaktaufnahmen war sehr unterschiedlich.

Thüringen
In Vorbereitung der Untersuchung wurden Gespräche mit den Fraktions- bzw. Partei-
spitzen von CDU, SPD, PDS, B90/Grüne und FDP geführt. Das Vorhaben wurde
zunächst von allen Parteien prinzipiell positiv bewertet; trotzdem haben die Fraktions-
spitzen im Landtag ihren Abgeordneten empfohlen, nicht an der Untersuchung teilzu-
nehmen; die Parteien in Thüringen – bis auf die FDP – haben sich an diese Empfeh-
lung gehalten. Zwei parteilose Bewerber in Thüringen haben nach Bekanntgabe des
Vorhabens in Eigeninitiative an der Untersuchung teilgenommen. Die Landtagsspitze
hat in Form einer sehr eindrucksvollen großen Koalition von CDU, SPD und PDS einen
Brief an alle anderen Länderparlamente verfasst und vor dem Forschungsansatz ge-
warnt.14 Diese unverhohlen vorgetragene Gegnerschaft zum Institut war erster Beleg
dafür, dass Politik auf die Kompetenzuntersuchung und ein professionelles Umgehen
mit einem solchen Ansatz nicht nur nicht vorbereitet war, sondern auch eine Gefahr in
ihr sah und deshalb die Reihen sehr schnell geschlossen hat.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 159

Saarland
Auch hier waren Gesprächstermine mit den Spitzen von CDU, SPD, B90/Grüne und
FDP vereinbart. Sowohl CDU als auch SPD haben diese Termine kurzfristig abgesagt.
So hat sich die CDU im Saarland auch komplett einer Teilnahme an der Untersuchung
verweigert; von der SPD nahmen nur wenige Politiker teil. Anders bei den kleineren
Parteien: FDP und B90/Grüne haben sich mit erfreulichen hohem Anteil beteiligt.

Sachsen
Auch in Sachsen wurden Gesprächstermine mit den Fraktions- bzw. Parteispitzen von
CDU, PDS, SPD, B90/Grüne und FDP angefragt. Stellvertretend für alle Parteien im
Landtag wurde von Seiten der CDU mitgeteilt, dass an der Untersuchung kein Interes-
se und daher auch kein Gesprächsbedarf besteht. Dieser Alleinvertretungsanspruch
der CDU entbehrte zumindest für die PDS einer Grundlage.

Brandenburg
In Brandenburg wurden Gespräche sowohl mit Landtagspräsident Dr. Knoblich (SPD)
wie auch mit Partei- bzw. Fraktionsspitzen von CDU, PDS, B90/Grüne, FDP und
DVU geführt. In allen Gesprächen wurde prinzipielle Zustimmung zum Forschungs-
vorhaben signalisiert. Mit einer Teilnahmequote von annähernden 50 % wurde der Rating
Report am 9. September 2004 wie geplant vor der Landtagswahl veröffentlicht.15
Festzuhalten bleibt dennoch, dass nicht wenige Politiker trotz anders lautender Emp-
fehlungen der Parteigremien ihre Unabhängigkeit und ihren Willen zur Transparenz
durch die Teilnahme an den Untersuchungen dokumentierten.

Schleswig-Holstein
Auch in Schleswig-Holstein wurden die Fraktionen bzw. die im Landtag vertretenen
Parteien im Vorfeld der Untersuchung angeschrieben. Es fanden persönliche Ge-
spräche mit Vertretern von CDU, FDP und SSW statt; trotz vielfältiger Initiative des
Instituts konnten mit SPD und B90/Grüne keine Gesprächstermine zustande kommen.
Die Teilnahme der Oppositionsparteien lag zwischen 80 bis 100 %.16

Nordrhein-Westfalen
Ebenso wie in Schleswig Holstein wurden die Fraktionen bzw. die im Landtag vertre-
tenen Parteien im Vorfeld der Untersuchung angeschrieben. Es fanden persönliche
Gespräche mit Vertretern von CDU und FDP statt; SPD und B90/Grüne verhielten
sich wie in Schleswig-Holstein. Insgesamt konnte mit 58 % der 100 am besten
bepunkteten Politiker ein Interview geführt werden. Auch hier haben die damaligen
Oppositionsparteien CDU und FDP eine Quote von über 70 % erreicht.17
Die Zusammenarbeit mit den Parteien bzw. den Politikern wird dabei ausdrücklich ge-
sucht. Die Erfahrung zeigt bislang, dass in denjenigen Parteien, deren Spitzen die
160 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Kommunikation mit dem IEWP angenommen haben, eine höhere Teilnahmebereit-


schaft zu verzeichnen ist.
Daneben hat sich in den Untersuchungen gezeigt, dass Vertreter der Oppositionspar-
teien deutlich eher zur Teilnahme an der Studie neigen. Dies wird in den Gesprächen
mit einzelnen Politikern häufig damit begründet, dass man eine positive Nutzenerwar-
tung aus der Teilnahme und ggf. der Veröffentlichung der Ergebnisse habe.
Insgesamt haben sich in den sechs untersuchten Bundesländern sehr unterschiedliche
Teilnahmequoten gezeigt, seit Thüringen ist jedoch eine positive Entwicklung in den
letzten drei Wahlen zu konstatieren.18
Die Vertreter der DVU in Brandenburg haben geschlossen nicht an der Untersuchung
teilgenommen. Da als Grundgesamtheit für jede Untersuchung diejenigen Parteien
ausgewählt wurden, die entweder im aktuellen Landtag oder im Bundestag vertreten
sind, wurden die Kandidaten der NPD in Sachsen nicht angeschrieben.
Vier für die zukünftige Arbeit des Instituts sehr wichtige Feststellungen können aus
den Erfahrungen der ersten fünfzehn Monate getroffen werden:
• Unter den Politikern ist eine unterschiedlich hohe Bereitschaft vorhanden, an einer
Untersuchung teilzunehmen, die einen sehr wichtigen Bereich ihres Kompetenz-
spektrums betrachtet.
• Zahlreiche Politiker nutzen ihre persönlichen Scoring-Ergebnisse, um ihre Wirt-
schaftskompetenz gegenüber den Wählern transparent zu machen und um für Ver-
trauen zu werben – ein entscheidender Beitrag für die Akzeptanz und Relevanz der
Institutsarbeit.

Abbildung 5: Teilnahme der Parteien in den Ländern in Prozent der angeschriebenen Politiker
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 161

• Parteien in der Regierungsverantwortung zeichnen sich durch eine deutliche Ver-


weigerungshaltung aus. Dieses Verhalten kann als Besitzstandswahrung interpre-
tiert werden.
• Im Gegensatz dazu scheinen die Oppositionsparteien eher eine positive Nutzen-
erwartung an eine Teilnahme zu knüpfen. Gleichzeitig verbinden offenbar die Par-
teien in der Opposition die Teilnahme an der Untersuchung mit einer positiven
Nutzenerwartung.
• Es hat sich bei den Teilnehmern an der Untersuchung gezeigt, dass die Korrekturen
bzw. Ergänzungen zum Kurzprofil durch die Politiker nur geringfügig Veränderun-
gen in der Bewertung im Scoring-Modell zur Folge hatten. Dies lässt den Schluss
zu, dass die Recherche des Instituts zur Biografie der Politiker durchweg als sehr
gut zu bezeichnen ist.
Aus diesen Feststellungen ist als Perspektive für die zukünftige Arbeit des Instituts in
Betracht zu ziehen, die Ergebnisse des Desk Researchs auch ohne Ergänzungen durch die
betreffenden Politiker für die Untersuchung der Wirtschaftskompetenz heranzuziehen.

3.3. Datengrundlage in der WiKOMP®-Datenbank


Das IEWP hat als Grundlage für die Forschungsarbeit die WiKOMP®-Datenbank auf
Access-Basis entwickelt, in der die biografischen Daten der Politiker aufgenommen
und ausgewertet werden können.19
In der Vorbereitung der Forschungsprojekte wurde die WiKOMP®-Datenbank in den
vergangenen fünfzehn Monaten zunächst mit den recherchierten Informationen über
rund 1.200 Politiker gefüllt, die nach Direktmandaten und Landeslisten unter Berück-
sichtigung von Wahlprognosen zu den aussichtsreichsten Kandidaten für ein Land-
tagsmandat in ihrem Bundesland zählten.
Nach den jeweiligen Landtagswahlen konnten dann aufgrund der deutlich verbesser-
ten Informationen im Internet auch die Daten derjenigen Landtagsabgeordneten ver-
vollständigt werden, die nicht teilgenommen haben.
Die methodische Qualität in der Auswahl der Grundgesamtheit wird unterstrichen
durch die Tatsache, dass rund 98 % der aktuellen 604 Landtagsabgeordneten in den
sechs untersuchten Bundesländern in dieser Datenbank erfasst sind.20
Auch für die nachfolgende Arbeit (z. B. bei der Recherche im Bundestag) wurde die
WiKOMP®-Datenbank weiter eingesetzt und dabei optimiert und verfeinert. Damit
wird eine zentrale Quelle für Studien des IEWP im Themenbereich Wirtschaftskom-
petenz von Politikern etabliert.21
Eine weitere Erkenntnis bezieht sich auf das Selbst- und das Fremdbild von Politi-
kern. Exemplarisch anhand der Ergebnisse aus Nordrhein-Westfalen sei dargestellt,
wie Politiker ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen und wie sie im Vergleich dazu von
Bürgern und der politischen Konkurrenz bewertet werden. In Ergänzung zum Selbst-
bild des einzelnen Politikers ist dargestellt, wie die Politiker die Wirtschaftskompe-
tenz ihrer eigenen Partei einschätzen.
162 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Die Abbildungen auf den folgenden Seiten zeigen die Selbst- und Fremdeinschätzung
der befragten Politiker in Nordrhein-Westfalen, ähnliche Ergebnisse wurden auch für
Schleswig-Holstein festgestellt.
Es zeigt sich über alle Parteien hinweg immer das gleiche Muster: Die Einschätzung
der Kompetenz der eigenen Partei ist stets mit dem besten Wert versehen, während die
eigenen Fähigkeiten schlechter eingeschätzt werden. Die Ergebnisse dieser Analyse
im Rating Report Brandenburg haben zudem gezeigt, dass die Bürger die Parteien
deutlich schlechter bewerten, als die Politiker sich selbst bewerten. Die schlechteste
Bewertung erhalten die Parteien jedoch vom politischen Gegner.
Bei der Betrachtung der Abbildung 6 fällt ein gleichbleibendes Muster auf. Es kom-
men für diesen Effekt verschiedene Erklärungsansätze in Frage:
• Der Konkurrenzgedanke kam bei der Bewertung durch die Mitbewerber so sehr
zum Tragen, dass die Bewertung dementsprechend schlecht ausfiel.
• Politiker haben eine bessere Übersicht über die Kompetenzen des politischen Geg-
ners, die mangels Transparenz dem Bürger nicht zuteil wird.
• Die Entscheidung, in der Politik aktiv zu werden, ist sehr stark von Weltanschau-
ungen geprägt, die wiederum eine Ablehnung anderer Perspektiven beinhaltet. So
muss zwangsläufig der politische Gegner schlechter bewertet werden.

Abbildung 6: Vergleich: Desk Research versus Gesamtergebnis in Prozent von max. 60 bzw.
100 WiKOMP®-Punkten
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 163

Abbildung 7: Kompetenzbewertung Fremd- und Selbsteinschätzung


Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft)
164 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

3.4 Vergleich: Desk Research versus Gesamtergebnis


Auch weiterhin wird die Zusammenarbeit mit den Parteien und den einzelnen Politi-
kern ein wichtiger Bestandteil der Institutsarbeit sein. Es hat sich jedoch in den bishe-
rigen sechs Untersuchungen herausgestellt, dass die Ergebnisse aus der reinen Lebens-
laufanalyse im Wesentlichen übereinstimmen mit den Ergebnissen, die dann letztlich
in der Gesamtuntersuchung – also nach dem Kompetenzinterview – entstehen. Abbil-
dung 7 zeigt diesen Zusammenhang ganz deutlich. Der Korrelationskoeffizient liegt
bei 0,89; der Regressionskoeffizient (bei Achsenabschnitt null) beträgt 0,95.
Damit ist für die zukünftige Forschungsarbeit als wichtiges Ergebnis festzuhalten,
dass eine Bewertung der Wirtschaftskompetenz durchaus auf Basis des Desk Re-
searchs vorzunehmen ist, wenngleich mit Interviews Vorbehalte auf Seiten der Poli-
tiker abgebaut werden können.

4. Desk Research in den neu gebildeten Landtagen


4.1 Datengrundlage
Als Ausgangsbasis für das Rating der Politiker und damit der Parteien sind öffentlich
zugängliche Quellen ausgewertet worden. In der Recherche in den sechs Bundeslän-
dern und hier insbesondere in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-West-
falen hat sich gezeigt, dass die Korrekturen bzw. Ergänzungen zum Kurzprofil, die die
Politiker vorgenommen haben, nur geringfügige Veränderungen in der Bewertung im
Scoring-Modell zur Folge hatten. Auch die Tatsache, dass keiner der angeschriebenen
Politiker die recherchierten Informationen als falsch klassifiziert hat, lässt auf eine
gute Verarbeitung der vorhandenen Daten schließen. Ausnahmen, die auch hier die
Regel bestätigen, sind in der überwiegenden Zahl auf ein nur bedingt professionelles
Verhalten der Politiker zurückzuführen, sei es, dass ihre Daten nicht korrekt im Inter-
net oder anderen Veröffentlichungen sind oder die Überarbeitung erst mit großer Zeit-
verzögerung, wenn überhaupt, vorgenommen wurde.22
Aus diesem Grund hat das IEWP die in den ersten fünfzehn Monaten seiner For-
schungstätigkeit neu gebildeten Landtage bzw. deren Landtagsabgeordnete einem Desk
Research unterzogen.
Da als Grundgesamtheit für jede Untersuchung diejenigen Parteien ausgewählt wur-
den, die entweder im aktuellen Landtag oder im Bundestag vertreten sind, wurden die
Kandidaten der NPD in Sachsen nicht angeschrieben. In der Recherche nach der
Landtagswahl in Sachsen konnten zu den NPD-Vertretern im sächsischen Landtag
keine nennenswerten Informationen zum beruflichen Werdegang gefunden werden.
Damit sind die NPD-Politiker in den folgenden Abbildungen nicht aufgeführt.
Damit beziehen sich die Angaben im Desk Research auf insgesamt 596 Politiker und
Politikerinnen in den Landtagen der sechs Bundesländer, die im Folgenden dargestellt
werden.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 165

4.2 Ergebnisse im Ländervergleich


Im Desk Research sind über Ausbildungsabschlüsse sowie über berufliche und politi-
sche Karrierestationen max. 60 Punkte zu erzielen. Die folgenden Darstellungen tei-
len die Ergebnisse aus dem Desk Research in fünf Punktgruppen mit gleich großen In-
tervallen ein. Es ist durchaus möglich, eine Benotung der Ergebnisse diesen fünf
Punktgruppen entsprechend dem Schulnotensystem vorzunehmen. Ergebnisse in der
höchsten Punktgruppe sind mit „sehr gut“ zu bewerten, in der nächst höheren Gruppe
mit „gut“ bis hin zur niedrigsten Punktgruppe mit „mangelhaft“.
Dabei ist jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Noten „sehr gut“, „gut“
etc. auch im tatsächlichen Wortsinn zu verstehen sind und nicht wie in anderen Le-
bensbereichen einer gewissen Entwertung unterliegen. So weist beispielsweise eine
Bewertung „befriedigend“ tatsächlich auf zufrieden stellende Ergebnisse. Die Durch-
schnittswerte in allen untersuchten Ländern weisen eine sehr hohe Korrelation auf,
dies mag verblüffen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass drei neue Bundesländer
drei alten gegenüberstehen. Maximalwerte in den ostdeutschen Bundesländern wer-
den zum Teil durch Politiker mit einer Westvergangenheit erzielt. Festzuhalten bleibt,
dass lediglich die Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen es schaffen, dass die Mehr-
heit ein „befriedigend“ und besser erreicht. Bei allen anderen Länderparlamenten sind
über 50 % der untersuchten Politiker lediglich mit „ausreichend“ oder gar „mangel-
haft“ bewertet.

Abbildung 8: Kompetenzbarometer Desk Research nach Ländern Maximum/Mittelwert/Minimum


– maximal 60 Punkte
166 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Abbildung 9: Kompetenzprofil nach Ländern in Prozent von max. 60 WiKOMP®-Punkten

4.3 Ergebnisse im Parteienvergleich


Analog zur Analyse auf Länderebene ist auch die Analyse auf Parteienebene durchzu-
führen. Auch hier ist der Hinweis auf die unterschiedliche Anzahl von Politikern aus
den Parteien erforderlich und wird mit Abbildung 10 zum Kompetenzprofil der Par-
teien unterstrichen.
Die Parlamentarier der SPD weisen mit über 60 % ausreichende bzw. mangelhafte
Ergebnisse, ähnlich verhält sich das Ergebnis bei den B90/Die Grünen, die jedoch
auch in der Spitzengruppe sehr schwach aufgestellt sind. Die CDU kann für sich ein
besseres Ergebnis reklamieren, jedoch sind absolut auch über 100 Parlamentarier mit
„ausreichend“ und „mangelhaft“ bewertet worden.
Am besten schneidet die FDP bei der Untersuchung ab, die keinerlei Ausfälle in ihrer
wenn auch geringen Grundgesamtheit zu verbuchen hat. Hier wird unterstrichen, dass
die „neo“-liberale Partei insbesondere Wirtschaftsthemen besetzt und diese auch
durch ein entsprechendes Personal vertreten lässt.
Das schlechteste Ergebnis weist die PDS auf. Dies verwundert nicht, da die Soziali-
sierung in der ehemaligen DDR viele ehemalige wirtschaftsferne Kader an die Partei
gebunden hat. Positive Ausreißer sind dennoch unter den Parlamentariern vertreten.
Hier soll die zum Teil von PDS-Vertretern gezeigte Offenheit hervorgehoben werden,
die sich auch durch selbstkritisches Reflektieren auszeichnete.
Das Kompetenzbarometer zeigt – wie im Ländervergleich auch – auf, wie weit die
Einzelergebnisse jeder Partei bzw. deren Politiker um den Mittelwert streuen. Die
Mittelwerte der beiden großen Parteien SPD und CDU unterscheiden sich nur um
wenige Punkte vom Mittelwert über alle Parteien von 23,1 Punkten. Ähnliches gilt für
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 167

Abbildung 10: Kompetenzprofil nach Parteien in Prozent von max. 60 WiKOMP®-Punkten

die Werte von B90/Grüne. Dagegen setzt sich die FDP deutlich positiv und die PDS
deutlich negativ vom Mittelwert ab.
Die Untersuchungsergebnisse belegen im Allgemeinen einen Nachholbedarf im Be-
reich der Wirtschaftskompetenz. Es kann ein „Experten-Laien-Dilemma“ festgestellt
werden. D. h., auf wenige Experten trifft eine große „Laienspielschar“ in puncto Wirt-
schaftskompetenz. Die angesprochene Grund- bzw. Basiskompetenz – das ökonomi-
sche Denken und Handeln – ist nicht ausreichend nachweisbar und führt bei vielen
Abgeordneten zur selbstverschuldeten Unmündigkeit im Kant’schen Sinne und zu
Abhängigkeiten von Lobbyisten oder Wirtschaftsexperten in den eigenen Parteien.
Der nur seinem Gewissen verantwortliche Abgeordnete beugt sich in Kenntnis seiner
mangelnden Erfahrung sehr häufig und vielleicht auch gerne der Fraktionsdisziplin.
Die Untersuchungen umfassen derzeit über 1.200 Abgeordnete.23 Die nächsten Unter-
suchungen sind in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an-
gelaufen, sodass mit über 1.550 Parlamentariern nahezu 60 % der insgesamt 2.624
deutschen Parlamentarier auf Landes-, Bundes- und Europäischer Ebene untersucht
wurden. Ergebnisverdichtungen zeigen eindeutig auf, dass bei Parlamentariern Wis-
sen und Erfahrungen im wirtschaftlichen Kontext zwar häufiger als Kernkompetenz
anzutreffen sind, jedoch eine überwiegende Anzahl von Politikern in Ausbildung und
Sozialisation weit von Wirtschaftskompetenz entfernt ist.
168 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Abbildung 11: Kompetenzbarometer Desk Research nach Parteien


Maximum/Mittelwert/Minimum – maximal 60 WiKOMP®-Punkte

5. Ausblick
Aus der bisherigen Arbeit des Instituts ergeben sich daher – ergänzend zur bisherigen
Forschungsarbeit – neue Aufgabenfelder, die in den kommenden Jahren besetzt
werden:
• Einrichtung einer Stiftungs-Professur „Political Economics“ als Institutionalisie-
rung des Themenfeldes Wirtschaft-Politik-Gesellschaft in Lehre und Forschung
der Privaten Fachhochschule Göttingen
• Entwicklung eines Masterstudienganges „Political Economics und Policy“ zur
nachhaltigen Förderung des ausgewogenen wirtschaftlichen Kompetenzzuwachses
in zukünftigen politischen Nachwuchs-Generationen
Dabei wird die bisherige Forschungsarbeit „Kompetenz-Ratings und -Rankings“ als
wichtige Entwicklung betrachtet und fortgesetzt. Angestrebt wird die Entwicklung
eines computerbasierten Wirtschafts-Wissens-Tests für politische Mandatsträger, der
mittelfristig zur Erweiterung der Basis für die Kompetenzwerte führen soll.
Des Weiteren soll der Zukunftsbezug von Kompetenzen – besonders der Kernkompe-
tenzen – für die Politik antizipiert werden, dies ist eine wichtige Voraussetzung für die
Entwicklung des Aufbaustudienganges für zukünftige Politikergenerationen. Dieser
entscheidende Schritt ist nur durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Politi-
kern aller Generationen möglich.
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 169
170 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

Die Fragen werden sein: Wie verändern sich die Anforderungen an die Politiker mit
ihrem Aufstieg? Sind Übertragungen zu jüngsten Forschungen für die Personalent-
wicklung von Managern möglich? Kompetenzen sind neben fachlichen, methodi-
schen und sozial-kommunikativen immer mehr Dispositionen selbstorganisierten
Handelns.24
Begriffe wie Empowerment und Entrepreneurship stehen hier seit längerem im Mittel-
punkt. Inwieweit gelten diese Begriffe auch für die Politik und: Welche Entwicklun-
gen müssen hierfür modifizierend vorangetrieben werden?
Zu guter Letzt – ohne der Ökonomisierung der Politik Vorschub leisten zu wollen –
zeigen die Untersuchungen und die kurz angesprochenen, neuen Untersuchungsfelder,
dass eine ökonomische Herangehensweise und auch insbesondere das „Human
Resources Management“ Ansätze für eine angewandte Politikforschung beisteuern
und fruchtbar machen können. Ein letztes Fallbeispiel soll dies skizzenhaft belegen.

Das Outplacementverlangen in der Politik


Der allen bekannte Cajus Julius Caesar (100 v. Chr. bis zum 15. März 44) wurde
bei dem Streben nach neuen Ämtern, Würden und sicherlich auch Aufgaben von
den Bewahrern der damaligen existierenden Strukturen verhindert – sprich er-
mordet, sodass Caesars Ziel erst nach blutigen Bürgerkriegen durch seinen Nef-
fen umgesetzt werden konnte. Der Cajus Julius Caesar (1951 n. Chr.) der Neuzeit
verlor nach erfolgreichem Wiedereinzug in den Bundestag zwei Wochen später
sein Mandat auf Grund eines undurchsichtigen Wahlrechts und einer richterlichen
Entscheidung, die zu taktischen Wahlmanövern in Dresden II führte. Dieser Ver-
lust ließ ihm im Gegensatz zu seinem ungleich bekannteren Namensvetter zwar
das Leben, jedoch verlor er erst einmal den sicher geglaubten „Arbeitsvertrag“ für
die nächsten vier Jahre. Hier besteht Anlass für einen gezielten Outplacement-
Prozess. Nach sieben Jahren als Mitglied des Bundestages ist C. J. Caesar wieder
auf dem Weg in ein neues/altes Berufsumfeld als Forstingenieur. Diese Anekdote
soll exemplarisch zeigen, wie schnell ein Leben nach der Politik neu justiert wer-
den muss.
In der Arbeit des IEWP wird immer wieder festgestellt, dass die Hinweise, ver-
stärkt Quereinsteiger zuzulassen bzw. zu ermuntern, in der Regel eine Einbahn-
straße darstellen. Die Erneuerung des Systems weist große Schwächen allein da-
durch aus, dass Mandatsträger nur schwerlich wieder in der Praxis Fuß fassen
können. Posten in den parteinahen Stiftungen, „Elefantenfriedhöfe“ bei einigen
Kanzleien sowie der Wechsel zum Lobbyisten sind die immer häufiger anzutref-
fenden halbherzigen Wege aus der Politik. Im Hinblick auf die im Rahmen des
politischen Mandats erworbenen Kompetenzen gibt es vielerlei Berufsfelder, die
durch eine spezifische Outplacement-Beratung erarbeitet werden sollten. Sicher-
lich muss hierbei auch dem Ziel der Employability entsprochen werden.25
Wirtschaftskompetenz in der Politik – ein Werkstattbericht 171

Anmerkungen
1 Wenngleich seit dem Antritt der großen Koalition eine Kehrtwende sich abzuzeichnen scheint,
dieser Trend hat sich jedoch nicht so verfestigt, dass man von einer Umkehr sprechen kann.
2 Hierunter wird das „blinde Einschlagen“ der Medien auf die politische Klasse zum Ausdruck
gebracht.
3 Schröder, G. Parteitagsrede in Karlsruhe, 14. November 2005.
4 Zu nennen sind hier exemplarisch Laurenz Meyer (CDU), Cornelia Pieper (FDP), Sigmar Ga-
briel (SPD), Rolf Kutzmutz (PDS).
5 Nicht das wer herrschen soll, sondern das wie Macht ausgeübt, wie regiert werden sollte, damit
Menschen in Freiheit und menschenwürdig leben können, ist das Ziel von Popper, das er in „Die
offene Gesellschaft und ihre Feinde“ thematisiert. Siehe hierzu auch Eppler, E.; Die Wiederkehr
der Politik, S. 29 ff.
6 Weber, M.; Politik als Beruf, S. 85.
7 Der Vortrag wurde am 25. Januar 1919 in München gehalten. Weber hielt den Vortrag nach an-
fänglichem Zögern auch, um dem „Gesinnungspolitiker“ Kurt Eisner dieses Podium nicht zu
überlassen, die Druckfassung erschien im Herbst 1919, vgl. hierzu auch die Ausführungen von
Leicht., R., Vorwort, S. 8.
8 Weber, M.; Politik als Beruf, S. 27.
9 Die Kompetenzprofile resultieren aus der Recherche der Biografiedaten der Politiker.
10 Auf Bundesebene wird an Wissensfragen gearbeitet, die den volkswirtschaftlichen Zusammen-
hängen im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft sowie den steuer-, gesundheits- und sozial-
politischen Fragen einen größeren Raum geben.
11 Vgl. zum koordinationstheoretischen Controlling-Ansatz Küpper, H.-U., Controlling, S. 7 ff.,
Albe, F. Kooperation, S. 152 ff.
12 So finden sich im Online-Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek der Universität Göttin-
gen 689 Treffer bei Eingabe des Suchwortes „Kompetenz“ und immer noch 97 Treffer für das
Suchwort „Handlungskompetenz“. www.sub.uni-goettingen.de
13 Siehe hierzu Kapitel 2.1
14 Vgl. Elflein, Chr., Mayer, I.: Testurteil mangelhaft, Focus, 29. Mai 2004, Nr. 23, S. 50
15 Vgl. Rating Report Brandenburg, hrsg. v. IEWP an der Privaten Fachhochschule Göttingen,
Göttingen 2004
16 Vgl. Rating Report Schleswig Holstein, hrsg. v. IEWP an der Privaten Fachhochschule Göttin-
gen, Göttingen 2005
17 Vgl. Rating Report Nordrhein Westfalen; hrsg. v. IEWP an der Privaten Fachhochschule Göttin-
gen; Göttingen 2005
18 In Nordrhein-Westfalen wurde als Interviewgruppe nicht die Grundgesamtheit, wie in den vor-
herigen Wahlen gesehen, sondern nur das beste Drittel interviewt, wobei den Parteiführungen
im Sinne einer „White Card“ ein Vorschlagsrecht eingeräumt wurde.
19 Vgl. den bisher veröffentlichten Rating Report des IEWP
20 Lediglich die 12 Landtagsabgeordneten der NPD im sächsischen Landtag sind aus den bereits
genannten Gründen nicht aufgeführt.
21 In dieser Datenbank sind somit die 601 Profile der 15. Legislaturperiode, sowie die 158 neu hin-
zugekommenen Abgeordneten der 16. Legislatur enthalten. Insgesamt sind also zur Zeit über
1.200 Abgeordnete deutscher Landesparlamente und des Bundestages enthalten.
22 Ein vielsagender Fall ist der eines herausragenden SPD-Bundestagsabgeordneten, der Fehler
unterstellte, auf Nachfrage jedoch verlauten ließ, diese nicht aufklären zu wollen. Nach erneuter
Kontrolle des IEWP, bei der keine Fehler festgestellt werden konnten, verweigerte er die Zu-
sammenarbeit mit dem Hinweis, er würde den Bundestag sowieso verlassen und sei froh, mit
solchen Untersuchungen, die das Lebenswerk eines Politikers in Frage stellen, nichts mehr zu
tun zu haben.
172 Frank Albe/Gisela Nissen-Baudewig

23 Wie der Tabelle zu entnehmen ist, sind über 50 Prozent der hauptberuflichen Politiker in den
Parlamenten untersucht wurden.
24 Vgl. Kasper, H., Mühlbacher, J., Rosenstiel, L.,v.; Manager Kompetenzen im Wandel, in: ZFO,
S. 260 ff.
25 Vgl. Ackermann, K.-F., (Führungskräfte), S. 255 ff., unter diesem Begriff, bekannt aus der staat-
lichen Arbeitsmarktpolitik, wird die Reintegration in das Berufsleben oder die Schaffung der
Beschäftigungsfähigkeit verstanden

Literatur
Ackermann, K.-F., (Führungskräfte) Führungskräfteentwicklung unter dem Aspekt der „Employa-
bility“, in: Employability – Herausforderungen für die strategische Personalentwicklung, hrsg.
v. Peter Speck 2. Auflage Wiesbaden 2005, S. 251–268
Albe, F. (Kooperation), Total Dynamic Controlling zwischenbetrieblicher Kooperation, Northeim 1996
Elflein, Chr./Mayer, I., Testurteil mangelhaft, Focus, 29. Mai 2004, Nr. 23, S. 50
Eppler, E., Die Wiederkehr der Politik, Frankfurt/Main 1998
IEWP (Hrsg.) Rating Report Brandenburg, Göttingen 2004
IEWP (Hrsg.) Rating Report Schleswig-Holstein, Göttingen 2005
IEWP (Hrsg.) Rating Report Nordrhein-Westfalen, Göttingen 2005
Kasper, H./Mühlbacher, J./Rosenstiel, L. v., Manager-Kompetenzen im Wandel, in: zfo 74. Jg. 2005,
S. 260–264
Küpper, H.-U., Controlling, 4. Auflage Stuttgart 2005
Leicht, R., Vorwort, Vorwort zur Ausgabe Politik als Beruf, Frankfurt/Main 1999, S. 7–16.
Popper, K., Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. II, 7. Auflage, Tübingen 1999
Schröder, G., Parteitagsrede in Karlsruhe, 14. November 2005 http://parteitag.websozis.de/index.php/
rede-gerhard-schroeders/
Weber, M., Politik als Beruf, Frankfurt 1999
Retention Management –
die Leistungsträger der Unternehmung binden
Walter Jochmann

1. Einleitung
2. Auslöser für den beruflichen Veränderungsprozess
3. Definition und Analyse von Messkriterien für Mitarbeiterbindung
4. Kienbaum Retention Modell
5. Schwerpunkt-Aktivitäten in Retention-Projekten
6. Beispiel Retention-Projekt Bank

1. Einleitung
Expandierende Arbeitsmärkte einerseits und deutliche Rückgänge der Geburtenent-
wicklung und somit der Verfügbarkeit qualifizierter Hochschul-Absolventen anderer-
seits führen in vielen Industrie- und Funktionsbereichen zu Personalengpässen. Die
Bezeichnung War for Talents wurde in den letzten Jahren zu einer populären Beschrei-
bung für diese Situation. Die Anforderungsprofile der Unternehmungen an den Mana-
gementnachwuchs haben sich angenähert, frühere Branchenunterschiede und resultie-
rende Funktionserfahrungen verlieren an Gewicht. Absolventen und Nachwuchskräfte
mit überzeugendem Werdegang und klaren Potenzialindikationen sind extrem be-
gehrt, werden in der Regel schon im Studium durch Unternehmungen begleitet und
haben bei halbwegs professioneller Positionssuche mehrere hochwertige Alternativen.
Wie in anderen Märkten auch führt diese Unterversorgung in letztlich allen interes-
santen Managementbereichen zur Verteuerung des Vergütungsaufwandes und des
Recruitment-Prozesses, zudem zu einem deutlich intensiveren Wettbewerb der Unter-
nehmungen, um die Talente mit aktivem Research/Scouting zu akquirieren. Einen
weiteren Effekt haben die intensiven Veränderungsprozesse in vielen Unternehmens-
gruppen im Rahmen der Expansion, der Integration anderer Partner, der strategischen
oder internationalen Neuausrichtung. Überraschenderweise prüfen dann insbesondere
die für den Bewerbermarkt attraktiven Hochleistungsträger und Potenzialkandidaten
berufliche Alternativen – sie nutzen externe Entwicklungschancen, sind nicht automa-
tisch Träger der für sie ansonsten in der Regel attraktiven internen Veränderungen.
Hierzu trägt häufig die unprofessionelle Kommunikation und Einleitung sowie perso-
nalwirtschaftliche Umsetzung dieser Veränderungen bei.
Insgesamt führen diese Faktoren zu einer deutlich höheren Wechselbereitschaft und
zu real höheren Wechselquoten von Hochleistungsträgern. Für die Unternehmungen

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_12,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
174 Walter Jochmann

und im besonderen Sinne die Personalbereiche wird somit neben der Recruitmentauf-
gabe die Funktion der Bindung insbesondere von Leistungs- und Potenzialträgern zu
einer vorrangigen Zielsetzung.

2. Auslöser für den beruflichen Veränderungsprozess


Die selbstinitiierte berufliche Veränderung, die explizit nicht mit einer pauschalen
Fluktuationsquote über alle Leistungsklassen und über den Mix aus freiwilliger und
unfreiwilliger Kündigung gleichgesetzt werden sollte, ergibt sich immer aus Push-
und aus Pullfaktoren. Zum einen gibt es interne unzufriedenheitsgenerierende Fakto-
ren oder Diskrepanzen in den Erwartungen zwischen Leistungsträgern und Unterneh-
mensangeboten. Zum anderen gibt es anziehende Faktoren des Arbeitsmarktes in
Form von deutlichen Gehaltssteigerungen, attraktiven Aufgabenveränderungen und
Aufstiegsoptionen. In den 70er- und 80er-Jahren gab es unter dem Stichwort der Turn-
over-Forschung schon einmal zahlreiche Analysen zum Zusammenwirken dieser
Faktoren. Der Autor hat 1990 in einer Studie mit fast 400 Führungskräften folgende
Top-Auslöser identifiziert (Jochmann, 1990):
• Passungsgrad der Erwartungen an das Unternehmen. Horizontale und vertikale
Entwicklungsmöglichkeiten
• Ausmaß nicht transferierbarer Investitionen in die jetzige Position und Positionie-
rung im Unternehmen
• Emotionales Commitment/Identifikation mit der Unternehmung
• Sicherheit und Langfristigkeit des Arbeitsplatzes
• Gehaltsflexibilität mit hohem variablen Anteil
• Begünstigende biographische Daten: Alter und Unternehmenszugehörigkeit unter
Durchschnittskennzahlen
Ein Blick auf die heutigen Auslöser für das Verlassen der Unternehmung zeigt folgen-
de Bestätigungen oder auch Veränderungen:
• Die Faktoren mangelnde Aufstiegsperspektiven oder nichtattraktive Vergütung
zählen nach wie vor. Viele Unternehmungen haben in diesem Feld gerade auch für
jüngere Leistungsträger sehr attraktive und dynamische Instrumente entwickelt.
• Deutlich wichtiger geworden ist eine überzeugende Unternehmensstrategie, ein als
kompetent erlebtes Top-Management mit strategisch richtigen Geschäftsentschei-
dungen. Die Transparenz über Strategien und Zielerreichungen der Unternehmun-
gen bewegt sich heute auf sehr hohem Niveau und wird zur Determinante der At-
traktivität für Top-Kandidaten.
• Der klassische Begriff der Arbeitszufriedenheit wird heute präzisiert mit Blick auf
notwendige Führungsqualität, ein attraktives und herausforderndes Aufgabenspek-
trum sowie eine transparent-chancenbietende Karriereplanung.
• Der alte Faktor Betriebsklima verliert zumindest bei Top-Leistern klar eine binden-
de Wirkung, ist ein Hygienefaktor, wird in den Gesamtzusammenhang einer attrak-
tiven Unternehmenskultur gestellt.
Retention Management 175

• Im Rahmen einer erhöhten Werteorientierung mit entsprechendem Verantwor-


tungsbewusstsein ist die Identifikation mit den Unternehmenswerten und Produk-
ten/Dienstleistungen wichtiger geworden.
• Potenzialträger möchten „bei guten Marken arbeiten“, die berufliche Station sollte
im Werdegang attraktiv und wertsteigernd erlebt werden (Analogie zum persönli-
chen Marktwert).
• Der klassische Bedarf nach Qualifizierung und Förderung auf der Verhaltensebene
oder überfachlichen Ebene wird heute stärker in den Gesamtzusammenhang der
Vermarktbarkeit gestellt – die Beschäftigungsfähigkeit fokussiert Business-Kern-
kompetenzen, also werthaltige Fertigkeiten und Erfahrungen in bestimmten Unter-
nehmensfunktionen oder Branchen/Märkten.
• Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist für Topleister überhaupt kein treibendes Motiv
mehr – und dieses zunehmend unabhängig vom Lebensalter. Die Arbeitsmarkt-Op-
tionen eröffnen auch Führungskräften deutlich über 50 Jahren hervorragende Per-
spektiven – verknüpft mit der zunehmenden finanziellen Unabhängigkeit ist die
Wechselbereitschaft somit zunehmend altersunabhängig.
• Der Faktor räumliche Mobilität verliert an Gewicht – gerade bei jüngeren Poten-
zialträgern ist die Attraktivität der Region und des Standortes sehr wichtig, sind in-
ternationale Rotationsmöglichkeiten sehr motivierend. Flexible Arbeitsmodelle
und Lebensentwürfe berufstätiger Partner ermöglichen zunehmend die Unabhän-
gigkeit von privatem Standort und Arbeits- oder Unternehmensstandort.
• Die Diskussion um den Stellenwert von Arbeit und Privatleben gewinnt unter dem
Stichwort Life Balancing an Relevanz. Die pauschale Geschwindigkeit der Gehalts-
und Aufstiegsentwicklung wird zunehmend in Frage gestellt, ohne dass zum jet-
zigen Zeitpunkt schon konzeptionell befriedigende Lösungen für konkurrierende
Lebensziele vorliegen.
• Wichtiger als die jährliche Fixvergütung sind die Beteiligung an der Entwicklung
des Unternehmenswertes sowie mittel- und langfristige leistungsbezogene Vergü-
tungsbausteine. Die Start Up-Welle nicht nur in der New Economy hat die Vision
vom verantwortlichen Unternehmertum für breite Funktionsgruppen zugänglich
gemacht – durchaus auch mit aggressiven und nunmehr teilweise korrigierten finan-
ziellen Erwartungen.
Insgesamt haben sich die inneren Motivationsstrukturen, die persönlichkeitsbezoge-
nen Treiber und Erwartungen mit Blick auf Beruf und Karriere bei Führungskräften
und Nachwuchskräften/Absolventen angenähert (vgl. Abbildung 1). Die intensiven
Unternehmenskontakte und die Informationstransparenz schon im Studium führen
heute zu reifen und unternehmerischen Erwartungsbildern, die den Aufbau von breit
anwendbaren Bindungsmodellen in der Unternehmung vereinfachen. Bei Hochleis-
tungsträgern zeigt sich ein Übergewicht sogenannter intrinsischer Faktoren (Verän-
derungen begleiten, schwierige Probleme lösen, Ergebnisse erzielen, sich selber wei-
terentwickeln). Extrinsiche Faktoren konzentrieren sich auf fachlichen Ehrgeiz und
Ranking, auf Rückmeldung und Anerkennung sowie ein marktadäquates Vergütungs-
niveau. Status, Betriebsklima und Absicherungen/Garantien haben keine bedeutsame
Bindungswirkung. Führungskräfte orientieren sich über ihre Erfahrungen noch stärker
an unternehmerischen Ergebnissen und stehen dem Thema Beeinflussung und Gestal-
tung (nicht klassische Machtausübung) offener gegenüber.
176 Walter Jochmann

Self assessment

Abbildung 1: Durchschnittsprofile auf dem Kienbaum Motivationsprofil

Die Bindung von Mitarbeitern und die Attraktivität für gute Bewerber sind zwei Sei-
ten einer Medaille. Abbildung 2 verdeutlicht die wesentlichen Handlungsebenen, um
als Unternehmung für Nachwuchskräfte attraktiv zu sein und am wichtigen Indikator
der Arbeitgeber-Attraktivität zu arbeiten (Rousseau, 2000). Neben einer gleichblei-
benden Bedeutung der Prozess- und Instrumente-Qualität ist die subtile Bedeutung
der Verhaltens- und Kulturqualität gestiegen, zeigt die strategische Qualität den deut-
lichsten Zugewinn an Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als aus der Sicht der Kandida-
ten
• nicht nur klassische Studienabgänger auf Grund des breiten Gaps zwischen Ange-
bot und Nachfrage zahlreiche Chancen erhalten (dieser Engpass an studierten
Nachwuchskräften und Spezialisten wird aller Wahrscheinlichkeit nach die näch-
sten zehn Jahre anhalten),
• die Arbeitsmärkte absolut transparent werden – elektronische Stellenbörsen ver-
schaffen sehr kurzfristig internationale Bewerbungsmöglichkeiten mit einem hohen
Maß an Vergleichbarkeit in den Anreizbedingungen und
• die eigene Investition in den Bewerbungsprozess reduziert wird, das aktive Zuge-
hen der Unternehmungen auf Kandidaten (Hochschulmessen, Direct Search) auf
hohem Niveau weiter ansteigen wird.
Retention Management 177

Abbildung 2: Arbeitgeber-Attraktivität aus der Sicht von Universitätsabsolventen

3. Definition und Analyse von Messkriterien


für Mitarbeiterbindung
Es ist zu wenig, das Retention-Thema unter die Überschrift der Fluktuationssenkung
zu stellen. Zu berücksichtigen sind die derzeitige Qualität, der Wertschöpfungsbeitrag
und die strategische Relevanz der jeweiligen Positionsgruppe, auch der Vergleich von
Investitionen und Output von möglichen Bindungsprogrammen. Folgende Ziele las-
sen sich unter dem Thema und der zunehmend in den Unternehmungen etablierten
Personalfunktion Retention-Management fassen:
• Reduktion von Recruitment-Kosten.
• Deckungsgrad freiwerdender Positionen durch interne/vorhandene Nachfolger.
• Minimierung der Zeitspanne zwischen Vakanz und Besetzung von wichtigen Posi-
tionen.
• Sicherstellung der Umsetzung von Kernstrategie und Geschäftsfeld-Strategien auf
der Ebene Human Resources (Quantität und Qualität notwendiger personeller Res-
sourcen).
• Erhöhung der Attraktivität als Arbeitgeber.
• Vermeiden von Mitarbeitertransfers zum unmittelbaren Wettbewerb.
• Sicherstellung von wichtigen Kundenbeziehungen durch die Stabilisierung der
Kundenmanager des Unternehmens.
Bindungsquoten ausgewählter Zielgruppen von Hochleistern und Potenzialträgern
finden sich zunehmend im Instrument der Balanced Scorecard für Personalbereiche
(Jochmann, 2000a). Als Key Performance Indicator (somit Messkriterium für überge-
ordnete Personal- und Unternehmensziele) lassen sich absolute Zahlen oder prozen-
178 Walter Jochmann

tuale Verbesserungen klar definieren und publizieren – beispielsweise die Erzielung


einer Bindungsquote von 85 Prozent im definierten Hochleister-Segment. Diese Zielset-
zung wird idealerweise sowohl der operativen Führungskraft als auch dem betreuenden
Personalbereich vergeben. Den sinnvollen Zugang zur notwendigen Segmentierung und
Differenzierung der Zielgruppen schaffen die derzeit eher auf Führungskräfte- Ebene
verbreiteten Personal-Portfolios (vgl. Abbildung 3). Hierbei gilt es, die Einschätzung
durch Vorgesetzte und Kollegen, häufig festgemacht an einem Anforderungsprofil
oder einem Kompetenzmodell, mit Resultaten (Ausmaß Zielerreichungen, Business-
Ergebnisse) und der Potenzialeinschätzung mit Blick auf Veränderungsbereitschaft


Abbildung 3: Human Asset Management Portfolio

und Veränderungsfähigkeit auf entscheidenden Managementdimensionen zu verknüp-


fen. Dies führt idealerweise zu einer jährlichen Personalplanungs- oder Potenzialein-
schätzungsrunde in den wichtigen Unternehmensbereichen. Dabei werden folgende
Personalinstrumente integriert:
• Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräch. Aussagen des Vorgesetzten zu Ziel-
erreichungsgraden und Verhaltensqualität/Einschätzung fachlicher und überfachli-
cher Kernkompetenzen.
• Rückmeldung von Kollegen, Mitarbeitern und internen Kunden über das zuneh-
mend eingesetzte 360-Grad-Feedback-Instrumentarium.
• Ergebnisse aus sogenannten Benchmarking-Verfahren, die durch den Personal-
bereich initiiert werden: Assessment-Center/Orientation Center/Development Cen-
ter. Management-Audit/Management Appraisal. Hierbei Fokus auf Quervergleiche
in derzeitiger Performance und auf Veränderungsoptionen/ungenutzte Potenziale
für erweiterte Aufgabenstellungen im Management.
Retention Management 179

Bei Nachwuchskräften sollte sich die Potenzialeinschätzung auf schwer veränderbare


Teilkompetenzen beziehen, beispielsweise:
• Problemlösekompetenz
• Sprachliche Flexibilität
• Beeinflussungs- und Steuerungsmotivation
• Lernbereitschaft/Offenheit für Feedback
• Persönliche und unternehmerische Leistungsmotivation
Eine wichtige instrumentelle Innovation stellen personelle Risikoportfolios dar (vgl.
Abbildung 4). Den beschriebenen Einschätzungsgraden von jetziger Leistung und
vorhandenen Potenzialen, somit einer Qualitätsbewertung der vorhandenen Mitarbei-
terInnen, wird die funktionsbezogene Positionierung gegenübergestellt. Diese kann
wie dargestellt mit Blick auf Positions- und Führungsebenen, alternativ dazu über Job
Classes definiert werden (beispielsweise Außendienstmitarbeiter, Key Account Mana-
ger, Regionalverkaufsleiter). Entscheidend ist neben diesen Ebenen von Qualität und
Funktionsgruppe die primär statistische Ableitung von Gefährdungsgraden. Kien-
baum-Untersuchungen haben eindeutige Gefährdungsfaktoren identifiziert, die über
viele Branchen und Funktionen hinweg 60 bis 70 Prozent von Kündigungsprozessen
erklären. Unter Hinzunahme der unternehmensspezifischen Einflussfaktoren lässt sich
häufig über eine intelligente Integration vorhandener Daten und Informationen eine
Gefährdungskennzahl vergeben, die zu klaren individuellen Bindungsaktionen führen
kann. Derartige Risikoportfolios für bestimmte Abteilungen oder Betreuungsbereiche
helfen Führungskraft und Personalreferent, um das klassische Spektrum persönlicher
Bindungsarbeit (Motivationsgespräche, Karriereperspektiven, Analyse persönliche
Gehaltsentwicklung, etc.) mit Prioritäten zu versehen und sich klaren Resultaten stel-
len zu können. Intelligentes Retention Management wird sicherlich das klassische

Abbildung 4: Kienbaum Instrument Risk-Portfolio


180 Walter Jochmann

Spektrum der Personalinstrumente auf Attraktivität und Vergleichbarkeit mit relevan-


ten Angeboten des Arbeitsmarktes prüfen, umso mehr aber klare Messkriterien und in-
dividualisierte Aktionsprogramme veranlassen (Dibble, 1999).

4. Kienbaum Retention-Modell
Retention wird zum klassischen und permanenten Ziel von Personalbereichen und
auch Führungskräften. Dies reicht allerdings in vielen Wachstums-Unternehmungen,
in denen wirtschaftlicher Erfolg linear mit personellen Besetzungen von Schlüsselpo-
sitionen und entsprechendem Personalaufbau zusammenhängt, nicht aus. Deshalb
werden in der Projektform formale Retention-Programme verabschiedet, die sich an
einer Retention Gesamtkonzeption orientieren sollten (vgl. Abbildung 5). Das vorlie-
gende Modell stellt Aktivitäten und Investitionen in Mitarbeiterbindung in den Ge-
samtzusammenhang von drei Handlungsebenen. Die oberste Ebene ist klar strategisch
orientiert, berücksichtigt Image und internen sowie externen Unternehmensbrand, lässt
sich an Aktivitätsmerkmalen (beispielsweise Branchenranking, Anzahl freie Bewerbun-
gen, Annahmequote von Arbeitsverträgen etc.) messen. Die zweite Ebene formuliert das
klassische Personalgeschäft in den beiden wesentlichen Funktionen von letztendlich
verantwortlicher Führungskraft sowie unterstützendem und attraktive Personalinstru-
mente lieferndem Personalbereich (Ulrich, 1998). Die meisten Bindungsprogramme set-
zen an den Stellhebeln von Führungsqualität, Motivation, Karriereplanung und inno-
vativen Vergütungsinstrumenten an. Die dritte Ebene beinhaltet zum einen klassische
Personalentwicklung, wobei neben unternehmensgetriebenem Feedback mit Prozes-
sen und Qualifizierungsangeboten zunehmend das Prinzip der Selbstverantwortung
mit Freiräumen in Zielbestimmung und Auswahl von Qualifizierungsmaßnahmen

Abbildung 5: Bausteine für Retention-Programme


Retention Management 181

greift. Hinzu kommt zum anderen das aus Unternehmenssicht eher schwierig anzuge-
hende Themenfeld Life Balancing. IT-Unternehmen, stark vertriebsgetriebene Funk-
tionen oder Beratungseinheiten wissen um die Notwendigkeit, prinzipiell nach oben
offene Möglichkeiten besser zu steuern und dem Einzelnen sinnvolle Selbstschutz-
Mechanismen vor Burnout-Effekten bereitzustellen (Harvard Business Review,
2000).
Die Rolle und Funktion von Personalbereichen für die Mitarbeiterbindung wird kon-
trovers diskutiert. Letztendlich entscheiden Führungskräfte über Einstellungen und
Beförderungen, steuern sie über Ziele und Aufgabeninhalte, vermitteln sie über die
persönliche Kommunikation natürlich sehr viel mehr an Einfluss als ein betreuender
Personalbereich. Vorstände und Geschäftsführungen werden im Rahmen der strategi-
schen Bedeutung von Mitarbeiterbindung allerdings einen Process Owner identifizie-
ren, der mit intelligenten Qualifizierungs- und Steuerungsmaßnahmen zumindest
branchenübliche Bindungskennzahlen sicherstellt. Es ist das Dilemma und die beson-
dere Herausforderung von Personalbereichen, die Gesamtverantwortung für das Manage-
ment der Unternehmenskultur mit den Facetten Führungsqualität und Mitarbeiterbin-
dung zu tragen (Jochmann, 2001). Hierzu nimmt der Personalbereich unterschiedliche
Rollen ein, die analog zum Vorschlag von Ulrich (1997) den Handlungsebenen von
Retention Management zugeordnet werden. Die professionelle Wahrnehmung der
Rolle eines unternehmerischen Partners bedeutet für den Personalbereich, seine Ein-
flussmöglichkeiten mit Blick auf die Formulierung eines ambitionierten und glaub-
haften Unternehmensleitbildes zu nutzen, in der Umsetzung mit Priorität auf die per-
sonalrelevanten Themenstellungen beispielsweise eine People Strategy zu implemen-
tieren. Die Rolle als Change Agent fordert neben der HR-Unterstützung von Strategie-
und Organisationsprojekten die aktive Veränderungsarbeit an den Führungskräften,
die messbare Verbesserung des Rekrutierungs- und Bindungsprozesses bei den
Führungskräften. Mit der Neukonzeption von Vergütungsinstrumenten werden des
Weiteren quantitative und qualitative Veränderungsziele glaubhaft unterstützt. Die
Rolle als Betreuer und Coach setzt zum einen an der Beratung von Führungskräften
im Nachklang zu Beurteilungs- und Trainingsmaßnahmen an, zum anderen an der per-
sönlichen Bindungsarbeit gefährdeter Potenzialträger, die unter nicht kurzfristig ver-
änderbaren Führungsschwächen agieren müssen.
Letztlich müssen sich Personalbereiche der Herausforderung stellen, eine bereichs-
übergreifende Perspektive in die Personalplanung einzubringen und dann beispiels-
weise Führungskräfte dazu motivieren, Mitarbeiter zu fördern und abzugeben, deren
Aufstieg auch an der eigenen Positionsebene vorbei zu akzeptieren. Vor diesem Hin-
tergrund ist eine rein moderierende Rolle des Personalbereiches gegenüber den busin-
ess-verantwortlichen Führungskräften im Retention Management zu wenig. Top-Po-
tenzialträger erwarten, dass sie neben dem funktionalen und abteilungsbezogenen
Blick ihrer derzeitigen Führungskraft übergreifend beraten werden – sie erwarten
hierbei expansive Chancen, schnelle Umsetzungsmaßnahmen und hochprofessionelle
Beratung zum Abbau persönlicher Kompetenzlücken. Dies kann insbesondere in sen-
siblen Positionsbildern (Investment-Banking, Consulting, Key Account Management)
bis zur Lebensberatung oder zumindest zur Vermittlung persönlicher Berater und
Coaches führen.
182 Walter Jochmann

Die glaubhafte Arbeit an einer strategisch verstandenen Mitarbeiterbindung fordert


von Personalbereichen, dass sie Bindungsquoten in ihre Leistungsziele aufnehmen,
dass sie mit einem verbindlichen Rollenverständnis und mit professionellen Personal-
leistungen und -prozessen ihren internen Markt bearbeiten. Die Dokumentation dieser
Arbeitsschwerpunkte und die Einbindung von Retention Management in die Ge-
samtaktivitäten des Personalbereiches erfolgt zunehmend über gut kommunizierte und
glaubhaft umgesetzte Personalstrategien (Jochmann, 2000b; vgl. Abbildung 6).

Abbildung 6: Selbstverständnis und Ziele Personalbereich (Projektbeispiel)

5. Schwerpunkt-Aktivitäten in Retention-Projekten
Viele Unternehmensgruppen haben mit Blick auf Investor Relations sowie die Attrak-
tivität für Kunden und Bewerber die klassischen Themen von Strategie und Unterneh-
menskultur unter neu verstandener Leitbildarbeit aktiviert. Ein sorgfältig erarbeitetes,
sowohl auf die eigene Historie als auch die Geschäfte und Erfolgsfaktoren ausgerich-
tetes Unternehmensleitbild umfasst die Bausteine:
• Vision der Unternehmung
• Mission Statement
• Mittel- und langfristige Unternehmensziele
• Beschreibung der Geschäfte/Geschäftsfelder
• spezifisches Kompetenz- und Erfolgsprofil
• Geschäfts-Philosophie und Unternehmenswerte
• Angestrebte Führung und Kommunikation in der Unternehmung
• Positionierung und Beiträge in der Gesellschaft
Retention Management 183

Maßnahmen zur Erhöhung der externen Arbeitgeber-Attraktivität und interne Bin-


dungsmaßnahmen lassen sich nicht mehr voneinander trennen. Kündigungswellen,
sich multiplizierende Negativbotschaften von Leistungsträgern in ihrem privaten Um-
feld oder in Branchenzirkeln treten in den Bewerbermarkt. Negative Schlagzeilen in
der Wirtschaftspresse, Symbolverstöße oder Imageprobleme des Top-Managements
fließen ebenso ins Unternehmen. Eine umfassende Personalmarketing-Strategie wird
sich deshalb damit beschäftigen,
• welches Ziel-Image und welche Assoziationen die Unternehmung bei Mitarbeitern/
Innen und Bewerbern wecken möchte,
• welche Vorteile/Assets das Unternehmen im Vergleich zu anderen attraktiven Ar-
beitgebern bietet,
• wie die Branche und mit ihr verbundene Berufsbilder positiv transportiert werden
können,
• wie „das Produkt Unternehmen“ attraktiv und gleichzeitig glaubhaft im Kommuni-
kations- und Medienmix beschrieben wird,
• wie ein intelligentes Relationship-Management zwischen den wichtigen Zielgrup-
pen etabliert werden kann,
• wie ein Mess- und Steuerungssystem zur bestmöglichen Allokation der Investitionen
in Personalmarketing aufgebaut werden kann.
Personalmarketing wird somit zu einer strategischen Kernaufgabe von Personalberei-
chen und ist ausdrücklich mehr als ein Set operativer Aktivitäten in Medien und an
Hochschulen. Personalbetreuung ist qualitativ etwas anderes als reaktive Beratung in
Personaladministrations-Fragen und gegebenenfalls auch Personalentwicklungs-The-
men. Die Klammer um „die beiden Seiten der Medaille“ (vgl. Abbildung 7) sind die

Abbildung 7: Integration von Gewinnung und Bindung


184 Walter Jochmann

aus der Unternehmensstrategie und den hieraus abgeleiteten Initiativen erwachsenen


Anforderungen an Personalquantität und Personalqualität. Beispielsweise lenken Ex-
pansions-Strategien und Mergers den Blick auf:
• international befähigte und mobile Spezialisten und Führungskräfte
• die Identifikation von Projektmanagern und Change Agents
• die Akquisition von Erfahrungsträgern in für das Unternehmen neuen Geschäften
und Märkten/Regionen
• die Identifikation von Nachwuchskräften aus den eigenen Reihen (internationaler
Transport von Unternehmenskultur und Geschäftsphilosophie).

Klassische Messkriterien für den bei Retention ebenso wichtigen Hebel hoher Füh-
rungsqualität sind:
• Anzahl im Bereich aufgebauter Potenzialträger
• Bindungsquote von Leistungsträgern, Spezialisten und High Potentials
• Auswertungen im Aufwärtsfeedback und im 360-Grad-Verfahren
• Anwendungsgüte der Personalführungsinstrumente (in der Regel Zielvereinba-
rung, Feedback, Potenzialeinschätzung und Vergütungstool)
• Abweichungsgrad zwischen erforderlichen und vorhandenen fachlichen und über-
fachlichen Kompetenzen im eigenen Bereich
• Nutzungsgrad der vorhandenen Personalentwicklungs- und Qualifizierungsinstru-
mente.

Personalbereiche – und hier im Speziellen Personalentwickler – bauen seit Jahrzehnten


auf das Instrument Führungstraining, um das gelebte Führungsverhalten zu optimie-
ren. Qualitätskriterien an Führungstrainings sind bekannt, methodische Ergänzungen
der letzten Jahre basieren auf:
• der Individualisierung unter Hinzuziehung vorhandener Potenzialeinschätzungen
und 360-Grad-Bewertungen
• der Ergänzung klassischer Trainings durch individuelle Coachings (insbesondere
bei Führungskräften mit Signalwirkung)
• der Etablierung von kurzfristig einsetzbaren Assessment-Tools
• der stärkeren Resultatsorientierung von Führungsarbeit mit Selbstverantwortung
für notwendigen Input an Training und Beratung.
Die Führungsmodelle selber sind nicht komplexer geworden, sondern orientieren sich
häufig an einem klassischen Funktions- oder Aufgabenbild (vgl. Abbildung 8). Zu-
nehmend werden die Anforderungen an gute Führungsarbeit und die hiermit verbun-
dene Anwendung von Führungsinstrumenten in personalen Kompetenzmodellen der
Unternehmung abgebildet. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das individuelle
Feedback durch den Vorgesetzten auf ähnlicher Ebene erfolgt wie Kollegen- und Mit-
arbeiter-Einschätzungen oder aber das Ergebnis von meist extern durchgeführten Ma-
nagement-Appraisals. Die hohe betriebswirtschaftliche Bedeutung des Gewinnens
und Bindens von Kernkompetenz-Trägern führt im Übrigen dazu, dass schwache
Führungsleistung zunehmend weniger toleriert wird, dass Unternehmungen den kurz-
fristigen wirtschaftlichen Erfolg eines Bereiches oder das fachliche und verkäuferi-
Retention Management 185

Abbildung 8: Aufgaben einer Führungskraft

sche Image einer Führungskraft nicht mehr zur dauerhaften Entschuldigung und somit
zur Konsequenzlosigkeit machen. Retention-Management heißt dann auch, dass Perso-
nalbereiche stärker als bisher die Neubesetzung von Führungsfunktionen vorantreiben,
Führungsprobleme auf oberster Managerebene thematisieren und stärker als bisher
mit klaren Messkriterien von Führungsqualitäten argumentieren (Fiz-Enz, 2000).

