Sie sind auf Seite 1von 60

N e g a s p h ä r e B a n d 8 4

Nr. 2483

Uwe Anton

Die Nadel
des Chaos
Einsatz in GLOIN TRAITOR – Entscheidung für ESCHER

Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale
Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kom­
promisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz
einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein
Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems,
dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm
und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören. Hinzu kommen erste Erfolge im Angriff: die Zerstörung
von CRULT etwa oder das Vordringen nach Hangay.
Nachdem es dem Weltweisen, der Parapositronik ESCHER und dem Mittelteil der SOL gelungen ist, sich
von Einheiten der Kolonne selbst zum Herz der entstehenden Negasphäre tragen zu lassen, steht ihr
nächstes Ziel fest: die Vernichtung von GLOIN TRAITOR. Denn dies ist DIE NADEL DES CHAOS ...
4 UWE ANTON

Prolog der Raum verblich wieder. Sie plärrte


Atarin mechanisch, aber mit Überzeugungs­
kraft. Mein Leben für Arkon!
In seinem Schädel hämmerte es. Er Licht fiel auf seine Augenlider, und er
hatte den Eindruck, sein Kopf müsse je- öffnete sie. Über den Himmel zog ein
den Augenblick platzen. dreidimensionales, hell leuchtendes
Seine Gedanken flossen furchtbar trä- Bild. Drei Planeten auf ein und dersel­
ge, er konnte sich nicht konzentrieren, ben Umlaufbahn um eine große weiße
verlor den Faden, schweifte ab, dachte Sonne. Tiga Ranton, fiel ihm wieder
schon etwas Neues, bevor er das Alte zu ein.
Ende gebracht hatte. Ein Gedanke war Und er ... Er war auf der Rüstungs­
so wertlos wie der andere, keiner hatte welt, dem neuen Planeten, dem ehema-
Bedeutung. ligen Subtor.
Er fragte sich, wo er war; er wusste es Er war ... Er war ...
nicht. Es berührte ihn Bevor es ihm wie­
nicht. der einfiel, wechselte
Noch gleichgültiger das Bild am Himmel
stellte er fest, dass er Die Hauptpersonen des Romans:
abrupt. Nun zeigte
nicht einmal wusste, es eine Stadt, nein,
wer er war. Agent Atarin – Ein Traum wird wahr und zer- Trümmer in einer
bricht.
Dann dehnten sich Stadt, schwerbeschä­
die Schmerzen vom ESCHER – Die Parapositronik rechnet mit digte, auf den Spit-
dem Schlimmsten.
Kopf in den Körper zen stehende Trich­
aus. Er konnte sie Laurence Savoire – Der Erste Kybernetiker terbauten, die sich um
erkundet die Nadel des Chaos.
nicht mehr genau lo­ einen tiefen Krater
kalisieren, sie waren Isokrain – Der Kosmitter muss für ESCHER scharten.
handeln.
überall. Eigentlich Eine Szene von
war es ein Schmerz, Pal Astuin – Ein Avatar greift ein. einem anderen Pla­
der ihn von oben bis neten, wurde ihm klar.
unten durchdrang. Eine unter dem Licht
Verdammt. einer gelbroten Son-
Was war passiert? ne.
Dieses plötzliche Interesse erstaunte »Auf Dargnis haben Geheimdienst­
ihn. Einheiten der Liga Freier Terraner ein
Er öffnete die Augen. Zuerst sah er weiteres hinterhältiges Attentat durch­
alles nur verschwommen. geführt ...«, fuhr die Stimme dröhnend
Erdreich. Nein, besser gesagt Matsch. fort.
Feuchter Boden. Wasserpfützen. Ich sehe unmögliche Bilder, dachte er.
Stiefel, vier, fünf Meter entfernt. Und Leide ich an Wahnvorstellungen?
Halbschuhe. Flache von Männern, ele- Die Bilder wechselten zu schnell, als
gante hochhackige von Frauen. dass sein in Mitleidenschaft gezogener
Er lag irgendwo auf dem Boden, ein Verstand sie bearbeiten oder nur ein­
gutes Stück von einer Straße entfernt, ordnen konnte, und sein Geist zog sich
oder einem Platz. Für einen Moment zurück in die ... die Quarantäne-Sta­
glaubte er, vor seinem geistigen Auge zu tion.
sehen, was ihm zugestoßen war. Ein Eine Gestalt stand nun darin, ein
Raum, ein großer, völlig leerer Raum. Mensch. Ein Mann.
Weiße Wände? Vielleicht auch graue. Er kannte ihn.
Aber wieso war der Raum völlig leer? Er kannte ihn, und er hatte ihn nie
Eine Quarantäne-Station, dachte er. besonders gemocht. Im Gefühl, von allen
Eine Stimme drang an sein Ohr, und verkannt worden zu sein, war dieses ...
Die Nadel des Chaos 5

dieses Subjekt durchdrungen von Hass. 1.


Skrupellos und moralisch unzulänglich, Hangay
beherrscht von Enttäuschung, Trauer, 9. Oktober 1347 NGZ
Angst, dem Gefühl von Verlorenheit und
Sinnlosigkeit sowie Verachtung und »Rücksturz in den Normalraum!«,
Machtgier. teilte ESCHER mit und spielte die Holos
Aber der Name des Mannes fiel ihm ein, die die Parapositronik von den Or­
einfach nicht ein. tersystemen des Forts TRAICOON 06­
Eine Legende, die niemals gelebt hat­ 202a übernommen hatte.
te ... Dr. Laurence Savoire glaubte einen
Das war Unsinn. Sie hatte gelebt. Er Moment lang, die Hölle würde sich vor
hatte sie ja gekannt. Irgendwann, ir­ ihm auftun. Die gleißende Helligkeit in
gendwie, irgendwo. den dreidimensionalen Darstellungen
Unvermutet materialisierten in der war selbstverständlich gefiltert, und
Quarantäne-Station drei Personen. Die dennoch befürchtete der Erste Kyberne­
erkannte er sofort. tiker der Parapositronik, das Fegefeuer
Jeder Terraner kannte sie. Der eine würde sich in ESCHERS Schaltzentrale
war Atlan, der unsterbliche Arkonide. ausbreiten und ihn verbrennen, zumin­
Und die beiden Monochrom-Mutan­ dest mit sich zerren in die umfassende,
ten ... Wie hießen sie noch gleich? Ja, wirbelnde, allgegenwärtige Energie, die
genau: Startac Schroeder und Trim Ma­ sich vor dem gewaltigen Kolonnen-
rath. Fahrzeug auftat.
Alle drei hielten Thermostrahler in Schockiert krallte er die Finger in die
den Händen und eröffneten ohne Vor­ Lehnen seines Sessels.
warnung das Feuer auf den anderen Der Weltraum brodelte. Anders konn­
Mann. Glühende Strahlen jagten in des­ te Dr. Savoire das energetische Inferno
sen Körper, durchschnitten ihn und sondergleichen nicht beschreiben, die­
löschten sein Leben aus. Der Mann sen unglaublichen thermodynamischen
schrie, brüllte und krümmte sich zusam­ Mahlstrom, den ein menschlicher Geist
men. eigentlich gar nicht erfassen, geschwei­
Brach, gefangen in einem mörde­ ge denn begreifen konnte.
rischen Schock, endgültig zusammen. Athaniyyon, das gewaltige Schwarze
Und starb. Loch im Zentrum der Galaxis Hangay,
Atlan und die beiden Mutanten hatten in der Darstellung eine Scheibe aus alles
ihn erschossen. versengendem Licht, die rasend schnell
Ich habe es gesehen, dachte er. Miter­ rotierte. Ein riesiges Objekt, dessen Gra­
lebt. vitation so hoch war, dass die Fluchtge­
Aber er konnte sich nicht daran erin­ schwindigkeit für dieses Objekt von sei­
nern, Atlan jemals begegnet zu sein, ge­ nem Ereignishorizont an höher lag als
schweige denn den Mutanten. die Lichtgeschwindigkeit. Selbst elek­
Plötzlich fiel ihm der Name des Man­ tromagnetische Wellen konnten den Er­
nes wieder ein, den Atlan erschossen eignishorizont nicht verlassen. Daher
hatte. erschien er dem menschlichen Auge
Vitkineff. vollkommen schwarz.
Rutmer Vitkineff. Genauso dunkel stellten die Holos der
Er hatte gesehen, wie Rutmer Vitki­ energetischen Ortung ihn dar: ein
neff getötet worden war. Schwarzes Loch im Raum-Zeit-Gefüge,
Er hatte es gesehen, und dennoch umgeben von eben jener gleißenden ro­
wusste er mit absoluter Sicherheit, dass tierenden Scheibe.
Vitkineff dabei nicht gestorben war. Er Die Instrumente hatten eine kaum zu
war zurückgekehrt. bewältigende Schwerstarbeit zu leisten.
6 UWE ANTON

Dieses Phänomen, das selbst das Licht stammte von anderen Sonnen, die in ab­
fraß, verursachte zu allem Überfluss sehbarer Zeit dem Schwarzen Loch zum
durch seine enorme Gravitation eine ge­ Opfer fallen würden und bereits jetzt
waltige Veränderung, eine extreme Materie verloren, die zu der unfassbaren
Krümmung, der geometrischen Struktur Scheibe strudelte und dort schließlich
von Raum und Zeit, eine Ringsingulari­ weiter mitgerissen wurde.
tät. Athaniyyon krümmte die Struktur Diese Himmelskörper waren keines­
der Raumzeit nicht nur, es riss sie mit wegs die ersten, die dem Schwarzen
sich mit, drehte sie in seiner Bewegungs­ Loch zum Opfer fallen würden. Atha­
richtung, zwang sie in die Form eines niyyon hatte sich offenbar erst vor
Ellipsoids. Kurzem eine Reihe von Sternen einver­
Der Ereignishorizont, dachte Savoire. leibt und lief nun zu beachtlicher Akti­
Die äußere Grenze des Schwarzschildra­ vität auf. Ober- und unterhalb der Ak­
dius ... kretionsscheibe entsprangen gebündelte
Dr. Savoire wollte sich zur Ruhe zwin­ gleißende Jetstrahlen, die sich über
gen, die Daten lesen, die die kleineren mehrere hundert Lichtjahre ausdehnten.
Holos präsentierten, doch es gelang ihm Sie bestanden aus Gas und Plasma, das
nicht. Er wollte das gesamte Bild auf das Schwarze Loch aus der rotierenden
einmal aufnehmen, verarbeiten, doch Scheibe angesammelt hatte. Nur ein Teil
auch das war ihm nicht möglich. Sein der Scheibenmaterie erreichte das Black
Blick verharrte auf einer Sonne – einer Hole, der andere Teil strömte senkrecht
Sonne! –, die von Gezeitenkräften ein­ zur Rotationsebene weg.
fach zerrissen wurde. Der gewaltige Athaniyyon stieß die Materiestrahlen
Himmelskörper wurde wie von der Hand nahezu mit Lichtgeschwindigkeit aus;
eines unsichtbaren Riesen in die Länge spiralförmig angeordnete Magnetfeldli­
gezogen, hatte sich von einem annä­ nien sorgten für ihre Bündelung. In ih­
hernd kugelförmigen Objekt in ein Oval nen wurde ein Teil der verschlungenen
verwandelt, dann in einen Schlauch, der Materie in Energie umgewandelt und als
nun immer schmaler und länger wurde, sehr starke und sehr harte Gammastrah­
bis er schließlich an mehreren Stellen lung oder Teilchenstrom weggeschleu­
gleichzeitig auseinanderbrach. Unvor­ dert. Immer wieder trafen sie in größerer
stellbare Energien verschwanden ein­ Distanz auf interstellare Materie und
fach, als hätten sie nie existiert, wurden erzeugten dabei Stoßwellen und Regio­
von einem schwarzen Moloch im Zen­ nen, in denen sich stark ionisierte Wol­
trum des Gleißens eingesogen, zu dün­ ken mit hohen Geschwindigkeiten be­
nen Fäden reduziert und dann an einen wegten.
Ort ohne Wiederkehr verbannt. Savoires Verstand drohte bei dem An­
Jenseits von Athaniyyon. blick den Dienst zu versagen, obwohl
Savoire versuchte erneut, die Daten der eigentliche Ereignishorizont eine
zu lesen, gab aber nach zwei, drei Se­ ganze Strecke weit entfernt war. Endlich
kunden wieder auf, starrte auf die Ak­ gelang es ihm, das Auge zu schließen,
kretionsscheibe vor ihm. Praktisch un­ sich zu zwingen, tief durchzuatmen.
unterbrochen stürzte Materie mit hoher Sich zu beruhigen, sich nicht mehr
Geschwindigkeit auf das Schwarze Loch von den visuellen Eindrücken leiten zu
zu, wurde dabei erhitzt und emittierte lassen, sondern das, was er vor sich sah,
einen Teil seiner Masse in Form von ruhig und nüchtern zu analysieren.
Gammastrahlung. Extrem beschleu­ Irgendwann öffnete er das Auge wie­
nigtes Plasma jagte mit unvorstellbarer der und richtete den Blick auf die Da­
Geschwindigkeit, scheinbar Blasen tenholos.
schlagend, sich aufblähend und wieder
zusammenfallend, auf die Scheibe zu. Es *
Die Nadel des Chaos 7

Nicht hinsehen!, mahnte er sich. Nicht us betrug fast 48 Millionen Kilometer,


die Bilder betrachten! Nur die Daten le­ der Durchmesser des Ereignishorizonts
sen! also rund 96. Das entspricht fast dem
Aber das Denken fiel ihm schwerer Abstand von der Sonne bis zur Venus!,
denn je. Hier in der Kernzone von machte Savoire sich klar, um sich dann
Hangay erreichte das Vibra-Psi eine be­ beinahe sofort wieder zur Ordnung zu
reits fast schmerzhafte Intensität, gegen rufen: Nur die Daten, Laurence! Sieh
die er kaum ankämpfen konnte. nicht hin! Nur die Daten!
Er zwang sich, den Blick bewusst von Er kniff das Auge zusammen und las,
dem Schwarzen Loch fernzuhalten, sich gezwungen unbeteiligt, als handele es
auf die Umgebung zu konzentrieren. sich um eine wissenschaftliche Ab­
Im direkten Zentrum der Galaxis lag handlung und nichts, was ihn direkt
der Abstand der Sterne deutlich unter­ betraf.
halb von einem Lichtjahr, auch wenn ihr Der Durchmesser der Akkretions­
Leuchten gegenüber dem der Akkre­ scheibe betrug 235 Millionen Kilometer,
tionsscheibe verblich. Und die Sonnen die Temperaturen erreichten mehrere
waren nicht gleichmäßig angeordnet. Je Millionen Grad. Der Scheibenrand ro­
näher man dem eigentlichen Zentrum tierte mit etwa 135.000 Kilometern pro
kam, desto geringer wurden die Abstän­ Sekunde, was fast 45 Prozent der Licht­
de zwischen ihnen, bis es sich letzt­ geschwindigkeit entsprach. Dennoch
lich nur noch um Lichtwochen oder gar benötigte er für einen Umlauf andert­
-tage handelte. halb Stunden.
Schon allein damit war eine konven­ Und Athaniyyon war nicht allein: Im
tionelle Strahlung von beachtlicher Umfeld von vielleicht vier Lichtjahren
Stärke verbunden. Elektromagnetische tummelten sich insgesamt rund 27.000
Strömungen durchdrangen das Gefüge kleinere Schwarze Löcher mit bis zu
der Raumzeit, Partikel vereinigten sich 1300 Sonnenmassen.
zu gewaltigen Flüssen, die es zusätzlich Siebenundzwanzigtausend!, dachte
aufwühlten. Savoire.
Hinzu kamen, wie Savoire wusste, ob­ Wenn es nicht nur eine Hölle für Men­
wohl er als Kybernetiker nicht gerade schen, sondern auch für Galaxien gab,
ein Fachmann war, die allgemeinen hy­ erblickte er sie in diesem Moment. Solch
perphysikalischen Aspekte. Ein starker eine Kernzone war ein natürlicher Hort
Hyperorkan tobte, wie eigentlich fast der Mächte des Chaos, lebensfeindlich,
immer im Zentrum einer Galaxis. Über­ unbeherrschbar, scheinbar von keiner
schlagblitze rissen den Raum auf, unbe­ Ordnung durchdrungen, obwohl für das
greifliche Gravitationskräfte schlugen alles natürlich doch ordnende astrophy­
auf Sonnen und Planeten ein und droh­ sikalische Prinzipien verantwortlich
ten sie zu zerreißen. Die natürliche Folge waren.
der Sternendichte und des allgemeinen Doch das Gesamtbild, das diese Ord­
Strahlungspegels im galaktischen Zen­ nung erzeugte, war für den mensch­
trum belastete das Gefüge der Raumzeit lichen Geist auf Anhieb genauso unvor­
zusätzlich fast bis zur Überbeanspru­ stellbar, unbegreifbar wie das Prinzip
chung. des Chaos, von der theoretischen, wis­
Die Daten!, dachte Savoire wieder. senschaftlichen Ebene einmal abgese­
Nur die Daten! hen. Die Astrophysiker konnten erklä­
Abstrakte Zahlen würden ihm helfen, ren, was an einem solchen Ort vor sich
das Unfassbare zu verstehen. ging, wirklich begreifen konnten sie es
Das riesige Schwarze Loch hatte be­ nicht.
reits über 16 Millionen Sonnenmassen in Das konnte vielleicht nicht einmal
sich vereinigt. Sein Schwarzschildradi­ Perry Rhodan, der Mensch mit dem
8 UWE ANTON

größten kosmischen Bewusstsein all sei­ Dr. Savoire stöhnte leise auf. Auch
ner Zeitgenossen. wenn er das Auge geschlossen hielt,
»Was tue ich eigentlich hier?«, flüster­ konnte er nicht eine Sekunde lang ver­
te Savoire. »Weshalb bin ich hier, an die­ gessen, wo er war. Das hatte nichts mit
sem grausamen Ort?« seiner Vorstellungskraft oder seinen Er­
Er schloss erneut das Auge und zwang innerungen zu tun. Auch wenn es keine
sich, über die Vergangenheit nachzuden­ direkte Gefahr für Leib und Leben bil­
ken, um die Gegenwart nicht mehr sehen dete, war das Vibra-Psi hier in der Kern­
zu müssen. zone so intensiv, dass er jederzeit
wahrnahm, dass er sich an einem unge­
* wöhnlichen Ort des Universums auf­
hielt. Er fragte sich, ob auch Isokrain so
Sie befanden sich in einem Hangar stark davon betroffen war. Der ehema­
an der Außenseite des Kolonnen-Forts lige Kosmitter war schließlich im Prin­
TRAICOON 06-202a, im Inneren der zip nichts anderes als ein Avatar des
Steuerzentrale ESCHERS, versteckt im Weltweisen, der ihm seinen alten Körper
Versorgertrakt des Weltweisen von Az­ wieder zur Verfügung gestellt hatte,
dun, der sich mit der Parapositronik zu­ wenn auch mit einigen parapsychischen
sammengetan hatte, um GLOIN TRAI­ Fähigkeiten, die er zuvor nicht besessen
TOR zu infiltrieren, die Nadel des Chaos hatte.
der Terminalen Kolonne TRAITOR. Der Kybernetiker sah ein, dass es kei­
Ziel des Weltweisen war es letztlich, ne Lösung war, einfach das Auge zu
dabei seine körperliche Existenz aufzu­ schließen, um die Umgebung nicht mehr
geben und zu einer Wesenheit höherer wahrzunehmen. Das funktionierte nur
Ordnung zu werden, während ESCHER für kleine Kinder, wenn überhaupt.
im Auftrag des Nukleus der Monochrom­ Trotz des schockierenden Anblicks des
mutanten versuchen wollte, durch die Schwarzen Lochs, trotz der Auswir­
Sabotage GLOIN TRAITORS den kungen des Vibra-Psi, musste er sich mit
Grenz- sowie den Kernwall Hangay für seiner Mission befassen, so viele Infor­
die Raumschiffe aus der Milchstraße mationen wie möglich aufzunehmen.
und verbündeter Parteien durchgängig Sich dem Unbegreiflichen stellen.
zu machen. Dabei konnten weder der Er öffnete das Auge wieder.
Weltweise noch die Parapositronik mit
Bestimmtheit sagen, ob diese Hilfe *
rechtzeitig oder überhaupt eintreffen
würde. Die Holos zeigten nun nicht mehr die
Das Kolonnen-Fort war Bestandteil Akkretionsscheibe, sondern hatten sich
des sogenannten Portivabschnitts 3h3h2, auf ein Objekt konzentriert, das in un­
der aus 24 aneinandergeflanschten Ko­ mittelbarer Nähe von ihr dahinzutrei­
lonnen-Forts mit einer Gesamthöhe von ben schien.
216 Kilometern bestand. 15 Kolonnen- Dr. Savoire schnappte unwillkürlich
Fähren hatten ihn von dem Ort inner­ nach Luft. Natürlich hatte er gewusst,
halb des Grenzwalls, an dem er zusam­ was ihn hier, am Ende ihrer Reise, er­
mengesetzt worden war, durch den wartete, doch zwischen Wissen und Ver­
Hyperraum zum Zentrum der Galaxis stehen gab es einen Unterschied. Eigent­
geschleppt. Dort, am Schwarzen Loch lich war die Existenz dieses Objekts an
Athaniyyon, befand sich GLOIN TRAI­ einem solchen Höllenort kaum zu fas­
TOR, arglos gegenüber dem Trojanischen sen.
Pferd, das so plötzlich in der Kernzone GLOIN TRAITOR!
der entstehenden Negasphäre aufge­ Warum muss sich die Nadel des
taucht war. Chaos ausgerechnet hier befinden, im
Die Nadel des Chaos 9

Zentrum von Hangay?, fragte sich Dr. sollte. GLOIN TRAITOR spielte eine
Savoire. maßgebliche Rolle bei der Entstehung
Die Ortungsanzeigen hoben ein Gebil­ und Förderung solcher Bedingungen.
de aus 1008 übereinandergestapelten Savoire riss sich zusammen. Ihm war
TRAICOON-Forts hervor, alle baugleich klar, dass er das Gebilde nicht in seiner
mit dem, in dem die Weltkugel des Gesamtheit erblickte. Die beiden Flan­
Weltweisen transportiert wurde. Ein ge­ kenabschnitte GLOIN TRAITORS wa­
waltiger schwebender Abschnitt Gigant- ren nicht sichtbar. Sie reichten in den
DNS am gleißenden Rand der Hyperraum und konnten unter den ge­
Akkretionsscheibe ..., dachte der Kyber­ gebenen Umständen nicht geortet wer­
netiker und schaute wieder auf die Da­ den. Wie weit diese Abschnitte schon
tenholos. fertig gestellt waren, konnten weder
Das Gebilde, das eine Länge von 9072 ESCHER noch der Weltweise mit Be­
Kilometern erreichte, sah in der Tat aus stimmtheit sagen. Da die Terminale Ko­
wie ein gewundener Strang Desoxyribo­ lonne den Hangay-Feldzug jedoch erst
nukleinsäure, des in allen irdischen Le­ vor relativ kurzer Zeit eingeleitet hatte
bewesen vorkommenden Biomoleküls, und er sich, nach den Zeitmaßstäben
Trägerin jeglicher Erbinformationen: TRAITORS gesehen, noch am Anfang
eine Doppelhelix, deren Windungen ein­ befand, dürfte zu einer vollständigen
ander schraubenartig umliefen. Rein Nadel des Chaos allerdings noch ein
chemisch gesehen handelte es sich um gutes Stück fehlen.
ein langes Kettenmolekül aus Einzelstü­ Aber man war fleißig und unablässig
cken, den Nukleotiden. Die Bezeichnung an der Arbeit. Auf zahlreichen Baustel­
Nadel des Chaos hatte GLOIN TRAI­ len entstanden Portivabschnitte wie der,
TOR wegen des vergleichsweise nadel­ in dem sie sich verbargen, und wurden
dünnen, aber immer noch eindrucksvol­ dann zu dem Schwarzen Loch im Zen­
len Durchmessers von 17,6 Kilometern trum von Hangay verlegt.
erhalten. »Unfassbar«, sagte Isokrain der Kos­
Die Terminale Kolonne TRAITOR mitter neben ihm. Der Insektoide war
hatte diese Form nicht zufällig gewählt. unvermittelt neben ihm materialisiert.
Wie die DNS unter anderem die Gene Er hatte sich während des Flugs öfter
trug, die die Ribonukleinsäuren und beim Weltweisen als in ESCHERS
Proteine kodierten, die für die biolo­ Schaltzentrale aufgehalten.
gische Entwicklung eines Organismus Savoire nickte geistesabwesend und
und den Stoffwechsel in seinen Zellen rief weitere Holos und Daten auf, um
notwendig waren, bildete ein Kosmo­ sich einen Überblick zu verschaffen.
nukleotid einen Teil des Moralischen Rings um die Gigantnadel hatten Un­
Kodes, der das gesamte Multiversum mengen von Kolonnen-Einheiten Positi­
ebenfalls in Form einer Doppelhelix on bezogen. Aktuelle Zählungen kamen
durchzog – eine unvorstellbar große An­ auf mindestens 50.000 Traitanks, Dut­
sammlung von psionischen Informa­ zende Kolonnen-Forts, die sich teilweise
tionsstrukturen, die die Gegebenheiten zu Trios oder Quartetten gekoppelt hat­
und die Entwicklung jenes Teils des ten, zahlreiche Kolonnendocks und Ko­
Universums festlegte, für die sie zustän­ lonnen-Fabriken – und drei Kolonnen-
dig war. MASCHINEN! Die Formation sämtlicher
Kosmonukleotide schufen Ordnung. Einheiten deutete darauf hin, dass sie
Ohne sie war dem Chaos Tür und Tor die Nadelstation abschirmten. Die Po­
geöffnet, und solche chaotischen Bedin­ sitronik hatte auch mehrere Raum-Zeit-
gungen waren Grundlage für die Entste­ Router entdeckt, die ebenfalls in dem
hung einer Negasphäre, wie sie gegen­ Pulk flogen und permanent Signale in
wärtig in Hangay zustande kommen das umgebende Chaos abstrahlten.
10 UWE ANTON

ESCHER blendete andere Holos ein. tenden Bewegung wurde wie aus dem
Sie zeigten vier Kolonnendocks, die sich Nichts der Flankenabschnitt sichtbar,
dem Portivabschnitt näherten, gewal­ für dessen Ausbau der Portivabschnitt
tige Gebilde, die aus modularen abkop­ gedacht war.
pelbaren Werftringen bestanden, in de­ Dem Kybernetiker wurde abrupt klar,
nen defekte Einheiten repariert oder dass Portivabschnitt 3h3h2 zu den Flan­
provisorisch für den weiteren Einsatz kenabschnitten im Hyperraum gehörte.
vorbereitet werden konnten. Im Gegen­ Wieder wechselten die Bilder. Die
satz zu TRAICAH- und TRAIGOT-Fa­ Wandung eines TRAICOON-Forts wur­
briken waren ihre Ober- und Untersei­ de auf den Holos immer größer, bis Sa­
ten nicht von Gebäuden übersät, sodass voire schon glaubte, im nächsten Augen­
mehrere Ringe übereinandergestapelt blick würde ein Aufprall erfolgen. Doch
werden konnten. sanft änderte der Portivabschnitt die
Jeder davon war acht Kilometer hoch, Richtung, bis er schließlich parallel zu
und jeweils drei von ihnen bildeten ein GLOIN TRAITOR an der Außenhülle
Dock. Die Gesamthöhe des so entstan­ der Nadel des Chaos entlangdriftete.
denen Hohlzylinders betrug also 24 Ki­ Die Positronik zählte mit, während
lometer, der Außendurchmesser gar 40, auf dem Holo eines der gestapelten
der Innendurchmesser immerhin noch TRAICOON-Forts dem anderen folgte,
25. Solch ein Dock konnte eine Kolon­ bis die Fahrt immer langsamer wurde
nen-Fähre komplett umschließen, sodass und das Konglomerat schließlich am
die von der Fähre transportierten Trai­ Ende des schwebenden Abschnitts Gi­
tanks vor Ort gewartet werden konn­ gant-DNS zum Stillstand kam.
ten. 408 Forts hatte der Portivabschnitt
Doch nun umringten die vier Ein­ passiert. Der Rechner lieferte umgehend
heiten im wahrsten Sinne des Wortes die weiterführenden Zahlen. Das ent­
den Portivabschnitt, stülpten sich lang­ sprach 3672 Kilometern, und vorausge­
sam und mit äußerster Präzision über setzt, der entgegengesetzte Flankenab­
ihn. Die Parapositronik schaltete auf schnitt war genau gleich groß, ergab sich
andere Aufnahmegeräte des Verbunds damit eine Gesamthöhe der Nadel des
aus Kolonnenforts um, die weiterhin an­ Chaos von lediglich 16.416 Kilometern.
zeigten, was außerhalb des Zylinders Falls das zutraf, bestand sie derzeit aus
geschah. insgesamt 1824 Kolonnen-Forts, war al­
Savoire hatte es schon vermutet. Die so noch weit von ihrer Vollendung ent­
Kolonnendocks manövrierten inmitten fernt. Seinen Informationen zufolge be­
der entfesselten Gewalten Athaniyyons stand eine vollendete Nadel des Chaos
den Abschnitt in Richtung GLOIN aus 3024 Kolonnen-Forts, wobei die
TRAITOR. Doppelhelix 21 Windungen aufwies und
Je näher sie der monumentalen Nadel eine Länge von 27.216 Kilometern hatte.
kamen, desto stärker verdrängte ein Allerdings wusste er auch, dass die äu­
seltsames Zwielicht das Gleißen der Ak­ ßeren Drittel im aktiven Zustand in den
kretionsscheibe, bis es in unmittelbarer Hyperraum eingebettet waren. Nur 9072
Nähe den Portivabschnitt völlig umfing. Kilometer GLOIN TRAITORS – mithin
Es entsprach weder dem des anbre­ 1008 Kolonnen-Forts – befanden sich im
chenden noch dem des ausklingenden Normalraum.
Tages, war weich und schummrig, schien Noch immer herrschte das eigentüm­
die harten Konturen der Kolonnenein­ liche Zwielicht, das sie von der Außen­
heiten weicher werden zu lassen. welt abschottete.
Dann verblasste auf den Holos der Auf den Holos schien sich kaum etwas
Zentrale der sichtbare Abschnitt GLOIN zu tun, und Savoire verspürte eine selt­
TRAITORS endgültig, und in einer glei­ same Mischung aus Faszination und
12 UWE ANTON

