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»Was ist eine Wissenschaft, neben der kein steht? Nun, wenn es um Psychotherapie als
Symbol für das Menschliche steht? Die Ge- Profession und Handwerk geht, dann fehlt
schichte ist voll von schlimmen Beispielen. auch da das Wesen dieser Profession, das
Was ist eine Profession, ein Handwerk, wenn Wesen dieses Handwerks« (v. Schlippe, 2005,
daneben kein Symbol für das Menschliche S. 21).
So facettenreich wie die Gründungsge- less I help them to get in touch with the
schichte der systemischen Therapie und Fa- way, they are perceiving and make that
milientherapie verlaufen ist, so vielschich- clear, and then see whether people can real-
tig sind auch die Vorstellungen über die ly see how each other is … the natural
Frage, wie den ratsuchenden Personen und thing to do in life is to connect« (v. Schlip-
Gruppen (meist Familien) begegnet werden pe & Kriz, 1987, S. 24 ff.). In ähnlicher
solle (Loth & v. Schlippe, 2004). In der Weise verstehen sich von der Tiefenpsycho-
Frühphase der Familientherapie brachten logie herkommende Familientherapeutin-
die Gründer ihre Bilder von Beziehung nen und -therapeuten als Katalysatoren für
und Haltung aus ihrer ursprünglich erwor- die Ermöglichung von Begegnung zwi-
benen Ausbildung mit. Zentral war dabei schen den Familienmitgliedern. Diese wer-
anfangs die Idee, der Familie die existen- den ermutigt, so offen wie möglich die
zielle Erfahrung einer »Heilung durch Be- Dinge anzusprechen, über die sie bisher
gegnung« zu bieten (Stierlin, Rücker-Emb- nicht zu sprechen wagten, z. B. Familienge-
den, Wetzel & Wirsching, 1977). Gerade heimnisse, enttäuschte Erwartungen oder
Vertreter, die von der Psychoanalyse oder vorenthaltene Gerechtigkeit (v. Schlippe,
den Ansätzen der humanistischen Psycho- 2010, S. 55; Stierlin, 2005), sie werden er-
logie her kamen, legten Wert darauf, mit mutigt, einander mit schwierigen Themen
den Familienmitgliedern offen und kon- aus der Familiengeschichte zu konfrontie-
gruent zu kommunizieren, um zwischen ren (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1981).
ihnen Begegnungen zu ermöglichen, denen Ab etwa Mitte der 1970er Jahre brachte
sie bisher – vielleicht schon jahrelang – aus- vor allem die sog. Mailänder Schule um
gewichen waren. So sagt Virginia Satir, ei- Mara Selvini Palazzoli einen sehr anderen
ne der prominentesten Gründerfiguren, die Ansatz der Arbeit mit Familien ins Spiel.
der humanistischen Psychologie zugerech- Symbolisch ist dieses Vorgehen durch den
net wird, auf einer Konferenz 1986: »I find »One-way-mirror« gekennzeichnet, den Ein-
that I don’t help people change much un- wegspiegel, durch den die Familie von ei-
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nem Team beobachtet wurde, das sie ihrer- Im Verlaufe der späten 1980er und mehr
seits nicht sehen konnte. Auf therapeuti- noch in den 1990er Jahren wird die struk-
scher Seite wurde nun auf eine kongruente turelle Macht, die sich in dieser Form der
und empathische Haltung, die Begegnung Settinggestaltung und der Art der Bezie-
fördern sollte, weniger Wert gelegt. Es ging hungsaufnahme ausdrückte, zunehmend
vielmehr im Sinne eines radikal verstande- kritisch hinterfragt. Luigi Boscolo und
nen kybernetischen Ansatzes um die Durch- Gianfranco Cecchin, selbst Mitglieder des
brechung des jeweiligen verrückten »Famili- Mailänder Teams, reflektieren nach ihrer
enspiels«. Um dies zu ermöglichen, musste Trennung von Mara Selvini Palazzoli im
der Therapeut sich möglichst undurch- Gespräch mit zwei amerikanischen Kolle-
schaubar zeigen, neutral und allparteilich. ginnen (Lynn Hoffman und Peggy Penn)
Neutralität war das Gebot: Am Ende einer selbstkritisch die Orientierung an der Meta-
Sitzung sollte kein Familienmitglied sagen phorik des Kalten Krieges, in der Klienten
können, auf wessen Seite der Therapeut ge- eher als Gegner gesehen werden, deren
standen habe (Selvini Palazzoli, Boscolo, »Manöver«, »Schachzüge« und »Strategien«
Cecchin, & Prata, 1981, p. 137). Es wurde strategisch zu »durchkreuzen« sind. Sie for-
grundsätzlich mit mehreren Therapeuten mulieren ein anderes »Mailänder Modell«
gearbeitet, einer sprach mit der Familie, die (vielfach auch »Mailand II« genannt), es
anderen beobachteten das Gespräch durch enthält eine Neuformulierung der Prämis-
die Einwegscheibe und registrierten sorgfäl- sen systemischer Arbeit (Boscolo, Cecchin,
tig die Einladungen der Familie an den Hoffman & Penn, 1988). Sie knüpfen an
Therapeuten, die therapeutische Position die damals aufkommende neue System-
aufzugeben, die Neutralität zu verlieren theorie an, wie sie von den Biologen Matu-
und sich auf die Seite der Familie bzw. ein- rana und Varela (Maturana & Varela, 1987)
zelner Mitglieder zu stellen. Eine persönli- formuliert wurde, später hat der Soziologe
che oder gar liebevolle Beziehung zu den Niklas Luhmann sich sehr ausdrücklich auf
Familienmitgliedern passte nicht in die diese Quelle bezogen, als er seine Theorie
Konzeption dieser Modelle, die Stierlin et sozialer Systeme formulierte (z. B. Luh-
al. (1977) als »Heilung durch Systemverän- mann, 1984). Kern ist der Verzicht auf die
derung« beschrieben. Sie ist sogar eher kon- Idee »instruktiver Interaktion«, also der
traproduktiv, denn die Therapeuten wollen Idee, dass lebende und damit auch sinnba-
die kommunikativen Muster »von außen« sierte Systeme (psychische wie soziale) ziel-
verstören, sie werfen »kommunikative gerichtet veränderbar seien. Für sie ist das
Bomben« in Form von ausgeklügelten para- »Paradies der Kybernetik erster Ordnung«
doxen Schlußverschreibungen, nach denen verloren, das zu der Idee einlädt, eine ins
die Familie oft massiv irritiert nach Hause System geworfene »Bombe« würde genau
geschickt wird. Ziel ist es, das System in das Ziel treffen, das die Therapeuten im
kritische Fluktuation zu bringen und das Auge haben: »Es gibt eben keine Bomben,
bisherige »Spiel« der Familie (um Macht, keine Ziele, nichts ›da draußen‹, nur ein
um Schuldzuschreibungen, um Einfluß großes, evolvierendes, beobachtendes Sys-
und Definitionsmacht über Beziehungen) tem, das sich aus all den Leuten zusam-
unmöglich zu machen. Klassische Vorstel- mensetzt, die an dem ursprünglichen Pro-
lungen über die therapeutische Beziehung blem beteiligt sind. Das Ergebnis ist be-
wurden in jener Zeit skeptisch, ja spöttisch stimmt durch die gemeinsame Anstren-
kommentiert, Manipulation als Instrument gung, das meist alle überrascht« (Boscolo et
ausdrücklich gebilligt (z. B. Watzlawick, al., 1988, S. 31). Sie kritisieren die »extrem
1977, S. 14). manipulative Haltung der Anfangszeit«
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(ebd., S. 39) und setzen neben das »Begeg- to listen, but if I talk to others, you have the
nungs-« und das »Systemveränderungs- freedom to listen, if you like, and the free-
modell« ein neues, ein dialogisches »Koope- dom not to listen, if you like« (Andersen,
rationsmodell«. In diesem verstehen sie sich mündlich, auf einem Workshop, 2000).
nicht mehr als Familientherapeuten, son- Die aktuell diskutierten modernen Selbst-
dern als Systemberater (system-consultant): organisationstheorien (Kriz, 2017; Rufer &
»Die Idee der ›Therapie‹ ist zu dünn gewor- Schiepek, 2014) rücken einen weiteren As-
den… und das Konzept ›Familiensystem‹ pekt in den Vordergrund. Auch diese ge-
findet keine Anwendung mehr, weil wir hen davon aus, dass die Erzeugung von
nicht länger von Behandlungseinheiten Sinn in psychischen und sozialen Systemen
sprechen, sondern von ›Ökologien des Geis- nicht fremdverfügbar ist. Therapie bedeutet
tes‹« (ebd., S. 43). Konsequent suchen sie im Licht dieser Theorien, an den Randbe-
nicht mehr nach Machtspielen, vielmehr dingungen zu arbeiten, die die Wahrschein-
geht es um das aktive Spiel mit Sinn, mit lichkeit erhöhen, dass konstruktive Verän-
Bedeutungen, mit Bedeutungsmustern und, derung möglich wird. Es werden in selbst-
im Sinn der narrativen Theorie (u Kap. 35) organisierenden Sinnsystemen »Ordnungs-
mit unterschiedlichen Traditionen der Ge- Ordnungs-Übergänge« angeregt. Dies be-
schichtenerzählung. Klienten und Thera- deutet, dass bislang stabile (aber leidvolle)
peuten machen sich gemeinsam auf die Su- Muster labilisiert werden, also gewohnte
che nach guten Beschreibungen, die auf ei- Ordnungen, gewohnte Beschreibungen in
ner möglichst genauen Erarbeitung der Bewegung, in Fluktuation geraten. Die bis-
Wünsche und Bedürfnisse der Beteiligten lang »ordnenden« Symptome und »Störun-
aufbauen. An diese Überlegungen schließen gen« mögen zwar schaden oder schmerzen,
sich die Gedanken an, die Tom Andersen doch kann man sich irgendwie auf sie ver-
Anfang der 1980er Jahre zu der Idee des Re- lassen – lieber ein vertrautes Unglück als
flektierenden Teams brachten (u Kap. 36). ein unbekanntes Glück. Was sich vielleicht
Die Grundidee dieser Arbeitsform besteht als Alternative anbietet, müsste sich erst
in der Einrichtung einer Trennung zweier noch bewähren, es ist noch unvertraut, und
Beobachtungsebenen: der des Gesprächs ob es gut geht, kann nicht gewusst, son-
selbst und der des Teams, das das Gespräch dern nur gehofft und geglaubt werden. Um
verfolgt und dieses meist mehrfach (meist die auf dem Weg dahin notwendigerweise
ein-dreimal) durch ein Reflexionsgespräch entstehende Verunsicherung aufzufangen,
unterbricht. Dadurch, dass die Ratsuchen- braucht es als eine der Randbedingungen
den diese Reflexion verfolgen, entsteht eine für Veränderung das stabilisierende Funda-
besondere, nicht-invasive Atmosphäre der ment einer vertrauensvollen, wertschätzen-
Suche nach Verbindungen, ungewohnten den Beziehung. Die kontinuierliche »affek-
Verknüpfungen und möglichen Lösungen, tive Rahmung« der Situation lässt die The-
die zugleich die völlige Freiheit lässt, was rapie zu einer Begegnung werden (Welter-
die Zuhörer mit dem Gehörten anfangen. Enderlin & Hildenbrand, 1996), auf deren
Eine Aussage von Tom Andersen charak- Grundlage sich die ratsuchenden Personen
tierisiert die dabei angestrebte Beziehungs- mit den Herausforderungen der Verände-
qualität sehr prägnant: »Das Nein ist grund- rung auseinandersetzen können. In der ge-
legend« (Andersen, 1990, S. 46). Das gilt genwärtigen Praxis systemischer Therapie
auch für »Nicht-Zuhören«, auch das wird ist eine derartige Form von Beziehung
explizit gesagt: »If I talk to you, I force you grundlegend.
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34.2 Haltung
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als Aussagen wie: »Der lügt ja, der weiß d) Pragmatisch: Lösungsorientiert
doch genau, dass das nicht stimmt!«› Systemische Therapie geht weniger von
»Der ist ja krank, das ist doch so klar, Hypothesen darüber aus, wie ein Pro-
dass es so richtig ist, wie ich es beschrei- blem oder Leiden entstanden ist, als
be!« vielmehr von der Frage, was helfen
c) Respektvoll: Klienten als »Experten« könnte, eine pragmatische Position die
Respekt und Respektlosigkeit sind ein dem therapeutischen Imperativ folgt:
interessantes Begriffspaar, wenn es um »Handle stets so, dass weitere Möglich-
systemische Haltung geht. Respekt gilt keiten entstehen« (v. Foerster 1981,
der Autonomie des Gegenübers, Re- S. 60). Der Blick ist immer darauf ge-
spektlosigkeit gilt jeder Beschreibung. richtet, wo sich eine Veränderung ab-
Respekt bedingt den Verzicht auf jede zeichnen könnte und wie diese aufge-
manipulative Einflussnahme und die griffen und bearbeitet werden kann.
Einnahme einer Beziehung auf Augen- Kleine Veränderungen werden ange-
höhe. Rat und Hilfesuchende werden merkt und geschaut, ob sie vergrößert
konsequent als autonom, als nicht-in- werden können, ein wenig so, als wür-
struierbar und als Expertinnen und Ex- de man einen Ariadnefaden aufgreifen,
perten ihres eigenen Lebens angesehen den man langsam zu einer größeren Ge-
(was sich mit der Forderung nach einer schichte ausbauen kann (White, 2010).
guten Orientierung und Rahmenge- e) Nicht zu schnell verstehen: Die Position
bung durch den Therapeuten durchaus des Nicht-Wissens
verträgt). So wird auch ein Symptom In der Praxis bedeutet dies, zu lernen,
oder eine Störung in seiner Bedeutung ein »guter Zuhörer« zu sein und nicht zu
für das Überleben-in-einem-Kontext ge- rasch zu verstehen! Je schneller man da-
würdigt. Es wird versucht, im therapeu- von ausgeht, dass man den anderen ver-
tischen Dialog wertschätzende Beschrei- stehe, umso schneller endet der Dialog.
bungen für Störungen und Symptome Zu rasches Verstehen birgt die Gefahr in
zu finden, Blockaden bei der Nutzung sich, die Entwicklung neuen Sinns zu
potentiell bereits vorhandener Lösungs- blockieren. So ist eine Position des
ressourcen zu überwinden und diese »Nicht-Wissens« der Ausgangspunkt sys-
Ressourcen (wieder) neu zu entdecken temtherapeutischer Bemühungen und
und zu nutzen. Die praktischen Konse- stellt eine besondere Form des Bezie-
quenzen einer solchen Perspektive sind hungsangebots dar (Goolishian & An-
erheblich, denn die Frage von Autono- derson, 1997). Therapeutische Profes-
mie und Kontrolle stellt sich neu: Auto- sionalität besteht darin, die eigene Ex-
nomie ist der Ausgangspunkt therapeuti- pertise »bei-zusteuern«, ohne besser zu
scher Bemühungen, nicht ihr Ziel. Dies be- wissen, wo Klientinnen und Klienten
deutet den Verzicht auf jegliche mani- »eigentlich« hin sollten. So sind Thera-
pulative oder autoritäre Einflussnahme peuten eher »teilnehmende Beobach-
– mit der Chance für die Möglichkeit ge- ter«, die Raum für konstruktive Gesprä-
nerativer Veränderungen. Auf die Idee ge- che schaffen und dafür sorgen, dass sie
zielter und geplanter Veränderung zu dialogisch bleiben.
verzichten, öffnet den Blick für Optio-
nen, die sich aus dem Geschehen selbst
heraus ergeben.
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34.3 Empfehlungen
Die therapeutischen Haltungen lassen sich • Die Vermittlung einer Rahmens von Si-
in einer Reihe von Empfehlungen zusam- cherheit hat Vorrang vor Veränderungs-
menfassen (vgl. hierzu auch Loth & v. impulsen. Erst wenn der Gesprächspart-
Schlippe, 2004, S. 346). ner das Handeln des Therapeuten oder
der Therapeutin als Kooperationsange-
• Der Begriff »Respekt« umschreibt die bot im Sinn einer »Bündnisrhetorik« er-
Haltung systemischer Praxis vermutlich lebt (Grabbe, 2009) wird er wagen, sich
am besten. mit der Idee auseinanderzusetzen, dass
• Respekt ist differenziert zu betrachten: die Dinge anders sein könnten, als er sie
Respekt gilt dem/den Menschen im Ge- bisher beschrieben hat.
sprächsraum, Respekt auch gegenüber • Dieser Rahmen impliziert auch, dass es
den Geschichten, die hier erzählt wer- in der Hand des Gegenübers liegt zu be-
den. Sie sind die Form, in der Menschen stimmen, wie in der gemeinsamen Ge-
ihre Erfahrungen zusammenfassen. Die schichte ein gutes Ende aussieht.
Kunst besteht darin, diesen Respekt mit • Therapeutische Neugier hilft, neue Mög-
einer freundlichen »Respektlosigkeit« zu lichkeitsräume zu erschließen. Wenn die
verbinden. Jede Idee, jede Beschreibung Neugier verloren geht, ist das ein Alarm-
und damit auch jede Geschichte ist eine zeichen. Dann geht es um die Frage, wie
von vielen anderen möglichen Beschrei- die eigene Beweglichkeit wiedergefun-
bungen. Diese Haltung umschreibt ein den werden kann – meist ist das der Mo-
Wort von Wittgenstein am besten: »Al- ment, in dem Supervision aufgesucht
les, was wir überhaupt beschreiben kön- wird.
nen, könnte auch anders sein« (Tractatus
5.634).
