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Innovationsmanagement

Kai Engel · Michael Nippa


Herausgeber

Innovations-
management
Von der Idee zum erfolgreichen Produkt

Mit 37 Abbildungen

Physica-Verlag
Ein Unternehmen
von Springer
Dr. Kai Engel
A.T. Kearney GmbH
Kaistraße 16A
40221 Düsseldorf
kai.engel@atkearney.com

Prof. Dr. Michael Nippa


TU Freiberg
Lessingstraße 45
09596 Freiberg
nippa@bwl.tu-freiberg.de

ISBN-10 3-7908-1819-4 Physica-Verlag Heidelberg New York


ISBN-13 978-3-7908-1819-2 Physica-Verlag Heidelberg New York

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Vorwort

Innovationen gehören zu den wichtigsten unternehmerischen, aber auch


volkswirtschaftlichen Erfolgsfaktoren. Dabei erweist sich die gezielte, ak-
tive Förderung von erfolgreichen Innovationen als schwierige Manage-
mentaufgabe, die eine Vielzahl von Gestaltungsvariablen zu berücksichti-
gen hat. Im Rahmen der Unternehmensführung, d.h., einzelwirtschaftli-
cher, unternehmerischer Entscheidungen, reicht dabei die Palette von der
Unternehmensstrategie bis zur Gestaltung von kreativitätsfördernden mo-
netären und nicht monetären Anreizen. Bei vordergründig gleichen Aus-
gangsbedingungen verfügen einige Unternehmen jedoch scheinbar über
Jahre hinweg über eine außergewöhnlich hohe Innovationskraft und damit
über ein höheres Erfolgspotenzial als viele ihrer Wettbewerber. Besonders
im Hinblick auf die erzielten Innovationsrenten und Cashflows spricht ge-
gen die simple Erklärung eines sich selbst verstärkenden Prozesses, dass
weder ein überdurchschnittliches F&E-Budget noch eine höhere vertikale
Integration, Leistungs- bzw. Fertigungstiefe alleinige Garanten für erfolg-
reiche Produkt- und Serviceinnovationen sind. Wie der Erfolg von jungen
und kleinen Unternehmen zeigt, führt die überlegene Ressourcenausstat-
tung von Großunternehmen nicht automatisch zu Markterfolgen mit neuen
Produkten und Dienstleistungen. Nur jung und klein zu sein, genügt jedoch
nicht – das verdeutlichen unter anderem die Erfahrungen der so genannten
New Economy.
Offensichtlich gründet sich der ökonomische Erfolg innovativer Unter-
nehmen in einer überlegenen Organisation. Neben dem „Was“ (z.B. Res-
sourcen, externe Rahmenbedingungen) sind das „Wann“, „Wo“ und vor
allem das „Wie“ entscheidend für den Erfolg. Nach „Corporate Governan-
ce“ (2002), „Markterfolg in China“ (2003) und „Erfolgsmechanismen der
Top-Managementberatung“ (2004) beruht dieser Herausgeberband wiede-
rum maßgeblich auf den von den Autoren inhaltlich überarbeiteten Bei-
trägen der im Sommersemester 2005 durchgeführten Vorlesungsreihe
„Aktuelle Themen der Unternehmensführung“ des Lehrstuhls für Unter-
nehmensführung und Personalwesen an der Technischen Universität Berg-
akademie Freiberg. Die Artikel widmen sich den genannten Fragen aus
unterschiedlichen Blickwinkeln. Im Mittelpunkt stehen die Beiträge der
Praktiker aus verschiedenen Branchen und Unternehmen, die ihre Erfah-
rungen – viele davon fokussiert auf wichtige Einzelaspekte des Innova-
tionsmanagements – zusammenfassen. Überblicke von Promotionskandi-
VI Vorwort

daten des Lehrstuhls für Unternehmensführung und Personalwesen an der


Technischen Universität Freiberg sowie der beiden Herausgeber runden
den Band ab.
Die einleitenden Beiträge im ersten Teil dieses Bandes stellen generell
die erwähnten Facetten und Elemente eines erfolgreichen Innovationsma-
nagements dar und gehen auf „Best Practices“ und Muster ein, die sich bei
der Organisation von Innovation bewährt haben. Darüber hinaus bieten sie
einen Bezugsrahmen für die folgenden Beiträge und hinterfragen vorder-
gründige Wirkungsmechanismen. So zeigt speziell Kai Engel auf, welche
Best Practices bei prominenten Innovationschampions zu außerordentli-
chem Erfolg geführt haben. Michael Nippa veranschaulicht die Notwen-
digkeit einer ganzheitlichen Basis, um die Komplexität der Innovationsor-
ganisation erfolgreich zu managen.
Im folgenden Kapitel verdeutlichen Gerald Mischke, Martin Ertl und
Alexander von Witzleben, in welcher Weise der Transfer technologischen
Wissens in Produkte bei Großunternehmen stattfindet. Aufbauend auf der
Herausarbeitung von vier allgemeingültigen Grundeigenschaften von Inno-
vationen wird von Gerald Mischke ein neuer Ansatz zur Planung und Ent-
wicklung von Werkzeugen und Methoden vorgeschlagen, der den Innova-
tionsprozess als statistischen Such- und Filterprozess versteht und be-
schreibt. Martin Ertl verdeutlicht am Beispiel der BMW Group, auf wel-
cher Basis, mit welchen Zielen, Prozessen und Wirkungen Innovationen
dort aufgegriffen, entwickelt und umgesetzt werden. Aus einer strategi-
schen Perspektive beleuchtet Alexander von Witzleben das Innovationsma-
nagement bei der Jenoptik AG und führt die herausragende Innovations-
kultur des aktuell größten ostdeutschen Industrieunternehmens auf fünf
wesentliche Kernfaktoren zurück.
Im dritten Teil wird der Frage nachgegangen, wie ein solcher Transfer
technologischen Wissens in Produkte in kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen vorangetrieben werden kann. Andres Sander macht zunächst
deutlich, wie Führungskräfte insbesondere kleine und mittelständische Un-
ternehmen zu Innovationschampions machen können, welche Eigenschaf-
ten sie besitzen und wie Unternehmen solche Führungskräfte hervorbrin-
gen und bei der operativen Arbeit unterstützen können. Innovationsprozes-
sen sowie deren Management insbesondere in jungen, kleinen und mittle-
ren Unternehmen widmet Stefan Seeger sein Hauptaugenmerk. Dabei geht
er auf vergleichsweise einfache Wege ein, um Fehlern und ihren zum Teil
gravierenden Konsequenzen entgegenzutreten, die aus den oft chaotischen
Innovationsabläufen in jungen, kleinen und mittleren Unternehmen resul-
tieren. Abschließend wirft Dieter Engel einen Blick auf die Rolle des Kun-
Vorwort VII

den im Innovationsprozess und schlägt Maßnahmen vor, diesen kooperati-


ven Austausch organisatorisch und prozessorientiert zu unterstützen.
Im vierten Teil des Herausgeberbandes widmet sich Joachim Niemeier
der Frage, wie effizientes Wissensmanagement zu einer herausragenden
Innovationsleistung und Wettbewerbsstellung beitragen kann. Am Beispiel
der T-Systems Multimedia Solutions GmbH macht er deutlich, dass neben
der aktuellen Kompetenz, der Selbstverpflichtung und dem Einsatzwillen
der Mitarbeiter vor allem ein ausgezeichnetes Wissensumfeld ausschlagge-
bend ist für den Innovations- und damit den Unternehmenserfolg.
Im letzten Teil befassen sich die beiden Beiträge mit den Faktoren
„Zeit“ und „Ort“ als zentrale Organisationsaspekte des Innovationsmana-
gements. In ihrem Beitrag gehen Michael Nippa und Björn Rosenberger
auf die grundlegenden Motive und die Zielsetzungen der Internationalisie-
rung von betrieblichen Innovationsprozessen ein und verdeutlichen die we-
sentlichen Aufgabenfelder des internationalen Innovationsmanagements.
Abschließend beleuchtet Fabio Labriola Fragen und Herausforderungen
des strategischen „Time-to-Market“-Managements und schlägt Konzepte
zur zeitlichen Optimierung des Innovationsstroms in Unternehmen vor.
Die Vortragsreihe sowie das vorliegende Buch wären ohne das große
Engagement der Referentinnen und Referenten sowie Autorinnen und Au-
toren nicht möglich gewesen. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle
nochmals ausdrücklich bedanken. Die Planung, Organisation und Admi-
nistration der Veranstaltungsreihe wurde in bewährter Weise von den Mit-
arbeitern des Lehrstuhls für Unternehmensführung und Personalwesen –
namentlich Jens Grigoleit und Andreas Klossek – unterstützt. Dies gilt
auch für die Erstellung und Umsetzung dieses Herausgeberbandes. Bei der
formalen Drucklegung und verschiedenen Korrekturläufen haben beson-
ders Dr. Fabio Labriola, Björn Rosenberger, Nico Dalke, Tina Laubsch
und Andreas Klossek geholfen.
Wir würden uns freuen, wenn unser gemeinsames Werk die Diskussion,
den kritischen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und
Praxis auf diesem interessanten und herausfordernden unternehmerischen
Betätigungsfeld stimuliert. Wir sehen gern Ihrem Feedback und Ihren
Anregungen entgegen.

Freiberg / Düsseldorf MICHAEL NIPPA


im September 2006 KAI ENGEL
Inhaltsverzeichnis

Vorwort ................................................................................................... V

Teil I: Best Practices

1. Organisation von Innovationsmanagement........................................ 1


Kräftebündelung in Innovationsnetzwerken
Kai Engel
1.1 Einleitung.................................................................................... 1
1.2 Die Innovationsstrategie steht an der Spitze ............................... 2
1.3 Innovationsnetzwerke nutzen die Fähigkeiten der
Wertschöpfungspartner ............................................................... 4
1.4 Zusammenfassung .................................................................... 13

2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation ................................ 15


Ein Plädoyer für eine ganzheitliche und kritische Perspektive
Michael Nippa
2.1 Einführung ................................................................................ 15
2.2 Notwendigkeit einer ganzheitlichen Systematisierung
und Berücksichtigung von Interdependenzen ........................... 18
2.3 Grenzen der Erfolgsfaktorenforschung und des
Benchmarking........................................................................... 22
2.4 Ausgewählte nonkonformistische Vorschläge zur
Organisation der Innovation ..................................................... 26
2.5 Zusammenfassung .................................................................... 31
2.6 Literatur .................................................................................... 32

Teil II: Transfer technologischen Wissens in Produkte in


Großunternehmen

3. The Innovation Game......................................................................... 35


Mythen und Realitäten im Management von Forschung und
Entwicklung
Gerald Mischke
3.1 Einführung ................................................................................ 36
3.2 Innovation und Innovationsprojekte – Definition und
Eigenschaften............................................................................ 38
X Inhaltsverzeichnis

3.2.1 Definition ...................................................................... 38


3.2.2 Grundeigenschaften des Innovationsprozesses............. 40
3.2.3 Eine Metrik für den Innovationsprozess ....................... 43
3.3 Innovationspipeline und „F&E-Fabrik“ – Definition und
Eigenschaften............................................................................ 45
3.3.1 Definition einer Innovationspipeline ............................ 45
3.3.2 Die Rolle des Parameters Zeit....................................... 45
3.3.3 Modellierung regulärer Innovationspipelines ............... 47
3.4 Das Modell der „F&E-Fabrik“.................................................. 51
3.4.1 Definition und Beschreibung des Modells.................... 51
3.4.2 Eigenschaften der „F&E-Fabrik“.................................. 54
3.5 F&E-Strategien – Test am Modell der „F&E-Fabrik“.............. 56
3.6 Zusammenfassung .................................................................... 59
3.7 Literatur .................................................................................... 60

4. Das Innovationsmanagement der BMW Group .............................. 61


Strategie, Ziele und Prozesse
Martin Ertl
4.1 Einleitung.................................................................................. 61
4.2 Mit Innovationen dem Kunden nutzen ..................................... 63
4.2.1 Strategie der Innovationsführerschaft ........................... 63
4.2.2 Ziele des Innovationsmanagements .............................. 64
4.3 Innovationsprozess der BMW Group ....................................... 66
4.3.1 Innovationssteuerung .................................................... 70
4.3.2 Innovationstransfer ....................................................... 72
4.4 Zusammenfassung .................................................................... 73

5. Strategisches Innovationsmanagement eines


Technologiekonzerns .............................................................................. 75
am Beispiel der JENOPTIK AG
Alexander von Witzleben
5.1 Einführung ................................................................................ 75
5.2 Technologie-Cluster Jena ......................................................... 78
5.2.1 Merkmale eines Technologie-Clusters ......................... 78
5.2.2 Belege für den Erfolg des Technologie-Clusters
Jena ............................................................................... 79
5.3 Erfolgreiche Unternehmensentwicklung der JENOPTIK
am Technologiestandort Jena.................................................... 80
5.4 Strategisches Innovationsmanagement als Grundlage für
anhaltendes Unternehmenswachstum ....................................... 81
5.4.1 Fünf Säulen des Innovationsmanagements ................... 81
5.4.2 Organisations- und Finanzstruktur................................ 82
Inhaltsverzeichnis XI

5.4.3 Eigene Forschung und Entwicklung ............................. 86


5.4.4 Kooperationen............................................................... 87
5.4.5 Unternehmensstandort .................................................. 89
5.4.6 Ergänzung des Technologieportfolios durch
Akquisitionen................................................................ 90
5.5 Zusammenfassung .................................................................... 92
5.6 Literatur .................................................................................... 93

Teil III: Transfer technologischen Wissens in Produkte in KMUs

6. Innovieren leicht gemacht … ............................................................. 95


mit den richtigen Führungskräften und unterstützenden Werkzeugen
Andres Sander
6.1 Einführung ................................................................................ 95
6.2 Kompetenzprofil Führungskräfte.............................................. 96
6.3 Werkzeuge und Methoden für eine innovationsfördernde
Führung..................................................................................... 99
6.3.1 Feedback ..................................................................... 100
6.3.2 Mitarbeiterbeurteilungsgespräch................................. 101
6.3.3 Mitarbeiterentwicklungsgespräch ............................... 102
6.3.4 Führungskräftebeurteilung durch die Mitarbeiter ....... 103
6.3.5 Austausch von Erwartungen ....................................... 105
6.3.6 Prozessdefinition – Nutzung des
Qualitätsmanagement-Systems ................................... 106
6.3.7 Die Unternehmensuhr – kontinuierliche
Innovationsplanung..................................................... 107
6.4 Zusammenfassung .................................................................. 108
6.5 Literatur .................................................................................. 109

7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg................. 111


Selektion, Kooperation, Organisation Innovationsmanagement
in jungen, kleinen und mittleren Unternehmen
Stefan Seeger
7.1 Einführung .............................................................................. 111
7.2 Was ist Innovation? ................................................................ 112
7.3 Die Innovations-, Wissens- und Nichtwissensflut .................. 113
7.4 Der Innovationsprozess in jungen, kleinen und mittleren
Unternehmen........................................................................... 115
7.4.1 Ideenselektion ............................................................. 117
7.4.2 Erarbeitung eines technischen Lösungskonzeptes ...... 118
7.4.3 Projektablauf............................................................... 118
7.4.4 Make or Buy or Corporate? ........................................ 119
XII Inhaltsverzeichnis

7.4.5 Auswahl von Kooperationspartnern ........................... 120


7.4.6 Kooperation mit Universitäten und Hochschulen....... 124
7.4.7 Was tun bei Problemen in
Entwicklungsprojekten?.............................................. 125
7.4.8 Anforderungsprofile für Manager von
Entwicklungskooperations-Netzwerken ..................... 127
7.5 Zusammenfassung .................................................................. 128
7.6 Literatur .................................................................................. 129

8. Der Kunde als Innovationspartner ................................................. 131


Motivation, Prozesse und Erfahrungen bei der Einbindung von
Kunden als aktive Partner im Innovationsmanagement der Ethicon
GmbH
Dieter Engel
8.1 Die Bedeutung von Innovation ............................................... 131
8.2 Der Ursprung von Innovationen ............................................. 132
8.3 Johnson & Johnson ................................................................. 134
8.4 Innovationsmanagement bei Ethicon...................................... 137
8.4.1 Strategische Planung................................................... 137
8.4.2 Bedarf erkennen.......................................................... 138
8.4.3 Prinzipielle Lösung suchen ......................................... 140
8.4.4 Schnelle Überprüfung und Industrialisierung ............. 141
8.4.5 Forschungskooperationen ........................................... 141
8.4.6 Training....................................................................... 142
8.5 Externe Ideen .......................................................................... 143
8.6 Innovationskultur .................................................................... 145
8.7 Beziehungsmanagement ......................................................... 147
8.8 Zusammenfassung .................................................................. 148
8.9 Literatur .................................................................................. 150

Teil IV: Wissensmanagement und Innovationskultur

9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen .............................. 151


Arbeiten und Lernen durch Telekommunikation und
Informationstechnologien intelligent miteinander verschmelzen
Joachim Niemeier
9.1 Einführung .............................................................................. 151
9.2 „People Business“ in einem agilen Marktumfeld ................... 153
9.3 Zentrale Managementkonzepte der T-Systems
Multimedia Solutions GmbH.................................................. 154
9.4 Gestaltungsfelder in einem wissensintensiven
Unternehmen........................................................................... 157
Inhaltsverzeichnis XIII

9.5 Entwicklung des Wissensumfeldes über intelligente


Lern- und Arbeitswelten ......................................................... 159
9.6 Zusammenfassung Zyklus des Erfolgs ................................... 163
9.7 Literatur .................................................................................. 164

Teil V: “Zeit” und “Ort” als zentrale Organisationsaspekte des


Innovationsmanagements

10. Stand und Perspektiven des internationalen


Innovationsmanagements..................................................................... 165
Grundlagen der Organisation und des Managements internationaler
Innovationsprozesse
Michael Nippa und Björn Rosenberger
10.1 Einführung .............................................................................. 165
10.2 State-of-the-Art der Internationalisierung von F&E-
Aktivitäten .............................................................................. 166
10.2.1 Inhalt und Charakteristika von Innovationen.............. 166
10.2.2 Implikationen für die Internationalisierung ................ 169
10.2.3 Stand der Internationalisierung ................................... 171
10.3 Strategische Zielsetzungen und Konzepte im
internationalen Innovationsmanagement ................................ 173
10.3.1 Marktorientierte Zielsetzungen und Konzepte............ 173
10.3.2 Ressourcenorientierte Zielsetzungen und
Konzepte ..................................................................... 174
10.4 Internationales Innovationsmanagement: Aufgaben der
Unternehmensführung ............................................................ 175
10.4.1 Konfiguration internationaler Innovationen................ 176
10.4.2 Koordination im internationalen
Innovationsmanagement ............................................. 178
10.5 Zusammenfassung .................................................................. 188
10.6 Literatur .................................................................................. 190

11. Strategisches “Time-to-Market”-Management............................ 193


Relevante Problembereiche und adäquate Methoden
Fabio Labriola
11.1 Einführung .............................................................................. 193
11.1.1 Kontext und Problemstellung ..................................... 193
11.1.2 Ziel und Vorgehensweise............................................ 196
XIV Inhaltsverzeichnis

11.2 Darlegung einer strategischen Time-to-Market-


Managementkonzeption.......................................................... 197
11.2.1 Integriertes Roadmapping-Verfahren:
Generierung strategischer Optionen durch
zeitliche Synchronisation der relevanten
Planungsdimensionen ................................................. 197
11.2.2 Realoptionenansatz: Bewertung der generierten
Strategieoptionen unter Berücksichtigung
zeitlicher Flexibilitätspotenziale ................................. 204
11.2.3 Verzahnung der beiden Methoden und
organisatorische Umsetzung ....................................... 210
11.3 Zusammenfassung .................................................................. 212
11.4 Literatur .................................................................................. 212

Autorenverzeichnis ............................................................................... 215


Teil I: Best Practices

1. Organisation von Innovationsmanagement


Kräftebündelung in Innovationsnetzwerken

Kai Engel

Gutes Management ist bei Innovationen genauso relevant wie in allen anderen
Bereichen der Unternehmensführung. Die Bausteine des A.T. Kearney-„House of
Innovation“ umfassen eine strukturierte Herangehensweise, die ein systematisches
Management ermöglicht. Ein wichtiger Bereich des Innovationsmanagements sind
interne und externe Netzwerke, die das Wissen aller Partner einbeziehen und auf-
grund ihrer straffen Prozesse vollständig nutzen können. Gerade diese wichtige
Zusammenarbeit wird jedoch durch immer stärker fragmentierte Wertschöpfungs-
ketten zunehmend schwieriger.

1.1 Einleitung

Das Ergebnis gelungenen Innovationsmanagements im Unternehmen ist


die erfolgreiche Platzierung von Produkten am Markt. Um das zu errei-
chen, lässt sich allerdings nicht einfach ein Erfolgsrezept kopieren und im-
mer wieder neu anwenden. Vielmehr gehören zum qualifizierten Manage-
ment von Innovationen der jeweils neue Zuschnitt des Projektes auf die
Marktgegebenheiten und eine entsprechende Anpassung aller Beteiligten.
Wie Untersuchungen ergeben haben, gelingt es Unternehmen, die das In-
novationsmanagement perfekt beherrschen, Potenziale aller Innovations-
felder zu verbinden. Produktinnovationen führen in vielen Fällen zu Inno-
vationen in der Organisation oder in den Prozessen. Es ist umgekehrt auch
möglich, dass Prozessinnovationen zu innovativen Veränderungen am Pro-
dukt führen.
Zwar gibt es kein Erfolgsrezept, wohl aber eine Reihe von Bausteinen,
die aufgrund der Erfahrungen aus der langjährigen Praxis der Top- Mana-
gementberatung A.T. Kearney zum „House of Innovation“ zusammenge-
setzt wurden. Dieses Modell besteht aus vier Elementen, die sorgfältig auf-
einander abgestimmt sein müssen, um die erforderliche Balance zu halten:
2 Kai Engel

- Innovationsstrategie
- Innovationsorganisation und -kultur
- Innovationsprozess
- Enabling Factors
Erst ein perfektes Zusammenspiel dieser Elemente ermöglicht einen
durchgängigen Innovationsprozess und überzeugende Innovationsergeb-
nisse.

Inno-
vations-
strategie

Innovations-
organisation und -kultur

Lebenszyklusmanagement
(Prozesse)

Ideen- Produkt-/Prozess- Launch/Kontinuier-


generierung entwicklung liche Verbesserung

Enabler, u.a. Human Resource Management,


Controlling und IT

Quelle: Kai Engel

Abb. 1.1. Elemente des „House of Innovation“

1.2 Die Innovationsstrategie steht an der Spitze


Das wichtigste Element der Pyramide ist die Innovationsstrategie an der
Spitze. Mit der Auswahl der Innovationsstrategie wird festgelegt, in wel-
chen Geschäftsfeldern und mit welchen innovativen Produkten sich das
Unternehmen am Markt platzieren will. Zur Strategie gehören auch die Be-
stimmung des Markteintrittszeitpunktes, der Quellen für die Innovationen
und die Berücksichtigung vorhandener Wettbewerbskonzepte. In einer
schlagkräftigen Strategie spiegelt sich die Vision eines Unternehmens
wider, und sie bestimmt das Verhalten am Markt oder im Wettbewerb.
Gute Visionen haben nachhaltige Wirkung. Sie führten in der Vergangen-
heit häufig zu Meilensteinen in der Technikgeschichte oder waren Aus-
gangspunkt für eine nicht selten über Jahre und Jahrzehnte andauernde Er-
folgsstory eines Unternehmens. Eine auf einer tragfähigen Vision basie-
rende Innovationsstrategie gibt den Rahmen für Planung und Ausrichtung
der unmittelbar innovationsrelevanten Bereiche, aber auch weiterer Unter-
nehmensaktivitäten vor.
1. Organisation von Innovationsmanagement 3

Der zweite Baustein des „House of Innovation“ ist der Bereich Innova-
tionsorganisation und -kultur. Hier liegt eine der großen Herausforderun-
gen des Innovationsmanagements. Innovationen brauchen ein angemesse-
nes Umfeld, das sowohl den Elfenbeinturm der Forschung und Entwick-
lung mit der Außenwelt verbindet als auch die passenden Strukturen lie-
fert, um die Umsetzung zu sichern. Um beiden Anforderungen gerecht zu
werden, wird häufig als organisatorische Lösung eine Hybridstruktur ge-
wählt. Sie besteht aus einer zentralen Innovationseinheit und dezentralen
Verantwortlichen in den einzelnen Geschäftsbereichen. Doch erst wenn
auch Kunden, Lieferanten und Endverbraucher systematisch einbezogen
werden, entsteht ein effektives System gegenseitiger Wechselbeziehungen
unter den Beteiligten. Weil es schwierig ist, diese Wechselbeziehungen le-
bendig zu halten, gewinnen in diesem Bereich die Innovationsnetzwerke
immer stärker an Bedeutung. Sie sorgen auf allen Stufen des Innovations-
prozesses intern und extern für bessere Kontakte und „Verdrahtung“. Die-
se Innovationsnetzwerke werden im folgenden Abschnitt ausführlich dar-
gestellt.
Der Innovationsprozess ist ein weiteres Element des „House of Innova-
tion“. Der Prozess betrifft das gesamte Unternehmen und involviert so vie-
le qualifizierte Mitarbeiter wie möglich. Wegen seines großen Umfangs
umfasst der Innovationsprozess mehrere Phasen: Dazu gehören Ideengene-
rierung, Bewertung und Selektion der Ideen, Entwicklung sowie Umset-
zung und Markteinführung. Einzelne Phasen können von unterschiedlichen
Beteiligten des internen Netzwerkes übernommen werden. Häufig sind
diese Phasen nicht sequenziell, sondern untereinander verbunden, und sie
umfassen zudem Rückkopplungsschleifen.
Zum initialen Prozess der Ideengenerierung tragen sowohl interne als
auch externe Faktoren bei, die nach Push- und Pull-Faktoren unterschieden
werden. Als Push-Faktoren werden in erster Linie interne technologische
Entwicklungen und Entdeckungen bezeichnet, daher der Begriff „techno-
logy push“. Die Pull-Faktoren ergeben sich aus dem Markt und seinen An-
forderungen. Deshalb heißt es „market pull“.
Um die künftigen Anforderungen und die Nachfrage realistisch ein-
schätzen zu können, müssen die Unternehmen die Innovation in den Kon-
text einer Reihe von Faktoren stellen. Dazu gehören beispielsweise Gesell-
schaft, Demographie, Politik, Umwelt und Technologie, aber auch Verän-
derungen von Wettbewerbern, Zulieferern, Partnerunternehmen und Kun-
den. Unter sorgfältiger Abwägung dieser Faktoren und der eigenen strate-
gischen Positionierung können der zukünftige Innovationsbedarf und das
Marktpotenzial abgeschätzt werden. Wenn der Innovationsbedarf ermittelt
4 Kai Engel

ist, können ausgehend von dieser Notwendigkeit auch neue Kompetenzen


aufgebaut werden.
Die Basis der Pyramide wird geschaffen durch eine Vielzahl von En-ab-
ling Factors. Darunter versteht man die Faktoren, die den Fortschritt der
Innovationen vorantreiben, ihn kontrollieren und mit den strategischen
Zielen abgleichen. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Inno-
vationsziele tatsächlich erreicht werden und die Innovationskraft im Unter-
nehmen gestärkt wird. Zu diesen wichtigen Faktoren zählen unter anderem
Zielvereinbarungen oder Anreizsysteme, die die Mitarbeiter motivieren,
zur Innovation des Unternehmens beizutragen. Diese Anreize sind nicht
immer finanzieller Art. Häufig gibt es auch Incentive-Systeme, die zum
Beispiel Freiraum für Aufgaben außerhalb des Kernaufgabengebiets ge-
währen oder durch Ausloben von Preisen oder Prämiierungen die Attrakti-
vität der Arbeit, an Innovationen aktiv mitzuwirken, enorm steigern. All-
jährlich im Unternehmen stattfindende Innovationstage oder Innovations-
messen sorgen für einen angemessenen Rahmen und schaffen eine breitere
Öffentlichkeit auch innerhalb des Unternehmens. Oft werden zu solchen
Innovationstagen gezielt externe Experten eingeladen, um neue Ideen, Pro-
jekte oder Technologien vorzustellen und zu diskutieren.
Zu den Enablern gehören auch die IT-Anwendungen, die auf Wissens-
management oder Produktdaten spezialisiert sind. Vor allem in großen Un-
ternehmen mit geografisch getrennten Standorten sind diese Programme
unerlässlich.
Das Innovationsmanagement greift allerdings entschieden zu kurz, wenn
es sich nur auf die interne Innovationsfähigkeit beschränkt. Führende Un-
ternehmen haben bereits ein systematisches Innovationsmanagement auf-
gebaut, das weit verzweigte Netzwerke außerhalb des Unternehmens ein-
bezieht. Gerade im Umfeld global operierender Unternehmen sind die be-
reits angesprochenen Innovationsnetzwerke unabdingbar, denn sie sind der
beste Garant für eine gute Kommunikation, die eine elementare Vorausset-
zung für Innovationen schafft.

1.3 Innovationsnetzwerke nutzen die Fähigkeiten der


Wertschöpfungspartner

Innovationsnetzwerke bilden ein äußerst sensibles Geflecht, da sie sowohl


dem Austausch von Wissen dienen als auch auf diesen Austausch ange-
wiesen sind. Daher ist das Management eines gut funktionierenden Inno-
vationsnetzwerkes äußerst diffizil. Hier gilt es, die richtigen Netzwerkpart-
1. Organisation von Innovationsmanagement 5

ner einzubeziehen und geeignete Rahmenbedingungen für den Austausch


zu schaffen, um eine möglichst hohe Wertschöpfung für alle Partner si-
cherzustellen und die Innovationskultur kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Management eines Innovationsnetzwerkes

Die Notwendigkeit gut funktionierender Netzwerke auch und gerade im


Innovationsbereich steht außer Frage. Unternehmen wie Bosch oder BMW
haben unter Beweis gestellt, wie man solche Netzwerke managt: Um er-
folgreiche Netzwerke zu etablieren, sollten alle Beteiligten den maximalen
Nutzen aus der Partnerschaft ziehen können. Sie müssen deshalb sehr ge-
nau definieren, welche Kompetenzen von wem eingebracht werden und
wie diese Kompetenzen gegenüber dem Wettbewerb geschützt werden
können. Die eigenen Kompetenzen jedes beteiligten Unternehmens müs-
sen permanent weiterentwickelt werden, um langfristig ein attraktiver
Netzwerkpartner zu bleiben und selbst vom Innovationsnetzwerk zu profi-
tieren. Ohne diesen kontinuierlichen Ausbau von Know-how sind Innova-
tionen kaum möglich. Der Vorteil von Innovationsnetzwerken liegt darin,
dass sich die einzelnen Partner innerhalb des Netzwerkes auf die Weiter-
entwicklung ihrer Kernkompetenzen konzentrieren können. Damit reduzie-
ren sie technische und ökonomische Risiken, die Innovationen für einzelne
Partner mit sich bringen würden. Im Innovationsnetzwerk werden diese
Risiken von allen Partnern getragen.

Wer im Mittelpunkt eines solchen Netzwerkes stehen und damit der


Knotenpunkt des Informationsaustausches sein will, muss die unbestrittene
Führerschaft in Technologie- und sonstigem Know-how als Voraussetzung
einbringen. Erfolgreiche Netzwerke werden häufig von einer profitablen
Marke zusammengehalten; sie bildet für die anderen Partner einen wichti-
gen Anziehungspunkt und trägt zur Bindung der Partner an das Netzwerk
bei.
Derjenige, der eine führende Rolle im Innovationsnetzwerk einnimmt,
hat die Aufgabe, eine „Win-Win“-Situation für alle Netzwerkpartner zu
schaffen, denn Innovationsnetzwerke sind auf Wertorientierung für alle
Netzwerkpartner ausgerichtet. Besteht für die einzelnen Netzwerkpartner
die Aussicht, dass durch den Innovationsvorsprung für das eigene Unter-
nehmen auf Jahre Vorteile sichergestellt sind, werden zum Beispiel be-
stimmte Lieferanten kaum die Notwendigkeit sehen, mit Wettbewerbern
zusammenzuarbeiten. Wenn sich ein Unternehmen also in einer Phase
wichtiger Innovationen befindet, sollte das Management des Innovations-
netzwerkes darauf ausgelegt sein, dass die Partner eng in das Netzwerk
6 Kai Engel

eingebunden werden und ein Wechsel möglichst unattraktiv wird. Damit


das Innovationsnetzwerk dauerhaft für alle Beteiligten gleichermaßen at-
traktiv bleibt, sind permanente eigene Bemühungen, das Innovationsmana-
gement zu optimieren, der beste Stabilitätsgarant.
Das Management von Innovationsnetzwerken wird häufig immer noch
dem „historischen Zufall“ überlassen. Führende Unternehmen jedoch ha-
ben begonnen, sehr systematisch die für die Innovationen erforderlichen
strategischen Kompetenzen in einer „Kompetenz-Karte“ darzustellen und
systematisch nach den externen Partnern zu suchen, die in der Lage sind,
noch bestehende „weiße Flecken“ auszufüllen. Damit ist gleichzeitig si-
chergestellt, dass die verschiedenen Partner für ihre jeweilige Kernkompe-
tenz Exklusivität im Netzwerk erhalten und somit die Chance, diese im
Rahmen des Innovationsnetzwerks weiterzuentwickeln.

Netzwerkpartner

Die Attraktivität von Innovationsnetzwerken steigt, wenn die einzelnen


Partner nicht nur mit dem „Netzwerkführer“ zweiseitige Beziehungen auf-
bauen, sondern mit allen Partnern direkt in Verbindung treten. Waren die
Netzwerke früher in der Regel bilateral, so ist es inzwischen eher die Re-
gel, dass sie multilateral arbeiten, mit dem Effekt einer möglichst hohen
„cross fertilization“. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Part-
nern gewinnen dabei immer mehr an Intensität. Die Innovationsnetzwerke
können aus den unterschiedlichsten Partnern bestehen: ausgelagerten Ab-
teilungen, Lieferanten, externen Unternehmen mit komplementären Kern-
kompetenzen, externen Rechercheteams, Konsortien, Partnern, Allianzen,
Joint Ventures und – nicht zu vergessen – den Kunden.
Aber nicht nur die Anzahl der möglichen Partner innerhalb eines Netz-
werkes ist gestiegen, insgesamt haben Partnerschaften zwischen Unterneh-
men zahlenmäßig enorm zugenommen.

Rahmenbedingungen

Wird in die Auswahl der Partner in der Regel sehr viel Zeit und Engage-
ment investiert, so kann es ganz schnell zu Schwierigkeiten kommen,
wenn für einzelne Partner die Chancen im Netzwerk vergleichsweise ge-
ring sind. Sollte es dem führenden Partner nicht gelingen, für alle Mitglie-
der des Netzwerkes die Voraussetzungen für eine „Win-Win“-Situation zu
erzielen, so besteht durch das entstehende Ungleichgewicht eine akute Ge-
fährdung für das gesamte Netzwerk. Einzelne Partner könnten aussteigen,
1. Organisation von Innovationsmanagement 7

oder es könnte sogar das komplette Netzwerk von anderen führenden Un-
ternehmen übernommen werden. Im Vorfeld einer Netzwerkgründung ist
es deshalb unerlässlich, alle Phasen der Mitgliedschaft im Innovationsnetz-
werk klar zu definieren – vom Eintritt in das Netzwerk über die Zusam-
menarbeit bis hin zum Ausstieg. Gerade die letzte Phase wird in der an-
fänglichen Euphorie der Zusammenarbeit zu häufig gedanklich vernach-
lässigt. Es gilt einen Ausstieg nach festgelegten Konditionen zu vereinba-
ren, um einen professionellen Abschluss der Zusammenarbeit sicherzustel-
len und kosten- und arbeitsintensive juristische Auseinandersetzungen zu
verhindern. Zu den Aspekten, die als Rahmen eines Netzwerks vereinbart
werden, gehören neben der Frage des Ausstiegs auch Transparenz, Ver-
trauen und Verantwortlichkeit.
Auch die Festlegung von Verantwortlichkeiten und das Management in
Innovationsnetzwerken verlangen besondere Sorgfalt innerhalb der Unter-
nehmen. Es gibt keinen systematischen Prozess, um „passende“ Fähigkei-
ten der Partner innerhalb der Wertschöpfungskette zu ermitteln und zu prü-
fen, ob und wie weit die Innovationsstrategien der Unternehmen überein-
stimmen. Zudem sind im Netzwerk zunächst keinerlei Verwaltungsstruk-
turen etabliert. Gerade dieser Aspekt darf nicht unterschätzt werden, denn
ohne die organisatorische Integration in Abteilungen der jeweiligen Unter-
nehmen ließe sich kein Wertbeitrag für die Partner des Innovationsnetz-
werkes generieren.

Wertschöpfungspartner

Die Notwendigkeit und Bedeutung von Innovationsnetzwerken steigert


sich durch die zunehmende Fragmentierung der Wertschöpfungsketten.
Viele Funktionen wurden teilweise oder ganz aus ihren Ursprungsunter-
nehmen ausgelagert. Entsprechend viele Partner müssen im Netzwerk inte-
griert werden, die cross-funktionale Zusammenarbeit wird dadurch aller-
dings komplexer und schwieriger. Die Bedeutung der Innovationsnetzwer-
ke entlang der Wertschöpfungskette wächst also proportional zur abneh-
menden Fertigungstiefe.
Unternehmen mit einem vitalen Netzwerk versuchen durch ihre Zusam-
menarbeit, dem Wettbewerb auf allen Stufen des Entwicklungsprozesses
voraus zu sein. Für ein gut funktionierendes Netzwerk ist es deshalb ent-
scheidend, aus der Vielzahl der potenziellen Partner diejenigen auszuwäh-
len, die mit der angebotenen Rolle im Netzwerk für sich selbst und für die
anderen Partner den höchsten Zuwachs an Wertschöpfung erwirtschaften
können.
8 Kai Engel

Innovationskultur

In Innovationsnetzwerken fördern Unternehmen die Zahl der Innovationen


und Ideen und verbreiten sie auch über die Grenzen des eigenen Unterneh-
mens hinaus. Erfolgreiche Innovatoren haben erkannt, dass sie kein Mono-
pol auf gute Ideen haben und ihr eigenes Denken auf Dauer ohne den Aus-
tausch mit anderen Menschen und Kulturen einseitig oder verzerrt werden
kann. In Diskussionen mit Externen werden hingegen sehr schnell neue
Sichtweisen oder komplett neue Lösungsansätze gefunden. Das Ziel eines
Innovationsnetzwerkes ist eine Kultur, die Offenheit im Sinne eines „Ideas
from anywhere“ anstelle des restriktiven Denkansatzes „Not invented
here“ fördert. Dazu sind neue Führungsqualitäten erforderlich, um diesen
Ansatz und die entsprechende Haltung in der externen Zusammenarbeit
voranzutreiben, wenn dabei geistiges Eigentum „in Gefahr“ ist. Das Mana-
gement muss zu einer Kultur der Offenheit ermutigen, auch wenn sie weit
über traditionelle Zulieferer- oder Kundenbeziehungen hinausgeht.
Diese Kultur der Offenheit kann dann gedeihen, wenn in den Rahmen-
bedingungen für die Netzwerkpartnerschaften sichergestellt ist, dass von
den gemeinsam entwickelten Innovationen tatsächlich alle Beteiligten pro-
fitieren. Die Innovationskultur muss daher für einen vertrauensvollen Um-
gang mit dem Wissen der Netzwerkpartner sorgen. So sehen sich zum Bei-
spiel Lieferanten häufig in der Situation, dass sie mit ihrem Kunden eine
innovative Lösung entwickeln, die der Kunde dann einem Wettbewerber
des Lieferanten präsentiert, um ein kostengünstigeres Angebot zu erhalten.
Führende Unternehmen sind auf solche Situationen vorbereitet und haben
bestimmte Ausstiegsszenarien bereits bei Aufnahme des Partners in das In-
novationsnetzwerk berücksichtigt.

Best Innovator

Unter den führenden Unternehmen, die im Wettbewerb „Best Innovator“


als besonders innovativ ermittelt wurden, sieht keines eine Alternative zu
Innovationsnetzwerken; sie gelten als Erfordernis und Notwendigkeit zu-
gleich. Dabei bieten sich Potenziale in den verschiedensten Bereichen, je
nachdem, wie das Netzwerk positioniert ist: Strebt es als „Erstanbieter“ auf
Wachstumsmärkte oder geht es eher darum, das Szenario des „Merger
Endgame“ einer auf Konsolidierungskurs befindlichen Industrie zum Vor-
teil aller Beteiligten zu beeinflussen? Es bietet sich ein breites Spektrum
möglicher Chancen, von einer schnelleren Entwicklung neuer Ideen über
die Reduzierung der „Time-to-Technology“ bis hin zur Nutzung der Erfah-
rungen von Lieferanten – der eigenen, wie auch derer aus anderen Bran-
1. Organisation von Innovationsmanagement 9

chen. Lange Zeit wurde nämlich die Rolle der Lieferanten in Bezug auf In-
novationen erheblich unterschätzt. Inzwischen haben die Unternehmen ei-
ne andere Einstellung dazu gewonnen und das Innovationspotenzial eines
möglichen Lieferanten wird als wesentliches Auswahlkriterium gewertet.
Die internationale Top-Managementberatung A.T. Kearney lobte bereits
mehrfach den Wettbewerb „Best Innovator“ aus, bei dem Unternehmen
europaweit aufgefordert wurden, ihr Innovationsmanagement einem detail-
lierten Vergleich zu unterziehen. Unter den Preisträgern befinden sich et-
liche Firmen mit umfangreichen Erfahrungen aus internen und externen In-
novationsnetzwerken. Im Vergleich wird deutlich, dass die Unternehmen
mit den besten Resultaten ihre internen und externen Partner stärker invol-
vieren als die Wettbewerber. Zugleich sind sie wesentlich effizienter darin,
die Netzwerke zu managen.

Optimierungspotenzial

In ausführlichen Gesprächen mit diesen Unternehmen räumten jedoch vie-


le von ihnen ein, dass diese Netzwerke nicht optimal funktionieren. Maxi-
maler Nutzen eines solchen Netzwerkes über die Unternehmensgrenzen
hinaus kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, lautet die Erkennt-
nis der Netzwerker.
Die Erfahrungen aus dem Best-Innovator-Wettbewerb zeigen, dass Un-
ternehmen, die zu den Innovationsführern gehören, sehr offen und ehrlich
über Verbesserungspotenziale in bestehenden Innovationsnetzwerken spre-
chen. Dabei werden neben Prozessschwächen insbesondere fehlende
Strukturen und Ressourcen als Ursachen gesehen, warum die Netzwerke
keinen optimalen Nutzen realisieren können. Einige Unternehmen sehen
Verbesserungspotenzial in den Fähigkeiten, Ideen zu bewerten. Andere
wollen sich verstärkt um die Integration unterschiedlicher Kulturen küm-
mern, mit denen Innovationsnetzwerke vor allem durch die Aufnahme
neuer Partner immer wieder konfrontiert werden. Weiterhin bestehen Be-
fürchtungen, dass der Fokus eines Netzwerkes verloren gehen könnte,
wenn die Anzahl der Ideen und Partner eines Tages zu groß und unüber-
schaubar wird. Und schließlich warnte ein Juror des Wettbewerbs „Best
Innovator“, dass häufig die Früchte der Zusammenarbeit nicht wirklich
und vollständig geerntet würden.
Aus den Erfahrungen des Best-Innovator-Wettbewerbs lässt sich weite-
res Verbesserungspotenzial vor allem in sieben Kompetenzbereichen ab-
leiten:
10 Kai Engel

- Die eigenen Kompetenzen managen mit klarer Verpflichtung zum fo-


kussierten Ansatz, der sich vom Wettbewerb deutlich unterscheidet.
- Ein „Corporate Ethos“ schaffen und die Haltung „Best from anywhe-
re“ anstelle eines „Not invented here“ anstreben.
- Die Lieferanten und ihr Wissen für Innovationen nutzen, anstatt sie
als reine Dienstleister und Anbieter zu sehen.
- Marktkenntnis nutzen und Kunden pflegen (Kunden sollten nicht nur
Adressaten für Innovationen sein, sondern diese aktiv mit entwickeln
und hierfür auch entsprechende Incentives erhalten).
- Den Innovationsprozess steuern, auf Anfragen flexibel reagieren und
schneller in neue Bereiche vorstoßen, die über den traditionellen Fo-
kus hinausgehen.
- Innovation suchen durch regelmäßiges Aufspüren von Trends und
neuen Nachfragemustern und dadurch, Technologien als erste zu
identifizieren und Vorteile zu nutzen.
- Intellectual Capital/Property managen – bewusst vorhandenes Wissen
austauschen und ausbauen und zugleich die Wettbewerbsvorteile des
Innovationsnetzwerkes absichern.
Dass diese sieben Kompetenzbereiche von Unternehmen mit Ambitio-
nen komplett oder zumindest teilweise aufgebaut werden können, zeigen
die Industriebeispiele im Folgenden:

CASE: Neue Antennen im Netzwerk [LUCENT]

Ein globales Unternehmen, das zu den Technologieführern im Bereich


Telekommunikation gehört, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie pro-
gressive Unternehmen Netzwerke in den Innovationsprozess einbeziehen.
Die Technologieteams sind perfekt eingebunden in ein beeindruckendes
globales Netz von Industrie- und Technikkonsortien sowie Allianzen mit
Universitäten, Zulieferern, Kunden und Wettbewerbern. Ziel ist, nicht nur
das eigene Wissen zu erweitern, sondern auch Industriestandards voranzu-
treiben und Kosten zu senken.
Das Unternehmen ist zum Beispiel Mitglied eines gesamteuropäischen
Netzwerkes, bei dem es um Exzellenz bei der Entwicklung von Antennen
der nächsten Generation geht. Dabei werden zahlreiche einzelne For-
schungsprojekte integriert. Außerdem werden die Kosten der Gesamtent-
wicklung durch Forschungsgelder der EU getragen.
1. Organisation von Innovationsmanagement 11

CASE: Innovation bei DANONE

Groupe DANONE zählt zu den Top-Marken auf dem weltweiten Lebens-


mittelmarkt. Im Segment der Frischeprodukte steht sie an Platz 1 weltweit,
bei Tafelwasser, Keksen und Müsliprodukten auf Rang 2. Der Sitz der Fir-
menzentrale befindet sich in Frankreich, dem Land, das mit 25 Prozent des
erzielten Umsatzes auch ihr stärkster Markt ist. Das Unternehmen umfasst
insgesamt über 120 Länder und beschäftigt 92.200 Mitarbeiter. Innovatio-
nen haben bei Groupe DANONE einen hohen Stellenwert. Deshalb wurde
der komplette Forschungs- und Entwicklungsbereich aus allen Unterneh-
mensteilen als „DANONE Vitapole“ zusammengefasst. Vitapole hat die
Aufgabe, Innovationen in allen drei großen Geschäftsfeldern voranzutrei-
ben: Frischeprodukte, Getränke sowie Gebäck und Müsli. Entsprechend
lang ist die Liste der Innovationen, die von DANONE in den letzten Jahren
entwickelt wurde. Allein im Jahr 2002 wurden achtzehn Patente angemel-
det.
Der Konzern reagierte beispielsweise sehr schnell mit Innovationen auf
das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung. Das Ergebnis
war die Vitalina-Light-Serie: Mit null Prozent Fett liegen diese Joghurt-
Produkte genau im Trend, den kalorienbewusste Konsumenten gesetzt ha-
ben. Im zentralen Labor sind 600 Forscher aus 25 unterschiedlichen Län-
dern beschäftigt, weltweit sind es 800 Experten. Ihr Ziel ist die Weiterent-
wicklung und Stärkung der gesundheitsorientierten Ernährung, und sie ar-
beiten daran, weitere Produkte zu schaffen, die in Qualität, Geschmack
und Konsistenz unverwechselbar sind und die Marke DANONE stärken.

Experten-Interview mit Sven Thormahlen, Vice President, Groupe


DANONE R&D

A.T. Kearney: Was sind die Stärken von DANONE bei der Nutzung des In-
novationsnetzwerks?
Sven Thormahlen: Die Frage des Netzwerkes beherrscht fast jede Diskus-
sion über das Thema Innovation. Es ist der Schlüssel, weil Innovation am
Scheideweg zwischen einer Vielzahl von Qualifikationen und Expertisen
steht, die kontinuierlich abgerufen und erneuert werden müssen. Um er-
folgreich zu sein, setzt die DANONE-Gruppe auf eigene Programme, Pro-
zesse und Organisationsmethoden, die es erlauben, neue Ideen schnell zu
kommunizieren und diese in relevante Konzepte für unsere Konsumenten
umzumünzen. DANONE Vitapole wurde mit dem Ziel gegründet, For-
schungs-, Entwicklungs- und Marketingfunktionen zusammenzubringen,
12 Kai Engel

um gemeinsam Synergien zu realisieren und Innovation zu beschleunigen.


Alleinige Aufgabe der DANONE-Vitapole-Teams ist es, den identifizierten
Kundennutzen aus den oben erwähnten drei Kernbereichen des Konzerns
untereinander zu vermitteln.

A.T. Kearney: Welche Chancen sieht DANONE bei der Nutzung der Inno-
vationsfähigkeit seiner Lieferanten?
Sven Thormahlen: Unser Ansatz gegenüber unseren Lieferanten zielt ge-
nau darauf ab. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Lieferanten leis-
tungsstarke Innovationsträger sind, weil sie selbst an der Schnittstelle zwi-
schen einer Vielzahl von Projekten bei vielen verschiedenen Marktteilneh-
mern stehen. Lassen Sie mich eine besonders bezeichnende Initiative be-
schreiben. Im letzten Jahr veranstalteten wir eine eintägige Konferenz mit
elf Lieferanten, die ihre jeweiligen F&E-Team-Aktivitäten präsentieren
sollten. Das Ziel war herauszufinden, wie sich unsere Bemühungen gegen-
seitig ergänzten und wie neue Projekte initiiert werden könnten. Aufgrund
der sehr positiven Erfahrungen werden wir dieses Experiment nächstes
Jahr wiederholen. Darüber hinausgehen wir strategische Partnerschaften
mit Lieferanten von Aroma- und Inhaltsstoffen ein und werden in Zukunft
regelmäßig zwei Lieferantenmanager in unsere Produktion einladen. Au-
ßerdem haben wir ein exklusives Forschungsprogramm mit privaten und
öffentlichen Institutionen aufgesetzt.

A.T. Kearney: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Faktoren,
wenn es um die Weiterentwicklung des DANONE-Innovationsnetzwerkes
geht?
Sven Thormahlen: In der Kultur der Groupe DANONE ist die Idee von
Veränderung, Visionen, Herausforderungen und Tempo tief verwurzelt.
Dieser Geist ist einer unserer wichtigsten Unternehmenswerte. Wir werden
alles daran setzen, ihn weiter zu pflegen, indem wir unser Umfeld weiter-
hin sehr aufmerksam und eingehend beobachten.
1. Organisation von Innovationsmanagement 13

CASE: Valeo – Abstand halten gilt nicht für Innovationsnetzwerke

Das mehrfach prämierte Produkt „LaneVue“ des Kfz-Ausrüsters Valeo


liefert ein gutes Beispiel dafür, wie erfolgreiche Zusammenarbeit in einem
Innovationsnetzwerk verlaufen kann. Ausgangspunkt für diese Innovation
war die Tatsache, dass ein wesentlicher Teil der Unfälle im Straßenver-
kehr beim Spurwechsel passiert. In den USA sind es nach neuesten Statisti-
ken 40 Prozent. Der „Spurwechselassistent LaneVue“ besteht aus ver-
schiedenen Technologien, darunter Radar, optischen Kameras und einem
kleinen Videosensor, der mit Software-Algorithmen das Fahrzeugumfeld
überwacht. So werden Fahrer und Fahrzeuginsassen durch ein akustisches
Signal gewarnt, wenn das Fahrzeug die Spur verlässt, ohne vorher ein
Blinkersignal gegeben zu haben. Die Unachtsamkeit kann sofort ausgegli-
chen werden. Das System wird seit dem Frühjahr 2005 auf dem amerikani-
schen Markt für zwei Modelle von Nissans Premiummarke Infiniti angebo-
ten. Bei der Entwicklung des Systems hat Valeo eng mit dem Technologie-
partner Iteris zusammengearbeitet. Das Projekt wurde mit einem ehrgei-
zigen Zeitplan von nur 18 Monaten gestartet, zudem waren die Projekt-
teams auf drei Kontinente (Europa, USA und Japan) verteilt.
Das innovative Netzwerk von Valeo setzt sich aus folgenden Komponen-
ten zusammen: Technologiepartnerschaft, Marktorientierung, Lieferanten-
integration, Prozessentwicklung und Projektmanagement. Besonders die
Technologiepartnerschaft ist ein wichtiger Aspekt. Die Zusammenarbeit
mit Iteris besteht schon über mehrere Jahre, es existieren gemeinsam erar-
beitete Kunden-/Technologie-Roadmaps. In längeren Entwicklungsphasen
wechseln Mitarbeiter von Valeo sogar ganz zu Iteris, als so genannte
„Resident Engineering Manager“. Auf der Grundlage regelmäßiger vier-
teljährlicher Treffen des Managements, bei denen immer wieder kurzfristi-
ge Ziele vereinbart werden, wird das Projekt vorangetrieben. Gleichzeitig
verfolgt jeder Partner die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung
seiner eigenen Kernkompetenzen.

1.4 Zusammenfassung

Unternehmen, die ihre Innovationsnetzwerke systematisch entwickeln,


können entscheidende und vor allem nachhaltige Wettbewerbsvorteile er-
zielen. Weil die Bindung der Netzwerkpartner in der Regel längerfristig
angelegt ist und auf eine klare „Win-Win“-Beziehung hinausläuft, müssen
die Netzwerke systematisch aufgebaut und so weiterentwickelt werden,
14 Kai Engel

dass sich die jeweiligen Kernkompetenzen der einzelnen Partner ergänzen


und auf diese Weise überlegene Innovationen entstehen können.
Führende Unternehmen bauen ihre Netzwerke nicht allein auf bilaterale
Beziehungen mit dem „Netzwerkführer“ auf, sondern forcieren den Aus-
tausch auch unter den einzelnen Partnern. Ein hohes Maß an Integration
verschiedener Netzwerkpartner bis hin zur Delegation von „Resident Engi-
neers“ ist heute bei Innovationsführern üblich. Allerdings muss gleich-
zeitig sichergestellt werden, dass das im Netzwerk entwickelte Wissen ge-
schützt wird und nicht an Wettbewerber einzelner Netzwerkpartner fließt.
Regelungen zum Schutz von geistigem Eigentum müssen daher integrale
Bestandteile der Vereinbarungen in Innovationsnetzwerken werden.
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation
Ein Plädoyer für eine ganzheitliche und kritische Perspektive

Michael Nippa

Aufgrund der Bedeutung für den Wettbewerbserfolg ist die Organisation der Inno-
vation ein seit langem und vielfältig untersuchtes Forschungs- und Beratungsfeld.
Dabei besteht jedoch immer wieder die Gefahr, dass die Komplexität der zu orga-
nisierenden Einflussfaktoren sowie ihrer Interdependenzen zugunsten einleuchten-
der, aber verkürzter Empfehlungen massiv reduziert wird. Von besonderer Rele-
vanz ist speziell im Umfeld des Innovationsmanagements die Tatsache, dass keine
klare Trennung zwischen organisationsinternen Veränderungen und Neuprodukt-
entwicklungen getroffen wird. Organisatoren, die die resultierenden Empfeh-
lungen einfach auf das eigene Unternehmen übertragen, erleben häufig bittere
Enttäuschungen. Um diese zu vermeiden, ist es notwendig, dass die Komplexität
des Gestaltungsobjektes aktiv und situationsbezogen erfasst wird und auf dieser
ganzheitlichen Basis eine kritische Anpassung von anderweitig erfolgreichen Kon-
zepten erfolgt. Hier wird diese Notwendigkeit an ausgewählten Beispielen deutlich
gemacht.

2.1 Einführung

Unter anderem verursacht durch die fortschreitende Globalisierung, die


Öffnung neuer Absatz- und vor allem Einsatzfaktormärkte in Osteuropa
sowie die „Weiter-so-wie-bisher“-Mentalität vieler Entscheidungsträger in
Politik und Wirtschaft macht die deutsche Wirtschaft seit einigen Jahren
eine gravierende Strukturkrise durch. Nicht zuletzt aufgrund dessen wird
auf volkswirtschaftlicher und unternehmerischer Ebene der Ruf nach mehr
Innovation und Unternehmertum immer lauter.
So antwortete beispielsweise der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in
einem Interview mit der „Welt“ Ende März 2006 auf die Frage „Wie kön-
nen Gewerkschaften helfen, neue Stellen zu schaffen?“: „Zum Beispiel
durch Lohnabschlüsse, die die Binnenkonjunktur in Gang bringen. Oder
indem wir darauf dringen, dass Innovationen in Deutschland systematisch
betrieben werden. Da gibt es jede Menge Managementversagen in den Un-
ternehmen.“
16 Michael Nippa

Auch die Bundesregierung verspricht in ihrem aktuellen Regierungspro-


gramm (in vorhergehenden auch!), aufbauend auf alarmierenden (seit Jah-
ren bekannten!) Entwicklungen aktiv zu werden: „Die technologische
Leistungsfähigkeit Deutschlands schwindet. Fast alle Kennzahlen in die-
sem Bereich sind schlechter als Anfang der 90er Jahre. […] Noch Ende der
90er Jahre steigerte die deutsche Wirtschaft ihre Innovationsausgaben um
rund 10 Prozent, inzwischen gehen sie rapide zurück. […] Deshalb werden
wir Innovationen konsequent fördern. Deutschland soll ein Land der Ideen
werden, in dem Spitzenforscher und Nobelpreisträger Zukunftstechnolo-
gien erforschen, in dem wagemutige Unternehmensgründer Premiumpro-
dukte entwickeln und auf den Markt bringen.“ (Regierungsprogramm
2005-2009).
Pragmatischer sind die Stimmen aus der Wirtschaft, für die stellvertre-
tend Lothar Späth aus seiner Handelsblatt-Kolumne „So seh ich es“ zitiert
werden soll: „Die Krise Deutschlands kann ohne neue Lösungen nicht
nachhaltig beseitigt werden. Mehr noch als Konsolidierung ist jetzt Inno-
vation gefragt. Eine Weisheit, die nicht nur in der Wirtschaft Gültigkeit be-
sitzt, sondern erst recht in der Politik. Wer sich nach vorne bewegen will,
kann nicht gleichzeitig die Welt von gestern bewahren. Joseph Schumpeter
hat diese Erkenntnis in den anschaulichen Begriff der „schöpferischen Zer-
störung“ gemeißelt. Der Wandel der Zeit macht eine Anpassung der Struk-
turen unumgänglich. Wer sich hier verweigert, wird den Status quo nicht
bewahren können, sondern sorgt stattdessen für wachsende Spannungen.
Nur eine wandlungsfähige Gesellschaft kann den Wohlstand bewahren.“
(Späth 2006). Eine Möglichkeit, so Späth, liege dabei in der Bildung so ge-
nannter „Cluster“, also in einer dichten „Anhäufung von Firmen aus inno-
vativen Branchen … die durch Hochschulen und Forschungsinstitute er-
gänzt wird.“ (Späth 2005)
Mit Blick auf diese Ausschnitte aus der aktuellen Diskussion könnte
man zu dem Schluss gelangen, dass zwar das grundlegende Problem allge-
mein bekannt zu sein scheint und man sich auch grundsätzlich einig ist,
dass Innovationen die Zukunft sichern, aber häufig immer noch die Suche
nach den Schuldigen im Vordergrund steht. Viel wichtiger wäre die Beant-
wortung der Frage, ob und wie man gegebenenfalls Innovationen „erzwin-
gen“ kann.
Erfolgreiche Innovationen, d.h., Erfindungen – ob bahnbrechende Neue-
rungen oder Neukombinationen von bereits vorhandenen Elementen –, de-
ren Kommerzialisierung auch zu den gewünschten Rückflüssen des inves-
tierten Kapitals führt, haben die unbequeme Eigenschaft, sich nicht auf Zu-
ruf einzustellen. Speziell das von vielen Ökonomen gepriesene Allheilmit-
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 17

tel, die Allokation zusätzlicher Ressourcen – allen voran Finanzmittel –


führt nicht automatisch zu einer Erhöhung der Innovationsrate. Bei glei-
chen Ausgangsbedingungen erweisen sich einige Unternehmen als innova-
tiv und erfolgreich, während andere Unternehmen nur mittelmäßige oder
unterdurchschnittliche Ergebnisse vorweisen können. Man ist geneigt,
einer ersten Erklärung für diese Unterschiede zuzustimmen: Die Unterneh-
men, die vom Glück, Zufall oder speziellen Rahmenbedingungen begüns-
tigt wurden und einmal erfolgreich innoviert haben, können die dadurch
erzielten Gewinne und positiven Cashflows benutzen, um ihren Wettbe-
werbsvorteil weiter auszubauen. Empirische Untersuchungen lassen aber
erkennen, dass ein hohes Forschungs- und Entwicklungsbudget oder eine
bestimmte Leistungstiefe keine Garanten für erfolgreiche Innovationen
sind. Daraus lässt sich zwingend ableiten, dass für den Innovationserfolg
neben dem „Was“ vor allem auch Fragen nach dem „Wann“, „Wie“ und
„Wo“ zu stellen und in geeigneter Weise zu beantworten sind. Diese Fra-
gen stehen im engen Zusammenhang mit der Organisation im weiteren
Sinn.
Ich ziele hier weder darauf ab, eine überlegene Methode für das Innova-
tionsmanagement bzw. die optimale Organisation der Innovation zu lie-
fern, noch darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse systematisch aufzuberei-
ten oder eine weitere Erfolgsfaktoren-Studie vorzustellen bzw. durch Hin-
weise auf praktische Erfahrungen und Fallstudien Musterlösungen zu bie-
ten. Diesen Zweck erfüllen die anderen Beiträge in diesem Band sicherlich
besser. Ziel ist es vielmehr, den Lesern einen Eindruck davon zu geben,
wie komplex, dynamisch und interdependent sich die Organisation der In-
novation darstellt. Der Leser sollte sich dazu anregen lassen, einem viel-
schichtigen Gestaltungsfeld mit komplexen, differenzierten und vor allem
eigenen Methoden und Lösungen zu begegnen, anstatt auf die von außen
vorgegebene Standardlösung zu setzen.
Im Folgenden wird nicht jede Art von Innovation betrachtet, sondern
das Augenmerk auf die Produktinnovation und das damit zusammenhän-
gende F&E-Management gelenkt werden. Im Vordergrund stehen also In-
novationen für den Markt und damit die Frage, mit welchen Strukturen
und Prozessen das Management eines Unternehmens den Innovationser-
folg unterstützen kann. Nur am Rande werden Prozessinnovationen ange-
sprochen, d.h., innerorganisatorische Veränderungen der Wertschöpfungs-
prozesse, die eine effizientere und schnellere Leistungserstellung bestehen-
der Produkte bzw. Services zum Ziel haben (z.B. Dell Computer; Toyota
Production System). Das gleiche gilt für soziale Innovation. Folglich wer-
den auch Themen des so genannten Change Management und in diesem
Zusammenhang häufig thematisierte organisatorische und individuelle Wi-
18 Michael Nippa

derstände nur beiläufig erwähnt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass


alle Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens ein gemeinsames Interesse
an der erfolgreichen Produktinnovation haben sollten. Selbstverständlich
sind die zuletzt genannten Kategorien wichtig und müssen berücksichtigt
werden, da sie unter anderem bei der Veränderung des Unternehmens hin
zu einer innovationsförderlichen Organisation häufig von Relevanz sind.
Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es innerhalb eines Unterneh-
mens Interessengruppen gibt, die neue Produktinnovationen deshalb torpe-
dieren, weil sie beispielsweise ihr eigenes Projekt gefährdet sehen. Aller-
dings gibt es dazu eine reichhaltige Spezialliteratur, auf die an dieser Stelle
verwiesen werden kann.