Langeweile. Die Vorbereitungen, die im zog, kam nur ein zweiter zum Vorschein,
Vorfeld getroffen worden waren, erwie­ der noch realer war als der erste.
sen sich wieder einmal als perfekt. Der Er erinnerte sich, dass sie Unterlagen
Ricodin-Verbundstoff der Außenhülle studiert hatten, er und ... und ...
des Forts, das bislang das eine Ende Und Arna und Oksa. TLD-Unterla­
dieses Strangs gebildet hatte, wurde gen. Ja, genau. Wie die beiden Ekho­
immer größer. Schließlich glaubte Sa­ ninnen gehörte auch er zum TLD. Sein
voire, ein dumpfes Dröhnen zu hören, Name war Warding Atarin, und er war
und ein kurzer Ruck schüttelte ihn kurz Agent des Terranischen Liga-Dienstes.
durch. Ihn, den Weltweisen von Azdun, Agent im Außeneinsatz, im Arkon-Sys­
ESCHER und alle anderen Personen im tem.
Inneren des Forts. Er verspürte Erleichterung, dass ihm
Damit was das titanische Hochzeits­ sein Name wieder eingefallen war. Ata­
manöver vollbracht. Der Vorgang hatte rin. Und seine Vergangenheit. Und dass
kaum drei Stunden gedauert. Portivab­ ihm soeben klar geworden war, dass sei­
schnitt 3h3h2 war nun an das Ende der ne Gedanken ziemlich unkohärent wa­
Nadel des Chaos angeflanscht und er­ ren.
weiterte damit die Länge des gesamten Er musste sich zusammenreißen, her­
Konglomerats auf mindestens 16.632 ausfinden, was mit ihm geschehen war.
Kilometer. Niemand im Versorgertrakt Er hob den Kopf, und diesmal gelang
der Weltkugel konnte sagen, ob viel­ es ihm, und sah zu dem Bild im Himmel.
leicht zeitgleich die Erweiterung der an­ Nun zeigte es eine blutjunge hübsche
deren Flanke stattgefunden hatte. Arkonidin, die die Hände über ihren
Portivabschnitt 3h3h2 bildete nun das wohlgerundeten, fast nackten Körper
eine Ende der Nadel des Chaos. Aber nur gleiten ließ ...
für kurze Zeit, bis zum Eintreffen des Sie bietet mir Sex an, dachte er scho­
nächsten Abschnittes, denn GLOIN ckiert. Fast hatte er den Eindruck, sie
TRAITOR befand sich ja noch mitten im berühren zu können ...
Bau. »Das Huhany’Tussan braucht eine
Aber sie hatten ihr Ziel gegen alle starke Bevölkerung«, dröhnte die kraft­
Widrigkeiten erreicht. Was niemand für volle Stimme. »Sichert eure Zukunft!
möglich gehalten hatte, war Wirklich­ Wirkt daran mit, dass es niemals an Sol­
keit. Den Galaktikern war es mithilfe daten für Arkons Ruhm und Ehre man­
ESCHERS und des Weltweisen gelun­ geln wird! Es geht nicht an, dass sich
gen, eine Fünfte Kolonne in ein Macht­ Edle mit Ekhi und Zali in der Arena rau­
zentrum der Terminalen Kolonne einzu­ fen! Es lebe Arkon!«
schleusen. Ein Propaganda-Holo!, wurde ihm
Gespannt fragte Dr. Laurence Savoire klar. Das Bild im Himmel war eine stän­
sich, was die Parapositronik als Nächs­ dig wechselnde holographische Darstel­
tes unternehmen würde. lung! Und der Himmel war auch nicht
der Himmel, sondern eine gigantische
Kuppel von vielleicht einhundert Me­
2. tern Höhe.
Atarin Die Kuppel über dem Bezirk Mivado,
einem vom organisierten Verbrechen be­
Er schüttelte sich, versuchte sich zu herrschten Vergnügungszentrum auf Ar­
erheben. Umsonst. Er war zu schwach, kon III.
und die Anstrengung legte einen Schlei­ Plötzlich fiel ihm alles wieder ein.
er über seine Augen. Tark Kluf war tot, sein Mentor, sein
Genau, wie ein Schleier über der Freund, und auf der Suche nach seiner
Wirklichkeit lag, und wenn man ihn ab­ Mörderin Sparks, einer schillernden
Die Nadel des Chaos 13

Unterwelt-Gestalt, hatte er sich in die mand im Dreck der Straße. Die meisten
Höhle des Löwen gewagt und den Nacht­ Vergnügungslustigen waren Gastarbei­
club Garrabo an der Plaza Mivado be­ ter von Kolonialplaneten; besser geklei­
sucht. dete echte Arkoniden traf man hier
Man hatte ihn entführt ... kaum.
Danach verblichen die Erinnerungen, Er streckte eine Hand aus, als wolle er
vermengten sich mit irrealen Bildern aus um Hilfe flehen. Niemand beachtete ihn.
einer Quarantäne-Station. Was war ge­ Verzweifelt bettelnde Süchtige waren an
schehen? Er wusste es nicht genau, diesem Ort die Regel.
wusste nur, er hatte im Bezirk Mivado »Da ist er!«, hörte er eine gellende
ermittelt, und die Situation war völlig Stimme, bevor er jemanden ansprechen
außer Kontrolle geraten ... und um Hilfe bitten konnte, die er wahr­
Er versuchte erneut, sich zu erheben, scheinlich sowieso nicht erhalten hätte.
und zu seiner Überraschung gelang es Die Stimme war so laut, dass sie das
ihm diesmal. Es war keine Glanzleis­ Gurren der Holos halbnackter Frauen
tung. Er zog sich an einer Wand hoch, durchdrang, die keine 20 Meter entfernt
wäre fast wieder zusammengebrochen. die Vorzüge ihrer Etablissements, das
Aber er war stolz darauf. Taumelnd stereotype Geschrei der Garköche, die
stand er da, stützte sich mit einer Hand ihre einzigartigen Gerichte und das
an der Wand ab, wäre trotzdem beinahe Dröhnen der Propaganda-Holos, die den
gestürzt ... Ruhm Arkons anpriesen.
Er sah sich um, erkannte seine Umge­ Er drehte sich um, machte auf den ers­
bung endlich etwas besser. Er befand ten Blick inmitten hunderter Vergnü­
sich auf einem kleinen Hof, dessen Be­ gungssüchtiger eine Gestalt aus, die mit
grenzungen von drei bescheidenen Stän­ einem Thermostrahler fuchtelte, als gä­
den gebildet wurde. be es keine Zeugen, als sei sie allein im
Vorsichtig tastete er sich weiter, auf Vergnügungsviertel.
den großen Platz hinaus, Mivado ... Er erkannte den Mann und riss die
Ein durchdringender Geruch stieg Augen auf.
ihm in die Nase, und ihm wurde klar, Es war der, den er gerade in seinen
dass er seit geraumer Weile nichts geges­ Erinnerungen hatte sterben sehen.
sen hatte. Sein Magen krampfte sich fast Rutmer Vitkineff.
schmerzhaft zusammen. Eine der Buden Vitkineff nahm die Waffe in beide
bot zahlreiche Gerichte aus der Essoya­ Hände, zielte auf ihn und schoss.
yonki feil, der arkonidischen Stinkwurz,
deren 20 bis 25 Zentimeter große, ovale *
bis kugelige und Wasser speichernde
Knolle zahlreiche Myndaqin-Derivate Atarin erstarrte.
enthielt. Sie war in den Archaischen Pe­ Er sah, wie sich aus der Waffe ein
rioden eines der Grundnahrungsmittel Energiestrahl löste und auf ihn zuschoss.
der Arkoniden gewesen und in letzter Nein, dachte er, nein, niemand kann
Zeit wegen der Tonika und Antidepres­ einen Energiestrahl auf sich zurasen
siva, die sie enthielt, trotz oder gerade sehen. Das ist das Problem mit der Licht­
wegen des Inbegriffs der niedrigen Her­ geschwindigkeit und so weiter ...
kunft zu einer Art perversem Geheim­ Aber er sah es trotzdem.
tipp unter dem Adel geworden. Falls er es sich nicht nur einbildete,
Taumelnd machte er zwei, drei seine Sinne ihm einen Streich spielten.
Schritte. Passanten sahen zu ihm hinü­ Und er sah auch, wie scheinbar aus
ber, aber nur kurz. Betrunkene oder an­ dem Nichts ein Mann in den Weg des
ders Berauschte waren hier kein seltener Thermostrahls trat. Er war groß und ha­
Anblick, und an fast jeder Ecke lag je­ ger, trug einen ... ja, einen altmodischen
14 UWE ANTON

dunklen Anzug. Und er machte einen Um ihn, wurde ihm klar.


sehr düsteren Eindruck. »Helft mir«, krächzte er.
»Nein!«, rief er, doch alles geschah
nun viel zu schnell. Der Schuss traf den *
Hageren, verletzte ihn aber nicht, son­
dern prallte von ihm ab, schlug quer und »Ein längerer Aufenthalt in diesem
zertrümmerte einen Meter neben ihm ein Raum ist nicht zuletzt auch für die psy­
Fenster. chische Gesundheit schädlich«, sagte
Ein Traum!, dachte er. Ein Traum, der Arna. Ihre Stimme klang irgendwie we­
immer absurdere Züge annahm. senlos.
Oder ein Fehlschuss. Als ob ich das nicht selbst wüsste,
Ja, das musste es sein. dachte Atarin wütend. Seit die Kuppel,
Aber ein lautes Krachen ertönte, und die jedermann plastisch nacherleben
ein zweiter Fehlschuss grub sich in die ließ, wie bedeutend die stolze Zivilisati­
Wand neben ihm. on des Huhany’Tussan war, ihre dreidi­
Er wusste nicht, ob er einfach stürz­ mensionale Propaganda über ihn aus­
te oder sich fallen ließ, wie seine Aus­ geschüttet hatte, schwelgte Atarin
bildung es ihm vorschrieb, aber er geradezu in diesen Schreckensbildern,
spürte einen brennenden Schmerz in sah sie immer und immer wieder vor sei­
seinem linken Arm, und das unter­ nem geistigen Auge. Es war wie ein mor­
schied sich von seinem Traum, wofür er bider Zwang, dem er nicht widerstehen
allerdings dankbar war. Er wollte nicht konnte. Er sah und er litt jedes Mal aufs
noch einmal stürzen, in eine bodenlose Neue. Vordergründig versuchte er, die
Grube, aus der es nie ein Entkommen Geschehnisse zu begreifen, zu verstehen,
geben würde. In einen dunklen, boden­ was passiert war. Doch es wollte ihm
losen Abgrund, einen Vorhof der Höl­ nicht gelingen.
le. Denn er flüchtete sich nur in diese un­
In den er schon einmal gesehen hat­ wichtigen Bilder, versuchte, damit zu
te. verdrängen, was sein wirkliches Pro­
Es wurde schwarz um ihn. blem war. Doch er hatte längst begriffen,
»Du Armer«, sagte eine wohlvertraute dass ihm etwas fehlte. Echte Erinne­
Stimme. »Ich glaube, man hat Übles mit rungen.
dir angestellt. Du bist nicht mehr du Du Idiot!, dachte er. Du musst
selbst, aber du bist noch du.« dich dem stellen, was wirklich passiert
»Nein«, krächzte er. Hatte er wieder ist!
Wahnvorstellungen, noch schlimmere Aber er konnte es einfach nicht. Noch
als zuvor? Er schaltete einfach ab, nicht, hoffte er. In Kürze vielleicht ...
schloss die Augen, gab auf. Sehen konn­ Er ließ sich ächzend in den bequemen
te er ohnehin nichts mehr. Schalensessel sinken und wartete dar­
Aber diese Stimme ..., dachte er, wäh­ auf, dass sich die helmähnliche Haube
rend er weiterhin in die Grube stürzte. auf seinen Kopf senkte, ihm Erleichte­
Was sagte sie da? Sie klang melodisch, rung brachte. Seine aufgewühlten Ge­
wie ein Klavier. danken besänftigte.
Er stellte fest, dass er noch sehen Aber diesmal geschah nichts.
konnte, wenn er die Augen öffnete. Er Wütend beugte er sich wieder vor.
wusste aber, dass es sich wieder um ein »Ich verlange, dass ihr die Behandlung
Trugbild handelte. fortsetzt!«, rief er in den menschenleeren
Arna und Oksa knieten über ihm, Raum.
und in ihren Augen flackerte Beunruhi­ »Es tut mir sehr leid, aber das geht
gung. nicht«, sagte Oksas Stimme.
Besorgnis. »Warum nicht?«, begehrte Atarin auf.
Die Nadel des Chaos 15

»Ich habe das Recht dazu! Verstehst du fe machen. »Der Einsatz war ein Fias­
nicht? Ich bin schwer verletzt!« ko.«
»Das ist nicht richtig. Die Medo-Ein­ »Ja«, sagten Arna und Oksa unisono.
heit ist der Ansicht, dass du körperlich »Aber was ist mir dir geschehen?«,
wiederhergestellt bist. Und was deinen fragte Arna.
Geist betrifft, gehörst du zu einem Spe­ »Woran erinnerst du dich nun, nach
zialisten, etwa auf Tahun. Sie wird die der Behandlung durch den Neuro-Rege­
Behandlung nicht fortsetzen.« nerator?«, fragte Oksa.
»Dazu hat sie kein Recht!« »An nichts«, sagte Atarin niederge­
»Doch, das hat sie«, gab Arna zurück. schlagen. »Sie müssen mein Gedächtnis
»Außerdem kann sie nichts mehr für manipuliert haben. Und zwar sehr fach­
dich tun. Und wir machen uns Sorgen männisch. Wenn nicht schon vorher ir­
um dich.« gendeine Manipulation vorlag ...«
Er hörte die Verzweiflung in der Stim­ »Warum dieser Aufwand?«, fragte Ok­
me und seufzte. »In Ordnung. Kommt sa. »Warum sollten sie uns kleine, unbe­
herein. Mit euch ist ohnehin nicht zu re­ deutende TLD-Agenten auf Arkon III
den.« dermaßen massiv manipulieren?«
Die Tür öffnete sich, und Arna und Das hatte er sich auch schon gefragt.
Oksa traten in die winzige Medo-Stati­ Hinzu kamen die zahlreichen Unge­
on. Sie hatten sich in ein höchst geheimes reimtheiten in den Datenbänken, auf die
Schutzversteck auf Arkon III zurückge­ sie gestoßen waren.
zogen, das nur für absolute Notfälle vor­ Rutmer Vitkineffs Identität zum Bei­
gesehen war. spiel, oder Sparks. Vitkineff hatte ihren
Solch ein Notfall war nun eingetreten. Dateien zufolge nie existiert, war nur
zumindest für Atarin. Er befürchtete, eine von einer kriminellen Organisation
auf Dauer den Verstand zu verlieren, erdachte Legende, und Sparks war an­
und die Neuro-Haube hatte noch keine geblich die rechte Hand der Sentenza-
Besserung gebracht. Größe Savoire, hatte von sich aber be­
Das ist ein Albtraum, dachte er. hauptet, USO-Spezialistin zu sein.
Trotzdem musste er lächeln, als er die Und ihm am Leben gelassen, obwohl
beiden Ekhonidinnen sah. Groß, schlank, sie ihn hätte liquidieren können.
geschmeidig ... Er sehnte sich danach, Und sie hatte noch etwas von sich ge­
wieder das Lager mit den beiden teilen geben, was ihn zutiefst verwirrt hatte.
zu können. Er sei verheiratet gewesen, und seine
»Ich sollte euch umbringen!«, sagte er. Frau sei beim Angriff einer ihm völlig
»Euch zumindest den Hintern versoh­ unbekannten Terminalen Kolonne
len ...« TRAITOR ums Leben gekommen.
»Wir haben versucht, dir Deckung zu »Verheiratet!«, rief Atarin aufge­
geben, kamen aber nicht durch«, sagte bracht. »Da würde ich doch lieber auf
Arna. Ihr war klar, worauf er anspielte. der Stelle tot umfallen, als euch beide
»Du warst plötzlich verschwunden. aufzugeben. Außerdem habe ich noch
Als hättest du dich in Luft aufgelöst«, immer Probleme mit meiner Ex-
sagte Oksa. Frau ...«
»Wir sind dir ins Garrabo gefolgt, »Darüber liegen mir keine Informati­
aber du warst einfach weg. Es ging viel onen vor«, erwiderte Arna. »Du schweigst
zu schnell«, bekräftigte Arna. »Der dich in dieser Hinsicht ja aus. Aber ich
ganze Plan war Mist! Einfach lächer­ kann es mir nicht vorstellen ...«
lich!« »Wieso nicht? Ich denke, dir liegen
Atarin seufzte. Wem sagte sie das? keine Informationen vor, wie du es
Und ... er konnte den beiden weder das nennst. Wie kannst du dir dann etwas
Gegenteil beweisen noch ihnen Vorwür­ vorstellen oder auch nicht? Was ver­
16 UWE ANTON

stehst du schon ...« Von Gefühlen, hatte »Unsinn«, flüsterte er. Er musste sich
er sagen wollen, von Liebe? nicht entscheiden. Er konnte beide ha­
Im letzten Augenblick hielt er inne. Er ben. Und das ohne die geringsten Skru­
teilte praktisch Tisch und Bett mit den pel ...
beiden Agentinnen! Er würde es beweisen. Sich selbst und
»Von meinem verkorksten Innenle­ allen anderen.
ben«, fuhr er schließlich fort. »Ich durch­ Arna räusperte sich. »Können wir uns
schaue es ja selbst nicht.« vielleicht kurz am Riemen reißen und
»Du hast recht, dieser Meinungsaus­ neu orientieren? Unsere Schritte auf ein
tausch ist unergiebig«, sagte Oksa. Ihre neues Ziel lenken?«
Stimme klang etwas gezwungen. »Natürlich«, sagte er ernüchtert.
Trotzig setzte Atarin sich wieder, aber »Was kannst du uns über deine Ent­
die Neuro-Haube senkte sich nicht. Wü­ führung berichten?«
tend stand er schließlich auf und ging »Nicht viel. Ich kann mich noch im­
hin und her. mer nicht völlig klar an das Geschehen
Seine Gedanken wirbelten. Zuviel erinnern. Vermutlich rühren meine
war in letzter Zeit auf ihn eingestürmt. ernsthaften Schwierigkeiten daher, dass
Er hatte ein eher geruhsames Leben als man mein Kurzzeitgedächtnis gelöscht
kleiner TLD-Agent im Arkon-System oder mich sonst wie konditioniert hat.«
geführt, doch dann war auf einen Schlag »Dann müssen wir deine Erinne­
sein gesamtes Weltbild zerstört worden. rungen zurückholen«, sagte Oksa.
Über Nacht hatte sich alles verändert. »Und wie wollt ihr das anstellen? Au­
Es war, als hätte man ihm den Boden ßerdem müsst ihr vorsichtig sein. Wer
unter den Füßen weggezogen, als wäre weiß, ob man mir nicht posthypnotische
er in die Tiefe gestürzt. Und er fiel immer Befehle eingepflanzt hat. Vielleicht bin
noch. Wie in einem nicht enden wol­ ich für uns alle eine Gefahr ...«
lenden Alptraum. Arna legte die Hand auf den Kombi­
Unvermittelt wurde ihm klar, dass die strahler in ihrem Halfter. »Wir werden
Einzigen, die ihn auffangen konnten, auf der Hut sein«, versprach sie. Ein
Arna und Oksa waren. Er hinterfragte leichtes Grinsen hätte ihre Worte viel­
sich. Liebte er die beiden? Konnte man leicht etwas entschärft, aber sie zeigte
zwei Frauen gleichzeitig lieben? Viel­ keins.
leicht sogar mit alles verzehrender Lei­ »Das hoffe ich. Für uns alle.« Sie rief
denschaft? ein Holo auf. »Wir haben ebenfalls re­
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er cherchiert. Das Karikin, das mit Vitki­
niemals gegen seine Vorschriften versto­ neff in Verbindung gebracht wird, ist
ßen und sich mit ihnen eingelassen. Doch weder ein Erz noch ein Mineral oder ein
die Situation hatte sich geändert. Er sonstiger Rohstoff.«
hatte sich verändert. Und die umwäl­ »Sondern?«, fragte Atarin.
zenden Ereignisse der letzten Tage lie­ »Es ist ein Medikament.«
ßen ihn klarer sehen. Plötzlich konnte
oder wollte er sich nicht mehr für eine *
der beiden Zwillinge entscheiden.
Nur in ihren Armen würde er die Kraft »Ein Medikament?« Die Überra­
aufbringen, die neue Situation zu meis­ schungen, die auf ihn einstürmten, nah­
tern. men kein Ende.
Ein Psychologe hätte seine helle Freu­ »Ja. Es ist in erster Linie als Gegen­
de an dir, sagte eine Stimme in seinem mittel von Arimal-3 bekannt.«
Kopf. Du versuchst nur, den Verlust zu Diese Bezeichnung sagte ihm etwas.
verarbeiten, die Lücke, den Tark Klufs Arimal-3 war ein starkes Sedativum,
Tod hinterlassen hatte. das bei Einnahme einer Überdosis Geist
Die Nadel des Chaos 17

und Körper zerrüttete und bei regelmä­ keiten informieren. Die Zentrale will
ßigem Missbrauch Leber, Herz, Stimm­ kein Risiko eingehen. Wir bekommen
bänder sowie etwa ein Dutzend weiterer Verstärkung. Ein erstklassiger Agent,
Organe schädigte. Wer solch eine Über­ wurde mir versichert. Wir treffen uns in
dosis genommen hatte, nahm seine Um­ drei Stunden mit ihm im Einkaufszent­
gebung nur sehr verzerrt wahr. Weitere rum Abbadhir, müssen also Maske anle­
Symptome waren Schweißausbrüche gen.«
und Übelkeit sowie ein übler Geruch des »Was für ein Kollege?«, fragte Atarin.
Atems, der durch die Abbauprodukte »Ich kenne ihn nicht persönlich. Er
der Droge entstand. Ohne Behandlung wurde uns angekündigt als Maurits Cor­
führte eine Überdosis nach mehreren nelis.«
Stunden zum Tod. Über das Suchtpo­
tential von Arimal-3 war ihm nichts be­
kannt. 3.
»Ich sehe nicht den geringsten Zusam­ Hangay
menhang mit den Subtor-Minen«, sagte
er. »Habt ihr mich auf Spuren dieser Me­ Die Grafik war unübersichtlich und
dikamente untersucht?« verwirrend. Sie zeigte die Windungen
Oksa nickte. »Ja. Du bist clean.« Im einer Doppelhelix und darin scheinbar
Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester sinnlose Geflechte aus dünnen Linien.
lächelte sie dabei schwach, wurde aber Den unterschiedlichen Farben entnahm
schnell wieder ernst. »Erinnerst du dich Dr. Savoire, dass diese sich verschieden
an sonst noch etwas? An die Gänge in zusammensetzten.
der Mine, in die man dich verschleppt Als ob dies nicht schwierig genug zu
hat?« Sie musterte sein Gesicht. »Denk erfassen wäre, wurde sie durch eine wei­
nach.« tere ersetzt, in denen ähnliche Geflechte
Er dachte nach, und da war noch et­ in anderen Farben dargestellt wurden.
was, doch er konnte es nicht fassen. Sie »Diese Grafiken«, sagte ESCHER und
haben meine Erinnerungen gelöscht, kostete jedes Wort aus, als wolle er dem
dachte er mit wachsender Verzweif­ Menschen dessen Unzulänglichkeit vor­
lung. halten, »zeigt deutlich, wie die 24 TRAI­
Aber es war wichtig ... COON-Forts unseres Portivabschnitts
Ein Wesen aus der Mythologie. Ein beginnen, sich in die Rechnernetze von
Zyklop. Du bist seit zwei Jahren tot!, GLOIN TRAITOR einzubinden. In der
sagte das Geschöpf mit dem riesigen Au­ Nadel des Chaos gibt es keinen Zentral­
ge mitten im Gesicht. rechner. Vielmehr werden die supratro­
Das Bild verschwamm wieder, ver­ nischen Rechner der einzelnen Forts in
blich, verwehte in den Tiefen seines Form dezentraler Netzwerke zusam­
Hirns. Atarin stöhnte leise auf. »Ich ... mengeschaltet.«
fühle mich wie tot«, sagte er. »Erleichtert oder erschwert das deine
»So schlecht geht es dir?«, sagte Arna Aufgabe?«, fragte der Kybernetiker.
spöttisch. »Ich wusste gar nicht, dass »Das wird sich herausstellen. Zuvor­
du ...« Sie verstummte, drehte sich zu derst ist es mir gelungen, meine ge­
einem Terminal in der Medo-Station heimen Manipulationen geheim zu hal­
um, öffnete einen Funkkanal. »Eine ko­ ten. Ich verfüge nach wie vor über einen
dierte Nachricht vom Hauptquartier«, – wenn auch begrenzten – Zugriff auf die
sagte sie. »Höchste Prioritätsstufe, vierundzwanzig Kolonnen-Forts von
mehrfach gesicherter Kanal.« Portivabschnitt 3h3h2. Aber nun auch
Atarin runzelte die Stirn. auf die eine oder andere Sektion mehr,
»Mir blieb keine Wahl, ich musste un­ und das über ganz GLOIN TRAITOR
sere Kollegen über unsere ... Schwierig­ verteilt.«
18 UWE ANTON

Die Holos wechselten wieder, zeigten »Offensichtlich nehmen sie eine erste
nun Schotte aus Ricodin-Verbundstoff, Überprüfung der Forts des Portivab­
die zurückgefahren und arretiert wur­ schnitts vor«, bestätigte ESCHER. »Da­
den. »Die Kolonnen-Arbeiter schließen von haben wir nicht viel zu befürchten.
bereits die Verkehrsadern an, die den Der Weltweise von Azdun hat bereits
neuen Abschnitt mit der Station verbin­ seine Berechtigungskodes überspielt
den«, erklärte die Parapositronik und und sorgt dafür, dass wir völlig unbehel­
spielte bereits neue Bilder ein. Sie ligt agieren können. Niemand wird die
zeigten, wie die ersten Koffter, die Ko­ Ruhe in seinem Hangar stören, niemand
lonnen-Gleiter, aus der Nadel des Chaos wird in unsere Nähe kommen. Die Ver­
in die neu hinzugekommenen Sektionen weise auf den Chaotarchen Xrayn wir­
vordrangen. ken Wunder. Der Weltweise ist praktisch
Hauptsächlich Mor’Daer und Gansch­ unantastbar, und damit sind auch wir
karen verließen die Fahrzeuge, selbst ein geschützt.«
Terminaler Herold ließ sich für Sekun­ Savoire nickte zufrieden. »Und wie
den mit seiner Eskorte sehen. geht es nun weiter?«
»All diese Bilder fangen die Kameras Er schaute auf, als die Parapositro­
ein, auf die ich bereits Zugriff habe«, nik nicht auf seine Frage antwortete.
führte ESCHER aus, obwohl es offen­ »ESCHER?«
sichtlich war – woher sonst sollte er sie Wieder keine Reaktion.
haben? »Besonders interessant scheint Savoire runzelte die Stirn. Auch in
mir freilich diese Aufnahme zu sein.« jüngster Vergangenheit hatte die Para­
Savoire merkte auf. Auf dem Holo positronik immer wieder geschwiegen,
waren vier spezielle Linsenkoffter zu manchmal tage- oder gar wochenlang.
sehen, deren Typ ihm in letzter Zeit sehr Sie hatte feststellen müssen, dass sie die
vertraut geworden war. ESCHER ver­ Tragweite ihrer Mission unterschätzt
folgte mit den Kameras ihren Flug durch hatte. Der Versuch, sich in die Supratro­
die verschiedenen Sektionen, bis sie nik-Netze des Kolonnen-Forts – und an­
schließlich anhielten und ihre Passagiere schließend des gesamten Portivab­
ins Freie entließen. schnitts – einzuschleichen, eine gewisse
Er pfiff leise auf, als er die vier Ob­ Kontrolle über sie auszuüben und dabei
jekte sah, die ihn an primitive Industrie­ unentdeckt zu bleiben, hatte ihre Re­
zahnräder erinnerten – und die auch chenleistung bis aufs Äußerste bean­
genauso rollten. Die zinkfarbenen »Rä­ sprucht. Und manchmal sogar darüber
der« hatten einen Durchmesser von etwa hinaus, befürchtete der Erste Kyberne­
2,80 Metern, an den Naben durchmaßen tiker.
sie etwa 1,60 Meter. Ihre äußere Struktur Welchen Schwierigkeiten sah sie sich
erinnerte ihn an einen fein gewobenen erst ausgesetzt, seit sie es mit den Rech­
Käfig, in dessen Inneres jedoch kein nernetzen von GLOIN TRAITOR zu tun
Blick möglich war. Die Breite der ge­ bekam? Sogar falls dies keine qualita­
zahnten Lauffläche betrug etwa 80 Zen­ tive Veränderung mit sich gebracht ha­
timeter, die Nabendicke 1,20 Meter. An ben sollte, war der rein quantitative
den Nabenzentren fanden sich links und Faktor nicht zu unterschätzen.
rechts zwei von Kunststoffkappen be­ Isokrain materialisierte in der Schalt­
deckte Auswüchse von der Größe eines zentrale. Der Kosmitter aus dem Volk
menschlichen Kopfs. der Insk-Karew wirkte einen Moment
»T-Prognostiker der Terminalen Ko­ lang geistesabwesend, sah ins Leere, als
lonne!«, sagte er. »Die Fünf-D-Mathema­ sei der Ortswechsel zu plötzlich und
tiker TRAITORS geben sich die Ehre!« überraschend gekommen, als wisse er
nicht, wo er sich befand. Die Scheren
* seines Armpaars klackten auf und zu,
Die Nadel des Chaos 19

