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N e g a s p h ä r e B a n d 71

Nr. 2470

Horst Hoffmann

Finsternis
über Terra
Die Erde hält den Atem an –
unheimlicher Besuch im Solsystem
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die
Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und
ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Exis­
tenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis
Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Na­
turgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensys­
tems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRA­
NOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zumindest zu stören.
Roi Danton beispielsweise begegnet KOLTOROCS Mündeln und den Rebellen gegen TRAITOR. Mit die­
sen hofft er einen Pakt gegen die Terminale Kolonne schmieden zu können. Doch im Solsystem
erwartet die Terraner die FINSTERNIS ÜBER TERRA ...
4 HORST HOFFMANN

1. oder auch nur modisch gestylt. Ten­


19. Juni 1347 NGZ pole hatte es längst aufgegeben, da
Familienleben noch einen Unterschied finden zu
wollen. Die Mode war wieder einmal
Tenpole Opera schloss müde die trashy – Müll, und genau so gab sich
Augen, als er sie kommen hörte. auch seine Tochter.
Er holte zum letzten Mal Luft. Was »Was starrst du mich an wie ein ...
er tun würde, musste oder sollte, hat­ ein ...«
te er sich mindestens ein Dutzend Sie fuchtelte mit der Hand, in der
Mal zurechtgelegt. Neu überlegt und noch die Flasche hing. Ihre lila um­
wieder verworfen. ränderten Augen, groß und einmal
Wenn er Anulyn anschrie oder nur wunderschön, waren glasig. Ihre Ta­
ein bisschen zu hart zur Brust nahm, sche – wo war ihre geliebte Handta­
was – seiner Mei­ sche?
nung nach – längst »Eine Schlam­
überfällig war, wür­ pe!«, würgte sie her­
Die Hauptpersonen des Romans:
de sie ausrasten und aus. Er sah, wie ihre
ihm mit ihren lan- Tenpole Opera – Ein Witwer versucht, seine Beine zitterten, und
gen, spitzen Nägeln Familie zusammenzuhalten. machte sich bereit.
das Gesicht zerkrat- Corsair, Anulyn und Arnie Opera – Tenpoles »Ich ... bin nur eine
zen. Wenn er ruhig Kinder verstehen sich weder untereinander verdammte Schlam­
noch mit ihrem Vater.
blieb und auf ver­ pe für dich. Streite
ständnisvoll mach- G’schogun – Der Dunkle Ermittler fliegt in das es nicht ab. Du ...«
Solsystem, um ein Gespräch zu führen.
te, würde sie ihm »Du bist meine
wieder Heuchelei Der Nukleus – Das Geistwesen erhält fremd­
artigen Besuch und schließt einen Pakt
Tochter, Anulyn«,
vorwerfen. Wenn er gegen TRAITOR. sagte er, viel hefti­
sie ignorierte und ger als gewollt. »Du
sich einfach ins Bett bist unsere Tochter,
schlich, würde er die und wir haben dich
nächsten vier Wochen oder noch län­ lieb. Und ich ...«
ger zu hören bekommen, sie wäre ihm Sollte er? Er wusste, dass es falsch
nicht wichtig. war, aber er konnte es nicht stop­
Ein letztes Schlurfen im Flur, ein pen.
Stolpern, ein Kratzen an der Wand, »Ich kann nicht mit ansehen, wie
dann flog die Tür auf – und Anulyn du dich wegwirfst! Und das für so
explodierte mit gleichem Schwung in einen ... Mistkerl!«
sein Zimmer. Sie bäumte sich auf. Ihre viel zu
»Was-s-s gl-l-lotzt ddddu?« Es war großen Pupillen fokussierten sich
ein herausgesudeltes Lallen. noch einmal auf ihn, das sicherste
Sie stand schwankend vor ihm, Anzeichen des unweigerlich kom­
breitbeinig, in ihren knallengen, gift­ menden Zusammenbruchs. »Halt
grünen Strumpfhosen, über welchen Mutter da raus, sie kann sich nicht
die Reste eines kurzen, ehemals mehr wehren!«
schwarzen Rocks fetzten. Die pur­ »Anulyn!« Er wusste, er durfte
purne Jacke klebte an ihrem viel zu nicht weiterreden, keinen Ton mehr
hageren Oberkörper, nass, versaut sagen, einfach schweigen und abwar­
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ten, bis es endlich passierte. Aber es Augen noch weiter aufgerissen. »Ein
ging nicht. »Ich habe deine Mutter einziges Wort, und ich ...«
geliebt, und ich liebe dich auch ... und Er hielt sie fest, als sie zuschlagen
Corsair ... und den kleinen Arnie! Das wollte, und hielt sie auch noch, als sie
lasse ich mir nicht in den Schmutz in seinen Armen kollabierte und end­
ziehen! Mutters Tod war ein Unfall! lich schwieg.
Ich habe nichts ...« Tenpole Opera trug seine fünfzehn­
Sein Herz. Er griff sich an die Brust. jährige Tochter Anulyn, bis zum Tod
Er wollte sich nicht wieder aufregen, ihrer Mutter vor fast genau acht Mo­
er durfte es nicht! Wenn er nicht zur naten ein bildhübsches junges Ding
Ruhe kam, nützte alle moderne Me­ mit viel Witz und Herz, Charme und
dizin nichts. tausend Flausen im Kopf, die weni­
Dann war er irgendwann weg, und gen Meter bis in ihr Zimmer und zu
dann standen sie ganz allein da, seine ihrer Bettnische, die ihm vorkamen
endlos stressende Nachkommen­ wie ein Kilometermarsch zum Scha­
schaft. fott.
Warum bist du gegangen, Jeria? Am nächsten Morgen würde sie
Wieso musstest du in diesen Gleiter wieder normal sein, hoffte er. Verka­
steigen? tert am Frühstückstisch zwischen ih­
»Was?« Sie zeigte ihm ihren Finger, nen sitzen und darauf warten, dass
kam taumelnd und torkelnd auf ihn der Tag vorbeiging, damit sie wieder
zu, stach ihn ihm unter das Kinn. abhauen konnte.
»Was hast du nicht? Du hast sie eis­ Irgendwann vielleicht würde sie zu
kalt verrecken lassen, Daddy! Du sich kommen und ins Leben zurück­
hast sie ...« finden, hoffte er.
»Was ist das für ein Fleck?« Er griff Nur daran zu glauben fiel ihm von
nach ihrem Hals, um ihre strähnig Tag zu Tag schwerer.
auf die Schultern fallenden, hellblau
gefärbten Haare zurückzustreifen. *
»Er hat dich geknutscht, du lässt dich
wieder mit ihm ein! Dieser Kerl! Die­ 20. Juni
ses ...«
»Dieser Kerl hat einen Namen, Anulyn war nicht der einzige »Pro­
Daddy!«, fauchte sie in sein Gesicht. blemfall« in seiner Familie – oder
Ihre Nasenspitzen berührten sich dem, was davon geblieben war.
fast. Er roch ihren scharfen Atem, Er sah sich unauffällig um. Da wa­
fühlte ihre Hitze. »Dieser Kerl heißt ren sie: Anulyn, Corsair und Arnie.
Leon, und ich liebe ihn!« Seine Kinder, die er so gut kannte
»Dieser Kerl ist ein verdammter und doch so wenig.
Killer, Anulyn!« Er wollte nicht Anulyn stocherte lustlos in ihrem
schreien, wirklich nicht. Er wollte Teller herum, mit schwerem Kopf
sich nicht schon wieder reizen lassen, und tiefrot geränderten Augen. Es
doch sie schaffte es immer wieder. war nicht nur der verdammte Fusel
»Er hat Leute auf dem Gewissen, gewesen, den die Kids selbst herstell­
Frauen wie dich, und er ...« ten. Wenn sie so war wie gestern, hat­
»Ein Wort noch!«, zischte sie, die te sie andere Sachen intus. Und was
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es bei Leon zu kosten gab, war kein ziehen – und fast schien es, als sehne
Geheimnis. Viele wussten davon, er den Tag herbei, an welchem der
doch keiner konnte es beweisen. Der Kristallschirm fiel, der das Sonnen­
Kerl war aalglatt und gewieft. Ten­ system bislang vor der Invasion durch
pole und einige andere aus seinem die Terminale Kolonne bewahrte.
Viertel in Atlan Village waren felsen­ Tenpole hatte es aufgegeben, dage­
fest davon überzeugt, dass mindes­ gen anreden zu wollen. Mit seinem
tens zwei Mädchen in Anulyns Alter Sohn war nicht mehr zu diskutieren.
an dem chemischen Mist gestorben Diese Gelegenheit hatte er aus der
waren, mit dem er sie gefügig mach­ Hand gegeben, vielleicht sogar be­
te. reits vor dem entsetzlichen Ausein­
Leider waren seine Drogen auf­ anderbrechen seiner Familie an je­
grund ihrer aphrodisierenden Wir­ nem Punkt, der sie stets zusammen­
kung bei gerade jenen begehrt, die gehalten hatte: Jeria.
einem Mann wie Leon eigentlich das Corsair vergrub sich in seinem Hass
Handwerk legen sollten. und ließ Tenpole bei jeder Gelegen­
Corsair ... heit spüren, dass er ihn für ein jäm­
Tenpole musterte ihn und hoffte, merliches Weichei hielt.
dass er es nicht merkte. Sein ältester Und dann war da Arnie ...
Sohn – er war gerade erst siebzehn Seit acht Monaten war der »Kleins­
geworden – war keiner, der es gern te« in eine seelische Starre verfallen,
sah, dass man sich über ihn Gedan­ aus der ihn bisher selbst die Thera­
ken machte. Wenn Anulyn ihre Ag­ peuten des Kinderhorts immer nur
gressionen normalerweise nur im an­ für kurze Zeit befreien konnten. Das,
gedröhnten Zustand verschleuderte, was den Jungen im Innersten trieb,
so tat es Corsair bei jeder nüchternen war stärker als alle medizinische und
Gelegenheit. psychologische Kunst.
Der junge Mann, groß, breitschult­ Erst vor zwölf Tagen acht gewor­
rig, sportlich gestählt und bestens den, suchte Arnie das Vergessen im
aussehend, hätte mit seinen Ab­ heillosen Aktionismus seiner virtuel­
schlüssen und seinem Lachen, seiner len Computerwelten. Er büxte bei
einnehmenden Art überall Karriere jeder Gelegenheit aus und tauchte in
machen können. Aber das Lachen den Straßen, Spielhöllen und Adven­
war erloschen. Statt seiner hatten tureparks von Atlan Village unter.
sich Falten des Grimms in das schma­ Manchmal dauerte es Tage, bis Ten­
le Gesicht eingegraben. Corsair, je­ pole, Anulyn oder Corsair ihn in ir­
denfalls der dieser Tage, war nicht gendeiner fremden Wohnung fanden,
mehr der, auf den er einmal so stolz wo er bei seinen seltsamen Freunden
gewesen war, auch wenn er es viel­ Unterschlupf fand. Es waren immer
leicht zu wenig gezeigt hatte. andere, sie wechselten wie das Wetter
Jerias Tod schien alles verändert zu in den alten Videos – schnell und un­
haben. Corsair hasste. Er träumte vorhersehbar.
vom Einsatz im Kampf gegen TRAI­ Schlimmer noch die schrillen, lär­
TOR. Lieber heute als morgen, das menden Vergnügungstempel, in de­
schrie er ihm bei jeder Gelegenheit nen ein Kind wie er definitiv nichts
ins Gesicht, würde er in den Krieg zu suchen hatte. Aber er schaffte es,
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sich einzuschmuggeln. Nach einem »Boah, Mann!« Anulyns Kopf flog