2.2 Notwendigkeit einer ganzheitlichen Systematisierung


und Berücksichtigung von Interdependenzen

Eine innovationsförderliche Organisation muss vier grundsätzliche Gestal-


tungsebenen unterscheiden und analysieren, die in vielen Fällen nicht aus-
reichend differenziert und oft vermengt werden:
- Das unternehmensexterne Innovationsumfeld (z.B. rechtliche Rah-
menbedingungen, Kapital- und Humanressourcen, Verfügbarkeit
komplementärer Dienstleistungen und Produkte, gesellschaftliche
Wertevorstellungen)
- Die gesamtunternehmerische Ebene (z.B. generische Innovationsstra-
tegien, strategische Planung, Corporate-Governance-Einflüsse, Be-
reitschaft zu unternehmensübergreifenden Allianzen und Kooperatio-
nen, Organisationsstrukturen, Leistungsbreite und -tiefe, Innovations-
kultur)
- Die Team- und Projektebene (z.B. Planung von F&E-Projekten, Pro-
jektmanagement, Innovationschampions innerhalb des Unterneh-
mens, funktionsübergreifende Teamzusammensetzung, Einbeziehung
von Lieferanten und Kunden, Führungsstile, Informations- und Kom-
munikationstechnologien, Raumkonzepte, Änderungsmanagement)
- Die individuelle Ebene (z.B. individuelle Kreativitätsförderung, per-
sönliche Anreizsysteme, Vorgesetzter-Mitarbeiter-Beziehungen, Kar-
rieresysteme, Handlungsfreiraum, Fehlerkultur, Weitergabe taziten
Wissens, Vertrauen und Kontrolle)
Es ist keine fruchtlose akademische Übung, wenn auch in der Praxis
versucht wird, die wesentlichen Einfluss- und Gestaltungsfaktoren des In-
novationsmanagements anhand dieser Ebenen zu systematisieren. Es wird
dadurch vielmehr leichter, die einzelnen Elemente zu identifizieren und
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 19

wenn nötig zu bewerten, inwieweit zunächst isolierter Handlungsbedarf


besteht. Das ist der Fall, wenn beispielsweise zu sehr auf monetäre Anreize
zur Stimulierung von Kreativität gesetzt wurde, das Projektcontrolling sich
als zu restriktiv erwiesen hat oder die Anteilseigner eher eine kurz- oder
langfristige Orientierung haben.
Sehr schnell wird aber deutlich werden, dass es Wechselbeziehungen
zwischen den einzelne Ebenen gibt. Das heißt, dass zwischen vielen, wenn
auch nicht allen Elementen Interdependenzen und nur selten einfache Ur-
sache-Wirkungs-Zusammenhänge bestehen. Wenn beispielsweise zum
derzeit so beliebten Allheilmittel der Einführung leistungsbezogener Ver-
gütungssysteme gegriffen wird, dann muss beachtet werden, dass dies auf
der individuellen Ebene zu einer Verdrängung der intrinsischen Motivation
führen kann und die Mitarbeiter nur noch das – kreativ – machen, wofür
sie auch bezahlt werden. Auf der Teamebene kann es dadurch zu Konflik-
ten beim freiwilligen Austausch von Wissen und Informationen sowie der
Ergebniszurechnung kommen, und auf der Unternehmensebene können
Organisationsstrukturen oder auch die allgemeine Innovationskultur beein-
flusst werden. Nichtsdestotrotz bildet meines Erachtens eine möglichst
vollständige Auflistung, die auch auf die Spezifika des jeweiligen Unter-
nehmens oder der Forschungsinstitution eingehen kann, die Ausgangsbasis
für eine wirklich durchgreifende und in sich konsistente Verbesserung des
Innovationsmanagements.
Parallel zu dieser Ebenenbetrachtung ist es sinnvoll, auch inhaltliche
Cluster zu bilden, um die organisatorischen Bemühungen noch stärker fo-
kussieren zu können. Selbstverständlich gibt es auch dafür kein vorgege-
benes einheitliches Schema, sondern unterschiedliche Konzepte und Vor-
schläge. In der folgenden Abbildung ist ein Vorschlag für einen Strukturie-
rungsrahmen beispielhaft dargestellt.
20 Michael Nippa

Umweltfaktoren
(Regulierungen, Gesetze, gesellschaftliche Einstellungen,
Wettbewerber, Lieferanten, Kunden)
Corporate Governance
Kooperationen Unternehmensstrategie

Führung Ressourcen
Controlling Kapital
Struktur- / Aufbauorganisation
Anreize Mitarbeiter
Prozess- / Ablauforganisation
Kommunikation Wissen
Projektorganisation und – management
Systeme (z.B. Methoden, I&K-Technik)

Formale Organisation

Informelle Organisation
Organisations- und Innovationskultur
Quelle: Michael Nippa

Abb. 2.1. Inhaltliche Gestaltungsfaktoren des Innovationsmanagements

Auch hier wird deutlich, dass die einzelnen Faktoren nicht einfach in
eine Liste untereinander geschrieben werden sollten, da dadurch wichtige
Informationen über inhaltliche Bezüge verschüttet werden.
So stehen etwa die formale und die informelle Organisation eines Unter-
nehmens nicht isoliert nebeneinander, sondern weisen wichtige Interde-
pendenzen auf. Man betrachte nur einmal das vielfach völlig falsch ver-
standene Thema der Unternehmenshierarchien. Es ist auf allen Unterneh-
mensebenen äußerst „trendy“, die Abschaffung bzw. Reduzierung von
Hierarchien zu fordern, da diese ja angeblich die Innovationsfähigkeit
eines Unternehmens behindern, was allerdings weder Praktiker noch Wis-
senschaftler bislang empirisch eindeutig bewiesen haben. Als Alternativen
werden regelmäßig – meist ebenso wenig durchdacht – entweder der
Markt oder das Chaos empfohlen. Tatsächlich werden hier im Regelfall
zwei Dinge durcheinander gebracht. Zum einen wird Hierarchie, also die
strukturierte Über- und Unterordnung von – ganz allgemein gesprochen –
Systemen und Subsystemen (z.B. Einzelteilen, Baugruppen, Endgeräten
oder Tätigkeiten, Teilaufgaben, Aufgaben), mit autoritärer Führung, d.h.,
Befehl und Gehorsam, verwechselt. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass
beides zusammenfällt, aber dies ist nicht zwangsläufig so. Zum anderen
herrscht der Glaube vor, dass man Hierarchien und Statusdenken einfach
„wegorganisieren“ könne. Tatsächlich bilden sich dann aber in Organisati-
onen informelle Hierarchien und Statusverhaltensweisen heraus. Das Er-
gebnis der „Abschaffung“ von Hierarchien und einer primär antiautoritä-
ren Führung sind häufig hybride Organisationsformen im negativen Sinn:
ein bisschen Chaos und ein bisschen Ordnung, ein bisschen „eigentlich bin
ich der Boss“ und ein bisschen „das regeln bei uns der Markt bzw. die in-
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 21

dividuellen Leistungsanreize“, ohne dass sich die Mitarbeiter und Füh-


rungskräfte auf die positiven Wirkungen des einen oder anderen verlassen
können. Selbstverständlich wird von diesen Regelungen oder besser feh-
lenden Regelungen im Unternehmen auch die Organisations- bzw. Innova-
tionskultur infiziert.
Ähnliche Interdependenzen lassen sich auch auf der unternehmerischen
Ebene identifizieren. So zeigen auch eigene konzeptionelle Forschungen,
dass die Innovationsstrategie, die Innovationskultur und daraus resultie-
rend auch der Innovationserfolg eines Unternehmens in hohem Maße von
den dominierenden Corporate-Governance-Systemen bestimmt werden.1
Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass die Konsequenzen noch nicht eindeutig
sind. Der durch restriktive Corporate-Governance-Systeme, durch zuneh-
mendes Aktionärsmisstrauen und durch verstärkte Transparenzforderungen
ausgelöste Druck auf das Management hat – so lautet ein Argument – eine
positive Wirkung auf das Innovationsverhalten. Die Marktbewertungen
von Unternehmen schließen nämlich in hohem Maße zukünftige Rentabili-
tätserwartungen mit ein, und damit hat das Management den Anreiz, den
Anteilseignern nachzuweisen, dass in erfolgreiche Innovationsprojekte in-
vestiert wurde. Die gegenteilige Hypothese geht davon aus, dass erstens
die „Veröffentlichungspflicht“ und zunehmend auch „Bewertungspflicht“
von F&E-Vorhaben die Unternehmen ihres zukünftigen Wettbewerbsvor-
teils berauben, da auch Konkurrenten einen entsprechend detaillierten Ein-
blick erhalten. Zudem wird die Risikoaversion des Managements geschürt,
da dieses nur noch tut, was abgesichert ist, um spätere Aktionärsklagen zu
verhindern. Zweitens sind F&E-Vorhaben Investitionsvorhaben, die in der
Hoffnung auf zukünftige Gewinne zunächst Kapital binden und Kosten
verursachen und damit die aktuellen Unternehmenskennziffern negativ be-
einflussen, die von vielen Finanzmarktakteuren für ihre Kapitalallokations-
entscheidung verwendet werden (z.B. die Gesamtkapitalrendite, den Ver-
schuldungsgrad oder den EVA). Auch wenn der Beweis für die eine oder
andere Hypothese noch aussteht, so ist offensichtlich, dass (a) das Mana-
gement unter rigiden Corporate-Governance-Systemen und speziell bei
vergangenheitsorientierten Leistungsbeurteilungssystemen risikoreiche In-
vestitionen in Innovationen unterlassen wird, dass (b) man sich eher an
einer sicherheitsbetonten Folger- als an einer Innovationsführerstrategie
orientiert und dass (c) von den Finanzmärkten favorisierten Management-
konzepten wie dem Outsourcing von Fertigungsaktivitäten oder dem Per-
sonalabbau allein aus Selbsterhaltungstrieb gefolgt wird.

1 Siehe z.B. Nippa und Grigoleit (2006) oder auch O’Sullivan (2000).
22 Michael Nippa

An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Innovationsstrategie


eines Unternehmens sowie die damit in Verbindung stehende Umsetzungs-
strategie, die ja wesentlich die Organisation der Innovation bestimmt, nicht
autonom festgelegt werden können. Sie haben wichtige Rahmenbedingun-
gen wie staatliche Regulierungen, das gesellschaftliche Ausbildungsniveau
und die Einstellung zu Innovationen sowie eben das herrschende Corpora-
te-Governance-System zu berücksichtigen.
Sobald diese Systematisierung möglicher Einflussfaktoren auf eine effi-
ziente Organisation der Innovation erfolgt ist, liegt die Idee nahe, zur Iden-
tifikation von wesentlichen Erfolgshebeln und Treibergrößen die Wissen-
schaft (Stichwort: Erfolgsfaktorenforschung) und/oder die Praxis (Stich-
wort: Benchmarking) zu Rate zu ziehen.

2.3 Grenzen der Erfolgsfaktorenforschung und des


Benchmarking

Die wissenschaftliche und semiwissenschaftliche (diese im Wesentlichen


durch Beratungsunternehmen) Erfolgsfaktorenforschung im Zusammen-
hang mit dem Management von Innovationen bzw. dem F&E-Management
ist schier unüberschaubar und zeigt keinerlei Indizien einer Konsolidierung
oder Herausbildung gesicherter Erkenntnisse. Im Regelfall werden mehr
oder weniger systematisch und – im Wissenschaftsbereich – theoriebasiert
einzelne Faktoren auf ihren Beitrag zum Innovationserfolg getestet. In der
einfachsten Form interviewen die Autoren solcher Studien als besonders
innovativ geltende Unternehmen und versuchen aus den Ergebnissen ver-
allgemeinerbare Erkenntnisse herauszufiltern. Verwandte Untersuchungen
nehmen sich einer oder mehrerer Branchen an, stellen ausgewählte Unter-
nehmen in eine Gruppe der Erfolgreichen bzw. „High-Performer“ und in
eine Gruppe der Verlierer oder „Low-Performer“ zusammen, um anschlie-
ßend auffällige Unterschiede bei verschiedenen Variablen zu identifizie-
ren. Schließlich wird auch die volks- und betriebswirtschaftliche Innovati-
onsforschung von quantitativen Studien dominiert, die ein überschaubares
Set an meist sehr speziellen Variablen anhand großzahliger Befragungen
oder umfangreicher amtlicher und privater statistischer Daten auf signifi-
kannte Korrelationen mit Erfolgsmaßgrößen hin testen.
Die Ergebnisse dieser Studien werden in wissenschaftlichen Fachzeit-
schriften veröffentlicht, deren Leserschaft wohl annähernd vollständig dem
akademischen Umfeld entstammt. Die praktisch orientierten – daher auch
von den Akademikern eher mit Naserümpfen bedachten – Zeitschriften
wie Harvard Business Review (in Deutschland: Harvard Businessmanager)
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 23

oder Sloan Management Review wenden sich speziell an die Klientel der
Manager, Managementberater und MBA-Studenten und bieten daher eher
Überblicksbeiträge denn konkrete und vor allem übertragbare Analysen
der Erfolgsfaktoren.
Selbst wenn Praktiker den Versuch unternehmen wollten, die wissen-
schaftlichen Erkenntnisse zur Organisation der Innovation systematisch zu
erfassen und sich aufmachten, diese herauszufiltern, würden sie alsbald re-
signieren und ihr negatives Bild von der „nutzlosen“ Managementwissen-
schaft wieder einmal bestätigt sehen. Selbst für Wissenschaftler ist es
schwer, den Überblick zu wahren und vor allem konsistente Grundsätze zu
erkennen. So werden speziell zum Thema der Erfolgsfaktoren von betrieb-
lichen Innovationen bereits seit mehr als zehn Jahren so genannte Meta-
Studien bzw. zusammenfassende Reviews veröffentlicht, die den Versuch
unternehmen, die jeweils bestehenden Erkenntnisse aus Einzelstudien zu-
sammenzufassen.2 Das Ergebnis ist in der Tat ernüchternd: Erstens bauen
diese Studien nicht aufeinander auf und lassen sich so nicht vergleichen,
zweitens ist die getroffene Auswahl der zugrunde liegenden Primärstudien
nicht immer eindeutig nachvollziehbar und logisch, und drittens ist zu er-
kennen, dass viele Faktoren nur einmal empirisch – anhand einer einzigen
Stichprobe – analysiert wurden oder sich bei mehrfacher Untersuchung die
Ergebnisse häufig als widersprüchlich erwiesen. Man kann die Kritik em-
pirischer Erfolgsfaktorenstudien aber noch grundsätzlicher führen und da-
bei unter anderem auf die verwendeten unterschiedlichen Erfolgsgrößen,
die mangelhafte Operationalisierung der unabhängigen Variablen, die un-
zureichenden statistischen Verfahren oder die Halbwertzeit von Erfolgs-
faktoren, die allgemein bekannt gemacht werden, verweisen.3
Alles in allem sind somit die Ergebnisse der empirischen Erfolgsfakto-
renstudien im Regelfall für die Praxis als unbrauchbar zu bezeichnen. Als
Ausweg bietet sich hier am ehesten die enge Zusammenarbeit mit einem
spezialisierten Lehrstuhl bzw. Forschungsinstitut an. Diese können die für
eine bestimmte Fragestellung – zum Beispiel Voraussetzungen für die Ef-
fizienz von Produktchampions oder Erkenntnisse zum Projektmanagement
– relevanten Erfolgsfaktoren aufbereiten und auch hinsichtlich notwendi-
ger Anpassungen an die Situation des Praxispartners bewerten.
Eine weitere Möglichkeit des Erkenntnistransfers von der Wissenschaft
und in diesem Fall besonders auch von spezialisierten Beratungsunterneh-

2 Siehe z.B. Brown und Eisenhardt (1995) oder als zusammenfassenden Überblick über andere Meta-Studien
Hauschildt (2004, S. 32 ff.).
3 Zu kritischen Auseinandersetzungen über die Erfolgsfaktorenforschung siehe March und Sutton (1997), Nicolai
und Kieser (2002) sowie Nippa und Klossek (2004a, 2004b).
24 Michael Nippa

men wie ADL, A.T. Kearney oder BCG in die Rat suchende Praxis besteht
in der systematischen Analyse von Benchmarking- oder Best-Practice-Stu-
dien. Diese Studien bieten gegenüber den eher quantitativen Erfolgsfakto-
renanalysen den Vorteil, dass auch in hohem Maße komplexe, qualitative
Aspekte des Innovationsprozesses und der organisatorischen Rahmenbe-
dingungen mit einfließen können. Diese bilden, nicht nur meiner Erfah-
rung nach, oftmals den wesentlichen Schlüssel zum Innovationserfolg und
sollten daher die quantitativen Faktoren zumindest ergänzen. Aus der stra-
tegischen Analyse ist bekannt, dass die internen Potenziale eines Unter-
nehmens ein wesentlicher Bestandteil der Strategieformulierung, der Stra-
tegieimplementierung und des daraus resultierenden Wettbewerbserfolgs
sind. Dabei sind es jedoch selten die initiale Ressourcenausstattung, das
explizite Wissen oder einzelne Fähigkeiten, die den Ausschlag für Erfolg
oder Misserfolg geben, sondern durchaus komplexe, interdependente Bün-
del von organisatorischen Routinen und Fähigkeiten. Benchmark- und
Best-Practice-Studien sind besser als Erfolgsfaktorenanalysen in der Lage,
diese Komplexität abzubilden und damit entscheidende Impulse für die
Aufdeckung eigener Schwachstellen bzw. die Verbesserung der eigenen
Organisationsstruktur, von Prozessen und Systemen zu liefern (Grant und
Nippa 2006). Prominente Beispiele für Benchmark-Studien sind in den
Veröffentlichungen von Peters und Waterman (1993) „Auf der Suche nach
Spitzenleistungen“ und der „Lean Production“-Studie des M.I.T. über die
Automobilindustrie (Womack, Jones und Roos 1991) zusammengefasst
worden.
Gleichzeitig liegt hier allerdings auch die potenzielle Schwäche dieser
Studien. Es ist zum einen häufig nur schwer oder gar nicht nachvollzieh-
bar, anhand welcher Kriterien der Unternehmens- und/oder der Innovati-
onserfolg genau gemessen wird, oder ob es sich um eine subjektive Ein-
schätzung der Unternehmensleitungen selbst bzw. der Autoren der Studien
handelt. Des Weiteren repräsentiert die Darstellung der einzelnen Aspekte,
von denen die Interviewten oder die Autoren zu wissen glauben, dass sie
den Erfolg des Projektes oder die anhaltend überlegene Innovationsleis-
tung erklären, eine notgedrungen subjektive Auswahl. Zudem vertritt sie –
aufgrund der angesprochenen Komplexität teilweise ebenfalls notgedrun-
gen – nur ein oder wenige Elemente eines komplexen Geflechts interde-
pendenter Faktoren. Ein Beispiel möge das illustrieren: Häufig wird darauf
hingewiesen, dass eine Führung, die bewusst Fehler zulasse und nicht, zum
Beispiel durch einen Karriereknick, bestrafe, in besonderem Maße die
Kreativität, die Risikoneigung sowie die Innovationsleistung der Mitarbei-
ter erhöhe. Das leuchtet durchaus ein, übersieht aber wichtige Nebenwir-
kungen und Abhängigkeiten: Eine solche Führung ist vermutlich in frühen
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 25

Phasen der Neuproduktentwicklung angebracht, benötigt aber trotzdem


klare Regeln (über Art und Häufigkeit von Fehlern, Fehlerursachen etc.),
muss mit der Null-Fehler-Kultur in nachfolgenden Wertschöpfungsstufen
abgestimmt werden, könnte in die Entwicklung eingebundene Lieferanten
und Kunden verunsichern und bedingt nicht zuletzt ein hohes Vertrauen
sowohl beim jeweiligen Vorgesetzten als auch bei Geführten. Vor dem
Hintergrund dieser hier nur kurz skizzierten Problempunkte kann es dann
auch nicht verwundern, dass zum Beispiel mehr als die Hälfte der Unter-
nehmen, die von Peters und Waterman als exzellent eingestuft wurden, be-
reits ein Jahrzehnt später in einer Unternehmenskrise steckten, aufgekauft
wurden oder aus anderen Gründen von der Bildfläche verschwunden wa-
ren.
So können auch Benchmark- und Best-Practice-Studien in den meisten
Fällen nur Denkanstöße für potenzielle Probleme und Lösungsansätze lie-
fern. Sie ersetzen aber nicht das eigene Nachdenken und vielleicht sogar
das bewusste und erfolgreiche Abweichen von der Best Practice. Ein akti-
ves Benchmarking, verstanden als Austausch mit anderen Unternehmen,
ob mit Lieferanten, F&E-Partnern, Kunden oder aus unterschiedlichen
Gründen interessanten Unternehmen, kann dagegen auch für die Organisa-
tion der Innovation sehr wertvoll sein. Man erhält über die – oben ange-
sprochene – gefilterte Darstellung bzw. Interpretation von Sachverhalten
hinaus tiefer gehende Einblicke und ist in der Lage, aktiv für das eigene
Unternehmen relevante Aspekte im Dialog zu detaillieren. Außerdem wird
auch den eigenen Mitarbeitern wesentlich anschaulicher als in einem Buch
oder einer Präsentation deutlich, dass und vor allem warum bestimmte or-
ganisatorische und führungsbezogene Veränderungen funktionieren – es
erschließt sich ihnen auch der eher tazite Hintergrund eines Organisations-
konzeptes. Dadurch wird wiederum die Bereitschaft zur Veränderung im
eigenen Unternehmen und die Akzeptanz neuer organisatorischer Lösun-
gen erhöht (siehe Nippa und Scharfenberg 1997).
Auch wenn die bisherigen Ausführungen auf den ersten Blick ernüch-
ternd und negativ wirken, so sind sie doch im Grunde ein positiver Appell,
sich nicht darauf zu verlassen, was einem andere „weismachen“ möchten,
sondern die eigene Erfahrung und den eigenen Intellekt zu nutzen, um zu
einer individuellen Lösung zu gelangen. Im Folgenden soll der Mut zu
nonkonformistischen Ansätzen bzw. zum kritischen Hinterfragen von Er-
folgsformeln anhand einiger weniger Beispiele noch gestärkt werden.
26 Michael Nippa

2.4 Ausgewählte nonkonformistische Vorschläge zur


Organisation der Innovation

Sowohl für die Formulierung einer Erfolg versprechenden Innovationsstra-


tegie als auch für die Herausbildung einer innovationsförderlichen Unter-
nehmens- oder Abteilungskultur und die Organisation der Innovation sind
eine klare Zielsetzung und Selbstverpflichtung der Unternehmensleitung
zur Innovation absolut notwendig. Diese Aussage ist sowenig nonkonfor-
mistisch wie die Wette darauf, dass der 1. FC Bayern München auch im
nächsten Jahr unter den ersten Fünf der Bundesliga landen wird. Die obige
Aussage wird jedoch etwas provokanter, wenn man hinzusetzt, dass in vie-
len Unternehmen zwar das Thema „Innovation“ als wichtiges Ziel artiku-
liert wird und wahrscheinlich in kaum einer explizit ausformulierten Un-
ternehmensmission fehlt, aber häufig ein reines Lippenbekenntnis bleibt.
Der eine oder andere Manager mag es vielleicht nicht glauben, aber seine
Mitarbeiter registrieren sehr wohl, wenn bei der nächsten Sparrunde die
Entwicklungsabteilung genauso der Rasenmähermethode anheim fällt wie
der Rest des Unternehmens, oder wenn Entwicklungsprojekte immer wie-
der mit Verweis auf knappe Budgets verschoben werden. Darüber hinaus
steht der Gedanke bei Wissenschaftlern und Beratern immer noch hoch im
Kurs, dass das Top-Management sich nicht um operative Belange küm-
mern – denn dafür hätte es ja gut bezahlte Mitarbeiter –, sondern sich auf
die Unternehmensstrategie fokussieren solle. Vielleicht liegt der wirkliche
Grund für die Innovativität der kleinen und mittelständischen Unterneh-
men gerade darin, dass die Geschäftsleitung noch wirklich das Geschäft
versteht und in der Lage ist, dem Entwickler wertvolle Hinweise bei seiner
Aufgabe zu geben bzw. überhaupt eine gemeinsame Sprache zu sprechen.
Wie wichtig ein Management ist, das nicht nur an Business Schools das
Führen gelernt hat, sondern im Detail über die Produkte, Prozesse und
Kundenbedürfnisse Bescheid weiß, zeigen aber beileibe nicht nur Unter-
nehmensgründungen, Garagenfirmen oder die vielen mittelständischen Un-
ternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern, sondern auch Großunterneh-
men mit mehr als 1.000 Angestellten. Ich möchte darauf verzichten, hier
die üblichen Firmen und Führungspersönlichkeiten als Beispiel zu nennen,
da dies auch immer eine Diskriminierung von weniger im Rampenlicht
stehenden, aber deswegen nicht minder erfolgreichen Unternehmen und
Geschäftsführungen bedeutet. Auch fällt bestimmt jedem auf Anhieb so-
wieso eine Handvoll solcher Firmen und Führungspersönlichkeiten ein. Da
der Idealfall eines Managers oder einer Managerin, die sowohl ihr Ge-
schäft von der Pike auf kennen und gleichzeitig auch die Managementauf-
gaben exzellent erfüllen, eher selten ist, spricht vieles dafür, das alte Prin-
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 27

zip der Doppelführung, welches modernen „Der- Manager-kann-alles“-


Vorstellungen geopfert wurde, wieder einzuführen. Dies bedeutet mit an-
deren Worten: Das Unternehmen oder die Geschäftseinheit wird gemein-
sam – mit klaren Spielregeln – von einem Techniker und einem Kaufmann
geführt.
Die Befreiung vom Diktat der Finanzmärkte und vom Feindbild „Mana-
ger gegen Eigentümer“, das vor allem die Agency-Theorie gebetsmühlen-
artig predigt, dürfte meiner Meinung nach der Innovationskraft eines Un-
ternehmens außerordentlich zuträglich sein. Selbstverständlich haben die
Eigentümer eines Unternehmens das Recht, über die Verwendung ihres
Kapitals zu bestimmen und es auch dem Unternehmen zu entziehen und
anderweitig zu investieren, wenn sie es wünschen. Je anonymer dies je-
doch geschieht und je mehr die Erzielung einer unterjährig überdurch-
schnittlichen Rentabilität im Vordergrund steht, umso weniger kann davon
ausgegangen werden, dass die für Innovationen notwendige Geduld und
die ebenfalls notwendige Risikobereitschaft dem Unternehmen und dem
Management entgegengebracht werden. Die in jedem aktuellen Band zum
Thema Organisation wiederholte Unterstellung, dass angestellte Manager
ohne nennenswerte Kapitalbeteiligung die Eigentümer, gerne „Sharehol-
der“ genannt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit über den Tisch ziehen,
führt zu rigiden Corporate-Governance-Systemen, die, derzeit glücklicher-
weise nur bei börsennotierten Unternehmen, das Management zwingen,
bei jeder Gelegenheit detailliert öffentlich kundzutun, was warum, wann
und wie getan wurde. Bezogen auf die Innovationsleistung eines Unterneh-
mens sind damit vor allem drei Konsequenzen verbunden. Erstens erfährt
die Konkurrenz viel zu viel und kann darauf reagieren, wodurch dem inno-
vierenden Unternehmen ökonomischer Nutzen entgeht. Die Unterstellung,
das Management investiere tendenziell in falsche Projekte (Shleifer und
Vishny 1997), bedingt in einer Agency-theoretischen Argumentation näm-
lich konsequenterweise auch die Offenlegung strategischer Innovations-
projekte gegenüber dem Kapitalmarkt. Damit stehen diese Informationen
prinzipiell auch Konkurrenzunternehmen zur Verfügung, und potenzielle
Wettbewerbsvorteile können damit unwiderruflich verloren gehen (Do-
naldson 2002). Zweitens orientiert sich das zunehmend unter Rechtferti-
gungsdruck bzw. Betrugsverdacht stehende Management an den Erwar-
tungen „des Marktes“, d.h., den Interessen der mächtigen Finanzakteure,
und unterlässt jede nonkonformistische und risikoreiche Entscheidung, die
meiner Meinung nach eine wesentliche Grundlage für Innovationen bildet.
Der Rechtfertigungszwang, der speziell als Konsequenz Agency-theore-
tisch begründeter Corporate-Governance-Systeme auftritt (Nippa und Pet-
zold 2005), könnte tendenziell auch negative Auswirkungen auf die Inno-
28 Michael Nippa

vationstätigkeit von Unternehmen haben. Gerade besonders kreative und


neuartige Ideen lassen sich in vielen Fällen nur schwer vermitteln bzw.
rechtfertigen und werden deshalb – speziell bei bestehender Sanktionsdro-
hung – unterlassen. Drittens kann aber genau die Erwartung entsprechen-
der Verlautbarungen des Managements und deren Honorierung in Form
von Kursaufschlägen dazu führen, dass „innovative Luftschlösser“ gebaut
werden, die zwar den Erwartungen der Finanzmarktakteure entsprechen,
aber jeglicher Realität zuwiderlaufen. Die „Stories“ der New-Economy-
Lieblinge wie Enron, Worldcom u.v.a. entpuppten sich denn auch im
Nachhinein als ausgesprochen doppeldeutig.
Zu den regelmäßig zu lesenden Empfehlungen für eine Optimierung der
Organisationsstruktur von innovativen Unternehmen gehört die Auslage-
rung bzw. das Outsourcing von nicht zu den Kernaktivitäten des Unterneh-
mens zu zählenden Wertschöpfungsfunktionen bzw. von Aktivitäten, die
keine unternehmensspezifischen Merkmale aufweisen. In vielen Fällen
schließen die Aktivitäten, die auch Menschen in Bulgarien, China oder
Bangladesch bzw. ein spezialisierter Anbieter (Automobilzulieferer) für
eine Gruppe von Abnehmern (Automobilhersteller) ausführen können, fer-
tigungsnahe Wertschöpfungen ein. Positiver Nebeneffekt des Outsourcing:
Das Unternehmen hat einen geringeren Kapitalbedarf, sodass selbst bei
einem gegebenenfalls geringfügig sinkenden Gewinn die Gesamtkapital-
rendite und der Economic Value Added wahrscheinlich steigen werden.
Also wurde und wird fleißig ausgelagert. So gut wie unberücksichtigt
bleiben die mittel- bis langfristigen Wirkungen auf die F&E-Abteilungen,
d.h., die expliziten und impliziten Informationsströme und wissensgenerie-
renden Interdependenzen zwischen Fertigung und Entwicklung. Natürlich
wird diesem Argument entgegnet, dass dann eben zwischen den Entwick-
lern in einem Unternehmen und den Fertigungsmanagern des anderen Un-
ternehmens Wissen ausgetauscht werden müsse und dass dies möglicher-
weise sogar reibungsloser und effizienter vonstatten ginge, weil über
Marktverträge explizit zu vereinbaren. Meines Erachtens entstehen hier für
das auslagernde Unternehmen sehr riskante Abhängigkeiten und eine
schleichende Abwanderung des für Innovationen notwendigen Wissens.
Darüber hinaus ist es auch nur noch begrenzt – oder wiederum auf der Ba-
sis von Verträgen – möglich, Mitarbeiter in verschiedenen Funktionen der
Wertschöpfungskette einzusetzen, damit diese eine ganzheitliche Er-
fahrung bzw. Ausbildung hinsichtlich des Produktes erhalten. Folglich
sind Auslagerungen von Funktionen nicht nur unter dem Kalkül der Koor-
dinations- bzw. Transaktionskosten zu entscheiden, sondern erfordern eine
umfassendere Beurteilung, die auch qualitative, schwer bewertbare Leis-
tungsmerkmale beinhaltet.
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 29

Ein heutzutage sehr häufig genannter Begriff im Zusammenhang mit er-


folgreichen oder auch weniger erfolgreichen Unternehmen auf dem Gebiet
der Innovation ist die Innovationskultur bzw. allgemeine Organisationskul-
tur. Wenn die Unterschiede in der Ressourcenausstattung, der Organisa-
tionsstruktur bzw. den F&E-Prozessen so gering sind, dass sie kaum zur
Erklärung herangezogen werden können, warum ein Unternehmen innova-
tiver als das andere ist, dann wird häufig die unterschiedliche Innovations-
bzw. Organisationskultur bemüht. Allerdings bleibt das Konzept meist
seltsam vage und kaum greifbar und hat sich offenbar auch schon zum
Modewort verselbstständigt, wie beispielsweise die Aneignung durch die
Politik verdeutlicht. So forderte bereits 2004 der SPD-Generalsekretär Olaf
Scholz im Anschluss an eine Klausurtagung des SPD-Präsidiums: „Wir
brauchen eine neue Innovationskultur in Deutschland.“ Damit war im We-
sentlichen gemeint, dass in Deutschland mehr Menschen studieren und
mehr Möglichkeiten zur Kinderbetreuung geschaffen werden sollen (Wie-
mar 2004).
Worin besteht die besondere Innovationskultur von 3M, von Siemens
AG Medical Solutions oder Procter&Gamble? Die Antworten sind so ver-
schieden wie die Erfahrungshorizonte der Wissenschaftler, Praktiker und
Berater, die man dazu befragt. Häufig werden unter diesem Begriff eine
offene Kommunikation, die Teilung proprietären Wissens mit Kollegen,
besondere Anreizsysteme, heterogene Teamzusammensetzungen, die
schon angesprochene Möglichkeit, ungestraft Fehler zu machen, Verant-
wortungsdelegation, Ermutigung zu Eigeninitiative sowie ganz generell
positive Einstellungen zu Wissen und Lernen subsummiert. Letzten Endes
erscheint Innovationskultur so als eine Form von Zusammenfassung aller
anderweitig schwer zu greifenden Softfacts der Unternehmensorganisation.
Das heißt aber wiederum, dass Innovationskultur aus einer Vielzahl inter-
dependenter Faktoren besteht, die das jeweilige Unternehmen zunächst
einmal identifizieren, systematisieren und vor dem Hintergrund der beson-
deren eigenen Situation beurteilen muss. Es bedeutet weiterhin, dass Ände-
rungen einzelner Faktoren (z.B. kommunikative Zonen im Unternehmen,
Belohnungen für Mitarbeiter, die ihr Wissen an Kollegen weitergeben, Ap-
pell an die Entscheidungsdelegation) vermutlich keine oder sogar eine
kontraproduktive Wirkung entfalten werden und daher das gesamte Sys-
tem, so es denn wirklich innovationshemmend ist, geändert werden muss.
Schließlich haben schon die frühen Arbeiten zum Thema Unternehmens-
kultur (Schein 1995) gezeigt, dass sich die Kultur bzw. ein Kulturwechsel
nicht einfach anordnen lässt und auch nicht durch ein Programm des „Nun
macht mal schön“ von der Unternehmensbasis in Selbstorganisation ent-
wickelt wird, da Kultur aus relativ tief verwurzelten Werten, Normen und
30 Michael Nippa

Überzeugungen besteht. Ein revolutionärer Kulturwechsel macht im Re-


gelfall den Austausch eines Großteils der Führungskräfte notwendig, und
selbst ein gradueller, langfristig angelegter Prozess des kulturellen Wan-
dels lässt sich nur bedingt steuern. Auf jeden Fall sollte das Bewusstsein
bestehen, dass Innovationskultur nicht übertragbar ist und in hohem Maße
von der Führung auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens abhängt.
Kurzfristige Wunderdinge sind selten zu erwarten.
Eine effiziente, innovationsförderliche Führung wird sehr häufig als
eine der grundlegenden Voraussetzungen für den F&E-Erfolg herausge-
stellt. So wundert es nicht, dass auf diesem Gebiet die Analysen und Em-
pfehlungen verschiedener Institutionen bzw. Autoren kaum noch zu zählen
sind. Dabei dominiert – gerade in der Wissenschaft und unter Manage-
mentberatern – immer noch die Suche nach dem optimalen Führer, dem
optimalen Führungsstil oder den optimalen Kontextfaktoren. Das Ergebnis
sind beispielsweise Forderungen bzw. Empfehlungen der „Installation“
von unternehmensinternen Innovationschampions, die die Produktinnova-
tion auch gegen die Widerstände und bürokratischen Hürden der Unterneh-
mensorganisation durchführen. Eine solche Person (oder Gruppe) solle
sich durch spezielle Persönlichkeitseigenschaften wie zum Beispiel Enthu-
siasmus und Zuversicht, Durchhaltevermögen, Beharrlichkeit, Unbeirrbar-
keit sowie ein Netzwerk und die Aktivierung von Schlüsselpersonen im
Unternehmen auszeichnen. Regelmäßig wird betont, dass der Innovations-
champion sich über Regeln der Unternehmensorganisation hinwegsetzen
müsse, um den Erfolg sicherzustellen. Die damit für das Unternehmen
ebenfalls verbundenen bzw. zumindest latent vorhandenen negativen Kon-
sequenzen – wie der zusätzliche Ressourcenverbrauch, die Billigung von
Regelverstößen bis hin zu unethischem Verhalten und damit geschaffene
Präzedenzfälle – werden meist verschwiegen. Es ist also auch in diesem
Fall sicherlich nicht unklug, sich näher mit dem Konzept auseinanderzu-
setzen und eine für das eigene Unternehmen adäquate Vorgehensweise zu
erarbeiten. Das gilt in gleicher Weise für Empfehlungen hinsichtlich des
innovationsförderlichen Führungsstils. Hier dominiert derzeit der Rat, ei-
nen transformationellen dem transaktionellen Führungsstil vorzuziehen
(Keller 1995) oder das LMX-Modell, d.h., den Leadership Member Ex-
change (Graen und Uhl-Bien 1995), zu präferieren. Unabhängig davon,
dass erstens die Konzepte selbst für Fachkenner nicht immer eindeutig ab-
gegrenzt und zweitens die empirischen Befunde alles andere als eindeutig
sind, fehlt im Regelfall auch der Bezug zu ganz wesentlichen Kontext-
bzw. Kontingenzfaktoren, die einen in einer bestimmten Situation durch-
aus Erfolg versprechenden Führungsstil in einer anderen Situation völlig
disqualifizieren. Die Literatur zum Thema der innovationsförderlichen
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 31

Führung leidet darüber hinaus unter einer unzulässigen Vermengung bzw.


Übertragung von Erkenntnissen des Change Managements auf die Führung
von Prozessen bzw. Projekten der Produktneuentwicklung, also Erkennt-
nissen über innerorganisatorische Veränderung, die dabei auftretenden Wi-
derstände der Mitarbeiter sowie Maßnahmen zu deren Überwindung. So
verwundert es kaum, dass die Meinung weit verbreitet ist, dass Innovati-
onsprozesse frei von organisatorischen Routinen und Regeln sein sollten,
dass eine kreative Führung bzw. eine Führung, deren Ziel die Förderung
der individuellen Kreativität ist, allen anderen Führungsstilen überlegen
ist, dass Innovationen nur in chaotischen Umwelten möglich sind oder dass
transformationale und charismatische Führer mit eindeutig zuorden- und
messbaren Persönlichkeitseigenschaften geborene Champions für – jede
Art der – Innovation sind. Auch hier scheint es mehr als notwendig, den ei-
genen Entscheidungen und Maßnahmen eine differenziertere Vorstellung
zugrunde zu legen.

2.5 Zusammenfassung

Die Organisation der Innovation erweist sich als ein überaus komplexes
Erklärungs- und Gestaltungsfeld, das sich mit einfachen und abstrahieren-
den Vorgehensweisen und Lösungskonzepten nicht erfolgreich bewältigen
lässt. Trotzdem wird in Vorträgen, Veröffentlichungen und Methodologien
immer wieder versucht, grundlegende Erfolgsformeln darzulegen und zu
suggerieren, dass man an anderer Stelle überlegene Erfolgsmuster relativ
einfach übertragen könne. Genau das Gegenteil ist der Fall. Eine Erfolg
versprechende Reorganisation des Innovationsmanagements in einem Un-
ternehmen sollte die Komplexität auf der Grundlage einer ganzheitlichen
Vorstellung reduzieren, damit die Interdependenzen zwischen einzelnen
Systemelementen deutlich werden. Die Auswahl von Anpassungs- und
Verbesserungsvorschlägen kann dann auch diejenigen Faktoren identifi-
zieren, die ebenfalls angepasst werden müssen, um im Zusammenspiel
wirkliche Fortschritte zu bewirken. Generell erweist es sich als notwendig,
Erfolgsmustern und Best-Practice-Beispielen mit einer gesunden Skepsis
zu begegnen und diese eher als Ideengenerator zu verstehen denn im Sinne
eines übertragbaren Erfolgsgaranten. Allein die Tatsache, dass kaum ein
erfolgreiches Unternehmen die Grundlagen seines Erfolges und damit
seines Wettbewerbsvorteils öffentlich preisgeben dürfte, sofern eine Imita-
tion machbar erscheint, ist Mahnung genug, eine eigene Lösung zu ent-
wickeln. Die folgenden Beiträge bilden einen reichhaltigen Fundus von
Denkanstößen zur Entwicklung eigener Konzepte.
32 Michael Nippa

2.6 Literatur

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excellence“).
2. Zur Komplexität der Innovationsorganisation 33

Regierungsprogramm 2005-2009 (2005). Deutschlands Chancen nutzen. Wachs-


tum. Arbeit. Sicherheit.
http://www.regierungsprogramm.cdu.de/download/regierungsprogramm-05-
09-cducsu.pdf.
Schein, E. (1995). Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frank-
furt a.M., New York: Campus (Original: „Organizational culture and leader-
ship”).
Shleifer, A. / Vishny, R.W. (1997). A survey of corporate governance. In: The
Journal of Finance, 52(2): 737-778.
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19.10.2005.
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Weimar (2004): Weimarer Leitlinien "Innovation".
http://www.berlinews.de/archiv-2003/1891.shtml.
Womack, J.P. / Jones, D.T. / Roos, D. (1991). Die zweite Revolution in der Auto-
industrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie des Massachusetts Institu-
te of Technology. Frankfurt a.M., New York: Campus (Original: „The machi-
ne that changed the world”).
Teil II: Transfer technologischen Wissens in
Produkte in Großunternehmen

3. The Innovation Game


Mythen und Realitäten im Management von Forschung und
Entwicklung

Gerald Mischke

Unter den drei Kernprozessen der Werterzeugung, Risiko- und Faktorkostenaus-


gleich sowie Innovation ist der Innovationsprozess der mit Abstand wichtigste. Es
ist daher von großer Bedeutung, Innovationen früh zu erkennen und zu fördern.
Dies bedeutet aber, die „F&E-Fabrik“ gut zu kennen und ihre vier Grundeigen-
schaften sicher zu beherrschen: Zyklizität, denn Produkte werden immer in „Ge-
nerationen“ erneuert, Sequenzialität, denn ein Produkt entsteht und „reift“ stets
Schritt für Schritt, Latenz, denn das jeweilige Entwicklungs- und Marktergebnis
eines Produktes wird erst am Ende dieser Phasen klar, und Trägheit, denn der
Produktenstehungsprozess addiert stets selbst kleine Anfangsfehler zu großen Fol-
gen auf.
Mit einem neuen Ansatz, den Innovationsprozess als statistischen Such- und Fil-
terprozess zu verstehen und zu beschreiben, wird versucht, ein einfaches Modell
des Innovationsprozesses aufzubauen. An diesem Modell können sodann die jewei-
lige Rolle und die Beeinflussbarkeit jeder der genannten vier Grundeigenschaften
diskutiert werden. Dabei wird klar, dass zum einen bislang sowohl die Wissen-
schaft als auch die Unternehmen Rolle und Einfluss des Faktors Zeit (TtM, McT,
…)1 unterschätzt haben und zum anderen der Umgang mit Risiken und die Aus-
wahl von Alternativen im Innovations-, aber auch im F&E-Prozess noch stark ver-
besserbar ist. Eine universell nutzbare Erfolgsmetrik wird vorgestellt, mit der es
möglich ist, Ansätze, Methoden und Werkzeuge zu entwickeln, um die Probleme
des Innovationsprozesses besser zu managen. An diesen Modellen werden dann
bestehende Managementstrategien gespiegelt und mit zum Teil überraschendem
Ergebnis diskutiert.

1 TtM = (mittlere) „Time-to-Market“ (Entwicklungszeit eines Produktes/Prozesses); McT = (mittlere)


„Marketcycle Time“ (Vermarktungszeit eines Produktes/Prozesses).
36 Gerald Mischke

3.1 Einführung

Es ist allgemein akzeptiert, dass Innovationsprojekte überdurchschnittlich


risikoreich sind. Nach allgemeinem Konsens sind Innovationen schlecht
bis gar nicht planbar: Was man nicht weiß bzw. sogar nicht wissen kann,
kann auch weder sinnvoll geplant noch beschrieben werden. Gleichwohl
gibt es eine unübersehbare Vielzahl und Vielfalt von Büchern, Artikeln
und Ratgebern für das Management von Innovationen. Dieser (scheinbare)
Widerspruch hat zwei wesentliche Ursachen:
- Innovationen wie Telefon, Auto, Kunststoffe, Radio und Fernsehen,
Computer, Internet, sind die wesentliche Quelle des Wohlstands und
des Fortschritts der Welt. Der Lohn ist im Erfolgsfalle sehr hoch ent-
sprechend groß ist auch der Antrieb, daran teilhaben zu wollen.
- Die Erfahrung zeigt, dass es sehr viele Ähnlichkeiten zwischen er-
folgreichen, aber auch zwischen erfolglosen Innovationsprojekten
gibt. Die Vermutung von und die Suche nach Regeln, denen sie ge-
horchen, drängen sich somit geradezu auf.
Dass mit anderen Worten Innovation sozusagen ein „Spiel“ ist, steht
also offensichtlich außer Frage. Das Risiko und die Ungewissheit liegen
bereits in der „schumpeterschen (ex-post-) Definition“ des Begriffes:
„… eine Innovation ist eine Produkt- bzw. Verfahrensneuerung, die am
Markt Erfolg hatte …“ (siehe z.B. Schumpeter 1964 bzw. Le Corre und
Mischke 2005)

Die für die Spieler bzw. Teilnehmer interessante Frage ist nicht die nach
dem jeweiligen Innovationsrisiko, sondern die nach den rationalen, d.h.,
nach den Risiko minimierenden Spielstrategien. Aus diesem Grund steht
nicht die Suche nach dem „richtigen Projekt“2, d.h., dem Projekt mit der
größten Erfolgswahrscheinlichkeit und/oder dem geringsten Risiko, im
Vordergrund. Die zentrale Frage im „Innovationsspiel“ ist vielmehr, wel-
cher nächste Schritt (Spielzug) den Teilnehmer auf der Suche nach dem
größten Erfolg versprechenden Projekt bei möglichst geringem Aufwand
weiter bringt.
Zur möglichst einfachen Beantwortung dieser Frage ist es ratsam, die
Umwelt zunächst nur in zwei Kategorien einzuteilen und vorerst auf eine

2 Die Suche nach dem „richtigen Projekt“ benötigt immer a-priori-Wissen. Dieses kann es aber per Definition
(schumpeterscher Innovationsbegriff) nicht geben. Hieraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, ist die eigent-
liche Aufgabe guter Spielstrategien.
3. The Innovation Game 37

detaillierte Analyse von Sicherheiten/Wahrscheinlichkeiten zu verzichten.


Diese Kategorien sind:
- Bekanntes, d.h. alle Dinge, die man mit (welcher?) Sicherheit wissen
kann sowie
- Unbekanntes, d.h. alle Dinge, die man nicht weiß bzw. nicht genau
wissen kann.
Der Hauptvorteil dieses weniger spielerischen denn „spieltheoretischen“
Ansatzes liegt darin, dass nun die beiden Kategorien (Bekanntes und Un-
bekanntes) wieder gleich behandelt werden können, indem man für alle
Elemente der Kategorie „Unbekanntes“ die gleiche Eintrittswahrschein-
lichkeit unterstellt.
Die zweite wesentliche Voraussetzung, um das „Innovationsspiel“ ratio-
nal und damit erfolgreich „spielen“ zu können, ist die Einführung einer
universellen Erfolgsmetrik. Nur so lassen sich Regeln definieren, die Hin-
weise darauf geben, welcher nächste Spielzug vorteilhaft ist, um den Spie-
ler, d.h., das F&E-Team bzw. die Verantwortlichen der Geschäftsleitung,
dem Spielgewinn, d.h. der Innovation, näher zu bringen. Dies ist möglich,
wenn man als universelle Metrik die Wahrscheinlichkeit PS(Ik), einen be-
stimmten Innovationserfolg Ik zu erzielen, einführt.
Diese Prinzipien werden im Folgenden erläutert und ihre Anwendbar-
keit anhand von Beispielen gezeigt. Dabei ergibt sich, dass in allen Innova-
tions- und F&E-Prozessen vier wesentliche systemimmanente Eigenschaf-
ten immer und per Definition gültig sind:
- Zyklizität: Produkte werden immer in „Generationen“ erneuert.
- Sequenzialität: Jedes Produkt entsteht und reift stets Schritt für
Schritt.
- Latenz: Das Entwicklungs- und Marktergebnis eines Produktes wird
stets erst zum Ende der jeweiligen Innovationsphasen offensichtlich.
- Trägheit: Mängel zu Anfang des Produktentstehungsprozesses ad-
dieren sich stets zu großen Fehlern auf, mitunter mit erheblichen
Konsequenzen im weiteren Prozessverlauf.
Diese vier Eigenschaften machen es zwar schwer, aber nicht unmöglich,
mit dem Innovationsprozess rational umzugehen. Nur bei deren gebühren-
der Berücksichtigung ist es möglich, die im Prozess versteckten großen
Ratiopotenziale zu erkennen und zu heben.
38 Gerald Mischke

3.2 Innovation und Innovationsprojekte – Definition und


Eigenschaften

3.2.1 Definition

Bevor man sich in einer Vielzahl von Facetten des Innovationsbegriffes


verliert, sollte man sich den Kern des schumpeterschen Innovationsbegrif-
fes deutlich machen. Wie bereits zuvor ausgeführt, ist nach Schumpeter
eine Produkt- oder Prozessneuerung erst dann als Innovation zu bezeich-
nen, wenn sich deren Erfolg bereits am Markt gezeigt hat.
Mithin ist diese erst ex post beurteilbare Koinzidenz von Machbarkeit
(d.h. Technologie T) und Nachfrage (d.h. Markt M) eines Produktes/ Pro-
zesses der Kern des Innovationsbegriffes. In dieser Definition des schum-
peterschen Innovationsbegriffes aus dem Nachhinein liegt der Schlüssel
zum erfolgreichen Umgang mit Innovations- und somit auch mit F&E-Pro-
zessen. Ein einzelnes Innovationsprojekt ist dann naheliegenderweise „…
eine geordnete Reihenfolge von (Inno-) Aktivitäten, die von einer Produkt-
/Prozess-Idee hin zur Innovation führen sollen“ (Schumpeter 1964). Fol-
gende Konsequenzen sind daraus ableitbar:
1. Da der (Inno-)Erfolg im Vorfeld nie eindeutig sein kann, müssen alle
(Such-) Aktivitäten und damit auch alle (Such-)Aufwände (Kosten)
stets dem sich später einstellenden Markt- bzw. dem Innovationser-
folg zugerechnet werden. Nur Vollkostenrechnungen können eine In-
novation im schumpeterschen Sinne3 überhaupt nachweisen.
2. Eine Innovation liegt erst am Ende der Marktphase vor, wenn das
rechnerische Ergebnis des Projektes positiv ist. Der zugehörige Such-
und Entscheidungsbaum umfasst daher stets sowohl die Produktent-
stehungs- als auch die Vermarktungsphase. Selbst wenn das neue
Produkt a priori bekannt ist (z.B. bei der zweiten Auflage eines Bu-
ches), verbleibt ein Marktrisiko. Nur in Monopolen ist dieses Risiko
zu vernachlässigen, und selbst dann u.U. nicht vollständig.4
3. Aus der Sicht auf eine Innovation im Nachhinein ist es völlig uner-
heblich, wann, d.h., an welcher Stelle im (gedachten) Entscheidungs-
baum, richtige oder falsche Entscheidungen getroffen wurden. Zu be-
3 Schumpeters Buch „Capitalism, Socialism and Democracy“ (1942) versucht, eine Antwort von Seiten der
klassischen Volkswirtschaftslehre auf die Frage zu finden, warum die von Marx prognostizierte „Verelendung“
der Arbeiter im Kapitalismus der dreißiger Jahre nicht eingetroffen ist. Er sieht in den Innovationen der Unter-
nehmer den Hauptgrund für den steigenden allgemeinen Wohlstand. Mithin müssen Innovationen in seinem
Sinne also neue Werte erzeugen!
4 Ein klassisches Paradigma hiefür sind Technologie- bzw. Marktinvasionen, die auch stärkste Mono- und Oligo-
pole hinwegfegen können. Solches geschieht derzeit in der Unterhaltungselektronik, die von der PC- und
Spieleindustrie verdrängt wird.
3. The Innovation Game 39

rücksichtigen sind immer nur Gesamtaufwände und Gesamterträge.


Jedes Innovationsprojekt ist daher finanzwirtschaftlich gesehen stets
ein Investitionsprojekt. Der Aufwand für die Produktentstehung
Tc(Ik) (Fläche unterhalb der X-Achse in Abbildung 3.1, rechte Seite)
sichert und erhöht somit nur die Chance auf einen bestimmten Ertrag
Mp(Ik) (Fläche oberhalb der X-Achse in Abbildung 3.1, rechte Seite).
Gleiches gilt auch für alle Markterschließungsaktivitäten, selbst wenn
sie aus laufenden Erträgen bezahlt werden. Der „Return on Invest-
ment“ RoI(Ik) einer Innovation Ik ermittelt sich dann sinnvollerweise
als Quotient (Mp(Ik)-Tc(Ik))/ Tc(Ik) der Kosten Tc(Ik) und der Erträge
Mp(Ik) des jeweiligen Innovationsprojektes Ik. Werden diese Werte
auf Vollkostenbasis noch als „Discounted Cash Flows“ (DCF) ermit-
telt, ist auch den Anforderungen der Investrechnung bzw. des Invest-
controlling Rechnung getragen.
4. Ein Innovationsprojekt Ik startet stets mit einer Idee bzw. einem Ent-
schluss. Erste wichtige Hürde ist der erfolgreiche Abschluss der Pro-
duktentstehungsphase5, denn dadurch wird die Machbarkeit des Pro-
duktes (der Idee) nachgewiesen. Nach Beendigung der Marktphase ist
der ökonomische Erfolg beurteilbar. Erst im Falle eines positiven Er-
gebnisbeitrags liegt eine Innovation gemäß oben dargelegter Definiti-
on vor. Interessanterweise ist die Neuheit des Produktes demgegen-
über weit weniger wichtig. Sie geht im Wesentlichen in die Höhe des
Risikos (Ps(W) in Abbildung 3.1) und in die Höhe des Ertrages
(Mp(Ik) in Abbildung 3.1) im Sinne einer zeitbegrenzten Monopol-
rendite6 ein.
5. Ein angemessenes Beschreibungsmodell für Innovationen ist ein Ent-
scheidungs- oder Beweisbaum (siehe Abbildung 3.1, linke Seite).
Dies gilt unabhängig davon, ob man das Innovationsprojekt als Ent-
scheidungsproblem im Sinne der Suche nach dem richtigen Weg zur
Innovation oder als Beweisproblem für die Behauptung „Projekt Ik
ist/wird eine Innovation“ auffasst. In diesem Modell wird die der all-
gemeinen Erfahrung entsprechende exponentielle Abhängigkeit des
Erfolges von Zeit, Reife bzw. der Innovationshöhe sofort ersichtlich
(siehe Abbildung 3.1).
Die ex-post-Definition des Innovationsbegriffes hat erhebliche, bislang
kaum genauer analysierte Folgen für die Durchführung von Innovations-

5 In der Fahrzeugindustrie wird dies „Job1“ – das erste kundenfähige Fahrzeug – genannt. Diese Definition ist im
Sinne einer Innovationstheorie dem häufig benutzten SoP – Start of Production – vorzuziehen, da kundenrele-
vante Produkteigenschaften dann klar sind.
6 Nach M.E. Porter haben Unternehmen nur die zwei strategischen Differenzierungsoptionen Technlogieführung
und Marktführung. Technologieführung erlaubt wegen der (ggf. zeitlich begrenzten) Alleinstellung hohe (Mo-
nopol-) Renditen, wohingegen Marktführung die „Economy of Scales“ zum Vorteil des Unternehmens nutzt.
40 Gerald Mischke

projekten und -prozessen. Dies führt gemeinsam mit den obigen Überle-
gungen zur Verdeutlichung am Beispiel eines einzelnen (idealen) Innova-
tionsprojektes. Der Innovationsprozess wird im Folgenden als (Invest-)
Entscheidungsproblem betrachtet (siehe Abbildung 3.1).
Das Problem, von einer Idee (in der Abbildung 3.1 als „Start“ markiert)
bis zum Innovationserfolg (in Abbildung 3.1 als „Ziel“ markiert) zu ge-
langen, wird hierbei als optimale Pfadsuchaufgabe in einem Entschei-
dungsbaum interpretiert. Das universelle Maß für die erfolgreiche Bewälti-
gung dieser Aufgabe ist dann die Zunahme der Chance auf einen Innovati-
onserfolg Ps(W).7 Der in Abbildung 3.1 dargestellte binäre Such- bzw. Ent-
scheidungsbaum mit den beiden Fundamentalalternativen „besser/
schlechter“, „richtig/falsch“ etc. stellt den allgemeinen Fall dar. Er ist da-
her gleichbedeutend mit dem Grundschema bzw. der „Blaupause“ des In-
novationsprozesses aus der Sicht der Entscheidungstheorie. Erst durch
Darstellung des Innovationsprozesses als Entscheidungsbaum werden eini-
ge Grundeigenschaften des Innovationsprozesses wirklich deutlich.

Ps(t0) = 2-N
Erfolgschance Ps(W)* Ps(mrkt.)
(Marktrisiko)
lp0 Start (t-4) (logarithm.) Psn
Ps(dev.) 100%
(Entwicklungsrisiko) |70%

lp11 lp12 Ps(t1) = 21-N Ps(res.) |10%


(Forschungsrisiko)
Mp(lk)
lp21 lp22 lp23 lp24 Ps(ti) = 2i-N t3 <1% t1
Ps0

t2 W
t-4 Tc(lk) t0 [Einh.] t3
lp(N-1)1 lp(N-1)2N-1 Ps(tN-1) = 2-1 = 0,5 Mpk – Tck
DCF Rolk =
Tck
> 1!!

([T€] disc. annual cash flow)


Ps(tN) = 20 = 1 Produktentstehung Produktion & Vermarktung
lpN1 lpN2 lpN2N-1 lpN2N
Ziel (t3) (F&E-Phase) (Markt-Phase)

Suchraum und Erfolgswahrscheinlichkeit Aufwands- bzw. Ertragssicht entlang des


Ps(t) eines Inno-Projektes Lebenszyklusses einer Innovation
Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.1. Der Innovationsprozess als (statistischer) Such- / Filterprozess

3.2.2 Grundeigenschaften des Innovationsprozesses

Auf Basis dieser Überlegungen zu den Folgen der schumpeterschen ex-


post-Definition des Innovationsbegriffes und seiner spieltheoretischen Be-
trachtung als Entscheidungs- bzw. als Beweisproblem lassen sich vier we-
sentliche Grundeigenschaften aller Innovationsprozesse identifizieren. Sie

7 Zur Herleitung und zum Beweis des exponentiell ansteigenden Risikos und seiner Nutzbarkeit als universelle
Erfolgsmetrik für den Innovationsprozess siehe Le Corre und Mischke (2005).
3. The Innovation Game 41

verdeutlichen die wesentlichen Aufgaben und Herausforderungen für ein


erfolgreiches Management dieses Prozesses:

Der Innovationsprozess (F&E-Prozess) ist immer auch ein zyklischer


Investprozess (Zyklizität)

Will man nicht „würfeln“, so muss jede (Fundamental-)Entscheidung auf


dem Weg zum Innovationserfolg erarbeitet werden. Die dafür nötigen Res-
sourcen müssen bereitgestellt werden können.
Üblicherweise bestehen die notwendigen Ressourcen für dieses Invest-
ment aus spezialisierter Forschung & Entwicklung für das jeweilige Inno-
vationsprojekt Ik. Die Kosten des Ressourceneinsatzes TC(Ik) müssen von
den entsprechenden Markterlösen MP(Ik) kompensiert werden können. Ob
darüber hinaus eine Innovation mit einem positiven Ergebnisbeitrag
RoI>m>0 erzielt wurde, kann erst am Ende der Vermarktungsperiode (bei
t3=McT in Abbildung 3.1) wirklich beurteilt werden. Je nach Resultat und
(noch) vorhandenem Kapital beginnt nun in der Regel das Spiel wieder
von neuem.

Der Innovations- und F&E-Erfolg wird stets schrittweise erreicht


(Sequenzialität)

Zu Anfang des Innovationsprozesses steht stets eine Produkt- oder Servi-


ceidee oder das Vorhaben, eine Produkt- oder Serviceinnovation zu ent-
wickeln und erfolgreich im Markt einzuführen. Erst danach kann an der
konkreten Umsetzung (F&E-Investition) gearbeitet werden. Der Prozess
besteht dabei aus voneinander abgrenzbaren Zwischenschritten und -zielen
und durchläuft verschiedene Reifegrade („Quality Gates“). So ist zum Bei-
spiel die Marktreife (z.B. Job 1 in der Fahrzeugindustrie) des Produktes
stets das erste und wichtigste Zwischenziel. Alle Reifegrade bis dahin
müssen nacheinander erfolgreich erreicht werden. Dies gilt auch für den
Markterfolg bzw. die Marktdurchdringung, die ebenfalls nur schrittweise
erreicht werden können. „Stage Gates“ sind hierbei ein ebenso probates
wie weit verbreitetes Mittel, einen stetigen Entwicklungsfortschritt zu er-
zielen und abzusichern.
42 Gerald Mischke

Machbarkeit (d.h. Technologieerfolg Tk) und Nachfrage (d.h. Markt-


erfolg Mk) sind erst am Ende der jeweiligen F&E- bzw. Markt-Periode
beurteilbar (Latenz)

Die beiden wesentlichen Meilensteine Technologie- und Markterfolg kön-


nen nur nacheinander erfolgreich passiert werden. Da die Zukunft stets un-
bekannt ist, kann auf den Erfolg bzw. Misserfolg an diesen wie an allen
anderen Meilensteinen immer nur nachträglich reagiert werden. Falls da-
raufhin steuernd eingegriffen werden sollte, vergeht wiederum mindestens
eine Periode, bis sich der Erfolg eines Steuereingriffes zeigt.
Die Steuereingriffe sollten stets auf Basis gesicherten Wissens erfolgen.
Leider ist das nötige Wissen (über die Zukunft) im Allgemeinen nicht ver-
fügbar. Daher können „verfrühte“ Steuereingriffe die Erfolgsaussichten
des Innovationsvorhabens verschlechtern. Nichts (Voreiliges und nicht
Abgesichertes) zu tun, ist unter diesen Umständen die beste Strategie.

Kleine und frühe Fehler haben große Folgen (Trägheit bzw.


Exponentialverhalten)

Je früher ein Fehler im Innovationsprozess erfolgt, desto länger und teuerer


wird der Umweg zum Innovationserfolg (in der Abbildung 3.1 als Ziel
markiert) im Entscheidungsbaum. Es ist zu berücksichtigen, dass selbst im
besten und einfachsten Fall (Binär-Baum) nur 50 Prozent des Such- bzw.
Evaluationsaufwandes im statistischen Mittel zum Innovationserfolg
führen. Jede rationale Erfolgssuche muss daher stets in jedem Knoten alle
Alternativen untersuchen. Diese Regel wird im Innovationsprozess des
Unternehmens zumeist sträflich missachtet und führt zu einem exponen-
tiell steigenden Misserfolgsrisiko (je früher, je höher). Daher ist davon
auszugehen, dass im F&E-Management noch große Potenziale hinsichtlich
der Erfolgswahrscheinlichkeiten von Innovationsvorhaben existieren.
Es wird meist aus Kostengründen nur auf eine zunächst als beste er-
scheinende Alternative gesetzt, statt bildlich gesprochen „rouge et noir“ zu
spielen. Hier zu sparen ist in aller Regel teuer, wenn ein Fehler hinterher
zu den höchst möglichen Kosten korrigiert werden muss. Rückrufaktionen,
Garantie- und Kulanzkosten, die vielfach den gesamten F&E-Aufwand
übersteigen, sind nur eine Facette solch ebenso kurzsichtigen wie schlech-
ten Managements.
Gleichzeitig ist dies aber auch ein Beispiel dafür, dass dieser Ansatz
sehr hilfreich ist, um bessere Managementstrategien zu entwickeln bzw.
vorhandene kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört eine geeignete, möglichst
3. The Innovation Game 43

universelle Prozessmetrik. Denn nur wenn bekannt und messbar ist, wann
und unter welchen Umständen ein Innovationsvorhaben mehr oder weni-
ger erfolgreich ist, können Verbesserungen erzielt werden. Da dieser Frage
in der Regel leider viel zu selten sorgfältig genug nachgegangen wird,8 soll
eine dafür geeignete Metrik vorgestellt und ihre Eigenschaften im Detail
erläutert werden.

3.2.3 Eine Metrik für den Innovationsprozess

Erneut sei hier auf Abbildung 3.1 verwiesen. Da nach Schumpeter der
Markterfolg Mk die Innovation Ik von einer sonstigen Invention (Neue-
rung) unterscheidet, wird dieser folglich zum einzig relevanten Erfolgs-
maß. Um nun die Vergleichbarkeit zwischen den verschiedensten Innova-
tionsprojekten Ik herzustellen, ist es sinnvoll, den jeweiligen „Return on In-
vestment“ RoI(Ik) als universelles Erfolgsmaß einzuführen. Daher gilt für
alle Innovationen Ik, dass
MP(Ik) > TC(Ik) also RoI(Ik) > 0 ist.

Wenn dies nicht zutrifft, ist Ik keine Innovation, da sie „Geld verbrennt“
und nicht, wie von Schumpeter gefordert, einen positiven Ergebnisbeitrag
leistet und somit Vermögen und Erfolg des Unternehmens und der Volks-
wirtschaft insgesamt mehrt.
Diese Minimalbedingung ist allerdings eine auf Dauer ökonomisch we-
nig befriedigende absolute Untergrenze. Sinnvollerweise sollte jede Inno-
vation während ihres Lebenszyklus zumindest das Kapital erwirtschaften,
um damit einen nächsten, zweiten Versuch zu finanzieren. Daraus folgt,
dass der Markterfolg im statistischen Mittel
MP(Ik) > 2 x TC(Ik), also RoI(Ik) > 1

sein muss, um durch eine „zweite Chance“ auch langfristig Erfolg zu


garantieren. Dass diese Regel sinnvoll ist, zeigt zum Beispiel die Automo-
bilindustrie. Bei einem dort üblichen Produktlebenszyklus von zehn bis elf
Jahren bedeutet ein RoI =1 eine langfristige Durchschnittsrendite von ca.
7 Prozent auf das eingesetzte Kapital TC(Ik). Dieses entspricht einer durch-
aus akzeptablen langfristigen Kapitalverzinsung.

8 Die Regel heißt: „Miss es oder vergiss es!“ Dies ist mitnichten neu. Ein berühmter Vordenker der modernen
Managementtheorie – Peter F. Drucker – hat einmal gesagt, „if you can’t measure it, you can’t manage it!“.
44 Gerald Mischke

Werden alle TC- und MP-Werte, wie in Abbildung 3.1 angedeutet, per
DCF-Methodik („discounted cash flow“) berechnet, können wir mit
diesem Ansatz das Innovations- und F&E-Management mit Methoden des
klassischen Finanz- und Investmanagements kombinieren. Dies führt zu
vielfältigen wechselseitigen Befruchtungen. Im nachfolgenden Kapitel 3
werden diese exemplarisch und im Buch „The Innovation Game“ (Le
Corre und Mischke 2005) im Kapitel 5 ausführlich beschrieben. Aus den
dort dargelegten Gründen erscheint eine Trennung des F&E- bzw. Innova-
tionsmanagements vom Invest- bzw. Risikomanagement als nicht zielfüh-
rend.
Verbindet man diese Innovationsbetrachtung mit den zuvor ausgeführ-
ten Grundeigenschaften des Innovationsprozesses, so kann man eine uni-
verselle Erfolgsmetrik PS(Ik) für den Innovationsprozess angeben:
DIE UNIVERSELLE ERFOLGSMETRIK DES INNOVATIONSPROZESSES IST DIE
WAHRSCHEINLICHKEIT PS(IK), DASS DAS INNOVATIONSPROJEKT IK EINEN
ERFOLG MIT ROI(IK)>M>0 ERZIELT.

Diese Definition der Erfolgsmetrik PS(Ik) besitzt die folgenden Eigen-


schaften:
- Der Innovationserfolg Ik = Tk&Mk ist die Koinzidenz von Technolo-
gie- (Tk) und Markterfolg (Mk). Daraus folgen nach dem Wahrschein-
lichkeitskalkül von Bayes für die drei fundamentalen Innovationsar-
ten für PS(Ik):
- PS(Ik) = PS(Tk) x PS(Mk) für inkrementelle Innovationen
- PS(Ik) = PS(Tk~Mk) x PS(Mk) für Demand-Pull-Innovationen
- PS(Ik) = PS(Tk) x PS(Mk~Tk) für Technology-Push-Innovationen.
- PS(Ik) ist eine exponentielle Funktion der „Time-to-Market“ TtM
oder der Anzahl der notwendigen Schritte, um jeweils Technologie-
und Marktreife zu erreichen.
- Die Metrik PS(Ik) ist analytisch, ex post messbar und bei geeigneter
Nutzung von Erfahrungswissen (Projekthistorie) a priori abschätzbar.
- PS(Ik) erfüllt damit alle Anforderungen an eine Regelungs- bzw. Steu-
erungsmetrik für den Innovationsprozess.
- PS(Ik) schafft so die Voraussetzung, rationale und auch langfristig er-
folgreiche Entscheidungs- und Priorisierungsstrategien für Innovati-
ons- sowie für F&E-Prozesse zu formulieren.
Mit dieser Metrik ist eine solide Grundlage verfügbar, um Erfolg ver-
sprechende und zum Teil sogar analytisch ableitbare Strategien und Mo-
delle für Innovationsprozesse zu erstellen. Ihre Test- und Verifizierbarkeit
bietet dafür einen entscheidenden Vorteil.
3. The Innovation Game 45

3.3 Innovationspipeline und „F&E-Fabrik“ – Definition


und Eigenschaften

3.3.1 Definition einer Innovationspipeline

Auf der Grundlage des in Kapitel 3.2 beschriebenen Innovationsbegriffes


und der zugehörigen Erfolgsmetrik PS(Ik) gelangt man zu einem deutlich
verbesserten und vertieften Verständnis der Innovationspipeline des Unter-
nehmens. Hierbei kann man, unter Beachtung der nachfolgenden Definiti-
on, die Begriffe „Innovationspipeline“, „F&E-Fabrik“ bzw. einfach „Un-
ternehmen“ (mit Produktentwicklungen) durchaus als Synonyme betrach-
ten:
EINE INNOVATIONSPIPELINE IP IST EINE ZEITLICH GEORDNETE MENGE VON N
INNOVATIONSPROJEKTEN IK MIT IHREM JEWEILIGEN REIFEGRAD BZW. DER
ERFOLGSWAHRSCHEINLICHKEIT PS(IK).

Unterstellt man für jedes Projekt Ik eine Vollkostenrechnung, so wird


deutlich, dass alle Kosten einer Innovationspipeline stets gleich der Sum-
me aller TC(Ik) sind. Für die Einnahmenseite MP(Ik) gilt dies analog (siehe
Abbildung 3.2). Ein Unternehmen bzw. eine Innovationspipeline IP kann
man somit als ein „quasi stationäres Fließgleichgewicht“ der jeweiligen In-
novationsprojekte betrachten. „Quasi stationär“ bedeutet in diesem Zusam-
menhang, dass die Form der jeweils betrachteten Funktionen von der Zeit
unabhängig ist. Art und Umsetzungsgeschwindigkeit der Produktprojekte
von der Idee bis zur Markteinführung können dann als nahezu konstant an-
genommen werden.