die kleinen Pseudofingerchen neben ih­ Kosmitter. »Für den Augenblick obliegt
nen zuckten, bewegten sich rasch, aber es mir allerdings nur, dich über eine be­
ziellos. deutende Entscheidung der Paraposi­
Nach einem Moment hatte der zwei­ tronik zu informieren.«
einhalb Meter große Insektoide, dessen »Und die wäre?«
Körper Savoire unwillkürlich an den ei­ »ESCHER sucht nach einer neuen
ner irdischen Fangschrecke erinnerte, Strategie.«
sich wieder in der Gewalt. Er drehte sich
zu dem Kybernetiker um. *
»Kapazitätsprobleme?«, fragte Dr. Sa­
voire. Wann immer diese Schwierig­ »Wiederhol das bitte!«, forderte Dr.
keiten bislang aufgetreten waren, hatte Savoire.
ESCHER sich des Avatars des Weltwei­ »Bisher galt als primäres Ziel die voll­
sen als Sprecher bedient. Der Diakater ständige Zerstörung GLOIN TRAI­
sah das als Anzeichen dafür, dass es der TORS«, fuhr der Insk-Karew ungerührt
Parapositronik nicht einmal möglich fort. Er gab die Überlegungen der Para­
war, ihre eigenen Avatare Merlin Myhr positronik weiter, musste sie nicht ver­
oder Pal Astuin einzusetzen, die ja treten. »Wie du weißt, wäre ESCHER
gleichzeitig als Prozessoren gebraucht jederzeit bereit, sich mitsamt des Welt­
wurden. weisen und GLOIN TRAITOR in die
»Ja«, gestand Isokrain. »GLOIN Luft zu sprengen, um seinen Auftrag zu
TRAITORS Rechnernetze stellen erfüllen. Doch daran ist nicht zu denken.
ESCHER vor gewisse Herausforde­ Das wäre keine Lösung.«
rungen. Außerdem …« Der Kosmitter »Wir wussten, dass ein Objekt von der
verstummte. Bedeutung von GLOIN TRAITOR gera­
»Ja?«, hakte Savoire nach. de in solcher Hinsicht nicht doppelt,
»Außerdem kommt es zu gewissen sondern eher hundertfach gesichert sein
Problemen mit einigen Prozessoren«, würde«, erinnerte Savoire laut.
fuhr Isokrain nach einer geraumen Wei­ »Genau. Daher versucht ESCHER zu­
le fort. erst ein sekundäres Ziel zu erreichen. Er
Der Kybernetiker runzelte die Stirn. strebt eine Manipulation von Grenzwall
»Was habe ich darunter zu verstehen?« und Kernwall Hangay an, sodass der
»Sie sind der ständigen Dauerbelas­ Nukleus der Monochrom-Mutanten und
tung oder gar Überbeanspruchung nicht seine Helfer von außen Zugang nach
mehr gewachsen. Bei einigen wenigen Hangay erhalten werden. ESCHER wird
treten sozusagen Störungen auf.« sich von nun an völlig auf dieses sekun­
»Was sind sozusagen Störungen?« däre Ziel konzentrieren.«
Isokrain wedelte zaghaft mit den Füh­ Savoire nickte zögernd. »Ich verste­
lern. »ESCHER kümmert sich bereits he …«
darum.« »Der Ansatzpunkt dazu ist klar. Jedes
»Kann ich etwas tun?« Kolonnenfort der Nadel des Chaos ist an
»Nein. Wir haben bereits darüber ge­ den Elementar-Quintadimtrafer ange­
sprochen. Es hätte keinen Sinn, wenn du schlossen. Will ESCHER den Grenzwall
dich als Prozessor zur Verfügung stellst. Hangay und den Kernwall beeinflussen,
Du bist nur eine Person und kannst die geht das nur über den Quintadim­
grundlegende Situation nicht verbes­ trafer.«
sern. Außerdem wirst du hier ge­ »Das wäre eine Möglichkeit«, gestand
braucht.« der Kybernetiker ein.
»ESCHER hat vor, uns wieder auf Er­ »Sogar die einzige«, bekräftigte der
kundung zu schicken?« Kosmitter.
»Möglicherweise«, antwortete der Sie hatten dem Datenträger, den sie
20 UWE ANTON

bei der Leiche Latifalks, des 5-D-Ma­ für immer im Hyperraum zu verbleiben,
thematikers von Palkaron, gefunden das Kugelfeld aufrechterhalten, wobei
hatten, einige neue Informationen ent­ keine Ortsveränderung erfolgte. Corello
nehmen können. Der Quintadimtrafer hatte das Kugelfeld also nur als vorü­
stand in direktem Zusammenhang mit bergehendes Versteck benutzen kön­
der Struktur GLOIN TRAITORS. Da die nen.
Nadel des Chaos aus übereinandergesta­ Zum Dritten war er fähig gewesen,
pelten TRAICOON-Forts bestand, zog Quintadimenergie – also Hyperenergie
sich durch die gesamte – vollendete – – in Psi-Materie zu verwandeln.
Anlage ein zweiadriger Strang, eine Die Terraner wussten, dass viele Pa­
27.216 Kilometer lange Doppelhelix, die rakräfte, wenn man über die geeigneten
in gewissen Teilen die Funktion eines Mittel und Technologien verfügte, auch
Kosmonukleotids simulierte. paramechanisch im Sinne einer tech­
Die Lebensgeschichte der überdimen­ nischen UHF-Anwendung erfolgen
sionalen Gehäuseschnecke hatte Dr. Sa­ konnte.
voire verraten, dass T-Prognostiker kei­ Genau dies war offensichtlich bei
ne Techniker oder Ingenieure waren, GLOIN TRAITOR geschehen. Der Ele­
und auch keine Physiker, sondern Spe­ mentar-Quintadimtrafer war das Herz­
zialisten für fünfdimensionale Mathe­ stück der Nadel des Chaos, denn da­
matik. Auch sie verstanden deshalb durch vermochte TRAITOR direkten
nicht vollständig, was in der Doppelhe­ Zugriff auf die Strukturen des Hyper­
lix geschah. Doch dafür hatten sie umso raums zu nehmen. Durch die Nadel des
deutlicher gespürt, welch unerhört tief­ Chaos wurde das Psionische Netz auf
greifende Umwälzung durch die hy­ eine Weise beeinflusst, dass als Resultat
perenergetischen Ströme in dem DNS- die Entstehung einer Negasphäre er­
artigen Doppelstrang stattfand. folgte. Von diesem Ort aus wurde das
Dr. Savoire hingegen war zumindest Vibra-Psi erzeugt.
die Bezeichnung Quintadimtrafer ver­ Der Elementar-Quintadimtrafer war
traut. Damit hatte man eine Parafähig­ der Katalysator, der Standardphysik zu
keit des terranischen Multi-Mutanten Chaos-Physik machte.
Ribald Corello bezeichnet, des vorläu­ Kein Wunder, dass ESCHER diesen
figen Endprodukts des Projekts Super­ Bestandteil der Nadel des Chaos zum
mutanten der Antis. Als Quintadim­ neuen Hauptziel der Mission erwählt
trafer hatte dieser mit rein geistigen hatte.
Kräften fünfdimensional orientierte hy­ »Die Parapositronik hat mit dieser
perenergetische Kugelfelder – Quinta­ Arbeit bereits begonnen«, fuhr der Kos­
dimfelder – bis zu einem Durchmesser mitter fort. »Sie versucht zur Zeit, sich
von acht Metern entstehen lassen kön­ ausgehend von den Forts unseres ehe­
nen. Diese verfügten über den typischen maligen Portivabschnitts in die supra­
Entstofflichungscharakter eines auf tronischen Rechnersysteme der Nadel
Sendung geschalteten Transmitterfelds. des Chaos einzubinden.«
Innerhalb seines optischen Wahrneh­ »Dann rühren daher die erneuten Ka­
mungsbereichs war es Corello möglich pazitätsprobleme?«
gewesen, Lebewesen oder Gegenstände »Zu einem großen Teil. Wie gesagt, da
in das Kugelfeld zu hüllen und in den sind auch noch die Probleme mit einigen
Hyperraum abzustrahlen. Prozessoren. ESCHER legt den Schwer­
Zudem hatte Corello es vermocht, sich punkt seiner subversiven Arbeit darauf,
selbst in ein Quintadimfeld zu hüllen jede mögliche Kontrolle über den Ele­
und aus dem vierdimensionalen Raum- mentar-Quintadimtrafer zu bekom­
Zeit-Kontinuum zu verschwinden. Da­ men.«
bei musste er jedoch, um nicht ebenfalls »Das ist also die neue Strategie ...«
Die Nadel des Chaos 21

»Nein«, korrigierte der Kosmitter ihn. der Wolke und strömten zum Schriftzug
»Das ist die neue Zielsetzung. Eine Stra­ eines exklusiven Geschäfts zusammen,
tegie, sie zu verwirklichen, hat ESCHER das Mertedshin anpries, ein edles Duft­
noch nicht gefunden.« wasser, das aus den Unterkieferdrüsen
»Wie meinst du das?« der Riesenechsen gewonnen wurde.
»ESCHER ist, wie gesagt, bereits an Der TLD-Agent versuchte, sich von
der Arbeit. Aber nach einigen Stunden der Pracht des nach einer uralten Frei­
völlig ausgelasteter Tätigkeit erscheinen handelswelt des Großen Imperiums be­
die Fortschritte geradezu kläglich. Die nannten Einkaufszentrums nicht über­
Parapositronik kommt nur mit gleich­ mäßig beeindrucken zu lassen, schaffte
sam kriechender Geschwindigkeit vor­ es aber nicht ganz. Hier auf der Haupt­
an. Erste Hochrechnungen ergeben, dass ebene hoben sich schlanke, silberne
der gesamte Vorgang mit Sicherheit Wo­ Pfeile ausfächernd bis zum Sonnenhim­
chen, wenn nicht gar Monate in An­ mel und begrenzten kleinere Hocheta­
spruch nehmen wird.« gen, die die Verstrebungen allerdings
»Und so viel Zeit haben wir wahr­ kaum jemals berührten. Wie Inseln aus
scheinlich nicht«, murmelte Savoire. flüssigem Metall trieben die oberen
»Der einzige Lichtblick ist, wenn man Stockwerke durch die Luft, veränderten
so will, dass ESCHER die grundlegende unentwegt ihre Positionen, stießen gele­
Natur des Problems erkannt hat. Seine gentlich sanft aneinander, um dann wie­
mangelnde Rechenkapazität lässt eine der langsam auseinanderzudriften.
Manipulation der Nadel des Chaos in Das Einkaufszentrum bot sich als
der vorgesehenen Weise auf keinen Fall konspirativer Treffpunkt geradezu an.
zu. Selbst wenn die Parapositronik Wo­ Die Sicherheitsvorkehrungen waren
chen oder gar Monate investieren wür­ streng, aber nur in Bezug darauf, dass
de ... auf diese Weise kann sie auf den lediglich zahlungskräftige Kunden mit
Elementar-Quintadimtrafer nur gerin­ einwandfreiem Leumund eingelassen
gen Zugriff gewinnen.« wurden. Die Maske als reinblütiger Ar­
Savoire schwieg. konide, die Atarin angelegt hatte, ge­
»Wir müssen also einen anderen Weg nügte seinen Zwecken vollends. Ge­
finden«, fuhr Isokrain nach einer Weile fälschte Papiere und Kreditchips sorgten
fort. »Oder die Mission ist endgültig ge­ dafür, dass man ihm mit kriecherischer
scheitert.« Höflichkeit begegnete und nicht allzu
viele Fragen stellte.
In dieser Hinsicht pflegte der TLD
4. traditionell gute Arbeit zu leisten.
Atarin Atarin schlenderte an den exklusiven
Geschäften vorbei, die die unterschied­
Das Firmament aus gelbgoldenen lichsten Luxusgüter anboten, und be­
Sonnenstrahlen veränderte sich bei je- trachtete die Auslagen. Vor einem Anti­
dem zweiten Blick. Kleine, strahlend quitätengeschäft blieb er stehen. Es
weiße Kumuluswolken zogen rasch präsentierte Artefakte aus den Subtor-
durch den Holohimmel, vereinigten sich Minen, Jahrzehntausende alte Stücke
zu filigranen Figuren und stoben wieder aus der Etset Secinda, der Stadt der Sie­
auseinander, nur um schon Augenblicke ben, die man angeblich in den Tiefen des
später wieder zu anderen Gebilden zu­ neuen Planeten Arkon III gefunden hat­
sammenzufließen. Hier sah Atarin ein te. Ein Steinrelief, das einen sieben­
Akibah, dort entstand eine Merte, eine strahligen Stern zeigte, eine kopflose
Riesenechse vom Planeten Jacinther IV, Figur mit kurzen Beinen, ausgeprägtem
in der Originalgröße von stolzen 20 Me­ Hinterteil und drei Brüsten.
tern. Holographische Farben flossen aus Er runzelte die Stirn. Für Archäologie
22 UWE ANTON

hatte er sich schon immer interessiert, wurde umbenannt. Eine Gefahr namens
und Gerüchte besagten, dass die ur­ TRAITOR bedroht die Galaxis ...«
sprüngliche Stadt der Sieben von einem TRAITOR? Es kam langsam, zöger­
hochtechnisierten Volk errichtet worden lich, aber dann fiel es ihm wieder ein.
war, das lange vor den Arkoniden dieses Sparks hatte diesen Namen genannt. Er
System besiedelt hatte. Wieso dann die­ hatte nichts damit anfangen können.
se augenfällige Primitivität der Darstel­ Aber … seine Frau ... Akon ...
lung? Unsinn, dachte er. Wahnvorstellun­
Jemand räusperte sich hinter ihm. gen.
Atarin drehte sich nicht um, betrachtete »Unsere Positroniken arbeiten nicht
weiterhin die Auslage. Das musste der mehr zuverlässig«, fuhr der Räusperer
TLD-Agent sein. Der Name »Maurits fort. »Als griffe ein Paralleluniversum in
Cornelis« war natürlich falsch; bei- das unsere. Wir wissen nicht, wie wir
des waren Kodebegriffe aus dem Liga­ darauf reagieren sollen …«
dienst-Katalog. »Ihr könnt nicht darauf reagieren«,
»Der jüngste von drei Söhnen eines vermutete Atarin.
Hydraulikingenieurs zog mit der Fami­ »Ja …«, gestand der Räusperer nach
lie nach Arnheim«, sagte der Räusperer. einer geraumen Weile ein.
»Allerdings war er ein ziemlich »Ein Angriff der Tu-Ra-Cel? Vielleicht
schlechter Schüler und musste zwei holt der Geheimdienst zum großen Ge­
Klassen wiederholen«, ergänzte Atarin. genschlag aus, will ein für alle Mal im
Manchmal waren antiquierte, mehr oder Arkon-System Klarschiff machen und
weniger sinnleere Kodeformeln wesent­ hat unsere Positroniken mit Schadpro­
lich praktischer als komplizierte High­ grammen infiziert, die sie funktionsun­
tech-Identifikationen. fähig machen ...«
»Wir haben Probleme«, fuhr die Stim­ »Davon gehen wir nicht aus.«
me fort. »Was hat die Dienstaufsicht über­
»Das habe ich mir gedacht«, erwiderte haupt damit zu tun? Und warum kommt
Atarin trocken. »Sonst hätte die Zentra­ sie ausgerechnet zu mir?«
le uns wohl kaum Verstärkung ge­ »Reiner Personalmangel. Aber wir ha­
schickt.« ben immerhin die Quelle der Störungen
»Verstärkung würde ich es kaum nen­ lokalisieren können.«
nen. ›Dienstaufsicht‹ trifft es eher.« »Strangeness?«
Atarin schluckte. »Dienstaufsicht« Der Räusperer lachte leise auf. »Nein.
bedeutete Ermittlungen, das Umdrehen Offensichtlich schwappt auch kein Par­
sämtlicher Steine im gepflegten Garten alleluniversum in das unsrige über.«
des geordneten Ablaufs, unangenehme »Was für ein Ausgangspunkt?«
Fragen, Kontrolle der Spesenabrech­ »Genau das ist es, was uns so zu schaf­
nungen. Kurz: Ärger. fen macht. Das alles hat irgendetwas zu
»Ach?«, sagte er. tun mit dem Mord an Tark Kluf.«
»Keine Panik. Mich interessiert nicht, »Verdammt«, sagte Atarin.
ob du mit deinen beiden Kolleginnen
und Untergebenen schläfst. Das ist zur­ *
zeit irrelevant. Wir haben eine Korrup­
tion sämtlicher Datenbänke festge­ »Wer hat Tark Kluf wirklich ermor­
stellt.« det? Und weshalb? Was ist damals tat­
»Was soll das heißen?« sächlich geschehen?«
»Der TLD verfügt über keine gesi­ »Tark hat auf eigene Faust Nachfor­
cherten Daten mehr. Zahlreiche Einträ­ schungen betrieben. Sein archäolo­
ge wurden durch andere ersetzt. Das gisches Interesse. Die Stadt der Sieben
Huhany’Tussan existiert nicht mehr, auf Subtor. Dem neuen Arkon III. Das
Die Nadel des Chaos 23

hat nichts mit offiziellen TLD-Nachfor­ das die Auslagen sicherte, war absolut
schungen zu tun.« transparent; Atarin spiegelte sich nicht
Die Etset Secinda, dachte Atarin. Ar­ einmal darin. »Ein Artefakt unbekannter
chäologie. Tark hat sich dafür interes­ Herkunft?«
siert, ich interessiere mich auch dafür. »Wie bitte?«
»Aber ich sehe da keinen Zusammen­ »Dieser Tisch soll das Produkt einer
hang ...« fremden Zivilisation sein?« Das passt
»Wer hat ihn ermordet?«, wiederholte doch alles nicht zusammen, dachte er.
der Mitarbeiter der Dienstaufsicht. »In den Minen soll Karikin gefördert
»Da’inta Sparks«, sagte Atarin. werden, aber ich habe herausgefunden,
»Bist du dir sicher?« dass es sich dabei um ein Medikament
»Ich habe es gesehen.« handelt. Und ich habe sie gesehen«, fuhr
»Wirklich?« er fort. »Die Minen. Als ich entführt
Atarin dachte nach. »Tark lag tot auf wurde. Oder nur in einem Traum? Hier
dem Boden, und sie ...« auf Arkon III? Sie faszinieren mich. Aber
»Hast du gesehen, wie sie ihn getötet ich kann mich nicht erinnern, weiß
hat?« nichts darüber, nur, dass man dort
Er überlegte. »Sie griff uns an und fremdartige Artefakte gefunden und un­
dann ...« tersucht hat.«
»Hast du es gesehen?« »Genau das hat Tark Kluf ermitteln
Nein. Er hatte es nicht gesehen. wollen, nicht wahr? Er hat Antworten
»Wer ist Da’inta Sparks?«, ging er in gefunden. Aber glaubst du wirklich,
die Offensive. »Die rechte Hand des Sen­ dass Tark umgebracht wurde, nur um
tenza-Bosses Savoire oder eine USO- ein paar keiner bekannten Zivilisation
Agentin?« zuzuordnende Überbleibsel zu schüt­
Der Räusperer seufzte leise. »Wenn zen?«, erwiderte der Räusperer rheto­
wir das überprüfen wollen, stürzen un­ risch. »Solche Relikte gibt es hier in die­
sere Positroniken ab. Unter anderem sem erhabenen Einkaufszentrum für ein
deshalb gehen wir davon aus, dass wir paar tausend Chronner pro Fundstück.
genau dort nachhaken müssen. Wir müs­ Zum Teufel, die Arkoniden verschenken
sen noch einmal in das Quartier, in dem sie praktisch als Andenken an Touristen,
Tark Kluf getötet wurde.« und auch an Möchtegern-Touristen, die
Atarin seufzte. Er fragte sich, ob er die nie von Subtor gehört haben. Damit sie
Kraft dazu aufbringen würde. »Deshalb beweisen können ...«
bist du also hier«, sagte er. »Was?«, fragte Atarin.
»Nein«, sagte der Räusperer. Der Räusperer räusperte sich. Atarin
Atarin hörte, wie der Mann plötzlich grinste. Irgendwann hatte es ja einmal
auf und ab schritt, hin und her. »Son­ dazu kommen müssen.
dern wegen dir. Du bist auf einmal ver­ »Sehen wir uns das Quartier an«, wich
schwunden. Vielleicht haben sie dich der Mann von der Dienstaufsicht seiner
erwischt, bevor du etwas herausfinden Frage aus.
konntest. Vielleicht steckt aber auch viel »Na schön.« Atarin drehte sich zu ihm
mehr dahinter.« um.
»Sie?«, fragte er. Und erstarrte buchstäblich.
Der Räusperer antwortete nicht. Der Agent war groß und hager und
»Warum schließen sie die Minen? Du trug einen dunklen Anzug nach neues­
weißt, dass sie die Subtor-Minen ge­ tem Schnitt. Sein Haar war modisch
schlossen haben?«, fragte er, während er kurz gehalten, sein Gesicht schmal. Er
einen Tisch im Schaufenster betrachte­ schaute verkniffen drein, wodurch er
te. Ein primitives Möbelstück, kein Pro­ auch in seiner Tarnung als Arkonide ei­
dukt einer Hightech. Das Energiefeld, nen düsteren Eindruck machte.
24 UWE ANTON

Atarin kannte ihn. »Jenseits der Wände pulsiert der Hy­


Es war der Mann, der sich in Rutmer perraum«, sagte der Insk-Karew leise,
Vitkineffs Schuss geworfen hatte, als er »fließen unbegreiflich monströse Strö­
nach seiner Entführung im Mivado-Be­ me, die vom Elementar-Quintadimtrafer
zirk wieder zu sich gekommen war. der Nadel des Chaos gebändigt wer­
»Pal Astuin«, stellte sich der Agent den.«
vor. Savoire zuckte mit den Achseln. »Ich
bemerke nichts davon.«
»Natürlich nicht. Gewöhnliche Besat­
5. zungsmitglieder spüren gar nicht, wie
Hangay nahe sie am Hyperende sind. Aber erin­
nerst du dich an den Bericht des T-Pro­
Dr. Laurence Savoire runzelte irritiert gnostikers? Für sie stellt der Bereich eine
die Stirn, als Isokrain plötzlich stehen Gefahr dar, die durchaus tödliches Po­
blieb, eine Hand ausstreckte und die tenzial birgt.«
Wand des Ganges berührte. Schrecken Der Kybernetiker streckte ebenfalls
durchfuhr ihn, als er bemerkte, dass der zögernd eine Hand aus, nahm dann allen
Kosmitter unvermittelt die zwischenge­ Mut zusammen und berührte die Wand.
ordnete Existenzebene verließ und auf Auch jetzt konnte er nichts Ungewöhn­
die normale zurückkehrte. liches feststellen. »Der Hyperraum?«,
Nun waren sie beide keine allenfalls fragte er ungläubig.
halb transparenten, schimmernde Ge­ »Ich kann es mit meinen Sinnen deut­
stalten mehr, die von keinerlei Überwa­ lich spüren. Aber sie sind den deinen
chungseinrichtungen wahrgenommen weit überlegen.«
und im Regelfall von normalen Lebewe­ Savoire schluckte. Die Worte des Kos­
sen überhaupt nicht bemerkt werden mitters verstärkten sein Unbehagen nur
konnten. Nun waren sie für jedermann noch.
sichtbar, für Ganschkaren und Mor’Daer Nun ja, dachte er, um sich zu beruhi­
und alle Arten von Kameras. gen. Lange werden wir nicht mehr di­
»Isokrain!«, zischte er und sah sich rekt neben dem Hyperraum ausharren
um. Kolonnen-Angehörige schienen je­ müssen. Nur noch, bis der nächste Por­
doch nicht in der Nähe zu sein, und tivabschnitt installiert ist, der unsere
Überwachungsgeräte konnte er auch Position in der Nadel des Chaos etwas
nicht ausmachen. weiter nach innen rücken lassen wird.
Der Insk-Karew beachtete ihn gar »Komm weiter!«, sagte der Diakater
nicht, ignorierte seine Überraschung ungeduldig. Er gestand sich ein, dass
und sein Unbehagen. Er ließ die Hand­ Hyperende ihm Angst machte. Zu ge­
schere über die Wand gleiten, und die waltig waren die Kräfte, die er nicht ver­
kleinen Fingerchen neben ihr führten stand und die sich den Worten des Kos­
einen hektischen, für Savoire sinnlosen mitters zufolge nur wenige Meter von
Tanz auf. ihm entfernt befanden, von denen nur
»Hyperende«, sagte der Insektoide die Außenhülle des Kolonnen-Forts sie
geistesabwesend. trennte, und vielleicht ein Schutz­
»Was?«, flüsterte der Erste Kyberneti­ schirm.
ker. Der Avatar des Weltweisen zögerte,
»In direkter Nähe befindet sich Hy­ als erzeuge die Nähe des Hyperraums in
perende.« Isokrains Fühler hoben sich, ihm eine Faszination, der er sich nur
näherten sich vorsichtig der Wand, als schwer entziehen konnte. Doch nach ei­
wollten sie sie ebenfalls berühren, zuck­ nigen Sekunden richtete er die Fühler
ten im letzten Augenblick jedoch wieder auf und zog die Hand zurück.
zurück. »Ja, gehen wir weiter«, sagte er.
Die Nadel des Chaos 25

Erleichtert spürte Savoire, dass er dann Savoire holte. Schon die Aus­
Isokrain ihn mit der anderen Hand be­ maße GLOIN TRAITORS zwangen sie
rührte und teleportierte. dazu, von der wachsenden Ungeduld
ganz zu schweigen. Wollten sie in ver­
* tretbarer Zeit etwas erreichen, mussten
sie sich sputen.
Obzwar die Umgebung mit jeder Tele­ Schließlich verharrte Isokrain mitten
portation wechselte, blieb sie irgendwie in einem Gang, ließ Savoire jedoch nicht
ewig gleich. Abgesehen von Hyperende los, um sich bei Gefahr einer Entde­
unterschied sich der Aufenthalt in der ckung ohne Verzögerung auf die zwi­
Nadel des Chaos in keiner Weise von schengeordnete Existenzebene versetzen
dem in einem gewöhnlichen Kolonnen- zu können.
Fort. Viel zu groß waren die Entfer­ »Wir gehen ein Stück zu Fuß weiter«,
nungen, viel zu anonym das einzelne sagte der Kosmitter.
Besatzungsmitglied, viel zu indirekt die Der Kybernetiker sah verwundert zu
Art der Tätigkeiten, als dass sich an die­ dem Insektoiden hoch, stellte jedoch
sem Ort ein Bewusstsein von Besonder­ keine Fragen und folgte ihm. Der Insk-
heit hätte bilden können. Karew schritt absichtlich langsam aus
Unentdeckt und für Savoire offen­ und blieb dann stehen. »Hier ist der
sichtlich ziellos bewegten sie sich durch Übergang«, sagte er.
die nicht enden wollende Reihe der Savoire begriff. »Du meinst ...«
Forts. Die Gleichförmigkeit machte dem »Ja. Der Übergang vom Flankenab­
Kybernetiker immer mehr zu schaffen. schnitt, der im Hyperraum liegt, zum
So beeindruckend GLOIN TRAITOR Hauptkörper GLOIN TRAITORS.«
äußerlich auch sein mochte, von den »Es ist wie bei Hyperende. Ich spüre
reinen Daten und Zahlen her, der schie­ nicht das Geringste davon. Für mich ist
ren Größe, so ernüchternd wirkte der das ein Abschnitt in einem Korridor wie
Aufenthalt im Inneren. jeder andere.«
Wie erwartet hatte ESCHER Isokrain »Ich spüre den Übergang deutlich.
und ihn in der Nadel des Chaos auf Er­ Wir befinden uns wieder im Normal­
kundung geschickt, wenn auch – genau raum.«
wie damals im Kolonnen-Fort – nicht Savoire wusste nicht, ob er erleichtert
mit eindeutigen Anweisungen, wonach sein sollte. Immerhin war dieser Haupt­
sie suchen sollten. Savoire nahm das als teil der Nadel des Chaos direkt am Mahl­
weiteres Anzeichen für die Probleme strom von Athaniyyon angesiedelt und
und die momentane Hilflosigkeit der Pa­ wurde dort mit exorbitantem tech­
rapositronik, eine Rat- und Machtlosig­ nischem Einsatz stabilisiert. Wenn es zu
keit, die ihm große Angst bereitete. Für einer Fehlfunktion kam und ...
ihn war ESCHER nicht nur Inbegriff der Er hielt mit dem Gedanken inne. Viel­
letzten Hoffnung der Menschheit, son­ leicht war das eine Möglichkeit, GLOIN
dern bislang eine überlegene Entität ge­ TRAITOR zu vernichten? Der Sturz in
wesen, der fast nichts unmöglich war. das gigantische Schwarze Loch ...
Doch nun wurde diese Überlegenheit Nein, dachte er dann. ESCHER hat es
durch die schiere Größe des Objekts der ja gesagt. Auch davor wird die Nadel
Chaos-Mächte bis hin zur scheinbaren zehnfach, wenn nicht sogar hundertfach
Bedeutungslosigkeit reduziert. gesichert sein ...
Isokrain hatte die übertriebene Vor­ Er nickte. Eine gewisse Gleichmütig­
sicht aufgegeben, die er im Portivab­ keit breitete sich in ihm aus. GLOIN
schnitt noch weitgehend gewahrt hatte: TRAITOR war perfekt gesichert. Die
Er teleportierte nicht mehr allein vor­ Nadel war zu wichtig für die Chaos­
aus, um die Umgebung zu sichern, bevor mächte; sie würden vorgesorgt haben. Es
26 UWE ANTON

würde zu keinerlei Fehlfunktionen kom­ des Chaos mit hochnotpeinlicher Akri­


men. bie durchsuchen. Und die Station war so
Unvermittelt stellte sich eine andere wichtig, dass sie dabei früher oder spä­
Erkenntnis bei ihm ein. Wenn sie erst ter auch keine Rücksicht mehr auf die
mit diesen Schritten den Flankenab­ Bekanntschaft des Weltweisen mit dem
schnitt im Hyperraum verlassen hatten, Chaotarchen Xrayn nehmen würde.
lag der Hauptteil der Nadel noch vor ih­ »Ja«, gestand Isokrain, als schon ein
nen. Er hatte den Eindruck, sich schon Trupp Mor’Daer heranmarschiert kam.
ewig in GLOIN TRAITOR auf Erkun­ »Sie sind offenbar zu der Hauptschalt­
dung zu befinden, doch jetzt wurde ihm zentrale unterwegs. Ich habe deren Be­
erst richtig bewusst, wie groß die Nadel deutung schlichtweg unterschätzt. Sie
des Chaos wirklich war. wird offenbar streng bewacht. Die Ein­
»Ich lege mit meinen Teleportationen tönigkeit der Umgebung hat mich nach­
jetzt größere Entfernungen zurück«, lässig werden lassen.«
schien Isokrain seine Gedanken indi­ »Es ist ja noch einmal gut gegangen.«
rekt zu bestätigen. »ESCHER vermutet Er hatte Verständnis für die Unvorsicht
im Mittelpunkt des Normalraum-Ab­ des Kosmitters. Ein Gang wie der ande­
schnitts eine Art Hauptschaltzentrale re, ein Kolonnen-Fort wie das andere ...
der Station, und wir sollten uns dort Die Gleichförmigkeit des Gigant-Ob­
umsehen.« jekts lullte ein.
»Natürlich«, pflichtete Dr. Savoire Isokrain blieb abrupt stehen. Am En­
ihm bei. Eine bessere Alternative hatte de des Ganges tauchte ein Phänomen
er nicht zu bieten. auf, ein dichter, von innen heraus dun­
kelrot glühender, ständig wabernder Ne­
* bel mit einer Größe von ungefähr zwei
Metern.
Sie entgingen der Entdeckung nur Ein Kolonnen-Motivator!
durch reines Glück. Normalerweise wurden diese ... Ge­
In dem Gang, in dem Isokrain materi­ schöpfe, über die nur wenig bekannt
alisierte, schritten zwei Duale der Ter­ war, zu Einheiten der Kolonne entsandt,
minalen Kolonne aus. Humpelnd und die durch mangelnde Loyalität auffällig
ungelenk, aber trotzdem gefährlich we­ geworden waren. Ihre bloße Anwesen­
gen der Endogenen Qual, mit der sie an­ heit erzeugte bei intelligenten Lebewe­
dere Lebewesen belegen und schlagartig sen eine gelöste Stimmung und Gefühle
handlungsunfähig machen konnten. der Loyalität gegenüber TRAITOR, und
Doch die beiden hohen Offiziere durch unterschwellige, paranormale Be­
TRAITORS waren nicht nur in ein Ge­ einflussung sorgten sie gezielt dafür,
spräch vertieft, das ihre vollständige dass die Völker der Kolonne selbstlos für
Aufmerksamkeit beanspruchte, sie das große Ziel TRAITORS arbeiteten.
wandten den beiden Spionen auch die Ihre genaue Position in der Hierarchie
Rücken zu. Isokrain zog Savoire augen­ der Terminalen Kolonne war unklar, ge­
blicklich mit sich auf die zwischenge­ nau, wie auch nicht bekannt war, ob
ordnete Existenzebene. diese Erscheinung die tatsächliche Kör­
Der Kybernetiker spürte, wie ihm der perform der Kolonnen-Motivatoren war,
Schweiß ausbrach. »Das war knapp«, es sich also um Energiewesen handelte,
murmelte er. Eine Entdeckung hätte oder ob sie ihre Körper lediglich hinter
nicht nur für sie beide üble Folgen, son­ einem Nebelfeld verbargen.
dern für die gesamte Mission. Aber man sagte ihnen gewisse para­
Würde die Besatzung Eindringlinge in psychische Kräfte nach, und sie waren
GLOIN TRAITOR entdecken, würde sie auch für den Avatar des Weltweisen mit
sämtliche neuen Bestandteile der Nadel Vorsicht zu genießen.
Die Nadel des Chaos 27