solchen Abend war er für Tage nicht hoch. »Hör auf damit! Merkst du
ansprechbar und lümmelte sich von nicht, wie du uns auf den Keks gehst
morgens bis abends vor dem Wand­ mit diesem ... Mist!«
bildschirm in seinem von Holos über­ »Mist, sagst du?« Der Älteste zielte
säten Zimmer. mit dem Zeigefinger auf sie. »Es ist für
Ganz übel waren auch die soge­ dich ... für euch ... ein Mist, wenn Ter­
nannten Spielplätze, die mit kindli­ raner aufstehen und sich wehren? Die
chem Spiel viel weniger zu tun hatten den Herrschaften nicht mehr vertrau­
als mit Horror und Nerventod. en, die uns im Stich lassen und ...«
Zweimal hatten sie ihn nur mithil­ »Mannoooo«, fuhr Arnie auf. »Ich
fe von NATHAN wiedergefunden, bis kann es nicht mehr hören! Lasst mich
Tenpole ihm eine Armbanduhr mit doch einfach in Ruhe! Das ist keine
einem kleinen holografischen Atlan- Familie mehr, das ist ein Irrenhaus!«
Konterfei schenkte, die – wovon Er stand auf und stürzte aus der
Arnie nichts ahnte, glücklicherweise Küche. Tenpole hörte das Knallen
– mit einem Positionssender ausge­ seiner Zimmertür, aber er machte
stattet war. Mit dem Gegenstück keinen Versuch, ihn deshalb zur Rede
konnte Opera ihn nun wenigstens or­ zu stellen.
ten.
Sie hatten alles. Tenpole arbeitete
dafür – er war nicht mit dem zufrie­
den, was ihnen ohnehin zustand, er
wollte sich jedes einzelne Element
seines Lebens verdient haben.
Seine Kinder begriffen diese Ein­
stellung nicht.
Alle drei, ohne Ausnahme, flohen
sie vor der Realität und jeder Form
von Verantwortung.
»Was ist?« Corsairs Stimme riss ihn
jäh aus seinen trüben Gedanken.
»Was grübelst du wieder? Tu endlich
etwas!«
»Was soll ich tun?«, fragte Tenpole
erschreckt. Dabei wusste er genau,
was nun kam. »Ich ... bin schon auf
dem Weg zur Arbeit, ich ...«
»Hör auf mit deinem Gelaber von
der Arbeit!«, schoss Corsair. Seine
Augen glänzten in fanatischem Feu­
er. »Werd endlich wach und fang an
zu kämpfen! Es ist Krieg, Tenpole!
Die Terminale Kolonne steht vor un­
seren Toren, und wir tun alle nichts
dagegen! Sie wird uns ...«
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Bis zu einem gewissen Grad ver­ Er glaubte dennoch zu verstehen,


stand er ihn ja auch. was sie ihm sagen wollte.
»Er flieht!«, echauffierte sich Cor­ »Sie haben keine Heimat mehr«,
sair mit hochrotem Kopf. »Haut ab, murmelte der Softflow-Programmie­
wenn er in die Verantwortung soll. rer. »Es ist nichts mehr, wie es einmal
Wie alle! Du, Anulyn, bist auch nicht war, seitdem du ...«
besser. Während andere den Kampf Dieser gottverdammte Gleiter! Er
aufnehmen und zu den Waffen grei­ hätte es verhindern können. Es wäre
fen, liegst du bei irgendwelchen Ker­ nicht geschehen, wenn er nicht ...
len im Bett und ...« »Du fehlst uns, Jeria«, flüsterte er,
»Hör endlich auf!«, kreischte sie. als das Bildnis erlosch. »Ich kann
»Halt den Mund, oder ich ...« dich nicht ersetzen. Wie soll es wei­
»Was?«, schnappte Corsair und tergehen? Kann es das überhaupt?«
nahm Kampfhaltung ein. »Was dann? Er rieb sich mit dem Handrücken
Du willst mir drohen? Du kleine über die Augen, atmete tief und
Schlampe? Ich zeig dir, was ...« schüttelte den Kopf. »Ich liebe dich,
Tenpole Opera stand auf und ging. Jeria. Du fehlst mir so sehr ...«
»Was machen wir falsch, Jeria?«, Das Holo baute sich erneut auf. Es
fragte er, als er, auf der Kante seiner war auf Antwort programmiert. Auf
Liege sitzend, das Softholo betrach­ bestimmte Wortfolgen wie »Ich liebe
tete. Dort strahlte sie, und es war so dich« antwortete es mit einem »Ich
wirklich, als könne sie jeden Moment dich auch«.
neben ihm stehen, die Arme um sei­ Diesmal kam die Lautfolge bei
nen Hals schlingen und ihm ins Ohr Tenpole nicht mehr an.
pusten, wie sie es immer getan hatte, Der Alarm fetzte sie ihr von den
um seine dunklen Stimmungen zu leeren Lippen.
vertreiben. Aber sie würde nicht mehr
kommen. Nie wieder. Alles war an­
ders – nichts mehr lebenswert, seit sie 2.
vor acht Monaten ums Leben gekom­ Stunden vorher und noch
men war. weit entfernt
Jeria ... so unendlich viel mehr als
seine Partnerin und die Mutter seiner Der Alarm in MOTRANS-OC1 riss
drei Kinder. Niemand würde je er­ niemanden aus der Besatzung der
messen können, was sie ihm bedeutet Plattform von seinem Sitz, denn er
hatte. war lautlos und galt bereits seit
»Warum sind sie so geworden? Wie Anbruch des Tages. Es war kein
soll das noch enden? Statt sich lieb zu Aufschrecken, sondern ein Zu­
haben wie andere Geschwister, hacken stand.
sie nur aufeinander herum und ...« In der Mobilen Transmitter-Platt­
Jeria, schöner und anmutiger denn form OC1 herrschte seit knapp zwei
je, lächelte ihr sanftes Lächeln, das Stunden Alarmstufe eins, denn sie
ihn vom allerersten Moment an ver­ erwartete Besuch aus den Tiefen des
zaubert hatte. Doch es war keine Alls.
Antwort für ihn, sondern nur pro­ Nein, das traf es nicht ganz. Die
grammiert. vorherrschende Meinung an Bord
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war vielmehr die, dass es ein Besuch bei. »Schwärze, Dunkelheit, Nichts ...
aus der Hölle sein würde. Einfach das Nichts ...«
»Ich bleibe dabei«, knurrte Iff Be­ Iff Benedict stieß schnaubend die
nedict, ohne von seinen Displays auf­ Luft aus. Für eine Weile sprach nie­
zusehen. »Es ist nicht richtig. Bull mand in dem Kontrollraum. Fünf
macht einen gewaltigen Fehler. Die­ Terraner sahen wie eingefroren in die
ses Ding ist eine Nummer zu groß für wechselnden, farbigen Lichter der
uns. Es geht nicht gut.« Holo-Displays und versuchten zu
»Hör auf, Iff«, erwiderte die Spe­ fassen, zu begreifen oder zu verste­
zialistin neben ihm, zwei in einer Rei­ hen, was in diesen Momenten ge­
he von Männern und Frauen in LFT- schah. Weshalb sie warteten, was ih­
Kombination, die seit dem frühen nen an möglichen Konsequenzen
Morgen nichts anderes taten, als vor drohte – und wem sie jeden Augen­
ihren Kontrollen zu sitzen, den Welt­ blick gegenüberstehen konnten.
raum zu beobachten und zu warten. »Ich habe Kinder daheim«, sagte
»Wir sollten Reginald Bull vertrauen. Benedict dann. »Zwei kleine Gano­
Er hat uns bisher nie enttäuscht und ven, Dora und Redhorse. Ich habe
unsere Eltern und Großeltern eben­ eine Frau, die ich liebe und der ich
falls nicht. Er hat ...« einmal versprochen habe, dafür zu
»Ja!« Benedict winkte verärgert ab. sorgen, dass es ihr und den Kindern
Er war jung und normalerweise ein gut gehe und sie nie in Angst und Not
Bündel aus Energie, eifrig und ambi­ leben müssen.« Er lachte rau. »Und
tioniert. An diesem Tag allerdings jetzt sehe ich zu und helfe dabei mit,
schien ihn die Kraft verlassen zu ha­ dass wir uns eine ... diese Bestie ins
ben. »Er hat, er hat, er hat ... und es Haus holen!«
war immer so und wird auch ewig so »Ins Solsystem!« Der Ältere nickte.
bleiben. Das mag ja alles so sein, Pat, »Verdammt, Iff, das hast du richtig
aber es gibt immer ein erstes Mal – gesagt. Nur dass ... So ein Dunkler
und das könnte jetzt gleich der Fall Ermittler ist nicht einmal eine Bestie.
sein. Egal, womit es diese Unsterbli­ Die Burschen sind schlimmer. Ei­
chen in ihrer grenzenlosen Weisheit gentlich sind sie gar nicht da, du
jemals zu tun hatten – es war nicht kannst sie nicht packen und auch
so!« nicht töten. Sie sind wie Luft ... nein,
»Kein Dunkler Ermittler«, warf ein besser ist: keine Luft mehr ...«
älterer Offizier neben ihm ein. »Nicht »Und wir holen sie uns ins Sonnen­
so eine ... Kreatur. Manche sagen ja, system!«, ereiferte sich Benedict.
dass sie überhaupt keine Wesen sind, »Nach Hause, zu unseren Planeten
wie wir sie kennen.« und Familien! Die Kolonne beißt sich
»Sondern?«, fragte Pat Polansky seit drei Jahren die Zähne am TER­
und bürstete sich mit den Fingern RANOVA-Schirm aus und kommt
durch das weiß gebleichte, kurze nicht durch. Und ausgerechnet so ei­
Stoppelhaar. »Was sollen sie stattdes­ nen ... so etwas ... holen sich die Theo­
sen sein?« retiker ins Haus!«
»Schwärze«, erwiderte der Offizier »So denken viele«, gab Pat zu.
mit einer Stimme, die fast andachts­ »So denken sie alle! Weil die Herr­
voll klang. Aber er schüttelte sich da­ schaften in Terrania wieder einmal
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viel zu abstrakt und theoretisch den­ nicht mehr an uns, was passiert.«
ken und nicht sehen, wie es wirklich »Hier?«, schnappte Benedict. »Ins
ist. Der Dunkle Ermittler ist viel­ Solsystem lassen sie ihn! In unser
leicht ... vielleicht ... ein potenzieller Sonnensystem, das als einziger Ort in
Verbündeter, vielleicht aber auch der Milchstraße vor der Terminalen
nicht. Und solange wir das nicht wis­ Kolonne TRAITOR sicher war!«
sen, durchstreift er seelenruhig unser »Das bleibt es auch«, dehnte die
Sonnensystem und kann sich gedul­ Spezialistin. »Bull wird wissen, was
dig aussuchen, welchen Planeten er er tut ...«
als ersten zünden soll.« Benedict lachte humorlos.
»Wir wissen nicht, was sie wirklich »Pat ... nichts für ungut, aber bist
vorhaben«, versuchte die Kurzhaari­ du so naiv, oder tust du nur so? Dieses
ge einzulenken. »Ihre Überlegungen, Ding, auf das wir warten, wird bald
ihre Pläne ...« bei uns zu Hause sein! Kennst du die
»Richtig!« Iff Benedict schlug mit Sage von Troja und dem Pferd, in
der flachen Hand auf das Pult vor dem die Griechen saßen? Was ein Re­
ihm. »Wir wissen nichts – bis auf das, ginald Bull und seine Clique jetzt tun
was sie uns wissen lassen, diese Herr­ wollen, ist nichts anderes! Sie holen
schaften. Was glauben sie denn, was sich die Pest ins Haus! Haben die
sie mit ihren Schiffen gegen einen denn in all ihren Lebensjahrtausen­
Dunklen Ermittler ausrichten kön­ den nichts gelernt?«
nen? Fünfhundert Raumer, die vor­
geblich hier sind, um diesen Tag zu *
würdigen – pah! Als ob das ein Freu­
dentag für uns wäre! Wenn wir nicht Im galaktischen Sektor Morgenrot,
verdammt gut aufpassen, wird es der 2190 Lichtjahre von der Erde ent­
Tag des Untergangs! An dem das En­ fernt, umkreiste die Transmitter­
de begann!« plattform MOTRANS-OC1 in einer
»Jetzt übertreibst du«, wehrte sich Distanz von nur vier Millionen Kilo­
Pat Polansky. »Etwas weniger Pathos metern als künstlicher Satellit eine
tut’s zur Not auch.« kleine namenlose, orangefarbene
»Ach so?« Er starrte sie aus großen Sonne vom K6-Typ, nachdem sie am
Augen an. »So ist das? Ich übertrei­ 15. März den Kugelsternhaufen Ome­
be?« Iff schüttelte den Kopf, dass die ga Centauri auf Befehl verlassen hat­
langen Haare flogen. »Pat, hier wird te.
jeden Moment ein Monstrum erschei­ MOTRANS-OC1 diente dazu,
nen, das unsere Unsterblichen geru­ Raumschiffe und andere Objekte aus
fen haben! Fünfhundert Schiffe ... den Tiefen der Galaxis ins Solsystem
dass ich nicht lache! Selbst mit fünf­ zu schleusen, das durch den system­
tausend richten sie nichts aus gegen umspannenden Kristallschirm auf
einen Dunklen Ermittler!« andere Art nicht zu erreichen war,
»Da hat er recht«, kam es von dem weder für Traitanks noch für die ter­
älteren Offizier. »Ja, Pat, gegen einen ranischen Einheiten, die draußen in
Dunklen Ermittler gibt es keine Ge­ der Milchstraße operierten und er­
genwehr. Nichts, keine Chance! Wenn kundeten.
das Ding erst einmal hier ist, liegt es Die Plattform konnte dazu eine Si­
Finsternis über Terra 11

