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Was passiert, wenn die Welt uner-

wartet einen Augenblick still steht?


Wenn man eine Handvoll Zeit, ein-
fach so, durch einen Zufall geschenkt
bekommt? Genau das passiert in einer
größten und umtriebigsten Städte
der Welt, als eine kleine Schnecke die
Straße überquert und den Verkehr für
einen halben Tag zum Erliegen bringt.

Ein Buch über Dinge, die man schon


immer mal tun wollte, aber nie dazu
kam.
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Die Geschichte, von der ich erzählen möchte, hat sich vor nicht allzu n dz

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langer Zeit in einer Stadt zugetragen, die so groß ist, dass man mit

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dem Fahrrad viele Tage benötigt, um sie zu durchqueren. Selbst mit
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dem Auto dauert es mehrere Stunden. dertach
Diese Stadt ist voll gestopft mit Leben. Leben, das geht und steht und

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krabbelt, schlendert, kriecht, hüpft und sogar fliegt. Niemand weiß,

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wie viele Einwohner die Stadt genau hat, aber es dürften ungefähr

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siebenundeinzigdreiviertelfantastillionzehnundeinebilliardissimonendrölf ill n
m delf
sein. Es gibt kaum ein Haus mit weniger als zwanzig Stockwerken,
damit man all diese Leute in der Stadt auch unterbringen kann.
Und wenn man durch die Straßen dieser Stadt läuft, erscheint einem das
Wirrwarr aus Geräuschen von Zeit zu Zeit so laut, dass man sich kurz die
Ohren zuhalten muss, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
begann ein Tag
In dieser Stadt aler
, ein ganz norm
wie jeder andere ohner
die meisten Einw
Werktag, an dem en oder
üh m or ge ns Be sorgungen macht
fr sieben
. Es muss etwa
zur Arbeit gingen ei ne und
in, als eine kl
Uhr gewesen se m
Schnecke an eine
etwas bucklige
and.
Zebrastreifen st
Sie blickte erst nach rechts… …und zur Sicherheit
auch noch nach oben…

…dann nach
links… …und nach unten.

Man weiß ja nie.


...und als sie sich überzeugt hatte, dass alle Autos
noch weit entfernt waren, machte sie sich auf den
Weg. Und wie es die Art aller Schneckenwesen ist,
bewegte sie sich dabei unglaublich ..................... ………………………
……l.................................a........................... ………………………………………
...........................n.......................................... ……………………………………………
................g..........................................s.......... ………………………………………………
................................................a..................... ……………………………………………………
........................................m............................ …………………………………………………
....................................................................... …………………………………………………
...
…………………………....................................... ………………………………………………………
…………………………………….... ................. Ich weiß, was ihr jetzt erwartet: Leute, die ver-
..……………………………………………….......... ärgert auf ihre Armbanduhren blicken, lautstarke
.......................……………………………………… Beschwerden, lang gezogenes Gehupe, vielleicht
…………….................................……..………… irgendeinen Grobian, der sich die kleine Schnecke
……………………………………......................... greift, um sie hastig zur andere Seite zu tragen,
........…………Noch nicht einmal zehn Zentimeter damit es weitergehtendlichweitergeht!
hatte sie geschafft, da hatten schon alle anderen Damit rechnet ihr doch jetzt, oder?
die Straße überquert und waren im Gewühl auf
der anderen Seite verschwunden. Die ersten Autos
kamen, einige mit leise quietschenden Reifen, vor
dem Zebrastreifen zum Stehen……………………… Nichts dergleichen geschah.
gängerüberweg angehalten hatte,
In einem Bulli, der direkt vor dem Fuß
es, jeden Tag (einmal morgens um
saß ein Laubfrosch. Sein Beruf war
lf Uhr mittags und dann noch mal
sechs, dann um halb acht, um zwö
zusagen.
abends um acht) das Wetter vorher