3.3.2 Die Rolle des Parameters Zeit

Alle vier Grundeigenschaften (Zyklizität, Sequenzialität, Latenz und Träg-


heit) von Innovationsprozessen findet man in der einen oder anderen Form
auch in den Innovationspipelines bzw. in den Unternehmen wieder. Dies
liegt an der besonders wichtigen Rolle, die der Parameter Zeit für Unter-
nehmen spielt. Die Zeit nimmt dabei stets eine der folgenden zwei Formen
an:
- die reale bzw. physikalische Zeit, z.B. als typische Reaktions- oder
Durchlaufzeiten wie die mittlere TtM („Time-to-Market“) oder die
mittlere McT („Market cycle Time“) eines Produktes.
46 Gerald Mischke

- die logische Zeit oder Reife- bzw. Produkthistorie. Diese zweite, ex-
trem wichtige Form entsteht, weil jedes Unternehmen und jede Inno-
vationspipeline zu jedem Zeitpunkt einen großen Teil seiner/ihrer
Vergangenheit (Produkthistorie) und seiner/ihrer Zukunft (neue Inno-
vationsprojekte) mit sich führt.
Der Bedeutung des Parameters Zeit wird offenbar von den bekannten
Managementtheorien nicht ausreichend Rechnung getragen. Zeit zum ex-
pliziten Betrachtungsgegenstand des Innovations- und F&E-Managements
zu machen, ist deshalb ein wichtiger Beitrag dieses Ansatzes für die wei-
terentwicklung des Innovationsmanagements. Um dies zu verdeutlichen,
soll nun anhand der Abbildung 3.2 der große Einfluss des Parameters Zeit
auf Steuer- und Erfolgsgrößen des Innovationsmanagements erläutert wer-
den.
Wie in Abschnitt 3.1 dargelegt, kann man ein Unternehmen bzw. eine
Innovationspipeline stets als eine zeitlich geordnete Menge von (Produkt-)
Innovationsprojekten betrachten, insbesondere wenn Kosten und Erträge
der Projekte zu Vollkosten ermittelt werden.
Dabei haben diese Projekte mindestens zwei Phasen, nämlich eine F&E-
Phase, in der Kosten erzeugt werden (siehe Abbildung 3.2, linker Bereich
des jeweiligen Projekt-Zeitstrahls) und eine Vermarktungsphase, in der sie
Erträge erwirtschaften (siehe Abbildung 3.2, rechter Bereich des jeweili-
gen Projekt-Zeitstrahls). Zum Bilanzierungszeitpunkt t0 befinden sich die
einzelnen Projekte jedoch in sehr unterschiedlichen Phasen. In einer Bilanz
werden daher stets Kosten, also Investments in zukünftige Erträge, mit Er-
trägen, also den Ergebnissen vergangener Investments (Kosten), verrech-
net. Dies zeigt der mittlere Bilanzabschnitt bei t0 in Abbildung 3.2 sehr
deutlich.
Eine Konsequenz dieser bilanziellen Stichtagsbetrachtung ist die Ver-
zerrung der entlang der Zeitachse verlaufenden Investlogik der Einzelpro-
jekte. Durch die Bilanzierung ist der ursprüngliche Kausalzusammenhang
zwischen einem Investment TC(Ik) und den zugehörigen (erwarteten bzw.
eingetretenen) Erträgen MP(Ik) nicht mehr nachvollziehbar.
Daraus folgt zudem, dass aufgrund der Zyklizität der Ertragsströme der
Einzelprojekte sich das Ergebnis einer Bilanzrechnung im Zeitverlauf
ebenso zyklisch verhält. Daher ergibt sich aus dem zyklischen Auf und Ab
des Bilanzergebnisses (gemäß Fourier) keinerlei Information außer der be-
kannten Reihenfolge und der Zyklizität der Einzelprojekte. Keine auch
noch so aufwändige Bilanzanalyse kann an dieser mathematischen Tat-
sache etwas ändern. Für die Beurteilung der Rentabilität eines Unterneh-
3. The Innovation Game 47

mens sind Bilanzgrößen und daraus ermittelte Steuergrößen (z.B. RoCE,


RoNA) also nur mit größter Vorsicht zu gebrauchen. Dies gilt in besonde-
rem Maße für die Beurteilung der Innovationskraft eines Unternehmens.

Start R&D Model Product life


DCF Zero

Bilanz bzw.
Job 1

DCF
(average length
cash update cycle ends
R&D-pipeline) (eventually) (average duration)
(disc. annual
cash flow)

GuV-Rechnung research
pre-
dev.
deve-
lop-
ment Mp(lk)
(e.g. US-GAAP, HGB, …) t-3 t -2 t-1

t1 t2
t-4 t0 t3
Tc(lk)

Projekt/Produkt 1 – +
Projekt/Produkt 2 – Invest/Cost Market
Introduction Sales/Profits

Projekt/Produkt 3 – +
Projekt/Produkt 4 –
Projekt/Produkt 5 –
Projekt/Produkt 6 – +
Projekt/Produkt 7 – +
Projekt/Produkt 8 –
Projekt/Produkt 9 +
Projekt/Produkt 10 +

t-W t0 t+W [Einh.]


Wg. der Produktzyklen zerstören Bilanz-Steuergrößen die ökonomische “F&E-Logik”
Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.2. Bilanzoptimierung versus erfolgreiches Management der Innovations-


pipeline

Eine gute Innovationspipeline und damit ein gutes, dauerhaft ertrags-


starkes Unternehmen ist eben nicht nur die einfache Addition einer Menge
guter Produktprojekte. Sie beinhaltet vielmehr eine Menge guter Produkt-
projekte in der richtigen Reihenfolge und zum richtigen Zeitpunkt.
Wird diese „Harmoniebedingung“ nicht eingehalten, so sorgen die sich
dann einstellenden Interferenzen der zyklischen Kosten- und Ertragsströme
der einzelnen Produktprojekte für zum Teil ganz erhebliche (ebenfalls zy-
klische) Ertragsprobleme des jeweiligen Unternehmens. Um wieder ein
Beispiel aus der Automobilindustrie aufzugreifen: Vor einigen Jahren hatte
Volkswagen und noch aktueller hat Mercedes mit Ertragsproblemen zu
kämpfen, die ihre Ursachen zu einem großen Teil nicht in schlechten Pro-
dukten, sondern im Timing ihrer jeweiligen Produktpipeline haben.

3.3.3 Modellierung regulärer Innovationspipelines

Die zum Teil drastischen Auswirkungen solcher „Kosten- und Ertragsin-


terferenzen“ der Einzelprojekte und die Konsequenzen eines zu bilanz-
und kostenorientierten Managements für ein Unternehmen wird nun an-
hand eines Modells für eine Innovationspipeline erläutert. Dazu dient die
48 Gerald Mischke

Untersuchung eines hypothetischen, aber nicht ganz unrealistischen Unter-


nehmens (genannt XX-Corp.) mit fünf Produktmodellen.
Der Einfachheit und Übersichtlichkeit halber wird angenommen, dass
alle fünf Produkte der XX-Corp. die gleiche, in Abbildung 3.3 dargestellte
Cashflow-Kurve besitzen. Sie besteht aus einer (idealen, d.h. exponenti-
ellen) ca. dreieinhalbjährigen F&E-Phase (TtM-Zeiteinheiten in Abbildung
3.3) mit einem normierten Kostenanfall von 100 Prozent am Endpunkt
(Job 1) und einer ca. fünfjährigen Marktphase (McT Zeiteinheiten in Ab-
bildung 3.3) mit einem „Facelift“ zur Verbesserung der Produktattraktivi-
tät ungefähr zur Hälfte der Marktphase. Der langfristige, risikobereinigte
und abgezinste (DCF) RoI beträgt 24 Prozent für das Einzelprojekt, sodass
alle fünf Produktreihen zusammen einen mittleren jährlichen Cashflow
von 120 Prozent erzeugen. Das Unternehmen kann also mit dem mittleren
Cashflow leicht weitere Produktentwicklungen finanzieren und so ggf.
weiter expandieren.
DCF [in % d. max. F&E-Kosten/a]
150%
F&E-Phase [TtM Einh.]
100%

Facelift!
50%

t = –TtM t =0 (t0) MP(Mk)


0%
Zeit
TC(Mk) t = McT [Einh.]

-50% Job 1
(SoP)
Markt-Phase [McT Einh.]
-100%

Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.3. Die (abgezinste) Cashflow-Kurve eines Einzelproduktes Mk der XX-


Corp.

Abbildung 3.4 zeigt die Überlagerung der Cashflows der fünf Einzelpro-
dukte. Wie aus der Summenkurve deutlich ersichtlich, hat dieses insgesamt
kerngesunde Modellunternehmen XX-Corp. selbst bei ideal gestalteter
(hier äquidistanter) Innovationspipeline einen wie vorhergesagt sehr zy-
klischen Verlauf des Unternehmens-Cashflows. Dies gilt selbst für den
günstigsten Fall, in dem alle Modelle gleich profitabel sind, wie im Bei-
spiel angenommen. Ebenfalls ersichtlich ist, dass in dieser zyklischen
Cashflow-Bilanz zu einem bestimmten Stichtag keinerlei für das Unter-
3. The Innovation Game 49

nehmen relevante Steuerungsinformation enthalten ist – wie vorher aus


rein mathematischen Überlegungen abgeleitet. Die Zyklizität ist ein reines
Interferenzprodukt und somit ohne strategischen Informationswert. Dies
wird jedoch im realen Geschäftsleben zumeist leider weder anerkannt noch
angemessen berücksichtigt.
DCF [in % d. max. F&E-Kosten/a]
300%
t0-TtM t0 t0+McT t0+2McT
250%
XX-Corp. XX-Corp. DCF-M1
DCF-Zykl. DCF-Trend
DCF-M2
200%
DCF-M3
150%
DCF-M4

DCF-M5
100%
DCF-XX-Corp.
50% Log.
(DCF-XX-Corp.)

0%
Zeit
[Einh.]
-50%

M3-Zykl.
-100% original! M1- M5
DCF-Zykl.
Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.4. Die ideale Gesamtcashflow-Kurve der XX-Corp. mit den Produkten
M1- M5

Um nun zu sehen, wie stark ein bilanzorientierter Managementeingriff


die Situation der Innovationspipeline eines Unternehmens beeinflussen
kann, wird nun ein entsprechender „kostenorientierter“ Managementein-
griff simuliert (siehe Abbildung 3.5). Das Management der XX-Corp. sieht
zum Zeitpunkt t0 die Erträge von +190 Prozent auf +20 Prozent fallen.
Eine typische Reaktion des Managements auf eine solche Entwicklung ist
zumeist, „Kosten zu sparen“ und neue Ausgaben zu verzögern. In dieser
Simulation wird also der geplante Anlauf der Entwicklung von Modell M3
um zwei Jahre verschoben.
Die nächste, bei t0 anstehende zyklische Ertragserholung gibt dem Ma-
nagement scheinbar Recht. Selbst der übernächste zyklische Ertragsein-
bruch auf 75 Prozent mit der anschließenden Erholung auf ca. 200 Prozent
bestätigt noch scheinbar die Richtigkeit dieser Entscheidung. Doch dann,
am Ende der Entwicklungs- bzw. Marktperiode, etwa zum Zeitpunkt
t0+McT, fallen die Erträge plötzlich drastisch, und mit -60 Prozent schreibt
die XX-Corp. erstmals tiefrote Zahlen. Sie tut dies wohlgemerkt allein auf-
grund des Eingriffes von Seiten des Managements zum Zeitpunkt t0.
50 Gerald Mischke

DCF [in % d. max. F&E-Kosten/a]


300%
t0-TtM t0 t0+McT t0+2McT
250% XX-Corp. XX-Corp.
DCF-M1
DCF- ungestört.
Reaction DCF-Verl.
DCF-M2
200%
DCF-M3
150% DCF-M4

DCF-M5
100%
DCF-XX-Corp.

50% Trend (log.)

0%
Zeit
[Einh.]
-50%

XX-Corp.
CFO- M3-Verz.
-100% 2 Jahre! M1- M5
Aktion! DCF-Zykl.
Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.5. Die Cashflow-Kurve der XX-Corp. (Simulation der Reaktion einer
idealen Innovationspipeline mit fünf Produktmodellen auf Manage-
menteingriffe bei t=t0)

Die Ursachen für dieses scheinbar überraschende Verhalten des Modell-


unternehmens XX-Corp. liegen in der Zyklizität und in der Latenz aller
seiner Produkte. Diese beiden Grundeigenschaften von Produktprojekten
produzieren auf Pipeline- bzw. Unternehmensebene überaus harte Harmo-
niebedingungen, die nicht ohne Konsequenzen verändert oder verletzt wer-
den dürfen. Mathematisch bzw. physikalisch betrachtet ist dies ein Interfe-
renzeffekt, analog zu den aus der Physik oder Optik bekannten Phänome-
nen. Die langfristigen Mittelwerte der Erträge ändern sich nicht oder nur
wenig. Kleinste „Verstimmungen“ einer solchen Produktpipeline jedoch
sorgen via Interferenz für heftige Ertragsschwingungen des Gesamtsys-
tems.9 Weder das derzeitige Management der Unternehmen noch die Ma-
nagementtheorie sind aus meiner Sicht richtig darauf vorbereitet, damit
vernünftig umzugehen. Es existiert hier einiges Verbesserungspotenzial.
Anleihen bei anderen Disziplinen, zum Beispiel bei der Regel- und/ oder
der Nachrichtentechnik, könnten befruchtend wirken.

9 Analoge zyklische Umsatz- und Ertragsschwingungen sowie den großen Einfluss des Timings von Produktan-
läufen zeigen mehrjährige Analysen von Umsatz- und Ertragsverläufen realer Unternehmen, die der Verfasser
mit vertraulichen Firmendaten selbst durchgeführt hat.
3. The Innovation Game 51

3.4 Das Modell der „F&E-Fabrik“

3.4.1 Definition und Beschreibung des Modells

Die ausgeführten Grundeigenschaften von Innovationsprojekten und -pipe-


lines erlauben es, zusammen mit den zugrunde liegenden Modellen ein Ge-
samtmodell für eine Innovationspipeline („F&E-Fabrik“) zu erstellen. Die-
ses Modell wurde mit starken Anleihen bei dem reichen Instrumentarium
der Nachrichten- und Regeltechnik erstellt. Dabei wird angestrebt, mit dem
Modell „was wäre wenn …“-Simulationen möglich zu machen. Wird die-
ses Ziel erreicht, ist ein großer Beitrag für das Verständnis und die Beherr-
schung des Innovations- bzw. des Produktentstehungsprozesses geleistet.
Das in Abbildung 3.6 dargestellte Modell der „F&E-Fabrik“ ist das Ba-
sis-Modell, das alle vier wesentlichen Grundeigenschaften von Innovati-
onsprojekten und -pipelines (Zyklizität, Sequenzialität, Latenz und Träg-
heit) modelliert.10 Es kann gleichermaßen für gesamte Unternehmen oder
für Teile von Innovationspipelines genutzt werden und besteht im Wesent-
lichen aus fünf Elementen:

(1) Der Strategiedefinitionsteil

In diesem Teil des Modells werden Auswahl und Bewertung der Projekt-
ideen simuliert. Das Ergebnis dieses Arbeitsschrittes sind vor allem die
Projektpläne für die Innovations- bzw. für die F&E-Projekte sowie eine
zugehörige Budget- und Ressourcenplanung TC k. Diese muss daraufhin
von der Unternehmensleitung bestätigt oder verworfen werden (Budget-
strategie), um dann in der F&E-Pipeline umgesetzt zu werden. Dieser
Schritt wird mit dem Faktor BI in Abbildung 3.6 bezeichnet. Typischer-
weise ist BI =1, wenn das Projekt akzeptiert wird und BI =0, wenn das Pro-
jekt verworfen wird sowie 0< BI <1 bei Budgetreduzierungen. Diese
(F&E-Projekt-) Budgetierung ist der wichtigste Input, der das Arbeitser-
gebnis der darauf folgenden (Integrations-)Stufen, der F&E-Pipeline sowie
zeitverzögert auch der Produktpipeline maßgeblich bestimmt.

10 Für mehr Details sei hier auf das Buch „The Innovation Game“ (Springer Verlag NY, 01/2005) verwiesen. In
diesem Buch werden der erste Teil des Innovationsspiels, die Grundlagen, die Herleitungen und die Eigenschaf-
ten der einzelnen Elemente des Modells der „F&E-Fabrik“ ausführlich dargestellt.
52 Gerald Mischke

(2) Die F&E-Pipeline

Auf Basis der Auswahl- und Budgetstrategie werden in diesem Teil die
verabschiedeten Produktprojekte bis zur Serienreife entwickelt. Hier wer-
den alle Investments11 eines Unternehmens in neue Produkte, die im Ver-
lauf einer durchschnittlichen Entwicklungszeit (TtM) getätigt werden, auf-
summiert (integriert). Gleichzeitig werden in diesem Schritt alle Produktei-
genschaften und marktrelevanten Unique Selling Proposition (USP) defi-
niert und somit implizit auch die Markterlöse definiert (siehe Punkt (4)).

(3) Die Produktpipeline

Hier werden, nach einer Verzögerungszeit (TtM), die jeweiligen in der


F&E-Pipeline entworfenen Produkte hergestellt und über den gesamten
Marktzyklus (McT) hinweg vermarktet. Hier fällt stets die Mehrheit der
(jährlichen) Kosten des Unternehmens an. An dieser Stelle wird im We-
sentlichen über die Gesamteffizienz des Unternehmens entschieden, und
Prozessinnovationen spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Markterlöse für
die Produkte fallen ebenfalls hier an und müssen ein positives Unterneh-
mensergebnis generieren. Die relative Höhe der Markterlöse kann durch
mehr oder weniger erfolgreiches Marketing verändert werden, und zwar
um den Faktor PI nach oben (beschränkt) bzw. nach unten (unbeschränkt).

(4) Die Kopplung von F&E- und Produktpipeline

Die F&E- und die Produktpipeline sind über das F&E-Ergebnis, die Spezi-
fikation des entwickelten Produktes, eng miteinander verknüpft. F&E als
Investition beeinflusst stets den gesamten Umsatz und Ertrag des Unter-
nehmens. In einer ersten Näherung und im statistischen Mittel ist die Wir-
kung der F&E-Ausgaben auf den Umsatz proportional zum Kehrwert der
F&E-Quote. In der Automobilindustrie mit einer F&E-Quote von drei bis
acht Prozent hat dieser k-Faktor daher etwa Werte zwischen zehn und drei-
ßig. Entsprechende Sorgsamkeit ist natürlich bei Modifikationen des F&E-
Budgets notwendig, da dies implizit immer (zukünftige) Umsätze und Er-
träge beeinträchtigt. Diese Erkenntnis scheint jedoch bei Strategen, Pla-
nern und Controllern in nur allzu vielen Unternehmen nicht sehr verbreitet
zu sein. Im Modell selbst wird diese Eigenschaft der „F&E-Fabrik“ da-
durch berücksichtigt, dass das F&E-Budget (Faktor BI) den nachgelagerten

11 Entgegen weit verbreiteter Ansicht müssen alle F&E-Ausgaben (Kosten) strikt als Investitionen in neue
Produkte gesehen werden. Deren Umwandlung in zukünftige Markterlöse ist ja gerade das Wesen der „F&E-
Fabrik“.
54 Gerald Mischke

Unternehmen in Existenz bedrohende Schieflage geraten. Dies zu vermei-


den muss daher erstes Ziel der Geschäftsstrategie sein. Nur eine sehr sorg-
fältige und vorausschauende Regelung und Steuerung – mindestens mit
dem Zeithorizont TtM – kann diese Schwingungen dämpfen und im Ideal-
fall sogar vermeiden.
Bereits dieses einfache Modell der „F&E-Fabrik“ beschreibt also ein
sehr komplexes, nicht mehr intuitiv verständliches Verhalten. Die prognos-
tizierte Schwingungsneigung ist zunächst überraschend, stimmt aber bei
näherer Betrachtung gut mit praktischen Phänomenen in der Unterneh-
menswelt überein.12 Die in der Realität zu beobachtende Trägheit und Zy-
klizität von Unternehmen und deren Erträgen belegen dies.

3.4.2 Eigenschaften der „F&E-Fabrik“

Das Prinzipmodell der „F&E-Fabrik“ kann insbesondere bei Simulationen


für die Diskussion bzw. zum Test von Managementstrategien eingesetzt
werden. Hier entfaltet der Ansatz großen Wert und macht Erfahrung und
Erkenntnisse aus anderen Disziplinen auch für das Innovationsmanage-
ment nutzbar (siehe Abbildung 3.7).
Vier kritische Punkte der „F&E-Fabrik“ sollen im Folgenden im Detail
diskutiert werden. Alle vier berühren den Faktor Zeit und demonstrieren so
die enorme Bedeutung dieses bislang völlig unterschätzten und nicht adä-
quat behandelten Parameters.

Persistenz der Strategie – „langer Atem“

Eine Strategie darf nicht „wie ein Hemd“ gewechselt werden. Das Modell
sagt aus, dass Produkt- und Technologiestrategien mehr als einen halben
Produktlebenszyklus (TtM+McT) lang verfolgt werden müssen, um Wir-
kung zu zeigen. Hier behält in der Realität oft die kurzfristige Trendorien-
tierung die Oberhand. Dass kurzfristige Trendwechsel zumeist wirkungs-
los verpuffen, liegt schon in der Trägheit (Tiefpassverhalten) eines jeden
Unternehmens bzw. einer jeden Innovationspipeline begründet.

12 Dies gilt selbst für Teile von Innovations- bzw. F&E-Pipelines (siehe Le Corre und Mischke 2005, Kapitel 3.2).
3. The Innovation Game 55

Konsequente Umsetzung – „überkritisch investieren“

Hat man sich für eine F&E-Strategie entschieden, so gilt es auch sie effek-
tiv umzusetzen. Zu sparen ist hier die falsche Devise, denn es gibt keine
billigen oder preiswerten Investitionen, sondern nur rentable oder unrenta-
ble. Letztere sollte man gar nicht tätigen. Da es sich bei Produktneuent-
wicklungen im Allgemeinen um erhebliche Investments handelt, sollte
man sich auch vergewissern, dass die zugrunde gelegten Annahmen und
Trends langfristig stabil sind.

Nachfrage schaffen – „Märkte vorbereiten“

Sind Erfolg versprechende neue Produkte in der F&E-Pipeline, so ist es


ratsam, die Märkte frühzeitig darauf vorzubereiten. Wie in Kapitel 3.2 aus-
geführt, ist die Koinzidenz von Machbarkeit (Produkt) und Nachfrage ein
entscheidender Erfolgsfaktor. Wie soll aber eine Nachfrage nach einem
Produkt entstehen, das eine wirkliche Neuerung darstellt und daher im
Markt unbekannt ist? Hier bietet insbesondere das Marketing noch viel
und weitgehend ungenutztes Potenzial.

„Fehlende Vorausschau“ verhindern – mit langfristigem Management

Über all diesem steht die Pflicht der Geschäftsleitung, das jeweilige Unter-
nehmen für die Zukunft fit zu halten. Hierbei ist es besonders wichtig, sich
stets der jeweiligen Zeitkonstanten (TtM, McT, etc., …) des Unternehmens
und der Märkte bewusst zu sein und damit auch entsprechend umzugehen.
Wird eine eher kurzfristige, bilanzergebnisorientierte Managementstrategie
verfolgt, so gerät das Unternehmen in heftige Umsatz- und Ertragsschwin-
gungen. Die Persistenz der Strategie ist aus meiner Perspektive der eigent-
liche Erfolgsfaktor erfolgreicher Unternehmen, wie zum Beispiel der in
der Automobilindustrie viel zitierte Benchmark von Toyota. Im Vergleich
zu Toyota führte in der US-Automobilindustrie der vorherrschend budget-
orientierte, kurzfristige und teilweise auch kurzsichtige Managementstil zu
einer wenig erfolgreichen Entwicklung dortiger Unternehmen.
56 Gerald Mischke

Inno 1 langfristige
Auswahl- Budget- Trends stabil?
steuerung steuerung
langfristige F&E-Kosten(t)
Technologie-
& Markttrends
+ Gesamtinvest
F&E pro Zyklus x über
"Time to Market"
+
erkennen! "überkritisch
investieren" frühzeitig
(Nachhaltigkeit!)
Inno n RoI- reagieren!
Steuerung (schwache Signale)
Erlöse(t)
x 1
TtM
"Märkte
über Cash-Flow
"Lebenszeit"
"F&E-Maschine"
"langer Atem"
(Strategie länger als
vorbereiten"
Verzögerung
(Durchdringung!)
0,5x(TtM+McT)
durchhalten!)
RoI-
Strategie
Unternehmens- und
Auswahl- Geschäftsstrategie:
Strategie „ F&E-Quote
Budget- „ F&E-Stategie
Strategie „ Marktstrategie

Fehlende "Vorausschau"
¯ ²
führt zu heftigen "Oszillationen"

… denn wer die "Zukunft besser kennt" gewinnt!


Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.7. Stellhebel, Reaktionen und Empfindlichkeiten der „F&E-Fabrik“

3.5 F&E-Strategien – Test am Modell der „F&E-Fabrik“

Bereits bei der Herleitung des Modells der „F&E-Fabrik“ wurde eine Rei-
he von gängigen F&E-Strategien diskutiert. Eine Kurzübersicht von Basis-
strategien für Forschung und Entwicklung bzw. Innovationspipelines so-
wie der jeweils wichtigsten Fragen für deren Ausgestaltung und Organisa-
tion bietet Abbildung 3.8. Zur Demonstration der Anwendbarkeit und des
Nutzens des vorher beschriebenen Modells der „F&E-Fabrik“ als Testins-
trument und als Gedankengebäude werden zwei Themenbereiche (in Ab-
bildung 3.8 grau hinterlegt) herausgegriffen und detaillierter beschrieben:
- Strategie der „Verkürzung der F&E-Zeit“ (Nr. 1 und Nr. 2 in Abbil-
dung 3.8)
- Grundoptionen der „Kapa-Strategie für F&E-Bereiche“ (Nr. 5 bis 7 in
Abbildung 3.8).
Die hier aufgeworfenen Fragen des F&E- und Innovationsmanagements
sind ohne Rückgriff auf ein solches Modell nur schwer entscheidbar und
diskutierbar.
3. The Innovation Game 57

Strategie der „Verkürzung der F&E-Zeit“

Wie das Modell der „F&E-Fabrik“ in Abbildung 3.6 zeigt, tritt die F&E-
Zeit TtM nur als Integrationsparameter bzw. als Verzögerungszeit auf.
Wird dieser Parameter geändert, so ändern sich weder der Output bzw. die
Kosten Tc der F&E-Pipeline noch der (zukünftige) Produkterlös Mp. Die
einzigen Faktoren, die variieren, sind die Zykluszeiten für F&E sowie für
den Produktlebenszyklus. Die „F&E-Fabrik“ reagiert somit nur schneller,
aber nicht besser, ertragreicher oder effizienter. Dies zeigen auch statische
und dynamische Simulationen mit dem Modell.
Auch jenseits dieses Abstraktionsniveaus wird schnell klar, dass dieses
Verhalten eigentlich selbstverständlich ist. Warum sollte das gleiche Pro-
dukt am Markt profitabler sein, nur weil es x Monate früher eingeführt
bzw. kürzer entwickelt wurde? Bei näherer Betrachtung und unter Berück-
sichtigung der Tatsache, dass bei einer Verkürzung des F&E-Prozesses ein
exponentiell wachsendes Entwicklungsproblem gelöst werden muss, wird
schnell das extreme Risiko dieser Strategie klar. Wenn überhaupt, so kann
dieser Ansatz nur für extreme Ungleichgewichtsmärkte (Modemärkte etc.)
aussichtsreich sein. Solche Märkte sind aber im Allgemeinen instabil und
neigen häufig zu Monopol- oder Oligopolstrukturen. Diese unterliegen
dann aufgrund der Konzentration von Marktmacht nicht mehr zeitlichen
Zwängen, wie Microsoft oder Intel sehr eindrücklich beweisen.

Grundoptionen der „Kapa-Strategie für F&E-Bereiche“

Ebenso erkenntnisreich ist die Diskussion unterschiedlicher Kapazitätsstra-


tegien entlang der Wertschöpfungskette Forschung (F), Vorentwicklung
(VE) und Serienentwicklung (SE). Das „cost of information principle“13
(Le Corre und Mischke 2005) formuliert den dafür notwendigen engen Zu-
sammenhang zwischen F&E-Kapazitätseinsatz (Kosten) und dem F&E-
Fortschritt im Sinne der vorher definierten Metrik, nämlich der Steigerung
der Erfolgschance Ps(Ik) der jeweiligen Projekte Ik. Hierbei zeigt sich, dass
exponentielle Kapazitätsprofile, zum Beispiel von 1 zu 2 zu 4 (F zu VE zu
SE), optimal sind. Dieses Ergebnis korrespondiert mit den Erfahrungen
vieler erfahrener F&E-Mitarbeiter. Auch das Dauerbenchmark der Auto-
mobilindustrie, Toyota, folgt diesem exponentiellen Muster.

13 Dieses Prinzip nutzt die Tatsache, dass bei einer Lösungssuche die Wahrscheinlichkeiten für die beiden
Fundamentalalternativen „geht“ bzw. „geht nicht“ stets komplementär zueinander sind. Dies führt zu einer
Integralbeziehung für den minimal nötigen Aufwand für erfolglose Versuche, um mit einer gegebenen Wahr-
scheinlichkeit zum Innovationserfolg zu kommen. Diese Integralbeziehung kann dann zur Optimierung des
jeweils nötigen F&E-Kapazitätseinsatzes genutzt werden.
58 Gerald Mischke

- Ein konstanter Kapazitätseinsatz F zu VE zu SE erweist sich demge-


genüber als deutlich schlechter und wird mit erheblichen statistischen
Effizienznachteilen bestraft. Da F&E allerdings stets mit Risiko be-
haftet ist, können auch solch suboptimale Strategien zeitweise erfolg-
reich sein, auf Dauer jedoch sicher nicht.
- Ganz besonders ineffizient sind jedoch Sprünge in den Kapa-Profilen,
zum Beispiel Kapa-Profile wie 1 zu 1 zu 10. Dies sollte selbstver-
ständlich sein, obwohl es Unternehmen gibt, die zumindest zeitweise
ähnlich aufgestellt waren. Schlechter noch als derartige Sprünge ist
das Fehlen einer ganzen Wertschöpfungsstufe, beispielsweise der
Vorentwicklung. Die Kosten für solche durchaus häufig vorkommen-
den Schwächen einzelner F&E-Organisationen sind ganz erheblich.
Als Alternative dazu bietet sich eine Verkürzung der Wertschöp-
fungskette an, zum Beispiel auf eine reine Serienentwicklung mit der
Aufgabe der Konfektionierung (z.B. Medion/Aldi) oder des Auftrags-
Engineering mit angeschlossener Fertigung. Jedoch läuft dann das
Unternehmen Gefahr, dass die Alleinstellungsmerkmale der Produkte
zunehmend verschwimmen und auch Renditen niedriger ausfallen.
Langfristig ist eine Verkürzung der Wertschöpfungskette im F&E-
Prozess daher sehr kritisch zu beurteilen.
Zusammenfassend ist mittels des Modells festzustellen, dass insbeson-
dere „Stetigkeit“ ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor im Innovati-
onsprozess ist.

(exp. Risiko F&E-Kapa Ù • selbstmörderisch außer bei viel int. „Ratio-Potential“


1. Zeit – Red. TtM –– & Kosten) F&E-Kapa ᇇ • teure & gefährliche Strategie, anderes i.d.R. sinnvoller
(nur “Inter- Kapa-Strategie • wie oben, aber zusätzlich “Verkürzung Modellzyklen”
2. Zeit – Red. TtM & McT –/– – ferenzeffekt” Markt-Strategie • wg. “Verkürzung Modellzyklen” zunächst i.A. Ertrag ᇇ,
nutzbar) dann starker Einbruch Ù nur bei Verdrängung effektiv
Diff.-Strategie • der langfristig sichere Weg aus dem Markt!
(ggf. für
3. Red. Startrisiko – –/0 Kostenführer) Kosten-Strategie • nur falls F&E-Quote deutlich höher als Wettbewerb,
keinesfalls für Prozess-F&E bzw. –Innovationen sinnvoll
Diff.-Strategie • wie oben, der langfristig sichere Weg aus dem Markt
(ggf. für
4. Verkürzung F&E-Pipe – –/0 Kostenführer) Kosten-Strategie • nur falls F&E-Pipe tiefer/aufwendiger als Wettbewerb,
ggf. (Partner) auch bei Prozess-F&E möglich (kritisch)
(bei kleinen „Flache“ F&E • ggf. ab Startchancen >80% sinnvoll (Consumer Ind.)
5. Lineare Kapa-Strategie –/+ F&E-Risiken
„Tiefe“ F&E • Effizienz- & Effektivitätsnachteile (nur 2. Wahl)
o.k.)
„Flache“ F&E • Effizienz vergleichbar mit lin. Strategie aber komplexer
(i.A. beste
6. Expon. Kapa-Strategie ++ Option) „Tiefe“ F&E • nahezu zwingend da Effizienz- & Effektivitätsvorteile
gegenüber jeder anderen Strategie sehr groß (1. Wahl)
Programmiert wegen des „Kettenprinzips“ für jede F&E- bzw. Inno-Pipe
(stört optim.
7. Sprünge F&E-Kapa –– F&E-Kette)
geradezu Ineffektivität & Ineffizienz (siehe auch „capacity match“ & „speed
match“ Kriterien in „The Innovation Game“, Springer NY 01/2005)
(ökon. o.k. Komponenten • o.k. für Zukaufteile sonst Schädigung eig. Fertigung!
8. Outsourcing –/+ nur für Integr.-Technol. • nur bei Lücken in WS-Kette Ù Verlust Systemfähigkeit!
Zukaufteile) Kerntechnologie • i.A. kritisch, bei ger. Innograd (Consumer Ind.) möglich
Kostengründe • i.A. nicht sinnvoll da Komplexität ‫ & ݯ‬eig. Know How ‫ݭ‬
(F&E-Kom-
9. Internationalisierung –/0 plexität ᇇ)
Techn. Gründe • nur in Ausnahmen (Inseltechnologien) sinnvoll
Markt-Gründe • o.k. falls teil Marktsegmentierung (z.B. Consumer Ind.)
Quelle: Gerald Mischke

Abb. 3.8. Diskussion und Test von F&E-Strategien für das Design von F&E-Be-
reichen
3. The Innovation Game 59

Die Diskussion der anderen in Abbildung 3.8 dargestellten F&E-Strate-


gien folgt obigem Grundmuster. Zumeist hilft ein kurzer Rekurs auf das
Modell, um schnell das wesentliche Pro und Contra dieser Strategien iden-
tifizieren zu können. Dies erleichtert die Abwägung erheblich und hilft, die
jeweils relevanten Randbedingungen schnell und sicher zu identifizieren.

3.6 Zusammenfassung

Im Innovationsmanagement besteht noch erheblicher Nachholbedarf in


Umfang und vor allem in der Tiefe des Verständnisses und der Modellie-
rung der relevanten Prozesse und Parameter.
Nur vereinzelt stößt man bei Recherchen und Benchmarks auf tragfähi-
ge Ansätze und Methoden in der Unternehmenspraxis (Le Corre und
Mischke 2005). Als zwei herausragende Beispiele sind hier das Apex-Pro-
gramm der Dupont-Forschung (Bingham 2003) und die F&E Planungs-
und Portfoliosteuerung der Novartis AG (Renner 2003) zu erwähnen. Die
hinter diesen Ansätzen und Verfahren stehenden Konzepte sind sehr weit
reichend und übertreffen die Konzepte der einschlägigen Managementlite-
ratur bei weitem. Sie stehen im Einklang mit dem hier vorgestellten Mo-
dell und dem zugehörigen Beschreibungsansatz und verfolgen eine ähnlich
deutlich „technischere“ Sicht und Beschreibung des F&E- und Innovati-
onsprozesses. Leider fehlt den meisten zum Teil viel versprechenden Kon-
zepten in Praxis und Managementliteratur ein tragfähiger theoretischer
Überbau, der die Übertragung der Ansätze und Erfahrungen auf andere
Unternehmen und Industrien enorm erleichtern würde.
Schließlich soll noch auf eine andere, leider nur zu menschliche Facette
des Innovationsmanagements eingegangen werden. Da viele Innovations-
und F&E-Vorhaben teilweise sehr erhebliche Lauf- und Latenzzeiten ha-
ben, sind persönliche Lösungs- und Optimierungsstrategie allzu weit ver-
breitet, bei denen ohne Rücksicht auf Konsequenzen Fehler in Kauf ge-
nommen werden, leider.
Als Schlussfolgerung bedeutet dies, dass das Wissen um die (langfristi-
gen) Wirkungen von F&E-Managemententscheidungen ein entsprechendes
Ethos der Beteiligten, vor allem der Führungskräfte, fordert. Ein solches
Ethos schafft größten Nutzen, denn richtig gespielt ist Innovation eines der
ganz wenigen Spiele, bei denen alle Beteiligten gewinnen können. Dies
gilt auch für diejenigen, die scheinbar eine „Niete“ gezogen haben. Auf
60 Gerald Mischke

diese Chancen und Möglichkeiten des F&E-Managements will dieser Bei-


trag neugierig machen.

3.7 Literatur

Bingham, R. (2003). Site visit report Dupont, “TECTEM – Strategic technology


benchmarking”. TECTEM Universität St. Gallen, 12/2003.
Le Corre, A. / Mischke, G. (2005). The innovation game. New York: Springer.
Renner, P. (2003). Strategic planning and portfoliomanagement Novartis AG,
“Evaluation of pharma projects”. Private communication, 11/2003.
Schumpeter, J.A. (1964). Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. 6. Aufl.,
Berlin: Duncker & Humblot.
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group
Strategie, Ziele und Prozesse

Martin Ertl

Innovation – nur wenige Begriffe werden heutzutage so oft und in so vielen Zu-
sammenhängen benutzt wie dieser, sei das betroffene Produkt auch noch so tri-
vial. Politik, Unternehmen und Interessenverbände vergeben dieses Prädikat nur
allzu gerne, manchmal auch sehr leichtfertig, und degradieren den Begriff somit
zum ausdruckslosen Modewort mit sinnentleerter Bedeutung. Um dem Sinn und
der Bedeutung des Wortes wirklich gerecht zu werden, setzt sich die BMW Group
seit Beginn der Firmengeschichte und heute mehr denn je mit dem Wesen der In-
novation und ihrer bestmöglichen Umsetzung im Produkt intensiv auseinander.
Dieser Beitrag zeigt auf welcher Basis, mit welchen Zielen, Prozessen und Wir-
kungen Innovationen innerhalb der BMW Group aufgegriffen, entwickelt und um-
gesetzt werden. Dabei werden nicht nur rein technologische oder organisatorische
Aspekte betrachtet, vielmehr wird das Zusammenspiel der einzelnen Funktionsbe-
reiche dargestellt wie auch die Unterstützung eines hochgradig emotionalen Pro-
duktes durch Innovation erklärt.

4.1 Einleitung

Die BMW Group ist als etablierter Premiumhersteller von Automobilen


mit ihren drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce weltweit präsent und
tätig. Diese globale Präsenz nimmt in den nächsten fünfzehn Jahren als ei-
ne von vier Stellgrößen entscheidenden Einfluss auf Strategie und Wachs-
tumschancen des Unternehmens. Der Premiummarkt entwickelt sich näm-
lich quantitativ gesehen zwar durchaus positiv und wird in einigen speziel-
len Märkten für extrem hohe Zuwachsraten sorgen, diese Märkte werden
gleichzeitig jedoch aufgrund von ökonomischen, demographischen und so-
ziokulturellen Einflüssen teilweise sehr unterschiedliche Auffassungen und
Anforderungen an ein Premiumprodukt haben. Beispiel hierfür ist die be-
vorstehende „Massenmobilisierung“ von Ländern wie China und Indien
genauso wie der „Silver Market“, also der steigende Anteil an Marktteil-
nehmern in höherem Alter in den westlichen Industrieländern.
62 Martin Ertl

Der zweite große Einflussfaktor ist der deutlich sichtbare Wandel der
Marktstruktur: Die bisher bekannte Dreiteilung des Marktes in günstige
Massenfahrzeuge, ein gehobenes Mittelsegment mit etwas anspruchsvolle-
ren Fahrzeugen und ein Premiumsegment für Fahrzeuge, die höchsten An-
forderungen genügen, wandelt sich derzeit deutlich sichtbar in eine reine
Zweiteilung zugunsten des Massen- bzw. Premiumsegments. Folglich ver-
suchen bisher für den Massenmarkt bekannte Hersteller vermehrt ins Pre-
miumsegment einzusteigen (z.B. Hyundai oder einige der neuen chinesi-
schen Marken wie Brilliance, Zhonghua), aufzusteigen (z.B. Volkswagen)
oder aber mit jungen, bisher nur regional bekannten Marken nun global
Marktanteile im Premiumsegment zu gewinnen (z.B. Lexus). Dadurch er-
höht sich der Druck zur Differenzierung für die etablierten Premiumher-
steller deutlich.
Drittens spielen knapper werdende Ressourcen und immer deutlicher
zutage tretende Einflüsse der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen auf
das globale Klima künftig eine große Rolle in der weiteren Entwicklung
der Automobilmärkte. So zwingen diese Effekte zum einen die Politik zu
immer restriktiveren Gesetzen bezüglich der Emissionen und des Ver-
brauchs, zum anderen werden sie auch die Mobilitätskosten für den einzel-
nen Kunden spürbar ansteigen lassen.
Abschließend sei als vierter großer Einflussfaktor der technische Fort-
schritt genannt, der die Automobiltechnologie auch in den kommenden
Jahren nachhaltig beeinflussen wird. Die kurzen Entwicklungszyklen zum
Beispiel der Halbleiterindustrie mit ihren dabei entstehenden Kapazitäts-
sprüngen eröffnen zwar für die Entwicklung eines Fahrzeuges ständig neue
Möglichkeiten, stehen aber auch in starkem Konflikt mit den vergleichs-
weise langen Entwicklungszyklen von Automobilen. Entwicklungen in
Bereichen wie Consumer Electronics werden das Innovationsmanagement
in der Automobilindustrie kräftig verändern. Ein Beispiel: Die Funktionali-
täten von Mobiltelefonen, PDAs, Blackberrys und MP3-Playern ver-
schmelzen innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einer einzigen Smartpho-
ne-Funktionalität, deren Anbindungslogik im Fahrzeug heute noch offen
ist. Trotzdem liegt die Vermutung nahe, dass der Kunde einer Premium-
marke diese Smartphones künftig möglichst problemlos in seinem Fahr-
zeug verwenden will, wie heute schon beispielsweise den iPod.
Der rasche technische Fortschritt und die schnelle Möglichkeit des Wis-
senszugriffs (insbesondere durch das Internet) führen aber auch dazu, dass
technologische Vorsprünge künftig nur von kurzer Dauer sind und High-
lights aus Premiumprodukten sehr schnell zu Standards in Massenproduk-
ten werden, wie das Beispiel der Plasma- und LCD-TVs sehr gut zeigt. Mit
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 63

steigender Diffusionsgeschwindigkeit der Innovationen von Premium- in


Massenprodukte steigt auch der Anspruch an die Adaptions- und Umset-
zungsgeschwindigkeit eines Innovationsmanagements.
Innovation ist also neben dem Design der wesentliche Differentiator,
mit dem sich eine Premiummarke zum einen vom unmittelbaren Wettbe-
werb, zum anderen vom Massenmarkt dauerhaft abgrenzen kann. Die
BMW Group hat diese Erkenntnis bereits vor Jahren in ihren strategischen
Zielen verankert und strebt die Technologie- und Innovationsführerschaft
im Premiumsegment der Automobilhersteller an.

4.2 Mit Innovationen dem Kunden nutzen

Die BMW Group definiert Innovation als eine Neuerung mit marktwertem
Kundennutzen. In diesem Kontext ist die Erfüllung von drei Ansprüchen
relevant: der Neuerung, der Wirtschaftlichkeit und – all dem übergeordnet
– des „customer benefit“, hier zu verstehen als die treffende Erfüllung
bzw. Stimulation von bewussten und unbewussten Kundenwünschen.

4.2.1 Strategie der Innovationsführerschaft

Ausgehend von der Festlegung der Innovationsführerschaft als übergeord-


neter Strategie leiten sich nun Ziele für mehrere Bereiche ab. Innovations-
führerschaft begrenzt sich bei der BMW Group nicht nur auf produktspezi-
fische Innovationen, wenngleich dieser Beitrag seinen Fokus eben dort ha-
ben wird. Vielmehr lässt sich eine Innovationsführerschaft im Premium-
segment nur dann erlangen und behaupten, wenn der Weg zum fertigen
Produkt, also sämtliche begleitenden Prozesse, ebenfalls diesem Anspruch
genügt.
Deshalb beschäftigen sich bei der BMW Group zum Beispiel einige Ab-
teilungen innerhalb der Produktion mit innovativen Prozessen, wieder an-
dere Abteilungen verfolgen innovative Marketingkonzepte. Auch der ge-
samte Entwicklungsprozess wurde unter Gesichtspunkten der Innovation
und der sich daraus ergebenden Implikationen für das Unternehmen erst
2003 grundlegend umgestaltet.
64 Martin Ertl

4.2.2 Ziele des Innovationsmanagements

„Nicht die Großen werden die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die
Langsamen“ (Eberhard von Kuenheim, ehemaliger Vorstands- und Auf-
sichtsratsvorsitzender der BMW AG)

Als gemessen am Produktionsvolumen zweitkleinster unabhängiger Auto-


mobilhersteller ist es für die BMW Group von existenzieller Bedeutung,
Dinge anders, besser und auf strategisch wichtigen Feldern auch schneller
zu tun als der Wettbewerb, da Effizienzpotenziale nicht wie bei manchen
Wettbewerbern mit Skaleneffekten aus deren Massenmarkt gehoben wer-
den können. Diese Dynamik spiegelt sich nicht nur in den Produkten aller
Marken wider, sondern auch in den Werten aller Marken, wenn man so
will also der „DNA“.
Neben der schnellen Umsetzung ist auch die Wirtschaftlichkeit einer In-
novation eine der Stellgrößen bei der Entwicklung neuer Produkte und
Produktinhalte. Da einerseits der Wettbewerbsdruck und der technolo-
gische Fortschritt und andererseits die Kundenerwartung die Inhalte und
Qualitäten der Fahrzeuge und ihrer Innovationen wesentlich beeinflussen,
werden diese zwangsläufig von Generation zu Generation komplexer und
aufwändiger, kollidieren also mit dem strategischen Ziel der Wirtschaft-
lichkeit.
Diesen Konflikt löst die BMW Group, indem sie die Innovationen derart
auf Transferfähigkeit auslegt, dass prinzipiell sowohl ein High-End-Fahr-
zeug wie der 760i als auch das Kompaktsegmentmodell 118i mit ein und
derselben Innovation ausgestattet werden können (wenngleich auch ggf. in
Inhalt und Umfang modifiziert). Fehlende Skaleneffekte durch schieres
Volumen können so ausgeglichen und das Risiko eines Misserfolges ne-
benbei abgesichert werden. Zudem stärkt dieses Vorgehen den einheitli-
chen und konsistenten Auftritt der jeweiligen Marke.
Um diese Transferfähigkeit auch zwischen den einzelnen Marken zu ge-
währleisten, entwickelt die BMW Group zentral an einem Standort die
Fahrzeuge aller Marken: dem FIZ (Forschungs- und Innovationszentrum)
in München. Dies bedeutet für die Ingenieure in den Entwicklungsabtei-
lungen, den anspruchsvollen Wechsel etwa zwischen den Welten der klas-
sischen Rolls-Royce-Kunden und der extrovertierten Minikäufer abzustim-
men, wenn es darum geht, die Eigenschaften der jeweiligen Produkte ziel-
gruppengerecht zu entwickeln. Auch hier schlägt die BMW Group einen
innovativen Weg ein und bietet für die betroffenen Mitarbeiter spezielle
Seminare an, die weit über klassische Produktschulungen hinaus das Ein-
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 65

tauchen in die jeweilige Markenwelt anhand von Milieustudien, Musik,


Mode und Accessoires zum echten Erlebnis machen.
Ein weiterer, entscheidender Markteinfluss im Premiumsegment ist die
Diversifizierung der Modellreihen: Hatte BMW 1992 noch drei Modellrei-
hen, so bietet die BMW Group 2005 zehn Basismodellreihen an (ohne De-
rivate wie Touring oder Cabriolet) und hat für die kommenden Jahre zwei
weitere angekündigt. Jede einzelne Modellreihe muss mit Innovationen so
sinnvoll bestückt und definiert werden, dass es keine redundanten Varian-
ten gibt und gleichzeitig ein schlüssiges und für den Kunden attraktives
Gesamtpaket entsteht.
All diese Einflüsse münden letzten Endes in drei wesentlichen Zielen im
Rahmen der Innovationsgenerierung:
Die BMW Group als Premiumhersteller will und muss ihren Kunden bei
jeder Markteinführung Innovationen mit Alleinstellungsmerkmalen bieten
(USPs), die in dieser Form im Premiumsegment noch nicht zu finden sind.
Dies gilt beispielsweise für das „Active Heading Light“, das bei Nacht
über die horizontale Verstellung der Scheinwerfereinheiten eine Kurven-
ausleuchtung analog zum Lenkradeinschlag ermöglicht. Mechanisch wur-
de dieses Prinzip bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts
realisiert, über elektronisch gelenkte Scheinwerfereinheiten bis dato aber
noch nicht.
Ein zweites Ziel besteht darin, regelmäßig Durchbruchsinnovationen zu
entwickeln. Durchbruchsinnovationen sind kunden- und marktwerte Neue-
rungen, mit deren Technologie und Ausführung Neuland betreten wird und
die daher weder vom Prinzip her noch generell im Markt vorhanden sind/
waren. Das „Active Front Steering“ aus dem Jahr 2003, welches die Lenk-
winkel aufgrund eines speziellen Getriebes an der Lenksäule bei niedrigen
Geschwindigkeiten erheblich reduziert und somit ein beispielloses Hand-
ling des Fahrzeugs ermöglicht, ist eine solche Innovation.
Als drittes und letztes Ziel der Innovationsgenerierung dienen regelmä-
ßig erstellte Concept Cars, deren Anspruch es ist, als Trägermedium neue
und teils kontroverse Ideen und Konzepte in die Diskussion zu bringen.
Mit den Concept Cars sollen also bestimmte, essenzielle Botschaften an
Mitarbeiter und Kunden gesendet werden wie ein neues Fahrzeugkonzept,
eine neue Designsprache oder eine neue Bedienphilosophie.
66 Martin Ertl

4.3 Innovationsprozess der BMW Group

Der produktbezogene Innovationsprozess der BMW Group basiert auf ei-


nem Dreisäulenmodell mit den Kernbestandteilen Innovationsimpulse, In-
novationssteuerung und Innovationstransfer.

Unternehmensstrategie

Innovations- Innovations- Innovations-


impulse steuerung transfer
Externe Partner &

Fahrzeugmodelle
• Trend- und • Innovations- • Sicherstellung der
Technologie- schwerpunkte Innovations-USPs
Lieferanten

recherche • Fachgremien- • Innovationsangebot


• Innovations- steuerung • Riskmanagement
kommunikation • Bewertung und • Platzierung in den
• Innovationskultur Priorisierung Fahrzeugprojekten
• Budgetierung

Phasenübergreifendes Businessplanning

Innovationskommunikation

Forschung/Fachbereiche der Ressorts

Quelle: Martin Ertl

Abb. 4.1. Die Kernprozesse des Innovationsmanagements der BMW Group

Ausgehend von den Ideenlieferanten, die sowohl intern wie auch extern
angesiedelt sein können (z.B. Lieferanten oder Forschungseinrichtungen,
aber auch die Technology Offices der BMW Group), ist der Kernprozess
in ein abgestimmtes Umfeld von Unternehmensstrategie einerseits und
Grundlagenforschung bzw. Forschung der Fachbereiche andererseits ein-
gebettet. Die im Rahmen dieser Kernprozesse erarbeiteten Ergebnisse flie-
ßen in die einzelnen Fahrzeugprojekte ein.
Der Innovationsprozess stellt den Anfang der gesamten Modellentwick-
lung dar: Einer ersten Phase der strategischen Produkt- und Inhaltsdefiniti-
on folgt eine Phase der Ideengenerierung, Priorisierung, Budgetierung und
Prozesssteuerung. Durch eine geschickte Trennung der Budgets, Steuer-
prozesse und Verantwortlichkeiten zwischen der Gesamtfahrzeug- und der
Innovationskomponentenentwicklung schafft die BMW Group eine Art
„Gewächshaus“ für neue Innovationsprojekte. Sind diese „Setzlinge“ dann
bis zu einem gewissen Grad der Prototypenreife entwickelt, können sie un-
ter den durch Ressourcen- und Zeitrestriktionen geprägten Bedingungen
einer Gesamtfahrzeugentwicklung ihren Weg bis zur Serienproduktion
gehen.
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 67

Produkt-
portfolio

Frühe Phase Vorbe-


Strategie-
phase Anfängl. reitungs- Serienentwicklung
Konzeptphase phase

Inno-
vations-
mana-
gement

System- und Komponentenentwicklung (modellunabhängig)


Quelle: Martin Ertl

Abb. 4.2. Die zeitliche Einordnung des Innovationsmanagements im gesamten


Entwicklungsprozess der BMW Group

Innovationsimpulse

Innerhalb des Innovationsprozesses umfasst der Bereich der Innovations-


impulse drei wesentliche Aufgaben: Zum einen stellt er das „Radar“ des
Innovationsmanagements in Richtung Technologiewelt dar. Dabei fällt
dem Team Innovationsimpulse die Aufgabe zu, technologische und andere
Trends zu erfassen, auszuwerten und an die richtigen Stellen im Unterneh-
men zu transportieren. Durch ein intensives Technologieresearch vor allem
in nicht automotiven Bereichen müssen diese Trends dann mit Innovatio-
nen als erster praktischer Anwendung belegt werden, um somit eine verifi-
zierbare Entwicklung des gesamten Technologiesektors mit all ihren Chan-
cen und Risiken aufzuzeigen.
Des Weiteren befasst sich der Bereich Innovationsimpulse mit der Kom-
munikation der Innovationen: Intern mit Partnern aus Strategie und Marke-
ting zur Verdeutlichung der Fähigkeiten und Potenziale einer Innovation,
extern in Form von Vorträgen zum Thema Innovationsmanagement oder
anhand der „Virtuellen Innovationsagentur“ (VIA). Hierbei handelt es sich
um ein virtuelles Portal, in dem sowohl Unternehmen als auch private Er-
finder ihre Innovationen zur Prüfung an die BMW Group herantragen kön-
nen.1
Abschließend fällt auch das Gebiet der Innovationskultur in diesen Auf-
gabenbereich. Vor allem liegt hier ein Schwerpunkt auf der weiteren

1 Siehe auch die dazugehörige Homepage unter www.bmwgroup.com/via.


68 Martin Ertl

Stimulierung innovativer Projekte und Ideen durch unkonventionelle Ak-


tionen und Projekte.

Trend- und Technologierecherche

Die Trendanalyse innerhalb des Bereiches Innovationsimpulse der BMW


Group beobachtet technologische Tendenzen auf allen Sektoren durch in-
tensive Nutzung von Medien, Forschungs- und Kooperationsprojekten mit
Universitäten sowie Trendscouts und eigene weltweite Technology Offices
(bspw. Palo Alto und Tokio). Eine isolierte, rein technologisch fokussierte
Analyse ergibt jedoch keinen Sinn ohne weitergehende Betrachtung der
parallel dazu verlaufenden Strömungen in Bereichen wie Ökonomie, Poli-
tik oder in soziokulturellen Zusammenhängen. Deshalb wurden mehrere
Personen, die sich in allen Unternehmensbereichen mit den Entwicklungen
ihrer jeweiligen Fachbereiche beschäftigen, zu einem Trendnetzwerk zu-
sammengefasst. Dieses Netzwerk erarbeitet eine gesamthafte Trendgrund-
lage, die dann wiederum eine übergreifende Interpretation und Analyse
von Einzeltrends im Kontext zulässt.
Sind nun einzelne Trends identifiziert und analysiert, so werden diese
im Rahmen von Szenarien zusammengefasst und in die Zukunft projiziert
(Extrapolation). Umgekehrt können diese Szenarien hinsichtlich ihrer
Konsequenzen für die BMW Group und etwa des aktuellen Innovations-
programms beleuchtet und entsprechende Schlüsse retropoliert werden.
Diese Empfehlungen können dann die langfristigen Planungen des Unter-
nehmens und seiner Fachbereiche beeinflussen.
Parallel zur Trendanalyse verfolgt der Bereich Impulse eine genaue Re-
cherche der Innovationen auf den für die BMW Group besonders rele-
vanten Technologiefeldern.
Die Masse an Informationen über die täglich weltweit neu entstehenden
Inventionen lässt eine detaillierte Erfassung nicht zu. Deshalb konzentriert
sich die BMW Group bei dieser Recherche auf strategisch relevante Tech-
nologiefelder und bedient sich eines globalen Technologienetzwerkes mit
unterschiedlichen Betrachtungsschwerpunkten.
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 69

BMW Car IT
BMW Group Forschungs- und
Innovationszentrum (FIZ)
BMW M
BMW Motorrad
BMW Motorsport
BMW Technik GmbH
BMW Group / D / München

BMW Motoren GmbH


Steyr

Designworks / USA
Engineering and Emission Test Center
BMW Technology Office Japan
BMW Technology Office Palo Alto

Technology Netzwerk / Scouting: USA, Europa, Japan Weltweites BMW Lieferanten Netzwerk
Quelle: Martin Ertl

Abb. 4.3. Das globale Innovationsnetzwerk der BMW Group

So beschäftigt sich die „California Innovation Triangle“, bestehend aus


dem BMW Group Technology Office in Palo Alto, dem BMW Group
Testcenter in Oxnard und BMW Group Designworks, intensiv mit den
Entwicklungen in Silicon Valley, behält aber gleichwohl auch neue Trends
zu Formen, Konzepten und Lifestyle im US-Markt genau im Auge. Das
BMW Group Technology Office in Tokio konzentriert sich primär auf
Entwicklungen im Consumer-Electronics-Bereich. Ein weltweit aufgestell-
tes Netzwerk von Technologiescouts sorgt für kontinuierliche Beobach-
tung der technologischen Landschaften in den Hotspots dieser Welt. Die
Erkenntnisse und Informationen aus all diesen Quellen finden durch das
Technologieresearch dann gebündelt und aufbereitet Eingang in die Fach-
bereiche der BMW Group.

Innovationskommunikation

Technologisch sind Innovationen stets definierbar und klar zu beschreiben.


Aber wie können komplexe Entwicklungen mit klaren Analogien und Be-
griffen belegt werden, sodass der Kunde das Wesen und den Nutzen der je-
weiligen Innovation sofort und ohne lange Erklärungen versteht? Diese
Aufgabe hat die Innovationskommunikation innerhalb der Innovationsim-
pulse. Dabei geht es sowohl um die Kommunikation mit internen Partnern
wie auch um ein schlüssiges Kommunikationskonzept zur Außendarstel-
lung von Innovationen, des Innovationsmanagements und der Sicherstel-
lung der Innovationsführerschaft. Ein weiterer wichtiger Baustein der In-
70 Martin Ertl

novationskommunikation ist die oben erwähnte Virtuelle Innovationsagen-


tur (VIA)2: Sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen können ihre Ent-
wicklungen der BMW Group vorstellen und haben somit die Chance, dass
ihre Ideen Eingang in das Innovationsmanagement der BMW Group fin-
den. Die Fachabteilungen bei der BMW Group prüfen die eingehenden
Ideen auf ihren Innovationsgehalt und geben teilweise sehr detailliertes
Feedback. Seit Implementierung dieses Tools im Jahr 2000 zeigen die
konstant steigenden Einreichungen, dass diese Möglichkeit des Austau-
sches ein erfolgreicher und innovativer Weg der Kommunikation mit an
der BMW Group interessierten Personen außerhalb des Unternehmens ist.

Innovationskultur

Abschließend bearbeitet das Team Innovationsimpulse das Feld der Inno-


vationskultur. Innovationskultur lässt sich nicht in Prozesse gießen oder
per Beschluss starten – Innovationskultur entwickelt sich und wird durch
Persönlichkeiten, Motivation und Chancen bei gleichzeitig klaren Spielre-
geln für alle geprägt. Die BMW Group lässt hier Freiheiten ganz bewusst
zu und gewährt den Fachbereichen deshalb zum Beispiel auch die Mög-
lichkeit, dafür Mittel im Rahmen von Innovationsprojekten zu verwenden.
So entstehen auch ohne Wissen der Unternehmensführung immer wieder
interessante Ansätze und teilweise sogar ganze Modellreihen. Genau auf
diese Art und Weise wurde zum Beispiel durch eine Gruppe überzeugter
und motivierter Karosserieentwickler das erste 3er-Touring-Modell quasi
in Eigenregie entwickelt, obwohl im Vorfeld die Chancen aus Sicht des
klassischen Bewertungsprozesses als zu gering eingeschätzt wurden. Zur
BMW-typischen Innovationskultur gehört es dann aber auch, den Mut die-
ser Personen anzuerkennen und die trotz eines anders lautenden Unterneh-
mensbeschlusses ergriffene Initiative nicht zu sanktionieren – mit Erfolg,
denn heutzutage sind die Touring-Modelle aus der Produktpalette nicht
mehr wegzudenken.

4.3.1 Innovationssteuerung

Von der Komponenten- zur Funktionsorientierung

Wie an früherer Stelle bereits erwähnt, sind ein innovatives Produkt und
das strategische Ziel der Innovationsführerschaft nur durch innovative Pro-
zesse und Umfelder zu erreichen. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen hat

2 Siehe www.bmwgroup.com/via.
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 71

die BMW Group deshalb die Entwicklungsorganisation 2003 grundlegend


modifiziert und den Schritt von einer Komponentenorientierung, bei der
die Entwicklung der jeweiligen Bausteine wie Motor, Fahrwerk oder Ka-
rosserie im Fokus stand, hin zu einer Funktionsorientierung aus Kunden-
sicht vollzogen. Die Funktion stellt folglich das Bindeglied zwischen dem
Kunden einerseits und der Technik/Komponente andererseits dar.
Dies bedeutet, dass kundenwerte Funktionen entwickelt werden wie bei-
spielsweise das Fahrerlebnis oder ein Fahrerarbeitsplatz. Dieser Matrixan-
satz bedeutet auf der anderen Seite, dass die Fachbereiche enger verzahnt
und besser abgestimmt denn je eine gesamthafte Entwicklung der Fahr-
zeugkomponenten erbringen müssen.

Fachgremien

Die Funktionsorientierung steht bei der Innovationsentwicklung an erster


Stelle. Doch wie wurde dieses Prinzip organisatorisch umgesetzt? Für die
Entwicklung der einzelnen Komponenten sind nach wie vor die Spezialis-
ten einer Fachabteilung verantwortlich; gleichzeitig wird das übergeordne-
te, globale Betrachtungsprinzip der Funktionsorientierung gefordert. Die
Lösung dieses Konfliktes liegt in der Bildung von interdisziplinär besetz-
ten Fachgremien, die die identifizierten Funktionsfelder repräsentieren. In
diesen Fachgremien sind aber neben den Spezialisten aus verschiedenen
Entwicklungsbereichen auch von Beginn an Vertreter der Bereiche Marke-
ting, Unternehmensstrategie und Finanzen vertreten. Geleitet wird jedes
dieser Fachgremien von einem erfahrenen Mitglied des Senior Manage-
ments und einem Vertreter der Innovationssteuerung.

Innovationsauswahlprozess

Der Prozess der Innovationssteuerung beruht im Prinzip auf einer Art Ge-
waltenteilung zwischen Budget- und Entscheidungskompetenz zu den je-
weiligen Innovationsvorhaben. In einem genau definierten jährlichen Pro-
zess werden zunächst in Abstimmung mit der Strategie bestimmte Schwer-
punkte des Innovationsprogramms definiert und mit den Leitern der Fach-
bereiche und Fachgremien vereinbart. In der zweiten Phase sind dann die
Fachbereiche aufgefordert, Innovationsideen zu sammeln und ent-
sprechend aufbereitet in den Fachgremien einzureichen. In der dritten Pha-
se werden diese Vorschläge auf den strategischen Fit und Innovationsge-
halt hin überprüft und entsprechend priorisiert. Nach einem gremienüber-
greifenden Priorisierungsprozess werden die entsprechend ausgewählten
Einreichungen schließlich durch die Innovationssteuerung budgetiert und
72 Martin Ertl

als Projekt für das Folgejahr freigegeben. Hier beginnt die Monitoring-
und Controllingaufgabe der Innovationssteuerung in technischer und bud-
getärer Hinsicht. Parallel dazu beginnt ein ebenfalls durch das Innovations-
management gesteuerter Businessplanprozess bis hin zum Serienanlauf,
dessen Detaillierungsgrad von Meilenstein zu Meilenstein zunimmt und so
die Wirtschaftlichkeit einer Innovation zu jedem Zeitpunkt des Prozesses
dokumentiert und sicherstellt.

4.3.2 Innovationstransfer

Der Innovationstransfer nimmt im Rahmen des Innovationsmanagements


die abschließende Stufe ein. Wie erwähnt wird der Entwicklungsprozess
von Modellreihen und Innovationskomponenten zunächst bewusst ge-
trennt, um für die Innovationen ein geschütztes Umfeld bis zur Prototypen-
reife zu gewährleisten. An dieser Stelle setzt nun das Innovationstransfer-
management ein und gewährleistet einen sauberen Übergang der Innovati-
on in die Modellreihe.
Das Innovationstransfermanagement stellt in Absprache mit den Ent-
wicklern der jeweiligen Modellreihen ein mögliches Innovationsangebot
unter Berücksichtigung strategischer Handlungsbedarfe, der geforderten
Fahrzeugeigenschaften und möglicher Einsatztermine zusammen. Dieses
Paket wird dann gemeinsam hinsichtlich der Realisierungschancen, mög-
licher technischer Risiken und in Hinsicht auf den strategischen Fit disku-
tiert und entschieden.
In der Phase des Transfers ist die Risikominimierung beim Einsatz einer
Innovation eine der zentralen Aufgaben: Aufgrund des fortgeschrittenen
Stadiums der Gesamtentwicklung einer Modellreihe steigen mögliche Än-
derungskosten exponentiell an, da meist eine Kettenreaktion in den von-
einander abhängigen Systemen ausgelöst wird. Der bereits zur Steuerungs-
phase begonnene Businessplanprozess tritt hier nun in den Mittelpunkt und
zeigt die wirtschaftlichen Auswirkungen jeglicher Veränderung der Rand-
bedingungen klar und detailliert auf.
4. Das Innovationsmanagement der BMW Group 73

Marktrisiko

hoch

CHECK? STOP STOP


(Marktforschung)

PUSH! CHECK? STOP


(Markt/F&E)

PUSH! PUSH! CHECK?


(Machbarkeitsstudie)

niedrig Technologisches
niedrig hoch Risiko
Quelle: Martin Ertl

Abb. 4.4. Die Risikomanagement-Matrix

Parallel wird die Innovation hinsichtlich des Differenzierungsan-


spruches des jeweiligen Modells im Wettbewerbsumfeld bewertet und kri-
tisch hinterfragt, sodass auch hier noch ggf. eine entscheidende Änderung
des bisherigen Vorgehens bzw. der Innovationssubstanz eingeleitet werden
kann.
Abschließend prüft das Transfermanagement die sinnvolle Verwendung
einer Innovation in weiteren/parallelen Fahrzeugprojekten, sodass die an-
fangs erwähnten Skaleneffekte zu einer Verbesserung der Wirtschaftlich-
keit führen.

4.4 Zusammenfassung

Der Innovationswettlauf der Fahrzeugindustrie wird weitergehen, wenn-


gleich sich künftig die einzelnen Hersteller noch mehr auf einige wenige
zur Unternehmensstrategie passende Schlüsseltechnologien und darauf ba-
sierende Kerninnovationen konzentrieren werden.
Steigende Komplexität, technologischer Fortschritt, klare Einschrän-
kungen seitens Politik und Umwelt, ein stetig steigender Anspruch des
Kunden bei gleichzeitig endlichen Preisen für die jeweiligen Fahrzeugseg-
mente – all diese Faktoren bilden ein spannendes Umfeld, in dem die
(geistige) Flexibilität der Hersteller, nicht nur die Grenzen des technisch
Machbaren weiter zu verschieben, sondern auch nahe liegende Wünsche
74 Martin Ertl

durch einfache Innovationen zu erfüllen, ganzheitlich gefordert sein wird.