tuationstransmitter-Verbindung her­ die Besatzung der Transmitterplatt­


stellen, die direkt ins Solsystem führ­ form gut informiert: Die Soldaten
te, vorbei am Belagerungsring der und Techniker waren von ihren Vor­
Terminalen Kolonne TRAITOR. Sie gesetzten in die Geheimnisse um die
gehörte damit zum BACKDOOR- Dunklen Ermittler eingeweiht wor­
System, das »im Rücken der Belage­ den, sofern diese überhaupt bekannt
rung« einen ungehinderten Ein- und waren. Die Menschen auf der Erde
Ausflug des Sonnensystems ermög­ wussten über Dunkle Ermittler nur
lichte. ganz wenig – das meiste fiel unter mi­
Während MOTRANS-1 im Lu­ litärische Geheimvorschriften.
na-Orbit und gegebenenfalls MO­ Aber was man auf MOTRANS-OC1
TRANS-2 im Orbit des Mars bevor­ wusste, genügte dort. Sie waren zwar
zugt den Ausflug aus dem System Leben, aber auch wieder nicht. Sie
übernahmen, erfolgte der Einflug atmeten Finsternis. Sie waren Boten
meist von MOTRANS-OC1 aus, de­ des Chaos. Wo sie erschienen, war der
ren Standort aus Sicherheitsgründen Untergang nicht mehr fern.
häufig gewechselt wurde. Und sie waren unbesiegbar.
Am 20. Juni des Jahres 1347 Neuer Die fünfhundert erschienenen Ein­
Galaktischer Zeit herrschte in der ge­ heiten der Liga Freier Terraner
samten Plattform höchste Alarmstu­ brachten keine Beruhigung. Sie
fe – denn an diesem Tag wartete man konnten sich vielleicht gegen Trai­
auf die Ankunft eines Dunklen Er­ tanks in die Schlacht werfen, doch
mittlers. gegen Dunkle Ermittler richteten sie
Genauer gesagt, das Erscheinen ei­ nichts aus!
nes Quants der Finsternis mit Namen Sie besaßen VRITRA-Kanonen und
G’schogun, der mit seinem Quell- waren durch Paros-Wandler für den
Klipper Quudarion eine Einladung Schatten-Modus ausgestattet, doch
bekommen hatte: eine Anfrage und das bedeutete nichts gegen einen
Fahrkarte ins unter der Einkreisung Dunklen Ermittler.
durch TRAITOR allmählich ersti­ Und doch schien die Führungsebe­
ckende Solsystem – das Heimatsys­ ne fest dazu entschlossen, eines die­
tem der letzten freien Bewohner der ser Geschöpfe ins Solsystem zu holen.
Milchstraße. Kaum ein Mensch verstand diese
Kaum jemand an Bord der Platt­ Entscheidung.
form verstand es. Kaum jemand hat­ Das Unverständnis beschränkte
te diesem Tag freudig entgegengefie­ sich nicht nur auf die Transmitter­
bert, nachdem die Absicht der plattform. Auch in den Schiffen
LFT-Führung unter Reginald Bull herrschten Fassungslosigkeit und
bekannt geworden war. Man fragte Unglaube. Normalerweise vertrauten
nicht nach seinen Motiven. Was er die Besatzungen insbesondere Regi­
tat, schien ungeheuerlich und wie nald Bull, ihrem Verteidigungsminis­
Selbstmord. ter. Aber fast drei Jahre Bedrohung,
Ein Dunkler Ermittler im Herzen Belagerung und Trommelfeuer auf
des Widerstands! den Kristallschirm, nach ungezähl­
Niemand wusste mehr über sie als ten Versuchen, das Solsystem zu er­
halbgare Gerüchte. Und dabei war obern oder gar auszulöschen – konn­
12 HORST HOFFMANN

te jemand da wirklich so blauäugig und 42 Sekunden an diesem schick­


sein, ausgerechnet einen Dunklen Er­ salhaften Tag war das atemlose War­
mittler nach Hause zu holen? Dass es ten zu Ende. Die Revolte, die es bis
sich um eine Falle TRAITORS han­ jetzt nicht gegeben hatte, würde nun
delte, lag doch eigentlich auf der nicht mehr kommen.
Hand! Dafür kam er.
So herrschte entsetztes Warten in G’schogun, das Quant der Finster­
den Raumschiffen und der Plattform. nis.
Die Menschen, die in der großen
Mehrzahl Heimat und Familie im be­ *
drohten Heimatsystem besaßen, sa­
hen der Ankunft von etwas entgegen, Die Kantorschen Ultra-Messwerke
was für sie vielleicht das Ende aller waren die einzigen Ortersysteme, die
Hoffnungen bedeutete. Das Ende von auf das ansprachen, was sich in den
allem, was sie noch immer am Leben Fernoptiken einfach als ein »Dunkler
und Kämpfen hielt. Fleck in der Welt« zeigte, ein sich
Sie wollten es nicht. Die Meuterei ständig veränderndes, waberndes
lag in der Luft, die Atmosphäre Geschwür im Universum und allem,
schwelte. Man hatte Bull immer ver­ was war und sein konnte.
traut. Viele versuchten auch zu ver­ Nicht nur ein Nichts, sondern das
stehen, was ihn nun plötzlich ritt – Gegenteil von allem, was je existierte
aber sie konnten es nicht. und hierher gehören sollte. Es ver­
Nicht wenige meinten, inzwischen schluckte das Licht, verschlang die
sogar laut und öffentlich, dass Regi­ Gesetze von Zeit und Raum, war eine
nald Bull nun den Preis seiner künst­ offene, wesenlose Narbe im Fleisch
lichen Unsterblichkeit zu zahlen be­ der Schöpfung.
gann: den geistigen Verfall eines Wenn es überhaupt möglich war,
Gehirns, das nicht dazu geschaffen das Finster zu erfassen, zu messen
worden war, ewig zu leben und zu und zu beziffern, durchmaß der sich
denken ... stülpende, wogende Fleck, das Loch
Einige der Raumfahrer schmiede­ im Hier und Jetzt, im Mittel rund
ten bereits Pläne, andere wollten mit zweihundert Meter. Er stand still, so
Bull und Danton diskutieren. Sie als wolle er sich orientieren.
wollten diesen Teufel nicht! Nicht Still und ruhig, lauernd und laut­
hier und erst recht nicht in der Hei­ los. Dort, wo es war, konnte kein Herz
mat, bei ihren Frauen, Männern und schlagen. Es war so kalt wie das All,
Kindern. Es war der Untergang, der vielleicht kälter. Alle Instrumente der
Tod, das Ende. Terraner konnten nur das erfassen
Rebellen, hieß es. Es sollte solche und analysieren, was sich ihnen auf
unter den Dunklen Ermittlern geben. physikalische Weise mitteilte oder
Wesen der Finsternis, die sich gegen auf sonst eine Art »zugänglich« war.
dieselbe kehrten? Das da war und stillhielt, sich beweg­
Auch der Löwe schlich sich am Tag te, irgendetwas tat.
als Freund an den Büffel heran, den G’schogun tat nichts von alledem.
er dann in der Nacht tötete. Er war da, obwohl er nicht war. Er
Um genau zwei Uhr 28 Minuten lebte, wo kein Leben stattfinden
Finsternis über Terra 13

konnte. Er war nur da, es gab ihn ... Vielleichts mehr. Es war durchdacht,
... und er war ihretwegen gekom­ und vor allem hatten sie gar keine an­
men! dere Wahl mehr, jetzt schon gar nicht.
Reginald Bull wusste, dass er nichts Er war da, G’schogun, das Quant der
von dem sah, was dort wirklich war, Finsternis. Oder sein Raumschiff, der
wo die Schwärze ihren Stempel in sogenannte Quell-Klipper. Doch was
sein Universum brannte. Aber er hat­ war was? Gab es überhaupt eine
te es gerufen. Roi Danton hatte die Trennung zwischen beiden – oder wa­
Dunklen Ermittler kontaktiert – jene ren sie beides?
von ihnen, die sich offenbar gegen die Jetzt bewegte es sich. Es verließ
Terminale Kolonne TRAITOR gestellt seine Position und begann sich zu nä­
hatten. hern. Das Loch im Universum rückte
Dem Unsterblichen drehte sich al­ näher heran ...
lein bei dem Gedanken daran der Natürlich schickten sie ihm Funk­
Magen um, dass sie dabei waren, ei­ anrufe. Es war alles geplant, alles
nen Pakt mit dem Teufel zu schließen, durchdacht und tausendmal in allen
um aus der Hölle zu fliehen. Er ver­ Variationen durchgerechnet. Sie
stand seine Besatzungen. Er fühlte wussten, was passieren würde. Der
genauso. Es war mehr als riskant, Dunkle Ermittler war gekommen,
was sie in diesem Augenblick taten. weil sie ihn eingeladen hatten.
Mehr als nur ein Spiel mit dem Feuer. Ins Solsystem!
Um den Teufel auszutreiben, hatten Als G’schogun die Hälfte seiner Di­
sie den Beelzebub gerufen. stanz zur LEIF ERIKSSON II zurück­
Vielleicht hatte er bis zuletzt ge­ gelegt hatte, verharrte er abermals.
hofft, er würde nicht kommen. Viel­ Wabernd und äsend, als fresse er selbst
leicht machte er den größten Fehler das Vakuum und jedes Quant natürli­
seines Lebens. Vielleicht besiegelte er chen Lichts, gierend und lauernd
in diesen Augenblicken das Schicksal stand er im All, das vor ihm floh.
der Menschheit und aller anderen, Und das soll in unser System!,
die je in dieser Galaxis die bisherige durchfuhr es Bull, immer wieder wie
Spitze ihrer Evolution erklommen tausend sich selbst verstärkende
hatten. Echos. Das soll über unserer Erde
Er biss die Zähne fest zusammen. wandeln ...!
Er ballte die Hände. Er hörte und sah Er zitierte bewusst ein anderes
nichts mehr außer dem Schwarz, das »Ereignis« aus einer schlimmen Ver­
niemals hierher gehörte. Vielleicht gangenheit, doch was war das gegen
war es »Freund«. Vielleicht half es dies hier gewesen?
ihnen, das Blatt zu wenden und sich Wir brechen es ab, dachte er. Wir
gegen die Übermacht der Terminalen dürfen es nicht! Ich muss ihn stop­
Kolonne zu behaupten. Vielleicht war pen! Dieses Geschöpf darf niemals ins
es der Trumpf in einem viel größeren Solsystem und zur Erde!
Spiel, den er brauchte, auf den sie ge­ Gleichzeitig wusste er, dass sie gar
wartet hatten. keine Chance mehr besaßen. Der
Vielleicht, vielleicht, vielleicht ... Fleck bewegte sich wieder, doch nicht
Der Minister riss sich zusammen. etwa weiter auf die LEIF ERIKS­
Es war überlegt, alles. Es gab keine SON II zu.
14 HORST HOFFMANN