Dr. Savoire verspürte Beklommenheit, in den neuen Portivabschnitt vorgedrun­


als die Nebelgestalt näher kam, doch sie gen waren.
schwebte mitten durch sie hindurch, oh­ Ein Geschöpf, das aus einer Umge­
ne auf ihre Anwesenheit zu reagieren. Er bung stammte, die dem Chaos sehr viel
nahm auch nichts von einer Beeinflus­ näher war als die Welt, in der Savoire
sung wahr, was wohl daran liegen moch­ lebte. Ein Wesen, das vielleicht einem
te, dass er sich auf einer anderen Ebene Proto-Chaotischen Universum ent­
befand. sprungen war und deshalb die Bedin­
»Brechen wir ab?«, fragte er. gungen des Einsteinraums als unange­
»Nein«, sagte Isokrain. »Nichts ist nehm, wenn nicht sogar als fast
passiert. Der Motivator hat uns nicht unerträglich empfand.
wahrgenommen. Er stellt keine Gefahr Eine Wesenheit, die über starke para­
für uns dar, solange wir uns auf der physische Fähigkeiten verfügte, sie aber
zwischengeordneten Existenzebene be­ im Allgemeinen in dieser für sie lebens­
finden. Niemand kann uns entde­ feindlichen Umgebung nicht vollständig
cken.« beherrschte. Auf jeden Fall aber ein
mächtiger Repräsentant der Terminalen
* Kolonne.
Der Terminale Herold verharrte mit­
Waren die Gänge der Kolonnen-Forts ten in der Bewegung, und Dr. Savoires
bislang größtenteils verlassen gewesen, Herzschlag schien kurz auszusetzen, als
herrschte im Zentrum der Nadel gerade­ die schillernde, kaum auszumachende
zu reges, fast schon chaotisches Trei­ Gestalt unter dem Nebel den Kopf drehte
ben. Allenthalben begegneten sie Ko­ und in ihre Richtung sah.
lonnen-Motivatoren, patrouillierenden Wir befinden uns auf der zwischenge­
Mor’Daer, debattierenden Ganschkaren, ordneten Existenzebene!, dachte er mit
Angehörigen zahlreicher weiterer Ko­ aufkeimender Verzweiflung und Furcht.
lonnen-Völker. In Dr. Savoire wurde die Der Herold kann uns überhaupt nicht
Gewissheit immer stärker, dass sie sich wahrnehmen.
in der Tat der zentralen Schaltstelle Der Herold machte einen Schritt auf
GLOIN TRAITORS näherten. sie zu, genau in ihre Richtung, als würde
Unvermittelt kam ihnen ein geflü­ er sie bemerken, obwohl sie ihm eigent­
geltes, annähernd humanoides Wesen lich verborgen bleiben mussten, und ...
von etwa zwei Metern Größe entgegen. Isokrain drehte sich um, zerrte ihn mit
Savoire konnte es nicht richtig erken­ sich, floh geradezu vor der Erscheinung.
nen, da es von einem leuchtenden Nebel Als sie einen anderen, leeren Gang er­
umgeben war, doch er konnte sich seiner reichten, teleportierte er.
Aura nicht entziehen. Von dem grazilen,
fast ätherischen Geschöpf ging eine *
Ausstrahlung vollkommen fremdartiger
Natur aus, die ihn bis in die letzte Faser Sie materialisierten in einem leeren,
durchdrang. stockfinsteren Raum. Savoire wagte sich
Savoire schauderte. Er fühlte sich in nicht zu bewegen, aus Furcht, er würde
eine andere Welt gerissen, eine lebens­ gegen ein Hindernis oder eine Wand lau­
feindliche, unbegreifliche, in der sein fen. Erst jetzt bemerkte er, wie groß sei­
Innerstes nach außen gekehrt und sein ne Angst war, wie nah er der nackten
Äußeres nach innen gestülpt wurde. Panik stand.
Und das auf der anderen Ebene! »Jetzt brechen wir ab«, beschloss der
Ein Terminaler Herold. Wie sie schon Kosmitter. »Wir geben der Sicherheit
einen auf den Holos gesehen hatten, als den Vorzug. Wenn es einen Abschnitt der
die Kolonnen-Einheiten zum ersten Mal Nadel des Chaos gibt, der stärker gesi­
28 UWE ANTON

chert ist als alle anderen, dann ist es die­ Es hatte es für ihn nicht gerade leich­
ser.« ter gemacht, anschließend die bizarre
»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Lebensgeschichte des Prognostikers zu
Savoire erleichtert. »Hier gibt es für uns erfahren.
nichts zu gewinnen. Es ist völlig über­ Immerhin wussten sie nun aus der Pe­
flüssig, dass wir uns der Hauptschalt­ riodischen Chronik des Latifalk Acht-
zentrale nähern. Denn den Angriff auf Acht, dass sich über ganz GLOIN TRAI­
GLOIN TRAITOR werden nicht wir TOR verteilt in diversen Kolonnen-Forts
durchführen, sondern ESCHER.« regelrechte kleine Kolonien von T-Pro­
Der Kosmitter teleportierte wieder, gnostikern befanden.
und wieder, und direkt darauf noch ein­ »ESCHER wünscht es«, beantwortete
mal. Savoire fragte sich, wie groß Iso­ Isokrain seine Frage lapidar.
krains Reichweite eigentlich war, welche »Ich halte es für sinnlos, erneut solch
Entfernung er mit einem Sprung zu­ ein Risiko einzugehen. Was können wir
rücklegen konnte und wie oft er hinter­ dort Neues erfahren?«
einander springen konnte. Er musste »Wenn du möchtest, bringe ich dich
sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, zuerst in den Versorgertrakt zurück.«
dass der Körper des Insektoiden künst­ Savoire winkte ab. »ESCHER wird
lich war, ein vom Weltweisen geschaf­ sich seinen Teil gedacht haben«, mur­
fener Avatar, der ganz andere Möglich­ melte er und reichte Isokrain die Hand.
keiten hatte als ein natürlicher Mutant. Der Kosmitter teleportierte.
Sie hatten TRAICOON 06-202a, ihr
»eigenes« Kolonnen-Fort, fast schon wie­ *
der erreicht, als Isokrain nach einer Tele­
portation innehielt. Er hob sacht die Das Wohnquartier der T-Prognostiker
Fühler und klackte kurz mit den Scheren. ähnelte dem, das sie bereits erkundet
Sein Blick schien ins Nichts gerichtet. hatten, wie ein Ei dem anderen. Vor ih­
»Der Weltweise hat mir mitgeteilt«, nen erstreckte sich eine tiefschwarze
sagte er nach ein paar Sekunden, »dass Wand aus Ricodin ohne Fenster oder Tü­
ESCHER ganz in der Nähe die ›rollen­ ren vom Boden bis zur Decke des fünf
den Räder‹ von zwei T-Prognostikern Meter hohen Gangs. Savoire wusste,
entdeckt hat. Er möchte, dass wir ihnen dass sich irgendwo darin ein Schott von
folgen und die Position ihres Wohnquar­ drei Metern Höhe befand, doch er konn­
tiers feststellen.« te es nicht ausmachen, es war nahtlos in
Savoire zuckte mit den Achseln. »Wes­ die Wand eingelassen.
halb?« »Teleportieren wir?«, fragte Savoire.
Sie waren bei einer früheren Erkun­ »Nein!« Der Kosmitter klackte mit
dung in solch ein Quartier eingedrungen den Greifscheren. »Ich möchte nicht das
– und entdeckt worden. Sie waren un­ geringste Risiko eingehen. Wir bleiben
vorsichtig gewesen, und die Sache hatte auf der zwischengeordneten Existenz­
ein böses Ende genommen. Zwar hatten ebene, bis ein Cyborg kommt, und folgen
sie bei der Aktion den Datenträger ent­ ihm dann hinein.«
deckt, der ihnen einiges über die T-Pro­ Sie mussten nicht lange warten. Schon
gnostiker verraten hatte, doch zwei nach wenigen Minuten schwebte einer
dieses Volkes namens Latifalk Acht- der linsenförmigen Spezialkoffter heran,
Acht und Scocolta Zwei-Null waren da­ die die Prognostiker als Transportmittel
bei ums Leben gekommen, und deshalb benutzten, und hielt vor der Ricodin-
machte Savoire sich Vorwürfe. Wären Wand an. Eine bis zum Boden reichende
sie besonnener vorgegangen, würden Tür öffnete sich, eine Rampe wurde aus­
diese beiden Günstlinge des Hyperraums gefahren, und eins der »Laufräder« roll­
noch leben. te hinab und zu der Wand.
Die Nadel des Chaos 29

Savoire und Isokrain setzten sich auf nötigt ESCHER am dringendsten?«,


der zwischengeordneten Existenzebene fragte er dann.
in Bewegung. Savoire musterte den Insektoiden ein­
Das Schott öffnete sich, der T-Pro­ dringlich. Wollte der Insk-Karew etwa
gnostiker rollte hindurch, und die bei­ vorschlagen, die T-Prognostiker ...
den Spione hatten des Wohnquartier Er wagte es nicht, den Gedanken zu
betreten, bevor es sich wieder schloss. Ende zu führen. Die Idee, die da in ihm
Wie das erste Schwerpunkt-Wohn­ emporstieg, mutete ihm so abwegig, so
zentrum der T-Prognostiker, das sie er­ weit hergeholt an, dass er sie einfach
kundet hatten, stellte auch dieses einen nicht weiterverfolgen konnte.
isolierten Bereich dar, den kein anderer Er sah zu den T-Prognostikern an den
Angehöriger der Kolonne betreten konn­ Wänden. Und doch, und doch ...
te. Und wie das andere kam es ohne »Du willst doch nicht etwa ...«, sagte
jegliche Wohnlichkeit aus, denn die be­ er und verstummte wieder.
nötigen seine Bewohner nicht. Dafür »Ja?«
gekachelte Sterilität, wohin sie auch sa­ Er ignorierte Isokrains fragenden
hen. In dem schmucklosen, von bläu­ Blick. Andererseits schien ESCHERS
lichem Licht erhellten Hauptraum fan­ Lage im Moment aussichtslos zu sein.
den sie kein einziges Möbelstück, dafür Da mochte solch eine phantastische Idee
aber an den Wänden Dutzende von vielleicht die einzige sein, die einigerma­
Schnittstellen. ßen Aussicht auf Erfolg versprach.
Insgesamt ein halbes Dutzend der le­ »Was ist es, das ESCHER so dringend
benden Räder befanden sich in dem sucht?«, wiederholte er schließlich die
Raum, einige an ihren Naben an den Worte des Avatars fast wider Willen.
Wänden hängend, mit einer Schaltstelle »Eine Verbesserung der Rechenfähig­
verkoppelt, andere wiederum in Bewe­ keit. Der Kapazität.«
gung, durch den Raum oder gerade aus »Richtig. Anders ausgedrückt ...«
ihm hinausrollend. »Zusätzliche Prozessoren«, antwor­
Savoire zählte die Schnittstellen, die tete der Kosmitter wie aus der Pistole
aus den Wänden ragten und nach Belie­ geschossen.
ben von den untergebrachten T-Pro­ Savoire nickte. »Und was haben wir
gnostikern belegt werden konnten. Die hier in Gestalt der T-Prognostiker vor
meisten der Bewohner waren wohl un­ uns? Darauf willst du doch hinaus, nicht
terwegs; er schätzte, dass das Schwer­ wahr?«
punkt-Wohnzentrum etwa 28 bis 30 Isokrains Fühler richteten sich abrupt
Günstlingen des Hyperraums als ständi­ auf.
ger Anlaufpunkt diente. »Ebenfalls richtig. Von Mathematik
»Ich möchte eigentlich noch einmal und dem Hyperraum besessene Ge­
Nano-Kolonnen ausschleusen«, sagte schöpfe, die für ihre Neigung sogar be­
Isokrain. »Dazu müssten wir allerdings reit sind, den eigenen Körper zu opfern.
die Ebene wechseln.« Nach allem, was wir wissen, sind sie ja
Savoire schüttelte den Kopf. »Lass es freiwillig zu dem geworden, was sie
bleiben, es ist zu gefährlich. Vergiss sind.«
nicht, die Überwachungsmechanismen »Du willst also ...«
haben uns schon beim ersten Mal ent­ »Nicht ich. Du scheinst auf diese Idee
deckt. Und die automatischen Waffen gekommen zu sein.«
fackeln nicht lange, wenn sie Ein­ Isokrain schwieg.
dringlinge vor die Rohre bekommen. »Na schön«, fuhr Savoire schließlich
Was hoffst du überhaupt herauszufin- fort. »Ja, wir wissen ebenfalls, dass die
den?« Prognostiker moralisch indifferent sind.
Der Kosmitter zögerte kurz. »Was be­ Sie sind für TRAITOR tätig, weil die
30 UWE ANTON

Terminale Kolonne ihnen Arbeitsplätze 6.


bietet, die sie fordern und befriedi­ Atarin
gen.«
Der Insektoide schwieg noch immer. »Keine Energiesignaturen«, sagte Pal
»Aber das könnte ESCHER schließ­ Astuin. »Alle Scans negativ. Man hat
lich auch!«, fuhr Savoire fort. »Und zwar keine unliebsamen Überraschungen für
sehr viel besser, sehr viel direkter. Als uns zurückgelassen.«
Prozessoren der Parapositronik ...« Warding Atarin warf einen Blick auf
»Wenn es möglich wäre«, überlegte seine Armbandanzeiger. »Ich verzeichne
der Kosmitter, »einige Prognostiker als eine leichte Energiefluktuation auf die­
zusätzliche Elemente in die Hyperdim- ser Etage ...«
Matrix einzubinden, könnten wir »Die wird mir auch angezeigt. Alles
ESCHERS Defizite damit höchstwahr­ deutet auf Schwankungen in der Gebäu­
scheinlich beheben.« deversorgung hin.«
»Das ist doch lächerlich! Wie sollten »Wenn du meinst ...« Atarin wider­
wir solch ein Angebot unterbreiten? Da­ sprach Pal Astuin nicht. Er zog es vor zu
zu kommen die logistischen Probleme! schweigen und hoffte, dass der andere
Wie wollen wir die T-Progonistiker un­ seine Überraschung bei ihrem Kennen­
bemerkt zu ESCHER ins Fort TRAI­ lernen nicht bemerkt hatte.
COON 06-202a transportieren ... falls sie Die Situation wurde immer undurch­
überhaupt an einer neuen Form der sichtiger. Er war davon ausgegangen,
Existenz interessiert sind? Oder wollen sich den Vorfall bei seinem Erwachen
wir sie einfach entführen und zwin­ nur eingebildet zu haben, doch nun ...
gen?« Wie konnte es sein, dass er in einem
Isokrain erwiderte nichts darauf. Traum, einer Vision, was auch immer,
»Und wie wollen wir daraufhin ihr einen Mann sah, dem er wenig später
Verschwinden aus der Nadel des Chaos tatsächlich begegnete? Dass eine Person
vertuschen?«, fuhr Savoire schließlich aus dem Nichts auftauchte und einen
fort. »Die T-Prognostiker sind sehr wich­ Strahlenschuss abwehrte, war einfach
tig für die Terminale Kolonne. Ange­ nicht möglich. Genau, wie es unmöglich
sichts ihres Wertes wird TRAITOR war, dass jemand sah, wie ein licht­
Nachforschungen betreiben. Sie können schneller Energiestrahl auf ihn zuraste.
nicht einfach so verloren gehen!« Astuin ging weiter, und Atarin folgte
»Ja«, sagte der Kosmitter. »Jede Men­ ihm. Nichts wies darauf hin, dass hier
ge Wenn und Aber. Viele ungelöste Fra­ vor Kurzem ein schwerer Brand gewütet
gen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist und einige Wände zerstört hatte. Sämt­
dieser Einfall nur ein Hirngespinst.« liche Schäden waren offensichtlich um­
Entgeistert sah Savoire den Insek­ gehend beseitigt worden.
toiden an. Der Agent blieb stehen und deutete
»Aber immerhin ist das ein konkreter auf eine Tür. »Ist es hier?«
Vorschlag, der erste, den wir haben.« Atarin nickte. »Wieso hat man hier so
Nun fiel es ihm wie Schuppen von den schnell Ordnung geschaffen?
Augen. Plötzlich war ihm klar, wieso die »Das werden wir herausfinden!« As­
Parapositronik sie noch einmal in ein tuin holte einen Kodegeber aus einer
Wohnquartier der T-Prognostiker ge­ Tasche seines leichten Kampfanzugs
schickt hatte. und drückte ihn gegen den Türmecha­
ESCHER wollte Informationen sam­ nismus. »Ich glaube, gleich werden wir
meln ... und vielleicht überprüfen, ob ein weiteres kleines Geheimnis aufklä­
dieser auf den ersten Blick völlig abwe­ ren.«
gige Plan nicht doch irgendwie realisier­ Auch Atarin hatte Spezialmontur an­
bar war. gelegt, als sie mit Astuins Gleiter zu dem
Die Nadel des Chaos 31

Gebäude geflogen waren, in dem Tark Wohnbereich mit Sitzmöbeln, die um ei­
Kluf gestorben war. nen Tisch gruppiert waren. Zwei Türen;
Sein Magen zog sich zusammen, als er eine davon führte, wie er an der Ecke
an seinen Vorgesetzten und Mentor eines Betts erkannte, in einen Schlafbe­
dachte. Aber nicht nur, weil die Erinne­ reich, die andere in eine Hygienezelle.
rung noch immer so schmerzhaft war, Alles genau wie damals, dachte er, als
auch aus einem anderen Grund. Er fühl­ ich mit Arna und Oksa dieses Quartier
te geradezu, dass sich dort etwas befand, zum ersten Mal betreten und Tarks Lei­
was nicht dorthin gehörte. che gesehen habe.
Und wenn ich jetzt Durchfall bekom­ Abgesehen davon, dass die Küchen-
me?, dachte er, erkannte aber sofort, wie und sonstigen Geräte nun echt und keine
abstrus seiner Befürchtung war. Agenten Fassaden für Geheimdienst-Utensilien
wie er bekamen während einer Mission zu sein schienen. Und von der Springe­
keine Magenprobleme. rin, die, wohl gerade aus einer konven­
Was genau meinte er damit? Es war tionellen Wasserdusche kommend, in
offensichtlich, dass Astuin ihm Wissen der zweiten Türöffnung stand, sich ein
voraushatte. viel zu kleines Handtuch vor den Leib
»Ich bin so weit«, sagte er. hielt, das ihre Blößen in keinerlei Hin­
»Dann mal los. Verzerrer aktiviert?« sicht bedecken konnte, und erneut gel­
»Ja.« Die TLD-Geräte waren den gän­ lend und überraschend tief schrie.
gigen Modellen der Tu-Ra-Cel nach­ Sie war jung, die Mehandor, vielleicht
empfunden. Sie basierten auf der De­ 40, 45 Jahre, und sogar für Atarins ter­
flektor-Technik, machten jedoch nicht ranisches Auge überwältigend hübsch.
unsichtbar, sondern verzerrten die Ge­ Zwar an die zwei Meter groß und min­
sichtszüge der arkonidischen Agenten, destens ebenso viele Zentner schwer,
wodurch sie völlig unkenntlich wurden, aber gut gebaut, ohne ein Gramm Fett
was bei den Personen, die mit ihnen zu zuviel am Leib. Ihre Brüste waren min­
tun bekamen, im Allgemeinen zu tiefer destens dreimal so groß wie die von Arna
Verunsicherung oder sogar nackter Pa­ und Oksa zusammen, ihre Schenkel fes­
nik führte. te Presswerke für Arkonstahl, und ihr
Mit einem leisen Klicken öffnete sich Gesicht angenehm schmal geschnitten
die Tür. Astuin schob sie so leise wie und filigran, fast, als hätte sie es opera­
möglich auf und setzte einen Fuß über tiv verändern lassen, um für Arkoniden
die Schwelle. attraktiv zu wirken. Ihr volles Haar lag
Der sofort erfolgende Schrei war nun flach und nass am Kopf an, ein roter
durchdringend und bestimmt noch fünf Halo, das trocken und frisiert bestimmt
Stockwerke im Umkreis zu hören. noch einmal 20 Zentimeter zu ihrer
scheinbaren Größe hinzutun würde.
* »Tu-Ra-Cel«, rief Astuin und riss sei­
ne Waffe hoch, doch das beeindruckte
Astuin fluchte leise und machte einen die Springerin nicht im Geringsten. Sie
Satz in die Wohnung. ließ das Handtuch fallen, stürmte los
Atarin folgte ihm und zog die Tür hin­ und rannte den TLD-Agenten einfach
ter sich zu. Falls es zu weiterer Lärment­ über den Haufen. Bevor er reagieren
wicklung kommen würde, mussten die konnte, flog er einen Meter zur Seite und
Nachbarn nicht unbedingt etwas davon prallte neben der Tür gegen die Wand.
mitbekommen und die Gebäudesicher­ »Ganz ruhig«, sagte Atarin, doch ge­
heit informieren. nauso gut hätte er zu einem Berkomnair
Er nahm alle Eindrücke gleichzeitig vom sechsten Arkonplaneten Iprasa
auf. An der hinteren Wand eine Küchen­ sprechen können.
zeile mit Automatikgeräten, davor ein Er hatte es zumindest versucht. Die
32 UWE ANTON

Mehandor versetzte ihm einen Schlag, Pal Astuin schloss das Gerät an den
und er lag plötzlich auf dem Boden. Sie Kodierer an.
kniete über ihm, ihre Brüste streichelten »Leer«, sagte er nach ein paar Sekun­
seinen Bauch, ihre Hände lagen um sei­ den und warf ihn mit spielerischer Läs­
nen Hals ... sigkeit zurück.
Sie vermutet, dass der Geheimdienst Außer ..., dachte Atarin. Außer, darauf
hinter ihr her ist und springt jetzt aus war eine Nachricht, die nur er verstehen
dem Fenster, dachte Atarin. konnte. Er schloss sie an sein Lesegerät
Seine Hoffnung erfüllte sich nicht. an.
Außerdem waren sämtliche Fenster Leer.
dieses Quartiers Holos. Na ja, was hatte er erwartet?
Plötzlich erschlaffte die Springerin Unverdrossen machte er weiter, tippte
über ihm. Er hörte ein lautes Stöhnen, Darasalaanaghinta als Kodewort ein.
aber es kam nicht von der Mehandor, Nichts.
stammte eindeutig von einem Mann ... Er versuchte es mit Darasalaanaghin­
Das warme, weiche, schwere, uner­ ta Mitchu.
trägliche Gewicht rollte von ihm ab. Der kleine Bildschirm erhellte sich.
»Die leichteste Paralysestufe«, sagte Hüte dich vor Pal Astuin, las er. Er ist
Pal Astuin. »Sieh dich vor. In einer Mi­ kein Mensch. Ein guter Rat der United
nute ist sie wieder da. Die hat ja nicht Stars Organisation.
nur eine Konstitution wie ein Pferd.« Die Nachricht verblich vom Display,
Er richtete sich auf. als hätte sie nie existiert. Trotzdem
»Hast du nicht auf Lebenszeichen drückte Atarin auf die Löschtaste.
gescannt?«, fragte Atarin vorwurfsvoll. So etwas Ähnliches hatte er fast er­
»Hast du nicht festgestellt, dass sich je­ wartet. Doch was sollte er davon halten?
mand in der Wohnung aufhält?« Wer hatte das Band hier deponiert? Ein
»Ich verstehe das nicht«, murmelte As­ Freund oder Feind? Falls Da’inta Sparks
tuin. »Die Instrumente haben nichts an­ einen Sinneswandel erfahren oder die
gezeigt ...« Er zuckte mit den Achseln. Wahrheit gesagt hatte und tatsächlich
»An die Arbeit!«, befahl er dann eine USO-Agentin sein sollte ...
barsch und begann, das Appartement zu Verdammt. Er durchschaute die Ge­
durchsuchen. schichte nicht mehr. Misstrauisch mus­
Atarin schüttelte sich. Er war gerade terte er den angeblichen Agenten von
mit knapper Mühe einem schönen Tod der Dienstaufsicht aus dem Augenwin­
entgangen, und der Mann von der TLD- kel.
Dienstaufsicht ... »Der Vogel hat Wind bekommen und
Sein Blick fiel auf den Tisch des Wohn­ ist ausgeflogen!«, rief Pal Astuin.
bereichs. Darauf lag, geradezu offen­ »Welcher Vogel?«, fragte Atarin. »Wen
sichtlich und damit völlig unverdächtig, hast du hier erwartet?«
ein Datenträger. Er steckte in einem »Wir haben noch die Springerin.« As­
Umschlag, der jedoch nicht verschlossen tuin baute sich vor der nackten Frau auf.
war, sodass man ihn auf den ersten Blick Sie atmete röchelnd, ein Anzeichen da­
bemerken musste. für, dass sie wieder zu Bewusstsein
Ein Umschlag eigens für einen ge­ kam.
heimen Datenträger? Unmöglich! Das »Das hast du dir selbst zuzuschrei­
war eine Farce ... ben«, sagte der Mann von der Dienstauf­
»Hier«, sagte er und warf seinem Kol­ sicht. Er ging ins Nebenzimmer und hol­
legen die mechanische Speichereinheit te daraus einen Bademantel, den er der
zu. Kristalle waren für reine Speicher­ Mehandor zuwarf.
funktionen schon längst viel zu teuer Stöhnend setzte die Springerin sich
geworden. auf. Astuin hielt die Waffe auf sie gerich­
Die Nadel des Chaos 33

tet, doch die Nachwirkungen selbst der belog. Wenn ihr Auftraggeber heraus­
leichten Paralyse bremsten einerseits ih­ fand, dass sie geredet hatte, würde man
re Angriffslust und verhinderten ande­ sie zum Abschuss freigeben. Also muss­
rerseits, dass sie ihm in den nächsten ten ihre Hinterleute eine gewisse Macht
Minuten gefährlich werden konnte. Sie haben.
hatte längst noch nicht die volle Kon­ Alles roch nach der Sentenza.
trolle über ihre Koordinationsfähigkeit Oder aber ... die Frau war eingeweiht
zurückbekommen. und spielte mit, sollte sie vielleicht ab­
»Was wird hier gespielt?«, fragte Pal lenken, hier festhalten, bis ... ja, bis wer
Astuin. »Wer bist du? Und wer hat so eintraf?
schnell sämtliche Schäden beseitigt, und »Wir sollten hier verschwinden«, flüs­
warum?« terte er Pal Astuin zu.
Die Springerin sah ihn aus großen Au­ »Warum?«
gen an. »Hier stimmt was nicht. Die Unge­
»Welche Schäden?«, fragte sie. »Ich reimtheiten bei deinen Ortungsversu­
wohne hier! Was will die Tu-Ra-Cel von chen, und diese Lügengeschichte ...«
mir?« »Bist du sicher, dass das die richtige
»Seit wann wohnst du hier?«, über­ Wohnung ist?«
ging Astuin ihre Frage. »Völlig sicher. Ich glaube, das ist eine
Die Frau dachte kurz nach. »Seit gut Falle.«
zwei Jahren.« Als hätte die Springerin seine leisen
Atarin warf seinem Kollegen einen Worte gehört, schrie sie auf und warf
fragenden Blick zu. sich vor. Atarin wich ihr aus, doch sie
Astuin hob ratlos die Schultern. erwischte Astuin mit der Hand am Bein
»Und wer hat dieses Quartier so und brachte ihn ins Stolpern.
schnell wieder in Schuss gebracht?« Atarin wirbelte zu seinem Kollegen
»Was meinst du damit?« herum.
»Vor einigen Tagen wurde es schwer Das rettete ihm das Leben. Der Schuss
beschädigt.« aus der Impulswaffe verfehlte seinen
Die Augen der Mehandor schienen Kopf nur um Zentimeter und versengte
noch größer zu werden. »Und wieso weiß ihm das Haar.
ich nichts davon?«
»Warst du verreist?« *
Sie schüttelte den Kopf.
»Du arbeitest in den Minen?« Astuin stieß einen wütenden Fluch
»Ja, als Gleiterpilotin.« aus und schlug der Mehandor mit der
»Normale Schichten?« Faust ins Gesicht. Sie ließ nicht los.
»Ja.« Er schlug ein zweites Mal zu, und end­
»Und deine Wohnung ist unversehrt? lich lockerte sie ihren Griff.
Oder fanden hier Renovierungsarbeiten Astuin befreite sich mit einem Tritt
statt, Umbauten?«, fuhr Pal Astuin vollends von ihr und drehte sich zur Ein­
fort. gangstür um. Noch in der Bewegung er­
»Nein, nichts dergleichen. Wir warten widerte er das Feuer.
schon seit Jahren darauf, dass sich in Zu spät!
dieser Hinsicht etwas tut.« Atarin hatte sich schon längst in De­
Atarin runzelte die Stirn. Was wurde ckung geworfen, die Waffe gehoben, ge­
hier gespielt? Hatte jemand die Springe­ zielt, aber an der Eingangstür nur noch
rin unter Druck gesetzt? Dann war sie einen Schemen ausgemacht, eine Ge­
immerhin klug genug, den Mund zu hal­ stalt, die vielleicht ebenfalls einen Ver­
ten. Ihre Angst musste so groß sein, dass zerrer trug und es auf keinen zweiten
sie sogar die vermeintliche Tu-Ra-Cel Schuss ankommen lassen wollte. Sie
Die Nadel des Chaos 37