Cecchin, G., Lane, G. & Ray, W.A. (1992): Re- Lehrbuch der systemischen Therapie und Bera-
spektlosigkeit – eine Überlebensstrategie für The- tung I. Die Grundlagen (S. 199–210). Göttin-
rapeuten. Heidelberg: Carl Auer Systeme. gen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Schlippe, A. v. & Schweitzer, J. (2012). Haltun-
gen. In A. v. Schlippe & J. Schweitzer (Hrsg.),
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Helm Stierlin wird 1926 in Mannheim geboren als Sohn eines Bauingenieurs und einer
Malerin, und als ältester von drei Brüdern. Nach dem zweiten Weltkrieg, dessen letzte
Tage er als Soldat erlebt, studiert er in Heidelberg zunächst Philosophie, dann Medizin.
Als Student und Asta-Kultur-Referent beeinflussen ihn der Philosoph Karl Jaspers, der
Psychosomatiker Viktor von Weizsäcker und der Sozialökonom Alfred Weber. Nach psy-
chiatrischer Facharztausbildung in München übersiedelt er 1958 in die USA. In zwei Kli-
niken nahe Washington DC erlernt er die damals prominente psychoanalytische Behand-
lung junger schizophrenier Patienten, u. a. bei Frieda Fromm Reichmann und im Um-
feld von Harry Stack Sullivan, dem Begründer einer interaktionellen Psychiatrie. Auf
Reisen lernt er in der Schweiz die Psychologin Satuila Zanolli kennen und heiratet sie.
Ab 1965 engagiert er sich im National Institute of Mental Health in Bethesda in der Fa-
milienforschung mit delinquenten und schizophrenen jungen Patienten, im Austausch
mit u. a. Lyman Wynne und Ivan Boszormenyi Nagy. Hier entstehen seine Konzepte wie
»Bezogene Individuation« und »Delegation«. 1975 auf die neugeschaffene Professur für
Psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie in Heidelberg berufen,
weckt er dort mit seinen Vorlesungen große Begeisterung und versammelt einen sehr ak-
tiven Mitarbeiterkreis um sich, der die weitere Entwicklung der systemischen Therapie
in Deutschland prägt. Dazu gehören ab 1975 Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch, Michael
und Barbara Wirsching, Norbert Wetzel, Gunthard Weber; ab 1982 Gunter Schmidt,
Fritz B. Simon und Arnold Retzer; ab 1989 Andrea Ebbecke-Nohlen, Jochen Schweitzer,
Hans Rudi Fischer und Bernd Schumacher. Nach seiner Emeritierung 1992 bleibt er
noch zahlreiche Jahre als Autor, Vortragender und Therapeut aktiv. Seit 2002 trägt ein
führendes systemisches Weiterbildungsinstitut in Heidelberg seinen Namen.
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35 Narrative verändern
Mirko Zwack & Arist von Schlippe
»Ein Mann wollte wissen, wie es sich mit dem Rechengewohnheiten zu analysieren. Schließ-
Geist verhält – nicht in der Natur, sondern in lich druckte sie ihre Antwort auf einem Stück
seinem eigenen großen Computer. Er fragte Papier aus, wie dies solche Maschinen zu tun
ihn (zweifellos in makellosem Fortran1): pflegen. Der Mann eilte hin, um die Antwort
›Rechnest Du damit, dass du jemals denken zu erfahren, und fand die sauber getippten
wirst, wie ein menschliches Wesen?‹ Die Worte vor: Das erinnert mich an eine Ge-
Maschine machte sich daran, ihre eigenen schichte…« (Bateson, 1995, S. 22).
Der Beginn der narrativen Psychologie herrscht« (Bruner, 1997, S. 108). Wir fragen
kann mit der Veröffentlichung Narrative uns im Folgenden zunächst, wie dieser Pro-
Psychology. The Story Nature of Human Con- zess der Sinnbildung abläuft, um ihn dann
duct von Theodore R. Sarbin auf das Jahr in seiner Funktion und Auswirkung nach-
1986 datiert werden (Polkinghorne, 1998). zuvollziehen. Daran anschließend soll das
Wie das einleitende Zitat Batesons stellt Selbstverständnis der narrativen Therapie
auch der Titel des Herausgeberbandes Ge- sowie ihre Operationalisierung durch Mi-
schichten und ihre Erzählung ins Zentrum chael White (2010) deutlich werden.
dessen, was uns als Menschen ausmacht. Die Wahrheit einer Geschichte liegt
Wer uns in unseren Motiven, Verhalten nicht in ihren Fakten, sondern in ihrer Be-
und Gefühlen verstehen will, muss sich deutung. Damit diese zu Tage tritt, bedient
folglich für die Geschichten des homo nar- sich der Erzähler zunächst seiner Erinne-
rans (Fisher, 1984) interessieren. Diese sind rung. Und schon diese ist keine Aufzeich-
nicht als bloße Berichte über das was pas- nung dessen, was tatsächlich passiert ist,
siert ist zu verstehen, oder gar als belanglo- sondern unterliegt selbst einem Konsistenz-
se Anekdoten abzutun. Um es mit Jerome bedürfnis, wie Studien zu erinnerten Kind-
Bruner, einem der Gründerväter der Kogni- heitsereignissen, die niemals stattgefunden
tionswissenschaft zu sagen: »Unsere Fähig- haben, eindrücklich nahelegen (vgl. bspw.
keit, Erfahrungen durch Erzählen zu ver- Garry & Wade, 2005). Dieses Material der
mitteln, ist nicht bloß ein Kinderspiel, son- Erzählung unterliegt wiederum einer »nar-
dern ein Mittel der Sinnbildung, das weite rativen Strukturierung«. Diejenigen Gedan-
Bereiche des Lebens in einer Kultur be- ken, Geschehnisse und Handlungen, die
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35 Narrative verändern
Chronologie
der Ereignisse Fiktion Erzählung
Abb. 35.1: Narrative Glättung zur Verdichtung des Plots (aus: Zwack, M. (2011). Die Macht der Ge-
schichten. Erzählungen als Form der Wertevermittlung in Familienunternehmen. Heidel-
berg: Carl-Auer, S. 84)
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Welt – zu dem Mann, Frau und Kind sich Das Wechselspiel zwischen Kultur und In-
verhalten muss, ob sie wollen oder nicht. dividuum in Narrativen ist für White von
Erzählungen kommt damit eine Schlüs- zentraler Bedeutung für die Therapie: »Vie-
selrolle im Tradieren von Werten zu. Sie le Menschen, die therapeutische Hilfe su-
handeln immer von Individuen und ihrem chen, [sind] der Ansicht, dass ihre Lebens-
Verhältnis zu einem spezifischen kulturel- probleme Spiegelbilder ihrer eigenen Iden-
len Kanon. Spannend werden sie dann, tität […] sind« (White, 2010, S. 32). Dieses
wenn Handlung und Norm voneinander verinnerlichende Verständnis sieht er als ei-
abweichen. Dann erklären Narrative mit ih- nen entscheidenden Beitrag zur Pro-
ren Mitteln »Abweichungen vom Normalen blemgenese. Angeregt durch die aufklären-
in einer verständlichen Form« (Bruner, den Ausführungen Foucaults über den
1997, S. 64). In Referenz zum »Dramatis- dbzl. gesellschaftlichen Beitrag (1973, 1988)
mus« des Literaturwissenschaftlers Kenneth sollen Gespräche im Sinne der narrativen
Burkes (1945) schreibt Bruner Geschichten Therapie den Auswirkungen einer »Verob-
die Funktion zu, einen »intentionalen Zu- jektivierung menschlicher Identität« entge-
stand zu ermitteln, der die Abweichung von gentreten (White, 2010, S. 33). Narrative
einem […] kulturellen Muster mildert oder Therapie ist damit auch eine Befreiung des
zumindest verständlich macht« (Bruner, Individuums von Normen und den damit
1997, S. 66). Der Zuhörer erfährt in Ge- einhergehenden Bewertungsmaßstäben. Da-
schichten stets von zwei bedeutsamen Land- mit dies geschieht, zielt sie auf eine Verän-
schaften: jener der Ereignisse und Handlun- derung der vorherrschenden (Selbst-)Erzäh-
gen der vermeintlich »realen« Welt und lungen des Klientensystems ab. Defizitge-
gleichzeitig jener der Intentionen und men- tränkte Erzähllinien zu hinterfragen und
talen identitätsnahen Prozesse im Bewusst- diese durch ressourcenorientierte zu erset-
sein des Protagonisten. »In die Umstände je- zen, ist folglich der Fokus der narrativen
der Geschichte eingebaut ist eben sowohl ei- Therapie (White, 2010; White & Epston,
ne kulturelle Konvention als auch eine Ab- 2013). Hierfür bietet sie im Wesentlichen
weichung davon, die durch individuelle zwei Ansatzpunkte: das sog. »Externalisie-
intentionale Zustände erklärbar ist« (Bru- ren« des Problems sowie das Anregen neu-
ner, 1997, ebd.). Auf diese Unterscheidung er Selbsterzählungen.
kommen wir im Abschnitt »Operationalisie-
rung« (u Kap. 35.2) zurück.
35.2 Operationalisierungen
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35 Narrative verändern
Fragekategorie 1: Eine erfahrungsnahe, beson- lungen ein, wie empfinden Sie diese? Wie
dere Definition des Problems aushandeln beurteilen sie diese Auswirkungen von
Mit »erfahrungsnah« zielt White auf eine …?«). Den Bewertungen begegnet der The-
Beschreibung in der Sprache des Klienten. rapeut neutral. Wird das Problem mitsamt
»Besonders« verweist darauf, dass kein Pro- seinen Auswirkungen als durchweg positiv
blem oder Anliegen eine Kopie eines ande- (bspw. verdient) empfunden, kann eine Zu-
ren Problems ist, weder einer anderen Per- spitzung des Problems als mögliches Le-
son noch des Problems des Klienten in der bensschicksal hilfreich sein (»Wenn Ihnen
Vergangenheit. Diese Beschreibungen sind das Leben diese Auswirkungen einfach als
das Gegenteil einer klinischen Diagnose im Schicksal serviert hätte, wie sähen Sie es
klassischen Sinn. Derart detaillierte Be- dann?«).
schreibungen aus der Erlebenswelt der
Klienten können mit der Einladung, das Fragekategorie 4: Die Beurteilung begründen
Problem zu personifizieren, befördert wer- Im vierten Schritt stellt White die im Psy-
den (»Wie würden Sie den Charakter des chotherapeutenkreis teils unpopuläre »Wa-
Problems beschreiben?«; »Gibt es für Sie da- rum-Frage« (»Warum ist das für Sie nicht
zu einen passenden Namen?«; »Wie ist es in Ordnung? Weshalb sehen Sie diese Ent-
unter der Herrschaft von … zu leben?«). wicklung auf diese Weise? Warum nehmen
Sie diesen Standpunkt und diese Haltung
Fragekategorie 2: Die Auswirkungen der Akti- ein?«). Die Begründung der Bewertung legt
vitäten des Problems kartieren zentrale Werte des Klienten offen und er-
Im zweiten Schritt werden die Auswirkun- möglicht, sich mit diesen zu verbinden. In
gen des Problems auf die einzelnen Lebens- der Folge bietet es sich an, nach Geschich-
bereiche untersucht. Exploriert wird hier ei- ten zu fragen (»Können Sie mir eine Ge-
nerseits die soziale Welt des Klienten (»Ich schichte aus Ihrem Leben erzählen, die mir
würde mir den Einfluss von … auf Ihr Le- verstehen hilft, weshalb Sie zu dieser Ent-
ben gerne besser vorstellen können. Kön- wicklung diese Position beziehen?«), um
nen Sie mir dazu noch etwas erzählen? Wie die Werte weiter zu bestärken oder im ne-
beeinflusst … das Leben in der Familie, am gativen Fall hinterfragbarer zu machen.
Arbeitsplatz, in der Schule, mit den
Peers?«). Ferner gilt besonderes Augen- Auf diesem Weg vollzieht White mit dem
merkt den damit verbundenen Selbstwahr- Klienten eine Transformation: Der Klient,
nehmungen (»Wie beeinflusst es Ihr Ver- der eingangs das Problem als Beleg seiner
hältnis zu sich selbst? Welchen Einfluss hat eigenen Unzulänglichkeit verstand, nimmt
es auf Deine/Ihre Ziele, Wertvorstellungen, demgegenüber eine distante Position ein.
Träume? Was macht es mit Ihrem Blick auf Gleichzeitig verbindet er sich mit seinen
die Zukunft?«). Werten, um von dort aus neue Wege im
Umgang mit dem Problem zu finden.
Fragekategorie 3: Die Auswirkungen der Akti- Diese Prozesse können mittels symboli-
vitäten des Problems beurteilen scher Aktionsmethoden unterstützt wer-
Ist das Problem in Beschreibung und Aus- den (u Kap. 40).
wirkungen plastisch geworden, kann dies
zunächst durch den Berater in Form eines 2. Anregen neuer Erzähllinien
»Geleitworts« zusammengefasst werden. Im Das Vorgehen der Externalisierung mitsamt
Anschluss wird der Klient eingeladen, das der Begründung der Bewertung berücksich-
Problem mitsamt seinen Folgen zu beurtei- tig zwei Landschaften der Erzählung. In
len (»…, wie schätzen Sie diese Entwick- Anlehnung an Bruner nennt White diese
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Ausnahme als
Schärfung & Aussage über...
Erweiterung
Handlungslandschaft
• Ereignisse
• „Ausnahmen“
Abb. 35.2: Schematische Darstellung Anregung neuer Erzähllinien (in Anlehnung an White, 2010,
S. 83 ff.)
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35 Narrative verändern
Jede Therapieform, welche die Biografie ih- als Co-Autor von neuen Selbsterzählungen
rer Klientinnen und Klienten thematisiert, des Klientensystems zu verstehen und folg-
arbeitet mit Narrativen. Alle, die nach Aus- lich auf genau diese den Fokus der Auf-
nahmen vom Problemverhalten fragen, merksamkeit zu legen. Der Fokus Selbster-
oder das Coping-Verhalten der Klienten ge- zählungen führt implizit eine ausgeprägte
nau explorieren, regen im Sinne der narra- Werteorientierung mit sich, wie wir sie ex-
tiven Therapie zu neuen Selbsterzählungen pliziter bspw. in der Logotherapie nach
an. Der narrative Ansatz ist derart grundle- Frankl (bspw. Frankl, 2017) oder in der
gend, dass es schwierig sein sollte, ein The- »Acceptance Commitment Therapie« nach
rapieverfahren zu finden, das nicht Ge- Hayes (Hayes, 2014) antreffen. Ein neueres
brauch davon macht. Worin sich Therapeu- Verfahren, das sich explizit auf die Bedeu-
tinnen und Therapeuten unterschiedlicher tung der Selbsterzählungen bezieht, ist die
Verfahren unterscheiden mögen, ist in der »Narrative Exposure Therapy« (NET) für
Beschreibung dessen, was sie tun. Die Ein- die Behandlung von Traumata und ihren
ladung der narrativen Therapie ist es, sich Folgen (Schauer et al., 2011).
White, M. (2010). Landkarten der narrativen The- White, M. (1992): Therapie als Dekonstruktion.
rapie. Heidelberg: Carl Auer. 1. Auflage. In J. Schweizer, A. Retzer & H. R. Fischer
White, M. & Epston, D. (2013). Die Zähmung der (Hrsg.): Systemische Therapie und Postmoderne
Monster. Der narrative Ansatz in der Familien- (S. 39–63). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
therapie (7. Auflage). Heidelberg: Carl Auer.
Michael White
Michael White, geboren 1948 in Adelaide, Australien, gilt gemeinsam mit David Epston
als früher Wegbereiter eines an politischen Herrschaftsverhältnissen interessierten (und
darin theoretisch von dem französischen Philosophen Micheal Foucault inspirierten) nar-
rativen Ansatzes in der Systemischen Therapie. Als Sozialarbeiter beginnt er nach ersten
Erfahrungen in Kinderschutzarbeit und Bewährungshilfe ab 1973 im Kontext von Sub-
stanzgebrauch und Schizophrenie mit Gruppen und Familien zu arbeiten. Gerne kolpor-
tiert wird sein kritischer Ausspruch aus jener Zeit, bei dicken Behandlungsakten chroni-
fizierter Psychiatriepatienten sei es ebenso informativ sie zu wiegen wie sie zu lesen.
1983 gründet er mit seiner Frau Cheryl das Dulwich Center for narrative Therapy in Ade-
laide. Whites Credo lautet, einschränkende (»herrschende«) Geschichten durch befreien-
de (»alternative« Geschichten zu ersetzen und »Probleme zu externalisieren, Lösungen zu
internalisieren«. White stirbt mit 59 Jahren in San Diego/USA an einem Herzinfarkt.