G’schogun nahm Kurs auf den rot­ Der Dunkle Ermittler fraß sich ins
leuchtenden Ring des Tele-Trans­ Sonnensystem, auf den Punkt zur fi­
portfelds, der reagierte, indem er sich xierten Minute. Er materialisierte in
bis auf achtzig Kilometer Durchmes­ Höhe der Neptun-Bahn, was zu die­
ser ausdehnte. sem Zeitpunkt bedeutete: 29,331
Wie konnte er das? Der Transmitter astronomische Einheiten oder 4,388
war nicht dazu in der Lage, etwas an­ Milliarden Kilometer von der Erde
zumessen, was nicht messbar war – entfernt.
nur für die Kantorschen Ultra- Diese Zahl spielte allerdings keine
Messwerke. Rolle mehr. Das Etwas aus der Fins­
Aber er wuchs scheinbar immer ternis war eingetroffen. Seine plötz­
noch, je näher das Finster ihm kam. liche Präsenz erfüllte das System vom
Sie funkten weiter, ohne eine einzi­ Muttergestirn bis hin zu äußersten
ge Antwort von G’schogun zu erhal­ Staubpartikel.
ten. Reginald Bull wusste, dass es Der Dunkle Ermittler G’schogun
absolut sinnlos war, doch sie schick­ wurde von einigen hundert Einheiten
ten ihm ihre Anrufe hinterher, bis er der Heimatflotte Sol empfangen. Au­
vom Transportring erfasst wurde und ßerdem war PRAETORIA vor Ort. Es
nicht mehr da war. gab allerdings niemand an Bord der
»Jetzt ist er zu Hause«, sagte je­ Schiffe, der nicht wusste, dass sie we­
mand. Bull wusste nicht einmal, wer. niger waren als Statisten.
Doch was er wusste, war, dass der­ Die TANKSTELLEN des Systems
jenige mit seinen kaum geflüsterten waren anlässlich des vorbereiteten
Worten nicht etwa gemeint hatte, der Katastrophenalarms voll besetzt.
Dunkle Ermittler sei »bei sich zu Millionen Globisten auf nahezu allen
Hause«. Himmelskörpern hielten sich in Be­
Nein, dachte der Aktivatorträger. reitschaft für den Fall, dass es zu ei­
Jetzt ist er da, wohin er vielleicht nie ner Krise kam, deren Anlass und Aus­
hätte kommen dürfen ... maß sich nicht abschätzen ließen.
Er schickte ein stummes Gebet und Der Dunkle Ermittler war da.
bat um Vergebung. Wie oft hatten sie Er sollte, als potenzieller Verbün­
versucht, die Chancen dafür zu er­ deter, die Welten der Menschen sehen.
rechnen, dass sie »Glück« hatten und Was er daraus folgerte und welche
sich ihre verzweifelten, verrückten, Konsequenzen es hatte, war allein
ganz und gar wahnwitzigen Hoffnun­ seine Sache.
gen erfüllten? Roi Danton hatte den Ermittler-
Selbst das positivste Ergebnis, Rebellen Informationen gegeben, die
wusste er jetzt, war allenfalls nur ge­ ausreichten, das Wissen und die Ge­
schmeichelt gewesen. schichte der Menschheit in ein großes
Buch zu schreiben. Doch die Ermitt­
ler wollten keine Informationen über
3. die Terraner, sondern sie wollten die
Terra im Schatten Kommunikation mit dem mysteri­
ösen Wesen, das als leuchtende Kugel
Das Finster kam um genau 22 Uhr auf den Galapagos-Inseln existierte.
Terrania-Standardzeit in die Welt. Sämtliche Raumschiffe und militä­
Finsternis über Terra 15

rischen Einrichtungen im Sonnen­ nicht wegen der anderen Planeten


system standen unter Vollalarm. hier – er wollte zur Erde.
Doch niemand, kein Offizier oder Po­ Als er sich nach einer halben Stun­
litiker, machte sich Illusionen. Im de in Bewegung setzte, eskortierte
Ernstfall besaßen sie wahrscheinlich ihn ein militärisch starker Verband
keine Waffe, um das Verderben zu Richtung Terra. Die Besatzunsmit­
stoppen. glieder wussten, dass es sich bei dem
Keine Kanone der Welt konnte ei­ Finster um eine Art Botschafter han­
nen Dunklen Ermittler in seinem delte; man wollte verhindern, dass
Quell-Klipper in Gefahr oder Be­ jemand »versehentlich« auf das We­
drängnis bringen. Wer am Rande ei­ sen feuerte.
nes Schwarzen Loches »tanzen« MOTRANS-1 im Luna-Orbit hatte
konnte und die Jahrmillionen ohne mit seinem Situationstransmitter be­
Schaden überdauerte, war durch her­ reits einen weiteren Halbraum-Tun­
kömmliche Geschütze kaum zu fas­ nel erzeugt, der von der Neptun-Bahn
sen. bis zum Mond reichte, von wo aus
Die Verantwortlichen hatten ge­ G’schogun den Rest bis zum Ziel auf
wusst, worauf sie sich einließen. Sie konventionelle Weise zurücklegen
hatten mit sich gerungen und ge­ sollte.
kämpft – und erkannt, dass sie es tun Homer G. Adams sprach zu ihm. Er
mussten. Sie hatten nie eine andere berichtete von der Erde und den Men­
Wahl gehabt, wenn sie sich an diesen schen, schilderte noch einmal ihre
letzten Strohhalm klammern woll­ Geschichte und Entwicklung in aus­
ten. gesuchten Worten. Ihre Schwächen
Ohne die Rebellen unter den Dunk­ und Stärken, ihre Ideale ...
len Ermittlern wäre der Kampf gegen Der Dunkle Ermittler erreichte den
TRAITOR von vornherein aussichts­ Mond fast ohne Zeitverlust, und ohne
los gewesen: Sie hatten die Kolonne weiteren Aufenthalt machte er sich
mit verfälschten oder unvollständi­ auf den Rest seiner Strecke.
gen Ergebnissen versorgt, dank derer Auf der Erde verfolgten Milliarden
Perry Rhodan sich erfolgreich gegen Augenpaare, wie sich das Schwarz
die Fremdherrschaft hatte wehren langsam auf ihre Welt zuschob. Was
können. Doch Rhodan war nicht da, sie zu sehen bekamen, war ein raffi­
und von Atlan in Hangay hörte man nierter, einfallsreicher Mix aus opti­
ebenfalls nichts. scher Beobachtung und kreativer
Homer G. Adams sprach zu Fantasie. Manche Trivid-Sender lie­
G’schogun. Er begrüßte ihn im Na­ ferten krasse, psychedelisch anmu­
men der gesamten Menschheit und tende Bilder, die meisten jedoch düs­
versicherte noch einmal, dass der Er­ tere bis düsterste Endzeit-Visionen.
mittler sich ungehindert im Solsys­ Wirkliche Informationen erhielten
tem bewegen und umsehen dürfe. die meisten Menschen nicht – zu vage
Angesichts der Tatsache, dass sie war das, was man offiziell bekannt
jetzt gar nichts mehr tun konnten, gab. Reginald Bull und seine Leute
waren diese Botschaften lachhaft. hatten die Argumentation in die Welt
Der nächste Schritt war ebenfalls gesetzt, es handle sich um einen »spe­
bereits vorgezeichnet. G’schogun war ziellen Staatsbesuch«. Das beruhigte
16 HORST HOFFMANN

nicht unbedingt die Stimmung, er­ Worte, die das Grausen zu beschrei­
höhte die Angst aber auch nicht ins ben vermochten, das sich in Terras
Unermessliche. Luftraum über den Ozean schob.
Die letzten Werbeeinblendungen Tenpole wunderte sich ohnehin
wurden gestoppt, als das Finster in darüber, dass niemand so richtig Be­
die Luftschicht des Planeten ein­ scheid wusste. Oder es schien zumin­
tauchte und langsamer wurde. Dabei dest so; er ging davon aus, dass die
kam es zu keinerlei Turbulenzen. Agenten des Terranischen Liga-
Kein Sturm begleitete den Dunklen Dienstes oder die Offiziellen genau
Ermittler, als er schweigend tiefer wussten, wer hier zu Besuch kam und
sank, bis er vom Boden aus mit blo­ was das alles sollte. Ihm bereitete das
ßem Auge zu sehen war. finstere Ding echte Sorgen, wenn­
Ein dunkler Fleck am Himmel, das gleich er keine genauen Informatio­
samtene Auge der Finsternis ... nen hatte.
Es verhielt nur ganz kurz, um sich Aber sosehr sich Tenpole darüber
zu orientieren. Dann war sein Kurs sorgte – seine eigene Haut war ihm
neu gesetzt, und es wurde wiederum näher, und das waren seine viel zu
schneller, als wisse es endlich, wo­ kleine Wohnung im dritten Stock des
nach es gesucht hatte. Whistler-Hochhauses am Südrand
G’schoguns Ziel war der Inselar­ von Atlan Village und seine kleine,
chipel der Galapagos – genauer ge­ beschauliche und friedliche Familie.
sagt, die Isla Bartolomé mit dem Nu­ Corsair, Anulyn und Arnie – seine
kleus der Monochrom-Mutanten. Wohnung war nicht wirklich so win­
Es war alles im Voraus geplant ge­ zig, jede normale Familie hätte hier
wesen. Jeder Eingeweihte hatte ge­ Platz genug gehabt, aber er hatte nun
wusst, wohin sich G’schogun wenden mal keine normale Familie mehr.
würde. Der Nukleus wartete auf ihn. Katastrophenalarm war nichts
Alles war vorausgedacht gewesen Neues. In den drei Jahren der Belage­
– bis zu genau diesem Zeitpunkt, als rung hatte es manchen gegeben, und
das Finster am Himmel über der Insel inzwischen wusste jeder Bewohner
erschien und still verharrte. der Erde, dass solch ein Alarm nicht
aus Spaß gegeben wurde. Wenn die
* Millionen Traitanks der Belagerer­
flotte das Trommelfeuer auf den TER­
Tenpole Opera wusste, was der RANOVA-Schirm eröffneten, kam es
Alarm für ihn bedeutete – und er hat­ zu pararealen Effekten, die bereits
te eine Heidenangst davor. Menschenleben gekostet hatten.
Sie konnten nicht aus ihrer Woh­ Viel zu viele Männer, Frauen und
nung heraus, es herrschte totale Aus­ Kinder hatten im Freien ihren Ver­
gangssperre. Die Trivid-Sender lie­ stand und jeden Halt verloren, als
ferten zutiefst erschreckende Bilder sich die Dinge zu verschieben began­
von dem, was da draußen geschah. nen und nichts mehr so war, wie es
Eigentlich fanden selbst die redege­ hätte sein sollen. Wenn sie in fremden
wandtesten Kommentatoren kein Zeitabläufen verschwanden oder
richtiges Wort für das, was da zur Er­ Falten der Realitäten ...
de herabgekommen war. Es gab keine Es war richtig, dass es die Aus­
Finsternis über Terra 17

gangssperre gab ... aber für ihn eine dem Menschen, jedem Tier, jedem
mittlere Katastrophe. Fremdwesen.
Corsair, Anulyn und Arnie, seine Tenpole musste lachen, als er sie
drei Kinder, die Hinterlassenschaft wieder sah, wie sie dorthin geflogen
Jerias an ihn, schafften es nicht ein­ war, ganz früh im Morgengrauen, als
mal, eine Stunde ohne Streit und Rei­ die Rattenplage ihren Höhepunkt er­
berei zusammenzuleben. Es war un­ reicht hatte. Die Heimsuchung aller
möglich. Vor dem ganz großen Knall empfindsamen Menschen wäre we­
flohen sie, manchmal alle drei, flüch­ sentlich früher zu Ende gewesen,
teten in ihre eigene, persönliche wenn sie nicht die Giftköder einge­
Trutzburg. Corsair zu seinen Fanati­ sammelt und vernichtet hätte. Statt
kern, wo er seinen kleinen Krieg ihrer hatte sie das Brot für die »Tier­
spielen konnte, Anulyn zu ihrem je­ chen« hingelegt, das sie über Wochen
weiligen Freund, Arnie in seine extra für sie gesammelt hatte.
durchgeknallten Spielräume und Ja, dachte Tenpole wehmütig. So
Szenen. warst du, Jeria. Nur du allein hattest
Und jetzt war damit Schluss. Nun so viel Liebe für alles, was lebte ...
waren sie gefangen. Er hatte sie zum Aber das alles änderte nichts an
verschärften Arrest verdonnert. Er seiner Schuld! Er hatte ...
hatte ein Machtwort gesprochen und Corsair platzte in seine traute Be­
die Ausgänge elektronisch verriegelt. sinnlichkeit und beendete das stille
Und gegen ihn hatten sie dafür ge­ Zwiegespräch, ehe es dort endete, wo
schimpft und getobt. es immer hinführte.
Jeria würde ihn verstehen, als Ein­ »Was soll das?«, tobte er. Er stand
zige. Er saß in der ganz und gar nicht vor Tenpole und stemmte die Hände
totalrobotisierten Gemeinschaftskü­ auf den flachen Tisch. »Mit welchem
che, die sie für die Familie eingerich­ Recht sperrst du uns ein? Dort drau­
tet hatte, als sie noch eine solche ge­ ßen herrscht Krieg! Da ist ein Ding,
wesen war. Wieder hatte er ihr Holo das uns alle töten will oder verskla­
vor sich und sprach lautlos zu ihr. ven oder ... Es will uns die Seele rau­
Warum hast du das getan, Jeria?, ben, verstehst du das nicht?«
fragte er. Zum wie viel hundertsten »Corsair«, Tenpole seufzte, »ich
Mal eigentlich? Wieso bist du ausge­ dachte, wir hätten das alles bespro­
rechnet in diesen Gleiter gestiegen? chen. Was immer da draußen jetzt ist,
Du hast ... Wir haben alle gewusst, die Regierung hat es geholt, damit ...«
was mit ihr los ist! »Die Regierung!«, schnaubte der
Sie hatte Jessi zu kennen geglaubt, junge Mann. »Etwa die gleiche Regie­
ihre hübsche und so kluge Nachba­ rung, die uns mit ihren Phrasen dar­
rin, die einmal so ausgelassen und an hindert, endlich zu kämpfen? Die­
froh gewesen war. Jessi und Steven, se elenden, alten Schwachköpfe?«
was alles noch schlimmer machte. Sie »Corsair, du ...«
hatte immer geglaubt, sie zu verste­ »Seit drei Jahren werden wir ver­
hen und ihnen helfen zu können. tröstet. Die Regierung ist eine Bande
Jeria hatte immer allen Menschen von Feiglingen und Weicheiern! Wo­
helfen wollen, allen Wesen auf dieser hin uns ihre Politik gebracht hat, das
ganzen weiten, unfassbaren Welt. Je- siehst du an der Galaxis. Alles liegt
18 HORST HOFFMANN