hatte nach dem Fehlschuss die Flucht »Schon wieder?«, erwiderte der Kolle­
ergriffen. ge des Mannes niedergeschlagen.
Der zweite!, dachte er. Es war Vitki­ »Und ob«, antwortete der erste Arbei­
neffs Fehlschuss gewesen, der auf der ter gepresst.
Plaza Mivado das alles in Gang gebracht »Da!« Pal Astuin riss seine Waffe
hatte. Er lachte leise auf. Konnte denn hoch. »Zum Teufel mit dieser Frau!«,
niemand mehr vernünftig zielen? fluchte er, drehte sich um und lief zu sei­
Astuin rannte zur Tür, und Atarin nem Gleiter, der nicht weit entfernt vom
rappelte sich auf und folgte ihm. Aus Lieferanteneingang des Gebäudes abge­
dem Augenwinkel sah er, dass die Sprin­ stellt war.
ger-Frau sich aufrichtete, zu einer Spie­ Atarin hatte nichts Auffälliges gese­
gelwand umdrehte und ihr Gesicht be­ hen. Trotzdem folgte er seinem Kolle­
trachtete. gen.
Unglaublich, dachte er, interessiert sie »Wenigstens wird man bei solchen
in solch einem Augenblick wirklich, Missionen nicht alt«, keuchte Astuin.
welche Spuren die Schläge hinterlassen »Ich fühle mich wie tot«, sagte Atarin.
haben und wie sie aussieht? Er stieß einen Arbeiter zur Seite, igno­
Er schüttelte den Kopf. Zu schade, rierte dessen lautes Schimpfen.
dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, Astuin sprang in das Fahrzeug.
diese attraktive Springerin besser ken­ Gut hundert Meter vor ihnen startete
nen zu lernen ... ein anderer Gleiter.
Zwei Arbeiter standen auf dem Gang. »Worauf wartest du?«, rief der Agent
Astuin trat auf den nächsten zu und ihm zu, und er stieg ein.
schüttelte ihn grob. »Wohin sind sie?«, Sein Kollege zog das Gefährt rück­
fragte er. sichtslos hoch. Fluchend wichen einige
Die Kolonialarkoniden waren mit Kolonialarkoniden zur Seite.
solch einem Vorgehen wohl vertraut und »Welche Frau meinst du?«, fragte Ata­
protestierten nicht. Sie zeigten zum rin.
Treppenhaus des Wohnblocks. »Da’inta Sparks natürlich.«
Fahrstühle oder gar Antigravschächte »Hast du sie erkannt? Der Angreifer
gab es hier nicht. Für einfache Arbeiter trug doch einen Verzerrer, genau wie
waren sie nicht vorgesehen. wir!«
Sie stürmten weiter, dem Treppenhaus »Sie war es. Ich erkenne ihre Hand­
entgegen. Als sich die Tür zischend vor schrift.« Astuin folgte dem anderen
ihnen öffnete, hörte Atarin hallende Gleiter, hielt jedoch gebührenden Ab­
Schritte. Jemand rannte in höchster Ei­ stand. Das Fahrzeug vor ihnen bog in
le abwärts. eine der unterirdischen Röhren ein, die
Er zögerte nicht lange, setzte nach, als Schnellstraßen die bereits erschlos­
konnte den Abstand aber nicht verrin­ senen und ausgebauten Teile des ehema­
gern. Unter ihm zischte eine Tür. Schwer ligen Planeten Subtor verbanden.
atmend erreichte er das Ende der Treppe. »Was hast du vor?«, fragte Atarin.
Astuin lief an ihm vorbei. Die Tür öffnete »Sie verfolgen. Vielleicht führt sie uns
sich vor ihm, und sie stürmten hinaus. zu Savoire. Wenn wir ihn aus dem Ver­
Auf der Straße wimmelte es vor Ar­ kehr ziehen und dazu bringen könnten,
beitern; offensichtlich war vor Kurzem seine Geheimnisse zu verraten, würde
Schichtende gewesen. Atarin fing Ge­ dem TLD endlich ein großer Schlag im
sprächsfetzen ein, achtete nicht weiter Arkon-System gelingen.«
darauf, sah sich um. »Und Sparks arbeitet für ihn?«
»Während du weg warst, haben sie die »Klar tut sie das.«
Löhne gesenkt. Schlechte Zeiten. Ein Atarin runzelte die Stirn. Warum be­
drohender Krieg mit der LFT ...« hauptete die Frau ihm gegenüber dann,
38 UWE ANTON

USO-Agentin zu sein? Diese Botschaft schrammte Dutzende von Metern die


ergab doch keinen Sinn! Zumindest Wand der Röhre entlang.
nicht, wenn sie falsch war. Was hätte sie Fast glaubte Atarin, das Fahrzeug
davon, ihn lediglich zu verwirren? würde sich überschlagen, doch dann
Er achtete kaum auf den starken Ver­ prallte es schwer auf den Boden.
kehr; Astuin erwies sich als ausgezeich­ Das müsste sie für eine Weile aufhal­
neter Pilot, der immer einige Fahrzeuge ten, dachte Atarin mit grimmiger Be­
zwischen sich und dem Gleiter ließ, den friedigung. Vielleicht hatten die Insas­
sie verfolgten. Stattdessen hing er seinen sen den Aufprall nicht überstanden,
Gedanken nach. doch er vertraute dem Glück nicht mehr.
Wieso hatte sie ihn eigens gewarnt, Wie das Ungeziefer, das sie waren, wür­
Astuin sei kein Mensch? Weshalb hatte den die Killer überleben und ihnen wei­
sie deshalb extra den Datenträger in der tere Schwierigkeiten bereiten.
Wohnung der Springerin deponiert? Wie Dann explodierte das Triebwerk ihres
hatte sie wissen können, dass er sich Gleiters, und seine Welt, die nur noch
noch einmal dort umsehen würde? auf die unterirdische Röhre der Schnell­
Er nahm sich vor, diese Nachricht straße begrenzt war, drehte sich rasend
nicht zu vergessen. Vielleicht würde ihm schnell um ihn, bevor es schwarz um ihn
ein gehöriges Maß an Vorsicht einmal wurde.
sehr gelegen kommen. Und Sparks hatte
Gelegenheit gehabt, ihn zu töten, vor
wenigen Tagen, als er leichtsinnigerwei­ 7.
se das Garrabo aufgesucht hatte, um mit Hangay
ihr zu sprechen, und es nicht getan. Sie 22. Oktober 1347 NGZ
hatte ihn wieder freigelassen. So gese­
hen waren sie für Geheimdienstverhält­ Als Dr. Savoire und Isokrain in den
nisse ausgezeichnet miteinander ausge­ Versorgertrakt der Weltkugel des Welt­
kommen. weisen zurückkehrten und von dort ins
Und welche Rolle spielte der geheim­ Innere von ESCHER gelangten, schien
nisvolle Rutmer Vitkineff und die Erin­ die Parapositronik nicht auf ihre Anwe­
nerungen, die er an ihn hatte? senheit zu reagieren. Der Erste Kyber­
Mit Missbilligung stellte er fest, dass netiker warf dem Kosmitter einen fra­
ihm noch zahlreiche Informationen fehl­ genden Blick zu, doch der Insektoide
ten, um Licht in das Dunkel bringen zu ignorierte ihn und verharrte einen Mo­
können. Aber vielleicht würde sich das ment in einer tiefen Starre.
ja bald ändern. Er hatte noch einen Savoire kannte das schon. Der Insk-
Trumpf im Ärmel. Er gab sich vorerst Karew kommunizierte mit dem Welt­
damit zufrieden, sich über den Bauch zu weisen, der ihn darüber in Kenntnis
reiben. setzte, wie es um ESCHER stand, oder
Nein, er musste die Sache anders an­ dessen Anweisungen weitergab. Das be­
gehen. Er musste ... deutete gleichzeitig, dass die Paraposi­
»Verdammt!«, riss Astuins Schrei ihn tronik noch immer unter beträchtlichen
aus seinen Überlegungen. Der Gleiter, in Kapazitätsproblemen litt und nicht im­
dem sich unter anderem die Person be­ stande war, einen ihrer Avatare materi­
fand, die auf sie geschossen hatte, hatte alisieren zu lassen oder sich direkt an
plötzlich stark abgebremst. Das darauf den Kybernetiker zu wenden.
folgende Fahrzeug war ihm gefährlich Die scheinbare Apathie des ehema­
nahe gekommen, konnte im letzten Mo­ ligen Angehörigen des Bruderstands der
ment aber noch ausweichen, doch das Kosmitter währte diesmal verhältnis­
dahinterfliegende streifte den vorders­ mäßig lang, fast eine Minute, was für
ten Gleiter. Der geriet ins Trudeln, einen telepathischen Austausch be­
Die Nadel des Chaos 39

trächtlich war. Als schließlich wieder nur zunächst einmal die Fähigkeit dazu
Leben in Isokrain zurückkehrte, wirkten zu erlangen.«
seine Bewegungen langsam und schlep­ Savoire nickte. »Erschwerend kommt
pend. Schweigend ging er zu einem ei­ hinzu«, sagte er nachdenklich, »dass
gens für ihn konstruierten sofaähnlichen ESCHER seine wahre Identität und vor
Sitzmöbel und ließ sich darauf nieder. allem seine Position innerhalb von
Ein Avatar zeigt Spuren von Erschöp­ GLOIN TRAITOR erst dann preisgeben
fung oder Ermattung?, fragte sich Sa­ darf, wenn ihm ein vernichtender Schlag
voire. Ihm war nicht wohl bei dem Ge­ gegen Kernwall und Grenzwall möglich
danken. ist.«
»Vielleicht sollten wir ESCHER von ... »Genau. Erst dann, und keine Sekun­
unserem Einfall in Kenntnis setzen«, de früher, kann die Parapositronik sich
sagte er lauernd, in der Hoffnung, offenbaren, denn dies läutet gleichzeitig
Isokrain würde sich verplappern und ihr Ende ein. Denn in dem Moment, da
damit eingestehen, dass die Parapositro­ der interne Angreifer identifiziert ist,
nik selbst auf den Gedanken gekommen wird GLOIN TRAITOR unverzüglich die
war, sich durch Prozessoren aus den Rei­ Sektionen vernichten, in denen sich
hen der T-Prognostiker zu verstärken. ESCHER und der Weltweise befinden.«
»Die Lage ist ernst«, überging der »Oder aber, ESCHER hat Erfolg und
Kosmitter seinen Einwurf. »Fast kri­ kann einen vernichtenden Angriff ein­
tisch. Bei immer mehr Prozessoren leiten, und die Nadel des Chaos vergeht
kommt es zu Störungen und Ausfällen. in den Gewalten von Athaniyyon.«
Wenn ESCHER dem kein Ende machen »Ein solcher Erfolg ist momentan in
kann, wird er bald gar nicht mehr hand­ keiner Weise in Sicht. Wir müssen mo­
lungsfähig sein.« mentan sogar froh sein, unentdeckt zu
»Und wie will ESCHER das versu­ bleiben, und dürfen an solch eine Aktion
chen?« gegen GLOIN TRAITOR nicht einmal
Isokrain wedelte ausweichend mit denken.«
den Fühlern. »Er arbeitet daran.« »Dennoch ist eine erste Manipulation
Savoire fühlte, dass ihm der Gedulds­ früher oder später unumgänglich. Wir
faden zu reißen drohte. »Vielleicht wäre haben auf dem Weg in die Nadel des
es angebracht, mich ausnahmsweise ein­ Chaos viel Zeit verloren, und wenn alles
mal über die genaue Lage zu informie­ glattgegangen ist, warten vor dem
ren. Ich bin nicht begeistert darüber, Grenzwall Hangay längst der Nukleus
dass ESCHER mich ständig in Unkennt­ der Monochrom-Mutanten und dessen
nis hält.« Truppen auf Einlass. Sie benötigen zu­
Der Kosmitter klackte gleichmütig mindest ein Signal.«
mit den Scheren. »Du hättest nur fragen »ESCHER hat ja beabsichtigt, solch
müssen.« ein Signal zu geben«, sagte Isokrain.
»Wen denn? Die Parapositronik ist für »Als die Parapositronik ihre Anwei­
mich doch nicht mehr greifbar.« sungen an den SOL-Mittelteil sandte,
Der Insektoide überging den Vorwurf gehörten dazu unter anderem zwei fest
einfach. »Von den vierundzwanzig Forts, definierte Treffpunkte beziehungsweise
die zum Portivabschnitt 3h3h2 gehört Termine, die ESCHER benutzen wollte,
haben, wirft ESCHER zurzeit behutsam um dorthin seine Nachrichten an die
weiter seine Fäden aus. Die Paraposi­ SOL zu senden oder direkten Kontakt
tronik ist nicht in der Lage, in GLOIN aufzunehmen, falls das möglich wäre.
TRAITOR die Macht zu übernehmen, ESCHER wird allerdings nicht in der
das ist ausgeschlossen. Ziel ihrer Aktivi­ Lage sein, auch nur eine dieser Optionen
täten kann daher vorerst nur sein, ge­ wahrzunehmen.«
zielte Nadelstiche auszuüben oder auch Savoire entsann sich. Im Vorfeld war
40 UWE ANTON

geplant gewesen, mit Shuttleflügen ver­ scheint zwar auf den ersten Blick klein.
deckte Nachrichten zu senden oder die Doch an Bord von GLOIN TRAITOR
Montage von neuen Portivabschnitten gehört er zu den kritischsten, grenzwer­
auszunutzen. tigsten Vorfällen, die nur denkbar sind.
»Die Parapositronik kann einfach Ein Zugriff auf das Allerheiligste.
nicht riskieren«, fuhr der Kosmitter fort, Wie wird die Kommandantur von
»durch eine eventuelle riskante Kom­ GLOIN TRAITOR wohl darauf rea­
munikation nach außen, wie auch immer gieren?«
sie aussehen würde, den Plan zu gefähr­ Obwohl Savoire es sich vorstellen
den. Sollte der SOL-Mittelteil tatsäch­ konnte, antwortete er nicht.
lich jeweils an Ort und Stelle sein, erhält »In der Nadel des Chaos wird das In­
er jedenfalls von ESCHER keine Nach­ nerste nach außen gekehrt werden«, fuhr
richt.« Isokrain fort. »Und wenn es dazu kommt,
»Wie wird dessen Besatzung darauf können wir uns nicht auf den Weltwei­
reagieren?«, fragte sich Savoire laut. sen von Azdun allein als Schutzschild
»Welche Auswirkungen wird das auf die verlassen. Dann muss ESCHER versu­
Moral der Galaktiker haben ... oder auf chen, innerhalb von GLOIN TRAITOR
ihre zukünftige Strategie?« einen Schuldigen zu präsentieren.«
»ESCHER kann nichts daran ändern«, »Und wie will die Parapositronik das
sagte Isokrain lapidar. »Aber du hast schaffen?«
recht, der Zeitfaktor erlangt eine immer »An dieser Aufgabe rechnet sie
entscheidendere Bedeutung. Die ge­ noch.«
wählte Strategie hat darüber hinaus üb­
rigens noch eine andere, mittelbare Aus­ *
wirkung.«
Savoire runzelte die Stirn. Savoire räusperte sich vielsagend.
»ESCHER reizt seine Kapazität als »Immerhin gibt es auch Positives zu
Parapositronik bis an die Grenzen aus, vermelden«, sagte der Kosmitter schließ­
wie du weißt, spinnt sein Netz aus Rech­ lich.
nerpunkten, die er beeinflussen und zu­ »Und das wäre?«
mindest kurzzeitig kontrollieren kann, »Wir sind noch nicht entdeckt wor­
immer enger, in der Absicht, dem Ele­ den. Und je länger wir unentdeckt blei­
mentar-Quintadimtrafer zumindest eine ben, desto höher ist die Chance, dass die
zeitlich eng begrenzte Störung zuzufü­ Weltkugel auch in Zukunft unbehelligt
gen. Doch der Trafer und seine Kontrol­ bleibt.«
le über Grenzwall und Kernwall sind Der Kybernetiker lachte leise auf. »Ja,
höchst träge. Keine Schneller Kreuzer, das ist wirklich eine ausgezeichnete
sondern eher eine riesige Werft, wenn du Nach...« Er verstummte mitten im
weißt, was ich meine.« Wort.
»Vielen Dank für eine bildliche Be­ Isokrain war wieder in seine Kommu­
schreibung, die auch mir verständlich nikations-Starre verfallen. Diesmal
ist.« währte sie jedoch nur ein paar Sekun­
»Eine Störung, wie die Parapositronik den.
sie plant, braucht eine beträchtliche »ESCHER akzeptiert unseren Vor­
Weile an Vorbereitung ... Und genauso schlag, einige T-Prognostiker als Prozes­
viel Zeit wird vergehen, bis sie schal­ soren in die Hyperdim-Matrix der Para­
tungstechnisch wieder beseitigt werden positronik einzubinden. Wir werden
kann. Aber das ist nicht das einzige Pro­ umgehend versuchen, einige T-Prognos­
blem.« tiker ins Boot zu holen ... besser gesagt
»Sondern?« in die Hyperdim-Matrix.«
»Der Nadelstich, den ESCHER plant, Diesmal war Dr. Savoire wirklich
Die Nadel des Chaos 41

überrascht. »So schnell?«, fragte er. wie wir festgestellt haben. Mehr als sie­
»Konnte ESCHER den Vorschlag bei sei­ ben sind nach ESCHERS Ermittlungen
nen Kapazitätsproblemen überhaupt in den Datenbänken GLOIN TRAITORS
durchrechnen?« jedoch nie zur selben Zeit dort anzutref­
Iskokrain schien ihn überhören zu fen.
wollen, denn er überging den Einwand. Angesichts der besonderen Fähig­
»Deine Teilnahme an der Expedition keiten der T-Prognostiker wäre sieben
zahlt sich spätestens jetzt aus. Immerhin jedoch eine mehr als ausreichende Zahl,
bist du der einzige konventionell leben­ um ESCHER mit zusätzlicher Rechen­
dige Gefährte, und selbst eine Parapo­ kapazität auszustatten.«
sitronik hat Schwächen, die von einem »Die neuen Prozessoren sollen gewisse
einfachen Menschen mit dessen Intui­ Qualitäten bringen, nicht allein zusätz­
tion ausgeglichen werden können.« liche Masse«, vermutete der Kyberneti­
Savoire glaubte dem Kosmitter kein ker.
einziges Wort. Entweder, ESCHER woll­ »Das siehst du richtig. Während die
te aus irgendeinem Grund verhindern, T-Prognostiker in die Hyperdim-Matrix
dass Savoire darüber nachdachte, von integriert werden, wird ESCHER die
wem diese Idee tatsächlich stammte – Möglichkeit nutzen, die Rechnerknoten
nämlich von der Parapositronik selbst. von 685943-Qw in seine Gewalt zu brin­
Aber warum? gen.«
Oder aber, und diese Alternative gefiel »Und damit auch die Automat-Fa­
dem Kybernetiker noch schlechter, briken!«
ESCHER hatte mittlerweile solche Ka­ »Genau! Sobald die Prognostiker aus
pazitätsprobleme, dass dringend Abhil­ dem Weg geräumt sind und die supra­
fe geschaffen werden musste, koste es, tronischen Rechnerknoten sich in
was es wolle. Auch auf die Gefahr, jegli­ ESCHERS Hand befinden, wird
che Vorsicht zu vernachlässigen und da­ ESCHER über 685943-Qw seinen An­
mit den Erfolg der Mission insgesamt in griff auf den Elementar-Quintadimtrafer
Frage zu stellen. führen. 685943-Qw würde als Verursa­
»Damit ergibt sich eine weitere Op­ cher erscheinen und mit hoher Wahr­
tion«, fuhr der Kosmitter fort. »Wie du scheinlichkeit vernichtet werden. Das
weißt, sucht ESCHER nach einer Mög­ muss auch so sein.«
lichkeit, den geplanten Zugriff auf den »Damit die Besatzung von GLOIN
Elementar-Quintadimtrafer auf eine an­ TRAITOR einerseits nicht ermitteln
dere Instanz zu schieben.« kann, dass ESCHER die Sektion nur als
»Also einen Sündenbock zu präsentie­ Relais benutzt hat, um seinen Angriff zu
ren ...«, sagte Savoire zögernd. führen, und damit andererseits das Ver­
»Wenn alles glattgeht, ergeben sich schwinden der sieben T-Prognostiker
hier ideale Möglichkeiten. ESCHER er­ nicht auffällt«, zeigte Savoire, dass er
teilt uns beiden die Aufgabe, so viele den Plan verstanden hatte.
T-Prognostiker wie möglich aus dem Isokrain hob bestätigend die Fühler.
nächstgelegenen Schwerpunkt-Wohn­ »Wir legen SERUNS an und gehen be­
zentrum in unsere Gewalt zu bringen. waffnet«, entschied er. »Beeil dich. Die
Dieses Quartier befindet sich im Sektor Zeit drängt.«
685943-Qw.
Da die Prognostiker ohnehin die Nähe *
gewöhnlich lebendiger Wesen scheuen,
ist die Wohnanlage inmitten einer Sek­ Diesmal teleportierte der Kosmitter
tion angelegt, in der mehrere große Au­ direkt in das Schwerpunkt-Wohnzen­
tomat-Fabriken arbeiten. In dem Zen­ trum von Sektion 685943-Qw – trotz al­
trum wohnen achtundzwanzig Personen, ler Gefahren, die damit verbunden wa­
42 UWE ANTON

ren. Sie hatten die Deflektoren und scheinbar leblos an ihren Schnittstellen
sämtliche Ortungsschutzsysteme der an den Wänden hingen. Isokrain blieb
Anzüge aktiviert, doch Savoire war jedoch nicht, sondern ging in den nächs­
trotzdem mulmig zumute. Er wusste aus ten Raum weiter, einen wesentlich
Erfahrung nur allzu gut, dass die Wohn­ kleineren.
quartiere der Cyborgs nicht nur wehr­ Er war leer.
haft waren, sondern auch mehrdimensi­ Im nächsten Nebenraum befand sich
onale Felder erzeugen konnten, die eine ein einzelner T-Prognostiker.
Teleportation verhinderten. Isokrain wechselte kurz, nicht einmal
Das war der gefährlichste Augenblick. für eine Sekunde, auf die gefährliche
Sie wussten nicht, wie empfindlich die Ebene, um einer Nano-Kolonne weitere
Wach- und Schutzsysteme der Anlage Anweisungen zu geben. Savoire nahm
waren. Wenn sie entdeckt werden soll­ nichts davon wahr, doch ihre Aufgabe
ten, dann jetzt. war es, den T-Prognostiker in seinem
Trotzdem wechselte Isokrain nicht so­ Gehäuse handlungsunfähig zu machen.
fort auf die zwischengeordnete Exis­ Wieder musste er warten, wieder zo­
tenzebene. Wie sie es beim Anlegen der gen quälende Gedanken durch seinen
Ausrüstung besprochen hatten, setzte Kopf. Er verfluchte die ewige Geheim­
der Kosmitter so viele seiner Nano-Ko­ nistuerei der Parapositronik, die ihn of­
lonnen wie möglich aus, auch auf die fensichtlich aus reiner Macht der Ge­
Gefahr hin, dass seine Vorräte zur Neige wohnheit lediglich mit absolut nötigen
gingen und er eine Weile benötigen wür­ Informationen bedachte und alles für
de, bis er wieder neue bilden konnte. sich behielt, was sie nur behalten konn­
Aufgabe der Kolonnen war es unter an­ te.
derem, die supratronischen Knotenrech­ Lag es an den Schwierigkeiten mit
ner der Sektion zu infiltrieren, damit den Prozessoren, von denen Isokrain im­
ESCHER umso einfacher Zugriff auf sie mer wieder in Andeutungen gesprochen
gewinnen konnte. Außerdem sollten sie hatte, oder war der Supratronik-Ver­
gegen die Wachsysteme des Schwer­ bund GLOIN TRAITORS ihr so hoch
punkt-Wohnzentrums vorgehen. überlegen, dass sie zu diesem Verzweif­
Warum?, fragte sich Dr. Savoire, wäh­ lungsschritt griff?
rend er zum untätigen Warten verdammt Oder trifft beides zu?, fragte sich Sa­
war und damit rechnen musste, dass sich voire.
jeden Augenblick Wandklappen öffne­ Isokrain zog ihn zu dem Cyborg her­
ten und automatische Geschütze ausge­ an, wechselte wieder zurück auf die nor­
fahren wurden, während sich gleichzei­ male Ebene, berührte die reglose Gestalt
tig fünfdimensionale Felder aufbauten. und teleportierte im nächsten Augen­
Warum riskiert ESCHER mit dieser blick.
überhasteten Aktion jetzt die gesamte
Mission? *
Ihm schwante, dass es viel, viel
schlechter um die Parapositronik stand, Dr. Savoire, der Kosmitter und seine
als er bislang angenommen hatte. Last, der T-Prognostiker, materialisier­
Isokrain hatte sämtliche Kolonnen ten in ESCHERS Gedankenkammer.
ausgeschleust und versetzte sich mit Sa­ Normalerweise fühlte der Kybernetiker
voire auf die andere Ebene. sich in dem 50 mal 50 Meter großen,
Der Kybernetiker atmete unwillkür­ weißblau erhellten Raum sehr wohl, war
lich auf. Es war noch einmal gutgegan­ geradezu fasziniert von ihm, stellte er
gen ..., hoffte er. doch eine Verheißung für ihn dar, die
Sie gingen weiter, durch den Aussicht, endlich Teil der Parapositro­
Hauptraum, in dem mehrere Cyborgs nik werden zu können. Doch nun unter­
Die Nadel des Chaos 43

drückte die Anspannung jeden Gedan­ Sekunden wieder zu sich zurückzuho­


ken daran. len, muss die Parapositronik endgültig
»Was nun?«, fragte er. »Wir können aufgeben.«
den T-Prognostiker wohl kaum unter »Verdammt ...!«, flüsterte der Kyber­
eine der SERT-Hauben legen, schon netiker. Er hasste das Warten, hatte sich
mangels körperlicher Voraussetzungen in den letzten Monaten allerdings daran
nicht.« Diese Hauben stellten die Ver­ gewöhnen müssen.
bindung zur Hyperdim-Matrix her. Doch er hatte nicht die geringste Ah­
»Natürlich nicht«, erwiderte der Kos­ nung gehabt, wie lange zwanzig Sekun­
mitter. »Doch an diesem Ort ist die Dis­ den werden konnten.
tanz zwischen der Hyperdim-Matrix
und dem Normalraum am leichtesten zu
überwinden. ESCHER hat bereits alles 8.
in die Wege geleitet.« Atarin
Unvermittelt wurde eine Gestalt ne­
ben dem Cyborg teilstofflich, der weiter­ Die Ohnmacht währte nur kurz, eine
hin reglos auf dem massigen, schmuck­ Minute vielleicht, oder ein paar Sekun­
los metallenen Unterbau lag, auf dem den. Er nahm die Umgebung zwar ver­
früher die Probanden geruht hatten, die schwommen wahr, als er die Augen öff­
zu Prozessoren der Parapositronik wur­ nete, stellte jedoch fest, dass die Kabine
den. Savoire erkannte Merlin Myhr, ei­ des Gleiters nicht beschädigt zu sein
nen Avatar ESCHERS. Mit einer Hand schien.
strich der Mann in Schwarz über die Ein Ablenkungsmanöver!, dachte er.
Hülle des Cyborgs. Der »Unfall« des Fahrzeugs, das sie ver­
»Was tut er da?«, fragte der Kyberne­ folgt hatten, war nur eine gar nicht mal
tiker. so riskante Ablenkung gewesen! Die in­
»Er stellt eine unsichtbare und unhör­ ternen Prallfelder des anderen Gleiters
bare Kommunikation mit dem T-Prog­ hatten die Besatzung geschützt, genau,
nostiker her. Er hat nicht mehr viel Zeit. wie die des ihren Astuin und ihn vor Ver­
Noch etwa eine Minute, schätze ich. letzungen bewahrt hatten, als ihr Verfol­
Wenn bis dahin kein Kontakt zustande ger mit einem gezielten Schuss das
kommt, ist es vorbei. Dann wird ESCHER Triebwerk in die Luft gejagt hatte.
alle Rechenoperationen einstellen müs­ Er lag auf dem Rücken, schüttelte den
sen.« Kopf, um wieder klar denken zu können.
»Was?«, entfuhr es Savoire. »Warum Wie durch Watte hörte er ein leises Stöh­
hilft ihm dann nicht Pal Astuin?« nen. Astuin schien den Absturz also
»Der zweite Avatar ist gerade ander­ ebenfalls überlebt zu haben.
weitig beschäftigt und versucht an einer Mühsam drückte er sich auf die Ellbo­
anderen Front, das Schlimmste zu ver­ gen hoch, legte den Kopf zurück. Durch
hindern.« die zersplitterte Kabinenkuppel sah er
Erst jetzt wurde Savoire richtig klar, einen anderen Gleiter, der schräg über
welche Bedeutung die Worte des Kos­ ihnen schwebte. Darin befanden sich
mitters wirklich hatten. »Ist die Lage so zwei Personen, von denen eine ihm in
katastrophal? Warum hat ESCHER mich letzter Zeit leider ziemlich vertraut ge­
nicht informiert? Was passiert hier über­ worden war. Er erkannte den Mann, der
haupt?« auf der Plaza Mivado schon einmal auf
»Du hättest sowieso nicht helfen kön­ ihn geschossen hatte.
nen«, antwortete Isokrain gleichmütig. Rutmer Vitkineff. Der Mann, den er
»Immer mehr Prozessoren brechen unter hatte sterben sehen.
der Beanspruchung zusammen. Wenn es Während sie den Gleiter mit Da’inta
ESCHER nicht gelingt, sie in ... zwanzig Sparks an Bord verfolgt hatten, musste
44 UWE ANTON