Er war der einzige Wetterfrosch wei


t und breit, und darum wurde er
auf allen Fernsehkanälen übertragen
, die es in der Stadt gab.
Der Frosch wollte gerade auf die Hup
e drücken – schließlich war es
schon sieben und seine nächste Wet
teransage in einer halben Stunde
– da sah er im Rückspiegel, wie hin
ter ihm langsam die Sonne
aufging und alle Häuser nach und
nach in goldenes Licht
tauchte.
ndig rede ich
Er stutzte und dachte bei sich: Stä
nun bereits so
übers Wetter. Und das tue ich
r erinnern
lange, dass ich mich schon nicht meh
tig wahr-
kann, wann ich es das letzte Mal rich
Wetter-
genommen und genossen habe. Im
studio gibt es ja gar kein Wetter.
dann
Einen Moment saß er noch so da,
es Bul lis ab, stieg
stellte er den Motor sein
rosc h-
aus und griff sich seine Wetterf
zu
leiter, um damit auf ein Hausdach
klettern.
Und zwar auf das
höchste in der Straße.
eine weit
Fast zeitgleich entstieg
hinaus
über die Stadtgrenzen
ige ihrer
berühmte italienische Ge
Fa er,
hr
Limousine und bat ihren
helfen,
ihr auf das Autodach zu
en kö nne.
damit jeder sie seh
r zu be-
»Signorina«, gab de
Probe
denken »Signorina, die
an der Philharmonie!«
der
Die Geige winkte ab. »In
do ch
Philharmonie gibt es
en
jetzt nur leere Stuhlreih
ein pa ar un -
und bestenfalls
e! Ab er
musikalische Mäus
sieh dich um – hier ist
alles voller Leute!
Es gibt keine schönere Umgebung,
um zu spielen!«
Als sie auf dem Dach sta
nd, verneigte sie sich
kurz und begann dann,
für alle Wartenden zu
spielen. Und obwohl es
ein Lied war, welches
erst in einer Woche aufge
führt werden sollte
und sie es noch nicht fli
eßend konnte, waren
doch alle wie verzaubert
, schlossen die Augen
und lauschten andächtig
.
»Was strickst du denn?
Einen Schal?« riefen zw
Pinguine durch das Seite ei
nfenster ihres Wagens zu
ihr hinauf. »Für einen Sc
hal ist es doch noch vie
zu warm«, antwortete die l
Spinne freundlich.
»Ich weiß noch nicht
recht was es wird.«
Die Pinguine tuschelten
kurz miteinander.
»Mach eine Hängematt
e!« rief der eine.
»Eine Hängematte!«, be
kräftigte der andere,
und beide kletterten
aus dem Auto und
watschelten umständlic
h auf sie zu.
»Für uns beide!« riefen
sie. »Dann könnten
wir sie über der Straße
aufhängen und darin
sitzen! Und dem Geige
nspiel zuhören und
die Sonne genießen!« Un
d nach einer kurzen
Pause sagte der eine zu
m anderen:
»Und wir könnten vielle
icht ein bisschen
Karten spielen.«
»Wir könnten Karten sp
ielen!« rief der
andere zur Spinne hinau
f und erklärte ihr:
»Weißt Du, wir arbeiten
nämlich im Casino
und dort können wir im
mer nur zusehen,
wie andere Leute spielen
. Wir sind bloß
die Kartenverteiler!«
»Croupiers«, zischte de
r eine ihm zu.
»Croupiers«, verbesserte
sich der andere,
und dann wieder zur Sp
In einer Seitengasse hörte man ein Krabbeln. Eins, wie es nur inne gewandt:
von einer vielfüßigen Kreatur kommen kann. Das war die Kreuz- »Strickst Du uns eine Hängematte?«
spinne, die man eigentlich nie bei Tageslicht antraf. Meistens Die Spinne lächelte freun
verbrachte sie die Nächte damit, die Anwohner zu ärgern indem dlich.
sie Fenster und Türen der Häuser zusponn oder feine Spinnen-
weben von einer Straßenseite zur anderen zog, über die man
dann stolperte. Aber jetzt ließ sie sich zur Überraschung aller
ein Stück an einer Hausfassade herunter und lauschte mit halb-
geschlossenen Augen dem Spiel der berühmten italienischen Geige.
Dann zog sie ein paar lange dünne Stäbe hervor und begann
– die Augen immer noch halb geschlossen – zu stricken.
Es dauerte nicht lange – denn Spinnen wissen ja,
wie man mit Fäden umgeht – und die beiden
Pinguine konnten ihre steifen Fräcke ausziehen
und es sich in einer großen Hängematte aus weicher
Spinnenwolle gemütlich machen.