6. Beispiel Retention-Projekt Bank


Wenn Retention-Management von Zielen und von Benchmarks der Führungs- und
Personalinstrumente zur strategischen Initiative des Personalbereiches führt, greifen
die klassischen Anforderungen an das Projektmanagement. Projekte sind mit Blick
auf Ziele und Ressourcen klar zu definieren, werden in Teilprojekten mit zugeordne-
ten Aufgaben dargestellt. Abbildung 9 dokumentiert die Struktur eines Projektes, das
Kienbaum Management Consultants im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Divisi-
on eines großen Finanzinstitutes durchgeführt hat. Im Beratungs- und Betreuungsbe-
reich für gehobene Privatkunden/Vermögenskunden hatten sich Motivations- und
Bindungsprobleme entwickelt, die zur problematischen Nichtausschöpfung von Ge-
schäftspotenzialen (Wachstums- und Ertragsentwicklung unter Wettbewerber-Bench-
marks) geführt haben. Dies führte auf Initiative der Spartenleitung zur Initiierung des
formal budgetierten Projektes, dessen ursprüngliche Zielsetzungen nach der Analyse-
phase detailliert wurden.
186 Walter Jochmann

Wichtige Bausteine dieser Analysephase waren:


• telefonische Interviews mit Vermögensberatern, die die Bank innerhalb des letzten
Jahres verlassen haben
• Etablierung eines Personalportfolios mit der nachträglichen Zuordnung „verlore-
ner“ Mitarbeiter in Leistungsklassen und mit der Entwicklung eines Risikoportfoli-
os für die vorhandenen BeraterInnen
• prägnante Ermittlung/Bewertung der Arbeitgeber-Attraktivität bei Bewerbern aus
anderen Banken und in ausgewählten bankwirtschaftlichen Universitätsinstituten
• Sekundärauswertung vorhandener 360-Grad-Ergebnisse, resultierende Identifika-
tion problematischer Führungsbereiche

Abbildung 9a: Beispielhafte Struktur des Retention-Projektes (1)

Abbildung 9 b: Beispielhafte Struktur des Retention-Projektes (2)


Retention Management 187

Angesichts einer Gesamt-Zielgruppe von 800 Beratungsfunktionen im deutschspra-


chigen Bereich konnte die Analysephase in drei Monaten realisiert werden. Vor dem
Hintergrund des aggressiven Arbeitsmarktes und stark zunehmender Direktansprache-
Aktivitäten durch Wettbewerber wurde beschlossen, das vorhandene Vergütungsin-
strumentarium durch einen Long Term Bonus zu ergänzen. Ein Team von Vergütungs-
experten (intern und Consultants) definierte die Konzeption mit 4-jähriger Laufzeit,
mit Einstiegs- und Leistungsbewertungs-Kriterien. Eine besondere Herausforderung
war hierbei, die Mehrkosten (der LTIP macht bei 100-prozentiger Zielerreichung auf
vier Jahre die Höhe eines Jahresbonus aus) aus der Verknüpfung von Mehrleistung
und Abbau ungewollter Fluktuation rentabel darzustellen. Des Weiteren ist die Etab-
lierung des LTIP ohne innovative Gesamtvergütungs-Konzepte (vgl. Abbildung 10)
mit intensiven Schnittstellen-Behandlungen einerseits und Vertragsneugestaltungen
andererseits verbunden.

Wertpotenzial

Abbildung 10: Trends der Gesamtvergütung

Ein Kernbaustein des Projektes war die Überführung einer handwerklich guten Perso-
nalentwicklung (Assessment-Center, Orientation-Center, Potenzialeinschätzung und
Qualifizierungsprogramm) in ein integriertes Human Asset Management für alle kun-
dennahen Funktionen. Die bestehenden Instrumente wurden um zwei Förderpools
(klassisch und „fast track“) ergänzt, ein Kompetenzmodell mit fachlichen und über-
fachlichen Teilkompetenzen löste ein konventionelles, allgemeines Anforderungspro-
fil ab. Die Kompetenzbeschreibungen werden zum Mittelpunkt für alle Beurteilungs-
und Fördermaßnahmen, die Ergebnisse werden zeitnah in einer Datenbank-Lösung
abgebildet. Auf diese Weise können kurzfristig Standortbestimmungen und Matchings
zwischen Soll- und Ist-Profilen vorgenommen werden, Vakanzen in Regionen unter-
füttert werden und „Bewerber auf Vorrat“ beurteilt und dokumentiert werden.
188 Walter Jochmann

Ein Review der eingesetzten Maßnahmen zur Führungsqualifizierung zeigte zahlrei-


che Verbesserungsfelder auf und konnte Einsparungen im klassischen Trainingsbe-
reich erzielen. Die Einführung eines kompetenzbasierten 360-Grad-Instrumentarium
half bei der Individualisierung von Fördermaßnahmen. Hierüber wurde der Anteil in-
dividueller Coaching-Maßnahmen erhöht, insgesamt aber die Resultatsorientierung
und das Prinzip Selbstverantwortung und Selbststeuerung deutlich gestärkt. Teile der
variablen Vergütung wurden auf Messkriterien der Führungsqualität und der Mitarbei-
terbindung ausgerichtet und haben so einen glaubwürdigen Hebel gewollter Verände-
rungen geschaffen.
Leider sind konkrete Berechnungen des Return on Invests für Personalmaßnahmen
noch nicht weit verbreitet. Retention-Management kann sich allerdings auf stabile
Einschätzungen der Kosten ungewollter Fluktuation beziehen, die sich im vorgestell-
ten Beispiel jährlich auf über 5 Millionen € beliefen. Die klassischen Bausteine zur
Berechnung dieser Kosten sind
• direkte und indirekte Rekrutierungskosten
• Einarbeitungskosten
• Opportunitätskosten – Vergleich mit „ungestörtem Prozess“
Die direkten Recruitment-Kosten für Hochschulabsolventen und Nachwuchskräfte
haben sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt, sie liegen bei durchschnittlich
15.000 bis 25.000 Euro und steigen für Positionen im Mittelmanagement leicht auf
das Doppelte an. Die indirekten Kosten, die Aufwendungen für Personalbereiche und
Führungskräfte, liegen formal unter diesen Zahlen – die Wertschöpfungsanalyse „anson-
sten möglicher Tätigkeiten“ zeigt allerdings auch hier eine beträchtliche Hebelwirkung
(Cascio, 1999). Entscheidend sind gerade bei etablierten Spezialisten oder Führungs-
kräften mit Marktbezug die Kosten „des entgangenen Geschäftes“ – die Zeitdauer bis
zur vollen Positionsentfaltung oder die negative Multiplikationswirkung auf Kunden
und weitere Mitarbeiter können beispielsweise im Vermögenkundenbereich in das Volu-
men 250.000 bis 500.000 Euro hineingehen. Die klassische Schätzung der Gesamt-
kosten einer Rekrutierung auf das 1,5- bis 3-fache des Jahresgehaltes wird zumindest
bei mit hohen Werthebeln ausgestatteten Positionen nicht ausreichen.
Die Einsparungsgröße bei Retention-Programmen ergibt sich somit aus der angestreb-
ten und dann später realisierten Erhöhung der Bindungsquote um in der Regel 10 – 20
Prozent. In Verbindung mit den Pro-Kopf-Fluktuationskosten ergeben sich schnell
Millionenbeträge, die durch intelligente Retention-Maßnahmen erzielt werden kön-
nen. Interne Modellrechnungen zeigen, dass der ROI häufig innerhalb eines Jahres
einsetzen kann und somit zumindest unter betriebswirtschaftlicher Bewertung als
höchst attraktiv erscheint.
Retention Management ist ein gutes Beispiel dafür, wie Personalprozesse und Perso-
nalleistungen von einer Input- zu einer Output-Betrachtung und Resultatsorientierung
überführt werden können (Wunderer & Jaritz, 1999). Die Reduktion der Fluktuation
von Leistungsträgern ist nicht nur ein Leistungstreiber, sondern zumindest in ver-
triebsnahen Bereichen auch ein Werttreiber. Wenn Personalbereiche in der Darstellung
ihrer Maßnahmen und ihrer Initiativen/Projekte einen klaren Zusammenhang zur
Retention Management 189

Wertschöpfungskette der Unternehmung aufzeigen, wird neben der Investitionsbereit-


schaft in diese Projekte insgesamt ihre Akzeptanz und Positionierung zunehmen. Un-
ternehmungsleitungen fordern Antworten auf die integrierten Prozesse Recruitment
und Retention, der Zusammenhang ihres Managements mit Strategieumsetzungen und
letztlichem Unternehmenserfolg ist zumindest in vielen Branchen offensichtlich. Re-
tention Management ist deshalb für die Personalbereiche eine gute Chance, Teile ihrer
klassischen Arbeit neu auszurichten, um überfällige Innovationen und Verbindlichkei-
ten im Führungsprozess durchzusetzen und um sich als Business Partner an modernen
Steuerungsinstrumenten (vgl. Abbildung 11) messen zu lassen.

Abbildung 11: Human Resources Scorecard (Beispiel)

Literatur
Cascio, W. F. (1999). Costing Human Resources: The Financial Impact of Behavior in Organiza-
tions
Dibble, S. (1999). Keeping your valuable employees. Retention Strategies for Your Organizations’s
Most Important Resource
Fiz-Enz, J. (2000). The ROI of Human Capital: Measuring the Economic Value of Employee Per-
formance
Harvard Business Review on Work and Life Balance (2000)
Jochmann, W. (2001). Erfolgreiches Gestalten von unternehmerischen Integrationsprozessen, in: Ber-
telsmannstiftung: Band „Fusion und Unternehmenskultur. Integrationsmanagement“, Gütersloh
Jochmann, W. (2000). Added Value durch die strategische Neuausrichtung der Personalarbeit, in:
Spucho/Gutmann (Hrsg.)
190 Walter Jochmann

Jochmann, W. (2000). Change Management in Personalbereichen, in: Kienbaum, J.: Visionäres Per-
sonalmanagement, Stuttgart 2000b
Jochmann, W. (1990). Berufliche Veränderung von Führungskräften, Göttingen
Rousseau, D. M. (2000). Psychological Contracts in Employment, London
Ulrich, D. (1998). A New Mandate for Human Resources, in: Ulrich, D. (Hrsg.): Delivering Results:
A new Mandate for Human Resource Professionals.
Ulrich, D. (1997). Human Resource Champions: The Next Agenda for Adding Value and Deliver-
ing Results, Boston, Massachusetts
Wunderer, R. & Jaritz, A (1999). Unternehmerisches Personalcontrolling – Evaluation der Wert-
schöpfung im Personalmanagement, Neuwied
Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz
modernen Managements
Peter Fischer

1. Führungswechsel – ein noch immer unterschätztes Thema


2. Dynamik und Fallen im Führungswechsel
3. Lernen durch Coaching
4. Transition Workshop – ein Instrument zur Entwicklung der Unternehmenskultur
5. Die Besonderheiten im internationalen Wechsel
6. Führungswechsel als Chance für die strategische Positionierung von HR

1. Führungswechsel – ein noch immer


unterschätztes Thema
Bereits im Jahre 1987 veröffentlichte John J. Gabarro die Ergebnisse einer Studie über
die „Dynamics of Taking Charge“. Er verfolgte die Positionswechsel von 17 Mana-
gern über einen Zeitraum von 3 Jahren und beschrieb ausführlich die vielen Hürden,
die Führungskräfte in solchen Situationen zu bewältigen haben. Gabarro analysierte
die Erfolgsfaktoren und wies auf die enorme Bedeutung dieser „Transitionphase“ hin.
Über viele Jahre wurde jedoch dem Wechsel auf eine neue Position in den meisten
Unternehmen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nach dem Motto „Gute Mana-
ger wissen worauf’s ankommt!“ überließ man die Führungskräfte ihren Aufgaben und
vertraute auf ihre natürliche Kompetenz und Erfahrung. Dies überrascht umso mehr,
wenn man weiß, dass z. B. bei „Seiteneinsteigern“ das Risiko des Scheiterns fast bei
50 % liegt. Auch unternehmensinterne Wechsel z. B. in einen neuen Geschäftsbereich
oder gar ins Ausland tragen besondere Risiken mit sich, und so kommen wir bei den
heute üblichen Anforderungen ebenfalls schnell auf Misserfolgsraten von bis zu 30 %.
Das Problem dabei ist, dass sowohl die Führungskräfte als auch die Unternehmenszie-
le dabei Schaden nehmen und ein solches Scheitern weitreichende und anhaltende
Auswirkungen auf Motivation und Leistung der Mitarbeiter hat.
In den letzten Jahren ist die Aufmerksamkeit für Führungswechsel in vielen Unterneh-
men doch erheblich gestiegen. Viele Großunternehmen in unterschiedlichen Branchen
haben mit unserer Unterstützung Programme entwickelt, die eine erfolgreiche Posi-
tionsübernahme nicht mehr dem Zufall überlassen. Hintergrund hierfür ist nicht allein

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_13,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
192 Peter Fischer

die beständige Erhöhung der Erwartungen an die neuen Chefs, sondern auch eine
enorme Steigerung der Wechselfrequenz und die zwischenzeitlich schon automatisch
darin enthaltene Erwartung nach Veränderung und schnellen Ergebnissen. So findet
man in vielen Unternehmen den Trend zu einer durchschnittlichen Verweildauer von
nicht mehr als 3 Jahren auf einer Position bei einer gleichzeitig wachsenden Breite der
Einsatzmöglichkeiten von Standorten und Geschäftsbereichen hin zu einer Vielzahl
neuer Veränderungs- und Führungsthemen.
Führungswechsel wird damit zu einer Schlüsselkompetenz modernen Managements.
Jeder Manager sollte wissen, worauf es beim Start ankommt und wie man mit den
vielfältigen meist widersprüchlichen Erwartungen umgeht. Er sollte die typischen
Phasen eines Wechsels kennen und die Erfolgsfaktoren, die es dabei zu berücksichti-
gen gilt. Vor allem aber sollte er wissen, wie man mit den typischen Spannungsfeldern
eines Wechsels umgeht und wie die dabei frei werdende Energie für die eigenen Vor-
haben genutzt werden kann.

2. Dynamik und Fallen im Führungswechsel


In der beruflichen Entwicklung einer Führungskraft kommt den Starts in neue Positio-
nen eine große Bedeutung zu. Sie sind Weichenstellungen für die eigene Karriere und
gleichzeitig eine Phase erhöhten Risikos. Die Ankunft einer neuen Führungskraft er-
zeugt ein einzigartiges Momentum, das als Quelle vielfältiger Hoffnungen viele
Chancen eröffnet und als Quelle enttäuschter Erwartungen auch den letztendlichen
Erfolg gefährden kann.
In der Organisation entsteht eine Dynamik aus kontrastierenden Gefühlen der Hoff-
nung auf den Neubeginn und Gefühlen der Unsicherheit gegenüber der neuen
Führungskraft. Zum Beispiel fragen sich Kollegen, Mitarbeiter und wichtige Interes-
sengruppen, ob die neue Führungskraft sich auch an Bestehendem orientiert und ob
sie die persönliche Glaubwürdigkeit entwickeln kann, die nötig ist, um die gesamte
Organisation für neue Pläne gewinnen zu können.
Aus der Perspektive der neuen Führungskraft bringt die anfängliche Unkenntnis wich-
tiger Erwartungen und politischer Landschaften bei gleichzeitig großer Aufmerksam-
keit für das eigene Verhalten besondere Risiken mit sich, da Urteilsfähigkeit und
Akzeptanz erst entwickelt werden wollen. Andererseits eröffnet eine große persönli-
che Aufmerksamkeit auch Chancen für die persönliche Positionierung.
In der Führungswechselsituation entsteht eine Dynamik, die eine einzigartige Mög-
lichkeit für das Bewegen von Menschen und Organisationen schafft. Doch frühe Feh-
ler wie z. B. eine Fehleinschätzung des politischen Willens für Veränderung oder des
notwendigen Aufwandes für die erwünschte Zielerreichung bringen leicht vom Kurs
ab und verschenken wertvolle und oft nicht zu ersetzende Ressourcen und Möglich-
keiten für den Erfolg in der neuen Position. Eine persönliche Wechselstrategie stellt
sicher, dass sowohl den Chancen als auch den Risiken der Situation beim Start ange-
messen Rechnung getragen wird, d. h. dass die persönliche Positionierung des Wechs-
Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen Managements 193

lers in der neuen Rolle und die Einführung von Veränderungen von der besonderen
Dynamik beim Start profitieren.
Erfolgreiche Wechsel lassen trotz unterschiedlicher Anforderungen viele Gemeinsam-
keiten erkennen. Erfolgreiche Wechsler
• widerstehen der Versuchung nach frühen Ergebnissen,
• lassen sich von der eigenen Neugierde für die Organisation, die Menschen und be-
sondere kulturelle Eigenschaften leiten,
• erkennen wichtige Beziehungen und entwickeln früh eine geeignete Strategie für
das Navigieren in der politischen Landschaft,
• erkunden die Erwartungen wichtiger Interessengruppen,
• analysieren die Startsituation und berücksichtigen unterschiedliche Dimensionen,
um den persönlichen Auftrag dafür zu schärfen, was erreicht werden kann und soll
und wie dies zu bewerkstelligen sein könnte.
Erfolgreiche Führungswechsel folgen auch einem ähnlichen Muster: Sie beginnen mit
einer Orientierungsphase, in der die neue Führungskraft offiziell angekündigt wird
und in der die Aufmerksamkeit der Kollegen und Mitarbeiter auf den Neubeginn
gelenkt wird. Ein kurzer Besuch in der Organisation, noch vor dem Antrittstermin,
vermittelt allen Seiten einen flüchtigen Einruck davon, was vielleicht zu erwarten ist.
In dieser Zeit ist es wichtig, aufgeschlossen zu sein für vorhandene Stärken und ver-
gangene Leistungen, sowie einen ersten Eindruck der politischen Landschaft zu ge-
winnen und darauf zu achten, welche Bedeutung frühen Entscheidungen und schein-
bar unwichtigen Aktivitäten geschenkt wird.
Eine Analyse der in der ersten Phase gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen ist eine
gute Investition für die zweite Phase, in der es darum geht, die Akzeptanz für Verän-
derungsmöglichkeiten und neue Lösungsansätze in der Organisation zu testen. Anzei-
chen für Empfindlichkeiten oder gar Widerstände sind in der Regel in diesem Zeit-
raum schon erkennbar.
In der dritten Phase verfügt die neue Führungskraft über die Kenntnisse und Einschät-
zungen, die für das Erstellen eines Erfolg versprechenden persönlichen Plans für die

Abbildung 1: Drei Phasen schaffen Orientierung und sichern das Momentum


194 Peter Fischer

bevorstehenden 12 bis 18 Monate wichtig sind. Dies ist auch der Zeitpunkt, um in den
Aufbau von Unterstützung für den bis dahin geschärften Auftrag zu investieren und
wichtige Beziehungen auszubauen. Eine Kommunikationsstrategie mit einer überzeu-
genden Botschaft eröffnet offiziell diese Phase der eigentlichen Veränderung, die
nicht viel eher als drei Monate nach dem Start beginnen sollte.
Angesichts der Vielzahl wichtiger und oft widersprüchlicher Herausforderungen liegt
der Erfolg im kontinuierlichen Ausbalancieren typischer Spannungsfelder:
• Anerkennen der Vergangenheit, die sich in Interessenlagen und Stolz auf Erreich-
tes, aber auch in einer etablierten Kultur widerspiegelt und die es gegen eine Zu-
kunft mit neuen Zielen und Vorgehensweisen auszugleichen gilt
• Erste Möglichkeiten für schnelle Erfolge und deutliche Positionierung sind für die
meisten Führungskräfte verführerisch: Einen ersten persönlichen Stempel in der
Situation gilt es mit gleichwertigem Einsatz für die Integration der unterschiedli-
chen Erwartungen an die Wechselsituation auszugleichen
• Neue Führungskräfte dürfen Fragen stellen – auch und gerade wenn diese von he-
rausfordernder Natur sind. Wichtig für den Erfolg ist das richtige Timing, da so-
wohl zu spätes Fragen als auch zu frühes Entscheiden Widerstand herausfordert
• vorhandene Stärken sind eine Quelle für Stabilität und eine potenzielle Plattform
für das Einführen ehrgeiziger Vorhaben. Erfolgreiche Wechselstrategien integrie-
ren den Bedarf nach Kontinuität mit den Argumenten für Veränderung

Abbildung 2: Typische Fehler im Führungswechsel


Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen Managements 195

3. Lernen durch Coaching


Will man die Risiken von Positionswechseln in Unternehmen minimieren, so gibt es
verschiedene Ansatzpunkte.
Traditionell gibt es zunächst den Zugang über die Vorbereitung von Führungskräften
im Rahmen von Seminaren. Hier haben wir in den letzten Jahren gute Erfahrungen ge-
macht mit zweitägigen Intensivseminaren für Wechsler, die bereits ein oder zwei
Wechsel hinter sich gebracht haben und nun kurz vor der Übernahme einer neuen Auf-
gabe stehen. Sie bieten die ideale Voraussetzung für den notwendigen Kompetenzauf-
bau, der zur erfolgreichen Gestaltung von Führungswechseln notwendig ist.
In den letzten Jahren zeigt sich aber auch in der Vorbereitung von Führungskräften auf
ihre Wechsel ein Trend zur individuellen Vorbereitung (Coaching). Mit relativ sparsa-
men Interventionen zu den richtigen Zeitpunkten – wir arbeiten in der Regel mit drei
bis vier Terminen – lässt sich eine individuelle Wechselstrategie erarbeiten. Diese
Form der gezielten persönlichen Unterstützung baut Kompetenzen auf, indem sie den
Blick für wichtige Erfolgsfaktoren und Dynamiken schärft. Zusätzlich sichert sie aber
auch den persönlichen Erfolg durch die Entwicklung einer auf die Situation zuge-
schnittenen persönlichen Wechselstrategie. Vor allem für Seiteneinsteiger und Quer-
wechsler, für die ein neues kulturelles Umfeld und ein größerer persönlicher Vernet-
zungsbedarf zusätzliche Herausforderungen mitbringen, hat sich diese Form der Un-
terstützung bewährt. Auch für Nachwuchskandidaten und Besetzungen mit großen
Veränderungsaufträgen hat sich das Leadership Transition Coaching als Methode der
Wahl in vielen Unternehmen etabliert.

Abbildung 3: Leadership Transition Coaching


196 Peter Fischer

Wir starten mit einer ganztägigen Beratung kurz vor oder nach Übernahme der neuen
Position für eine erste Analyse der Ausgangssituation und die Strukturierung der Ori-
entierungsphase. Nach ca. drei bis vier Wochen besprechen wir in einem zweiten
halbtägigen Termin die ersten Erfahrungen und gesammelten Erkenntnisse und ent-
wickeln die wichtigen Positionierungsthemen. Gegen Ende der ersten 100 Tage, wenn
die Organisation wissen will, „wo die Reise hingehen soll“ und was auf sie zukommt,
gilt es in einem dritten Termin, den eigentlichen Auftrag zu schärfen und die Phase der
Veränderung zu gestalten. Hier entwickeln wir mit der Führungskraft die Zieleland-
schaft und die Veränderungsstrategie.
Bewegt sich der Führungswechsler in einer sehr komplexen Situation und hat zum
Beispiel größere Veränderungen initiiert, empfehlen wir ein bis zwei weitere Termine.
Dabei bietet sich auch die Gelegenheit, persönliche Erfahrungen zu reflektieren, den
Standort im Wechsel zu bestimmen und die eigene Strategie zu präzisieren.
Nach unseren Erfahrungen in über 1.000 solcher Coachings wissen die Führungskräf-
te ein solches Angebot sehr zu schätzen. Die dadurch entstehende Lernbereitschaft
und persönliche Offenheit steigern die Erfolgsquote auf über 90 %.

4. Transition Workshop – ein Instrument zur Entwicklung


der Unternehmenskultur
Eine weitere interessante Möglichkeit der Unterstützung im Führungswechsel ist die
Durchführung eines Workshops in den ersten 6 Wochen der Positionsübernahme. Der
Erfolg eines Führungswechsels hängt in hohem Maße davon ab, wie schnell eine ef-

Abbildung 4: Design Transition Workshop


Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen Managements 197

Abbildung 5: Typische Fragen für den „Heißen Stuhl“

fektive Zusammenarbeit zwischen dem Team und dem neuen Vorgesetzten gelingen
kann. Dies gilt besonders dann, wenn viele Veränderungen anstehen, Gerüchte oder
besondere Spannungsfelder die Beziehungsgestaltung erschweren.
Mit einem speziellen Design, das wir in den letzten Jahren entwickelt und in vielen
Wechselsituationen erprobt haben, gestalten wir einen offenen Austausch der wechsel-
seitigen Erwartungen, entwickeln wir die relevanten Themen und orientieren die Mit-
arbeiter und ihre neue Führungskraft auf eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft hin.
Mit dem Instrument des „Heißen Stuhls“ geben wir den Mitarbeitern die Möglichkeit,
die bis dahin entstandenen und unausgesprochenen Fragen zu stellen. Damit schaffen
wir die beste Voraussetzung für eine offene und von Vertrauen geprägte Beziehungs-
basis, sodass sich für die Mitarbeiter viele Unsicherheiten auflösen. Dem Vorgesetzten
bieten sich dabei wichtige Einblicke in die verborgene Welt der Befürchtungen und
Ängste, aber auch der Themen, die den Mitarbeitern besonders nahe liegen. Transition
Workshops sind damit für uns ein Instrument des schnellen Starts geworden, das bei
einer professionelle Unterstützung von Wechseln nicht fehlen darf.
Unternehmen, die über eine starke Workshopkultur verfügen, nutzen den Transition
Workshop auch zur Gestaltung ihrer Unternehmenskultur. Sie erwarten von ihren Vor-
gesetzten, dass sie sich offensiv und frühzeitig der Diskussion mit den Mitarbeitern
stellen. Hierfür bieten Transition Workshops ein sicheres Instrument, das nach unse-
ren Erfahrungen auch in unterschiedlichen Kulturen hohe Akzeptanz erfährt.
198 Peter Fischer

5. Internationale Wechsel – eine Situation mit besonderen


Herausforderungen

Wechsel auf Positionen im Ausland stellen zweifellos eine besondere Herausforde-


rung dar. Zusätzlich zu den bereits beschriebenen Anforderungen sieht sich der
Wechsler hier mit einer fremden und vor allem zu Beginn nur schwer durchschauba-
ren Kultur konfrontiert. Sprachbarrieren erschweren weiterhin die Orientierung in der
neuen Umgebung und es wollen vielfältige Interessengruppen und widersprüchliche
Erwartungen integriert werden. Die mitwechselnde Familie verlangt Aufmerksamkeit,
und es geht darum, neue Kunden und Märkte zu verstehen. Es überrascht deshalb
wenig, dass im Vergleich zu nationalen Wechseln eine weitaus größere Zahl von inter-
nationalen Wechslern die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt bzw. ihren Aufent-
halt vorzeitig abbricht. Deutlich wird auch, dass die traditionell angebotenen interkul-
turellen Trainings ein wichtiges Element in der Vorbereitung von internationalen
Wechseln sind, aber selten ausreichen.
In Zusammenarbeit mit zahlreichen Großunternehmen haben wir in den letzten Jahren
Programme entwickelt, bei denen in vorbereitenden, individuellen Beratungsterminen
die Analyse der Gesamtsituation vor Ort im Mittelpunkt steht und mit der neuen
Führungskraft die Vorbereitung und Gestaltung der ersten Tage nach Ankunft erarbei-
tet wird. Damit werden wichtige Weichen für einen erfolgreichen Start gestellt, indem
wichtige Themen und Spannungsfelder im Vorfeld beleuchtet werden.
Die typischen Elemente solcher Vorbereitungen sind:
• Eine erste Analyse der Ausgangssituation:
… wichtige Erwartungen und Interessenslagen?
… mögliche Schlüsselbeziehungen?
… mögliche Themen?

Abbildung 6: Besondere Herausforderungen im internationalen Wechsel


Führungswechsel – eine Schlüsselkompetenz modernen Managements 199

• Ein Ausloten der kulturellen Unterschiede und der damit verbundenen Themen
• Ein guter Abschluss der derzeitigen Aufgabe
• Notwendige Vorbereitungen vor dem Start
• Wie gestalten Sie den ersten Tag und die erste Woche?
• Welche Symbole und Rituale werden für diesen Wechsel besonders wichtig sein?
Nach unseren Erfahrungen stellen solche individuellen (meist ganztägigen) Coaching-
treffen eine ausgezeichnete Ergänzung zu den interkulturellen Trainings dar. Sie trans-
ferieren das bereits vorhandene Wissen über Aufgabe und fremde Kultur auf die kon-
krete Business-Situation und sie erlauben es, frühzeitig notwendige Unterstützungen
vor Ort zu organisieren.

6. Führungswechsel als Chance für die strategische


Positionierung von HR
In unserer Arbeit mit Unternehmen stellen wir immer wieder fest, dass sich die prakti-
sche Bedeutung der Positionswechsel schon längst verändert hat, während der Um-
gang mit den Wechselsituationen noch völlig in der Vergangenheit verhaftet ist. Noch
immer legen viele Unternehmen ihren Schwerpunkt auf die Auswahl der „richtigen“
Führungskraft und vernachlässigen weitgehend den Prozess der Gestaltung der Positi-
onsübernahmen. Führungskräfte sind also in einer Phase der größten persönlichen
Unsicherheit und professionellen Verwundbarkeit, die zudem die Grundlage für Ihren
Erfolg legt, auf sich selbst gestellt, und der Nutzen eines kritische Fensters für die
effektive Einführung von Veränderung bleibt dem Zufall überlassen.
Die Entwicklung eines Programms für erfolgreiche Positionswechsel ist aber nicht
nur eine Chance für die unterstützten Führungskräfte sondern vor allem auch für HR.
Führungswechsel sind, wenn einmal „entdeckt“, äußerst dankbare Situationen der
Positionierung. So lassen sich erfahrungsgemäß Führungskräfte sehr schnell davon
überzeugen, dass eine gezielte Unterstützung in der Phase des Wechsels hilfreich sein
kann. Vor allem aber die Tatsache, dass mit relativ geringem Aufwand (z. B. drei bis
fünf Coachingsitzungen) das Risiko des Scheiterns fast auf Null reduziert werden
kann, sichert den Added Value. Hinzu kommt die strategische Bedeutung von Wech-
seln, die in vielen Unternehmen immer gezielter für die Initiierung von Veränderun-
gen genutzt wird.
Eine Personalabteilung, die sich mit einem professionellen Programm für Führungs-
wechsel an ihr Management wendet, positioniert sich damit nicht nur als eine Abtei-
lung, die eine strategisch wichtige Führungssituation erkannt hat, sondern auch als
eine Einheit, die auf Effizienz achtet. Vor allem aber bringt sie sich damit als Ge-
sprächspartner für Führungskräfte ins Spiel – zu einem Zeitpunkt zu dem diese beson-
ders aufmerksam und offen reagieren.
200 Peter Fischer

Literatur
Bridges, W. (1991). Managing Transitions, Cambridge
Ciampa, D. & Watkins, M. (1999). Right from the Start, Boston
Fischer, P. (2002). Neu auf dem Chefsessel, München
Gabarro, J. J. (1987). Dynamics of Taking Charge, Boston
Gilmore, T. N. (1988). Making a Leadership Change, San Francisco
Strategisches Wissensmanagement als
Aufgabe der Managemententwicklung
Hubert Schüle

1. Die Ausgangssituation: Wissen ist Erfolgsfaktor


2. Was man unter Wissensmanagement versteht
2.1 Was ist Wissen?
2.2 Wissensmanagement ist interdisziplinär
3. Wissensmanagement als Geschäftsprozess etablieren
3.1 Formulieren von Wissenszielen
3.2 Wissensbedarf analysieren
3.3 Wissensquellen identifizieren
3.4 Wissen erwerben
3.5 Wissen entwickeln
3.6 Wissen (ver)teilen
3.7 Wissen nutzen
3.8 Wissen sichern
3.9 Wissen bewerten
4. Hemmnisse des Wissensmanagements überwinden
4.1 Die Akzeptanz fördern
4.2 IV-Tools sorgfältig gestalten
4.3 Wissensbausteine gezielt einstellen
5. Die Informationsverarbeitung für Wissensmanagement nutzen
5.1 Informationssysteme treiben den Wissenskreislauf
5.2 Beispiele für IV-Lösungen zum Wissensmanagement
6. Zukünftige Entwicklungen

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_14,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
202 Hubert Schüle

1. Die Ausgangssituation: Wissen ist Erfolgsfaktor


Damit heute durch das Management die richtigen Entscheidungen getroffen werden
können, bedarf es im Vergleich zur Vergangenheit meist eines höheren Wissenstandes.
Dies erklärt sich durch verschiedene Entwicklungen in den letzten Jahren, von denen
einige beispielhaft dargestellt werden:

• Weitreichendere Entscheidungsbefugnisse im Management


Als Ergebnis von Business Process Reengineering Projekten in den vergangenen Jah-
ren sind in vielen Unternehmen teilweise komplette Hierarchieebenen abgebaut und
auch zahlreiche Stellen gestrichen worden. Dies ermöglicht höhere Produktivität, setzt
jedoch auch voraus, dass auf den Entscheidungsebenen weitreichendere Entscheidun-
gen zu treffen sind. Diesem Kompetenzzuwachs sind die Mitarbeiter häufig nur dann
gewachsen, wenn begleitend dazu auch der Wissensstand wächst.

• Zunehmende Komplexität der Produkte und Dienstleistungen mit erhöhtem


Beratungsbedarf
Viele Produkte, die vor wenigen Jahren noch aus relativ einfachen Komponenten be-
standen, wurden durch Mikroelektronik angereichert, z. B. Küchengeräte. Dadurch
steigt auch die Bedarf an Produkt- bzw. Technologiekompetenz bei den Personen, die
etwa mit der Betreuung von Großkunden (Key Account Management) oder im Be-
schaffungsmanagement zu tun haben.

• Komplexeres Wettbewerbsumfeld der Unternehmen durch Globalisierung


Unternehmen agieren in einem zunehmend komplexer und internationaler werdenden
Wettbewerbsumfeld. Weltweite Kooperationen, Zusammenschlüsse großer Unterneh-
men oder weltweite Beschaffung sind hierzu Beispiele. Qualifiziertes Wissen über an-
dere internationale Märkte, Kulturen, Produktionsbedingungen und Wirtschaftsräume
und vor allem auch der Austausch von Wissen innerhalb von multinationalen Konzer-
nen wird unter solchen Wettbewerbsbedingungen ebenso zum Erfolgsfaktor für Un-
ternehmen für das konzentrierte Beobachten der Wettbewerber.

• Höheres Qualitätsbewusstsein bei Verbrauchern und Unternehmen


Die Erkenntnis, dass die Sicherung von Qualität in Prozessen und Produkten nicht
Aufgabe einzelner Mitarbeiter des Qualitätsmanagements ist, sondern vom gesamten
Unternehmen getragen werden muss, hat sich vielerorts durchgesetzt. Dies induziert
im Management einen erheblichen Bedarf an Qualifikationen und Wissen zum Thema
Qualitätsmanagement.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 203

• Wachsende IV-Unterstützung der betriebswirtschaftlichen Prozesse

Moderne IV-(Informationsverarbeitungs-)Systeme erlauben eine effizientere Bearbei-


tung vieler Geschäftsprozesse in den Unternehmen. Dies führt zu einer höheren Infor-
mationsintensität im Unternehmen. Daher bedarf es im Management fundierter
Kenntnisse bezüglich zugrunde liegender Konzepte und der Anwendungsmöglichkei-
ten von IV-Lösungen. Nur dann lassen sich damit verbundene Effizienzpotenziale
auch ausschöpfen. Dies betrifft z. B. das Beschaffungsmanagement in der Nutzung
von internetbasierten elektronischen Marktplätzen zum Vereinfachen der Beschaf-
fungsvorgänge, als auch z. B. das Controlling etwa beim Ableiten von entscheidungs-
relevanten Informationen aus der breiten Datenbasis eines Data Warehouses. Hinzu
kommt, dass durch die starke Entwicklungsdynamik in der IT-Branche permanent das
Wissen über diese Lösungen aktualisiert werden muss.

• Neuere Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien


Sie erlauben neue Möglichkeiten, den digitalisierbaren Teil des Wissens rationell zu
organisieren und zwischen Wissensquellen und -senken auszutauschen. Das geschickte
Anwenden dieser Technologien kann einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Kon-
kurrenzunternehmen bedeuten.

Diese Punkte geben einen Eindruck, wie sich Wissen zunehmend zum Erfolgsfaktor
in Unternehmen entwickelt. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, rückt ein
strategisches, d. h. langfristig ausgerichtetes Wissensmanagement in den Mittelpunkt
der Managemententwicklung. Das Management sollte dabei das Ziel verfolgen, wirt-
schaftlich relevante Unterschiede im Wissensstand des Unternehmens gegenüber
Konkurrenzunternehmen zu schaffen, um dadurch einen echten Wettbewerbsvorteil
zu erzielen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit diesem Thema.

2. Was man unter Wissensmanagement versteht


2.1 Was ist Wissen?
Eine sehr pragmatische Erläuterung des Begriffs Wissen liefert Bill Gates in seiner
Aussage:
„Wissen definiert sich unserer Zeit als die Summe der Informationen, die der Mensch
in einem Moment braucht, um seine Aufgaben richtig zu erfüllen“
Etwas wissenschaftlicher drückt sich der amerikanische Hochschulprofessor Daven-
port aus (Davenport/Prusak, 1999, S. 32):
„Wissen ist eine fließende Mischung aus strukturierten Erfahren, Wertvorstellungen,
Kontextinformationen und Fachkenntnissen, die in ihrer Gesamtheit einen Struktur-
rahmen zur Beurteilung und Eingliederung neuer Erfahrungen bietet. Entstehung und
Anwendung von Wissen vollziehen sich in den Köpfen der Wissensträger“
204 Hubert Schüle

Diese beiden Statements charakterisieren treffend den Begriff Wissen. Wesentliche


Merkmale von Wissen wie:
• Wissen beruht auf (speicherbaren) Informationen, ist aber weit mehr als dies
• Wissen ist an Personen gebunden
• Wissen ist situationsbezogen
• Wissen braucht man für Entscheidungen
sind beschrieben. Aber auch die schwere Greifbarkeit von Wissen wegen der starken
Personalisierung von Wissen wird deutlich.
Die Vielschichtigkeit des Begriffs Wissen wird auch daran deutlich, dass sich Wissen
anhand unterschiedlichster Merkmale charakterisieren lässt. Hier einige Beispiele:
• Nach der Personengebundenheit kann man differenzieren in implizites Wissen,
welches (nur) im Kopf von Personen vorhandenen ist und explizites Wissen, das
auf Papier oder sonstigen Informationsträgern dokumentiert wurde.
• Nach dem Informationsträger lässt sich unterscheiden in Bücher und Zeitschriften,
Elektronische Dokumente, Datenbanken sowie das menschliche Gehirn.
• Nach dem Objekt, auf das sich Wissen bezieht, kann man trennen nach Wissen
über Kunden und Märkte, Produkte und Technologien, Wettbewerber, Soziale
Kenntnisse, Sprachkenntnisse, Fachkenntnisse.
• Nach dem Spezialisierungsgrad lässt sich Basiswissen, d. h. allgemeine Grund-
kenntnisse zu einem bestimmten Thema, von vertiefendem Wissen und Experten-
wissen unterscheiden.
• Nach der Spezifität kann man unterscheiden zwischen Wissen, das internes Wissen
eines Unternehmens darstellt, und externem globalem Wissen.
• Nach der Übertragbarkeit lässt sich Wissen unterscheiden in solches, das übertrag-
bar ist und man erlernen kann und solches, das man nur durch eigene Erfahrungen
erwerben kann.
Folgende Wissenstypologie zeigt die unterschiedlichen Klassifizierungsmerkmale von
Wissen im Überblick.

Abbildung 1: Wissenstypologie
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 205

Diese Typologie kann als methodisches Hilfsmittel herangezogen werden, um Lö-


sungskonzepte für das Wissensmanagement systematisch zu entwickeln. Die darge-
stellten Merkmale und Merkmalsausprägungen erheben keinen Anspruch auf Voll-
ständigkeit, sondern stellen eine Auswahl dar.

2.2 Wissensmanagement ist interdisziplinär


Wenn sich das Management systematisch mit Wissensmanagement, d. h. Planung, Or-
ganisation und Steuerung des Wissens im Unternehmen, beschäftigt, muss es Antwor-
ten und Lösungen zu ganz unterschiedlichen Fragestellungen finden, z. B.:
• Welches ist das kritische Wissen, das heute und morgen den Geschäftserfolg nach-
haltig beeinflusst?
• Welche Mitarbeiter verfügen über welche Fähigkeiten und Kenntnisse?
• Wie können die vorhandenen Informationen und das vorhandene Wissen verknüpft
und allen relevanten Mitarbeitern im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden?
• Wie kann das Erlangen und Weitergeben von neuem Wissen gefördert werden?
• Wie kann der Wissensstand gemessen und systematisch verbessert werden?
• Wie lassen sich Wissenslücken erkennen und schließen?
• Wie kann die Informationsverarbeitung das Wissensmanagement unterstützen?
Diese sehr unterschiedlichen Fragestellungen machen deutlich, dass Wissensmanage-
ment interdisziplinär ist. Verschiedene Bereiche sind gefordert und auf unterschiedli-
chen Ebenen des Unternehmens muss angesetzt werden, um Wissensmanagement
qualifiziert zu betreiben (vgl. auch Schüppel, 1996). Insbesondere die Bereiche Perso-
nalentwicklung, Unternehmensstrategie und -kultur, Organisationsentwicklung sowie
Informationsverarbeitung sind gefordert und müssen Teilbereiche des Wissensma-
nagement aufeinander abstimmen sowie kombinieren (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Interdisziplinarität des Wissensmanagements


206 Hubert Schüle

Wissensmanagement hat mit Personalentwicklung zu tun, was sich vor allem auf die
Personengebundenheit von Wissen zurückführen lässt. Die Personengebundenheit be-
zieht sich zum einen auf die Entstehung des Wissens, d. h. Anwenden von Fakten und
Fachkenntnissen im Kontext der jeweiligen Aufgaben, die der Mitarbeiter im Unter-
nehmen zu bearbeiten hat. Trotz vielfacher Bemühungen der sogenannten „Künstlichen
Intelligenz“ besitzen bis heute nur Menschen die sogenannte „kreative Problem-
lösungsintelligenz“. Genau die wird gebraucht, wenn der Ausbau von Wissen gefordert
ist. Zum anderen ist auch die Speicherung von Wissen personengebunden. Wenn-
gleich sehr viele Daten und Dokumente im Unternehmen archiviert und verwaltet
werden, geht man davon aus, dass auf diesem Wege nur etwa ein Viertel des Unter-
nehmenswissens erfasst wird (vgl. Wendt, 1998, S. 40; Grayson, 1998, S. 20). Der
größere Teil liegt in den Köpfen der Mitarbeiter. Die Personalentwicklung muss des-
halb u. a. Sorge tragen, dass durch Fluktuation und Ausscheiden von Mitarbeitern kei-
ne Wissenslücken entstehen, bzw. diese schnell geschlossen werden. Auch sind durch
Personalentwicklung geeignete Maßnahmen zu finden, welche den Erwerb, die Nut-
zung und vor allem die Weitergabe von Wissen fördern. Häufig ist festzustellen, dass
es gerade hochqualifizierten Fachexperten schwer fällt, Wissen weiter zu geben. Ursa-
che können z. B. begrenzte Kommunikationsfähigkeiten sein. Hier kann Personalent-
wicklung ansetzen, um entsprechende Defizite zu beseitigen.
Auch ist es durch gezielte Personalentwicklung möglich, den Wissensstand zu stei-
gern, sei es durch Akquirieren qualifizierter Mitarbeiter oder durch die gezielte Wei-
terqualifizierung des vorhandenen Mitarbeiterstamms. Zu berücksichtigen ist ferner,
dass demotivierte Mitarbeiter erhebliche Wissensbarrieren darstellen. Zum einen, weil
sie selbst nicht aktiv Wissen aufbauen und weiterleiten. Zum anderen, weil sie negativ
auf Kollegen im Umfeld wirken können.
Wissensmanagement wird einfacher, wenn eine definierte und kommunizierte Unter-
nehmensstrategie die Ziele des Unternehmens klar vorgibt. Auf der einen Seite lässt
sich dadurch die Anzahl und Vielfalt von Wissensgebieten begrenzen und das Wis-
sensmanagement besser fokussieren. Auf der anderen Seite können die Unterneh-
mensziele auch als Vorgabe (Messlatte) für das Wissensmanagement dienen. Das Ab-
leiten konkreter Maßnahmen wird einfacher und klarer, wenn das Ziel, das man mit
den Maßnahmen erreichen will, präzise formuliert ist. Damit kann der Aufbau von
Wissen im Einklang mit den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens erfolgen.
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. So erfordert ein strategisch geplanter Marktein-
tritt im asiatischen Raum fundiertes Wissen über die dortigen Rahmenbedingungen
für das wirtschaftliche Handeln. Dabei sind wirtschaftsgeografisches, wirtschaftrecht-
liches, regionales Branchenwissen und auch länderkulturelles Wissen erforderlich.
Aufgabe des Wissensmanagement ist es nun, das für den Markteintritt erforderliche
Wissens in der Organisation des Unternehmens aufzubauen und zu verankern.
Wissensmanagement funktioniert reibungsloser, wenn es in ein von Offenheit gepräg-
tes Unternehmensumfeld eingebettet werden kann (vgl. Davenport, 1998, S. 52). Vor
allem der Austausch von Wissen erfordert eine solche Kultur mit aktiven Kommuni-
kationsbeziehungen zwischen den Mitarbeitern und zwischen den unterschiedlichen
Führungsebenen. Wissensaustausch kann nicht „befohlen“ werden. Er funktioniert nur
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 207

dann, wenn zwischen den Mitarbeitern eine Vertrauensbasis vorliegt und ohnehin ein
reger Austausch von Informationen im Unternehmen stattfindet. Vor allem muss hier
das Management einer gewissen Vorbildfunktion nachkommen, indem es offen und
unmissverständlich kommuniziert. Bewusstes Zurückhalten von Informationen kann
für das Wissensmanagement kontraproduktiv wirken.
Die Organisationsentwicklung ist im Wissensmanagement in zweierlei Hinsicht ge-
fordert. Zum einen sind die Aufgaben des Wissensmanagement und deren ausführen-
den Personen konkret zu bestimmen und in der Organisationsstruktur zu verankern.
Zum anderen müssen die Maßnahmen und Methoden des Wissensmanagements in die
Geschäftsprozesse des Unternehmens integriert, dort angewendet und dauerhaft wei-
terentwickelt werden. Hier ist die gesamte Unternehmensorganisation einzubinden,
die unterschiedlichen Funktionsbereiche wie Vertrieb, Logistik, Entwicklung sowie
sämtliche Führungsebenen.
Der Bereich Informationsverarbeitung (IV) ist gefordert, da IV-Systemen in Wissens-
management-Lösungen häufig eine „Enabler“-Funktion für innovative Konzepte und
Lösungen zukommt. Dabei darf man allerdings nicht den Fehler machen, Wissens-
management (ausschließlich) als eine IV-Herausforderung zu betrachten und zu ver-
suchen es auf technischen Wege zu lösen. Die IV kann lediglich eine Unterstützungs-
funktion leisten, indem eine geeignete Plattform
• für die Speicherung und Verwaltung von Wissen
• für den Austausch von Wissen zwischen den Organisationseinheiten des Unterneh-
men sowie
• für den Zugang zu unterschiedlichen internen und externen Wissensquellen
bereitgestellt wird.
Auch hilft die IV, Wissensmanagement möglichst wirtschaftlich und reibungslos in
die täglichen Arbeitsabläufe zu integrierten. Die IV kann dazu beitragen, Wissensma-
nagement effizient („die Dinge richtig tun“) zu betreiben. Die Effektivität („die richti-
gen Dinge tun“) des Wissensmanagements ist dagegen in stärkerem Maße von der
Personal- und Organisationsentwicklung sowie Unternehmenskultur abhängig. Wie
die IV die Enabler-Funktion im Wissensmanagement ausfüllen kann, wird in Kapitel
fünf noch intensiver behandelt.

3. Wissensmanagement als Geschäftsprozess etablieren


Die aufgezeigte Vielschichtigkeit des Begriffes Wissen bzw. Wissensmanagement
birgt die Gefahr, dass das Thema im Unternehmen Worthülse und bloße Absichtser-
klärung bleibt. Damit das Management konkrete Ansatzpunkte für Umsetzung und
Anwendung identifizieren kann, ist es sinnvoll, Wissensmanagement als Geschäfts-
prozess zu betrachten. Dies bedeutet, Wissensmanagement kann als definierte Folge
von Einzelaufgaben aufgefasst werden, die einem bestimmten Zweck dienen. Dabei
stellt sich die Frage: Welche Aufgaben sind im Wissensmanagement zu bearbeiten,
und in welcher Reihenfolge muss dies geschehen?
208 Hubert Schüle

Abbildung 3 skizziert in Anlehnung an Probst (vgl. Probst u. a., 1998, S. 52) eine
mögliche prozessorientierte Betrachtung für das Wissensmanagement. Die einzelnen
Prozessschritte werden nachfolgend erläutert.

Abbildung 3: Wissensmanagement als Geschäftsprozess

Der Geschäftsprozess Wissensmanagement ist in den meisten Unternehmen zwar vor-


handen, jedoch ist er meist „unsichtbar“. Es fehlt das Verständnis und auch das Wissen,
Wissensmanagement als Kernprozess zu verstehen und zu implementieren (vgl. Han-
sen, 1999, S. 85). Die Aufgaben werden eher unbewusst und nebenbei durchgeführt,
sie sind z. B. nicht Bestandteil von Stellenbeschreibungen oder Organisationsanwei-
sungen. Sie unterliegen meist auch keiner Überwachung bzw. Qualitätssicherung.

3.1 Formulieren von Wissenszielen


Bei dieser Aufgabe muss sich das Management zunächst klar werden, dass dem Wis-
sensmanagement erhebliche strategische Bedeutung für den zukünftigen Unterneh-
menserfolg beizumessen ist. Wissensmanagement sollte deshalb in enger Abstim-
mung mit der Unternehmensstrategie (in der zukünftige Entwicklungsrichtungen des
gesamten Unternehmens skizziert sind) geplant werden. Für jedes in der Unterneh-
mensstrategie formulierte Statement bzw. erklärte Unternehmensziel ist zu prüfen,
wie der Faktor Wissen beitragen kann, dieses auch zu erreichen.
Das Formulieren von Wissenszielen wird somit einfacher, wenn im Unternehmen eine
klare Unternehmensstrategie formuliert ist. Dann kann man sinnvollerweise top down
vorgehen, indem die Wissensziele aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden.
Wissensziele geben dem Wissensmanagement somit die richtige Richtung und
schließen die oft feststellbare Lücke zwischen Strategischer Planung und Operativer
Umsetzung. Zum Formulieren der Wissensziele sind inhaltliche Verknüpfungen her-
zustellen, aus denen präzise hervorgeht, welchen Beitrag Wissensmanagement leisten
muss, um die Ziele der Unternehmensstrategie bestmöglich zu erreichen. Abbildung 4
skizziert diese Zusammenhänge schematisch.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 209

Abbildung 4: Ableiten von Wissenszielen aus Unternehmenszielen

Die Wissensziele sollten jedoch nicht nur bezüglich ihres Zielinhaltes formuliert wer-
den. Eine qualifizierte Zielvorgabe trifft auch Aussagen zu Zielmaßstab, Zielerrei-
chung und zeitlichem Bezug der Zielerreichung. Der Zielmaßstab sagt aus, wie man
den Zielinhalt selbst dimensionieren kann, um ihn messbar zu machen. Die Zielerrei-
chung gibt eine quantitative Aussage zur Zielerreichung. Aus dem zeitlichen Bezug
geht hervor, in welchem Zeithorizont die Wissensziele erreicht sein sollen. Zielmaß-
stab und -erreichung erleichtern die Kommunikation der Ziele im Unternehmen, sie
fungieren als Hebel zur operativen Umsetzung und dienen als Kontrollinstrument zur
Überprüfung der Zielerreichung.
Bezogen auf obiges Beispiel könnte als Zielmaßstab eine Qualifizierung des Wissens
über Elektronische Märkte in Basiswissen und Fortgeschrittenen-Wissen sowie Tech-
nisches und Anwenderwissen erfolgen. Die Zielerreichung könnte aussagen, wie viele
Mitarbeiter auf welchen Entscheidungsebenen über entsprechendes Wissen in den
einzelnen Kategorien verfügen müssen. Der zeitliche Bezug sagt aus, in welchem Zeit-
horizont die Mitarbeiter über dieses Wissen verfügen sollen.

3.2 Wissensbedarf analysieren


Aufbauend auf den Wissenszielen ist im Rahmen einer Wissensbedarfsanalyse kon-
kret zu spezifizieren, welche Zielgruppen im Unternehmen welche Wissenselemente
für die qualifizierte Aufgabenausführung benötigen. Zielgruppen sind dabei zum einen
die verschiedenen Entscheidungsebenen in den Linienfunktionen wie Sachbearbeiter,
Mittleres Management, Top-Management. Zum anderen stellen bereichsübergreifende
Projektteams eine weitere wichtige Zielgruppe für Wissensmanagement dar. Diese
sind besonderes sorgfältig zu betrachten, da Projektteams meist spezielle Aufgaben
210 Hubert Schüle

bearbeiten und deshalb auch sehr häufig Wissen benötigen, welches in genau dem ge-
forderten Kontext im Unternehmen noch nicht vorliegt.
Für jede Zielgruppe ist eine Art Wissensprofil zu formulieren. Das Wissensprofil be-
schreibt die Gesamtheit benötigter Wissenselemente für die betrachtete Zielgruppe.
Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Granularität der Wissenselemente zu legen.
Sie sind soweit zu konkretisieren, bis sie für die jeweiligen Arbeitsumfelder anwend-
bar sind. Beispielsweise muss das Wissen über Elektronische Märkte aus unserem
Beispiel für die Zielgruppe Sachbearbeiter Einkauf konkretisiert werden:
• Funktionen Elektronischer Marktplätze
• Angebotsumfang in Elektronischen Marktplätzen
• Rechtliche Aspekte Elektronischer Marktplätze
• Auftragsabwicklung in Elektronischen Marktplätzen
Für die Zielgruppe Mitarbeiter der Informationstechnik stehen dagegen stärker Wis-
senselemente wie
• Hardware-/Netzwerk-Anforderungen von technischen Marktplätzen
• Schnittstellenspezifikation
im Mittelpunkt der Betrachtung.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass verschiedene Zielgruppen Wissen auf unterschied-
lichen Verdichtungsstufen brauchen. Sie ist z. B. für das Management das technische
Konzept eines Elektronischen Marktplatzes im Überblick relevant, jedoch nicht in den
einzelnen Details. Dies muss in der Wissensbedarfanalyse entsprechend berücksich-
tigt werden.
Durch einen Abgleich mit vorhandenem Wissen sind Wissenslücken zu lokalisieren,
welche dann durch die Folgeschritte im Geschäftsprozess Wissensmanagement ge-
schlossen werden sollen.
Folgende Abbildung zeigt schematisch das Vorgehen im Rahmen der Wissensbedarfs-
analyse. Die Zeilen und Spalten der Tabellen zum Erheben des Wissensstands sowie
zukünftiger Bedarfe sind in ihrem Detailgrad unternehmensspezifisch festzulegen.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 211

Abbildung 5: Schema zur Wissensbedarfsanalyse

3.3 Wissensquellen identifizieren


Im Rahmen dieser Aufgabe ist zu klären, auf welche Informationsquellen das Unter-
nehmen zurückgreifen kann, um Wissenslücken zu schließen. Aus der Vielfalt mögli-
cher Informationsquellen sind die geeignetesten heraus zu filtern. So kommen für un-
ser Beispiel u. a. folgende Quellen in Betracht:
• Forschungsberichte von Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen
• Produktbeschreibungen von Softwareanbietern für E-Procurement
• Einschlägige Fachtagungen mit entsprechenden Tagungsberichten
• Erfahrungen anderer Unternehmen, die entsprechende Lösungen schon einsetzen
• Spezielle Schulungen
• Beratungsexpertise
Eine sehr wichtige Wissensquelle ist das Unternehmen selbst. Häufig kann in einem
Bereich vorliegendes Wissen sehr gut in anderen Bereichen des Unternehmens ver-
wendet werden. Das Wissensmanagement sollte versuchen, solche Synergieeffekte zu
realisieren. Auf welche Quellen dann tatsächlich zurückgegriffen werden kann bzw.
soll, ist u. a. von Faktoren wie Kosten, Aktualität, Qualität, Form der Darstellung,
Möglichkeit des Zugriffs abhängig und fallspezifisch zu klären.
212 Hubert Schüle

3.4 Wissen erwerben


Wissen kann man sich auf verschiedenen Wegen erwerben. Ein Weg besteht im Kauf
bzw. der Beschaffung von allgemein verfügbaren Informationen zum Thema. Das
Wissen wird dann im Unternehmen durch die Mitarbeiter entwickelt. Zu dieser Kate-
gorie zählen z. B. das Kaufen von Forschungsberichten, der Erwerb von Produktbe-
schreibungen zu IV-Lösungen oder der Besuch von einschlägigen Fachtagungen/Se-
minaren durch geeignete Mitarbeiter. Die erworbenen Informationen müssen dann
von den Mitarbeitern entsprechend des Kontextes der jeweiligen Aufgabenstellung
aufbereitet, strukturiert und übertragen werden. Diese „Veredlung“ von Informationen
zu Wissen ist meist ein recht zeitaufwändiger Vorgang.
Ein anderer Weg besteht darin, nicht nur Informationen zu erwerben, sondern fertiges
sofort anwendbares Wissen. Dieser Weg ist meist erheblich teurer, jedoch auch bedeu-
tend schneller. Er ist dann anzuwenden, wenn es sich aus Unternehmenssicht um zeit-
kritisches Wissen handelt. Auch hier gibt es verschiedene Varianten des Erwerbs. Eine
Variante ist das Abwerben entsprechend qualifizierter Mitarbeiter von anderen Unter-
nehmen. Noch weitreichender ist der Erwerb ganzer Unternehmen. Auch gibt es die
Möglichkeit, Wissen zu „mieten“, indem z. B. der Betrieb eines E-Procurement-Sys-
tems durch eine spezialisierten Dienstleister nach dem Modell des sogenannten ASP
(Application Service Providing) auf der Basis monatlicher Mietzahlungen erfolgt.