in Trümmern, und hier wird es ge­ sperrt. Wenn Corsair nach draußen
nauso sein. Die Verbrecher da oben wollte, musste er sie mit Gewalt auf­
haben uns den Untergang nach Hau­ brechen, wobei selbst er seine Proble­
se geholt!« me haben würde.
»Jetzt reicht es!« Tenpole war auf­ »Was glaubt ihr denn, gegen einen
gesprungen. Wie zwei Kämpfer im Dunklen Ermittler ausrichten zu kön­
Ring standen er und sein ältester nen, Corsair?«, versuchte er noch ein­
Sohn sich gegenüber, gegen den er im mal ein Gespräch zu beginnen – wie
Ernstfall keine Chance haben würde. so oft in den letzten Monaten. »Was
Corsair überragte ihn um eine Kop­ glaubst du eigentlich, was da auf die
feslänge und war hart trainiert, ganz Erde gekommen ist? Ein Gegner, auf
im Gegensatz zu ihm. »Den Verbre­ den du und deine fanatischen Freun­
chern da oben, wie du sie nennst, ver­ de mit euren Fäusten losgehen könnt?
dankst du ...« Oder den Waffen, die ihr euch illegal
»Gar nichts!«, zischte Corsair. besorgt? Wenn die Behörden ...«
»Nicht das Geringste! Und selbst »Hau mir ab mit deinen Behörden,
wenn – das gäbe ihnen längst nicht Vater!«, schoss Corsair auf ihn ab.
das Recht, uns alle an die Terminale »Das sind Schlappschwänze und ...«
Kolonne TRAITOR zu verraten, Er hörte es nicht mehr. Er wollte
wahrscheinlich um ihre eigenen Är­ nicht sehen müssen, wie sich sein
sche zu retten! Sie sind ...« Sohn, der einmal ein so toller Junge
»Corsair!« gewesen war, immer positiv in die
Er konnte nichts dafür, hatte es Zukunft sehend, zu einem Terroristen
nicht verhindern können. Es war ein entwickelte. Wie viel pure Aggression
Reflex gewesen, dass seine rechte in ihm war.
Hand sich hob und in das Gesicht des »Du wirst nicht gehen, Corsair«,
Jungen klatschte. sagte er langsam, so beherrscht wie
Corsair stand starr, sah ihn an, möglich, aber auch irgendwie müde.
wischte sich über die Wange und sah »Du bleibst wie die anderen, und ...«
auf seine Finger, als erwarte er, sie »Ich zähle bis drei«, sagte Corsair
blutig zu sehen. gefährlich leise. »Dann sind die Tü­
»Lass mich raus!«, zischte er dann. ren auf. Eins ...«
»Das hast du nicht umsonst getan. »Hört auf!«
Lass mich auf der Stelle raus, sonst Tenpole schrak heftig zusammen,
weiß ich nicht, was ich tue! Du hast hob den Kopf und sah seine Tochter
keinen Sohn mehr, hier ist nicht mehr Anulyn im Eingang stehen, bleich
mein Zuhause. Lass mich raus, damit wie der Tod.
ich gegen den Dunklen Ermittler »Hört doch endlich auf! Etwas
kämpfen kann, bevor es zu spät ist!« stimmt hier nicht. Arnie ... ist nicht in
Tenpole Opera setzte sich wieder. seinem Zimmer.«
Seine Beine wollten ihn nicht mehr »Natürlich ist er dort!«, erwiderte
tragen. Er legte die Ellbogen auf die Tenpole. »Ich habe es kontrolliert, be­
Tischplatte und den Kopf in die Hän­ vor ich die Ausgänge versperrte. Ar-
de. nie liegt in seinem Bett und ...«
Er hatte es kommen sehen und des­ »Er ist nicht da, Vater«, sagte Anu­
halb alle Türen mit einem Kode ge­ lyn unter Tränen. »Glaub es mir doch.
Finsternis über Terra 19

Arnie ist ... ausgebüxt. Er ist jetzt tragungen, aber irgendwie schien sie
irgendwo da draußen, wo auch die­ nicht anwesend zu sein.
ses ... dieses furchtbare Ding ist. Ich Bei den Monochrom-Mutanten?
habe schreckliche Angst um ihn ... Wirklich? Sprach sie jetzt mit ihnen?
Er ist in großer Gefahr, ich habe es Ihr schmales Gesicht kam ihm unsi­
gesehen ...« cher vor, eine einzige offene Frage.
Es war das erste Mal seit sehr lan­ London hatte Angst. Nicht um sich,
ger Zeit, dass Tenpole seine Tochter sondern wenn schon um sie, die ihm
weinen sah. Und auch das erste Mal, nahe war, auch wenn sie sich zurück­
dass sie ihn wieder »Vater« nannte. zog. Natürlich war sie nahe, sie wa­
Genau wie Corsair, der plötzlich ren ein Paar – oder auch nicht. Er ein
sehr ruhig und blass war. junger Mann aus Fleisch und Blut, sie
die Projektion. Lebensecht zwar, er
* fühlte und spürte sie, wenn sie sich
berührten – aber nicht normal.
Marc London und Fawn Suzuke Der junge Psi-Korresponder, des­
waren wie alle anderen auf der Insel sen Gabe darin bestand, die vorhan­
stationierten Menschen in alle De­ denen Psi-Kräfte eines Mutanten zu
tails eingeweiht. Sie wussten, dass spiegeln und zu verstärken, fragte
der Dunkle Ermittler ins Solsystem sich manchmal, ob nicht das gerade
kommen sollte und was er wahr­ der Reiz ihrer »Beziehung« für ihn
scheinlich beabsichtigte, schon ehe er war. Dass es mit Fawn so vollkom­
wirklich da war. men anders war, als es je mit einer
Fawn als die Mittlerin, das Medi­ Partnerin aus Fleisch und Blut sein
um des Nukleus, hatte es wahr­ konnte.
scheinlich schon gewusst, noch bevor Er war in Sorge um sie. Vor allem
die Verantwortlichen der LFT von aber um den Nukleus.
der Absicht des Nukleus Kenntnis »Ob er weiß, was geschehen wird?«,
gehabt hatten. Auf gewisse Weise fragte er leise, um sie nicht aufzu­
war sie der Nukleus, einer von ihnen schrecken. Sie standen am Rand der
– den jungen Mutanten der Mono­ Bucht, in der die Kugel des Nukleus
chrom-Generation, deren Bewusst­ schimmernd gleißte, scheinbar ruhig
seinsinhalte die unglaubliche Exis­ und souverän wie immer und unge­
tenzform bildeten. achtet der immensen militärischen
Sie war eine paramaterielle Pro­ Präsenz auf der Insel. In Erwartung
jektion, obwohl es immer wieder Mo- des bevorstehenden »Besuchs« war
mente gab, in denen Marc bezweifel­ die militärische und wissenschaftli­
te, dass sie auch wirklich miteinander che Stammbesatzung massiv ver­
korrespondierten wie sonst. Er bilde­ stärkt worden.
te es sich wahrscheinlich nur ein, Doch diese Ruhe konnte nur täu­
doch die Unsicherheit war da. schen. »Er wollte, dass G’schogun
So wie jetzt. kommt. Er will mit ihm sprechen.
»Er muss jeden Augenblick hier Das ist der Sinn des Ganzen. Wenn es
sein«, sagte der junge Mutant. in unserem System etwas oder je­
Fawn nickte abwesend. Sie ver­ manden gibt, der mit dem Ermittler
folgte wie er die Berichte und Über­ zu kommunizieren vermag, dann
20 HORST HOFFMANN

wohl er. Er wird unsere Interessen Sie schwindelte. Sie wollte ihn scho­
vertreten, oder, Fawn? Er wird dem nen, das musste es sein.
Ermittler-Rebellen unsere Sache und Wieso redete er so? Warum dachte
unseren Standpunkt erklären.« er so? Weshalb fühlte er sich, als flie­
»Du darfst nicht so viel reden«, ße Strom durch seinen Körper und
sagte Fawn, ohne den Blick aus der seinen Kopf?
Ferne zu holen, in die er gerichtet war Aus welchem Grund hatte er diese
– zwar hin zum Nukleus und doch unbeschreibliche Panik, die ihn wie
viel weiter ... oder tiefer ... rasend machte?
Marc hatte es nicht gern, wenn er Das war es! Marc London war si­
sich »ausgeschlossen« fühlen musste. cher, dass Fawn ihm nicht die ganze
Fawn war wieder woanders, bei den Wahrheit sagte und der Nukleus
Mutanten. Nur wie ... Was sagten sie schreckliche Angst hatte. Das musste
sich? Was wusste Fawn, das er nicht er auch. Er wartete auf den Dunklen
wusste? Ermittler‚ würde ihm gegenüberste­
»Der Ermittler verbreitet überall hen und ... das unsagbar Schwarze
auf der Welt Angst und Schrecken«, spüren, das ihm von dort entgegen­
redete Marc weiter. »Die Menschen schlug.
fürchten sich. Es ist nicht wie in frü­ Vielleicht würde es zum Kampf
heren Zeiten, wenn die Erde ange­ kommen. Wahrscheinlich sogar. Wie
griffen wurde. Es ist total anders – konnten sie glauben, dass G’schogun
oder? Ich meine, das ist etwas, das tatsächlich gegen die Terminale Ko­
nicht hierher gehört. Es ist fremder lonne opponierte?
als alles, was je zur Erde gekommen Es war wie ein Loch im trüben
ist. Vielleicht war es nicht richtig. Himmel. Nein, das traf es nicht. Wie
Wer sagt uns denn, dass ...« ein blinder Fleck auf dem Auge. An
»Marc!« Fawns Stimme verriet Un­ dieser Stelle schien gar nichts zu sein.
geduld und aufsteigenden Ärger. »Es Die Stelle war wie ausgeblendet, aus­
ist jetzt gut!« geschnitten aus einem Bild voller
»Ist der Nukleus in Gefahr?« Er knisternder Spannung. Der wolken­
konnte es nicht stoppen. »Hat ... hat graue Himmel selbst schien unter
er Angst?« Energie zu stehen ... und sich zu bie­
»Ich weiß es nicht, Marc! Wir wer­ gen, zu strecken, zu wölben!
den abwarten müssen, wie alle.« Es war wie ein gespenstischer
Die Nachricht aus der Station, dass Traum. Das Firmament über der Isla
der Dunkle Ermittler den Fünfzig- Bartolomé spannte sich wie ein Tuch,
Meilen-Radius um die Insel unter­ an dem vier Hände gleichzeitig zo­
schritten hatte, ließ beide verstum­ gen; dehnte sich wie die Oberfläche
men. eines Luftballons, der aufgeblasen
Marc London fühlte sich elend. Er wurde. Dann sprenkelte er sich, be­
glaubte, dass er etwas tun müsse, ir­ kam Flecken und Risse, schwarze Fä­
gendetwas, aber er wusste nicht, den eines gigantischen Spinnennet­
was. zes, die sich in den nicht mehr so
Dass Fawn Suzuke nicht verstand, grauen Baldachin schoben.
was den Nukleus in diesem Moment Nur im Zentrum von alldem – war
bewegte, konnte er ihr nicht glauben. nichts!
Finsternis über Terra 21