Nur so lassen sich Wettbewerbsvorteile durch eine Differenzierung der
Marken und ihrer Produkte erarbeiten.
Die Rahmenbedingungen scheinen also klar, die künftigen Leitwölfe der
Segmente werden nicht durch Größe, sondern durch die beste Interpretati-
on und Umsetzung des Wortes Innovation in Marken, Produkte, Kultur,
Prozesse und Organisationen definiert. Die BMW Group hat die Weichen
hierfür rechtzeitig gestellt und ist, wie auch die Innovationspreise der letz-
ten Jahre (OCI Award 2002, Best Innovator Award 2004) zeigen, bestens
aufgestellt, die Innovationsführerschaft im Premiumsegment der Fahrzeug-
hersteller weiter auszubauen.
5. Strategisches Innovationsmanagement eines
Technologiekonzerns
am Beispiel der JENOPTIK AG

Alexander von Witzleben

Die JENOPTIK AG hat nach der deutschen Wiedervereinigung als Abwicklungs-


fall ohne Produkte und Vertriebskanäle angefangen und erzielt heute als größtes
ostdeutsches Industrieunternehmen jährlich Umsätze von über zwei Mrd. Euro.
Einziges Startkapital waren hochqualifizierte Fachkräfte und ein Bestand an Im-
mobilien – Grundstock des Technologie-Clusters Jena. Ohne einen nicht ab-
reißenden Strom an Innovationen im Bereich von Technologien und Dienstleis-
tungen wäre dieses Wachstum unvorstellbar gewesen. Der Erfolg der Innovations-
kultur basiert dabei auf folgenden fünf Säulen: (1) richtige Auswahl der Organisa-
tions- und Finanzstruktur, (2) Investition in eigene Forschungs- und Entwick-
lungsaktivitäten, (3) intensive Kooperationen mit Forschungsinstituten, Unter-
nehmen und öffentlichen Einrichtungen, (4) Unternehmensstandort und (5) Ergän-
zung des Technologieportfolios durch gezielte Akquisitionen.

5.1 Einführung

150 Jahre Erfahrung mit optischen Technologien am Standort Jena einer-


seits und der Zusammenbruch der betrieblichen Strukturen im Rahmen der
deutschen Wiedervereinigung andererseits bilden zwei Kernpunkte der
Analyse des wirtschaftlichen Erfolgs der JENOPTIK AG. Die Bedeutung
und die Erfolgsfaktoren des strategischen Innovationsmanagements für die
JENOPTIK AG können nicht hinreichend transparent werden, wenn man
die historische Ausgangslage nicht mit im Blick hat. Daher steht am An-
fang der Analyse ein kurzer Abriss der Unternehmensgeschichte, der erst
deutlich werden lässt, welche Hindernisse überwunden werden mussten,
um den heutigen Hightech-Konzern entstehen zu lassen.
Die JENOPTIK AG hat ihre Wurzeln in der Mitte des 19. Jahrhunderts
in Jena gegründeten Firma Carl Zeiss. Nach dem Zweiten Weltkrieg wur-
den aus der Substanz der Jenaer Firma im Westen Deutschlands zwei Fir-
men gegründet: In Oberkochen die Carl Zeiss AG und in Mainz die Schott
AG. Carl Zeiss in Jena nahm hingegen in der damaligen sowjetischen Be-
satzungszone und späteren DDR einen eigenen Lauf, nachdem jedoch zu-
76 Alexander von Witzleben

vor fast 90 Prozent der noch vorhandenen Produktionsanlagen demontiert


und in die Sowjetunion verfrachtet wurden. Trotzdem wurde der VEB Carl
Zeiss Jena eines der wichtigsten Technologieunternehmen im ehemaligen
Comecon-Wirtschaftsgebiet, nämlich ein Betrieb, der bis zur deutschen
Wiedervereinigung im Jahre 1990 auf fast 70.000 Mitarbeiter DDR-weit
angewachsen war und von einfachen optischen Produkten bis hin zu Aus-
rüstungen für die Halbleiterindustrie alles unter einem Dach vereinte. Ei-
nen Schwerpunkt bildete dabei auch die Militärtechnik.

Startbedingungen der JENOPTIK GmbH 1991

Zum 1. Juli 1990 wurde das Unternehmen umgewandelt in die Carl Zeiss
Jena GmbH, die sich im hundertprozentigen Eigentum der Treuhandanstalt
Berlin befand. Die Firma, das war allen Beteiligten seinerzeit klar, hatte in
der Form, in der sie vor dem 30. Juni 1990 bestanden hatte, keine Chance
zu überleben. Im Rahmen verschiedener Verhandlungen hatten sich der
Freistaat Thüringen, das Bundesland Baden-Württemberg und die Treu-
handanstalt darauf geeinigt, dieses große Unternehmen zu zerschlagen.
Zwischen den genannten Parteien wurde 1991 ein Staatsvertrag besiegelt.
Dieser sah im Wesentlichen vor, dass eine künftige Jenoptik den Jenaer
Immobilienbesitz des ehemaligen Kombinates und diejenigen Technolo-
giebereiche am Standort Jena, die sich mit Halbleiterentwicklung und Mi-
litärtechnik beschäftigten, sowie die gesamten Altschulden übernehmen
solle.
Das, was man 1990 als überlebensfähig und überlebenswürdig erachtete,
konnte sich der westdeutsche Betrieb Carl Zeiss Oberkochen im Zuge ei-
nes Asset-Deals, also über eine so genannte Einzelrechtsnachfolge, heraus-
kaufen. Der so herausgekaufte Betrieb wurde „Carl Zeiss Jena GmbH“, der
verbleibende Betrieb „JENOPTIK“ genannt, damals noch „JENOPTIK
GmbH“. Es ist heute von Bedeutung zu sagen, dass man damals nur Carl
Zeiss Jena für überlebensfähig hielt. Die JENOPTIK GmbH sollte jener
Betrieb sein, der letzten Endes die Reste des alten Kombinates abwickeln
und bis Mitte der neunziger Jahre liquidiert sein sollte. Zur Unterstützung
der Liquidationsaufgaben stellte die Treuhandanstalt seinerzeit 3,6 Mrd.
DM zur Verfügung. Dieses Geld stand allerdings nicht für den Aufbau von
Produktionsanlagen und Produkten zur Verfügung, sondern floss fast voll-
ständig in die Tilgung der Altschulden, die Sozialpläne für den Rückbau
des Personals, die Auszahlung der Pensionsansprüche und die Loslösung
der an die Carl Zeiss Oberkochen verkauften Betriebsteile (JENOPTIK
AG 1997). Eine Weiterführung der JENOPTIK GmbH als eigenständiges
Unternehmen war zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Der Umsatz
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 77

betrug nur noch rund 10 Mio. Euro und wurde zu 90 Prozent mit dem Ver-
kauf von Materialien erzielt, die noch auf Lager waren.
Die JENOPTIK startete im Juli 1991 mit 27.000 Mitarbeitern in die
neue Zeit. 17.000 Mitarbeiter wurden im September 1991 entlassen, heute
arbeiten am Standort Jena knapp 1.200 Mitarbeiter bei JENOPTIK. Im Ok-
tober 1991 übernahm Lothar Späth die risikoreiche Aufgabe des Vorsit-
zenden der Geschäftsführung der neugegründeten JENOPTIK GmbH. In
den ersten Jahren des Aufbaus hatte das Unternehmen eine Doppelfunkti-
on: Neben den Restrukturierungsaufgaben am Standort Jena musste ein ei-
genes Geschäft aufgebaut werden. Trotz vieler hoch qualifizierter Mitar-
beiter fehlten bekannte Markenprodukte und Vertriebskanäle nämlich voll-
ständig.
Im Ergebnis wurden beide Ziele erreicht. Die JENOPTIK hat die über-
nommenen Technologien weiter entwickelt und über Akquisitionen wichti-
ger Betriebe in Westdeutschland ihr Geschäft ergänzt und ausgebaut. 1998
wurde sie mit einer neuen Struktur über einen Börsengang privatisiert. Der
Freistaat Thüringen, der zuvor 100 Prozent der Anteile gehalten hatte, be-
sitzt heute noch knapp 15 Prozent. Seit 1998 ist die JENOPTIK ein ganz
normales börsennotiertes deutsches Unternehmen. Heute gehören eine gro-
ße Zahl von Kleinaktionären und rund 30 Prozent ausländische institutio-
nelle Investoren zu den Aktionären.
Die JENOPTIK AG setzt sich aus zwei Unternehmensbereichen zusam-
men: Der Unternehmensbereich Photonics Technologies ist im Kern der
alte Jenaer Bereich mit heute ungefähr 1.200 Mitarbeitern in Jena. Hier
werden Hochleistungs-Optiken, Laser- und Sensorsysteme entwickelt und
produziert. Ergänzt wurden die Jenaer Betriebe durch verschiedene Akqui-
sitionen in Westdeutschland mit heute rund 1.400 Mitarbeitern. Photonics
arbeitet seit Jahren hoch profitabel und kann ein zweistelliges Umsatz-
wachstum ausweisen.
Der zweite Unternehmensbereich sind die Clean Systems Technologies.
Er gehört zu den Weltmarktführern beim Bau von Halbleiterfabriken und
sonstigen komplexen Gebäuden und Produktionsanlagen, besonders für die
Elektronikindustrie. Er bietet auch technische Dienstleistungen rund um
Gebäude und Liegenschaften an – und das global. Derzeit arbeiten welt-
weit rund 6.600 Mitarbeiter für Clean Systems.
78 Alexander von Witzleben

5.2 Technologie-Cluster Jena

5.2.1 Merkmale eines Technologie-Clusters

Unter Clustern werden geografische Konzentrationen miteinander ver-


flochtener Unternehmen und Institutionen einer bestimmten Branche ver-
standen (Porter 1998). Cluster bestehen also nicht nur aus mehreren Unter-
nehmen einer spezifischen Branche, sondern auch aus Anbietern branchen-
spezifischer Infrastrukturdienstleistungen, spezialisierten Beratungsgesell-
schaften, Universitäten und Forschungsinstituten mit einschlägigen For-
schungsschwerpunkten sowie privatwirtschaftlichen, städtischen oder re-
gionalen Institutionen, die sich die Förderung einer bestimmten Branche
auf die Fahnen geschrieben haben. Damit bieten Cluster-Unternehmen die
Möglichkeit, lokale Netzwerke zu bilden, wodurch wiederum der kontinu-
ierliche Austausch von Wissen und Informationen und der Aufbau von
Kooperation gefördert wird. Die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile
schaffen die Basis für Produktivitätsfortschritte und Innovationen und sti-
mulieren neue Unternehmensgründungen bzw. ziehen neue Cluster-Teil-
nehmer an. Traditionelle Standortfaktoren, wie zum Beispiel die Nähe zu
Rohstoffen oder Infrastrukturvorteile, verlieren dagegen an Bedeutung
(Bartsch 2001).
Vor diesem Hintergrund kann Jena zu Recht als Technologie-Cluster
oder „Optical Valley“ von Deutschland bezeichnet werden:
- Mit der JENOPTIK AG, der Carl Zeiss Jena GmbH und der Schott
JENAer GLAS GmbH sind drei der größten deutschen Anbieter von
optischen Technologien am Standort Jena präsent.
- Jena verfügt mit seiner Universität und seiner Fachhochschule über
ein Reservoir von rund 500 Professoren und 25.000 Studenten.
- Durch die umfangreichen industriellen Aktivitäten am Standort be-
sitzt Jena einen großen Stamm an qualifizierten Mitarbeitern aus den
Bereichen Optik und Biotechnologie. Jeder Dritte der 50.000 Arbeit-
nehmer in Jena besitzt einen Hochschulabschluss.
- Zusätzlich sind acht international anerkannte Forschungsinstitute in
der Stadt angesiedelt, darunter sind mit dem Fraunhofer-Institut für
Angewandte Optik und Feinmechanik, dem Institut für Physikalische
Hochtechnologie und dem Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-For-
schung industrienahe Wissenschaftsinstitute mit dem Schwerpunkt
optische Technologien.
Wichtig ist auch die gute infrastrukturelle Anbindung der Stadt. Auf-
grund der hervorragenden geografischen Lage im Zentrum Deutschlands
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 79

können Berlin, Frankfurt/Main oder München in weniger als drei Stunden


erreicht werden. Die Stadt liegt in unmittelbarer Nähe zum Hermsdorfer
Kreuz, wo sich die Autobahnen A9 (München-Berlin) und A4 (Frankfurt/
Main-Dresden) kreuzen. Im Fernstreckennetz der Deutschen Bahn ist Jena
Haltepunkt der ICE-Strecke München-Berlin. Und schließlich liegt der In-
ternationale Flughafen Leipzig nur eine Autostunde entfernt.
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass Jena zwischen 1997
und 2003 als einzige ostdeutsche Großstadt ein Bevölkerungswachstum
(+1,3 Prozent) aufwies.

5.2.2 Belege für den Erfolg des Technologie-Clusters Jena

Jena kann als gutes Beispiel dafür dienen, dass die Cluster-Theorie auch
praktische Relevanz hat. Viele Kennzahlen deuten darauf hin, dass die
Häufung positiver Standortfaktoren tatsächlich zu wirtschaftlicher Prospe-
rität und Wachstumsdynamik führt.
- Die Wirtschaftsleistung Jenas stieg zwischen 1997 und 2003 um
25,1 Prozent und damit deutlich stärker als der Bundesdurchschnitt
von 10,1 Prozent.
- Die Exportquote der Jenaer Industrie betrug 2004 46,2 Prozent und
lag damit fast doppelt so hoch wie die des Bundeslandes Thüringen
mit 27,4 Prozent.
- Mit 58 Industriearbeitsplätzen pro 1.000 Einwohner findet sich Jena
deutlich über dem Durchschnitt Thüringens in Höhe von 39 Arbeits-
stellen.
- Sieben der zehn börsennotierten Unternehmen aus Thüringen haben
ihren Sitz in Jena.
- Die Arbeitslosenquote betrug im Juni 2005 12,4 Prozent und erreicht
damit einen der niedrigsten Stände in Ostdeutschland. Die Ver-
gleichszahlen für Thüringen und Sachsen betragen 16,5 bzw.
17,9 Prozent. In allen fünf ostdeutschen Bundesländern betrug die Ar-
beitslosenquote im Durchschnitt 18,5 Prozent.
- Am Ende kommt auch mehr von diesem Wohlstand bei den Arbeit-
nehmern an. Das Durchschnittseinkommen im Jenaer produzierenden
Gewerbe lag 2004 mit 2.963 Euro um 44 Prozent über dem Landes-
durchschnitt von Thüringen.
80 Alexander von Witzleben

5.3 Erfolgreiche Unternehmensentwicklung der


JENOPTIK am Technologiestandort Jena

Mit einem Umsatz von über 2,5 Mrd. Euro im Jahr 2004 konnte die JEN-
OPTIK AG ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 31 Prozent steigern.
Zu diesem Wachstum trugen beide Unternehmensbereiche, Photonics und
Clean Systems, bei.
Der Unternehmensbereich Photonics unterteilt sich in die Geschäftsfel-
der Elektro-Optik und Elektromechanische Systeme. Die JENOPTIK be-
herrscht im Geschäftsfeld Elektro-Optik die photonische Kette von der Er-
zeugung und der Manipulation bis zur Erfassung und Nutzung von Licht.
In den Bereichen Lasertechnik, Optik und Sensorsysteme entwickelt, fer-
tigt und vertreibt die JENOPTIK Komponenten, Module und Systemlö-
sungen bis hin zu kompletten Anlagen.
Im Geschäftsfeld Elektromechanische Systeme bietet JENOPTIK kom-
plexe technologische Lösungen für die Verteidigungs- und Ziviltechnik.
Schwerpunkt sind Entwicklung, Produktion und Anpassung von Geräten
und Systemen der Antriebs- und Stabilisierungstechnik. Mit einem Um-
satzanteil von 75 Prozent liefert die Verteidigungstechnik jedoch den deut-
lich größeren Beitrag zum Umsatz.
Auf den Geschäftsbereich Photonics entfielen 2004 Umsätze in Höhe
von 360 Mio. Euro, was einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 1999
entspricht. Die wichtigere Nachricht ist jedoch, dass dieses Wachstum je-
weils mit einer guten bis sehr guten Profitabilität erreicht werden konnte.
Seit 2000 liegt die EBIT-Marge immer bei 9 Prozent oder darüber. 2004
wurden ein EBIT von 34,5 Mio. Euro und eine EBIT-Marge von 9,6 Pro-
zent erzielt. Auch der langfristige Zielkorridor liegt bei 9 bis 10 Prozent.
Gut 56 Prozent der Umsätze werden im Ausland erzielt. Das zeigt, dass die
Technologien des Photonic-Bereiches im In- und Ausland Zuspruch bei
immer anspruchsvoller werdenden Kunden finden.
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 81

Umsatz EBIT
(in Mio. Euro) (in Mio. Euro)
500 50

>385
400 360 40

300 268 282 35 >35 30


262
236
28 27
200 163 179 25 20
21
100 10

9
7
0 0
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005e
Quelle: Alexander von Witzleben

Abb. 5.1. Kontinuierliches profitables Wachstum am Beispiel des Unternehmensberei-


ches Photonics Technologies (Quelle: JENOPTIK AG)

Im Unternehmensbereich Clean Systems befassen sich die Unternehmen


der M+W Zander Gruppe mit dem gesamten Lebenszyklus hochkomplexer
Produktionsanlagen und Gebäude – von der Planung, dem Bau und dem
technischen Gebäudemanagement bis hin zum Betrieb. M+W Zander ist in
den Geschäftsfeldern Facility Engineering und Facility Management tätig.
Auf den Geschäftsbereich Clean Systems entfielen 2004 Umsätze in Höhe
von 2.150 Mio. Euro und ein EBIT von 46 Mio. Euro. Die EBIT-Marge er-
reichte damit 2,1 Prozent.
Besonders deutlich wird der anhaltend hohe Innovationsbedarf am Bei-
spiel des Unternehmensbereiches Photonics. Hier werden ausnahmslos
Hightech-Produkte hergestellt, mit denen in vielen Anwendungen techno-
logisches Neuland betreten wird und die oft weltweit einmalig in ihrer Art
sind. Beispiele dafür sind die Hochleistungs-Diodenlaser aus industrieller
Fertigung mit einer Lebensdauer von 20.000 Stunden oder so genannte
Rendezvous- und Docking-Sensoren für die europäische Raumfahrt.

5.4 Strategisches Innovationsmanagement als Grund-


lage für anhaltendes Unternehmenswachstum

5.4.1 Fünf Säulen des Innovationsmanagements

Langfristiges profitables Wachstum auf internationalen Märkten mit Hoch-


technologie-Produkten erfordert einen nicht abreißenden Strom an Innova-
tionen im Bereich von Technologien und Dienstleistungen. Im Bereich der
internationalen Industriekunden erodieren Marktanteile schnell: Marken-
treue spielt nur eine geringe Rolle und die meisten Technologien sind
82 Alexander von Witzleben

grundsätzlich substituierbar, da der Industriekunde vorrangig an der Lö-


sung eines Problems bei niedrigen Kosten und hoher Fertigungsqualität in-
teressiert ist. Die Art der dafür verwandten Technologie ist zweitrangig.
Die Einzelgesellschaften des Unternehmensbereiches Photonics operie-
ren mit spezialisierten Produkten überwiegend auf Nischenmärkten und
sind daher auf globale Absatzmärkte angewiesen. Im Umkehrschluss hat
sich auf der Nachfragerseite aber auch schon das Global Sourcing durch-
gesetzt, sodass jeder Anbieter Wettbewerbern aus allen Teilen der Welt ge-
genübersteht. Für Gesellschaften, die vom Standort Deutschland aus ope-
rieren, ergibt sich damit die zusätzliche Herausforderung, die standortbe-
dingten höheren Produktionskosten durch überlegene Produkteigenschaf-
ten auszugleichen.
Bei der JENOPTIK AG ist das Innovationsmanagement daher eine zen-
trale Aufgabe der Unternehmensleitung. Der Erfolg der Innovationskultur
basiert dabei auf fünf Säulen:
- Organisations- und Finanzstruktur
- Eigene Forschung und Entwicklung
- Kooperationen
- Unternehmensstandort
- Ergänzung des Technologieportfolios durch Akquisitionen

5.4.2 Organisations- und Finanzstruktur

Die JENOPTIK AG ist als Technologieholding strukturiert. Die Holding-


gesellschaft ist verantwortlich für die strategische Unternehmensentwick-
lung und entlastet die Tochtergesellschaften von einer Reihe von Zentral-
funktionen. Insbesondere stellt sie die Finanzierung des Gesamtkonzerns
sicher und verbessert dadurch Finanzierungskonditionen und die Finanz-
ausstattung der Tochtergesellschaften insgesamt. Erst die Zusammenfas-
sung der technologischen Aktivitäten in einer Holding ermöglicht die Inan-
spruchnahme der Kapitalmärkte. Als börsennotiertes Unternehmen konnte
die JENOPTIK in der Vergangenheit die gesamte Palette der Finanzie-
rungsinstrumente nutzen und beispielsweise eine Kapitalerhöhung, eine
Unternehmensanleihe und eine Wandelanleihe am Kapitalmarkt platzieren.
Insgesamt ist dadurch die Unternehmensfinanzierung vergleichsweise un-
abhängig von dem Finanzierungsvermögen und -gebaren der Banken, die
mit der Kreditfinanzierung von innovativen Technologieunternehmen zu-
nehmend Schwierigkeiten haben. Zusätzlich haben die von der JENOPTIK
AG gegebenen Finanzierungsinstrumente den Vorteil, dass sie dem Unter-
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 83

nehmen langfristig zur Verfügung stehen und damit geeignet sind, techno-
logische Entwicklungen vorzufinanzieren, die nicht unmittelbar Rückflüs-
se generieren. Neben der Langfristigkeit der Kapitalaufnahme haben die
Instrumente der Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien und der
Wandelanleihe den Vorteil, dass sie entweder sofort oder bei Wandlung ri-
sikotragendes Eigenkapital sind und die Eigenkapitalquote des Unterneh-
mens verbessern. Die damit einhergehende Verbesserung von Bonität und
Rating erhöht in der Zukunft die Finanzierungsspielräume des Unterneh-
mens weiter. Zwar ist eine solide Unternehmensfinanzierung im engeren
Sinn kein Bestandteil des Innovationsmanagements, sie ist jedoch zentrale
Voraussetzung dafür, dass sich Innovationen planvoll gestalten lassen.
Die Holdingstruktur hilft auch dabei, Kostensynergien zu schaffen, in-
dem gewisse Funktionen wie IT-Services, Personaldienstleistungen oder
Facility Management auf einzelne Gesellschaften konzentriert werden.
Weitere Kostenvorteile entstehen, wo es sinnvoll ist, durch die Zusammen-
fassung von Einkaufsprozessen und die sich daraus ergebenden deutlich
verbesserten Konditionen bei Zulieferern.
Neben Finanzierungs- und Kostenvorteilen bietet der zwischen den Hol-
dingunternehmen geförderte Austausch von Informationen über Technolo-
gien, Märkte und Kunden einen schwerer messbaren, aber dennoch nicht
zu unterschätzenden, fühlbaren Nutzen für die Tochterunternehmen. So
kann bei der Erschließung neuer Märkte im Ausland auf die Erfahrung und
oft sogar auf die Infrastruktur der Tochtergesellschaften zugegriffen wer-
den. Die Ansprache von Kunden gestaltet sich deutlich einfacher, wenn
diese bereits langjährige gute Kontakte mit einem anderen Unternehmen
aus dem gleichen Konzern pflegen. Außerdem verbessert der Auftritt unter
einer gemeinsamen Marke, obwohl im Industriekundengeschäft weniger
wichtig als im Endkundengeschäft, die Wahrnehmung bei den Kunden.
Der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in den letzten Jahren hat be-
dauerlicherweise auch dazu geführt, dass besonders junge und kleine Un-
ternehmen im Wettbewerb um die Belieferung von größeren Kunden
häufig unterliegen, da die Abnehmer das vermeintlich höhere Risiko des
plötzlichen Ausfalls eines neuen oder weniger großen Lieferanten nicht zu
tragen bereit sind. Für die Einzelgesellschaften der JENOPTIK-Gruppe
bringt hier die Zugehörigkeit zu einem börsennotierten Konzern mit
2,5 Mrd. Euro an Umsätzen und knapp 10.000 Mitarbeitern einen entschei-
denden Vorteil im Standing gegenüber neuen Kunden.
In Summe bietet die Holdingstruktur also wesentliche Vorteile für inno-
vative Technologieunternehmen, die sich besser auf ihre wesentlichen
Aufgaben konzentrieren können. Dafür erhalten die Tochterunternehmen
84 Alexander von Witzleben

weitgehende Eigenverantwortung für das operative Geschäft sowie für die


Forschung und Entwicklung. Deutlichster Ausdruck der Eigenverantwor-
tung ist das bewusste Führen der Tochtereinheiten als rechtlich selbständi-
ge Einzelgesellschaften mit eigenen Geschäftsführungen. So gelingt die
Synthese zwischen mittelständischer Flexibilität und Kundennähe der Ein-
zelgesellschaften bei gleichzeitiger Ausnutzung von Skaleneffekten durch
den Konzernverbund.
Sehr bewährt hat sich auch die Übung, die Leitung der Tochtergesell-
schaften in die Hände von zwei Führungskräften zu legen, die jeweils ei-
nen kaufmännischen bzw. einen technologischen Erfahrungshintergrund
haben. Durch dieses „Vier-Augen-Prinzip“ verfestigt sich die betriebswirt-
schaftliche Ausrichtung der unternehmerischen Aktivität, ohne die überle-
benswichtige Notwendigkeit der fortlaufenden Innovation aus den Augen
zu verlieren.
Die Vielfalt der Märkte, in denen sich die JENOPTIK AG mit ihren spe-
zialisierten Produkten bewegt, erfordert eine hohe Flexibilität des Manage-
ments vor Ort. Daher gehört die Leitung mit quantifizierten Zielvereinba-
rungen ohne feste Vorgabe des Lösungsweges zu den Führungsgrundsät-
zen im JENOPTIK-Konzern. Diese auch beim Militär bewährte „Auftrags-
taktik“ gibt den Geschäftsführungen der Tochtergesellschaften weitge-
hende Freiheit bei der Erarbeitung marktgerechter Strategien zur Errei-
chung der vorgegebenen ökonomischen Ziele.
Der Vorstand der Holdinggesellschaft und die Geschäftsführungen der
Tochtergesellschaften sind für die operative Führung des Geschäftes ver-
antwortlich. Im Hinblick auf die mittel- bis langfristige Technologie- und
Marktstrategie wird der Konzern jedoch zusätzlich vom Wissenschaftli-
chen Beirat der JENOPTIK AG begleitet und beraten. Der Wissenschaftli-
che Beirat ist mit hochkarätigen Wissenschaftlern aus anwendungsnahen
Forschungsinstituten und aus Kundenbranchen sowie mit Führungskräften
der Jenoptik besetzt. Er ist ein weiteres Beispiel dafür, wie mithilfe der Or-
ganisationsstruktur die Innovationstätigkeit gefördert werden kann.
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 85

Institute mit Vertretern im wissenschaftlichen Beirat der JENOPTIK AG

• IPHT Institut für Physikalische Hochtechnologie e.V., Jena


• Technische Universität Ilmenau, Fakultät für Elektrotechnik, Ilmenau
• Technische Universität Dresden, Fakultät für Elektrotechnik, Dresden
• Universität Stuttgart, Institut für Mikroelektronik, Stuttgart
• Fraunhofer Institut für angewandte Optik und Feinmechanik, Jena
• Steinbeiß-Stiftung, Stuttgart
• Technische Universität Ilmenau, Fakultät für Elektrotechnik und
Informationstechnik, Ilmenau
• Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Optik und
Quantenelektronik, Jena
• Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung, Magdeburg
• Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, Stuttgart
• Hermsdorfer Institut für Technische Keramik e.V.

Quelle: Alexander von Witzleben

Abb. 5.2. Wissenschaftlicher Beirat der JENOPTIK AG

In der Vergangenheit hat er wertvolle Impulse zum Beispiel zum Aus-


bau der Geschäftsfelder Sensorik und Laser gegeben. Der Beirat tagt zwei-
mal jährlich über zwei volle Tage und vertieft seine Tätigkeit in speziellen
Arbeitsgruppen, die noch häufiger tagen. Die derzeit bestehenden neun Ar-
beitsgruppen befassen sich, je nach Erfordernis, im Detail mit einer be-
stimmten Technologie und ihrer Anwendung in Zukunftsmärkten und be-
ziehen weitere Experten mit ein. Dieses zeitintensive Verfahren gewähr-
leistet einerseits einen intensiven Gedankenaustausch und andererseits in-
haltlich verwertbare Ergebnisse, auch durch die Einbeziehung von Fach-
kräften der zweiten Leitungsebene des Konzerns in die Arbeitsgruppen.
Das Ohr am Markt hat die JENOPTIK AG ebenfalls durch ihre Beteili-
gung an der Deutschen Effecten- und Wechsel-Beteiligungsgesellschaft
AG (DEWB AG) mit Sitz in Jena. Die DEWB AG ist ein kleiner, auf op-
tische Technologien spezialisierter Venture-Capital-Geber, der sich in den
vergangenen acht Jahren bereits an 53 jungen Technologieunternehmen
beteiligt hat. Bis 2002 war die DEWB AG Teil des JENOPTIK-Konzerns,
wurde dann aber im Zuge der Fokussierung auf die beiden Kerngeschäfts-
felder Photonics und Clean Systems aus dem Konzern ausgegliedert. Heu-
te hält die JENOPTIK AG noch rund 34 Prozent der Aktien. Durch die
Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Venture-Capital-Gesellschaft nimmt die
JENOPTIK auch an der Erörterung der Technologieinvestitionen der Ge-
sellschaft teil und hat damit Einblick in die Geschäftsmodelle vieler junger
potenzieller Wettbewerber der Zukunft.
86 Alexander von Witzleben

5.4.3 Eigene Forschung und Entwicklung

Technologie ist für die JENOPTIK ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die


zweite Säule des Innovationsmanagements bilden daher umfangreiche ei-
genständige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Im Jahr 2004 wur-
den im Unternehmensbereich Photonics 7 Prozent der Umsatzerlöse in
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten investiert. Rechnet man die Auf-
tragsentwicklungsleistungen für Kunden mit hinzu, die in den Umsatzkos-
ten ausgewiesen werden, erhöht sich die Forschungs- und Entwicklungs-
quote auf mindestens 11,5 Prozent. Damit gehört die Gesellschaft zu den
besonders forschungsintensiven deutschen Unternehmen.
Um die Forschungsgelder effizient zu verwenden, hat die JENOPTIK
sich auf drei Themengebiete fokussiert: Laser, Optik und Sensorik. Im Be-
reich Laser werden vor allem neue Wirkungsprinzipien, wie zum Beispiel
Scheibenlaser und Hochleistungs-Diodenlaser, vorangetrieben. Die For-
schung im Bereich Optik konzentriert sich auf die unsichtbaren Bereiche
des Lichts, wie zum Beispiel UV-Licht, Infrarotlicht und binäre Optiken.
Der Bereich Sensorik ist wiederum ausgerichtet auf industrielle Anwen-
dungen von Mess- und Prüftechniken.
Als Querschnittstechnologie werden optische Technologien in einer
Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen und Industrien eingesetzt. Die
Aufteilung des Teilkonzerns Photonics in mehrere Einzelgesellschaften,
die auf spezifische Technologien und Abnehmermärkte ausgerichtet sind,
trägt dieser Komplexität Rechnung und ermöglicht eine intensivere Kun-
dennähe auch der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Grundsätzlich
sind deswegen die Einzelgesellschaften für ihr Forschungs- und Entwick-
lungsbudget sowie dessen Aufteilung auf einzelne Forschungsprojekte
alleine verantwortlich. Dennoch sind sich alle Mitarbeiter bewusst, dass sie
vom Wissensschatz, der Erfahrung oder technologischen Ausstattung und
Expertise ihrer Kollegen in den anderen Forschungsbereichen profitieren
können. Damit der Wissensaustausch nicht dem Zufall überlassen bleibt,
hat die Gesellschaft die so genannte „F&E-Plattform“ eingeführt, die vom
Bereich Unternehmensentwicklung gesteuert wird. Auf den Plattformtref-
fen kommen die Leiter der Forschungs- und Entwicklungsbereiche der
Einzelgesellschaften zwei- bis viermal im Jahr zusammen und diskutieren
über inhaltliche und methodische Ansätze ihrer jeweiligen Forschungs-
und Entwicklungsschwerpunkte.
Im Unternehmensbereich Photonics arbeiten 548 Mitarbeiter in Berei-
chen der Forschung und Entwicklung. Somit arbeitet mehr als jeder fünfte
der ca. 2.600 Mitarbeiter direkt in der Forschung und Entwicklung. Auch
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 87

außerhalb der direkten Forschungsbereiche ist die Qualifikation der Ange-


stellten hoch. Mehr als 60 Prozent der Mitarbeiter im Unternehmensbe-
reich verfügen über einen Hochschulabschluss. Für alle Mitarbeiter gibt es
maßgeschneiderte Aus- und Weiterbildungsprogramme, in deren Rahmen
ihre Innovationskraft gezielt weiterentwickelt wird. Das Programm für
„young professionals“ und das mittlere Management enthält speziell ent-
wickelte Bausteine zum Innovationsmanagement.

5.4.4 Kooperationen

Die dritte und vermutlich noch an Bedeutung gewinnende Säule des Inno-
vationsmanagements sind Kooperationen. Trotz mehr als 500 Mitarbeitern
in Forschung und Entwicklung kann nicht jedes Thema selbst erforscht
und nicht jedes interessante Produkt im Alleingang an den Markt gebracht
werden. Die JENOPTIK AG kooperiert mit Hochschulen und Forschungs-
einrichtungen, Unternehmen und der öffentlichen Hand.
Im Mittelpunkt der Kooperation mit Hochschulen und Forschungsein-
richtungen steht die sehr enge Zusammenarbeit mit der Physikalisch-As-
tronomischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, dem
Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik, dem Institut
für Physikalische Hochtechnologie und dem Hans-Knöll-Institut für Natur-
stoff-Forschung. Hier wird eine Reihe gemeinsamer Forschungsprojekte
zur Entwicklung neuer Technologien durchgeführt. Die Zusammenarbeit
zwischen den Unternehmen und den am Standort ansässigen Forschungs-
einrichtungen hat bereits eine jahrzehntelange Tradition.
Dagegen haben die weltweiten Kooperationen zwischen der JENOPTIK
AG und Zulieferern, Mitbewerbern oder Abnehmern besonders in den letz-
ten Jahren sehr an Bedeutung gewonnen und sollen hier mit einigen Bei-
spielen illustriert werden:
Gemeinsam mit USHIO, Japans führendem Hersteller von hochwertigen
Lichtquellen, Bauteilen und Systemen, entwickelt die JENOPTIK in einem
Joint Venture Hochleistungs-Strahlquellen mit der Extreme-Ultra-Violet-
Technologie (EUV), die für die Herstellung zukünftiger Chip-Generatio-
nen verwendet werden können. USHIO und JENOPTIK AG halten beide
jeweils 50 Prozent der Anteile an der XTREME technologies GmbH. Die
Beteiligung und die enge Zusammenarbeit mit USHIO stärkt das interna-
tionale Know-how rund um die EUV-Entwicklung und verbessert den Zu-
gang zu den asiatischen Märkten, in denen wichtige Halbleiterausrüster be-
heimatet sind. Die Quellenentwicklung wird durch XTREME nun sowohl
88 Alexander von Witzleben

in Deutschland als auch arbeitsteilig im Rahmen der Kooperation in Japan


durchgeführt.
Mit der in Liechtenstein beheimateten HILTI AG, einem der größten
und renommiertesten Unternehmen der Baubranche weltweit, hat die JEN-
OPTIK-Tochter JENOPTIK Laser, Optik, Systeme GmbH im Jahr 2002
eine langfristige Entwicklungs- und Produktionspartnerschaft geschlossen.
Im Januar 2003 wurde dann das Joint-Venture-Unternehmen Hillos GmbH
in Jena gegründet. Hier entwickelt und produziert JENOPTIK für HILTI
die weltweit führenden Laserdistanzmessgeräte und Positioniergeräte für
den Bau. Eine Serienfertigung mit allen dafür notwendigen Anforderungen
an die Logistik und Qualitätssicherung hat die JENOPTIK in den vergan-
genen Jahren auf- und ausgebaut und damit auf dem Gebiet der Massenfer-
tigung im Hochtechnologiebereich wichtiges Wissen erworben. Für HILTI
war es besonders wichtig einen Partner zu finden, der technologische
Spitzenleistung vorweisen kann und über Entwicklungs- wie Fertigungs-
Know-how verfügt. Für die JENOPTIK konnten durch das Joint Venture
die erheblichen Investitionen in Fertigungsausrüstung abgesichert und ein
langfristiger Vertriebsweg für innovative und maßgeschneiderte Produkte
gefestigt werden. Seit 2002 konnte durch das erfolgreiche Joint Venture
der Mitarbeiterstamm von 23 auf 95 Arbeitnehmer nahezu vervierfacht
werden.
Mit dem Weltmarktführer für Industrie-Laser TRUMPF GmbH & Co.
KG besteht seit Jahren eine enge Kooperation bei der Weiterentwicklung
von Hochleistungs-Diodenlasern. Die JENOPTIK Laserdiode GmbH ent-
wickelt, fertigt und vertreibt Hochleistungs-Diodenlaser. Diese neuartigen
Laser bieten einen hohen Wirkungsgrad aus sehr kleinem Volumen. Sie
werden vor allem als Anregungsquelle für Festkörperlaser eingesetzt und
dienen als direkte Strahlquelle in der Medizintechnik und Materialbearbei-
tung. TRUMPF ist mit 25,1 Prozent an der JENOPTIK Laserdiode GmbH
beteiligt. Die enge Partnerschaft mit einem der größten Abnehmer sichert
der Jenoptik langfristige Vertriebsmöglichkeiten und wertvolle Rückmel-
dungen aus den Anwendungsgebieten der Technologie, die unmittelbar in
die Weiterentwicklung der Produkte einfließen können.
In der Tochtergesellschaft Jena-Optronik GmbH sind die Aktivitäten für
die Raumfahrt zusammengefasst. Die sehr langfristig ausgelegte Raum-
fahrtentwicklung ist ohne Kooperationen gar nicht vorstellbar, daher ko-
operiert die Jena-Optronik seit Jahren eng mit den verschiedenen Raum-
fahrtgesellschaften bei der Systementwicklung beispielsweise für die inter-
nationale Raumstation ISS oder anderen europäischen Raumfahrtprojekten
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 89

wie zum Beispiel Epidemio und unterhält intensive Kontakte zu den ver-
antwortlichen staatlichen Stellen.
Als letztes Beispiel für die Bedeutung von Kooperationen zwischen Un-
ternehmen kann die Kooperation zwischen dem US-amerikanischen Unter-
nehmen Spectra Physics und der Jenoptik-Tochter JENOPTIK Laser, Op-
tik, Systeme GmbH zu Herstellung, Vertrieb und Service von Scheibenla-
sern dienen. Jüngstes Ergebnis dieser Kooperation ist die gemeinsame Ent-
wicklung eines neuen tragbaren Lasers für die Kriminaltechnik.

5.4.5 Unternehmensstandort

Die vierte Säule des Innovationsmanagements ist die Auswahl des Unter-
nehmensstandortes und die stetige Weiterentwicklung der Standortqualitä-
ten in Zusammenarbeit mit allen Standort-Stakeholdern im Sinne einer
Corporate Social Responsibility.
Die oben beschriebenen positiven Standortfaktoren von Jena tragen
ohne Zweifel dazu bei, ein Klima der Innovation, des Engagements für die
Belange der optischen Industrie und der Bereitschaft zum offenen Wis-
sensaustausch zu schaffen. Obwohl die Wissenschaft die endgültige For-
mel für die Maximierung der Innovationskraft von Unternehmen und
Standorten noch nicht gefunden hat, steht außer Zweifel, dass harte Fakten
wie die über 450-jährige Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität
Jena, 150 Jahre Unternehmensgeschichte der JENOPTIK oder die Ansied-
lung von über 2.000 Forschern auf dem Beutenberg-Campus in Jena die
Innovationskraft eines Standortes fördern. Dies zeigten ja bereits die
Kennzahlen in Kapitel 5.2.2.
Nicht zu unterschätzen ist deshalb die starke Präsenz der Hochschulen
am Standort Jena. Jüngste Studien der Fachhochschule Jena zur regional-
ökonomischen Wirkung von Hochschulen belegen, dass der Wissenstrans-
fer zwischen Hochschulen und Wirtschaft über eine Vielzahl von Kanälen
erfolgt und über 50 Prozent aller „Wissenstransferleistungen“ der Hoch-
schulen mittlerweile nach außen gerichtet sind. Zentrales Ergebnis dieser
Studie ist, dass „informelle Aktivitäten ... beim faktischen Wissenstransfer
eine zentrale Rolle spielen“ (Gerlach, Sauer und Stoetzer 2005), womit
deutlich wird, dass der Sitz eines Unternehmens für das offenbar überwie-
gend informelle Zustandekommen des Wissenstransfers eine große Bedeu-
tung hat.
Die Standortwahl hat auch entscheidenden Einfluss auf die Möglichkei-
ten eines Unternehmens Fachkräfte zu rekrutieren. So verfügt der Standort
90 Alexander von Witzleben

Jena traditionell bereits über ein großes Reservoir an Fachkräften im Be-


reich der optischen und elektrotechnischen Industrie. Der bereits erwähnte
Umstand, dass mit JENOPTIK AG, Carl Zeiss Jena GmbH und Schott
JENAer GLAS GmbH drei der größten deutschen Anbieter von optischen
Technologien am Standort Jena präsent sind, erleichtert zusätzlich den
Austausch von Fach- und Führungskräften. Und schließlich macht die
Vielzahl der positiven weichen Faktoren am Standort die Anwerbung von
Fachkräften aus allen Teilen des Bundesgebietes leichter.

5.4.6 Ergänzung des Technologieportfolios durch


Akquisitionen

Ebenfalls in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat die Ergänzung


des Technologieportfolios der Gesellschaft, wo Eigenentwicklungen zu
zeitaufwändig oder teuer waren bzw. wo die übernommenen Unternehmen
bereits eine gute Marktstellung für sich aufbauen konnten. Die Motive des
Unternehmens für derartige Akquisitionen sind vielfältig. Die wichtigsten
Ziele sind jedoch der Aufbau eines globalen Marktzugangs und die Ab-
sicherung von Vertriebskanälen für vorhandene Produkte, die Einbindung
strategisch wichtiger Lieferanten sowie der Ausbau des Produktportfolios
innerhalb der Fokussierung auf Laser, Optik und Sensorik. Drei Beispiele
aus der jüngeren Vergangenheit sollen der Illustration dienen:
Die JENOPTIK Laser, Optik, Systeme GmbH hat im Frühjahr 2005
51 Prozent der Anteile an der Eisenacher Photonic Sense GmbH erworben.
Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Herstellung und den Vertrieb
von Grundkomponenten aus hochwertigem optischen Germanium und Sili-
zium. Mit dem Erwerb der Mehrheit an der Gesellschaft sichert sich JEN-
OPTIK den Zugang zu diesen für optische Komponenten wichtigen
Grundmaterialien. Die Germanium- und Siliziumkristalle werden von Pho-
tonic Sense in Kristallzüchtungsanlagen entsprechend einer neuen und ori-
ginalen Technologie gezogen und anschließend durch CNC-gesteuerte
Fräs-, Schleif- und Sägeprozesse zu Planoptiken, Linsen und Spiegeln wei-
terverarbeitet. Optische Komponenten aus Germanium und Silizium finden
vor allem Anwendung in Nachtsichtgeräten, Thermo- und Überwachungs-
kameras und der Pyrometrie (berührungslose Temperaturmessung), beson-
ders in der Automobil-Sensorik, Medizin und für Hochleistungs-Laser. Als
Mehrheitsbeteiligung der JENOPTIK Laser, Optik, Systeme GmbH wird
Photonic Sense künftig verstärkt in weitere Kristallzuchtanlagen investie-
ren. Zudem wird das mittelständische Unternehmen vor allem bei großen
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 91

und internationalen Kunden von der Zugehörigkeit zur JENOPTIK-Gruppe


profitieren.
Mitte 2005 hat ebenfalls die JENOPTIK Laser, Optik, Systeme GmbH
alle Anteile an der INNOVAVENT GmbH übernommen. Das junge Göt-
tinger Forschungs- und Entwicklungsunternehmen erarbeitet Verfahren,
Prozesse und Optiksysteme für Laseranwendungen in Industrie und Wis-
senschaft. Schwerpunkt der Forschungen und Entwicklungen ist die Inte-
gration von Festkörperlasern in Systeme und Anlagen für die Mikro-Mate-
rialbearbeitung. Die Laserstrahlquellen sowie die Hochleistungs-Optiken
für diese Systeme und Anlagen bezog INNOVAVENT bereits vorher von
der JENOPTIK. In den kommenden Jahren soll in die neue Gesellschaft
investiert werden. Kernpunkt wird die Forschung und Entwicklung neuer
industrieller Verfahren auf Basis der JENOPTIK-Lasertechnik und –Hoch-
leistungs-Optiken sein. Damit soll sich INNOVAVENT zu einem wichti-
gen Bindeglied zwischen der Entwicklung neuer Laser- und Optiktechno-
logien bei JENOPTIK und ihrem Einsatz in der Industrie entwickeln und
Kunden den Zugang zu innovativen Laseranwendungen erleichtern. Das
Göttinger Unternehmen unterhält bereits heute eine Reihe von Kooperati-
onen und Forschungspartnerschaften zu internationalen Unternehmen und
Universitäten. Darüber hinaus ist JENOPTIK mit der neuen Gesellschaft
am Laser- und Optikstandort Göttingen präsent.
Bereits Ende 2003 hat die JENOPTIK ihre Optiksparte im Unterneh-
mensbereich Photonics um den Bereich Kunststoffoptiken durch die Ak-
quisition von 100 Prozent der Unternehmensanteile an der Wahl Optoparts
GmbH erweitert. Das Unternehmen mit Hauptsitz im thüringischen Triptis
ist spezialisiert auf die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von
kundenspezifischen optischen Komponenten sowie optomechanischen und
optoelektronischen Baugruppen aus Kunststoff. Mit der Übernahme der
Wahl Optoparts erschließt sich für den JENOPTIK-Konzern ein neues
wachstumsstarkes Technologiefeld. Der Einsatz von Kunststoffoptiken in
optischen Geräten und Systemen zählt zu den wichtigsten künftigen
Wachstumstreibern bei optischen Technologien. Grund dafür ist zum einen
ihre kostengünstige Produktion. Zum anderen sind sie auch leichter als Op-
tiken aus Glas und damit attraktiv für einen Einsatz in Systemen und Gerä-
ten, die ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten dürfen oder sollten.
Eingesetzt werden Kunststoffoptiken in Mobiltelefonen und digitalen Ka-
meras sowie im industriellen Bereich in der Medizin-, Automobil- und der
Beleuchtungstechnik.
Wahl Optoparts zählt zu den in Europa führenden Anbietern von Kunst-
stoffoptiken. Die Linsen, Prismen, Mikrolinsen und mikrostrukturierten
92 Alexander von Witzleben

optischen Bauelemente werden von Wahl Optoparts im Spritzgussver-


fahren hergestellt. Der Erwerb der Kunststofftechnologie bietet vielseitige
Synergiepotenziale für die JENOPTIK. Mit der Akquisition erweitert sie
ihr Produktportfolio in der Optiksparte. Wahl Optoparts profitiert von den
JENOPTIK-Kompetenzen im Unternehmensbereich Photonics im Optik-
design, der optischen Messtechnik, bei Beschichtungstechnologien sowie
im Bereich der Heißprägetechnologie. Darüber hinaus birgt das Kunst-
stoff-Know-how weitere vielseitige technologische Ansatzpunkte im Un-
ternehmensbereich Photonics. In Verbindung mit der JENOPTIK-Kompe-
tenz auf dem Gebiet der Sensorik sollen in Zukunft verstärkt die Automo-
bil- und Life-Sciences-Industrie angesprochen werden.

5.5 Zusammenfassung

Der Erfolg der Innovationskultur im JENOPTIK-Konzern basiert auf den


fünf Säulen: richtige Auswahl der Organisations- und Finanzstruktur, In-
vestition in eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, intensive
Kooperationen mit Forschungsinstituten, Unternehmen und öffentlichen
Einrichtungen, Unternehmensstandort Technologie-Cluster Jena und Er-
gänzung des Technologieportfolios durch gezielte Akquisitionen. Damit
wird deutlich, dass Innovationen sich nicht mit einfachen und eindimensio-
nalen strukturellen Anpassungen dauerhaft fördern lassen, sondern dass ein
komplexes System aus Voraussetzungen von der Unternehmensleitung ge-
steuert werden muss, um dauerhaft zu den Innovations-Champions gehö-
ren zu können. Die spezifische Ausprägung der einzelnen Erfolgsfaktoren
ist dabei laufend zu überprüfen und permanent anzupassen. Während eini-
ge Faktoren, wie zum Beispiel der Unternehmensstandort oder die Unter-
nehmensstruktur, von Natur aus relativ stetig sein müssen, sind andere Er-
folgsfaktoren, wie zum Beispiel Kooperationen und Akquisitionen, regel-
mäßig auf ihren Beitrag zur Innovationskultur hin zu überprüfen. Deutlich
wird auch, dass innovative Unternehmen nach allen Seiten hin eine über-
durchschnittliche Offenheit entwickeln müssen. Nur so sind sie attraktive
Partner für Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Zulieferern oder
Kunden und empfänglich für den oft informellen Wissenstransfer am Un-
ternehmensstandort. Offenheit und Flexibilität sind zugleich wichtige Vor-
aussetzungen, um Akquisitionen erfolgreich zu integrieren und die vorhan-
denen Synergiepotenziale optimal auszuschöpfen.
5. Strategisches Innovationsmanagement eines Technologiekonzerns 93

5.6 Literatur

Bartsch, C. (2001). Marktorientierte Entwicklung von Industriestandorten – Ein


Ansatz unter besonderer Berücksichtigung von Agglomerativeffekten, Disser-
tation, Leipzig.
Gerlach, A. / Sauer, T. / Stoetzer, M.-W. (2005). Formen und regionale Verteilung
des Wissenstransfers von Hochschulen. Eine repräsentative Fallstudie für
Jena. Manuskript.
JENOPTIK AG (Hrsg.) (1997). Bilanz der Aufbaujahre, Unternehmenspublikati-
on, Jena.
Porter, M.E. (1998). Clusters and the new economies of location. In: Harvard
Business Review, 76(6): 77-90.
Teil III: Transfer technologischen Wissens in
Produkte in KMUs

6. Innovieren leicht gemacht …


mit den richtigen Führungskräften und unterstützenden
Werkzeugen

Andres Sander

Innovationsmanagement hat viele Facetten und Perspektiven. Hier geht es um die


Rolle von Führungskräften im Innovationsmanagement. Anhand des vorgestellten
Kompetenzprofils kann man geeignete Führungskräfte finden oder Führungskräfte
mit Potenzial zu Innovationsmanagern aufbauen. Darüber hinaus werden Werk-
zeuge beschrieben, die eine auf Innovation ausgerichtete Unternehmenskultur för-
dern. Gute Führungskräfte wissen die Werkzeuge und ihre Mitarbeiter erfolgreich
weiterzuentwickeln und richtig einzusetzen. Dazu gehört, ein Umfeld mit Freiräu-
men zu schaffen und gleichzeitig zielorientierte Leistung zu fordern und wertzu-
schätzen. Dieser Beitrag ist ein Erfahrungsbericht aus der Entwicklung der Basler
AG.

6.1 Einführung

Die ersten Schritte zu einem lebendigen Innovationsprozess können klein


sein. In kleinen Organisationsprojekten können nach und nach Prozesse,
Strukturen und Werkzeuge erarbeitet und eingeführt werden. Vorausset-
zung dafür ist die Trägerschaft durch das Top-Management sowie ein
funktionierendes Projektmanagement, das die Umsetzung sicherstellen
kann.
Der Innovationsprozess fordert von allen Mitarbeitern stetig einsetzbare,
kurzfristige Flexibilität sowie Änderungsfähigkeit und -bereitschaft. Um
solch häufige Änderungen bewältigen zu können, brauchen die Mitarbeiter
langfristige Perspektiven und Stabilität. Diese Stabilität muss durch das
Management hergestellt werden, zum Beispiel hinsichtlich der Unterneh-
96 Andres Sander

mensvision, der Unternehmenskernwerte oder des Unternehmensstandor-


tes.
Aber die Veränderungen sind kein Selbstzweck. Es bleibt immer wich-
tig, das eigentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: den Kundenan-
forderungen gerecht zu werden und dadurch Wertschöpfung für das Unter-
nehmen zu generieren.

Um nachhaltig Wertschöpfung zu erzielen, müssen Innovationen aktiv,


dynamisch und individuell gesteuert werden. Dazu braucht ein innovatives
Unternehmen gute Führungskräfte. Die Leitungsqualitäten jeder einzelnen
Führungskraft bestimmen die Innovationsleistung des Unternehmens. Des-
halb ist es wichtig, die richtigen Führungskräfte zu identifizieren und zu
fördern.
Es gibt jedoch nicht „die“ gute Führungskraft. Jedes Unternehmen muss
für sich definieren, welche Kompetenzen eine gute Führungskraft im Kon-
text dieses Unternehmens braucht. Einen Ansatz liefert das nachfolgende
„Kompetenzprofil Führungskräfte“.
Sind die richtigen Führungskräfte identifiziert, kann ihre Arbeit durch
Werkzeuge effizienter und effektiver werden. Sie helfen, sich auf inhaltli-
che Aspekte der Arbeit, auf die eigentlichen Innovationen, zu fokussieren.
Einige mögliche Werkzeuge werden später vorgestellt. Jedes Unternehmen
kann die geeigneten Werkzeuge auswählen und Schritt für Schritt einfüh-
ren.

6.2 Kompetenzprofil Führungskräfte

Eine Führungskraft muss zwei Rollen gerecht werden. Zum einen muss sie
wirksam führen, d.h., für Ziele sorgen, organisieren, transparent entschei-
den, kontrollieren, Wertschätzung zeigen sowie Mitarbeiter richtig ein-
setzen und entwickeln (Malik 2003). Zum anderen dient sie als Vorbild.
Damit katalysiert die Führungskraft automatisch ihre Umgangsweise mit
Innovationen und Veränderungen und transportiert ihre Vision. Welche
Kompetenzen sollte also eine Führungskraft haben, damit die Innovations-
leistung des Unternehmens steigt?
Anhand des nachfolgend vorgeschlagenen Kompetenzprofils für innova-
tive Führungskräfte kann man für ein jegliches Unternehmen erarbeiten,
welche Kompetenzen notwendig sind, welche davon bei den (zukünftigen)
6. Innovieren leicht gemacht … 97

Führungskräften schon vorhanden sind und welche entwickelt werden


müssen.

Kompetenz „Zukunftsorientierung“

- Die Führungskraft kennt die Trends des Marktes, der Produkte, der
Dienstleistungen, der Technologien; sie will die Zukunft mit gestal-
ten; sie arbeitet für die Einzigartigkeit des Unternehmens.
- Sie blickt nach vorn, bekennt sich zur Relevanz von Innovationen, hat
ein klares Bild von der Zukunft und den Zielen des Unternehmens
und leitet für den Weg dorthin Maßnahmen ab.
- Sie hat eine klare Vision und ein eindeutiges Ziel für ihr Aufgabenge-
biet.

Kompetenz „Innovationsförderung“

- Die Führungskraft schafft ein kreatives innovationsförderndes Um-


feld. Die genaue Ausformung muss von der Führungskraft gestaltet
werden. (Es kann sich zum Beispiel um Diskussionsräume, Zeit-
schriften mit Innovationsnachrichten oder interdisziplinäre Zirkel im
oder außerhalb des Unternehmens handeln).
- Sie entwickelt und fördert innovative Ideen; sie setzt sich begeistert
für die Umsetzung innovativer Ideen ein. (Hat ein Mitarbeiter eine
gute Idee, so wird diese mit mindestens gleicher Priorität verfolgt wie
das Tagesgeschäft).

Kompetenz „Umgang mit Veränderungen“

- Die Führungskraft steht Veränderungen aufgeschlossen gegenüber;


sie führt notwendige Umgestaltungen zielstrebig und konsequent
durch. (Eine einfache und wirkungsvolle Änderung im Projektalltag
besteht darin, jeweils die Mitarbeiter räumlich eng zusammen zu set-
zen, die am gleichen Projekt arbeiten).
- Sie verfolgt die Dynamik des Umfeldes und des Marktes sowie die
wechselnden Randbedingungen von Projekten und reagiert mit sinn-
vollen Veränderungen. (Wenn z.B. der Markt eine neue Technologie
fordert, muss die Kompetenz für diese Technologie in der Abteilung
aufgebaut werden).

Kompetenz „Finanz- und betriebswirtschaftliches Management“

- Die Führungskraft stellt den Nutzen von innovativen technologischen


oder organisatorischen Projekten bzw. innovativen Veränderungen
98 Andres Sander

transparent dar; sie erstellt realistische, sachgerechte Budgets und


sorgt für deren Einhaltung. (Es ist möglich zu zeigen, dass Innovatio-
nen „sich rechnen müssen“).
- Sie weiß, welche Arbeiten zur Wertschöpfung beitragen, findet die
Ursachen von Verschwendung und setzt dieses Wissen in Kostenre-
duzierung oder Ergebnissteigerung um.

Kompetenz „Führungsverhalten“

- Die Führungskraft lebt die Unternehmenswerte und erfüllt die mit


ihrer Rolle verbundene Vorbildfunktion; sie ist inspirierender Visio-
när.
- Sie hat eine positive Einstellung und den Willen zum Erfolg; sie
schafft Vertrauen; sie führt situations- und mitarbeitergerecht; sie
führt individuell.
- Sie nutzt und fördert die Stärken der Mitarbeiter, entwickelt die Mit-
arbeiter im Hinblick auf neue Herausforderungen und setzt sie an der
richtigen Stelle ein; sie sorgt für die richtigen Arbeitsmittel, Instru-
menten- und Methodennutzungen.
- Sie definiert klare Aufgaben und Zuständigkeiten und delegiert Ver-
antwortung und Kompetenz; sie kommuniziert Entscheidungen klar;
sie verfolgt die Umsetzung und ergreift rechtzeitig Steuerungsmaß-
nahmen; sie demonstriert Wertschätzung für das Erreichen von Zie-
len, Hochleistungen, Engagement und Professionalität bei den Mitar-
beitern; sie ergreift geeignete Maßnahmen bei Leistungsdefiziten; sie
hat klare Erwartungen.

Kompetenz „Konfliktmanagement“

- Die Führungskraft geht mit Konflikten offen um und führt Konfliktlö-


sungen herbei; sie respektiert die Persönlichkeit des Einzelnen.
- Sie gibt offen klares Feedback und holt sich selbst aktiv Feedback
von anderen.

Kompetenz „Selbstführung“

- Die Führungskraft bewahrt in unklaren Situationen die Ruhe und


findet kreative Lösungen; sie wägt ab und geht intelligente Risiken
ein.
- Sie kennt die eigenen Stärken und Grenzen; sie hat Zivilcourage,
Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen; sie stellt ihre Position
6. Innovieren leicht gemacht … 99

klar, verständlich und überzeugend dar; sie diskutiert sachlich und er-
gebnisorientiert; sie hat Energie und breites Interesse.
- Sie nimmt herausfordernde Zielsetzungen an und richtet die Organi-
sation auf die Zielerreichung aus; sie ist langfristig stabil orientiert
und kurzfristig flexibel.
- Sie baut interne und externe Netzwerke auf und pflegt diese.
- Sie antizipiert Potenziale und führt die entscheidenden zum Erfolg.

Kompetenz „Globales Denken und Handeln“

- Die Führungskraft berücksichtigt die wichtigen weltweiten politi-


schen, sozialen, kulturellen, technologischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen.
- Sie schafft Bedingungen für ein optimales Adressieren internationaler
Märkte und Kunden; sie orientiert sich an neuem Kundennutzen.
Zur Steigerung der Innovationskraft im Unternehmen ist damit schon
ein wichtiger Schritt getan. Um eine dauerhafte Innovationsfähigkeit zu
sichern, können nun die Führungskräfte mit unterstützenden Werkzeugen
ausgestattet werden. Einige Werkzeuge, mit denen wir bei der Basler AG
sehr gute Erfahrungen gemacht haben, stelle ich im Folgenden vor. Ich
möchte die Leser einladen, daraus für ihr Unternehmen einen „Werkzeug-
kasten“ zusammenzustellen.

6.3 Werkzeuge und Methoden für eine


innovationsfördernde Führung

Feedback zu geben und Feedback zu holen ist der Kern jeder Führung und
Selbstführung. Durch Feedback erhalten Arbeitserfolge Wertschätzung;
Entwicklungen und Lernprozesse werden in Gang gesetzt. Es fördert den
offenen Umgang, beseitigt Störungen und schafft Vertrauen. In der Selbst-
führung fördert Feedback durch einen Abgleich von Selbst- und Fremdbild
die Authentizität.
Im Hinblick auf die Innovationsleistung beschleunigt Feedback den In-
novationszyklus durch schnelleres Aufdecken falscher Wege, Spaß an In-
novationen bei positivem Feedback und besseren Umgang mit Verände-
rungen durch Überwinden von Blockaden.
Die Bedeutung der Feedbackkultur für die Innovationsleistung spiegelt
sich in den nachfolgenden Werkzeugen wider. Fünf von sieben hier ge-
nannten Werkzeugen beschreiben Feedback in unterschiedlichen Kontex-
100 Andres Sander

ten. Neben dem allgemeinen „Feedback“, der offenen Kommunikation im


Alltag, können zur Unterstützung dieser Kultur im Unternehmen auch die
Werkzeuge „Mitarbeiterbeurteilungsgespräch“, „Mitarbeiterentwicklungs-
gespräch“, „Führungskräftebeurteilung durch die Mitarbeiter“ sowie der
„Austausch von Erwartungen“ zwischen Abteilungen oder Organisations-
einheiten genutzt werden. Hier wird der reine Feedbackaspekt erweitert
um das Treffen von Vereinbarungen und das Definieren von Zielen, das
Einleiten von Maßnahmen für die Zielerreichung sowie das Überprüfen
und Bewerten der Ergebnisse.
Die Werkzeuge zur Feedbackkultur werden danach noch ergänzt durch
die Punkte „Prozessdefinition“ im Hinblick auf das Qualitätsmanagement-
System des Unternehmens und „die Unternehmensuhr“ für eine kontinu-
ierliche Innovationsplanung.

6.3.1 Feedback

Das Feedback ist die tägliche Rückkopplungsschleife, die das Vorwärts-


kommen beschleunigt und Innovationszyklen deutlich verringert. Hier geht
es um das Feedback von/an Führungskräfte. Um Feedback geben und an-
nehmen zu können, sollten die folgenden Regeln beachtet werden.
Wer positives bzw. negatives Feedback gibt, sollte
- etwas Konkretes ansprechen (bei positivem Feedback kann dies eine
grundsätzliche Verhaltensweise sein, die an einem konkreten Beispiel
beschrieben wird; bei negativem Feedback ist es ein konkreter Einzel-
fall, der nicht wiederholt werden soll),
- eine zeitliche Nähe zum Ereignis/Verhalten einhalten,
- sich an der Sache orientieren und nicht die Person bewerten, sondern
das Verhalten ansprechen,
- Ich-Botschaften verwenden (z.B. „ich habe das so verstanden“, „bei
mir ist das so angekommen“),
- mit positiver Absicht Feedback geben.
Wer Feedback annimmt, sollte
- zuhören und sicherstellen, dass er verstanden hat,
- sich nicht rechtfertigen, keine Erklärungsversuche machen,
- sich für das Feedback bedanken und dessen positive Intention wür-
digen,
- nach dem Feedback die Inhalte allein für sich bewerten und Maß-
nahmen ableiten.
6. Innovieren leicht gemacht … 101

6.3.2 Mitarbeiterbeurteilungsgespräch

Das Ziel des Mitarbeiterbeurteilungsgespräches ist die Bewertung des An-


gestellten durch den Vorgesetzten. An diese Leistungsbeurteilung können
finanzielle Konsequenzen gekoppelt sein. Im Gespräch muss dem Mitar-
beiter transparent sein, anhand welcher Kriterien er beurteilt wird. Zum ei-
nen helfen hier eindeutige Stellenbeschreibungen, auf die die Beurteilung
sich bezieht. Zum anderen sollten zuvor Ziele vereinbart worden sein, de-
ren Erreichung im Gespräch bewertet wird. Wichtig sind hierbei die Klar-
heit und Messbarkeit dieser Ziele. Bewertungen sollten anhand von Bei-
spielen transparent gemacht werden. Am Ende des Gespräches steht die
Zielvereinbarung für den nächsten Beurteilungszeitraum. Ein angemesse-
ner Zeitraum für die Zielvereinbarungen ist in der Regel ein Jahr. Inner-
halb dieser Spanne sollte die Führungskraft dem Mitarbeiter in Feedback-
gesprächen häufige Rückmeldungen über seine aktuell erbrachte Leistung
geben.
In innovationsorientierten Unternehmen ist ein Aspekt der Zielvereinba-
rungen und Leistungsbewertungen der Anteil des Mitarbeiters an der Inno-
vationsleistung der Firma. Zielvereinbarungen in Bezug auf Innovations-
management beziehen sich überwiegend auf Verhaltensweisen des Mitar-
beiters, deren Messungen eher qualitativ erfolgen. Hat der Mitarbeiter
seine Fähigkeit, andere mitzureißen eingesetzt, um Veränderungen zu
blockieren oder für neue Chancen zu begeistern? Hat der Mitarbeiter ini-
tiativ Verbesserungsvorschläge erarbeitet oder hat er sich auf das Abarbei-
ten definierter Aufgabenpakete beschränkt? Hat der Mitarbeiter Erfin-
dungsmeldungen eingereicht? Hat der Mitarbeiter außerhalb des Unterneh-
mens ein Netzwerk aufgebaut (z.B. um Diplomarbeiten im Unternehmen
durchführen zu lassen)? Die klare Wertschätzung der Innovationsleistung
in den Beurteilungsgesprächen fördert beim Mitarbeiter die Bereitschaft
und den Willen zu künftigen Innovationsleistungen.
Die folgenden Fragen helfen der Führungskraft und dem Mitarbeiter,
sich auf das Gespräch vorzubereiten:
- Welche Hauptaufgaben waren für den Mitarbeiter geplant, welche
wurden ihm übertragen, warum gab es Abweichungen von der Pla-
nung, welche positiven und negativen Begleitumstände hatten Ein-
fluss? Was hat sich seit der letzten Beurteilung verändert?
- Gibt es hilfreichen Input für die Beurteilung von anderen, zum Bei-
spiel vom Projektleiter, Teamleiter etc.? Welche Feedbacks vom und
an den Mitarbeiter gab es im Beurteilungszeitraum?
102 Andres Sander

- Wie ist die Leistung des Mitarbeiters in Hinsicht auf die Qualität der
Ergebnisse, Arbeitsweise und -effizienz, Zusammenarbeit im Team,
Initiative, Innovation und vernetztes Handeln zu bewerten? Welche
konkreten Beispiele gibt es für die Bewertung?
Nachstehende Regeln, die auch bei anderen Gesprächen helfen, sind zu
beachten:
- Das Gespräch sollte zu einem für beide Seiten geeigneten Zeitpunkt
geführt werden, eine ausreichende Zeit muss einplant werden.
- Es muss dafür gesorgt werden, dass das Gespräch ohne Störungen
und in einer Umgebung stattfindet, in der sich beide Gesprächspartner
wohl fühlen.
- Es ist sicherzustellen, dass beide vorbereitet sind und Gesprächsunter-
lagen mitbringen (Notizen über die Vorbereitung, Ergebnisse des
letzten Gesprächs etc.).
- Beide Gesprächspartner müssen die Gelegenheit haben, ihre Meinung
darzustellen und zu vertreten, und es muss darauf geachtet werden,
dass beide Gesprächspartner diese Gelegenheit auch aktiv wahrneh-
men.
- Es sollte für einen positiven Gesprächsabschluss gesorgt werden,
auch wenn sich die Gesprächspartner nicht in allen Punkten einig
sind.
Das Mitarbeiterbeurteilungsgespräch muss dokumentiert werden. Es
eignen sich vorgefertigte „Leitfaden-Protokolle“, um eine Vergleichbarkeit
über mehrere Jahre sicherzustellen.