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Beobachten bedeutet weit mehr für den sys- ternative Wirklichkeitskonstruktionen und
temischen Ansatz als das Alltagsverständnis damit Perspektiven für den Klienten er-
des Verbs vermuten lässt. Beim Beobachten möglichen. Statt zu fragen, wie etwas ist,
handelt es sich um eine elementare Aktion, wird gefragt, wer es wie beschreibt.
durch die etwas bestimmtes von etwas an- Hinzu kommt: Wenn man etwas beob-
derem unterschieden und erst dadurch er- achtet, beobachtet man etwas anderes
kennbar wird. Im Vordergrund steht nicht nicht. Jede Beobachtung hebt etwas heraus
»die Sache«, sondern der Vorgang des Un- und entwickelt einen »blinden Fleck« für
terscheidens. »Es gibt keine beobachtungs- das, was sie nicht beachtet. Der Beobach-
lose Welt […]. Wir brauchen nicht mehr tungsbegriff ist dabei weit, er bezieht
zu wissen, wie die Welt ist, wenn wir wis- Selbstbeobachtung mit ein, die sog. »mit-
sen, wie sie beobachtet wird« (Luhmann, laufende Selbstreferenz« (Luhmann, 1984,
2004, S. 139 ff.). Systemische Praxis konzen- S. 604). Viele systemische Interventionen
triert sich daher auf den Prozess des Beob- fokussieren genau hierauf: die Bedeutungs-
achtens (und damit Unterscheidens) als Ve- gebung eines »Gegenstands« durch die Un-
hikel, über das die Welt konstruiert wird. terscheidung und Benennung (Spencer-
Diese Position wird »konstruktivistisch« ge- Brown, 1969) durch einen bestimmten Be-
nannt (s. etwa v. Foerster, 1985; v. Glaser- obachter und dessen dabei unvermeidli-
sfeld, 1987; Simon, 1988). Therapie soll al- chen »blinden Fleck«.
Als Vorläufer der erkenntnis- und system- von sich selbst anschauten. Einen For-
theoretischen Entwicklungen lassen sich schungsansatz, der mehrere Beobachtungs-
die ethnologischen Arbeiten von Gregory ebenen unterscheidet, gab es damals noch
Bateson (1904–1980) und Margaret Mead nicht. Diese Idee wurde erst viel später
(1901–1978) auf ihren Forschungsreisen in (wieder)entdeckt (z. B. Jansen, v. Schlippe
die Südsee verstehen. Sie analysierten die & Vogd, 2015).
Kultur der Iatmul und bezogen dabei den So leiteten Mead und Bateson einen
Beobachter als Teil des beobachteten Sys- Wandel ein, der heute mit dem Schritt von
tems mit ein (Bateson, 1981; Lutterer, der »Kybernetik erster Ordnung« zur »zwei-
2002). Neu an ihrem Ansatz war, dass sie ten Ordnung« beschrieben wird: Vom Blick
Menschen filmten, die sich Filmaufnahmen auf den »Gegenstand« kommt man auf die
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Das Team, das nach dem klassischen Mai- des RT setzen sich zusammen, während
länder Modell arbeitete, hatte nach einer die Interviewgruppe sich so setzt, dass
Gesprächspause erschrocken festgestellt, sie die Reflexion gut verfolgen kann.
dass versehentlich das Mikrofon nicht ausge- Der Interviewer weist darauf hin, dass
schaltet war und die Familie die Teamdebat- das RT lediglich Angebote an die Ratsu-
te im Nebenraum mitgehört hatte. Anders chenden macht (»Hier wird ein Super-
als erwartet, hatte die Familie jedoch nicht markt an Ideen angeboten, Sie entschei-
verärgert, sondern im Gegenteil hochmoti- den, was interessant ist und was Sie bei-
viert auf die Gelegenheit reagiert, die Hypo- seitelassen!«) und achtet darauf, dass das
thesen des Therapeutenteams zu verfolgen. Klientensystem die Reflexion möglichst
In der Folge wurde damit experimentiert. nicht unterbricht.
Die Klienten hörten den Teamgesprächen • Das RT folgt Grundregeln, die der Satz
zu – über Mikrofon aus dem Nebenraum, »Das Nein ist grundlegend« knapp skiz-
später saß man im selben Raum. Die Arbeit ziert: Es muss jederzeit leicht möglich
mit dem »Reflektierenden Team« (RT) wur- sein, eine Beschreibung abzulehnen. Die
de so ein bedeutsamer Schritt in Richtung Reflexionen sollten dabei »angemessen
einer neuen Therapiekultur: Statt eines Kon- ungewöhnlich« (Andersen, 1990, S. 46 ff.)
texts der strukturellen Macht (der Spiegel sein, weder zu abgehoben noch zu bestä-
war eben nur einseitig durchsichtig), wird tigend. Innerhalb des Teams geht es da-
ein Kontext der Kooperation geschaffen. Im rum, wertschätzend, suchend (»konjunk-
Zuhören können die Klienten beobachten, tivisch«) zu sprechen, nicht nach Ursa-
wie professionelle Beobachter ihre Art zu chen zu suchen und vor allem eine Kon-
beobachten reflektieren. kurrenz über die »richtige« Idee zu
Das Vorgehen ist recht klar strukturiert vermeiden.
(Andersen, 1990; Hargens & v. Schlippe, • Im Anschluss wird das Gespräch im Be-
2002): ratungssystem fortgesetzt. Der Intervie-
wer fokussiert darauf, was für die Klien-
• Nach der Begrüßung (oft auch vorab) ten interessant und anregend war.
wird das Setting erklärt. Nur wenn alle • Der Reflexionsprozess wird vor Ende des
zustimmen, wird die Sitzung so durch- Beratungsgesprächs meist noch einmal,
geführt wie geplant. selten öfter, wiederholt. Das »letzte
• Der Raum wird in einen Bereich für das Wort« haben immer die Klienten.
Gespräch und einen für das RT (meist
zwei bis drei andere Therapeuten) einge-
teilt: Zwei Stuhlkreise stehen nebenein- Reflektierende Positionen
ander. Während des Gesprächs ist der
Stuhlkreis der Ratsuchenden und ihrer Vielleicht ist deutlich geworden, dass die
Interviewerin oder ihres Interviewers ge- Arbeit mit dem RT die konsequenteste
schlossen, der des RT halb geöffnet. Umsetzung des Prinzips der Beobachtung
• Der erste Teil des Gesprächs dauert etwa zweiter Ordnung darstellt: Ein Raum wird
30 bis 40 Minuten. In dieser Phase geht bereitgestellt, in dem sich Menschen auf
es nur um Informationen, nicht um In- entspannte Weise damit konfrontieren las-
terventionen. Das RT hört nur zu, es fin- sen, wie die Art, wie sie auf die Welt
det keine Interaktion zwischen den Krei- schauen, von anderen beobachtet wird. Ein
sen statt. Nachteil liegt in dem enormen personellen
• Dann wird die Sitzung für eine Refle- Aufwand. Daher wird diese Struktur eher
xionsphase unterbrochen. Die Mitglieder in Kliniken und Beratungsstellen angewen-
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det und meist auch nur punktuell durchge- Reflexion reserviert. In der Reflexionspause
führt (Praxisbeispiele in Hargens & v. wechseln die Akteure dann die Stühle und
Schlippe, 2002). reflektieren über das Gespräch und seinen
Da es ja gar nicht um die klugen Gedan- Verlauf, ggf. spricht man sogar in der drit-
ken anderer Personen geht, sondern um ei- ten Person über sich selbst. Die Prozess-
ne Struktur, die das Prinzip der Beobach- steuerung ist ein wenig anders als im nor-
tung zweiter Ordnung nutzt, lässt sich das malen Interview, da der Therapeut hier da-
Prinzip auch in anderen Settings verwirkli- für sorgen sollte, dass die Gesprächspartner
chen, als Arbeiten mit einer reflektierenden im reflektierenden Modus, also auf der Me-
Position. Die Betroffenen werden eingela- taebene bleiben (»Was Sie gerade sagen, ge-
den, als Beobachter ihrer selbst den Ge- hört wohl eher an den Ort da drüben. Sol-
sprächsverlauf aus dem »Adlerhorst« zu len wir wieder dorthin gehen oder wäre es
kommentieren (v. Schlippe, 2009). Wenn gut, wenn wir gemeinsam noch weiter re-
sie mit einem solchen Vorgehen einverstan- flektieren?«).
den sind, wird ein Bereich im Raum für
Den erkenntnistheoretischen Bezugsrah- von der Umwelt (v. Foerster, 1992). Jedes
men systemischer Therapie bildet der Kon- System bestimmt somit eigenständig, wel-
struktivismus: Es gibt keine objektive Reali- che Wirklichkeit es konstruiert (Simon,
tät, sondern nur Wirklichkeitskonstruktio- 1988). Ergebnis des Errechnungsprozesses
nen, die durch Beobachter erzeugt werden. ist eine, nicht die Realität.
Für die therapeutische Praxis bedeutet dies: Während der Konstruktivismus das Indivi-
Beschreibungen von Systemstrukturen, Ver- duum als Erzeuger seiner Wirklichkeitskon-
haltensmustern etc. bilden nicht die Reali- struktion ansieht, betont der Konstruk-
tät ab, sondern sind abhängig von einem tionismus die Bedeutung sozialer Kontexte,
Beobachter (vgl. Levold, 2014). innerhalb derer Bedeutungen kollektiv er-
Mit seinen Überlegungen zur Autono- zeugt werden. Heinz von Glasersfeld betont
mie des Beobachters prägte Heinz von in diesem Zusammenhang die Bedeutung
Foerster maßgeblich den Übergang zu ei- von Sprache und das Zusammenspiel von
ner Beobachtung zweiter Ordnung, d. h. Sprachlogik und Wirklichkeitskonstruk-
der Beobachtung und Reflexion von Be- tion: »Je tiefer ein Denker in seiner Mutter-
obachtungsprozessen. sprache verankert ist, umso schwerer ist es
Heinz von Foerster übertrug die Idee für ihn, die Möglichkeit in Betracht zu zie-
der Eigenständigkeit von Systemen im Sin- hen, dass andere die Welt auf andere Weise
ne der Autopoiese nach Humberto Matura- sehen, kategorisieren und somit erkennen
na und Francisco Varela (Maturana & Vare- könnten« (v. Glasersfeld, 1987). Systemthe-
la, 1980) auf Beobachtung: Was beobachtet rapeutische Settings, die die Beobachtung
wird, ist das Ergebnis eines Errechnungs- zweiter Ordnung ermöglichen, können ge-
prozesses innerhalb des Beobachters. Ab- nau an dieser Stelle einen besonderen
hängig ist dieser Prozess vielmehr von der Mehrwert bieten.
inneren Verfassung des Beobachtenden als
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Reflektierende Positionen ermöglichen ei- tierenden Arbeit wird nun auf eine neue,
ne Perspektive auf sich selbst aus der Posi- komplexe Weise eine Art von Öffentlich-
tion eines anderen. Aussagen, die nicht keit hergestellt, in der das ausgesprochen
mehr intentional an den Klienten als Ge- wird, was »die anderen« über einen denken
genüber gerichtet sind, sondern im RT-Ge- könnten. Dadurch dass die gewohnten
spräch über diesen gemacht werden, be- kommunikativen Mechanismen außer Kraft
kommen eine andere Qualität für die Ver- sind, kann das Bild vom »generalisierten
änderung des inneren Selbstgesprächs. Es Anderen« auf leichte Weise eine Korrektur
wird den Beteiligten möglich, sich über erfahren. Eine wertschätzende Äußerung
ihre »Erwartungs-Erwartungen« klarer zu wird weniger als bloßes Kompliment abge-
werden (Luhmann, 1984, S. 411 ff.). Erwar- tan, eine Konfrontation weniger als Angriff
tungsstrukturen verdichten sich im Laufe auf den Selbstwert erlebt. So ermöglicht
der Zeit in der Vorstellung eines »generali- das Spiel mit reflektierenden Positionen of-
sierten Anderen« (ein Begriff von G.H. fenbar die Möglichkeit, aus einer neuen
Mead), der zum Symbol dafür wird, was ei- Perspektive heraus sein eigener Beobachter
ne Person vermutet, welches Verhalten von zu werden. Dadurch kann eine Neukon-
ihr erwartet wird. Dies ist oft das, was Ver- struktion von Wirklichkeit leichter erzeugt
halten und Erleben bestimmt. In der reflek- werden.
Natürlich werden Reflexionen auch in an- thologisch‹ ist, muss man den Beobachter
deren Verfahren eingesetzt, etwa wenn sich beobachten, der diese Beschreibung ver-
Co-Therapeuten vor den Klienten unterhal- wendet, und nicht das, was so beschrieben
ten. Der explizite Bezug auf erkenntnis- wird« (Luhmann, 2009, S. 216). Das sollte
theoretische Ideen als Grundlage und An- nicht zu ideologisch verstanden und prakti-
haltspunkt in der therapeutischen Praxis ist ziert werden. Natürlich fragen auch syste-
in ähnlichem Umfang jedoch nicht in an- mische Praktikerinnen und Praktiker nach
deren Ansätzen vertreten. »Dingen«, bearbeiten Kranken- oder Ju-
Eine konstruktivistische Grundhaltung gendamtsakten und gehen mit Diagnosen
verändert den Umgang mit Diagnosen im um. Doch wird stets die Grundidee mitge-
systemischen Arbeiten, denn es ist der Be- führt, dass es sich um Beschreibungen von
obachter, der die Grenze zwischen krank Beobachtern handelt und damit um Land-
und nicht-krank zieht (Simon, 1988, karten, die immer mit einer gewissen Vor-
S. 113). »Wenn man wissen will, was ›pa- läufigkeit behaftet sind.
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Andersen, T. (1990). Das reflektierende Team. rapie und Beratung – das große Lehrbuch
Dortmund: Modernes Lernen. (S. 250–255). Heidelberg: Carl Auer Systeme.
Caby, F. (2014). Reflektierendes Team. In T. Le-
vold & M. Wirsching (Hrsg.), Systemische The-
Mara Selvini Palazzoli, 1916 in Mailand geboren und 1999 dort gestorben, wuchs als ei-
nes von fünf Kindern in einer reichen Kaufleutefamilie auf. Nach Besuch einer strengen
Klosterschule und Medizinstudium wurde sie zunächst Internistin, später Psychiaterin
und ab 1950 Psychoanalytikerin. Ihre Unzufriedenheit mit ihren psychoanalytischen Be-
handlungsergebnissen bei Anorexia Nervosa brachte sie zur Familientherapie. 1967 grün-
dete sie in Mailand das Centro per lo Studio della Famiglia e delle tecniche di Gruppo.
Ab 1971 entwickelte sie in Auseinandersetzung mit Batesons Kybernetik und Watzla-
wicks Kommunikationstheorie gemeinsam mit Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und
Giuliana Prata ein Therapiemodell, das nach der Veröffentlichung von »Paradoxon und
Gegenparadoxon« als »Mailänder Modell« weltweit bekannt wurde. Nach Meinungsver-
schiedenheiten und Auflösung des ersten Teams im Jahr 1980 gründete sie mit Giuliana
Prata 1982 ein neues Institut (Nuovo Centro per lo Studio della Famiglia). Mara Selvini
Palazzoli war seit 1947 mit dem Kardiologen Aldo Selvini verheiratet, mit dem sie drei
Kinder bekam.
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37 Mehrgenerationalität, Genogramm,
Familienrekonstruktion
Tobias von der Recke & Arist von Schlippe
Wohl alle therapeutischen Schulen neh- ter; mir fiel auf, dass sie sehr bestimmt
men, wenn auch in sehr unterschiedlicher über ihre Tochter sprach, und ich sagte:
Weise, die Mehrgenerationalität in den ›Sie behandeln sie ja wie eine Leibeigene.‹
Blick. Denn um zu verstehen, wie ein Da sagte sie: ›Ja, wieso, ist sie doch auch! –
Mensch zu dem geworden ist, der er ist, ist War ich doch auch!‹. Das war der Keim für
seine Beziehungsgeschichte und damit ver- meine Mehrgenerationen-Betrachtungswei-
bunden die seiner Bezugspersonen eine se« (Sperling, 1990, S. 122).
wichtige Quelle der Information. In der Fa- Sperling gehört mit Helm Stierlin,
milientherapie bedeutet Mehrgenerationali- Horst-Eberhard Richter und Hans Strotzka
tät, dass vielfach mindestens zwei, oft je- zu den Personen, die die Mehrgeneratio-
doch auch drei Generationen ins Gespräch nenperspektive und die Familientherapie in
eingeladen werden. Dann wird nicht nur Deutschland in den frühen Jahren vertreten
darüber gesprochen, wie sich die Beziehun- und ausgebaut haben. Sie griffen Impulse
gen gestaltet haben, sondern es wird direkt aus Europa (etwa in Großbritannien von
erkennbar, welche mehrgenerationale Dy- John Bell) und vor allem aus den USA auf
namik sich im Sprechzimmer entfaltet. Die (zu nennen sind hier etwa Murray Bowen,
frühen Pioniere der Familientherapie erleb- Ivan Boszormenyi-Nagy, Lyman Wynne,
ten diese Erfahrung als so revolutionär, dass Theodore Lidz, Nathan Ackermann, David
sie von einem »Paradigmenwechsel« spra- Reiss u. v. a.m.) und setzten eigene Akzente.