3.5 Wissen entwickeln


Wissen entwickeln beschreibt die Veredlung erworbener Informationen zum unterneh-
mensspezifisch anwendbaren und an andere Personen bzw. Bereiche im Unternehmen
übertragbaren Wissens. Es ist deshalb vor allem dort von Bedeutung, wo im vorherge-
henden Schritt „nur“ Informationen erworben werden konnten. Ein weiterer Bereich
für Wissensentwicklung sind z. B. Innovationsprojekte, bei denen schon vorhandenes
Wissen in neue/andere Anwendungsbereiche übertragen wird.
Aus Managementsicht stellt die Wissensentwicklung eine große Herausforderung dar.
Vor allem das Tempo der Wissensentwicklung kann einen nachhaltigen Erfolgsfaktor
des Unternehmens darstellen. So stellt man z. B. im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologie fest, dass vor allem die Unternehmen erfolgreich sind,
denen es in kurzer Zeit gelingt, neue Ideen und Technologien in marktfähige Produkte
umzusetzen bzw. sie in die Geschäftsprozesse des Unternehmens zu integrieren.
Eine konkrete Maßnahme zur Wissensentwicklung kann etwa der Aufbau von Kom-
petenzzentren zu ausgewählten Themen sein. Aber auch das traditionelle Vorschlags-
wesen ist probates Mittel, um Wissen im Unternehmen zu entwickeln. Geschicktes
Verdichten und Zusammenfassen von Wissen und dessen Austausch, etwa in Form
von „Lessions Learned“, fördert ebenfalls die Wissensentwicklung.
Wissen entwickeln bedeutet auch, implizites Wissens im Unternehmen in explizites
Wissen zu transferieren (vgl. auch Nonaka/Takeuchi, 1997). Hier sind, z. B. durch An-
reizsysteme, die Mitarbeiter zu motivieren, Wissen nicht zurück zu halten, sondern
schriftlich zu fixieren und anderen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 213

3.6 Wissen (ver)teilen


Kern dieser Aktivität ist es, vorhandenes Wissen so zu verwalten und zu organisieren,
dass es allen relevanten Personen im Unternehmen zur Verfügung steht, sobald es für
deren betriebliche Tätigkeiten benötigt wird. Dies ist eine vergleichsweise gut steuer-
bare Aufgabe im Wissensmanagement. Die Aufgabe ist gut strukturierbar, und man
kann hier auf verschiedene IV-Lösungen (näheres in Kapitel fünf) zurückgreifen. Vor-
aussetzung ist ein Wissensprofil, wie es bereits im Rahmen der Wissensbedarfsanaly-
se spezifiziert wurde. Zum Verteilen des Wissen sind die Wissensprofile um solche
Merkmale zu ergänzen, welche
• den Ort beschreiben, wo das Wissen gebraucht wird sowie
• angeben, wo das Wissen für einen Suchenden zu finden ist.
Dies kann z. B. ein Dateinamen auf einem Dokumentenserver sein, oder auch nur eine
Telefonnummer bzw. die Bezeichnung einer Organisationseinheit im Unternehmen,
über die ein Mitarbeiter erreichbar ist.
Elektronische Hilfsmittel können nun den Zugriff auf das Wissen vereinfachen, indem
beispielsweise durch die Angabe qualifizierender Merkmale dem Suchenden eine Liste
verfügbarer Wissensquellen angezeigt wird. Aus dieser kann er dann die relevanten
und gewünschten Quellen selektieren. Durch Zugriff z. B. auf den erwähnten Doku-
mentenserver oder auch durch eine E-Mail an einen Fachkollegen, hat der einzelne
Mitarbeiter dann die Möglichkeit, auf das Wissen zuzugreifen und es zu nutzen.
Die Möglichkeiten elektronischer Hilfsmittel dürfen jedoch nicht darüber hinweg täu-
schen, dass mit ihnen nur auf das Wissen zurückgegriffen werden kann, das in irgend-
einer Form kategorisiert und katalogisiert wurde. Wissen, das diesen Anforderungen
nicht entspricht, kann auch nicht verteilt werden. Das Wissensmanagement muss des-
halb Anstrengungen unternehmen, dass tatsächlich benötigtes Wissens kategorisiert
und katalogisiert wird.
Beim Verteilen von Wissen werden Push- und Pull-Prinzipien unterschieden. Beim
Push-Prinzip werden Mitarbeiter ohne deren aktives Zutun zu relevanten Wissens-
themen periodisch mit aktuellen Informationen versorgt. Beim Pull-Prinzip geht die
Initiative für den Zugriff auf eine Wissensbasis vom Mitarbeiter aus, weil er z. B. Wissen
zu einer bestimmten Problemstellung benötigt. Abbildung 6 illustriert diese Prinzipien
schematisch.
214 Hubert Schüle

Abbildung 6: Push- und Pull-Prinzip bei der Wissensverteilung

3.7 Wissen nutzen


Wirklich erfolgreich ist Wissensmanagement nur dann, wenn die zur Verfügung ge-
stellten und abrufbaren Informationen und Wissenselemente im Unternehmen auch
tatsächlich genutzt werden. Häufig stellt man jedoch fest, dass Menschen eher auf das
eigene Wissen vertrauen, obwohl dieses ggf. unvollständig ist oder nicht mehr aktuell.
Somit bestehen „natürliche“ Hemmnisse, fremdes Wissen zu nutzen. Diese Problema-
tik muss überwunden werden.
Gelingt dies nicht, läuft ein Unternehmen sehr schnell Gefahr, dass eine geschaffene
Wissensbasis nicht kontinuierlich gepflegt wird, weil sich der damit verbundene Auf-
wand aus Sicht des einzelnen Nutzer nicht lohnt. Dies wiederum kann sehr schnell
eine Veralterung der Wissensbasis zur Folge haben. Diese Entwicklung kann sich so
verstärken, dass nach einem gewissen Zeitraum das Wissenssystem brach liegt und
die getätigten Investitionen nutzlos werden.
Um einer solchen Entwicklung rechtzeitig gegenzusteuern, können verschiedene An-
sätze verfolgt werden. In erster Linie ist aufzuzeigen, welchen Nutzen das Wissens-
system für den Einzelnen an seinem Arbeitsplatz und auch für das ganze Unterneh-
men hat. Wenn das einzelne Individuum für sich klar erkennen kann, welchen Nutzen
ein Wissenssystem bringt, dann ist der Weg zur Nutzung deutlich kürzer. Ein derarti-
ges Nutzenargument wäre z. B. das Erzielen besserer Verkaufserfolge, welche dann zu
höheren Bonuszahlungen an den Mitarbeiter führen.
Flankierende Maßnahmen können Anreizsysteme sein. In einfachen Fällen protokol-
liert das Wissenssystem die Häufigkeit des Zugriffs auf das Wissensmanagement-Sys-
tem bzw. den Abruf von Wissenselementen durch einen Anwender. Diese Werte kön-
nen dann beispielsweise ein Element von jährlichen Mitarbeiterbeurteilungen sein. In
aufwändigeren Lösungen lobt das Unternehmen z. B. einen „Knowledge Award“ aus.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 215

Damit könnte z. B. der Mitarbeiter ausgezeichnet werden, der am häufigsten zur Wis-
sensweitergabe kontaktiert wurde, oder der das Wissenselement publiziert hat, auf das
am häufigsten zugegriffen wurde.

3.8 Wissen sichern


Einen Wissensstand einmal zu erreichen, ist nicht damit gleich zu setzen, diesen Wis-
sensstand dauerhaft zu sichern. Eine mögliche Gefahr für Verlust von Wissen ist Fluk-
tuation, vor allem bei Fachexperten, deren Know-how nur schwer übertragbar ist (vgl.
Kienecker, 2000). Aber auch durch Krankheit oder gar Todesfälle kann wertvolles
Wissen im Unternehmen verloren gehen. Des Weiteren kann Wissen auch dadurch
verloren gehen, dass es als nicht wertvoll eingeschätzt wird und man sich deswegen
nicht die Mühe macht, es zu kategorisieren bzw. zu katalogisieren.
Das Wissensmanagement ist gefordert, Wissensverlusten vorzubeugen. Gegen Fluk-
tuation können Personalentwicklungsmaßnahmen und/oder Anreizsysteme helfen.
Diese sind umso wirkungsvoller, je besser sie die Bedürfnisse der Wissensträger re-
flektieren. Bei besonders wichtigen Wissensträgern im Unternehmen sollte deren Be-
dürfnisse deswegen sehr genau analysiert werden und ggf. auch individuelle, auf die
jeweilige Person zugeschnittene Anreize für den Verbleib im Unternehmen geschaffen
werden.
Das kontinuierliche schriftliche Fixieren und Archivieren von Expertenwissen ist
ebenfalls eine Form der Wissenssicherung. Dort, wo personengebundenes Wissen
nicht schriftlich fixiert werden kann – aus welchen Gründen auch immer – sollte ver-
sucht werden, ein personelles Netzwerk aufzubauen. Innerhalb dieses Netzwerks ver-
fügen nicht einzelne Mitarbeiter exklusiv über kritische Wissenselemente, sondern
das Wissen ist redundant bei mehreren Personen verfügbar.
Damit man kein sicherungswürdiges Wissen übergeht, neigen viele Organisationen
dazu, möglichst viele Informationen, wie z. B. Besprechungsprotokolle, Workshop-
aufzeichnungen, Gesprächsnotizen usw., festzuhalten, zu kategorisieren und zu kata-
logisieren. Dabei riskiert man jedoch eine Informationsüberflutung. Sucht man gezielt
nach einer Wissensquelle zu einem bestimmten Thema wird man mit einer Fülle mög-
licher Quellen konfrontiert. Dann ist es aufwändig, aus diesen Quellen diejenigen her-
auszufiltern, welche den aktuellen Wissensbedarf am besten abdecken. Deshalb ist
sehr sorgfältig abzuwägen, welches Wissen tatsächlich sicherungswürdig ist.
Gefahr von Wissensverlust entsteht auch bei Verlust bzw. Zerstörung von elektroni-
schen Datenträgern, auf denen das Wissen abgelegt ist. Hier sind in Abstimmung mit
dem IT-Bereich (Informationstechnik) des Unternehmens entsprechende Sicherheits-
level zu definieren, die dann durch entsprechende technische und/oder organisatori-
sche Maßnahmen des IT-Bereichs zu erfüllen sind.
216 Hubert Schüle

3.9 Wissen bewerten


Im Rahmen der Wissensbewertung ist zum einen kritisch zu reflektieren, inwieweit
die verfolgten Wissensziele auch tatsächlich erreicht wurden. Zum anderen muss hin-
terfragt werden, ob die verfolgten Ziele auch zukünftig die richtigen sind.
Im Vergleich zu klassischen Bewertungsmethoden wie sie z. B. im Finanzmanage-
ment zu finden sind, steht dem Wissensmanagement (noch) keine breite und erprobte
Methodenbasis zur Verfügung. Jedoch sind Annäherungen möglich:
• Auswertungen über die Zugriffshäufigkeit auf elektronisch gespeichertes Wissen.
• Befragungen von Mitarbeitern bezüglich der Qualität der verfügbaren Wissensba-
sis liefern ebenfalls entsprechende Hinweise.
• Auswertungen über den Erfolg und Zeitaufwand zur Umsetzung bei besonders
wissensintensiven Projektarbeiten geben ein Bild davon.
• Auswertungen von Verbesserungsvorschlägen in Produkten und Prozessen durch
die Mitarbeiter.
• Auswertungen zu Produkt-/Prozessqualität, wie sie im Rahmen des Qualitätsmana-
gements betrieben werden.
Diese Methoden und Auswertungen liefern zumindest Anhaltspunkte dafür, wie gut
bzw. wie effizient der Geschäftsprozess Wissensmanagement im Unternehmen funk-
tioniert. Und es kann abgeleitet werden, in welche Richtungen weitere Anstrengungen
im Wissensmanagement gehen müssen. Besondere Aussagekraft erhält ein Unterneh-
men, wenn es die Qualität des Wissensmanagements periodisch bewertet, z. B. alle
zwei Jahre. Dann lassen sich Zeitreihen aufbauen, die anschaulich aufzeigen, ob und
auf welchem Level Wissensmanagement erfolgreich oder weniger erfolgreich betrie-
ben wird und wie sich dies im Zeitablauf entwickelt.

4. Hemmnisse des Wissensmanagements überwinden


Damit Wissensmanagement erfolgreich praktiziert wird, ist es wichtig, durch geeigne-
te Maßnahmen mögliche Hemmnisse in der Anwendung zu beseitigen bzw. zumindest
die schädlichen Auswirkungen zu reduzieren.
Die von der Privaten Fachhochschule Göttingen im März 2001 durchgeführte Studie
zum Thema E-Learning und Wissensmanagement bei den Top-350-Unternehmen
Deutschlands (vergleiche auch den Beitrag von Riekhof/Schüle in diesem Band)
brachte zu der Frage nach den Hemmnissen für Wissensmanagement folgendes Er-
gebnis (Mehrfachnennungen waren möglich).
Demnach gaben 62 Prozent der antworteten Unternehmen an, dass die Akzeptanz der
Nutzer ein wesentliches Hemmnis für Wissensmanagement ist. Für 45 Prozent der Un-
ternehmen ist die Benutzerfreundlichkeit der einzusetzenden IV-Hilfsmittel ein Hemm-
nis. Jeweils ca. ein Viertel der Unternehmen heben hervor, dass die Brauchbarkeit des
hinterlegten Wissens, die Unterstützung durch die Datenverarbeitung, die Verständlich-
keit des Wissens sowie die Qualität der Darstellung Hemmnisse darstellen.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 217

Abbildung 7: Hemmnisse im Wissensmanagement

Für die Managemententwicklung lassen sich aus diesen Ergebnissen drei kritische
Punkte für erfolgreiches Wissensmanagement ableiten:
(1) Internes Marketing für Wissensmanagement zur Akzeptanzförderung
(2) Sorgfältige Auswahl und Gestaltung der IV-Lösungen im Wissensmanagement
(3) Gezielte Auswahl und Aufbereitung von Wissensbausteinen

4.1 Die Akzeptanz fördern


Fehlende Akzeptanz für Wissensmanagement kann mehrere Ursachen haben. Zum ei-
nen beruhen Akzeptanzlücken darauf, Wichtigkeit und Chancen nicht oder nur unzu-
reichend zu kennen. Zum anderen kann Ablehnung auch daraus resultieren, dass Be-
troffene eine fertige Lösung „vorgesetzt“ bekommen, aber nicht in deren Entwicklung
eingebunden waren. Herausforderung der Managemententwicklung ist es deshalb, auf
allen Entscheidungsebenen klar und präzise herauszustellen, welchen Beitrag der Fak-
tor Wissen heute und vor allem zukünftig für das Unternehmen hat. Die Mitarbeiter
sollen motiviert und gefördert werden, sich aktiv in die Entwicklung des Wissensma-
nagement-Systems einzubringen und es mitzugestalten. Nur dann, wenn die späteren
Nutzer bereits frühzeitig eingebunden sind, wird ein System akzeptiert und auch ange-
wendet werden. Entsprechende Erfahrungen liegen aus anderen Projekten vergleich-
barer Größenordnung, Bedeutung und Komplexität vor, etwa der Einführung von ERP
(Enterprise Resouce Planning)-Systemen. Diese Erfahrungen lassen sich auf Wis-
sensmanagement-Systeme übertragen.
Akzeptanzschwierigkeiten können auch durch verschiedene individuelle Barrieren
(vgl. Disterer 2001) entstehen. Dazu gehören z. B. Ängste, durch die Preisgebung von
Wissen Machtpositionen zu verlieren, da man einen individuellen Wissensvorsprung
zumindest teilweise aufgibt. Zurückhaltung beim Einstellen von Wissen in eine Wis-
senssammlung kann auch darauf basieren, dass die Qualität des eigenen Wissens da-
218 Hubert Schüle

mit öffentlich wird und ggf. auch zur Diskussion gestellt und kritisch hinterfragt wird.
Auch kann mancher Mitarbeiter sehr kritisch in einer individuellen Kosten-Nutzenbe-
trachtung hinterfragen, was er als Gegenleistung dafür bekommt, Aufwand für die
Nutzung des Wissensmanagement-Systems zu betreiben.
Damit die hier dargestellten Akzeptanzprobleme nicht zum Scheitern von Wissensma-
nagement-Lösungen führen, ist durch das Management unternehmensintern Marketing
für Wissensmanagement zu betreiben. Dazu können u. a. Abteilungsmeetings, Mitar-
beitergespräche, Incentives sowie weitere vertrauensbildende Maßnahmen dienen.

4.2 IV-Tools sorgfältig gestalten


Durch sorgfältige Auswahl und Gestaltung der informationssystemtechnischen Kompo-
nenten des Wissensmanagement-Systems kann mehreren der oben aufgezeigten Hemm-
nisse entgegen gewirkt werden. Die Benutzerfreundlichkeit wird gefördert, wenn nicht
nur auf funktionelle Aspekte einer IV-Lösung im Wissensmanagement Wert gelegt wird,
sondern vor allem auch die visuelle Präsentation im Vordergrund steht. Moderne PC-
Systeme verfügen mittlerweile über sehr brauchbare Darstellungsmöglichkeiten. Diese ge-
hen über in der Vergangenheit vorwiegend eingesetzte statische Darstellungen von Text,
Tabellen und Grafiken weit hinaus. Sie ermöglichen u. a. Bewegbilder mit Animationen
und/oder Videos, beeindruckende 3D-Effekte oder das Abspielen von Audios. So lassen
sich mehrere Zugangskanäle bei den Anwendern ansprechen, und auch das Bedienen
des Systems macht „mehr Spaß“. Neben der Bedienbarkeit werden damit auch die Qua-
lität in der Wissensdarstellung sowie die Verständlichkeit des Wissens gefördert. Ein
Wissenselement, das nicht nur per Text oder Tabelle dargestellt wird, sondern zusätzlich
durch ein kleines Video und/oder eine Audiosequenz erläutert wird, erhöht beim Nutzer
die Verständlichkeit. Auch wird die Informationsvermittlung durch die Darstellungsvari-
anten als qualitativ hochwertiger eingeschätzt. Dies sind wichtige Punkte, die heute
noch weit verbreitete Barrieren im Wissensmanagement darstellen.
IV-gestützte Wissensmanagement-Lösungen müssen auch im laufenden Betrieb adä-
quat betreut werden. Dazu müssen durch die IV-Bereiche entsprechende Ressourcen
zur Verfügung gestellt werden (vgl. Mertens, 1997, S. 180).

4.3 Wissensbausteine gezielt einstellen


„Content is king“. Diese Phrase aus dem Bereich der Internetpräsentationen von Fir-
men und speziellen Informationsdienstleistern lässt sich auch auf die inhaltliche Aus-
gestaltung von Wissensmanagement-Systemen übertragen. Nur Wissen, welches die
Mitarbeiter wirklich brauchen, weil es im Kontext der jeweiligen Aufgabenstellung
konkret Entscheidungsvorteile bieten kann, ist Wissen, das durch den Anwender auch
nachgefragt wird.
Die Auswahl des einzustellenden Wissens in ein Wissensmanagement-System wird
damit zu einer erfolgskritischen Aufgabe. Sie erfolgreich zu bewältigen fordert eine
ausgesprochen sorgfältige Bearbeitung des Prozessschrittes der Analyse der Wissens-
bedarfe (s. o.).
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 219

5. Die Informationsverarbeitung für Wissensmanagement


nutzen

Fortschritte in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) erlauben in un-


terschiedlichen Formen völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten für das Wissensmanage-
ment. Insbesondere die kostengünstige weltweite Vernetzung von Computersysteme
via Internet bzw. Intranet stellt eine Schlüsseltechnologie für das Wissensmanagement
dar. Lösungen, die noch vor wenigen Jahren sehr teuer und deshalb nicht wirtschaftlich
einsetzbar waren, sind heute für einen Bruchteil früherer Kosten zu realisieren. Die
IKT wird damit zu einer treibenden Kraft im Wissensmanagement. Zunächst wird die
grundlegende Rolle von Informationssystemen im Wissensmanagement betrachtet.
Anschließend zeigen ausgewählte Beispiel ein Spektrum der Anwendungsmöglich-
keiten.

5.1 Informationssysteme treiben den Wissenskreislauf


Betrachtet man die Bedeutung von IV-Lösungen für das Wissensmanagement, ist
zunächst Klarheit über die begriffliche Trennung von Daten, Informationen und Wis-
sen zu schaffen. Daten lassen sich beschreiben als zweckneutrale Zeichen, die auf ei-
nem Datenträger gespeichert sind. Beispiele für Daten sind z. B. Kundenname, Um-
satz in einer Periode, eine Artikelbezeichnung oder auch ein digitalisiertes Bild. In
modernen Datenbanksystemen lassen sich sehr große Mengen von Daten effizient
speichern und organisieren, sodass zeitnah auf die einzelnen Daten zugegriffen wer-
den kann oder Zusammenhänge zwischen einzelnen Daten über die Ausgabe an Bild-
schirmen einem Anwender angezeigt werden können.
Anwendungssysteme greifen auf die zweckneutralen Daten zu und erzeugen durch
programmierte betriebswirtschaftliche Logik zweckgerichtete Informationen, z. B.
eine Umsatzstatistik von Großkunden für eine bestimmte Periode. Die Information
entsteht durch geschicktes Verknüpfen und Verdichten der einzelnen Daten entspre-
chend dem Zweck, den der Anwender verfolgt. Abhängig von der Ausgestaltung des
IV-Systems können eine Vielzahl von Informationen erzeugt und diese wiederum in
Beziehung zueinander gesetzt werden, z. B. die Umsatzzahlen im Vergleich zu einer
anderen Periode, wodurch eine zusätzliche Information für den Anwender entsteht.
Damit im Unternehmen qualifizierte Entscheidungen getroffen werden können, müs-
sen die Informationen beim Entscheider zu Wissen reifen. Wissen ist notwendig, da-
mit die gewonnenen Informationen richtig interpretiert, in den richtigen Kontext ge-
setzt und daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden. So müssen z. B. Umsatzstei-
gerungen zu Vorperioden in Kontext zu allgemeinen Marktentwicklungen gesetzt
werden. Auch bei diesem Schritt unterstützen IV-Lösungen. Z. B. dann, wenn Zusatz-
informationen aus anderen Datenbanken herangezogen werden müssen. Oder wenn
Informationen mit (auch räumlich entfernten) Kollegen ausgetauscht werden sollen,
um sich mit diesen zu beraten. Entscheidungen können wieder neuen Bedarf an Daten
induzieren, der Wissenskreislauf geht in die „nächste Runde“ (vgl. Abbildung 8).
220 Hubert Schüle

Abbildung 8: Wissenskreislauf

Die IKT treibt diesen Wissenskreislauf an mehreren Stellen:


• Fortschritte in den Speichertechnologien, z. B. bei Magnetplatten, erlauben es, bei
gleich bleibenden Kosten immer umfangreichere Datenbestände rationell zu orga-
nisieren. Dadurch können mehr Daten verwaltet und miteinander in Beziehung ge-
setzt werden, was auch die Fülle an daraus ableitbaren Informationen erhöht. Vor
allem können dadurch auch multimediale Daten wie Grafiken, Audios und Videos,
die im Vergleich zu numerischen oder alphabetischen Kundendaten enormen Spei-
cherplatzbedarf haben, ebenfalls digital gespeichert werden.
• Fortschritte in Verarbeitungstechnologien, etwa bei den Prozessoren, machen es
möglich, dass die größeren Datenmengen zügig verarbeitet und die Verarbeitungs-
ergebnisse dem Nutzer auch mit akzeptablen Antwortzeiten dargestellt werden
können.
• Weiterentwicklungen in der grafischen Anzeige und Ausgabe von Informationen
z. B. an Bildschirmen erleichtern den Anwendern die Nutzung und den Zugang zu
den Informationen. Vor allem die Multimedialität erlaubt anspruchsvollere For-
men, um Informationen darzustellen. Dies erhöht die Akzeptanz und damit auch
die Nutzungsintensität von IV-Lösungen im Wissensmanagement.
• Weiterentwicklung und Standardisierungen bei Netzwerken und Datenaustausch-
protokollen, allen voran die TCP/IP-Protokolle bei den Internettechnologien, ver-
einfachen den Austausch von Daten und Informationen zwischen unterschiedli-
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 221

chen Lokationen. Zwischen nahezu beliebigen Stellen auf der Erde können Infor-
mationen mit hoher Geschwindigkeit ausgetauscht werden. Standorte von Compu-
tersystemen verlieren an Bedeutung.
• Innovationen in der Softwaretechnologie und bei Programmiersprachen ermögli-
chen es, dass neue Lösungen in kürzerer Zeit entwickelt und angewendet werden
können. z. B. ermöglichen neue Kompressionsverfahren von Videodaten, dass sich
Videos übers Internet digital übertragen lassen.

5.2 Beispiele für IV-Lösungen zum Wissensmanagement


Welche IV-Lösungen für das Wissensmanagement in einem Unternehmen eingesetzt
werden, wird vor allem durch den Verwendungszweck innerhalb des Geschäftsprozes-
ses Wissensmanagement definiert. Abbildung 9 zeigt im Überblick wichtige Verwen-
dungszwecke sowie eine Auswahl möglicher IV-Lösungen (vgl. auch Bernhard, 2000),
die nachfolgend kurz charakterisiert werden.

Abbildung 9: Verwendungszwecke und IV-Lösungen für Wissensmanagement


222 Hubert Schüle

• Wissensbedarfsanalyse

Für diese Aufgabenstellung lassen sich oftmals darauf zugeschnittene Module bzw.
Teilsysteme von Personalplanungs- und entwicklungssystemen nutzen. Entsprechen-
de Anwendungslösungen verfügen oft über die Möglichkeit, Stellen zu definieren und
diesen Stellen Wissensprofile zuzuordnen. Die Wissensprofile entstehen z. B. durch
Auflistungen bestimmter Qualifikationen sowie die Möglichkeit diese z. B. anhand
von Punkterankings zu gewichten. Entsprechende Profile lassen sich auch für Mitar-
beiter bzw. Bewerber hinterlegen, um sie dann mit den Anforderungsprofilen der Stel-
len abzugleichen.

• Aus-/Weiterbildung von Mitarbeitern


IV-Lösungen zur Unterstützung von Bildungsmaßnahmen lassen sich auch unter
CBTs (Computer based Training) zusammenfassen. Darunter versteht man Lernpro-
gramme und -inhalte, die meist auf CD-ROMs den Lernenden zur Verfügung gestellt
werden und für das Vermitteln multimediale Technologien nutzen. Der Lernstoff wird
entweder auf dem PC des Lernenden installiert oder direkt von der CD-ROM aufgeru-
fen. CBTs für die betriebliche Ausbildung gibt es zu einer Vielzahl von Themenberei-
chen, sei es die Nutzung von Standardanwendungssystemen, wie z. B. SAP R/3. WBTs
(Web based Training) basieren auf Internet-Technologien. Die Lerninhalte/-program-
me werden auf einem Web-Server gespeichert. Auf der Seite des Lernenden bedarf es
lediglich eines geeigneten WEB-Browsers, um auf die Lerninhalte zugreifen zu kön-
nen. Gegenüber den CBTs hat dies Vorteile bei der einfacheren Handhabung durch
den Lernenden, da dieser den Umgang mit Browsern z. B. durch Nutzen des WWW
schon gewohnt ist. Vor allem aber vereinfacht sich das Aktualisieren von Lerninhal-
ten, da diese zentral gespeichert und verwaltet werden. Das aufwändige Produzieren
und Distribuieren von CDs entfällt. Allerdings steigt der Datenverkehr und damit auch
Kosten der Übertragung über unternehmensinterne und öffentliche Netzwerke.

• Verwalten von Kundenwissen


Kundenwissen effizient zu organisieren, damit allen relevanten Mitarbeitern das je-
weils notwendige und aktuelle Wissen über Kunden und die bestehende Geschäftsbe-
ziehung zugänglich ist, ist für viele Unternehmen eine Herausforderung. Mit dem Be-
griff CRM (Customer Relationship Management) werden Anwendungsprogramme
bezeichnet, welche diese Aufgabe unterstützen. Das Spektrum der Funktionen moder-
ne CRM-Lösungen reicht vom Hinterlegen ausgefeilter Kundenprofile mit Stammda-
ten zu Geschäftsvolumen, Ansprechpartnern, Zahlungsverhalten u. a. über Zugang
und Pflege aktueller Vorgangsdaten zu Anfragen, Angeboten, Aufträgen oder auch Re-
klamationen und Beschwerden bis zur Aufbereitung und Auswertung umfangreicher
Statistiken zum Kundenbeziehungsmanagement mit Zeitreihenanalysen und Auswer-
tungen nach variablen Selektionskriterien. Besondere Herausforderung von CRM-Lö-
sungen ist die mobile Nutzung z. B. auf Laptops von Außendienstmitarbeitern und de-
ren Integration sowie Datenabgleich mit zentralen Vertriebs- und ERP-Lösungen.
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 223

• Kommunikation/Meinungsaustausch

Wissensmanagement lebt in hohem Maße vom Austausch von Informationen zwi-


schen Mitarbeitern. Dieser sollte möglichst reibungslos, aktuell und ohne strenge for-
male Anforderungen erfolgen. Verschiedene Internet-Anwendungen entsprechen die-
sen Anforderungen. So hat sich z. B. E-Mail als ein passendes Medium etabliert. Es
erlaubt zeitnah und räumlich verteilt, aber ohne die „Anwesenheitspflicht“ des Ge-
sprächspartners wie beim Telefon, zu kommunizieren. Außerdem ist man gezwungen,
Nachrichten schriftlich zu fixieren und damit auf das Wesentliche zu begrenzen, ohne
jedoch in solchem Umfang zeit- und arbeitsaufwändigen formalen Anforderungen zu
unterliegen, wie dies etwa bei klassischen Geschäftsbriefen der Fall ist. Verteilen von
themenspezifischem Wissen ist z. B. über spezielle Mailing-Listen möglich. In einer
solchen Liste werden zu ausgewählten Themenbereichen Interessenten eingetragen.
Sofern aktuelle Informationen zu dem Thema eintreffen, gehen diese den eingetra-
genen Anwendern zu. Ähnlich funktionieren auch Newsgroups. Nach dem Prinzip des
Schwarzen Brettes werden zu Fachthemen bestimmte Informationen und Meinungen
von Fachexperten auf einem Newsserver zur Verfügung gestellt. Eingetragene An-
wender können Meinungen und Diskussionsbeiträge abgeben und sich mit Fachkolle-
gen austauschen.

• Zugriff auf Dokumente und Expertisen


Wissen, das in Dokumenten und Expertisen niedergelegt wurde, kann nur dann ge-
nutzt werden, wenn nach diesem Wissen suchende Mitarbeiter auch die Möglichkeit
haben, schnell und komfortabel auf die Informationen zuzugreifen. Für diesen Zweck
lassen sich z. B. Dokumenten-Management-Systeme nutzen. Mit bestimmten Merk-
malen z. B. Schlagwörtern, charakterisierte Dokumente werden in einer Datenbank
verwaltet. Anwender können dann in Suchanfragen gewünschte Schlagwörter spezifi-
zieren, die den jeweiligen Wissensbedarf charakterisieren. Finden sich zu den Suchan-
fragen passende Dokumente auf der Datenbank, hat der Suchende meist die Option,
diese anzeigen und/oder ausdrucken zu lassen.

• Zugriff auf Experten/Expertisen


Häufig ist es wichtig, in bestimmten Wissensgebieten den oder die Ansprechpartner in
einem Unternehmen zu finden, die Experten auf dem jeweiligen Gebiet sind. In sol-
chen Fällen können Expertendatenbanken helfen. Vom Prinzip her funktionieren sie
vergleichbar den Dokumentenmanagement-Systemen. Mit bestimmten frei formulier-
baren oder aus einer Liste zu selektierenden Merkmalen wird nach einem Wissensträ-
ger gesucht. Als Ergebnis bekommt der Wissenssuchende jedoch kein Dokument, son-
dern einen Ansprechpartner zu einem gewünschten Wissensgebiet genannt. Eine Variante
von Expertendatenbanken sind sogenannte Know-how-Datenbanken. In einer solchen
werden meist technische Lösungen beschrieben, die ein Unternehmen irgendwann
und irgendwo einmal realisiert hat. Taucht eine spezifische Problemstellung auf, kann
eine solche Know-how-Datenbank erste Anlaufstation sein, um zu schauen, ob eine
identische, vergleichbare oder zumindest ähnliche Problemstellung schon einmal be-
224 Hubert Schüle

arbeitet wurde. Dies ist in Unternehmen umso wichtiger, je kundenindividueller die


Lösungen sind und desto stärker das Unternehmen räumlich verteilt agiert. Es hilft,
„Räder nicht zweimal zu erfinden“. Experten-/Know-how-Datenbanken findet man
vor allem in solchen Unternehmen bzw. Unternehmensbereichen, in denen der Faktor
Wissen einen entscheidenden Anteil an der Wertschöpfung hat, etwa Beratungsunter-
nehmen oder Engineering Dienstleister (vgl. Blessing/Bach, 2000).

• Auswerten von großen Datenbeständen


Häufig ist in den Datenbeständen eines Unternehmens wertvolles Wissen verborgen,
ohne dass es den betroffenen Entscheidungsebenen zugänglich ist. Ursache können
z.B. unzureichende Datenauswerte- und -analysemöglichkeiten sein. Beispiele für
solches Wissen sind etwa Trends im Kundenverhalten oder Marktentwicklungen ab-
hängig von bestimmten Produktmerkmalen. Hier lassen sich Data Warehouse-Lösungen
nutzen. Unabhängig von den operativen Systemen etwa für Auftragsabwicklung, Ma-
terialwirtschaft oder Finanzbuchhaltung, werden in einem DataWarehouse relevante
Daten gesammelt und analyseorientiert strukturiert. Neben unternehmensinternen Da-
ten, die periodisch aus den operativen Systemen in ein DataWarehouse überspielt wer-
den, können auch externe Daten, etwa über globale Marktentwicklungen gespeichert
sein. Spezielle Analysetools, sogenannte OLAP-Werkzeuge (Online Analytical Pro-
cessing) erlauben es, die gespeicherten Daten nach spezifischen Merkmale zu selek-
tieren und z. B. Korrelationen zwischen bestimmten Merkmalen aufzuspüren.

• Verwalten von technischen Daten


Steckt in technischen Produktbeschreibungen geschäftskritisches Unternehmenswis-
sen, kann die Verwaltung und der Zugang durch EDMS (Engineering Data Manage-
ment Systeme) vereinfacht werden. Derartige Lösungen berücksichtigen im Besonde-
ren Anforderungen an Archivierung, Verwaltung und Zugriffssteuerung, wie sie von
technischen Dokumentationen gestellt werden. So sind z. B. Schnittstellen zu CAD-
Systemen (Computer Aided Design) berücksichtigt. EDMS-Lösungen lassen sich des-
halb auch gut mit Know-how-Datenbanken (s. o.) kombinieren.

• Suche nach themenspezifischen Informationen


Für einen ersten Einstieg zu einem bestimmten Wissensgebiet eignen sich – je nach
Thema – auch Suchmaschinen des WWW (World Wide Web). Nach Eingabe bestimmter
Suchmerkmale erhält man dann meist eine recht umfangreiche Liste von Verknüpfun-
gen (Links) zu Websites, mit Bezug zum Thema. Allerdings muss man berücksichtigen,
dass häufig sehr viele Links angezeigt werden und das auswertbare Wissen jeweils nur
ziemlich gering ist. Auch fehlen Stellen, die für solche Quellen eine qualifizierte
Filterfunktion wahrnehmen. Speziellere Recherchen übers WWW kann man z.B. bei
Informationsdienstleistern durchführen. Dort ist die Qualität der Ergebnisse von
Suchanfragen meist besser. Der Informationsanbieter führt hier eine Filterfunktion
durch. Jedoch sind diese Anfragen in der Regel kostenpflichtig. Gezielteren Zugang
zu themenspezifischen Informationen bieten auch sogenannte Portal-Sites. Dabei han-
Strategisches Wissensmanagement als Aufgabe der Managemententwicklung 225

delt es sich um Websites, die Anbieter und Nachfrager von Produkten und/oder Infor-
mationen zu einem speziellen Thema oder in einer speziellen Branche bündeln. Die
Chance, auf einer einschlägigen Portal-Seite relevantes Wissen zu finden, ist gegen-
über einer allgemeinen Suchanfrage im Web höher.
Wie die konkrete IV-Unterstützung im individuellen Wissensmanagement-System im
Einzelnen aussehen wird, ist unternehmensspezifisch festzulegen. Häufig wird man
dabei verschiedene der skizzierten Anwendungslösungen nebeneinander einsetzen,
bzw. sie mit einander kombinieren. Dies führte vielerorts zur Entwicklung von soge-
nannten Intranets. Dabei werden unter Nutzung der Internet-Technologien in sich ge-
schlossene unternehmensspezifische Netzwerke aufgebaut. In diese Netzwerke wer-
den dann z. B. Datenbanken eingebunden, in denen relevantes Wissen im dem hier
verstandenen Sinne hinterlegt wird.
Solche Intranets dienen nicht nur dem Wissensmanagement. Sie können auch Platt-
form für den Austausch von allgemeinen Unternehmensinfos sein, etwa zur Publikati-
on von Betriebszeitungen oder Geschäftsberichten, sowie als Zugangssystem zu be-
trieblichen Informationssystemen fungieren.
Darüber hinaus gibt es mittlerweile von verschiedenen Anbietern Anwendungslösun-
gen speziell für Wissensmanagement (vgl. Computerwoche 2000). Diese kombinieren
je nach Funktionsumfang verschiedene der oben aufgeführten Funktionen in einer
speziellen Anwendungslösung.

6. Zukünftige Entwicklungen
Der Beitrag zeigt auf, dass strategisches Wissensmanagement auf die Unterstützung
durch Informations- und Kommunikationslösungen angewiesen ist. Es wurde auch
betont, dass der Erfolg von Wissensmanagement in hohem Grade durch organisatori-
sche, soziologische und kulturelle Faktoren im Unternehmen determiniert wird. Des-
halb muss die Managemententwicklung für Wissensmanagement Interdisziplinarität
in besonderem Maße berücksichtigen. Gefordert ist eine Managemententwicklung,
die solides informationstechnisches Know-how genauso einschließt wie Sozial-, Or-
ganisations- und Personalkompetenz zum Führen von Mitarbeitern und dies in Ein-
klang mit der strategischen Unternehmensplanung.
Das stellt eine gewisse Herausforderung dar, da Fachgebiete zu verknüpfen sind, die
recht unterschiedliche Anforderungsprofile aufweisen. Insbesondere die informa-
tionstechnischen Themen weisen zudem eine hohe Entwicklungsdynamik auf. Dies
ermöglicht permanent neue Anwendungsmöglichkeiten für Wissensmanagement, for-
dert aber eine intensive Auseinandersetzung mit den Technologien. Allerdings darf
Wissensmanagement nicht zu techniklastig sein, da sonst sehr schnell der Mensch als
Wissensträger in den Hintergrund rückt, Mitarbeiter überfordert werden und dadurch
Akzeptanz verloren geht (vgl. Kuppinger/Woywode, 2000, S. 93).
Je besser es dem Management gelingt, hier die richtige Balance zu finden, um so er-
folgreicher werden Wissensmanagement-Systeme in der Zukunft angewendet und
daraus Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen geschaffen werden.
226 Hubert Schüle

Literatur
Bernhard, M. (2000). Die stille Reserve, IT Management (2000) 2, S. 26–30
Blessing/Bach (2000). Wissensmanagement in Beratungsunternehmen, ZFO 69 (2000) 5, S. 268–276
Computerwoche (2000). o.V., 16 Werkzeuge für die Wissens-Ernte im Vergleich, Computerwoche
2000 (10)
Davenport, T. H./De Long D.W./Beers, M.C. (1998). Successful Knowledge Management Projects,
Sloan Management Review, 39 (1998) 2, S. 43–57
Davonport, T. H./Prusak, L. (1999). Wenn Ihr Unternehmen wüsste, was es alles weiß …, Landsberg
Disterer, G. (2001). Individuelle und soziale Barrieren beim Aufbau von Wissenssammlungen,
Wirtschaftsinformatik 42 (2000) 6, S. 539–546
Grayson jr, C. J./O’Dell, C. S. (1998). Mining your hidden ressources, Management Berater 2
(1998) 6, S. 20–22
Hansen, M. T./Nohria, N./Tierney, T. (1999). Wie managen Sie das Wissen in Ihrem Unternehmen,
Harvard Business Manager (1999) 5, S. 85–96
Kienecker, S. (2000). Retten Sie Ihr Wissenskapital, www.knowledgemarkt.de/denkbar/basics/
wissensk.htm, 19.10.00
Kuppinger, M./Woywode, M. (2000). Vom Intranet zum Knowledge Management, München, Wien
Mertens, P. (1997). Building a Corporate Memory, Wirtschaftsinformatik 39 (1997) 2, S. 177–180
Nonaka, I./Takeuchi, H. (1997). Die Organisation des Wissens, Frankfurt, New York
Probst, G./Raub, S./Romhardt, K. (1998). Wissen managen: wie Unternehmen ihre wertvollste Res-
source optimal nutzen, Frankfurt, Wiesbaden
Schüppel, J. (1996). Wissensmanagement: organisatorisches Lernen im Spannungsfeld von Wis-
sens- und Lernbarrien, Wiesbaden
Wendt, W. R. (1998). Soziales Wissensmanagement, Baden Baden
E-Learning und Wissensmanagement
in deutschen Großunternehmen
Ergebnisse einer Befragung der Top-350-Unternehmen
der deutschen Wirtschaft
Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

1. Gegenstand und Zielsetzung der Studie


2. Durchführung der Studie
3. Wichtige Ergebnisse zum Thema E-Learning
3.1 Einsatzformen von E-Learning
3.2 Organisatorische Verankerung von E-Learning
3.3 Nutzung von E-Learning
3.4 Schulungsthemen für E-Learning
3.5 Chancen und Herausforderungen im E-Learning
4. Wichtige Ergebnisse zum Thema Wissensmanagement
4.1 Initiator
4.2 Zielsetzungen
4.3 Nutzung Wissensmanagement
4.4 Engpässe im Wissensmanagement
5. Zusammenfassung
5.1 E-Learning hat einen hohen Verbreitungsgrad erreicht
5.2 Internetbasiertes WBT setzen nur 25 Prozent der Unternehmen ein
5.3 Organisatorisch ist E-Learning am häufigsten im Personalbereich verankert
5.4 DV-Themen dominieren die Liste der Schulungsthemen – Produktschulungen
spielen (noch) keine überragende Rolle
5.5 Unternehmensspezifische Themen spielen im E-Learning heute (noch) eine
untergeordnete Rolle
5.6 Zukünftig sollen mehr Themen als bisher per E-Learning geschult werden
5.7 E-Learning wird vor allem aus Kostengründen realisiert
5.8 Wissensmanagement soll das Unternehmens-Know-how verbessern
5.9 Das Wissensmanagement-System wird vor allem im Vertrieb genutzt
5.10 Die Nutzerakzeptanz ist der größte Engpass

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_15,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
228 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

1. Gegenstand und Zielsetzung der Studie


Zwei Entwicklungen beeinflussen gegenwärtig in vielen Unternehmen die Aktivitäten
in den Bereichen Aus-/Weiterbildung. Auf der einen Seite steigen die Anforderungen
an den Kenntnis- und Wissensstand auf allen Entscheidungsebenen in Unternehmen.
Ursachen sind u. a. zunehmende Globalisierung der Marktaktivitäten, steigende Kom-
plexität von Produkten und Dienstleistungen sowie weitreichendere Entscheidungsbe-
fugnisse einzelner Mitarbeiter als Folge der Verschlankung von Arbeitsprozessen und
Hierarchieebenen in den vergangenen Jahren. Auf der anderen Seite erlauben Fort-
schritte in den Informations- und Kommunikationstechnologien neue Formen in der
Art und Weise, wie das erforderliche Wissen im Unternehmen aufgebaut und den Mit-
arbeitern zugänglich gemacht werden kann. Beispiele hierzu sind einfachere und ko-
stengünstigere Vernetzungslösungen durch Inter-/Intranet oder die multimedialen
Fähigkeiten heutiger PC-Systeme.
Als Folge dieser beiden Entwicklungen beschäftigen sich sowohl auf der Seite der
Anbieter als auch der Anwender sehr viele Unternehmen mit der computergestützten
Vermittlung von Lerninhalten und unternehmensrelevantem Wissen. Auf zwei Schlag-
worte lassen sich dabei viele Ansätze fokussieren: E-Learning und Wissensmanage-
ment. Unter E-Learning sind Lernprozesse zu verstehen, die weitgehend oder aus-
schließlich computerunterstützt ablaufen, z. B. Computer-based-Training (CBT),
Web-based-Training (WBT) oder virtuelle Seminarräume. Wissensmanagement greift
etwas weiter und beschäftigt sich damit, wie ein Unternehmen durch einen verbesser-
ten Wissensstand signifikante Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenzunterneh-
men aufbauen kann. Dabei übernehmen Informationssysteme häufig die Rolle des
Enablers von effizienten Wissensmanagement-Lösungen.
Zielsetzungen der Studie sind insbesondere das Erheben des State-of-the-Art dieser
Themen in großen Unternehmen sowie das Erkennen von zukünftigen Richtungen in
den Unternehmen. Daraus können dann zum einen Bedarfe für Weiterentwicklungen
in Forschung und Lehre abgeleitet werden. Ebenso sollen von den Ergebnissen auch
Impulse für den Markt der E-Learning- und computergestützten Wissensmanagement-
Systeme ausgehen.

2. Durchführung der Studie


Die Studie wurde von der Privaten Fachhochschule Göttingen unter der wissenschaft-
lichen Leitung von Prof. Dr. Hubert Schüle, Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik,
durchgeführt. Auftraggeber ist die unicmind.com AG, die sich mit der Entwicklung
und Einführung von webbasierten Wissenstransfer- sowie E-Learning-Systemen be-
schäftigt.
Im Rahmen der Studie wurden die 350 größten Unternehmen der deutschen Wirt-
schaft nach dem Stand sowie den geplanten Weiterentwicklungen in den Anwen-
dungsgebieten E-Learning und Wissensmanagement befragt. Die Auswahl der Unter-
nehmen erfolgte anhand des TOP-500-Ranking deutscher Unternehmen von 1999 der
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 229

Methodischer Steckbrief
Ziel der Studie Die von der unicmind.com AG in Auftrag gegebe-
ne Studie ist die erste dieser Art, die die TOP-350
der deutschen Wirtschaft nach ihren Zielsetzungen,
nach den Aktivitäten und Erfahrungen mit E-Lear-
ning und mit Online-Wissensmanagement befragt.
Zielgruppe der Studie In diesem Zusammenhang war es zentrales An-
liegen der Studie, Aufschlüsse darüber zu liefern,
welchen Stellenwert E-Learning und Wissens-
management für Unternehmen haben bzw. zukünf-
tig einnehmen werden. Zielgruppe der Studie. Es
wurden 350 Unternehmen der deutschen Wirtschaft
nach dem Stand sowie der geplanten Weiterent-
wicklung in den Anwendungsgebieten E-Learning
und Wissensmanagement befragt.
Bezugsgröße Top 500-Ranking deutscher Unternehmen von
1999 der Tageszeitung Die Welt
(www.welt.de/wirtschaft/ranglisten/500_1999.htx)
Untersuchungsdesign Fragebogen und Telefoninterview
Untersuchungszeitraum 5. März bis 17. April
Wissenschaftliche Leitung Die unicmind.com AG hat die Studie beim Lehr-
stuhl für Wirtschaftsinformatik der Privaten
Fachochschule Göttingen in Auftrag gegeben.
Die Leitung der Studie hatte Prof. Dr. Hubert Schüle.

Abbildung 1: Methodischer Steckbrief

Zeitung DIE WELT (www.welt.de/wirtschaft/ranglisten/500_1999.htx). Aus diesem


Ranking wurden die größten 300 Unternehmen selektiert. Hinzu kamen noch 70 Un-
ternehmen aus dem Bereich Finanzdienstleistung. Letztlich wurden 350 Ansprech-
partner identifiziert und kontaktiert.
Das Erheben der Antworten erfolgte auf zwei Wegen. Nach telefonischer Kontaktauf-
nahme mit den verantwortlichen Bereichen im Unternehmen wurden die Fragen in Te-
lefoninterviews oder per E-Mail beantwortet. Zeitraum der Erhebung war von Anfang
März bis Mitte April des Jahres. Insgesamt wurden in die Auswertung 102 beantwor-
tete Fragebögen einbezogen. Dies entspricht einer hohen Rücklaufquote von 29 Pro-
zent und gibt ein aussagekräftiges Bild der Zielgruppe. Die Fragen wurden in drei
Themenblöcke gestellt. Block 1 umfasst allgemeine Fragen zum Unternehmen und
zum verantwortlichen Ansprechpartner in den Themen E-Learning sowie Knowledge-
230 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

Management. Block 2 fokussiert Stand und weitere Entwicklungen im Bereich E-


Learning. Block 3 stellt Fragen zum Thema Wissensmanagement.
Von den Unternehmen wurden nicht immer alle Fragen beantwortet. In diesen Fällen
ist die Bezugsgröße für das Ermitteln der relativen Anteile der einzelnen Antworten
die tatsächliche Anzahl an Antworten zu der jeweiligen Frage. Bei den meisten Fragen
waren mehr als eine Antwort möglich, so dass die kumulierten Prozentsätze mehr als
100 betragen.

3. Wichtige Ergebnisse zum Thema E-Learning


3.1 Einsatzformen von E-Learning
In diesem Themengebiet wurde zunächst die Frage gestellt, ob E-Learning überhaupt
von den Unternehmen genutzt wird. Diese Frage wurde von 88 Prozent der Unterneh-
men mit Ja beantwortet. 12 Prozent der Unternehmen setzen E-Learning nicht ein.

Abbildung 2: Einsatz von E-Learning in den Top-350-Unternehmen (n=98)

Der Durchdringungsgrad für E-Learning mit 88 Prozent der Unternehmen in der Ziel-
gruppe kann als hoch bezeichnet werden. Dieses Thema ist in den Unternehmen be-
kannt und wird in ca. 9 von 10 Unternehmen der Zielgruppe genutzt.
Auf die Frage nach unterschiedlichen Erscheinungsformen war das Antwortspektrum
wesentlich differenzierter. Es waren verschiedene E-Learning-Formen vorgegeben
(vgl. Abbildung 3). Mehrere Antworten waren möglich.
Die Auswertung zeigt, dass die seit mehreren Jahren bewährten Anwendungsformen
CBT sowie Schulungsvideos auch heute das Anwendungsspektrum bei E-Learning
dominieren. 91 Prozent der Unternehmen, die E-Learning nutzen, setzen CBTs ein,
2/3 der Unternehmen verwenden Schulungsvideos.
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 231

Abbildung 3: Formen von E-Learning (n = 77)

Auf dem Vormarsch sind WBTs. Hier wird unternehmensinternen Lösungen im Intra-
net eindeutig der Vorzug gegenüber Lösungen über das Internet gegeben. WBTs im
Intranet sind mehr als doppelt so hoch verbreitet wie die Nutzung von WBTs über das
öffentliche Internet. Immerhin sind WBTs im Intranet annähernd so stark verbreitet
wie Schulungsvideos. Im Vergleich geringe Bedeutung haben technisch anspruchsvol-
lere Lösungen wie Business TV, Virtuelle Seminarräume sowie Learning Manage-
ment Systeme. Jedoch bringen es z. B. Virtuelle Seminarräume sowie Business TV auf
einen Durchdringungsgrad von immerhin ca. 20 Prozent der Top-350-Unternehmen,
die E-Learning nutzen. Angesichts dessen, dass es sich dabei um noch sehr junge
Technologien handelt, ist dies ein recht hoher Wert.

3.2 Organisatorische Verankerung von E-Learning


Hier wurde gefragt, in welchen Bereichen E-Learning im Unternehmen organisato-
risch verankert ist. Auch hier waren Mehrfachnennungen möglich, um die Fälle abzu-
fangen, in denen mehr als eine Stelle im Unternehmen für E-Learning zuständig ist.
Abbildung 4 zeigt die Ergebnisse.
Es dominiert eindeutig der Personal- bzw. Weiterbildungsbereich bei der organisatori-
schen Verankerung. Dies ist nicht sonderlich überraschend. Schließlich gehört die
Aus-/Weiterbildung zu den klassischen Kernaufgaben dieses Bereichs. Eine gewisse
Bedeutung hat darüber hinaus auch der IT-Bereich. Immerhin gab jedes sechste Unter-
nehmen an, dass dort die IT für E-Learning (mit-)verantwortlich ist. Dies spiegelt die
grundlegende Bedeutung der IT für E-Learning wider.
232 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

Abbildung 4: Organisatorische Verankerung von E-Learning (n = 75)

Anhand der Mehrfachnennungen stellt man auch fest, dass bei ca. einem Drittel der
Unternehmen, E-Learning nicht nur in einem Bereich verankert ist, sondern sich meh-
rere (im Extremfall bis zu vier) Bereiche die Verantwortung teilen. Dies ist ein Indiz
dafür, dass Lernen nicht mehr ein reines Personalthema ist, sondern sich zunehmend
auch andere Unternehmensbereiche engagieren.

3.3 Nutzung von E-Learning


Die Frage nach dem Anteil der Mitarbeiter, die E-Learning bereits im Jahr 2000 nutz-
ten, war nur bei etwa 40 Prozent der rückgelaufenen Fragebogen beantwortet. Dies
mag verschiedene Ursachen haben. Es ist z. B. möglich, dass bezüglich der E-Lear-
ning-Maßnahmen keine separaten Aufzeichnungen geführt werden, sodass diese Fra-
ge nicht beantwortet werden kann, oder aber der Anteil ist so gering, dass er für das
Unternehmen als nicht relevant betrachtet wird.
Nur bei jedem fünften Unternehmen, das auf diese Frage geantwortet hat, werden
mehr als die Hälfte der Mitarbeiter mit E-Learning geschult. Damit erreicht E-Lear-
ning bei weitem nicht die Anzahl an Mitarbeitern wie klassische Lernformen.
Die Ergebnisse der Studie lassen vermuten, dass die Durchdringung von E-Learning
in den nächsten Jahren zunehmen wird. Wir stellten die gleiche Frage nach dem Anteil
der Mitarbeiter zukunftsgerichtet für das Jahr 2001. Die Frage wurde von deutlich
mehr Unternehmen beantwortet, nämlich 53. Kaum ein Unternehmen plant 2001, die
Durchdringung mit E-Learning gegenüber dem erreichten Niveau zurückzufahren.
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 233

n = 40

Abbildung 5: Anteile der Mitarbeiter an E-Learning-Maßnahmen (n = 40)

Dort wo Unternehmen konkrete Zahlen nennen konnten, lagen die Zuwachsraten


meist zwischen 50 Prozent und 100 Prozent. Das heißt, der Anteil der via E-Learning
zu schulenden Mitarbeiter steigt mindestens um die Hälfte, in vielen Unternehmen
soll er sich gar verdoppeln. Wenngleich solche Planzahlen vorsichtig zu bewerten
sind, lässt die Interpretation auf deutliche Zuwächse in der Nutzung von E-Learning
in den Unternehmen schließen.
Einen guten Indikator für die Bedeutung von E-Learning in der Aus-/Weiterbildung
stellt das zur Verfügung gestellte Budget dar. Wir fragten, welcher Anteil des gesam-
ten Aus-/Weiterbildungsbudgets für E-Learning-Maßnahmen in 2001 verwendet wer-
den sollte. Nur 40 Unternehmen hatten davon eine konkrete Vorstellung. Von diesen
Unternehmen soll der E-Learning-Anteil immerhin bei jedem fünften Unternehmen
größer als 20 Prozent sein. Bei ca. 40 Prozent der Unternehmen liegt der Anteil bei ei-
nem relativ geringen Anteil von unter 5 Prozent (vgl. Abbildung 6).
234 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

n = 40

Abbildung 6: Anteil des E-Learning-Budgets (n = 40)

3.4 Schulungsthemen für E-Learning


E-Learning eignet sich nicht für alle Themen gleichermaßen. Deshalb wurde erhoben,
bei welchen Themen der Einsatz von E-Learning gegenwärtig eingesetzt wird. Die
Unternehmen konnten bei dieser Frage mehrere Antworten geben.
Betrachtet man die Antworten fällt die Dominanz der Themen mit engem Bezug zur
Informationsverarbeitung ins Auge. Klarer Spitzenreiter ist das Thema Office-Schu-
lung. Zwei von drei Unternehmen setzen für diesen Zweck E-Learning-Tools an. Es
folgen Schulungsmaßnahmen für andere Anwendungssoftware, z. B. betriebswirt-
schaftliche Anwendungssoftware sowie die Bedienung von Betriebssystemen, etwa
Windows 2000.
Die Dominanz der IT-Themen bei E-Learning hat mehrere Ursachen. Zum einen be-
steht hier bereits durch das Thema eine gewisse Affinität auch den Umgang mit Soft-
ware durch Software kennen zu lernen. Zum anderen gibt es für diese Gebiete auch
ein reichhaltiges Angebot an durchaus leistungsfähigen Lösungen.
Nur in etwa jedem dritten bis vierten der befragten Unternehmen werden Produkt-
kenntnisse, Softskills, Sprachen sowie sonstige betriebswirtschaftliche Themen via E-
Learning geschult. Unter 10 Prozent liegt der Anteil der Unternehmen, die Themen
wie die Kundenzufriedenheit und Qualitätsmanagement computergestützt vermitteln.
Wir haben die gleiche Frage in Bezug auf die zukünftige Nutzung von E-Learning ge-
stellt. Die Ergebnisse sind überraschend. Zwar wird auch zukünftig das Vermitteln
von Kenntnissen im Umgang mit Anwendungssystemen ein wesentliches Anwen-
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 235

dungsfeld von E-Learning bleiben, jedoch holen andere Themen auf. Insbesondere be-
triebswirtschaftliche Themen sowie Produktschulungen werden zukünftig stärker für
E-Learning an Bedeutung gewinnen. Aber auch Lerninhalte wie Softskills, Qua-
litätsmanagement sowie Kundenzufriedenheit werden zukünftig deutlich stärker ange-
boten werden. Die Antworten der Unternehmen z. B. zu den beiden letztgenannten
Themen liegen um das bis zu dreifache höher im Vergleich zur heutigen Nutzung.
Dies ist ein deutliches Signal an die Anbieter entsprechender Lösungen.
Die Abbildung 7 zeigt die Ergebnisse zu diesen Fragen im Detail.

Abbildung 7: Schulungsthemen für E-Learning heute (n = 71) und zukünftig (n = 69)

3.5 Chancen und Herausforderungen im E-Learning


Nach den Vorteilen von E-Learning befragt, dominiert die Kostensenkung. Bei 7 von
10 Unternehmen sind die Einsparungen durch E-Learning-Maßnahmen in Form von
z. B. wegfallende bzw. geringere
• Seminargebühren für Präsenzseminare
• Reisekosten und Spesen
• Fehlzeiten am Arbeitsplatz
größer als die mit E-Learning verbundenen Kosten. Diese fallen u. a. an für
• Lizenzgebühren
• Entwicklungsaufwendungen
• Ggf. Hardware
236 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

Knapp die Hälfte der Unternehmen sieht die Möglichkeit, schneller auf aktuelle The-
men eingehen zu können als Vorteil an. Das einfachere Aktualisieren von Lerninhal-
ten, wie es z. B. speziell bei webbasiertem Training der Fall ist, betrachtet gut jedes
dritte Unternehmen als vorteilhaft. Ähnlich bedeutend ist die höhere Flexibilität im
Lernprozess, speziell der größere Freiheitsgrad beim Auswählen von Raum und Zeit
für das Lernen, wird von den Unternehmen begrüßt.
Nur jedes fünfte Unternehmen erwartet durch E-Learning einen besseren Lernerfolg.
Dieses Ergebnis ist für viele Anbieter solcher Lösungen sicherlich ernüchternd, zeigt
sich hier doch sehr deutlich, dass hinsichtlich Didaktik und Aufbereitung von Lernin-
halten noch erheblicher Entwicklungsbedarf besteht.
Erfreulich ist die Tatsache, dass nur 3 Prozent durch E-Learning keine Vorteile sehen.
Dieses Ergebnis bestätigt das Potenzial von E-Learning, Lernprozesse im Unterneh-
men effizienter und rationeller zu gestalten.
Abbildung 8 zeigt die Ergebnisse zu dieser Frage im Detail.

Abbildung 8: Chancen von E-Learning (n = 76)

Auf die Frage nach den Hemmnissen bzw. Herausforderungen, die mit E-Learning
verbunden sind, erhielten wir die Antworten wie in Abbildung 9.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen sieht als Hindernis, dass durch E-Learning im
Vergleich etwa zu Präsenz-Schulungsmaßnahmen „Social Effects“ wegfallen. Dies
lässt den Schluss zu, dass bei Präsenz-Seminaren nicht nur die eigentlichen Lerninhal-
te von Bedeutung sind, sondern auch das Zusammentreffen und Austauschen mit Kol-
legen aus anderen Bereichen oder ggf. anderen Unternehmen als positiv eingeschätzt
wird.
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 237

Abbildung 9: Hemmnisse von E-Learning (n = 78)

Knapp die Hälfte der Unternehmen sieht den mit E-Learning-Systemen verbundenen
Aufwand als Hemmnis bzw. Herausforderung. Dies scheint auf den ersten Blick im
Widerspruch zu den erzielbaren Kosteneinsparungen der vorherigen Frage zu stehen.
Berücksichtigt man jedoch, dass in dem Aufbau von E-Learning-Systemen oft die oh-
nehin stark belasteten IV-Bereiche eingebunden sind, dann könnte dies den Schluss
belegen, dass der Aufwand eher aus kapazitiver denn aus finanzieller Sicht als kritisch
eingeschätzt wird.
Das Vermitteln von Lerninhalten ist ein sensibles und von den Einstellungen und Er-
fahrungen des Lernenden stark beeinflusstes Thema. Für viele Lernende scheint es
schwer vorstellbar, hier IV-Lösungen einzusetzen, denn in 41 Prozent der Unterneh-
men wird die fehlende Akzeptanz als ein Hemmnis gesehen.
Erstaunlich wenige Unternehmen (nur etwa jedes achte) sehen die Einbindung von
E-Learning in die täglichen Arbeitsabläufe als problematisch an. Dies überrascht, da
in theoretischen Abhandlungen zum Thema E-Learning das Nebeneinander von Ler-
nen und Arbeiten am Arbeitsplatz häufig als kritisch betrachtet wird.
Nur etwa jedes sechste Unternehmen sieht die Unterstützung des Managements als
Problem. In den Führungsebenen scheint damit das Erfolgspotenzial von E-Learning-
Maßnahmen bekannt zu sein, zumindest werden entsprechende Initiativen nicht
blockiert.
238 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

4. Wichtige Ergebnisse zum Thema Wissensmanagement


4.1 Initiator
Befragt nach den Initiatoren für Wissensmanagement in Unternehmen, nimmt der Per-
sonalbereich eine ähnlich dominante Position ein wie auch bei dem Thema E-Lear-
ning. Es fällt auf, dass mit jeweils ca. 25 Prozent vom IT-Bereich genau so starke Im-
pulse für Wissensmanagement ausgehen wie vom Management. Erstaunlich gering
sind unseres Erachtens noch die Initiativen, die von den Fachbereichen ausgehen.
Während der Forschungs- und Entwicklungsbereich immerhin noch bei jedem zehn-
ten Unternehmen Wissensmanagement initiiert, sind es im Marketing, Vertrieb und
Technik (Produktion) deutlich weniger.