Während der Wetterfrosch in der Son


ne saß, die
Geige fiedelte, die Kreuzspinne stri
ckte und die
Pinguine Rommé und Mau-Mau spie
lten, öffnete sich
in der dritten Reihe der Fahrzeugsc
hlange eine rote
Autotür. Ein Wasserspeier stieg her
aus.
Äußerlich sind Wasserspeier einem
gewöhnlichen
Drachen nicht unähnlich, doch stat
t Feuer
spucken sie – genau:
Wasser.
Wegen dieser besonderen Eigenschaf
t arbeiten sie
meistens bei der Feuerwehr. Es verw
underte darum
niemanden, dass auch dieser Wassers
peier mit einem
Löschwagen unterwegs war. Er klap
pte mit sicheren
Griffen die metallene Leiter aus, die
zu dem Wagen
gehörte.
»Was hast Du vor?« fragte ihn jem
and – denn es sah
nicht so aus, als würde es irgendw
o brennen oder als
müsse eine kleine Katze von einem
Baum gerettet
werden.
»Ständig stehe ich auf dieser Leiter, aber ich habe Und als er dann unter sich die große Stadt ausge-
noch nie auch nur mal einen Moment daran gedacht, breitet im warmen Sonnenlicht sah, machte er vor
die schöne Aussicht zu genießen!« grinste der Freude eine große Wolke schillernder Seifenblasen,
Wasserspeier. Dann machte er sich an den Aufstieg. die sanft zu Boden glitten und dort mit einem kaum
hörbaren POPP zerplatzten.
Viele Stunden später, als die
Schnecke auf der anderen Seite
ankam, war es schon etwas
dämmrig geworden.
»Schön dich zu sehen – ich bin
auch gerade angekommen!«
begrüßte sie der Hase, der sie
an einer Straßenlaterne lehnend
erwartete. »Was machen wir? Hast
Du Hunger?« »Oh ja«, seufzte die
Schnecke und beim Gedanken an
ein frisches Salatblatt bekam sie
einen ganz versonnenen Blick.

»Bin ja schon eine


Weile unterwegs…«
Der Wetterfrosch beschloss, noch einmal ins Fern-
sehstudio zu fahren und dort die letzte Wetter-
vorhersage des Tages zu machen. Sonnig würde der
nächste Tag werden, das wusste er – schließlich
hatte er den ganzen Tag lang den Himmel beobachtet.
Zum ersten Mal, dachte er, habe ich das Gefühl zu
wissen, wovon ich eigentlich rede.

Auch die anderen Wartenden setzten, beglückt von


Sonne, Musik und Seifenblasen, ihren Weg fort.
Einige trugen Hängematten und Kleidungsstücke
unter dem Arm, welche die Kreuzspinne für sie
gestrickt hatte. Die beiden Casino-Pinguine sammel-
ten ihre Spielkarten ein, schlüpften wieder in ihre
vornehmen Fräcke und überließen ihren Platz in der
Hängematte der dicken Kreuzspinne. Die machte es
sich auch gleich darin gemütlich und schlief – müde
von den vielen neuen Eindrücken, die ihr die Stadt
bei Licht beschert hatte – zufrieden ein.
Fünf Meter Zeit
Eine Arbeit von Lena Hesse, entstanden im Rahmen
des Projektes »Was wäre wenn… – Vorschläge zur
Weltverbesserung«, Fachhochschule Münster,
Fachbereich Design

Idee und Illustrationen: Lena Hesse


Text: Lena Hesse und Philipp Winterberg

Danke schön…
…an alle nervenstarken Weiterdenker und
Korrekturleser – allen voran Alexa und Cora Hesse,
Jörn Lepper, Alexandra Beck und Maren Fischer

Copyright © 2007 Lena Hesse · www.8eins.de


Alle Rechte vorbehalten.
Was passiert, wenn die Welt uner-
wartet einen Augenblick still steht?
Wenn man eine Handvoll Zeit, ein-
fach so, durch einen Zufall geschenkt
bekommt? Genau das passiert in einer
größten und umtriebigsten Städte
der Welt, als eine kleine Schnecke die
Straße überquert und den Verkehr für
einen halben Tag zum Erliegen bringt.

Ein Buch über Dinge, die man schon


immer mal tun wollte, aber nie dazu
kam.

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