chen: Die Symptomatik eines »verrückten« Virginia Satir, die »Mutter der Familienthe-
Familienmitglieds bekam vor dem Hinter- rapie«, hatte auf die akademisch ausgerich-
grund von Mehrgenerationalität eine ganz tete Familientherapieforschung wegen ihrer
neue, andere Qualität (u Kap. 5.1.3 »Mit starken Praxisorientierung weniger Ein-
einem Bein im Gefängnis«). Eckhard Sper- fluss. Dafür ist ihr Konzept der »Famili-
ling, bis 1990 Leiter der Abteilung für Psy- enrekonstruktion« bis heute sehr populär,
cho- und Soziotherapie (Familientherapie) auch in Deutschland (Crone, 2018; Molter
an der Universität Göttingen, der ein expli- & Grabbe, 2014; Nerin, 1989; Recke von
zit tiefenpsychologisches Konzept von Fa- der & Wolter-Cornell, 2017). All diesen
milientherapie entwickelte (Reich, Massing Gründerpersönlichkeiten ist gemeinsam,
& Cierpka, 2007), illustriert diese Anfangs- dass sie als aktive und erfahrene Kliniker
zeit mit einer prägnanten Anekdote: »Ein im psychoanalytischen Denken verwurzelt
weiteres Vorerlebnis hatte ich bei einer an- waren. Ihre Erfahrungen mit den Familien,
deren Magersuchtpatientin: Ich machte ein in denen oft massive psychotische oder an-
übliches Anamnesegespräch mit der Mut- dere psychiatrische Auffälligkeiten auftra-
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ten, brachten sie dazu, bei all diesen Stö- Differenzierungsgrad ein Mensch er-
rungen den Einbezug der Familie als unab- reicht, hängt davon ab, in welchem
dingbar zu fordern. Ihre Erfahrungen zeig- Maße es ihm gelingt, im Kontext seiner
ten, was dann möglich wurde, was das Ein- Familie die Spannung zwischen Indivi-
zelsetting nicht bieten konnte: Unsichtbare dualität und Bezogenheit auszubalancie-
Bindungen und Aufträge, die über die Ge- ren. Eltern, so Bowen, übertragen den
nerationen hinweg weitergegeben wurden, Grad der Differenzierung, den sie selbst
bewusst und bearbeitbar zu machen, »Be- erreicht haben, auf ihre Kinder (»multi-
ziehungskonten«, die in Familien geführt generational transmission process«).
und von den Mitgliedern untereinander Wenn Eltern mit geringem Differenzie-
»verrechnet« werden, zu verfolgen, zu ver- rungsgrad für ihre eigene emotionale Si-
stehen und zum Ausgleich zu bringen. cherung von ihren Kindern zu viel Nähe
Stellvertretend für die vielen Persönlich- oder zu viel Distanz einfordern, haben
keiten, die für diese Art des Denkens und diese Schwierigkeiten in der Entwick-
Arbeitens grundlegend waren, sollen exem- lung einer eigenen Identität. Umgekehrt
plarisch einige wenige erwähnt werden. fördert ein höheres Maß an Differenzie-
rung sowohl die Eigenständigkeit als
• Murray Bowen (geboren 1913 in Tennes- auch die Kooperationsfähigkeit der Kin-
see; gestorben 1990 in Maryland) war der (und Enkelkinder). Nach Bowen ist
ein US-amerikanischer Psychiater, Psy- eine Dyade ein instabiles Beziehungssys-
chotherapeut und Hochschullehrer an tem, das sich erst mit der Einführung
der Georgetown University. Im Zentrum eines Dritten, also in einem Dreieck
seiner Arbeit steht die Differenzierung (»triangle«) stabilisieren lässt. Dieser Pro-
des Selbst (»differentiation of self«), die zess des »triangling« wird als natürliches
Fähigkeit, im engen emotionalen Kon- Phänomen beschrieben, das sowohl posi-
takt mit anderen ein stabiles Selbst zu tive wie negative Auswirkungen haben
bewahren. Bowen und seinen Schülerin- kann. Besonders bedeutend wird das
nen (bes. Elisabeth Carter und Monical Dreieck, wenn eine Dyade besonderem
McGoldrick) wird wesentlich die Ent- Stress oder Angst ausgesetzt ist. In einem
wicklung des Familiengenogramms zu- Dreieck können Angst und Stress geteilt
geschrieben. und somit erträglich werden. Gelingt
Bowen interessierte sich vor allem für dies nicht, werden mehr Personen mit
den Zusammenhang zwischen der Diffe- hineingezogen und es entstehen ineinan-
renzierung des Selbst und von »Triangu- dergreifende Dreiecke. Die Gefahr ist,
lierungen« über mehrere Generationen dass Menschen angesichts von Stress
hinweg auf die Entwicklung psychischer bzw. chronischer Angst innerhalb eines
Störungen. Für eine gelingende Selbst- Systems in einer Dreiecksposition fixiert
Differenzierung muss immer wieder das bleiben und schließlich Symptome ent-
Bedürfnis nach Individualität mit dem wickeln, also zu Symptomträgern in der
Bedürfnis nach dem Miteinander, nach Familie werden (Groß, 2012).
emotionaler Verbundenheit in Einklang • Iván Boszorményi-Nagy (*1920 in Buda-
gebracht werden. Wenn der Grad der pest; † 2007 in Pennsylvania) war ein
Selbst-Differenzierung gering ist, entwi- ungarischer Arzt, Psychotherapeut und
ckelt sich ein »Pseudo-Selbst«. Dann ist Hochschullehrer, der als Widerstands-
ein Mensch ständig auf den Kontakt zu kämpfer gegen Hitler und Stalin 1950
anderen und deren Bestätigung und zur Emigration in die Vereinigten Staa-
Übereinstimmung angewiesen. Welchen ten gezwungen war. Er gilt als der Be-
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gründer der Kontextuellen Therapie und keit, mit anderen Menschen auf gute
hat wesentliche Beiträge zur Entwick- Weise in Kontakt zu sein: Individua-
lung der Systemischen Familientherapie tion beruht auf vielfältigen Abhängig-
geleistet. Unter anderem hat er so wich- keiten und geht aus ihnen hervor
tige Begriffe wie Parentifizierung, Loyali- (Stierlin, 1994, S. 114). Eine misslun-
tät und Allparteilichkeit in die Systemi- gene oder fehlende Individuation
sche Therapie eingeführt (Boszormenyi- zeigt sich entweder in einer »symbio-
Nagy & Spark, 1981). Sein wesentlicher tischen Fusion«, bei der das Gefühl
Beitrag zur mehrgenerationalen Fami- des eigenen Selbst mit dem Erleben,
lientherapie war die Idee der Gerechtig- den Gefühlen und der Rolle einer an-
keit, des Ausgleichs von Geben und deren Person verschwimmt oder in ei-
Nehmen und das Bild einer über Gene- ner starren, autistische Absonderung,
rationen fortlaufenden »Buchführung«. die oft eine stark misstrauische Fär-
Nach dieser in aller Regel unbewussten bung hat. Es kann auch zum ambiva-
Buchführung »erwerben« Familienmit- lenten Hin- und Herpendeln zwi-
glieder für ihre Dienste eine Anspruchs- schen den beiden Extremen kommen.
berechtigung, die eines Ausgleichs be- Die Interaktionsmodi von Bindung und
darf. Gelingt dieser Ausgleich nicht in- Ausstoßung sind zwei entgegengesetzte
nerhalb einer Generation, geht dieser Kräfte. Die Handhabung und Balan-
Anspruch auf die nächste Generation cierung der Trennungsdynamik zwi-
über, d. h. Kinder oder Enkelkinder »er- schen Eltern und Kindern drückt sich
ben« diese »Schuld« und versuchen in in diesen aus: Herrscht in Familien
ihrem Leben, für den ausstehenden Aus- die Kraft der Bindung vor, werden
gleich zu sorgen. die Kinder länger zu Hause bleiben,
• Helm Stierlin (* 1926 in Mannheim) gilt die Autonomieentwicklung verzögert
als der wichtigste deutsche Pionier der sich oder wird gar blockiert. Umge-
Familientherapie (Reitz, 2014). Er hatte kehrt bewirkt das Vorherrschen der
lange als Psychoanalytiker in Chestnut Ausstoßung eine zu frühe (Pseudo-)
Lodge in den USA, einer Modellklinik Autonomie und womöglich Formen
für die Behandlung von schizophrenen von Beziehungslosigkeit und Bin-
Patienten, gearbeitet (Foudraine, 1981). dungsunfähigkeit.
Stierlins mehrgenerationaler Ansatz ba- Auch im Modus der Delegation findet
siert auf vier grundlegenden Gesichts- sich die Dialektik einander entgegen-
punkten (Stierlin, 1978, 1980, 1989, gesetzter Kräfte: Zum einen geht es
2001): um das Aussenden, zum anderen mit
– bezogene Individuation einem Auftrag, einer Mission betrau-
– die Interaktionsmodi von Bindung en. Delegation ist zunächst in der Be-
und Ausstoßung ziehung zwischen Eltern und Kindern
– Delegation ein ganz normaler Prozess. Schwierig
– die Mehrgenerationenperspektive von wird es, wenn der Auftrag der Eltern
Verdienst und Vermächtnis den Möglichkeiten und Grenzen des
Der Begriff der bezogenen Individua- Kindes nicht gerecht wird (wenn
tion erinnert an Bowens Idee der Dif- etwa ein Kind damit überfordert ist,
ferenzierung des Selbst, auch hier die nicht erfüllten beruflichen Ambi-
geht es um die Ausgewogenheit zwi- tionen des Vaters zu erreichen). Pro-
schen der Entwicklung einer autono- blematisch wird es auch, wenn die
men Persönlichkeit und der Fähig- Aufträge der Eltern in sich wider-
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sprüchlich sind (etwa, weil diese halb einer oder innerhalb zweier Ge-
selbst ambivalent sind) oder wenn sie nerationen nicht gut geklärt werden
einander widersprechen (die Mutter konnte, geht auf die nächste Genera-
möchte für ihr Kind etwas ganz ande- tion über, die dann mit ihren Mög-
res erreichen als der Vater) und so das lichkeiten nach einer guten Lösung
Kind in Loyalitätskonflikte gerät. suchen muss. Hier kommen Stierlins
Delegationen lassen sich über mehrere und Boszormeny-Nagys Konzepte nah
Generationen beobachten. Was inner- zusammen (Stierlin, 2005).
37.2 Operationalisierung
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Hintergrund als einen Beitrag zur kollektiven dem Zweiten Weltkrieg sehen wir aber durch-
Aufarbeitung, die ja eigentlich einer ›Gesell- aus als einen wichtigen Teil einer solchen
schafts-Rekonstruktion‹ bedürfte. So etwas ›kollektiven Rekonstruktion‹« (v. d. Recke &
gibt es freilich nicht im engeren Sinne. Initia- Wolter-Cornell, 2017, S. 14 f.).
tiven wie etwa Aktion Sühnezeichen nach
Hildenbrand, B. (2005). Einführung in die Geno- Recke von der, T. & Wolter-Cornell, U. (2017).
grammarbeit. Heidelberg: Carl Auer Systeme. Dimensionen systemischer Familienrekonstruk-
McGoldrick, M. & Gerson, R. (1990). Genogram- tion. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
me in der Familienberatung. Bern: Huber
Virginia Satir
Virginia Satir (geboren 1916 in Wisconsin, verstorben 1988 in Kalifornien), im Beruf ur-
sprünglich Lehrerin und dann Sozialarbeiterin, wird oft als »Mutter der Familienthera-
pie« bezeichnet. Sie begann schon 1951 in Chicago, ganze Familien in ihrer Praxis zu be-
handeln. 1959 gehörte sie mit Don Jackson und Jules Rifkin zum Gründungsteam des
Mental in Palo bei Stanford (USA) und leitete dort das erste familientherapeutische Aus-
bildungsprogramm der USA. 1963 war Virginia Satir eine der ersten Lehrkräfte am Esa-
len Institut, einem idyllisch an der kalifornischen Küste gelegenem Zentrum des Human
Potential Movement, wo sie mit Moshé Feldenkreis, Randolphe Stone (Polarity Thera-
py), Jakob Moreno (Psychodrama), Fritz Perls und Paul Goodman (Gestalttherapie), Mil-
ton Trager und Alexander Lowen (Bioenergetische) zusammentraf. In diesem von der hu-
manistischen Psychologie und Psychotherapie geprägten Umfeld gestaltete sie den soge-
nannten entwicklungsorientierten oder erlebniszentrierten Ansatzes in der Psychothera-
pie wesentlich mit und wurde zu einer Pionierin der Familienskulptur (u Kap. 40) und
der Familienrekonstruktion. Für Satir zentraler Begriff ist der Selbstwert bzw. das Selbst-
wertgefühl eines Menschen als Fundament für Wachstum, Autonomie und Entfaltung.
Wenn das Selbstwertgefühl niedrig ist oder ein Mensch sich in seinem Selbstwert be-
droht fühlt, entwickelt er eine von vier spezifischen Kommunikationsformen, um sich
zu schützen: Beschwichtigen, Anklagen, Rationalisieren und Ablenken (Satir, 1990). Statt
dieser Interaktion und Entwicklung behindernden Kommunikationsformen suchte Satir
mit ihren Klienten nach kongruenten Formen der Kommunikation, bei der Mimik, Ges-
tik, Körperhaltung und Sprache im Einklang sind und widersprüchliche Botschaften so
vermieden werden.
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Die Selbsthilfebewegung hat in den letzten • Der autonome Patient – »shared deci-
60 Jahren eine »emanzipatorische« Entwick- sion« / Partnerschaft
lung der Patienten aus der Bevormundung • Der kompetente Patient – Mit-Produ-
durch Ärztinnen und Ärzte vorangetrieben. zent von Gesundheit / Mit-Verantwor-
Sie bietet einen gesellschaftlichen Nährbo- tung
den, in dem systemische Konzepte der Auf- • Der bemächtigte Patient – Empower-
tragsorientierung sich gut entfalten können. ment / selbstständiges Handeln
Patientenmitwirkung von 1960 bis heute • Der Patient als Konsument – Ökonomi-
(nach Nagel, 2005 und Ewert, 2012) sierung von Gesundheitsleistungen
• Der bevormundete Patient – keine Infor- Der letztgenannte Schritt, die Ökonomisie-
mation / medizinisches Patriarchat rung, kann die Fortschritte der letzten Jahr-
• Der informierte Patient – »informed zehnte gewaltig bremsen oder gar umkeh-
consent« / Rechtsschutz des Arztes ren: Wenn Gesundheitsleistungen vom
• Der mündige Patient – Patientenrechte / Geldbeutel abhängen, dann sind die Patien-
Information und Mitsprache tenrechte »un-ge-recht« verteilt und stehen
nur Begüterten zur Verfügung.
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Tab. 38.1: Anlass – Anliegen – Auftrag – Kontrakt: Definitionen und Beispielfragen (nach Schwing,
2014)
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eine positive Wirkung auf Prozess und Er- Wenn also bei bestimmten psychischen
gebnis der Psychotherapie; ihre Effektstärke Störungen gewisse Interaktionsmuster ge-
ist mit 0.72 der stärkste in Metaanalysen er- häuft vorkommen, dann können auch stö-
rechnete einzelne Wirkfaktor (Tryon & Wi- rungs- bzw. musterspezifische Interventio-
nograd, 2011). nen angezeigt sein. Solche Interventionen
Das therapeutische Gespräch sollte dem- berücksichtigen, dass die Störung eine
entsprechend die Therapieziele gelegentlich Funktion im System hat (Watzlawick,
oder auch regelmäßig thematisieren – zu 1988) und weder gut noch schlecht ist (Pro-
Therapiebeginn, zwischendurch als Stand- blemneutralität; Retzer, 1998).
ortbestimmung, zu Therapieende. Eine test- Folgende Aussagen mögen diese Überle-
theoretisch gut fundierte Methode dafür ist gungen illustrieren:
das Goal Attainment Scaling (GAS; Kiresuk
& Sherman, 1968, s. a. Grünwald, 2018). • »Reto ist schizophren« – Reto hat dem-
Auch ist es sinnvoll, dass Therapeuten sich nach die Eigenschaft »schizophren«, die
von ihren Patienten Feedback über deren allzu leicht als vorherrschendes Merkmal
Fortschritte einholen. (»Praxisbasierte Evi- betrachtet wird (»Kann Reto auch noch
denz«). Tatsächlich ist die Effektstärke von anders als schizophren sein?«).
Feedback mit 0.50 eindrücklich genug, um • »Reto hat eine Schizophrenie« – Reto ist
ernst genommen zu werden (Übersicht bei also »Besitzer« der Störung (»Kann Reto
Wampold & Imel, 2015). diese wieder abgeben?«).
Der Begriff der Störungsorientierung be- • »Ich beobachte bei Reto Symptome ei-
zeichnet zwei verschiedene Positionen, von ner Schizophrenie« – Hiermit führt sich
denen nur die erste auf eine systemische der Beobachter ein, und es wird denk-
Grundhaltung verweist: bar, dass er in der Interaktion auch eine
Im systemisch-konstruktionistischen Den- Rolle spielt.
ken (Anderson & Goolishian, 1988) ent- • »Wenn die Eltern streiten, fängt Reto oft
steht ein Problem dadurch, dass jemand es an, konfus zu reden, sodass ihn keiner
als Problem bezeichnet und bewertet. Diese versteht« – Hier werden Interaktionen
Bewertung erlangt durch Kommunikation Dritter als mit-auslösend für Retos Reak-
soziale Relevanz und kann von jemand an- tionen betrachtet, und die Folgen seiner
derem bestätigt oder verworfen werden. Reaktionen für die Interaktionspartner
Das Problem erzeugt ein soziales System, wiederum bezeichnet.
das »Problemsystem«, dessen Mitglieder
um das Thema »Problem« kommunizieren, Störungsspezifische Interaktionen lassen
beispielsweise indem sie es gemeinsam zu sich beobachten: Bei einer essgestörten
bekämpfen versuchen. Tochter am Mittagstisch kommt es häufig
Innerhalb des medizinischen Krankheits- zu Aggressionen der Eltern, mit halluzinie-
modells dagegen wird angenommen, dass es renden Söhnen wird weniger gesprochen,
für jede psychische Störung eine – mehr und depressive Ehemänner werden von ih-
oder weniger spezifische – Ursache und ei- ren Frauen oft im Wechsel geschont und
ne Heilungsmethode gibt. angetrieben. Es kann aber das genaue Ge-
Auch eine mittlere Position lässt sich be- genteil der Fall sein. Der Therapeut sollte
schreiben, nämlich die der Erkennung also nicht voreilig von einem Fall auf den
(Diagnostik) und -veränderung (Therapie) nächsten schließen, sondern jedes Mal mit
gestörter Beziehungsmuster, in denen der jedem Klienten aufs Neue eruieren: »Was
»gestörte Mensch« ein »Index-Patient« ist, ist hier der Fall?« Die fall- (nicht störungs-!)
der die Störung anzeigt – sie aber nicht hat.