Abbildung 10: Initiatoren für Wissensmanagement (n = 87)

Dies ist ein sehr bemerkenswertes Ergebnis, denn eigentlich sollten die marktnahen
Bereiche wie Marketing und Vertrieb dafür Sorge tragen, dass das Know-how des Un-
ternehmens dort verfügbar ist, wo im Dialog mit dem Kunden Problemlösungen ent-
stehen.

4.2 Zielsetzungen
Befragt nach den Zielsetzungen im Wissensmanagement antworteten 93 Unterneh-
men. Von denen hatten nur 8 Prozent keine Ziele zum Wissensmanagement formu-
liert. Somit scheint man sich zumindest in den großen deutschen Unternehmen der
Wichtigkeit und Bedeutung von Wissensmanagement für den Unternehmenserfolg be-
wusst zu sein, und man hat sich über die damit zu verfolgenden Ziele verständigt.
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 239

Mit Know-how-Verbesserung (72 Prozent der Unternehmen) und Effizienzsteigerung


(61 Prozent) dominieren mittelfristige Ziele. Dies verdeutlicht und unterstreicht, dass
Wissensmanagement kein Thema ist, um kurzfristig ergebniswirksame Maßnahmen
durchzuführen. Wissensmanagement wirkt mittelfristig. Dies scheint von den Unter-
nehmen auch anerkannt zu sein. Die Ergebnisse zu den Zielen von Wissensmanage-
ment zeigt Abbildung 11.

Abbildung 11: Zielsetzungen Wissensmanagement (n = 93)

Hier wird indirekt deutlich, dass man mit E-Learning-Strategien eher vorhandenes
Know-how in effektiver Form online an die richtige Stelle und den richtigen Mitarbei-
ter bringen kann, während Wissensmanagement eher darauf abzielt, das erforderliche
Know-how überhaupt erst zu bündeln, zu systematisieren und aufzubereiten.

4.3 Nutzung Wissensmanagement


Stellt man die Hauptanwender von Wissensmanagement-Systemen den Initiatoren ge-
genüber, stellt man fest, dass von den stärksten Nutzern, dem Vertrieb, der in knapp 70
Prozent aller Unternehmen Hauptnutzer ist, nur vergleichsweise geringe Initiative
ausgeht (6 Prozent). Hingegen stellt der IT-Bereich nur in 43 Prozent der Unterneh-
men ein Hauptnutzer des Wissensmanagement-Systems dar. Er ist aber ein bedeuten-
der Initiator (25 Prozent).
Insgesamt fällt bei den Antworten zu dieser Frage auf, dass Wissensmanagement-Sys-
teme eine recht breite Nutzerbasis haben. Die Bandbreite der Hauptnutzer liegt zwi-
schen 43 Prozent und 69 Prozent. Dies unterstreicht die Querschnittsfunktion von
Wissensmanagement quer durch alle Unternehmensbereiche und belegt, dass Wis-
sensmanagement zumindest bei den Großunternehmen bereits heute Bestandteil der
täglichen betrieblichen Praxis ist.
240 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

Abbildung 12: Die Hauptnutzer von Wissensmanagement-Systemen (n = 86)

Zur Unterstützung der Anwender im Wissensmanagement stehen mittlerweile ver-


schiedene IV-technische Hilfsmittel zur Verfügung. Insbesondere Internet-/Intranet-
Technologien sind treibende Kraft für Wissensmanagement-Lösungen. Dies belegen
auch die Ergebnisse zu der Frage nach den IV-Lösungen, die zum Wissensmanage-
ment eingesetzt werden. Mit 61 bzw. 60 Prozent belegen Suchmaschinen und Portale
bzw. Newsgroups und Mailing-Listen die vorderen Plätze der meistgenutzten IV-Lö-
sungen für Wissensmanagement in den großen Unternehmen. Sie liegen gleichauf mit
E-Learning, was ja letztendlich auch eine Variante von IV-gestütztem Wissensmana-
gement darstellt.
Noch nicht für das Wissensmanagement entdeckt erscheinen die Systeme für das Cus-
tomer-Relationship-Management. In nur 39 Prozent der Unternehmen ist ein solches
System Bestandteil des Wissensmanagement. Offensichtlich überwiegt hier die opera-
tive Sicht auf CRM-Systeme. Den Gesamtüberblick der Antworten zu dieser Frage
zeigt Abbildung 13.

4.4 Engpässe im Wissensmanagement


Befragt nach den Engpässen, welche eine Ausbreitung von Wissensmanagement-Lö-
sungen hemmen, antworteten über 60 Prozent – vergleichbar den Werten von E-Lear-
ning-Lösungen – der Unternehmen mit Akzeptanzproblemen bei den Anwendern. Es
folgt Benutzerfreundlichkeit mit 45 Prozent. Hier muss noch Entwicklungsarbeit be-
züglich der Ergonomie der Systeme geleistet werden. Erfreulich ist dagegen, dass nur
etwa jedes vierte Unternehmen die Brauchbarkeit von Wissen sowie dessen Verständ-
lichkeit als kritisch betrachtet. Mit der Datensicherheit im Wissensmanagement haben
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 241

Abbildung 13: IV-Lösungen für Wissensmanagement (n = 88)

nur wenige Unternehmen ein Problem. Somit erscheinen IV-Lösungen als ein
grundsätzlich gut geeignetes Instrument für Wissensmanagement. Es kommt jedoch
darauf an, wie sie gestaltet sind und wie sie die Bedürfnisse der Anwender reflektie-
ren. Zu den Ergebnissen dieser Frage gibt Abbildung 14 einen Überblick.

Abbildung 14: Engpässe im Wissensmanagement (n = 82)


242 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

5. Zusammenfassung
Die von der unicmind.com AG in Auftrag gegebene und von der Privaten Fachhoch-
schule Göttingen (Dr. Hubert Schüle, Professor für Wirtschaftsinformatik) durchge-
führte Studie ist die erste dieser Art, die die TOP-350 der deutschen Wirtschaft nach
ihren Zielsetzungen, nach den Aktivitäten und Erfahrungen mit E-Learning und mit
Online-Wissensmanagement befragt. Es haben sich 102 Unternehmen an der – schrift-
lichen – Befragung beteiligt, sodass die Ergebnisse eine hohe Aussagekraft haben.

5.1 E-Learning hat einen hohen Verbreitungsgrad erreicht


E-Learning hat in den TOP-350 Unternehmen der deutschen Wirtschaft mit fast 90
Prozent einen sehr hohen Verbreitungsgrad erreicht. Allerdings zeigt die Studie auch
im Detail, in welchem Umfang E-Learning eingesetzt wird, d. h. wie intensiv deut-
sche Konzerne E-Learning tatsächlich nutzen.

5.2 Internetbasiertes WBT setzen nur 25 Prozent


der Unternehmen ein
Nur 25 Prozent dieser Unternehmen setzen dabei auf das zeitgemäße internetbasierte
Web-based-Training. Für die meisten Unternehmen bedeutet E-Learning noch immer,
dass vor allem Schulungsvideos eingesetzt werden und dass CBTs (Computer-based-
Trainings) zum Einsatz kommen. Diese Medien sind aber weder interaktiv, im Sinne
einer aktiven Auseinandersetzung mit einem Tutor oder einem Mit-Lerner, noch erlau-
ben sie eine Aktualisierung mit angemessenem Aufwand. Eine unmittelbare Lerner-
folgskontrolle und eine auf den Lernfortschritten basierende differenzierte Gestaltung
der Lerneinheiten und auch der Lernanforderungen ist damit nicht möglich.

5.3 Organisatorisch ist E-Learning am häufigsten


im Personalbereich verankert
Nicht überraschend ist das Ergebnis, dass in 61 Prozent der Unternehmen das E-Lear-
ning organisatorisch im Personalbereich verankert ist. Der Personalbereich nimmt of-
fensichtlich die Rolle des Gatekeepers für Schlüsseltechnologien in diesem Bereich
sehr gewissenhaft wahr.
Erstaunlich hingegen ist, dass sich Marketing und Vertrieb in nur je 3 Prozent der Un-
ternehmen für E-Learning als Organisationseinheit verantwortlich zeichnen. Gerade
diese Bereiche des Unternehmens sind diejenigen, die in der Anwendung extrem stark
von E-Learning profitieren können.
E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Großunternehmen 243

5.4 DV-Themen dominieren die Liste der Schulungsthemen –


Produktschulungen spielen (noch) keine überragende Rolle
Dass die im E-Learning liegenden Chancen in den befragten Unternehmen bei weitem
noch nicht genutzt werden, zeigen auch andere Antworten. So wird die Rangliste der
Themen, die per E-Learning geschult werden, angeführt von 3 DV-Themen
• Office Software (66 Prozent)
• Andere Anwendungs-Software (44 Prozent)
• Bedienung von Betriebssystemen (38 Prozent)
Erst auf Rang vier folgen mit 31 Prozent der Unternehmen Produktschulungen.
Hier wird man sich die Frage stellen müssen, wie die strategischen Ziele der Unter-
nehmen bei der Priorisierung der E-Learning-Aktivitäten besser Eingang finden kön-
nen. Ein perfektes Beherrschen aller Microsoft Office-Anwendungen hat noch keinem
Unternehmen zum strategischen Wettbewerbsvorteil gereicht.

5.5 Unternehmensspezifische Themen spielen im E-Learning heute


(noch) eine untergeordnete Rolle
Noch viel bemerkenswerter ist das Ergebnis, dass unternehmensspezifische Themen
nur 18 Prozent der Unternehmen zum Gegenstand von E-Learning machen. Kunden-
zufriedenheit landet mit 6 Prozent und Qualitätsmanagement mit 8 Prozent auf den
hintersten Plätzen, obwohl gerade hier mit interaktiven Lernsequenzen und einer ho-
hen Praxisorientierung und Aktualität gute Voraussetzungen für effektive Schulungen
und Trainings recht einfach geschaffen werden können.

5.6 Zukünftig sollen mehr Themen als bisher per E-Learning


geschult werden
Die Studie zeigt, dass das Thema E-Learning in Zukunft an Bedeutung klar zunehmen
wird. Bei den zukünftig geplanten E-Learning-Themen ist festzustellen, dass die be-
fragten Unternehmen fast durchweg mehr Themen schulen wollen. Dabei sollen die
„sonstigen betriebswirtschaftlichen Themen“ in Zukunft sogar den größten Stellen-
wert erhalten: 52 Prozent der Unternehmen wollen dieses Thema zukünftig über E-
Learning schulen.
Die unternehmensspezifischen Themen hingegen werden in ihrer Verbreitung der Stu-
die zufolge nur leicht zunehmen (von 18 Prozent auf 26 Prozent der Unternehmen).
Dies ist insofern sehr bemerkenswert, als nur das unternehmensspezifische Know-
how den eigentlichen Wettbewerbsvorteil ausmachen kann. Letztlich lässt sich ein
Know-how-Vorsprung nicht von der Stange kaufen.
244 Hans-Christian Riekhof/Hubert Schüle

5.7 E-Learning wird vor allem aus Kostengründen realisiert


Mit bemerkenswerter Klarheit dominiert unter den genannten Vorteilen des E-Lear-
ning das Kostenargument (70 Prozent der Unternehmen), gefolgt von Aspekten der
Aktualität. Überraschend ist, dass Argumente wie höhere Qualität (7 Prozent), höhere
Motivation (9 Prozent) und besserer Lernerfolg (18 Prozent der Unternehmen) heute
einen nachgeordneten Stellenwert haben.
Die Chancen des E-Learning, individualisierte Programme zu schaffen, die mit hoher
Interaktivität und perfekter persönlicher Lernerfolgskontrolle gute Lernfortschritte er-
möglichen, werden von den Unternehmen in der Praxis offensichtlich (noch) nicht ge-
sehen.

5.8 Wissensmanagement soll das Unternehmens-Know-how


verbessern
Befragt nach den Zielsetzungen des Wissensmanagements, antworteten 72 Prozent
der Unternehmen, dass die Know-how-Verbesserung im Vordergrund steht, 61 Pro-
zent nannten Effizienzsteigerung als Ziel. Kostensenkung spielt im Wissensmanage-
ment nur bei 24 Prozent der Unternehmen eine Rolle.
Dies ist im Grunde eine nachvollziehbare Einschätzung, denn E-Learning zielt in der
Praxis eher darauf ab, vorhandene Trainings- und Schulungssequenzen über Online-
Medien mit weniger Ressourceneinsatz durchzuführen, während im Wissensmanage-
ment zunächst einmal das spezifische Unternehmens-Know-how herauszuarbeiten
und aufzubereiten ist, bevor nach den effektivsten Wegen der „Verteilung“ gesucht
wird.

5.9 Das Wissensmanagement-System wird vor allem


im Vertrieb genutzt
In 69 Prozent der Unternehmen nutzt der Vertrieb das Wissensmanagement-System,
in 59 Prozent der Personalbereich und in je 52 Prozent das Management und der Kun-
denservice. Dieses Ergebnis belegt, dass in den marktnahen Bereichen wie Vertrieb
oder auch Marketing enorme Anwendungschancen und Nutzenpotenziale liegen.

5.10 Die Nutzerakzeptanz ist der größte Engpass


In 62 Prozent der Unternehmen ist die Nutzerakzeptanz ein Engpass, in 45 Prozent die
Benutzerfreundlichkeit des Systems und in 28 Prozent die Brauchbarkeit des Wissens.
Diese drei Aspekte stehen sicherlich in einem inneren Zusammenhang, so dass erwar-
tet werden darf, dass die Ausrichtung von Wissensmanagement-Systemen an den Be-
dürfnissen der User in Zukunft deutlich mehr Beachtung finden muss.
Teil C

Strategien der Personalentwicklung:


Praxisbeispiele
Einleitung: Strategien der Personal-
entwicklung – Praxisbeispiele
Hans-Christian Riekhof

Siemens Management Learning – ein ganzheitlicher Ansatz


zur Integration von Lernen und Arbeit

Wer selbst einmal mehrere Jahre in internationalen, möglicherweise sogar weltweit


tätigen Konzernen gearbeitet hat und dabei die enormen Schwierigkeiten kennen lernen
konnte, die eine systematische, sorgfältig geplante internationale Managementent-
wicklung mit sich bringt, der kann vielleicht ermessen, was es heißt, in einem Kon-
zern wie Siemens eine weltweit einheitliche Konzeption des Management Learning
zu etablieren. Matthias Bellmann beschreibt in seinem Beitrag den Anspruch und die
Umsetzung dieses Siemens-Konzeptes.
Dabei wird der hohe Anspruch, den Siemens hier erhebt, sehr klar herausgearbeitet:
man will
• Lernen und Arbeiten nicht mehr trennen wie bisher, sondern miteinander ver-
zahnen
• das Wissen der Mitarbeiter als eine strategisch ganz entscheidende Ressource be-
trachten und besser als bisher nutzen
• die erforderlichen Anpassungs- und Umdenkprozesse in sehr kurzer Zeit reali-
sieren
• die Komplexität der Lernsysteme ganz extrem reduzieren
• den Beitrag des Lernens zum Geschäftserfolg messen
• ein weltweit einheitliches Programm etablieren
Dabei sollen die drei Prinzipien der Leistungs- und Ergebnisorientierung des Lernens,
der Eigenverantwortlichkeit und Selbstqualifizierung sowie des weltweiten Know-
how-Austausches in Bezug auf Lernprozesse und Lernergebnisse zur Anwendung
kommen.
Bellmann weist darauf hin, dass allen Beteiligten klar war, dass derartige tiefgreifende
und kulturverändernde Prozesse Zeit beanspruchen. Kurzfristige Erfolge auch in solch
einem Programm sichtbar zu machen, war und ist eines der grundlegenden Motiva-
tionsprinzipien, auf das man dabei gesetzt hat.

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_16,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
248 Hans-Christian Riekhof

Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-


Konzern

Die Internationalisierung des Geschäfts ist für das Management eine besondere strate-
gische Herausforderung. Konzerne müssen sich auf eine viel höhere Komplexität in
der Unternehmensführung einstellen, wenn sie auf den wichtigsten Märkten der Welt
eine angemessene Rolle spielen wollen.
Volkswagen ist in mehr als 150 Ländern aktiv – mit durchaus unterschiedlich hohen
Marktanteilen. Toyota wird als weltweit wichtigster Wettbewerber gesehen – ein Un-
ternehmen, das in den vergangenen Jahren ein deutlich höheres Wachstum bei einer
nachhaltig höheren Umsatzrendite erzielte. Offensichtlich agiert der VW-Konzern auf
Märkten, die erhebliche strategische Herausforderungen beinhalten.
Welche Ziele sich daraus für die Managemententwicklung ableiten und wie Unterneh-
mensstrategie und Personalpolitik miteinander verzahnt werden, schildert der Beitrag
über die internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern. Bemer-
kenswert sind dabei die Werte und Leitlinien des VW-Konzerns: Es lohnt, sie genauer
zu studieren. Einige Formulierungen deuten recht unmissverständlich an, dass sich die
Erwartungen an die Mitarbeiter und Führungskräfte ändern bzw. geändert haben.
Aber auch die Organisation der Managemententwicklung verdient genauere Betrach-
tung. Der VW-Konzern hat neben einigen wenigen anderen Unternehmen diesen
Bereich schon vor Jahren outgesourct, d. h. in eine eigene, selbständig am Markt agie-
rende Tochtergesellschaft ausgegliedert. Offensichtlich hat sich dieses Konzept be-
währt.

Personal- und Managemententwicklung in der


Bosch-Gruppe: Ein Überblick

Die Grundlage der Mitarbeiterentwicklung bei Bosch bildet ein Normen- und Werte-
system, das in der Bosch-Unternehmenskultur seinen Ausdruck findet. Diese Basis
wird ergänzt durch zehn Leitlinien der Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe,
die internationale Gültigkeit haben. Im Beitrag über Bosch werden die einzelnen Bau-
steine der Mitarbeiterentwicklung beschrieben. Eingesetzt werden die klassischen
Elemente wie Mitarbeitergespräch, Mitarbeiterentwicklungsgespräch und Mitarbeiter-
entwicklungsdurchsprache.
Bemerkenswert ist auch das der Managemententwicklung bei Bosch zugrunde liegen-
de Kompetenzmodell. Es besteht aus den Elementen
• Unternehmenskompetenz
• Führungskompetenz
• Sozialkompetenz
• Fach-/Methodenkompetenz.
Strategien der Personalentwicklung: Praxisbeispiele 249

Nicht einfach ist es sicherlich, Unternehmerkompetenz zu beurteilen, zu fördern und


zu messen. Andererseits wird gerade diese Kompetenz des Modells von nicht zu un-
terschätzender Bedeutung in einem internationalen Konzern sein. Man darf gespannt
sein, wie sich die Unternehmerkompetenz über einen längeren Zeitraum nachweislich
entwickelt, wenn sie so explizit Gegenstand der Managemententwicklung ist.

Change Case Linde AG – wie aus einem erfolgreichen


Dax-30-Unternehmen eine LeadIng.-Company wird:
Selten werden Personalentwicklungsbereiche so konsequent in die Neuausrichtung
eines Unternehmens einbezogen wie bei Linde. Im Beitrag über den Change Case
Linde wird beschrieben, wie die Perspektiven einer Neuausrichtung des Unterneh-
mens entstanden sind, welche Rolle der Blick auf erfolgreiche Unternehmen gespielt
hat, welche Rolle der Unternehmensstrategie zukommt und wie Veränderungsbereit-
schaft erzeugt und gemessen wurde.
In diesem Beitrag wird auch geschildert, welche Erfahrungen in globalen HR-Meetings,
in internationalen Task Forces, in Personalkommissionen oder PE-Dialogen gesammelt
wurden. Internationale Stellenbewertungen, ein Leadership Appraisal für 700 Führungs-
kräfte, Kompetenzprofile und Entwicklungspläne sowie ein neuer Management Cycle
sind die neu geschaffenen Werkzeuge der Managemententwicklung. Zwischen den
Zeilen kann man erkennen, welch umfassender Wandel bei Linde eingeleitet worden ist.
Dabei wird auch nicht verschwiegen, dass manche der Aktivitäten von den Führungs-
kräften zunächst mit einem Fragezeichen versehen wurden. Das Verständnis des Ma-
nagements für den Management-Dialog, für den Leadership Survey, die Management
Conferences, das Succession Planning und die Target Conferences musste sicherlich
entwickelt werden. Es ist aber erstaunlich, wie konsequent in einem Zweijahres-Pro-
gramm diese neuen ME-Tools bei Linde eingeführt wurden.

Outsourcing der Bildungsfunktion in der Deutschen


Philips-Organisation – oder wie man eine Dienstleistung zu
einem erfolgreichen Geschäft machen kann
Während im Volkswagen-Konzern die Ausgliederung der Personalentwicklung im
Kern die rechtliche Verselbständigung und die Öffnung des Angebotes für den Markt
umfasst, sind die Outsourcing-Aktivitäten bei Philips sehr viel weiter gefasst. Unter
dem Namen Centurion wurde der gesamte Philips-Konzern einem Reengineering
unterzogen. Dabei wurden aus der Philips Kommunikations-Industrie AG die Perso-
nalentwicklungs- und Bildungsaktivitäten ausgegliedert und in der T.O.P. Business
Training GmbH – Die Business Akademie – zusammengefasst. Ulrich Pühse be-
schreibt als einer der Geschäftsführer diesen Prozess der Verselbständigung.
250 Hans-Christian Riekhof

Eine der wichtigsten Zielsetzungen dieses Outsourcing war es, dass Philips zwar die
Dienste der neuen Gesellschaft in Anspruch nehmen und dies auch vertraglich zu-
sichern, aber selbst keine Anteile an dieser Gesellschaft halten sollte. Outsourcing be-
deutete für Philips, dass alle Mitarbeiter wie auch das gesamte Anlage- und Umlauf-
vermögen in die neue Gesellschaft übergehen.
Der Ausgliederungsprozess selbst bestand aus mehreren Phasen. Zunächst wurden ver-
schiedene Business-Pläne erstellt, dann wurde ein Ausgliederungsmodell entwickelt,
schließlich wurden Verhandlungen mit der ausgliedernden Unternehmensleitung auf-
genommen und geeignete Übernahmepartner gesucht. Letztlich realisiert wurde ein
Management-Buyout, bei dem man darauf verzichtete, Anteile an die Belegschaft aus-
zugeben, um eine einheitliche und klare Willensbildung und Führung sicherzustellen.
Pühse nennt einige klare Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn ein solches
Ausgliederungsmodell funktionieren soll. So muss es für die Produkte oder Dienstleis-
tungen des auszugliedernden Unternehmens einen Drittmarkt geben, um mittelfristig
eine stärkere Unabhängigkeit von der Muttergesellschaft erreichen zu können. Eine
Abtrennung bzw. Herauslösung aus dem Konzern muss leicht vollziehbar sein, indem
z. B. für bislang in Anspruch genommene zentrale Konzern-Dienstleistungen Service-
verträge abgeschlossen werden und das zu übernehmende Anlage und Umlaufvermö-
gen klar identifiziert wird. Die Business-Pläne sollten von unabhängiger dritter Seite
auf Plausibilität geprüft werden; dabei sollte das von der Muttergesellschaft zuge-
sicherte Umsatzvolumen maximal 50 Prozent des Geschäftes betragen, um die
Bemühungen um Drittgeschäfte zu forcieren.
Eine der entscheidenden Klippen ist in einem solchen Ausgliederungsprozess die
Übernahme der bisherigen Mitarbeiter. Haben die Mitarbeiter das notwendige Ver-
trauen in die neue gesellschaftsrechtliche Konstruktion der Verselbständigung? Be-
fürchten sie mittelfristige Kündigungen? Bleiben sie dem Konzerndenken verhaftet,
oder gelingt es ihnen, das für mittelständische Unternehmen (überlebens)notwendige
Kostenbewusstsein zu entwickeln?
Nach Ablauf des ersten Geschäftsjahres der neuen Gesellschaft bestand die Möglich-
keit, neue Arbeitsverträge mit den Mitarbeitern abzuschließen. Zu diesem Zeitpunkt
war auch der Manteltarifvertrag der IG Metall nicht mehr bindend. Daher wurden den
Mitarbeitern neue Verträge angeboten, die auch eine Erfolgsbeteiligung umfassten,
welche bemerkenswerterweise mit einer Verlustbeteiligung gekoppelt ist. Diese Rege-
lung war sicherlich eine der wesentlichen Voraussetzungen, um mit einer motivierten
Mannschaft das künftige Geschäft entwickeln zu können.
Mitte 2000 wurde aus der T.O.P Business Training GmbH und der T.O.P. Business
Consult GmbH die T.O.P. Business AG, um den Mitarbeitern Optionsprogramme an-
bieten zu können. Nach sechs Jahren erfolgreicher Arbeit im Markt darf damit die
Ausgliederung als gelungen bezeichnet werden.
Strategien der Personalentwicklung: Praxisbeispiele 251

Strategisch ausgerichtete Anforderungsprofile: Basis des


Management Development der Weka-Verlagsgruppe

Wenn eine Unternehmensgruppe seit Jahren überdurchschnittliches Wachstum mit ho-


her Ertragskraft kombiniert und wenn eine Strategie für die Unternehmensgruppe for-
muliert worden ist, die dieses Wachstum auch für die kommenden Jahre fortschreibt,
dann bedarf es besonderer Anstrengungen im Bereich der Managemententwicklung,
damit die Besetzung von Schlüsselpositionen im Management nicht zum Engpass der
Unternehmensentwicklung wird. Die Notwendigkeit, hier eine vorausschauende Ma-
nagemententwicklungsstrategie zu formulieren, wird dadurch verschärft, dass ein
großer Teil des Wachstums durch Akquisitionen zustande kommen soll.
Der Bericht des Herausgebers über ein für die Holding der Weka-Verlagsgruppe
durchgeführtes Projekt zur Entwicklung einer internationalen Management-Develop-
ment-Strategie setzt an der Formulierung des Anforderungsprofils für den Manager
2000 an. Konsequent aus der Unternehmensstrategie abgeleitet, ergeben sich insgesamt
10 Elemente eines Anforderungsprofils, das als Messlatte für die künftige Rekrutierung
von Nachwuchs-Managern genauso wie als Leitlinie zur Entwicklung von Manage-
ment-Development-Programmen genutzt werden kann. Die sorgfältige Definition der
einzelnen Elemente des Anforderungsprofils ist die Voraussetzung, um daraus opera-
tionale Schlussfolgerungen und konkrete Fördermaßnahmen ableiten zu können.
Weil das Anforderungsprofil in einem ausführlichen internen Diskussionsprozess in
mehreren Workshops aus der Unternehmensstrategie heraus entwickelt wurde, ist eine
wichtige Voraussetzung für dessen praktische Anwendbarkeit gegeben: das Management
der Holding wie auch Vertreter der nächsten Führungsebene stehen voll hinter diesem
Anforderungsprofil und den gleichzeitig entwickelten Grundsätzen des Management
Development, und sie werden daher deren Anwendung im Alltag persönlich voran-
treiben. Eine jährliche Management-Development-Konferenz dient dabei dem regel-
mäßigen Review des Prozesses und der Erfolgskontrolle.
Siemens Management Learning –
ein ganzheitlicher Ansatz zur Integration von
Lernen und Arbeit
Matthias Bellmann

1. Einleitung
2. Arbeit und Lernen – zwischen Antagonismus und Komplementarität
3. Überlegungen zu einem neuen Verständnis des Lernens von Führungskräften
4. Siemens Management Learning – ein Konzept und seine Implementierung
4.1 Das Konzept
4.2 Die Elemente von Management Learning
4.3 Implementierungsplanung und -vorgehen
5. Ergebnisse und Erfahrungen
6. Potenziale der Weiterentwicklung

1. Einleitung
Seit etwa 15 Jahren sind – unabhängig vom Geschäftstyp – im Bereich des Manage-
ment Trainings folgende Trends erkennbar: Die für Lernen in formalen Prozessen von
den Unternehmen aufgewendete Zeit nimmt pro Trainingseinheit (Seminar, Works-
hop) ab. Gleichzeitig steigt der subjektiv empfundene Lernbedarf an. Lernprozesse
werden immer mehr von Arbeitsprozessen separiert, was auch durch die Wahl der
Lernorte (unternehmensinterne Schulungszentren, Business-Schools, Seminarveran-
staltungsorte) deutlich wird. Parallel hierzu wächst das meist unbestimmte Gefühl des
Teilnehmers, dass sich die Relevanz vom Lernen mit der Distanz zur konkreten
Arbeitsaufgabe reduziert. Die angebotene Lernform Seminar nimmt stetig zu, was
eine Ursache im Bemühen um die Standardisierung und Kommerzialisierung von Lern-
inhalten und Lernabläufen haben dürfte. Zugleich steigt die Kritik an der Effizienz
und vor allem Effektivität dieser Lernform für die Praxis (The Price Waterhouse
Change Integration Team, 1996, S. 223 ff.). Siemens Management Learning (vgl.
auch eine erste Darstellung in Bellmann, 2000) ist in mancherlei Hinsicht der grundle-
gende Versuch, dieser Kritik eine neue Wirklichkeit gegenüberzustellen.

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_17,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
254 Matthias Bellmann

2. Arbeit und Lernen – zwischen Antagonismus und


Komplementarität

Die sich verschärfenden Polaritäten zwischen Trainingswirklichkeit und akuten Lern-


notwendigkeiten haben ihren tieferen Grund in der nur selten aufgearbeiteten und noch
seltener in die Praxis umgesetzten Erkenntnis eines einschneidenden Paradigmenwech-
sels, der noch am besten mit dem Trend hin zur „Lernenden Organisation“ beschrieben
ist (Handy, 1989, S. 225 ff.; Senge, 1990). Während in der industriellen Phase die für
die Entwicklung, Herstellung und Verteilung von Gütern notwendigen menschlichen
Fähigkeiten weitgehend über das öffentliche Ausbildungssystem (Schulen, Berufsschu-
len, Universitäten) zugekauft wurden und dann – bis auf einige Anpassungsmodifika-
tionen – ein Berufsleben lang genutzt werden konnten, wird im Umbruch von der spät-
industriellen zur wissensbasierten Gesellschaft das Wissen selbst zum beherrschenden
Produktionsfaktor (Nonaka & Takeuchi, 1995). Dieses unterliegt einem permanenten
Druck zur Weiterentwicklung in kurzen Zyklen, dem die öffentlichen und privatwirt-
schaftlichen Ausbildungssysteme nicht mehr oder allenfalls unzureichend gerecht wer-
den (vgl. Logan, 1995, S. 226 ff.). Machte es bei Anpassungsqualifikationen noch Sinn,
Arbeit und Weiterlernen organisatorisch und inhaltlich zu trennen, so ist schon heute
und in Zukunft vermehrt Qualifizierung ein permanenter, hochintegrierter Teilprozess
der Realisierung von Value Added selbst. Die lernende Organisation ist deshalb Produ-
zent neuen vermarktungsfähigen Wissens, Management die Transformation dieses
Wissens in am Markt verkaufbare Leistung (vgl. Sveiby, 1997).
Während Training veranstaltungsorientiert ist (hauptsächlich in Form von Semina-
ren), ist Lernen in dem hier verwendeten Verständnis geschäfts- und ergebnisorientiert
in Form hochintegrierter Methoden; während Training in der Regel von der täglichen
Arbeit getrennt und kurzfristig ist, zielt Lernen auf die Integration in die tägliche Ar-
beit und auf einen andauernden Prozess. Sind im Trainingsansatz Einzelne im Blick-
punkte und sind Lehrkräfte (Faculty) verantwortlich, so stehen beim Lernen Teams
und Prozesse im Vordergrund, und die Verantwortung müssen weitgehend die Teilneh-
mer tragen, die sich insoweit eher als „Beiträger“ definieren. Training stellt üblicher-
weise auf die Präsentation von Inhalten in einer curricularen Struktur ab, während
Lernen das Streben nach Ausschöpfung und Erweiterung von individuellen und Team-
Potenzialen in einem weitgehend offenen Lernumfeld zum Ziel hat. Während Training
im Allgemeinen Werkzeuge vermittelt und die individuelle Ansammlung von Infor-
mationen bewirken will, soll Lernen den Aufbau und Ausbau mentaler Konzepte für
die Wissensaneignung, die Wissensanwendung sowie den Austausch von Erfahrung
und Sachkenntnis untereinander fördern. Training versucht, Lernprozesse zu struktu-
rieren; Lernen ist bemüht, diese Prozesse anzuregen und dauerhaft aufrechtzuerhalten.
Es besteht in der Lenkung der Teilnehmer im Rahmen von Freiräumen, statt in deren
Führung in engen Grenzen, und es ist schließlich ein Prozess, dessen Eigentümer die
Teilnehmer sind, statt dass ein Veranstalter die Eigentümerrolle übernimmt und damit
ein dem Lernen abträgliches Kunden-Lieferanten-Verhältnis erzeugt. Kurz: Training
und Arbeit sind weitgehend antagonistisch, Lernen und Arbeit streben eine komple-
mentäre Beziehung an.
Siemens Management Learning 255

3. Überlegungen zu einem neuen Verständnis des Lernens


von Führungskräften

Folgt man den vorstehenden Betrachtungen der Entwicklung von Lernen und seiner
künftigen Bedeutung für Unternehmen, so stellt sich die Frage nach dem Realisie-
rungszeitpunkt (-geschwindigkeit) und – damit verbunden – der zweckmäßigen Vor-
gehensweise. Stand für eine Veränderung der Schulungsstrukturen und -techniken
vom Übergang einer ständisch geprägten Wirtschaftsweise zur arbeitsteilig organisier-
ten industriellen Produktion ein Zeitraum von mindestens 100 Jahren zur Verfügung,
so ist der nun notwendige Paradigmenwechsel von einem weitgehenden Antagonis-
mus zwischen Arbeit und Schulung respektive Training hin zu einer komplementären
Praxis von Arbeit und Lernen in nur wenigen Jahren zu leisten.
Die Gründe hierfür sind vor allem, dass Wissen eine der am ineffizientesten genutzten
Ressourcen in Organisationen und zugleich eines der größten ökonomischen Poten-
ziale ist (vgl. Allee, 1997; Edvinsson & Malone, 1997). Durch den raschen Wandel
der Umfeldbedingungen lässt sich diese Tatsache zunehmend weder negieren noch im
Wege der klassischen Schulung reparieren. Zudem stehen mit den Möglichkeiten der
Informations- und Kommunikationstechnologie, vor allem dem Internet/Intranet,
technische Mittel zur Verfügung, die grundlegend neue Lernprozesse hierarchie- und
unternehmensübergreifend erlauben (vgl. Hartge, 1997). Eine Verzögerung ihrer Nut-
zung oder eine nur partielle Ausschöpfung ihrer Potentiale verschärft die Wettbe-
werbsnachteile, denen sich „nicht-lernende“ Organisationen schon heute gegenüber
sehen.
Engpass ist somit schlicht die Zeit, in der sich ganze Unternehmen hin zu lernenden
Organisationen zu wandeln in der Lage sind. Der Anpassungsdruck hat allerdings zur
Konsequenz, dass sich ein Wandel allein von „unten nach oben“ verbietet, etwa indem
die Mitarbeiter mit neuem Wissen und neuen Einstellungen zu lebenslangem, in die
Arbeit integrierten Lernprozessen die Strukturen der Wissenserzeugung und -nutzung
allmählich verändern. Vorrangige Zielgruppe eines Lernverständnisses der beschrie-
benen Art sind deshalb die Führungskräfte selbst. Nur wenn sie persönlich erfahren,
welche Wettbewerbsvorteile sich durch Lernen für sie selbst und für ihr Unternehmen
erschließen, wenn sie sichtbar neues Lernen beständig vorleben, ist die Transformati-
on einer gesamten Organisation in kurzer Zeit zu erwarten.

4. Siemens Management Learning – ein Konzept und seine


Implementierung
Aus diesen Gründen haben sich in den vergangenen Jahren viele Unternehmen
bemüht, ihr System des Trainings im Rahmen der Managemententwicklung grundle-
gend zu überdenken und zu überarbeiten. Auch Siemens, einer der Weltmarktführer
mit über 150-jähriger Geschichte im Bereich der Elektrotechnik und Elektronik auf 6
Arbeitsgebieten mit 12 Unternehmensbereichen und einer globalen Präsenz in nahezu
256 Matthias Bellmann

allen Ländern dieser Welt, sah sich im Jahr 1996 vor die Herausforderung gestellt, das
Management-Training vor dem Hintergrund eines sich immer schneller verändernden
Geschäftes neu zu definieren. Dabei wurde – mit konsequenter Unterstützung des
Top-Managements – die Chance genutzt, einen radikalen Neuanfang zu wagen, statt
die eingeführten und langjährig betriebenen Schulungssysteme nur sequenziell weiter-
zuentwickeln.
Ausgangspunkt für die Reform war das Ergebnis einer Bedarfsanalyse der derzeitigen
und künftigen Geschäfte und der dafür erforderlichen Eigenschaften von Führungs-
kräften, das im Wesentlichem vier Hauptforderungen beinhaltete:
• Identifizierung, Vorgabe, Entwicklung und Messung von Verhaltensweisen, die
wesentlich für den Geschäftserfolg sind,
• Förderung und Stärkung der „Lernenden Organisation“,
• Verstärkung der Siemens-Prinzipien der Personalentwicklung (Eigeninitiative für
persönliche Entwicklungsinteressen, Transparenz der Entwicklungschancen und
-entscheidungen sowie Wettbewerb auch untereinander) und
• weniger System, eindeutige Werte.
Im Hinblick auf die Inhalte und Struktur des Management-Trainings wurden vier
Hauptforderungen ermittelt:
• Reduzierte Komplexität der Lernsysteme durch eine klare, zukunftsorientierte Pro-
grammstruktur.
• Messbare Beiträge des Lernens für das Geschäft durch die Arbeit an konkreten
Geschäftsaufgaben in einer eindeutig strukturierten, projektorientierten Lernum-
gebung.
• Förderung des Wissensmanagements über Funktions-, Bereichs- und Ländergren-
zen hinweg und Bildung überdauernder Netzwerke zwischen Führungskräften.
• Konsequente Internationalisierung durch weltweit einheitliche Programme mit
lokalen und regionalen Anpassungsmöglichkeiten.

4.1 Das Konzept


Das neue Konzept sollte zugleich auch in seiner Bezeichnung den radikalen Wechsel
der Philosophie deutlich machen. „Management Learning“ war und ist deshalb die
bewusste Abkehr vom „Management Training“.
Siemens Management Learning beruht auf drei grundlegenden Prinzipien:
• Es ist leistungs- und ergebnisorientiert, d.h., Lernen findet im Rahmen der Arbeit
an Projekten aus dem konkreten Geschäftsumfeld statt und wendet dabei Wissen
an, das – wo immer möglich – im Selbststudium erworben wurde.
• Siemens Management Learning ist kooperative Selbstqualifizierung, d. h., Wissen
soll im Vorfeld der Projektarbeit eigeninitiativ und eigenverantwortlich erworben
werden und dann in einem Netzwerk von Kompetenzen im Rahmen eines konkre-
ten Projektes systematisch zur Anwendung kommen.
• Siemens Management Learning soll den weltweiten Austausch und Transfer von
Wissen fördern, indem Lernprozesse und Lernergebnisse (inkl. Projektergebnisse)
Siemens Management Learning 257

im unternehmenseigenen Intranet dokumentiert werden, und soll insbesondere als


intranet-basierte Lernkooperation stattfinden.
Hierdurch will Management Learning folgende Unternehmensziele unterstützen: eine
Verstärkung der Geschäfts- und Kundenorientierung, eine Förderung selbstverantwor-
teten Lernens in einer dezentralen Organisation und einen weltweiten Pool geschäfts-
relevanten Wissens als Basis für eine lernende Organisation.

4.2 Die Elemente von Management Learning


Das System von Management Learning umfasst weltweit nur vier Programme, ein Ma-
nagement Introduction Program, ein Management Development Program, ein Advanced
Management Program und ein Leadership Program, zur Vereinfachung der unterneh-
mensinternen Kommunikation mit den Kürzeln S5 bis S2 versehen. Diese Programme
unterscheiden sich hinsichtlich der Zielgruppen, der Lernziele und der Reichweite, sind
jedoch von der Struktur und den Prinzipien her identisch (vgl. Abbildung 1).
S5 richtet sich an Mitarbeiter mit eindeutigem und überdurchschnittlichem Potenzial
für künftige Führungsaufgaben. Vorrangiges Programmziel ist die Verstärkung der
Fähigkeit zum Selbstmanagement in den unterschiedlichen Aufgabenbereichen des
Unternehmens.
S4 bereitet auf eine erste Führungsaufgabe vor und hat deshalb den Erwerb von Ma-
nagement-Fähigkeiten zum Ziel; Teilnehmer haben in der Regel eine über die erste
Managementaufgabe hinausgehende Potenzialaussage. Beide Programme, S5 und S4,
werden lokal durchgeführt, und die Verantwortung für die Implementierung und Wei-
terentwicklung liegt bei den Siemens-Landesgesellschaften. Kleinere Landesorgani-
sationen kooperieren hierbei mit Nachbarländern, um eine Economy of Scale zu ge-
währleisten. Dabei werden sie durch die weiter unten noch beschriebenen Regional
Learning Councils und die Regional Learning Manager unterstützt.

Abbildung 1: Siemens Managment Learning


258 Matthias Bellmann

S3 entwickelt Führungskräfte mit mehrjähriger Führungserfahrung für umfassende


funktionale Aufgaben in einem Kernprozess, zum Beispiel als Leiter einen Profit Cen-
ters mit Umsatz- und Ergebnisverantwortung. Demzufolge steht hier die Förderung
unternehmerischen Potenzials im Vordergrund. S3 ist ein regionales Programm, das
gemeinsam für die Landesgesellschaften der jeweiligen Großregion durchgeführt wird
und ausschließlich in englischer Sprache stattfindet.
Die Verantwortung für die Gestaltung liegt im Rahmen der vorgegebenen einheitli-
chen Strukturen und Elemente bei den Regional Learning Councils, für die Durch-
führung bei den Regional Learning Managern.
S2 bereitet auf Führungsaufgaben vor, die das Management eines operativen Ge-
schäfts mit in der Regel globaler Reichweite, also z. B. das Management eines Ge-
schäftszweiges oder Geschäftsgebietes. In der Regel handelt es sich dabei um Kon-
zernschlüsselfunktionen, deren Besetzung und Nachfolgeplanung Gegenstand eines
regelmäßigen Reviews des Konzernvorstands sind. Das Programm wird weltweit zen-
tral und einheitlich durchgeführt und von einem Programm-Manager begleitet. Ziel ist
der Ausbau von unternehmerischen Fähigkeiten hin zu Leadership-Fähigkeiten.
Alle Programme folgen einer einheitlichen Struktur (vgl. Abbildung 2). Sie bestehen
aus der Kombination von Workshops, E-Learning und sogenannten Business Impact
Projects und dauern in der Regel ein Jahr. Diese Dauer wurde gewählt, weil
• die Programme tätigkeitsbegleitend bzw. -integriert stattfinden,
• überdauernde Lerneinstellungen und der Aufbau eines stabilen, unternehmensüber-
greifenden Netzwerkes Zeit beanspruchen und
• der Erwerb individuellen Wissens dem persönlichen Zeitbudget des Lernenden an-
gepasst werden soll.
Die etwa einwöchigen Workshops haben im Wesentlichen zum Ziel, Lern- und
Führungseinstellungen der Teilnehmer zu thematisieren und ihre Veränderung einzu-
leiten. Zugleich werden wesentliche Wissenselemente eingeführt, deren Beherrschung

Abbildung 2: Programmstruktur Siemens Management Learning


Siemens Management Learning 259

für die Wahrnehmung einer Funktion der jeweils angezielten Führungsebene aus-
schlaggebend ist, z.B. Finanzmanagement, Strategisches Management oder Verände-
rungsmanagement. Alle Workshopinhalte sind aber stets mit einer unmittelbaren An-
wendungsmöglichkeit im Rahmen der eigenen Tätigkeit und/oder im Zuge der auf die
Workshops folgenden Selbstlernphasen bzw. Lernphasen im Team verknüpft. Diese so
genannten Intersessions (als Struktur des E-Learnings) nutzen die Vernetzung der
Teilnehmer im unternehmenseigenen Intranet und setzen das Lernen der Gruppen im
Workshop virtuell im Netz fort.
E-Learning stellt über das beste verfügbare externe Wissen hinaus den Lernenden in
allen Programmen auch das jeweilige Siemens-spezifische Wissen via Intranet zur
Verfügung. Hierbei wurden (und werden weiterhin) erhebliche Anstrengungen unter-
nommen, die in den Siemens-Fachabteilungen und operativen Einheiten vorliegenden
Erfahrungen und Best Practices lernmethodisch für das Intranet aufzubereiten und
über verschiedene Zugänge (z. B. die gängige curriculare Gliederung von MBA-Pro-
grammen) verfügbar zu machen. Unter der Überschrift „Siemens Learning Landsca-
pe“ sind eine Vielzahl von Siemens-spezifischen Themen, etwa zu „Accounting &
Finance“ oder „Strategy“, abrufbar, die das jeweils beste verfügbare Know-how des
Unternehmens repräsentieren. Ziel ist es, eine mit vielen anderen Initiativen des
Unternehmens integrierte „Knowledge Landscape“ aufzubauen und permanent wei-
terzuentwickeln, die über den reinen Bedarf von Siemens Management Learning weit
hinausgeht. Lokale und regionale Management-Learning-Websites ergänzen die un-
ternehmenszentrale Distance-Learning-Plattform, auch um dem Bedarf nach einem
zusätzlichen eigenen Profil in den verschiedenen Landessprachen gerecht zu werden.
Im Übrigen stehen sämtliche weiteren Informationen zu Siemens Management Learn-
ing einschließlich Programmbroschüren, Anmeldeverfahren etc. im unternehmensei-
genen Intranet zur Verfügung.
Ein besonderer Schwerpunkt der Konzeption von Siemens Management Learning lag
auf der Entwicklung einer wirksamen, durchführbaren und auf andere Anforderungen
des realen Geschäfts durchgängig übertragbaren Action-Learning-Komponente. Gera-
de durch diesen Bestandteil der Lernprogramme soll das funktions-, bereichs- und
länderübergreifende Lernen an realen Geschäftschancen eingeübt und gleichzeitig ein
konkreter, messbarer Nutzen für die Siemens-Geschäfte realisiert werden. Ausführ-
liche Analysen der Erfahrungen anderer Unternehmen mit dieser Lernform in der
Konzeptionsphase von Management Learning erbrachten eine Fülle von Erkenntnis-
sen, die in der für Siemens entwickelten Variante von Action Learning umgesetzt wurden.
Unter dem programmatischen Titel „Business Impact Projects“ (BIP) wurden ein Pro-
zess und ein dazu gehöriges Instrumentarium entwickelt, die durch folgende Prinzi-
pien gekennzeichnet sind:
Die Themen (die sogenannten Business Opportunities) für diese Lernphase werden in
der Regel von den Teilnehmern selbst in einem der Siemens-Geschäftsbereiche identi-
fiziert und ein sogenannter Coach/Client für die Durchführung des Projektes gewon-
nen. Dieser Coach/Client ist der Geschäftsverantwortliche für den Prozess, auf den
das Projekt zielt. Er hat die funktionale Möglichkeit und auch das persönliche Interes-
260 Matthias Bellmann

se, die Projektergebnisse umsetzen zu lassen. Die Business Opportunity muss zu-
gleich dem Programm-Level des jeweiligen Management Learning Programs S5 bis
S2 entsprechen und vorrangig für eine Lösung heranstehen. Um auch potenziellen
Coaches/Clients die Möglichkeit zu geben, ohne eine direkte Ansprache durch Teil-
nehmer des Management Learnings Business Opportunities zu benennen, wurde im
Siemens Intranet ein „BIP-Marketplace“ eingerichtet, auf dem für Business Opportu-
nities und deren Behandlung in einem BIP geworben werden. BIPs werden grundsätz-
lich in Teams von vier bis sechs Teilnehmern bearbeitet, wobei keiner der Teilnehmer
dem Arbeitsgebiet unmittelbar angehören soll, dem die Business Opportunity zuge-
ordnet ist. Das durch die jeweiligen Teams definierte Ziel des BIP wird in einem sys-
tematischen Prozess in Zusammenarbeit mit dem Coach so eingeengt, dass das Pro-
jekt in einem Zeitraum von etwa vier bis sechs Monaten noch während des jeweiligen
Programms abgeschlossen werden kann und zu einem messbaren Beitrag zum
Geschäft des jeweiligen Unternehmensteils führt. Um dies sicherzustellen, steht ein
eigens entwickeltes, auf Best-Practice-Erfahrungen aufbauendes Verfahren zur Verfü-
gung, das die anfangs üblicherweise überdimensionierten Projektideen systematisch
eingrenzt und auf einen wirksamen Hebel für einen konkreten und messbaren Beitrag
für zugrunde liegende Geschäftsaufgaben reduziert. Die Projektergebnisse werden im
Intranet dokumentiert und sind damit auch für andere Bereiche des Unternehmens
verfügbar und übertragbar.

4.3 Implementierungsplanung und -vorgehen

Management Learning hat 1997 alle bisherigen Management-Training-Veranstaltun-


gen (ca. 30 Seminare) innerhalb von Siemens abgelöst, soweit sie im Rahmen der Ma-
nagemententwicklung des Unternehmens vorgegeben waren, und die beschriebenen
vier Programme verpflichtend vorgegeben. An den etwa sechsmonatigen Vorarbeiten,
die ein intensives Benchmarking und eine Auswahl der künftigen externen Partner
einschlossen, waren sogenannte Regional Learning Councils beteiligt, die in allen
Großregionen (Europa, Asien-Pazifik, Nordamerika und Lateinamerika) gebildet wur-
den und in denen Vertreter sowohl der Unternehmensbereiche wie auch der Landes-
organisationen von Siemens beteiligt sind. Zugleich wurde das bis dahin zentralisierte
Management dieser Aktivitäten mit der Benennung so genannter Regional Learning
Manager dezentralisiert, die für die Implementierung und die Koordination aller
regionalen und lokalen Management-Learning-Aktivitäten in ihren Regionen verant-
wortlich sind.
Siemens Management Learning 261

5. Ergebnisse und Erfahrungen


Die Neukonzeption von Siemens Management Learning, die Implementierung, welt-
weit und über alle Programmstufen in weniger als einem Jahr, der damit verbundene
Aufbau der entsprechenden Ressourcen und die Information der gesamten Organisati-
on über Ziele, Inhalte und Ablauf der neuen Programme sowie die nahezu komplette
Ablösung aller ehemaligen Trainingselemente waren zweifellos mit einigen Risiken
verbunden. Die vorliegenden Erfahrungen aus im Jahre 2005 sieben Jahren Manage-
ment Learning haben jedoch gezeigt, dass das neue Modell exakt den Bedarf der
Organisation trifft, weitere weltweit angelegte Initiativen des Unternehmens gut
unterstützt und von den Teilnehmern und auch der interessierten Öffentlichkeit (vgl.
Ewing, 1999) sehr positiv beurteilt wird.
Erfolgskriterien sind dabei die hohe Integration der Programmbausteine (Workshops,
Action-Learning und E-Learning), die Freiräume für lokale und regionale Modifi-
kationen und damit kulturelle Adaptionen, die unmittelbare Anwendbarkeit des Ge-
lernten auf die eigene Aufgabe und das eigene Geschäft sowie die Unterstützung und
aktive Beteiligung des Top-Managements. Nicht zuletzt war es richtig, das Modell
von vornherein selbst als ein lernendes System anzulegen, das permanente Verbesse-
rungen nicht nur erlaubt, sondern zwingend einschließt. So werden mit allen Partnern,
den Programmverantwortlichen, den Teilnehmern und den externen Dienstleistungs-
anbietern nach jeder Programmsequenz mögliche Modifikationen untersucht und –
falls sinnvoll – sofort in den Programmen des gleichen Levels bzw. auf anderen
Programmebenen umgesetzt.
Mit Siemens Management Learning wurden bewusst eine Anzahl neuer Kulturele-
mente der Managemententwicklung und des Lernens in das Unternehmen eingeführt.
Diese betrafen, wie oben dargestellt, vor allem die Leistungs- und Ergebnisorien-
tierung von Lernprozessen, das Lernen auch in virtuellen Lernumgebungen, den welt-
weiten Austausch von aus Lernprozessen entstehenden Wissens unter Nutzung
modernster Technologien sowie die Forderung nach Lernen als einen in die Arbeit in-
tegrierten, andauernden Prozess. Den Verantwortlichen war von vornherein klar, dass
die Übertragung dieser Forderungen in überdauernde Verhaltensänderungen von
Führungskräften Zeit beansprucht. Für dieses Investment in Zeit derart zu motivieren,
dass für alle Beteiligten auch kurzfristig Erfolge sichtbar werden, ist die Realisierung
vielleicht eines der grundlegendsten Lernprinzipien.
Im Oktober 2005 liefen weltweit gleichzeitig 62 Programme mit fast 1.700 Teilneh-
mern. Fast 600 Programme mit ca. 13.500 Teilnehmern sind seit dem Start von Mana-
gement Learning abgeschlossen.
262 Matthias Bellmann

6. Potenziale der Weiterentwicklung


Der Fokus von Siemens Management Learning lag bisher auf der vertikalen Entwick-
lung von Eliten mit deutlich überdurchschnittlichem Leistungs- und Förderpotenzial.
In einer nun bevorstehenden zweiten Phase müssen die bisher gewonnenen Erkennt-
nisse und erprobten Techniken und Abläufe auch auf Formen der horizontalen Ent-
wicklung übertragen werden, nicht zuletzt durch die bisherigen Teilnehmer selbst in
ihren eigenen Verantwortungsbereichen. D. h. dass nun besondere Zielgruppen etwa
im Projektmanagement eine ihrem besonderen Fachinteresse und -bedarf angepasste
Lernentwicklung erfahren (die gleichwohl mit der übergreifenden Führungskräfteent-
wicklung verbunden ist) und Führungskräfte auf und für eine bestimmte Führungs-
ebene (etwa Profit Center Manager) ergänzende Lernprozesse durchlaufen, die die
von ihnen geforderte eigeninitiative Lernentwicklung unterstützt und anregt.

Literatur
Allee, V., The Knowledge Evolution. Expanding Organizational Intelligence. Boston 1997
Bellmann, M., Siemens Management Learning: A Highly Integrated Model to Align Learning Pro-
cesses with Business Needs, in: Y. Boshyk (Hrsg.), Business Driven Action Learning. Global
Best Practices, Houndsmill, Basingstoke, Hampshire and London 2000, S. 140–151
Edvinsson, L./Malone, M. S., Intellectual Capital. Realizing Your Company’s True Value by Fin-
ding Its Hidden Roots, New York 1997
Ewing. J./Siemens, Building a ‘B-School’ in its own backyard, in: Business Week, Nov 15, 1999,
109–110
Handy, Ch., The Age of Unreason, Boston 1989
Hartge, Th., Neue Medien in der Personalentwicklung – Bausteine für das lernende Unternehmen,
in: Freimuth, J./Haritz, J./Kiefer, B.-U. (Hrsg.), Auf dem Wege zum Wissensmanagement. Per-
sonalentwicklung in lernenden Organisationen, Göttingen 1997, S. 295–305
Logan, R. K., The Fifth Language. Learning a Living in the Computer Age. Toronto 1995
Nonaka, I./Takeuchi, H., The Knowledge-Creating Company. How Japanese Companies Create the
Dynamics of Innovation. New York 1995
Schaffer, R. H., The Breakthrough Strategy. Using Short-term Successes to Build the High Perfor-
mance Organization, New York 1988
Schaffer, R. H., High Impact Consulting. How Clients and Consultants Can Leverage Rapid Results
Into Long-Term Gains, San Francisco 1997
Schaffer, R. H./Ashkenas, R. N., Rapid Results! How 100-Day Projects Build The Capacity for
Large-Scale Change, San Francisco 2005
Senge, P. M., The Fifth Discipline. The Art and Practice of the Learning Organization, New York
1990
Sveiby, K. E., The New Organizational Wealth. Managing & Measuring Knowledge-Based Assets,
San Francisco 1997
The Price Waterhouse Change Integration Team, The Paradox Principles. How High-Performance
Companies Manage Chaos, Complexity, and Contradiction to Achieve Superior Results, Chicago,
London, Singapore 1996
Internationale Managemententwicklung im
Volkswagen-Konzern
Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

1. Herausforderungen internationaler Managemententwicklung


2. Ziele internationaler Managemententwicklung
3. Strategische und kulturelle Einbindung der internationalen Personalpolitik
4. Gestaltung der internationalen Managemententwicklung
4.1 Aller Anfang: Personalauswahl
4.2 Internationale Personalentwicklungsplanung
4.3 Instrumente internationaler Managemententwicklung
4.3.1 Maßgeschneiderte internationale Entwicklungsprogramme
4.3.1.1 The sky is the limit – Internationales Traineeprogramm
4.3.1.2 Traineeprogramm China
4.3.1.3 International Personnel Development Program
4.3.1.4 Junior Management Program
4.3.1.5 International Leadership Program
4.3.1.6 Group Executive Program
4.3.1.7 Group Executive Forum
4.3.2 Weitere internationale Entwicklungsbausteine
4.3.2.1 Internationale Business Schools
4.3.2.2 Einzelcoaching im internationalen Kontext
4.3.2.3 Unterstützende Maßnahmen
5. Zusammenfassung und Ausblick
Literatur

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_18,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
264 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

1. Herausforderungen internationaler Management-


entwicklung
Als einer der weltweit führenden Automobilhersteller ist der Volkswagen-Konzern in
allen wichtigen Märkten der Erde aktiv. An 47 Fertigungsstätten rund um den Globus
produziert Volkswagen seine Fahrzeuge und fahrzeugbezogenen Dienstleistungen und
vertreibt diese in mehr als 150 Ländern.
Die globale Präsenz des Volkswagen-Konzerns ist zugleich Ursache und Bedingung
für eine stärkere Diversifizierung im Management. Die Führungskräfte von Volks-
wagen müssen in der Lage sein, in komplexen, globalen Prozessen zu denken und
zugleich die Dynamik lokaler Märkte zu verstehen. Darüber hinaus müssen sie die
Bedürfnisse der lokalen Stakeholder, insbesondere der Kunden, erkennen und in ihr
tägliches Handeln integrieren. Zusätzlich stellt die zunehmende Internationalisierung
am Arbeitsplatz (bedingt durch internationale Stellenbesetzungen und Job-Rotationen,
interkulturelle Projekt-Teams etc.) erhöhte Ansprüche an Kommunikation und inter-
kulturelle Kompetenz.
Damit die Manager von Volkswagen den gesteigerten Ansprüchen einer globalen
Wirtschaft gerecht werden können, wurden verschiedene internationale Management-
entwicklungsmaßnahmen ins Leben gerufen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur
Erhaltung und Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter im internationa-
len Kontext (siehe dazu Kapitel 3).
Aus Sicht des Unternehmens werden mit der gezielten internationalen Qualifizierung
und Förderung von Potenzialträgern noch weitere wichtige Ziele verfolgt. Angesichts
des zunehmenden Preiswettbewerbs in der Automobilindustrie ist es entscheidend,
Innovationen möglichst schnell und kostengünstig zur Marktreife zu bringen. Dabei
sind qualifizierte Mitarbeiter weltweit ein kritischer Erfolgsfaktor. Gleichzeitig wer-
den leistungsfähige Mitarbeiter als wesentliche Werttreiber im Unternehmen bedingt
durch den demografischen Wandel immer knapper. Ursächlich für die gesellschaft-
liche Alterung sind zwei sich verstärkende Entwicklungen: der erfreuliche Anstieg der
Lebenserwartung und der gleichzeitige Rückgang der Geburtenrate. Für Unterneh-
men bedeutet dies, dass das Erwerbspersonenpotenzial ab 2010 kontinuierlich sinken
wird. Für die Bundesrepublik Deutschland wird prognostiziert, dass die Zahl der 35-
bis 44-Jährigen in den nächsten 10 Jahren um etwa 30 % zurückgehen wird. Auch in
anderen für Volkswagen wichtigen Ländern wie z. B. den Vereinigten Staaten von
Amerika, Spanien, der Tschechischen Republik, Mexiko und sogar in der Volksrepu-
blik China wird es in Zukunft eine Verknappung an Managementressourcen geben.
Vor diesem Hintergrund stellen sich globale Managemententwicklungsmaßnahmen
immer mehr als erfolgskritische Aktivität im Unternehmen dar. Im Volkswagen-Kon-
zern setzt man diese Erkenntnis um, indem Talente nicht nur lokal, sondern auch über
die Grenzen einzelner Gesellschaften und Standorte hinaus gefördert werden. Ähn-
liches gilt für die internationale Stellenbesetzung. Während in der Vergangenheit Mit-
arbeiter vorwiegend vom deutschen Stammsitz aus ins Ausland versetzt wurden, sorgt
ein internationaler Talent-Pool (siehe S. 269) heute für ein sinnvolles Maß an Versen-
dungen auch nach Deutschland sowie zwischen Drittländern.
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 265

Eine globale Ausrichtung der Managemententwicklung setzt eine internationale Orga-


nisation des Personalwesens bzw. -managements im Unternehmen voraus. Für Volks-
wagen bedeutet dies, dass bestimmte HR-Funktionen zentral aus Wolfsburg ausgeübt
werden, während andere von lokalen Entscheidungsträgern in den einzelnen Gesell-
schaften übernommen werden. Nur durch eine gezielte Organisation aus zentralen
und dezentralen Aufgaben kann sichergestellt werden, dass bestimmte Qualifikations-
standards konzernweit Geltung finden, ohne dabei die Flexibilität der lokalen Anpas-
sungsmöglichkeit zu verlieren. Immerhin ist ungefähr die Hälfte aller rund 7.500 bei
der Volkswagen AG beschäftigten Manager außerhalb Deutschlands tätig.