Vitkineff sie irgendwie ebenfalls verfolgt startete und die Schnellröhre entlang­
haben! Und das, ohne dass er oder Astu­ raste. Gerade rechtzeitig oder um Se­
in es bemerkt hatten! kunden zu früh, wie man es nahm. In der
Und jetzt zielte die Legende, die es Ferne hörte Atarin schon das gellende
eigentlich gar nicht gab, schon wieder Jaulen von Sirenen der arkonidischen
auf ihn, mit einer Handwaffe, einem Ordnungskräfte.
Kombistrahler ... Neben ihm stand Astuin, gestützt von
Atarin fluchte leise, versuchte, sich Sparks.
zur Seite zu rollen, schaffte es aber nicht. »Wir fahren zu den Minen, Pal!« sagte
Vielleicht hatte er sich bei dem Absturz sie. »Wir müssen zu Savoire. Rutmer Vit­
doch verletzt, jedenfalls war er wie ge­ kineff wird jetzt jeden Augenblick zu­
lähmt. schlagen! Uns bleibt vielleicht noch eine
Diesmal würde er dem tödlichen Stunde. Wenn wir es dann nicht ge­
Schuss nicht entgehen. schafft haben, ist alles vorbei.«
Er schrie auf, wollte die Augen schlie­ »Ihr ... arbeitet zusammen?«, fragte
ßen ... und überlegte es sich anders, Atarin überrascht.
als der Gleiter über ihm plötzlich in »Wir gehören zum gleichen Klub«,
Flammen zu stehen schien. Eine glei­ sagte Astuin.
ßende Aura hüllte das Gefährt ein, es Überrascht sah Atarin seinen Kolle­
schien einen Satz zu machen und ver­ gen an. Zum gleichen Klub? Meinte er
schwand abrupt aus seinem Blickwin­ damit das Garrabo? Bestimmt nicht.
kel. Aber dann ...
Jemand hat den Gleiter beschossen!, Verdammt, dachte er. Sie haben mich
wurde Atarin klar. Gerade als Vitkineff hereingelegt ...!
mich töten wollte ... »Gib mir deine Waffe!« Astuin streck­
Ein anderes Fahrzeug senkte sich ne­ te die Hand aus.
ben ihnen auf den Grund der Schnell­ »Was soll das?«, fragte Atarin ver­
röhre. Ein Schott öffnete sich, und zwei dutzt. »Bist du ...«
Personen sprangen heraus. »Muss ich die Dienstvorschriften zi­
Unmöglich!, dachte Atarin. tieren? Ich bin dein befehlshabender
Es waren Da’inta Sparks und der Bar­ Agent und habe meine Gründe. Also her
keeper aus dem Garrabo, der ihn bedient damit! Ich erkläre dir alles, sobald es so
hatte, als er sich in die Höhle des Löwen weit ist.«
gewagt hatte. »Aber ...« Er zögerte kurz, dann gab er
Im nächsten Augenblick war die Frau Astuin die Waffe. Im nächsten Moment
mit der schlanken, knabenhaften Figur, wurde ihm endlich klar, was nicht
der beträchtlichen Oberweite und der stimmte. »Du hast behauptet, sie wäre in
kurz geschnittenen Glitzerfrisur neben dem Gleiter, den wir verfolgt haben.
ihm, zerrte ihn hoch, als sei er nur eine Aber das kann schlecht sein, wenn sie
gewichtslose Puppe, und schleppte ihn uns vor Vitkineff gerettet hat. Er wollte
aus dem wracken Gleiter in ihr Fahr­ uns töten ...«
zeug. Aus dem Augenwinkel sah er, dass »Ich habe gelogen«, sagte Astuin.
der Barkeeper ihnen mit Astuin folgte. Sparks lachte hell auf. »Du Armleuch­
Was wird hier gespielt?, fragte er sich ter begreifst aber auch gar nichts!«
nicht zum ersten Mal. Atarin sah sie konsterniert an. »Was
soll das heißen?«
* »Sieh dich doch an!«, fuhr die Frau
mit der Glitzerfrisur höhnisch fort. »Was
Er hatte den Eindruck, dass nur we­ willst du denn wirklich sein? Der Boss
nige Sekunden vergangen waren, als natürlich, nach dem sich alles richtet,
Da’inta Sparks’ Gleiter schon wieder mit Untergebenen, die springen, wenn
Die Nadel des Chaos 45

du pfeifst, und willfährigen Agentinnen! test und nicht die rechte Hand Savoires
Aber nicht das, was du im Augenblick und damit ein hohes Tier der Sentenza,
bist: ein Untergebener, der gerade eine was ich noch immer vermute.«
Strafpredigt über sich ergehen lassen Sie lachte hell auf. »Nein. Wir haben
und seine Waffe abgeben musste! Wie dir unser Versteck gar nicht gezeigt. Ich
kannst du nur so dumm sein?« habe dich durch eine Höhle geführt, die
Den letzten Satz sprach sie mit einer wir absichtlich niemals nehmen, damit
eigentümlichen Betonung aus. die Tu-Ra-Cel nicht den Weg zur echten
Er war wie vor den Kopf geschlagen Bastion aufspüren konnten. Verstehst
und suchte nach einem letzten Lebenszei­ du, wir haben dir nicht vertraut und ver­
chen tief in seinem Inneren, das ihm die trauen dir auch jetzt nicht. Aber das
Kraft gab, der Frau zu widersprechen, die muss warten, bis Savoire mit dir gespro­
gerade sein gesamtes Weltbild zu zer­ chen hat.«
schlagen versuchte, fand aber keins. »Savoire? Der Chef der lokalen Sen­
Sie hat nicht unrecht, dachte er hilf­ tenza?«
los. »Du hast schon einmal mit ihm ge­
Er riss sich zusammen. Er mochte sprochen.«
jetzt ganz unten sein, aber verloren war Er konnte sich nicht daran erinnern,
noch nichts. Er lebte noch. Es würde aber er sah plötzlich ein Gesicht, ein Ge­
wieder aufwärtsgehen. Wie geistesab­ sicht mit einem großen Auge in der Mit­
wesend rieb er sich über den Bauch und te, und er wusste, dieses Bild war falsch.
überlegte, was er sagen konnte. Doch Nein, Savoire hatte zwar nur ein Auge,
bevor er dazu kam, steuerte der Barkee­ aber das war ... das war ...
per den Gleiter aus einer Röhrenaus­ Der Gedanke entfloh ihm wieder.
fahrt, und Atarin stellte ohne die ge­ Was war nur los mit ihm? Er hatte je­
ringste Überraschung fest, dass sie sich de Selbstsicherheit verloren, vermochte
bei den Minen befanden, mit denen die die Situation nicht mehr zu durchschau­
Etset Secinda, der Stadt der Sieben, er­ en. Alles, was ihn als TLD-Agent bislang
schlossen werden sollte. ausgezeichnet hatte, schien verloren ge­
Das Artefakt einer uralten Zivilisati­ gangen zu sein, verweht von einem Ge­
on, das vielleicht auch nur ein Gerücht wittersturm, dessen Blitze sein Innerstes
war, genau wie Rutmer Vitkineff. Doch in Flammen zu setzen schienen.
falls es die Stadt tatsächlich geben soll­ Der Gleiter flog in einen riesigen
te, würde Sparks sicher davon wissen. Schacht in dem kahlen, unwirtlichen
Er musste versuchen, sie ... Berg vor ihnen und setzte irgendwann
Eine Erkenntnis tauchte aus den Tie­ auf, und Atarin verfluchte sich, weil er
fen seines Unterbewusstseins auf und einfach zuließ, dass Da’inta Sparks ihn
ließ ihn den Gedanken vergessen. Ich bin gegen die Schulter stieß und aus dem
schon einmal hier gewesen. Doch er Fahrzeug trieb, hinein in ein unterir­
konnte sich an keine Einzelheiten erin­ disches Labyrinth, das ihm genauso un­
nern. Vielleicht, als Sparks ihn entführt durchschaubar vorkam wie der Irrgar­
und danach sein Gedächtnis gelöscht ten, in den sein Verstand sich verwandelt
hatte ...? hatte.
»Du bringst mich zu eurem Versteck!«,
wagte er einen Schuss ins Blaue. *
Da’inta Sparks sah ihn überrascht an.
»Du erinnerst dich daran?« Er konnte nicht sagen, wie lange sie
»Du wolltest nicht, dass irgendjemand durch die Gänge der Etset Secinda ge­
von mir erfährt, wo sich das Versteck der gangen waren oder vielleicht nur durch
USO befindet«, sagte er. »Falls du wirk­ Stollen, die Kolonialarkoniden gegra­
lich Spezialistin dieses Vereins sein soll­ ben hatten, um Karikin zu schürfen, Ka­
46 UWE ANTON

rikin, das nun Rutmer Vitkineff an sich »Allmählich fällt mir wieder ein, was
bringen wollte. Er hatte jedes Zeitgefühl Tark Kluf sich gedacht hat«, sagte Ata­
verloren. rin schließlich. »Wenn er der galak­
Irgendwann blieb Da’inta Sparks ste­ tischen Öffentlichkeit beweisen könnte,
hen und streckte die Hand ins Nichts dass vor den Arkoniden schon eine intel­
aus, und vor ihr fuhr ein getarntes Schott ligente Spezies auf den Arkonwelten
zurück, das eine Sekunde vorher noch gelebt hat, würde das Selbstbewusstsein
nicht dort gewesen war. Die Frau mit der des Imperiums schwer erschüttert wer­
Glitzerfrisur packte ihn am Arm und den. Es würde zwar keine Revolution
zerrte ihn in einen kleinen Raum, der geben, zumindest keine, die Aussicht auf
wie ein Besucherzimmer eingerichtet Erfolg hätte, aber die Karten im Spiel
war, mit einem kleinen Tisch, einigen der galaktischen Mächte würden neu
Sesseln und einem Servoautomaten. In gemischt werden. Und die Arkoniden
einem der Sessel saß ein Mann mit einem würden die Minen schließen, was den
Gesicht, das ... weiteren Ausbau Subtors verzögern
Ich habe das schon einmal gesehen, würde.«
dachte Atarin. Genau dieselbe Szene. »Knapp daneben ist auch vorbei«,
Ich habe es schon einmal gesehen. sagte Pal Astuin. »Die Arkoniden wür­
... das alles andere als normal-arkono­ den den Fund einer neuen Stadt der Sie­
id war. Mund und Nase waren verhält­ ben Artefakte zu Propagandazwecken
nismäßig klein, und darüber saß in der nutzen. Die Erde war die Heimat der Le­
hohen Stirn ein einziges faustgroßes Au­ murer, der Ahnherren aller modernen
ge, in dem es orangegelb zu flackern Humanoiden der Milchstraße, was den
schien. Arkoniden sowieso ein Dorn im Auge ist.
»Savoire«, sagte er. Da käme ihnen ein geheimnisvolles Vor­
»Ganz recht«, erwiderte der Mann. läufervolk nur recht.«
»Und wir müssen reden. Ganz dringend Atarin runzelte die Stirn. Das ergab
reden. Worüber möchtest du gern mit doch keinen Sinn!
mir sprechen, Warding?« Nein, er konnte sich wirklich keinen
Atarins Gedanken rasten, ohne dass Grund vorstellen, warum die Arkoniden
er sie irgendwie fokussieren konnte. die Minen schließen sollten. Das würden
Ich muss Klarheit in die Sache brin­ sie lediglich tun, falls die Arbeiter dort
gen, dachte er. Ich muss ganz vorn an­ schneller starben, als man sie ersetzen
fangen. konnte, aber nicht, um einen archäolo­
Hinter ihnen hatte sich das verbor­ gischen Fund zu verbergen.
gene Schott wieder geschlossen. Er »Was ist mit diesem Karikin? Wenn es
drehte sich zu Da’inta Sparks um. kein Erz, sondern ein Medikament ist,
Eine illustre Gesellschaft, dachte er. wird es vielleicht in der Mine gelagert?«,
Sie befand sich in dem Raum, der Bar­ fragte er, obwohl er ahnte, dass auch das
keeper, Savoire und Astuin. nicht der Grund war.
Und er natürlich. Wobei er der Ein­ Astuin beugte sich ernst vor. »Nein.
zige war, der keine Waffe hatte. Deshalb würden die Arkoniden nicht so
»Über den Anfang«, sagte er. »Wer hat ein Aufhebens machen. Tark Kluf muss
Tark Kluf getötet?« einer bedeutenden Sache auf der Spur
Die Frau mit der Glitzerfigur hielt sei­ gewesen sein.« Er hielt wieder inne.
nem Blick stand, schien sogar spöttisch »Klingelt wirklich nichts bei dir?«
zu grinsen. Atarin schüttelte zögernd den Kopf.
»Was glaubst du denn?«, fragte Sa­ »Er hatte eine Abmachung mit der
voire. »Wie ist Kluf überhaupt in diese USO«, warf Da’inta Sparks ein. »Wir
Sache hineingeraten?« Er hielt inne und hielten ihm den Rücken frei, auch ge­
ließ Atarin nachdenken. genüber dem TLD, und er informierte
Die Nadel des Chaos 47

uns über seine informellen Erkennt­ »Die Arkoniden ziehen den Gastar­
nisse.« Nun lag Verärgerung wie auch beitern das Geld direkt wieder aus der
Bedauern in ihrer Stimme. »Wir wissen Tasche«, versuchte er, das Gespräch wie­
ja, was daraus geworden ist.« der auf das Thema zu bringen. »Deshalb
»Wäre die Wahrheit ans Licht gekom­ wird die Sentenza auch geduldet. Sie
men«, vermutete Atarin, »hätte es Ärger holt das Geld, das der Staat ausgibt, zu
unter den Minenarbeitern gegeben. Bei einem großen Teil für den Staat wieder
den Hungerlöhnen, für die sie schuften. herein.«
Auch wenn es sich dabei um die einzige Sparks lachte.
Arbeit handelte, die Kolonialarkoniden »Die Kolonialarkoniden sind Sklaven
hier zur Verfügung steht. Der Imperator dieses Planeten«, fuhr er verbittert fort.
hat sie ja eigens geholt, damit sie in den »Und die Herren lassen niemanden ge­
Minen tätig werden.« hen.«
»Er begreift es nicht«, sagte Astuin. »Du glaubst es zu wissen.« Savoire er­
»Es ist aussichtslos. Er verharrt in seiner hob sich aus seinem Sessel und schritt in
Welt und wird sie freiwillig nicht verlas­ der Kammer auf und ab. »Vor zwei Mo­
sen. Wir haben keine Zeit mehr. Die Ent­ naten haben wir Tark Klufs Loyalität
scheidung steht unmittelbar bevor. Wir auf die Probe gestellt. Er sollte uns In­
müssen es ihm auf andere Weise zei­ formationen über die Stadt der Sieben
gen.« verschaffen. Stattdessen ist er aus un­
Plötzlich fror Atarin erbärmlich. Er serer Wahrnehmung verschwunden.«
kniff die Augen zusammen, schüttelte Mit einem Mal war die Erinnerung
sich, nicht nur vor Kälte. Plötzlich tru­ wieder da. »Ja, ich erinnere mich. Tu-
gen alle anderen Raumanzüge, nur er Ra-Cel-Agenten waren hinter ihm her
nicht. Und sie befanden sich auch nicht und kamen bereits, und er musste schnell
mehr in einem Besucherraum, sondern verschwinden«, sagte Atarin. »Er konn­
in einer kleinen Zelle, deren Wände aus te nur hoffen, dass du ebenfalls entkom­
Stahl bestanden, dessen Kälte in seinen men bist, denn ...«
Körper zu sickern schien. »Denn er hat befürchtet, dass sie mich
»Was ...?«, murmelte er. foltern würden, wenn sie mich er­
Da’inta Sparks entfernte den Helm wischten, bis sie in Erfahrung gebracht
ihres Anzugs. »Hier herrscht ein an­ hatten, was sie wissen wollten«, fuhr Sa­
nehmbarer Druck«, sagte sie. voire fort.
Atarin und Pal Astuin folgten ihrem »Celkar«, sagte Atarin. »Die Gerichts­
Beispiel und stiegen aus ihren Anzü­ welt des Imperiums. Trotzdem hatte ich
gen. irgendwie gehofft ...« Er wandte sich ab,
Ja, dachte Atarin. Es ist kalt hier, aber ohne den Satz zu vollenden.
erträglich. »Hört auf!«, rief Sparks aufgebracht.
»Sie haben bei allem geknausert«, »Das ist doch völlig abstrus! Es ist sinn­
sagte Astuin. »Gibt es hier nicht mal ei­ los! Ihm fällt ein, was ihm einfallen will,
ne Heizung?« und er glaubt, was er glauben will! Er
»Was habt ihr getan?«, fragte Atarin. kommt nicht aus seiner Traumwelt!
»Wieso könnt ihr ... die Umgebung ein­ ESCHER hat nur noch ein paar Minu­
fach so verändern? Ihr habt mich unter ten!«
Drogen gesetzt! Das ist doch alles nicht »Escher?«, fragte Atarin entgeistert.
die Wirklichkeit!« Geistesabwesend stellte er fest, dass die
»Es geht dir schlecht, Warding«, sagte stählernen Wände verschwunden waren
Savoire. »Es geht uns allen schlecht.« und er sich wieder in dem Besucherraum
Was sollte das heißen? Meinte der Zy­ befand.
klop damit etwa das Elend in der Unter­ »Ja«, sagte Astuin. »Maurits Cornelis
stadt, im Vergnügungsviertel? Escher. Der als jüngster von drei Söhnen
48 UWE ANTON

eines Hydraulikingenieurs mit der Fa­ sitronik und viel mächtiger als du. Ich
milie nach Arnheim zog und ein so musste dich langsam zu der Erkenntnis
schlechter Schüler war, dass er zwei führen, dass hier etwas ganz und gar
Klassen wiederholen musste.« nicht stimmt. Ich bin dein Alptraum.«
Atarin starrte ihn an. »Der TLD- »Aber ...«
Kode ...« »Siehst du es denn nicht ein? Du bist
»Und jetzt gibt es für dich nichts an­ hier der große Held. Jeder deiner Schüs­
deres mehr als die Wahrheit«, fuhr der se trifft, während deine Feinde sich ei­
Agent der TLD-Dienstaufsicht fort. »Du nen Fehlschuss nach dem anderen leis­
willst wissen, wer Tark Kluf umgebracht ten. Und wenn deine Situation wirklich
hat? Ich werde es dir sagen. Das war aussichtslos ist, kommt es zu einer un­
nicht Da’inta Sparks. Das war ich.« möglichen Rettung in letzter Sekunde.
Wie im Bezirk Mivado, als Vitkineff
* schon auf dich anlegte und ich erschien
und den Strahl ablenkte. Ich war dafür
»Du?«, fragte Atarin. nicht vorgesehen, sondern deine bei­
»Du bist tot, Warding«, fuhr Astuin den … Betthäschen. Ich habe diese Ge­
fort. »Gestorben am 12. April 1345 NGZ legenheit nur benutzt, um mich in deiner
in Terrania, in der Thora Road 2216. Du Traumwelt etablieren zu können.
bist seit zwei Jahren tot!« ESCHER hat mir diese Macht verliehen.
»Das ist doch lächerlich«, sagte Ata­ Aber das ist nicht die Wirklichkeit, Ata­
rin. Aber da drängte eine Erinnerung in rin! Das ist ein Agenten-Milieu, wie ein
ihm empor: Bilder, Gefühle ... Kein Archäologe es sich vorstellt!«
Schmerz, nur die Trennung des Geistes »Ein ... Archäologe?«
vom Körper ... »Die Parapositronik hat dich als Pro­
»Aber du bist als Prozessor aufgegan­ zessor erwählt, weil du einer der führen­
gen in eine Parapositronik namens den Archäologen deiner Zeit warst. Da­
ESCHER. Dein Geist lebt weiter, ist eins her auch dein Interesse an der Etset
mit ESCHER, doch die Parapositronik Secinda, von der es auf Subtor nie eine
steht unter enormer Beanspruchung, und gegeben hat.«
deshalb hast du dich in eine Traumwelt »Und wer ist Rutmer Vitkineff?«
zurückgezogen, die du dir selbst geschaf­ »Ein anderer Prozessor ESCHERS,
fen hast, in der du das bist, was du immer der sich ebenfalls Allmachtsphantasien
sein wolltest. ESCHER musste dich hingab und versuchte, die Macht über
wachrütteln und hat mich deshalb in die Hyperdim-Matrix zu erlangen.«
deine Welt geschickt. Meine Aufgabe »Die Hyperdim-Matrix?«
war es, deine allumfassende Illusion so »ESCHERS Welt. Deine Welt.«
weit zu zerrütten, dass du wieder auf­ »Weshalb will er sich in den Besitz
nahmefähig für die Wirklichkeit wirst.« sämtlicher Karikin-Vorräte bringen?«
»Lächerlich!«, wiederholte Atarin. »Karikin ist ein Medikament ...«, warf
»Das alles soll eine ... Wahnvorstellung der Zyklop ein.
sein?« »Das weiß ich«, fauchte Atarin.
»Bedingt durch die Kapazitäts­ »... das mir das Leben gerettet hat.
probleme der Parapositronik. Weshalb Ohne Karikin gäbe es mich nicht und
könnten wir sonst einfach die Umge­ gäbe es auch ESCHER in dieser Form
bung verändern? Du bist ein Prozessor nicht.«
von ESCHER. Du hast dir diese kleine »Und Rutmer Vitkineff wollte das ver­
Welt nach deinem Geschmack geschaf­ hindern?«
fen, und nur durch mein Eingreifen hat »Vitkineff war damals noch nicht ak­
sie immer alptraumhaftere Züge ange­ tuell. Er wollte später die Hyperdim-
nommen. Ich bin ein Avatar der Parapo­ Matrix unterwerfen. Die Prozessoren –
Die Nadel des Chaos 49

auch du! – haben es verhindert. Atlan »Du begreifst nichts.«


hat seinen Körper getötet, doch nicht »Würdest du mir eins erklären? Du
seinen Geist, und die Prozessoren behauptest, sie sei eine miese Verräterin.
ESCHERS haben das Werk vollendet. Du hast sie in deiner Gewalt. Warum li­
Erinnere dich, du warst – bist – schließ­ quidierst du sie nicht einfach?«
lich einer von ihnen! Vitkineff ist tat­ »Wir haben eine Abmachung«, sagte
sächlich zweimal gestorben, und beim Astuin gepresst. »Sonst noch Fragen?«
zweiten Mal hast auch du ihn getötet.« Atarin wurde klar, dass er einen wun­
»Ihr wollt mich nur verwirren«, sagte den Punkt berührt hatte. Er musste ei­
Atarin. »Einer von euch ... und ich weiß nen Rückzieher machen.
nicht, wer ... hat mir das Gedächtnis ge­ »Nein. Schon gut.« Doch falls Astuin
nommen, mich manipuliert ...« Sein es sich noch anders überlegen und sich
Mehrzweck-Armband summte, und er entschließen sollte, Sparks doch noch zu
lächelte. »Aber jetzt ist Schluss damit.« beseitigen ...
Diese Bemerkung hätte er sich sparen Er mochte diese Frau. Aber Astuin
können. Ihm wurde klar, dass er einen war sein Vorgesetzter.
Fehler begangen hatte, als Astuin vor­ Woher hat er nur gewusst, was gesche­
sprang, den linken Arm um Da’inta hen wird? Wie konnte er so schnell rea­
Sparks Hals legte und ihr mit der ande­ gieren? Praktisch vor der Zeit?, fragte er
ren Hand den Kombistrahler an den sich, als das verborgene Schott sich in
Kopf drückte. grünen Dunst auflöste und Arna und
Atarin wollte etwas tun, wurde sich Oksa in den Raum sprangen, die Waffen
plötzlich seiner Gefühle klar, doch schussbereit und auf Astuin und Savoire
nicht imstande, Astuin anzugreifen. Weil gerichtet.
Da’inta Sparks zu dessen Geisel gewor­ Den Barkeeper ignorierten sie.
den war, fühlte er sich hilflos und verra­
ten. *
Da’inta starrte ihn an, und ihr Mund
bildete eine stumme Frage. »Meine Traumwelt!« Nun lachte Ata­
Du hast ihm sogar den verdammten rin. »Ich bin nur ein unfähiger Agent,
Kombistrahler gegeben! der sich in eine Phantasie verstrickt hat,
Doch er hatte Pal Astuin nicht ver­ oder?«
dächtigt, sodass er bei diesem Verwirr­ »Wie haben sie uns gefunden?«, fragte
spiel genauso viel Schuld trug wie sie. Astuin.
Astuin war ein Profi und hatte ihnen be­ Atarin rieb sich wieder über den
wiesen, dass sie allesamt in einer tie­ Bauch. »Ein Peilsender. Ich habe ihn
feren Liga spielten. einfach verschluckt, und meine größte
Niedergeschlagen stellte sich Atarin Sorge war, dass ich Durchfall bekomme
die Frage, was nun geschehen würde. Er und ihn vorzeitig ausscheide. Aber das
befürchtete, dass Astuin keine Gnade ist zum Glück ja nicht passiert. Obwohl
kannte. ich ein dummer kleiner Agent bin, der
Andererseits war er aber auch kein nichts begreift. Aber so einen Fehler wie
Trottel, sondern ein fähiger Agent, und mit dem Garrabo mache ich nur einmal.
die Karten würden nun neu gemischt Die Waffen, bitte.«
werden. Zu seiner großen Überraschung be­
Es blieben nur wenige Sekunden. harrten die anderen nicht auf einen
Er seufzte und schüttelte den Kopf. Er Showdown, sondern ließen sie fallen.
wusste, was passieren würde, war aber »Na also«, sagte Arna.
Realist. »Dann bring das verdammte »Es geht doch!«, sagte Oksa.
Weib doch um. Ich helfe dir, ihre Leiche »Und nun?«, fragte Sparks. »Wer muss
von hier fortzuschaffen.« sterben? Das ist die grundlegende Frage.
50 UWE ANTON

ESCHER hat keine Zeit mehr. Tötest du hatten!« Doch diesmal klang seine Stim­
mich, hast du die falsche Entscheidung me brüchig. Er gestand sich ein, dass er
getroffen. Du wirst in deiner Traumwelt dieser Frau gewisse ... Gefühle entge­
verbleiben, ESCHER kann seine Aufga­ genbrachte. Und sie blieben bestehen,
be nicht erfüllen und wird untergehen, wollten einfach nicht verschwinden. Es
und deine Existenz wird mit der der Pa­ war nicht so, dass er ohne sie nicht mehr
rapositronik beendet werden. So einfach weiterleben konnte, aber ...
ist das.« Es war auf jeden Fall falsch.
»Und töte ich Astuin?« Was wusste sie schon? Darüber, was
»Hast du die richtige Wahl getroffen. ihm fehlte? Was er suchte?
Er ist kein Mensch mehr, sondern ein Er winkte mit der Waffe.
Agent ESCHERS.« Astuin gab Sparks frei, trat von ihr
Er ist kein Mensch ... zurück. »Nur noch zwanzig Sekunden«,
Diese Warnung hatte Da’inta Sparks sagte er. Er klang verzweifelt. »Dann ist
ihm in der Wohnung der Mehandor zu­ alles vorbei.«
kommen lassen. »Wenn das so ist«, sagte Atarin und
»Unsinn«, sagte Astuin. »Ich bin dein zog Sparks an sich.
Vorgesetzter. Töte sie! Ich befehle es dir. Sie wehrte sich nicht. Fast, als wolle
Glaub mir. Vertrau mir. Ich weiß, was sie ihn mit der körperlichen Nähe ablen­
hier geschieht.« ken.
»Haben wir da noch ein Wörtchen »Meine Geliebte, eine Fremde«, mur­
mitzureden?«, fragte Arna. melte er. Es sollte nur ironisch klingen,
»Er ist kein Mensch«, wiederholte tat es aber nicht.
Sparks. »Ja«, erwiderte sie leise.
Astuin lächelte schwach. »Vergiss Aber nein, das war es nicht. Er war
nicht ... der Mensch zeichnet sich durch wütend auf diese Frau, und sie hatte ihm
seine Taten aus.« Er sprach so leise, dass übel mitgespielt. Diese Zuneigung muss­
Arna und Oksa ihn nicht hören konn­ te ein Tagtraum sein oder eine Manipu­
ten. lation seiner Gefühle.
»Er ist kein Mensch«, sagte Atarin, »Du hast mich schon immer gewollt«,
»und wer bist du, Sparks? Kannst du mir flüsterte sie. »Erinnerst du dich nicht?
das verraten?« Und jetzt kannst du mich haben ... Du
»Sie ist kein Teil der Hyperdim-Ma­ hast mich besiegt ...«
trix. Sie kam ESCHER vor einiger Zeit Ja, da war etwas, doch die Erinnerung
auf die Spur. Du hast Aufzeichnungen verblich schon wieder.
darüber studiert und ... Gefallen an ihr »Töte Astuin«, fuhr sie fort.
gefunden. Sie ist nur eine Projektion »Ihr lasst mir keine Wahl«, sagte er,
deiner Wunschwelt, die ich übernom­ bückte sich und hob einen der Kombi­
men habe.« strahler auf. »Es ist lächerlich. Ihr wollt
»Unsinn«, sagte Sparks. »Ich bin dei­ mich nur manipulieren. Aber wisst ihr
ne Geliebte.« was ... ihr habt recht.«
»Was?«, entfuhr es ihm. In ihm breitete sich eine absolute Lee­
»Die Frau, die du erobern musst. Eine re aus.
würdige Gegnerin, die du erst haben Erinnerungen kamen.
kannst, nachdem du sie bezwungen hast. Er hatte es schon immer geahnt. Rut­
Etwas anderes als diese Betthäschen.« mer Vitkineff war tot, aber er hatte ihn
»Betthäschen?«, echoten Arna und zum zweiten und letzten Mal umge­
Oksa. bracht.
Atarin lachte erneut. »Vielleicht erin­ Unter anderem er.
nere ich mich nur nicht an unser wirk­ Wollte er nicht endgültig den Verstand
liches gemeinsames Leben, falls wir eins verlieren, musste er es tun.
Die Nadel des Chaos 51