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38.2 Abwandlungen
Nicht selten kommen Patientinnen und Pa- »Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder
tienten unfreiwillig in Therapie und sind loszuwerden?« Für Jugendliche, die unfrei-
dann nicht willens und in der Lage, Aufträ- willig zu Familiengesprächen kommen, ha-
ge zu erteilen oder Ziele zu formulieren. Es ben Liechti und Kollegen (2013) um-
ist dann die Herausforderung, ein Arbeits- fangreiches Material vorgelegt, um zu-
bündnis aufzubauen, sodass aus einem un- nächst die Therapiemotivation in Gang zu
freiwilligen Beginn eine freiwillige Zusam- setzen. Sie nennen ihre Methode den »kon-
menarbeit entsteht. Eine hilfreiche Frage sultativen Einbezug«.
stammt von Conen & Cecchin (2011):
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38.3 Operationalisierungen
Im offenen Dialog nach Seikkula & Arnkil will der Therapeut vielleicht auch gar nicht
(2007) wird weitgehend auf Hypothesen zu erfüllen. Dann kann es hilfreich sein, sich
Interaktionsmustern verzichtet und nicht der verschiedenen Aufträge klar zu werden
auf wirkmächtige Interventionen gesetzt. und eine zunächst innere Antwort darauf
Es wird davon ausgegangen, dass es reicht, zu finden. Die Methode des Auftragskarus-
bislang Ungesagtes und Unsagbares zur sells (v. Schlippe, 2007) kann in Supervi-
Sprache zu bringen, und dass dann die sion und Selbst-Supervision dazu beitragen.
Klientinnen und Klienten schon selbst die Hypnosystemische Methodik (Erickson &
Lösung ihres Problems wissen. Anliegen Rossi, 1999) geht, basierend auf neuropsy-
werden sehr gut gehört, aber Aufträge müs- chologischen Überlegungen, davon aus,
sen gar nicht formuliert werden. dass das Nachdenken und Reden über Pro-
Unmögliche Aufträge: Wenn viele Perso- bleme die Probleme verstärken, das Nach-
nen Aufträge haben, kann es unmöglich denken und Reden über Lösungen dagegen
werden, alle zu erfüllen. Manche Aufträge die Lösungen näherbringen.
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Innere Zustände (ego states) und innere Antei- Fähigkeit der Perspektivenübernahme, feh-
le werden zunehmend auch in der Systemi- lende Mentalisierung als grundlegende Stö-
schen Therapie in ihrer Herkunft und ih- rung in der kindlichen Entwicklung oder
rem Nutzen exploriert, wodurch sie gewis- als vorübergehender Mangel in Streitsitua-
sermaßen externalisiert und leichter hand- tionen gesehen.
habbar werden. Die Mentalisierung wird als
In der kognitiven Verhaltenstherapie ist die rungsorientierung ist dort wesentlich stär-
Auftragsorientierung etwas weniger stark ker als in der Systemischen Therapie: In
als in der Systemischen Therapie. Die An- Übereinstimmung mit der Evidenzbasier-
liegen, mit denen Klienten in Therapie ten Medizin wird ein weitgehend lineares
kommen, werden »objektiv« zu erfassen Modell für die Zusammenhänge zwischen
und zu beschreiben versucht (und als weit- Störungsursache – Störung – Heilung ange-
gehend durch die Störung bestimmt ange- nommen.
sehen), der Therapeut ist Experte für die In den psychodynamisch begründeten The-
anstehenden Veränderungsschritte. Die Stö- rapien ist die Auftragsorientierung wesent-
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lich geringer als in der Systemischen Thera- Aus der Warte der Humanistischen Thera-
pie. Störungen der intrapsychischen Struk- pien ist die Auftragsorientierung dem The-
turen ebenso wie Behandlungshoffnungen rapieprozess implizit; als Anliegen gilt in
werden als weitgehend un- oder vorbewusst der Regel das persönliche Wachstum des
gesehen und deshalb nur teilweise als Auf- einzelnen Klienten. Die Störungsorientie-
trag explizierbar. Die Störungsorientierung rung bezieht sich, ähnlich wie in der Syste-
besteht dort schulenspezifisch in einer mischen Therapie, auf Musterbildungen
Struktur- und Konfliktdiagnose, z. B. nach und Musterveränderungen.
Operationalisierter Psychodynamischer Dia-
gnostik (OPD).
Loth, W. (2011). Klinische Kontrakte entwickeln Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung
– Gemeinsames Anstiften von Sinn. In A. I. Das Grundlagenwissen (3. Aufl., S. 235–248).
Lenz (Hrgs.), Empowerment – Ein Handbuch Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
für die ressourcenorientierte Praxis (S. 137–160). Schweitzer, J. & Schlippe, A. v. (2016). Syste-
Tübingen: dgvt. mische Therapie als Behandlung von Krank-
Ludewig, K. (1999). Therapieziele in der systemi- heiten: Grundsätzliche Überlegungen. In J.
schen Therapie. In H. Ambühl & B. Strauß Schweitzer & A. v. Schlippe (Hrsg.), Lehrbuch
(Hrsg.), Therapieziele (S. 251–275). Göttingen: der systemischen Therapie und Beratung II
Hogrefe. (6. Aufl., S. 15–42). Göttingen: Vandenhoeck
Schlippe, A. v. & Schweitzer, J. (2016). Contrac- & Ruprecht.
ting. In A. v. Schlippe & J. Schweitzer (Hrsg.),
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»Wie verhält es sich aber mit ›mir‹? Stellen Sie – wer oder was ist die relevante Überle-
sich vor, ich sei blind und ich benutzte einen benseinheit, an der sich Sinn oder Unsinn
Stock. Ich mache tap, tap, tap. Wo fange ›ich‹ bestimmten Verhaltens erweisen muss? Ba-
an? Ist mein geistiges System an dem Griff des
Stocks zu Ende? Ist es durch meine Haut teson (1981) macht uns auf den gravieren-
begrenzt? Fängt es in der Mitte des Stocks an? den erkenntnistheoretischen Fehler auf-
Oder beginnt es an der Spitze des Stocks? merksam, uns als Individuen oder Spezies als
Aber das sind alles unsinnige Fragen. Der Überlebenseinheit zu begreifen: »Die Ein-
Stock ist ein Weg, auf dem Umwandlungen
von Unterschieden übertragen werden. Die
heit des Überlebens besteht aus Umwelt
richtige Weise das System abzugrenzen plus Organismus« (S. 621). Seine Ideen sind
besteht darin, die Grenzlinie so zu ziehen, von ungebrochener Relevanz für aktuelle
dass man keinen dieser Wege in einer Weise Bemühungen um Nachhaltigkeit: »Das Ge-
durchschneidet, die die Dinge unerklärbar schöpf, das gegen seine Umwelt siegt, zer-
macht. Wenn das, was man zu erklären ver-
sucht, ein gegebenes Stück Verhalten ist, etwa stört sich selbst« (S. 632).
die Fortbewegung eines Blinden, dann wird Die Überlebenseinheit »System in seiner
man hierfür die Straße, den Stock und den Umwelt« gilt jedoch nicht nur für größere
Mann benötigen; die Straße, Stock und so Ökosysteme, sondern ebenso für den Mik-
weiter, immer wieder im Kreis herum.« (Bate-
son, 1981, S. 590) rokosmos von Therapeut und Klient sowie
den Klienten in seinem persönlichen Le-
Zirkularität meint Denken in Kreisläufen. bensraum. Immer gilt es, die Umwelt mit-
Wie Batesons Beispiel verdeutlicht, ist zudenken. Gunther Schmidt hat für die
menschliches Verhalten immer eingebettet letzteren beiden Systemebenen die Unter-
in Wechselwirkungen, die sich zu komple- scheidung von Heimat- und Beratungssystem
xen Regelkreisen formen. Zirkuläres Den- eingeführt. Therapeut und Klient(en) bil-
ken ist der Versuch, sich von naheliegen- den zusammen das Beratungssystem. Der
den linear-kausalen Interpunktionen (»Er Therapeut wird zur relevanten Umwelt sei-
zieht sich zu zurück, weil sie ihn kritisiert«) ner Klientinnen und Klienten, seine Ange-
zu verabschieden und stattdessen die Be- bote, Fragen und Interventionen sind Teil
obachtungseinheit soweit zu vergrößern, des kommunikativen Kreislaufs, der das Be-
dass jedes Verhalten als Ursache und Wir- ratungssystem aufrechterhält – wir stehen
kung zugleich sichtbar wird (»Je mehr sie nicht außerhalb des Systems, für das wir In-
ihn kritisiert, desto mehr zieht er sich zu- terventionen entwickeln. In der Therapie
rück. Desto mehr er sich zurückzieht, desto mündet diese Haltung in Fragen wie: »Wo-
mehr kritisiert sie ihn.« usw.). Dieses Den- zu fühle ich mich eingeladen und wozu la-
ken in Kreisläufen hat erhebliche Auswir- de ich selbst ein? Wenn ich den Klienten
kungen auf die Frage der Evolutionseinheit etwas frage, was hört er dann? Welche Be-
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deutung gebe ich bestimmtem Verhalten schiede wie bspw. den Unterschied zwi-
und welche Bedeutung erfahren meine In- schen der Textur des Bodens und dem
terventionen?« Stock, dem Knauf und der Handinnenflä-
Vom Beratungssystem zu unterscheiden che, aber auch innerhalb des Körpers bei
ist das Heimatsystem der Klienten. Hierun- der Verarbeitung von sensorischen und
ter lässt sich ihr natürlicher Lebensraum motorischen Impulsen. Diese den Kreislauf
mit seinen Ressourcen, Beziehungswirk- in Gang setzenden und aufrechterhalten-
lichkeiten und Begrenzungen fassen. Alles den Unterschiede sind nicht im Stock, im
was im Beratungssystem erdacht und entwi- Boden oder in den Zellen, auch nicht zwi-
ckelt wird, muss auf sein Verstörungspoten- schen ihnen, sondern nach Bateson als
zial und seine Lebbarkeit im Heimatsystem Ideen existent. Ideen sind mehrheitlich dem
geprüft werden: »Angenommen, Sie ent- Handeln implizit, sie werden Teil der
scheiden sich in Zukunft, auf das Verhalten Gewohnheitswirklichkeit und sind deshalb
Ihres Sohnes mit Schweigen zu reagieren, schwer beobachtbar und hinterfragbar. Wir
wie wird sich dies vermutlich auswirken? tun, was wir tun und wie wir es tun, weil
Wie müsste Ihre Vorgesetzte Ihnen kom- wir »nicht anders können«, es »anders kei-
men, damit Sie Ihren Abgrenzungs-Vorsatz nen Sinn macht« oder »sich bislang immer
garantiert wieder über Bord werfen? Wen bewährt hat.« Dieser Verlust an Flexibilität
in Ihrer Familie würde es am meisten über- unserer Prämissen kann den Kreislauf zwi-
raschen, wenn Sie wieder das Haus verlas- schen System und Umwelt massiv eskalie-
sen? Wer würde sich freuen, wer vielleicht ren und sogar tödlich enden. Dies gilt ins-
sich auch ängstigen?« Diese und verwandte besondere dann, wenn die Prämissen in
zirkuläre Fragen zielen darauf, die Kreisläu- Handlungsverläufe münden, die darauf ab-
fe und Bedeutungsgebungen im Heimatsys- zielen, einzelne Variablen zu maximieren.
tem bewusst(er) zu machen, um auf dieser Auch diese Beobachtung gilt für größere
Basis Entscheidungen über zielführende Ökosysteme (vgl. die Auswirkung der ein-
Musterunterbrechungen zu treffen. Bera- seitigen Maximierung ökonomischen Pro-
tungs- und Heimatsystem wiederum kön- fits auf die Überlebenswahrscheinlichkeit
nen ebenfalls Bestandteile eines größeren unseres Planeten) wie auch in kleineren
Kreislaufs werden, der mehr oder weniger Überlebenseinheiten (vgl. z. B. die Maximie-
fruchtbar ausfallen kann.1 rung von Kontrolle und Sicherheit im Rah-
Was genau geschieht in diesen Kreisläu- men von starker Eifersucht geprägten Bezie-
fen? »Ein Kreislauf ist eine geschlossene hungen oder auch Zwangs- und Angster-
Bahn (oder ein Netz von Bahnen), auf der krankungen, die Maximierung von Erfolg
Unterschiede (oder Umwandlungen von im Rahmen von Burnoutprozessen).
Unterschieden) übertragen werden. […] Eine Leitunterscheidung zur Charakteri-
Ein Unterschied ist eine Idee« (Bateson, sierung von kommunikativen Kreisläufen
S. 619). Der blinde Mann auf seinem Spa- sind symmetrische bzw. komplementäre Inter-
ziergang verarbeitet und erzeugt Unter- aktionen (Bateson, 1981; Watzlawick et al.,
1 Eine Beobachtungsfähigkeit gegenüber diesen Kreisläufen empfiehlt sich insbesondere auch im Um-
gang mit Ambivalenzen. So kann beispielsweise in der wöchentlichen Therapiestunde intensiv über
die Schattenseiten und Sinnlosigkeit der eigenen Partnerschaft reflektiert werden – die im Anschluss
dann aber wieder etwas leichter ertragen werden kann oder aber im Beratungssystem ein »schlechtes
Gewissen« deponiert werden, das innerhalb des Heimatsystems das entlastende Gefühl erzeugt, zu-
mindest »etwas zu tun«, nämlich in Therapie zu sein. Beratungs- und Heimatsystem können auf die-
sem Weg zu einer füreinander aufrechterhaltenden Bedingung werden.
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den Regeln zweiter Ordnung (den Regeln 2018). Dyadische und Triadische Fragen er-
darüber, wie Regeln aufgestellt und ihre kunden Bedeutungsgebungen (»Was hören
Einhaltung kontrolliert bzw. sanktioniert Sie, wenn Ihre Frau sagt: Wir sollten das so
werden): Wie gehen wir mit Regelverstö- machen?«; »Was glauben Sie fühlt ihre
ßen um? Droht die Ex-Kommunikation? Tochter, wenn sie sieht, wie sie miteinan-
Wie und unter welchen Bedingungen ver- der umgehen?«). Daneben lassen sich
ändern wir unsere Regeln? Beziehungswirklichkeiten auch mit unter-
Zusammengefasst verdanken wir dem schiedsbildenden Fragen erkunden (»Für wen
Zirkularitätsprinzip zwei wesentliche Hin- ist der Auszug des Sohnes am meisten/we-
weise: Verhalten wird erst dann verstehbar nigsten ein Problem?«). Hypothetische Fra-
und sinnhaft, wenn man den dazugehöri- gen ermöglichen, Musterunterbrechungen
gen sozialen oder auch intrapsychischen und Regelbrüche gedanklich durchzuspie-
Kontext erschließt. Und: Die Dynamik der len (»Was müsste passieren, dass jemand
Wechselwirkungen im Kreislauf neigt zur die Regel ›Wir sind ein harmonisches Paar‹
Verselbständigung. Um Musterunterbre- infragestellt?«; »Wie könntest du deine El-
chungen anzuregen, brauchen wir eine Be- tern so richtig überraschen?«).
obachtungs- und Entscheidungsfähigkeit Wie jede Wirklichkeitskonstruktion so
gegenüber den impliziten Regeln/Ideen, macht auch die Perspektive der Zirkularität
die unser Handeln im Kreislauf leiten: »Die sehend und blind zugleich. Sie lenkt den
Frage ist nicht, was innerhalb der augen- Scheinwerfer auf die wechselseitige Be-
blicklich bestehenden Regeln das Beste ist. dingtheit von Verhalten und Erleben und
Die Frage lautet, wie können wir von den macht damit einen deutlichen und oft hilf-
Regeln wegkommen, innerhalb derer wir reichen Unterschied zu in unserer Kultur
[…] vorgegangen sind« (Bateson, 1981, tief verankerten linear-kausalen Wahrneh-
S. 613). mungsgewohnheiten (»Ich musste B tun,
Das zirkuläre Denken hat das zirkuläre weil sie A gesagt hat.«). Zirkulär auf soziale
Fragen als Gesprächsführungsvariante ange- und psychische Phänomene zu blicken,
regt. Systemische Therapeutinnen und The- kann jedoch auch missbraucht werden, um
rapeuten fragen deshalb häufig, wie Perso- ungleiche Zugänge zu Macht und Ressour-
nen die wechselseitige Interaktion zwischen cen zu relativieren, Schuldfragen zu verwi-
ihren Anteilen, zwischen sich und anderen, schen oder die Opfer-Täter-Unterscheidung
oder zwischen zwei oder mehr anderen aufzuweichen. Zirkularität bleibt damit –
wahrnehmen. Diese zirkulären Fragen zie- wie alle anderen Interpretationshilfen – ei-
len auf die Einnahme einer Beobach- ne Konstruktion, die auf ihre mehr oder
terposition als Voraussetzung für Muster- weniger zieldienlichen Auswirkungen hin
unterbrechungen (Tomm, 2018; Schweitzer untersucht und verantwortet werden muss.