2. Ziele internationaler Managemententwicklung


Als Ziel der Personalentwicklung wird in der Managementliteratur häufig die Ver-
besserung und Förderung der Mitarbeiterqualifikationen genannt, damit diese gegen-
wärtigen und zukünftigen Aufgaben gewachsen sind und ihre Qualifikationen den
Leistungsanforderungen des Unternehmens entsprechen. Zukünftige, personalpoliti-
sche Herausforderungen und Leistungsanforderungen von Volkswagen wurden im
vorhergehenden Kapitel angerissen. Daraus leiten sich folgende Zielsetzungen für die
internationale Managemententwicklung im Konzern ab:
• Vom Einsteiger bis zum Top-Manager – eine weltweite, systematische und durch-
gängige Entwicklung von Talenten,
• Vorbereitung der Führungskräfte auf ein zunehmend internationales Arbeitsumfeld,
• Verankerung konzernstrategischer Initiativen im Management,
• Realisierung von Synergien innerhalb des Volkswagen-Konzerns,
• Förderung der konzernweiten Netzwerkbildung,
• Den demografischen Wandel proaktiv managen.
Insgesamt ist es das Ziel der internationalen Managemententwicklung bei Volkswa-
gen, weltweit neue Handlungsräume zu eröffnen, um damit einen Beitrag zur Umset-
zung der Unternehmensstrategie zu leisten.

3. Strategische und kulturelle Einbindung der


internationalen Personalpolitik
Die Konzernstrategie von Volkswagen gibt die grundsätzliche Ausrichtung der einzel-
nen Marken und Gesellschaften vor. Wie im ersten Kapitel angedeutet, leiten sich aus
der Unternehmensstrategie bestimmte personalpolitische Maßnahmen ab. Eine Pas-
sung zwischen der Personalstrategie und den strategischen Zielen des Volkswagen-
Konzerns ist wichtig, um die Akzeptanz im Unternehmen sicherzustellen. Nur dann
kann das Personalmanagement einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Was
das konkret für die internationale Managemententwicklung bei Volkswagen bedeutet,
wird im Folgenden erläutert.
266 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

Ein zentrales Unternehmensziel der Volkswagen AG ist die Erschließung neuer Märkte.
Personalpolitisch bedeutet dies, dass auch für die Emerging Markets Managementent-
wicklungskonzepte und -maßnahmen bereitgehalten werden müssen. Es geht dabei
aber nicht darum, die in Deutschland entwickelten und etablierten Entwicklungsins-
trumente in diese Länder zu „exportieren“. Vielmehr werden existierende Tools den
lokalen Bedürfnissen angepasst bzw. neu entwickelt.
Als weiteres Ziel verfolgt Volkswagen die Nutzung von Skaleneffekten innerhalb des
Konzerns. Bezugnehmend auf die Managemententwicklung bedeutet dies, globale
Mindeststandards für die Auswahl, Beurteilung und Qualifikation von Mitarbeitern zu
etablieren. Diese erleichtern die interne Kommunikation und schaffen eine Grundlage
für konzernweite, internationale Stellenbesetzungen und Job-Rotations. Trotz gewisser
Mindeststandards verlieren die Konzernmarken ihr eigenständiges Profil nicht. Ganz
im Gegenteil. Die einzelnen Marken haben unter Berücksichtigung der globalen Min-
deststandards die Freiheit, sich entsprechend der lokalen Bedürfnisse auszurichten.
Personalentwicklungsmaßnahmen sind nur dann erfolgreich, wenn es neben dem strate-
gischen „Fit“ auch einen kulturellen „Fit“ gibt. Die Unternehmenskultur von Volkswa-
gen manifestiert sich in 7 Werten und Leitlinien (vgl. Abbildung 1). Die Konzernwerte
und die dazugehörigen Leitlinien sind die Handlungsmaxime für die Mitarbeiter des
Volkswagen Konzerns. Es ist daher selbstverständlich, dass die Managemententwick-
lung im gesamten Volkswagen-Konzern im Einklang mit der Unternehmenskultur steht.
Dazu sei an dieser Stelle beispielhaft erwähnt, dass die internationale Management-
Entwicklung bei Volkswagen einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Unter-
nehmen leistet. Durch frühzeitige und permanente Förderung von Talenten und deren
Austausch weltweit wird die Deckung des heutigen und zukünftigen Bedarfs an qua-
lifizierten Führungsnachwuchskräften sichergestellt. Ähnliches gilt für die Erneue-
rungsfähigkeit. Internationale Managemententwicklungstools wie das International
Leadership Programm oder das Group Executive Programm (siehe dazu Kapitel
4.3.1) ermöglichen den Wissenstransfer über Gesellschaften, Landesgrenzen und
Kulturen hinaus. Bei Volkswagen ist man davon überzeugt, dass gerade durch die
Nutzung kultureller Synergien neue Ideen und Innovationen entstehen. In diesem
Sinne werden kulturelle Unterschiede als Chance und nicht als Gefahr begriffen.

4. Gestaltung der internationalen Managemententwicklung


4.1 Aller Anfang: Internationale Personalauswahl

Personalentwicklungsmaßnahmen können nur dann den vollen Erfolg erzielen, wenn


die Mitarbeiter entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse gefördert werden. Die
besten und teuersten Entwicklungsbausteine nützen nichts, wenn sie der falschen Per-
son zuteil werden. Aus diesem Grund ist eine treffsichere Personalauswahl die wich-
tigste Voraussetzung für erfolgreiche internationale Managemententwicklung.
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 267

Kundennähe
• Wir stellen das Interesse der Kunden in den Vordergrund, damit wir das Inte-
resse der Mitarbeiter, der Shareholder und anderer Stakeholder erfüllen können.
• Unsere internen Maßstäbe orientieren sich konsequent an den Bedürfnissen,
Erwartungen und Wünschen unserer Kunden.
Respekt
• Wir achten die Leistungen anderer – unserer Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetz-
ten, Geschäftspartner und Wettbewerber.
• Hierarchie korrigiert nur im Ausnahmefall die Kompetenzentscheidung.
Werte schaffen
• Add values or don’t do it.
• Die Aufgabe der Funktion ist die Unterstützung der Prozesse.
Verantwortung
• Wir geben Freiraum, fordern Freiraum und nutzen den Freiraum.
• Unsere Ziele sind ehrgeizig, die Planungsannahmen realistisch und die Berich-
te ehrlich.
Nachhaltigkeit
• Wir berücksichtigen in unserem täglichen Handeln die beschlossenen, langfris-
tigen Ziele des Unternehmens.
• Jeder Top-Manager macht sich zum Mentor von Zukunftsthemen.
Höchstleistung
• Erstklassige Ergebnisse können wir nur erreichen, wenn jeder Einzelne hohe
Ansprüche an sich selbst stellt.
• Höchstleistung, persönliche Erfolgserlebnisse und Gesundheit gehören zusam-
men.
Erneuerungsfähigkeit
• Ich kämpfe für meine Ideen und bin offen für die Ideen anderer.
• Wir ruhen uns nicht auf unseren Erfolgen aus, sondern entwickeln konsequent
neue Ideen und Konzepte.

Abbildung 1: Werte und Leitlinien des Volkswagen-Konzerns

Bei Volkswagen wird bereits bei Berufseinsteigern geprüft, inwiefern sich die Kandi-
daten für eine internationale Laufbahn im Konzern eignen. Wer beispielsweise über
das Internationale Traineeprogramm der Marke Volkswagen einsteigen möchte, muss
während seines Studiums, zusätzlich zu seinen fachlichen und überfachlichen Quali-
fikationen, umfangreiche Erfahrungen im Ausland gesammelt haben sowie mehrere
Sprachen sprechen. Diese und weitere Anforderungen werden durch mehrere Instan-
zen überprüft, bevor die Kandidaten ein 1,5-tägiges Assessment Center (AC) durch-
laufen. Durch ein aufwändiges Einstellungsverfahren wird gewährleistet, dass ausschließ-
lich hoch qualifizierte Talente mit einem hohen Maß an sozialer Kompetenz und
globalem Denkvermögen das internationale Entwicklungsprogramm absolvieren.
268 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

Mitarbeiter, die bereits mehrjährige Erfahrung bei Volkswagen gesammelt haben und
vor der Berufung ins Management stehen, müssen ebenfalls ein mehrtägiges AC be-
stehen. Der Auswahlprozess ist einheitlich und somit transparent gestaltet. Durch die
Einigung auf bestimmte Mindeststandards ist es möglich, über Marken und Gesell-
schaften hinweg, unterschiedliche Formen des Assessments anzuwenden, die in ihren
Anforderungen alle miteinander vergleichbar sind.
Wird ein Mitarbeiter ins Ausland entsandt, hat er den Schritt ins Management von
Volkswagen über das AC in der Regel bereits genommen. Darin wurden bereits Fakto-
ren wie soziale und interkulturelle Kompetenz abgeprüft. Zusätzlich können der Mit-
arbeiter und sein/ihr Partner anhand eines Selbsteinschätzungsbogens die Motivation
für einen Auslandseinsatz analysieren. Zugleich regt die Selbsteinschätzung die Refle-
xion des Mitarbeiters und seiner Familie über die Chancen und Risiken eines Aus-
landseinsatzes an. Auf diese Weise können sie sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt
damit auseinander setzen.
Die hier beispielhaft dargestellten Personalauswahlinstrumente für die internationale
Stellenbesetzung verdeutlichen, welche Bedeutung der Personalauswahl bei Volks-
wagen insgesamt zukommt. Ziel ist es hier, Auswahlprozesse in Zukunft noch stärker
an konzernweit-gültigen Standards auszurichten.

4.2 Internationale Personalentwicklungsplanung

Der nächste wichtige Schritt im Zuge einer internationalen Personalpolitik ist die Ent-
wicklungsplanung. Managementplanung und -entwicklung stehen bei Volkswagen im
Gleichklang mit der Dynamik der Geschäftsprozesse und greifen über Funktionen,
Bereiche, Werke und Regionen hinweg. Mittel- und langfristig können erfolgsorien-
tierte und innovative Prozesse der Produktentstehung, -herstellung und -vermarktung
im Volkswagen-Konzern nur sichergestellt werden, wenn diese auch durch entspre-
chende Prozesse der Managemententwicklung vorausschauend begleitet und vorberei-
tet werden. Auf Organisationsebene findet die Managemententwicklungsplanung bei
Volkswagen im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Managementplanungsrunden
statt. Auf Mitarbeiterebene wird sie über individuelle Entwicklungspläne abgewickelt.
Der persönliche Entwicklungsplan unterstützt die Transparenz über Werdegang, ge-
genwärtige Funktion und Kompetenz, sowie zukünftige Einsatzwünsche und -mög-
lichkeiten. Er ist in den Prozess der Managementplanungsrunden eingebettet. Be-
setzungs-, Nachfolge- und Berufungsentscheidungen sind dabei ebenso Thema wie
Gehaltsentwicklungen. Die internationale Personalentwicklungsplanung ist über eine
jährliche Planungsrunde zwischen den verantwortlichen Personalmanagern und dem
Konzern-Vorstand mit in den Planungsprozess eingebunden. Darin wird u. a. disku-
tiert, welche offenen Stellen im Konzern von einem internationalen Kandidaten profi-
tieren könnten, welche Mitarbeiter in den Global Exchange of Talents (GET)-Pool
(vgl. Abbildung 2) aufgenommen werden sollten und welche strategischen Ziele mit
einzelnen Positionen im Unternehmen verbunden sind.
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 269

GET – Global Exchange of Talents


Strategisches Ziel der Personalpolitik bei Volkswagen ist eine weitere Internatio-
nalisierung und Diversifizierung des Personals über alle Gesellschaften hinweg.
Operativ umgesetzt wird dieses Ziel z. B. durch den Prozess des Global Exchange
of Talents (GET). Dieser gestaltet sich wie folgt: Ein Manager wird von der Hei-
matgesellschaft für den GET-Pool vorgeschlagen. Aus diesem Pool werden dann
die Kandidaten für international zu besetzende Positionen im Volkswagen-Kon-
zern rekrutiert. Sowohl die Talente im Unternehmen, die Gastgesellschaft als
auch der Volkswagen-Konzern profitieren von diesem Prozess: Die Mitarbeiter
des GET-Pools erhalten kontinuierlich eine Übersicht mit attraktiven, internatio-
nal neu zu besetzenden Stellen. Die Gastgesellschaften ihrerseits können zwischen
verschiedenen Kandidaten den besten auswählen. So wird gewährleistet, dass
unabhängig vom Geschlecht, der Nationalität, dem kulturellen Hintergrund etc.
der jeweils Beste aus dem Konzern auf die zu besetzende Stelle versetzt wird.

Abbildung 2: Global Exchange of Talents

4.3 Instrumente internationaler Managemententwicklung

In Bezug auf die Managemententwicklung wird bei Volkswagen großer Wert darauf
gelegt, dass eine sinnvolle Synthese zwischen Managemententwicklung „on-the-job“
und „off-the-job“ hergestellt wird. Unter Berücksichtigung dieses Anspruches exis-
tiert ein Spektrum an verschiedenen internationalen Entwicklungsprogrammen, das
beim Berufseinsteiger ansetzt und alle Führungskräfte bis zum Top-Management be-
gleitet. Die wesentlichen Entwicklungsprogramme daraus werden im Folgenden kurz
vorgestellt.
270 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

4.3.1 Maßgeschneiderte internationale Entwicklungsprogramme

Abbildung 3: Internationale Entwicklungsprogramme bei Volkswagen – vom Berufsanfänger bis


zum Top-Manager

4.3.1.1 The sky is the limit – Internationales Traineeprogramm

Das Internationale Traineeprogramm von Volkswagen blickt auf eine 50-jährige Tra-
dition zurück. Ziel des 15-monatigen Entwicklungsprogramms ist die Rekrutierung,
Entwicklung und Sicherung von Führungsnachwuchskräften für Volkswagen. Das
Programm vermittelt einen umfassenden Einblick über die komplexen Zusammen-
hänge innerhalb des Konzerns. Es setzt sich aus verschiedenen „on-the-job“- und
„off-the-job“-Programmbausteinen zusammen: Projektarbeit entlang der Prozesskette,
Aufenthalt in der Vertriebsregion, Einsatz in der Produktion/Bandaufenthalt, Semina-
re, Vortrags- und Kaminabende, computersimuliertes Unternehmensplanspiel usw.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle insbesondere der zwei- bis dreimonatige Projekt-
einsatz im Ausland. Während dieser Zeit lernen die Trainees die Arbeitsabläufe einer
anderen Gesellschaft sowie den Automobilmarkt des Gastlandes kennen. Dies soll den
Blick für zukünftige internationale Tätigkeiten schärfen.

4.3.1.2 Traineeprogramm China

Um den Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften nicht nur am Heimatstandort


Wolfsburg zu sichern, sondern auch um den großen Herausforderungen im Wachs-
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 271

tumsmarkt China zu entgegnen, startete im letzten Jahr das Traineeprogramm China.


Das Programm richtete sich ausschließlich an Chinesen mit deutschem Hochschulab-
schluss, die bereits mehrere Jahre in Deutschland gelebt und studiert hatten. In einem
15-monatigen Entwicklungsprogramm am Stammsitz in Wolfsburg wurden die Trai-
ness für ihre zukünftige Tätigkeit bei Volkswagen in China qualifiziert. Ziel des
Traineeprogramms China war es, hoch qualifizierte, interkulturell erfahrene und mit
der Volkswagenwelt vertraute Fachkräfte auf ihren Einsatz in China vorzubereiten. Ein
Pate aus dem jeweiligen Fachbereich begleitete und unterstützte die Trainees während
dieser Zeit. Inzwischen sind die 23 chinesischen Trainees in ihre Heimat zurückgekehrt
und dort für unterschiedlichste Bereiche des Volkswagen-Konzerns tätig.

4.3.1.3 International Personnel Development Program

Auslandseinsätze gehören zu den klassischen Instrumenten der internationalen Perso-


nalentwicklung. Dabei wird der Mitarbeiter dort eingesetzt, wo er sich gut weiterent-
wickeln kann und gleichzeitig zur Wertschöpfung des Unternehmens beiträgt. Somit
ist der Auslandseinsatz ein wesentliches Element erfolgreicher Managemententwick-
lung bei Volkswagen und ein effektives Tool des Know-how-Transfers innerhalb des
Konzerns.
Mitarbeiter der Volkswagen AG können grundsätzlich als Foreign Service Employee,
Foreign Service Specialist oder im Rahmen eines International Personnel Develop-
ment im Ausland tätig werden. Die wesentlichen Merkmale dieser drei Entsendungs-
arten erläutert Abbildung 4. Während der internationale Einsatz als Foreign Service
Employee oder als Foreign Service Specialist in erster Linie auf Grund von Bedarfs-
meldungen der Auslandsgesellschaften erfolgt, steht beim International Personnel
Development die persönliche Entwicklung eines Potenzialträgers im Vordergrund.
Einer konkreten zeitlich befristeten Aufgabe bedarf es dazu in den meisten Fällen
nicht. Ziele des Programms sind:
• die individuelle Förderung von qualifizierten Potenzialträgern durch Arbeits- und
Informationsaufenthalte in ausländischen Konzerngesellschaften,
• die Vorbereitung auf zukünftige nationale und internationale Aufgaben im Konzern,
• die Stärkung der globalen und internationalen Orientierung des Managementnach-
wuchses aller Konzerngesellschaften,
• die vorbereitende Unterstützung internationaler Job-Rotations.
Der zeitlich auf bis zu 18 Monate begrenzte Auslandseinsatz erfolgt regelmäßig auf
Basis einer konkreten persönlichen Entwicklungsplanung. Diese wird während des
Einsatzes im Ausland in Abstimmung mit der Heimatgesellschaft fortgeschrieben und
unterliegt durch entsprechende Leistungsbeurteilungen einer Erfolgskontrolle.
Die Internationalisierungsstrategie des Volkswagen-Konzerns wird diesen entwick-
lungsorientierten Auslandseinsatz zukünftig verstärkt erforderlich machen.
272 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

Die drei Arten Auslandseinsätzen bei Volkswagen


1. Foreign Service Employee
• Vorrangiges Ziel: bedarfsorientierter Know-how-Transfer oder die Besetzung
einer strategisch wichtigen Position in der Gastgesellschaft
• Dauer: in der Regel 3 – 5 Jahre
• Zielgruppe: Mitglieder des Top-Managements, Managements, Management-
nachwuchskräfte und Know-how-Träger mit mehrjähriger Berufserfahrung im
Volkswagen-Konzern
2. Foreign Service Specialist
• Vorrangiges Ziel: Foreign Service Specialist erfüllt bedarfsorientiert und zeit-
lich befristet eine konkrete Arbeitsaufgabe, z. B. im Zusammenhang mit einem
Modellanlauf oder im Rahmen eines Projekts
• Dauer: zwischen 6 und 12 Monate, in Ausnahmefällen 18 Monate
• Zielgruppe: Fachexperten und Spezialisten
3. International Personnel Development
• Vorrangiges Ziel: Individuelle Förderung eines Mitarbeiters und dessen Vorbe-
reitung auf künftige nationale und internationale Aufgaben, wobei dies eben-
falls einen Know-how-Transfer einschließen kann.
• Dauer: 12 bis max. 18 Monate
• Zielgruppe: junge Potenzialträger, die international entwickelt werden sollen

Abbildung 4: Internationale Stellenbesetzung bei Volkswagen

4.3.1.4 Junior Management Program

Das Entwicklungsprogramm für Managementnachwuchskräfte, das bei der Marke


Volkswagen als Junior Management Program (JUMP) bekannt ist, beinhaltet ver-
schiedene „on-the-job“- und „off-the-job“-Bausteine. Zu den Ersteren gehören z. B.
Job Rotationes in andere Geschäftsbereiche oder ein Auslandsaufenthalt. Der empfoh-
lene Auslandseinsatz wird als besonders wichtig erachtet, da auf diese Weise interkul-
turelle Kompetenzen weiterentwickelt werden. Ziel dieser Programmstruktur ist die
bereichs- und länderübergreifende Entwicklung von Nachwuchskräften, um damit
einen einseitigen, auf einen Geschäftsbereich orientierten Karriereweg zu vermeiden.

4.3.1.5 International Leadership Program

In den Zeiten der Globalisierung, der Veränderung der Märkte und zunehmender
Komplexität werden die Anforderungen an Führungskräfte ständig größer. Es gilt,
schnell die richtigen Entscheidungen zielorientiert zu treffen, teamorientiert zu führen
und sich strategisch auszurichten. Das International Leadership Program (iLead) für
Führungskräfte des Volkswagen-Konzerns versucht diese Kompetenzen weiterzuent-
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 273

Wisssensmanagement bei Volkswagen


ww.deck – world wide development and exchange of corporate knowledge
Im internationalen Kontext bedeutet Wissensmanagement für Volkswagen, dass
• innovative lokale Lösungen konzernweit weitergegeben werden,
• Wissen jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung steht,
• Experten weltweit miteinander vernetzt sind,
• aus Fehlern im Unternehmen weltweit gelernt wird,
• wichtiges Wissen an den richtigen Stellen einmal aufgebaut wird.
Zur Realisierung dieser Ziele stehen verschiedene Werkzeuge zur Verfügung.
Bei einer transkulturellen Job-Rotation kann die Wissensstafette die Übergabe
einer Funktion erleichtern. Ein Berater des Teams Wissensmanagement unter-
stützt auf professionelle Weise den Transfer von Fach- bzw. Expertenwissen auf
den Nachfolger. Dazu werden sowohl Fakten- als auch Erfahrungswissen in so
genannten Wissenslandkarten festgehalten. Diese können neben dem Grundwis-
sen zum Fachgebiet auch typische Abläufe der Gesellschaft, Ansprechpartner
oder auch Vernetzungen und Querbeziehungen zu anderen Bereichen beinhalten.
Das Verfahren hat den entscheidenden Vorteil, dass sich die Beteiligten schneller
wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen können.
Global ausgerichtete Managemententwicklungsprogramme wie das Group Execu-
tive Program oder das Group Executive Forum (siehe Kapitel 4.3.1.6 – 4.3.1.7)
können ebenfalls von unterstützenden Prozessen des Wissensmanagements profitie-
ren. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Wissensnetzwerke von Bedeu-
tung. Sie dienen der weltweiten Vernetzung von Themenexperten, um marken- und
regionenübergreifend themenbezogen miteinander kommunizieren zu können.

Abbildung 5: Weltweites Lernen im Volkswagen-Konzern

wickeln und trägt dazu bei, dass Manager den Blick für das Wesentliche schärfen. Es
ermöglicht dem internationalen Teilnehmerkreis eine verdichtete Leadership-Erfah-
rung aus 3 Blickwinkeln: „sich führen“, „andere führen“ und „das Unternehmen
führen“. Die 3 Module finden über einen Zeitraum von 6 Monaten an drei internatio-
nalen Standorten des Konzerns statt. Dazwischen sind weitere Entwicklungsaktivitä-
ten möglich. So können die Teilnehmer sich zwischen dem ersten und zweiten Modul
ein Leadership-Feedback einholen. Nach dem zweiten Modul bereiten die Führungs-
kräfte in interkulturellen Teams eine internationale Fall-Studie für das dritte Modul vor.
Die Vorteile des Programms liegen auf der Hand. Für die Teilnehmer bietet iLead die
Möglichkeit, ihr persönliches Netzwerk zu erweitern, sie werden bei ihren Führungs-
aufgaben unterstützt und erleben einen Change-Management-Prozess. Nicht zuletzt
hat iLead einen sehr starken internationalen Fokus, wodurch die Teilnehmer zahlrei-
che interkulturelle Erfahrungen sammeln können.
274 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

Abbildung 6: Ablauf des International Leadership Program

Aus Sicht des Unternehmens besteht der Nutzen des Entwicklungsprogramms u. a. aus:
• der Schaffung einheitlicher Qualifizierungsstandards für das Volkswagen Manage-
ment weltweit zur Förderung internationaler Job Rotations,
• hoher Motivation der Teilnehmer und Commitment zur Führungsaufgabe,
• der Unterstützung bei realen Führungsherausforderungen durch das Transferpro-
jekt Leadership Challenge,
• der Unterstützung des lebenslangen Lernens der Führungskräfte,
• dem Ausbau des konzerninternen Netzwerkes.

4.3.1.6 Group Executive Program

Das Group Executive Program ist ein internationales, zielorientiertes Management-


entwicklungsprogramm und Action Learning Program. Ziele des neunmonatigen Pro-
gramms sind:
• die Weiterentwicklung der besten Führungskräfte und zukünftigen Top-Manager
im Konzern,
• die Schaffung von kultur-, funktions- und bereichsübergreifenden Lernmöglichkei-
ten für das Management im globalen Wettbewerb,
• die Stärkung der unternehmensinternen Netzwerke,
• die Förderung von interkultureller Teamarbeit mit erkennbaren Ergebnissen.
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 275

Jedes Jahr treffen sich dazu ca. 30 Führungskräfte aus allen Konzerngesellschaften,
die gemeinsam an konkreten, internationalen Projekten arbeiten und lernen. Die Aus-
wahl der Teilnehmer wird durch die Personalleitungen der Konzerngesellschaften
vorgenommen. Die Durchführung erfolgt gemeinsam mit einer international renom-
mierten Business School. Bei einer Dauer von vier bis sechs Tagen treffen sich die
Teilnehmer zum gemeinsamen Lernen auf internationalem Niveau. Parallel zum
Tagesgeschäft und zu den Modulen findet die Projektarbeit in multikulturellen und in-
terdisziplinären Teams von je vier bis sechs Teilnehmern statt. Diese soll dazu beitra-
gen, strategische Aufgabenstellungen der Konzerngesellschaften zu lösen. Unterstützt
werden die Teilnehmer dabei durch professionelle interne und externe Coaches, die
sowohl Einzel- als auch Teamcoaching-Sitzungen durchführen. Zwischen dem ersten
und zweiten Modul findet darüber hinaus eine 360-Grad-Beurteilung statt. Den Ab-
schluss des Programms bildet die Projektpräsentation vor Mitgliedern der Konzernlei-
tung und ausgewählten Top-Managern.

4.3.1.7 Group Executive Forum

Das Group Executive Forum versteht sich als strategisch ausgerichtete Lern- und Dis-
kussionsplattform für das Top-Management des Volkswagen-Konzerns. Jedes Jahr
kommen ca. 200 bis 250 ausgewählte Top-Manager aus allen Gesellschaften weltweit
in drei bis vier Veranstaltungen jeweils für 4 Tage zusammen, um gemeinsam strategi-
sche Themen zu bearbeiten. Dabei werden z. B. die aus globalen Veränderungen, aus

Abbildung 7: Ablauf des Group Executive Program


276 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

kultureller Vielfalt und aus technologischer Dynamik resultierenden Chancen und


Diskontinuitäten diskutiert. Die Ziele des Programms sind:
• die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung gemeinsam getragener Visionen, Strate-
gien und Wertvorstellungen,
• die Förderung und Unterstützung von Wertschöpfungs- und Transformationspro-
zessen,
• interkulturelles und internationales Arbeiten an realen Themen,
• sowie die Intensivierung des Dialogs und der Netzwerkbildung untereinander.
Das Group Executive Forum ist komplex und höchst anspruchsvoll und folgt der Idee
eines ganzheitlichen Ansatzes. Die intensive Auseinandersetzung mit renommierten
Gastrednern oder Vorstandsmitgliedern und Repräsentanten gehört ebenso dazu wie
Plenarveranstaltungen, Gruppenarbeiten, Präsentationen und Lernpartnerschaften.
Zur intensiven Förderung der Internationalisierung werden die Foren jeweils in Ko-
operation mit einer Gesellschaft der Volkswagen-Gruppe und einer lokalen Business
School durchgeführt. Ziel dabei ist, sich mit der Performance, den Produkten, Märk-
ten und Besonderheiten der jeweiligen Volkswagen-Gesellschaft auseinander zu set-
zen sowie die Geschichte, Kultur und Ökonomie des Gastlandes kennen zu lernen.
Das Forum bietet somit die Gelegenheit, Gesellschaften der Volkswagen-Gruppe und
ihre Standorte detailliert kennen zu lernen und gleichzeitig gemeinsam an aktuellen
Managementthemen (z. B. Innovation, Knowledge-Management, Economic Value
Added, IT-Strategie) zu arbeiten. Dabei können im Sinne der Zielsetzung einerseits
das Vertrauen, die Kooperation und Kommunikation gestärkt werden, Netzwerke ge-
bildet und Synergien identifiziert werden. Andererseits setzten sich die Teilnehmer
mit Trends und weltweiten Entwicklungen auseinander und erhalten so Impulse und
Anregungen für die Entwicklung neuer Perspektiven.

4.3.2 Weitere internationale Entwicklungsbausteine

4.3.2.1 Internationale Business Schools

Der Besuch einer internationalen, renommierten Business School trägt zur persön-
lichen Entwicklung einer Führungskraft bei. Mit einem Executive-Education-Pro-
gramm wird vorrangig ein Auffrischen mit international aktuellem Managementwis-
sen verfolgt. Dieses soll ausgewählte Mitarbeiter zur besseren Bewältigung ihrer
Aufgaben und zur Entwicklung neuer Ideen befähigen. Das Networking mit unterneh-
mensexternen Führungskräften lässt sich dabei als positiver Side-Effekt verbuchen.
Außerdem befinden sich die Führungskräfte für die Dauer des Executive-Programms
in einem internationalen Umfeld, was für die Entwicklung der interkulturellen Kom-
petenz förderlich ist.
Volkswagen unterstützt Top-Manager und Führungskräfte des Konzerns bei der Aus-
wahl geeigneter Business-School-Programme. Anhand eines Interviewleitfadens wer-
den persönliche Bedürfnisse und Wünsche des Mitarbeiters identifiziert, um anschlie-
ßend ein passendes Programm zusammenzustellen. Nach der Rückkehr des Mitarbei-
Internationale Managemententwicklung im Volkswagen-Konzern 277

ters wird der Business-School-Besuch mit Hilfe eines strukturierten Gesprächs ausge-
wertet. Beispiele für Business Schools, mit denen Volkswagen zusammenarbeitet,
sind: Standford Business School, Wharton University, Kellog Graduate School of
Management, London Business School, Insead und die St. Galler Business School.

4.3.2.2 Einzelcoaching im internationalen Kontext

Die Übernahme einer neuen Aufgabe im Ausland ist häufig Anlass für ein Einzel-
coaching. Bereits vom ersten Tag an muss ein Manager im Ausland Höchstleistungen
bringen. Ein erfahrener Coach kann ihn dabei konstruktiv unterstützen.
Coaching wird bei Volkswagen als ganzheitliche Förderung und Weiterentwicklung
zur individuellen Höchstleistung begriffen, um damit den größtmöglichen Erfolg auf
den Weltmärkten zu erreichen. Im Zentrum eines Einzelcoachings im internationalen
Kontext steht die kritische Reflexion und Optimierung der persönlichen Leistung des
Foreign Service Employees in der neuen Funktion und fremden Kultur. Zielgruppe
sind vorwiegend Top-Manager des Volkswagen Konzerns. Diese können aus einem
Pool von mehr als 300 geprüften Coaches nach individuellen Kriterien (z. B. Verfüg-
barkeit des Coaches am Standort der Gastgesellschaft, interkulturelle Erfahrungen des
Coaches mit der Gastkultur) auf den für sie passenden Berater zugreifen.

4.3.2.3 Unterstützende Maßnahmen

Als unterstützende Maßnahme für sämtliche internationalen Managemententwick-


lungsmaßnahmen bietet Volkswagen seinen Mitarbeiter ein Fremdsprachentraining
an. Je nach Bedarf können Sprachen wie Englisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch,
Chinesisch, Italienisch, Polnisch usw. in Gruppen, Intensivkursen oder Einzeltrainings
erlernt werden.
Daneben hat Volkswagen ein interkulturelles Trainingsprogramm aus kulturgenerellen
und -spezifischen Bausteinen im Angebot. Auch hier werden die Trainings auf die
spezifischen Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt. Neben eintägigen Sensibilisie-
rungsseminaren gibt es interkulturelle Trainings, die gezielt auf einen Auslandseinsatz
vorbereiten. Zu diesen werden in der Regel auch die mitausreisenden Partner und
Familien eingeladen.

5. Zusammenfassung und Ausblick


Auf den vorangegangenen Seiten wurde erläutert, welche internationalen Herausforde-
rungen Volkswagen in personalpolitischer Hinsicht zu bewältigen hat und inwiefern das
Unternehmen darauf reagiert. Es wurde deutlich, dass neben einer klaren Zielvorstel-
lung vor allem die Stimmigkeit zwischen der strategischen und kulturellen Ausrichtung
des Volkswagen-Konzerns und dem Personalmanagement von großer Bedeutung ist.
278 Wilfried von Rath/Wolfgang Fueter/Anne Cockwell

Die Volkswagen Coaching GmbH mit Stammsitz in Wolfsburg ist seit rund 10
Jahren führendes Unternehmen in der Managemententwicklung. Als 100-prozen-
tige Tochter der Volkswagen AG bietet die Volkswagen Coaching ihren Kunden
international ganzheitliche Lösungen an – von der Analyse bis zur Umsetzung.
Sämtliche hier dargestellten internationalen Entwicklungsprogramme und -bau-
steine sind Teil ihres umfassenden Angebotportfolios. Weitere Informationen und
Angebote finden Sie unter www.volkswagen-coaching.de

Abbildung 8: Managemententwicklung – eine Kernkompetenz der Volkswagen Coaching GmbH

Die strategische Umsetzung der internationalen Managemententwicklung bei Volks-


wagen erfolgt über den üblichen Prozess der Personalauswahl, -planung und -ent-
wicklung. Letztere gestaltet sich vorwiegend in Form von internationalen Entwick-
lungsprogrammen. Alle internationalen Entwicklungsprogramme von Volkswagen
verfolgen das gemeinsame Ziel, das Management des Konzerns gezielt zu internatio-
nalisieren sowie das Sammeln vielfältiger interkultureller Erfahrungen zu fördern. Die
wichtigsten Programme sowie ergänzende Entwicklungsbausteine wie International
Business Schools, Executive Coaching sowie Sprach- und interkulturelles Training
wurden in Kapitel 4.3 vorgestellt. Damit wurde dem Leser ein hoffentlich umfassen-
der Einblick in die Management-Praxis eines Global Players gewährt.
Zum Abschluss noch ein kurzer Ausblick auf die zukünftigen Bestrebungen im
Bereich der internationalen Managemententwicklung: Diese werden zum einen darin
bestehen, die Zusammenarbeit in der internationalen Managemententwicklung kon-
zern- und somit weltweit noch stärker zu vernetzen. Zum anderen wird die operative
Umsetzung und Weiterentwicklung einheitlicher Qualifizierungsstandards weiter vo-
rangetrieben werden. All dies soll einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Zukunfts-
sicherung des Volkswagen-Konzerns leisten.

Literatur
Kaul, C. (2005). Coaching bei Volkswagen, in: Wirtschaftspsychologie aktuell, 12. Jahrgang, Nr.
1/2005
Schneck, O. (1998). Lexikon der Betriebswirtschaftslehre, 3. Auflage, München, S. 555
Thommen, J.-P./Achleitner, A.-K. (1998). Allgemeine Betriebswirschaftslehre, 2. Auflage, Wiesba-
den, S. 659
Volkswagen AG (Hrsg.). Demografischer Wandel macht Humankapital zur Engpassressource der
Zukunft, in: p:news – political news, 7. Jahrgang, Nr. 2/2005
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe
Joachim Nickut

1. Das Unternehmen
1.1 Die Bosch-Gruppe
1.2 Unternehmenskultur, Leitbild und Werte
2. Grundsätze und Leitlinien der Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe
3. Die Bausteine der Mitarbeiterentwicklung
3.1 Das Mitarbeitergespräch (MAG)
3.2 Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch (MEG)
3.3 Die Mitarbeiterentwicklungsdurchsprache (MED)
3.4 Weiterbildungs- und Entwicklungsmaßnahmen
4. Managemententwicklung in der Bosch-Gruppe
4.1 Das Kompetenzmodell
4.2 Der Förderkreis
4.3 Das Mitarbeiterentwicklungsseminar (MES)
4.3.1 Zielsetzung
4.3.2 Organisation und Ablauf
4.3.3 Übungen
4.3.4 Einsatz von SYNPRO
4.3.5 Beobachterschulung
4.3.6 Beobachterkonferenz und Feedbackbericht
4.4 Das Feedback- und Fördergespräch
5. Zusammenfassung und Ausblick

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_19,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
280 Joachim Nickut

1. Das Unternehmen
1.1 Die Bosch-Gruppe

„Bei allen Dingen, die man nicht selbst machen kann,


sei es aus Mangel an Fähigkeit, sei es aus Mangel an Zeit,
ist die Hauptsache, die rechten Leute herauszufinden,
denen man die Arbeit übertragen kann.“
Robert Bosch

Aus der vom Firmengründer Robert Bosch im Jahr 1886 in Stuttgart eröffneten „Werk-
stätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ ist eines der größten Industrieunterneh-
men Deutschlands mit starker internationaler Ausrichtung entstanden*. Das Unterneh-
men zählt zu den führenden Anbietern von kraftfahrzeugtechnischen Erzeugnissen.
Weiterhin gehören Elektrowerkzeuge, Thermotechnik, Hausgeräte, Sicherheitssysteme
sowie Automations-, Metall- und Verpackungstechnik zu den Arbeitsgebieten. Anfang
des Jahres 2005 beschäftigte die Bosch-Gruppe mehr als 240.000 Mitarbeiter. Seit
1964 gehört das Unternehmen zu den großen Industriestiftungen in Deutschland. Die
Robert Bosch Stiftung GmbH, die ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt, ist
mit rund 92 Prozent am Stammkapital beteiligt. Mit der Dividende der Robert Bosch
GmbH fördert sie vor allem Gesundheitspflege, Völkerverständigung, Wohlfahrtspfle-
ge sowie Bildung und Erziehung. Auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung und
Forschung betreibt die Stiftung u. a. das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart.

1.2 Unternehmenskultur, Leitbild und Werte


Die Förderung von Vertrauen, Kreativität und innovativem Denken sowie das Schaf-
fen von Freiräumen zum eigenverantwortlichen Handeln waren und sind auch heute
wesentliche Bestandteile der Philosophie von Bosch. Die Mitarbeiter sollen aktiv mit
eigenen Ideen zur Zielerreichung beitragen und in hohem Maß für das Erreichen der
Ziele verantwortlich sein. Unter dem Begriff „Unternehmenskultur“ versteht Bosch
die Gesamtheit von Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen, die das Verhal-
ten der Mitarbeiter aller Ebenen und somit das Erscheinungsbild des Unternehmens
prägen. Dieses Bild ist geprägt von Werten wie Offenheit, Vertrauen, Fairness, Zuver-
lässigkeit und Glaubwürdigkeit und soll eine ständige Orientierungshilfe zur Verfol-
gung der Unternehmensziele geben. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass alle
Mitarbeiter diese Werte auch leben und sich damit identifizieren. Zusätzlich wurde
das Leitbild „BeQIK“ entwickelt, in dem das Unternehmen an sich selbst den An-

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Formulierungsvariante für beide Ge-
schlechter verwendet.
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 281

spruch stellt, sich mit Qualität (Q) und Innovation (I) jederzeit an den Kunden (K) zu
orientieren. Hierbei sind alle Mitarbeiter aufgerufen, Sach- und Prozesshindernisse
wie auch Kultur- und Verhaltensbarrieren konsequent anzugehen, um das Leistungs-
potenzial des gesamten Unternehmens optimal zu nutzen.

2. Grundsätze und Leitlinien der Mitarbeiterentwicklung


in der Bosch-Gruppe
„Der richtige Mitarbeiter am richtigen Platz“ ist für den Erfolg des Unternehmens von
zentraler Bedeutung. Die Geschwindigkeit technologischer Veränderungen, schlanke
Strukturen, flache Hierarchien sowie die permanente Weiterentwicklung der Organi-
sation erfordern flexible Mitarbeiter mit breitem Erfahrungshorizont auf allen Ebenen.
Aus diesen Gründen ist Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe von jeher eine
vorrangige unternehmenspolitische Zielsetzung. Bosch versteht Personalentwicklung
als einen ständigen Prozess der Erhaltung und Weiterentwicklung der Qualifikationen,
die Mitarbeiter zur Bewältigung gegenwärtiger und künftiger Aufgaben benötigen.
Einbezogen werden alle Mitarbeiter des Unternehmens. Für Mitarbeiter mit Auf-
stiegspotenzial bedeutet Personalentwicklung die planmäßige Förderung zur Über-
nahme einer höher qualifizierten Aufgabe. Hierbei steht die Rotation zwischen Fach-,
Führungs- und Projektaufgaben in unterschiedlichem Umfeld – In-/Ausland, Stab/
Linie, wechselnde Geschäfts- und/oder Funktionsbereiche – im Vordergrund. Ebenso
wichtig wie die Förderung des hierarchischen Aufstiegs ist es aber auch, die Leis-
tungsfähigkeit im gegenwärtigen Aufgabengebiet oder zur Übernahme einer anderen
Aufgabe, auch im internationalen Bereich, weiterzuentwickeln. Mitarbeiterentwick-
lung ist in erster Linie eine Führungsaufgabe. Das Personalwesen unterstützt die
Führungskräfte hierbei durch die Bereitstellung geeigneter Instrumente und berät sie
bei deren Anwendung. Daneben werden zunehmend eigene Beiträge, zum Beispiel
durch die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen in der Freizeit, zur Sicherung
der persönlichen Qualifikation gefordert und gefördert. Das Bekennen zu einer zu-
kunftsorientierten Mitarbeiterentwicklung, die bereits zur Tradition des Unternehmens
gehört, findet seinen Ausdruck in den zehn Leitlinien der Mitarbeiterentwicklung:
1. Mitarbeiterentwicklung betrifft alle Mitarbeiter des Unternehmens, in allen Län-
dern, Gesellschaften, Bereichen oder Werken, in allen betrieblichen Aufgaben und
auf allen Ebenen.
2. Es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung. Kein Mitarbeiter darf wegen seiner
Herkunft, seiner Rasse, seiner Nationalität, seiner Sprache, seines Glaubens oder
seines Geschlechts in seiner Entwicklung benachteiligt werden.
3. Entscheidungen zur Mitarbeiterentwicklung sind – unter Beachtung der Vorstel-
lungen der Mitarbeiter – am Unternehmensinteresse auszurichten. Gesamtinteres-
se geht vor Bereichsinteresse, Langfristinteresse geht vor Kurzfristinteresse. Bei
Interessenkonflikten strebt das Unternehmen Regelungen an, die für die Beteilig-
ten annehmbar sind.
282 Joachim Nickut

Abbildung 1: Mitarbeiterentwicklungskonzept

4. Im Vordergrund der Mitarbeiterentwicklung steht die Erweiterung der sachlichen


und persönlichen Erfahrung durch Rotation zwischen unterschiedlichen Funktions-
bereichen, zwischen Stab und Linie, Geschäftsbereich und Zentrale sowie die
Förderung der Querdurchlässigkeit im Unternehmen durch Wechsel zwischen
Standorten, Geschäftsbereichen und Regionalgesellschaften. So genannte „Kamin-
aufstiege“, d. h. mehrere Beförderungen im selben Bereich, sind zu vermeiden.
5. Wertschätzung und Aufstiegschancen der Mitarbeiter unterscheiden sich nicht da-
nach, ob sie sich in der Fach- oder Führungslaufbahn entwickeln, sondern richten
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 283

sich nach ihrer persönlichen und fachlichen Eignung. Kein geeigneter Mitarbeiter
darf zurückgehalten werden, wenn er sich an anderer Stelle im Unternehmen
beruflich weiterentwickeln kann.
6. Durch frühzeitige Übertragung herausfordernder Aufgaben mit eigenen Entschei-
dungsfreiräumen werden Initiative, Eigenverantwortung und ganzheitliches Den-
ken gefördert.
7. Internationale Berufserfahrung durch eine Tätigkeit für die Bosch-Gruppe außer-
halb des jeweiligen Heimatlandes ist wichtiger Bestandteil der beruflichen Ent-
wicklung der Fach- und Führungskräfte und des Führungsnachwuchses. Bei ver-
gleichbarer Eignung erhalten Mitarbeiter mit internationaler Erfahrung bei der
Besetzung von Führungspositionen den Vorrang.
8. Eine der effektivsten Entwicklungsmaßnahmen ist das Lernen am eigenen Arbeits-
platz. Es gewährleistet einen unmittelbaren Praxisbezug, macht den Lernerfolg
schnell sichtbar und steigert die Motivation durch unmittelbare Erfolgserlebnisse.
9. Nachwuchs-Führungskräfte nehmen an speziellen Führungskräfte- und Förder-
seminaren teil, um den Führungsstil des Unternehmens kennen zu lernen und sich
mit Methoden der Mitarbeiterführung vertraut zu machen.
10. Jede Führungskraft wird auch danach beurteilt, wie sie ihre Mitarbeiter weiterent-
wickelt. Es gilt der Grundsatz: Mitarbeiterentwicklung ist in erster Linie eine
Führungsaufgabe.
Basierend auf den Leitlinien entstand ein Mitarbeiterentwicklungskonzept, dessen
Bausteine im Folgenden kurz vorgestellt werden (vgl. Abbildung 1). Näher eingegan-
gen wird auf das Mitarbeiterentwicklungsseminar für den oberen Tarifbereich sowie
die erste außertarifliche Stufe, die ein besonderes Element der Mitarbeiterentwicklung
im Unternehmen darstellt.

3. Die Bausteine der Mitarbeiterentwicklung

3.1 Das Mitarbeitergespräch (MAG)


Das Mitarbeitergespräch (MAG) eröffnet allen Mitarbeitern im Unternehmen neue
Chancen zur Weiterentwicklung persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse sowie Mög-
lichkeiten der aktiven Mitgestaltung der eigenen beruflichen Zukunft. Voraussetzung
hierfür ist eine partnerschaftliche und dialogorientierte Beziehung zum Vorgesetzten.
Das MAG dient dem offenen Dialog mit dem Vorgesetzten über die Zielerreichung bei
Aufgaben und Projekten des vergangenen Jahres sowie der gemeinsamen Vereinba-
rung von Zielen für das neue Jahr. Ergänzt werden diese Gesprächspunkte durch das
Festlegen von Maßnahmen zur Unterstützung des Mitarbeiters zur Zielerreichung und
Leistungssteigerung sowie durch Absprachen zur persönlichen Weiterentwicklung.
Das Gespräch führt der jeweilige Vorgesetzte mit seinem Mitarbeiter einmal jährlich,
bei Zielveränderungen im Laufe des Jahres auch mehrmals. Der Gesprächstermin
wird rechtzeitig angekündigt, sodass der Mitarbeiter die Möglichkeit hat, sich auf das
Gespräch vorzubereiten, um seine Vorstellungen über die bestehenden Aufgaben und
284 Joachim Nickut

seine persönliche Weiterentwicklung in das Gespräch aktiv einzubringen und damit


die Chancen zur Mitgestaltung seiner beruflichen Zukunft zu nutzen. Seine Bereit-
schaft, durch eigenverantwortliches und ergebnisorientiertes Handeln zum Erfolg des
Unternehmens beizutragen sowie klar formulierte und verlässliche Absprachen über
Ziele, Aufgaben und Maßnahmen sind Voraussetzungen für die erfolgreiche Zielerrei-
chung und damit auch für die persönliche Zufriedenheit mit der Arbeitssituation.

3.2 Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch (MEG)


Auf Wunsch des Vorgesetzten, des Mitarbeiters selbst oder der Personalabteilung fin-
det neben dem MAG ein gesondertes Mitarbeiterentwicklungsgespräch (MEG) statt,
das der ausführlichen Erörterung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des
Mitarbeiters dient. Hierbei diskutieren die Beteiligten, welche beruflichen Ziele der
Mitarbeiter in Zukunft noch erreichen kann, und entwickeln gemeinsam entsprechen-
de Maßnahmen, wie zum Beispiel die Übernahme einer neuen Aufgabe, einen Wech-
sel des Funktionsbereiches oder die langfristige Weiterentwicklung im bisherigen
Aufgabengebiet. Dabei können auch neue Perspektiven entstehen, die als gemeinsa-
mes Ergebnis festgehalten werden. Weiterhin werden zusammen mit dem Vorgesetz-
ten besondere Fähigkeiten des Mitarbeiters herausgearbeitet, die in der jetzigen Funk-
tion oder im Hinblick auf zukünftige Aufgaben wesentlich sind. Ziel des Gespräches
ist es, eine möglichst hohe Übereinstimmung zwischen der Selbsteinschätzung des
Mitarbeiters und der Beurteilung durch den Vorgesetzten bzw. die Personalabteilung
zu erreichen. Aus der gemeinsamen Betrachtung der Zielvorstellungen, Stärken- und
Steigerungsmöglichkeiten ergeben sich realistische Entwicklungsperspektiven, die
sinnvollerweise unter Einbeziehung des nächsthöheren Vorgesetzten und der Perso-
nalabteilung geplant werden. Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch deckt einen Zeit-
horizont von bis zu fünf Jahren ab.

3.3 Die Mitarbeiterentwicklungsdurchsprache (MED)


Ein weiteres Instrument der Personalentwicklung im Unternehmen ist die Mitarbeiter-
entwicklungsdurchsprache (MED). Schwerpunkte der MED sind die Ermittlung des
Entwicklungspotenzials im Quervergleich, die Abstimmung über Entwicklungsziele
und -maßnahmen sowie Vorschläge für die Aufnahme in den Förderkreis. Weiterhin
findet ein Abgleich des vorhandenen Potenzials mit dem quantitativen und qualitativen
Bedarf an Fach- und Führungskräften statt, den die Geschäftsbereiche und Regional-
gesellschaften auf der Basis geplanter Geschäftsentwicklung und vorhersehbarer struk-
tureller und organisatorischer Veränderungen ermittelt haben. Teilnehmer an diesem
Prozess, der einmal jährlich stattfindet, sind die jeweiligen Vorgesetzten sowie die be-
treuende Personalabteilung. Die Ergebnisse der Gespräche zwischen den Vorgesetzten
und den Mitarbeitern im Rahmen des MAG/MEG bilden hierbei die Grundlage. Die
Potenzialermittlung zur Förderung auf höherwertige Positionen soll dafür sorgen, dass
die Bedarfsdeckung an Führungs- und Fachkräften überwiegend aus den eigenen
Reihen erfolgt. Weiterhin findet in der MED ein Meinungsaustausch in Führungs- und
Organisationsfragen zwischen der Personalabteilung und den Fachbereichen statt.
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 285

3.4 Weiterbildungs- und Entwicklungsmaßnahmen


Hohe Anforderungen an die Fach-, Projekt- und Führungslaufbahn erfordern eine
ständige Erhaltung des Wissensstandes und eine Anpassung an den Fortschritt. Die
Weiterbildung hat daher bei Bosch einen besonderen Stellenwert. Hierbei ist das „Ler-
nen am Arbeitsplatz“ eine sehr effektive Form der Mitarbeiterentwicklung, weil sie
• einen unmittelbaren Praxisbezug gewährleistet,
• den Lernerfolg durch Üben an konkreten Arbeitsaufgaben schnell sichtbar macht,
• die Motivation durch unmittelbare Erfolgserlebnisse steigert sowie
• die Entwicklung am individuellen Bedarf des Mitarbeiters orientiert.
Darüber hinaus können die Mitarbeiter auf ein breitgefächertes internes Weiterbil-
dungsangebot zurückgreifen, das durch externe Seminare ergänzt wird. Grundlage für
die Planung, Organisation und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen ist die
jährlich durchgeführte Bildungsbedarfserfassung. Dabei stellt der Weiterbildungsbe-
reich sein Angebot u. a. auf der Basis der Erfordernisse der einzelnen Bereiche vor.
Danach erfolgt der Abgleich in Abhängigkeit von den besprochenen Qualifizierungs-
maßnahmen im MAG zwischen den Fachbereichen, der Personalabteilung und dem
Weiterbildungsbereich.
Einen besonderen Stellenwert innerhalb der Weiterbildungsmaßnahmen genießt eine
Art hausinterne Universität, das Robert Bosch Kolleg. Im Jahre 1981 ins Leben geru-
fen, bietet es vor allem Mitarbeitern mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss die
Möglichkeit, den Anschluss an die wissenschaftliche Entwicklung zu halten. Während
der achtwöchigen Lehrzyklen sind die Teilnehmer von der Tagesarbeit freigestellt und
können sich ganz dem Aufbaustudium widmen. Die Themen reichen von den Inge-
nieur- und Naturwissenschaften über die Informatik bis zu den Wirtschaftswissen-
schaften. Dozenten sind ausschließlich Professoren von Universitäten und Forschungs-
instituten aus dem In- und Ausland, die sich speziell auf die Lehrzyklen des Kollegs
vorbereiten. Zusätzliche Seminare, Workshops und Kolloquien zu Schlüsselthemen
der Unternehmensentwicklung runden das Angebot ab.
Bei den Bildungsmaßnahmen im Förderkreis stehen die Bosch-Fördertage im Vorder-
grund. Sie werden für die Förderkreismitglieder des außertariflichen Bereiches zentral
durchgeführt. Die Fördertage dienen der Information über wichtige Unternehmens-
ziele und stärken die Identifikation mit dem Unternehmen. Sie dauern in der Regel
jeweils eine Woche und finden entweder in deutscher oder englischer Sprache statt. Je
Förderkreisgruppe wechseln die Schlüsselthemen, die durch externe Referenten in
Lehrgesprächen, Fallstudien und Workshops erarbeitet werden. Mitglieder der Ge-
schäftsführung und des oberen Führungskreises aus Geschäftsbereichen und Zentral-
abteilungen halten Vorträge und stehen für auftretende Fragen und Diskussionen zur
Verfügung.
286 Joachim Nickut

4. Managemententwicklung in der Bosch-Gruppe


4.1 Das Kompetenzmodell

Abbildung 2: Das Bosch-Kompetenzmodell

Ein nachhaltiger Unternehmenserfolg basiert immer auch auf dem Wissen und Kön-
nen der Mitarbeiter. Die zur Zielerreichung notwendigen Mitarbeiterkompetenzen
müssen rechtzeitig und systematisch aufgebaut werden und zum richtigen Zeitpunkt
zur Verfügung stehen. Erschwert wird dies durch sich immer wieder verändernde
Rahmenbedingungen. Durch diese Entwicklung ist der Personalbereich in besonderer
Weise dazu aufgefordert, sich stärker als bisher um die Persönlichkeitsentwicklung
angehender Führungskräfte zu kümmern. Das im folgenden Abschnitt beschriebene
System des Förderkreises mit dem dazugehörigen Mitarbeiterentwicklungsseminar
(MES) liefert einen Beitrag dazu, Mitarbeiter auf dem Weg zur unteren bzw. mittleren
Managementebene zu begleiten und ihre Führungsfähigkeiten systematisch auszubau-
en. Grundlage für die Leistungs- und Potenzialeinschätzung innerhalb der einzelnen
Bausteine des Mitarbeiterentwicklungssystems ist hierbei das Bosch-Kompetenzmo-
dell, das für alle Führungskräfte weltweit Gültigkeit besitzt (vgl. Abbildung 2). Das
Modell basiert auf dem Leitbild und den Werten des Unternehmens, die bereits in Ka-
pitel 1.2 beschrieben wurden. Die vier Kompetenzfelder (Unternehmerkompetenz,
Führungskompetenz, Sozialkompetenz und Fach- und Methodenkompetenz) sind
hierbei in zwei Einzelkompetenzen untergliedert, die an verschiedenen Merkmalen
und Indikatoren festgemacht werden (vgl. Abbildung 3). Diese sind nicht als ab-
schließende Definitionen anzusehen, sondern stellen beispielhaft dar, was unter den
Kompetenzen zu verstehen ist. Führungskräfte und Mitarbeiter können diese Merk-
male in den einzelnen Bausteinen des Systems für die jeweiligen Arbeitsplätze und
Aufgaben konkretisieren oder ergänzen. Gleichzeitig wurde eine Liste mit Verhaltens-
beispielen für Kernkompetenzen erstellt, die eine zusätzliche Unterstützung bieten:
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 287

Beispiel 1: „Anwendung der Führungsinstrumente“:


• widmet Führung und Mitarbeiterentwicklung eine hohe Aufmerksamkeit
• sorgt für einen konsequenten Zielentfaltungsprozess im eigenen Verantwortungsbereich
• beurteilt Mitarbeiter zutreffend und gibt konstruktives Feedback, hat ein Gespür
für Talente
• sorgt dafür, dass im Rahmen der jährlichen Zielvereinbarungen auch führungs- und
mitarbeiterbezogene Ziele berücksichtigt werden
• schafft die Voraussetzungen, dass geeignete Mitarbeiter mit Potenzial angemessene
Entwicklungsmöglichkeiten erhalten und der eigene Bereich Anziehungspunkt für
gute Nachwuchskräfte wird
• fordert und unterstützt aktiv Querdurchlässigkeit, Funktionsbereichswechsel und
Auslandseinsätze, auch über den eigenen Bereich hinaus
Beispiel 2: „Zukunftsorientierung“:
• entwirft für den Verantwortungsbereich Visionen/Szenarien künftiger Möglichkeiten
• antizipiert Trends und deren Auswirkungen auf den eigenen Verantwortungsbereich
• ermittelt und bewertet regelmäßig die relevanten Markt- und Kundenbedürfnisse
• erkennt und nutzt strategische Handlungsoptionen
• gestaltet geeignete Rahmenbedingungen für Innovationen und Veränderungsprozesse
• ist offen für Veränderungen, fördert neue Ideen und alternative Vorgehensweisen
• zeigt Initiative und Risikobereitschaft

Abbildung 3: Kompetenzfelder, Kompetenzen und deren Merkmale


288 Joachim Nickut

4.2 Der Förderkreis


Der Förderkreis ist eines der wichtigsten Instrumente zur personellen Zukunftssiche-
rung des Unternehmens. Er umfasst Mitarbeiter mit überdurchschnittlichem Entwick-
lungspotenzial für Fach-, Projekt- und Führungsaufgaben. An diesen Kreis werden
hohe Anforderungen im Bereich der vier Kompetenzfelder gestellt. Zusätzlich bildet
die positive Einschätzung der Persönlichkeit und des persönlichen Entwicklungs-
potenzials ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme. Die Bereitschaft zur Über-
nahme neuer, höher qualifizierter Aufgaben und eine vorhandene Mobilität sind
weitere Voraussetzungen für eine Förderkreisaufnahme. Das Potenzial wird danach
beurteilt, ob ein Mitarbeiter die Voraussetzungen erfüllt, innerhalb von längstens vier
Jahren die nächsthöhere Position zu erreichen. Die Realisierung des Förderziels ist in
der Regel mit einem Wechsel in eine neue Aufgabe verbunden. Über eine Aufnahme
in den Förderkreis wird im Rahmen der Mitarbeiterentwicklungsdurchsprache ent-
schieden. Die Aufnahme in den Förderkreis soll bei erkanntem Potenzial im Rahmen
des vorgesehenen Förderzeitraums möglichst frühzeitig erfolgen, um den Mitarbeitern
einen motivierenden Anreiz („Signalwirkung“) zu bieten und gezielte Fördermaßnah-
men rechtzeitig gestalten zu können.
Im Fördergespräch werden Entwicklungsmaßnahmen vereinbart, die geeignet sind,
den Mitarbeiter bei der Erreichung des Förderziels zu unterstützen. Verantwortlich für
die Durchführung ist der Vorgesetzte in Abstimmung und mit Unterstützung der zu-
ständigen Personalabteilung. Vom Mitarbeiter selbst wird erwartet, dass er seine eige-
ne Entwicklung aktiv mitgestaltet. Die Förderkreismitglieder müssen Ziele und
Ergebnisse der Entwicklungsmaßnahmen jährlich formlos in einem Förderbericht
festhalten und über den Vorgesetzten an die Personalabteilung weiterleiten.
In den Fördergesprächen ergaben sich in der Vergangenheit häufig Probleme, die
Mitarbeiterpotenziale und die entsprechenden Entwicklungsmaßnahmen genau zu
definieren. Dadurch entstand Handlungsbedarf für ein einheitliches Instrument, das
Vorgesetzten und Mitarbeitern die Festlegung und qualifizierte Ausgestaltung zielge-
richteter Fördermaßnahmen besser als bisher ermöglicht. Auf diesem Hintergrund
wurde das Mitarbeiterentwicklungsseminar konzipiert.