»Ich habe meine Entscheidung getrof­ Diese Narren!, dachte er. Sie haben
fen«, sagte er. »Ich kann dich nicht töten, meinen Avatar-Leib erschossen und
Astuin, und dich auch nicht, Sparks, meinem Bewusstsein einen großen
weil ich dich vielleicht tatsächlich ... lie­ Schock versetzt, aber das hilft ihnen
be. Oder zumindest mag. Aber ich weiß, überhaupt nichts. Wie konnten sie so
wen ich töten muss, um diesem Irrsinn dumm sein, mich auf diese Weise anzu­
zu entkommen.« greifen?
»Nein, tu es nicht!«, rief Astuin. Es ist wahr, dachte Atarin überrascht.
Sparks versuchte, ihm die Waffe zu Was sie behauptet haben, ist tatsächlich
entwinden, doch sie war zu langsam. wahr.
Er richtete den Kombistrahler auf den Er hatte nur fliehen, dem zuneh­
Barkeeper und schoss. Der glutheiße menden, unerträglich werdenden Druck
Strahl umfächerte den Mann zwar, hatte entgehen wollen. Er hatte nicht mehr
jedoch keine weitere Wirkung. Als Ata­ leben können in einer Welt, die wider­
rin den Abzug vom Finger nahm, stand sprüchlich und völlig inkohärent gewor­
er unverletzt da. den war, in der seine Gedanken Purzel­
Das war der letzte Beweis. bäume schlugen und es keine Logik
Atarin fluchte, hielt die Waffe an sei­ mehr gab. Doch nun ...
nen Kopf und drückte erneut ab. Vitkineffs Avatar-Körper war erlo­
schen, aber er war unversehrt, wurde
* sich seiner selbst wieder bewusst, sam­
melte Energie.
Und erinnerte sich, bevor der licht­ Ein Signal.
schnelle Thermostrahl ihn traf. Erin­ Von Merlin Myhr.
nerte sich, obwohl eigentlich gar keine »Wir haben ihn, und er ist noch
Zeit dazu blieb. schwach.«
Er sah, wie Rutmer Vitkineff erwach­ Atarin erlebte mit, wie Rutmer Vitki­
te. neff die unüberschaubare Anzahl an
In seiner Hyperdim-Bucht, dachte er. Prozessoren entdeckte, die sich um seine
Er konnte nichts mit diesem Begriff ver­ Hyperdim-Matrix versammelt hatten.
binden, doch er war zutreffend, das Sich umsah.
wusste er. Pal Astuin.
Einen Augenblick lang war er eins mit Merlin Myhr.
Vitkineff. Vanika Hoog.
52 UWE ANTON

Warding Atarin. Diese Erkenntnis war nicht befremd­


Patmur Derz. licher als die zuletzt immer abstruser
Matheux Alan-Bari. werdenden Ereignisse in der Welt, die er
Sybel Bytter. gerade hinter sich gelassen hatte.
Wilbuntir Gilead. Er lächelte. Endlich war es vorbei.
Über hundert Prozessoren, die auf ihn Er war zurück.
einstürmten. In seiner Welt.
Und Vitkineff war gerade zum ersten
Mal gestorben, stand noch unter Schock,
konnte sich nicht wehren. Seine Verbin­ 9.
dungen zu ESCHER wurden unbarm­ Hangay
herzig durchschnitten, ein Gedanken-
Datenstrom nach dem anderen erlosch. Isokrain legte die Arme aneinander,
Die Prozessoren umringten den Rene­ und sein Vorderkörper rückte hoch, bis
gaten. Ihm blieb kein Ausweg, keine sein großes hinteres Beinpaar ihn kaum
Flucht in die Datenströme der Matrix. noch aufrecht halten konnte.
Nur noch eine halbe Sekunde, und er »Es ist vollbracht«, sagte er. »Der ers­
würde zu seiner alten Stärke zurückfin- te Prozessor hat aus seiner Traumwelt
den. gefunden und ist zu ESCHER zurückge­
In der Außenwelt eine winzige Zeit­ kehrt, und die anderen werden ihm nun
spanne, in der Matrix eine halbe Ewig­ folgen. Pal Astuins Strategie, die Ereig­
keit. Und er hatte diese halbe Sekunde nisse in ihren jeweiligen Welten bis zur
nicht. Lichtknoten drangen auf ihn ein, Absurdität und Widersinnigkeit auf die
Datenströme zerschnitten ihn, fragmen­ Spitze zu treiben, hat Erfolg gehabt!«
tierten sein Bewusstsein. Die letzte Ver­ Dr. Savoire atmete auf. »Und der
bindung zwischen Rutmer Vitkineff und T-Prognostiker?«
der Hyperdim-Matrix wurde zerschnit­ »Auch hier hat sich ESCHERS Hoff­
ten. nung erfüllt. Ich spüre, dass der Cyborg-
Es war vollbracht. Körper nicht mehr belebt ist!«
Am 15. Juni 1346 NGZ, 16:51:24 Uhr »Was soll das heißen?«, frage Savoire.
Standardzeit. »Das Wesen hat der Versuchung, die
Vitkineff war tot, zum zweiten Mal ESCHER für es darstellt, nicht wider­
gestorben, und diesmal endgültig. stehen können. Der T-Prognostiker ist in
Und Atarin erkannte die Wahrheit. die Hyperdim-Matrix eingegangen, und
macht, wie die Parapositronik mir gera­
* de mitgeteilt hat, keinerlei Anstalten,
ihr Kontinuum wieder zu verlassen. In
Prozessoren, die auf Vitkineff ein­ der Matrix wird er die Erfüllung finden,
stürmten. die TRAITOR den Prognostikern stets
Vanika Hoog. versprochen hat, aber immer nur für
Warding Atarin. kurze Zeit liefern konnte.«
Patmur Derz. »Und das nicht gegen den freien Wil­
Er war einer davon. Ein Prozessor len?«
ESCHERS. Ein Bestandteil der Hyper­ »Ganz und gar nicht. Den letzten
dim-Matrix. Schritt hat der Prognostiker aus eigenen
Und das hieß ... Savoire hatte die Stücken vollzogen. Die Hyperdim-Ma­
Wahrheit gesprochen. Du bist seit zwei trix stellt für ein Wesen wie ihn, das
Jahren tot! Unseren Unterlagen zufolge fünfdimensional orientiert denkt, die
bist du jedenfalls am 12. April 1345 NGZ höchste erreichbare Existenzstufe dar.
in Terrania gestorben, in der Thora Road Deshalb hat ESCHER damit gerechnet,
2216. dass er freiwillig in sie eingehen wird.«
Die Nadel des Chaos 53

»Dann ist der Versuch geglückt?« Mission vor dem endgültigen Scheitern
»Ja. ESCHERS Zustand normalisiert gestanden, und nun ließ er den Blick
sich zusehends. Die Parapositronik hat über sieben Cyborg-Körper gleiten, die
mir soeben grünes Licht gegeben. Die in der Gedankenkammer lagen und de­
Integration des Prozessors verläuft ohne ren organische Komponenten allesamt
Probleme, und ich soll die übrigen leblos geworden waren.
T-Prognostiker des Wohnzentrums auf­ »ESCHER ist nun mit sieben zusätz­
spüren und in die Gedankenkammer lichen Prozessoren ausgestattet«, sagte
bringen.« Isokrain neben ihm, »die in Kürze die
Savoire runzelte die Stirn. »Dieses Leistungsfähigkeit der Parapositronik
Vorgehen ist und bleibt gefährlich. Nicht entscheidend aufwerten sollten. Und
auszudenken, was geschehen wird, wenn dank der Nano-Kolonnen, die ich in dem
wir entdeckt werden! Kannst du deine Schwerpunkt-Wohnzentrum und seiner
Nano-Kolonnen nicht anweisen, die Cy­ Umgebung zurückgelassen habe, befin­
borgs zu uns zu bringen?« det sich Sektion 685943-Qw jetzt mehr
»Von hier aus ist mir das leider nicht oder minder in ESCHERS Gewalt.«
möglich. Die Kolonnen sind zwar eine »Worauf wartet er dann noch?«, fragte
phänomenale Errungenschaft, doch die der Kybernetiker.
Kontrollreichweite ist begrenzt. Ich »Auf nichts mehr«, erwiderte der Kos­
muss mich so oder so persönlich dorthin mitter. »Er ist bereits aktiv geworden
begeben. Aber sei unbesorgt, meine und übernimmt in diesem Moment den
Nano-Kolonnen müssten ihre Arbeit offenen Zugriff auf die supratronischen
inzwischen beendet und die Überwa­ Knotenrechner. Er reißt bereits die Kon­
chungssysteme des Schwerpunkt-Wohn­ trolle über die Automat-Fabriken von
zentrums so weit manipuliert haben, Sektion 685943-Qw an sich und leitet
dass sie meine Anwesenheit nicht mehr einen Amoklauf der Maschinen ein.«
zur Kenntnis nehmen und alle außerge­ Die Parapositronik blendete eine Viel­
wöhnlichen Aufzeichnungen aus den zahl von Holos ein, die alle unterschied­
Speichern löschen. Nach meinem Er­ liche Bilder zeigten, denen jedoch eins
messen besteht nicht die geringste Ge­ gemeinsam war: Verwüstung auf breiter
fahr mehr.« Front.
Dr. Savoire streckte die Hand aus. Sie wechselten schneller, als Savoire
»Worauf warten wir dann?« es verfolgen konnte. Hier ein durch­
»Ich teleportiere allein«, beschied der gehender Reaktor, dessen entfesselte
Kosmitter dem Kybernetiker. »Auf diese energetische Gewalt zahlreiche andere
Weise kann ich mehrere Cyborgs gleich­ Gebäudekomplexe mit sich in den Un­
zeitig transportieren. So geht es schnel­ tergang riss. Dort fehlgesteuerte Ma­
ler. ESCHER ist nicht vollständig wie­ schinen in einer Automat-Fabrik, deren
derhergestellt, und die Zeit bleibt ein Greifarme Energieleitungen zerstörten,
kritischer Faktor.« was zahlreiche weitere Explosionen
Savoire konnte diese Argumentation nach sich zog. In den Schnellverbin­
zwar nachvollziehen, fühlte sich aber dungsröhren Koffter, die aus heiterem
trotzdem furchtbar überflüssig und be­ Himmel abstürzten oder gegen die Wän­
deutungslos, als der Insk-Karew vor sei­ de rasten, auffällig oft an kritischen
nen Augen entmaterialisierte. Stellen, was dazu führte, dass Energie­
kupplungen beschädigt wurden und
* weitere Kettenreaktionen der Vernich­
tung auslösten.
Es hat funktioniert, dachte Savoire. Binnen weniger Sekunden wurde die
Es hat tatsächlich geklappt! gesamte Sektion von echtem Chaos er­
Noch vor wenigen Stunden hatte ihre füllt!
54 UWE ANTON

Die Bilder wechselten noch schneller. werden kann, in der es zu den katastro­
In den umliegenden Kolonnen-Forts, die phalen Zwischenfällen gekommen ist.
den Abschnitt umgeben, wurde Alarm »Wenn alles funktioniert hat, dürfte es
gegeben. Savoire sah Mor’Daer, die zu­ am Grenzwall Hangay zumindest zu ei­
sammenströmten und Eingreiftrupps ner Art Flackereffekt kommen«, führte
bildeten, dann aber darauf warteten, ge­ der Kosmitter aus, »der durchaus für ei­
naue Befehle zu bekommen. Er sah nige Stunden anhalten könnte und dem
Lösch- und Reparaturkommandos, die Nukleus der Monochrom-Mutanten si­
in den Bereich eindrangen, nur um von gnalisieren wird, dass ESCHER an der
weiteren Explosionen zurückgetrieben Arbeit ist!«
oder gar getötet zu werden, und Bilder Er verstummte, verharrte mitten in
aus Schaltzentralen, in denen die Ver­ der Bewegung und drehte sich dann zu
antwortlichen fassungslos auf die drei­ Savoire um.
dimensionalen Darstellungen starrten, Der Erste Kybernetiker glaubte, Fas­
die ihnen übermittelt wurden. sungslosigkeit in den Facettenaugen des
»Jetzt muss es schnell gehen!«, sagte Insk-Karew zu erkennen. »Was ist ge­
Isokrain und teleportierte. Kaum eine schehen?«
halbe Minute später materialisierte es »Nichts«, flüsterte Isokrain. »Nichts
wieder neben Savoire. »Ich habe die sie­ ist geschehen! Es hat nicht funktio­
ben Körper zurück in ihr Wohnzentrum niert!«
transportiert«, erklärte er, »und meine
Nano-Kolonnen eingesammelt, soweit
es mir möglich war. Wir dürfen keine 10.
Spuren hinterlassen.« Er zeigte auf eine Hangay
neue Holo-Aufnahme, die ESCHER ein­ 23. Oktober 1347 NGZ
blendete. Darauf war zu sehen, wie eine
leichte Explosion die Räumlichkeiten »Es hat nicht funktioniert?«, echote
der T-Prognistiker beschädigte, aber Dr. Savoire. »Wieso nicht?«
nicht völlig zerstörte. Schließlich musste »Jedenfalls nicht rings um den Ele­
man dort später die sieben »Leichen« mentar-Quintadimtrafer!«, murmelte
finden können. der Insektoide geistesabwesend und
Mit einer Mischung aus Faszination lauschte wieder in sich hinein. »ESCHER
und Abscheu beobachtete Savoire, wie hat die Ursache festgestellt«, sagte er
aus den benachbarten Sektionen schwer schließlich.
bewaffnete, von Energieschirmen ge­ »Der entscheidende Knotenrechner
schützte Koffter in die Katastrophenzo­ im Sektor 685943-Qw, der als zentraler
ne eindrangen. Ausgangspunkt des Trojaner-Angriffs
Wie viele Angehörige der Terminalen dient, wurde gegen ESCHERS Absicht
Kolonne sind in den letzten Minuten beschädigt! Durch eine der Hunderte
ums Leben gekommen? von Explosionen, die sich mittlerweile
»ESCHER leitet nun seine eigentliche ereignet haben. ESCHER hat zu gute
Manipulation ein«, riss Isokrain ihn aus Arbeit geleistet. Sein Angriff hängt da­
seinen Gedanken. »Er leitet nun über die mit fest!«
supratronischen Knotenrechner von »Und nun?«, fragte Savoire. »Was
Sektor 685943-Qw seinen Angriff auf können wir tun?«
die Steuerung des Elementar-Quinta­ »Ein Ausweichen auf andere Rechner
dimtrafer ein.« ist in der Kürze der Zeit nicht möglich.
Savoire nickte. Der über das dezent­ Jedenfalls nicht, ohne im Rechnernetz
rale Rechnernetz von GLOIN TRAITOR Spuren zu hinterlassen.« Isokrain hielt
verbreitet wird, weshalb als Ausgangs­ wieder inne, lauschte in sich hinein. »Es
punkt wohl nur die Sektion ermittelt hilft alles nichts. Wir müssen wohl oder
Die Nadel des Chaos 55

übel eingreifen und die Beschädigung dem ehemaligen Angehörigen des Bru­
des Knotenrechners beheben.« derstands der Kosmitter, der sich sonst
Der Erste Kybernetiker wurde blass. mit einer eleganten Grazie bewegte, die
»Das … das ist doch Wahnsinn! Wie sol­ von dem Anzug zunichte gemacht wur­
len wir …« de. Aber es erfüllte seinen Zweck.
»SERUNS!«, befahl der Kosmitter. Noch eine Teleportation und sie stan­
»Alle Systeme aktivieren! Nun mach den direkt vor dem Knotenrechner. Sa­
schon, Laurence! Die Zeit läuft uns da­ voire konnte nur einen Teil seines Ge­
von!« häuses erkennen, und das auch nur in
der Infrarotsicht, zu dicht war der
* Rauch. Er fragte sich, welche Tempera­
tur hier herrschte. Ohne SERUN wäre er
Es ist ein gewaltiger Unterschied, jedenfalls schon längst erstickt.
stellte Dr. Savoire fest, ob man solch ein Er arbeitete fast blind, nach Gefühl,
Chaos auf Holo-Darstellungen beobach­ tastete nach dem Öffnungsmechanis­
tet oder mittendrin steckt. mus, fand und betätigte ihn. Das Helm­
Seine Welt war plötzlich so begrenzt display zeigte ihm einen winzigen Aus­
und eingeschränkt, wie er es nicht für schnitt des Innenlebens des Rechners.
möglich gehalten hätte. Daten der Or­ Plötzlich wurde ihm klar, warum
tung und der Systemkontrolle prasselten Isokrain ihn von Anfang an mitgenom­
unentwegt auf ihn ein, aber er nahm men hatte, als es darum ging, in TRAI­
kaum etwas von seiner Umgebung COON 06-202a die Schaltungen diverser
wahr. Rechnerknoten hardwaretechnisch zu
Deflektorschirm aktiviert. Schutz­ manipulieren. Er hatte ihn damit auf
schirm aktiviert. Infrarotsicht aktiviert. solch einen Notfall vorbereiten wollen.
Energieausbruch in achtundsechzig Me­ Ganz in seiner Nähe erfolgte eine Ex­
tern Entfernung. Energie zur Verstär­ plosion. Savoire ignorierte die War­
kung des Schutzschirms umgeleitet. nungen der SERUN-Positronik und ar­
Keine Gefahr. Ortung von Lebenszei­ beitete weiter. Endlich machte er die
chen und Energiesignaturen. Zwölf Schäden der Rechnereinheit aus. In Zeh­
Mor’Daer. Entfernung knapp dreihun­ nerreihen waren Hunderte von kleinen
dert Meter. Noch keine Gefahr. dreieckigen Kolonnen-Datenträgern an­
Trotz all dieser Informationen sah er geordnet, und mehrere Reihen davon
nur Rauch. Schwarzen dichten Rauch, waren beschädigt, einfach geschmol­
der an einigen Stellen von tiefrotem zen.
Licht erhellt wurde. Dort tobten Feuer, »Ortung«, meldete die Positronik. »In
fraßen sich unentwegt zu ihm vor, zu
ihm und dem Knotenrechner. Die Mikro­
fone übertrugen eine dumpfe Explosion.
Wieder war irgendetwas in die Luft ge­
flogen, ein Reaktor, eine Energiekupp­
lung, ein Energiespeicher. Der Bereich
war völlig außer Kontrolle geraten.
Isokrain berührte ihn und telepor­
tierte erneut, diesmal nur ein paar Me­
ter.
Er sieht irgendwie lächerlich aus in
seinem Kampfanzug, dachte Savoire.
ESCHER hatte das Unikat aus mehreren
terranischen Modellen zusammenge­
schustert, und es passte so gar nicht zu
56 UWE ANTON

zweihundert Metern Entfernung drin­ in einer gewaltigen Explosion verging.


gen Mor’Daer und bewaffnete Repara­ Der Glutball, der sich dort ausdehnte,
turkommandos der Ganschkaren in die war so gewaltig, dass der Kybernetiker
Halle ein!« einen Augenblick lang befürchtete, die
»ESCHER benötigt die Speicher Außenhülle der Nadel des Chaos würde
nicht«, flüsterte Savoire, »aber sie ver­ in Mitleidenschaft gezogen werden.
hindern die Weiterleitung sämtlicher Oder es vielleicht auch erhoffte. Denn
Impulse.« wenn die Gewalten des Schwarzen
»Überbrücken wir sie«, schlug Isokra­ Lochs in GLOIN TRAITOR eindrangen
in vor und machte sich an die Arbeit, und das Werk fortsetzten, die Genera­
schloss eins der Kabel an, mit denen sie toren vernichteten, die die Schutz­
auch die Rechnerknoten im Fort ihres schirme mit Energie versorgten, und die
Portivabschnitts überlistet hatten. Nadel von der urtümlich starken Gravi­
Savoire beobachtete die flinken Bewe­ tation eingefangen werden würde ...
gungen der Pseudofingerchen des Insek­ Aber das geschah natürlich nicht. Die
toiden. Uns bleiben bloß Sekunden, Parapositronik hatte recht behalten;
dachte er. Dann werden die Kolonnen- GLOIN TRAITOR war viel zu gut gesi­
Einheiten uns orten, genau, wie wir sie chert, um durch einen so verhältnismä­
orten. ßig kleinen Zwischenfall gefährdet zu
Ihm wurde bewusst, dass er in direkter werden.
Lebensgefahr schwebte. »Unser Einsatz war erfolgreich«, stell­
»Geschafft!«, sagte Isokrain. te der Kosmitter zufrieden fest.
»Nichts wie weg!«, rief Savoire, doch »ESCHER hat endlich die eigentliche
der Insk-Karew erstarrte wieder für eine Schaltung auslösen können, die die Pa­
Sekunde. Keine zehn Meter von ihnen rapositronik vorbereitet hat. Der Ele­
entfernt explodierte ein Terminal. Der mentar-Quintadimtrafer wurde in Mit­
Schutzschirm ließ schmelzendes Metall leidenschaft gezogen. Und gleichzeitig
abprallen. haben die Verwüstungen in der Sektion
Der Avatar bewegte sich wieder. die wichtigsten Spuren beseitigt, zumin­
»ESCHER hat Zugriff!«, sagte er und dest aber wirksam unkenntlich ge­
griff nach dem Ersten Kybernetiker. macht.«
Noch während der Kosmitter mit ihm Savoire pflichtete ihm bei. Warum
teleportierte, wurde Dr. Savoire klar, sich ausgerechnet in diesem Fort eine
dass sie im Augenblick nichts mehr zu solche Katastrophe ereignet hatte, wür­
befürchten hatten. Selbst wenn die vor­ de sich niemals nachvollziehen lassen,
dringenden Kräfte TRAITORS sie ent­ und auch nicht, ob die Maschinen selbst
deckt haben sollten, würde ihre Ortung schadhaft oder falsch programmiert ge­
unspezifisch sein, und in ein paar Se­ wesen waren. Oder ob die Schuld viel­
kunden würde es hier nichts mehr ge­ leicht sogar bei den sieben T-Prognosti­
ben, was ihre Entdeckung spezifizieren kern lag, die man irgendwann später
konnte. leblos auffinden würde.
Sie selbst auch nicht mehr!, dachte er ESCHER bildete auf Dutzenden von
mit aufkommendem Entsetzen. Holo-Displays hektische Betriebsamkeit
ab. Die Bilder beschränkten sich nicht
* auf den völlig zerstörten Sektor, sondern
wurden aus wahllos gewählten Berei­
Dr. Savoire und Isokrain materiali­ chen in der gesamten Nadel des Chaos
sierten gerade rechtzeitig in ESCHERS eingespielt.
Schaltzentrale, um auf den Holos mitzu­ In ganz GLOIN TRAITOR herrschte
erleben, wie die Halle des entschei­ Vollalarm! Man hatte Schwankungen im
denden Knotenrechners von 685943-Qw Energiefluss des Elementar-Quintadim­
Die Nadel des Chaos 57

trafers festgestellt, über deren Ursache »Ausgezeichnet«, sagte Savoire zwei­


absolutes Rätselraten herrschte. Solch felnd. Er hätte gern Gewissheit gehabt.
einen Vorfall hatte es vielleicht während »Je mehr Auswirkungen, desto besser!«
der gesamten Geschichte der Terminalen Die Tätigkeit des Elementar-Quinta­
Kolonne noch nie gegeben. dimtrafers pendelte sich im Verlauf der
Die Holos zeigten einen Terminalen nächsten knappen Stunde wieder auf
Herold, der unverständliche Anwei­ normale Werte ein. Und die Holos, die
sungen schrie. Einen Dual, der die Be­ ESCHER unentwegt einspielten, zeigten,
herrschung verlor und einen Mor’Daer dass im ausgebrannten Sektor 685943­
mittels Endogener Qual tötete. Einen Qw wieder Ruhe einkehrte.
Ganschkaren, der hilflos an seiner gro­ Die allerdings nicht lange währte.
ßen randlosen Datenbrille fummelte und Binnen kürzester Zeit liefen in den zer­
wie ein kleines Kind nach KOLTOROC störten Sektionen akribische Untersu­
rief. chungen an. Auf den dreidimensionalen
»Die Auswirkungen unserer Aktion Darstellungen waren Heerscharen von
sind schwerwiegender, als ESCHER er­ Ganschkaren, Awour, Mor’Daer und an­
rechnet hat«, sagte Isokrain. »So viel derer Völker zu sehen, die die Trümmer
steht jetzt schon fest. Von vornherein durchsuchten und praktisch jedes Parti­
war der Parapositronik zwar klar, dass kel umdrehten, das die Thermo-Hölle
wir den Grenzwall und Kernwall damit einigermaßen überstanden hatte.
nicht zum Erlöschen bringen konnten. Die Parapositronik beobachtete alles,
Das lag nicht einmal eine Sekunde im griff jedoch nicht ein, enthielt sich jeder
Bereich des Möglichen. Die Schwan­ weiteren Aktivität. Noch führte anschei­
kungen, die ESCHER ausgelöst hat, be­ nend keine Spur zur Weltenkugel des
wegen sich vermutlich im Promillebe­ Weltweisen von Azdun, und das durfte
reich. Doch die Auswirkungen auf die sich nicht ändern.
Wälle dürften durchaus stärker ausfal­ »ESCHER wird von Sekunde zu Se­
len, als die Parapositronik kalkuliert
hat.«
58 UWE ANTON

kunde wieder stärker«, teilte Isokrain Epilog


dem Kybernetiker mit. »Die neuen Pro­ Atarin
zessoren integrieren sich praktisch von
allein. Dennoch bedürfen die Rechen­ Einen Moment lang sah er ESCHERS
prozesse der Parapositronik einer neuen Gedankenkammer vor sich, einen weiß­
Organisation und Ausrichtung, und bis blau illuminierten Saal, in dem an den
das neue Potenzial als Rechenleistung Wänden angeordnet 64 Behälter stan­
zur Verfügung steht, werden sicher noch den, große Kokons über Medo-Pritschen,
einige Tage vergehen.« mit jeweils einer SERT-Haube am Kopf­
»Aber hat der Plan nun funktioniert ende. Sie waren mit transparenten Hau­
oder nicht?«, fragte Savoire. ben bedeckt.
»ESCHER vermag es noch nicht zu Doch schon verblich das Bild.
sagen. Bisher weiß niemand in GLOIN Hier, genau hier, war es gewesen, als
TRAITOR, auch nicht die Terminalen er, mit einer dieser SERT-Hauben über
Herolde in der Hauptzentrale, wie die dem Kopf, den Kontakt zu seinem Kör­
Dinge stehen, was nun außerhalb der per verloren hatte.
Kernzone Hangay und am Grenzwall Vor zwei Jahren, am 12. April 1345
geschieht.« NGZ.
Das war natürlich die entscheidende Und auch die andere Welt verblich,
Frage. »Wir müssen also abwarten, bis die, die er sich maßgeschneidert hatte.
aktuelle Daten eingetroffen sind, die uns Sie löste sich auf wie eine Seifenblase,
Auskunft darüber geben, was sich drau­ wurde unwichtig.
ßen an den Wällen ereignet hat«, mur­ Warding Atarin wurde es nun völlig
melte Savoire. klar, vielleicht unterstützt von Pal Astu­
»Richtig! Und bis die im Inneren von ins Bewusstsein. Doch abgelenkt von
GLOIN TRAITOR vorliegen und von den Problemen der Parapositronik hatte
ESCHER eingesehen werden können, er zuvor keinen Augenblick lang den
dürfte noch einige Zeit vergehen.« Finger darauf legen können.
»Dann werden wir wieder mal warten Aber es spielte keine Rolle mehr. Tark
müssen«, sagte Savoire. »Wie schon so Kluf hatte nie existiert, war ein Produkt
oft in letzter Zeit.« seines Unterbewusstseins gewesen, das
»Bis genaue Erkenntnisse vorliegen, er als Orientierungspunkt in einer um
werden wir ESCHER nicht verlassen«, ihn herum zusammenbrechenden Welt
sagte der Kosmitter. »Die Lage hat sich geschaffen hatte. Also gab es auch kei­
wieder normalisiert, und nun müs­ nen Mörder.
sen wir äußerste Vorsicht walten las­ Und der Ränkeschmied, der Verrä­
sen.« ter ... Nein, das war nicht Astuin oder
Dr. Savoire nickte, auch wenn die Da’inta Sparks gewesen, obwohl er bei­
Neugier ihn fast umbrachte. Was war de im Verdacht gehabt hatte, sondern
mit Rhodan, mit dem Nukleus, den Frie­ letzten Endes er selbst.
densfahrern? Er hätte viel dafür gege­ Nun erkannte er die Wahrheit. Er hat­
ben, es zu erfahren, aber er musste sich te seine Welt verraten, den Sinn seiner
gedulden. Existenz.
Das Warten ging ihm auf die Nerven. Er trieb in die Hyperdim-Matrix, in
Und ihre Situation war noch immer pre­ die unendlichen Weiten, die unendliche
kär. Während Stunde um Stunde verging, Vielfalt, die sie in sich barg und die er
die er zur Untätigkeit verdammt war, kaum zu begreifen vermochte. Raum
konnte draußen irgendetwas geschehen, und Zeit hatten hier keine Bedeutung
was ihre Mission erneut gefährdete. mehr für ihn. Er konnte überall zu­
Aber er hatte keine Wahl. Er musste gleich in dieser komplexen Wunderwelt
diese Qual ertragen. sein.
Die Nadel des Chaos 59

Er war wieder Teil der Datenströme, Und da waren auch all die anderen,
dockte irgendwo an, trieb weiter, erfüllt Pal Astuin und Merlin Myhr, Vanika
von berauschender Freude über die Un- Hoog und Wilbuntir Gilead. Sie alle wa­
endlichkeit, die ihm nun wieder zur Ver- ren da.
fügung stand. Ein erhebendes Gefühl.
Und über die eigene Leistungskraft. Nur Da’inta Sparks nicht, wie er trau-
Er war zu Hause. Endlich wieder eins rig erkannte.
mit ESCHER. Er war im richtigen Mo- Natürlich nicht! Sie war nur eine Pro­
ment gekommen, hatte der Parapositro- jektion seines Unterbewusstseins gewe­
nik seine Dienste zur Verfügung stellen sen, genau wie Tark Kluf.
können, als sie sie am dringendsten be- Doch das änderte nichts daran, dass
nötigt hatte. er sie schmerzlich vermisste.