& v. Schlippe, 2012; Simon & Rech-Simon,
Die für die Verhaltenstherapie zentralen die hier beschriebenen Kreisläufe ein. Dass
Prozesse der positiven und negativen Ver- z. B. A immer wieder versucht, B durch be-
stärkung fließen selbstverständlich auch in sonders ausdauerndes Nörgeln zu einer
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Verhaltensänderung zu bewegen, ließe sich und Verstärkung liefert. Dies gilt strengge-
auch als Folge intermittierender Verstär- nommen nur solange, wie das Versuchsob-
kung beschreiben. Die Zufriedenheit von A jekt (eine Ratte) dieser Interpunktion folgt
darüber, B zumindest temporär überredet und nicht ebenfalls Anspruch darauf er-
zu haben, kann wiederum in B Erleichte- hebt, den Versuchsleiter seinerseits zu kon-
rung (negative Verstärkung), ebenfalls ditionieren (Watzlawick et al. 2007, S. 57).
Freude (positive Verstärkung) oder auch Die von Bateson und Watzlawick postu-
Zorn (Bestrafung) auslösen. In der für Ver- lierten Konstrukte der Idee bzw. Regel ha-
stärkungstheorien paradigmatischen Ver- ben angewandt auf psychische Systeme Ver-
suchsanordnung werden jedoch häufig nur wandtschaft mit dem Konstrukt der Sche-
»Halbkreise« formuliert: Der Versuchsleiter mata innerhalb der kognitiven Verhaltens-
koordiniert das Experiment, indem er Reiz therapie.
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Abb. 39.1: Vulnerabilitätszirkel nach Scheinkman & Fishbane (2004). Werden die biografisch beding-
ten Verletzlichkeiten von A (VA ) berührt, mobilisiert dies dessen Schutz-/Überlebensstra-
tegien (SA ). Diese wiederum berühren Verletzlichkeiten von B (VB ), was wiederum deren
Schutzstrategien aktiviert (SB ) usw.
Simon, F. & Rech-Simon, C. (2018). Zirkuläres Selvini Palazzoli, M., Boscolo, L., Cecchin, G. &
Fragen: Systemische Therapie in Fallbeispielen: Prata, G. (1981). Hypothesenbildung, Zirkula-
Ein Lernbuch. Heidelberg: Carl Auer. rität, Neutralität. Drei Richtlinien für den Lei-
ter der Sitzung. Familiendynamik, 6, 123–139.
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Gregory Bateson
Gregory Bateson wird 1904 nahe Cambridge in England geboren. Er studiert Zoologie,
dann Ethnologie und führt ab 1927 Feldstudien in Stämmen in Neuguinea und Bali
durch. Die Konzepte der Schismogenese und der symmetrischen und komplementären
Beziehungsmuster entstehen. Zwischen 1948 und 1962, in einer lebhaften Entwicklungs-
phase kybernetischer System- und Kommunikationstheorien, erforscht Bateson in Kali-
fornien logische Typen in der Kommunikation schizophrener Patienten mit ihren Ange-
hörigen. Bekanntestes Ergebnis ist die Double Bind Hypothese der Schizophrenie (Bate-
son, Weakland, Haley und Jackson 1956). Am Mental Research Institute in Palo Alto rezi-
pieren u. a. Don Jackson, Jay Haley, Paul Watzlawick (1969), Virgina Satir und Carlos
Sluzki Batesons Ideen und verbreiten diese weltweit. Danach wendet er sich im Pazifik
Lern- und Kommunikationsprozessen bei Delfinen zu; seine Theorie der »Levels of
Learning« entsteht. Die Veröffentlichung seiner Aufsatzsammlungen Ökologie des Geistes
(1972) und »Geist und Natur« 1979 mit seiner Kritik am »erkenntnistheoretischen Irrtum
der Möglichkeit planmäßiger Steuerung« lässt ihn zu einem Guru der kalifornischen
Umweltbewegung, parallel der amerikanischen Familientherapeuten werden. 1980 stirbt
er nach zweijähriger Lungenkrebserkrankung im Zen Center in San Francisco.
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40 Symbolische Aktionsmethoden
Rebecca Hilzinger & Jochen Schweitzer
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40 Symbolische Aktionsmethoden
Schönfelder in Hamburg (bei der auch Bert der kompatibel seien (Drexler, 2015, S. 15).
Hellinger diese Technik ursprünglich ken- Eine Auffassung, die 1993 selten geteilt
nengelernt haben soll), die Therapeutinnen wurde. Kritische Stellungnahmen zu Hel-
und Therapeuten des Weinheimer Instituts linger erschienen nahezu zeitgleich. Die
sowie Schweitzer und Weber (1982) aus Kritik bezog sich auf eine intransparente,
der Heidelberger Gruppe an ihrer Populari- konfrontierende Arbeitsweise, seine heran-
sierung beteiligt. gezogenen theoretischen Konzepte, die Ver-
In der Weiterentwicklung entstanden wendung einiger altertümlicher Begriffe so-
zahlreiche Varianten der Skulpturarbeit, wie seines guruartigen Auftretens. Später
z. B. das Familienbrett (Ludewig et al., wurden sowohl bei Skulpturen als auch bei
1983) und der Familienskulptur-Test (Geh- Aufstellungen auch Formate mit Figuren
ring, 1993). Von Schlippe und Schweitzer und Platzhaltern für das Einzelsetting ent-
(2016) beschrieben eine Reihe von Erweite- wickelt.
rungen und Differenzierungen. Sparrer und Varga von Kibéd (2018) stel-
len Strukturaufstellungen als weitere Va-
riante vor, bei der sie so weit wie möglich
Aufstellungen von Inhalten absehen und Strukturen bild-
lich darstellen.
Aufstellungen sind mit der Familienskulptur
und dem Psychodrama verwandt (König,
2004). Sie werden als eine Variante von Zeitlinienarbeit und Sprechchöre
Skulpturverfahren für die Bearbeitung per-
sönlicher Anliegen in Gruppenkontexten Die psychotherapeutische Technik der Zeit-
verstanden (v. Schlippe & Schweitzer, 2016; linienarbeit stammt in ihren Ursprüngen
Kriz, 2007). vermutlich aus dem Psychodrama und ist
Aufstellungen wurden durch Bert Hel- von Vertretern des NLP (Dilts, 1993) und
linger bekannt gemacht, einen katholischen systemischen Therapeutinnen und Thera-
Missionspriester, der sein Priesteramt auf- peuten (Schindler, 1995; Grabbe, 2003)
gab und sich u. a. mit der Gruppendyna- weiterentwickelt worden.
mik, Psychoanalyse, Primärtherapie (Janov), Schweitzer (2006) entwickelte um 1992
Transaktionsanalyse, dem Neuro-Linguisti- insbesondere für größere Beratungssyste-
schen Programmieren (NLP), der Hypno- me wie Gruppentherapien und Teamsu-
therapie (Erickson) und familientherapeu- pervisionen den Sprechchor. Sprechchor-
tischen Ansätzen (Schönfelder, Satir) aus- arbeit verbindet Elemente negativer Zu-
einandergesetzt hatte. Zentrale Veröffentli- kunftsfragen (»Verschlimmerungsfragen«)
chungen erscheinen 1994 in Buchform aus der Mailand-Heidelberger Tradition
(Hellinger), kurz darauf auch auf Videokas- mit Externalisierungsarbeit im Sinne der
setten (Hellinger, Neuhauser, 1995). Zu die- narrativen Therapie (das Problem aus der
ser Zeit wurden Familienaufstellungen als Person herausholen, ins Kleingruppenge-
Supervisionsmethode für Psychotherapeu- spräch bringen und ihr am Ende von ande-
ten und Ärzte, meist in Großgruppensemi- ren Personen vorsingen lassen) und den
naren, praktiziert. Mit dem Buch Zweierlei Symptomverschreibungen der strategischen
Glück (Weber, 1993) fanden Aufstellungen Therapie (durch selbst herbeigeführte, un-
in kurzer Zeit eine weltweite Verbreitung. angenehme aber unschädliche häufige Wie-
Weber vertrat die Auffassung, dass syste- derholung selbstquälerischer Glaubenssätze
misch-konstruktivistisches Denken und der eigene Widerstandskräfte gegen diese Sätze
Geist der Aufstellungsarbeit gut miteinan- mobilisieren).
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40.2 Abwandlungen
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40 Symbolische Aktionsmethoden
Im Beratungsraum wird eine Zeitachse Eine Methode, bei der prägnante negative
symbolisch z. B. mithilfe einer Schnur sym- Überzeugungen (Glaubenssysteme bzw.
bolisiert. Anschließend können Ereignisse mentale Modelle, Kognitionen) von Einzel-
aus der Vergangenheit und Zukunft (Ziele, nen oder sozialen Systemen zunächst als
Ressourcen) an dieser Linie entlang gelegt »Sätze« schriftlich formuliert, dann den an-
werden. Diese sogenannten »Bodenanker« deren bzw. dem Therapeuten erzählt und
können z. B. beschriftete Zettel, Objekte dem »Inhaber« dieses Glaubenssystems vor-
wie Figuren, Steine oder andere Alltagsge- gesungen oder (als Sprechchor ohne Melo-
genstände sein. Klient und Therapeut kön- dien) rhythmisch vorgesprochen werden.
nen Ereignisse in zeitlichen Zusammenhän- Dies wird solange wiederholt, bis der »Satz-
gen sehen und belastende Ereignisse probe- geber« veränderte Reaktionen zu zeigen be-
weise symbolisch »durchwandern« oder ginnt, sich z.B über den Satz ärgert oder
vom bereits erreichten Ziel zurückschauen, feststellt, dass er oft nicht zutreffend ist.
was der Klient bereits »geschafft« und wel- Neu entstehende innere Sätze werden in
che Schritte er dazu genommen hat. Ne- neue Chorstimmen umgewandelt, sodass
metschek (2011) beschreibt zahlreiche Bei- im Sprechchor immer mehr konkurrie-
spiele. rende Gedanken »gegeneinander« (zeitlich
nacheinander) singen (v. Schlippe &
Schweitzer, 2016, S. 292–295).
Eine wesentliche Verzweigung zeigt sich Wirklichkeit nicht direkt erkennen kön-
insbesondere bei Aufstellungen. Ein kri- nen.
tischer Diskurs bezieht sich darauf, ob das, In den letzten Jahren standen Aspekte
was sich bei Aufstellungen »zeigt,« konstruk- von Qualitätssicherungen in der Aufstel-
tivistisch oder phänomenologisch zu verstehen lungsleitung (Nazarkiewicz & Kuschik,
(dazu Weber, Schmidt & Simon, 2016) 2015) im Blickpunkt. Auch erste wissen-
und eine phänomenologische Betrachtungs- schaftlichen Evaluationen zur Wirksamkeit
weise mit systemischen Grundannahmen der Aufstellungsmethode (Weinhold, Born-
vereinbar sei. Drexler (2015, S. 26 f.) weist häuser, Hunger & Schweitzer, 2014) und
darauf hin, dass sowohl phänomenologi- zur Frage nach professionellem Handeln
sche als auch konstruktivistische Ansätze von Anleitern (Oberzaucher, 2013; Hilzin-
davon ausgehen, dass wir die ontische ger, 2013) sind wenige Jahre alt.
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40.4 Operationalisierungen
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40 Symbolische Aktionsmethoden
und Jugendhilfe integriert. Teilweise wird reografien, bewegte Skulpturen oder Se-
der Begriff Aufstellung durch kontextange- rious Play ersetzt (Drexler & Hilzinger,
passte Bezeichnungen wie z. B. Systemcho- 2015, S. 202).
Bleckwedel, J. (2015). Systemische Therapie in Ak- Varga von Kibéd, M. & Sparrer, I. (2018). Ganz
tion. Kreative Methoden in der Arbeit mit Fami- im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere
lien und Paaren (4. unveränd. Auflage). Göt- Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen
tingen: Vandenhoeck & Ruprecht. – für Querdenken und solche, die es werden wol-
Satir, V. & Baldwin, M. (2004). Familientherapie len (10. überarb. Auflage). Heidelberg: Carl-
in Aktion (6. Auflage). Paderborn: Junfer- Auer.
mann.
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Gunthard Weber
Gunthard Weber wurde 1940 in Arolsen im Kreis Waldeck geboren. Nach Medizinstu-
dium in Frankfurt und kurzer Arzttätigkeit in Afrika bildete er sich ab 1972 in Heidel-
berg zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie weiter. Er schloss sich 1977 dem
Mitarbeiterkreis des von Helm Stierlin geleiteten Instituts für Familientherapie an und
begann zugleich eine enge Weiterbildungskooperation mit der »Mailänder Gruppe« (Sel-
vini, Boscolo, Cecchin & Prata, 1978). Er entwickelte ein familientherapeutisches Be-
handlungskonzept für die Behandlung magersüchtige junge Frauen (Weber & Stierlin,
1989) und danach gemeinsam mit Helm Stierlin, Fritz Simon, Gunther Schmidt und Ar-
nold Retzer eines für junge Erwachsener mit manisch-depressiven, schizoaffektiven und
schizophrenen Psychosen. Mit seinem Bestseller-Buch Zweierlei Glück. Die systemische Psy-
chotherapie Bert Hellingers (1993) initiierte er den Boom der »Aufstellungsarbeit« in
Deutschland, der zugleich die systemisch-familientherapeutische Szene über mehrere Jah-
re in Befürworter und Gegner trennte. Nach der (Mit-)Gründung mehrerer systemischer
Weiterbildungsinstitute (IGST, WISL, HSI) widmete er sich ab 2005 der internationalen
Verbreitung und Beforschung der Aufstellungsarbeit (s. Weinhold, Bornhäuser, Hunger
& Schweitzer, 2014) sowie dem Aufbau schulischer Entwicklungsprojekte in Mali.
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41.1 Herkunft
Der Begriff »Familientherapie« (conjoint fa- gen in die Welt der Psychotherapie einge-
mily therapy) wurde in den 1950er Jahren führt. Der Ansatz verbreitete sich ab den
für eine Serie therapeutischer Gespräche frühen 1970er Jahren in Nordamerika, Tei-
mit »allen Familienmitgliedern«, zunächst len von Lateinamerika sowie weltweit in
in den USA, als Neuheit in Abgrenzung englischsprachigen Ländern, etwa ab 1990
zur Einzeltherapie und als ein neues Para- verstärkt auch in Osteuropa und in Ost-
digma der Betrachtung psychischer Störun- asien.
41.2 Operationalisierungen
Was bedeutet Familientherapie? »Familienthe- Heute werden nach Stierlin »alle Mitglieder
rapie« wird heute als ein Mehrpersonen-Ge- des existentiellen Bindungssystems« eines
sprächssetting verstanden, bei dem Mitglie- Indexpatienten als Familie betrachtet – in
der mindestens zweier Generationen (meist unserer Praxis all jene, »die am Problem
Eltern und Kinder) teilnehmen. Kommen mitleiden und bei einer Lösung mithelfen
auch Mitglieder der Großeltern-Generation wollen«.
hinzu, wird dies oft »Mehrgenerationen-Fa- Wie läuft ein ausführliches familienthera-
milientherapie« genannt (Massing, Reich & peutisches Erstgespräch typischerweise ab?: (1)
Sperling, 2006). Paartherapie wird zuweilen Im »Joining« macht sich der Therapeut mit
als davon unabhängige Therapierichtung allen Mitgliedern bekannt, besonders mit
und zuweilen als eine Unterform von Fami- den »Skeptikern«. (2) Er klärt Anlässe, An-
lientherapie aufgefasst. liegen und Aufträge des Gesprächs aus
Wer soll an einer Familientherapie teilneh- Sicht aller Beteiligten, auch wichtiger nicht
men? Dass dabei immer »alle Familienmit- anwesender »Überweiser«. (3) Das »Who is
glieder«, aus dem selben Haushalt teilneh- Who« der Familienmitglieder wird erfragt,
men sollen, galt zeitweilig als Desiderat. Be- evtl. in einem kurzen Genogramm- oder
rühmt ist die Erzählung, Mara Selvini Pa- Netzwerkinterview. (4) Das präsentierte
lazzoli und Kollegen (Selvini Palazzoli et Problem und seine interaktionellen Kon-
al. 1978) hätten in den 1970ern eine aus Si- texte werden erfragt und beschrieben. (5)
zilien nach Mailand unvollständig angereis- Der Therapeut fragt nach den persönlichen
te Familie wieder nachhause geschickt. Erklärungen (»Woher kommt es?«), Bewer-
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tungen (»Wie schlimm ist es oder ist es gelingen, aus der neue Problemlösungs-
nicht?«), Lösungsideen (»Was sollte jetzt ge- ideen entstehen können. (7) Der Therapeut
schehen?«), Ressourcen (»Was läuft gut, fasst das Gespräch zusammen, bilanziert,
was kann zur Lösung genutzt werden?«) erkennt die bisherigen Veränderungsbemü-
und Bereitschaften (»Was können und wol- hungen an; oft schlägt er vor, etwas zuhau-
len Sie zur Lösung beitragen?«) aller Betei- se anders zu erproben als bislang und
ligten. (6) Idealerweise kann dabei eine nächstes Mal darüber zu berichten.