4.3 Das Mitarbeiterentwicklungsseminar (MES)


4.3.1 Zielsetzung

Ziel des Mitarbeiterentwicklungsseminars (MES) ist es, die Mitglieder des För-
derkreises auf künftige Anforderungen und Führungspositionen vorzubereiten und
hinsichtlich der Entwicklungsrichtung zu beraten. Im Vordergrund des MES steht der
Entwicklungs- und Beratungsaspekt. Auf der Basis einer genaueren Analyse der Stär-
ken und Verbesserungspotenziale eines Mitarbeiters in Bezug auf künftige Ziel-
positionen werden individuelle Trainings- und Entwicklungsmaßnahmen zu seiner
spezifischen Förderung abgeleitet. Gegenstand des MES ist nicht die Analyse von
Fachkenntnissen. Stattdessen geht es im MES und dem darauf aufbauenden Förder-
plan um jene Verhaltensweisen, die das Unternehmen von einer Führungskraft oder
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 289

von einem Experten des außertariflichen Bereiches erwartet. Entsprechend dieser


Zielsetzung werden im MES folgende Verhaltensweisen abgefordert:
• Darstellen von komplexen, außerfachlichen Sachverhalten
• Überzeugen und Motivieren einer außerbetrieblichen Zielgruppe
• Führen schwieriger Gespräche
• Lösen von Problemen in Gruppen
Alle Teilnehmer erhalten über die von ihnen gezeigten Leistungen auf drei Ebenen
Feedback:
• Videobasiertes Feedback nach jeder Übung durch einen externen Berater
• Rückmeldung von den im Seminar anwesenden Kollegen sowie der teilnehmenden
Zielgruppe
• Einschätzung von Leistung und Potenzial durch erfahrende Führungskräfte und Per-
sonalentwickler in Form persönlicher Gespräche und eines schriftlichen Berichts
Ergänzt wird das Seminar durch den Einsatz eines Persönlichkeitsfragebogens, der
unabhängig vom MES bereits einige Wochen vorher bearbeitet und ausgewertet wird
und als zusätzlicher Baustein ins Feedbackgespräch eingebunden wird.
Durch diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen erhalten die Seminarteilnehmer
ein klareres Bild über ihre eigene Leistungsfähigkeit und können ihre Selbsteinschät-
zung mit der Einschätzung von Außenstehenden (Fremdeinschätzung) abgleichen.
Auf dieser Basis vereinbart das Unternehmen gezielt kontrollierbare Förder- und Ent-
wicklungsmaßnahmen. Hieran wird deutlich, dass das MES kein Auswahlinstrument
ist, sondern vielmehr dem Zweck dient, Stärken und Verbesserungspotenziale zu er-
mitteln, um den Mitarbeiter zielgerichtet und effizient weiterentwickeln zu können.
Weiterhin ergibt sich durch die intensive Zusammenarbeit während des MES für die
Teilnehmer die häufig genutzte Möglichkeit zur Bildung von Informations- und Kom-
munikationsforen (Netzwerke). Die Führungskräfte, die sich als Beobachter zur Ver-
fügung stellen, erhalten bereichsübergreifend ein deutliches Bild über die Leistung
und das Potenzial der Nachwuchskräfte. Gleichzeitig schärft die Teilnahme am MES
auch die Beurteilungsfähigkeit der Beobachter, sodass unterschiedliche Beurteilungs-
maßstäbe sehr schnell erkannt werden.

4.3.2 Organisation und Ablauf

Die Rahmenbedingungen für die Durchführung des Mitarbeiterentwicklungsseminars


(MES) sind in allen Standorten der Bosch-Gruppe gleich. Unterschiede treten bei der
Organisation und den verwendeten Übungen und Zusatzmethoden auf. Im Folgenden
beschreibe ich das Verfahren, wie es im Standort Blaichach durchgeführt und weiter-
entwickelt wird. Das MES orientiert sich in seinem Aufbau an einem Assessment
Center, in dem vier Teilnehmer von vier bis sieben internen und externen Führungs-
kräften beobachtet, bewertet und beurteilt werden. Als interne Beobachter agieren
Führungskräfte aus dem Unternehmen, Vertreter der Personalabteilung und ein exter-
ner Eignungsdiagnostiker als Moderator und Berater. Die externen Führungskräfte
kommen in der Regel aus anderen, branchenfremden Unternehmen und liefern
290 Joachim Nickut

wesentliche Inputs zum Verfahren und zur Einordnung der Leistung der Teilnehmer in
Bezug auf ihre eigenen Führungskräfte. Damit wollen wir u. a. erreichen, dass der
Bewertungsmaßstab durch einseitige hausinterne Beurteilungen über einen längeren
Zeitraum nicht verschärft, oder was in diesem Fall größere Folgen hätte, gegenüber
anderen Unternehmen absinken würde. Gleichzeitig ergeben sich für die beobachten-
den Führungskräfte viele Möglichkeiten, sich mit anderen Sichtweisen auseinander zu
setzen und über den Tellerrand zu schauen. Diese Transparenz und Offenheit hat dem
gesamten Verfahren bei allen Betroffenen zu einer bis dahin noch nicht gekannten
Akzeptanz verholfen. Der Ablauf der Veranstaltung ist so organisiert, dass jeder Be-
obachter jeden Teilnehmer in allen Übungen sieht. Das Verfahren selbst gliedert sich
in mehrere Hauptabschnitte:
• eine eintägige Beobachterschulung für alle Teilnehmer
• eine halb- bis ganztägige Beobachterschulung für die beobachtenden Führungs-
kräfte (abhängig von der Beobachtungserfahrung der Vorgesetzten)
• ein eintägiges Mitarbeiterentwicklungsseminar (MES)
• eine ca. halbtägige Beobachterkonferenz (abhängig von der Teilnehmeranzahl)
• ein rund zweistündiges Feedbackgespräch des Beraters und eines Personalentwick-
lers mit jedem Teilnehmer
Die internen Führungskräfte übernehmen im Anschluss an das Seminar die Coaching-
Rolle im Entwicklungsprozess.

4.3.3 Übungen

Auf der Grundlage des Kompetenzmodells mit seinen Merkmalen entstand ein Übungs-
katalog mit sechs unterschiedlichen Bausteinen. Neben einer Führungs- und einer
Fachpräsentation müssen die Teilnehmer ein Konflikt-, ein Motivationsgespräch so-
wie eine mehrstufige Teamübung absolvieren. Weiterhin ist ein Persönlichkeitstest
Bestandteil des Verfahrens, um im späteren Feedbackgespräch wertvolle Zusatzinfor-
mationen zu erhalten.
Die Aufgabenstellungen für die jeweils rd. 20-minütigen Präsentationen und Mitarbei-
tergespräche werden den Teilnehmern im Rahmen einer Einführungsveranstaltung
eine Woche vor dem eigentlichen Seminarbeginn bekannt gegeben. Alle Übungen
stammen aus dem Arbeitsalltag und gehören zu den Schwerpunktaufgaben von
Führungskräften. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Übungen eine mög-
lichst reale Situation widerspiegeln, in der spontanes Handeln und Improvisations-
fähigkeiten nicht den Hauptausschlag geben und alle anderen Kriterien dadurch in den
Hintergrund drängen. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Verfahrens ist die
Beobachtung, Beurteilung und Bewertung der Teilnehmer untereinander. Hier erleben
sich die Teilnehmer zum ersten Mal in einer Führungsrolle und erhalten wertvolle Im-
pulse für die weitere persönliche Entwicklung.
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 291

4.3.4 Einsatz von SYNPRO

Um die Effizienz der Beobachtungen weiter zu steigern, setzen wir derzeit in einer Pi-
lotreihe ein von Simon und Donaubauer (2003, 2005) an der Universität Regensburg
entwickeltes Führungs- und Fachkraft-Analyseinstrument ein, das so genannte SYN-
PRO-FFAI. SYNPRO steht für das dem Instrument zu Grunde liegende Beobachtungs-
system, mit dem das Interaktionsverhalten der Teilnehmer in der Gruppendiskussion
erfasst wird (vgl. Simon, 2002). Als Aufgabenstellung in der Gruppendiskussion dient
das komplexe, computersimulierte Unternehmensplanspiel SYNTEX. Durch SYN-
TEX werden an die Teilnehmer die gleichen Anforderungen gestellt wie an eine
Führungs- oder Fachkraft in der betrieblichen Praxis (vgl. Simon & Thomas, 2005).
Im Gegensatz zum bisherigen klassischen Beobachtungsverfahren, bei dem ein Asses-
sor erst dann aktiv wird, wenn ein Teilnehmer eine bestimmte Verhaltensweise wie
z. B. Entscheidungskraft zeigt, wird mit SYNPRO zunächst das gesamte Interaktions-
verhalten der Teilnehmer in der einstündigen Gruppendiskussion abgebildet, um so
auch die Aufeinanderfolge der Reaktionen der Teilnehmer auf die Aussage eines Vor-
redners erfassen zu können. Auf der Grundlage dieser Beobachtungsdaten werden mit
Hilfe des Führungs- und Fachkraft-Analyseinstrumentes SYNPRO-FFAI der
Führungsanspruch der einzelnen Teilnehmer, deren Führungserfolg sowie die Pro-
blemlösekompetenz potenzieller Fachkräfte diagnostiziert. Die Instrumente stellen
statistisch ermittelte Regressions- und Diskriminanzfunktionen dar, aus denen deut-
lich wird, ob ein Teilnehmer die entscheidenden Führungsverhaltensweisen ausübt,
um in eine Führungsrolle der Gruppe zu gelangen und um die Gruppe erfolgreich
führen zu können. Darüber hinaus werden die entsprechenden Verhaltensweisen erfasst,
die auf eine besondere Problemlösekompetenz eines Teilnehmers schließen lassen und
ihn damit, wenn nicht genügend Potenzial für eine Führungslaufbahn vorhanden ist,
als Fachkraft qualifizieren. Die mit SYNPRO-FFAI gemessenen Kompetenzen stim-
men mit dem Kompetenzmodell von Bosch überein (vgl. Abbildung 3) und werden
hier in objektivierter und standardisierter Form gemessen.
Die erzielten Ergebnisse über die Kompetenzen der einzelnen Teilnehmer lassen sich
in normierten Profilen visuell darstellen und werden in einem schriftlichen Diagnose-
Ergebnis zusammengefasst. Die Rückmeldung an die Teilnehmer erfolgt im Rahmen
eines videobasierten Feedbacks. Dabei werden den Teilnehmern die effektivitätsbe-
stimmenden Anforderungen und damit einhergehenden notwendigen Kompetenzen
zunächst theoretisch erläutert. Zur Förderung der Transparenz und Nachvollziehbar-
keit des erzielten Diagnose-Ergebnisses wird ebenfalls aufgezeigt, wie die Messung
der Kompetenzen mit dem Beobachtungssystem SYNPRO und dem darauf basieren-
den Analyseinstrument – FAI – erfolgt. Um am eigenen Interaktionsverhalten lernen
und verdeutlichen zu können, welches konkrete Verhalten hinter den einzelnen An-
forderungen steht, werden den Teilnehmern einzelne Ausschnitte aus der SYNPRO-
Planspielsitzung gezeigt, in denen sie die Anforderungen erfüllten bzw. nicht erfüll-
ten. Ferner erhalten die Teilnehmer anhand eines Idealvideos der „optimalen“ Anfor-
derungserfüllung zugleich Lernhinweise zur Verhaltensänderung im Sinne des „Be-
haviour Modelings“.
292 Joachim Nickut

In den bisherigen Pilotgruppen hat sich gezeigt, dass die mit SYNPRO-FFAI erzielten
Diagnoseergebnisse sehr gut mit dem unabhängig erstellten Gesamtergebnis eines
Teilnehmers im MES übereinstimmen. Auch die Akzeptanz des Verfahrens bei den
Teilnehmern ist als ungewöhnlich hoch einzustufen. Bisher gab es noch keinerlei
Reaktanz von Teilnehmern gegenüber einem SYNPRO-Feedback. Die objektivierte
und standardisierte Auswertung der Gruppendiskussion mit SYNPRO-FFAI, die ge-
schaffene Transparenz durch die Erklärung der Auswertungsmethode im Rahmen des
Feedbacks sowie die gemeinsame Analyse der Videoausschnitte erleichtern den Teil-
nehmern die Annahme des Ergebnisses.
Beim bisherigen Einsatz klassischer Beobachtungsverfahren fühlten sich oftmals Teil-
nehmer gerade in der Gruppendiskussion subjektiv bewertet, während sie die Ergeb-
nisse in den anderen Übungen annehmen konnten. Auch die Assessoren selbst merk-
ten immer wieder an, dass ihnen die Bewertung der Kompetenzen der Teilnehmer in
der Gruppendiskussion schwer fällt, wenn nicht gerade irgendwelche besonderen Er-
eignisse auftreten. Oftmals besteht Unsicherheit, ob derjenige, der viel spricht, tat-
sächlich entscheidende Führungsfunktionen ausübt, oder es sich einfach nur um einen
Vielredner handelt. Mit SYNPRO-FFAI wird deutlich, welche Interaktionsbeiträge
tatsächlich zielführend sind und auf Führungsverhalten schließen lassen.
SYNPRO-FFAI stellt somit eine objektivierte und standardisierte Grundlage zur Ana-
lyse des Verhaltens von Führungs- und Fachkräften im Rahmen der Gruppendiskus-
sion dar. Es bietet eine objektivierte Entscheidungsgrundlage, ob ein Teilnehmer eher
für eine Führungs- oder Fachkraftlaufbahn geeignet ist. Ferner bietet es eine Entschei-
dungsgrundlage bei divergierenden Bewertungen der Kompetenzen der Teilnehmer
durch die Assessoren und trägt damit zu einer Erhöhung der Qualität des Bewertungs-
prozesses im MES und einer größeren Fairness gegenüber den Teilnehmern bei.
Durch die Objektivität und Standardisierung der Messung eignet es sich nach unserem
Ermessen auch insbesondere für Lernfähigkeits-Ac’s, in denen es zur Überprüfung
des Lernerfolgs wiederholt eingesetzt werden kann und so eine Erfassung des Lern-
potenzials ermöglicht. Die Teilnehmer selbst können in quantitativer Form ihren Lern-
erfolg nachvollziehen, was zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung beiträgt. Das
Verfahren steht somit im Einklang mit der Leitidee einer zielgerichteten Weiterent-
wicklung des Mitarbeiters im MES.

4.3.5 Beobachterschulung

Damit auch die teilnehmenden Förderkreismitglieder die komplexen Beobachterauf-


träge bewältigen können, findet vor dem eigentlichen MES eine eintägige Beobachter-
schulung statt. Vornehmliche Aufgabe ist es, allen die wesentlichen Grundzüge des
Beobachtens und des Feedbacks in konzentrierter Form zu vermitteln. Dies ist für alle
Teilnehmer ein ungewohntes Thema, da die tägliche Arbeit kaum Raum lässt, Verhal-
ten zu beobachten und einzuschätzen. Eine weitere wesentliche Anforderung an die
Beobachterschulung ist, den Teilnehmern die Berührungsangst während des eigent-
lichen MES zu nehmen und damit mögliche Anspannungen zu mindern. Die Teilneh-
mer werden in der Schulung zunächst mit dem Ablauf des MES vertraut gemacht. Alle
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 293

Anforderungen und Details der Übungen werden erläutert, um Überraschungseffekte


zu vermeiden. Es soll eine Vertrauenskultur mit dem Ziel aufgebaut werden, volles
Einvernehmen darüber zu erzielen, dass es sich beim MES um eine Entwicklungs-
maßnahme handelt, die jedem Teilnehmer helfen soll, die Wahrnehmung des eigenen
Verhaltens und die Wirkung auf andere Personen besser einschätzen zu können. Nach-
dem alle mit den verschiedenen Beobachtungs- und Bewertungsbogen vertraut
gemacht wurden, wird in verschiedenen Übungen das Beobachten, Bewerten und Be-
urteilen geübt. In interaktiven Übungen lernt der Teilnehmer, von welchen Faktoren
eine möglichst objektive Beobachtung und Beurteilung abhängt und welche Fehler
vermieden werden sollten. Ein wesentlicher Teil der Schulung beschäftigt sich mit
den Regeln des Feedbacks, die am Beispiel der Verhaltensbereiche nach dem „Joha-
ri“-Fenster diskutiert werden. Die Phasen und Regeln eines Feedbacks werden anhand
von Beispielen erläutert und situativ eingeübt.
Ein weiterer Punkt der Beobachterschulung ist eine interaktive Gruppenübung, die von
Förderkreiskandidaten eines früheren Mitarbeiterentwicklungsseminars durchgeführt
wird. Die neuen Förderkreismitglieder fungieren als Beobachter und führen nach Ab-
schluss der einstündigen Übung eine Beobachterkonferenz durch, in der die Individual-
und Teamleistung bewertet wird. Parallel dazu führen die aktiven Teilnehmer der
Übung eine Eigeneinschätzung über ihre Teamleistung, ihr Verhalten und ihre Gefühle
während der Übung sowie über mögliche Verbesserungsmöglichkeiten durch. Anschlie-
ßend findet im Plenum eine Feedbackrunde statt, in der kontrovers und engagiert über
Beobachtungen und Einschätzungen diskutiert wird. Spätestens an dieser Stelle sind
alle Teilnehmer mit dem MES vertraut und überblicken ihre Aufgaben und Rollen.
Die beobachtenden Führungskräfte des MES erhalten eine Schulung in ähnlicher
Form. Neben den oben angeführten Themen wird besonders darauf geachtet, dass die
Vorgesetzten alle Übungen selbst durchführen, um ein Verständnis für den Schwierig-
keitsgrad zu entwickeln. Die zeitliche Dauer der Schulung hängt davon ab, ob es sich
um eine Erstausbildung oder Wiederholung handelt.

4.3.6 Beobachterkonferenz und Feedbackbericht

In der abschließenden Beobachterkonferenz diskutieren die Beobachter gemeinsam


ihre Wahrnehmungen und Eindrücke über Leistung und Potenzial der Teilnehmer. Die
Besprechung wird in der Regel durch den externen Berater geleitet, der die Aufgabe
hat, das anhand der Beobachtungs- und Bewertungsbogen festgehaltene Verhalten der
Teilnehmer mit allen Beobachtern zu diskutieren. Gleichzeitig muss er eventuell auf-
tretende unterschiedliche Meinungen strukturieren und zu einem von allen Beobach-
tern gemeinsam getragenen Ergebnis zusammenführen. Dadurch entsteht ein mög-
lichst umfassendes und konkretes Gesamtbild der einzelnen Teilnehmer, das in einem
persönlichen schriftlichen Feedbackbericht hinsichtlich ihrer individuellen Stärken
und in Vorschlägen für Entwicklungsmaßnahmen mündet. Dieser Bericht enthält
neben genauen Beschreibungen der Beobachtungen eine Zusammenfassung der
Einschätzung von Leistung und Potenzial sowie Empfehlungen zur weiteren Entwick-
lung. Die Beurteilung der im Mitarbeiterentwicklungsseminar gezeigten Leistung
294 Joachim Nickut

bezieht sich dabei auf den derzeitigen Leistungsstand auf der Basis einer Nachwuchs-
kraft. Diese Kompetenzeinschätzung wird gleichzeitig in einem Spinnendiagramm
visualisiert (vgl. Abbildung 4).
Dabei bedeutet der Skalenwert 1, dass die in der Einzelübung gezeigte Leistung in der
jeweiligen Kompetenz zu gering ausgeprägt ist und der Kandidat die Aufgaben am ge-
genwärtigen Arbeitsplatz hinsichtlich dieses Kriteriums nicht erfüllt. Der Skalenwert
3 bedeutet, dass die gezeigte Leistung im Rahmen der Soll-Anforderungen liegt, und
der Skalenwert 5 weist auf außergewöhnliche Stärken hin. Das Kompetenzmodell ist
somit die Basis für alle Beobachtungen und Beurteilungen aus dem Mitarbeiterent-
wicklungsseminar. Im Interesse einer kontinuierlichen Beurteilung findet es bei allen
Förderkreismitgliedern sowohl in der Fachlaufbahn als auch in der Projekt- und
Führungslaufbahn Anwendung. Nach der Beurteilung der gezeigten Leistung im MES
erfolgt die Einschätzung des Potenzials durch die Beobachter. Als Grundlage für die
Bewertung dient die Zielposition des Mitarbeiters, Basis für die Einschätzung sind die
im MES gezeigten Verhaltensweisen. Da es keinem von uns gegeben ist, in die Zu-
kunft zu schauen, ist die Potenzialeinschätzung eine Prognose, die sich natürlich im
Laufe der Entwicklung des Mitarbeiters auch ändern kann und deshalb eine Art „Mo-
mentaufnahme“ darstellt. Sie soll verstanden werden im Sinne von „Was trauen wir
dem Mitarbeiter auf Basis dessen, was wir hier gesehen haben, in der Zukunft, genau-
er gesagt auf der angegeben Zielposition zu“ (vgl. Abbildung 5). Da diese Prognose
notwendigerweise eine subjektive Vorausschau der Beobachter ist, weisen die Verant-
wortlichen an jeder Stelle des Verfahrens auf den Grundsatz einer Beurteilung „nach
bestem Wissen und Gewissen“ hin.
Aus der Beantwortung dieser Frage entsteht die Potenzialeinschätzung mit den ent-
sprechenden Skalenwerten, die analog zur Einschätzung der Leistung als ganzheit-

Abbildung 4: Beispiel Kompetenzeinschätzung


Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 295

Abbildung 5: Kompetenz und Potenzial

liche Darstellung in ein Spinnendiagramm eingetragen werden. Auch hierbei werden


die einzelnen Skalenwerte wieder definiert. So bedeutet Skalenwert 1, dass der Mitar-
beiter auch nach Förderung auf Grund der gezeigten Leistung in der jeweiligen Kom-
petenz für die Zielposition nicht geeignet ist. Bei einem Skalenwert 3 ist der Mitarbei-
ter nach Förderung für die Zielposition geeignet, wohingegen der Skalenwert 5 darauf
hindeutet, dass der Mitarbeiter noch weiteres Potenzial über die derzeitige Zielpositi-
on hinaus besitzt. Die individuellen Leistungen und Potenziale des Mitarbeiters wer-
den anschließend in einem gemeinsamen Diagramm mit verschiedenen Kurven visua-
lisiert (vgl. Abbildung 6). Alle Teilnehmer des MES werden nach demselben System
ausgewertet und die Ergebnisse in derselben Weise visualisiert.

Abbildung 6: Spinnendiagramm: Beispiel einer Einschätzung von Kompetenz und Potenzial


296 Joachim Nickut

4.4 Das Feedback- und Fördergespräch


Alle Förderkreismitglieder, die am MES teilgenommen haben, werden nach der Aus-
wertung der Ergebnisse und der Erstellung der Feedbackberichte zu einem persönli-
chen, rund zweistündigen Feedbackgespräch eingeladen, das mit dem externen Berater
und einem Personalentwickler der Personalabteilung geführt wird. Der direkte und der
nächsthöhere Vorgesetzte werden hierzu nur auf Wunsch des Mitarbeiters eingeladen.
In diesem Gespräch wird dem Teilnehmer eine Rückmeldung über das gezeigte Verhal-
ten im Mitarbeiterentwicklungsseminar gegeben. Wesentlich ist, dass die Fremdein-
schätzung mit der Eigeneinschätzung möglichst übereinstimmt. Bei Differenzen wird
anhand von Beispielen auf die unterschiedlichen Auffassungen eingegangen. Ziel ist
es, dem Teilnehmer im Fremdbild zu vermitteln, wie er auf andere wirkt, und ihn für
diese Wahrnehmung zu sensibilisieren. Ergänzt werden diese Eindrücke durch die Aus-
wertung des Persönlichkeitstests. Danach wird gemeinsam mit allen Teilnehmern des
Gespräches ein Förder- und Entwicklungsplan diskutiert, um Maßnahmen mit dem
Mitarbeiter festzulegen, die ihm bei seiner persönlichen Weiterentwicklung helfen sol-
len. Aufbauend auf den persönlichen Stärken werden konkrete und individuelle Maß-
nahmen vereinbart, um die zukünftigen Führungsaufgaben besser wahrnehmen zu kön-
nen. Neben den persönlichen Daten wie Mobilität und persönlicher Zielsetzung werden
in diesem Gespräch auch das Förderziel und der zeitliche Horizont diskutiert und
schriftlich festgehalten. Es erfolgt kein Vergleich der Teilnehmer untereinander.

5. Zusammenfassung und Ausblick


Die Ergebnisse lassen sich sieben Jahre nach Einführung des Mitarbeiterentwick-
lungsseminars wie folgt zusammenfassen:
• Das Mitarbeiterentwicklungsseminar ist ein wirkungsvolles Instrument zur
Führungskräfteentwicklung.
• Die Förderkreismitglieder erhalten eine genaue Standortbestimmung ihrer Stärken
und Verbesserungspotenziale, die sich am bestehenden Kompetenzmodell des Unter-
nehmens ausrichten.
• Die Förderkreismitglieder erhalten einen persönlichen Fahrplan für ihren individu-
ellen Entwicklungsbedarf.
• Es werden klare Vereinbarungen über Inhalte und Termine der nächsten Entwick-
lungsschritte getroffen.
• Es entsteht bei allen Beteiligten ein klares Bild von Selbst- und Fremdeinschätzung.
• Das Unternehmen erhält eine umfassende Bestandsaufnahme seines Nachwuchs-
potenzials an Führungskräften.
• Das Unternehmen erhält eine objektivierte Planungsgrundlage für die Besetzung
von Führungspositionen mit Führungskräften, die dem stellen- und unternehmens-
spezifischen Anforderungsprofil gerecht werden.
• Für die als Beobachter eingesetzten Führungskräfte ist das MES eine wertvolle
Schulungsmaßnahme.
• Die Personalabteilung wird in der Rolle des Förderers wahrgenommen und akzeptiert.
Mitarbeiterentwicklung in der Bosch-Gruppe 297

Sehr wichtig ist, dass die festgelegten Maßnahmen von den Vorgesetzten begleitet wer-
den, sodass eine spätere Erfolgskontrolle möglich ist. Dies erforderte gerade in den An-
fangsjahren der Prozesseinführung eine grundlegende Bewusstseinsänderung bei allen
Führungskräften, die die Entwicklungsmaßnahmen der Teilnehmer in ausreichendem
Maße tragen und unterstützen mussten. Hier hatte die Personalabteilung die einmalige
Chance, den Prozess zu begleiten, die Rolle des Förderers und Entwicklers einzuneh-
men und das häufig zu hörende Image des „Personalverwalters“ abzuschütteln.

Literatur
Simon, P. (2002). Die Entwicklung eines Modells der Gruppeneffektivität und eines Analyseinstru-
ments zur Erfassung des Leistungspotenzials von Arbeitsgruppen, Landau
Simon, P./Donaubauer, A. (2003). SYNPRO-FAI: Führungs-Analyse-Instrument, in: L. v. Rosen-
stiel/J. Erpenbeck (Hrsg.). Handbuch Kompetenzmessung, S. 298–308, Stuttgart
Simon, P./Donaubauer, A. (2005). SYNPRO-FAI: Führungs-Analyse-Instrument, in: W. Sarges/
H. Wottawa (Hrsg.). Handbuch wirtschaftspsychologischer Testverfahren, 2. Auflage, Lengerich
Simon, P./Thomas, A. (2005). Das computersimulierte Unternehmensplanspiel SYNTEX, in: W.
Sarges & H. Wottawa (Hrsg.). Handbuch wirtschaftspsychologischer Testverfahren, 2. Auflage,
Lengerich
Wie aus einem erfolgreichen Dax-30-
Unternehmen eine LeadIng.-Company wird:
Change Case Linde
Michael Prochaska

1. Einführung
2. Perspektiven der Neuausrichtung
2.1 Erfolgreiche Unternehmen
2.2 Die Rolle der Unternehmensstrategie
2.3 Erfolgreiches Change Management
2.4 Trends für das Personalmanagement
3. Strategieumsetzendes Personalmanagement
3.1 Integration und Professionalisierung
3.1.1 Global HR Meeting
3.1.2 Internationale Task Forces
3.1.3 Personalkommission
3.1.4 Personalentwicklungs-Dialog
3.1.5 HR StepUp!
3.2 Bewertung von Funktion und Person
3.2.1 Stellenbewertung
3.2.2 Leadership Appraisal
3.3 Management Cycle – Integration von Strategie-, Finanz- und Personalprozessen
3.3.1 Management Kick-Off
3.3.2 Management Dialog
3.3.3 Leadership Survey
3.3.4 Management Conferences
3.3.5 Succession Planning
3.3.6 Target Conferences
3.4 Linde University
3.4.1 Top-Potenzial-Programme
3.4.2 Leadership Excellence
4. Schlussbemerkungen

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_20,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
300 Michael Prochaska

1. Einführung

Mit dem folgenden Beitrag soll aufgezeigt werden, wie aus einem erfolgreichen kon-
servativen Dax-30-Unternehmen eine LeadIng.-Company geformt wird, um nachhal-
tiges profitables Wachstum zu sichern. Insbesondere sollen die Rolle und der Wertbei-
trag des konzernweiten Personalmanagements im Rahmen der strategischen Neuaus-
richtung beschrieben werden. Es soll aufgezeigt werden, welche Impulse, Initiativen
und Programme von ihm ausgingen. Dies verdeutlicht, wie Veränderungen in Organi-
sationen durch das Personalmanagement aktiv, schnell, gezielt und nachhaltig umzu-
setzen sind. Der Beitrag stellt die Erfahrungen zusammen, die im Rahmen des Verän-
derungsprozesses bei der Umgestaltung und Neuausrichtung des Unternehmens ge-
macht wurden. Damit bietet er gleichermaßen Ansatzpunkte für alle Leser, die eigene
Vorgehensweise in Veränderungsprozessen zu reflektieren.
Der vorliegende Beitrag ist keine theoretische Abhandlung über Change Management
oder Organisationsentwicklung. Hierzu gibt es bereits sehr viele Veröffentlichungen
(z. B. Doppler & Lauterburg, 1994), die Modelle und Theorien darstellen, die die Kom-
plexität von Organisationsveränderungen, ihre Einflussgrößen, Interdependenzen und
Wirkmechanismen allumfassend beschreiben. In der Praxis aber zählen nicht theoreti-
sche Erklärungen, sondern einzig und allein der Erfolg des Tuns. Oder um mit den Wor-
ten von Larry Bossidy und Ram Charan zu sprechen: „Everybody talks about change. In
recent years, a small industry of changemasters has preached revolution, reinvention,
quantum change, breakthrough thinking, audacious goals, learning organizations, and
the like ... unless you translate big thoughts into concrete steps for action, they’re point-
less. Without execution, the breakthrough thinking breaks down, learning adds no value,
people don’t meet their stretch goals, and the revolution stops dead in its tracks. What
you get is change for the worse, because failure drains the energy from your organizati-
on. Repeated failure destroys it.“ (Bossidiy & Charan, 2002, S. 19).
Als internationaler Technologiekonzern mit rund 42.000 Mitarbeitern in über 100
Ländern erwirtschaftete das Unternehmen im Jahr 2005 einen Umsatz von 10 Mrd.
Euro. In seinen zwei Unternehmensbereichen Gas und Engineering sowie Material
Handling besitzt es eine jeweils führende Marktposition. Das Unternehmen kann auf
eine 127-jährige Tradition zurückblicken. Der Gründer Carl von Linde war in
Deutschland einer der großen Erfinder und Unternehmerpersönlichkeiten seiner Zeit.
Der Unternehmensbereich Gas und Engineering ist in zukunftsträchtigen Geschäfts-
feldern tätig. Als führender Anbieter von Industrie- und Medizingasen setzt Linde Gas
insbesondere auf den weiteren Ausbau der Sparte Healthcare und den umweltfreundli-
chen Energieträger Wasserstoff. Mit eigenen Verfahren und Technologien konzentriert
sich Linde Engineering auf die Wachstumsmärkte im internationalen Anlagenbau und
richtet seine Kompetenz verstärkt auf Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff, Sauer-
stoff und Olefinen sowie zur Erdgasbehandlung. Gemeinsam stärken die beiden Ge-
schäftsbereiche das Segment Onsite, bei dem Großverbraucher mit Industriegasen aus
Anlagen versorgt werden, die direkt beim Kunden stehen. Mit den drei Marken Linde,
Still und OM Pimespo sowie dem strategischen Partner Komatsu Forklift Co. zählt
der Linde-Konzern zu den weltweit größten Herstellern von Staplern und Lagertech-
Change Case Linde 301

nikgeräten und ist Marktführer in Europa. Mit innovativen Produkten und Dienstleis-
tungsangeboten bedient Linde zunehmend neue Märkte und besonders zukunftsträch-
tige Segmente. Im Blickpunkt sind dabei vor allem Asien und der weitere Ausbau des
Servicegeschäfts.

Nach dem Wechsel des Vorstandsvorsitzes im Jahr 2003 sind der weitere Ausbau des
internationalen Geschäfts, profitables, nachhaltiges ertragsorientiertes Wachstum so-
wie Innovation vorrangige unternehmerische Zielsetzungen. Es wird angestrebt, ein
LeadIng.-Unternehmen zu sein: führend bei Produkten, Innovationen und im Markt.
War die Unternehmensführung in der Vergangenheit mehr auf lokale Unabhängigkeit
ausgerichtet, sollen auf Grund der immer schwieriger werdenden Wettbewerbssitua-
tion mehr Integration und Synergien über Unternehmensbereiche und Marken hinweg
geschaffen werden. Zur Umsetzung der neuen strategischen Ausrichtung kommt den
Mitarbeitern im Linde-Konzern eine besondere Rolle zu. Sie sind es, die mit ihrer
Qualifikation, Motivation und Leistung zum nachhaltigen unternehmerischen Erfolg
beitragen. People are the difference!

2. Perspektiven zur Neuausrichtung

2.1 Erfolgreiche Unternehmen

Jedes Jahr finden Wettbewerbe statt, um die innovativsten, besten oder attraktivsten
Unternehmen zu prämieren. Erst kürzlich wurde von Hewitt (2005) eine Studie mit
über 500 Unternehmen in den USA und Europa durchgeführt, die im Ergebnis die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von erfolgreichen und nicht-erfolgreichen Unter-
nehmen auflistet (vgl. Abbildung 1). Mit steter Regelmäßigkeit zeigt sich, dass erfolg-
reiche Unternehmen einen starken Fokus auf ein modernes Personalmanagement legen:
Sie haben eine klare Strategie für die Auswahl, Beurteilung, Entwicklung und Kom-
pensation von Führungskräften, der Vorstandsvorsitzende und seine Kollegen sind
aktiv in die Führungskräfteentwicklung eingebunden, sie haben einen erkennbaren
Fokus auf die Entwicklung von Potenzialen, Nachfolgeplanung wird systematisch be-
trieben, es gibt ein gut etabliertes Talentmanagement-System und es erfolgt die Mes-
sung von Leistung und Potenzial. In anderen Studien zeigen sich weitere Merkmale
erfolgreicher und innovativer Unternehmen: Sie haben eine starke Kultur, sie bieten
Identifikationsmöglichkeiten und Führung und legen Wert auf Innovation (Hay,
2005). Auch wurde untersucht, was High-Performance-Organisationen anders machen
als Low-Performance-Organisationen: Erstens automatisieren sie Geschäftsprozesse,
um maximale Effizienz und Effektivität zu erhalten, zweitens motivieren sie die Mit-
arbeiter durch offene Kommunikation und Einbeziehung in Entscheidungen, und
drittens unterstützen sie Personalentwicklung, um Qualität und Leistung zu erreichen
(Accenture, 2003).
302 Michael Prochaska

Eine Studie mit 500 Unternehmen in USA und Europa (Hewitt, 2005) kommt zu
folgenden Erfolgsfaktoren:
● Klare Strategie für Auswahl, Beurteilung, Entwicklung und Kompensation
von Führungskräften
● Aktive Rolle des Vorstands in der Führungskräfteentwicklung
● Fokus auf Potenzialentwicklung und Nachfolgeplanung
● Systematisches Talentmanagement
● Regelmäßige Bewertung von Leistung und Potenzial

Abbildung 1: Kennzeichen erfolgreicher Unternehmen

2.2 Die Rolle der Unternehmensstrategie


Die Strategiearbeit auf höchster Ebene ist eine wichtige Voraussetzung für ein Unterneh-
men, um Richtung und Rahmen zu erarbeiten und auf dem Markt erfolgreich zu sein.
Nach Müller-Stewens und Lechner (2001) ist es klar, dass Mitarbeiter wichtig sind. Wie
wichtig sie sind, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Seit Anfang der
60er-Jahre hat sich die Einstellung zur „Humanressource“ deutlich verändert. Waren
zunächst Menschen nur Erfüllungsgehilfen, hat heute das strategische Personalmanage-
ment Einzug in die Führungszentralen der Unternehmen gehalten. Mitarbeiter spielen
schon bei der Formulierung der Strategie eine wesentliche Rolle und nicht erst bei deren
Umsetzung, was auch die Studie von Accenture (2003) bestätigt. Fragt man erfolgreiche
Unternehmen nach ihrer Unternehmensstrategie, so sind Personalthemen wie z. B.
Organisationsveränderungen herbeiführen, Attraktivität des Unternehmens steigern,
Mitarbeiter binden und halten, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter verbessern, Mana-
gement und Führungsverhalten mit den Geschäftserfordernissen in Übereinstimmung
bringen und Leistungssteigerungen initiieren, Gegenstand der Strategie.
Für die Strategieentwicklung ist in der Regel eine kleine Abteilung verantwortlich, die
meist direkt dem Vorstandsvorsitzenden unterstellt ist. Sie besteht aus wenigen hoch-
qualifizierten Mitarbeitern, die bei angesehenen Beratungsfirmen wie McKinsey oder
Boston Consulting ihr Handwerkszeug erlernt haben. Sie verfügen über Tools, mit
denen Stärken und Schwächen der Organisation schonungslos offenbart werden
können. Ziel ist es, die Strategie immer wieder zu hinterfragen und zu prüfen, welche
Veränderungsmaßnahmen, Aktionen, Programme und Initiativen abzuleiten sind, die
der Organisation den Markterfolg sichern. Wichtig: Nicht das multimediale Feuer-
werk videoanimierter Powerpoint-Folien sichert den Erfolg. Letztlich zählt auch hier
nur die Umsetzung! Für eine Organisation ist eine „down to earth“-Strategieabteilung
wichtig, die sich nicht nur als Vorlagenersteller begreift und deren Selbstwert sich
nicht an der Anzahl der Powerpoint-Präsentationen im Vorstand festmacht. Ihr kommt
eine wesentliche Rolle in der Unternehmensentwicklung zu. Die Strategen können
ihre Rolle nur dann erfolgreich wahrnehmen, wenn sie eine herausragende Fähigkeit
zur Kommunikation und Vernetzung besitzen, z. B. um mit den Personalmanagern ein
gemeinsames Vorgehen zur Strategieumsetzung auszuarbeiten.
Change Case Linde 303

2.3 Erfolgreiches Change Management


In einer im Jahr 2005 im Linde-Konzern durchgeführten Führungskräftebefragung
wurde 400 Führungskräften u. a. die Frage gestellt, ob es notwendig ist, dass sich das
Unternehmen verändern muss, um auch künftig erfolgreich zu sein. Nahezu alle be-
antworteten diese Frage mit „Zustimmung“ oder „absoluter Zustimmung“. Zumindest
auf der Oberfläche scheinen Veränderungen also positiv besetzt zu sein. Betrachtet
man das Verhalten von Menschen in Veränderungsprozessen, dann wird man jedoch
schnell feststellen, dass zwischen der leicht gegebenen Zustimmung, dass Verände-
rungen notwendig sind, und der tatsächlichen Bereitschaft zur Umsetzung von Verän-
derungen eine große Kluft herrscht (vgl. Abbildung 2). Woran liegt das? Die Antwort
darauf ist einfach: Menschen suchen Sicherheit. Veränderung ist immer mit Unsicher-
heit behaftet, weil sie Neues mit sich bringt. Folglich wird sich ganz automatisch
Widerstand gegenüber Veränderungsvorhaben regen. In einer anderen Betrachtungs-
weise wird der „Genetic Code“ (Charan & Tichey, 1999) einer Organisation als Hin-
dernis für die schnelle und nachhaltige Veränderung angesehen, der über Jahre hinweg
in der Organisation gewachsen und nur schwer zu verändern ist. Er ist Teil der Unter-
nehmenskultur und manifestiert sich in Grundannahmen, Erwartungen, Werten und
Mythen der Mitarbeiter. Um nachhaltige Veränderungen in Organisationen zu be-
wirken, muss der Genetic Code grundlegend verändert werden. „Doing so is just im-
portant as devising your growth strategy. In fact, it’s part of the strategy, because it de-
termines what the strategy will be and whether it will work.“ (Charan & Tichey, 1999,
S. 11). Andere Autoren sind der Meinung, dass im Rahmen von Veränderungsprozes-
sen zunächst die „Brain Barrier“ (Black & Gregerson, 2003) überwunden werden
muss, um Veränderungen herbeizuführen. Sie konstatieren, dass 70 % aller Verände-
rungsvorhaben scheitern, weil es sehr wirkungsvolle mentale Modelle gibt, die Men-
schen davon abhalten, die Notwendigkeit für Veränderungen zu sehen und sich zu
verändern. Diese mentalen Modelle zu verändern, ist Kernaufgabe im Veränderungs-
prozess: Das Richtige tun und es gut tun, dann erkennen, dass das Richtige jetzt das

Abbildung 2: Verlauf von Emotionen in Veränderungsprozessen


304 Michael Prochaska

Falsche ist, sodann das neue Richtige tun, zunächst aber schlecht, um schließlich das
neue Richtige richtig zu tun. Jeder kann diese einfache Schrittfolge verinnerlichen.
Aber dennoch scheitern die meisten Veränderungsvorhaben. Die Frage ist warum?
Hierauf gibt es eine einfache Antwort: „The failure to see keeps the change process from
even getting started. Even when started the failure to move keeps us from entering the
path of the new right thing. Even if we start and move, the failure to finish keeps us from
doing the new right thing and doing it well.“ (Black & Gregerson, 2003, S. 13).
Es gibt eine Reihe von Publikationen zu Change Management sowie zur Frage, wie
man den Wandel erfolgreich gestaltet (Glasl & Lievegoed, 2004). Diese Veröffentli-
chungen fokussieren Anlässe, Methoden und Tools, den idealen Prozess sowie die
Rolle des Managements. Fest steht: Um erfolgreich Veränderungen umzusetzen, muss
aktiv geführt und gestaltet werden. Notwendig ist eine nachvollziehbare Verände-
rungsstrategie, reines Projektmanagement ist zu wenig. Sie liegt dann vor, wenn die
Ausgangssituation klar ist und von allen verstanden wird, die erfolgs-kritischen Fak-
toren ermittelt wurden, Anlässe und Notwendigkeiten, was zu verändern ist, beschrie-
ben sind, die Lücken in Fähigkeiten und Kapazitäten des Unternehmens erkannt und
erklärt sind, klar ist, was wo getan werden muss, um die Lücken zu schließen, diejeni-
gen Veränderungen feststehen, die ein Maximum an positiver Wirkung erwarten
lassen und die Messgrößen für den Erfolg definiert sind. Es geht also nicht um totale
Partizipation oder die Bombenwurf-Strategie. Es geht viel mehr darum, Verände-
rungsprozesse verantwortungsbewusst und mit hoher Erfolgsaussicht zu gestalten.

2.4 Trends für das Personalmanagement


Viel wird über das Personalmanagement in einer globalen und durch Informations-
technologie veränderten Welt gesprochen. In einer Prognosestudie hat sich Wunderer
(2002) mit den Herausforderungen und Konzepten für das Personalmanagement der
Zukunft in Schweizer Unternehmen beschäftigt. Demnach wird die Veränderung der
Wirtschaft, der Kommunikationstechnologie und der Demografie das Personalmanage-
ment am stärksten beeinflussen. Internes Unternehmertum wird strategische Heraus-
forderung, die Personalstrategie wird Teil der Unternehmensstrategie. Wachsendes Be-
wusstsein für die Bedeutung von Personalmanagement ist die Folge. Die Organisation
der Personalabteilungen wird zukünftig am stärksten durch neue Kommunikationstech-
nologien, Internationalisierungstendenzen und Virtualisierung der Unternehmen beein-
flusst. Neue Rollenschwerpunkte und steigende Attraktivität kennzeichnen dann die
künftige Tätigkeit des Personalmanagers. Fischer (2002) sieht vier Megatrends: eine
neue Ära des Individuums, die Technologisierung, die Globalisierung sowie das Diver-
sity Management. Ihm folgend werden Mitarbeiter individualistischer, selbstbewusster,
egoistischer und anspruchsvoller. Neue Technologien werden weiterhin das Leben be-
schleunigen, Netzwerke entstehen lassen und den Wert von Informationen erhöhen.
Lokale Märkte werden sich mehr und mehr in regionale und globale Märkte integrie-
ren, und Belegschaften werden immer vielfältiger werden. Das Personalmanagement
moderner Unternehmen muss darauf Antworten finden. Für Jochmann (2004) ist die
Veränderung der Rolle des Personalmanagers vom Administrator hin zum strategischen
Partner kennzeichnend für den Wandel im Personalmanagement.
Change Case Linde 305

Auch für Linde hat sich die Welt verändert. Das Personalmanagement der Vergangen-
heit war administrativ geprägt auf die Grundfunktionen Einstellen, Gehaltsadministra-
tion und Ausscheiden. Durch die auf Grund eines veränderten Wettbewerbsumfelds
und der fortschreitenden Globalisierung, notwendige strategische Neuausrichtung wur-
den Veränderungen initiiert, die zwangsläufig auch zu Veränderungen der Rollen, Auf-
gaben und Verantwortlichkeiten im Personalmanagement führen mussten. Wie aber
können die Personalarbeit und das Rollenverständnis in einem über Jahrzehnte hinweg
wachsenden und erfolgreichen typisch deutschen Unternehmen mit großer Tradition
verändert werden? Ganz einfach, indem sich das Personalmanagement neu ausrichtet,
den Erfordernissen des Business folgt und diejenigen Prozesse, Programme und Instru-
mente initiiert, die die strategische Neuausrichtung konsequent unterstützen. Dies ist
weder Kunst noch Hexenwerk, es muss einfach getan werden. Let’s just do it!

3. Strategieumsetzendes Personalmanagement
Wie bereits aufgeführt, strebt Linde die strategische Neuausrichtung des Unterneh-
mens hin zu einer LeadIng.-Kultur an. Dass dem Personalmanagement dabei eine
ganz besondere Rolle zukommt, wurde aus den Ausführungen im letzten Abschnitt
deutlich. An dieser Stelle sollen wesentliche Meilensteine vorgestellt werden, die im
Zeitverlauf zur konsequenten Umsetzung der neuen strategischen Ausrichtung des
Unternehmens beigetragen haben. Abbildung 3 zeigt diese Initiativen im Überblick.
Besonderes Gewicht hatten dabei Integrations- und Professionalisierungsinitiativen
im Personalmanagement, die konzernweite Bewertung von Stellen und Personen, die
Einführung des Management Cycles sowie die Schaffung der Lern- und Entwick-
lungsplattform Linde University. Sie werden daher im Folgenden näher beschrieben.

Abbildung 3: Wesentliche Initiativen zur strategischen Neuausrichtung


306 Michael Prochaska

3.1 Integration und Professionalisierung


3.1.1 Global HR Meeting oder „Wenn wir wüssten, was wir wissen“

War es in der Vergangenheit so, dass die Personalarbeit dezentral und bereichs-be-
zogen erfolgte, erfordert die strategische Neuausrichtung eine konzernweite Orientie-
rung im Personalmanagement, eine gemeinsame bereichsübergreifende Personalpoli-
tik sowie einheitliche Standards. Alle Personalbereiche sollten an der Erneuerung des
konzernweiten Personalmanagements mitarbeiten und sich an den Initiativen beteili-
gen. Deswegen wurde erstmals ein 2,5-tägiges Global HR Meeting veranstaltet, zu
dem die 40 wichtigsten Personalmanager weltweit vom Personalvorstand eingeladen
wurden. Ziele waren, das Kennenlernen der Personalmanger untereinander zu ermög-
lichen, Synergien zu schaffen, Best Practices vorzustellen, sich über die Personalpoli-
tik auszutauschen sowie den Umsetzungsstand der wesentlichen weltweiten Personal-
initiativen vorzustellen und zu besprechen. Im Anschluss an die Konferenz sollten
fünf Personalbrennpunktthemen von international besetzten Teams bearbeitet werden,
um die gemeinsame Ausrichtung zu stärken und um Synergieeffekte zu erzeugen.
Das erste Global HR Meeting war ein Erfolg, weil es seine Zielsetzungen vollständig
erreicht hat. Für die meisten Personalmanager war es das erste Mal, dass sie ihre
Kollegen aus anderen Ländern und aus den anderen Unternehmensbereichen getroffen
haben und die Möglichkeit bestand, sich untereinander auszutauschen. Das Vorstellen
der künftigen Ausrichtung durch den Vorstand und der wesentlichen strategischen
Initiativen hat dazu beigetragen, die gemeinsame Richtung zu erkennen sowie ein
Verständnis für gemeinsame Aufgaben zu entwickeln. Gleichzeitig konnten die Teil-
nehmer erkennen, dass sie als Personalmanager in einem Konzern mehr oder minder
an denselben Themen arbeiten und dass auch über die Konferenz hinaus Potenziale
für den Austausch von Best Practices bestehen und nur genutzt werden müssen. In Zu-
kunft soll jährlich eine weltweite Personalkonferenz durchgeführt werden.

3.1.2 Internationale Task Forces oder „Ich habe auch andere Aufgaben“
Um die Expertise der Personalmanager im Konzern für die Ausarbeitung von Instru-
menten, Programmen und Tools optimal zu nutzen sowie den Internationalisierungs-
und Integrationskurs von Linde weiter zu unterstützen, wurden während des ersten
Global HR Meetings im Rahmen einer Brainstorming-Sitzung Ideen zu gemeinsamen
Personalprojekten gesammelt, deren Bearbeitung das Personalmanagement im Kon-
zern voranbringen würden. So entstand eine Liste mit Themen, wie z. B. Verbesserung
der Kommunikation, Erarbeiten von Standards and Policies, Management Develop-
ment, Klärung von Verantwortlichkeiten zwischen Zentral- und Dezentralbereichen.
In einem nachfolgenden Priorisierungsverfahren wurden die Teilnehmer der Konfe-
renz aufgefordert, diejenigen fünf Themen auszuwählen, deren Bearbeitung aus ihrer
Sicht unmittelbar erfolgen sollte. Nachfolgend wurden fünf länder- und geschäftsbe-
reichsübergreifende Task Forces mit jeweils acht Personalmanagern gebildet, deren
Aufgabe es war, für jeweils eines der priorisierten Personalthemen eine Konzern-
lösung zu erarbeiten. Die Projekte hatten wichtige Konzernthemen wie Pension Plan
UK, Assignment Policy, Betreuung der Top 500, HR Kommunikationsplattform sowie
Change Case Linde 307

Management Development in High Growth Countries zum Gegenstand. Um die erfolg-


reiche Projektbearbeitung zu gewährleisten, wurde eine Projektstruktur zur Bearbei-
tung der Personalthemen definiert. Der Personalvorstand war Auftraggeber der fünf
Projekte. Ein erfahrener Personalmanager wurde als Projektleiter benannt, ihm wurde
eine Assistentin zur Seite gestellt. Um die Sicht des Linienmanagements bei der Aus-
arbeitung der Lösungen zu berücksichtigen, wurde ein Lenkungskreis nominiert, der
sich aus jeweils einem Geschäftsführer der Unternehmensbereiche zusammensetzte.
Zudem wurde bereits zu Beginn ein verbindlicher Meilensteinplan über den Bearbei-
tungszeitraum von 8 Monaten zugrunde gelegt, der drei Lenkungskreissitzungen und
die Abschlusspräsentation der Ergebnisse im Gesamtvorstand vorsah.
Die Erfahrungen, die wir im Rahmen der Projektbearbeitung sammeln konnten, sind
sehr positiv. Zunächst war es für viele Personalmanager fremd, in Task Forces über
Sprach-, Länder-, Hierarchie- und Zeitgrenzen hinweg gemeinsam an Aufgabenstel-
lungen zu arbeiten. Die Arbeit an den Projekten hat aber letztlich zu einem besseren
Verständnis untereinander und vor allem auch zu der Einsicht geführt, dass es überall
im Konzern Expertisen zu Personalthemen gibt, die nur gebündelt werden müssen,
um zu guten Ergebnissen zu kommen. Auch war für manche Personalmanager das
konsequente Projektmanagement ungewohnt: Einem definierten Projektplan zu fol-
gen, Meilensteintermine einzuhalten, Ergebnisse im Zeitplan abzuliefern, wurde in der
„alten Welt“ nicht nachgehalten. Auch mündeten die Ergebnisse der Projektarbeit kon-
sequent in die tägliche Arbeit der Personalmanager ein. Somit konnten die Beteiligten
selbst zu einer Veränderung beitragen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der
Aufwand zur Bildung der Task Forces auf jeden Fall gelohnt hat, auch wenn es
während der Bearbeitung nicht immer einfach war, die Projektgruppen zusammenzu-
halten. Projekte bieten eine sehr gute Möglichkeit der persönlichen und professionellen
Weiterqualifizierung. Auf Grund der guten Ergebnisse und Erfahrungen sollen auch
künftig wichtige Personalthemen von übergreifenden Task Forces bearbeitet werden.

3.1.3 Personalkommission oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“


Zur Umsetzung der neuen strategischen Ausrichtung des Konzerns ist eine sehr gute
Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Dies gilt nicht zuletzt für die Perso-
nalbereiche der Unternehmenseinheiten; sie sollten in diesem Zusammenhang eine
Vorbildfunktion übernehmen. Zum Aufbau einer effizienten Regelkommunikation
zwischen den Personalleitern der Unternehmensbereiche sowie den wichtigsten
Personalfunktionen in der Unternehmenszentrale wurde die Personalkommission ein-
gerichtet. Sie findet mehrmals im Jahr an wechselnden Orten statt. Ihre Ziele sind,
Personalthemen von Konzernrelevanz zu diskutieren, Konzern- und Bereichsinteres-
sen gegenüberzustellen und ggf. konzerneinheitliche Lösungsansätze zu erarbeiten. In
der Personalkommission konnten beispielsweise das Kompetenzmodell, die Vorge-
hensweise für die Nachfolgeplanung oder die Grundstruktur der Linde University ge-
meinsam verabschiedet werden. Sie ist das Gremium, in dem das Arbeitsprogramm
für die Personalbereiche der Unternehmenseinheiten besprochen und letztlich ver-
bindlich vereinbart wird.
308 Michael Prochaska

War es zu Beginn in den ersten Sitzungen schwierig, die gemeinsame Ausrichtung der
Personalbereiche zu finden, hat sich die Personalkommission im Verlauf der Zeit als
eine sehr gute und stabile Kommunikationsplattform erwiesen. Die Personalkommissi-
on vereinfacht auch die Programmplanung der Personalbereiche in den Unternehmens-
einheiten. Mit ihr wird klar, welche übergreifenden Initiativen, Programme und Prozesse
in Zukunft zu bearbeiten sind. Damit kann durch die Personalbereiche in den Unter-
nehmenseinheiten rechtzeitig eine angemessene Kapazitätsplanung und Ressourcenal-
lokation für übergreifende Personalprojekte vorgenommen werden. Gewissermaßen
beiläufig übernehmen die Personalleiter der Unternehmensbereiche ihre Rolle als Mul-
tiplikatoren der neuen Unternehmenskultur. Nachdem anfangs eher die Einstellung
„aus den Augen, aus dem Sinn“ vorherrschte, ist über die Zeit hinweg festzustellen,
dass alle Teilnehmer der Personalkommission die regelmäßig stattfindenden Meetings
als sehr produktiv und für die eigene Arbeit als wichtig einstufen. Die Personalkom-
mission hat mit sechs Treffen pro Jahr ihren optimalen Rhythmus gefunden.

3.1.4 Personalentwicklungs-Dialog oder „Ich muss erst meinen Chef fragen, ob


ich dazu Zeit habe“

Auch für die Leiter der Personalentwicklung gilt das Gleiche wie für die Personal-
leiter der Unternehmensbereiche: Sehr gute Kommunikation ist der Schlüssel für den
Erfolg bei der Umsetzung der neuen Strategie. Zum Aufbau einer effizienten Regel-
kommunikation zwischen den Personalentwicklungsleitern entstand der Personalent-
wicklungs-Dialog. Er findet sechsmal im Jahr an wechselnden internationalen Orten
im Konzern statt. Während die Personalkommission die gesamte Programmplanung
für alle Personalthemen vornimmt, ist es das Ziel des Personalentwicklungs-Dialogs,
Personalentwicklungsthemen von Konzernrelevanz zu diskutieren, zu planen und um-
zusetzen. In diesem Sinne ist dieser Kreis stärker operativ und kümmert sich um die
Umsetzung wichtiger Vorhaben. Dem Leiter der Konzern-Personalentwicklung
kommt eine besondere Rolle zu: Er ist Bindeglied zwischen Personalkommission und
Personalentwicklungs-Dialog.
Da bei den ersten Treffen noch nicht allen Teilnehmern klar war, welche Rolle er im
Veränderungsprozess übernehmen wird, war es anfangs sehr mühsam, die gemeinsa-
me Ausrichtung zu finden. Wurden die Leiter der Personalentwicklung mit übergrei-
fenden Aufgaben betraut, war oft das Argument zu hören: „Ich muss erst meinen Chef
fragen, ob ich dazu Zeit habe.“ Mit zunehmender Beteiligung an den Konzernprojek-
ten allerdings stellte sich mehr Bereitschaft zur gemeinsamen Arbeit und Klarheit
über die gemeinsame Ausrichtung ein. Auch dieser Kreis ist zu einer wichtigen Kom-
munikations- und Arbeitsplattform im Konzern geworden. Zu erwähnen ist auch, dass
sich die frühe Internationalisierung des Kreises sehr positiv auf die Ergebnisse ausge-
wirkt hat. Während unter der ausschließlichen Beteilung deutscher Teilnehmer The-
men meist sehr „deutsch“ diskutiert wurden, hat die Aufnahme von Kollegen aus Ita-
lien, Frankreich, Groß-Britannien und Finnland zu einem deutlichen Internationalisie-
rungsschub im Denken und im Handeln gesorgt. Ein weiterer positiver Effekt ist, dass
mehr und mehr Best Practices aus dem Konzern für lokale Fragestellungen genutzt
werden. So hat sich z. B. das Meisterappraisal im Unternehmensbereich Material
Change Case Linde 309

Handling so bewährt, dass es auf einen anderen Unternehmensbereich übertragen


werden konnte, Weiterbildungsangebote werden stärker übergreifend genutzt, oder es
konnte ein Beurteilungsverfahren für Six Sigma Black Belts eines Unternehmens-
bereichs bereits im Konzern ausgerollt werden. Dies sind die kleinen Erfolge, die
zeigen, dass Arbeitskreise wie der Personalentwicklungs-Dialog häufig beiläufig Sy-
nergieeffekte erzeugen. Da die Einrichtung des Personalentwicklungs-Dialogs erfolg-
reich war, wird er auch künftig stattfinden. Zu wünschen ist, dass mehr und mehr
Verantwortung für Konzernthemen an die Personalentwicklungsleiter der Unterneh-
mensbereiche übergeben werden kann. Dies setzt allerdings eine entsprechende Kapa-
zitätsplanung für die Mitarbeit an Konzernthemen voraus.