6.3.3 Mitarbeiterentwicklungsgespräch

Ziel des Mitarbeiterentwicklungsgespräches ist die Vereinbarung von Ent-


wicklungszielen zur Deckung der vom Unternehmen benötigten zukünfti-
gen Kompetenzen. Dabei sollen die Stärken und persönlichen Ziele des
Mitarbeiters berücksichtigt werden. Es geht darum, die langfristigen Kom-
petenzbedarfe des Unternehmens sicherzustellen und gleichzeitig eine
langfristige Perspektive für den Mitarbeiter zu schaffen. Damit wird eine
stärkere Mitarbeiterbindung gefördert, eine erhöhte Identifikation mit dem
Unternehmen und damit letztlich eine höhere Innovationsleistung des Mit-
arbeiters.
6. Innovieren leicht gemacht … 103

Das Gespräch sollte aus drei Teilschritten bestehen:

- einem Rückblick auf die bisherige Entwicklungsplanung und die


durchgeführten Maßnahmen zur Mitarbeiterentwicklung sowie deren
Erfolgsbewertung,
- einer Darstellung der langfristigen zukünftigen Planung aus Unter-
nehmenssicht und der Verortung des Mitarbeiters darin
- sowie der Ableitung des Entwicklungsbedarfs für den Mitarbeiter in
Verbindung mit möglichen Entwicklungsmaßnahmen.
Wichtig ist eine klare und prägnante Formulierung der Entwicklungszie-
le des Mitarbeiters. Dabei wird der Zeithorizont für die Zielerreichung de-
finiert und vereinbart, wie die Zielerreichung gemessen wird.
Ein Beispiel ist der Bedarf, Wissen über eine neue Technologie in das
Unternehmen zu holen. Hier können im Mitarbeiterentwicklungsgespräch
geeignete Mitarbeiter für diese Aufgabe identifiziert und Entwicklungs-
maßnahmen wie Seminare oder Praktika vereinbart werden.
Das konkrete Entwicklungsziel kann etwa darin bestehen, dass der Mit-
arbeiter Projekte mit einer Projektmanagement-Software planen kann. Da-
zu gehört, Arbeitspakete und ihre Dauer abzubilden, die Arbeitspakete in
einem Gantt-Diagramm darzustellen, den Arbeitspaketen Ressourcen zu-
zuordnen und den kritischen Pfad in einem Projekt zu verdeutlichen. Als
Maßnahme erfolgt eine Schulung durch einen externen Anbieter innerhalb
der nächsten fünf Monate. In der Woche nach der Schulung erhält der Mit-
arbeiter die Aufgabe, ein Projekt zu planen. Hierfür wird ihm unterstüt-
zend ein erfahrener Mitarbeiter als Mentor zur Verfügung gestellt. Zur Er-
folgskontrolle präsentiert der Mitarbeiter in der dritten Woche nach der
Schulung seine Projektplanung in einem Vortrag.
Auch das Mitarbeiterentwicklungsgespräch sollte einmal jährlich statt-
finden. Es empfiehlt sich, das Mitarbeiterbeurteilungs- und -entwicklungs-
gespräch zeitlich deutlich auseinander zu legen, um die Inhalte trennscharf
zu erarbeiten.

6.3.4 Führungskräftebeurteilung durch die Mitarbeiter

Von einer innovativen Führungskraft wird vorbildhaftes Verhalten und


Führen erwartet und die Offenheit, mit Feedback umgehen zu können. Es
ist aber nicht einfach für die Mitarbeiter, ihre Führungskraft offen zu beur-
teilen. Ein mögliches Werkzeug ist eine (anonyme) halbjährliche Fragebo-
genaktion, mit der alle relevanten Führungsaspekte abgefragt werden. Mit-
104 Andres Sander

hilfe des Fragebogens beurteilen die Mitarbeiter so ihre Führungskraft.


Auf Basis der Antworten und ihrer Veränderung im Laufe von mehreren
Befragungsintervallen kann die Führungskraft ihr Verhalten anpassen.
Der nachfolgende Fragebogen mit zwölf Kernfragen wird bei uns er-
folgreich angewendet. Er ist nicht ausschließlich auf das Führungsverhal-
ten ausgerichtet, sondern bezieht auch andere Aspekte der Mitarbeiterzu-
friedenheit mit ein. Überwiegend kann er aber herangezogen werden, um
das eigene Führungsverhalten bewerten zu lassen. Der Fragebogen ist die
Abwandlung einer Vorlage aus einer Studie der Gallup Organisation
(Buckingham und Coffman 1999). Die Fragen werden anhand eines Be-
wertungsschemas von 1 für „voll erfüllt“ bis 5 für „nicht erfüllt“ beantwor-
tet.
- Ich weiß, was an meinem Arbeitsplatz von mir erwartet wird.
- Ich verfüge über die nötigen Materialien und Arbeitsbedingungen, um
meine Arbeit gut und richtig auszuführen.
- Ich habe bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich
am besten kann.
- Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung
und Lob erhalten.
- Mein Vorgesetzter oder jemand anderes bei der Arbeit schätzt mich
als Mensch.
- Ich werde in meinem Unternehmen ermutigt, meine Stärken zu ent-
wickeln.
- In meinem Arbeitsumfeld hat meine Meinung Gewicht.
- Das Ziel und die Unternehmensphilosophie unserer Firma geben mir
das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist.
- Meine Kollegen fühlen sich verpflichtet und verantwortlich, Qualität
in ihrer Arbeit abzuliefern.
- Ich habe einen guten Freund/Kontakt in der Firma.
- In den letzten sechs Monaten hat jemand in meinem Unternehmen
mit mir über meine Fortschritte gesprochen.
- Ich hatte im letzten Jahr in meinem Unternehmen die Gelegenheit,
dazuzulernen und mich weiterzuentwickeln.
Für die Bewertung werden die zurückliegenden Messungen berücksich-
tigt. Ergibt sich beispielsweise für den zweiten Punkt eine Verschlechte-
rung, so ist ein besonderes Augenmerk auf die Arbeitsplatzausstattung zu
legen. Eine gute Arbeitsplatzausstattung fördert schnelle Ergebnisfindun-
gen und verringert Wartezeiten.
Oder: Ergibt sich für den vierten Punkt eine Verschlechterung, liegt das
vielleicht an mangelnder Kommunikation zwischen Führungskraft und
6. Innovieren leicht gemacht … 105

Mitarbeiter. Daraus kann folgen, dass der Mitarbeiter sich nicht ernst ge-
nommen fühlt, weil die Führungskraft nicht weiß, was der Mitarbeiter
macht und wie gut er es macht. Vielleicht verstecken sich hier aber auch
potenzielle Konflikte. Hier muss die Führungskraft Zeit investieren, um
dadurch die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters wieder zu erhöhen.
Neben dem Führungsaspekt, der durch den Fragebogen erkundet werden
kann, ist für eine innovative Führungskraft darüber hinaus vorbildhaftes
Verhalten im Umgang mit Innovationen und Änderungen wichtig (Steiger
und Lippmann 2003).
Eine gute Mitarbeiterführung führt zu einer emotionalen Bindung der
Mitarbeiter an das Unternehmen, mehr Spaß an der Arbeit, zu mehr Enga-
gement und letzten Endes zu mehr Innovationsleistung.

6.3.5 Austausch von Erwartungen

Was kann die Entwicklung vom Einkauf erwarten, was kann der Einkauf
von der Entwicklung erwarten? Zunächst scheint das einfach zu beantwor-
ten zu sein. Erst beim schriftlichen Fixieren wird deutlich, dass das Ver-
ständnis von Arbeitsinhalten und Zuständigkeiten in den Abteilungen deut-
lich verschieden sein kann.
Klarheit in den Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf allen Sei-
ten kann durch den Austausch von Erwartungen in Kombination mit der
Vereinbarung, die Erwartungen zu erfüllen, herbeigeführt werden. Der
glatte Durchfluss von Arbeitspaketen, Informationen und Material ohne
Reibungsverluste führt zu hoher Effektivität im Arbeitsalltag. Der Aus-
tausch von Erwartungen führt zu gegenseitigem Verständnis und bringt die
Schnittstellen näher zusammen. Erwartungen auszutauschen und darüber
zu sprechen ist ein mächtiges Werkzeug, um die Effektivität zu steigern.
Die ausgetauschten klaren Erwartungen können zudem als Hilfsmittel
für Feedbackgespräche über die eigene Abteilung hinaus herangezogen
werden. Die Hemmschwelle über Abweichungen zu sprechen, wird deut-
lich herabgesetzt, wenn auf eine schriftliche Absprache referenziert wer-
den kann.
Ich möchte hinzufügen, dass sich auch Erwartungen ändern können. In
diesem Fall müssen diese neuen Erwartungen transparent gemacht und
neue Vereinbarungen abgesprochen werden.
106 Andres Sander

6.3.6 Prozessdefinition –
Nutzung des Qualitätsmanagement-Systems

Ein auf die Unternehmensgröße ausgerichtetes Qualitätsmanagement-Sys-


tem ist Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf des operativen Ge-
schäftes. Die Prozesse müssen den sich stetig ändernden Randbedingungen
im Kontext des Unternehmensalltages angepasst und verbessert werden.
Aber welche Prozesse wirken sich auf die Innovationskraft des Unterneh-
mens förderlich aus? Und welches Werkzeug ist geeignet, auch die Quali-
tät der Prozesse zu bewerten?
Ein für Innovationen entscheidender Prozess bei technologielastigen
Unternehmen ist der Entwicklungsprozess (Cooper 2002). Für die Ände-
rung bestehender Produkte kann eine angepasste Version des Entwick-
lungsprozesses als Änderungsprozess verwendet werden.
Um die Kreativität und damit das Innovationspotenzial aller Mitarbeiter
geordnet nutzen zu können, wird ein Prozess zum Umgang mit innovativen
Ideen benötigt. Entscheidend dabei ist eine für alle Mitarbeiter zugängli-
che, einfache Vorgehensweise, Ideen äußern zu können. Hier bietet sich ei-
ne Ideeneingabe über eine Intranet-Oberfläche an. Wichtig ist bei einem
solchen Werkzeug eine transparente Beschreibung, was mit den einge-
brachten Ideen passiert, wie diese bewertet und ihre Umsetzung nachge-
halten wird. Patentfähige Ideen können durch einen Prozess zum Umgang
mit Erfindungsmeldungen erfasst werden.
Es ist nicht schädlich, weitere Prozesse parallel dazu anzubieten um si-
cherzustellen, dass alle Verbesserungsvorschläge ungebremst fließen kön-
nen. Hierzu gehören ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess für die Op-
timierung bestehender Produkte und Arbeitsabläufe, ein Prozess, der die
Verbesserung durch Vorschläge interdisziplinärer Qualitätszirkel steuert
und ein separater Prozess für Organisationsprojekte. Prozesse sollen hier-
bei nicht durch den Verwaltungsaufwand gebremst werden. Sie sollen ei-
nen beschleunigten, sicheren Ablauf gewährleisten. Deshalb müssen die
Prozesse selbst stetig auditiert und an die neuen Anforderungen angepasst
und verbessert werden.
Ideen oder Konzepte zur strategischen Weiterentwicklung des Ge-
schäftsmodells können über einen Prozess zur Eruierung potenzieller neuer
Geschäftsbereiche erfasst, bewertet und ausgearbeitet werden. Hierzu ge-
hören die zyklische Betrachtung von Megatrends und die Ableitung der
Relevanz für das eigene Unternehmen ebenso wie neue potenzielle Märkte
oder Produktbereiche, die sich aus Kundenanfragen oder Machbarkeitsstu-
6. Innovieren leicht gemacht … 107

dien ergeben. Dieser New-Business-Development-Prozess besteht im We-


sentlichen aus den Schritten Ideensammlung, Bewertung, Ausarbeitung,
erneute Bewertung und Entscheidung über die Fortführung. Die Kriterien
für die Bewertung und die Standardfragen für die erste Ausarbeitung soll-
ten unternehmensspezifisch formuliert werden.
Ideen für eine kurz- bis mittelfristige Planung können unter Zuhilfenah-
me dieser beispielhaften Fragen bewertet werden (Drucker 1993):
- Ist es einfach?
- Ist es klar eingegrenzt beschrieben?
- Ist es vorerst ein eingegrenzter, bestimmter Markt?
- Ist es heute innovativ?
- Passt es zu unseren Stärken?
- Können wir das schaffen?
- Ist es wichtig für uns?
- Trifft es die Kundenerwartungen?
- Verdienen wir damit Geld?
- Begeistert das Thema einen von uns?
Über diese ersten Werkzeuge zum Umgang mit innovativen Ideen hin-
aus steht in jedem Unternehmen die langfristige strategische Innovations-
planung an (Someren 2005). Hier geht es darum, gezielt die Einzigartigkeit
des Unternehmens herbeizuführen bzw. weiterzuentwickeln. Dazu muss
die reine kundenorientierte Produktinnovation um Bereiche wie Organisa-
tion, Prozesse, Menschen und Werte, Dynamik des Umfeldes sowie Part-
ner und Zulieferer erweitert werden. Innovationen, die mehrere dieser Be-
reiche einbeziehen, sind schwerer zu kopieren, da sie mit dem Unterneh-
menskontext in Verbindung stehen. Unternehmen haben die Chance, ein-
zigartig zu werden und zu bleiben, wenn sie die Erneuerung durch solche
Innovationen in ihrem eigenen Umfeld als stetigen Prozess implementiert
haben.

6.3.7 Die Unternehmensuhr –


kontinuierliche Innovationsplanung

Innovationen zu kreieren ist kein einmaliges Ereignis, sondern eine fort-


währende Aufgabe im Unternehmen. Ein Werkzeug zur Unterstützung der
zyklischen Auseinandersetzung mit Innovationsstrategien und Märkten ist
die Unternehmensuhr. In der Unternehmensuhr werden die in einem Jahr
aufeinander folgend anstehenden Aufgaben abgebildet als zyklischer Pro-
108 Andres Sander

zess zum Review der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und der
darauf aufsetzenden Maßnahmen.
Wichtige Themen der Unternehmensuhr sind
- die Überprüfung der strategischen Ausrichtung des Gesamtunterneh-
mens und die Beurteilung der bestehenden Geschäftsbereiche,
- die Geschäftsfelderweiterung durch neue Bereiche aus dem New-Bu-
siness-Development-Prozess sowie die Trennung von nicht wirt-
schaftlichen bestehenden Geschäftsfeldern,
- die Ableitung von Zielen aus der strategischen Ausrichtung,
- eine grobe Mehrjahresplanung für die kritischen Messgrößen des Un-
ternehmens,
- die Budgetplanung für das folgende Geschäftsjahr, die Aussteuerung
des Projektportfolios auf die strategischen Ziele und damit die Festle-
gung, in welchen Bereichen Innovationen durch Geld gefördert wer-
den,
- der Abgleich der Technologie-Roadmap und der Produkt-Roadmap,
- die Auswertung von Kennzahlen und die Überprüfung des Kennzah-
lensystems (z.B. über die Balanced Scorecard),
- Mitarbeiterbeurteilungs- und -entwicklungsgespräche.

6.4 Zusammenfassung

Mit den eigenen Führungskräften gibt es eine direkte und konkrete Mög-
lichkeit, die Innovationsleistung des Unternehmens zu steigern. Dazu kann
man im ersten Ansatz das hier vorgestellte Kompetenzprofil für innovative
Führungskräfte nutzen. Unser Vorschlag muss so abgewandelt werden,
dass er auf das jeweilige Unternehmen passt. Die einzelnen Aspekte des
Kompetenzprofils sollen nach den betreffenden Anforderungen gewichtet
werden. Dann wird der Anforderungskatalog mit den vorhandenen Kom-
petenzen der Führungskräfte abgeglichen. Als Ergebnis sind die geeigne-
ten Führungskräfte identifiziert und können richtig eingesetzt und geför-
dert werden.
Den Führungskräften müssen geeignete Werkzeuge mitgegeben werden,
um effizienter arbeiten zu können. Es ist wichtig, die Feedbackkultur im
Unternehmen zu fördern. Dafür können die hier genannten Werkzeuge ge-
nutzt werden, wie zum Beispiel die Führungsbeurteilung durch die Mitar-
beiter. Es ist dafür zu sorgen, dass Innovieren ein kontinuierlicher Prozess
ist, zum Beispiel mit der Einführung einer Unternehmensuhr.
6. Innovieren leicht gemacht … 109

Führungskräfte sind die entscheidenden treibenden Kräfte in Unterneh-


men. Im internationalen Vergleich sehen wir, dass eine Stärke der kleinen
und mittleren Unternehmen in Europa hoch qualifizierte selbstbewusste
Führungskräfte sind. Diese Stärke gezielt für strategische Innovationsleis-
tungen einzusetzen, eröffnet uns auch in Zukunft eine sichere Position im
globalen Kontext.

6.5 Literatur

Buckingham, M. / Coffman, C. (1999). First, break all the rules. New York:
Simon & Schuster.
Cooper, R.G. (2002). Top oder Flop in der Produktentwicklung. Weinheim:
Wiley.
Drucker, P.F. (1993). Innovation and entrepreneurship. New York: Harper Busi-
ness.
Malik, F. (2003). Führen, Leisten, Leben. 6. Aufl., München: Heyne.
Someren, T.C.R. van (2005). Strategische Innovationen. Wiesbaden: Gabler.
Steiger, T. / Lippmann, E. (2003). Handbuch Angewandte Psychologie für Füh-
rungskräfte. 2. Aufl., Berlin: Springer.
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen
Erfolg
Selektion, Kooperation, Organisation
Innovationsmanagement in jungen, kleinen und mittleren
Unternehmen

Stefan Seeger

Es werden Aspekte des Innovationsprozesses in jungen, kleinen und mittleren Un-


ternehmen diskutiert, die auf kein institutionelles Innovationsmanagement zurück-
greifen können und denen ein gewisses chaotisches Innovieren unterstellt wird.
Dazu werden Wege aufgezeigt, wie mit einfachen Mitteln Fehler und ihre zum Teil
gravierenden Konsequenzen vermieden werden können. Die vorgeschlagenen
Strukturen von Innovationsprozessen wurden in der Molecular Machines & Indus-
tries AG, Zürich, sehr erfolgreich implementiert. Entwicklungskosten und -verzö-
gerungen konnten deutlich reduziert und die Flexibilität signifikant erhöht
werden.

7.1 Einführung

Innovation ist ein wichtiger Motor für wirtschaftliches Wachstum. Dies


gilt insbesondere für die ökonomisch weit entwickelten Industriestaaten,
aber zunehmend auch für Schwellenländer. Insbesondere im asiatischen
und pazifischen Raum ist längst nicht mehr die Kostenstruktur der alleini-
ge Erfolgsfaktor für das ausgeprägte Wirtschaftswachstum, sondern zuneh-
mend auch die Innovationsfähigkeit. Inzwischen kehren exzellent ausge-
bildete Wissenschaftler aus den westlichen Industriestaaten zurück in ihre
Heimatländer und bringen hochaktuelles technisches und ökonomisches
Know-how mit. Hierdurch und ebenso durch eine geschickte Joint-Ventu-
re-Politik wächst die Innovationsfähigkeit in diesen Schwellenländern, ins-
besondere China und Indien, mit großer Geschwindigkeit.
In der Folge wird sich das Innovationstempo weiter beschleunigen, da in
Zukunft weltweit eine weit größere Zahl an gut geschulten Wissenschaft-
lern in innovativen Unternehmen und Forschungseinrichtungen tätig sein
wird. Es ist offensichtlich, dass der Optimierung der Innovationsprozesse
112 Stefan Seeger

in Unternehmen, aber auch in Forschungseinrichtungen in der Zukunft ei-


ne weiter wachsende Bedeutung zukommt.
Etablierte, weltweit tätige Unternehmen bauen hierbei auf einem lang-
jährigen Erfahrungsschatz und einem wertvollen internen und externen
Netzwerk auf, weshalb man diesen Organisationen gemeinhin auch einen
hohen Grad an Professionalität der Innovationsprozesse attestiert. Dennoch
gibt es selbstverständlich auch hier Unterschiede: So sind gewisse Unter-
nehmen als besonders innovativ bekannt, andere dagegen weniger; oder sie
verschwinden aufgrund mangelnder Innovationstätigkeit sogar ganz vom
Markt.
Kleine, mittlere und junge Unternehmen haben in der Regel keine glo-
bal operierenden Entwicklungsabteilungen mit langjähriger Erfahrung.
Junge Unternehmen und technologieorientierte Gründer haben oft nur eine
Idee, ein vergleichsweise limitiertes Markt-Know-how und möglicherwei-
se nur Forschungserfahrung aus dem universitären Bereich. Dies sind ex-
akt die Voraussetzungen für chaotische Innovationsprozesse, die man sol-
chen jungen Unternehmen bekanntlich auch gerne unterstellt. Während in
Einzelfällen, zumindest zu Beginn eines Innovationsprozesses und bei ent-
sprechendem Wohlwollen der Kapitalgeber, ein solches Verfahren unter
Umständen zum Erfolg führen kann, ist generell dieser Weg mit enormen
Risiken behaftet. Fehlentwicklungen am Markt vorbei, aus dem Ruder lau-
fende Kosten und insbesondere kostenintensive Entwicklungsverzöge-
rungen sind in aller Regel vorprogrammiert. Dass junge, innovative Unter-
nehmen mit einfachen Mitteln einen strukturierten und professionellen In-
novationsprozess aufbauen können, wird im Folgenden dargestellt, und es
werden wichtige, aber häufig wenig beachtete Erfolgsfaktoren aufgezeigt.

7.2 Was ist Innovation?

Der Begriff Innovation gehört zu den am häufigsten genutzten Begriffen


im wirtschaftlichen und politischen Sprachschatz. Erwartungsgemäß folgt
aus der Häufigkeit der Nutzung auch eine Vielfalt der Bedeutung dieses
Begriffes.
Unter Innovation versteht man „die mit technischem, sozialem und wis-
senschaftlichem Wandel einhergehenden (komplexen) Neuerungen“ (Gab-
ler Wirtschaftslexikon 1993).
Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort
leitet sich aus den lateinischen Begriffen „novus“ für „neu“ bzw. „innova-
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 113

tio“ für „etwas neu Geschaffenes“ ab. Im Deutschen wird der Begriff im
Sinne von neuen Ideen und Erfindungen sowie deren (wirtschaftlicher)
Umsetzung verwendet. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Invention und
Innovation. Inventionen umfassen neue Ideen bis einschließlich zum Pro-
totypenbau bzw. zur konkreten Konzeptentwicklung in der vormarktlichen
Phase. Innovationen ergeben sich aus der Umsetzung bzw. Verwertung.
„Neu“ kann in diesem Sinne eine echte Weltneuheit oder eine subjektive
Neuheit aus Sicht eines einzelnen Unternehmens, Mitarbeiters etc. bedeu-
ten. Unterschieden werden unter anderem technische, organisatorische, in-
stitutionelle und soziale Innovationen.
Innovationen werden auch nach ihrem Grad an „Neuheit“ unterschie-
den. Dabei betrachtet man die Kombination aus Zweck des Gegenstandes
oder Produktes und den Mitteln, mit denen dieser Zweck erreicht wird. Er-
reicht eine Innovation in beiden Dimensionen hohe Werte, so spricht man
auch von einer radikalen Innovation. Der Begriff Innovation im Sinne von
„neu“ ist aktuell fast ausschließlich positiv besetzt und verkommt häufig
zum nebulösen Schlagwort. Im Ursinn ist er eigentlich ein Oberbegriff für
auch durchaus negativ besetzte Termini wie „Rationalisierung“ oder „Glo-
balisierung“.
Nach J. Schumpeter ist „Innovation“ die Durchsetzung einer techni-
schen oder organisatorischen Neuerung, nicht allein ihre Erfindung
(Schumpeter 1963). Seit der Übersetzung von Schumpeters Band „Theorie
der wirtschaftlichen Entwicklung“ aus dem Englischen findet der Begriff
auch in Deutschland breite Verwendung. Ein „Innovator“ ist für Schumpe-
ter ein schöpferischer Unternehmer. Seine Triebfedern sind dabei auf der
Innovation basierende, kurzfristige Monopolstellungen, die dem innovati-
ven Unternehmer Pionierrenten verschaffen. Das sind geldwerte Vorteile
(Innovationspreise), die durch die innovativen Verbesserungen entstehen,
zum Beispiel durch höhere Produktivität.
Die im Kontext von Wettbewerbsfähigkeit gemeinte Bedeutung des In-
novationsbegriffs ist häufig auf die der technischen Innovation beschränkt.
Dies soll auch hier der Fall sein.

7.3 Die Innovations-, Wissens- und Nichtwissensflut

Die Zunahme an Information und Innovation verläuft heute nahezu expo-


nentiell und ist daher kaum mehr übersehbar. So gibt es etwa 200.000 wis-
senschaftliche Zeitschriften, in denen jährlich etwa vier Millionen Artikel
114 Stefan Seeger

erscheinen, das sind rund 20.000 pro Tag. Im Jahr 1880 betrug die Zahl
bekannter chemischer Verbindungen etwa 20.000. Heute sind ca. 20 Mil-
lionen chemische Verbindungen bekannt, wobei hier die 32 Millionen be-
schriebenen Gen- und Proteinsequenzen noch gar nicht mit eingerechnet
sind. Jedes Jahr kommen 600.000 weitere neue Verbindungen hinzu. Dies
spiegelt sich auch in den Patentanmeldungen wider. So wurden im Jahr
2000 140.000, im Jahr 2004 bereits 178.000 Patente angemeldet (Europäi-
sches Patentamt 2005; siehe Abbildung 7.1). Gleichzeitig stieg auch die
Zahl der Patentrecherchen von 120.000 auf 165.000 an (siehe Abbildung
7.2). Das Extrahieren relevanter Information ist somit zu einem wichtigen
Erfolgsfaktor für kleine Unternehmungen geworden.
Anmeldungen
200.000
180.000 178.579
160.000
140.000
120.000 123.706

100.000
80.000
60.000
40.000
20.000
0
00 01 02 03 04

Eingereichte europäische und in die


europäische Phase eintretende Euro-
PCT-Anmeldungen
Eingereichte europäische und Euro-
PCT-Anmeldungen (internationale
Phase)
Quelle: Stefan Seeger

Abb. 7.1. Anzahl der Patentanmeldungen in den Jahren 2000 bis 2004
(Quelle: Europäisches Patentamt 2005)
Recherchen
180.000

160.000 165.846

140.000

120.000

100.000

80.000 77.984
60.000 65.898

40.000

20.000 21.964

0
00 01 02 03 04

Europäische Recherchen
Internationale Recherchen
Recherchen für nationale Ämter
Recherchentätigkeit des EPA insgesamt

Quelle: Stefan Seeger

Abb. 7.2. Anzahl der Patentrecherchen in den Jahren 2000 bis 2004
(Quelle: Europäisches Patentamt 2005)
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 115

Eine wichtige Aufgabe für Unternehmen ist es, in dieser Flut von Infor-
mationen zu erkennen, welche Innovationen für die Zukunft von Bedeu-
tung sind und wo das Wissen zu finden ist, um diese Innovationen dann
auch gezielt kommerziell nutzen zu können. Die notwendigen Ressourcen,
insbesondere die Zahl kreativer Köpfe, wird in der Zukunft zwar nicht be-
liebig wachsen. Dennoch ist zu erwarten, dass die Wissensmenge aufgrund
der zunehmenden Zahl an Wissenschaftlern in den nächsten Jahren weiter
wachsen wird (Ziman 1980). Es ist allerdings zu beachten, dass selbst die
Möglichkeit, dass die Ressourcen nicht weiter vermehrbar sein sollten,
nicht notwendigerweise zu einer Abnahme der Innovationstätigkeit führen
wird. Denn mit der Zunahme des Wissens geht auch ein Wachstum des
Nichtwissens – in dem weitere Business Opportunities verborgen sind –
einher. Hubert Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesell-
schaft, hat Wissen mit einer Kugel verglichen, die im All des Nichtwissens
umherfliegt (Marx und Gramm 1994/2002). Wächst diese Wissenskugel,
so vergrößert sich die Oberfläche der Kugel, die Zahl der Berührungspunk-
te mit dem Nichtwissenskosmos wächst, und es entsteht mehr realisiertes
Nichtwissen. Wissen produziert also Nichtwissen. Und es ist einfach zu
prognostizieren, dass es Menschen geben wird, die die Umwandlung von
Nichtwissen in Wissen zu ihrer Aufgabe machen.
Aus diesen Überlegungen wird klar, dass es in Zukunft noch viel
schwieriger wird, die relevanten Informationen aus der Wissens- und In-
formationsflut herauszufiltern. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass auch
kleine Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, in Zukunft
moderne Technologien und finanzielle Ressourcen einsetzen müssen, um
erforderliches Wissen gezielt zu erhalten.

7.4 Der Innovationsprozess in jungen, kleinen und


mittleren Unternehmen

Wo beginnt der Innovationsprozess in einem jungen, kleinen oder mittle-


ren Unternehmen? Wird ein Unternehmen neu gegründet, existiert in den
meisten Fällen eine konkrete Produktidee. Die Idee und das Geschäftsmo-
dell sind bereits im Vorfeld der Gründung geprüft und in der Regel auch
als Erfolg versprechend bewertet worden. Existierende Unternehmen ste-
hen dagegen häufig vor der Aufgabe, für weiteres Wachstum neue Produk-
te konzipieren zu müssen, entweder um bestehende Produktlinien wettbe-
werbsfähiger zu machen, den Markt selbst zu erweitern (z.B. durch Vari-
116 Stefan Seeger

anten des Produkts) oder in verwandte Märkte vorzustoßen (siehe Abbil-


dung 7.3).

Ideen Ideen Konzept Konzept Projekt- Produkt/ Markt- Produkt- Make or


sammeln auswählen planen auswählen ablauf Prozess einführung vermarktung
planen entwickeln vorbereiten Buy or
Corporate?
Quelle: Stefan Seeger

Abb. 7.3. Innovationsprozess von jungen, kleinen und mittleren Unternehmen

In dieser sehr frühen Phase des Innovationsprozesses ist ein gewisses


Chaos erlaubt, ja sogar erwünscht. Dieses so genannte „kreative Chaos“
bezieht sich aber im Wesentlichen auf die Freiheit der Gedankengänge je-
des einzelnen Mitarbeiters. Dennoch sind selbst zu diesem Zeitpunkt vor-
gegebene Rahmenbedingungen unvermeidlich: So kann der „Brainstor-
ming-Prozess“ nicht beliebig lange andauern, es muss also ein Zeitrahmen
gesetzt werden. Man wird frühzeitig die Strategie des Unternehmens defi-
nieren müssen und damit den ersten Innovationsprozess bereits auf ein
strategisches Ziel ausrichten, zum Beispiel Systemanbieterschaft anzustre-
ben, Marktvolumen zu vergrößern etc. Eine weitere Limitierung ist häufig
das vorhandene, jedoch auf wenige Märkte und Technologien begrenzte
Know-how. Kleine und mittlere Unternehmen haben im Allgemeinen nicht
die finanziellen Mittel, in der gebotenen Zeit völlig neues Know-how auf-
zubauen bzw. zu akquirieren. Die in dieser Phase erforderliche strukturier-
te Vorgehensweise ist in den meisten Unternehmen weniger problema-
tisch, im Gegenteil, sie stellt sich im Regelfall von selbst ein. Häufig be-
steht in dieser Phase die Gefahr, sich von zu vielen Restriktionen einengen
zu lassen und damit das kreative Potenzial nicht maximal auszuschöpfen.
Auch für kleine Unternehmen sind hier intuitive und systematische Kreati-
vitätstechniken, wie zum Beispiel SIL (sukzessive Integration von Lö-
sungselementen), die 6-3-5-Methode, das Mind-Mapping oder die OS-
BORN-Methode hilfreich (Higgins und Wiese 1996; Schlicksupp 1992;
Schlicksupp und Berger 1979).
Die Folgeschritte eines Innovationsprozesses erfordern dagegen eine
sehr strukturierte Vorgehensweise, die mit einer eindeutigen Kommunika-
tion verbunden sein muss. Nach der Phase der Ideensammlung würde krea-
tives Chaos zu Missverständnissen, unklarer Aufgabendefinition und
Kommunikationsproblemen führen, die Verzögerungen, Kosten und Fehl-
entwicklungen zur Folge hätten.
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 117

7.4.1 Ideenselektion

Nach einem Ideensammlungsprozess müssen Erfolg versprechende Ideen


ausgewählt werden. Hier muss die Geschäftsleitung überwachen, dass die
Unternehmensstrategie auch tatsächlich als Leitidee beachtet wird. Ferner
ist der Vertrieb als „Stimme des Marktes“ eine maßgebende Größe, um zu
gewährleisten, dass die neuen Produkte auch wirklich den Marktbedürfnis-
sen entsprechen. Erst jetzt kommt der Entwicklungsabteilung eine Schlüs-
selrolle zu. Sie hat die technische Machbarkeit zu evaluieren und Lösungs-
vorschläge auszuarbeiten. Gemeinsam mit der Produktion muss eine erste
Kostenabschätzung (Entwicklungskosten und Produktionskosten) erstellt
und mit der Abschätzung des (gegebenenfalls regional differenzierten) er-
zielbaren Erlöses auf dem Weltmarkt der Vertriebsabteilung (einschließ-
lich Marketing und Vertriebskosten) verglichen werden. Dies ist ein itera-
tiver Prozess zwischen den einzelnen Abteilungen. Da die Entwicklungs-
abteilung erst im Laufe des Prozesses eine gewichtige Rolle spielt, handelt
es sich hier um einen „Market-Pull-Ansatz“. Der Vorteil dieser Strategie
ist, dass eine Entwicklung an den Marktbedürfnissen vorbei eher unwahr-
scheinlich ist. Außerdem werden Motive und Präferenzen der Entwickler,
die unter Umständen mehr auf der wissenschaftlich-technischen Heraus-
forderung als auf dem unternehmerischen Erfolg beruhen, weniger stark
gewichtet.
Andererseits ist auch das technische Know-how der Entwicklungsabtei-
lung ein innerer Wert des Unternehmens, und zwar nicht nur in Bezug auf
die Realisierung neuer Produkte, sondern auch bei der Initiierung und
Ideengenerierung. In diesem „Technology-Push-Ansatz“ haben die Mit-
glieder der Entwicklungsabteilung dabei die Funktion von „Technology
Scouts“, d.h., sie sind verantwortlich dafür, sich einen Überblick über neue
Technologien zu verschaffen. Dies wird zum Beispiel durch enge Kommu-
nikation mit Zulieferern und der akademischen Forschung realisiert. Um
die Relevanz für das Unternehmen einschätzen, also die Wissensflut kate-
gorisieren zu können, ist die ständige Kommunikation mit dem Vertrieb
und besser noch mit Kunden unabdingbar. Der Technology-Push-Ansatz
bedarf in der frühestmöglichen Phase des Feedbacks der kundennahen Un-
ternehmensbereiche.
Unabhängig davon, ob Ideen für Innovationen aus dem Market-Pull-
oder dem Technology-Push-Ansatz entstehen: Letzten Endes wird der
Markt über den Erfolg entscheiden. Entsprechend kommt in dieser Phase
des Innovationsprozesses den Vertriebsmanagern, Produktmanagern und
Business-Development-Verantwortlichen eine entscheidende Bedeutung
118 Stefan Seeger

zu, da sie die Schnittstelle zum Markt sind. Nur durch intensive Kommuni-
kation mit Kunden lassen sich qualitativ hochwertige Informationen ge-
winnen. Außerdem sind auch Experten, die zum Beispiel einem unterneh-
menseigenen Advisory Board angehören können, wichtige Informations-
quellen. Eigene oder extern durchgeführte Marktstudien liefern ebenfalls
wichtige Informationen.

7.4.2 Erarbeitung eines technischen Lösungskonzeptes

Die nächste Stufe im Innovationsprozess in diesen Unternehmen unter-


scheidet sich nicht wesentlich von der in großen Unternehmen. Die Idee
muss zu einem Konzept weiterentwickelt werden. Auch hier gilt: Wählt
man in dieser Phase einen unstrukturierten Prozess, führt dies unwillkür-
lich zu Unsicherheit in der Entwicklungsabteilung, da die konkreten Leitli-
nien, d.h. detaillierte Produkteigenschaften, nicht eindeutig definiert sind.
Die dadurch entstehende „Freiheit“ ist dann schnell die Ursache für eigen-
mächtige technische Kompromisse. Fehlende Features des Produkts sind
die Folge, im schlimmsten Fall nur reparabel durch eine völlige Neukon-
zeption des technischen Ansatzes. Auf der Basis einer detaillierten Kon-
zeptplanung entsteht dagegen ein Pflichtenheft, das – so vollständig und
eindeutig wie möglich – alle Produkteigenschaften enthält. Ferner ist der
technische Lösungsansatz so weit zu definieren, wie es der jeweilige Infor-
mationsstand zulässt. Das Pflichtenheft ist die Grundlage für eine detail-
lierte Zeit- und Ressourcenplanung.

7.4.3 Projektablauf

Hat man sich für ein Produktkonzept entschieden, arbeitet die Entwick-
lungsabteilung einen Vorschlag aus, wie sie mit welchen Kapazitäten in
der vorgesehenen Zeit zum definierten Ziel kommen will. In kleinen Un-
ternehmen entstehen häufig Differenzen zwischen der Entwicklungs- und
der Geschäftsleitung über die Ressourcen und Zeitvorstellungen. Die Vor-
stellungen der Entwicklungsabteilung sind in jedem Fall sehr ernst zu
nehmen, aber auch eingehend zu prüfen: Viele Projektverzögerungen mit
daraus folgenden negativen wirtschaftlichen Konsequenzen sind darauf zu-
rückzuführen, dass der Entwicklungsabteilung notwendige Ressourcen
nicht oder zu spät zur Verfügung gestellt werden. Andererseits stellt man
bei unerfahrenen Projekt- oder Entwicklungsleitern gelegentlich fest, dass
sie Umfang und Zeitaufwand von Entwicklungsprojekten unterschätzen.
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 119

Die Schaffung neuer Kapazitäten in der Entwicklungsabteilung muss


nicht zwingend durch Personalaufbau erfolgen. Das Outsourcing von Ent-
wicklungsaufgaben hat seinen Reiz nicht nur wegen der hohen Flexibilität,
sondern auch wegen der Integration exzellenten Fachwissens, unter ande-
rem aus Randbereichen, in das Entwicklungsprojekt.

7.4.4 Make or Buy or Corporate?

Wie jedes innovative Unternehmen steht auch ein kleines oder ein Start-
up-Unternehmen vor der Frage, wie und wo im Rahmen eines Entwick-
lungsprojektes Know-how erarbeitet werden soll. Während der Zukauf ex-
tern entwickelter Technologien im Rahmen eines Mergers bzw. einer Ak-
quisition eher die Ausnahme sein wird, steht doch häufig die Frage im
Raum, ob die eigene Entwicklungsabteilung alle Teilprojekte selbst bear-
beiten soll oder ob man zumindest eine gewisse Zahl an Arbeitspaketen an
Dritte ausgliedert. Hier gibt es zwar keine allgemeingültigen Regeln, je-
doch kann man in vielen Fällen Handlungsempfehlungen aussprechen,
auch wenn eine Vielzahl von Parametern die Entscheidung beeinflussen
wird.
Die Grundsatzentscheidung, ob eine Kooperation in Frage kommt, hängt
von fundamentalen strategischen und operativen Überlegungen ab (siehe
Abbildung 7.4). So spielt es eine Rolle, welche Kernkompetenzen das Un-
ternehmen hat, beibehalten oder neu aufbauen möchte. Entsprechende Pro-
jekte werden eher im eigenen Haus durchgeführt.
Auch die Geheimhaltung bzw. das Schutzbedürfnis des erworbenen
Fachwissens ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Entscheidungskri-
terium. Dies ist nicht immer nur eine ökonomische Frage, sondern auch die
Persönlichkeit des Entscheiders – also eine psychologische Komponente –
spielt hier eine wichtige Rolle. Junge Unternehmen neigen gelegentlich da-
zu, den Sicherheitsaspekt zu hoch zu bewerten.
120 Stefan Seeger

langfristiger Erfolg Umwelt:


Markt, Wettbewerber,
Strategie Technologien, …

Produktlebenszyklus

Kompetenz
Nachfrageänderungen
Make or Buy
or Corporate? Verfügbarkeit von Koop.-Partnern

M&A-Opportunities

Kosten Finanzierungsquellen

Kapitalintensität Arbeitsmarkt
Kostenoptimierung
Quelle: Stefan Seeger

Abb. 7.4. Entscheidungsraster „Make or Buy or Corporate?“

Operative Kriterien, die die Entscheidung für oder gegen ein Outsour-
cing beeinflussen, sind zum Beispiel die vorhandenen Ressourcen, das
Know-how der Entwicklungsabteilung bzw. der Zeitaufwand, die notwen-
digen Voraussetzungen für ein Entwicklungsprojekt im Haus zu schaffen.
Die Etablierung völlig neuen technischen Fachwissens setzt häufig erheb-
liche finanzielle Mittel und die notwendige Investitionsbereitschaft voraus.
Zudem muss ein nicht unerheblicher Zeitaufwand einkalkuliert werden,
der in aller Regel den der externen Entwicklung deutlich übersteigt. In die-
sem Zusammenhang ist auch die Verfügbarkeit von entsprechenden Exper-
ten auf dem Arbeitsmarkt ein wichtiges Entscheidungskriterium.

7.4.5 Auswahl von Kooperationspartnern

Bei der Auswahl der Kooperationspartner sind mehrere Faktoren zu be-


rücksichtigen. Zunächst stellt sich die Frage nach der technischen Kompe-
tenz des potenziellen Partners. Dies ist für die Fachleute des eigenen Un-
ternehmens in der Regel vergleichsweise einfach abzuschätzen. Gespräche
mit mehreren Anbietern lassen recht schnell Vergleiche der Erfahrung,
Kreativität und technischen Kompetenz zu. Auch die Meinung von Refe-
renzkunden ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Ein weiterer Er-
folgsfaktor ist die Größe des Partners. Er muss eine kritische Größe über-
schreiten, sollte aber auch nicht zu groß sein. Wenn das vorgesehene Ent-
wicklungsprojekt für den potenziellen Partner als eher weniger bedeutend
eingestuft wird, läuft man Gefahr, im internen Wettbewerb der Projekte im
Partnerunternehmen um die vorhandenen Ressourcen häufig zu verlieren:
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 121

Andere Projekte werden vorgezogen und eine Verzögerung des eigenen


Vorhabens wird wahrscheinlich (siehe Tabelle 7.1).
Selbstverständlich ist eine Einigung über die Vergütung für die Leistung
eine Voraussetzung für eine Kooperation. Die Auswahl des Partners nur
aufgrund von Kostengesichtspunkten zu treffen, ist unseren Erfahrungen
nach jedoch sehr risikobehaftet. Ist der (monetäre) Anreiz für den Partner
zu gering, wird das Projekt in seiner internen Projekthierarchie nicht mit
Priorität behandelt, sondern er konzentriert seine Kapazität und fachliche
Kompetenz auf andere, mit mehr Anreizen versehene Projekte. Insoweit
erscheint es aus Auftraggebersicht sehr viel interessanter, in den Verhand-
lungen nicht nur auf den absoluten Preis für die Leistung zu achten, son-
dern auch auf die Auszahlungsvoraussetzungen (Meilensteine). Wichtig
ist, dass ein erheblicher Teil der Entlohnung für das Ende, nach dem defi-
nitiven und erfolgreichen Projektabschluss, vereinbart wird und nicht zu
viele und zu großzügige Abschlagszahlungen während der Projektlaufzeit
erfolgen. Intelligente (Zwischen-)Ziele sind zu vereinbaren, um Differen-
zen so weit wie möglich zu vermeiden.
Wichtige Kriterien sind auch die Vertraulichkeit und die Weiterverwen-
dung des gewonnenen Wissens. Während eines Entwicklungsprojektes ge-
winnt im Allgemeinen nicht nur der Auftraggeber neues Wissen, sondern
auch der Auftragnehmer, der dazu neigen kann, dieses Wissen selbst zu
verwerten, wenn er eine Geschäftschance sieht. In höchstem Maße schäd-
lich ist es für den Auftraggeber, wenn ein direkter Wettbewerber Zugang
zu diesem Know-how erhält. Dies ist vertraglich auszuschließen oder es
sollte zumindest eine zeitliche Stillhaltefrist bestimmt werden. Wird die
Weiterverwertung durch den Auftragnehmer zugelassen, muss sich dies
auf den Preis auswirken. In diesem Zusammenhang taucht ohnehin die
Problematik des Vergütungsmodus und der Eigentümerschaft des gewon-
nenen Wissens auf. Die Gefahr, dass Know-how durch einen Kooperati-
onspartner in die Hände des Wettbewerbs fällt, kann nicht völlig ausge-
schlossen werden.
122 Stefan Seeger

Tabelle 7.1. Risiken und potenzielle Konsequenzen von Kooperationen

Risiken der Kooperation Potenzielle Konsequenzen

• Unterschiedliche Kooperations- • Mangelndes Vertrauen


ziele und Erwartungen • Partner wird zum Wettbewerber

• Unklare Vereinbarungen über die • Reibungsverluste


Arbeitspakete, Termine und • Zeitverzögerungen
Kosten • Nachverhandlungen
• Rechtsstreit

• Mangelhafte Kommunikation der • Teure Vertragsverhandlungen


Partner • Schlechter Informationsfluss
• Widerstand der Mitarbeiter/ • Mangelnde
Mentalität (Not-Invented-Here- Mitarbeitermotivation
Syndrom) • Entwicklungsverzögerung
• Unzureichende Flexibilität

• Abhängigkeiten • Für einen Partner ungünstige


• Aufwand-Nutzen-Verhältnis Profiterwartung
zuungunsten eines Partners

• Unzureichender Schutz der • Unerwünschter Wissenstransfer


Kernkompetenzen

Quelle: Stefan Seeger

Die Neigung, aufgrund des Wunsches nach exklusiver Nutzung des


Know-hows aus einem Innovationsprozess einer weitgehend vollständigen
Eigenentwicklung den Vorrang zu geben, erscheint jedoch in den meisten
Fällen als unbegründet. Einerseits lässt sich das Risiko eines Know-how-
Abflusses vom Partner vertraglich zumindest teilweise begrenzen, anderer-
seits kann man durch die Auswahl des Partners hier selbst Einfluss
nehmen. Es ist daher sinnvoll, mit den potenziellen Partnern entsprechende
offene Gespräche zu führen und zielführende Vereinbarungen zu treffen.
Jedoch gilt es zu beachten, dass aufgrund der immer kürzer werdenden
Produktlebenszyklen ein beschleunigter Markteintritt häufig höher zu be-
werten ist als der Schutz von zunehmend schneller „alterndem“ techni-
schem Wissen.
Auch sozialpsychologische Kriterien können ganz wesentlich über den
Erfolg oder Misserfolg einer Entwicklungskooperation entscheiden. Die
potenzielle Leistungsfähigkeit eines Teams, vermindert um die Prozessver-
luste, ergibt die tatsächliche messbare Leistungsfähigkeit. Prozessverluste
ergeben sich zu einem wesentlichen Teil aus der Interaktion der Teammit-
glieder, die jeweils mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten bereit
sind, sich in das Team einzubringen bzw. integrieren zu lassen. Es ist aus
dem täglichen Leben hinreichend bekannt, dass Individuen, zwischen de-
nen „die Chemie stimmt“, zu erstaunlichen Leistungen fähig sind, während
umgekehrt Personen, die sich nicht verstehen, trotz ausreichender Res-
sourcen und hervorragendem fachlichen Know-how eine weit weniger er-
folgreiche, zum Teil enttäuschende Leistung abliefern.
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 123

Gerade in jungen bzw. kleinen Unternehmen stoßen oft junge, fachlich


zwar außerordentlich kompetente, aber wenig erfahrene Techniker, Inge-
nieure und Wissenschaftler in einem Team aufeinander. Kommen sie nicht
miteinander aus, führt dies in aller Regel zu nicht unerheblichen Projekt-
verzögerungen. In kleinen Entwicklungsabteilungen fehlt darüber hinaus
häufig ein intensiver Kontrollmechanismus, den große Unternehmen durch
die Einbindung mehrerer Personen und Abteilungen besitzen. Für den ver-
antwortlichen Projektleiter bzw. CEO ist es gerade in solchen Fällen erfor-
derlich, die einzelnen Persönlichkeiten im Vorfeld darauf hin zu prüfen, ob
das vorgesehene Team unter diesen sozialpsychologischen Aspekten er-
folgreich arbeiten kann.
In diesem Zusammenhang bietet der Myers-Briggs-Typenindikator eine
praktische Hilfe (siehe Tabelle 7.2, nach Keirsey und Bates 1990 und Will-
denmann 2000). In Kooperationen kann es leicht zu ernsthaften Differen-
zen kommen, wenn nicht kompatible Persönlichkeitstypen aufeinander
treffen. Ein ISTJ-Typ hat häufig Schwierigkeiten, den Bedarf an Anerken-
nung zur Stimulation eines ENTP-Typs richtig einzuschätzen und diesem
gerecht zu werden. Ein P-Typ wird die Arbeitsweise des J-Typs als Ein-
engung seiner kreativen Freiheit empfinden. Es wird anschaulich, dass un-
terschiedliche Persönlichkeitstypen unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Das Verständnis für die grundlegenden Myers-Briggs-Typen kann darüber
hinaus die Kommunikation zwischen den Beteiligten verbessern. Die in-
tensive Beschäftigung mit den sozialpsychologischen Aspekten durch die
Projekt- bzw. Geschäftsleitung im Vorfeld, d.h., bei der Auswahl des Pro-
jektpartners, darf als wesentlicher Erfolgsfaktor nicht unterschätzt werden.
124 Stefan Seeger

Tabelle 7.2. Die Komponenten des Myers-Briggs-Typenindikators (in Anleh-


nung an Keirsey und Bates 1990 sowie Wildenmann 2000)

E S T J

Extraversion – Sensing/ Observant Thinking – Judging/ Scheduled


Außenorientierung –Sinnliches Analytisches – Beurteilung
Wahrnehmen Beurteilen

Stimulation der Praktische Logisch rationale Bedürfnis nach


Gedanken durch Orientierung; Bewertung; Struktur, Ordnung,
Interaktion mit anderen; Fakten und Realität; Gerechtigkeitssinn und Klarheit und
Offenheit gegenüber Orientierung an Suche nach dem Vollendung
fremden Menschen; Details; toleriert Wahren; kühl und begonnener
Begeisterungsfähigkeit; Routine; Ausdauer distanziert; Tätigkeiten
Suche nach in der Umsetzung; Prinzipienorientierung
Abwechslung widersprüchliche
und komplexe
Situationen führen
zur Irritation

I N F P

Introversion – Intuition – Intuitives Feeling – Perceiving/ Probing


Innenorientierung Wahrnehmen Gefühlsmäßiges – Wahrnehmung
Beurteilen

Intrinsische Stimulation; Abstrakte Gefühlsmäßige Toleranz gegenüber


sucht Zurückgezogenheit Orientierung; Bewertung; sucht Ungewissheit und
und Intimität als potenzialorientiert, Beziehung und schwebenden
Stimulation; überzeugt Entwicklung von Harmonie; zwischen- Zuständen;
durch überdachte Konzepten; schätzt menschliche Flexibilität;
Leistung Komplexität und Empfindsamkeit; spielerischer
kreative Hilfsbereitschaft Umgang mit
Herausforderung Komplexität
Konzepte und
Theorien finden
mehr Interesse als
deren Umsetzung;
ganzheitliche
Betrachtungsweise

Quelle: Stefan Seeger

7.4.6 Kooperation mit Universitäten und Hochschulen

Die Zusammenarbeit mit Hochschulen zur Entwicklung eines neuen Pro-


duktes hat einen besonderen Reiz: Gelingt die Selektion einer geeigneten
Forschungsgruppe, hat man Zugang zu erstklassigem Know-how. Wissen,
das in seiner ganzen Breite erst in einigen Jahren im kommerziellen Be-
reich verfügbar sein wird, steht dem eigenen Unternehmen bereits jetzt zur
Verfügung. In der Regel arbeitet man mit jungen, sehr engagierten Wis-
senschaftlern zusammen, was alleine schon sehr stimulierend für die ei-
gene Entwicklungsabteilung sein kann. Die oft vertretene Meinung, dass
man durch eine solche Zusammenarbeit mit wenig finanziellem Aufwand
hervorragendes Know-how erwerben könne, ist dagegen trügerisch. Auch
hier gilt: Für den Partner muss sich das Projekt genauso lohnen wie für das
eigene Unternehmen; nur dann ist gewährleistet, dass alle Beteiligten mit
ganzer Kraft am gemeinsamen Ziel arbeiten.
Die Konvergenz der Ziele des eigenen Unternehmens und der Hoch-
schule bzw. des verantwortlichen Professors oder Forschungsgruppenlei-
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 125

ters ist weniger stark ausgeprägt als zwischen zwei Unternehmen. Wissen-
schaftler einer öffentlichen Einrichtung haben andere finanzielle Rahmen-
bedingungen und andere Ziele als Unternehmen. Der Erfolg von Universi-
tätswissenschaftlern insbesondere im naturwissenschaftlich-technischen
Bereich wird unter anderem an ihrer Publikationsaktivität gemessen. In
wissenschaftlichen Zeitschriften wird daher häufig eine detaillierte und
nachvollziehbare technische Beschreibung gefordert. Dies steht im Gegen-
satz zu den Interessen des Unternehmens in einer Kooperation, da es das
gewonnene Wissen möglichst exklusiv nutzen möchte. Um Konflikte zu
vermeiden, ist eine klare Vereinbarung im Vorfeld unumgänglich.
Der wissenschaftliche Anspruch anwendungsorientierter Forschungs-
projekte wird aus universitärer Sicht häufig als geringer bewertet als die
reine Grundlagenforschung. Ob dies gerechtfertigt ist, soll an dieser Stelle
nicht diskutiert werden. Allerdings ergibt sich für den Erfolg einer Ent-
wicklungskooperation hieraus die große Gefahr, dass der universitäre Part-
ner – vielleicht unbewusst – das Projekt mehr auf die wissenschaftlich in-
teressanten Fragestellungen ausrichtet als auf die Ziele des Auftraggebers.
Auch hier ist von Seiten des Unternehmens ein stringentes Projektcontrol-
ling angezeigt. So sind beispielsweise meilensteinabhängige Zahlungen ein
probates Mittel um zu gewährleisten, dass die finanziellen Mittel projekt-
bezogen eingesetzt werden. Jedoch ist darauf zu achten, dass Projekte mit
Hochschulen häufig vorwettbewerblichen Charakter haben. Entsprechend
muss auch dem damit verbundenen erhöhten technischen Risiko und dem
nötigen Freiraum Rechnung getragen werden.

7.4.7 Was tun bei Problemen in Entwicklungsprojekten?

Bei einer realitätsnahen und verantwortlichen Planung eines Entwicklungs-


projektes werden die Zeitpläne weitgehend eingehalten. Werden techni-
sche oder andere Probleme jedoch nicht antizipiert, sind Entwicklungsver-
zögerungen meist unvermeidlich. Ist ein Entwicklungsprojekt erst im Fo-
kus der Kritik, entsteht häufig ein Vorgang nach folgendem oder einem
ähnlichen Schema:
- Erste Verzögerungen treten auf und werden von den Forschern und
Entwicklern „nach oben“ berichtet.
- Die Entwicklungsleitung beschwichtigt und neigt dazu, weiter an den
optimistischen Zeitplänen festzuhalten.
- Weitere Verzögerungen, die nun nicht mehr negiert werden können,
werden häufig mit Lieferproblemen bei Lieferanten begründet.
126 Stefan Seeger

- Etwas später werden erste Probleme mit Kooperationspartnern vor-


sichtig erwähnt.
- Nun beginnt die Geschäftsleitung nervös zu reagieren, was oftmals
dazu führt, dass als Sündenbock der Kooperationspartner herhalten
muss.
- Weitere Verzögerungen werden eingestanden, aber um die Geschäfts-
leitung zu besänftigen, werden neue Termine immer noch zu optimis-
tisch zugesagt.
- Die Geschäftsleitung erhöht den Druck auf die Entwicklungsabtei-
lung.
- (Kleinere) Fortschritte beschwichtigen die Geschäftsleitung und neh-
men zeitweise den Druck von der Entwicklungsabteilung.
- Es entsteht über einen gewissen Zeitraum eine unklare Situation. Das
Vertrauen in die Projektleitung schwindet.
- Die Geschäftsleitung denkt über den Abbruch des Projektes bzw. die
Suche nach neuen Partnern nach, zögert aber eine Entscheidung zu
treffen.
- Prototypen mit offensichtlichen Mängeln werden an die Applikations-
abteilung (im schlimmsten Fall an Kunden) weitergegeben.
- Die Testphase dauert erheblich länger als im ursprünglichen Zeitplan
vorgesehen.
- Die Markteinführung erfolgt zwar mit erheblicher Verzögerung, aber
dennoch aufgrund des unausgereiften Zustands des Produkts zu früh.
- Kundenreklamationen folgen, die Servicekosten steigen dramatisch.
- Die Reputation des Unternehmens erleidet großen Schaden.
- Die Umsatzerwartungen werden wegen des Imageschadens nicht er-
reicht.
Der geschilderte Ablauf ist typisch für problembehaftete Entwicklungs-
projekte und zeigt deutlich, wie schwierig es ist, möglichst frühzeitig Kor-
rekturmaßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass der
Schaden für das Unternehmen durch das „Abwarten und Hoffen“ nicht li-
near, sondern eher exponentiell steigt.
Für die Geschäftsleitung entsteht regelmäßig das Problem, dass sie „von
oben“ bzw. „von außen“ die wirklichen Probleme, die unter Umständen
allein auf persönlicher Ebene bestehen, nur sehr schwer durchschauen
kann. Es ist oft nicht einmal möglich, den Problemschwerpunkt im eigenen
Unternehmen oder bei einem externen Kooperationspartner sicher zu fi-
xieren oder persönliche bzw. technische Probleme zu differenzieren.
Die Tatsache, dass in aller Regel die Projektleitung optimistisch in die
Zukunft blickt, führt häufig dazu, dass die Geschäftsleitung sich abwartend
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 127

verhält. Ein Projektabbruch oder grundsätzliche Veränderungen im Koope-


rationsverbund würden zunächst auch zu weiteren Verzögerungen führen,
und so ist es schwierig, diese in einer solchen Situation zu realisieren –
bloß in der Hoffnung auf einen positiven Effekt in der Zukunft. Die Ent-
wicklungsleitung wird einen solchen Schritt gewöhnlich nicht uneinge-
schränkt unterstützen, da dies einem Eingeständnis eigener Fehler gleich-
kommt. In einer derartigen Situation ist die Geschäftsleitung gefragt. Sie
muss – und dies erfordert einen erheblichen Zeitaufwand – sehr detailliert
den Entwicklungsprozess untersuchen und die Ursachen ergründen. Die
Geschäftsleitung kann zunächst vermitteln oder sofort strukturelle Ände-
rungen vornehmen.
Im Fall einer Partnerschaft mit Externen besteht die Tendenz, die
Schwachpunkte eben bei diesen zu suchen. Ferner arbeitet die Geschäfts-
leitung meist ohnehin an der Kapazitätsgrenze und kann sich dieser Aufga-
be nicht mit der gebotenen Intensität widmen. Hier kann ein erfahrener,
unabhängiger Dritter schnell analysieren und Maßnahmen ergreifen. Ihm
kann man im Regelfall Neutralität unterstellen. Mit ausreichender Erfah-
rung und der Verbindung aus technischem Grundverständnis und unter-
nehmerischer Denkweise hat er gute Aussichten, in kurzer Zeit die
Schwachstellen in einem Entwicklungsprojekt zu identifizieren und der
Geschäftsleitung Lösungsvorschläge zu unterbreiten – idealerweise ohne
strukturelle Veränderungen vornehmen zu müssen. Die Investition in einen
unabhängigen Coach lohnt sich fast immer: Die Beschleunigung eines Pro-
jektes um nur wenige Wochen amortisiert die Kosten des Coaches. Die be-
sonders schädlichen und teuren Konsequenzen am Ende der Ereigniskette
können so in vielen Fällen vermieden werden. Ein Allheilmittel für die ei-
gene Führungsschwäche ist es allerdings nicht.

7.4.8 Anforderungsprofile für Manager von Entwicklungs-


kooperations-Netzwerken

Die erwähnten Notwendigkeiten und Gefahren von Entwicklungskoopera-


tionen machen – umso mehr beim Aufbau von Netzwerken – ein professio-
nelles Management erforderlich. Bei der Auswahl des Netzwerkmanagers
steht weniger das technische Know-how im Vordergrund als die Fähigkeit,
komplexe Netzwerke erfolgreich zu führen, also Managementqualitäten.
Selbstverständlich bleibt fachliches Know-how dennoch eine Grundvor-
aussetzung für diese Aufgabe. Die Geschäftsführung ist also gefordert,
eine Führungskraft zu finden, die beide Fähigkeiten miteinander vereint.
Neben Fach- und Führungskräften mit ausgewiesener Erfahrung stehen
128 Stefan Seeger

nun auch zunehmend dual ausgebildete Nachwuchsführungskräfte zur Ver-


fügung (z.B. Wirtschaftsingenieure, Wirtschaftsinformatiker, Wirtschafts-
chemiker), die die Notwendigkeit betriebswirtschaftlichen Denkens häufig
besser erkennen, es über die technische Herausforderung stellen und Lö-
sungskonzepte mit der erforderlichen Distanz bewerten.

7.5 Zusammenfassung

Das jungen und kleinen Unternehmen häufig unterstellte „chaotische“ In-


novieren ist ein erheblicher Risikofaktor, der besonders bei technologieori-
entierten Unternehmensgründungen in den ersten Jahren zu einer nicht kal-
kulierbaren Unternehmensentwicklung – bis hin zur Liquidation – führen
kann. Deshalb ist bereits zu Beginn eines Innovationsprozesses und einer
unternehmerischen Tätigkeit, aber auch in bereits etablierten und profita-
blen Kleinunternehmen ein geordnetes und professionelles Innovationsma-
nagement erforderlich, ohne nennenswerte Kosten zu verursachen. Die
Sensibilität für diverse Risiken ist ein wesentlicher Faktor, der es ermög-
licht, Gefahren zu antizipieren und rechtzeitig gegenzusteuern. Besonders
die Überschätzung der eigenen Entwicklungsressourcen in Bezug auf Ka-
pazität und Fachwissen ist ein häufig auftretender Fehler in jungen und
kleinen Unternehmen, der aufgrund der Zeitverzögerungen bei der Markt-
einführung und durch Qualitätsmängel hohe Folgekosten verursachen und
die Reputation des Unternehmens im Markt schädigen kann. Insoweit kann
die Auslagerung von Entwicklungsarbeiten vorteilhaft sein: Eigene Res-
sourcen werden geschont, Fachwissen ist schneller in den Innovationspro-
zess integriert und die Planbarkeit nimmt zu.
Wichtig ist allerdings, dass die Partner sehr sorgfältig nach den relevan-
ten Kriterien ausgewählt werden. Hierzu gehören die geeignete Größe des
Partners, das Fachwissen, die Berücksichtigung der Anbieter- bzw. Wett-
bewerbssituation und die Gefahr des ungewollten Know-how-Transfers zu
eigenen Wettbewerbern. Schließlich sollten die Persönlichkeiten der am
Projekt beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler miteinander harmonie-
ren, um einen Erfolg der Zusammenarbeit zu ermöglichen. Erfolgreich ge-
leitete Entwicklungskooperationen erlauben kosteneffiziente und beson-
ders schnelle Entwicklungen bei gleichzeitig hohem Qualitätsstandard
auch in kleinen Unternehmen.
7. Von der Innovationsflut zum wirtschaftlichen Erfolg 129

7.6 Literatur

Europäisches Patentamt (2005). www.european-patent-office.org.


Gabler Wirtschaftslexikon (1993). Wiesbaden: Gabler Verlag.
Higgins, J. / Wiese, G. (1996). Innovationsmanagement. Kreativitätstechniken für
den unternehmerischen Erfolg. Berlin: Springer Verlag.
Keirsey, D. / Bates, M. (1990). Charaktertypen. Versteh’ mich bitte – Charakter-
und Temperamenttypen. Del Mar, CA: Prometheus Nemesis Books.
Marx, W. / Gramm, G. (1994/2002). Literaturflut-Informationslawine-Wissensex-
plosion. http://www.flef.mpg.delivs/literaturflut.html.
Schlicksupp, H. (1992). Innovation, Kreativität & Ideenfindung. Würzburg: Vogel
Buchverlag.
Schlicksupp, H. / Berger, H.-S. (1979). Methoden zur Ideenfindung. Offenbach.
Schumpeter, J.A. (1963). Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin:
Duncker & Humblot.
Wildenmann, B. (2000). Persönlichkeit 2000. Die Persönlichkeit des Managers.
Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.
Ziman, J.M. (1980). The proliferation of scientific literatur: A natural Process.
Science (208): 369-371.
8. Der Kunde als Innovationspartner
Motivation, Prozesse und Erfahrungen bei der Einbindung von
Kunden als aktive Partner im Innovationsmanagement der
Ethicon GmbH

Dieter Engel

Die Unternehmen der Medizintechnik sehen sich einem immer höheren Innova-
tionsdruck ausgesetzt; alle zwei Jahre werden ca. 50 Prozent der Produkte durch
eine neue Generation ersetzt. Die Quelle von Innovationen findet man dabei häu-
fig in einer Kooperation zwischen einem Arzt und einem Ingenieur. Diese Erkennt-
nis öffnet Chancen für eine höhere Effizienz des Innovationsprozesses der Unter-
nehmen: indem der Arzt als Kunde mit dem Hersteller gemeinsam an besseren Lö-
sungen arbeitet und kreativ wird. Ethicon setzt diese Erkenntnis um und integriert
die Kooperation zwischen Arzt und Ingenieur von Beginn an in seine Produktent-
wicklung. Hier wird beschrieben, welche Prozesse dazu eingesetzt werden, wie die
Kooperation organisatorisch unterstützt wird und welche Erfahrungen gemacht
wurden.

8.1 Die Bedeutung von Innovation

Innovative Produkte sind ein Motor des Fortschritts in der Medizin; sie
helfen die heutigen Leistungsgrenzen zu überwinden, und geben vielen Pa-
tienten bessere Heilungschancen und eine höhere Lebensqualität (Siess
2002). Für die Unternehmen der Medizintechnik sind Innovationen gleich-
zeitig ein Schlüsselelement ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit.
So hat der Bundesverband Medizintechnik festgestellt, dass seine Mit-
gliedsunternehmen nach eigenen Angaben 50 Prozent ihres Umsatzes mit
Produkten tätigen, die erst seit weniger als zwei Jahren auf dem Markt sind
(Knappe et al. 2000). Die wirtschaftliche Bedeutung der Innovationstätig-
keit lässt sich auch an der Haltung der Eigentümer der Unternehmen able-
sen: Über 40 Prozent des Aktienwertes von Medizintechnik- und Pharma-
unternehmen sind durch die Hoffnung auf die Zukunft bestimmt, nämlich
dass kontinuierlich neue Märkte mit innovativen Produkten erschlossen
werden (Christensen und Raynor 2003). Die Aktionäre von Johnson &
Johnson, der Muttergesellschaft von Ethicon, sind sogar bereit, 60 Prozent
des Aktienwertes für ihre Erwartungen an zukünftige Innovationen zu be-
132 Dieter Engel

zahlen. In dieser Hinsicht übertrifft die Medizin- und Pharmaindustrie bei


weiten anderen Branchen, wie der folgenden Abbildung 8.1 zu entnehmen
ist:

Der Anteil des Aktienkurses


beruht auf

Erschließung existierenden
neuer Märkte Märkten
% %

Johnson & Johnson 66 34


Pfizer 48 52
Merck 44 56
Boeing 30 70
General Motors 5 95

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.1. Bedeutung der Produktpipeline für Unternehmen, ausgedrückt durch


die Erwartung der Aktionäre an die Erschließung neuer Märkte

Ein Großteil des Umsatzes und des Wertes einer Firma ist also von der
Fähigkeit zur ständigen erfolgreichen Produktinnovation abhängig. Daraus
ergibt sich ein hoher Druck auf die Firmen, die Pipeline ständig gefüllt zu
halten sowie regelmäßig verbesserte oder sogar neuartige Produkte zu fin-
den und erfolgreich zu vermarkten. Entsprechend wird sehr viel Geld auf
Forschung und Entwicklung verwendet: Die deutschen Unternehmen der
Medizintechnik investieren ca. zehn Prozent des Umsatzes in F&E (Knap-
pe et al. 2000).