»Umdeutung« bisheriger Problemsichten
41.3 Abwandlungen
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auf verwirrende und unklare Kommunika- zer, 1996; Selvini-Palazzoli, 1986; Selvini
tionsformen und vermögen blind vorherzu- Palazzoli et al., 1978) oder zu Familien, in
sagen, ob diese Eltern ein schizophrenes denen inzestuöse Handlungen geschahen
Kind haben (später nicht verifiziert). Be- (Sheinberg & Fraenkel, 2001; Sheinberg et
liebtes Untersuchungsdesign ist die Video- al., 1994).
graphie einer Familiendiskussion über ein Wirksamkeitsforschung zu evidenzbasierten
Sprichwort oder die Planung des nächsten Behandlungen: RCT-Studien und Metaanaly-
Familienurlaubes und deren Kodierung auf sen (ab 1995): Ab ca. 1995 werden zuneh-
das Austragen von Konflikten. In der Fami- mend Wirksamkeitsnachweise in »randomi-
lienpsychosomatik erregt eine Studie von siert kontrollierten Studien« (RCT) ver-
Minuchin und Kollegen (Minuchin et al., langt. Diese erfordern einen hohen For-
1975; Minuchin, Rosman & Baker, 1978) schungsaufwand und sind fast nur an
über Kinder mit Diabetes und ihre Famili- Universitäten und mithilfe von Drittmit-
en Aufsehen: Allen Teilnehmern einer Fa- teln zu verwirklichen. Sie setzen eine
milientherapiesitzung wird kontinuierlich Manualisierung der therapeutischen Prakti-
Blut entnommen, dessen freie Fettsäuren ken in einer Therapieanleitung und ein
als Risikoindikator für Diabetes bestimmt. Training und sowie eine Überprüfung der
Diese steigen bei Kindern an und bleiben »Manualtreue« der Therapeuten voraus.
hoch, während und nachdem sie ihre El- Beispiele sind Forschungen zur Multifami-
tern beim experimentell angeregten Austra- lientherapie bei Anorexie am Londoner
gen elterlicher Konflikte beobachten. Diese Maudsley Hospital (Dare & Eisler, 2000;
Studien werden um 1980 nicht mehr fort- Eisler et al., 2016), zur Multidimensionalen
geführt (Coyne & Anderson, 1989) mit der Familientherapie bei Drogen und Delin-
Kritik, in ihnen stecke implizit eine Schuld- quenz in Miami/USA (Liddle et al., 2008;
zuweisung an die nicht-symptomatischen Szapocznik et al., 2012), zur Mentalisie-
Familienmitglieder, diese seien mitschuldig rungsbasierten Familientherapie (Asen &
an der Erkrankung ihres Angehörigen. Fonagy, 2012) am Londoner Anna Freud
Therapeutischer Fortschritt durch Praxisfor- Institut, zur Systemischen Therapie bei so-
schungsprojekte (1960–1990): In den klinisch zialer Angst (Hunger et al., 2016) und zur
spannendsten praxisnahen Forschungspro- Aufstellungsarbeit (Hunger et al. 2015;
jekten werden über mehrere Jahre Familien Weinhold et al., 2013) sowie zu systemi-
(häufig N = 20 bis N = 100) mit einem Stö- scher Kurzzeittherapie bei Partnerschafts-
rungsbild behandelt, die Interaktionen im konflikten (Aguilar-Raab et al., 2018) in
Therapieraum per Einwegscheibe oder Vi- unserer Heidelberger Arbeitsgruppe.
deo beobachtet und per Rating-Skalen Therapiefeedback als evidenzbasierte Praxis
typologisiert, die Interventionen verfeinert (seit etwa 2000): Die Dominanz des RCT-
und deren Wirkungen im Klientensystem Paradigmas in der Therapieforschung wird
beobachtet und katamnestisch nachunter- oft kritisiert (Wampold, 2001): Die Über-
sucht. Dieses Design kann auch außerhalb tragbarkeit der Studien in die Praxis ist
von Universitäten verwirklicht werden. Be- fraglich, die Patientengruppe aus methodi-
kannt geworden sind Studien zu Families of schen Gründen weniger »komorbid« als in
the slums (Minuchin et al., 1967), Psychoso- der Versorgungsrealität, die Effektstärken
matic families (Minuchin et al., 1978), Fami- sind abhängig von der Zuneigung (allegi-
lien mit anorektischen (Selvini Palazzoli, ance) der Forscher zu »ihrem« Verfahren,
1974; Selvini Palazzoli, 1978; Stierlin & die hohen Kosten solcher Forschung
Weber, 1989), krebskranken (Wirsching, schränken den Umfang möglicher Studien
1990) und psychotischen Mitgliedern (Ret- ein. Als Gegenmodell propagieren Thera-
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Wenngleich Zahlen hierzu nicht vorliegen, sche Familientherapie ist gut beforscht
orientiert sich nach unserer Erfahrung die (Falloon et al., 1988; Hahlweg, Kuschel &
Mehrheit heutiger Familientherapeutinnen Miller, 2000; Mattejat, 2002), scheint aber
und -therapeuten an Prinzipien Systemi- im deutschen Sprachraum in Praxiseinrich-
scher Therapie. Psychodynamische Famili- tungen selten praktiziert; Leitfiguren sind
entherapeuten sind im deutschen Sprach- Kurt Hahlweg, Guy Bodenmann oder Nina
raum im Verband psychodynamischer Fa- Heinrichs. Humanistische Ansätze sind in
milientherapeuten (VPF) organisiert, wich- der gut beforschten emotionsfokussierten
tige Leitfiguren waren oder sind Manfred Paartherapie abgebildet (Greenberg, 2004;
Cierpka, Günter Reich, Astrid Riehl-Emde Johnson, 2004), die große Resonanz auch
oder Georg Romer (Reich et al., 2007; unter Praktikern findet.
Riehl-Emde, 2003). Verhaltenstherapeuti-
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Salvador Minuchin
Salvador Minuchin wird 1921 in Entre Rios, einer argentinischen Kleinstadt in eine jüdi-
sche Großfamilie mit unzählig vielen Cousins und Cousinen geboren, was nach Mei-
nung seiner Familienbiografin Satuila Stierlin (2001) seine Theoriebildung über »Gren-
zen, Koalitionen und Subsysteme« sowie über »Verstrickung und Distanzierung« sehr be-
einflusst habe. Minuchin arbeitet nach dem Medizinstudium ab 1948 als Kinderarzt in
Buenos Aires, als Militärarzt und später als Kinderpsychiater in Israel, schließlich ab 1954
in den USA. Bekannt wird er durch zwei große Therapieforschungsprojekte: Families of
the slums (1967) mit delinquenten schwarzen Jugendlichen in einem Kinderheim und
Psychosomatic families (1978) mit asthmatischen, diabetischen und anorektischen Kindern
und Jugendlichen in einer Kinderklinik. In ihnen entwickelt er, in Zusammenarbeit mit
Braulio Montalvo, Bernice Rosman, Jay Haley u. a., seinen »strukturelle Familienthera-
pie« genannten, sehr aktiv-handlungsorientierten Therapiestil. Diesen vermittelt er ab
1975 im Trainingsprogramm der Philadelphia Child Guidance Clinic und ab 1988 bei
Family Studies Inc. in New York City an Familientherapeuten aus aller Welt. Zentral da-
rin sind eine sehr lebendige Kontaktaufnahme (joining) und recht direktive »Umstruktu-
rierungen« (restructuring) der beobachtbaren Familieninteraktionen während der Thera-
piesitzungen, z. B. durch Ändern der Sitzordnung, Unterbrechen kontraproduktiver Un-
terhaltungen oder Erproben bislang ungewohnter Verhaltensweisen. Minuchin bleibt bis
ins hohe Alter als Supervisor und Referent aktiv. Er stirbt 2017 in Florida. Sein Einfluss
besonders auf die Kinder- und Jugendlichen-zentrierte Familientherapie mit »externalisie-
renden« Problemen ist bis heute groß.
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42 Paartherapie
Peter Fraenkel
Dieses Kapitel fasst die Geschichte der Paar- lung des Feldes in den Vereinigten Staaten
therapie und ihren aktuellen Stand zusam- und bezieht die Geschichte der Sexualthera-
men. Es konzentriert sich auf die Entwick- pien nicht mit ein.
1 In den Anfangsstadien der Paartherapie waren die meisten hilfesuchenden Paare legal verheiratet
oder planten eine Ehe. Menschen in den vielen anderen Formen fester Beziehungen, wie unverheira-
tet zusammenlebende, auch schwule und lesbische, die bis vor kurzem in den USA nicht heiraten
konnten, suchten damals keine solche Unterstützung; daher wurde das Feld »Ehetherapie« genannt.
Der heute bevorzugte Begriff »Paartherapie« spiegelt die breitere, vielfältigere Palette von intimen
Paarbeziehungen wider, die heute sich in beziehungsorientierte Therapien begeben (Gurman & Fra-
enkel, 2002).
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42 Paartherapie
Das Feld unterscheidet drei Arten paarthe- man, 2002) bis hin zu denen, die Fraenkel
rapeutischer Präventionsmaßnahmen: pri- (2017a, 2018) »Paare am Rande der Tren-
märe Prävention, oft in Workshops mit nung« genannt hat – auch solchen, die sich
mehreren Paaren, für Paare ohne aktuelle bereits zu einer Scheidung entschieden ha-
Probleme; sekundäre Prävention für Paare ben und nun die Beziehung möglichst we-
mit beginnenden Beziehungsschwierigkei- nig konfliktträchtig beenden oder weiter-
ten; tertiäre Prävention als Behandlung von hin kooperativ sich die Kindererziehung zu
Paaren in großer Not (Fraenkel & Mark- teilen.
Don Jackson und das Mental Vereinbarung über die Rollen und Selbst-
Research Institute definitionen jedes Partners in der Bezie-
hung (Jackson, 1965, S. 592). Jackson unter-
Der bahnbrechende Theoretiker Don Jack- schied zwischen »komplementären«, bei de-
son, Gründer des Mental Research Institute nen jeder Partner ein anderes, oft gegen-
(MRI) in Palo Alto, Kalifornien, schlug sätzliches Verhalten an den Tag legt, und
Ende der 1970er Jahre zwei einflussreiche »symmetrischen« Beziehungsmustern, bei
Konzepte vor: die »Familienregeln« (Jack- der beide Partner die gleiche Art von Ver-
son, 1965) und die »Familienhomöostase« halten in der Beziehung zeigen. Diese Mus-
(Jackson, 1957). Familienregeln regulieren ter treten in »Teufelskreisen« immer wieder
ein »eheliches Geben und Nehmen« (Jack- in den unterschiedlichen Konfliktinhalten
son, 1965; Lederer & Jackson, 1968), eine des Paares hervor, zum Beispiel bei Geld,
meist unausgesprochene und unbewusste Kindererziehung, Sex oder Schwiegereltern.
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Der Fokus lag nun auf der Unterbrechung ihrer Differenzierung von ihren Herkunfts-
dieser »Teufelskreise« im gemeinsamen Ge- familien gesehen wurde. Die Therapie kon-
spräch und durch zuweilen provokante In- zentrierte sich auf die Erforschung von
terventionen. Diese Schleifen waren oft Herkunftsfamilienerfahrungen der einzel-
schwer zu durchbrechen, da sie eine Rolle nen Partner in Anwesenheit des anderen
bei der Aufrechterhaltung der »Homöosta- und die Darstellung intergenerationeller
se« des Paares spielten und Stabilität gaben Muster im »Genogramm« (McGoldrick, Ge-
bei internen Herausforderungen (z. B. bei rson & Petry, 2008; u Kap. 37). Ein Schlüs-
veränderten Nähe-Distanz-Wünschen oder selkonzept war das »Dreieck«: Eine instabile
beginnenden psychiatrischen Schwierigkei- Dyade rekrutiert einen Dritten, etwa ein
ten eines Partners) oder solchen von außen Kind, einen Schwiegersohn, eine Geliebte),
(z. B. bei der Geburt des ersten Kindes, bei eine Aktivität (erhöhte Arbeitsverpflichtun-
Schwierigkeiten mit Großfamilienmitglie- gen, zeitraubendes Hobby) oder ein Symp-
dern, beruflichem Stress oder Interventio- tom (Alkohol, Depression). Dieser Dritte
nen des Therapeuten)2. stabilisiert die Dyade vorübergehend, in-
dem er die Partner von ihren Problemen ab-
lenkt oder die gewünschte Distanz schafft.
Virginia Satirs Erlebensorientierte Die Partner werden gecoacht, bei der Rück-
Paartherapie kehr in ihre Herkunftsfamilien dort bei sol-
chen »Triangulierungen« nicht mehr mitzu-
Ein ganz anderer Ansatz wurde von Virgi- spielen, um sich dann auch in ihrer aktuel-
nia Satir (1964) entwickelt (ausführlich u len Ehebeziehung besser zu differenzieren.
Kap. 37). Ihr Ziel war es, Beziehungsmuster
im Dienst einer größeren »emotionalen
Kongruenz« und »Selbstverwirklichung« je- Strukturelle und strategische
des Partners zu verändern. Satir hatte einen Paartherapien
warmen, »nahe heranrückenden« Stil der
Arbeit mit Paaren, bei dem oft körperliche Aus Sicht der strukturellen Familienthera-
Berührung im Vordergrund stand. pie (Minuchin, 1974) sind Paarbeziehungen
gekennzeichnet durch den Grad der Enge/
Verbundenheit, als »Verstrickung vs. Ent-
Murray Bowens generationen- kopplung« bezeichnet, und die Hierarchie
übergreifender Ansatz zwischen den Polen »symmetrisch vs. asym-
metrisch«. Typischerweise wünscht sich ein
Murray Bowen (1978) entwickelte ab den Partner mehr Intimität/Verbundenheit als
1950er Jahren in Washington, DC, eine der andere, oder beide sind mit den Kräf-
Familiensystemtheorie darüber, wie Partner teverhältnissen zwischen ihnen unzufrie-
in einer Beziehung mit ihren jeweiligen den. Die Konzepte der interpersonellen
Herkunftsfamilien verbunden sind. Sein Fo- »Grenzen« und der konzentrischen Kreise
kus lag auf der intrapsychischen und zwi- des systemischen Kontextes (Bronfenbren-
schenmenschlichen «Differenzierung« bei- ner,1979) motivierten diagnostische Fragen
der Partner, deren Grad als abhängig von wie ob es den Partnern gelingt, private Zeit
2 Der MRT-Ansatz konzentrierte sich in erster Linie auf repetitive Interaktionen zwischen Paarpart-
nern. Es war Minuchin (1974) mit seinem Begriff der »offenen Systeme«, der den Fokus der Paarthe-
rapeuten aus dem eingeschränkten Bereich des Dyaden auf die Berücksichtigung der Auswirkungen
des größeren Systems auf Paare erweiterte.
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42 Paartherapie
für Intimität zu bewahren, oder ob Kinder, schnell an Popularität wegen zweier Risi-
Schwiegereltern oder andere mit ihren An- ken: dass Patienten unbeabsichtigt beleidigt
liegen in diese Partner-Zeiten eindringen; werden könnten und dass durch unge-
ob Informationen über die Gefühle der schickte Formulierung der paradoxen Inter-
Partner und ihre Zufriedenheit miteinan- ventionen sich die Symptome oder Bezie-
der zwischen ihnen bleiben oder mit Groß- hungsprobleme verstärken könnten. Im
familie oder Freunden geteilt werden; ob »Post-Mailänder«-Ansatz (Boscolo, Cecchin,
ein Partner seine Intimitätsbedürfnisse mit Hoffman & Penn, 1987) konzentrierte man
dem anderen Partner erfüllt oder über die sich daher auf »zirkuläre Fragen«, um Paa-
Grenze der Beziehung hinausgeht, um Lie- ren zu helfen, von gegenseitiger Schuld
be und Sex mit jemand anderem zu suchen; und linearem Denken zu einer Wertschät-
ob ein Partner sich dauernd als »Verfolger«, zung der gemeinsamen Verantwortung für
der andere als »Distanzierer« zeigt. »Enact- die Wechselwirkung ihrer Interaktionen zu
ments« (eine Art Rollenspiele) in der Sit- gelangen. Dieser Ansatz war in ganz Euro-
zung sollten ein besseres Gleichgewichte pa und in den USA lange Zeit sehr beliebt.
von Nähe und Macht fördern; Intensität
durch einprägsame Metaphern («Sie (die
Frau) sind eine Fischerin, und Sie (der Feministische Paartherapie
Mann) sind ein Fisch, der weg schwimmt«)-
oder eine »Balanceverschiebung«, in der der Beginnend mit der wegweisenden Publika-
Therapeut sich abwechselnd auf die Seite tion A feminist approach to family therapy
erst eines, dann des anderen Partners stellt, von Rachel Hare-Mustin (1978) führte die
sollten festgefahrene Beziehungsmuster in zunehmende Artikulation und institutionel-
Bewegung bringen. le Macht von Frauen in Wissenschaft und
Jay Haley (1963) und seine Partnerin Berufsorganisationen zu einer Beachtung
Cloe Madanes (1981) entwickelten eine kulturell bedingter Machtdiskrepanzen in
strategische Paartherapie, die sich auf die heterosexuellen Beziehungen, auch am Ar-
Bereitstellung von Zwischen-den-Sitzun- beitsplatz (Goldner, 1985, 1988) und bei
gen-Aktivitäten («Hausaufgaben«) mit oft häuslicher Gewalt (Goldner, Penn, Shein-
paradoxen Interventionen konzentrierte, berg & Walker, 1990). Die zunehmende
die einen therapeutisch produktiven Wider- Präsenz afroamerikanischer, lateinamerika-
standes hervorrufen sollten. Maria Selvini nischer und asiatischer Kollegen führte eini-
Palazzoli und ihre Kollegen in Mailand ge Jahre später zu einem Fokus auf kulturel-
(Selvini Palazzoli, Boscolo, Cecchin & Pra- le Vielfalt – auf die unterschiedlichen
ta, 1978) engagierten Haley als Berater, sozialen Positionen der Partner in ethni-
verfeinerten den Gebrauch des Paradoxons scher Zugehörigkeit, Staatsbürgerschafts-
in der Paartherapie und fügten mehrere status, Bildungsstatus, Klassenzugehörigkeit
paarspezifische Hausaufgaben hinzu. Diese – und wie diese Positionsunterschiede ei-
Art von Paartherapie war in den späten nem der Partner Privilegien gewähren und
1970er und frühen 1980er Jahren aufgrund zu Unterdrückungsprozessen führen kön-
ihres Versprechens eines schnellen Wandels nen (Boyd-Franklin, 1989; Falicov, 1995;
und ihrer dramatischen klinischen De- McGoldrick, Pearce & Giordano, 1982) –
monstrationen sehr beliebt. Doch sie verlor auch in interkulturellen Paaren3. Die stär-
3 Im Einklang mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte der Paartherapie werden die Erstausgaben
dieser Bücher und erste Artikel über die sich entwickelnde multikulturelle Modelle zitiert; der inter-
essierte Leser kann viele neuere Schriften dieser und anderer Autoren zu diesen Themen finden.