Es war, als sei am Firmament eine Das Finster kroch in sich zusam­
neue, kleine Sonne aufgegangen – je­ men, wuchs aus dem Himmel, der
doch keine, die Licht schenkte, son­ sich zurückwölbte in das Firmament,
dern die es nahm. Keine, die Wärme das er gewesen war seit Anbeginn der
spendete, sondern etwas, das sie stahl Zeit, als die Wasser von der Oberflä­
und fortsaugte. Es war nicht kalt auf che der Welt emporstiegen und eine
der Insel, sondern schlimmer. Die Hülle aus Luft und Nebel bildeten.
Welt und alles lebendige Begreifen in Es war wie ein rückwärts laufender
ihr wurden entleert, weggesogen, Film.
ausgepumpt. Marc hatte ein Gefühl, Der Himmel blähte sich zu dem zu­
als würde er in das Vakuum des Welt­ rück, was er sein sollte.
alls geworfen, von innen heraus nach
außen platzen – alles, was ihn aus­ *
machte.
»Was sagt der Nukleus, Fawn? Bist »Und nun?« Tenpole Opera war
du bei ihm?« ratlos. »Was tun wir denn jetzt?«
»Er ... Oh, Marc, erspar es mir!« Er verstand es nicht. Er starrte auf
Er drehte den Kopf, riss den Blick die Uhr in seiner Hand, die er eben
los von dem unsichtbaren Etwas über noch geortet hatte. Als sein Multi­
ihnen, das an einem Himmel schwär­ funktionsarmband auf das Signal an­
te, der kein solcher mehr war, und sah gesprochen hatte, war er zunächst
kein Blut mehr im herb-schönen Ge­ erleichtert gewesen. Das Signal kam
sicht seiner Partnerin. Es war wie aus Arnies Zimmer, also war er da
eingefroren, paralysiert in namenlo­ und nicht fort ... konnte ja gar nicht
sem Entsetzen. geflüchtet sein, denn die Türen waren
Er legte den Arm um sie, zog sie an elektronisch gesichert.
sich, baute eine Bastion für allein sie Und dann ... der schlimme Moment,
beide, eine Trutzburg gegen das Un­ als sie in den Raum stürmten und ihn
geheuerliche, das über ihnen prangte leer vorfanden – Arnies Bett aufge­
und in seiner schwarzen Majestät lo­ schlagen und die Uhr unter dem zer­
derte wie ein dunkler Gott ... wühlten Kopfkissen.
Das sie ganz genau sah, sie beob­ »Das kann nicht sein«, stammelte
achtete, durchleuchtete und analy­ Anulyn. »Das ... ist doch nicht wahr
sierte. Das sie gefunden hatte und – oder? Arnie ist ...«
in diesem Moment »Ein Idiot!« Corsair drosch mit sei­
kleiner nen Fäusten gegen die Wand, an der
wurde, er stand. »Ein gottverdammter Idiot!
geringer, Will er uns Angst machen oder was?
blasser, Will er uns jetzt total verrückt ma­
schwächer. chen?«
»Es zieht ab, Fawn«, krächzte Lon­ »Er ist in Gefahr, ich sehe es ...«
don. »Hör auf, Anulyn!«, explodierte
»Nein.« Sie sah ihn nicht an. Sie der Sternenkämpfer. »Ich kann dei­
hob nicht einmal den Kopf, der an nen Scheiß nicht mehr hören, das
seine Schulter gelehnt war. »Nein, es ganze kranke Zeug. Eine Seherin bist
wird zurückkommen.« du? Du kannst sehen, was passiert?«
22 HORST HOFFMANN

»Nicht immer«, erwiderte sie. »Aber Schultern hingen seltsam schlaff her­
manchmal ... gibt es Kanäle ... Ich ab, der Gang war langsam.
müsste die Karten fragen ...« »Was tun wir jetzt, Tenpole?«, frag­
»Mann, du hast sie doch nicht alle! te Anulyn. Sie schien sich gefangen
Kommst mit dem eigenen Leben nicht zu haben. »Wir müssen etwas unter­
zurecht und willst uns sagen, was ab­ nehmen. Arnie ist irgendwo ... da
geht? Ich fasse es nicht! Meine eigene draußen. Bei Katastrophenalarm!
Schwester – eine Durchgeknallte!« Draußen in der Stadt, wo auch das
»Sei still!«, flüsterte Tenpole. »Seid Ding ist ...«
bitte endlich still, alle beide ...« »Der Dunkle Ermittler befindet
Seine Knie wurden weich. Er ließ sich über den Galapagos-Inseln«, wi­
sich auf die Bettkante sinken und dersprach Tenpole halb geistesabwe­
wünschte, dass alles vorbei wäre. send. »Ihr solltet wirklich die Be­
Dieses ganze Leben, der ewige Streit, richterstattung verfolgen ...«
die ständig neuen Enttäuschungen ... »Das ist mir egal, Vater!«, schrie
er hielt es nicht mehr aus. Es war viel sie. »Das Ding ist überall! Keiner ist
zu viel für einen einzelnen Men­ mehr sicher vor ihm, an keinem Ort
schen. auf der Erde!«
Jeria hatte ihn verlassen, und er »Du hattest recht.« Corsair war zu­
war schuld daran, es geschah ihm rück.
recht. Seine drei Kinder waren seit­ Tenpole nickte. Er versuchte, einen
dem alles, was er hatte und wofür er klaren Gedanken zu fassen, aber alles
lebte. Beruf, Freunde ... das alles war drehte sich. Arnie ... der süße kleine
vergänglich. Arnie, als Jeria ihn im Arm hielt. Sein
Seine Familie war ein Trümmer­ Lachen, seine Ausgelassenheit. Seine
haufen, obwohl er sie hatte heil hal­ hellen Locken, als er ein Jahr alt war,
ten wollen. seine Fältchen unter den großen blau­
Er hatte versagt! en Augen ...
Er hob den Kopf, wischte sich die Die Art und Weise, wie er »Blobb«
Augen trocken und sah auf die Bild­ sagte, als er zu sprechen anfing ...
schirme in Arnies Spielecke, die vie­ »Wir müssen was tun!«, sagte Cor­
len Konsolen und Discs. Die meisten sair, die Stimme wieder fest. »Wir
der Spiele kannte er gar nicht, wohl werden ihn suchen. Wir gehen hin­
aber das, was immer noch auf den aus.«
Monitoren flimmerte. »Seine Freunde«, schlug Anulyn
»Ich war so dumm«, flüsterte er. vor. »Sollten wir nicht zuerst mal ver­
Anulyn setzte sich neben ihn und suchen, ob er bei einem von ihnen ist?
nahm seine rechte Hand. »Wir ... Ich Ich weiß, wo Arnie ihre Adressen ab­
hätte es doch wissen müssen. Einem gespeichert hat ...«
Jungen, der mit Vorliebe Kodes ge­ »Das kannst du vergessen!« Corsair
sperrter Inhalte knackt, kann man schüttelte den Kopf. »Arnie legt seine
mit einer elektronischen Türsperre Adressen nirgendwo ab.« Er zog eine
nicht imponieren.« Grimasse. »Aber du kannst ja sicher
»Ich überprüfe das«, sagte Corsair. sehen, wo er sich rumtreibt.«
Tenpole sah ihm hinterher, als er »Schluss!«, befahl Tenpole. »Er
das Zimmer verließ. Die breiten kann nur bei einem seiner Freunde
Finsternis über Terra 23

sein. Oder in diesen Spielräumen die man vielleicht später auswerten


oder Discos. Er braucht diese virtuel­ konnte.
len Abenteuer ...« Dies war genau die Situation, die
»Ich glaube nicht, dass er einen die Kritiker von Dantons Plan be­
Plan hatte«, widersprach Corsair. fürchtet hatten. Der Ermittler, einmal
»Arnie kann nicht eingesperrt sein, im Solsystem, reagierte auf keinerlei
nie und nirgendwo. Auch das hättest Anrufe. Sie hatten versucht, ihm
du wissen sollen, Vater!« Schiffe in den Weg zu legen und da­
Es war herausgeschrien gewesen. durch aufzuhalten – umsonst.
Wieder stand der junge Rebell wie Das Finster, wie es sich immer mehr
zum Kampf vor ihm. Der Sternen­ in dem Sprachgebrauch einbürgerte,
krieger. Der schwarze Rächer. Tenpo­ ließ nicht nur viele das »Trojanische
le sah seine Faust schon kommen. Pferd« zum Vergleich bemühen, es
Dann aber setzte sich sein ältester schien auch an »die Geister, die ich
Sohn zu ihm, nahm seine andere rief« erinnern zu wollen.
Hand, und Corsair sagte mit erzwun­ Sein Kurs war nicht etwa geradli­
gener Ruhe: »Das hätten wir wissen nig. Der Flug erfolgte in wilden
müssen, Tenpole. Es ist nicht mehr zu Sprüngen, die durch keine Logik der
ändern. Kommt, wir müssen ihn su­ Welt vorausberechenbar waren, nicht
chen.« einmal mit den Mitteln der modernen
Chaostheorie.
* Die einzelnen Sprünge, der kürzes­
te über zweihundert, der längste über
Leider gab es keine Steigerung für 3000 Kilometer, erfolgten in unregel­
einen Vollalarm an jedem Ort der Er­ mäßigen Zeitabständen und besaßen
de, sonst würde er jetzt pausenlos unterschiedliche Kursvektoren. Nur
heulen. im Groben ließ sich eine generelle
G’schogun, der ins Solsystem ge­ Richtung bestimmen.
kommene Dunkle Ermittler, befand Europa ...
sich mit seinem Quell-Klipper nicht Und dann ...
länger auf der Isla Bartolomé. Nach G’schogun zog über das Land hin­
nur vier Minuten, die er dort verweil­ weg, das einmal ein eigener Konti­
te, hatte er sich erneut in Bewegung nent gewesen war, den seine Bewoh­
gesetzt und den Archipel weit hinter ner als die »Wiege der Kultur«
sich gelassen. bezeichnet hatten. Er zuckte in wil­
Homer G. Adams, der einzige Un­ den Sätzen über Portugal hinweg,
sterbliche vor Ort, konnte nichts tun den Distrikt Frankreich, das ehema­
als tatenlos zusehen, wie der Dunkle lige Deutschland ...
Ermittler sich über den Ozean zu­ Sie wussten es. Es war nicht mehr
nächst dem europäischen Festland zu leugnen und eigentlich vollkom­
näherte. men logisch. Wieso zögerten sie den­
»Das Ding fliegt keine fünf Meter noch damit, die Tatsache anzuerken­
mehr ohne Detailbeobachtung«, ord­ nen?
nete er an. »Und wenn wir tausend Vier Minuten nur war der Dunkle
Mikrokameras einsetzen, das muss Ermittler über Galapagos geblieben.
sein.« Er wollte Details aufnehmen, Fawn Suzuke hatte inzwischen einen
24 HORST HOFFMANN

Bericht geben können, in welchem sie den in panischer Angst aus ihren
es verneinte, dass G’schoguns Verhal­ Häusern laufenden Menschen. Die
ten als aggressiver Akt zu benennen meisten blieben zwar wie befohlen in
wäre. ihrer Wohnung, viele aber zogen die
Der Dunkle Ermittler G’schogun Konfrontation mit dem »Bösen« der
hatte keinen Verrat an den Terranern Ungewissheit des Eingesperrtseins
vor, die ihn mehr oder weniger ver­ vor. Sie wollten mit ihren eigenen Au­
trauensvoll in ihr System eingelassen gen sehen, was da auf die Erde her­
hatten. Er war da gewesen, um den abgekommen war.
Nukleus zu kontaktieren, hatte es Menschen schrien, Menschen rann­
auch fast getan – bis er »zurückzuck­ ten kopflos davon, Menschen klam­
te« und sich wieder entfernte. merten sich aneinander und suchten
Der Nukleus konnte nicht mit Si­ Halt ... eine Stütze, wo keine Stütze
cherheit sagen, was da in diesem kur­ mehr sein konnte.
zen Moment zwischen ihnen gewesen Denn das Schwarze am Himmel,
war. Der Dunkle Ermittler hatte, das vielleicht nur für Sekunden über
wenn die Monochrom-Mutanten ihnen drohte, war wie ein Gift in al­
recht behielten, eine Verbindung ge­ lem, was war und sein sollte. Es
wollt. Warum sie nicht zustande ge­ lähmte die Zeit und den Raum, ließ
kommen war, das konnte er nur ver­ alles erstarren und sog das Leben und
muten. die Seele aus der Erde heraus.
Fawn Suzuke übermittelte die Mei­ Der Dunkle Ermittler zog weiter:
nung, dass G’schogun »neugierig« ge­ Sibirien, die Mongolei ...
wesen oder geworden sei. Vielleicht »G’schoguns Ziel ist Terrania, die
auch nur unsicher. Auf jeden Fall Hauptstadt der Erde und der Mensch­
sprach der Nukleus von einer »Ent­ heit«, sagte Homer G. Adams in die
deckungsreise«, die das Quant der Kameras der Welt. Kein Sender ließ
Finsternis vor dem definitiven Kon­ sich diese Attraktion entgehen. Wer
takt unternehmen wolle. seine Wohnung nicht verlassen woll­
Eine präzisere Auskunft war den te, klebte vor seinen Holos und ver­
Monochrom-Mutanten nicht zu ent­ folgte atemlos den Weg des Etwas
locken. Die Isla Bartolomé blieb in mit, das sich in ihre Welt gefressen
Alarmbereitschaft, aber das galt für hatte. »Der Dunkle Ermittler ist auf
die gesamte Erde. dem Weg nach Terrania!«
Zu der Auskunft des Nukleus pass­ Es gab die Möglichkeit, dem Minis­
te allerdings, dass der Ermittler auf ter von zu Hause aus Fragen zu stel­
seinem Weg immer dort am längsten len, die er im Interview live beant­
verweilte, wo es Dinge und Zeugnisse wortete. Adams nahm sich die Zeit,
gab, die mit der Kultur oder Ge­ sie zu beantworten, wenn er konnte.
schichte der Menschheit verbunden Nicht jeder kam zu ihm durch, höchs­
waren. tens jeder Tausendste schaffte es per
G’schogun fegte in Sätzen durch Zufallsgenerator. Doch die am meis­
die Atmosphäre Terras. Wo er auf­ ten gestellte Frage war die, warum
tauchte, brach blankes Entsetzen aus. die Militärs den Ermittler nicht auf­
Osteuropa, Russland, der Ural ... hielten, bevor er dort in die Welt
Der Himmel veränderte sich über sprang, wo sich so viele sicherheits­
Finsternis über Terra 25