8.2 Der Ursprung von Innovationen

Viele Durchbruchsinnovationen in der Medizin wurden erst möglich durch


die Kooperation eines Arztes mit einem Ingenieur. Dazu gibt es zahllose
Beispiele, etwa diese:
- Der deutsche Arzt Dr. Andreas Grüntzig hat in Zusammenarbeit mit
Ingenieuren der schweizerischen Firma Medintag die Ballondilatation
(perkutane transluminale coronare Angioplastie, PTCA) entwickelt.
Er hatte die grundlegende Idee, konnte sie aber erst mithilfe der Inge-
nieure von Medintag in Prototypen umsetzen und erproben. Dr.
Grüntzig erlangte Weltruhm und die Firma Medintag vergrößerte sich
um ein Vielfaches.
- Der schwedische Gynäkologe Dr. Ulf Ulmsten entwickelte in den
achtziger Jahren die Idee eines Implantates zur Behandlung der weib-
8. Der Kunde als Innovationspartner 133

lichen Belastungs-Inkontinenz, einer bis dahin wenig beachteten


Krankheit. Gemeinsam mit Ingenieuren der schwedischen Firma
Medscand, später mit Ingenieuren von Ethicon, setzte er die Idee zum
so genannten TVT (Tensionfree Vaginal Tape) um. Damit wurde zum
ersten Mal eine minimalinvasive und dauerhafte Therapie der Inkon-
tinenz ermöglicht. Mehrere hunderttausend Patientinnen wurden in-
zwischen erfolgreich behandelt.
- Der argentinische Kardiologe Dr. Palmaz entwickelte in den achtziger
Jahren die Vorstellung eines Implantates zur dauerhaften Aufweitung
der Herzkranzgefäße und fertigte erste Prototypen in seinem Labor.
Er fand einen technischen Partner in Johnson & Johnson, mit dem er
gemeinsam den später so genannten „Stent“ entwickelte und 1993 auf
den Markt brachte. Heute wird das Leben tausender Patienten jährlich
mithilfe von Stents verbessert und damit ein Milliardenumsatz für die
Hersteller generiert.
In mehreren wissenschaftlichen Studien in verschiedenen Branchen
wurde untersucht, ob diese Beispiele Ausnahmen darstellen oder die Regel
sind.

In einer Studie in der Telefonindustrie fanden Kristensson, Gustafsson


und Archer (2004) heraus, dass die Kunden nicht nur mehr Ideen hatten als
die Experten, sie hatten auch die besseren, selbst nach Meinung der Fach-
leute. Das ist offenbar in vielen anderen Branchen ebenso der Fall, wie der
Innovationsforscher Eric von Hippel entdeckte. Demnach sind Produktin-
novationen, die auf Kunden zurückgehen, in zahlreichen Industrien eher
die Regel als die Ausnahme (von Hippel 1988).
Speziell in der Medizintechnik ist vermutlich ein Anteil von ca. 50 Pro-
zent der Produktinnovationen von Kunden initiiert und dominiert (Shaw
1985). Die chirurgischen Kunden, die Fokusgruppe für Ethicon, gaben in
einer Studie der Technischen Universität Hamburg (Abbildung 8.2) an,
dass etwa 60 Prozent von ihnen schon einmal eine Idee für ein neues Pro-
dukt gehabt haben, die sie für wirtschaftlich wertvoll hielten (Herstatt,
Lüthje und Lettl 2001). Eine Umfrage in den USA lieferte vergleichbare
Zahlen (Roberts 1988). Allerdings wird nur ein geringer Anteil der Ideen
als Produkt umgesetzt, das Potenzial wird offenbar nicht ausgeschöpft.
134 Dieter Engel

1% Firmengründung
100% 5% Patent
90%
7% Verhandlung
12% Anfragen
80%

70%

60% 33% nicht verfolgt

50%

40%

30%
41% Nicht-Erfinder
20%

10%

0%

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.2. Anzahl der Chirurgen mit Produktideen und Grad der Weiterverfol-
gung

Wie kann dieses Innovationspotenzial besser genutzt werden? Der


Schlüssel dazu liegt in einer engen und aktiven Zusammenarbeit zwischen
dem Kunden und dem Hersteller. Der Kunde muss die Möglichkeit erhal-
ten, sich aktiv und kreativ am Innovationsprozess zu beteiligen. Hier wird
beschrieben, mit welchen Maßnahmen Ethicon versucht, diese enge Zu-
sammenarbeit zu systematisieren und für beide Seiten fruchtbar zu
machen.

8.3 Johnson & Johnson

Im Jahr 1886 gründeten die drei Brüder Johnson in New Brunswick, New
Jersey/USA, die Firma Johnson & Johnson. Bis heute hat die Firmenzent-
rale ihren Sitz in New Brunswick. Die ersten Produkte von Johnson &
Johnson waren chirurgische Wundabdeckungen und medizinische Pflaster.
Im Laufe der Jahre erweiterte das Unternehmen sein Produktspektrum ste-
tig. Heute beschäftigt Johnson & Johnson weltweit mehr als 100.000 Mit-
arbeiter in den drei Bereichen Pharmazeutische Produkte, Medizinproduk-
te sowie Consumer-Produkte. Zu den bekannten Marken von Johnson &
Johnson gehören beispielsweise die Hautpflegemittel der RoC-Serie und
die Penaten-Creme aus dem Consumer-Bereich, das Neuroleptikum Ris-
perdal aus dem Pharmabereich und die beschichteten Koronarstents aus
dem Medizinproduktesektor. Johnson & Johnson erzielt regelmäßig
Wachstumsraten von mehr als zehn Prozent pro Jahr, und das bereits seit
8. Der Kunde als Innovationspartner 135

beinahe zwei Jahrzehnten. Die Dividendenausschüttung ist ebenfalls seit


vielen Jahrzehnten jedes Jahr gestiegen, worauf das Management stolz ist
und es auch für die Zukunft erhofft, ebenso wie die Mitarbeiter der Gesell-
schaft, die letzten Endes auch die Aktionäre veranlassen, dem Unterneh-
men weiter ihr Vertrauen zu schenken.
Ethicon ist eine der weltweit agierenden Tochterfirmen von Johnson &
Johnson. Ethicon entwickelt und produziert Produkte für die Chirurgie, un-
ter anderem Nahtmaterialien und topische Hautkleber für den Wundver-
schluss sowie Implantate für die Verstärkung von Weichgeweben. Der
weltweite Umsatz betrug im Jahr 2003 etwa 2,6 Mrd. US$. Der größte
Umsatzanteil wird im Geschäftsbereich Nahtmaterial getätigt. Daneben
wachsen weitere Geschäftsfelder wie das hier im Mittelpunkt stehende
„Tissue Reinforcement”, das hauptsächlich Produkte auf Basis von chirur-
gischen Netzen umfasst. Diese Kunststoffimplantate finden Anwendung
bei der Weichgewebeverstärkung etwa der Bauchwand oder bei wenig in-
vasiven chirurgischen Prozeduren in der Gynäkologie.
Die global agierenden Tochterfirmen des Medizinproduktebereiches ar-
beiten im Tagesgeschäft weitgehend unabhängig von der Zentrale. Es gibt
nur wenige organisatorische und strategische Vorgaben zu Inhalten der
Geschäftsprozesse, kaum zentrale Forschung, Produktion oder Marketing-
strukturen. Die Steuerung der Unternehmen erfolgt ergebnisorientiert über
Kennzahlen: Kennzahlen zum finanziellen Erfolg, zur Ressourcennutzung,
zur Produktqualität, zu Innovationserfolgen und zur Kundenzufriedenheit.
Ausnahmen bilden das Personalwesen und die mitarbeiterbezogenen Pro-
zesse, von denen viele weltweit standardisiert sind. Die Klammer um alle
Einzelfirmen bildet das „Credo“ – die Wertvorstellungen der Firma. Das
Credo1 wurde 1943 von Robert Wood Johnson, dem damaligen Präsiden-
ten, festgelegt und gilt in unveränderter Form auch heute noch. R.W. John-
son war wohl einer der ersten Firmenführer, der die Bedeutung von Unter-
nehmenswerten erkannt hat. Das Credo wird intensiv gelebt und ist nicht
nur als Text präsent, sondern dient auch als Handlungsanleitung im täg-
lichen Geschäft.
Auch in der Forschungsorganisation ist Johnson & Johnson dezentral
aufgestellt und allein in Europa mit zwölf Standorten vertreten (Abbildung
8.3). Ethicon selbst hat weltweit drei Forschungsgruppen: in den Vereinig-
ten Staaten die größte Gruppe und gleichzeitig Sitz des Hauptquartiers so-
wie in England und in Deutschland.

1 Siehe Homepage: http://www.ethicon.de/ethicon/credo.asp


136 Dieter Engel

1. DEPUY in Leeds / GB
2. Lifescan in Inverness / GB
3. Ethicon in Gargrave / GB
4. Janssen in Beerse / B
5. ETHICON in Paris / F
6. J&J Consumer in Val de Reuil / F
7. CODMAN in Neuchatel / CH
8. ETHICON Endosurgery bei Rom / I
9. DEPUY in München / D
10. J&J Consumer in Wuppertal / D
11. CORDIS in Groningen / NL
12. ETHICON in Norderstedt / D

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.3. Forschungs- und Entwicklungsstandorte von Johnson & Johnson in


Europa

Die Ethicon GmbH in Norderstedt bei Hamburg ist mit zurzeit über
2.000 Mitarbeitern in Produktion, Vertrieb sowie Forschung & Entwick-
lung einer der größten Standorte von Johnson & Johnson weltweit. Der
Standort ist innerhalb von Ethicon weltweit das Kompetenzzentrum für
chirurgische Netzimplantate und Weichgewebeverstärkung und kann Pro-
dukte in höchstem Maße eigenständig entwickeln, herstellen und vertrei-
ben. Auf dieses Fachgebiet mit einem Marktpotenzial von ca. 1 Mrd.
US$ p.a. konzentriert sich der Innovationsprozess der Ethicon GmbH. Zu-
dem sind wir Produktionsstandort für viele andere Produkte des Konzerns.
Als Kompetenzzentrum für Netze stehen wir kontinuierlich auch im inter-
nen Wettbewerb mit anderen Standorten, die ebenfalls Interesse an dieser
Funktion haben und teilweise auch Kompetenzen besitzen. Diesen internen
Wettbewerb sehen wir als Ansporn und Motivation für die Mitarbeiter,
kontinuierlich besser zu werden.
Ethicon strebt ein globales Marketing an: Global sind fast alle Produkte
gleich, es gibt kaum regionale Produkte, und die Entwicklung neuer Pro-
dukte wird vom weltweiten Ethicon-Board gesteuert und genehmigt. Ideen
für Innovationen entstehen an vielen Orten in der Organisation, im strate-
gischen und operativen Marketing, bei F&E und im Außendienst. Eine ei-
gene Organisationseinheit wurde dazu geschaffen, um in Zusammenarbeit
mit Marketing und F&E die Vielzahl der Projektvorschläge zu filtern und
dem Board die besten Vorschläge zur Entscheidung vorzulegen. Vom
technischen Manager wird beispielsweise erwartet, dass er seine Ideen in
diesen Organisationseinheiten gut verkaufen kann, er muss zum „Innovati-
on Sales Manager“ werden.
8. Der Kunde als Innovationspartner 137

8.4 Innovationsmanagement bei Ethicon

Ethicon versucht, die Erkenntnisse über die Entstehung von Innovationen


umzusetzen und gemeinsam mit Kunden die Zukunft zu entwickeln. Die
Kooperation zwischen Ärzten und Ingenieuren ist dazu systematisch in den
gesamten Entwicklungsprozess integriert und umfasst alle Lebensphasen
der Entwicklung: von der strategischen Planung über die Generierung der
Produktidee bis zur Markteinführung eines Produktes. Unser Prozessmo-
dell beruht auf dem bekannten Stage-Gate-Modell:

Strategie Forschung Entwicklung Freigabe

Andere Ärzte
Trends aufspüren
ausbilden

Kundenbedürfnis
finden

Produktanforderung Klinische Studie


festlegen durchführen

Prinzipielle Lösung
finden

Prototypen testen,
Produkt validieren

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.4. Die verschiedenen Aufgaben von Ärzten im Verlauf des Entwick-
lungsprozesses

Dabei wird untersucht, welche Produktgruppen zukünftig in den Mittel-


punkt gestellt werden, wo sich genügend Wachstumspotenzial bietet, bei
welchen Indikationen gegenwärtig oder zukünftig eine größere Nachfrage
entsteht. Die strategische Planung legt das Ziel der Produktentwicklung
fest. Darauf aufbauend folgen mehrere Phasen der Entwicklung bis zur
Herstellung und dem Vertrieb des Produktes (siehe Abbildung 8.4). In all
diesen Phasen sind Ärzte als Kooperationspartner für Ethicon unerlässlich
und übernehmen dabei, je nach Phase, verschiedene Rollen.

8.4.1 Strategische Planung

Gerade in der Medizintechnik verändert sich der Markt rasch: Wenn ein
neues Therapieverfahren oder ein neues Produkt eingeführt wird und sich
als überlegen erweist, können die existierenden Verfahren und Produkte
sehr schnell an Wert verlieren. Informierte Patienten möchten nicht mit ei-
nem überholten, veralteten, sondern mit dem modernsten Verfahren behan-
138 Dieter Engel

delt werden. Diese große Dynamik bietet Chancen für denjenigen, der sich
an die Spitze der Veränderungen setzen und als Innovations- und Techno-
logieführer ständig mit verbesserten Produkten aufwarten kann, aber auch
Risiken für das bestehende Produktportfolio eines Unternehmens.
Ethicon kooperiert mit Meinungsführern aus allen relevanten chirurgi-
schen Disziplinen, um diese Trends und Disruptionen möglichst früh zu er-
kennen und darauf reagieren zu können. Es wurden auf nationaler wie auf
internationaler Ebene Beratungsgremien zu Schlüsselthemen des Ge-
schäftsbereiches eingerichtet. Dazu zählen zum einen die für Ethicon be-
deutsamen chirurgischen Fachgebiete und ihre Weiterentwicklung, zum
anderen auch technologische Fragen, zum Beispiel zu den neuen Biotech-
nologien. Für sehr komplexe Themen werden wissenschaftliche Kongresse
organisiert, auf denen führende Forscher und Anwender die neuesten Er-
gebnisse austauschen und dabei helfen, mögliche Roadmaps für zukünftige
Forschungen aufzustellen. Ein Beispiel ist die Konferenz über die Therapie
von Leisten- und Narbenbrüchen im Jahr 1992. Basierend auf dieser Kon-
ferenz und mehreren Folgekonferenzen, hat Ethicon neue technische Kon-
zepte für Hernienimplantate entwickelt und in den Markt eingeführt. Mit-
hilfe dieser Technologie sind wir heute Marktführer in Deutschland bei
Hernienimplantaten.

8.4.2 Bedarf erkennen

Vor der Entwicklung konkreter Produkte steht das Erkennen des Bedarfs:
Welche Bedürfnisse des Kunden sind unbefriedigt? Welche davon sind
ihm wichtig und entscheiden über die Effizienz und Qualität seiner Arbeit?
Für welche Bedürfnisse sind der Kunde und das Gesundheitswesen bereit,
die Kosten zu tragen? Aus den Antworten auf diese Fragen ergibt sich das
konkrete Ziel einer Produktentwicklung, der konkrete Bedarf, den es mit
einer innovativen Lösung zu decken gilt. Der Erfolg des zukünftigen Pro-
duktes hängt ganz wesentlich davon ab, dass der richtige Bedarf als Ziel
ausgewählt wurde. Es wird sogar der Standpunkt vertreten, dass die Be-
darfserkennung der wichtigste Schritt sei, wichtiger als das Finden der Lö-
sung; denn technische Lösungen seien im Prinzip für alle Probleme ver-
fügbar.
Ethicon strebt an, dass der Entwicklungsingenieur in dieser Phase be-
sonders eng mit dem Arzt zusammenarbeitet. Zu diesem Zweck werden al-
le Ingenieure zunächst intensiv in den klinischen Verfahren und Abläufen
geschult, die für das jeweilige Projekt relevant sind, sowohl theoretisch als
auch praktisch. Die Ingenieure erhalten beispielsweise in regelmäßigen
8. Der Kunde als Innovationspartner 139

OP-Hospitationen ein Gespür dafür, welche Kriterien in der Anwendung


bedeutsam sind und welche nicht. In speziell zugeschnittenen Ausbil-
dungsprogrammen werden sie in den jeweiligen medizinischen Fragestel-
lungen trainiert. Ausgesuchte Fragen werden danach gemeinsam mit Ärz-
ten diskutiert oder können in präklinischen Experimenten – so genannten
„Wetlabs“ – getestet werden.
Um die Kunden systematisch einzubinden, setzt Ethicon zwei formali-
sierte Verfahren ein: die Ethnographie und das Lead-User-Verfahren, die
im Folgenden kurz beschrieben werden.
Ethnographie ist ein zunächst von Anthropologen entwickeltes Verfah-
ren, um mehr über andere, noch existierende Kulturstufen zu erfahren. Da-
bei leben die Anthropologen inmitten einer Kultur, beispielsweise in Neu-
guinea, und beobachten und analysieren die Menschen unmittelbar. Die
Firma Xerox übertrug dieses Verfahren als eine der ersten auf die Produkt-
entwicklung und stellte Anthropologen ein, um bessere Kopiermaschinen
zu entwickeln. Die Anthropologen begaben sich mit den Ingenieuren in die
Umgebung ihrer Kunden, beobachteten sie beim Gebrauch der Maschinen
und versuchten, die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen. Dem Ethnogra-
phie-Verfahren liegt die Annahme zugrunde, dass die Kunden selbst ihre
Bedürfnisse in vielen Fällen nicht explizit nennen können, weil sie auf-
grund langer Gewohnheit manche Probleme nicht mehr bemerken oder
nicht auf sie achten. Heute beschäftigen viele konsumentenorientierte Fir-
men Anthropologen, etwa Microsoft, Intel und Motorola oder Nissan (San-
ders 2002).
Übertragen auf Medizinprodukte bedeutet Ethnographie, dass die Inge-
nieure in das Krankenhaus und in den Operationssaal gehen, die Abläufe
dort beobachten und analysieren sowie Verfahrensschritte finden, die ein
großes Verbesserungspotenzial haben. Die Analyse ist ein zeitaufwändiger
Prozess, der große Teams über Wochen hinweg beschäftigt. Einige Firmen
setzen vorwiegend externe Beobachter ein und erhalten als Ergebnis einen
schriftlichen Bericht mit Vorschlägen. Ethicon dagegen bindet die Ingeni-
eure, nachdem sie in den notwendigen Beobachtungstechniken geschult
wurden, direkt in die Beobachtung und Analyse ein.
Das zweite Verfahren, das Lead-User-Verfahren, wurde vom Innovati-
onsforscher Eric von Hippel am Massachusetts Institute of Technology
(MIT) entwickelt und gemeinsam mit der Firma 3M in die Praxis umge-
setzt. In einer Studie bei 3M hat sich gezeigt, dass Produkte, die mit dem
Lead-User-Ansatz entwickelt wurden, mehr als achtmal mehr Umsatz ge-
neriert haben als Produkte, die zur gleichen Zeit mit traditionellen Verfah-
ren entwickelt wurden (von Hippel 1988).
140 Dieter Engel

Die Theorie, die dem Verfahren zugrunde liegt, geht von einer hohen
Dynamik des Marktes aus und folgert daraus, man solle die Kundenbedürf-
nisse nicht bei dem heute typischen Anwender suchen, sondern bei dem
heute extremen Anwender am Rande des Spektrums. Diese Randgruppe
sei dem durchschnittlichen Nutzer von heute so weit voraus, dass sie be-
reits die Probleme von morgen hat. In der Chirurgie können Lead User bei-
spielsweise solche Operateure sein, die besonders viele adipöse Patienten
operieren, wenn man annimmt, dass in einigen Jahren extrem übergewich-
tige Patienten eine wesentliche Patientengruppe darstellen. Bei stark adipö-
sen Patienten ergeben sich viele operative Schwierigkeiten – etwa der Dis-
sektion oder des Wundverschlusses – die verbessert werden könnten. Der
kritischste Schritt bei der Anwendung des Verfahrens ist die richtigen
Lead User zu identifizieren, denn nicht alle Extremanwender von heute
stellen den Durchschnitt von morgen dar.

8.4.3 Prinzipielle Lösung suchen

In der spannenden Phase der Lösungssuche kommt es oft vor, dass für den
festgestellten Bedarf bereits ein Arzt als Lead User an einer innovativen
Antwort arbeitet: Gerade weil er einen extremen Bedarf hat, zwingen ihn
die durchschnittlichen Produkte dazu, selbst innovativ zu werden. Die
Lead User können auch aus anderen medizinischen oder sogar nichtmedi-
zinischen Bereichen stammen: von überall dort, wo ein vergleichbares Pro-
blem auftritt, nur in noch stärkerer Form. Falls man das Glück hat, einen
überzeugenden Lead User zu identifizieren und für sich zu gewinnen, kann
er als Miterfinder in den Lösungsprozess eingebunden werden und die Ent-
wicklungszeit stark verkürzen.
Ein anderes bewährtes Instrument zur Lösungssuche sind „Innovations-
Summits“, bei denen sich zwanzig, dreißig oder mehr Experten verschie-
dener Fachrichtungen mit Nichtexperten treffen und in einem strukturier-
ten Brainstorming Ideen sammeln. Auch Kunden können Teilnehmer sein,
allerdings ist dafür die Frage des geistigen Eigentums vorher zu klären.
Teilweise werden in den Summits mehrere tausend Ideen zu einem Thema
generiert und in dann folgenden Selektionsprozessen fokussiert.
Speziell wenn eine Innovation neue Arbeitsweisen des Kunden verlangt,
zum Beispiel eine neue chirurgische Prozedur, kooperiert Ethicon eng mit
Medizinern, dabei wird das Verfahren gemeinsam in vielen Experimenten
erfunden und optimiert. Da Operationsmethoden aus ethischen Gründen
kaum klinisch entwickelt werden können, sind die weiter unten beschrie-
benen Wetlabs ein wichtiges Instrument.
8. Der Kunde als Innovationspartner 141

8.4.4 Schnelle Überprüfung und Industrialisierung

Der schnelle Test von Prototypen und neuen Prozeduren ist eine besonders
kritische Aufgabe, die im Verlauf der Produktentwicklung immer wieder
mit unseren Partnern durchgeführt wird. Zu den Testmethoden gehören zu-
nächst papier- oder computergestützte Skizzen. Sie dienen der Erstaus-
wahl, der Diskussion von Patentfragen und der internen Kommunikation.
Chirurgen sind manuell orientiert und benötigen frühzeitig funktionelle
Muster, sodass in einer zweiten Phase physikalische Prototypen hergestellt
werden, die bereits rudimentär bedient werden können und mit denen man
an Simulationsmodellen erste Schritte testen kann. Zur schnellen Herstel-
lung der Prototypen haben wir eine „rapid prototyping“-Kette für textile
Technologien erarbeitet, auf der viele der Implantate von Ethicon beruhen.
Zudem stehen Ethicon firmeneigene Operationssäle zur Verfügung, in
denen die so genannten Wetlabs durchführt werden: Tests der Prototypen
an Gewebeproben unter realitätsnahen Bedingungen. Die Tests werden
von ausgewählten Kunden durchgeführt, mit denen ein Vertrauensverhält-
nis besteht, sodass auch vertrauliche Informationen offen besprochen wer-
den können. Die Ergebnisse der Wetlabs sind ein entscheidendes Krite-
rium für die Auswahl der technischen Lösung mit den besten Geschäfts-
aussichten.
Die Umsetzung der prinzipiellen Lösung in ein serienreifes Produkt ist
eine Phase, in der die Kunden in der Regel einen geringeren Lösungsbei-
trag leisten. Sie steuern allerdings weiterhin die Entwicklung, indem
Zwischenstände regelmäßig anhand von Wetlabs und Umfragen verifiziert
werden und am Schluss das Design von Kunden validiert wird.

8.4.5 Forschungskooperationen

Für manche Probleme existiert die notwendige Technologie noch nicht


oder sie ist nicht anwendungsreif. Hier baut Ethicon langfristige For-
schungskooperationen insbesondere mit technischen und medizinischen
Hochschulen auf, die viele hervorragend ausgebildete und motivierte For-
scher beschäftigen (manche von ihnen auch wieder Kunden von Ethicon).
Die weltweit verteilte Forschungsorganisation von Johnson & Johnson so-
wie die Vertriebsorganisation von Ethicon liefern dazu ein Netzwerk von
Kontakten. Der hervorragende Ruf von Ethicon bei den Medizinern er-
leichtert es, für eine Zusammenarbeit motivierte Partner zu finden.
142 Dieter Engel

Der Aufbau und der Ablauf einer Forschungskooperation folgen einem


ähnlichen Modell wie die Etablierung anderer Geschäftsbeziehungen auch
(Specht 2002): Nach einer Initialentscheidung bemüht man sich, Partner
auszuwählen und zu gewinnen. Form und Inhalt der Partnerschaft werden
anschließend definiert und vertraglich vereinbart. Das gemeinsame Projekt
wird durchgeführt, indem sich beide Partner intensiv um die Kooperation
bemühen. Schließlich wird das Projekt beendet und die gewonnenen Er-
kenntnisse und Ergebnisse werden an den Auftraggeber übergeben.
In der Praxis werden die Phasen dieses Modells oft iterativ verlaufen,
bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Forschungsprojekte sind ihrer
Natur nach nur teilweise planbar und häufig treten unerwartete Ergebnisse
auf. Daher werden die Forschungskooperationen in der Regel von Ent-
wicklungsprojekten zeitlich abgekoppelt. Ihre zeitliche Organisation und
ihre Inhalte werden definiert auf Basis einer langfristigen Technologiekon-
zeption, die der strategischen Produktplanung übergelagert ist. Darin wird
analysiert, welche Technologien in Zukunft wichtig werden könnten und
wo Kompetenz auf- bzw. abgebaut werden sollte. Wegen der Langfristig-
keit der Vorhaben wird viel Zeit in die Auswahl und die Gewinnung von
Forschungspartnern investiert mit dem Ziel einer langjährigen, sehr ver-
trauensvollen Zusammenarbeit. Mit einigen der Partner wird bereits seit
über zehn Jahren zusammengearbeitet.
Viele Hochschulen haben spezielle Strukturen geschaffen, die sie als
Partner für die Industrie attraktiv machen. Sie bieten etwa spezialisierte
Institute an, in denen viele relevante Forschungsgruppen zusammengefasst
sind; Beispiele sind das Zentralinstitut für Medizintechnik der TU Mün-
chen und das Institut für Technologie und Entwicklung von Medizinpro-
dukten der medizinischen Fakultät (ITEMP) der RWTH Aachen. Aufgrund
dieser vielfältigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit führt Ethicon For-
schungsprojekte inzwischen überwiegend extern durch.

8.4.6 Training

Der Innovationsprozess endet nicht mit der Herstellung des Produktes.


Entscheidend für den Erfolg und die Akzeptanz des Produktes ist auch das
Training des Anwenders: Viele Medizinprodukte benötigen eine Anleitung
und eine Lernphase, beispielsweise Produkte der laparoskopischen Chirur-
gie, damit der Anwender sie effektiv und sicher einsetzen kann. Es hat sich
bewährt, das Training durch andere Ärzte ausführen zu lassen, die selbst
intensiv geschult wurden. Ein Arzt kann anderen Ärzten viel effektiver den
Umgang mit dem Produkt demonstrieren als der Produzent. Er kann das
8. Der Kunde als Innovationspartner 143

insbesondere auch im Operationssaal tun, was dem Hersteller nicht erlaubt


ist. Ethicon kooperiert daher mit einer Reihe von Kliniken, um Schulungs-
zentren für den Umgang mit unseren Produkten zur Verfügung stellen zu
können.

8.5 Externe Ideen

Die hohe Kreativität der Chirurgen und ihre vielen Produktideen möchte
Ethicon in seine Kanäle lenken und wirbt aktiv darum, dass Kundenideen
an das Unternehmen herangetragen werden. Dieses Werben und Herantra-
gen geschieht sowohl über den persönlichen Kontakt von Vertriebsmitar-
beitern oder Ingenieuren wie auch über eine Reihe von internetbasierten
Eingabemöglichkeiten. Als Beispiel ist die Website des Gynecare Innova-
tion Center angeführt (Abbildung 8.5), die die Kunden der Geschäftsein-
heit Gynecare ansprechen soll, damit sie Ethicon ihre Ideen unterbreiten.
Die Kunden werden auf Kongressen und bei Gesprächen mit Mitarbeitern
ausführlich über die Website informiert.

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.5. Internetbasierte Erfassung von Kundenideen für die Ethicon-


Geschäftseinheit Gynecare

Als unmittelbare Gegenleistung für sein Angebot gewährleistet Ethicon


dem Kunden eine schnelle Prüfung seiner Idee in Bezug auf wirtschaftli-
che Umsetzbarkeit sowie gegebenenfalls das Gespräch mit technisch fach-
kundigen Partnern. Bei Erfolg versprechender Überprüfung steht dem Arzt
mit Ethicon ein kompetenter Partner zur Verfügung, der die umfangrei-
chen technischen Möglichkeiten eines Konzerns und die weltweite Ver-
triebsplattform eines Marktführers in die Partnerschaft einbringen kann.
144 Dieter Engel

Die Überprüfung einer Idee erfolgt in zwei Stufen. Zunächst wird ein
schlanker Entscheidungsprozess durchlaufen, um schnell ein mögliches In-
teresse von Ethicon an diesem Produkt oder der Technologie festzustellen.
In diese erste Entscheidung sind nur wenige Mitarbeiter eingebunden und
die Rückmeldung an den Einreicher erfolgt in der Regel innerhalb weniger
Wochen. Geprüft wird zunächst, ob die Idee zur geplanten Produktstrate-
gie passt und ob sie ausreichende wirtschaftliche Aussichten hat oder sogar
das Potenzial, neue Märkte für Ethicon zu schaffen.
Falls das Ergebnis positiv ausfällt, werden in der nächsten Stufe weitere
Gespräche gesucht und Informationen zusammengetragen, um die Idee
sorgfältig zu bewerten – das ist die so genannte Due Diligence zu einer
Idee. Dabei wird mit Experten geprüft, wieweit die Idee durch ein Patent
abgesichert ist oder abgesichert werden kann und welche Nachweise über
die Funktionsfähigkeit vorliegen. Dieser zweite Schritt dauert wegen des
komplexen Inhaltes in der Regel wesentlich länger als der erste. Im güns-
tigsten Fall kommt es zu Vertragsverhandlungen mit dem Erfinder hin-
sichtlich einer langfristigen Kooperation und zur vertraglichen Vereinba-
rung zwischen den Parteien.
Viele Ärzte, die erfinderisch tätig sind, haben wenig Erfahrung bei der
wirtschaftlichen Umsetzung einer Idee. Sie wissen daher nicht, wie man
die ökonomische Bedeutung einer Idee abschätzt, auf welche anderen Her-
ausforderungen Erfinder treffen und wie sie damit umgehen können. Daher
hat Ethicon spezielle Informationsangebote geschaffen, die dem Erfinder
helfen sollen, seine Idee selbst zu überprüfen und sie so darzustellen, dass
ein Unternehmen leichter davon zu überzeugen ist. Häufige Fragen von Er-
findern, die durch das Informationsmaterial beantwortet werden, sind bei-
spielsweise: Wie bestimme ich den Wert einer Idee? Wie kann ich meine
Idee schützen? Was kostet eine weltweite Patentanmeldung?
Selbst mithilfe zusätzlicher Information ist es für viele Ärzte eine große
Herausforderung, ihre Idee weiter zu untersuchen, aufwändige Experimen-
te vorzunehmen und lange Gespräche mit Unternehmen zu führen. Hier
enden viele der guten Ideen, wie die Untersuchungen von Herstatt, Lüthje
und Lettl (2001) sowie Roberts (1988) gezeigt haben. Den Ärzten fehlt oft
die Zeit oder die notwendige technische Kompetenz. Die Herstellung bei-
spielsweise eines Stapling-Instrumentes oder eines Implantates zum präkli-
nischen Einsatz erfordert großen Aufwand und viel Erfahrung. Ethicon
bietet den Ärzten in aussichtsreichen Fällen so genannte Co-Invention-
Teams an: kleine Teams aus Ingenieuren, die mit dem Arzt kooperieren
und dessen Idee schnell in Prototypen umsetzen und gemeinsam überprü-
fen können. Die Co-Invention-Teams nutzen dabei die umfangreichen
8. Der Kunde als Innovationspartner 145

technischen Möglichkeiten des Konzerns. Sie arbeiten ihrerseits mit Fach-


gruppen aus allen Konzernfirmen und einem Netzwerk externer Spezialis-
ten zusammen. Mit diesen Maßnahmen wird versucht, den schöpferisch tä-
tigen Arzt im Verlauf des gesamten Erfindungsprozesses zu unterstützen,
um eine größere Zahl von Chirurgenideen bis zum tatsächlichen Einsatz
beim Patienten reifen zu lassen.
Ethicon erreicht über die verschiedenen Kanäle jedes Jahr mehrere hun-
dert konkrete Vorschläge von Chirurgen zu neuen Produkten; das ist ein
Beleg dafür, dass die Ärzte das Unternehmen als Kooperationspartner für
Innovationen sehen, mit dem man neue Vorstellungen gemeinsam weiter-
entwickeln kann. Die Bandbreite der eingereichten Ideen reicht von Ver-
besserungen bestehender Produkte bis hin zu ganz neuen Technologien
und medizinischen Verfahren. Viele der Vorschläge liefern uns wertvolle
Beiträge zur Weiterentwicklung der Produkte. Sie fließen später in die Ent-
wicklung ein oder helfen die Probleme der Kunden besser zu verstehen.
Ein Teil der Vorschläge mündet sogar in komplette Neuentwicklungen;
Ethicon vertreibt eine Reihe von Produkten, die unmittelbar auf Kunden-
ideen zurückgehen. Allerdings kann die überwiegende Zahl der eingereich-
ten Vorschläge nicht umgesetzt werden, auch wenn das sehr bedauert wird.
Das liegt weniger an der Qualität der Ideen – die meisten sind faszinierend.
Vielmehr passt die Idee oft nicht zur Firmenstrategie: entweder weil die
Vertriebsorganisation die Zielkunden schlecht erreichen kann, da es bereits
von Ethicon ein ähnliches Produkt im Angebot gibt oder weil das weltwei-
te Marktpotenzial im Vergleich zur Kostenstruktur als zu gering erscheint.

8.6 Innovationskultur

Der Begriff „Unternehmenskultur“ wird verstanden als die Gesamtheit der


Werte, Denkmuster und Verhaltensnormen, die sich im Laufe der Zeit im
Unternehmen entwickelt haben und die den Mitarbeitern direkt oder indi-
rekt als die gültigen Formen der Wahrnehmung und des Verhaltens vermit-
telt werden (Specht 2002). Es ist schwer zu bestreiten, dass die Firmenkul-
tur einen erheblichen Einfluss auf die Effektivität der Geschäftsprozesse
hat und dass die Innovationsfähigkeit im Besonderen von der Kultur beein-
flusst wird.
Johnson & Johnson versucht die Firmenkultur messbar zu machen, in-
dem firmenweit etwa zwanzig Kriterien der Unternehmenskultur definiert
werden, die besonders wichtig für die Effizienz der Arbeit sind (siehe Ab-
bildung 8.6). Beispielsweise ist dies die Wertschätzung, die ein Mitarbeiter
146 Dieter Engel

erfährt, oder wie stark sich der Mitarbeiter unterstützt fühlt Neues zu pro-
bieren. Diese Werte werden regelmäßig über Mitarbeiterbefragungen ge-
messen und es gibt Zielvorgaben dazu.

Wichtige Kriterien Positiv (%) Negativ (%)

Analyse, Einzelgespräche
Mitarbeiter- 93 7

Mitarbeiterbefragung
Wertschätzung

Maßnahmenplan
Unterstützung, etwas 74 22
Neues zu versuchen

Freiheit, informiert 58 42
Risiken einzugehen

Zuversicht, trotz Fehlern 58 34


fair beurteilt zu werden

Quelle: Dieter Engel

Abb. 8.6. Messung und Beeinflussung der Unternehmenskultur mithilfe der


Credo-Umfrage

Allerdings gibt es keine bekannten Verfahren, diese kulturellen Werte


direkt zu verändern. Man kann sich nur um indirekte Einflussnahme be-
mühen. Die beschriebene enge Zusammenarbeit mit Kunden ist nach der
Erfahrung von Ethicon ein sehr effektiver Weg, die Unternehmenskultur in
Richtung einer stärkeren Marktausrichtung und einer deutlicheren externen
Orientierung zu bewegen.
Im Alltag heißt Zusammenarbeit mit Kunden, dass jeder an der Innova-
tionskette Beteiligte viele Kunden persönlich trifft und mit ihnen spricht.
Jeder Mitarbeiter der Forschung & Entwicklung bei Ethicon hat im Durch-
schnitt fünfzehn bis zwanzig Kundengespräche pro Jahr in Form von Wet-
labs, Hospitationen im Operationssaal und anderen Kontakten.
Zu Beginn stellen die Gespräche mit Ärzten eine kulturelle Herausfor-
derung für viele Ingenieure und Wissenschaftler dar. Während des Studi-
ums erlernen sie hauptsächlich technische Sachverhalte und kommunizie-
ren auch im Beruf überwiegend mit Menschen gleicher Ausbildung. Im
Rahmen von Kooperationen müssen sie lernen, mit Ärzten in deren ganz
anderer Fachsprache umzugehen und sie zu verstehen. Im Gespräch mit
Ärzten sind sie fachliche Laien und müssen außerdem stets die Balance
halten zwischen dem Mediziner als Experten für das Projekt und dem
Mediziner als Kunden der Firma. Mit der Zeit, wenn sich eine Routine ein-
stellt, gewinnt der Mitarbeiter eine äußerst hohe Motivation aus der per-
sönlichen Rückmeldung des Kunden. Ein Entwickler ist begeistert, wenn
seine Idee beim Kunden gut ankommt. Ein Lob des Kunden wirkt leis-
8. Der Kunde als Innovationspartner 147

tungsfördernder als jeder finanzielle Bonus oder die positive Rückmeldung


von Vorgesetzten.
Im Laufe der Zusammenarbeit verändern sich die Denkprozesse des
Einzelnen. In der Auseinandersetzung mit Personen, die andere Erfahrun-
gen gemacht haben, bilden sich neue Sichtweisen zu vielen Dingen, beson-
ders darüber, was wichtig und was weniger wichtig ist – aus Sicht des
Kunden. Das umfangreiche Vorwissen und die Routine der Firmenexper-
ten können bekanntermaßen ihre Fähigkeit, zu neuen Einsichten zu ge-
langen, begrenzen. Jeder Kunde mit neuen Ideen und Ansichten stellt das
Vorwissen in Frage und erweitert damit die Chance auf neue Durchbruchs-
ideen.
In der Zusammenarbeit gewinnt jeder Einzelne umfangreiche Informati-
onen über die Probleme des Kunden und den Stand der Technik zu deren
Lösung. Das gibt ihm das Vertrauen, auch Geschäftsmodelle mit höherem
Risiko, bei denen der Kunde sich selbst verändern muss, zu entwickeln
und umzusetzen, und den Stand der Technik erheblich fortzuentwickeln.
Dieses Vertrauen gewinnt man nicht beispielsweise mit dem bloßen
Durchlesen eines Marktforschungsberichtes. Gleichzeitig hilft dieses Wis-
sen den technischen Managern, ihre Ideen gegenüber den entscheidenden
Marketingmitarbeitern überzeugend darzustellen und damit erfolgreich zu
sein.

8.7 Beziehungsmanagement

Kooperationen entstehen weder aus dem Nichts noch aus dem Stand her-
aus. Es bedarf eines langfristig angelegten Beziehungsmanagements, um
zu gegebener Zeit in Projekte eines jeden Marktsegmentes die jeweils füh-
renden Anwender und Experten einbeziehen zu können.
Ein Hersteller muss in allen potenziell interessanten Fachgebieten die
maßgeblichen Kunden kennen, zu ihnen Kontakte geknüpft haben und Be-
ziehungen pflegen. Das können viele hundert oder tausend Personen sein,
sodass eine F&E-Abteilung ein solches Netz im Regelfall gar nicht kons-
truieren und erhalten kann. Die Vertriebsmannschaft von Ethicon ist dage-
gen sehr stark darin, mit vielen Kunden langfristig orientierte Geschäfts-
verbindungen aufzubauen und wird auch von den Abnehmern als kunden-
nah eingeschätzt. Ethicon hat geschäftliche Beziehungen zu beinahe jedem
führenden Chirurgen in der Welt und bei Umfragen ergeben sich hohe Lo-
yalitätswerte von Kunden dem Unternehmen gegenüber. So ist es nicht
148 Dieter Engel

überraschend, dass Ethicon für seine Kundennähe bereits ausgezeichnet


wurde. Dieses Netzwerk wird genutzt, um im Rahmen eines Projektes
Kontakte herzustellen.
Die Zusammenarbeit mit den Kunden, den Ärzten, erfordert meist eine
langfristige Verpflichtung auf beiden Seiten über Monate und Jahre hin-
aus, um eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, vertrauliche Informationen
offen besprechen zu können und ein Entwicklungsprojekt bis zur Markt-
einführung zu begleiten. Das persönliche Vertrauensverhältnis ist sehr
wichtig: Zwar werden meist Vertraulichkeitsvereinbarungen geschlossen,
Verstöße können in der Praxis aber nicht mit Sanktionen belegt werden, da
jeder Partner gleichzeitig ein Kunde ist, den man nicht verlieren möchte.
Der Aufbau eines solchen Verhältnisses erfordert Zeit und persönlichen
Kontakt. Bei einem selbstverständlich internationalen Netzwerk über viele
Länder ist damit auch erheblicher Reiseaufwand verbunden, der sich aber
auszahlt.
Die Ärzte investieren ebenfalls viel Zeit in die Zusammenarbeit. Die
Motivation für sie besteht hauptsächlich in der Möglichkeit, an Innovatio-
nen teilzuhaben: Viele Kunden sind begeistert, für ihre Ideen kompetente
Gesprächspartner zu haben oder bei einem Entwicklungsprojekt mitarbei-
ten zu können. Sie wollen gern lernen, wie die Produktentwicklung in ei-
ner Industriefirma abläuft und freuen sich, wenn ihre Beiträge später im
Produkt erkennbar sind. Diese Motivation verstärkt wiederum ihre Bezie-
hung zu Ethicon, und so schließt sich der Kreis.

8.8 Zusammenfassung

„Kundenorientierte Entwicklung“ ist heute ein viel genutztes Schlagwort.


Jeder Anbieter behauptet von sich kundenorientiert zu arbeiten. Ethicon
geht in dem hier beschriebenen Modell deutlich darüber hinaus: Das Un-
ternehmen sieht eine ausgewählte Anzahl von Kunden als seine Partner in
der Entwicklung, die in ganz verschiedenen Rollen aktiv mitwirken.
Die Kooperation zwischen Arzt und Ingenieur führt für beide Partner zu
einem Gewinn: Der Arzt erhält wesentlich mehr Möglichkeiten, die Zu-
kunft seines Faches zu bestimmen, und er lernt die industriellen Abläufe
kennen. Der Ingenieur und der Hersteller können das innovative Potenzial
der Ärzte ausschöpfen und bessere Produkte für den Patienten entwickeln.
Das Ergebnis zeigt sich vor allem im Erfolg von Ethicon und dem Medi-
cal Device Sektor von Johnson & Johnson: Das Unternehmen ist weiterhin
8. Der Kunde als Innovationspartner 149

zweistellig und die Innovationspipeline ist gut gefüllt (siehe Geschäftsbe-


richt Johnson & Johnson 2005).
Deutschland bietet für diese enge Kooperation zwischen Arzt und Inge-
nieur einige sehr gute Voraussetzungen: Viele Ärzte sind trotz ihrer großen
Arbeitsbelastung hoch motiviert zur Forschungsarbeit. Die Ausbildung der
Ärzte ist im internationalen Vergleich nach unserer Erfahrung sowohl in
der Theorie als auch in der Praxis ausgezeichnet. Es herrscht ein offenes
Kommunikationsklima, das den Umgang zwischen Arzt und Industrie er-
leichtert – das ist nicht in allen Ländern der Fall. Auch die Politik fordert
die Hochschulen und Universitäten zur Zusammenarbeit auf und fördert
sie durch Netzwerk- und Clusterbildung, unter anderem durch die vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten acht Zentren
für medizinische Technik.
Andererseits sind viele Krankenhäuser durch die Umstrukturierung des
Gesundheitswesens so sehr mit ihren internen Strukturen beschäftigt, dass
die Forschung beeinträchtigt werden könnte. Es gibt zurzeit kaum ein an-
deres Diskussionsthema im Krankenhaus als die Frage nach „Gewinn und
Verlust“. Die experimentelle Forschung kann dann leicht als reiner Kos-
tenfaktor betrachtet und rationalisiert werden. Das wiederum macht aber
eine Klinik als Kooperationspartner tendenziell weniger attraktiv.
Andere Firmen können die Grundstruktur des Modells von Ethicon sehr
gut nutzen und den Kunden als Person in das Entwicklungsteam einbinden.
Aufgrund der Erfahrung bei verschiedenen Kundengruppen ist Ethicon der
Ansicht, dass die meisten Firmen und Anbieter dadurch eine höhere Pro-
duktivität der Entwicklungsaktivitäten erreichen werden: mit klarer defi-
nierten Entwicklungszielen, mehr kreativen Ideen und besseren Produkten.
Denn unabhängig von diesem speziellen Modell ist die Kooperation zwi-
schen Kunde und Hersteller deshalb so effektiv, weil der Kunde seinen Be-
darf besser kennt als der Ingenieur und der Hersteller. Dafür bieten letztere
neben ihrem indirekten Problemblick konzeptionelle und technisch fun-
dierte Lösungskompetenzen. So ergänzen sich beide Qualifikationen sy-
nergistisch.
Das spezielle Modell von Ethicon kann sicher nicht exakt und im Detail
kopiert werden. Jedes Unternehmen bzw. jeder Bereich muss einen ei-
genen Lernprozess durchlaufen und in Erfahrung bringen, an welcher Stel-
le die Zusammenarbeit jeweils Ergebnisse liefert und den Aufwand recht-
fertigt. Auch Ethicon selbst befindet sich in einem ständigen Lernprozess
und verbessert sein Modell kontinuierlich.
150 Dieter Engel

8.9 Literatur

Christensen, C.M. / Raynor, M.E. (2003). The innovators solution: Creating and
sustaining successful growth. Boston: Harvard Business School Press.
Herstatt, C. / Lüthje, C. / Lettl, C. (2001). Fortschrittliche Kunden zu radikalen In-
novationen stimulieren. Arbeitspapier Nr. 9, Technische Universität Ham-
burg-Harburg.
Hippel, E. von (1988). The sources of innovation. New York: Oxford University
Press.
Knappe, E. / Neubauer, G. / Seeger, T. / Sullivan, K. (2000): Die Bedeutung von
Medizinprodukten im deutschen Gesundheitswesen. Studie der Universität
Trier. http://www.bvmed.de/linebreak4/mod/netmedia_pdf/data/studie-d.pdf.
Kristensson, P. / Gustafsson. A. / Archer, T. (2004). Harnessing the creative po-
tential among uses. In: Journal of Product Innovation Management, 21(1): 4-
14.
Roberts, E. (1988). Technological innovation and medical devices. In: Ekelman,
K. (Hrsg.). New medical devices: Invention, development, and use. Washing-
ton: National Academy Press, 35-47.
Sanders, E. (2002). Ethnography in NPD research – How “applied ethnography”
can improve your NPD research process. In: Visions Magazine, 2002(2).
http://www.pdma.org/visions/apr02/applied.html.
Shaw, B. (1985). The role of the interaction between the user and the manufactu-
rer in medical equipment innovation. In: R&D Management, 15(4): 283-292.
Siess, M. (2002). Finanzierung von Innovationen im DRG-System. BDCOnline,
1.9.2002.
Specht, G. (2002). F&E-Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.
Teil IV: Wissensmanagement und
Innovationskultur

9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen


Arbeiten und Lernen durch Telekommunikation und
Informationstechnologien intelligent miteinander verschmelzen

Joachim Niemeier

Die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens hängt von ver-


schiedenen Faktoren ab. Einerseits müssen die Rahmenbedingungen für ein exzel-
lentes Wissensumfeld im Unternehmen durch Telekommunikation und Informa-
tionstechnologien geschaffen werden. Andererseits nehmen die Mitarbeiter eines
Unternehmens eine Schlüsselrolle ein – nur wenn sie flexibel, kompetent und mit
einer hohen Bereitschaft, unternehmerisch „mitzudenken“, agieren, ist die Wett-
bewerbsfähigkeit eines Unternehmens gesichert. Zunächst werden Aspekte der
Förderung von Innovationsfähigkeit beleuchtet und davon ausgehend werden Ma-
nagementkonzepte der T-Systems Multimedia Solutions GmbH und deren Umset-
zung vorgestellt. Den Schwerpunkt stellt die Herausarbeitung von Handlungsfel-
dern eines wissensintensiven Unternehmens dar. Der Zusammenhang zwischen
Mitarbeiter-Commitment und Unternehmenserfolg wird abschließend anhand ei-
nes Regelkreismodells dargestellt, das eine transparente Steuerung auf Basis von
Fakten ermöglicht.

9.1 Einführung

Gerade ein Unternehmen aus der Internet- und Multimedia-Branche ist ge-
fordert, eine gute Balance zwischen New und Old Economy zu finden.
Schnelle Technologiezyklen und hohe Qualitätsanforderungen der Kunden
an geschäftskritische Web-Anwendungen treffen auf die Anforderungen
der Mitarbeiter aus der Newmedia-Branche hinsichtlich der Flexibilität
und Kreativität ihres Arbeitsumfeldes. Als Schlüsselfaktor für den Erfolg
in einem solchen Umfeld wird das Mitarbeiter-Commitment angesehen.
Mitarbeiter-Commitment bedeutet: Wie stark sind die Mitarbeiter mit dem
Unternehmen, seinen Strategien und Zielen verbunden? Wie loyal stehen
152 Joachim Niemeier

sie dem Unternehmen gegenüber? Wie massiv engagieren sie sich für das
Unternehmen? Wie schafft man ein Klima, das innovative Leistungen her-
vorbringt und den Einsatz neuester Technologien ermöglicht?
Viele Experten sind sich einig, dass das Lernen bei der Arbeit zukünftig
deutlich zunehmen und sich als eine der wichtigsten Formen der Weiterbil-
dung etablieren wird. „Corporate Intranets“ werden nicht mehr nur der
Kostenreduktion und Prozessautomatisierung dienen, sondern auch dazu,
eine effiziente Kompetenzbasis aufzubauen, die beste Vorgehensweise zu
identifizieren, Wissen auszutauschen und die Informationen zu nutzen.
Wikis, Blogs („Weblogs“) und Klogs („Knowledge Weblogs“) stehen als
neue intuitive und benutzerfreundliche Technologien auch im Unterneh-
mensumfeld zur Verfügung. Lösungen auf Basis mobiler Technologien
werden helfen, den Zugang zu Informationen zu vereinfachen, die Sicht-
barkeit relevanten Wissens zu sichern und den Dialog zu erleichtern. Kun-
den werden Teil eines erweiterten Kompetenznetzwerkes, deren Heteroge-
nität in Form von Zugangsebenen und -formen über E-Channels Rechnung
getragen wird. Die Fähigkeit zur zügigen und flexiblen Rekonfiguration
von Ressourcen ist die Basis für einen aktiven Dialog mit Kunden und
Verbrauchern.
Arbeitsumgebung und Lernumgebung basieren immer mehr auf den
gleichen Komponenten und verschmelzen langsam, aber kontinuierlich
miteinander. Die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eines Unterneh-
mens hängt davon ab, ob es gelingt, durch Telekommunikation und Infor-
mationstechnologien die Rahmenbedingungen für ein exzellentes Wissens-
umfeld im Unternehmen zu schaffen. Neue Technologien sind mittlerweile
serienreif und werden in den nächsten Jahren deutliche Spuren in unserer
Arbeits- und Lernwelt hinterlassen. Technologische Neuerungen werden
insbesondere auch für den Aufbau von flexiblen und attraktiven Arbeits-
strukturen sowie für effektive Kompetenznetzwerke genutzt werden. In
Abbildung 9.1 sind Faktoren zur Förderung der Innovationsfähigkeit dar-
gestellt.
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 153

Konsequente Brain-Power
Lernkultur der Mitarbeiter

Innovations-
fähigkeit
Flexible Arbeits-
Infrastrukturen für
organisationen und
Wissens- und Dienst-
Kompetenznetzwerke
leistungsarbeit

Wissens- und
Innovationsmanagement
Quelle: Joachim Niemeier

Abb. 9.1. Faktoren zur Förderung der Innovationsfähigkeit

Hier werden die Managementkonzepte der T-Systems Multimedia Solu-


tions GmbH und ihre konkrete Umsetzung vorgestellt. Daraus ergeben sich
vielfältige Anforderungen an die Führungskräfte und Projektmitarbeiter
des Unternehmens, an ihre Bereitschaft zu lernen, sich weiterzuentwickeln
und vor allem aber als Team erfolgreich zu sein.

9.2 „People Business“ in einem agilen Marktumfeld

Internet-Technologien sind erwachsen geworden. Nach dem Internet-Hype


und der darauf folgenden Baisse befindet sich die Internet- und Multime-
diabranche nun in einer Situation, die nicht mehr allein von „New-Econo-
my“-Schlagworten wie IPO (Initial Public Offering), AOP (Aktien-Op-
tions-Plan), Risiko und Dynamik gekennzeichnet ist. Vielmehr wird erwar-
tet, dass die Unternehmen eine vernünftige Balance auch zu Themen aus
dem Bereich Qualitäts-, Prozess- und Performance-Management gestalten.
Die Mitarbeiter eines Newmedia-Unternehmens sind – wie in vielen an-
deren Branchen auch – der wesentliche Faktor für dessen nachhaltigen Er-
folg. Die Kompetenz der Mitarbeiter spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Nicht nur, dass die Personalkosten der Unternehmen im Newmedia-Um-
feld teilweise weit über 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, der Un-
ternehmenserfolg wird „am Kunden“ entschieden. Gerade bei Lösungen,
die auf den Kunden zugeschnitten sind, wird seine Zufriedenheit deutlich
dadurch bestimmt, wie zufrieden er selbst mit dem Team ist (seine Wahr-
nehmung der Kompetenz und das Verhalten der Mitarbeiter im Projekt). In
der IT-Branche wurde dazu der Begriff „People Business“ geprägt. Dieses
„People Business“ prägt wissensintensive Unternehmen (siehe „Professio-
154 Joachim Niemeier

nelle Wissens-Organisation“ in Abbildung 9.2), die sowohl auf ausgepräg-


tem fachlichen als auch technischen Know-how beruhen.

Management-
Know-how

hoch
„Professionelle
„Dienstleistungsfabrik“ Wissens-
Organisation“

niedrig „Büro“ „Agentur“

Fachliches
niedrig hoch Know-how
Quelle: Joachim Niemeier

Abb. 9.2. Wissensintensive Unternehmen (Quelle: Sveiby und Lloyd 1987)

9.3 Zentrale Managementkonzepte der T-Systems


Multimedia Solutions GmbH

Die T-Systems Multimedia Solutions GmbH (MMS)1 realisiert Internet-


und Multimedia-Projekte, die vom Webdesign bis zur softwaretechnischen
Verknüpfung von Internetfunktionen mit den bestehenden Softwarelösun-
gen (z.B. E-Business-Anwendungen, E-Government-Portale) eines Unter-
nehmens oder einer Behörde reichen. Die Kompetenzen umfassen Marke-
ting- und Multichannel-Portale, Web und E-Business Operation Services
und internetbasierte Lösungen für Geschäftsprozesse. Branchen- oder the-
menorientierte Spezialisierungen im Portfolio (z.B. HR-Lösungen, E-Lear-
ning-Lösungen) bedienen die Bedürfnisse spezifischer Kundengruppen.
Das Unternehmen wurde im Januar 1995 als Tochter der Deutschen Te-
lekom AG gegründet und gehört heute zur Säule T-Systems im Konzern
Deutsche Telekom. Nach dem Newmedia-Ranking 2004 des Deutschen
Multimedia Verbandes (dmmv) ist die T-Systems MMS der führende In-
ternet- und Multimedia-Dienstleister in Deutschland.2 Die T-Systems
MMS beschäftigte Mitte 2005 über 500 Mitarbeiter (mit einem hohen An-

1 www.mms-dresden.de.
2 www.newmediaranking.de.
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 155

teil externer Mitarbeiter) mit einem Durchschnittsalter von rund 33 Jahren


und einem sehr hohen Qualifikationsniveau.
Um schnell und flexibel auf Änderungen am Markt, der Kundenwün-
sche und im Wettbewerb reagieren zu können, hat sich die T-Systems
MMS in aktiven Unternehmenseinheiten (Business Units, Projektfelder)
organisiert, die auf kompetenzorientierten und kundenorientierten Prozes-
sen beruhen. Die Unternehmenseinheiten haben weit reichende Entschei-
dungskompetenzen mit der entsprechenden Verantwortung für ihre Ergeb-
nisse. Inhaltlich zeigen sich die in Abbildung 9.3 dargestellten Merkmale
wissensintensiver Unternehmen.

Strategie-
entwicklung
wichtige Impulse
entstehen an der
Basis

Organisations- Wissen als


strukturen Ressource &
wissensförderlich, Produkt
horizontal vernetzt Qualität wichtiger
Wissens- als Quantität
arbeit
gestalten

Dienstleistungs- Mitarbeiter
prozesse qualifiziert,
standardisiert, selbstgesteuert
ganzheitlich (Work-Life-
Balance)

Quelle: Joachim Niemeier

Abb. 9.3. Charakteristische Merkmale wissensintensiver Unternehmen

Die T-Systems MMS ist mit einem häufig zweistelligen Umsatz- und
Personalwachstum das am kontinuierlichsten gewachsene Internet- und
Multimedia-Unternehmen der vergangenen Jahre und seit der Gründung
des Unternehmens, auch in der Zeit nach dem Internet-Hype im Jahr 2000,
entgegen dem Trend profitabel.
156 Joachim Niemeier

Im Unternehmen werden fünf verknüpfte Managementkonzepte ver-


folgt:

(1) „Strategy Focused Company“

Wesentlicher Bestandteil dieses Managementkonzeptes ist die Strategie-


formulierung und -durchsetzung im Unternehmen. Die Entwicklung und
Kommunikation der Unternehmensstrategie erfolgen mithilfe einer „Stra-
tegy Map“. Der Balanced-Scorecard-Ansatz nach Kaplan und Norton3 wird
für das Unternehmen, seine Bereiche und einzelne Kunden- und Partnerbe-
ziehungen zur Steuerung der Strategieumsetzung angewendet. Der Ziel-
prozess für jeden einzelnen Mitarbeiter ist Bestandteil dieses Vorgehens.

(2) „People Business“

Auf einem Markt, der sich nach dem Internet-Hype drastisch von einem
Anbieter- zu einem Käufermarkt gewandelt hat, hängt der zukünftige Er-
folg von Folgendem ab: einem exzellenten Technologie-Know-how, einem
verlässlichen Projektmanagement, hoch kompetenten und engagierten Mit-
arbeitern, guten langfristigen Kundenbeziehungen, der Abdeckung der ge-
samten Wertschöpfungskette von der Beratung über attraktives Design und
Technologieintegration bis hin zu einem schlagkräftigen Support.

(3) „Value Management“

Ziel ist es, den Kunden bei der Optimierung seines Geschäfts zu unterstüt-
zen und darüber hinaus maßgeblich zu seinem Erfolg beizutragen. In den
Beratungsteams werden Berater mit Internet-Know-how und Erfahrungen
in der Unternehmensberatung eingesetzt. Diese Teams werden projektbe-
zogen durch Experten mit langjähriger Erfahrung in den jeweiligen Tech-
nologien und Branchen verstärkt. Die Beratung umfasst alle relevanten
Themen – von Vorschlägen für ein Geschäftsmodell über den Business-
plan bis hin zu schlüssigen Organisationsmodellen und multimediagerech-
tem Design der Nutzerschnittstelle.

(4) „Learning Organisation“

Im Rahmen des „Continuous Process Improvement” (CPI) gehören Selbst-


bewertungsansätze zur Ermittlung von Verbesserungspotenzialen, die

3 www.bscol.com.
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 157

Identifikation und Kommunikation von internen „Best Practices“ sowie


Benchmarking-Aktivitäten zum festen Bestandteil des organisatorischen
Lernens. Auf individueller Ebene gehören Trainingsprogramme, selbstge-
steuerte Lernansätze, die Zusammenarbeit in Projektteams, Kompetenz-
zentren und „Communities“ sowie eine kontinuierliche professionelle Ent-
wicklung zum Programm.

(5) „Effective Leadership“

Die Führungsfunktion in der T-Systems MMS zeigt drei Ausprägungen:


- Befähiger („Enabler“): Die Führung unterstützt die Mitarbeiter bei
der Erfüllung ihrer Aufgaben und Ziele.
- Vorbild („Role Model“): Die Führungskräfte haben eine Vorbildfunk-
tion, die sie durch Vorleben und die Übernahme von vielfältigen Auf-
gaben unter Beweis stellen.
- Visionär („Visionary“): Starke Bilder im Hinblick auf die zukünftige
Entwicklung des Unternehmens werden entwickelt und kommuni-
ziert.
Alle Managementkonzepte wurden im Kontext eines umfassenden Busi-
ness Excellence Programms nach dem EFQM-Modell weiterentwickelt.
Die Bemühungen um Business Excellence wurden im Rahmen des Euro-
pean Quality Awards 2005 mit dem Preis für „Kontinuierliches Lernen, In-
novation und Verbesserung“ ausgezeichnet.4

9.4 Gestaltungsfelder in einem wissensintensiven


Unternehmen

IT-Lösungen zu erstellen erfordern flexible, anpassungsfähige und kompe-


tente Mitarbeiter mit einer hohen Bereitschaft, unternehmerisch „mitzu-
denken“ und Ergebnisverantwortung zu übernehmen. Zielmanagement,
Teamarbeit und Vertrauenskultur sind wesentliche Elemente des Vorge-
hens:
- Arbeitszeit: Damit Teams sehr flexibel und angepasst an Kundenbe-
dürfnisse zusammenarbeiten können, verfügt die T-Systems MMS
über verschiedene Arbeitszeitmodelle (inklusive Teilzeit, alternieren-
de Telearbeit) und eine flexible Arbeitszeitregelung nach dem Ver-

4 http://www.efqm.org/Default.aspx?tabid=161.
158 Joachim Niemeier

trauensarbeitszeitmodell. Es existiert keine Kernzeit, da es Aufgabe


der Mitarbeiter des Teams ist selbst zu entscheiden, wann eine Anwe-
senheit bzw. Erreichbarkeit aus Sicht der Kunden und der Kollegen
erforderlich ist.
- Kooperation: Aufgrund des projektorientierten Geschäftes ergibt
sich die Anforderung, in häufig wechselnden Teams auf Basis von
professionellen Standards zusammenzuarbeiten. Allen Mitarbeitern
steht dazu eine Infrastruktur zur Verfügung, um über jede Entfernung
hinweg zu jeder Zeit zusammenzuarbeiten, beispielsweise in virtuel-
len, über die ganze Welt verteilten Teams.
- Zielmanagement: Die Balanced Scorecard des Unternehmens und
seiner Units bildet die Basis für die Individualziele der Mitarbeiter.
Die Mitarbeiter vereinbaren über das zielorientierte Management ihre
Jahresziele, welche an eine variable Vergütung gekoppelt sind. Sie
müssen selbstverantwortlich den Weg zu ihrer Erreichung wählen.
Die Ziele eines Mitarbeiters reflektieren die gesamte Palette der Un-
ternehmensziele, angefangen vom Umsatz über Kundenzufriedenheit
bis hin zur Produktivität und Weiterentwicklung.
- Aktives Wissensmanagement: Das Future Forum der T-Systems
MMS wird für vielfältige marktrelevante, fachliche oder organisatori-
sche Beiträge und bereichsübergreifende Diskussionen aller Mitarbei-
ter sowie für den Austausch von Wissen und „Best Practices“ unter-
einander genutzt. Das Forum wird auch genutzt, um Anregungen und
Verbesserungsvorschläge einzubringen.
- Förderung von Selbstbestimmung, Kreativität und Innovation:
Die T-Systems MMS hat sich bewusst gegen ein formales Verbesse-
rungsvorschlagswesen entschieden. Die Mitarbeiter werden von den
Führungskräften ermutigt, Verbesserungsvorschläge unmittelbar mit
ihnen zu besprechen und dann ggf. gemeinsam für eine zeitnahe Um-
setzung zu sorgen. Um die Selbstverantwortung, Kreativität und In-
novation anzuregen und zu fördern, werden Aktivitäten aus den Rei-
hen der Mitarbeiter unterstützt, wie etwa der „Java-Kaffeeklatsch“,
der „Konzeptionisten-Stammtisch“ oder die „Projektleiter-Runde“.
Um die Zusammenarbeit in den jeweiligen Business Units bzw. Be-
reichen zu fördern, führen diese jährlich mindestens ein Offsite-Mee-
ting durch. Diese Meetings tragen zur Teambildung bei und werden
weiterhin genutzt, um Verbesserungspotenziale in den jeweiligen Be-
reichen zu identifizieren. Werden durch Mitarbeiter tief greifende
Verbesserungsvorschläge gemacht, erarbeitet der betreffende Mitar-
beiter zusammen mit seiner Führungskraft eine Entscheidungsvorla-
ge, welche er dann in einer Geschäftsführungs-Runde den Führungs-
kräften vorstellt. Die Führungskräfte diskutieren gemeinsam mit dem
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 159

Mitarbeiter seinen Vorschlag und treffen eine Entscheidung über die


Umsetzung (z.B. Verbesserungsvorschlag zur Anlagenverwaltung,
neues Controllingkonzept, Verbesserungsvorschläge aus dem Bereich
Infrastruktur, webbasierte Leistungserfassung).
- Selbstgesteuerte Qualifizierung über das Weiterbildungsportal:
Um im Unternehmen die Eigenverantwortung bei der Qualifizierung
zu stärken, wurde ein Weiterbildungsportal für die Mitarbeiter der T-
Systems MMS eingerichtet. Wegen dessen großer Bedeutung hat ein
Geschäftsführer die Patenschaft für dieses Projekt übernommen. Über
dieses Weiterbildungsportal werden zum Beispiel Kurse zum Projekt-
management, dem Zielmanagement und der Balanced Scorecard an-
geboten.

9.5 Entwicklung des Wissensumfeldes über intelligente


Lern- und Arbeitswelten

Das 7-Stufen Modell von Prahalad und Ramaswamy (2004) bildet einen
guten Beschreibungsrahmen für die Handlungsfelder eines wissensintensi-
ven Unternehmens.