3.1.5 HR StepUp! oder „Am Anfang steht der Schweiß“


IT-Tools und IT-Strukturen setzen Standards, schaffen Synergien und fördern die
Arbeit in einer gemeinsamen Welt. Da in einem internationalen Konzern, der in über
100 Ländern vertreten ist, das Talentmanagement eine große Rolle spielt und kein ge-
meinsames System hierzu zur Verfügung stand, wurde im Vorstand die Entscheidung
zur konzernweiten Einführung der Datenbankanwendung HR StepUp! getroffen. In
ihr sind wesentliche Personal- und Führungsprozesse wie Zielvereinbarung, Mitarbei-
tergespräche, Nachfolgeplanung oder Talentmanagement für das gesamte Manage-
ment abgebildet, und es wurde weltweit eine einheitliche IT-Lösung zur Anwendung
gebracht (vgl. Abbildung 4). Startet man bei Null, bedeutet dies zunächst viel Energie
und Aufwand, die Architektur des Systems zu gestalten: Zunächst wurden die Prozesse
Zielvereinbarung und Nachfolgeplanung neu definiert, die Kompetenz- und Poten-
zialprofile sowie die Lebens- und Berufsbiografien der Manager abgebildet und
schließlich eine Vorgehensweise für ein Mitarbeitergespräch ausgearbeitet, mit dem
Ziele und Zielerreichung, Potenzial und Entwicklung im jährlichen Turnus abgegli-
chen werden können. Diese Elemente sind die Basis für ein Potenzialmanagement auf
Konzernebene. Bevor aber das Potenzialmanagement so richtig ins Laufen kommen
kann, müssen Daten in das System: Am Anfang steht der Schweiß! Hunderte Lebens-
läufe, Zielvereinbarungen, Nachfolgeplanungen etc. mussten eingegeben werden.
Schnell stellt sich die Frage, wer übernimmt diese Aufgabe? Anders als bei anderen
Themen, haben sich die Personalmanager der Unternehmensbereiche bei diesen Fra-
gen sehr schnell entschieden: Dies ist Aufgabe der Unternehmenszentrale!
War es zu Beginn des Projekts die Personalabteilung der Unternehmenszentrale, die
sich um den Aufbau des Systems kümmerte, wurde die Verantwortung für die Daten-
qualität und den -füllstand nach und nach den Unternehmensbereichen übergeben.
Hilfreich im Einführungsprozess von HR StepUp! war es, den Personalleitern der Un-
ternehmensbereiche die Übernahme der Verantwortung für Datenqualität und -füll-
stand in die Zielvereinbarung zu schreiben. Die Einführung von HR StepUp! ist auf
jeden Fall von großem Nutzen. Mit dem System ist konzernweit die Steuerung des
Potenzial- und Talentmanagements standardisiert und deutlich vereinfacht worden. Es
ist zu hoffen, dass das System in den nächsten Jahren mehr und mehr zu einem Best-
in-Class-System wird.
310 Michael Prochaska

Abbildung 4: HR StepUp!

3.2 Bewertung von Funktion und Person


3.2.1 Stellenbewertung oder „Welche Schulterklappen trage ich?“

Ein weiteres wichtiges Ziel im Rahmen der strategischen Neuausrichtung war es, kon-
zernweit Transparenz über die Wertigkeit von Funktionen herzustellen, um damit auch
die Bedingungen für die Kompensation der Führungskräfte zu verbessern. Die kon-

Abbildung 5: Stellenbewertungssystem
Change Case Linde 311

zernweite Einführung des 7-stufigen-Linde-Stellenbewertungssystems hat wesentlich


dazu beigetragen, dass alle wichtigen Funktionen im gesamten Konzern nun nach ein-
heitlichen Kriterien eingeordnet sind (vgl. Abbildung 5). Nach Abschluss der Bewer-
tung aller Funktionen der leitenden Angestellten in Deutschland wurde das neue Sys-
tem auch auf die meisten ausländischen Standorte übertragen, und zurzeit wird es auf
den außertariflichen Bereich angewandt. Wichtig ist festzuhalten, dass im Rahmen
dieses Projekts auch in den eigenen Reihen eine hohe Kompetenz im Bereich Stellen-
bewertung aufgebaut werden konnte. Dass das Einordnen der Funktionen nicht immer
ohne Komplikationen verläuft, ist klar, denn jeder möchte schließlich wissen, welche
Schulterklappen er trägt, und mancher ist mit dem Ergebnis unzufrieden. Trotzdem:
Das internationale Stellenbewertungssystem ist eine wichtige und faire Grundlage für
die zielgruppenorientierte Personal- und Führungskräfteentwicklung, um Führungs-
kreise zu definieren, und ist Basis für die Gehaltsentwicklung und -vergleiche. Unzu-
friedenheiten der Kunden im Rahmen eines solchen Projektes resultieren am ehesten
aus fehlender Umsetzungsgeschwindigkeit oder mangelhafter Kommunikation der Er-
gebnisse. Deswegen übernehmen die Personalbereiche hier eine wichtige Rolle. Sollte
im Einzelfall z. B. Unzufriedenheit mit der Einordnung einer bestimmten Funktion be-
stehen, ist es Aufgabe des verantwortlichen Personalmanagers, durch eine offene Kom-
munikation dafür zu sorgen, dass Klarheit und Transparenz hierüber hergestellt werden.

3.2.2 Leadership Appraisal oder „Das erste Feedback seit Jahren“

Wurden mit der Einführung des Stellenbewertungssystems die wichtigsten Funktio-


nen neu bewertet, sollten mit dem Leadership Appraisal die wichtigsten Personen eine
Standortbestimmung erhalten. Basis hierfür waren die im Rahmen der Stellenbewer-
tung erarbeiteten Stellenbeschreibungen sowie das Führungskompetenzmodell, das
von den Personalverantwortlichen der Unternehmensbereiche erarbeitet wurde. Es un-
terscheidet Fach-, Strategie-, Unternehmer-, Führungs-, Veränderungs-, Umsetzungs-
sowie Interkulturelle und Soziale Kompetenz. Im Vorfeld dieses konzernweiten Pro-
jekts wurde intensiv diskutiert, mit welcher Methode die Bewertungen durchgeführt
werden sollten. Letztlich fiel die Entscheidung auf ein teilstrukturiertes Interview, das
von zwei neutralen Personen durchgeführt wird, das etwa 2 Stunden dauert und das
mehrere Beurteilungsperspektiven enthält: die Einschätzung durch die beiden Inter-
viewer, eine Selbsteinschätzung sowie Referenzen. Im Anschluss an das Beurteilungs-
gespräch war ein Feedbackgespräch mit dem Vorgesetzten vorgesehen sowie darauf
aufbauend die individuelle Entwicklungsplanung.
Insgesamt nahmen in einem Zeitraum von 2 Jahren weltweit über 700 Führungskräfte
am Leadership Appraisal teil. Die schriftlich formulierten Ergebnisberichte sind eine
hervorragende Grundlage, um mehr über Talente und Potenziale zu erfahren, aber
auch um individuelle Handlungsbedarfe zu definieren. Jede Führungskraft erhielt mit
dem schriftlichen Ergebnisbericht ihr Kompetenzprofil (vgl. Abbildung 6), die Ein-
ordnung im Potenzialportfolio, eine Beschreibung der Stärken und Schwächen sowie
die Einschätzung künftiger Entwicklungsmöglichkeiten. Kritische Fälle gab es dort,
wo Personen und Funktionen nicht zueinander passten. Hier waren die Personalmana-
ger gefordert, zusammen mit den Business Managern auch unpopuläre Maßnahmen
312

Abbildung 6: Kompetenzprofil und Entwicklungsplan


Michael Prochaska
Change Case Linde 313

zu ergreifen. Bewertet man das Leadership Appraisal aus den Augen der Führungs-
kräfte, so war es ein Erfolg: Sie haben sich überwiegend positiv über das Appraisal
geäußert, auch wenn es nicht in allen Fällen positiv war. Für viele war es das erste
Mal, dass sie überhaupt ein Feedback erhalten haben. Die beurteilten Führungskräfte
sehen im Ergebnis des Leadership Appraisals eine Chance für Feedback und Weiter-
entwicklung.
Ebenfalls positiv hervorzuheben ist, dass es gelungen ist, mit dem Leadership Apprai-
sal die Kompetenz für das professionelle Beurteilen von Mitarbeitern im Unterneh-
men aufzubauen. Erfolgten die ersten Appraisals ausschließlich mit externen Beratern,
wurden sie nach und nach von Mixed Teams – einem Berater und einem trainierten
Personalmanager –, schließlich mit reinen internen Teams, die mit einem operativen
Business Manager und einem Personalmanager besetzt sind, geführt. Im Nachgang zu
den Appraisals wurde für jede beurteilte Führungskraft ein individueller Entwick-
lungsplan ausgearbeitet, und zwar auf der Grundlage gemeinsamer Standards. Um für
die Zukunft die interne Kompetenz für das Beurteilen von Mitarbeitern noch weiter
auszubauen und um sich künftig ganz unabhängig von Beratern zu machen, werden
hierzu mehrere zweitägige Trainings angeboten, in denen die Zertifizierung zum Lea-
dership Appraiser erworben werden kann.

3.3 Management Cycle – Integration von Strategie, Finanz- und


Führungsprozessen
Im letzten Abschnitt ging es um die Basis für ein effizientes Management Develop-
ment: Stellenbewertung und Leadership Appraisal. Beides war notwendig, um Trans-
parenz bezüglich der Stellenanforderungen und Potenziale, Stärken und Schwächen
von Führungskräften zu erhalten. Beides hatte den Charakter von einmalig durch-
geführten Projekten. Um die Steuerung von Performance und Potenzial regelmäßig
vornehmen zu können, war es notwendig, hierfür Standardprozesse wie Mitarbeiter-
gespräch, Nachfolgeplanung, Zielvereinbarung einzuführen und im Unternehmen
nachhaltig umzusetzen. Zudem ist es wichtig, die Welt nicht nur aus der Personaler-
brille zu betrachten, sondern ganz gezielt die Verzahnung zu anderen wichtigen Diszi-
plinen in der Unternehmenssteuerung wie z. B. Strategie und Finanzen herzustellen.
Deswegen wurde der Linde Management Cycle (vgl. Abbildung 7) ausgearbeitet. Er
integriert die wichtigsten Strategie-, Finanz- und Führungsprozesse und stellt sie im
Jahresverlauf dar. Der Management Cycle ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie
die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Strategie, Finanzen und Personal zu
einer besseren Unternehmenssteuerung führen kann.

3.3.1 Management Kick-Off oder „Das ist der wake-up call“

Das Management Kick-Off ist ein dreitägiges Meeting der Top 30-Führungskräfte im
Konzern und wichtiger Konzernfunktionen, zu dem der Vorstandsvorsitzende zu Be-
ginn des neuen Geschäftsjahres einlädt. Somit kann es auch als „wake-up call“ für das
Top-Management bezeichnet werden. In ihm werden die Ergebnisse des abgelaufenen
314 Michael Prochaska

Abbildung 7: Management Cycle

Jahres, die Ziele des Konzerns sowie der Unternehmensbereiche für das neue Ge-
schäftsjahr und andere wichtige Themen besprochen. Auch finden im Rahmen des
Management Kick-Offs Workshops zu strategisch bedeutsamen Themen statt. Damit
haben teilnehmende Führungskräfte die Möglichkeit, aktiv an der Umsetzung der
Unternehmensstrategie zu arbeiten. Die Ergebnisse werden dokumentiert und mit
Maßnahmenplänen hinterlegt. Aus dem Management Kick-Off haben sich beispiels-
weise Qualitätsoffensiven, Effizienzsteigerungs- oder auch Personaloptimierungspro-
gramme entwickelt.

3.3.2 Management Dialog oder „Kommunizieren wir jetzt nur noch über DV?“
Der Management Dialog ist ein Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter,
das etwa 1 bis 2 Stunden dauert und zum Ziel hat, Leistung und Potenzial der Mit-
arbeiter zu betrachten. Gegenstände des Dialogs sind die Zielerreichung im abgelaufe-
nen Jahr, Zielsetzungen für das neue Jahr, ein Abgleich des Kompetenz- und Poten-
zialprofils, Entwicklungsmaßnahmen sowie die Zusammenarbeit zwischen Vorge-
setztem und Mitarbeiter. Der Management Dialog wurde konzernweit eingeführt, um
sicherzustellen, dass die Potenzial- und Performancesteuerung regelmäßig und ange-
messen erfolgen kann. Er ist eine hervorragende Möglichkeit, zwischen Vorgesetztem
und Mitarbeiter Klarheit über Erwartungen, Anforderungen, Ziele und Interessen her-
zustellen. Als der Management Dialog mit einem IT-gestützten Workflow hinterlegt
eingeführt wurde, lautete die spontane Rückmeldung einiger Führungskräfte, ob es
nun gewünscht sei, dass man nur noch über DV miteinander kommunizieren solle.
Dies ist freilich nicht der Fall, jedoch hilft der Workflow, den Prozess verbindlich und
für alle einheitlich zu gestalten. Die Steuerung des Mitarbeitergesprächs-Prozesses er-
Change Case Linde 315

folgt zentral. Mitarbeiter und Führungskräfte sind es selbst, die die Eintragungen vor-
nehmen und die Daten eingeben; die Personalfunktionen der Unternehmensbereiche
achten auf die Qualität der Ergebnisse und unterstützen bei der Planung und Umset-
zung der besprochenen Entwicklungsmaßnahmen.
War es am Anfang schwierig, die Personalmanager der Unternehmensbereiche davon
zu überzeugen, dass ein einheitlicher Bogen im Konzern erforderlich ist, wurde im
Verlauf des Projekts in mehreren gemeinsamen Sitzungen ein von allen akzeptierter
Gesprächsbogen erarbeitet. Festzuhalten ist: Nicht der Gesprächsbogen macht die
Qualität der Zusammenarbeit zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter aus. Ob sich ein
Mitarbeiter wohl fühlt, ob er engagiert und motiviert an seine Aufgabenstellungen
herangeht und Leistung erbringt, ist vielmehr abhängig von den Aufgaben, Zielen und
der gesamten Führungssituation. Der Management Dialog kann in diesem Sinne nur
als Struktur für die gemeinsame konstruktive Diskussion über Leistung und Potenzial
dienen. Wenn er im Bereich der Führungskräfte vollständig verankert ist, kann im
nächsten Schritt die Übertragung auf weitere Zielgruppen erfolgen.

3.3.3 Leadership Survey oder „Brauchen wir wirklich ein 360-Grad-Feedback?“


Beim Leadership Appraisal haben die Führungskräfte ein Stärken- und Schwächen-
profil aus der Sicht „Außenstehender“ erhalten. Im Rahmen des Management Dialogs
erfolgt die Besprechung von Leistung und Potenzial aus Sicht des Vorgesetzten und
des Mitarbeiters selbst. Im Rahmen des Leadership Surveys erfolgt nun die Aufnahme
weiterer Beobachterperspektiven in den Beurteilungs- und Feedbackprozess: Vorge-
setzter, Kollegen, Mitarbeiter, Kunden und der Beurteilte selbst geben ein Feedback,
alles zusammen addiert sich zu einem 360-Grad-Feedback. Die Respondenten erhal-
ten online die Möglichkeit, die zu beurteilende Führungskraft hinsichtlich der
Führungskompetenzen einzuschätzen und vor allem auch offene Kommentare hin-
sichtlich drei Fragen abzugeben: Welches Verhalten soll die Führungskraft künftig auf
jeden Fall beibehalten? Welches Verhalten soll die Führungskraft künftig weniger zei-
gen? Was soll die Führungskraft auf jeden Fall abstellen?
Die Beantwortung des gesamten 360-Grad-Feedbacks durch die Respondenten erfolgt
anonym, die Auswertung wird von einer neutralen Stelle übernommen. Es hat sich
gezeigt, dass vor allem die Kommentare eine gute Grundlage für die weitere individu-
elle Personalentwicklung sind. Im Rahmen eines Feedbackgesprächs wird mit der be-
urteilten Führungskraft ein individueller Maßnahmenplan erarbeitet, der die wichtigs-
ten Veränderungsbereiche fokussiert, um die Führungskraft in ihrem Umfeld noch
wirksamer zu machen. Freilich wurde zu Beginn dieses Projekts die Frage gestellt, ob
das 360-Grad-Feedback wirklich notwendig sei und ein derartiges Verfahren im Kon-
zern eingeführt werden soll. Die Antwort des Top-Managements lautete „Ja“, und
zwar deswegen, weil es sich damit eine wesentliche Veränderung der Kommunika-
tions- und Feedbackkultur versprochen hat. Die bisher vorliegenden Ergebnisse, die
wir im Rahmen eines größeren Pilotprojekts erhalten haben, sind ermutigend und wer-
den dazu beitragen, das 360-Grad-Feedback im gesamten Konzern einzuführen.
316 Michael Prochaska

3.3.4 Management Conferences oder „Strategie und Kommunikation sind


immer Mangelthemen!“
Fragt man Führungskräfte nach Optimierungsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit
mit dem Vorstand, dann stehen „Klarheit der Strategie“ und „Verbesserung der Kom-
munikation“ immer ganz oben auf der Liste der Verbesserungspunkte. Daher sind re-
gelmäßig stattfindende Management-Konferenzen eine gute Möglichkeit, um genau
hier anzusetzen. Im Rahmen des Management Cycles haben die Management Confe-
rences das Ziel, die Führungskräfte detailliert über die Konzernstrategie und geplante
Veränderungen in den Geschäftsbereichen zu informieren. Zudem bieten sie eine her-
vorragende Plattform für den direkten Kontakt und für die direkte Kommunikation
mit dem Vorstand. Gerade in einem internationalen Konzern mit mehreren Divisionen
und Marken bietet sich selten die Möglichkeit des direkten Zusammentreffens der
Führungskräfte über Bereichsgrenzen hinweg.
Die Management Conferences sind als zweitägige Veranstaltungen konzipiert, zu de-
nen die oberen Führungskräfte des Konzerns eingeladen sind. Sie finden jährlich statt,
und es hat sich gezeigt, dass gerade mit solchen Veranstaltungen die Unternehmens-
kultur nachhaltig geprägt werden kann. Sie unterstützen den Transformationsprozess
von der „alten Welt“ in die „neue Welt“ und bieten die Möglichkeit, das gesamte
Unternehmen in seiner vollen Breite zu erleben. War es in der Vergangenheit üblich,
die Konferenz in Deutschland und in deutscher Sprache mit englischer Simultanüber-
setzung abzuhalten, ist Englisch mittlerweile Konferenz- und Konzernsprache gewor-
den, und die Veranstaltungsorte befinden sich im Ausland. Dieser Schritt hat dem Vor-
stand in den Augen der Führungskräfte hohe Glaubwürdigkeit für die Umsetzung der
Internationalisierungsstrategie verliehen.

3.3.5 Succession Planning oder „ … dann wird ja transparent, dass wir keine
Nachfolger haben“
Konzernweit einen Marktplatz für Talente und Potentiale entstehen zu lassen, der
Mitarbeitern und Führungskräften Karriere- und Entwicklungschancen bietet und glei-
chermaßen den Erfolg im Wettbewerb sichert, das ist eine Zielsetzung der Nachfolge-
planung. Um dahin zu kommen, musste jedoch richtige Kernerarbeit geleistet werden.
Wurden in der Vergangenheit die Nachfolgeplanungen in den Unternehmensbereichen
ganz unterschiedlich und auch nicht koordiniert vorgenommen, war es ein Ziel im Rah-
men der strategischen Neuausrichtung, alle Nachfolgeplanungen im Konzern auf einer
einheitlichen Basis vorzunehmen. In einem ersten Schritt wurden der Nachfolgepla-
nungsprozess und die Erhebungsinstrumente ausgearbeitet. Dass dies sehr schnell und
gut geklappt hat, lag nicht zuletzt an der gemeinsamen Erkenntnis der Personalleiter,
dass das Talentmanagement für den Konzern, aber auch für jeden Unternehmens-
bereich bereits sehr wichtig geworden ist. Rückläufige Bewerberzahlen, weniger Stu-
dierende in den für das Unternehmen wichtigen Studiengängen, harter Wettbewerb um
Talente sowie die demografische Verteilung im Unternehmen waren Gründe hierfür.
Der Nachfolgeplanungsprozess startet immer in den Unternehmenseinheiten, die Er-
gebnisse werden weiter und weiter konsolidiert, über die Abteilungen, Bereiche und
Change Case Linde 317

Geschäftsführungen hinweg bis in den Vorstand hinein. Im September eines jeden


Jahres findet im „HR Room“ ein eintägiger Vorstandsworkshop statt, bei dem die
Nachfolgepläne der Unternehmensbereiche, Talente und Potenzialträger intensiv dis-
kutiert und Handlungspläne abgeleitet werden. Hier besteht die Möglichkeit, u.a. Le-
bensläufe, Appraisal-Ergebnisse, Entwicklungspläne aus der Datenbasis HR StepUp!
aufzurufen und auf mehrere große Leinwände parallel zu projizieren. Dies erhöht die
Qualität der Diskussion nachhaltig. Die bisher gemachten Erfahrungen mit der kon-
zernweiten Nachfolgeplanung sind sehr gut. Insgesamt wurden weltweit für etwa 800
Schlüsselfunktionen Nachfolgepläne erstellt. Über Nachfolgeplanung eingegangen.
Amüsant sind auch Kommentare, die wir im Einführungsjahr gehört haben, z. B.:
„Wenn wir die Nachfolgeplanung jetzt so systematisch machen, dann wird ja transpa-
rent, dass wir für viele Funktionen keine Nachfolger haben …!“

3.3.6 Target Conferences oder „Leistung soll sich lohnen!“


Nachdem in den Strategiegesprächen die zukünftige Ausrichtung diskutiert und nach-
folgend in den Operational Budget Meetings die Grobplanungen für die Finanzpla-
nung der Unternehmensbereiche vorgenommen wurden, stehen vor Beginn des neuen
Geschäftsjahres eintägige Zielkonferenzen mit den Geschäftsführungen der Unterneh-
mensbereiche auf dem Plan. Sie werden vom Vorstand Finanzen und Personal mode-
riert und führen zu den Zielvereinbarungen mit den Geschäftsführern. In einem kaska-
denförmigen Prozess brechen die Geschäftsführer die Ziele dann weiter auf die
Führungskräfte ihres Verantwortungsbereiches herunter.
Leistung soll sich lohnen – das war das Motto für die Einführung des Bonus- und
Zielvereinbarungssystems für Führungskräfte im Rahmen der strategischen Neuaus-
richtung. Es wurde zur besseren Performancesteuerung eingeführt und mit variablen
Boni von 20 bis 50 Prozent des fixen Jahreseinkommens je nach Hierarchiestufe hin-
terlegt, wobei der variable Anteil zwischen 0 und 200 Prozent variieren kann. Grund-
lage sind Zielvereinbarungen mit Unternehmens-, Bereichs- und Positionszielen, die
zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter vereinbart werden. Nach den Zielkonferenzen
in den Unternehmensbereichen werden zwischen Vorgesetztem und Führungskraft
Ziele vereinbart, zur Mitte des Jahres in einem Halbzeitgespräch abgeglichen, um
dann am Ende des Jahres z. B. im Management Dialog die Endbewertung vorzuneh-
men. Die Führungskräfte haben auf die Einführung des neuen Systems überwiegend
positiv reagiert. Dies kam auch in den Ergebnissen einer Führungskräftebefragung
deutlich zum Ausdruck. Die Erfahrungen zeigen, dass die Personalleiter bei der Ein-
führung eines Bonussystems sehr auf die Qualität der Zielformulierungen und am
Ende auf die Bewertung der Zielerreichungsgrade achten müssen. Im ersten Jahr lag
der durchschnittliche Zielerreichungsgrad bei über 100 % und stand nicht in einem
1:1-Verhältnis zur tatsächlichen Performancesteigerung im Konzern. Den Personalab-
teilungen der Unternehmensbereiche kommt daher eine sehr wichtige Rolle bei der
Steuerung des Zielvereinbarungsprozesses zu. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass
das Anspruchsniveau der Ziele über die operativen Bereiche hinweg ausgewogen ist.
Für die Zukunft ist zu prüfen, ob die Zielvereinbarungssystematik auch auf weitere
Mitarbeitergruppen übertragen werden kann.
318 Michael Prochaska

3.4 Linde University


3.4.1 Top-Potenzial-Programme oder „Jetzt weiß ich endlich, dass ich zu Linde
gehöre“

Bei der Umsetzung des LeadIng.-Anspruchs und auf dem Weg zur Performance-Kul-
tur kommt den Programmen der Linde University eine wichtige Rolle zu. Mit ihnen
ist ein durchgängiges Konzept entstanden, das für verschiedene Zielgruppen an-
spruchsvolle Förderangebote bietet. Charakteristisch ist, dass die Teilnehmer der Pro-
gramme bereichsübergreifend und international zusammengesetzt sind. Zudem sind
jeweils Projekte zu betrieblichen Fragestellungen zu bearbeiten und eine konkrete Lö-
sung herbeizuführen. Vorstand und Top-Management geben die Projekte vor und
übernehmen die Rolle von Sponsoren. Die Linde University ist der Transformations-
riemen für die Umsetzung der neuen Unternehmensstrategie sowie ein Marktplatz für
Lernen und Aufbau von Netzwerken. In Zusammenarbeit mit führenden internationa-
len Business Schools umfasst sie das Global Leadership Program für die obersten
Führungskräfte, den Global Leadership Development Circle für das mittlere Manage-
ment sowie den Global Talent Circle für Nachwuchspotenziale.
Das Global Leadership Program qualifiziert Top-Potenziale im Bereich der obersten
Führungskräfte. Jeweils 28 Teilnehmer haben dabei die Möglichkeit, in drei Modulen
in Frankreich, Asien und Deutschland sowie während einer gemeinsamen Projektar-
beit, neue Inhalte zu lernen und Netzwerke im Konzern aufzubauen. Die vom Vor-
stand definierten und betreuten Projekte haben Themen wie z. B. die Verbesserung
von Innovationsprozessen, die Optimierung der Servicequalität oder die optimale
Schnittstellengestaltung zum Gegenstand. Die Ergebnisse der Projektarbeiten werden
zum Abschluss des Programms dem Vorstand präsentiert. Besonders hervorzuheben
ist, dass die Projektergebnisse in den Geschäftsbereichen umgesetzt werden. Damit
trägt das Programm zur konsequenten und zielorientierten Weiterentwicklung unserer
obersten Führungskräfte bei. Eine weitere Initiative der Linde University ist der

Abbildung 8: Programme der Linde University im Überblick


Change Case Linde 319

Global Leadership Development Circle für jeweils 40 Potenziale aus dem mittleren
Management. Es wird in drei Modulen in den USA, in China und Deutschland durch-
geführt. Inhaltlich setzt er sich mit General-Management-Themen wie Financial Dis-
cipline, High Performance Organizations und Führungsqualität auseinander. Er ent-
hält ebenso wie das Global Leadership Program einen Action-Learning-Ansatz. Im
Rahmen so genannter High-Performance-Improvement-Projekte haben die Projekt-
teams die Aufgabe, Prozessverbesserungen in den Geschäftsbereichen vorzuschlagen.
Mit dem Global Talent Circle werden junge High Potentials weiter qualifiziert. Mit
einem bereichsübergreifenden internationalen Teilnehmerkreis komplettiert dieses
Programm das Förderkreisangebot der Linde University (vgl. Abbildung 8). Haupt-
aspekte bei diesem Programm sind die Weiterentwicklung strategischer und unterneh-
merischer Kompetenzen sowie der Ausbau der Führungskompetenz.
Die Programme der Linde University sind ein wichtiger Beitrag zur gezielten Förde-
rung unserer Potenzialträger, zur weiteren Internationalisierung, zur Integration sowie
zur Verankerung einer performance-orientierten Linde-Kultur. Sie sind eine gute
Plattform, Führungskräfte auf die Übernahmen von Fach- und Führungsfunktionen im
Rahmen von Nachfolgeregelungen im Konzern vorzubereiten. Bei allen Programmen
gibt es ein einfaches Prinzip der Nominierung: Die Personalabteilungen in den
Unternehmensbereichen erhalten die Aufforderung, eine Liste mit Kandidaten für die
Programme zu erstellen, wobei die Anzahl der Plätze je Unternehmensbereich vorge-
geben wird. Leitlinie beim Erstellen der Kandidatenliste ist, mindestens 50 % der Teil-
nehmerplätze international zu besetzen und auch Frauen für die Programme zu benen-
nen. Danach werden die Listen der Unternehmensbereiche im Vorstand abgestimmt
und die Kandidaten nominiert. Es findet jährlich je ein Programm statt; pro Jahr kön-
nen etwa 100 Führungskräfte an den verschiedenen Programmen teilnehmen.

3.4.2 Leadership Excellence oder „Das brauchen wir doch gar nicht“

Nachdem im gesamten Konzern die Leadership Appraisals durchgeführt worden


waren und somit jeder Manager sein persönliches Stärken- und Schwächenprofil er-
halten hat, wurden individuelle Entwicklungspläne abgeleitet. Diese Entwicklungs-
pläne fokussieren sich in erster Linie auf Veränderungen hinsichtlich der gegenwärti-
gen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, neuer Projekte, Job Rotations, aber auch auf
Trainings- und Seminarmaßnahmen, die helfen sollen, die Wirksamkeit des Managers
zu verbessern. Im letzten Abschnitt wurden bereits die Programme der Linde Univer-
sity beschrieben, die jedoch in erster Linie den Potenzialkandidaten vorbehalten sind.
Da sich im Verlauf der Leadership Appraisals gezeigt hat, dass es im Management
durchaus Lernbedarfe hinsichtlich der Themen Strategieverständnis und -umsetzung,
Führung, unternehmerisches Denken und Handeln sowie Veränderungsmanagement
gibt, wurde unter dem Dach der Linde University die Leadership Excellence Initiative
gestartet. Mit ihr steht ein Seminar- und Workshopangebot zur Verfügung, das genau
diejenigen Themen behandelt, die als Lernpotenziale ausgemacht wurden. Es besteht
aus den Bausteinen Strategy, Leadership, Business und Change. Die Seminare und
Workshops sind zwei- bis dreimodulig und werden in enger Zusammenarbeit mit Pro-
fessoren von Business Schools sowie unternehmensinternen Experten durchgeführt.
320 Michael Prochaska

Diese Kombination sorgt dafür, dass die Veranstaltungen nicht als theoretische Ex-
kurse in fremde professorale Welten erlebt werden, sondern als wertschaffende, wis-
sens- und erfahrungserweiternde Lernmöglichkeiten. Die modulare Struktur sorgt für
den nachhaltigen Transfer des neu erworbenen Wissens in die betriebliche Praxis.
Pro Jahr haben bis zu 400 Manager die Möglichkeit, an diesen Veranstaltungen teilzu-
nehmen. Seminarsprache ist Englisch, der Teilnehmerkreis ist crossdivisional und in-
ter-national. Auch diese Veranstaltungsreihe ist sehr hilfreich bei der Umsetzung der
neuen Unternehmenskultur.
Bemerkenswert ist, dass die Ausarbeitung der Programmbausteine durch die Personal-
entwicklungsleiter der Unternehmensbereiche erfolgte. Damit konnten die einschlägi-
gen Erfahrungen der dezentralen Personalmanager hervorragend genutzt und ihre
Expertise in der Programmgestaltung berücksichtigt werden. Dies unterstützte auch die
Akzeptanz des neuen Angebots. War es in der Vergangenheit so, dass alle Unterneh-
mensbereiche eigene Initiativen zur Weiterbildung und Personalentwicklung ihrer
Führungskräfte unabhängig voneinander hatten, hat sich der Fokus hin zum Konzern
erweitert. Hörte man aus den Unternehmensbereichen anfangs durchaus Stimmen wie:
„das brauchen wir doch gar nicht, wir haben doch eigene Programme“, erfolgten die
Nominierungen für die entsprechenden Programmangebote ohne Probleme. Künftig soll
sich das Leadership Excellence Progam immer weiter den unternehmensinternen Bedar-
fen anpassen. Dies bedeutet, dass sich das Programmangebot weiterentwickeln wird,
einige Bausteine werden durch neue Themen ersetzt, andere werden hinzukommen. Es
ist die Philosophie, strategieumsetzend und bedarfsorientiert zu arbeiten. Demzufolge
werden nur diejenigen Entwicklungsmaßnahmen angeboten, für die es auch Bedarfe
gibt und die helfen, die neue Unternehmensstrategie nachhaltig zu verankern.

4. Schlussbemerkungen
Sicher ist es nicht möglich, auf den wenigen Seiten eines Beitrages alle Erfahrungen zu
beschreiben, die während der Umsetzung der strategischen Neuausrichtung eines Kon-
zerns hin zu einer LeadIng.-Company zu sammeln sind. Wenn sich das Personalmana-
gement als Change, Business und Strategischer Partner positionieren will, dann ist
hierfür harte Arbeit zu leisten, letztlich bezieht das Personalmanagement sein Ansehen
aus dem Tun. Meiner Erfahrung nach sind folgende Erfolgsfaktoren entscheidend:
• Top-down Commitment: Dass das Top-down Commitment wichtig ist, wird ver-
mutlich von niemandem bestritten. Deswegen findet man diesen Erfolgsfaktor
auch in den meisten Veröffentlichungen zum Change Management. Es klingt platt,
es ist aber keine Plattitude. Wenn das Top-down Commitment nicht gegeben ist,
sollte man am besten gar nicht an Veränderungsvorhaben herangehen!
• Strategieverständnis: Der Personalmanager braucht das Verständnis für die Unter-
nehmensstrategie und die Fähigkeit, die Strategie in Personalthemen umzusetzen.
Er achtet dabei auf die Verzahnung der verschiedenen Programme über Funktions-
bereiche und Hierarchien hinweg, unterstützt den organisatorischen Wandel und
arbeitet mit den richtigen Programmen zur richtigen Zeit.
Change Case Linde 321

• Projektmanagement: So fremd es für manche Personalmanager ist, so wichtig ist


es für ihren Erfolg – ohne konsequentes Multiprojektmanagement geht in größeren
Veränderungsvorhaben gar nichts. Deswegen ist es ratsam, sich einen Plan zu ma-
chen und ihn dann Schritt für Schritt umzusetzen. Wichtig ist, nicht zu viele Initia-
tiven gleichzeitig zu starten, weil man damit leicht die Organisation überfordern
kann. Konsequentes Projektmanagement ist in vielen Organisationen der Schlüs-
sel, um erfolgreich zu sein.
• Ressourcen: Alle Pläne dieser Welt werden die Gegebenheiten nicht ändern, wenn
den Veränderungsmanagern die finanziellen und Mitarbeiterressourcen nicht zur
Verfügung stehen. Deswegen ist es ihre Pflicht, für die Allokation von Ressourcen
zu sorgen. Mit Ehrgeiz kann bestimmt manches Kapazitätsloch gestopft werden,
am Ende allerdings ist es die Frage, ob man genügend Manpower und Professiona-
lität zusammen hat, die gewünschten Veränderungen herbeizuführen.
• Erfolge: Gemessen wird man immer an der Umsetzung. Wenn zu viel geredet wird
und keine Taten folgen, dann ist die Veränderungsenergie in der Organisation
schnell verpufft. Es ist entscheidend, früh Umsetzungserfolge aufzeigen zu kön-
nen. Der Personalmanager agiert mit Nachhaltigkeit, Konsistenz und Transparenz.
Dies sind Anforderungen, die die Wirksamkeit der Maßnahmen ausmachen.
• Kommunikation: Es reicht nicht, seine Veränderungsabsicht und die Ergebnisse
von Veränderungsprojekten einem kleinen Kreis interessierter Personalkollegen
vorzustellen. Es ist wichtig, systematisch über die Veränderungen zu kommunizie-
ren und zu berichten, z. B. in Hauszeitschriften, Chat-Mails, auf Mitarbeiter- oder
Führungskräfteveranstaltungen oder bei anderen Anlässen. Das Personalmanage-
ment muss die Fähigkeit zur professionellen Kommunikation besitzen.
• Feedback: Im Rahmen von Veränderungsprozessen ist es sehr wichtig, sich immer
wieder Feedback einzuholen, egal ob systematisch oder unsystematisch. Jede
Möglichkeit hierzu sollte genutzt werden, um den Buy-in seiner Stakeholder zu
sichern. Hilfreich ist es, bestimmte Mitarbeitergruppen als Soundingboard zu nut-
zen oder aber auch Befragungen zur Kundenzufriedenheit durchzuführen.
• Rollenübernahme: Sollen die Personalmanager im Verlauf einer großen Verände-
rung selbst eine neue Rolle übernehmen, muss ihnen die Möglichkeit hierzu gege-
ben werden: durch Training und Projekte. Auch wenn es am Anfang länger dauert,
auch wenn die Ergebnisse schlechter sind. Am Ende werden die Personalmanager
immer besser und es wird Akzeptanz erzeugt.
Sicher bietet sich dem Personalmanagement selten die Gelegenheit, einen derart
grundlegenden Change-Prozess in einer Organisation umzusetzen. Häufig sind es nur
Teilaspekte, die in einem Unternehmen umgesetzt werden können. Wenn das Perso-
nalmanagement den Auftrag zur Veränderung bekommt, dann muss es professionell
agieren. Es muss in der Sprache des Managements seinen Beitrag zum Wandel und
zur Transformation des Unternehmens leisten. Veränderungen in Organisationen ge-
lingen nur dann gut, wenn die oben aufgeführten Punkte berücksichtigt werden. In
diesem Sinne kann ich allen Personalmanagern, denen sich die Gelegenheit zur
Gestaltung einer Organisation bietet, raten, ihre Chance zu nutzen. Damit wird das
Personalmanagement zum Mitgestalter des Unternehmens und übernimmt die Rollen
als Change Agent, Business und Strategischer Partner.
322 Michael Prochaska

Literatur
Accenture (2003). High performance workforce study
Black, S. J/Gregersen, H. B. (2003). Leading strategic change. Breaking through the brain barrier.
Upper Saddle River, NJ
Bossidy, L./Charan, R. (2002). Execution. The discipline of getting things done. New York
Charan, R./Tichy, N. M. (1999). Every business is a growth business. How your company can pros-
per year after year, Baffins Lane, Chichester
Doppler, K./Lauterburg, C. (1994). Change Management – Den Unternehmenswandel gestalten.
Frankfurt/Main
Fischer, H. (2002). Makrotrends des Personalmanagements. In Schwuchow, K./Gutmann, J.
(Hrsg.), Jahrbuch Personalentwicklung und Weiterbildung, Neuwied
Glasl, F/Lievegoed, B. (2004). Dynamische Unternehmensentwicklung. Grundlagen für nachhaltiges
Change Management, Stuttgart
Hay Group (2005). The innovative organisation: Lessons learned from most admired companies.
Hewitt (2005). Top companies for leaders
Jochmann, W. (2004). Aktuelle Anforderungen an die Personalfunktion – und das Management der
unternehmensweiten Human Resources. Personalführung, Ausgabe 8
Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2001). Strategisches Management: wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, Stuttgart
Wunderer, R. (2002). Personalmanagement. 2010 – Herausforderungen und Konzepte, in: Schwuchow,
K./Gutmann, J. (Hrsg.), Jahrbuch Personalentwicklung und Weiterbildung, Neuwied
Outsourcing der Bildungsfunktion in der
Deutschen Philips-Organisation oder
Wie man eine Dienstleistung zu einem
erfolgreichen Geschäft machen kann
Ulrich Pühse

1. Einführung
2. Ausgangslage
3. Der Ausgliederungsprozess
4. Der Start des neuen Unternehmens
5. Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter
6. Gründung der Top Business AG
7. Outsourcing der Bildungsfunktion – ein strategischer Fehler?
8. Ergebnisse und Ausblick

1. Einführung
Führungskräftefortbildung spielt bei Philips eine außerordentlich wichtige Rolle,
nicht zuletzt deshalb, weil Philips in den neunziger Jahren verschiedene breit angeleg-
te Organisationsentwicklungs- und Restrukturierungsvorhaben gestartet und sehr er-
folgreich abgeschlossen hat. Im Rahmen dieser Restrukturierung haben sich die ver-
schiedenen Unternehmensbereiche auf ihre Kernkompetenzen konzentriert und sich
von vielen Aktivitäten getrennt, die nicht zum eigentlichen Kerngeschäft gehören.
Dazu gehörten viele Geschäftseinheiten, deren Marktposition nicht auf den ersten
Rängen zu finden war und die in einer anderen Partnerschaft erfolgreicher agieren
konnten, aber auch viele Dienstleistungen.
Solche unternehmensnahe Dienstleitungen werden heute vielfach von darauf speziali-
sierten Dienstleistungsunternehmen übernommen. Dadurch gewinnen die Konzerne
Flexibilität und Professionalität. Ein Beispiel für die Ausgliederung einer Dienstleis-
tung ist die 1989 gegründete Philips-Akademie, die ein Geschäftsbereich der damali-
gen Philips Kommunikations Industrie AG war. Viele große Unternehmen denken
heute über die Ausgliederung von bestimmten Funktionen nach, insofern ist dieser
Beitrag als Anregung für solche Überlegungen gedacht. Er soll die Chancen und Risi-

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_21,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
324 Ulrich Pühse

ken aufzeigen, die mit einer solchen Weggabe von Kompetenzen verbunden sind. Die
Darstellung erfolgt aus der Sicht des outgesourcten Unternehmens, betrachtet dabei
auch immer die Situation der outsourcenden Gesellschaft.
Im Zusammenhang mit Konzepten, die zu höherer Effizienz im Unternehmen führen
sollen (z. B. Lean Management, Prozessorganisation, Teilautonome Arbeitsgruppen
(TAG), Mini Companies, Business Excellence), wird heute in vielen Unternehmen
darüber nachgedacht und diskutiert, inwieweit eine Ausgliederung von Unter-
nehmensteilen dieses Effizienzziel nachhaltig unterstützen kann. Der Markt der
unternehmensnahen Dienstleistungen ist der am stärksten wachsende Markt in der
Bundesrepublik Deutschland (Stand 2000). Das deutet darauf hin, dass sich die
Ausgliederung von Dienstleistungsfunktionen in den letzten fünf Jahren stark be-
schleunigt hat. Solche Dienstleistungen sind zum Beispiel Facility Management,
Logistik, Finanzfunktionen, Funktionen des Personalwesens (Gehaltsabrechnung,
Bildung, Recruiting), Servicefunktionen. Überwiegend beinhalten diese Funktionen
keine Kernkompetenzen des ausgliedernden Unternehmens, jedoch gibt es auch dazu
Ausnahmen, wie später gezeigt werden wird. Welche Funktionen können nun ausge-
gliedert werden, wer sind die Manager dieser ausgegliederten Einheiten, wie werden
sie qualifiziert, welche Rechtsform eignet sich am besten, wie ist die Verbindung
zum ausgliedernden Unternehmen zu gestalten, welcher Markt soll bedient werden,
wie groß ist die Abhängigkeit der Partner, welche finanziellen Risiken müssen kalku-
liert werden, wie hoch ist der Finanzbedarf, kurzum: Wird das neue ausgegliederte
Unternehmen mindestens für eine absehbare Zeit (Minimum: drei Jahre) überleben
können? Dann stellt sich auch die wichtigste Frage für ein Dienstleistungsunterneh-
men überhaupt: Werden die Mitarbeiter den Schritt der Ausgliederung mitgehen, un-
ter welchen Bedingungen werden sie bereit sein, ihr Know-how weiterhin zur Verfü-
gung zu stellen?
Im Folgenden soll am Beispiel der Top Business AG (Top steht für Technology,
Organization, People) ein bis heute erfolgreicher Ausgliederungsfall beschrieben wer-
den. Dieses Beispiel soll kein Rezept für Ausgliederungen sein, sondern Anregungen
geben, wenn Überlegungen zu einem Outsourcing angestellt werden.

2. Ausgangslage
Die Telekommunikationsindustrie befand sich 1992 in einer äußerst prekären Lage,
die im Wesentlichen durch drei Einflussfaktoren hervorgerufen wurde, die fast zeit-
gleich in dieselbe Richtung wirkten:
• Durch die Öffnung des europäischen Binnenmarktes entstand eine völlig neue
Wettbewerbssituation: Das bis dahin herrschende Oligopol wurde durch den Ein-
tritt von internationalen Wettbewerbern in den Markt aufgebrochen, was u. a. zu
einem scharfen Preiswettbewerb führte.
• Die technologische Entwicklung erlebte durch die Digitalisierung einen Quanten-
sprung: Diese Entwicklung führte ebenfalls zu einem Preisverfall, da mit wesent-
lich weniger Aufwand die gewünschten Funktionen erstellt werden konnten.
Outsourcing der Bildungsfunktion 325

• Der große Nachholbedarf in Deutschland, der durch die Öffnung der Grenze seit
1989 zu einem Boom in der Telekom-Industrie geführt hatte, war zu einem großen
Teil abgedeckt. Damit mussten die zuvor aufgebauten Kapazitäten wieder abge-
baut werden. Das führte zu erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen für die
Unternehmen.
Alle Unternehmen mussten dieser Entwicklung durch drastische Veränderung in ihren
Abläufen, durch Kostenreduktion, letztlich durch die Beschränkung auf ihr Kernge-
schäft und ihre Kernkompetenzen begegnen.
Der Geschäftsbereich Philips Akademie gehörte nach Auffassung des Vorstandes der
Philips Kommunikations Industrie AG nicht zum Kerngeschäft des Unternehmens,
denn dieses Unternehmen befasste sich vornehmlich mit der Entwicklung, Produktion
und dem Vertrieb von Übertragungstechnik, Mobilfunktechnik, Informationstechnik
sowie mit Nachrichtenkabeln. Die Führung des Geschäftsbereiches wurde deshalb ge-
beten, Vorschläge für die Ausgliederung des Bereiches vorzulegen (Die Suche nach
anderen Käufern, die ebenfalls intensiv betrieben wurde, wird hier nicht näher be-
schrieben. Im Rahmen des beschriebenen Prozesses wurden noch weitere Unterneh-
mensteile ausgegliedert, so z. B. ein Servicebereich). Philips machte klar, dass das Un-
ternehmen keine Geschäftsanteile an dem neuen Unternehmen halten wollte. Es sollte
lediglich einen Rahmenvertrag über die Lieferungen von Dienstleistungen für einen
Zeitraum von knapp drei Jahren geben, der dem Unternehmen ein Abnahmevolumen
garantierte, welches dem der vergangenen Jahre entsprach.

Ein Blick in die Historie zeigt die Entwicklung der Philips Akademie
in den vergangenen zehn Jahren.

Die Philips Akademie wurde 1989 als Geschäftsbereich der Philips Kommunikations
Industrie AG gegründet. Er ging aus dem sogenannten Ausbildungs- und Informati-
onszentrum des damaligen Unternehmensbereiches Data Systems der PKI AG hervor.
Alle Unternehmen der IT-Industrie hatten schon immer sehr intensiven Bedarf an
Qualifizierungsmaßnahmen, und zwar sowohl für ihre eigenen Mitarbeiter als auch
für ihre Kunden. Die bis heute anhaltende sehr hohe Veränderungs- bzw. Entwick-
lungsgeschwindigkeit auf diesem Gebiet erfordert ein überproportionales Maß an
Weiterbildung, ohne die ein Einsatz der Systeme nicht denkbar ist. Ähnliches galt
schon damals für die Kommunikationstechnik. Dieser Trend hat sich durch mehrere
Quantensprünge eher noch verstärkt.
Während in den achtziger Jahren solche Dienstleistungen Teil des Hardwareangebotes
waren (also quasi verschenkt wurden), kam man Anfang der neunziger Jahre durch
verstärkten Wettbewerb darauf, diese Leistungen zu vermarkten. Das war auch der
Grund, weshalb das „Ausbildungs- und Informationszentrum“ als Profit Center ge-
führt wurde. Für die Aktivitäten nach innen war es ein Cost Center.
Die Erfahrungen der Informationstechnik auch für die Kommunikationstechnik zu
nutzen war der eigentliche Grundgedanke für die Gründung der Philips Akademie.
Später entschied das Philips Management, aus Effizienzgründen auch das sogenannte
326 Ulrich Pühse

„Soft Skills Training“ in die Philips Akademie zu integrieren. Die Philips Akademie
wurde wie ein „normaler“ Geschäftsbereich in die Organisation der PKI AG inte-
griert. Sie gehörte nicht zur Personalabteilung, sondern berichtete an den Vorstands-
vorsitzenden. Damit war deutlich, dass dieser Geschäftsbereich keine Stabsabteilung
war (die nur Kosten verursachte), sondern einen Ergebnisbeitrag abzuliefern hatte.
Gleichzeitig sollte die strategische Bedeutung dieses Dienstleistungsgeschäftes her-
ausgestellt werden.

3. Der Ausgliederungsprozess
Nach der Beschlussfassung des Vorstandes entwickelte die Leitung des Geschäftsbe-
reiches verschiedene Pläne für die Ausgliederung des Bereiches. Da Philips keine Ge-
schäftsanteile in seinem Portefeuille behalten wollte, bedeutete hier das Wort „Out-
sourcing“ die komplette wirtschaftliche und rechtliche Ausgliederung des Geschäfts-
bereiches. Das schloss sämtliche Mitarbeiter (zum Zeitpunkt der Ausgliederung waren
es 48 Mitarbeiter auf Vollzeitbasis) und das gesamte Anlage- und Umlaufvermögen
ein.
Das Management des Bereiches erstellte in einem ersten Schritt Businesspläne in
verschiedenen Varianten: best case-, real case- und worst case-Szenarios. Wesentli-
cher Teil eines solchen Businessplanes sind Annahmen über den Markt. Und hier be-
gannen bereits die Schwierigkeiten: Zunächst musste man „den“ Markt definieren –
auf welchen Geschäftsfeldern wollte man operieren, mit welchen Dienstleistungen,
wo waren die Kunden (außer Philips selbst). Welche Investitionen waren erforder-
lich, Investitionen in die Ausbildung der Mitarbeiter, aber auch in Ausrüstungsgegen-
stände. Eine eigenständige Gehaltsabrechnung, Buchhaltung, Facility Management
etc. war nicht vorhanden. Der Geschäftsbereich war ja vollständig in die Infrastruktur
eines Großunternehmens eingebunden (und damit auch in die Kostenstruktur dieses
Konzerns). Kostenvorteile mussten sich aber ergeben, wenn sich die ganze Operation
auch rechnen sollte. Wegen der Vorschriften des § 613a BGB (nach dieser Vorschrift
dürfen wegen des Betriebsüberganges ein Jahr lang keine Mitarbeiter entlassen
werden oder die Rahmenbedingungen geändert werden) mussten also andere Kos-
tenvorteile gesucht werden. Die gesamte Aufbau- und Ablauforganisation wurde auf
die Frage hin untersucht, was die spezifischen Anforderungen eines Dienstleistungs-
geschäftes sind und wie diese in eine schlanke und kostengünstige Struktur gegossen
werden können.
Eine sinnvolle Marktprognose als Basis für jeden Geschäftsplan musste die Entwick-
lung über mindestens drei Jahre abschätzen. Zum Zeitpunkt der Ausgliederung lag der
Markt für Trainingsdienstleistungen am Boden. Viele Trainingsunternehmen berichte-
ten über Umsatzrückgänge von bis zu 30 Prozent zum Vorjahr. In dieser Situation
würde es nicht leicht sein, einen anderen Interessenten für die Übernahme zu finden
(was tatsächlich auch nicht gelang). Denn neben der Übernahme durch das Manage-
ment oder die Mitarbeiter war das doch die Voraussetzung für eine gewünschte Aus-
gliederung.
Outsourcing der Bildungsfunktion 327

Durch die Tatsache, dass der Vorstand der PKI AG und auch der Philips Vorstand in
Deutschland (Dachorganisation der Philips Aktivitäten in Deutschland) sich um viele
„Baustellen“ kümmern musste, dauerte der Ausgliederungsprozess insgesamt zwölf
Monate.
Der Prozess bestand im Wesentlichen aus folgenden Teilen:
• Entwurf des Ausgliederungsmodells und seiner Varianten
• Verhandlungen des Managements mit der ausgliedernden Unternehmensleitung
• Suche nach geeigneten potenziellen Käufern
• Intensive Kommunikation mit den Mitarbeitern
Für die damalige Geschäftsbereichsleitung kam nur ein Management-Buy-Out in Fra-
ge. Das bedeutete, dass über eine Übernahme durch die Mitarbeiter nicht diskutiert
wurde. Der Grund dafür war, dass ein neues Unternehmen eine klare Führung benötigt.
Eine Beteiligung jedes Mitarbeiters in der Größenordnung von 2 Prozent würde zu
endlosen Gesellschafterversammlungen führen, die den Entscheidungsprozess in der
ersten kritischen Phase lähmen würden. Das könnte fatale Folgen haben. Deshalb
schloss das Management diese Variante aus und entschloss sich, dafür nicht zur Verfü-
gung zu stehen. Auf das Thema Mitarbeiterbeteiligung wird später noch eingegangen.

Die Leitung des Geschäftsbereiches führte die Verhandlungen über ein Management-
Buy-Out. Bei solchen Verhandlungen sollten eine Reihe von Bedingungen beachtet
werden, die beide Partner später vor unliebsamen Überraschungen verschonen wür-
den. Folgende Bedingungen sollten für eine erfolgreiche Transaktion erfüllt sein:
• Für die Produkte oder Dienstleistungen des auszugliedernden Unternehmens muss
ein echter „Drittmarkt“ (entspricht allen Kunden außerhalb der bisherigen Mutter)
vorhanden sein. Wenn es absehbar ist, dass in den ersten drei Jahren nach der Aus-
gliederung nicht mindestens 30 – 40 Prozent der Kunden solche Kunden sind, die
nicht aus der ehemaligen Muttergesellschaft stammen, muss die Ausgliederung
ernsthaft in Frage gestellt werden.
• Es muss eine klare Abtrennung vom Mutterunternehmen vorgenommen werden,
welches das neue Unternehmen in den Stand versetzt, eigene, ihm passende Struk-
turen aufzubauen.
• Bestimmte Funktionen, die zum Zeitpunkt der Ausgliederung noch nicht in eigener
Regie übernommen werden können, müssen durch Dienstleistungsverträge mit
dem Mutterunternehmen abgesichert werden. Solche Funktionen sind z. B. Facility
Management, Kantine, werksärztlicher Dienst, Telefonanlagen, Computernetze
etc. Im vorliegenden Fall waren der Aufbau einer eigenen Kostenrechnung, Buch-
haltung und der personalwirtschaftliche Funktion das schwierigste.
• Die Businesspläne des auszugliedernden Unternehmens müssen auch in der Worst-
case-Betrachtung zeigen, dass eine Überlebensfähigkeit für mindestens drei Jahre
wahrscheinlich ist. Von ausschlaggebender Bedeutung ist eine realistische Liqui-
ditätsplanung.
• Der Businessplan muss von einem neutralen Dritten (am besten einer Bank) auf
Stichhaltigkeit überprüft werden. Das kann am besten dadurch geschehen, dass die
Bank auf der Basis des Businessplanes eine konkrete Kreditlinie einräumt oder
328 Ulrich Pühse

eine entsprechende Zusage schriftlich gibt. Die Zusage der Bank war im vorliegen-
den Fall ein wichtiger Meilenstein bei den Verhandlungen mit dem Management
des ausgliedernden Unternehmens. Eine Kreditzusage ist immer auch von der per-
sönlichen Bereitschaft des Managements abhängig, ein Risiko einzugehen. Damit
wird letztlich sichergestellt, dass sich das neue Management auch entsprechend en-
gagiert.
• Es müssen klare Absprachen über das Anlagevermögen getroffen werden.
• Die vertraglichen Bedingungen und Absprachen mit dem ausgliedernden Unter-
nehmen müssen realistisch sein. Im vorliegenden Fall gab es einen Kooperations-
vertrag, der das in den Folgejahren abzunehmende Dienstleistungsvolumen fest-
legte. Dabei folgte man der Formel: 100 Prozent des bisherigen Philips Volumen
(das entsprach etwa der Hälfte des Umsatzes des ersten Jahres) im ersten Jahr, da-
von 50 Prozent im zweiten Jahr, 50 Prozent vom zweiten Jahr im dritten Jahr. Das
bedeutete, sich intensiv um neue Kunden zu bemühen.
• Die Finanzierbarkeit des Kaufpreises muss sichergestellt sein.
• Ein kontinuierlicher Kommunikationsprozess muss den Ausgliederungsprozess
begleiten. Nur so kann es gelingen, dass möglichst viele Mitarbeiter mitgehen.
• Es sollte möglichst große Klarheit darüber bestehen, wie viele Mitarbeiter in das
neue Unternehmen übergehen. Letztendlich wird man das erst wissen, wenn das
unterschriebene Übernahmeschreiben auf dem Tisch liegt. Durch Gespräche kann
man dafür aber auch schon vorher ein gutes Gefühl entwickeln.
• Mit dem Betriebsrat des ausgliedernden Unternehmens muss möglichst frühzeitig
ein Konsens über wichtige Einzelheiten der Ausgliederung getroffen werden. Hier
wurde darüber ein Interessenausgleich zwischen dem ausgliedernden Unternehmen
und seinem Betriebsrat geschlossen, den das Management des auszugliedernden
Unternehmens bindend anerkannt hat. Darin wurde unter anderem vereinbart, dass
nach Ablauf eines Jahres die Verpflichtungen aus dem Manteltarifvertrag der IG
Metall für das neue Unternehmen nicht mehr bindend sein würden. Das neue
Unternehmen ist im Übrigen nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes und somit
tariflich nicht gebunden.
Das schwierigste am Ausgliederungsprozess war nicht etwa die Lösung der Sachpro-
bleme, sondern die Führung des Bereiches in der Übergangsphase, die alles in allem
ein Jahr dauerte. Während der Ausgliederungsprozess für das Großunternehmen nur
ein Geschäftsvorfall von vielen ist, geht es beim ausgegliederten Teil um die Existenz.
Wechselnde Gesprächspartner mit höchst unterschiedlichen Interessen und Ansichten,
Einflussnahme von den verschiedensten Konzernstellen aus den unterschiedlichsten
Motiven heraus machten die Verhandlungen schwierig. Gleichzeitig mussten die Mit-
arbeiter motiviert werden, sie sollten von den Unsicherheiten möglichst unbelastet
bleiben. Andererseits mussten sie immer mit so vielen Informationen versorgt werden,
damit die Glaubwürdigkeit des Managements nicht verloren ging. Das Ganze war ein
Balanceakt mit vielen Unbekannten.
Outsourcing der Bildungsfunktion 329

4. Start des neuen Unternehmens


Am 2. Mai 1994 nahm das neue Unternehmen unter dem Namen T.O.P. BusinessTrai-
ning GmbH (T.O.P. stand damals für Telekommunikation, Organisationsentwicklung
und Prozessmanagement) seine Tätigkeit auf. Nach endlos erscheinenden Verhandlun-
gen ging es jetzt darum, möglichst schnell die neue Situation zu meistern. Manche
einfachen Sachverhalte wurden plötzlich zu Hindernissen für den normalen Ge-
schäftsablauf: Die Eintragung ins Handelsregister musste beantragt werden, erfolgt
aber frühestens nach sechs oder acht Wochen. Rechtsgeschäfte ohne diesen Eintrag
sind häufig schwierig bis unmöglich. Mitarbeitergespräche mussten ausführlich ge-
führt werden: Was haben die neuen Eigentümer mit dem Unternehmen vor, welche
Perspektiven bieten sich mir, welche Rolle spiele ich in dem neuen Unternehmen –
das waren die wichtigsten Fragen. Hier konnten anfangs nicht alle Unsicherheiten be-
seitigt werden. Vertrauen gewinnt man durch Taten, nicht durch Worte.
Da erst unmittelbar vor dem Buy-Out die letzte Entscheidung gefallen war, mussten
nun in der ersten Phase der Selbständigkeit viele kleine und größere Entscheidungen
getroffen werden: Welche Steuerberatung, welche Buchhaltungssoftware bzw. welches
Buchhaltungssystem, welche Organisationsstruktur, wie soll der neue Firmenlogo
aussehen. Dann: Wie werden unsere (Drittmarkt-)Kunden reagieren? Pressekonferen-
zen (in Abstimmung mit Philips) etc. mussten vorbereitet und durchgeführt werden.
Wann immer möglich, sollten all diese Schritte vorher vorbereitet und entschieden
werden.
Entscheidend für das Gelingen der Startphase sind die Mitarbeiter. Im vorliegenden
Fall gab es eine hohe Identifikation und eine große Begeisterung für „unser“ neues
Unternehmen. Die Mitarbeiter erkannten sehr schnell, dass es auf jeden einzelnen an-
kam, wenn das neue Unternehmen erfolgreich sein sollte. Jede Mark, die ausgegeben
werden sollte, musste verdient werden. Die scheinbar unermesslichen Ressourcen ei-
nes großen Konzerns sind für die meisten sehr abstrakt und nicht greifbar. Das ist in
einem kleinen Unternehmen anders. Das Kostenbewusstsein und das ökonomische
Denken nahmen spürbar zu. Viele Regeln, die in einem großen Konzern ihren Sinn
haben mögen, wurden abgeschafft oder durch einfachere ersetzt. So muss z. B. kein
Mitarbeiter mehr eine Reise „beantragen“. Schließlich ist er selbst verantwortlich für
sein Geschäft. Es dauerte einige Jahre, bevor das sogenannte „Konzerndenken“ durch
mehr unternehmerisches Denken ersetzt wurde. Auch das Management brauchte Zeit,
um die neue Rolle auszufüllen.
Nach sehr kurzer Zeit wählten die Mitarbeiter einen Betriebsrat. Dieses Vorhaben
wurde von der Geschäftsführung aktiv unterstützt. Es ging den Mitarbeitern im We-
sentlichen darum – vor allen Dingen in der Anfangsphase, in der viele Dinge neu
geregelt werden mussten – ein entsprechendes Mitspracherecht wahrzunehmen. Die
Kooperation mit den Betriebsräten ist inzwischen vorbildlich, das Konfliktpotenzial
ist gering.
330 Ulrich Pühse

5. Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter


Nach Ablauf des ersten Jahres hatte die Geschäftsführung die Möglichkeit, den Mitar-
beitern neue Verträge anzubieten. Die Vertragsgestaltung wurde mit dem Betriebsrat
ausführlich erörtert. Die Geschäftsführung bot den Mitarbeitern eine Erfolgsbeteili-
gung an, die allerdings im Falle eines Misserfolges auch eine Misserfolgsbeteiligung
nach sich zog (d. h. Gehaltskürzung). Die Kürzung war nicht leicht zu vermitteln, den-
noch stimmten alle Mitarbeiter schließlich zu. Der Erfolg wurde als Gesamtunterneh-
menserfolg definiert und hatte seine Basis in der Steuerbilanz. Dieses Beteiligungs-
modell wurde in einer Betriebsvereinbarung festgelegt.
Neben der T.O.P. BusinessTraining GmbH wurde Mitte 1994 die T.O.P. BusinessCon-
sult GmbH gegründet, die das Dienstleistungsangebot zum Kunden abrundet. Darüber
hinaus entstand 1999 die T.O.P. BusinessInteractive GmbH, die sich mit der Produkti-
on von interaktiven Lernprogrammen und deren Vermarktung beschäftigt. Es geht
hier im Wesentlichen um Inhalte aus dem Bereich der Telekommunikation, die in der
Trainingsfirma bereits als Inhalte vorliegen.