relevante Ziele befanden, so etwa die Es gab keine Turbulenzen nach


Raumhäfen, die Solare Residenz oder herkömmlicher Art.
die Waringer-Akademie. Es war anders, es war schlimmer.
Adams antwortete, dass viele hohe
Offiziere ihn mit ähnlichen Forde­
rungen berannten, seitdem G’schogun 4.
ins Solsystem gekommen war. Wenn Wenn dich das Dunkel holt ...
es je eine Chance gegeben hatte, an­
gesichts der erwiesenen Immunität Die Straßen waren wie leer gefegt.
des Ermittlers gegen jede Waffe der Tenpole Opera hatte ein Gefühl, als
Terraner, war sie spätestens da ver­ wate er durch zähe, düstere Luft. Der
tan, wo G’schogun die Städte der Er­ Himmel über Terrania war schwarz,
de erreicht hatte und, eine nach der kein einziger Stern war zu sehen.
anderen, abklapperte wie ein kosmi­ Nicht einmal die Kunstsonnen der
scher Tourist auf Informationssu­ Laternen-Matrix schimmerten durch
che. den nebligen Dunst, der wie ein ver­
Die Verantwortlichen der Mensch­ heerender Schleier über der Stadt
heit, da machte auch der über Hyper­ lag, in die Straßen und Gassen sicker­
funk beteiligte Reginald Bull keine te, die Spitzen der Türme verschluck­
Ausnahme, würden niemals ein Ge­ te. Noch keine Nacht war so dunkel
fecht in Oberflächennähe des Plane­ wie diese gewesen, dachte er. Noch
ten erlauben. kein Tag so endlos wie dieser.
»Der Dunkle Ermittler späht die Das war verrückt, er redete sich
Städte aus«, lautete die mit am häu­ selbst etwas ein.
figsten gestellte Frage. »Er tut das, Das Ding aus dem Chaos war auf
was sein Name sagt. Doch was ge­ dem Weg nach Terrania. Aber es war
schieht, wenn er uns genug ausge­ noch nicht eingetroffen. Der Himmel
kundschaftet hat und sich entschließt, verzog sich nicht, schrumpfte nicht in
Terra zu vernichten? Er kann es sich zusammen, bog sich nicht in düs­
doch?« ter dräuenden Spinnennetzen um das
Ja, das konnte er zweifellos. Etwas herum, das in ihre Welt ge­
Und ja, niemand wusste es. Kein kommen war.
Mensch und kein Rechengehirn ver­ Danton, Bull, Adams!
mochte auch nur annähernd zu er­ Sie hatten das Ding hierher geholt,
messen, was in einem Dunklen Er­ sie hatten ihnen das eingebrockt.
mittler vorging, der die Chance besaß, Dann, bitte schön, sollten auch sie das
durch einen einzigen Knopfdruck die ausbaden. Es war nicht seine Sache!
letzte Zelle des Widerstands gegen War es doch ...
die Terminale Kolonne TRAITOR in »Hattest du nicht gesagt, in den an­
der Galaxis Milchstraße zu vernich­ deren Städten laufen die Menschen
ten. auf die Straße, weil sie es in den Woh­
Um genau 23.47 Uhr, Terrania- nungen nicht aushalten?«, fragte
Standardzeit, verlor sich der nächtli­ Anulyn. Sie ging neben ihm her, wäh­
che Himmel über Terrania City in rend Corsair voraneilte, wie rast- und
einem Aufruhr aus Schwärze und ziellos – was sie im Grunde auch wa­
Fremdheit. ren.
26 HORST HOFFMANN

Wo sollten sie suchen? Die Clubs, in Kulisse nicht so bei den Kiddies,
denen sie Arnie am ehesten vermutet Blues-wars waren angesagt, Plane­
hätten, waren allesamt Fehlanzeige tenkämpfe gegen die Blues aus der
gewesen. Sie hatten sie durch, wenn galaktischen Eastside, alles in düste­
auch im Schnellverfahren. Wenn er res Lila getaucht und kreischende,
bei irgendwelchen fragwürdigen zirpende Stimmen von »Tellerköp­
Freunden war, hatten sie keine Chan­ fen«, die urplötzlich in überdimen­
ce, ihn zu finden. Aber es gab Plätze, sional großen Schreckensholos auf­
auf die sie noch hoffen konnten. tauchten und aus unglaublichen
So »erwachsen« sich Arnie mit sei­ Strahlern das Feuer eröffneten.
nen lächerlichen acht Jahren auch »Mein Gott, Daddy – wo ist mein
gab, frühreif und arrogant, war er Arnie?«
immer noch ein Kind, das gern spiel­ Tenpole nahm sie in seinen Arm
te – vor allem in den virtuellen Aben­ und ließ sie an einer Schulter hem­
teuerlandschaften. mungslos schluchzen. Sein Blick
Anulyn hatte sich einen dünnen suchte Corsair, dessen Schweigen die
Mantel übergeworfen, der sie nicht ganze Zeit über alles andere als eine
vor der Kälte schützen konnte, zumal Beruhigung gewesen war.
sie darunter nur einen kurzen Fum­ Als er ihn fand, wusste Tenpole
mel trug. Opera, dass sie am Ziel waren.
Sie fror und bibberte neben Tenpo­ Aber irgendwie hatte er das Ge­
le, rannte ins Leere wie sie alle, Cor­ fühl, dass er das, wohin der Blick sei­
sair voran. Sie hatten die Plätze und nes Ältesten ging, lieber gar nicht
Szenen abgeklappert, an denen sie sehen wollte.
Arnie vermuten konnten. Ein einzi­
ger blieb ihnen noch, ein Abenteuer­ *
platz, wo die Kids sich in virtuellen
Dschungeln anderer Planeten austo­ Es war der Horror.
ben konnten. Wenn sie ihn auch dort Er drehte den Kopf noch ein Stück
nicht fanden, wusste Tenpole nicht weiter, dorthin, wohin der Blick sei­
mehr weiter. nes Sohns sich in namenlosem Ent­
Was hatte Anulyn gefragt? Warum setzen entlud, und sah Arnie.
sie keinen Menschen auf den Straßen Noch bevor der Schock einsetzte,
sahen? schrie Anulyn, allerdings anders als
Er wusste es nicht, hatte nur das vorhin. Es war der Aufschrei einer
Gefühl, dass jetzt kein Mensch auf menschlichen Seele, die ihr Verder­
der Straße sein durfte, dass es nicht ben sah, ihren Tod ... nein, schlimmer
passte. In einer solchen Nacht durfte als das.
niemand unterwegs sein. Selbst die­ Das Mädchen, das kein Kind mehr
jenigen, deren Geschäft die Nacht und noch keine richtige Frau war,
war, ließen sich nicht blicken. versuchte sich loszureißen. Dass Ten­
»Wo ist Arnie?« Anulyn schrie es pole sie zurückhielt, war eine auto­
plötzlich, als sie dann auch den letz­ matische Reaktion und nicht vom
ten Adventurepark auf ihrer Liste wachen Bewusstsein gesteuert.
erreicht und leer vorgefunden hatten. Denn das war von einem Moment
Vielleicht »zog« auch die momentane auf den anderen wie vereist.
Finsternis über Terra 27

Corsair hatte es als Erster gesehen. lassen wurde, als sich der schützende
Es war im Rücken der beiden ande­ Filter des Schocks allmählich wieder
ren gewesen. Sie hätten es spüren auflöste.
müssen, fühlen, ahnen. Es war mehr »Das Ding!«, hörte er von Corsair.
als ein Anblick. Es war ... da ...! Er sah ihn nicht. Wo war er? Er sah
Arnie stand keine zwanzig Meter gar nichts mehr außer Arnie und
von ihnen entfernt, in einer aus ho­ dem ...
hen Büschen gebildeten Gasse am »Es holt unseren Arnie!«
Rand der Lichtung, deren Mittel­ Arnie sah sie nicht, hörte sie wahr­
punkt der virtuelle Spielplatz bilde­ scheinlich nicht einmal. Nicht Cor­
te. Sie wurde von schlanken, hohen sairs Flüche, nicht die Schreie seiner
Gebäuden gesäumt, deren Spitzen Schwester, nicht Tenpoles ersticktes
ebenfalls vom Nebel der Nacht ge­ Röcheln ...
schluckt wurden. Die unteren Etagen Er stand mit dem Rücken zu ihnen
waren von den knalligen Farben der und mit dem Gesicht zu dem Finster,
Adventureholos gespenstisch illumi­ das in wesenloser Unaussprechbar­
niert. keit nur wenige Meter hinter ihm
Sie schienen den Platz und die Bü­ wallte, mitten zwischen den Bü­
sche wie eine aus sich selbst heraus schen.
schimmernde Haut zu umgeben. Das Falsch!
war wohl gewollt und gehörte dazu, Es war die Büsche, es gab keine
um eine möglichst schaurige Atmo­ Grenzen und keine Kontur. Es gab
sphäre zu schaffen. nur ... diesen grässlichen Fleck in der
Was sich an normalen Tagen auf Welt, der da war und sie anstarrte wie
dem Abenteuerplatz tat, war kaum mit einem riesigen, imaginären Au­
zu vergleichen mit den primitiven ge.
Geisterbahnen früherer Zeiten. Was Vor allem Arnie, der jetzt lang­
die Kids erlebten, war Horror total. sam den nächsten Schritt darauf zu­
Sie ließen sich das Gehirn aus dem ging ...
Leib gruseln und hatten ihren Kick Corsair hatte recht, das Dunkel
dabei. Mehr als ein Fall war bekannt, wollte sich Arnie holen, es lockte ihn,
in dem Kinder und Jugendliche hin­ lockte sie alle.
terher in der Psychiatrie gelandet »Aber ... sie haben gesagt, es sei an
waren. die zweihundert Meter groß«, hörte er
Besorgte Eltern und Bürger hatten sich stammeln. »Das ist falsch. Es ist
bereits eine Bürgerinitiative gegen viel kleiner, höchstens fünf Meter.
solche Verführungen ihrer Kinder ge­ Oder ...«
gründet und auch demonstriert – bis­ »Hör auf!«, brüllte Corsair ganz
her erfolglos. Auch in diesen aufge­ nah. »Hör endlich auf zu labern und
klärten Zeiten gab es noch mächtige mach etwas! Das Ding ist da! Es will
Lobbys. uns unseren Arnie rauben! Das lasse
Doch das Grauen, das auf Plätzen ich nicht zu!«
wie diesem für teure Galax erlebt »Bleib hier!« Tenpole konnte nicht
werden konnte, war absolut nichts sehen, was sein Ältester tat, denn das
gegen das, was erst langsam in Ten­ Finster gab ihn nicht frei. Sein Blick
poles schreiendes Bewusstsein einge­ war wie mit eisernen Ketten gefes­
28 HORST HOFFMANN