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ker werdenden Stimmen von schwulen, les- bei Ihnen die Führung übernimmt und Sie
bischen, bisexuellen und transsexuellen sich hoffnungslos fühlen lässt, was tun und
(GLBTQ) Kolleginnen und Kollegen regten können Sie tun, um sich gegen ›die Ge-
mehr Forschung über schwule und lesbi- scheiterte Ehe‹ zu wehren und deren Be-
sche Paare und über die Paartherapie mit hauptungen zu wiederlegen?« Eine ausge-
ihnen an (Greenan & Tunnell, 2002). zeichnete Beschreibung findet sich in Di-
ckerson (2010).
Postmoderne Paartherapie
In neuer Ausrichtung wieder da:
Postmoderne, später »poststrukturalistisch« Psychodynamische, humanistische,
genannte Therapien lehnten das »modernis- psychoedukative und kognitiv-
tische« Programm ab, allgemeine transkon- behaviorale Ansätze der Paartherapie
textuelle Theorien über Paarbeziehungen
und ihre Dysfunktionen empirisch zu tes- Der nun wiederkehrende Fokus auf die Ge-
ten. Alle bisherigen Therapieformen wur- danken und Gefühle der einzelnen Partner
den als zu hierarchisch angesehen und das erfolgte auch auf andere Weise mit einer
Bild von Therapeuten als Experten, die mit Neuausrichtung der psychodynamischen
normativen Theorien und Techniken das Paartherapie im Objektbeziehungs-Ansatz
Leben von Paaren diagnostizieren und ver- (Scharff & Scharff, 1987) und im sehr po-
ändern, infrage gestellt. Postmoderne The- pulären, empirisch unterstützten Ansatz
rapien wie die narrative und die konstruk- der emotional fokussierten Paartherapie
tionistische Therapie konzentrierten sich (Greenberg & Johnson, 1988; Johnson,
nun, unter theoretischem Rückgriff auf Mi- 2004), der die Bindungstheorie mit der ex-
chel Foucault (1980), darauf, wie Partner perientiell-humanistischen Familienthera-
sich und ihre Probleme mit einer vom pie integrierte.
kulturellen Umfeld ihnen auferlegten, oft In Phase IV wurden auch empirisch fun-
einschränkenden und pathologisierenden dierte, psychoedukative Programme für
Sprache definieren. Narrative Therapeuten frisch verheiratete Paare entwickelt und
helfen ihren Patientinnen und Patienten, verbreitet (Fraenkel & Markman, 2002). Sie
stattdessen Geschichten von Stärke, Kom- sind auch in Deutschland (Hahlweg, Mark-
petenz und Handlungsfähigkeit wiederzu- man, Thurmaier, Engl & Eckert, 1998) und
beleben und zu stärken. Techniken («Prak- Australien (Halford, 2011) zu finden.
tiken« genannt, um einen weniger macht-
und »technik«-orientierten, kollaborativen
Gesprächsstil zu benennen) umfassen die Integrationsversuche
»Dekonstruktion des Problems« (die kriti-
sche Untersuchung der Herkunft problem- Es entstanden zudem zahlreiche integrative
orientierter Beschreibungen) und die »Ex- Paartherapien, die systemische, kognitiv-
ternalisierung« der Problemsprache, in der verhaltenstherapeutische, psychodynami-
das Paarproblem wie ein Wesen beschrie- sche und andere Ansätze miteinander ver-
ben wird, das sich der Beziehung von au- banden (Gerson, 2010; Gurman, 1981; Fra-
ßen aufdrängt. So könnte der Therapeut enkel, 2011; Nielsen, 2016; Review von Fra-
die Beschreibung der Beziehung eines Paa- enkel, 2017b) und solche, die biologische
res als »gescheiterte Ehe« mit der Frage ex- Behandlungen und Neurowissenschaften
ternalisieren: »Wenn ›die Gescheiterte Ehe‹ integrieren (Fishbane, 2017; Pinsof, 1995).
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42 Paartherapie
Sie basieren nicht auf der Systemtheorie, können und einige akzeptiert werden müs-
sondern auf operanter Konditionierung, so- sen (Jacobson & Christensen, 1998). Zeitge-
zialen Lerntheorien, sozialer Kognition nössische Ansätze fördern pro-soziale Ver-
und Attributionen (siehe z. B. Bradbury, haltensweisen – wie tägliche Bekundungen
Fincham & Beach, 2000; Fischer et al., von Anerkennung und Bewunderung, die
2016). Sie haben sich auf die Vermittlung Förderung der Freundschaft innerhalb der
von Kommunikations- und Problemlö- Partnerschaft, das gegenseitige Verständnis
sungskompetenzen, auf Reziprozität in den für die Perspektiven und Gefühle des Part-
Aufgaben des täglichen Lebens und in der ners, eine größeren Reaktionsfähigkeit auf
Bekundung von Zuneigung konzentriert die »Bitten des Partners um Aufmerksam-
(«Verhaltensaustausch«; Stuart, 1969; Jacob- keit«. (Gottman & Gottman, 2015). Diese
son & Margolin, 1979).Der Ansatz aner- Ansätze betonen die Anweisungen des The-
kennt, dass nicht alle problematischen Un- rapeuten und die Psychoedukation. In den
terschiede zwischen Partnern gelöst werden USA sind sie weit verbreitet.
42.6 Fazit
Paartherapie ist in ihren Theorien und tionen der Partner befassen. Sie sind wahr-
Praktiken sehr vielfältig. Integrative Ansät- scheinlich die flexibelsten Ansätze zur Un-
ze scheinen die Welle der Zukunft zu sein, terstützung von Paaren. Ihre Ergebnisse
insbesondere solche, die sich auch mit der müssen durch Forschung noch bewertet
kulturellen Vielfalt und den sozialen Posi- werden.
El Hachimi, M. & Stephan, L. (2020). Paarthera- Gurman, A. S., Lebow, J. L. & Snyder, D. K.
pie – bewegende Interventionen: Tools für Thera- (2015). Clinical handbook of couple therapy (5th
peuten und Berater (6. Auflage). Heidelberg: ed.). New York: Guilford Press.
Carl-Auer. Retzer, A. (2017). Systemische Paartherapie. Kon-
Fraenkel, P. (2011). Sync your relationship, save zepte – Methoden – Praxis. Stuttgart: Klett-Cot-
your marriage: Four steps to getting back on ta.
track. New York: Palgrave-Macmillan. Riehl-Ehmde, A. (2003). Liebe im Fokus der Paar-
Gottman, J. S. & Gottman, J. M. (2015). 10 prin- therapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
ciples for doing effective couple therapy. New
York: W. W. Norton Company, Inc.
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»Wir alle können uns intuitiv etwas unter ei- nings (Moreno & Jennings, 1938) entwi-
nem Netzwerk von Sozialbeziehungen etwa ckelte Sozialforschungsmethode der Sozio-
in einer Schulklasse oder einem Unterneh- metrie als ein erster Ansatz der sozialen
men vorstellen« (Fuhse, 2016, S. 14). Formal Netzwerkforschung markiert (Stegbauer,
bestehen Netzwerke aus Knoten und aus 2010). Ende der 1970er Jahre entstand eine
Kanten (Verbindungen) zwischen den Kno- vereinheitlichte und anerkannte »Social
ten (Holzer, 2012). In sozialen Netzwerken Network Analysis« (May, 2013) – ein signi-
sind Personen oder Organisationen die Kno- fikanter Zugewinn eher an Methoden zur
ten und die Kanten stehen für die Sozialbe- Netzwerkanalyse als an Netzwerktheorie-
ziehungen. Soziale Netzwerke sind Bezie- bildung mit beeindruckenden empirischen
hungsgefüge zwischen Personen und/oder Effekten (Fuhse, 2016, S. 14). Der Soziologe
Institutionen. »Sie beruhen auf Reziprozität Granovetter (1973) wies nach, dass Arbeits-
und Vertrauen, beanspruchen einen Grad stellen oft über informelle soziale Bezie-
an Autonomie und ermöglichen das Verfol- hungen (»weak ties«) gefunden werden;
gen gemeinsamer Ziele und Aufgaben« McAdam (1988) beforschte die Bedeutsam-
(Maag Merki, 2009, S. 7; zit. n. Mayr, 2013). keit sozialer Netzwerke für die Rekrutie-
Neben Beziehungsnetzwerken gibt es auch rung von Aktivisten in sozialen Bewegun-
technische, z. B. Daten-Netzwerke oder gen. Burt (1992) zeigte, dass auch innerhalb
Stromnetzwerke (Weyer, 2000). von Unternehmen persönliche Netzwerke
Oft wird die von dem Psychiater More- den beruflichen Aufstieg befördern.
no (1934) und der Sozialpsychologin Jen-
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kurrenz (Schönig, 2015), weniger nach So- Sozialämter, Schulen, Polizei- und Ord-
lidaritätsregeln, wie dies lebensweltliche nungsbehörden, Agenturen für Arbeit,
Netzwerke vermehrt tun. Lebensweltliche Krankenhäuser, Sozialpädiatrische Zentren,
(primäre und sekundäre) wie institutionelle Frühförderstellen, Beratungsstellen, Famili-
(tertiäre) Netzwerke sind für Psychothera- enbildungsstätten, Familiengerichte und
pie relevant. Angehörige der Heilberufe (also auch Psy-
Ein illustratives Beispiel für ein tertiäres chotherapeutinnen und -therapeuten) ein-
Netzwerk sind die Netzwerke Frühe Hil- bezogen werden. Adressaten dieser Netz-
fen1 (NFH). In diese sollen nach dem Kin- werke sind oft Multi-Problem-Familien mit
derschutzgesetz (KKG) von 2012 Einrich- (erwarteten) Säuglingen und Kleinkindern
tungen der Jugendhilfe, Gesundheits- und mit Bedarfen.
Netzwerke sind systemtheoretisch nicht zen, wenn er ein Netzwerk als »das Muster
leicht einzuordnen. Können Netzwerke von Verbindungen innerhalb einer ge-
überhaupt als Systeme aufgefasst werden? schlossenen Population von Einheiten« de-
Die klassische Definition von Hall und Fa- finiert.
gen (1956, S. 18), wonach ein System »ein Niklas Luhmann, der führende System-
Satz von Elementen oder Objekten zusam- theoretiker, hat sich selbst wenig mit Netz-
men mit den Beziehungen zwischen diesen werken beschäftigt. Bommes & Tacke
Objekten und Elementen« darstellt, ähnelt (2007) identifizieren jedoch bei Luhmann
der Beschreibung von Netzwerken. Für die zwei Verwendungsweisen des Netzwerk-
neuere Systemdefinition von Willke (1993, konzepts. Von ihm wird der operative
S. 282) stellt eine Systemgrenze zwischen Modus der Verknüpfung kommunikativer
System und Umwelt ein zentrales Unter- Ereignisse als netzwerkartig beschrieben;
scheidungsmerkmal dar. Wie sieht es mit und er nimmt die empirische Existenz so-
(System-)Grenzen in Netzwerken aus? Dirk zialer Netzwerke wie die Mafia, Favelas
Baecker (pers. Mitteilung) betrachtet – be- oder Organisationsnetzwerke an (Wiesberg,
zugnehmend auf das Konzept des »uncer- 2016) – allerdings ohne daraus theoretische
tainty calculus« des relationalen Soziologen Schlussfolgerungen zu ziehen. Luhmann
Harrison C. White (1992) – ein Netzwerk sieht als theoretisch sinnvolle Elemente von
nicht als System, sondern als eine offene »Gesellschaft« und derer Teilsysteme be-
Struktur ohne Grenzen, die laufend neu kanntlich nicht Menschen an, sondern
kalkuliert, wer dazu gehört und wer nicht, Kommunikationsakte. Als kommunikativen
und wie sich die Beziehungen (Kanten) der Kernprozess von Netzwerken sieht die Orga-
einen Position (Knoten) ändern, wenn an- nisationssoziologin Veronika Tacke (2013,
dere Beziehungen ins Spiel kommen. Fuhse S. 154) »Reziprozitätskommunikation« an:
(2016, S. 217) hingegen beobachtet Gren- »Kommunikation kann in Netzwerken in
1 https://www.fruehehilfen.de/fruehe-hilfen/was-sind-fruehe-hilfen/
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dem Maße stabilisiert werden, wie sie sich werks setzt voraus, dass zwischen Geben
auf Reziprozitäten der Leistungskommuni- und Nehmen die Differenz des Nichtaus-
kation stützt und mit Blick auf offene Zu- gleichs beobachtet wird. Wer etwas be-
künfte und ›Gegengaben‹ hinreichendes kommt, generiert die Erwartung, bei pas-
Vertrauen zu erzeugen vermag. Wichtig zu sender Gelegenheit etwas zurückzugeben,
sehen ist, dass diese Reziprozität in der und womit die Netzwerkbeziehungen stabili-
durch die Netzwerkkommunikation selbst siert und abrufbar gehalten werden« (Kleve,
– damit selbstreferentiell – erzeugt werden 2016; 2017).
muß«. Ein Zitat eines Akteurs aus einem Ochs et al. (2017) haben anhand der
Netzwerk Frühe Hilfen veranschaulicht, Netzwerke Frühe Hilfen Überlegungen
was Reziprozitätskommunikation bedeuten für systemisch-professionelles Handelns in
kann: »Ja und vor allen Dingen, dass man Netzwerken entwickelt. Sie definieren
versucht ›Win-Win-Situationen‹ zu schaf- Netzwerke auf der Grundlage von System-
fen. Dass alle Beteiligten an dem Prozess theorie und Konstruktivismus (Ochs, 2013)
gewinnen oder dass alle Beteiligte ohne so: »Ein Netzwerk ist ein komplexes sozia-
persönliche Nachteile an dem Prozess auch les Beziehungsgefüge, dessen kommunikati-
mitwirken können« (Ziegenhain et al., ver Kernprozess Reziprozitätskommunika-
2010, S. 73). Ein Ausgleich von Geben und tion zwischen den Akteuren darstellt, und
Nehmen wird allerdings niemals vollstän- das nach Selbstorganisationsprinzipien ope-
dig erreicht – denn dann würde das Netz- riert« (Ochs et al., 2017, S. 27).
werk zerfallen: »Die Autopoiesis des Netz-
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43.6 Verzweigungen
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Kommunale Resilienzförderung
in darniederliegenden Regionen Kollaborative Programmplanung
(»Die Klienten planen mit«)
Judith Landau (2007) nutzt systemische
Praktiken für die Resilienzförderung trau- Peter Fraenkel (2006, 2020) hat diesen kol-
matisierter Nachbarschaften und Gemein- laborativen Arbeitsstil in einem Handlungs-
den, etwa nach verheerenden Naturkatast- forschungsprojekt mit Multifamilien-Grup-
rophen, kriegerischen Auseinandersetzun- pendiskussionen mit wohnsitzlosen Famili-
gen oder industriellen Massenentlassungen. en in Notunterkünften der New Yorker
In ihrem kommunalen Resilienzförde- Stadtteile Harlem und Bronx umgesetzt.
rungsmodell »Menschliche Systeme verbin- Der Planung dieser Multifamilien-Grup-
den« setzt sie darauf, natürliche Bezie- pendiskussionen gingen intensive Inter-
hungsressourcen wieder auffindbar zu ma- views mit betroffenen Familienmitgliedern
chen, zerstörte Verbindungen wieder neu und lokalen Sozialbetreuern voraus. Aus
zu knüpfen und dies insbesondere mit der der Auswertung entstand ein erstes Manual
Hilfe örtlich akzeptierter Führungsperso- für diesen Gruppenabend. Es wurde zu-
nen. Auf regelmäßigen »Montagmorgenspa- nächst mit einer Pilotgruppe erprobt, die
ziergängen« werden zerstörte oder herun- Sitzung für Sitzung kommentierte, worauf-
tergekommene Stadtteile mit immer mehr hin Teile des Programms verändert wur-
neu aktivierten Unterstützern durchwan- den. Die kontinuierliche Evaluation und
dert, dabei konkrete Wiederaufbauschritte Anpassung des Manuals geht weiter; bis
vor Ort diskutiert, potenzielle neue Mitma- heute nahmen mehrere hundert Familien
cher zu Hause besucht und zum Mitwirken an diesen Gruppen teil.
eingeladen. Landau berichtet von Erfahrun-
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