6. Gründung der Top Business AG


Mitte des Jahres 2000 wurde aus der T.O.P. BusinessTraining GmbH und der T.O.P.
BusinessConsult GmbH die Top Business AG. Folgende Gründe ergaben den Aus-
schlag für die Änderung der Rechtsform:
1. Auflage eines Optionsprogramms, um die Mitarbeiter sukzessive am Unternehmen
zu beteiligen. In den nächsten 10 Jahren werden die Mitarbeiter ein Drittel des Un-
ternehmens besitzen. Sie nehmen damit an der Wertsteigerung des Unternehmens
teil.
2. Bildung eines hochkarätigen Aufsichtsrates, besetzt mit erfahrenen Praktikern, die
über hervorragende Kontakte in die Industrie verfügen.
3. Klare (gesetzliche) Nachfolgeregelung für den Fall, dass dem CEO etwas zustößt.
4. Schaffung zusätzlicher Kooperationsmöglichkeiten
5. Auftritt am Markt
6. Nutzung von Synergien zwischen Beratung und Training
7. Nutzung von steuerlichen Synergien
8. Vorbereitung eines Börsenganges als Unternehmens-Herausforderung

Gleichzeitig wurde die oben beschriebene Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter ersetzt


durch eine mehr leistungsorientierte Bezahlungsregelung. Jeder Mitarbeiter hat einen
variablen Gehaltsanteil, der nicht etwa on top gesetzt wurde, sondern durch einver-
nehmliche Gehaltsabsenkung erreicht wurde. So kann jeder Mitarbeiter sein Gehalt
Outsourcing der Bildungsfunktion 331

durch seine individuelle und die Team-Leistung beeinflussen. Darüber hinaus ist das
Unternehmen den Mitarbeitern behilflich bei der steuerlichen Optimierung ihres Ge-
haltes: In einer Art Cafeteria-System kann der Mitarbeiter zwischen bestimmten Sach-
und Geldzuwendungen wählen. In Abhängigkeit von seinen individuellen Bedürfnis-
sen wählt er so das für ihn am besten passende Paket.

7. Outsourcing der Bildungsfunktion – ein strategischer


Fehler?
In vielen Unternehmen, aber auch in Hochschulen wird Outsourcing von Personal-
funktionen, insbesondere der Bildungsfunktion heftig diskutiert. Gibt das ausgliedern-
de Unternehmen wichtige Kernkompetenzen aus der Hand, kann man noch gezielte
Personalpolitik betreiben, wenn bestimmte Funktionen ausgegliedert wurden?
Inzwischen hat die Top Business AG ihr Geschäft nicht unerheblich ausweiten können
durch die Tatsache, dass sie selbst von anderen Großunternehmen die Bildungsfunkti-
on eingegliedert hat. Sie ist damit Partner für diese Unternehmen bis hin zur
administrativen Handhabung des gesamten Bildungsgeschehens für diese Unternehmen.
Diese Form der Zusammenarbeit entwickelt sich sehr gut. Die Tatsache, dass das aus-
gliedernde Unternehmen Kunde und Vertragspartner des Dienstleistungsunternehmens
ist, führt eher zu einer noch besseren Beratung und Leistung. Im Folgenden wurde ver-
sucht, die wichtigsten Argumente aus der Sicht des ausgliedernden Unternehmens auf-
zulisten:

Argumente für ein Outsourcing

• Die Reduzierung der Fertigungstiefe verlangt, externe Lieferanten in den Produk-


tionsprozess einzubeziehen.
• Das Unternehmen befreit sich von Fixkosten (im Wesentlichen Personal- und
Raumkosten).
• Eingekaufte Leistungen führen zu mehr Flexibilität und gegebenenfalls zu mehr
Qualität, da ein Lieferant nicht „betriebsblind“ ist, also auch Erfahrungen aus an-
deren Unternehmen mitbringt. Im Bildungsbereich ist ein Externer häufiger aner-
kannt als der interne Trainer („Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“).
• Das Unternehmen kann sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren und alle vorhan-
denen Kräfte darauf fokussieren.
• Die Abteilungen müssen für jede eingekaufte Dienstleistung bezahlen. Das führt zu
mehr Effizienz.
• Wettbewerb unter den Lieferanten führt zu mehr Wirtschaftlichkeit der eingekauf-
ten Leistung – der Kunde hat die Wahl.
• Es wird weniger Managementkapazität gebunden.
• Lieferanten zeigen sich kundenorientierter als interne Abteilungen.
• Externe Lieferanten können jederzeit eingesetzt werden, ohne Rücksicht auf Arbeits-
zeiten und sonstige innerbetriebliche Restriktionen zu nehmen.
332 Ulrich Pühse

• Single-Sourcing kann durch entsprechende Verträge besser als durch Arbeitsverträge


abgesichert werden. Kündigt ein bestimmter Mitarbeiter, verlässt auch Know-how
die Firma. Bei Nichterfüllung des Lieferantenvertrages wird meist eine entspre-
chend hohe Konventionalstrafe fällig. Know-how-Abfluss wird ebenfalls durch ein
disclosure-agreement (verbunden mit Konventionalstrafe) abgesichert.
• Für den Dienstleister ist das Bildungsgeschäft das Geschäft, mit dem er Geld ver-
dienen muss, für das Großunternehmen ist es eine Dienstleistung einer Stabsabtei-
lung. Die Bildungspolitik verbleibt im Unternehmen.

Argumente gegen ein Outsourcing

• Das Unternehmen gibt Know-how nach außen.


• Das Bildungswesen ist ein wesentlicher strategischer Teil der Unternehmens- und
Personalpolitik und gehört daher zu den Kernaufgaben des Unternehmens.
• Die Kosten pro Einheit steigen, da jetzt Marktpreise bezahlt werden müssen (mehr
Transparenz, es kann nichts „verschmiert“ werden!).
• Die Lieferanten haben keinen ausreichend tiefen Einblick in die Unternehmensver-
hältnisse und -kultur.
• Die größere Abhängigkeit von Lieferanten ist nicht akzeptabel.

Bewertung der Argumente

Es gibt nicht die eine richtige Lösung, sondern jedes Unternehmen muss im Hinblick
auf seine spezifische Situation und Unternehmenskultur entscheiden. Zu den „con-
tra“-Argumenten kann wie folgt Stellung genommen werden:
• Ein Know-how-Verlust im Hinblick auf die Bildungsfunktion tritt zwar ein, kann
aber durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen kompensiert werden.
• Die Bildungsarbeit bleibt auch bei Auslagerung ein wichtiger strategischer Teil der
Unternehmens- und Personalpolitik, die Auslagerung selbst ändert diese Tatsache
nicht, da sie ja weiterhin den Vorgaben dieser Politik entsprechen muss.
• Die Kosten steigen eventuell für einzelne Maßnahmen, nicht aber insgesamt, da
die Risiken nunmehr ebenfalls ausgelagert sind und nur die Maßnahmen bezahlt
werden müssen, die das Unternehmen wirklich benötigt.
• Ein externer Lieferant kann durchaus sehr ausführlich über die Verhältnisse des
Unternehmens informiert sein, wenn er als Partner in die internen Vorgänge einbe-
zogen wird. Es trifft allerdings zu, dass er nun nicht mehr jeden Tag im Unterneh-
men lebt und daher viele atmosphärische Dinge nicht selbst miterlebt. Das kann
aber gerade deshalb Vorteile haben (→ Neutralität!). Die Vertraulichkeit ist dabei
nicht schlechter gewährleistet als bei eigenen Mitarbeitern – schließlich ist der ex-
terne Lieferant an einer dauerhaften Kundenbeziehung interessiert.
• Gegenseitige Abhängigkeit ist heute nichts Außergewöhnliches: Single sourcing ist
in verschiedenen Industriezweigen schon aus Kostengründen (vor allen Dingen
Entwicklungskosten) dringend geboten. Verträge schützen.
Outsourcing der Bildungsfunktion 333

Grundsätzlich gilt bei der Bewertung, dass bei entsprechendem Willen der Partner die
Schwierigkeiten überwunden werden können. Ein Konsens über die Ausgliederung ist
dringend angeraten.

8. Ergebnisse und Ausblick


Die Top Business AG zählt nach mehr als sechs Jahren am Markt zu den zehn größten
unabhängigen Bildungsanbietern in Deutschland. Sie beschäftigt derzeit ca. 90 festan-
gestellte Mitarbeiter und arbeitet mit mehr als einhundert freien Mitarbeitern zusam-
men. Die Ergebnisziele wurden in den letzten Jahren erreicht, die Umsatzziele über-
troffen. Die Ergebnisentwicklung ist erfreulich. Die Abhängigkeit zu einzelnen Unter-
nehmen ist nicht mehr vorhanden. Durch die konsequente Ausrichtung des Unterneh-
mens auf exzellente Dienstleistung, auf Kundenorientierung sowie die einzigartige
Mischung aus technischem Training (Schwerpunkt: Telekommunikation) und Organi-
sations- und Personalentwicklung wird in den nächsten Jahren ein organisches Wachs-
tum ermöglicht, das die Top Business AG als einen interessanten Partner für große
Unternehmen positioniert.
Strategisch ausgerichtete Anforderungsprofile:
Basis des Management Development der
Weka-Verlagsgruppe
Hans-Christian Riekhof

1. Die strategische Standortbestimmung der Weka-Unternehmensgruppe

2. Die Unternehmensstrategie als Basis des Management-Development-Programms


3. Das strategisch ausgerichtete Anforderungsprofil
3.1 Ertrags- und wachstumsorientierte Visionen und Strategien entwickeln:
Durch begeisternde, ertrags- und wachstumsorientierte Visionen die Mann-
schaft strategisch mobilisieren!
3.2 Strategien umsetzen:
Durch Hartnäckigkeit die Dinge in Bewegung bringen und halten!
3.3 Akquisitionsprozesse beherrschen:
Durch geplantes und umsichtiges Vorgehen neue Unternehmen ins Boot
holen!
3.4 Langfristige Kundenbeziehungen aufbauen:
Durch Nähe zum Kunden den Puls am Markt haben!
3.5 Kundengerechte Geschäftsprozesse schaffen:
Durch permanente Prozessmessung Abläufe verbessern!
3.6 Produkt-und Prozessinnovationen steuern:
Durch Mut und Risikobereitschaft Neuland erschließen!
3.7 Übergeordnete Synergien realisieren:
Durch internen Erfahrungsaustausch die besten Ideen zur Diskussion stellen
und breit im Unternehmen nutzen!
3.8 Informations-Netzwerke nutzen und multikulturelle Kompetenz entwickeln:
Intelligente Netze spinnen und nutzen!
3.9 Mitarbeiterentwicklung langfristig planen:
Durch Spitzenleute Spitzenleistungen schaffen!
3.10 Durch Leadership motivieren:
Durch Vorbildwirkung zu Höchstleistungen anspornen!
4. Die Anwendung des Anforderungsprofils in der Praxis

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2_22,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
336 Hans-Christian Riekhof

1. Die strategische Standortbestimmung der


Weka-Unternehmensgruppe
Die strategischen Herausforderungen in der Verlagsbranche sind in der Mitte der
neunziger Jahre durch zu erwartende und auch durch bereits sichtbare dramatische
Veränderungen gekennzeichnet:
• Die technologischen Voraussetzungen für das electronic publishing auf breiter Ba-
sis sind vorhanden, sodass sich die Spielregeln der Branche u. U. völlig verändern
• Akquisitionen sind insbesondere seitens der größeren Wettbewerber an der Tages-
ordnung
• Die Endverbraucher verändern ihre Gewohnheiten im „Konsumieren von Informa-
tionen“.
Diese Einschätzung der Situation führte dazu, dass in der Weka-Verlagsgruppe in
einem mehrmonatigen Projekt eine strategische Neuausrichtung erarbeitet wurde, die
diesen Herausforderungen Rechnung trägt und die Voraussetzungen für ein beschleu-
nigtes Umsatzwachstum bei nachhaltig exzellenten Ergebnissen schafft. Im Rahmen
der Umsetzung der strategischen Planungen wurde beschlossen, insbesondere Program-
me des Management Development zu entwickeln, um auch von der Seite des Führungs-
kräftepotentials her für das geplante Unternehmenswachstum gerüstet zu sein.

2. Die Unternehmensstrategie als Basis des Management-


Development-Programms
Konsequenterweise wurde ein Folgeprojekt ins Leben gerufen, dessen Zielsetzung die
Entwicklung der Grundzüge eines Management-Development-Programms war. Mit
externer Unterstützung durch UNICconsult wurde im Kreis der Holding-Geschäfts-
führung und in mehreren Projektteams eine Management-Development-Konzeption
erarbeitet, die unmittelbar aus der Unternehmensstrategie abgeleitet ist.
Die konsequent strategische Ausrichtung des Management Development zeigt sich
darin, dass u. a. strategische Leitlinien wie
• Wachstum aus eigener Kraft und Wachstum durch Akquisitionen
• Einstieg in neue Märkte und neue Technologien
• Verbesserung der operativen Effizienz
• Konsequente Nutzung von Konzernsynergien
die Basis für die Erarbeitung des zukünftigen Anforderungsprofils für Weka-Manager
bildeten. Dazu wurden in einem der Projektteams aus den strategischen Zielsetzungen
der Unternehmensgruppe künftige Aufgabenfelder für das Management abgeleitet, die
wiederum die Basis bildeten, um bestimmte notwendige Fähigkeitsfelder seitens der
zukünftigen Führungskräfte abzuleiten.
In folgenden Bereichen soll der Weka-Manager 2000 – neben seiner rein fachlichen
Qualifikation – ausgeprägte Fähigkeiten mitbringen bzw. herausbilden:
Basis des Management Development der Weka-Verlagsgruppe 337

1. Ertrags- und wachstumsorientierte Visionen und Strategien entwickeln:


Durch begeisternde, ertrags- und wachstumsorientierte Visionen die Mann-
schaft strategisch mobilisieren!
2. Strategien umsetzen:
Durch Hartnäckigkeit die Dinge in Bewegung bringen und halten!
3. Akquisitionsprozesse beherrschen:
Durch geplantes und umsichtiges Vorgehen neue Unternehmen ins Boot
holen!
4. Langfristige Kundenbeziehungen aufbauen:
Durch Nähe zum Kunden den Puls am Markt haben!
5. Kundengerechte Geschäftsprozesse schaffen:
Durch permanente Prozessmessung Abläufe verbessern!
6. Produkt- und Prozessinnovationen steuern:
Durch Mut und Risikobereitschaft Neuland erschließen!
7. Übergeordnete Synergien realisieren:
Durch internen Erfahrungsaustausch die besten Ideen zur Diskussion stellen
und breit im Unternehmen nutzen!
8. Informations-Netzwerke nutzen und multikulturelle Kompetenzen entwickeln:
Intelligente Netze spinnen und nutzen!
9. Mitarbeiterentwicklung langfristig planen:
Durch Spitzenleute Spitzenleistung schaffen!
10. Durch Leadership motivieren:
Durch Vorbildwirkung zu Höchstleistungen anspornen!

Abbildung 1: Das Anforderungsprofil für den Weka-Manager 2000 im Überblick

Diese Übersicht zeigt einen Anforderungskatalog, der über herkömmliche Schlagwor-


te wie „Flexibilität“, „Kooperationsbereitschaft“ und „Dynamik“ weit hinausgeht.

3. Das strategisch ausgerichtete Anforderungsprofil


3.1 Ertrags- und wachstumsorientierte Visionen und Strategien
entwickeln: Durch begeisternde, ertrags- und wachstums-
orientierte Visionen die Mannschaft strategisch mobilisieren!
Wenn das Denken in strategischen Konzepten und das Führen von Organisationen an-
hand strategischer Ziele zukünftig die Voraussetzung ist, um die eigene Wettbewerbsposi-
tion langfristig abzusichern, dann sind bei den zukünftigen Führungskräften in dieser
Hinsicht besondere Fähigkeitspotenziale vorauszusetzen. Diese Überlegung führte zur
Formulierung dieser ersten Anforderung, die wie folgt umschrieben bzw. definiert wurde:
„Visionen und Strategien entwickeln zu können ist die Fähigkeit, mit Szenarien zu ar-
beiten, begeisternde Visionen zu entwickeln, diese in anspruchsvolle, aber realistische
338 Hans-Christian Riekhof

strategische Konzepte umzusetzen und daraus operationale Langfristziele für den ei-
genen Verantwortungsbereich abzuleiten.
Dazu gehört auch die Fähigkeit, systematisches Portfoliomanagement zu betreiben,
durch neue Aktivitäten Wachstum aus eigener Kraft zu erzeugen und neue Geschäfts-
ideen mit Gespür für das Machbare umzusetzen, aber auch bei Bedarf den Rückzug
aus Geschäftsfeldern einzuleiten. Risikobereitschaft und eine unternehmerische
Grundhaltung sind dabei unabdingbar.“
Der Stellenwert dieses Elements des Anforderungsprofils ergibt sich allein schon aus
der sehr dezentralen Struktur der Weka-Gruppe, die ein hohes Maß an Strategiearbeit
in den unternehmerisch sehr selbständigen Verlagsgesellschaften erfordert.

3.2 Strategien umsetzen: Durch Hartnäckigkeit die Dinge


in Bewegung bringen und halten!
In der Praxis ist sehr häufig festzustellen, dass Unternehmen mit einer Implementie-
rungslücke zu kämpfen haben:

Relativer Zeitaufwand für …


Strategische Analyse
Strategieformulierung
Strategieumsetzung

Abbildung 2: Die Implementierungslücke

Diese Erkenntnis bildete den Ausgangspunkt für die Formulierung des zweiten Ele-
ments des Anforderungsprofils, nämlich der Fähigkeit,
„strategische Konzepte in Aktionsprogramme umzusetzen, in Etappenziele herunter-
zubrechen und den Umsetzungserfolg anhand von messbaren Kriterien nachvollziehbar
zu machen. Diese Fähigkeit soll im Alltagsgeschäft das Engagement aller Mitarbeiter
für die Strategie sicherstellen und verhindern, dass Strategien im Umsetzungsprozess
steckenbleiben und beinhaltet auch das wirksame Führen mit Zielvereinbarungen.
Dazu gehört auch, flexibel zu reagieren und Strategien in Frage zu stellen, wenn sich
das Umfeld geändert hat.“
Diese Fähigkeit zielt darauf ab, einen sehr klaren Zusammenhang zwischen wenigen
strategischen Zielen (die aber allen bekannt sein müssen), prägnanten darauf ausge-
richteten strategischen Aktionsprogrammen und einem strategischen Reporting als
Messgröße für den Umsetzungserfolg herzustellen. Während viele erfolgreiche Mana-
ger die hier angesprochenen Hebel der erfolgreichen Strategieumsetzung quasi intui-
Basis des Management Development der Weka-Verlagsgruppe 339

tiv richtig einsetzen, bedarf es in anderen Fällen – so die Einschätzung des Projekt-
teams – gezielter Förderung dieser Fähigkeiten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass
Führungskräfte versuchen, an zu vielen Stellschrauben gleichzeitig zu drehen.

3.3 Akquisitionsprozesse beherrschen: Durch geplantes


und umsichtiges Vorgehen neue Unternehmen ins Boot holen!
Der angedeutete Zusammenhang zwischen Strategie und Managemententwicklung ist
bei diesem Merkmal am offensichtlichsten. Die erforderliche Fähigkeit wurde so defi-
niert, dass Manager in der Lage sein müssen,
„sinnvolle Kooperations- und Unternehmensakquisitionsprozesse zu initiieren und
voranzutreiben und dabei permanent darauf zu achten, dass der Integrationsprozess
der Akquisition systematisch gesteuert wird und dass die erwarteten Synergieeffekte
und die geplanten Effizienzsteigerungen tatsächlich realisiert werden.“
Auch hier zeigen sich die besonderen Anforderungen, die sich aus einer dezentralen
Unternehmensstruktur ergeben: Die Verlags-Geschäftsführer sind u. a. selbst für die
Akquisition von Unternehmen verantwortlich, die als Tochtergesellschaft später in
den eigenen Verantwortungsbereich integriert werden müssen. In diesem Prozess wer-
den sie von einem Zentralbereich in der Holding unterstützt.

3.4 Langfristige Kundenbeziehungen aufbauen:


Durch Nähe zum Kunden den Puls am Markt haben!
Kundenorientierung ist ein Schlagwort, das in keinem strategischen Konzept fehlen
darf. Strategien, die nicht Realitätssinn und Marktnähe beweisen, werden schwerlich
zum langfristigen Erfolg führen. Doch was heißt Kundenorientierung ganz konkret?
Die folgenden Punkte dienten der Operationalisierung:
• vom Kundenproblem ausgehen
• Produkte und Dienstleistungen schaffen, die echten Kundennutzen bieten
• die Geschäftsprozesse am Kundenwunsch ausrichten
• Kundenbindung und Kundenloyalität als Weg zu hoher Kundenprofitabilität be-
greifen
Zusammenfassend wurde unter Kundenorientierung die Fähigkeit verstanden,
„sich in den Kunden und seine Arbeitsprozesse und Probleme hineinzudenken, die
Problemlösungen in geeignete Produkte und Dienstleistungen umzusetzen, kundenge-
rechte Geschäftsprozesse zu schaffen und dadurch langfristige Kundenbindungen zu
erzeugen. Dies kann auch bedeuten, dass der Geschäftsidee entsprechend völlig
neuartige Geschäftsprozesse zu schaffen sind, die sich radikal vom Bestehenden un-
terscheiden.“
340 Hans-Christian Riekhof

3.5 Kundengerechte Geschäftsprozesse schaffen:


Durch permanente Prozessmessung Abläufe verbessern!
In eine zunächst ähnliche Richtung zieht die folgende Kompetenz, die definiert wurde
als die Fähigkeit,
„Geschäftsprozesse transparent zu machen, zu messen und hinsichtlich der Dimensio-
nen Zeit, Kosten, Qualitäten und Wertschöpfung laufend zu verbessern. Dadurch
kann dem Mitarbeiter ein hohes Maß an Entscheidungsautonomie für die Lösung von
Kundenproblemen gewährt werden.
Dies impliziert die Fähigkeit, eine anforderungsgerechte Qualität aller Produkte,
Dienstleistungen und Prozesse sicherzustellen, um so das Wachstum des Unterneh-
mens zu bewältigen.“
Die Beschreibung deutet schon darauf hin, dass es hier um umfassende Kompetenzen
geht. Dieses Element des Anforderungsprofils beinhaltet die Fähigkeit, Geschäfts-
prozesse so managen zu können, dass die Dimensionen
C = cost
V = value
Q = quality
T = time
beherrscht, permanent gemessen und über Korrekturmaßnahmen laufend verbessert
werden. Reengineering ist dann nicht erforderlich, wenn Geschäftsprozesse einem
laufenden Optimierungsprozess unterliegen.

3.6 Produkt- und Prozessinnovationen steuern:


Durch Mut und Risikobereitschaft Neuland erschließen!
Wachstum aus eigener Kraft, also nicht durch Akquisitionen, soll gemäß der Weka-
Strategie etwa die Hälfte des Wachstums der nächsten 5 Jahre erzeugen. Dazu ist es
erforderlich, mit neuen Produkten neue Marktchancen professionell zu erschließen.
Die aus dieser Überlegung resultierende Fähigkeit besitzt jemand, der in der Lage ist,
„Innovationschancen frühzeitig zu erkennen, ihre Realisierbarkeit zu prüfen und sie
in erfolgreiche neue Geschäfte umzusetzen. Dies kann einerseits mit Durchbruchs-
innovationen erfolgen, die die Spielregeln im Markt verändern, andererseits ist es not-
wendig, permanente und systematische Innovationsprozesse zu installieren.“
Es liegt auf der Hand, dass gerade bei diesem Element des Anforderungsprofils enge
Querverbindungen zum Element Nummer 4 (langfristige Kundenbindungen aufbauen)
wie auch zum Element Nummer 8 (Informationsnetzwerke nutzen) bestehen.
Basis des Management Development der Weka-Verlagsgruppe 341

3.7 Übergeordnete Synergien realisieren: Durch internen


Erfahrungsaustausch die besten Ideen zur Diskussion stellen
und breit im Unternehmen nutzen!
Die mehrfach erwähnte dezentrale Konzernstruktur birgt die Gefahr in sich, dass bei
der Optimierung der operativen Einheiten die Gemeinsamkeiten außer Acht gelassen
werden und so vorhandenes Know-how der Unternehmensgruppe nicht optimal ge-
nutzt wird. Gerade das geplante Wachstum durch weitere Unternehmenszukäufe
macht es erforderlich, diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Realisation von Synergien bedeutet in diesem Sinne die Fähigkeit,
„den Know-how-Fluss zwischen der eigenen Organisation und der Unternehmens-
gruppe so voranzutreiben, dass das Unternehmens-Know-how permanent weiterent-
wickelt wird und so intensiv wie möglich von den Konzerngesellschaften genutzt wer-
den kann.“

3.8 Informations-Netzwerke nutzen und multikulturelle Kompetenz


entwickeln: Intelligente Netze spinnen und nutzen!
Aus der Umfeldanalyse im Rahmen der strategischen Planung ergab sich, dass die Be-
wältigung der Informationsflut eine immer schwerer zu lösende Aufgabe darstellt:
Während die Quantität der angebotenen Informationen exponentiell zu steigen
scheint, gilt dies nicht in gleicher Weise für die Qualität der Informationen. Daraus er-
gibt sich die Notwendigkeit, in stärkerem Maße als je zuvor Informationen mit einem
jeweiligen „strategischen Raster“ zu filtern und zu verdichten, ohne dabei schwache
Signale und weiche Faktoren zu übersehen.
Zusammenfassend formuliert wird von den zukünftigen Weka-Managern erwartet,
dass sie
„mit der zunehmenden Informationsflut und Komplexität so umgehen, dass die rele-
vanten Informationen konsequent herausgefiltert werden und aus ihnen die richtigen
Schlussfolgerungen gezogen werden.
Dies erfordert die Fähigkeit, Kontakte nach außen zu Wettbewerbern, Verbänden,
Kunden etc. aktiv aufzubauen und zu pflegen, um im Sinne eines Netzwerkes den Stel-
lenwert von Informationen beurteilen und sie zielgerichtet verwenden zu können.
Ferner erfordert die Internationalität des Geschäftes die Fähigkeit, sich auf unter-
schiedliche Kulturen, Sprachen und Mentalitäten einzustellen.“
342 Hans-Christian Riekhof

3.9 Mitarbeiterentwicklung langfristig planen:


Durch Spitzenleute Spitzenleistungen schaffen!
Aus den Diskussionen um das Programm zur Umsetzung der Weka-Strategie ergab
sich, dass das Management Development als einer der Erfolgsfaktoren der Strategie-
implementierung anzusehen ist. Konsequenterweise wurde daher festgelegt, dass
Führungskräfte eine besondere Sensibilität und Fähigkeit mitbringen bzw. entwickeln
müssen, um Mitarbeiter langfristig professionell fördern zu können. Dies beinhaltet
die Fähigkeit,
„exzellente Mitarbeiter zu gewinnen, Mitarbeiter zu fördern, individuell zu entwickeln
und zu coachen, erfolgreiche Teams zu formieren und ihnen herausfordernde Aufga-
ben zu übertragen, um dadurch die Weka-Kernkompetenzen zu stärken und die Strate-
gieumsetzung zu beschleunigen. Mitarbeiterentwicklung kann auch bedeuten, den
Mitarbeitern durch die Übertragung von Projektverantwortung besondere Lernchan-
cen zu eröffnen und sie in dieser Phase gegebenenfalls besonders intensiv zu coachen.
In jedem Falle sind über ein laufendes Feedback Lern- und Entwicklungsprozesse des
Mitarbeiters voranzutreiben.“
Die Verankerung dieses Elements im Anforderungsprofil von Führungskräften wird
auch dadurch unterstützt, dass zunehmend bei allen Entscheidungen im Rahmen des
Management Development das Vier-Augen-Prinzip Anwendung findet: Nicht nur der
direkte, sondern auch der nächsthöhere Vorgesetzte sollten bei diesen Fragen invol-
viert sein und die Verantwortung für wichtige Personalentscheidungen mittragen.

3.10 Durch Leadership motivieren:


Durch Vorbildwirkung zu Höchstleistungen anspornen!
Last not least ist das Führungsverhalten im Sinne der sozialen Kompetenz im Anfor-
derungsprofil des Weka-Managers verankert worden. Darunter ist die Fähigkeit zu
verstehen,
„mit Menschen so umzugehen, dass die Beziehung von gegenseitigem Vertrauen, von
Akzeptanz, Loyalität und Glaubwürdigkeit getragen wird. Leadership in diesem Sinne
bedeutet, Mitarbeiter zunächst so zu akzeptieren, wie sie sind, um sie dann für die ge-
meinsamen Ziele zu begeistern und eine Aufbruchstimmung zu erzeugen.“
An dieser Stelle wird deutlich, dass die veränderten Einstellungen und Erwartungen
von Mitarbeitern, aber auch die gleichzeitig gestiegenen Anforderungen an die Mitar-
beiter ein Führungsverhalten erfordern, das mit Begriffen wie „kooperativ“ oder „team-
orientiert“ nicht mehr angemessen beschrieben werden kann. Wirksame Führung setzt
voraus, dass die Person des Vorgesetzten und seine Kompetenz von den Mitarbeitern
akzeptiert werden.
Basis des Management Development der Weka-Verlagsgruppe 343

4. Die Anwendung des Anforderungsprofils in der Praxis


Der konzeptionell-analytische Aufwand zur Ableitung eines Anforderungsprofils hat
sich nur dann gelohnt,
• wenn dieses Instrument in der Praxis dauerhaft Akzeptanz findet,
• wenn sich aus dem Abgleich des Soll-Profils einer Position und dem Ist-Profil einer
Führungskraft operationale, handhabbare Entwicklungsmaßnahmen ableiten lassen.

In der Praxis bei Weka hat sich gezeigt, dass die detaillierte Beschreibung der einzel-
nen Elemente des Anforderungsprofils dazu geeignet ist und die Basis bildet, um
eventuelle Defizite sehr genau zu beschreiben und Maßnahmen zu konzipieren, die in
ihrem Konkretisierungsgrad weit über Standard-Seminarprogramme hinausgehen. Sie
legen letztlich die Basis für eine individualisierte Managemententwicklung.
Gesteuert wird der Prozess der Managemententwicklung von der neugeschaffenen
Funktion „Management Development“, die direkt in der Unternehmensholding ange-
siedelt ist. Unterstützt wird die Arbeit mit den beschriebenen Anforderungsprofilen
dadurch, dass parallel Grundsätze des Management Development (MD) erarbeitet
wurden (vgl. Abbildung 3), die die Vorgehensweise bei Weka verbindlich regeln.

1. Management Development: Hebel zur Umsetzung der Weka-Strategie!


Die Kernkompetenzen und die Fähigkeit der Weka-Gruppe beruhen auf der Fähigkeit des
Managements der Gruppe. Deshalb wollen wir das Management Development zu einem
echten Wettbewerbsvorteil der Weka-Gruppe entwickeln und dadurch Unternehmens-
wachstum und Unternehmensergebnisse erzielen, die in der Spitzengruppe der Branche
liegen. Das MD ist ein zentraler Hebel zur Erreichung der sehr anspruchsvollen strategi-
schen Ziele der Unternehmensgruppe!
2. Management Development: Schlüsselaufgabe des Linienmanagements!
MD funktioniert nur, wenn es von der obersten Unternehmensleitung und den Verlagsge-
schäftsführern nicht nur „mitgetragen“, sondern aktiv und mit hohem persönlichen Enga-
gement aller vorangetrieben wird. MD ist eine Führungsaufgabe des Linienmanagements,
die nicht delegiert werden kann. Der Prozess des MD erhält professionelle Unterstützung
durch den Zentralbereich MD. Klare Zielsetzungen, bedarfsgerechte Programme und sys-
tematische Erfolgskontrolle und ein laufendes Feedback durch die „Kunden“ des MD sind
unabdingbar!
3. Management Development: Führungskräfte aus den eigenen Reihen!
Die Besetzung von Führungspositionen aus den eigenen Reihen hat eindeutig Vorrang vor
der Besetzung von außen. Kontinuität ist eine Stärke. Wir wollen unseren eigenen Mitar-
beitern die Chance zur permanenten Weiterentwicklung bieten, sei es durch hierarchischen
Aufstieg, Projektverantwortung auf Zeit oder auch durch internen Wechsel. Dadurch bauen
wir ein Mitarbeiterpotential auf, das einen breiten Erfahrungshintergrund hat und die
Weka-Stärken zur vollen Entfaltung bringen kann. Karrieren quer durch die Firmengruppe
sind erwünscht. Dabei ist der Erfolgsnachweis in der bisherigen Position unabdingbar.
344 Hans-Christian Riekhof

4. Management Development: Gemeinsame Verantwortung durch das Vier-Augen-Prinzip!


Grundsätzlich tragen der Vorgesetzte und der nächsthöhere Vorgesetzte gemeinsam die
Verantwortung für die Führungskräfteentwicklung: Es gilt das so genannte „Vier-Augen-
Prinzip“. Damit soll erreicht werden, dass die langfristigen Ziele des MD aus übergeordne-
ter Sicht immer berücksichtigt werden. Das Vier-Augen-Prinzip bedeutet, dass bei Rekru-
tierungs-entscheidungen der Vorgesetzte, aber auch der nächsthöhere Vorgesetzte ein Veto-
recht haben: Beide sollen voll hinter einem Kandidaten stehen. Dies gilt auch für die För-
derung der Kandidaten im MD-Programm. Internationale Ausschreibungen von Positionen
fördern die internationale Mobilität. Der direkte Vorgesetzte hat kein Vetorecht, wenn ein
Mitarbeiter seines Bereiches innerhalb der Unternehmensgruppe einen neuen Aufgabenbe-
reich übernehmen soll. Das Vier-Augen-Prinzip impliziert auch, dass Zielvereinbarungen
und Beurteilungen dem nächsthöheren Vorgesetzten zur Kenntnis gegeben werden. Ein
einheitliches Beurteilungs- und Anerkennungssystem wird dazu die Basis liefern.
5. Management Development: Professionelle Lernprozesse im Alltag!
MD bedeutet praxisorientierte, im Alltag umsetzbare Lernprozesse zu ermöglichen und zu
fördern. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn praktische Fragestellungen des Alltags zum
Thema gemacht werden. MD muss folglich nicht zwangsläufig zu einem „Seminartouris-
mus“ führen, professionelle Begleitung von Projekten, Coaching und Beratung bei Son-
deraufgaben können sehr viel effizienter sein und eine regelrechte Lernkultur im Unter-
nehmen fördern, die auch Fehler zulässt. Die Erweiterung von Aufgabenfeldern und Job
Rotation gehören ebenfalls zu den Möglichkeiten des MD. Dabei ist das Anforderungspro-
fil 2000 der Ausgangspunkt für alle MD-Prozesse.
6. Management Development: Erstklassiger Nachwuchs in den Unternehmen!
Der Aufbau eines erstklassigen Führungskräftepotenzials beginnt bei der Rekrutierung:
Nur erstklassige Nachwuchskräfte bilden das Potential zur Entwicklung hervorragender
Führungskräfte. Insofern tragen die Unternehmen die Hauptverantwortung dafür, dass in
der Unternehmensgruppe ausreichend Potentialkandidaten zur Verfügung stehen.

Abbildung 3: Grundsätze des Management Development in der Weka-Verlagsgruppe


Die Autoren

Frank Albe, Jahrgang 1964; Diplom-Kaufmann, Dr. rer. pol., Professor für Allgemei-
ne Betriebswirtschaftslehre an der Privaten Fachhochschule Göttingen. Seit 2004 Lei-
ter des „Instituts zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Politikern (IEWP)“.
Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und Politik an der TU Braun-
schweig Abschluss zum Diplom-Kaufmann. Promotion an der Universität Göttingen
mit dem Thema „Total-dynamic-Controlling zwischenbetrieblicher Kooperation“. Im
Jahre 1995 Wechsel in das Konzerncontrolling der TUI, Leitung des Beteiligungscon-
trolling der TUI Group. Seit Oktober 2000 Professur an der Privaten Fachhochschule
Göttingen, seit 2003 Vizepräsident der Hochschule.

Matthias Bellmann, Jahrgang 1953; Diplom-Pädagoge, Dr. phil., Personalvorstand und


Arbeitsdirektor der KarstadtQuelle AG und der Karstadt Warenhaus AG. Nach einer
Laufbahn als Offizier auf Zeit seit 1987 in leitenden Personal- und Managementfunk-
tionen der Nixdorf Computer AG, der Asea Brown Boveri AG und der Siemens AG
tätig. Derzeitige Arbeitsschwerpunkte: Restrukturierung und Reorientierung eines Ein-
zelhandelskonzerns. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Themen der Aus- und Weiterbil-
dung, zur Personalentwicklung und zum Wissensmanagement.

Anne Cockwell, Jahrgang 1979; Diplom-Kauffrau, Studium der Betriebswirtschaftsleh-


re an der European Business School (ebs), Université de Sorbonne und Stellenbosch
University. Daran anschließend Promotion zum Thema „Interkulturelle Personalent-
wicklung“. Einstieg bei der Volkwagen AG als Internationale Trainee im Mai 2005.

Peter Fischer, Jahrgang 1950; Diplom-Psychologe, Dr. phil. Nach einer Laufbahn als
Betriebspsychologe und Psychotherapeut 1986 Gründer und geschäftsführender
Gesellschafter der Fischer Group international Management Development GmbH.
Fischer berät seit 15 Jahren Top-Manager bei der Übernahme neuer Aufgaben, in Ver-
änderungsprozessen, bei der Einführung von Performance-Management-Systemen
und in persönlichen Neuorientierungen. Aktuelle Schwerpunkte: Anforderungen im
Global Management und Cultural Change als Aufgabe für das Top-Management.
Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Coaching und Change Management.

Wolfgang Fueter, Jahrgang 1970; Politologiestudium, später berufsbegleitendes Glo-


bal Executive MBA an der IESE Business School. Personalmanager bei Procter &
Gamble für Middle East & Africa, anschließend Personalchef des World Economic
Forum in Genf. Seit 2002 bei der Volkswagen AG und seit 2004 Leiter Global Assign-
ments, zuständig für Internationalisierung, globale Mobilität sowie konzernweite Ta-
lentidentifikation und Planung.

Walter Jochmann, Jahrgang 1957; 1978 – 1983 Studium der Wirtschaftspsychologie


mit anschließender Promotion zu Karrierestrukturen und Wechselmotiven von
Führungskräften. Seit 1983 bei der Kienbaum Unternehmensgruppe, Düsseldorf/
Gummersbach/Berlin. Seit 1997/98 Vorsitzender der Geschäftsführung der Kienbaum

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
346 Die Autoren

Management Consultants GmbH, in der die Managementberatungs-Aktivitäten ge-


bündelt sind. Operative Führung des Bereiches Human Resources Management mit
den Kompetenzfeldern Diagnostik, Training, Personalentwicklung und Personalsyste-
me, Human-Resource-Strategien und Change Management. Spezialist in Top-Einzel-
Assessements und Management Appraisals, in der Moderation und Prozessbegleitung
bedeutender Umstrukturierungen (Strategische Neuausrichtung, Post Merger Integra-
tion) sowie in der Neuausrichtung von Personalbereichen (Vision, Zielsysteme, Pro-
dukte und Prozesse, Aufbauorganisation, Balanced Scorecard). Jochmann ist seit 1992
Partner, seit 1998 Vizepräsident des Joint Venture OrgaKienbaum Paris und seit 1999
Geschäftsführer der Holding Gesellschaft Kienbaum Consultants International. Zahl-
reiche Publikationen zu Themen des Personalmanagements.

Fredmund Malik, Jahrgang 1944; lic.oec. HSG, Dr. oec, Studium der Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften sowie Logik- und Wissenschaftsphilosophie an den Universitä-
ten Innsbruck und St. Gallen, Habilitation 1978 mit dem Thema: Strategie des Manage-
ments komplexer Systeme – Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionärer
Systeme. Professor Dr. oec. habil. Fredmund Malik ist Leiter und Inhaber des Manage-
mentberatungs- und Ausbildungsunternehmens Malik Management Zentrum St. Gallen
mit über 170 Mitarbeitern in St. Gallen, Zürich, London und Wien. Als Berater und
Management-Lehrer hat Malik während der letzten 30 Jahre Führungskräfte aller
Stufen und Branchen beraten, ausgebildet und geprägt. Er ist Autor zahlreicher Publika-
tionen – darunter die Bestseller „Führen Leisten Leben“, „Strategie des Managements
komplexer Systeme“, „Die Neue Corporate Governance: Richtiges Top-Management,
Wirksame Unternehmensaufsicht“ und „Gefährliche Wörter im Management. Und
warum man sie vermeiden sollte.“ Der Titularprofessor der Universität St. Gallen
(Lehrtätigkeit von 1978 – 2004) gilt als einer der führenden Beobachter wirtschaft-
licher und gesellschaftlicher Entwicklungen und als konstruktiver Kritiker von Manage-
mentlehre und -praxis.

Joachim Nickut, Jahrgang 1953; 1973 – 1976 Studium der Berufs- und Betriebs-
pädagogik an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg. Von 1977 – 1984 in ver-
schiedenen Offizierverwendungen. 1984 Eintritt bei Blaupunkt (Bosch-Gruppe) in
Hildesheim als Personalreferent, 1989 Leiter Personalwesen Robert Bosch GmbH
Werk Blaichach, u. a. verantwortlich für die Konzeption, Planung und Durchführung
von Personalauswahl- und Mitarbeiterentwicklungsverfahren für Führungskräftenach-
wuchs im Geschäftsbereich Chassis Systems Control in Europa. Derzeitiger Arbeits-
schwerpunkt: Validitätsstudie eines psychologischen Testverfahrens zur Prognose des
späteren Berufserfolges.

Gisela Nissen-Baudewig, Jahrgang 1960; Diplom-Handelslehrerin, Dr. rer. pol.; Stu-


dium der Wirtschaftspädagogik und Promotion an der Universität Göttingen. Ab 1996
in der Revision der Expo 2000 Hannover GmbH, zuletzt als Leiterin, danach Projekt-
leiterin an der IHK Hannover. Seit 2004 Projektleiterin am Institut zur Entwicklung
der Wirtschaftskompetenz von Politikern (IEWP) an der Privaten Fachhochschule
Göttingen.
Die Autoren 347

Lena Offermann, Jahrgang 1981; Dipl.-Kffr. (FH), 2000 – 2004 Studium der Betriebs-
wirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und Asien/Pazifik an der Privaten
Fachhochschule Göttingen. Nach Praktika bei der Biesterfeld Siemsglüss Internatio-
nal GmbH, Sievers + Zabel für Medien GmbH, CPC Unternehmensmanagement
GmbH, Sony Deutschland GmbH, Tellermate Plc. sowie der Otto GmbH & Co. KG
nun Marketing-Trainee bei der Roche Diagnostics GmbH.

Michael Prochaska, Jahrgang 1962; Diplom-Psychologe, Dr. rer. soc., Leiter der Per-
sonal- und Führungskäfteentwicklung im Linde-Konzern, verantwortlich für die Ge-
staltung und Umsetzung eines neuen zukunftsorientieren Personalmanagement- und
Personalentwicklungskonzepts. Davor als Leiter der Personalentwicklung der Dr. Ing.
h.c. F. Porsche AG in Stuttgart-Zuffenhausen mehrere Jahre verantwortlich für die
konzernweite Weiterbildung sowie den Aufbau der konzernweiten Nachwuchsförde-
rung, Managementbeurteilung und -entwicklung sowie Nachfolgeplanung. Als Assis-
tent am Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie der Universität Hohenheim zahlreiche
Beratungsprojekte mit den Schwerpunktthemen Personalauswahl, -beurteilung und
-entwicklung in vielen Unternehmen verschiedener Branchen. Der Wirtschaftspsycho-
loge publiziert Fachbeiträge, ist Referent und Testautor.

Ulrich Pühse, Jahrgang 1944; Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität


Hamburg, Abschluss als Diplom-Kaufmann, 1973 – 1976 Referent in der Fortbildung
bei der Allgemeine Deutsche Philips Industrie GmbH, Hamburg; 1976 – 1979 Leiter
der Abteilung Ausbildung und Personalentwicklung in der Philips GmbH Unterneh-
mensgruppe Konsumgüter, Hamburg; seit 1980 Aufbau und Leitung des Zentralbe-
reichs Aus- und Fortbildung in der Philips GmbH Hauptniederlassung, Hamburg. Seit
1994 geschäftsführender Gesellschafter der T.O.P Business Training GmbH. Seit
2000 Vorstandsvorsitzender der Top Business AG, 2005 Wechsel in den Aufsichtsrat
der Gesellschaft als Vorsitzender.

Wilfried von Rath, Jahrgang 1964; Dipl.-Psychologe, MBA, studierte Arbeits- und Or-
ganisationspsycholgie in Bochum, MBA Degree Ashridge Management College,
Berkhamsted, UK. Begann seine Karriere als Berater in einem internationalen Con-
sulting Unternehmen. 1994 Einstieg bei der Deutschen Lufthansa AG: Tätigkeit als
Berater und Management-Trainer und ab 1996 Beratungsleiter Human Resources der
Lufthansa Consulting GmbH. Zuständig für weltweite HR-Projekte mit Schwerpunkt
Südamerika, Asien und Osteuropa. 1998 Eintritt in die Volkswagen Coaching GmbH
als Leiter Management Training, seit 2004 Mitglied der Geschäftsführung. Mitglied
des Steering Comitees der efmd (European Foundation for Management Develop-
ment) in Brüssel, Vorstandsmitglied des CDF e.V. (Carl Duisberg Förderkreis).

Hans-Christian Riekhof, Jahrgang 1954; 1975 – 1980 Studium der Betriebswirt-


schaftslehre in Münster und Göttingen, 1980 – 1983 Wissenschaftlicher Mitarbeiter
an der Universität Göttingen, Mitwirkung an einem Forschungsprojekt zum Thema
„Unternehmensverfassungen“, Lehrauftrag an der Universität Göttingen. 1984 Pro-
motion und Wechsel in die Personalentwicklung des Otto Versand. Arbeitsschwer-
punkte u. a. Workshops zum Thema Strategische Führung, Aufbau der Funktion
348 Die Autoren

Strategische Planung Einkauf Hartwaren. 1988 Wechsel in die Beiersdorf AG als Lei-
ter Strategische Planung tesa. 1991 – 1996 Leiter eines Geschäftsbereichs. Seit 1996
Professor an der Privaten Fachhochschule Göttingen sowie UNICconsult-Partner. 1998
– 2000 Marketingdirektor im Otto Versand. Seit 2001 Vorstand Marketing und Vertrieb
in der unicmind.com AG. Ausgewählte Veröffentlichungen: Unternehmensverfassun-
gen und Theorie der Verfügungsrechte, Wiesbaden 1984. Als Herausgeber: Praxis der
Strategieentwicklung. Konzepte – Erfahrungen – Fallstudien, 2. Aufl., Stuttgart 1994.
Beschleunigung von Geschäftsprozessen, Stuttgart 1997. E-Branding, Wiesbaden
2001. Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2003. Diverse Zeitschriftenaufsätze
und Beiträge in Sammelbänden.

Norbert Sack, Jahrgang 1966; Diplom-Physiker und Dr. der angewandten Physik.
Nach seiner Promotion an der University of Virginia, USA, und einer dreijährigen
Forschungstätigkeit an der Rutger University in Surface Science wechselte Dr. Sack
als Berater 1995 zu McKinsey & Company in Berlin, wo er bis 2000 tätig war. Seit
2001 ist er als Berater bei Egon Zehnder International tätig. Heute leitet er die Praxis-
gruppe Management Appraisal und Talent Management in Deutschland und ist Mit-
glied der weltweiten Industry Practice Group.

Werner Sarges, Jahrgang 1941; 1962 – 1970 Studium der Psychologie und Betriebs-
wirtschaftslehre an den Universitäten Marburg und Hamburg. Dipl.-Psychologe,
Dipl.-Kaufmann. 1971 – 1973 Trainee und Junior-Manager in einem multinationalen
Konzern der Konsumgüterindustrie. 1974 Promotion. Seit 1997 Professor für Quanti-
tative Methoden an der Universität der Bundeswehr Hamburg und seit 1984 zugleich
Institutsleiter und Beratender Psychologe für Wirtschaftsorganisatoren am Institut für
Management-Diagnostik (Barnitz bei Hamburg). Veröffentlichungen in den Berei-
chen: Psychologie für die Weiterbildung, Psychologie für das Personal-Management,
Management-Diagnostik.

Fred W. Schmid, Jahrgang 1932; Studium der Psychologie am Institut für Angewandte
Psychologie an der Universität Zürich, Abschluss als diplomierter Psychologe und
Berufsberater. Assistent an der Beratungsstelle für akademische Berufe des Kantons
Zürich; Testspezialist in der Pilotenselektion der Swissair. 1955 – 1958 Research As-
sociate/Senior Research Associate an den American Institut for Research in Pitts-
burgh, Pa., USA; daneben Promotionsstudium an der University of Pittsburgh mit
dem Abschluss als Ph. D. 1958 Übernahme einer bestehenden, privaten akademischen
Berufsberatungspraxis in Zürich; ab 1963 Durchführung von Einzel-Assessments für
amerikanische, deutsche und schweizerische Firmen und Organisationen; ab 1979 Be-
ratung bei der Entwicklung von Assessment Centers. Veröffentlichungen in Fachzeit-
schriften sowie mit Pulver, U. und Lang, A. (Hrsg.), Ist Psychodiagnostik verantwort-
bar? Bern 1978.

Hubert Schüle, Jahrgang 1964; Studium der Betriebswirtschaftslehre und Wirt-


schaftsinformatik. Im Anschluss mehrjährige Tätigkeit bei einem Beratungsunter-
nehmen im Bereich Informationsmanagement/Organisation. Seit 1997 Professor für
Wirtschaftsinformatik an der Privaten Fachhochschule Göttingen. Außerdem Informa-
Die Autoren 349

tionsmanagement-Berater für UNICconsult. Betreuung von Kunden bei der Geschäfts-


prozessoptimierung, der Konzeption und Einführung von innovativen Informations-
systemen sowie bei der Entwicklung von IV-Strategien. Ausgewählte Veröffent-
lichungen: Telematiksysteme in Nutzfahrzeugen, in: Das Wirtschaftsstudium, Bd. 35
(2006), Ausgabe 7, S. 930 ff.; E-Health: Entwicklungsstand, Kosten und Nutzen, in:
Das Wirtschaftsstudium, Bd. 35 (2006), Ausgabe 1, S. 91 ff.; Informationsmanagement,
in: Das Wirtschaftsstudium, Bd. 34 (2005), Ausgabe 8/9, S.1054 ff. sowie weitere
Beiträge in Sammelbänden und Zeitschriften.

Siro Spörli, Jahrgang 1931; Studium der Psychologie an der Universität Zürich, Ab-
schluss als Dr. phil.; Mitarbeiter im Selektionsdienst für fliegendes Personal der Swis-
sair. Geschäftsleitungsassistent in einem Druckerei- und Verlagsunternehmen, dann
Eröffnung einer eigenen Beratungspraxis mit dem Schwerpunkt Verkehrs- und Be-
triebspsychologie. Im erstgenannten Bereich neben Praxis intensive Forschungstätig-
keit, deren Ergebnisse in Fachzeitschriften und Büchern niedergelegt sind: (1972)
Seele auf Rädern, Olten: Walter; (1978), Kritische Theorie diagnostischer Praxis,
Bern. Seit 1978 partnerschaftliche Zusammenarbeit mit F. W. Schmid auf dem Gebiet
der Beurteilung höherer Führungskräfte.

Julian Voss, Jahrgang 1981; Dipl.-Kaufmann (FH), 2001 – 2005 Studium der Be-
triebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten IT-Business-Account-Management und
Osteuropa an der Privaten Fachhochschule Göttingen. Nach Praktika im Deutschen
Bundestag, bei der Rölfs WP Partner AG, der Continental AG und Agrifox GmbH nun
Doktorand an der Georg August Universität Göttingen am Lehrstuhl für Marketing für
Lebensmittel und Agrarprodukte. Julian Voss ist außerdem Mitarbeiter der UNIC-
consult Strategieentwicklung GmbH Göttingen.

Ansfried B. Weinert, Jahrgang 1941; nach technischer Berufsausbildung (= Feinwerk-


technik, Fa. Carl Zeiss); Abitur auf dem zweiten Bildungsweg am Saarland-Kolleg;
dreijährige technische Aktivität in Johannesburg/Südafrika; Studium der Psychologie
und der Arbeitswissenschaft an der TU Berlin; als Fulbright-Stipendiat an die Univer-
sity of California, Berkeley, bis zum Abschluss mit dem amerikanischen Doktorgrad
Ph. D.; anschließend mehrjährige wissenschaftliche Tätigkeit an der UC, Berkeley, in
Forschung und Lehre, mit dem Spezialgebiet Organisations- und Personalpsycholo-
gie; danach Lehr- und Forschungsaufenthalte an den Universitäten Gießen und Köln;
seit 1982 Universitäts-Professor an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der
Bundeswehr Hamburg als Fachvertreter für Personalmanagement und Organisation-
und Personalpsychologie; bekannteste Veröffentlichung ist das Lehrbuch Organisa-
tions- und Personalpsychologie (5. Auflage 2004); 30-jährige Erfahrung als Personal-
berater in nationalen und internationalen Wirtschaftsorganisationen.
Stichwortverzeichnis

360-Grad-Feedback 315 Fachkompetenz von Politikern 156


Fehler im Führungswechsel 194
A Förderkreis 288
Ablauf eines Management Appraisals 75 Formen von E-Learning 231
Action Learning Program 274 Führungskompetenz 113
Action-Learning-Ansatz 319 Führungskräfte-Assessments 104
Anforderungen 133 Führungskräftebefragung 303
Anforderungsprofil 337 Führungskräfteentwicklung 103
Arbeitgeber-Attraktivität 177 Führungstraining 184
Assessment-Center 88, 111 Führungswechsel 191
Aufbaustudium 285 Funktionen der Personalentwicklung 87
Auslandseinsätze 271
G
B Genetic Code 303
Balanced Scorecard 21, 34, 42 Global HR Meeting 306
Balanced Scorecard für Personalbereiche 177 Graphologie 111
Benchmarking 70 Grundsätze des Management Development 343
Beobachterschulung 292
Beobachtungssystem 291 H
Berufseinsteiger 267 Human Asset Management Portfolio 178
Beyond Budgeting 41 Human Resources Scorecard 189
Bildungsbedarfserfassung 285
Bindungsquote 178 I
Budgetmanipulation 40 Implementierungsforschung 33
Business Impact Projects 259 Implementierungskompetenz 45
Implementierungsplanung 35
C Instrumente internationaler Management-
Change Management 32, 303 entwicklung 269
Competency 133 Interaktionsverhalten 291
Corporate Strategy 15 internationale Business Schools 276
Critical Incident Technique 135 internationale Managemententwicklung 263
internationale Personalentwicklungsplanung
D 268
Distance-Learning-Plattform 259 internationale Stellenbesetzung 272
Due Diligence 70 internes Marketing 48

E K
Effektivitätsverbesserung 7 Karrieregestaltung 12
Einheit des Managementwissens 9 Key Performance Indicator 177
Einzel-Assessment 91, 103 klassische Budgetierungsprozesse 40
Einzelcoaching 277 Knowledge Society 9
E-Learning 227 Knowledge Workers 9
elektronische Stellenbörse 176 Kompetenzanalyse 72, 76
Elite 13 Kompetenzfelder 287
Entwicklungsplan 70, 312 Kompetenzmodell 115, 286
Experten-Laien-Dilemma 167 Kompetenzprofil 153, 312

Hans-Christian Riekhof, Strategien der Personalentwicklung, DOI 10.1007/978-3-8349-9178-2,


© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
Stichwortverzeichnis 351

Kompetenzprofil der Politiker 156 Personalstrategie 265


Kompetenzpyramide 84 Philosophie 8
kulturübergreifende Alltagskonzepte 121 Prozesse 46
Kybernetik 8
R
L Retention Management 173
Leadership 13 Retention-Programme 180
Leadership Appraisal 311 Retrievalproblem 8
Leadership Transition Coaching 195 Revidierter Deutscher California Psychological
Leitbild 280 Inventory 113
Leitlinien 267 Risikoportfolio 179
Leitlinien der Mitarbeiterentwicklung 281
Lern- und Kognitionspsychologie 8 S
lernende Organisation 254 Schlüsselanforderungen 84
Life Balancing 181 Schlüssel-Geschäftsprozesse 48
Schlüsselqualifikation 15, 18
M stategisches Reporting 21
Management Appraisal 65 Stellenbewertung 310
Management-Audit 81, 94 Stellenwert strategischer Pläne 20
Management by Objectives 11, 44 Strategieakzeptanz 36
Management Conferences 316 strategiebezogene Führungsprozesse 43
Management Cycle 313 strategiegerechte Strukturen 46
Management Development 16, 335 strategiegerechter Ressourceneinsatz 39
Management Dialog 314 Strategie-Implementierung 32
Management Learning 253 Strategiekompetenz 15, 17, 24
Managemententwicklungsprogramm 274 strategiekonforme Anreizsysteme 44
menschengerechte Organisation 10 strategiekonformes Personal-
Mind Pullution 5 management 43
Mitarbeiterentwicklungsgespräch 284 Strategie-Steckbriefe 44
Mitarbeiterentwicklungskonzept 282 strategieumsetzendes Personalmanagement
Mitarbeiterentwicklungsseminar 288 305
Mitarbeitergespräch 283 Strategiewechsel 70
Mitarbeiter-Potenzialanalyse 81 strategisch ausgerichtetes Anforderungsprofil
Motivationsprofil 176 335
strategische Budgetierung 39
N strategische Erfolgsposition 18
Nachfolgeplanung 70, 316 strategische Erfolgspositionen 48
Neurowissenschaften 8 strategische Geschäftseinheiten 47
strategische Kernkompetenzen 48
O strategisches Personalmanagement 302
Operationalisierung des strategischen strategisches Reporting 41
Konzepts 38 strategisches Wissensmanagement 201
operative Prozesse 20 Succession Planning 316
Organisationsstruktur 36 Suchmaschinen 8
Outsourcing 323
T
P Talentmanagement 309
Pädagogik 8 Talent-Management-Programm 65
Personalmarketing-Strategie 183 Target Conferences 317
Personal-Portfolio 178 Transition Workshop 196
352 Stichwortverzeichnis

U W
Unité de Doctrine 9 War for Talents 173
Unternehmenskultur 280 Werte 267
Unternehmensplanspiel 291 Werte 280
Unternehmensstrategie 302 Wirtschaftskompetenz 149
Wissensmanagement 7, 227, 238, 273
V Wissenstypologie 204
Veränderungsmanagement 73 World Class Best Practices 48
videobasierte Feedbacks 291
Vorstellungsgespräch 110

Das könnte Ihnen auch gefallen