ENDE

Die Karriere des TLD-Agenten Atarin ist scheinbar unwiederbringlich zu Ende. Zu­
gleich hat ESCHER das eigene Ende noch einmal abwenden können, aber welche
Chance hat die Parapositronik gegen die Macht TRAITORS? Fest steht nur, dass man
sich die Lösung des Problems bisher zu leicht vorgestellt hatte ...
Im Roman der folgenden Woche bleiben wir in Hangay, blenden jedoch um zu denje­
nigen, denen ESCHERS Handlungen dienen sollen. Horst Hoffmanns Band 2484 ist
überall im Zeitschriftenhandel unter folgendem Titel erhältlich:

KOLTOROCS ATEM

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Dirk Schulz. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300,
A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustim­
mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. März 2009.
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: mail@Perry-Rhodan.net

Einzelheft-Nachbestellungen richten Sie bitte an:TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 1127, 61362 Friedrichsdorf/


Taunus. Lieferung erfolgt gegen Vorauskasse (zuzügl. € 3,50 Versandkosten, Ausland € 6,50) oder per Nachnahme
(zuzügl. € 6,50 Versandkosten). Bestellungen auch per Internet: http://www.Transgalaxis.de oder per E-Mail:
Info@Transgalaxis.de
Abonnement: PMS GmbH & Co. KG, Aboservice PERRY RHODAN, Adlerstr. 22, 40211 Düsseldorf, Telefon 02 11/
690 789 941. Jahrespreis (52 Ausgaben) inkl. Porto- und Zustellkosten € 109,20 / Österreich: € 122,20 / Schweiz: sfr 213,20.
PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
DIE »NEUE« JULES VERNE (IV)
Bei der ersten praktischen Erprobung des Hawk-III- uns im Linearflug zwischen Einsteinraum und Hyper­
Prototyps zeigten sich leider unerwartete Probleme. raum, in einer Halbraumzone. Das Conchal-Aggregat
Schon das erste Manöver lief aus dem Ruder, zwar nur unternimmt nun den Versuch, unseren Fortbewe­
um eine Kleinigkeit, aber immerhin. Die JULES VERNE gungsimpuls zu verstärken. Konventionelle Trieb­
änderte während des laufenden Manövers durch den werke scheinen in dieser Hinsicht kaum mehr ent­
Linearraum ihren Kurs – und materialisierte an einer wicklungsfähig (...) Meine Erfindung versucht, die
Position im Standarduniversum, die zwar einigerma­ »Gezeitenkräfte« des fünfdimensionalen Raumes für
ßen mit den anvisierten Koordinaten identisch war, die Fortbewegung der HARDEN FAST [EX-3321] zu nut­
aber eben nicht vollständig. Insbesondere nicht voll­ zen. Sie sind mit Hyperstürmen vertraut, nicht wahr?
ständig genug, um standardmäßig damit zu arbeiten. Darin kommt es zu ähnlichen Phänomenen. Im
Perry Rhodan entschied somit völlig richtig, wenn­ Grunde fünfdimensionale Gewalten wirken auf un­
gleich zur Enttäuschung von Wissenschaftlern und sere vierdimensionale Existenz ein. Aber selbst im
Ingenieuren, dass der Prototyp vorläufig Prototyp blei­ relativen Ruhezustand ist der Hyperraum aktiv.
ben soll – egal, ob der Fehler nun am Prototyp selbst (TB 289)
oder an der hyperphysikalischen Nähe der entstehen­ Dass damals der Vergleich mit Hyperstürmen bemüht
den Negasphäre liegt ... (PR 2479) wurde, passt nun wie die berüchtigte Faust aufs Auge
Mit einem funktionstüchtigen Hawk III wäre gewähr­ – seit dem Hyperimpedanz-Schock haben diese an
leistet worden, dass auch das Mittelteil der JULES Stärke und Anzahl deutlich gewonnen, sodass ein
VERNE über eine eigene Überlicht-Tauglichkeit verfügt »relativer Ruhezustand« weitaus seltener sein dürfte,
– was ohne das Trafitron-Überlicht-Triebwerk nicht der während die »Gezeitenkräfte« zugenommen haben.
Fall wäre. Beim Gesamtschiff könnte er die Hawk II der Es gibt Strömungen, die in verschiedene Richtungen
Kugelzellen entlasten. Simulationen waren davon aus­ laufen (...) Das Conchal-Aggregat beinhaltet zwei
gegangen, dass beim Überlichtfaktor-Standard eine wichtige Komponenten: Zunächst einmal die Mess­
Verbesserung auf einen Wert von bis zu etwa 1,32 station [der sogenannte Conchal-Taster], die in Erfah­
Millionen beziehungsweise beim Notfall-Maximum rung bringt, ob die jeweilige Strömung des fünfdimen­
sogar bis rund 1,45 Millionen zu erreichen sein müss­ sionalen Kontinuums mit unserer Bewegung
te. gleichgerichtet werden kann – was in zwölf Prozent
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass beim übergroßen aller Fälle gegeben ist. Es handelt sich um einen rech­
Hawk III der JULES VERNE nicht nur das schon er­ nerischen Wert. Zum Zweiten ist der Vortrieb zu nen­
wähnte Hyperkavitator-Modul in den Prototyp inte­ nen. Wir hängen uns dabei mit einer Art fünfdimensi­
griert ist, sondern auch das sogenannte Conchal-Mo­ onalem »Haken« an die Gezeitenkräfte und lassen
dul, das auf Erkenntnissen aus dem Jahr 2810 alter uns mitziehen ... (TB 289)
Zeitrechnung basiert. Seinerzeit wurde das von Sonja Das Conchal-Modul des Hawk III erzeugt in Abhängig­
Conchal entwickelte und als experimentelles Zusatz­ keit von den angemessenen Umgebungsbedingungen
teil für die terranischen Lineartriebwerke konzipierte eine »riesige gleitschirmförmige Ausstülpung« der
Aggregat zwar erfolgreich getestet. Diese Erkennt­ äußeren Feldhülle, die die »Gezeitenkräfte« einfängt
nisse flossen aber nicht in die Serienproduktion ein, und zur Steigerung des ÜL-Faktors verwendet. Unter
weil in dieser Zeit die Entwicklung der Waring-Konver­ den Bedingungen der erhöhten Hyperimpedanz liefert
ter bereits begonnen hatte und mit diesen letztlich dieses Prinzip eine Verbesserung um rund zwanzig
bessere Ergebnisse erzielt wurden. Nach dem Hy­ Prozent des Standardwerts.
perimpedanz-Schock wurde das Conchal-Prinzip von Die Leistungsaufnahme des Hawk III (einschließlich
einem Wissenschaftler der Waringer-Akademie wieder Hyperkavitation-Nutzung und Conchal-Ergänzung)
»ausgegraben«. ist allerdings extrem: Vier der fünf Daellian-Meiler des
Sonja Conchal beschrieb es damals wie folgt: Es hat JV-Mittelteils sind notwendig, um ihn mit ihrer Stan­
mich vier Jahre gekostet, das Gerät zu konstruieren, dardleistung zu versorgen – mit etwa 2,7 mal 1017
und noch viel länger, die theoretische Vorarbeit zu Watt. Weil aber der Hyperzapfer der Metaläufer zur
leisten. Eine entbehrungsreiche Zeit war das. Ich hat­ Verfügung steht, ist das nicht so tragisch.
te keine staatliche Unterstützung (...) Wir bewegen Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,

freudige Nachrichten zu verkünden, ist mir immer am mationen und Action rund um die Rückkehr verdient,
liebsten. Besonders diese: Kollege Leo Lukas ist zum aber diesen Tribut zahlt der Leser nun einmal dem
dritten Mal Vater geworden. Autorenteam und Redak­ begrenzten Umfang bei Romanheften.
tion von PERRY RHODAN gratulieren den glücklichen Ein Plan, wie der Grenzwall von Hangay überbrückt
Eltern ganz herzlich zur Geburt ihres Sohnes Ion. werden soll und TRAITOR angegriffen werden kann,
muss erst noch erarbeitet werden. Ich bin sehr ge­
Ebenfalls erfreulich: Der dritte Band des ATLAN-Mono­ spannt.
lith-Zyklus aus der Feder von Altmeister Hans Kneifel Mondra und Perry könnten ruhig wieder ein echtes
ist bei FanPro erschienen. Mehr dazu im weiteren Liebespaar werden.
Verlauf dieser LKS. Eine Frage beschäftigt mich: Warum geht das alles
immer so glatt, wenn von außen Terraner oder LFT-An­
Zur aktuellen Handlung
gehörige durch den Kristallschirm nach Terra wollen?
Bernhard Kletzenbauer, Wieso hat TRAITOR die MOTRANS-Stationen noch nicht
bernhard.kletzenbauer@t-online.de entdeckt?
Im Roman Nummer 2471 wurde der erste Teil des Co­ Ich freue mich auf spannende Romane und habe kei­
mics »Korsaren« abgedruckt. Frank Freund versteht ne Ahnung, ob die Retroversion von Hangay wirklich
es bisher am besten, den Mausbiber zu zeichnen. Bei gelingt. Natürlich wünsche ich es mir. Die Kinder KOL­
ihm ist es keine Mickymaus, wie sie in den letzten TOROCS und vielleicht auch andere Waffen wie CHEOS­
Jahren leider immer wieder zu sehen war. Johnny TAI könnten dazu beitragen, dass TRAITOR sich aus der
Bruck und Walter Ernsting hätten sicher ihre Freude Milchstraße zurückzieht und eine weitere Schlappe
an seinen Darstellungen gehabt. davonträgt.
Aufgefallen ist mir Franks Zeichenstil schon in einem Ohne Opfer auf Seiten der Milchstraßenbevölkerung
PERRY-Comic, in dem er das Ende von Tramp erzählte. wird das sicherlich nicht gehen.
Er sollte die Hauptgeschichten von Perry zeichnen Hoffentlich halten die TANKSTELLEN und die tapferen
oder ein eigenes Album herausbringen. Terraner den Druck aus, nachdem der Nukleus Terra in
Richtung Hangay verlassen hat.
Im gerade erschienenen PERRY-Comic Nummer 136
(wir berichteten vergangene Woche auf der LKS darü­ Gäbe es die alte PR-Taschenbuchreihe noch, wäre be­
ber) hat Frank Freund die Hauptstory gezeichnet. Du stimmt ein Taschenbuch zum Thema erschienen. So
darfst schon gespannt sein. aber mussten wir uns auf das Nötigste beschränken.
Bleiben wir noch ein wenig bei Heft 2471. Frank Brü­ Wie es weitergeht mit der JULES VERNE und den Gim­
bach sind ein paar Dinge aufgefallen. micks der Metaläufer, konntest du inzwischen ab
Band 2479 lesen.
Frank Brübach, frankybee@web.de MOTRANS-Stationen: Wir haben von Anfang an ge­
Der Roman 2471 hätte gut und gern ein dickes Ta­ schildert, dass diese Stationen immer wieder ihre
schenbuchformat oder einen Jubiläumsband verdient Positionen wechseln, damit sie von der Terminalen
gehabt, denn es ist in den letzten 72 Heften einiges Kolonne nicht entdeckt werden. Man lässt zwar eine
um das Thema Zeitreise und um ARCHETIMS Retrover­ Sonde zurück, aber die ist ziemlich wählerisch, wem
sion geschehen. sie die neuen Koordinaten mitteilt und wem nicht. Es
Perry kehrt mit der JULES VERNE am 27. Juni 1347 kann also nicht jeder einfach eine Passage ins Sol­
NGZ auf die Erde zurück. Bully lässt ihn erst einmal system buchen.
zappeln, weil er nicht weiß, ob das auch der echte Rho­ Mondra und Perry: So ist es viel prickelnder.
dan mit seinem Hantelschiff ist, der dort kommt. Franz Stegbuchner, innviertlerbienenhof@aon.at
Auch das Wiedersehen von Perry mit seinem verloren­ Nachdem im Perryversum wieder ein paar Millionen
geglaubten Sohn Roi Danton alias Dantyren war ge­ Lichtjahre zurückgelegt wurden, melde ich mich mal.
glückt, kam jedoch in meinen Augen etwas zu kurz. Band 2474 war spannend, Ich hoffe nur, dass ihr Roi
Doch es war herzlich und ehrlich gemeint. Die Hand­ Danton nicht über die Klinge springen lasst.
lung hätte zwar mehr Hintergrundgeschehen, Infor­ Ein paar Anmerkungen zur Logik der Handlung.
Die auf terranischer Seite agierenden positiven Mäch­ Insgesamt gab es im laufenden Zyklus mehrere Ne­
te scheinen mir im Vergleich zur agierenden negativen benschauplätze, die anfangs den Schein erweckten,
Superintelligenz KOLTOROC etwas schwach aufgestellt. hier könnte sich eine Hilfestellung für die Milchstraße
Immerhin hat KOLTOROC schon 50 Millionen Jahre auf ergeben. Dem war nicht so, aber das macht nichts, es
dem Buckel. Im Vergleich dazu sind unsere Kräfte eher gibt ja noch fast 30 Hefte bis zum Ende des Zyklus,
Babys. Wenn sich selbst ES aus dem Staub macht und der hoffentlich seine Fortführung nach der Nummer
sich in die Fernen Stätten zurückzieht, wie soll dann 2500 findet.
die heimatliche Milchstraße eine Chance haben? Vielleicht kommen ja mit Band 2499 so viele neue Be­
Höchstens mit einer Aneinanderreihung von Zufällen wusstseine/Psionische Energie ins Innere der Kernzo­
und Glück. ne, dass es KOLTOROC ähnlich ergeht wie einstmals
Ein paar technische und auch anderweitige Fort­ Seth-Apophis, die einen lähmenden Schock bekam.
schritte hat es auf terranischer Seite ja gegeben. Immerhin ist ja auch noch der materielle Psi-Korpus
Aber die Terminale Kolonne ist eigentlich nicht besieg­ von ARCHETIM in Sol.
bar, außer durch massive Verluste und dem Bewusst­ Möglich, dass man ihn irgendwie rauskriegt und mit
sein, dass gewisse Regionen keine strategische Be­ allem zusammen in die Kernzone bringt.
deutung haben.
Das kann ich mir aber aufgrund der bisherigen verlo­ Im Vergleich zur ersten Retroversion sind die posi­
renen Schlachten (Beispiele: Rückkehr des Frostru­ tiven Kräfte bei Hangay in der Tat etwas schwach
bins, Tod von THOREGON) auf Seiten der Chaotarchen aufgestellt. Welche Konsequenzen das hat, wird man
nicht gut vorstellen. sehen. Möglicherweise geht Xrayns Rechnung ja teil­
So gesehen müsste Xrayn ein massives Interesse weise auf.
daran haben, hier in diesem Eck Ruhe einkehren zu Wie sich das mit ESCHER und dem Weltweisen entwi­
lassen. Vom Weltweisen hat er ja schon vor 20 Millio­ ckelt, ist Inhalt der Bände, die derzeit erscheinen.
nen Jahren Auskunft erhalten, dass es hier in der
ATLAN-Monolith III
Milchstraße eine Gruppe von Auserwählten gibt, die
viel Ärger bereiten. Im Verlag FanPro (Fantasy Productions) ist der dritte
Etwas ist mir noch aufgefallen. Die Chaotarchen su­ Band des sechsbändigen Monolith-Zyklus erschie­
chen, produzieren und sammeln PSI-begabte Wesen. nen. Er trägt den Titel »Echo der Verlorenen« und
Das haben die Kosmokraten mit dem Auftreten Perry stammt aus der Feder von Altmeister Hans Kneifel.
Rhodans auch gemacht, siehe Mutantenkorps, aber Informationen unter www.fanpro.de
auch die vielen anderen PSI-begabten Wesen in sei­ Die Exposés für den Zyklus stammen von Götz Ro­
nem Gefolge. derer. Ein unter dubiosen Umständen entstandenes
Die Kosmokraten haben also den Rittern eine neue Art Interview mit Götz gab es schon in der LKS von Heft
von Helfern gegeben, sie in eine freundschaftliche 2474.
Beziehung zueinander gebracht, um damit eine der
stärksten Armeen aufzubauen und den chaotar­
chischen Helfern entgegenzuschicken.
Ein bisschen was bahnt sich mit ESCHER und dem
Weltweisen von Azdun, dem Kosmitter und dem Nu­
kleus sowie dem LICHT VON AHN auf terranischer Sei­
te an.
Von außen sind es die Kontaktwälder in Hangay, die
noch eine Rolle spielen könnten.
Ob das ausreicht? In Anbetracht der übermächtigen
Armada und Superintelligenzen wie KOLTOROC sowie
den Helfern in den Dienstburgen, kommen mir Zweifel.
Hier ist doch eine komplett funktionierende Hierarchie
mit einem militärischen Apparat aktiv. Im Vergleich
damit waren einst die Laren nur ein schwacher Ab­
Vermischtes
klatsch.
Die Effremi erinnern mich irgendwie an die Mausbiber. Thomas Richter, atrichter@web.de
Vielleicht gab es da mal gemeinsame Urverwandte? Es ist einfach fantastisch, was unser Perry so alles
Die Friedensfahrer sind trotz ihrer überragenden Tech­ vollbringt. Er reist in der Zeit, um ganze Galaxien zu
nik eher schwach weggekommen. retten, und jetzt hilft er auch noch unserem Kleinen,
das Krabbeln zu erlernen. Unser Sohn ist so heiß auf kaum abwarten können, bis wir wieder zur JULES VER­
die PERRY RHODAN-Heftchen, dass ich keines auf dem NE umblenden (übernächste Woche, Band 2485).
Boden liegen lassen darf. Sobald er einen PR-Roman In der manchmal durchscheinenden Hoffnungslosig­
erspäht, geht sein Hintern hoch, und er versucht, zum keit zeigt sich auch die Übermacht TRAITORS, der die
Heftchen zu krabbeln. Galaktiker zumindest auf lange Sicht nicht gewach­
Wenn das so weitergeht, wird er in Windeseile krab­ sen sind.
beln können. Danke, Perry!
Brandon Llanque brandon.llanque@hotmail.de
Gern geschehen. Später legst du die Hefte auf den Oje! Gestern hab ich entdeckt, dass ihr ernsthaft mei­
Tisch, dann lernt er schneller stehen und laufen. Viel ne spontane (soll heißen: unausgereifte) Posbi-Idee
Spaß mit dem Wonneproppen! abgedruckt habt. Die war nur als mögliche Anregung
gedacht, um die Posbis noch weiter zu profilieren.
Daniel C. Würl, danielwuerl@hotmail.de Und jetzt weiß die ganze Welt – zumindest der Teil, der
Erst mal ein großen Hallo an die ganze Redaktion und PR liest – von meinem Vorschlag.
liebe Grüße aus Nürnberg. Na ja, damit muss man wohl rechnen, wenn man ei­
Ein Freund brachte mich vor einem halben Jahr auf nen Leserbrief schreibt. Außerdem hab ich gerade
den Geschmack, und die Langeweile im Zug tat dann beschlossen, den Abdruck als Kompliment zu wer­
den Rest. Zügig merkte ich, dass das – weit entfernt ten.
von üblicher Wegwerflektüre – doch ein gewisses Ni­ Wer weiß, vielleicht hab ich ja tatsächlich was ange­
veau aufweist; und seitdem lese ich den aktuellen regt ...?
Zyklus recht regelmäßig (und werde dann wieder aus­
steigen, um mich den Silberbänden zuzuwenden). Mit Sicherheit hast du was angeregt. Deine Zeilen sind
Ein wenig Kritik muss ich dennoch anbringen, welche von dem einen oder anderen Leser auch schon aufge­
allerdings zum Teil von anderen Lesern schon geäu­ griffen worden, wie du auf einer der letzten LKS ge­
ßert wurde. sehen hast.
Mondra: geht in den Einsatz und fällt dann aufs
Maul. Monika Flöschner, Floeschner@aol.com
Perry: hält sich irgendwie depressiv im Hintergrund, Es gab in der letzten Zeit keinen Roman, bei dem mir
während Mondra den Kopf hinhält. das Lesen nicht Spaß gemacht hätte. In Heft 2471
Die kaputten Typen häufen sich zunehmend, was hätte ich mir aber gewünscht, dass auf den ersten
manchmal zu viel ist. Der eine oder andere geistig Kontakt von Rhodan senior und junior mehr eingegan­
Gesunde darf doch auch an Bord der JULES VERNE/ gen wird. Das hätte gerne ausführlicher sein dürfen.
SOL/RICHARD BURTON sein. Ich hoffe, das sehen andere auch so. Nicht, dass es am
Atlan scheint auch im Wust der Depression zu landen ... Schluss heißt: Das ist typisch Frau. Die wollen viel
Vielleicht ist der Kampf gegen TRAITOR nicht die beste Herz-Schmerz und tränenreiche Szenen. Aber ich ge­
Zeit, wo man sich hängen lassen sollte. stehe, ich bin eine große Befürworterin von Happy
Im Allgemeinen denke ich, dass ein wenig zu viel Hoff­ Ends, und die dürfen dann ruhig auch ordentlich in die
nungslosigkeit gepredigt wird. Länge gezogen werden.
»Sieg der Moral« war genial. Es war ein gutes Gefühl, Ein weiterer Punkt, der mir auffiel: Die Sicherheits­
als Perry Dyramesch seine Grenzen aufzeigte. maßnahmen bei Rhodans Ankunft waren mir nicht
Auch die anderen Bände mit dem GESETZ-Geber wa­ konsequent genug. Klar sind Bully und Perry dicke
ren angenehm, da man die Auswirkungen der ver­ Freunde. Aber nach allem, was TRAITOR inzwischen
schiedenen Handlungen recht bald sehen konnte. Es angestellt hat, sollten die Menschen im Solsystem
ging Schlag auf Schlag. bedeutend misstrauischer sein.
Michaels Wiederauftauchen fand ich ebenfalls recht Nun noch kurz zur LKS des Heftes. Ich habe den Aufruf
erfrischend, da dieser plötzlich dem Tode entrann (ein von Axel K. Bauer gelesen und möchte auch meinen
schöner Hoffnungsschimmer und ein guter Sympa­ Senf dazugeben. Ich hatte ja schon mal geschrieben,
thieträger). dass mir der Humor der alten Hefte fehlt. Da konnte
»Schatten über Terra« war ebenfalls gut, aber viel zu ich öfter so richtig aus vollem Hals lachen. Ich befür­
gestreckt. Das hätte keine 60 Seiten gebraucht. worte Axels Aufruf und hoffe sehr, dass sich recht viele
Und Kamuko: Ich hoffe, die taucht wieder auf. Leser melden, die das auch so sehen.
Ich will, dass die Serie noch lange lebt. Ich will euch Autoren aber keine Vorschriften machen.
Bezüglich Kamuko haben wir dir in Heft 2479 ja die Tatsächlich ist es doch so, dass ihr es ausbaden
Zähne langgemacht. Du wirst die nächsten Bände müsst, wenn ihr etwas Witziges schreibt und dafür
dann negative Kritiken kommen. Ich erinnere mich an beugt, was als »nicken« gewertet werden kann.
einige recht unschöne Kommentare zu humorvoll ge­ Band 2469 war trotzdem super, vielen Dank dafür.
haltenen Romanstellen, die nun eben Geschmackssa­
che sind. Autor Uwe Anton hat bestimmt vorher meinen Doppel­
Ich für meinen Teil kann mit der Technik nicht so viel band mit den Mikro-Bestien auf Terra und Luna gele­
anfangen. Wenn zum Beispiel ganz genau beschrieben sen. In Band 2457 steht Deminor Kant bei Roi auf der
wird, wie ein bestimmtes Gerät funktioniert, wie die Leiter neben dem Dualkokon und nickt. Ob das in der
technische Ausstattung eines Raumschiffes aussieht gedruckten Version so übernommen wurde, habe ich
oder Ähnliches, finde ich das nicht so interessant. Aber jetzt nicht überprüft. Im Manuskript jedenfalls stand
ich weiß, dass andere Leser genau darauf sehr viel es drin.
Wert legen. Es gehört zur Serie, und ich werde deswe­
Letzte Meldung
gen nicht gleich eine negative Kritik schreiben.
Die zweite Auflage des LEMURIA-Paperbacks im Groß­
Einer meiner Stammtischkumpel hat es kürzlich mal format ist erschienen. Ursprünglich brachte Heyne
so formuliert: Wir sind teilweise so »genial«, dass der den Lemuria-Zyklus in sechs Taschenbüchern heraus
einzelne Leser den Eindruck gewinnt, es könne tat­ (2004 bis 2005), die bei vielen PERRY RHODAN-Fans
sächlich jeder Roman vom ersten bis zum letzten bereits Kult-Status genießen: Zeitreisen, Generatio­
Satz die volle Zustimmung jedes einzelnen Lesers nenraumschiffe, Haluter und Lemurer – und dazwi­
gewinnen. Das klappt manchmal, aber nicht immer. schen Perry Rhodan, der mit einem längst verges­
Kein Mensch kann es jedem anderen jedes Mal zu senen Rätsel der Vergangenheit konfrontiert wird. Als
hundert Prozent recht machen. Autoren zeichneten Frank Borsch, Hans Kneifel, An­
Aber der Schnitt kann sich sehen lassen. dreas Brandhorst, Leo Lukas, Thomas Ziegler und
Hubert Haensel verantwortlich; die Exposés dazu ver­
Takeout
fasste Hubert Haensel.
Martin Korsch, MKorsch@gmx.de Im Sommer 2007 erschienen die sechs Taschenbü­
Da bin ich schon wieder mit einer kleinen Ungereimt­ cher in einem großformatigen Paperback, von den
heit. Nicht böse sein, aber so was fällt mir eben auf. Fans gern als »LEMURIA-Klopper« bezeichnet. Der
PR 2469, Seite 49, letzter Abschnitt oben: »Er (Ski­ Verkaufserfolg war ordentlich – so sehr, dass das
balf) nickte und sah nicht mehr, wie Senego Trainz Buch zwischendurch nicht mehr überall lieferbar war.
sich ...« Jetzt hat Heyne nachgedruckt, die zweite Auflage
Eine Mikro-Bestie nickt? Haluter haben bis dato nicht wurde ausgeliefert.
genickt. Können sie auch gar nicht. Der Kopf sitzt fest Das LEMURIA-Paperback ist 1214 Seiten stark und kos­
auf den Schultern. Mikro-Bestien sind im Grunde tet nur 15 Euro. Mit Hilfe der ISBN 978-3-453-52294-7
nichts als (Mini-)Haluter oder entstammen zumin­ ist es überall im Buchhandel zu beziehen, aber auch
dest dem Genpool von M87. über Versender wie amazon.de oder direkt über den
Vielleicht hat Skibalf sich mit dem Oberkörper ver­ PERRY RHODAN-Shop.

Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt • mail@Perry-Rhodan.net

Diese Woche erscheint in der Reihe


PERRY RHODAN-Action
Der Wega-Zyklus (Band 25 bis Band 36)
Band 26 – Carolina Möbis
Der Tod in Terrania
Hetzjagd durch Terrania City – ein mörderischer Mutant treibt sein Unwesen
Corello, Ribald Sentenza als Zusammenschluss der Familien, um ein
Der Supermutant, der die fünf Fähigkeiten eines Hyp­ Gegengewicht vor allem wirtschaftlicher Art gegen­
nosuggestors, eines Individualaufladers, eines Emo­ über den Kolonisten zu bilden; doch dann glitten die
tiolenkers, eines Quintadimtrafers und eines Telepsi­ Clans irgendwann in die Illegalität ab und wurden von
maten in sich vereinigte, wurde am 5. September Imperator Gonozal VII. verboten. Die Clans der Senten­
2909 als Sohn des terranischen Mutanten Kitai Ishi­ za decken zur Handlungszeit vom Schutzgeld über
bashi und der Báalol-Priesterin Gevoreny Tatstun auf verschiedenste Drogen, Erpressung, Glücksspiel bis
einem Planeten der Antis geboren. Der Supermutant zu gekauftem Mord praktisch alles ab. Ihr Zeichen ist
Ribald Corello übernahm nach dem Tod seiner Mutter eine auf die Brust tätowierte Schlange; angeblich den
deren Zellaktivator und war ab diesem Zeitraum rela­ längst ausgestorbenen arkonidischen Yillds nach­
tiv unsterblich. empfunden. Sentenza-Leute besitzen Verbindungen
Durch Manipulationen, die verbrecherische Aras und bis zur höchsten Ebene und haben so das Imperium
Antis an ihm vornahmen, wurde er zu einem erbit­ großmaßstäblich unterwandert.
terten Feind der Menschheit. Erst gegen Ende des TLD (Terranischer Liga-Dienst)
Jahres 3433 konnte er von den hypnosuggestiven Terranischer Geheimdienst, dessen Hauptquartier, der
Blockaden befreit werden. Nachdem ihn ein Gericht sogenannte TLD-Tower, unterirdisch nahe dem Stadt­
wegen erwiesener Unzurechnungsfähigkeit von sei­ rand von Terrania lag. Im Zusammenhang mit der
nen früheren Verbrechen freigesprochen hatte, trat er Dscherro-Invasion wurde der (erste) TLD-Tower mit
dem Mutantenkorps bei und war an zahlreichen Akti­ dem Stadtteil Alashan in die Galaxis DaGlausch ver­
vitäten der Menschheit beteiligt, unter anderem ge­ setzt. Zwangsläufig ergaben sich für die auf Terra
gen den Schwarm. Er wurde zu einem der wertvollsten verbliebenen TLD-Agenten Probleme, die Schlagkraft
Spezialisten im Team Perry Rhodans. Im Jahr 3587 der Organisation wiederherzustellen und eine neue
ging Ribald Corello in der Superintelligenz ES auf. Logistik aufzubauen. Seit geraumer Zeit konnte je­
Quintadimtrafer doch der (zweite) TLD-Tower errichtet und wieder be­
Eine Parafähigkeit des Mutanten Ribald Corello. Als zogen werden.
Quintadimtrafer konnte er mit rein geistigen Kräften USO (United Stars Organization)
fünfdimensional orientierte hyperenergetische Kugel­ Ursprünglich war die United Stars Organization (USO)
felder (Quintadimfelder) bis zu einem Durchmesser die »Galaktische Feuerwehr« und genoss unter Füh­
von acht Metern entstehen lassen. Diese verfügten rung von Lordadmiral Atlan einen legendären Ruf als
über den typischen Entstofflichungscharakter eines schlagkräftige Truppe. Gegründet wurde sie am 1. Ju­
auf »Sendung« geschalteten Transmitterfelds. Inner­ li 2115 von Atlan selbst als eine Einheit, die im Auftrag
halb seines optischen Wahrnehmungsbereichs konn­ jener Völker wirkte, die sich in der Galaktischen Allianz
te Corello Lebewesen oder Gegenstände in das Kugel­ zusammengeschlossen hatten. Sie sollte sich strikt
feld hüllen und in den Hyperraum abstrahlen. Dieser aus den inneren Angelegenheiten der Milchstraßen­
Vorgang war nicht umkehrbar. Corello vermochte sich völker heraushalten. Da die Finanzierung der Organi­
selbst jedoch auch in ein Quintadimfeld zu hüllen, wo­ sation in erster Linie durch das Solare Imperium er­
durch er aus dem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kon­ folgte, geschah es nicht grundlos, dass die USO ihre
tinuum verschwand. Dabei musste er jedoch, um Schutzfunktion nach dem Zusammenbruch der Galak­
nicht ebenfalls für immer in den Hyperraum zu ver­ tischen Allianz im Jahr 2329 in erster Linie auf das
schwinden, das Kugelfeld aufrechterhalten, wobei Solare Imperium ausrichtete – ihre Unabhängigkeit
keine Ortsveränderung erfolgte. Corello konnte das unter Atlan blieb dabei stets gewahrt.
Kugelfeld daher nur als vorübergehendes »Versteck« Nach der Auflösung der USO am Ende alter Zeitrech­
benutzen. Als Quintadimtrafer war Corello außerdem nung wurde sie erst nach über tausend Jahren in der
fähig, Quintadimenergie (Hyperenergie) in Psi-Mate­ jüngeren Vergangenheit durch den Unsterblichen
rie zu verwandeln. Monkey, einem Oxtorner und ehemaliges Mitglied des
Sentenza TLD, neu gegründet. Monkey machte auch Quinto-
Die uralte Organisation existierte schon in der Frühzeit Center, einen ausgebauten und flugfähigen Asteroi­
des arkonidischen Imperiums, sie ist vergleichbar mit den, erneut zum streng geheimen Hauptquartier der
der terranischen Mafia. Ursprünglich entstand die (Neuen) USO.

Das könnte Ihnen auch gefallen