Gemeinsame Wertschöpfung
Entwicklung neuer Vorgehensweisen

Entdeckungen ermöglichen
Erkenntnisse zusammenfassen

Aktionsteams mobilisieren
Neue Initiativen anregen

Kompetenzquellen besser nutzen


Zugang, Sichtbarkeit und Dialog erleichtern

Informationen nutzen
Kontextuelles Wissen extrahieren

Informationsaustausch
Die beste Vorgehensweise identifizieren

Schulung und Personalentwicklung


Eine Kompetenzbasis aufbauen

Quelle: Joachim Niemeier

Abb. 9.4. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen


(Quelle: Prahalad und Ramaswamy 2004)
160 Joachim Niemeier

Stufe 1: Schulung und Personalentwicklung

Der systematische Aufbau der Kompetenzbasis dient dazu, sowohl die In-
novationsfähigkeit des Unternehmens als auch die Employabilität der Mit-
arbeiter zu sichern.
Die ständige Weiterbildung dieser Mitarbeiter führt zu einem sehr ho-
hen projektbezogenen Qualifikationsniveau mit ausgeprägter Kundenori-
entierung und flexibel einsetzbaren Kompetenzen der Mitarbeiter. Dabei
setzt die T-Systems MMS auf international anerkannte Weiterbildungspro-
gramme und Zertifikate:
- Etwa 80 Prozent aller Mitarbeiter der T-Systems MMS weisen ihr Po-
tenzial mittels eines Hochschulabschlusses nach.
- In einem mehrstufigen Qualifikationsprogramm werden die Projekt-
leiter zu zertifizierten „Project Manager Professionals“ PMI qualifi-
ziert (Projekt Management Institute).5
- Application- und Servicemanager werden nach dem ITIL (Informati-
on Technology Infrastructure Library)-Standard ausgebildet.6
- Die Softwarespezialisten besitzen zertifiziertes Know-how auf den
Gebieten .NET, Java, Lotus Notes etc.
- Die Tester des Test- und Integrationszentrums sind mit ASQF-Zertifi-
kat geprüft – einem international anerkannten Zeugnis für die Qualität
des Know-hows beim Softwaretesting.7
Eine formale Zertifizierung ist eine typische „Win-Win“-Situation für
den Mitarbeiter und das Unternehmen. Der Mitarbeiter steigert seinen
Marktwert, das Unternehmen kann diesen Mitarbeiter zu höheren Tages-
sätzen anbieten und unterstützt gleichzeitig das Image als Qualitätsliefe-
rant.
Mittels „Blended Learning“, einer Kombination von traditionellen Aus-
bildungsmethoden und modernen E-Learning-Programmen, ermöglicht die
T-Systems MMS kosten- und erfolgsoptimierte Weiterentwicklung aller
Kompetenzen auf dem jeweils effizientesten Weg: Seminare, Coaching, E-
Learning-Module, Transfer-Meetings etc. (Happ und Müller-Wenzke
2005).
In Zusammenarbeit mit Universitäten, Hochschulen, Berufsakademien
und dem Telekom Training Center fördert die T-Systems MMS sowohl

5 www.pmi.org.
6 www.itil.co.uk.
7 www.asqf.de.
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 161

den wissenschaftlichen als auch den technischen Nachwuchs zum gegen-


seitigen Nutzen.

Stufe 2: Informationsaustausch

Für den Informationsaustausch wird ein „Corporate Intranet“ genutzt. Da-


bei sind jedoch ganz klar die für den Informationsaustausch eingesetzten
Technologien die niedrigeren Hürden; die Unternehmensprozesse sind die
anspruchsvollen Meilensteine.
Lösungen in der T-Systems MMS für den Informationsaustausch sind
folgende:
- Es wurden Verantwortlichkeiten und Zeit für den Informationsaus-
tausch auf Ebene der Unternehmensprozesse geschaffen.
- Das „Second Structure“-Paradigma wird ernst genommen: Wissens-
weitergabe ist Bestandteil jeder professionellen Arbeitsaufgabe.
- „Debriefing“ wird als zentrales Thema im Hinblick auf Wertsiche-
rung und Lernen verfolgt.
- Kompetenznetzwerke, welche die Unternehmensprozesse überschrei-
ten, werden gefördert und ausgebaut (PMI Chapter, itSMF, Intacs).

Stufe 3: Informationen nutzen

Die beste Vorgehensweise identifiziert zu haben, bedeutet noch lange


nicht, sie auch nutzen zu können. Es gilt Lern- und Arbeitswelten durch in-
telligente Gestaltung zu verbinden. Gerade wissensintensive Dienstleister
arbeiten regelmäßig in wechselnden Teams. Traditionelle Arbeitswelten
mit einem festen Arbeitsort und einer festen Arbeitszeit sind selten gewor-
den. Kommunikations- und Kooperationstechnologien müssen verstärkt
zur Bewältigung der zeitlichen und räumlichen Virtualisierung eingesetzt
werden.

Stufe 4: Kompetenzquellen besser nutzen

Um Kompetenzquellen besser zu nutzen, müssen der Zugang, die Sichtbar-


keit und der Dialog im Unternehmen erleichtert werden. Es kommt nicht
nur darauf an, auf das explizite, sondern gerade auch auf das verborgene
Wissen von Mitarbeitern zuzugreifen. Ein Ansatz dazu ist die Fokussie-
rung der Innovationsaktivitäten im „Center of Competences“, aber auch ei-
ne entsprechende Meeting- und Kommunikationskultur verfolgt dieses
Ziel.
162 Joachim Niemeier

Stufe 5: Aktionsteams mobilisieren

Wenn Strategien scheitern, dann liegt das häufig nicht daran, das die Stra-
tegie schlecht war, sondern daran, dass die Umsetzung der Strategie („Exe-
cution“) vernachlässigt wurde. Dies gilt auch im Hinblick auf neue Initiati-
ven; hier muss es gelingen, die Aktivitäten zu einem dauerhaften Prozess
zu machen. Dazu bedarf es des geeigneten ausführenden Personals in der
richtigen Zusammenstellung.
Fachwissen muss unabhängig vom Positionsprofil oder dem vorhande-
nen Titel entdeckt und mobilisiert werden. Als sinnvolle unterstützende
Aktivitäten sind hier Training, Coaching und Mentoring zu sehen.

Stufe 6: Entdeckungen ermöglichen

Neue Erkenntnisse entstehen vor allem auf Basis eines Dialogs mit dem
Kunden. Lösungen in der T-Systems MMS dazu sind:
- Top- und Target-Accounts werden systematisch gemanagt.
- Kunden werden als Teil eines erweiterten Kompetenznetzwerkes ver-
standen.
- Das Unternehmen hört auf seine Kunden und passt das Angebot an
den Bedarf des Kunden an.
- Ansätze wie „Business Intelligence“ und „Total Customer Relation-
ship Management“ werden genutzt.

Stufe 7: Gemeinsame Wertschöpfung

Die Idee der Vielfalt und Heterogenität mit einem hohen Qualitätsanspruch
zu verbinden und dem Kunden eine einzigartige personalisierte Erfahrung
zu ermöglichen, ist eine extrem anspruchsvolle Aufgabe. Basis ist ein akti-
ver Dialog mit dem Kunden mit dem Ziel der gemeinsamen Gestaltung in-
dividueller Erwartungen und dem kreativen Aufbau personalisierter Erfah-
rungen. Es entstehen Erfahrungsnetzwerke: Lösungen, Vertriebskanäle,
Technologien und Mitarbeiter sind Pforten zu diesen Erfahrungen. Der He-
terogenität der Kunden wird in Form ihrer Zugangsebenen und -formen
Rechnung getragen.
9. Ein Wissensumfeld im Unternehmen schaffen 163

9.6 Zusammenfassung
Zyklus des Erfolgs

Bleibt zum Schluss die Frage nach der Erfolgsmessung. Hierzu hat sich die
T-Systems MMS ein Regelkreismodell zu Eigen gemacht, welches einen
Zusammenhang zwischen dem Commitment der Mitarbeiter und dem Un-
ternehmenserfolg herstellt.

Ertragssteigerung
durch stärkere
Kundenbindung

Höherer Kundennutzen Größere Freiräume /


bewirkt stärkere Eigenverantwortung
Kundenbindung für Mitarbeiter

Erfahrene und Steigerung des


engagierte Mitarbeiter Commitments der
steigern den Mitarbeiter
Kundennutzen

Mehr Erfahrung,
höhere Produktivität

Quelle: Joachim Niemeier

Abb. 9.5. Regelkreis Kundenbindung und Mitarbeiter-Commitment


(Quelle: Infratest Burke 1997)

Das Commitment der Mitarbeiter wird jährlich im Rahmen der Mitar-


beiterbefragung ermittelt. Der Messindex (TRI:M-Index) des Commit-
ments zeigt das Maß der Verbundenheit, welche die Mitarbeiter dem Un-
ternehmen gegenüber empfinden, wie loyal sie dem Unternehmen gegen-
überstehen und wie sehr sie sich für das Unternehmen engagieren (Infra-
test Burke 1997). Im Allgemeinen wird ein hohes Commitment als Vor-
aussetzung für die Steigerung des Kundennutzens und der Kundenbindung
betrachtet. Sowohl im Vergleich innerhalb des Konzerns Deutsche Tele-
kom als auch im Vergleich zu europäischen IT-Unternehmen liegt das Mit-
arbeiter-Commitment der T-Systems MMS in der Spitzengruppe, ebenso
ihr Anteil engagierter Mitarbeiter. Dieses Commitment aller Mitarbeiter
der T-Systems MMS ist der wesentliche Grund für die überdurchschnitt-
lich positive Bewertung der Leistungen durch den Kunden, eine hohe Kun-
denbindung und damit der Schlüssel zum langjährigen Unternehmenser-
folg in einem agilen und innovativen Marktumfeld.
164 Joachim Niemeier

9.7 Literatur

Happ, S. / Müller-Wenzke, A. (2005). Project management on-the-job-training:


Changes for the HR-department. Experiences from a mid-sized multimedia
company. Beitrag präsentiert auf dem PMI Global Congress 2005 – EMEA in
Edinburgh, Schottland.
Infratest Burke (1997). Kundenbindungsmanagement: Eine TRI:M-Fallstudie.
München: Infratest.
Prahalad, C.K. / Ramaswamy, V. (2004). Die Zukunft des Wettbewerbs – Einzig-
artige Werte mit den Kunden gemeinsam schaffen. Wien: Linde.
Sveiby, K.E. / Lloyd, T. (1987). Managing knowhow: Add value by valuing crea-
tivity. London: Bloomsbury.
Teil V: “Zeit” und “Ort” als zentrale
Organisationsaspekte des
Innovationsmanagements

10. Stand und Perspektiven des internationalen


Innovationsmanagements
Grundlagen der Organisation und des Managements
internationaler Innovationsprozesse

Michael Nippa und Björn Rosenberger

Das länderübergreifende Management von Innovation ist eine wichtige und


schwierige Aufgabe der modernen Unternehmensführung. Bereits in einem natio-
nalen Umfeld ist die Komplexität des kreativen, meist nicht physischen und nur
bedingt transparenten Innovationsprozesses sehr hoch. Die Organisation dieses
Prozesses gestaltet sich noch schwieriger, wenn Mitarbeiter aus unterschiedlichen
Kulturen und Zeitzonen effizient vermarktbare und erfolgreiche Produkt- und
Dienstleistungsinnovationen hervorbringen sollen. Am Beispiel von F&E-Prozes-
sen werden die zentralen Motive und Zielsetzungen der Internationalisierung die-
ses bedeutenden betrieblichen Prozesses gezeigt, die aus strategischen und Kos-
tenüberlegungen resultieren. Die wesentlichen Aspekte des internationalen Inno-
vationsmanagements werden insbesondere anhand der Vorstellung und Diskus-
sion der wichtigsten Managementaufgaben dargeleg: der Standortwahl, der Fest-
legung von Organisationsstruktur und Organisationsform sowie dem Management
des Innovationsprozesses.

10.1 Einführung

Die Internationalisierung der betrieblichen Funktionen ist schon lange kein


neues Phänomen mehr, sondern integraler Bestandteil der Geschäftsstrate-
gie vieler Firmen. Es gibt kein großes und kaum ein mittelständisches Un-
ternehmen, das nicht seit Jahren international tätig ist, sei es über eigene
internationale Niederlassungen, mittels internationaler Joint Ventures, stra-
tegischer Allianzen oder Lizenzvergabe. In den Anfangsphasen der Inter-
166 Michael Nippa und Björn Rosenberger

nationalisierung standen vor allem operative und physische Funktionen


wie Vertrieb und Produktion im Mittelpunkt entsprechender Aktivitäten
des Unternehmens. Erst später wandte sich das Management systematisch
der geografischen Erweiterung nicht physischer Wertschöpfungsprozesse
des Unternehmens zu, wie zum Beispiel der betrieblichen Datenverarbei-
tung oder – nachfolgend zentral behandelt – dem Forschungs- und Ent-
wicklungsbereich (F&E-Bereich).
Aufgrund der hervorgehobenen Rolle speziell von Neuproduktentwick-
lungen für den langfristigen Unternehmenserfolg und der besonderen Cha-
rakteristik des länderübergreifenden Innovationsprozesses ist das internati-
onale Innovationsmanagement eine erfolgskritische Aufgabe der Unter-
nehmensführung. Wir geben hier einen Überblick über wesentliche Ele-
mente und Entscheidungstatbestände dieser strategischen Managementauf-
gabe. Im Mittelpunkt stehen Fragen und Lösungsansätze zur Organisation
globaler Entwicklungsprozesse für Produkte und Dienstleistungen.
Zunächst werden wir die Besonderheiten und Herausforderungen des in-
ternationalen Innovationsprozesses sowie ausgewählte Informationen zum
aktuellen Stand der Internationalisierung darstellen. Danach werden die
strategischen Ziele und Konzepte erläutert, mittels derer die Internationali-
sierung von F&E-Aktivitäten verfolgt werden. Wie diese Ziele umgesetzt
werden können, ist Inhalt des darauf folgenden Abschnitts: hier werden die
Konfigurations- und Koordinationsaufgaben des internationalen Innovati-
onsmanagements vorgestellt und Hinweise für die organisatorische Gestal-
tung und das Management des grenzüberschreitenden Innovationsprozes-
ses gegeben. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Zusammenfassung und
einem Ausblick auf aktuelle und künftige Entwicklungen.

10.2 State-of-the-Art der Internationalisierung von


F&E-Aktivitäten

10.2.1 Inhalt und Charakteristika von Innovationen

Forschungs- und Entwicklungsprozesse gehören zu den erfolgskritischsten


Geschäftsprozessen vieler Unternehmen. Ziel ist es neue Produkte und
Dienstleistungen, für die am Markt eine Nachfrage besteht bzw. vermutet
wird, unter den immer gegebenen Ressourcenbegrenzungen effizient her-
vorzubringen, um damit in Zukunft Erträge zu erwirtschaften. Dabei zeich-
net sich der F&E-Prozess typischerweise durch einige Besonderheiten ge-
genüber anderen Geschäftsabläufen aus, die auch von Bedeutung für die
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 167

Möglichkeiten und Grenzen einer Internationalisierung bzw. internationa-


len Arbeitsteilung sind.
Der F&E-Prozess ist von höchster strategischer Relevanz für die zukün-
ftige Entwicklung eines Unternehmens. Der aggregierte Output aller F&E-
Prozesse repräsentiert prinzipiell das zukünftige Produkt- bzw. Service-
portfolio des Unternehmens. Somit spielt der F&E-Prozess eine Schlüssel-
rolle bei der kontinuierlichen Anpassung des Produkt- und Serviceange-
bots an die sich ändernden Kundenbedürfnisse und Marktgegebenheiten.
Er ist Grundlage für unternehmenstaktische Entscheidungen und Maßnah-
men, wie zum Beispiel die Erschließung neuer Marktsegmente, und trägt
entscheidend zur Differenzierung im Wettbewerb bei. Dabei ist der Erfolg
von Innovationen ist keiner Weise garantiert. Im Gegenteil: Auf dem Weg
von der Idee bis zur wirtschaftlich erfolgreichen Produkt- oder Servicein-
novation scheitern gemäß unabhängigen Studien die meisten Innovations-
projekte. Kosten- und Zeitüberschreitungen sowie fehlende Kundenakzep-
tanz führen vielfach dazu, dass nur ein Bruchteil aller begonnenen Innova-
tionsprojekte bis zur Produktreife getrieben wird und auch nach mehreren
Jahren noch im Markt besteht und positiv zum Unternehmensergebnis bei-
trägt. Für das Management hat diese große Ungewissheit hinsichtlich des
Erfolgs von Innovationsprojekten die Konsequenz, dass jedes neue Projekt
auch gleichzeitig ein nicht unerhebliches Investitionsrisiko darstellt. Folg-
lich müssen im Rahmen des Innovationsprozesses für Investitionen typi-
sche und strategisch weit reichende Entscheidungen getroffen werden, zum
Beispiel über die Ressourcenausstattung und/oder die Fortführung des In-
novationsprojekts. Weiterhin erfordert der F&E-Prozess den Umgang mit
wettbewerbssensiblen Informationen und Kompetenzen: Zum einen spie-
gelt die „Pipeline“ der F&E-Aktivitäten des Unternehmens dessen zukünf-
tige Ausrichtung im Markt wider und enthält höchst wettbewerbsrelevante
und somit vertrauliche Informationen. Zum anderen sind die in den F&E-
Prozess einfließenden Kompetenzen des Unternehmens der Grundstock für
den Erfolg aktueller und zukünftiger Innovationsprojekte. Ein Abfluss die-
ser Kompetenzen oder deren Imitation durch Wettbewerber gefährdet da-
her die Innovationsfähigkeit des Unternehmens und muss dementspre-
chend vermieden werden.
Eine weitere grundlegende Eigenschaft von F&E-Prozessen ist die Not-
wendigkeit der Einbeziehung unterschiedlichen Wissens. Dies betrifft so-
wohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Quellen. Intern
können neben dem eigentlichen Forschungs- und Entwicklungsbereich
auch Marketing, Vertrieb, oder – bei Produktinnovationen – die Fertigung
wichtige Wissensträger sein. Darüber hinaus hat sich vor allem auch die
Kooperation mit unternehmensexternen Wissensträgern bzw. F&E-Institu-
168 Michael Nippa und Björn Rosenberger

tionen wie Universitäten, Forschungsinstituten, Lieferanten und Kunden


als Erfolg entscheidend herausgestellt. In der neueren Innovationsfor-
schung wird auch der Herausbildung und der Beschaffenheit von regiona-
len Kompetenz-Clustern (z.B. Computertechnologie und Mikroelektronik
im Silicon Valley) große Aufmerksamkeit geschenkt (siehe z.B. Carrinca-
zeaux, Lung und Rallet 2001; Porter 1998).
Im Kontext des internationalen F&E-Prozesses muss speziell das Wis-
sensmanagement besonders beachtet werden. Im F&E-Prozess ist Wissen
nicht begrenzt auf operative Informationen, sondern es ist das spezialisier-
te Know-how im Sinne von funktionellen und technischen Kompetenzen
des Individuums und deren Anwendung im Innovationsprojekt. Es ist so-
mit nicht physisch und oftmals nicht explizit, d.h., nicht verfügbar in Form
von Daten, Anleitungen oder Berichten. Dies erschwert die Kommunikati-
on und Weitergabe von Informationen zwischen den Prozessbeteiligten,
ein Faktor, dem das Innovationsmanagement Rechnung tragen muss. Es
trägt weiterhin dazu bei, dass F&E-Prozesse typischerweise weniger trans-
parent und standardisiert sind und größere Unsicherheiten hinsichtlich Ar-
beitsergebnissen und Arbeitsabläufen bestehen als zum Beispiel in Ferti-
gungsprozessen. Aufgrund dieser fundamentalen Charakteristika über-
rascht es nicht, dass der Innovationsprozess in hohem Maße arbeitsteilig
und funktionsübergreifend organisiert ist.
Dies betrifft zunächst die interorganisatorische Arbeitsteilung zwischen
dem Unternehmen und externen Wissensträgern, mit denen es kooperiert
(z.B. Forschungsinstitute, Technologiepartner) bzw. Geschäftsbeziehungen
pflegt (Kunden, Lieferanten). So gibt es im Automobilbau beispielsweise
eine lange Tradition gemeinsamer Entwicklung von Komponenten und
Systemen mit Lieferanten. Aber auch Softwareunternehmen für betriebli-
che Informationssysteme entwickeln Branchenlösungen zumeist zusam-
men mit einem Lead-User der entsprechenden Industrie. Und schließlich
sind langjährige Partnerschaften zwischen Industrie und unabhängigen
Forschungsinstituten in der pharmazeutischen Industrie ein wesentlicher
Bestandteil des F&E-Prozesses.
Auch intraorganisatorisch ist der Innovationsprozess arbeitsteilig orga-
nisiert. Hauptverantwortlich sind natürlich im Kern die F&E-Bereiche,
denen die Federführung und technologische Umsetzung der Produktneu-
entwicklung obliegen. Integraler Bestandteil eines funktionsübergreifen-
den Innovationsprozesses sind aber auch Funktionen wie Marketing und
Vertrieb, welche bereits in frühen Phasen durch das Einbringen von Kun-
den- und Marktinformationen die Marktgängigkeit der Innovation sicher-
stellen sollen. Marketing und Vertrieb tragen darüber hinaus in der Markt-
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 169

einführungsphase, dem Produktlaunch, eine besondere Verantwortung. In


produzierenden Unternehmen fällt selbstverständlich auch dem Ferti-
gungsbereich eine wichtige Aufgabe zu. Da die Herstellungskosten zu ei-
nem hohen Prozentsatz bereits durch die Produktentwicklung festgelegt, ja
förmlich zementiert werden, liegt das wesentliche Augenmerk hier auf der
Optimierung des Produktdesigns unter Berücksichtigung verfügbarer bzw.
ökonomischer Fertigungstechnologien im Hinblick auf die Produktkosten
und -qualität (zur Rolle der Integration betrieblicher Funktionen und Inno-
vation siehe z.B. Salomo und Cratzius 2005). 1
Die dargestellten Besonderheiten des F&E-Prozesses machen deutlich,
dass dem Innovationsmanagement eine herausgehobene Rolle zukommt.
Die große strategische Relevanz von Innovation, der hohe Grad der inter-
nen und unternehmensübergreifenden Arbeitsteilung und die Anwendung
von spezialisiertem Know-how führen zu einem beträchtlichen Abstim-
mungs- und Koordinationsbedarf. So muss zum Beispiel zwischen den am
Innovationsprozess beteiligten Organisationen und Mitarbeitern eine rei-
bungslose Kommunikation und Interaktion ermöglicht werden. Know-how
in Form von explizitem als auch tazitem Wissen muss weitergegeben und
im Prozess verfügbar und anwendbar gemacht werden. Dies alles stellt das
Innovationsmanagement vor erhebliche Herausforderungen. Diese sind
umso größer, je umfangreicher und dynamischer der Innovationsprozess
nicht nur über Bereichs- oder Organisationsgrenzen, sondern auch über
Ländergrenzen hinweg organisiert werden muss.

10.2.2 Implikationen für die Internationalisierung

Aus den diskutierten Aspekten leiten sich mehrere Implikationen für die
Internationalisierung von F&E-Prozessen ab. Eine erste betrifft die globa-
len Wissens-Cluster, die sich durch die weit gehende Arbeitsteilung und
hohe Spezialisierung in der wissenschaftlichen und industriellen For-
schung und Entwicklung herausgebildet haben. In vielen Hightech-Indus-
trien werden in diesen Clustern die entscheidenden Innovationen hervorge-
bracht. Die räumliche Agglomeration von Herstellern, Zulieferern und
Dienstleistern ermöglicht den angesiedelten Firmen eine gegenseitige tech-
nische „Befruchtung“ sowie eine engere Interaktion und verbesserte Kom-
munikation. Letztere sind umso erfolgskritischer, je spezialisierter und ta-
ziter das in F&E angewandte Wissen ist. Wissens-Cluster sind weltweit

1 Sehr anschaulich beschrieben und mit konkreten Beispielen versehen ist eine Vielzahl von organisatorischen
Maßnahmen zur Steigerung bzw. Erhaltung der Innovationsfähigkeit im HBS Case: ‚3M: Profile of an Innova-
ting Company’.
170 Michael Nippa und Björn Rosenberger

verteilt. Neben dem weithin bekannten Silicon Valley gibt es unzählige


weitere regionale Schwerpunkte, wie zum Beispiel Biotechnologie in San
Diego, Software in Bangalore, Automobiltechnologie in Stuttgart oder Ar-
chitektur in London. Die internationale Dislozierung der Cluster spiegelt
sich in der Regel auch in der geografischen Auslegung des F&E-Prozesses
wider. Erfolgreiche Unternehmen jeglicher Größe müssen ihre F&E-Orga-
nisation international ausrichten, entweder mit einer eigenen Ansiedlung
im jeweiligen Cluster oder durch die enge, häufig durch Kapitalbeteiligun-
gen gestärkte Kooperation mit ausgewählten Firmen aus dem Cluster.
Ähnliche Konsequenzen hinsichtlich der Internationalität des F&E-Pro-
zesses ergeben sich aus den lokalen Bedürfnissen von Markt und Kunde.
International tätige Unternehmen besitzen eine globale Kundenbasis mit in
vielen Industrien lokalen, länderspezifischen Anforderungen, die zu adres-
sieren und zu erfüllen Kernaufgabe des F&E-Prozesses ist. Dies erfordert
in der Regel eine Expansion der F&E-Aktivitäten in die bearbeiteten Län-
dermärkte.
Weitere Implikationen für die Internationalisierung ergeben sich aus der
Besonderheit, dass der F&E-Prozess in der Regel nicht physisch, sondern
ein Wissensprozess ist. In einem Wissensprozess werden Informationen
zwischen Individuen und Organisationseinheiten durch intensive persönli-
che oder elektronische Kommunikation ausgetauscht. Dadurch entfallen
einerseits zwar übliche Kostenblöcke internationaler Geschäftstätigkeit,
wie zum Beispiel Logistikkosten, dafür ergeben sich an anderer Stelle er-
höhte Aufwendungen für die Koordination des länderübergreifenden Infor-
mationsaustausches. Dies können zeitliche und monetäre Aufwendungen
sein, die durch Sprachbarrieren, Kultur- und Zeitunterschiede zwischen
den am F&E-Prozess beteiligten Mitarbeitern verursacht werden. Zudem
fallen vermehrt Reisekosten an, wenn im F&E-Prozess übliche „sperrige“
Informationen nur unzureichend über elektronische Wege weitergegeben
werden können und eine enge persönliche Abstimmung zwischen den Mit-
arbeitern notwendig ist.
Mit einer zunehmenden internationalen Arbeitsteilung im F&E-Prozess
sind jedoch noch weitere Herausforderungen verbunden. Zunächst wird
der Prozessablauf dadurch beeinträchtigt, dass einzelne F&E-Aktivitäten
innerhalb des Unternehmens, aber auch über Unternehmensgrenzen hin-
weg verteilt sind. Folglich existieren in der Regel mehrere Schnittstellen
zwischen den beteiligten betrieblichen Funktionen, den einzelnen interna-
tionalen Standorten und etwaigen externen Kooperationspartnern des Un-
ternehmens. Eine Folge dessen können erhebliche Friktionen im Prozess
sein, die intensivere Koordination zum Beispiel durch den Einsatz von pro-
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 171

zessübergreifenden Steuerungsmechanismen notwendig machen. Weiter-


hin ist eine Verteilung von Aufgaben auch mit einer Verteilung von Kom-
petenzen verbunden. Dies kann Interessen- und Zielkonflikte zwischen den
Prozessbeteiligten schüren. Dabei besteht die Gefahr, dass unterschiedliche
Standorte und Organisationseinheiten voneinander abweichende Herange-
hensweisen und Ziele hinsichtlich des F&E-Prozesses haben können. Eine
weitgehende Zielkongruenz aller Prozessbeteiligten ist jedoch als wichti-
ger Erfolgsfaktor für die Effizienz und den Erfolg internationaler Innovati-
on anzusehen und ist folglich wesentlicher Inhalt der Koordinationsaufga-
be im internationalen F&E-Prozess.
Den Innovationsprozess über Ländergrenzen hinweg zielgerichtet und
effizient zu gestalten und zu koordinieren, stellt eine erhebliche Herausfor-
derung dar. Die Besonderheiten von Innovation im internationalen Kontext
machen die Planung der Internationalisierung der industriellen F&E zu ei-
nem wichtigen strategischen Betätigungsfeld der Unternehmensführung. In
diesem Zusammenhang ist insbesondere die Auswahl geeigneter Organisa-
tionsformen eine erfolgskritische Aufgabe, auf die noch näher einzugehen
sein wird. Zunächst muss es jedoch darum gehen, in welchem Umfang
multinationale Unternehmen bereits den Internationalisierungsprozess
ihrer F&E-Aktivitäten vorangetrieben haben.

10.2.3 Stand der Internationalisierung

Die Internationalisierung der Forschung und Entwicklung spielt bis in die


späten achtziger Jahre nur eine geringe Rolle (De Mayer und Mizushima
1992). Internationale Innovation war in vielen Fällen auf die lokale Anpas-
sung bestehender Produkte an örtliche Anforderungen der verschiedenen
internationalen Märkte des Unternehmens beschränkt.
Dieses Bild änderte sich grundlegend in den neunziger Jahren. Produkt-
innovationen wurden nun zunehmend auch außerhalb des Ursprungslands
der Unternehmen hervorgebracht. Dies hatte einen deutlichen Anstieg in-
ternationaler F&E-Budgets zur Folge (Roberts 2001): Zwischen 1995 und
2001 wuchs der Anteil internationaler F&E am gesamten F&E-Budget
westeuropäischer Großunternehmen von 26,8 auf 34,9 Prozent. Im glei-
chen Zeitraum stieg der Anteil in den USA um mehr als acht Prozentpunk-
te von 24,3 auf 33,0 Prozent, während er sich in Japan von 4,6 auf
10,4 Prozent mehr als verdoppelte. Bei der Interpretation der hohen
Wachstumsdynamik sollten jedoch zwei Fakten nicht vergessen werden:
172 Michael Nippa und Björn Rosenberger

1. Trotz des starken Anstiegs ist der absolute Grad der Internationalisie-
rung von F&E-Aktivitäten, 2 beispielsweise verglichen mit dem An-
teil der im Ausland erzielten Umsätze, immer noch gering. Diese Ein-
schätzung zeigt sich in verschiedenen Untersuchungen. So hat die
amerikanische National Science Foundation (NSF 2000) für die Ge-
samtheit der Unternehmen in OECD-Ländern einen internationalen
Forschungs- und Entwicklungsanteil von nur 14 Prozent erhoben
(Stand 2000). In einer Untersuchung von 46 technologieorientierten
Unternehmen stellen darüber hinaus von Zedtwitz und Gassmann
(2002) fest, dass lediglich drei davon eine höhere F&E-Internationali-
sierung als ihre international erzielten Umsätze auswiesen.
2. Der Grad der Internationalisierung ist offensichtlich abhängig vom
Heimatstandort des Unternehmens. Hier weisen die westeuropäischen
Länder und die USA eine eindeutig stärkere Neigung zur Internatio-
nalisierung des Innovationsprozesses auf als Japan. Dieses Phänomen
wurde in mehreren empirischen Untersuchungen beobachtet (z.B.
Hemmert 2003). Neben den geografischen Unterschieden sind auch
sektorale Unterschiede auszumachen. Forschung und Entwicklung in
den Branchen Pharmazie, Informationstechnologie, Telekommunika-
tion und Chemie weisen einen höheren Grad der Internationalisierung
auf als beispielsweise im Maschinen- oder Automobilbau (Gerybadze
2003).
Aufgrund der dargestellten Charakteristika und Herausforderungen des
internationalen F&E-Prozesses ist es nicht überraschend, dass der Interna-
tionalisierungsgrad anderer betrieblicher Funktionen aktuell noch nicht er-
reicht wird. Die Komplexität des Prozesses, organisatorische Abhängigkei-
ten oder die Einbeziehung interner und externer Wissensträger verhindern
in der Regel „schnelle“ Lösungen. Demgegenüber belegen Wachstumszah-
len, dass Unternehmensführungen dieses Thema zunehmend aufgreifen
und die Internationalisierung von F&E energisch vorantreiben. Es ergibt
sich daher die Frage, welche strategischen Zielsetzungen und ökonomi-
schen Kalküle mit solchen Initiativen verfolgt werden.

2 Beispielsweise gemessen an den F&E-Mitarbeitern außerhalb des Herkunftslandes oder dem Anteil
internationaler F&E an den gesamten F&E-Kosten des Unternehmens.
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 173

10.3 Strategische Zielsetzungen und Konzepte im


internationalen Innovationsmanagement

Im Gegensatz zur Motivation der Auslandsverlagerung vieler anderer be-


trieblichen Funktionen wird die Entscheidung zur Internationalisierung
von F&E-Aktivitäten nicht vorrangig mit Lohnkostenvorteilen begründet.
Die Zielsetzungen der Internationalisierung von Innovation sind viel-
schichtiger und eher von langfristigen strategischen Überlegungen als von
operativen oder taktischen Zwängen geprägt.
Im Folgenden unterscheiden wir die strategischen Ziele des Unterneh-
mens und die damit verbundenen Grundkonzepte in zwei Gruppen, in die
marktorientierten und die ressourcenorientierten Zielsetzungen und Kon-
zepte.

10.3.1 Marktorientierte Zielsetzungen und Konzepte

Wenn Kunde und Wettbewerb im Mittelpunkt der Internationalisierungs-


initiativen stehen, so sind dies marktorientierte Zielsetzungen und Konzep-
te (Jones und Davis 2000; von Zedtwitz und Gassmann 2002). Dazu ge-
hören:
- Marktzugang: Ansiedlung von Aktivitäten des Innovationsprozesses
vor Ort in einem Ländermarkt, um einen Zugang zum lokalen Markt
zu schaffen und in diesem Produkte oder Dienstleistungen verkaufen
zu dürfen. Das kann zum Beispiel erforderlich sein, wenn lokale ge-
setzliche Anforderungen an den „local content“ von Produkten exis-
tieren oder einen „technology transfer“ im Rahmen der Wertschöp-
fung bedingen. Dies ist eine gängige Praxis in vielen aufstrebenden
Schwellenländern mit ambitionierter Technologie- und Industriepoli-
tik, wie zum Beispiel China.
- Anpassung an den Kundenbedarf: Ansiedlung von Aktivitäten des
Innovationsprozesses vor Ort, um Kunden- und Marktinformationen
wirksamer in den Innovationsprozess einzubringen und Produkte und
Dienstleistungen besser an die lokalen Marktanforderungen anzupas-
sen.
- Monitoring: Ansiedlung von Aktivitäten des Innovationsprozesses
vor Ort, um Wettbewerbsbeobachtungen durchzuführen.
- Wettbewerbsposition: Ansiedlung von Aktivitäten des Innovations-
prozesses, um „Präsenz“ vor Ort zu zeigen und somit die Wettbe-
werbsposition zu sichern bzw. zu stärken. Dies kann zum Beispiel ei-
174 Michael Nippa und Björn Rosenberger

nen bedeutenden Ländermarkt des Unternehmens betreffen oder auch


die Heimatbasis wichtiger Wettbewerber.

10.3.2 Ressourcenorientierte Zielsetzungen und Konzepte

Im Fokus der ressourcenorientierten Zielsetzungen und Konzepte stehen


interne Überlegungen zu Kompetenzen und Effizienz. Dies sind im Einzel-
nen:
- Technologie: Ansiedlung von Aktivitäten des Innovationsprozesses
vor Ort, um Zugang und geografische Nähe zu State-of-the-Art-Tech-
nologien zu erhalten, zum Beispiel durch die Ansiedlung in Wissens-
Clustern. Cluster sind die räumliche Agglomeration führender Firmen
und Forschungsinstitute einer Branche. Dies ist zum Beispiel eine
Motivation für F&E-Ansiedlungen ausländischer Biotech-Firmen in
den USA. Es werden dabei so genannte „spill-over effects“ verfolgt,
d.h., die angesiedelten Firmen und Institute befruchten sich gegensei-
tig und fördern und beschleunigen somit den Innovationsprozess
(Carrincazeaux, Lung und Rallet 2001).
- Talent-Pool: Ansiedlung von Aktivitäten des Innovationsprozesses
an Standorten, an denen gut ausgebildete Mitarbeiter der benötigten
Fachrichtungen angeworben werden können. Dies kann vor allem
dann der Fall sein, wenn der Bedarf einer Fachrichtung kurzfristig
stark ansteigt und das heimatliche Ausbildungssystem nicht schnell
genug Fachkräfte in benötigter Menge und Qualität hervorbringen
kann, wie zum Beispiel geschehen in der deutschen IT-Industrie zum
Ende der neunziger Jahre.
- Kostenvorteile: Erzielung komparativer Kostenvorteile durch die
Durchführung von Aktivitäten des Innovationsprozesses in Niedrig-
lohnländern, wie zum Beispiel Softwareentwicklung in Indien oder
Mittel- und Osteuropa.
- Prozesseffizienz: Anforderungen des Marktes an die Produktverfüg-
barkeit oder auch interne Effizienzkriterien können dazu führen, dass
reguläre Arbeitszeiten nicht ausreichend sind, um den terminlichen
Anforderungen zu entsprechen. Für diese Fälle wurde das Konzept
der „three shifts around the world“ entwickelt, bei dem ein einzelner
Innovationsschritt zeitlich versetzt an drei oder auch nur zwei ver-
schiedenen Standorten durchgeführt wird. Zum Ende seiner täglichen
Arbeitszeit übergibt dann Standort 1 (in Europa) die Arbeitsergebnis-
se an Standort 2 (in Amerika), der sie dann weiter bearbeitet und am
Abend an Standort 3 (in Asien) weiterreicht, usw. Dadurch kann eine
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 175

Aufgabe 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr bearbeitet werden –


mit den entsprechenden Zeitgewinnen bis zur Fertigstellung bzw.
Markteinführung.
- Kreatives Potenzial: Empirische Forschungen haben gezeigt, dass
einige Landeskulturen offener für Innovationen und kreativer sind als
andere und somit einen positiven Einfluss auf den Erfolg des Innova-
tionsprozesses ausüben können (Jones und Davis 2000). Ansiedlun-
gen können daher auch das Ziel der Ausnutzung des kreativen Poten-
zials bzw. Milieus des Gastlandes verfolgen.
- Komplettierung der Wertschöpfung: Besonders bei multinational
agierenden Großunternehmen ist die Gestaltung des internationalen
Innovationsprozesses vielfach bereits prädeterminiert durch bestehen-
de Standorte anderer betrieblicher Funktionen, wie zum Beispiel der
Fertigung, oder durch Fusionen und Akquisitionen hinzugekommene
F&E-Standorte. Im Fokus steht demnach die Komplettierung des
Wertschöpfungssystems des Unternehmens mit dem Ziel der best-
möglichen Prozesseffizienz.
Die hier aufgeführten, sicherlich noch ergänzungsbedürftigen Möglich-
keiten sind von den jeweiligen Entscheidern zu bewerten und mit den Zie-
len der Unternehmensstrategie und den Marktnotwendigkeiten abzuglei-
chen. Daraus ergeben sich individuelle Zielsetzungen, die das Unterneh-
men mit der Internationalisierung seines Innovationsprozesses erreichen
möchte. Die entsprechenden Konzepte und Maßnahmen umzusetzen, ist
Aufgabe des internationalen Innovationsmanagements, auf das wir nun de-
taillierter eingehen.

10.4 Internationales Innovationsmanagement: Aufgaben


der Unternehmensführung

Die Aufgaben des internationalen Managements umfassen stets zwei Auf-


gabenblöcke: (1) Konfiguration und (2) Koordination (Porter 1986). Inhalt
der Konfigurationsaufgabe ist es, die einzelnen Aktivitäten der Wertschöp-
fungskette gemäß den unternehmensindividuellen Zielen internationaler
Geschäftstätigkeit anzuordnen. Die Einzelaktivitäten wieder zusammenzu-
führen und das effiziente Zusammenspiel der Standorte zu gewährleisten,
ist Teil der Koordinationsaufgabe des internationalen Managements.
Bezogen auf den internationalen F&E-Prozess lässt sich das etwas abs-
trakte Konzept von Konfiguration und Koordination in mehrere konkrete
176 Michael Nippa und Björn Rosenberger

Teilaufgaben untergliedern, die wir im Folgenden näher beleuchten wollen


(vgl. Abbildung 10.1).

Marktorientierte Ressourcenorientierte
Zielsetzungen Zielsetzungen
• Marktzugang • Technologie
Zielsetzungen • Anpassung an • Talent-Pool
und Strategien Kundenbedarf • Kostenvorteile
• Monitoring • Prozess-Effizienz
• Wettbewerbsposition • Kreativität
• Komplettierung
Wertschöpfung

Konfiguration Koordination

Aufgaben des • Disaggregation • Organisationsstrukturen


Innovationsaufgaben und -formen
Managements
• Standortwahl • Management des
Innovationsprozesses

Quelle: Nippa/Rosenberger

Abb. 10.1. Wesentliche Zielsetzungen und Aufgaben des internationalen


Innovationsmanagements

10.4.1 Konfiguration internationaler Innovationen

Alle im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Zielsetzungen stellen da-


rauf ab, durch die Ansiedlung ausgewählter Aktivitäten des F&E-Pozesses
an einem internationalen Standort möglichst nachhaltige Wettbewerbsvor-
teile zu erzielen. Daraus lassen sich die beiden konfigurativen Teilaufga-
ben des internationalen Innovationsmanagements direkt ableiten: Zunächst
muss der Innovationsprozess in separat ausführbare, in sich logische Ein-
zelaktivitäten aufgeteilt werden (Teilaufgabe Disaggregation). Erst danach
können diese Aktivitäten an den geografisch sinnvollsten, den Zielvorga-
ben entsprechenden Standorten angesiedelt werden (Teilaufgabe Standort-
wahl).

(1) Disaggregation der Innovationsaufgaben

Die Disaggregation des F&E-Prozesses kann objekt-, technologie- und


funktionsbezogen erfolgen oder als Kombination dieser drei Kriterien auf-
treten. In einer objektbezogenen Disaggregation werden F&E-Aktivitäten
nach den Produkten oder Produktbestandteilen aufgeteilt. Die Technolo-
gien, die in eine Produkt- oder Serviceinnovation einfließen, sind leitendes
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 177

Gestaltungsprinzip in einer technologieorientierten Disaggregation. Unter


einer funktionsbezogenen Disaggregation versteht man den klassischen
Ansatz der Teilung der F&E-Aktivitäten nach Aufgaben, mit einer Unter-
scheidung zum Beispiel in Grundlagenforschung, angewandte Forschung,
Produktkonzeption und praktische Produktentwicklung.
Die Disaggregation des Innovationsprozesses ist unabdingbare Voraus-
setzung für die Umsetzung der Ziele der Internationalisierung. Wenn zum
Beispiel die Senkung der Personalkosten im Mittelpunkt der Internationali-
sierungsinitiative steht, müssen die besonders arbeitsintensiven Aufgaben
des F&E-Prozesses identifiziert, sofern möglich aus dem Prozess heraus-
gelöst und gemeinsam gebündelt werden. Nur auf diese Weise ist es mög-
lich, sie in einem zweiten Schritt zu verlagern und an einem Niedriglohn-
standort durchführen zu lassen.3

(2) Standortwahl

Aus den Zielen ergeben sich direkte Konsequenzen für die Standortwahl
der F&E-Aktivitäten. Steht der Zugang zu Technologien im Vordergrund,
kann eine Zuordnung hochspezialisierter Aufgaben an Standorten inner-
halb von Wissens-Clustern angebracht sein. Verfolgt die Unternehmens-
führung dagegen primär eine verbesserte Bearbeitung der internationalen
Märkte, kann eine Ansiedlung von Produktentwicklungskapazitäten in ei-
nem oder mehreren wichtigen Ländermärkten angezeigt sein. Infolgedes-
sen muss jede Bewertung eines potenziellen Standortes in Abhängigkeit
von der beabsichtigten Internationalisierungsstrategie erfolgen.
Darüber hinaus hat jeder Standort ein eigenes Chancen- und Risikenpro-
fil, das in die Bewertung mit einfließen muss. Zur Erfassung dieses Profils
können einige grundlegende Kriterien herangezogen werden (vgl. Abbil-
dung 10.2). Positivkriterien sind diejenigen Standortfaktoren, die die Erfül-
lung der Internationalisierungsziele ermöglichen, wie zum Beispiel der Zu-
gang zu Technologien oder günstigen Arbeitskräften. Negativkriterien sind
die Standortrisiken, die für ein Unternehmen „Knock-out“-Kriterien für ei-
ne Ansiedlung am angestrebten Standort bedeuten können. Ein Beispiel
hierfür sind mögliche Schwierigkeiten bei der Einbindung weitgehend un-
abhängig arbeitender F&E-Standorte in das Unternehmensgefüge. Geogra-
fische oder organisatorische Isolierung kann zu Divergenzen über Arbeits-
schwerpunkte und Ineffizienzen bei der Nutzung von Arbeitsergebnissen
führen.

3 Zur internationalen Arbeitsteilung siehe auch Buckley und Ghauri (2004) sowie Quinn (1992).
178 Michael Nippa und Björn Rosenberger

Positivkriterien Negativkriterien

• Räumliche Nähe zu Wissens-Cluster • Mangelnder Schutz intellektuellen


Eigentums
• Erwerb neuer Technologien und
Kompetenzen • Erschwerte Einbindung in
Unternehmensnetzwerk
• Höhere Markt- und Kundennähe
• Hohe Initialinvestition
• Lohnkostenvorteile
• Fehlende kritische Masse von
• Verbesserung Prozesseffizienz Kompetenzen an einem Standort

Quelle: Nippa/Rosenberger

Abb. 10.2. Ausgewählte Kriterien zur Standortbewertung

Ein weiteres wichtiges Negativkriterium ist der Schutz intellektuellen


Eigentums. Aufgrund der hohen Bedeutung von Innovation und der dafür
notwendigen Kompetenzen für die weitere Entwicklung des Unternehmens
können Sicherheits- und Kontrollüberlegungen einen starken Einfluss auf
die Standortwahl haben. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn an ei-
nem Standort internationale Patentrechte nicht effektiv durchgesetzt wer-
den oder technische Betriebsgeheimnisse nicht oder nur unter größten An-
strengungen im Unternehmen gehalten werden können. Folglich wird ein
Unternehmen dazu tendieren, an diesem Standort nur strategisch weniger
kritische Aktivitäten des F&E-Prozesses – wenn überhaupt – anzusiedeln.

10.4.2 Koordination im internationalen


Innovationsmanagement

Kern der Koordinationsaufgabe im internationalen Management ist es, die


sich aus den Überlegungen zur Konfiguration des internationalen F&E-
Prozesses ergebende inhaltliche und geografische Arbeitsteilung durch ge-
eignete Koordinationsmechanismen effizient zu verbinden, um vor allem
einen reibungslosen Prozessablauf über Standort- und Bereichsgrenzen
hinweg zu gewährleisten. Dazu steht der Unternehmensführung eine Reihe
von formellen und informellen Koordinationsmechanismen zur Verfügung.
Die drei wichtigsten davon, (1) Organisationsstrukturen, (2) Organisations-
formen und (3) Prozessmanagement, wollen wir ausführlicher diskutieren.4

4 Einen weiter gehenden Überblick über den aktuellen Stand der Koordinationsforschung im internationalen
Unternehmen bieten Martinez und Jarillo (1989) sowie Kim, Park und Prescott (2003).
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 179

(1) Organisationsstrukturen

Die Aufbauorganisation ist eines der wichtigsten Instrumente für die Koor-
dination des länderübergreifenden Innovationsprozesses (Bartlett und
Ghoshal 1998). Sie gibt dem Prozess einen formellen Rahmen und trägt so
dazu bei, den betrieblichen Innovationsprozess den Zielen entsprechend
auszurichten. Für die Gestaltung der internationalen F&E-Organisation
sind drei grundlegende Parameter festzulegen: der Organisationstyp (A),
die hierarchische Einordnung der F&E-Organisation (B) sowie die hori-
zontale Anordnung der F&E-Organisation (C).
(A) Für die Strukturierung des internationalen F&E-Prozesses kann die
Unternehmensführung auf die bekannten Typen der Aufbauorgani-
sation zurückgreifen: funktionale Organisation, Spartenorganisati-
on und Matrixorganisation. Da diese Grundtypen der Organisation
in der gängigen Organisationsliteratur hinlänglich beschrieben wer-
den (z.B. Schreyögg 2003) und als bekannt vorausgesetzt werden
können, soll hier nicht im Einzelnen darauf eingegangen werden.
Wohl wissend, dass es sich bei der so genannten Prozessorganisati-
on nicht um eine Organisationsstruktur im engeren Sinne handelt,
erscheint es uns aber sinnvoll, dieses grundlegende Organisations-
prinzip hier näher zu betrachten. Insbesondere im Rahmen des Ma-
nagementkonzeptes des „Reengineering“ wurde ja gerade der Para-
digmenwechsel von aufbau- zu ablauforganisatorischen Problem-
stellungen und Lösungsperspektiven gefordert (Nippa und Picot
1996). Da der Innovationsprozess – wie ausgeführt – funktions-
übergreifenden Charakter besitzt, bietet eine Prozessorganisation
auf den ersten Blick viele Vorteile. Sie bündelt alle relevanten Ak-
tivitäten in einer Organisation, ganz gleich ob sie funktional der
F&E, dem Marketing, dem Vertrieb oder der Fertigung zuzuordnen
sind. In diesem Organisationstyp liegen Verantwortung und Kom-
petenzen für den gesamten Innovationsprozess in einer Hand. Als
Strukturdeterminanten zur Abgrenzung der einzelnen Innovations-
bereiche können zum Beispiel Produkte, Technologien oder Kun-
den dienen. In der betrieblichen Praxis kann die Umsetzung einer
Prozessorganisation jedoch mit Schwierigkeiten behaftet sein. Zu
den möglichen Problembereichen gehören die fehlende Bündelung
und Konzentration von Kompetenzen, die Gefahr von Doppelar-
beit, die doppelte Vorhaltung von Strukturen und eine hohe Kom-
plexität in der Steuerung ausländischer Standorte.
(B) Im Rahmen der hierarchischen Einordnung der F&E-Aktivitäten
bzw. -Bereiche ist vor allem die Frage zu beantworten, welcher
180 Michael Nippa und Björn Rosenberger

Unternehmensebene diese zugeordnet werden. Es stehen dabei


zwei prinzipielle Gestaltungsoptionen zur Auswahl. Dies ist zum
einen die Möglichkeit der Zentralisierung. Hier wird der Bereich
F&E des ganzen Unternehmens direkt der Konzernzentrale unter-
stellt und steht organisatorisch auf einer Stufe mit den Geschäftsbe-
reichen. Demgegenüber steht die zweite idealtypische Gestaltungs-
option der Dezentralisierung durch Integration der F&E-Aktivitä-
ten innerhalb der Geschäftsbereiche. Wie so oft in Zentralismus-/
Dezentralismus-Diskussionen sind auch hier die Vorteile der einen
Option in hohem Maße die Nachteile der anderen: Während für die
dezentrale Variante die Nähe zu den internationalen Märkten und
operativen Einheiten spricht, hat die Zentralvariante den Vorteil
höherer Kompetenzbündelung und Kontrolle. Empirische For-
schung wie auch unternehmerische Erfahrung lassen allerdings da-
rauf schließen, dass die dezentrale Variante in vielen Fällen bezo-
gen auf den Innovations- und Unternehmenserfolg deutliche Vor-
teile besitzt (siehe Teigland, Fey und Birkinshaw 2000).
(C) Der dritte und letzte Gestaltungsparameter bezieht sich auf die ho-
rizontale Anordnung von F&E-Aktivitäten, d.h., die Aufteilung von
Aufgaben auf verschiedene internationale Standorte. Auch hier ste-
hen sich zwei entgegengesetzte Organisationsmodelle gegenüber.
Auf der einen Seite Netzwerkstrukturen mit einem hohen Grad der
Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen, auf der anderen Seite
die Konzentration von Aktivitäten und Know-how in einem spezia-
lisierten F&E-Bereich (Chiesa 2000). Im Modell des F&E-Netz-
werkes beteiligen sich mehrere F&E-Einheiten mit ihrem jeweili-
gen Know-how, ihren Kapazitäten und Spezialisierungen am Inno-
vationsprozess. Im Konzentrationsmodell dagegen übernimmt eine
Einheit den Aufbau und die Weiterentwicklung von Know-how in
einem Kompetenzfeld und hat das „globale Mandat“ für den Inno-
vationsprozess, soweit er dieses Kompetenzfeld betrifft. Eine häu-
fig in international tätigen Großunternehmen anzutreffende und
sehr populäre Variante einer solchen Organisationsform ist das
„Center of Excellence“ (CoE) oder „Kompetenzcenter“. Ein CoE
spezialisiert sich auf ein Feld und ist im Unternehmen der Kompe-
tenzträger für dieses Know-how. Es ist verantwortlich für die glo-
bale Übertragung und Anwendung dieses Know-hows über alle in-
ternationalen F&E-Standorte des Unternehmens hinweg (Frost,
Birkinshaw und Ensign 2002). Ist die Ansiedlung in Wissens-Clus-
tern und damit der Zugang zu neuen Technologien Hauptziel der
Internationalisierung, dann wird die Strukturform der Wahl meist
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 181

ein auf die Schwerpunkte des jeweiligen Wissens-Clusters speziali-


siertes CoE sein, mit dem das Unternehmen am Standort vertreten
ist.

E F
E E E E
International
F F/E
E E F F
Entwicklung E E
Folgt Produktion,
technischem F
Service, Vertrieb F F

F E
National
F F
F
National International

Forschung
Folgt Know-how und Entwicklung
Quelle: Nippa/Rosenberger

Abb. 10.3. Organisationsstrukturen internationaler Forschungs- und Entwick-


lungsnetzwerke (Deutsche Übersetzung nach von Zedtwitz und
Gassmann 2002)

Als Hilfsmittel für die Gestaltung der Organisationsstruktur internatio-


naler F&E-Prozesse haben von Zedtwitz und Gassmann (2002) ein Kontin-
genzmodell vorgestellt, das in Abhängigkeit von den individuellen Zielen
der Internationalisierung vier grundlegende Organisationsstrukturen inter-
nationaler F&E empfiehlt. (vgl. Abbildung 10.3). Im Modell wird zwi-
schen den Teilaufgaben bzw. -prozessen Forschung und Entwicklung un-
terschieden. Weiterhin wird unterstellt, dass Forschung Know-how-bil-
dend sei und infolgedessen eine hohe Ressourcenorientierung aufweise,
wohingegen in der Entwicklung aufgrund der größeren Nähe zum Endpro-
dukt und Kunden in der Regel eine höhere Marktorientierung vorzufinden
sei.
Stehen zum Beispiel marktorientierte Zielsetzungen im Mittelpunkt der
Unternehmensstrategie wie auch der Internationalisierung von Innovation,
so erscheint eine zentrale Forschungseinheit in geografischer und inhaltli-
cher Nähe zur Konzernzentrale sinnvoll, die die für das Innovationsvorha-
ben notwendigen Kompetenzen an mehrere internationale und marktnahe
Entwicklungsstandorte überträgt und diese koordiniert. Ein Beispiel für ein
solches Organisationsmodell findet sich häufig in der Nahrungsmittelin-
dustrie, in der zentral entwickelte Basisrezepturen in lokale Produkte auf
verschiedenen internationalen Märkten einfließen. In einer damit nahe ver-
wandten Branche muss beispielsweise Coca-Cola die Balance zwischen
zentralen und lokalen Bedürfnissen, Geschmäckern, Marken und Innovati-
182 Michael Nippa und Björn Rosenberger

onen bewahren. Umgekehrt verhält es sich in einer Internationalisierungs-


initiative mit hoher Ressourcen- und niedriger Marktorientierung. Hier
„füttern“ international verteilte Forschungsstandorte eine zentrale, markt-
nahe Produktentwicklung. Ein Beispiel für ein solches Modell ist die phar-
mazeutische Industrie, die meist mehrere internationale Standorte für
Grundlagenforschung unterhält. Werden in gleichem Maße Markt- und
Ressourcenziele verfolgt, so erscheint im Regelfall ein Netzwerkmodell
angezeigt. Dieses Organisationsmodell der „globalen F&E“ wird von den
meisten multinationalen Großunternehmen angewandt, die weltweit über
eine Vielzahl von F&E-Standorten mit hoher fachlicher Breite und Tiefe
verfügen.

(2) Organisationsformen

Neben der Organisationsstruktur muss die Unternehmensführung über die


Organisationsform der internationalen F&E-Aktivitäten entscheiden. Hier-
bei ist festzulegen, wer die F&E-Aktivitäten ausführt: (I.) das Unterneh-
men selbst, (II.) das Unternehmen in Zusammenarbeit mit einem F&E-Ko-
operationspartner oder (III.) ein externer F&E-Dienstleister.
Bei einer weitgehend internen Durchführung des internationalen F&E-
Prozesses besitzt das Unternehmen die Kontrolle über Arbeitsabläufe, -in-
halte und -ergebnisse. Damit verbunden sind diverse Vorteile, wie zum
Beispiel ein besserer Schutz des intellektuellen Eigentums, die gezielte
Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzbasis und ein vielfach effizien-
terer Prozessablauf. Diese Kriterien sind umso entscheidender, je höher die
strategische Relevanz der Innovationsaktivitäten für das Unternehmen ist.
Eine komplett intern ausgeführte F&E kann aber schnell an Grenzen
stoßen, wenn die verfolgten Innovationsprojekte größer und komplexer
werden. Dies kann zu erheblichen Problemen und einer Erosion der Wett-
bewerbsposition führen. So zum Beispiel, wenn
- die für das geplante Innovationsprojekt notwendigen Kompetenzen
und Technologien intern nicht verfügbar sind,
- Kosten und Risiken über einen vertretbaren Rahmen hinausgehen
oder
- das strategische Zeitfenster der Markteinführung der Innovation (vgl.
dazu Nippa und Labriola 2005) aufgrund zu langer Entwicklungszei-
ten bedingt durch begrenzte Ressourcen alleine nicht eingehalten
werden kann.
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 183

Daraus kann die Notwendigkeit erwachsen, den F&E-Prozess für exter-


ne Partner zu öffnen, um die Unternehmensziele unter Inkaufnahme gewis-
ser Nachteile zu erreichen.
Eine zweite mögliche und zunehmend populäre Organisationsform ist
daher die internationale F&E-Kooperation. F&E-Kooperationen können in
verschiedenen vertraglichen Verflechtungsstrukturen realisiert werden.
Dies können zum einen kapitalbasierte Joint Ventures sein, in denen zwei
oder mehrere Unternehmen ein separates Unternehmen mit unterschiedli-
chen Kapitalbeteiligungen gründen. Daneben gibt es vertragsbasierte F&E-
Partnerschaften, in denen Firmen mittels F&E-Verträgen oder Austausch-
vereinbarungen Forschungsergebnisse und Know-how austauschen. F&E-
Verträge sind gängige Basis der Zusammenarbeit zwischen privatwirt-
schaftlichen Unternehmen und beispielsweise unabhängigen Forschungsla-
bors und Universitätsinstituten. Ohne vertraglich bindende Verpflichtung
oder gemeinsames Kapitalinvestment agieren dagegen strategische F&E-
Allianzen. Hierbei sind Unternehmen lediglich durch gemeinsame strategi-
sche F&E-Ziele verbunden. Allerdings muss man auch in diesem Fall da-
von ausgehen, dass es sich um keine zufälligen Interaktionen handelt, son-
dern dass diesen zumindest ein „letter of intent“ der beteiligten Unterneh-
mensleitungen zugrunde liegt, der gewisse „Spielregeln“ festschreibt.
Für internationale F&E-Kooperationen gibt es verschiedene Motive (Sa-
kakibara 1997). Ein erstes ist die Verteilung von Kosten und Risiken. Je
höher die Kosten eines Innovationsprojektes und die Unsicherheit über das
zu erwartende Arbeitsergebnis, umso mehr werden Unternehmen dazu ten-
dieren, F&E-Kooperationen einzugehen, um den wirtschaftlichen Erfolg
oder gar die Substanz des eigenen Unternehmens nicht zu gefährden. Ein
zweites Motiv bezieht sich auf den Erwerb von intern nicht vorhandenen
Technologien und Know-how. In einem solchen Modell bringt jedes Un-
ternehmen seine eigene Kompetenzbasis in die Kooperation ein. Durch
diese Bündelung von komplementärem Wissen können so auch wegwei-
sende und Standard setzende Innovationsprojekte bearbeitet werden, die
durch ein Unternehmen allein nicht durchführbar wären. Daneben können
auch Marktüberlegungen Grundlage von F&E-Kooperationen sein, wie
zum Beispiel die Sicherung eines Zugangs zu Ländermärkten, für die loka-
les Technologie-, Markt- und Institutionenwissen benötigt wird, oder die
Durchsetzung von Industriestandards.
Ein aktuelles Beispiel für letzteres Motiv bietet die Unterhaltungselek-
tronik mit der Diskussion um die Nachfolgetechnologie der DVD. Hier
stehen sich zwei konkurrierende Initiativen gegenüber, die ihr jeweiliges
Speichermedium als Industriestandard im Markt durchsetzen wollen. Be-
184 Michael Nippa und Björn Rosenberger

stimmt von den Innovationsführern Toshiba und Sony setzen dabei die bei-
den rivalisierenden Parteien darauf, die relevanten Marktteilnehmer mittels
strategischer Kooperation an die jeweilige Technologie zu binden. Neben
anderen großen Anbietern von Unterhaltungselektronik stehen die wichti-
gen Multiplikatoren im Mittelpunkt der Bemühungen. So hat Sony er-
reicht, dass sich führende US-amerikanische Filmstudios wie MGM und
Warner zukünftig auf Sonys DVD-Nachfolger „Blue-ray“ festlegen. Die
flächendeckende Produktion von Inhalten im Format des Speichermediums
gilt als strategisch entscheidender Faktor, um schnellstmöglich einen Qua-
si-Industriestandard bei den Konsumenten zu erreichen. Darüber hinaus
spielt der Handel eine bedeutende Rolle. Der Handelskonzern Walmart hat
angekündigt, zukünftig nur ein Speicherformat listen zu wollen. Da das
Unternehmen für erhebliche Handelsmengen sowohl an Geräten als auch
Speichermedien verantwortlich zeichnet, wird der Entscheidung von Wal-
mart für den einen oder den anderen Technologiestandard bedeutender
Einfluss auf die Durchsetzungsfähigkeit eines Speicherformats zugemes-
sen.
An diesem Fallbeispiel zeigt sich, dass nicht nur ressourcenorientierte,
sondern auch marktstrategische Überlegungen Grundlage von F&E-Ko-
operationen sein können. Des Weiteren demonstriert es, dass der Auswahl
der Kooperationspartner höchste Bedeutung zukommt. Denn trotz aller
Vorteile stellen internationale F&E-Kooperationen das Top-Management
vor große Herausforderungen, die eng mit den Zielen und der Zusammen-
arbeit zwischen den Kooperationspartnern verbunden sind. Neben operati-
ven Schwierigkeiten, die durch die Teilung von Managementaufgaben und
Ressourcen, Zieldivergenzen und unterschiedliche Eigenschaften der Part-
ner in Strukturen oder Unternehmenskultur erwachsen, sind auch Wettbe-
werbsaspekte zu beachten (Oxley und Sampson 2004). Dies gilt insbeson-
dere dann, wenn die Kooperationspartner in gleichen oder ähnlichen Ge-
schäftssegmenten tätig sind. Hier steht das Top-Management oft vor einem
strategischen Dilemma: Einerseits muss Wissen eingebracht werden, um
das Ziel der F&E-Kooperation zu erreichen. Andererseits kann ein zu of-
fener Umgang mit strategisch wichtigem Know-how des Unternehmens
den Kooperationspartnern ungewollte Wettbewerbsvorteile ermöglichen.
Dies gilt insbesondere für Kooperationen in Ländern, in denen Patent- und
Lizenzrechte nicht ausreichend geschützt werden oder nur eine gering aus-
geprägte Kultur des Respekts vor geistigem Eigentum besteht. Das be-
kannteste Beispiel hierfür ist sicherlich China, aber auch in anderen süd-
oder südostasiatischen Ländern gibt es Häufungen von Technologie-Pirate-
rie. Mit der Imitation von Technologien und Produkten durch lokale Fir-
men werden Wettbewerbsvorteile ausländischer Marktteilnehmer zunichte
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 185

gemacht, wird die Preisgestaltung im Markt stark beeinträchtigt und wer-


den Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Schäden zugefügt (Hachen-
berger 2004).
Auch die dritte Organisationsform des internationalen F&E-Prozesses
ist mehr und mehr verbreitet: das Innovations-Outsourcing, d.h., der Bezug
von F&E-Leistungen von externen Dienstleistern. Diese Option ist dann zu
empfehlen, wenn das F&E-Projekt oder Teile davon einen weniger hohen
Innovationsgehalt aufweisen und die dafür auszuführenden Arbeiten in der
jeweiligen Branche „Standard“ und somit auch marktgängig sind. In sol-
chen Fällen ist der Zukauf von F&E-Leistungen von externen Dienstleis-
tern in der Regel eine ökonomisch sinnvolle Alternative. Mit dem externen
Bezug von F&E-Leistungen werden jedoch nicht nur Kostenziele verfolgt.
Viele multinationale Großunternehmen gehen zunehmend dazu über, kom-
plette und komplexere Innovationsprojekte an Dritte zu vergeben. Ein
Hauptziel dieser unternehmerischen Praxis ist die Erhöhung der strategi-
schen Flexibilität (Quinn 2000). Dazu gehört, dass sich durch Innovations-
Outsourcing unter den genannten Bedingungen vielfach Entwicklungszei-
ten und die „Time-to-Market“ wirksam reduzieren lassen. Im Gegenzug
steigt das Reaktionsvermögen des Unternehmens in Hinsicht auf sein ei-
genes Produktangebot. So kann die Produktpalette kurzfristig ergänzt und
ausgebaut werden und im operativen Geschäft auftretende Lücken im Pro-
duktangebot können schnell aufgefüllt werden.5
Neben den genannten Vorteilen ergeben sich durch das Outsourcing je-
doch auch einige nicht zu vernachlässigende strategische Risiken, deren
Auswirkungen häufig nicht vollständig beurteilt werden können. Zum ei-
nen geht das Unternehmen ein Kompetenzrisiko ein. Die Fremdvergabe
von F&E-Aktivitäten, die mit strategisch wichtigen Kompetenzen des Un-
ternehmens eng verbunden sind, kann dazu führen, dass das Unternehmen
diese Kompetenzen langfristig einbüßt – mit entsprechend negativen Fol-
gen für den strategischen Wettbewerbsvorteil des Unternehmens. Zum an-
deren ist mit Innovations-Outsourcing – ähnlich wie auch mit F&E-Koope-
rationen – ein latentes Wettbewerbsrisiko verbunden. Dies betrifft einer-
seits das bereits oben dargestellte Risiko der Imitation, insbesondere in
China. Andererseits kann durch internationales Innovations-Outsourcing
auch neuer globaler und ebenbürtiger Wettbewerb entstehen. Es ist davon
auszugehen, dass viele Entwicklungs- und Fertigungsdienstleister in den
aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Osteuropas einen eigenen
strategischen Kurs verfolgen und sich langfristig nicht mit reinen Zuliefer-
diensten zufrieden geben werden. So verstärken beispielsweise der in-

5 Zu aktuellen Fallstudien zum Innovations-Outsourcing vgl. Engardio und Einhorn (2005).


186 Michael Nippa und Björn Rosenberger

dische IT-Dienstleister TCS oder das indische Pharmaunternehmen Ran-


baxy ihre eigene internationale Expansion (Bartlett und Ghoshal 2000;
Müller 2005).

(3) Prozessmanagement

Um über funktionelle und geografische Organisationsgrenzen hinweg eine


effiziente Gestaltung des internationalen F&E-Prozesses zu ermöglichen,
werden Innovationsvorhaben in der Regel in Form von Projekten durchge-
führt. Internationale Projektorganisationen und internationale Projektteams
sind daher häufig angewendete Koordinationsinstrumente für das Manage-
ment des Innovationsprozesses. Dies gilt insbesondere dann, wenn für ein
F&E-Vorhaben die Kompetenzen und Kapazitäten mehrerer Standorte und
betrieblicher Funktionen zusammengeführt werden sollen.
Grenzüberschreitendes und funktionsübergreifendes Projektmanage-
ment und das Management internationaler F&E-Teams sind in diesem Zu-
sammenhang wichtige Fähigkeiten des Unternehmens, um den F&E-Pro-
zess zu steuern. Die damit verbundenen Herausforderungen sind mannig-
faltig. Die Projektteams sind oftmals mit hoch spezialisierten Mitarbeitern
verschiedener Fachrichtungen besetzt. Ein ständiger und effizienter per-
sönlicher Austausch unter den Teammitgliedern wird durch geografische
Entfernung, Zeitunterschiede und kulturelle Diversität erschwert. Die
Teammitglieder unterstehen disziplinarisch oft unterschiedlichen Berei-
chen und Regionen. All diese Faktoren resultieren in einer allgemein ge-
ringeren Erfolgsquote von internationalen F&E-Teams verglichen mit na-
tionalen F&E-Teams (McDonough, Kahn und Barczak 2001).
Umso mehr muss die Aufmerksamkeit des Top-Managements dem glo-
balen Projektmanagement gewidmet sein. Im Folgenden fassen wir einige
Merkmale und Methoden eines erfolgreichen Managements internationaler
Innovationen zusammen:
- Zielbildung: Die Herausbildung gemeinsamer Ziele ist eine der
wichtigsten Aufgaben im Management des Innovationsprozesses
(Xie, Song und Stringfellow 2003). Instrumente, die im internationa-
len F&E-Prozess Anwendung finden, sind zum Beispiel team- und
projektorientierte Anreiz- und Vergütungssysteme.
- Sozialisierung: Eine hohe Sozialisierung der Teammitglieder mitein-
ander erzeugt eine Teamkultur, die bereichs- und länderverbindend
wirkt. Dies fördert Kommunikation und Informationsaustausch. Job
Rotation, Teilnahme an internationalen Gremien, gemeinsame Schu-
lungen und Geschäftsreisen sind bewährte Managementinstrumente,
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 187

um positive Sozialisierungseffekte zu erzielen (Teigland, Fey und


Birkinshaw 2000).
- Informationsfluss: Um einen reibungslosen Arbeitsablauf zu ge-
währleisten, muss der Informationsfluss innerhalb des F&E-Prozesses
geregelt werden. Dazu gehören zum Beispiel eine Standardisierung
der Kommunikation, die Kodifizierung von Informationen und Wis-
sen, Wissensmanagement und die Förderung der persönlichen Kom-
munikation in den Fällen, in denen tazites Wissen weitergegeben
werden muss. Für den Informationsfluss bieten moderne Informati-
ons- und Kommunikationstechnologien neue Möglichkeiten. Zum ei-
nen erlauben sie Know-how zu speichern, aufzubereiten und Team-
mitgliedern zugänglich und verfügbar zu machen. Zum anderen er-
möglichen sie eine zunehmende Standardisierung der Wissens- und
Informationsprozesse, die dem F&E-Prozess zugrunde liegen. Damit
ist eine höhere Effizienz der Arbeitsabläufe erreichbar, da räumlich
und zeitlich voneinander getrennte Mitarbeiter Zwischenergebnisse
besser austauschen und einzelne Prozessschritte sichtbarer gemacht
werden können. Allerdings zeigen Forschungsergebnisse, dass die
Wahl geeigneter Informations- und Kommunikationstechnologien
von vielfältigen Faktoren abhängig ist (Majchrzak, Malhotra, Stamps
und Lipnack 2004).
Neben diesen ausgewählten Aspekten sind im Management internatio-
naler Innovationen selbstverständlich weitere Aufgaben und Praktiken des
Projektmanagements von Bedeutung, auf die an dieser Stelle nicht im De-
tail eingegangen werden kann. Dazu gehören zum Beispiel die Besetzung
und Organisation des Projektteams, die Handhabung und Bewältigung von
Konflikten im internationalen Team oder Projektstandards hinsichtlich der
Zusammenarbeit oder Kommunikation.
Die Komplexität und die besonderen Herausforderungen des Manage-
ments von internationalen Innovationen lassen sich gut an Offshore-IT-
Projekten illustrieren. Globale IT-Dienstleister wie Accenture oder IBM
bieten für Kunden in Nordamerika und Europa bedarfsspezifische IT-Ent-
wicklungsprojekte an, die in Technologiecentern an Niedriglohnstandorten
in Asien und Osteuropa ausgeführt werden. Dafür werden am Kunden-
standort Anforderungen erhoben und Lösungskonzepte erarbeitet, die sich
eng an die oftmals sehr individuelle Systemlandschaft des Kunden anleh-
nen müssen. Anforderungen und Konzepte werden an die Technologiecen-
ter weitergegeben, die dann die eigentliche Entwicklungsarbeit leisten
(„Extended Workbench“-Prinzip). Die Arbeitsergebnisse werden dann am
Standort des Kunden in das System integriert.
188 Michael Nippa und Björn Rosenberger

Für solche Projekte werden Teams mit Mitgliedern aus verschiedenen


Ländern, Organisationen und Fachrichtungen gebildet. Dies sind typischer-
weise:
- Mitarbeiter des Kunden vor Ort, die bei der Formulierung von Anfor-
derungen und der Integration der Ergebnisse mitwirken;
- Spezialisten des IT-Dienstleisters vor Ort, die bei der Erarbeitung des
Konzeptes mitarbeiten;
- der Liaison-Projektmanager aus dem Land des Technologiecenters,
der die Anforderungen von Kunden und Kollegen vor Ort an das
Offshore-Technologiecenter weitervermittelt sowie
- das Entwicklungsteam im Technologiecenter, das je nach Projektgrö-
ße eine eigene Projektorganisation besitzt.
In einer solchen Projektkonstellation ist eine effiziente Koordination ein
entscheidender Erfolgsfaktor. Wichtigster Koordinationsmechanismus ist
dabei der Liaison-Projektmanager. Er gewährleistet den reibungslosen In-
formationsfluss zwischen Kunden und Technologiecenter. Dafür pendelt
der Projektmanager intensiv zwischen beiden Standorten. Beim Kunden
nimmt er die spezifischen Anforderungen auf und arbeitet am Lösungskon-
zept mit. Für das Technologiecenter kommuniziert er den Kundenbedarf
und stellt sicher, dass das Arbeitsergebnis den Anforderungen entspricht.
Wieder zurück beim Kunden, wirkt er bei der Integration des Arbeitser-
gebnisses mit, nimmt mögliche Fehler auf und stellt deren Beseitigung
durch das Technologiecenter sicher.

10.5 Zusammenfassung

Der Innovationsprozess ist ein wichtiger betrieblicher Prozess mit weit rei-
chender strategischer Bedeutung und großen operativen Herausforderun-
gen. Wie andere Kernprozesse des Unternehmens unterliegt auch der
F&E-Prozess zunehmend den Zwängen und Chancen zunehmender Globa-
lisierung. Die Besonderheiten des internationalen F&E-Prozesses erschwe-
ren allerdings die Umsetzung der mit seiner Internationalisierung verbun-
denen Ziele erheblich. Daher steht die Frage des internationalen Innovati-
onsmanagements, d.h., der Gestaltung und des Managements des F&E-
Prozesses über Ländergrenzen hinweg, auch auf der Agenda vieler Unter-
nehmensführungen. In diesem Beitrag wird diese wichtige Management-
aufgabe beleuchtet und kritisch diskutiert. Es werden dabei verschiedene
Aspekte mit bedeutenden Konsequenzen für das Top-Management be-
schrieben.
10. Stand und Perspektiven des internationalen Innovationsmanagements 189

Motiv der Internationalisierung sind nicht allein operative Kostenerwä-


gungen, sondern strategische Überlegungen. Daher muss die Innovations-
strategie im internationalen Kontext der jeweiligen Unternehmensstrategie
folgen. Die Festlegung der Internationalisierungsstrategie des F&E-Prozes-
ses mit den damit verbundenen Teilaufgaben wie Standortwahl und Gestal-
tung der Organisationsstruktur ist folglich Aufgabe des Top-Managements.
Eine weitere Besonderheit des internationalen F&E-Prozesses mit wich-
tigen Implikationen für die Unternehmensführung ist dessen Offenheit.
Nur wenige Unternehmen können Innovation komplett eigenständig ent-
wickeln. Die meisten Firmen sind aufgrund hoher Kosten, hoher Risiken
oder fehlender Kompetenzen, aber auch aufgrund von Spezialisierungsvor-
teilen und Zeitgewinnen darauf angewiesen, Wissen und Ressourcen von
außerhalb zu erwerben und in den Innovationsprozess zu integrieren. Zu
diesem Zweck werden Kooperationen geschlossen, Lizenzen erworben
oder vollständige Innovationsprojekte an F&E-Dienstleister vergeben. Für
das Top-Management bedeutet dies, dass der F&E-Prozess und die dahin-
ter stehende Organisation sowohl offen als auch flexibel gestaltet werden
muss. Die Organisation muss in die Lage versetzt werden, eng mit internen
und externen Partnern auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten und
die aus der Zusammenarbeit hervorgehenden Ergebnisse und Kompeten-
zen zu internalisieren und multiplizieren. Um dies zu erreichen, müssen
auf Arbeitsebene Mitarbeiter aus verschiedenen Fachrichtungen und Kul-
turräumen über große räumliche Entfernungen zusammenarbeiten. Für ei-
ne zielgerichtete und effiziente Zusammenarbeit sind daher international
wirksame Koordinationsmechanismen bereitzustellen und anzuwenden.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich das internationale Manage-
ment von Innovationen zunehmend zu einer Kernaufgabe der Unterneh-
mensführung entwickelt. Die effektive Gestaltung des internationalen
F&E-Prozesses und dessen effiziente Koordination ist eine ist eine wich-
tige – und fortlaufende – Managementaufgabe, die die strategische Ent-
wicklung eines Unternehmens entscheidend beeinflusst.
190 Michael Nippa und Björn Rosenberger

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11. Strategisches “Time-to-Market”-Management
Relevante Problembereiche und adäquate Methoden

Fabio Labriola

Insbesondere in technologieintensiven Branchen sehen sich Entscheidungsträger


in Unternehmen grundlegend geänderten Wettbewerbsumfeldern ausgesetzt, die
vornehmlich durch rasante Veränderungsgeschwindigkeiten, hochgradige Kom-
plexität, stark ausgeprägte Interdependenzen sowie ständig auftretende Dis-
kontinuitäten charakterisiert werden. Diese Entwicklungen kommen auch durch
immer kürzer werdende Innovationszyklen zum Vorschein, welche vor allem das
„strategische Zeitfenster“ für Produktinnovationen schmaler werden lassen. Das
unternehmerische „Time-to-Market“-Management, das die zeitliche Optimierung
des Innovationsstroms zum Ziel hat, gewinnt daher zunehmend an Bedeutung.
Es werden zwei komplementäre Methoden vorgeschlagen, mit deren Hilfe Ent-
scheidungsträger zentrale Problemfelder innerhalb ihres strategischen „Time-to-
Market“-Managements erfolgreich angehen können. Dabei handelt es sich zum
einen um das integrierte Roadmapping-Verfahren, mittels dessen relevante Pla-
nungsbereiche in zeitlicher Hinsicht synchronisiert bzw. strategische Optionen
generiert werden können. Zum anderen wird hier der so genannte Realoptionen-
ansatz beleuchtet. Von besonderer Bedeutung ist dabei die„Warte- bzw. Halteop-
tion“, welche Führungskräfte bei der Entscheidung unterstützt, ob und – falls ja –
wann eine Produktentwicklung angestoßen werden sollte.

11.1 Einführung

11.1.1 Kontext und Problemstellung

Insbesondere in technologieintensiven Sektoren, wie beispielsweise der


Automobilindustrie, der Halbleiterentwicklung und -fertigung, dem Ma-
schinenbau, der Softwareentwicklung, der Informations- und Telekommu-
nikationsbranche sowie im Bereich der Unterhaltungselektronik, sehen
sich Führungskräfte bereits seit einiger Zeit grundlegend geänderten Wett-
bewerbsumfeldern ausgesetzt, die sich durch hohe Komplexität und Dyna-
mik in markt- und technologiebezogenen Entwicklungen auszeichnen. Au-
genscheinlich werden diese Tendenzen auch in einer stetigen Verkürzung
der Innovationszyklen, d.h., der zeitlichen Abstände zwischen aufeinander
aufbauenden Produktgenerationen. So haben sich beispielsweise die Pro-
194 Fabio Labriola

duktlebenszyklen innerhalb der Elektrotechnikbranche von 1991 bis 2001


nahezu halbiert.
Vor diesem Hintergrund rückt die Relevanz des strategischen Zeitfen-
sters, das im Zuge der verkürzten Innovationszyklen zunehmend schmaler
wird, verstärkt in den Vordergrund unternehmerischen Denkens. Unter
dem strategischen Zeitfenster versteht man in der Regel jenen Zeitraum,
innerhalb dessen die Kundenanforderungen und -wünsche mit den techno-
logischen Kompetenzen des betrachteten Unternehmens, die sich in neuen
Produkten oder auch Dienstleistungen manifestieren, übereinstimmen.
Aufgrund der oben angesprochenen Entwicklungen wird es für Unter-
nehmen immer schwieriger, Produktinnovationen innerhalb ihrer strategi-
schen Zeitfenster am Markt zu platzieren. Folglich steigt die Bedeutung
des „richtigen“ Markteinführungszeitpunktes von innovativen Produkten;
der Erfolg eines Unternehmens hängt ganz erheblich von einer zeitgerech-
ten Markteinführung der hervorgebrachten Produkte ab. Nachvollziehbar
wird diese Aussage insbesondere dann, wenn man sich die betriebswirt-
schaftlichen Konsequenzen suboptimaler Timing-Entscheidungen vor Au-
gen führt. So birgt ein verfrühtes Timing insbesondere die Gefahr, dass der
Markt noch nicht in ausreichendem Maße auf die innovative Lösung vor-
bereitet ist und das neue Produkt eine ökonomisch betrachtet unzureichen-
de Nachfrage generiert. Hingegen führt ein verspätetes Innovationstiming
zu bereits vergebenen Marktanteilen, etablierten Marken und Standards so-
wie erodierenden Preisen, was sich ebenfalls negativ auf Umsatz- und Ge-
winngrößen auswirkt.
Die hohe betriebswirtschaftliche Bedeutung dieser Problemstellung legt
nahe, adäquate Methoden für die Wahl des Innovationszeitpunktes zu ent-
wickeln. Es griffe allerdings zu kurz, würden diese erst in den fortgeschrit-
tenen Stadien des Innovationsprozesses ansetzen, in denen die Implemen-
tierung bereits geplanter Produktinnovationen im Zentrum der Betrachtung
steht. So nützen unterjährige, tagesgenaue Timingmethoden nichts mehr,
wenn das strategische Zeitfenster aufgrund fehlender langfristiger Innova-
tionsplanungen verpasst wurde. Vielmehr kann nur dann von einer strate-
gischen Bestimmung des Markteinführungszeitpunktes gesprochen wer-
den, wenn sich Entscheidungsträger bereits ab den frühen Phasen der Inno-
vationsentstehung kontinuierlich mit den relevanten markt- sowie techno-
logieseitigen Erfordernissen auseinandersetzen.
Bei der Planung des Innovationstimings sollte daher die gesamte Time-
to-Market (TtM), welche die Zeitspanne von der erstmaligen Manifestation
einer Idee bis hin zur Markteinführung der Innovation umfasst (Trinkfass
1997), berücksichtigt werden (Buchholz 1996). Eine Managementkonzep-
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 195

tion zur Unterstützung zeitgerechter Marktlancierungen von Produktinno-


vationen wird im weiteren Verlauf als ganzheitliches Time-to-Market-Ma-
nagement (TtMM) bezeichnet. Des Weiteren lässt sich eine Aufspaltung
des TtMM in einen konzeptionellen Bereich („strategisches TtMM“) ei-
nerseits und einen exekutiven Bereich („operatives TtMM“) andererseits
vornehmen. Das strategische TtMM umfasst dabei den Bereich des Inno-
vationsprozesses, bei dem die Generierung und Bewertung von markt- und
technologieorientierten Innovationsimpulsen bzw. deren Integration in In-
novationspläne im Vordergrund steht. Hingegen bezieht sich das operative
TtMM auf die technologische Realisierung bereits geplanter Produktinno-
vationen sowie deren spätere Markteinführung (vgl. hierzu auch Labriola
2006). Abbildung 11.1 verdeutlicht dies:

Strategisches Operatives
TtMM TtMM

Innovations-
M
M
M
timing
M
M
M M IP IP IP
T T
T
T
T t
T
T

Integration des „Anstoß“ von


„zeitbasierten Innovations-
Wissens“ projekten

„Screening“ „Integration“ „Execution“

M
=> Marktorientierter
M
Impuls IP
=> Innovationsplan => Innovationsprojekt
T T (Produktentwicklung)
=> Technologieorientierter
Impuls

Quelle: Fabio Labriola

Abb. 11.1. Prozess des ganzheitlichen TtMM

Eine umfangreiche, auf Expertengesprächen beruhende Forschungsstu-


die, auf die im weiteren Verlauf noch näher eingegangen wird, verdeut-
lichte die hohe Bedeutung des strategischen TtMM für zeitgerechte Pro-
duktlaunches, wobei sich Führungskräfte in diesem Kontext vornehmlich
mit zwei Problemfeldern konfrontiert sehen (siehe Abbildung 11.1): Die
Studie zeigte auf, dass es bei der Formulierung des Innovationsprogramms,
d.h., der zukünftig zu entwickelnden Produktinnovationen, einerseits not-
wendig ist, das zeitbasierte Wissen um technologische Zukunftspfade, anti-
zipierte Bedarfsentwicklungen sowie voraussichtliches Konkurrenzverhal-
ten miteinander in Einklang zu bringen. Dieses Erfordernis wird noch aus-
führlich diskutiert. Andererseits ist auch der Zeitpunkt, zu dem Produktent-
196 Fabio Labriola

wicklungen angestoßen werden, von zentraler Bedeutung. Da das Timing


von Innovationen nicht nur von der Entwicklungsdauer abhängt, sondern
auch davon, wie früh man startet, ist diese Einsicht intuitiv nachvollzieh-
bar. Auch auf diesen Problembereich wird im Weiteren noch näher einge-
gangen.

11.1.2 Ziel und Vorgehensweise

Auf den folgenden Seiten wird eine strategische TtMM-Konzeption darge-


legt. Konkret soll aufgezeigt werden, mit welchen Methoden Führungs-
kräfte an die beiden genannten Problemfelder des strategischen TtMM her-
antreten sollten, um den Grundstein für erfolgreiche Timingentschei-
dungen zu legen.
Um dieses Ziel zu erreichen, werden mit dem Roadmapping-Verfahren
und dem Realoptionenansatz zwei innovative Methoden vorgestellt, die
den Faktor „Zeit“ explizit berücksichtigen und somit Entscheidungsträger
bei ihrem strategischen TtMM unterstützen können. Hierbei wird auch auf
die organisatorische Umsetzung sowie die Verzahnung der Methoden ein-
gegangen.
Die dargelegten Erkenntnisse beruhen auf einer explorativen For-
schungsarbeit, für die zunächst eine umfangreiche Vorstudie durchgeführt
wurde. In rund fünfzig Expertengesprächen wurde mit führenden Innovati-
onsforschern sowie Praxisvertretern aus zwanzig Firmen unterschiedlicher
Branchen (Automobil, Halbleiter, Maschinenbau, Software, Telekommuni-
kation, Unterhaltungselektronik etc.) der Themenbereich „TtMM“ disku-
tiert. Basierend auf den Einsichten der Vorstudie wurde mit sieben Unter-
nehmen eine engere Kooperation vereinbart. In mehrtägigen Arbeitskrei-
sen mit Mitarbeitern von sowohl markt- als auch technologienahen Abtei-
lungen wurde zum einen über wesentliche Problembereiche des TtMM ge-
sprochen. Zum anderen wurde darüber diskutiert, welche Methoden den
herausgearbeiteten Anforderungen in den jeweiligen Phasen des TtMM am
besten gerecht werden können. Eine ausführliche Darstellung der Untersu-
chungsergebnisse siehe auch Labriola (2006) sowie Nippa und Labriola
(2005a).
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 197

11.2 Darlegung einer strategischen Time-to-Market-


Managementkonzeption

11.2.1 Integriertes Roadmapping-Verfahren: Generierung


strategischer Optionen durch zeitliche Synchronisation
der relevanten Planungsdimensionen

Das integrierte Roadmapping-Verfahren im Überblick

Der Roadmapping-Ansatz wurde Ende der achtziger Jahre von führenden


Technologieunternehmen entwickelt und angewendet. Das primäre Ziel
des Ansatzes ist die Verbindung der Markt- mit der Technologieplanung.
Die Methode kann als ein kreatives Analyseverfahren charakterisiert wer-
den, mit dessen Hilfe die Zukunftspfade von relevanten Planungsdimensio-
nen zunächst analysiert und dann in zeitlicher Hinsicht synchronisiert wer-
den können. Insbesondere zeigt das Verfahren, über welche Optionen das
Management in Hinsicht auf Technologie- bzw. Produktentwicklungen
verfügt und wie diese zueinander in Beziehung stehen.
Wie im weiteren Verlauf noch erläutert wird, handelt es sich beim integ-
rierten Roadmapping-Ansatz vornehmlich um eine Meta-Methodik, in de-
ren Rahmen bedeutende Verfahren – beispielsweise die „Szenario-Analy-
se“ oder der „Lead-User-Ansatz“ – an geeigneter Stelle integriert werden
können bzw. sogar sollten.

Grundlegender Aufbau des integrierten Roadmapping-Verfahrens

Konstitutive Dimensionen der Methode sind die Zeitachse sowie die pro-
dukt- und technologiebezogenen Objektachsen (Phaal et al. 2003).
Gerade durch die Zeitachse, die eine Explizierung des Wettbewerbsfak-
tors Zeit gewährleistet, unterscheidet sich das Roadmapping von her-
kömmlichen Planungs- und Analysemethoden. Sie ermöglicht es den Ent-
scheidungsträgern erst, das zeitbezogene Wissen um Marktbedarf, zukünf-
tige Konkurrenzaktionen und Technologiepotenzial miteinander abglei-
chen zu können. Die Zeitachse ist somit auch der wesentliche Grund dafür,
dass das integrierte Roadmapping-Verfahren einen zentralen Bestandteil
der strategischen TtMM-Konzeption darstellt.
Durch die Objektachsen können sowohl markt- als auch ressourcenori-
entierte Überlegungen in das Innovationsmanagement einfließen. Sie be-
ziehen sich zum einen auf das Leistungsprogramm, d.h., auf die Produkt-
bereiche, in denen man engagiert ist oder sich engagieren möchte, und
198 Fabio Labriola

zum anderen auf die hierfür notwendigen Potenziale bzw. Prozess- sowie
Produkttechnologien. In Verbindung mit der Zeitachse werden die pro-
dukt- bzw. technologiebezogenen Objektachsen auch als Produkt-Road-
maps bzw. Technologie-Roadmaps bezeichnet.

Prozess des integrierten Roadmapping-Verfahrens

Die grundlegende Vorgehensweise des Verfahrens lässt sich anhand von


Abbildung 11.2 veranschaulichen:

Grundlegende Vorbereitungen

Erstellung der Konkurrenzorientierte Erstellung der


Produkt-Roadmaps Analysen Technologie-Roadmaps

Synchronisation der Roadmaps

Festlegung des Innovationsprogramms

Quelle: Fabio Labriola

Abb. 11.2. Vorgehensweise des integrierten Roadmapping-Verfahrens

(1) Grundlegende Vorbereitungen

Im Rahmen der grundlegenden Vorbereitungen muss zum einen eine adä-


quate Skalierung der Zeitachse vorgenommen werden. Die Skalierung der
Zeitachse bzw. die Länge des zu analysierenden Planungshorizonts kann
dabei variieren, sollte aber an den vorherrschenden Branchenbedingungen,
speziell den üblichen Produktlebens- und Investitionszyklen eines Sektors,
ausgerichtet werden. Zum anderen gilt es, jene Objekte zu definieren, de-
ren Zukunftspfade im Rahmen des Roadmapping-Prozesses antizipiert
werden sollen. Mit anderen Worten müssen sich Führungskräfte darüber
bewusst werden, welche Produkt- und Technologiekategorien analysiert
werden sollen. Abschließend wird auch festgelegt, welche Wettbewerber
im Zuge des Roadmapping analysiert werden müssen.
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 199

(2) Erstellung der Produkt-Roadmaps

Die Produkt-Roadmaps stellen die geplanten Entwicklungspfade von zu-


künftigen Produktkonzeptionen grafisch dar. Bei den auf den Produkt-
Roadmaps abgetragenen Objekten wird zwischen zwei Produkttypen diffe-
renziert. Der erste Typ umfasst Innovationspläne, die auf dem bestehenden
Produktprogramm des Unternehmens aufbauen („Weiterentwicklungen“).
Im Gegensatz dazu beinhaltet der zweite Typ Produktkonzepte, die zumin-
dest aus Unternehmenssicht einen neuartigen bzw. revolutionären Charak-
ter („Neuentwicklungen“) aufweisen.
Die inhaltliche und zeitliche Ausgestaltung der auf den Produkt-Road-
maps abgetragenen Konzeptionen wird von den erwarteten Bedarfsent-
wicklungen der relevanten Kundengruppen determiniert. Eine Reihe von
Autoren sieht in diesem Kontext vornehmlich in der „Szenario-Analyse“
ein geeignetes Instrument, marktbezogene Zukunftsbilder systematisch zu
erstellen (Strauss und Radnor 2004). Verkürzt formuliert wird dabei – ba-
sierend auf den antizipierten Entwicklungen solcher Faktoren, von denen
ein hoher Einfluss auf die zukünftigen Kundenbedürfnisse vermutet wird
(„Schlüsselfaktoren“) – zunächst eine Vielzahl in sich konsistenter Szena-
rien generiert. Für welchen Zeitpunkt in der Zukunft derartige Perspekti-
ven erstellt werden, lässt sich nicht pauschal beantworten und sollte vor-
nehmlich von der Skalierung der den Roadmaps zugrunde liegenden Zeit-
achse abhängen. Abschließend müssen Marktbedürfnisse aus den Szena-
rien abgeleitet werden, die wiederum als „Leitstern“ für die Konzeption
zukünftiger Produkte herangezogen werden können.
Unabhängig davon, auf welche konkreten Methoden innerhalb des Pro-
dukt-Roadmapping zurückgegriffen wird, sollten sowohl unternehmensin-
terne als auch -externe Wissens- und Informationsträger miteinbezogen
werden. Gerade die Einbindung von besonders fortschrittlichen Kunden,
so genannten „Lead Usern“, erscheint erfolgsrelevant. Da die Bedürfnisse
von Lead Usern denen der „durchschnittlichen“ Kunden häufig um einige
Zeit vorauseilen, kann die rechtzeitige Einbeziehung dieser Kundengruppe
dabei helfen, zukünftige Markterfordernisse bereits in einem möglichst
frühen Stadium zu erkennen.
Basierend auf den Prognosen der zukünftigen Bedarfsentwicklungen
kann die Positionierung innovativer Produkte entlang der Zeitachse nun
mithilfe der Produkt-Roadmaps visualisiert werden (siehe Abbildung
11.3). Dabei sollten insbesondere folgende Informationen grafisch veran-
schaulicht werden (Albright und Kappel 2003):
200 Fabio Labriola

- Das Timing von Neuentwicklungen (so z.B. P4, das zukünftig erst-
mals am Markt eingeführt wird) sowie potenziellen Weiterentwick-
lungen bestehender Produkte (in Abbildung 11.3 stellt beispielsweise
P1’ die erste Nachfolgegeneration von Produkt P1 dar).
- Der Zeitpunkt, zu dem einzelne Produkte ggf. ineinander übergehen
bzw. sich eine Produktkategorie in verschiedene Bereiche aufspaltet.

(3) Erstellung der Technologie-Roadmaps

Die Technologie-Roadmaps, die parallel zu den Produkt-Roadmaps erar-


beitet werden sollten, illustrieren die prognostizierten Entwicklungspfade
der für den Betrachtungszeitraum relevanten Technologien. Sie können
grundsätzlich als Gegenstück zu den Produkt-Roadmaps aufgefasst wer-
den: Standen bei den Produkt-Roadmaps die Erfassung und Interpretation
von Kundenbedürfnissen – oder Kundenproblemen – im Vordergrund, so
zeigen die Technologie-Roadmaps auf, wie sich diese mithilfe geeigneter
technologischer Potenziale befriedigen bzw. lösen lassen. Die auf diesen
Roadmaps abgetragenen Technologien lassen sich vornehmlich hinsicht-
lich dreier Merkmalsausprägungen unterscheiden. Zunächst kann eine Dif-
ferenzierung in Bezug auf die Technologieherkunft vorgenommen werden.
So sollten sowohl selbst entwickelte Technologien als auch Technologien,
die im Zuge externer Beschaffungsmaßnahmen in das betrachtete Unter-
nehmen gelangt sind, auf den Technologie-Roadmaps abgebildet werden.
Darüber hinaus lassen sich die Technologien dahingehend voneinander ab-
grenzen, ob es sich bei ihnen um innerhalb des Unternehmens neuartige
oder aber bereits bewährte bzw. im Einsatz befindliche Technologien han-
delt. Abschließend kann eine weitere Unterteilung in Produkt- und Pro-
zesstechnologien vorgenommen werden (Nippa und Labriola 2005b).
Eine wesentliche Schwierigkeit des Technologie-Roadmapping besteht
darin, technologieorientierte Innovationsimpulse zu identifizieren und zum
richtigen Zeitpunkt zu adaptieren, d.h., entsprechende Technologieent-
wicklungen oder Technologiebeschaffungsmaßnahmen zu initiieren. In
diesem Zusammenhang erscheint ein umfassendens Technologiefrüherken-
nungssystem unverzichtbar.
Auch beim Technologie-Roadmapping sollte daher auf sowohl unter-
nehmensinterne als auch -externe Informations- und Wissensquellen zu-
rückgegriffen werden. Bedeutende Informationsquellen sind u.a. Patent-
und Publikationsdatenbanken, Lieferanten technologischer Module, fort-
schrittliche Kunden sowie Experten aus Forschungsinstituten und techno-
logieorientierten Universitätsfakultäten.
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 201

Die unternehmerischen Technologie-Roadmaps (siehe Abbildung 11.3)


sollten vornehmlich folgende Informationen grafisch veranschaulichen
(Albright und Kappel 2003):
- Den voraussichtlichen Zeitpunkt bzw. -raum der Substitution einer al-
ten durch eine neuartige Technologie (beispielsweise wird T4 von T5
abgelöst).
- Antizipierte Zukunftspfade einzelner Technologien (so stellt T1’ eine
inkrementelle Verbesserung von T1 dar).
- Den potenziellen Zeitpunkt bzw. -raum, da Technologien ineinander
übergehen bzw. sich eine Technologie in zwei oder sogar mehrere
Technologien aufspaltet.

(4) Konkurrenzorientierte Analysen

Um das Timing der Konkurrenz zu antizipieren, spielen zwei Kategorien


von Informationen eine zentrale Rolle. Zum einen sollten indirekte Infor-
mationen erhoben werden, d.h. Informationen, die lediglich vage Hinweise
auf das Timing von Konkurrenzinnovationen geben. Diese reichen von
schwachen Signalen – beispielsweise von der Konkurrenz angemeldeten
Patenten sowie publizierten Fachbeiträgen – bis hin zu bereits wesentlich
konkreteren Daten, speziell der Ankündigung eines Prototyps oder aber
dem Erreichen einer Nullserie. Zum anderen erscheint es als erforderlich,
direkte Informationen über die Markteinführungszeitpunkte der Konkur-
renz konsequent zu erfassen. Besonders sollte die Erkenntnis bei konkur-
renzorientierten Analysen Berücksichtigung finden, dass viele Unterneh-
men das „informationelle Innovationstiming“, d.h., die Ankündigung des
Markteinführungszeitpunktes an Stakeholder, als Marketinginstrument ein-
setzen. Auch im Rahmen von Normierungsgremien entsteht häufig ge-
zwungenermaßen ein direkter und offener Austausch der Wettbewerber
über einzelne Innovationsvorhaben. Abschließend sei auf die Möglichkeit
der „Trendextrapolation“ hingewiesen, bei der durch die Betrachtung ver-
gangener Innovationszyklen der Konkurrenz Rückschlüsse auf deren zu-
künftige Timingentscheidungen gezogen werden können.
Grundsätzlich bedarf es einer festen Verankerung der Wettbewerbsana-
lyse innerhalb des Roadmapping-Prozesses. Die im Zuge dieser Analyse
gewonnenen Erkenntnisse sollten die Planung der Produktentwicklungen
beeinflussen sowie auch die geplanten Zukunftspfade der Technologieent-
wicklungen bzw. der zu initiierenden Technologiebeschaffungsmaßnah-
men. Folglich erscheint es angebracht, die Konkurrenzanalyse als einen in-
202 Fabio Labriola

tegralen Bestandteil des Produkt- bzw. Technologie-Roadmappings zu be-


trachten.

(5) Synchronisation der beiden Roadmaps

Im Weiteren erfolgt die Zusammenführung bzw. der zeitliche Abgleich der


im Vorfeld erarbeiteten Roadmaps. Hierfür hat sich in der Praxis die so ge-
nannte „Funktionsaufspaltung“ durchgesetzt (Specht und Behrens 2005):

Produkt-Roadmap
Objektachse

P7
P4 P4‘
P6
P3 P3‘

P2 P2‘ P2‘‘
P5 Funktionsaufspaltung
P1 P1‘ P1‘‘
P1‘‘ F1 T1‘
Zeitachse
T3‘

Objektachse F2 T2

T6 T6‘ T5
T4 T5 T9
T3 T3‘ T3‘‘
T8
T2 T2‘
P => Produktkonzept
T7
T1 T1‘
F => Produktfunktion
Zeitachse T => Technologie
Technologie-Roadmap
Quelle: Fabio Labriola

Abb. 11.3. Synchronisation von Produkt- und Technologie-Roadmap

Im Rahmen dieser Verfahrensweise werden die auf den Produkt-Road-


maps positionierten Konzepte zunächst in ihre wesentlichen Funktionalitä-
ten aufgespalten, um diesen dann im weiteren Verlauf die zu ihrer Reali-
sierung notwendigen Technologien zuzuordnen. Im Zuge der Funktions-
aufspaltung, die auch als „Produkt-Technologie-Verknüpfung“ bezeichnet
wird, können folgende Anpassungen an den beiden Roadmaps erforderlich
werden (Grossman 2004):
- Beschleunigung besonders zeitkritischer Technologieentwicklungen.
- Verlangsamung weniger dringender Technologieentwicklungsprojek-
te.
- Initiierung externer Technologiebeschaffungsmaßnahmen.
- Eliminierung unbedeutender Technologieentwicklungen.
- Zeitliches Vorziehen von Produktentwicklungen, deren technologi-
sche Umsetzung früher als erwartet vollzogen werden kann.
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 203

- Verzögerung des geplanten Innovationstimings, wenn sich bedeuten-


de Technologien erst später als geplant entwickeln bzw. beschaffen
lassen.
- Erweiterung des geplanten Produktprogramms.
- Eliminierung technologisch nicht realisierbarer Produktkonzeptionen.
Welche dieser Anpassungen auftreten bzw. ob sich die Technologieent-
wicklungen oder -beschaffungen an den geplanten Produktentwicklungen
ausrichten oder vice versa, muss auch von der vom Unternehmen innerhalb
des strategischen TtMM verfolgten Strategie abhängig gemacht werden.
Neben der Möglichkeit, beide Perspektiven gleichwertig in den Roadmap-
ping-Prozess einfließen zu lassen, wurde durch die empirische For-
schungsstudie deutlich, dass auch zwei weitere Ansätze vorstellbar sind.
Dies ist zunächst ein eher technologie- bzw. ressourceninduziertes Road-
mapping, bei dem den Technologie-Roadmaps eine höhere Relevanz zuer-
kannt wird als den Produkt-Roadmaps. Bei einem solchen Ansatz wird die
Innovationsplanung überwiegend an den eigenen technologischen Kompe-
tenzen, die durch die Technologie-Roadmaps abgebildet werden, ausge-
richtet.
Gerade bei Unternehmen aus stark marktgetriebenen Branchen, die sich
vor allem dadurch auszeichnen, technologische Lösungspotenziale zu
übernehmen und ggf. weiterzuentwickeln, dominiert hingegen ein eher
marktinduziertes Roadmapping. Dies manifestiert sich speziell darin, dass
die Technologie-Roadmaps bei dieser Anwendungsweise hauptsächlich als
eine Art Machbarkeitsprüfung der erstellten Produktkonzepte fungieren
(Nippa und Labriola 2005b).

(6) Festlegung des Innovationsprogramms

Die bis hierhin erstellten Innovationspläne korrespondieren mit den antizi-


pierten Zukunftspfaden relevanter Markt-, Wettbewerbs- und Technologie-
entwicklungen. Das Dilemma knapper Entwicklungskapazitäten sollte Ent-
scheidungsträger jedoch dazu veranlassen, die auf den Produkt-Roadmaps
abgetragenen Produktkonzepte zunächst lediglich als strategische Hand-
lungsoptionen zu betrachten: Sie können, aber sie müssen nicht realisiert
werden. Es ist notwendig, diese Optionen mithilfe adäquater Methoden ei-
ner umfassenden Bewertung zu unterziehen. Diese Bewertungsmethodik
muss als integraler Bestandteil des Roadmapping-Verfahrens aufgefasst
werden.
204 Fabio Labriola

11.2.2 Realoptionenansatz: Bewertung der generierten


Strategieoptionen unter Berücksichtigung zeitlicher
Flexibilitätspotenziale

Eine in der Praxis häufig verwendete Methode der Investitionsbewertung


im Allgemeinen und der Evaluation von Innovationsprojekten im Beson-
deren ist die Kapitalwertmethode, die auch als „Discounted Cash Flow Ap-
proach“ bezeichnet wird. In ihrer Grundform geht die Methode von drei
Annahmen aus: Erstens impliziert sie, dass Unternehmen in einer Welt
vollkommener Sicherheit operieren, in der zukünftige Entwicklungen
exakt vorhersehbar sind. Zweitens wird unterstellt, dass das Management
einen einmal beschlossenen Plan auch tatsächlich realisiert – und dies un-
abhängig von potenziellen Wert beeinflussenden Änderungen im relevan-
ten Umfeld. Drittens wird davon ausgegangen, dass ein potenzielles Inves-
titionsprojekt zum Bewertungszeitpunkt entweder realisiert oder aber ver-
worfen wird. Vor dem Hintergrund der hohen Planungsunsicherheit im
markt- und technologiebezogenen Bereich erscheinen die Prämissen dieses
Modells jedoch zumindest für den Bereich des strategischen TtMM als
nicht realistisch. Das folgende Zitat verdeutlicht die Inadäquatheit der mit
der Kapitalwertmethode verbundenen Annahmen: „In competitive markets
[...] no one expects to formulate a detailed long-term plan and follow it
mindlessly. As soon as we start down the path, we begin learning […] and
we need to respond flexibly to what we learn. Unfortunately, the financial
tool most widely relied on to estimate the value of a strategy – discounted-
cash-flow (DCF) valuation – assumes that we will follow a predetermined
plan, regardless of how events unfold” (Luehrman 1998a).
Zur Behebung dieser Defizite wird in der jüngeren Managementliteratur
mit dem Realoptionenansatz eine Methodik vorgeschlagen, die im Zeitver-
lauf konkreter und sicherer werdende Informationen berücksichtigt sowie
den Wert von strategischer Flexibilität formalisiert und quantifiziert (Nip-
pa und Petzold 2003). Es handelt sich hierbei um ein innovatives Strategie-
bewertungsverfahren, das eine Analogie zwischen der Optionspreistheorie
einerseits (Black und Scholes 1973) und der Evaluation realer Investitions-
projekte andererseits herstellt (Luehrman 1998b). Der Ansatz sollte weni-
ger als Substitut, sondern vielmehr als Ergänzung der klassischen Bewer-
tungsmethoden verstanden werden. Wie dies funktionieren kann, wird im
Folgenden näher thematisiert.
Trotz der Fülle identifizierbarer Optionen in der unternehmerischen Pra-
xis ist für den Bereich des strategischen TtMM vornehmlich die so genan-
nte „Warte- bzw. Halteoption“ von Relevanz. Sie liegt dann vor, wenn
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 205

Entscheidungsträger die Möglichkeit haben, den Startzeitpunkt einer In-


vestition aufzuschieben.

Ökonomische Werthaltigkeit der „Option auf Aufschub“

Durch die Forschungsstudie wurde deutlich, dass ein Großteil der analy-
sierten Firmen den Startzeitpunkt ihrer Produktentwicklungen in bestimm-
ten Situationen bewusst herauszögern und sich von diesem Aufschub posi-
tive Auswirkungen auf ihr TtMM versprechen. Jedoch stellt sich die
grundlegende Frage, worauf sich dieses Erfolgspotenzial zurückführen
lässt. Warum sollten Unternehmen diesem Problembereich überhaupt Auf-
merksamkeit schenken? Welches sind die Kalküle, die dazu veranlassen,
den Startzeitpunkt der Produktentwicklung unter gewissen Umständen auf-
zuschieben?
Die Antwort darauf liegt insbesondere darin begründet, dass ein bewuss-
tes, also strategisches Herauszögern das Management gerade in durch Un-
sicherheit geprägte Wettbewerbsumgebungen in die Lage versetzt, Wert
beeinflussende Entwicklungen im markt- und technologiebezogenen Um-
feld abzuwarten und erst auf Basis dieser zusätzlichen Informationen zu
entscheiden, ob eine Produktentwicklung überhaupt durchgeführt werden
sollte. Dies ist insofern bedeutsam, als Investitionen in innovative Produk-
te oftmals den Charakter von so genannten „sunk costs“ haben, d.h., ein-
mal getätigte Aufwendungen nicht mehr rückgängig gemacht werden kön-
nen. Eine Verzögerung räumt die Möglichkeit ein, derartige Kosten zu ver-
meiden, wenn die im Zeitverlauf gewonnenen Erkenntnisse die geplante
Innovation unvorteilhaft erscheinen lassen.
Entscheidungsträger, die die Werthaltigkeit eines bewussten Aufschubs
erkannt haben, sehen sich mit einer weiterführenden Fragestellung kon-
frontiert: Bis zu welchem Zeitpunkt ist ein Herauszögern unter ökonomi-
schen Gesichtspunkten sinnvoll bzw. ab wann sollte mit der Umsetzung
des Innovationsvorhabens begonnen werden? Um dies zu beantworten,
wäre es notwendig, die bestehende Option auf Verzögerung einer quantita-
tiven Bewertung zu unterziehen. Parallel dazu müsste ebenfalls kalkuliert
werden, welchen Gewinnbeitrag der betrachtete Innovationsplan bei sofor-
tiger Realisierung – voraussichtlich – liefern würde. Es wäre rational, die
Option nur dann aufrechtzuerhalten, wenn sie gemäß den durchgeführten
Kalkulationen einen höheren Wert aufweist als die Möglichkeit der unver-
züglichen Durchführung. Der Wert des Vorhabens bei sofortiger Realisie-
rung lässt sich mithilfe klassischer Bewertungsverfahren grundsätzlich be-
rechnen. In diesem Kontext sollte nicht die Kapitalwertmethode, sondern
206 Fabio Labriola

vielmehr das Erwartungswertverfahren, das den zukünftigen Zahlungsströ-


mungen Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnet, herangezogen werden. Die
Schwierigkeit besteht jedoch – wie eingangs erwähnt – darin, die strate-
gische Flexibilität der bewussten Verzögerung zu quantifizieren. An dieser
Stelle kann der Realoptionenansatz als Ergänzung zu diesem Bewertungs-
verfahren herangezogen werden.
Wegen der augenscheinlichen Analogie zu so genannten „amerikani-
schen Call-Optionen“, die dem Inhaber das Recht einräumen, einen ausge-
wählten Finanztitel innerhalb einer bestimmten Frist zu einem im Vorfeld
festgelegten Preis zu erwerben (Perridon und Steiner 1997), sehen zahlrei-
che Autoren in der von Black und Scholes (1973) entwickelten Options-
preistheorie ein adäquates Lösungspotenzial. Dieser Theorie, auf deren
Details nicht näher eingegangen werden soll, lassen sich vier qualitative
Aussagen über den Wert einer Call-Option entnehmen (vgl. hierzu auch
Nippa und Petzold 2003):
1. Je höher der Wert der Vermögensposition, desto höher der Options-
preis.
2. Je höher die Varianz der Wertentwicklung der Vermögensposition,
desto höher der Optionspreis.
3. Je länger die Ausübungsfrist, desto höher der Optionspreis.
4. Je höher der Ausübungspreis, desto niedriger der Optionspreis.
Überträgt man diese Gedanken auf die Problematik des strategischen
TtMM, so ergeben sich folgende Zusammenhänge:
1. Je höher der Wert des mit dem Innovationsvorhaben verbundenen
Gewinnpotenzials (vor Abzug der Kosten für die Produktentwick-
lung; diese werden nämlich – wie unter (4) ersichtlich – als Aus-
übungspreis aufgefasst), desto höher der Wert der Halteoption.
2. Je höher die Schwankungsbreite der Wertentwicklung des mit dem
Innovationsvorhaben verbundenen Gewinnpotenzials, desto höher der
Wert der Halteoption.
3. Je länger das strategische Zeitfenster für eine erfolgreiche Marktein-
führung der Innovation, desto höher der Wert der Halteoption.
4. Je höher die Kosten der Produktentwicklung, desto niedriger der Wert
der Halteoption.
Aufgrund der hohen Unsicherheit im markt- und technologieorientierten
Umfeld ist es in der Praxis allerdings beinahe unmöglich, diese vier Wert
beeinflussenden Parameter hinreichend genau zu ermitteln. Gerade die
Länge des strategischen Zeitfensters und damit verbunden die mögliche
Schwankungsbreite der Wertentwicklungen lassen sich nur grob abschät-
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 207

zen, hängen diese Parameter doch auch davon ab, wann Konkurrenten ihre
Innovationen am Markt einführen. Diese potenziellen Eintrittstermine kön-
nen jedoch – mithilfe der beschriebenen Instrumente – nur ansatzweise
antizipiert werden. Aus diesem Grund wird im Folgenden eine überwie-
gend qualitative Verwendungsweise des Ansatzes vorgeschlagen, die auch
als „Realoption-Reasoning“ bekannt ist.

Heuristik zur Bestimmung des Produktentwicklungsbeginns

Trotz der qualitativen Verwendungsform ist es notwendig, auf eine klare


Strukturierung zurückzugreifen, durch die alle Wert beeinflussenden Para-
meter berücksichtigt werden. Abbildung 11.4 gibt einen Überblick über die
Bewertungsheuristik innerhalb des strategischen TtMM (siehe Götze 1996;
Luehrman 1998a):

(1) Vorteilhaftigkeitsbeurteilung unvorteilhafte Innovationspläne

vorteilhafte Innovationspläne

(2) Länge des strategischen Zeitfensters

nicht aufschiebbare aufschiebbare


Innovationspläne Innovationspläne

(3) Beurteilung der Schwankungs-


breite der Wertentwicklung

nicht aufzuschiebende
Innovationspläne
(4) Festlegung des endgültigen
Innovationsprogramms

zu realisierende Innovationspläne aufzuschiebende Innovationspläne

Operatives TtMM Strategischer Aufschub

Quelle: Fabio Labriola

Abb. 11.4. Bewertungsheuristik im strategischen TtMM

(1) Vorteilhaftigkeitsbeurteilung

Die auf den Produkt-Roadmaps abgetragenen Innovationspläne, deren


technologische Machbarkeit zum Bewertungszeitpunkt unbestritten ist,
müssen – ehe sie in Form von Produktentwicklungsprojekten realisiert
werden – zunächst einer umfangreichen Wirtschaftlichkeitsanalyse unter-
zogen werden. Um den Wert des Innovationsplans bei sofortiger Realisie-
rung zu bestimmen, empfiehlt sich, wie oben angedeutet, das Heranziehen
der Erwartungswertmethode. Konkret muss der Wert des mit dem Innova-
208 Fabio Labriola

tionsvorhaben verbundenen Gewinnpotenzials berechnet werden (erster


Wert beeinflussender Parameter), sowie allerdings auch die Kosten der
Produktentwicklung, die oben als Ausübungspreis der Warteoption defi-
niert wurden (vierter Wert beeinflussender Parameter).
Innovationspläne, die den Renditeanforderungen des Managements
nicht im ausreichenden Maße entsprechen („unvorteilhafte Innovations-
pläne“), werden nicht implementiert. Entgegen der Bewertungslogik klas-
sischer Verfahren dürfen vermeintlich unvorteilhafte Innovationspläne je-
doch gemäß dem Realoption-Reasoning nicht aus der Innovationsplanung
gestrichen werden. Vielmehr sollten sie zu einem späteren Zeitpunkt unter
gegebenenfalls veränderten Umweltbedingungen erneut bewertet werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Innovationsvorhaben zu einem spä-
teren Zeitpunkt doch noch implementiert werden, hängt sowohl von der
antizipierten Schwankungsbreite der Wertentwicklung des Gewinnpoten-
zials als auch von der Länge des strategischen Zeitfensters ab. Warteoptio-
nen sind besonders wertvoll, wenn die Schwankungsbreite im Zeitablauf
als hoch eingestuft werden kann; also stets dann, wenn sich im Hinblick
auf die Wertentwicklung noch einiges ergeben kann. Aus diesen Überle-
gungen heraus „speichern“ viele der analysierten Firmen Innovationspläne,
die derzeit wenig Erfolg versprechend scheinen, im unternehmerischen
Ideenpool. Sie werden später unter veränderten Bedingungen erneut be-
wertet. Ist das Management jedoch aufgrund des hohen Kunden- oder
Konkurrenzdrucks der Ansicht, dass die Optionslaufzeit als gering einge-
stuft werden kann bzw. es sich um eine „Jetzt-oder-nie-Entscheidung“
handelt oder dass sich die Bedingungen kaum verändern werden, werden
dem Innovationsplan zukünftig keine Planungsressourcen mehr gewidmet.

(2) Länge des strategischen Zeitfensters

Für vorteilhafte Innovationspläne wurden durch die Vorteilhaftigkeitsbeur-


teilung bislang lediglich der erste sowie der vierte Wert beeinflussende Pa-
rameter von Warteoptionen analysiert. In diesem Schritt muss beurteilt
werden, wie lange das strategische Zeitfenster für das betrachtete Innova-
tionsvorhaben offen steht (dritter Wert beeinflussender Parameter). Kon-
kret sollte man sich mit der Frage beschäftigen, welche Konsequenzen mit
einer strategischen Verzögerung des Startzeitpunktes der Produktentwick-
lung bzw. einer entsprechend späteren Fertigstellung und Markteinführung
verbunden sein könnten.
Es ist denkbar, dass dadurch erhebliche finanzielle Einbußen entstehen
und die Innovation ihr strategisches Zeitfenster verfehlt. Neben Sachzwän-
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 209

gen, wie beispielsweise Messen, sowie dem von den Kunden ausgehenden
zeitlichen Druck kann bei den im Rahmen der Forschungsstudie analysier-
ten Firmen vornehmlich die von der Konkurrenz ausgehende Bedrohung
eine Verzögerung unvorteilhaft erscheinen lassen. So kann das Zuvorkom-
men eines Konkurrenten dazu führen, dass aufgrund bereits vergebener
Marktanteile und erodierender Preise die angestrebte Innovationsrendite
nicht mehr erreicht wird bzw. sich das strategische Zeitfenster innerhalb
kurzer Zeit „schließt“. In solchen Situationen muss sofort mit der Imple-
mentierung begonnen werden („nicht aufschiebbare Innovationspläne“).
Andererseits existieren ebenfalls Situationen, in denen das neue Produkt
trotz der Verzögerung des Startzeitpunktes der Entwicklung und der damit
einhergehenden Verzögerung des Markteinführungszeitpunktes innerhalb
seines strategischen Zeitfensters eingeführt werden kann („aufschiebbare
Innovationspläne“). Speziell in monopolistischen Wettbewerbsstrukturen
sowie im Falle von Patentschutz wird ein verzögerter Beginn der Produkt-
entwicklung den befragten Experten zufolge häufig keine außerordentlich
gravierenden Konsequenzen aufweisen.

(3) Beurteilung der Schwankungsbreite der Wertentwicklungen

Bei aufschiebbaren Innovationsplänen muss nun die Schwankungsbreite


der Wertentwicklung (zweiter Wert beeinflussender Parameter) analysiert
werden. Konkret muss abgeschätzt werden, welche Wertbeeinflussenden
Änderungen innerhalb des zur Verfügung stehenden Verzögerungspoten-
zials auftreten können bzw. mit welcher Unsicherheit sich Entscheidungs-
träger konfrontiert sehen.
So müssen exogene, d.h., nicht beeinflussbare Unsicherheiten das Ma-
nagement dazu veranlassen, sich für eine Verzögerung zu entscheiden.
Diese können beispielsweise in Form ausstehender Standardisierungspro-
zesse in Erscheinung treten. Derartige Innovationspläne werden somit vor-
erst nicht implementiert, sondern sollten zu einem späteren Zeitpunkt unter
Beachtung möglicherweise vorliegender Zusatzinformationen erneut ana-
lysiert werden („aufzuschiebende Innovationspläne“).
Handelt es sich hingegen um endogene bzw. beeinflussbare Unsicher-
heiten, birgt ein bewusstes Abwarten keinerlei Vorteile. Im Gegenteil:
Derartige Unsicherheiten lösen sich nur durch aktives Handeln auf. Daher
sollten Innovationsvorhaben, die sich durch ein hohes Maß an endogener
Unsicherheit auszeichnen, unverzüglich realisiert werden („nicht aufzu-
schiebende Innovationspläne“).
210 Fabio Labriola

Die Fragestellung, ob der Startzeitpunkt der Produktentwicklung bei ei-


nem bestehenden Verzögerungspotenzial tatsächlich herausgezögert wer-
den sollte, hängt neben der jeweiligen Unsicherheit natürlich auch von der
verfolgten Strategie innerhalb des TtMM ab. So müssen gerade Unterneh-
men, die eine Pionierposition anstreben, so schnell wie möglich und gege-
benenfalls unter Verzicht auf Informationen, die erst zu einem späteren
Zeitpunkt vorliegen, Produktentwicklungen anstoßen. Sie sollten versu-
chen, vermeintlich exogene Unsicherheiten, wie beispielsweise den Aus-
gang eines Standardisierungsprozesses, durch aktives Vorgehen selbst in
die Hand zu nehmen. Im Gegensatz dazu sollten Innovationsverfolger be-
strebt sein, ihre Aufschuboptionen so lange wie möglich offen zu halten,
um die damit verbundenen beschriebenen Vorteile ausschöpfen zu können.

(4) Festlegung des endgültigen Innovationsprogramms

Beim letzten Schritt muss unter Berücksichtigung der nicht aufschiebbaren


sowie der nicht aufzuschiebenden Innovationspläne das Innovationspro-
gramm festgelegt werden („zu realisierende Innovationspläne“). Die Stu-
die verdeutlichte, dass in diesem Kontext auch zeitliche Interdependenzen
berücksichtigt werden müssen. Insbesondere auf die Gefahr der Kannibali-
sierung bereits am Markt positionierter Produkte muss laut den befragten
Experten geachtet werden.
Das Innovationsprogramm stellt das Resultat des Realoptionenansatzes
dar. Da dieser als integraler Bestandteil des Roadmapping-Verfahrens auf-
gefasst werden muss, kann das Innovationsprogramm darüber hinaus auch
als Ergebnis dieses Verfahrens bzw. des gesamten strategischen TtMM an-
gesehen werden.

11.2.3 Verzahnung der beiden Methoden und organisatorische


Umsetzung

Offensichtlich weisen die im Rahmen des strategischen TtMM verwende-


ten Methoden erhebliche Interdependenzen auf. Innovationsprozesse ver-
laufen nur in äußerst seltenen Fällen rein sequenziell, auch wenn dies ver-
einfachend oft so dargestellt wird. Daher müssen beide Methoden aufein-
ander abgestimmt werden. Führungskräfte müssen die im Rahmen der
Realoptionenbewertung erlangten Erkenntnisse nutzen, um ihre Produkt-
sowie Technologie-Roadmaps zu schärfen bzw. zu aktualisieren. Hieraus
können sich die gleichen Anpassungen ergeben, die auch bereits im Kon-
text der Produkt-Technologie-Verknüpfung diskutiert wurden. So muss die
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 211

durch das Realoption-Reasoning unter Umständen herbeigeführte Be- oder


auch Entschleunigung von einzelnen Innovationsvorhaben entsprechende
Anpassungen der unternehmerischen Technologieentwicklungen bzw. der
zu initiierenden Technologiebeschaffungsmaßnahmen nach sich ziehen.
Umgekehrt kann die systematische, funktionsübergreifende Beschäftigung
mit Technologie- und Produkt-Roadmaps wichtige Hinweise für eine Ver-
besserung der Realoptionenbewertung liefern. Um diesem Iterationsbedarf
zwischen den beiden Methoden gerecht werden zu können, empfiehlt sich
eine enge organisatorische Anbindung des Realoptionenansatzes an das in-
tegrierte Roadmapping-Verfahren.
Um einen möglichst nachhaltigen Nutzen aus den beiden Verfahren zu
ziehen, bedarf es einer festen organisatorischen Verankerung. Dabei hat
das Management zwei grundsätzliche Optionen. Zum einen kann der mit
diesen Planungsinstrumenten verbundene Geschäftsprozess zentral, d.h.
geschäftsbereichsübergreifend, gesteuert werden. Zum anderen kann die
Planungshoheit auf die Führungskräfte der strategischen Geschäftseinhei-
ten übertragen werden. Welche dieser beiden aufbauorganisatorischen Al-
ternativen Effizienzvorteile aufweist, hängt wesentlich von dem Diversifi-
kationsgrad des Unternehmens ab. Für Unternehmen mit einer klassischen
Spartenorganisation, deren Geschäftsbereiche ein heterogenes Leistungs-
programm aufweisen bzw. die in unterschiedlichen Märkten tätig sind,
empfiehlt sich eine dezentrale Implementierung der Methodik, d.h., ausge-
wählte Entscheidungsträger innerhalb der einzelnen Geschäftseinheiten
zeichnen für den Prozess verantwortlich. Dennoch sollte auch in diesem
Fall ein regelmäßiger Abgleich zwischen den Technologie-Roadmaps der
unterschiedlichen strategischen Geschäftsbereiche erfolgen, um Doppelar-
beiten zu vermeiden bzw. Synergien zu schaffen. In diesem Kontext sei
auch auf die Möglichkeit von „softwareunterstütztem Technologie-Road-
mapping“ hingewiesen (Grossman 2004).
Damit die strategische TtMM-Konzeption ihre volle Wirksamkeit ent-
falten kann, ist es essenziell, die erarbeiteten Roadmaps an sich ändernde
unternehmensinterne und -externe Erfordernisse anzupassen. In diesem
Kontext muss in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, ob die in
den einzelnen Workshops gesetzten markt-, wettbewerbs- und technologie-
bezogenen Prämissen weiterhin Gültigkeit aufweisen (Groenveld 1997;
Grossman 2004).
Die konkrete Umsetzung des Roadmapping-Ansatzes sollte idealerweise
in Form von „Strategie-Workshops“ erfolgen (Phaal et al. 2003). Aufgrund
der für die Erstellung einer zuverlässigen Produkt-Roadmap notwendigen
Marktnähe hat es sich in der Praxis bewährt, diese von Produktmanagern
212 Fabio Labriola

der Vertriebs- bzw. Marketingabteilung anfertigen zu lassen. Im Gegensatz


dazu sollten die auf den Technologie-Roadmaps abgetragenen Zukunfts-
pfade bedeutender Technologien zunächst vornehmlich von den Ingenieu-
ren der F&E-Bereiche prognostiziert werden. Die inhaltliche und zeitliche
Synchronisation der Roadmaps obliegt hingegen zumeist dem strategi-
schen Marketing bzw. vergleichbaren Organisationseinheiten. Da die
durch den Realoptionenansatz vorgenommene Bewertung der Innovations-
pläne im direkten Anschluss an die Synchronisation erfolgt, sollten die ent-
sprechenden Organisationseinheiten auch für das Realoption-Reasoning
verantwortlich zeichnen. Für beide Verfahren muss die Zuordnung zu
Fachabteilungen jedoch so verstanden werden, dass diese lediglich feder-
führend tätig werden. Das heißt, trotz der notwendigen Fachkompetenz ist
es sinnvoll, auch funktionsübergreifende Expertise einzubinden.

11.3 Zusammenfassung

Mit der dargelegten Managementkonzeption wird ein Systematisierungs-


rahmen für den Methodeneinsatz zum strategischen Timing von Produktin-
novationen zur Entscheidungsunterstützung vorgeschlagen. Der beschrie-
bene Ansatz verbindet die Marktsicht mit der Technologiesicht und inte-
griert darüber hinaus mit der Konkurrenzanalyse einen weiteren wichtigen
Erfolgsfaktor des TtMM.
Einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil im immer intensiver werdenden
Zeitwettbewerb können Unternehmen sich nur dann verschaffen, wenn die
in der Praxis leider immer noch häufig anzutreffende Schnittstellenproble-
matik zwischen der Marketing- und der F&E-Abteilung zufriedenstellend
gelöst ist. Ohne eine effiziente Zusammenarbeit zwischen diesen Berei-
chen kann die dargestellte Methodik nicht sinnvoll angewendet werden.
An anderer Stelle vorgeschlagene organisatorische Lösungen bieten jedoch
konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung der Wettbewerbsposition.

11.4 Literatur

Albright, R.E. / Kappel, T.A. (2003). Roadmapping in the Corporation. In: Re-
search Technology Management, 46(2): 31-40.
Black, F. / Scholes, M. (1973). The pricing of options and corporate liabilities. In:
Journal of Political Economy, 81(3): 637-659.
Buchholz, W. (1996). Time-to-Market-Management: Zeitorientierte Gestaltung
von Produktinnovationsprozessen. Stuttgart et. al: Kohlhammer Verlag, 157.
11. Strategisches “Time-to-Market”-Management 213

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Autorenverzeichnis

Dr. Dieter Engel ist seit August 2000 Direktor Forschung & Entwicklung
der Ethicon GmbH, Norderstedt, eines weltweit agierenden Herstellers für
Medizinprodukte. Zuvor war er sieben Jahre für die Dräger Medizintech-
nik, Lübeck, als Projekt- und Abteilungsleiter in der Entwicklung von
Anästhesie-Beatmungsgeräten tätig. Er studierte Elektrotechnik an der
RWTH Aachen und promovierte über ein medizintechnisches Thema.

Dr. Kai Engel studierte und promovierte im Fachbereich Maschinenbau


an der Universität von Hannover und absolvierte ein Studium der Wirt-
schaftswissenschaften an der Universität Braunschweig. Im Anschluss an
sein Maschinenbaustudium arbeitete er im Entwicklungsumfeld mit dem
Schwerpunkt Lasertechnologie. Dr. Engel ist Mitglied der Geschäftslei-
tung bei A.T. Kearney und Leiter des europäischen Kompetenzteams Inno-
vation. Er initiierte den europäischen “Best Innovator Wettbewerb”
zusammen mit der Wirtschaftswoche.

Martin Ertl studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Rosenheim


und absolvierte ein Masterstudium (MBA) in Augsburg und Pittsburgh.
Seit 1996 war er in unterschiedlichen Positionen bei der AUDI AG tätig:
als Personalreferent im Bereich Produktion in Ingolstadt, in Ungarn im
Rahmen eines Reengineering-Projektes des Personalwesens und ab 2001
als Leiter des Design Managements der AUDI AG. Seit 2005 ist er als
Leiter Innovationsimpulse innerhalb des Innovationsmanagements der
BMW Group zuständig für Technologietrends und -research, Szenarien,
Innovationskommunikation und -kultur.

Dr. Fabio Labriola ist Unternehmensberater und arbeitet vornehmlich im


Bereich des strategischen Technologie- und Innovationsmanagements. Vor
seiner Zeit als Berater war er Doktorand am Lehrstuhl für Unternehmens-
führung und Personalwesen von Prof. Dr. Michael Nippa an der Techni-
schen Universität Bergakademie Freiberg.

Gerald Mischke studierte Nachrichtentechnik an der TU Karlsruhe und


Informatik an der Columbia University New York. Er arbeitete in der Luft-
und Raumfahrtindustrie und in der KFZ-Industrie. Im Strategiestab des
DaimlerChrysler Ressorts Forschung und Technologie war er mit den
216 Autorenverzeichnis

Schwerpunkten Forschungsaudit, F&E-Organisation und Technologiestra-


tegie tätig. Anschließend betreute Mischke die Spin-Off- und Kooperati-
onsprojekte des Ressorts. Seit 2004 managt er das Themenfeld „Prozesse
und Tools“ der DC-AG in zentraler Verantwortung für Planung und
Steuerung aller Innovations- und Werkzeugprojekte.

Prof. Dr. Joachim Niemeier studierte Betriebswirtschaftslehre an der


Universität Stuttgart mit den Vertiefungsrichtungen Organisation, Planung
und Informatik. Er promovierte an der Universität Stuttgart. Am Fraunho-
fer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Stuttgart leitete er die
Abteilung Unternehmensführung. Dr. Joachim Niemeier ist Unterneh-
mensberater und Honorarprofessor an der Universität Stuttgart. Zuvor war
er von 1995 bis 2005 CEO der T-Systems Multimedia Solutions GmbH.

Prof. Dr. Michael Nippa ist Inhaber der Professur für Allgemeine Be-
triebswirtschaftslehre, speziell Unternehmensführung und Personalwesen
an der TU Bergakademie Freiberg. Vor seiner Berufung an die TU führte
er von 1988 bis 1996 als geschäftsführender Gesellschafter ein wirtschafts-
wissenschaftliches Forschungs- und Beratungsunternehmen und leitete
zahlreiche Projekte auf den Gebieten Strategie- und Organisationsent-
wicklung, Controlling sowie Innovationsmanagement. Zu seinen aktuellen
Forschungsschwerpunkten zählen die Managementberatung, Management-
entscheidungen, Methoden zur erfolgreichen Unternehmensführung sowie
ausgewählte Aspekte des Innovationsmanagements.

Björn Rosenberger studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität


des Saarlandes in Saabrücken und absolvierte ein MBA-Studium an der
Alliant International University in San Diego, USA. Von 1999 bis 2004
war er als Unternehmensberater bei Mercer Management Consulting in
Frankfurt und München tätig. Er ist seit 2005 selbstständiger Unterneh-
mensberater und Doktorand am Lehrstuhl für Unternehmensführung und
Personalwesen an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg.

Dr. Andres Sander ist bei der Basler AG in Ahrensburg verantwortlich


für die Weiterentwicklung des Innovationsmanagements. Nach dem
Studium der Physik an der Universität Göttingen promovierte er im
Fachgebiet Psychoakustik an der Universität in Oldenburg. Von 1995 bis
1998 war er Leiter der Abteilung Audiologische Forschung bei der Starkey
Germany GmbH. Seit 1999 ist er bei der Basler AG und übernahm dort
2000 die Leitung der Elektronik Entwicklung. Seine Themenschwerpunkte
sind Elektronikentwicklung, Innovationsmanagement, Projektmanagement
und Mitarbeiterführung.
Autorenverzeichnis 217

Prof. Dr. Stefan Seeger studierte Chemie an der Universität Heidelberg


und der TU Berlin mit der Vertiefungsrichtung Biochemie und Physikali-
sche Chemie sowie BWL an der Universität Hagen und promovierte in
Heidelberg in Physikalischer Chemie. 1997 wurde Prof. Seeger an die Uni-
versität Regensburg und 1999 als Ordinarius an die Universität Zürich be-
rufen, wo er zum Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts ernannt
wurde. Darüber hinaus gründete er mehrere Technologieunternehmen, die
teilweise international führend in ihrer Branche sind. Seeger ist als Gut-
achter für internationale Universitäten und öffentliche Einrichtungen tätig.

Alexander von Witzleben arbeitete nach seinem Studium der Volks- und
Betriebswirtschaftslehre an der Universität Passau zunächst bei der KPMG
Deutsche Treuhandgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. 1993 we-
chselte er zur JENOPTIK AG und übernahm als Leiter den Zentralbereich
Finanzen und wurde 1997 zum ordentlichen Vorstandsmitglied ernannt.
Seit 2003 leitet Witzleben die JENOPTIK AG als Vorstandsvorsitzender
und ist verantwortlich für strategische Unternehmensplanung und Beteili-
gungen, Steuern/Finanzen/Controlling und Immobilien, Datenverarbei-
tung, Investor Relations und Öffentlichkeitsarbeit sowie Corporate Gover-
nance.

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