selt, die Augen gehorchten ihm nicht musste Arnie da fortholen! Das Kind
mehr. Und Arnie machten den nächs­ war nicht bei sich und sah nicht die
ten Schritt. Nur noch wenige Meter Gefahr. Es war hypnotisiert, gefan­
trennten ihn von dem Loch in der gen, wehrlos ...
Welt, das alles in seiner Nähe gierig Er fiel, wurde aufgefangen. Anulyn
in sich hineinsog wie ein zur Erde ge­ half ihm, sich aufzurichten. Aus den
kommenes Schwarzes Loch. Augenwinkeln sah er neben sich auf
»Bleib, Corsair, du hast keine Chan­ einmal eine kleine Posi-Kamera
ce!« schweben. Was soll denn das?, dachte
»Es ist Krieg!«, gellte es über den er und verdrängte den Eindruck so­
Platz. »Wenn ihr wollt, versteckt euch fort wieder. Es gab Wichtigeres als
ruhig weiter! Ich kämpfe! Ich hol un­ irgendwelche Medien.
seren Arnie zurück!« Sie hätten längst bei dem Ding sein
»Tenpole!« Anulyns Stimme, ent­ müssen. Aber dem war nicht so. Sie
setzt und schrill. Er fühlte, wie eine alle drei waren keinen einzigen Meter
Hand auf seine Wange klatschte, noch weit gekommen. Sie würden den
einmal und wieder. »Vater, wach auf! Dunklen Ermittler niemals erreichen,
Es holt Arnie!« er bog den Raum wie einen Schutz­
Tenpole Opera schrak hoch aus der schild um sich herum.
Starre, die seinen Körper und Geist Sie hatten keine Chance, an ihn
gefangen gehalten hatte; sah das heranzukommen und Arnie zu retten.
schreckerfüllte, tränenüberströmte Sie konnten ihn sich nicht wiederho­
Gesicht seiner Tochter vor sich, die len.
Augen wie mit blutigen Striemen ge­ Dafür holte das Schwarz auch sie.
rändert und gerötet; sah seinen ältes­
ten Sohn, wie er auf das wabernde *
Schwarz zurannte, auf Arnie, wie um
ihn sich zu schnappen und fortzurei­ Inzwischen war Reginald Bull ins
ßen von dem, was ihn sich holte. Solsystem zurückgekehrt und über­
Arnie, ganz kurz vor dem Nichts, nahm umgehend als Liga-Minister
dem wabernden, sich plötzlich blä­ für Verteidigung das Oberkommando
henden Tod. über die über der Erde stationierten
»Nein!« Streitkräfte.
Er wollte es nicht. Es war Wahn­ Die Raumschiffe der LFT flogen
sinn, denn gegen einen Dunklen Er­ zwar über ganz Terra verteilt im Or­
mittler hatten sie keine Chance. Wenn bit oder schwebten in Warteposition
Raumschiffe schon nichts gegen ihn in der Atmosphäre. Und insbesonde­
ausrichten konnten, was sollten denn re im Großraum Terrania mit seinen
erst sie tun? Mit bloßen Fäusten auf diversen Raumhäfen waren Tausende
etwas losgehen, was wie ein finsterer Schiffe in Minutenschnelle verfügbar
Nebel die Welt erstickte, in die es ge­ – dennoch sorgte Bull dafür, dass nur
kommen war? die stärksten Einheiten der Flotte
»Neiiiiin ...!« sich an der Verfolgung des Dunklen
Er riss Anulyn mit sich, hetzte, Ermittlers beteiligten.
stolperte, kam wieder hoch, rannte Das Problem war, dass vor allem
auf das Finster zu. Schrie, keuchte, er die Ultraschlachtschiffe und LFT­
30 HORST HOFFMANN

BOXEN durch ihre gewaltige Größe jeher war: ermitteln. Er sammelte In­
und die damit verbundenen Verwüs­ formationen über die Erde – aber das
tungen, die ein rücksichtsloser Tem­ ausgerechnet in Atlan Village?
poflug durch die Atmosphäre auf der Auf einem Abenteuerspielplatz?
Erde anrichten würde, stark gehan­ Reginald Bull wusste nicht, was
dicapt waren. G’schogun genau tat. Er und seine
In einem »Ernstfall«, machte der Umgebung waren ein blinder Fleck.
Minister denjenigen klar, die gerne Niemand erkannte, was darin vor­
am liebsten Terrania City und Atlan ging und was der Dunkle Ermittler
Village mit einem waffenstarrenden tat. Kein Mensch und keine Compu­
Kordon aus brachialer Flottenprä­ ter konnten es sagen.
senz umgeben würden, würde er Die Schiffe der Flotte standen über
immer zugunsten der Sicher- und Atlan Village in Position – eine Geste,
Unversehrtheit des Planeten ent­ mehr aber nicht. Wenn G’schogun
scheiden. Verrat plante, würden sie nichts da­
Außerdem, und auch das sahen gegen tun können.
noch immer nicht alle ein, war dem, Eine Viertelstunde nachdem es nie­
was da auf die Erde gekommen war, dergegangen war, begann das Objekt
mit Waffengewalt ohnehin nicht bei­ langsam wieder zu steigen, anschei­
zukommen. nend ohne irgendwelchen Schaden
In der Solaren Residenz regierte angerichtet zu haben. Das Village
das Prinzip Hoffnung. Sie hatten sich und die Lichtung, auf der es »gestan­
auf das Spiel mit dem Feuer eingelas­ den« hatte, schienen unversehrt zu
sen und mussten es durchziehen. sein.
Vielleicht geriet ihnen die Lage außer Der Dunkle Ermittler gewann an
Kontrolle, möglicherweise war alles Höhe, wurde schneller – und schwenk­
schon gegen sie entschieden gewesen, te in zweitausend Metern Höhe Rich­
ehe G’schogun überhaupt das Sol­ tung Norden, machte den ersten Satz
system betreten hatte. und ...
Es war durchaus im Bereich des ... wurde bereits über dem Nordpo­
Vorstellbaren, dass sie sich von Grund larmeer wiedergefunden, wo er Rich­
auf verkalkuliert hatten. Sie kannten tung Mittelamerika driftete. Sofort
den Dunklen Ermittler nicht. schwirrten wieder Mikrokameras um
Wenn er und einige andere wirklich ihn herum. Der nächste Sprung ...
gegen TRAITOR rebellierten, musste Sie funkten, mehr konnten sie nicht
das nicht bedeuten, dass sie automa­ tun. Es war das Einzige, was viel­
tisch auf ihrer Seite standen. Ihr Le­ leicht irgendwann einmal einen Er­
bensmedium waren die Finsternis folg versprach. Sie hörten nicht auf,
und das Chaos. Mussten sie da nicht auch nicht, als sie feststellten, dass
alles daransetzen, dass es sich auch ihr Besucher erneut Kurs Richtung
an diesem Ort ausbreitete? Galapagos genommen hatte. Erneut
Sie konnten nichts tun. Sie funkten schwärmten Mikrokameras um ihn.
weiter, auch wenn G’schogun nicht Es schien, als unternehme er einen
antwortete. Der Nukleus hatte ge­ zweiten Versuch, Isla Bartolomé und
sagt, dass der Ermittler wahrschein­ den Nukleus zu erreichen.
lich das tat, was seine Aufgabe von Und dann, folgerte man weiter,
Finsternis über Terra 31

hatte er wohl inzwischen gefunden, nia City, Atlan Village, seine Nach­
wonach er gesucht hatte. Etwas, das barn, die Arbeit, die Wohnung und
ihm gefehlt hatte, bevor er mit der Familie – das alles war fort, erloschen
Kugel aus Energie und Bewusstsei­ und ferner als das andere Ende des
nen den Kontakt aufnahm. Universums. Es war irgendwann ein­
mal, gestern und vorbei: unerreich­
* bar für ihn.
Etwas war falsch! Er konnte es
Benommenheit war überhaupt kein nicht fassen, obwohl es ihn zerriss. Es
Ausdruck für das, was Tenpole Opera brachte ihn um!
fühlte. Das heißt, zuerst fühlte er gar Er kämpfte, folgte seinem Schrei,
nichts. und plötzlich mischten sich, wie ein
Irgendwo ganz weit hinten in sei­ neues Echo, andere hinein.
nem Bewusstsein war, wie ein schwa­ Es waren Stimmen, verzerrt und
cher Schatten, die Erinnerung an et­ schrill. Aber er kannte sie. Es waren
was, das ihn erfasst und gezogen Stimmen, die ihm einmal sehr nahe
hatte, heraus aus der Welt, in der er gewesen waren:
zu Hause war, und hinein in ein Sein, Stimmen.
das sich zwischen den wütenden Menschen.
Ufern der Unwirklichkeiten gegen Gesichter.
den Mahlstrom stemmen musste, der »Arnie!«
es wirbelte und zu zermalmen droh­ War er das? Er raste auf eines der
te. Ufer zu, tauchte in die Brandung, sah
Es war der eigene, unendlich lang die Küste auf sich zukommen. Felsen,
gezogene Schrei, der wie ein grelles steile Klippen, zwischen denen das
Leuchtfeuer aus Grauen und Wahn­ dräute, was plötzlich alles erfüllte.
sinn in der tobenden Brandung wi­ Schwärze, seelenlose Finsternis. Und
derhallte, deren Rauschen klang wie sie holte ihn, zoomte ihn gierig zu
die Fanfaren des Jüngsten Gerichts. sich heran.
Der Strom riss ihn mit, er konnte sich »Corsair!«
nicht dagegen wehren. Der eigene Die Stimme stockte. Tenpole war,
Schrei war sein Anker und seine Lei­ als sähe er das Gesicht seines Ältes­
ne. Er sagte ihm, dass es noch etwas ten zwischen den Klippen zerschel­
gab, an das er sich klammern konnte. len. Es zersprang in tausend und
Etwas, eine Boje in den Gezeiten der mehr Scherben – und er sah es ...
Düsternis und des Chaos. Tenpole sah es von seinem Platz
Etwas war falsch! Das alles hier hinter den Felsen aus, wo er stand
war nicht wirklich, konnte es nicht und nach einem Halt suchte. Arnie
sein! Aber etwas war in dieser Irre saß neben ihm, und da waren auch
ganz besonders falsch! Corsair ... und Anulyn ...
Etwas riss ihn, der Mahlstrom al­ Es war falsch! Es ging nicht! Er
lein konnte es nicht sein. Es holte ihn starb – aber wie auf einer anderen
sich, ein gewaltiger Atem, ein dumpf Ebene. Er bekam keine Luft mehr, er
schlagendes Herz. konnte nicht atmen. Und wenn es
Es war das Herz dieser gesamten doch geschah, atmete er die schreck­
Welt, die ihn sich geholt hatte. Terra­ liche Leere ein, das Vakuum, das ...
32 HORST HOFFMANN

»Was. Macht. Ihr. Hier?«, tropfte es seiner Kinder förmlich von den Wän­
stockend aus ihm heraus. Die Worte den eingeatmet wurden, als hätten sie
waren wie schwarzer Nebel, der von lange danach gedürstet. Vielleicht
seinen Lippen trieb. »Wie. Kommt. war es Nahrung für sie ... und das Un­
Ihr ... kommen. Wir. Hierher? Wo ... geheuer, zu dem sie gehörten. »Ich
sind wir denn?« kann es nicht mehr hören! Ihr ...«
Die Nebel wurden zu Wolken, die Schluss! Alles war leer, stürzte ein,
in die tiefe Decke trieben und darin verschlang sich in nichts.
verschwanden, als würden sie aufge­ Das war es! Das Gefühl, dem er
sogen. Die Decke schien zu leben, von sich nicht hatte stellen können. Das
dicken und dünnen grauen Adern Wissen darum, dass er keine Luft be­
durchzogen zu sein, in denen es pul­ kam und doch atmete. Aber er atme­
sierte und floss. te etwas ein, was nicht sein durfte. Es
Es war nicht bloß die Decke. Sie war leer, und es war finster. Er riss
setzte sich übergangslos in die Wände die Luft in sich hinein, die nicht für
fort, die den Raum umgaben, ebenso Geschöpfe wie ihn und seine Kinder
den Boden ... alles war eins. Der Bo­ bestimmt war. Sie alle hatten es
den, die Decke, die Wände, alles längst schon in sich – den Atem der
pochte und lebte. Dunkelheit, das Finster selbst und
»Es hat uns geholt, Tenpole«, sagte seine Seele ...
Corsair. »Weißt du es nicht mehr? Bist »Dann hau ab zu deinem Leon!«
du jetzt schon so verkalkt, dass du Corsair schien ihn nicht zu hören.
gar nichts mehr mitbekommst? Das Er und Anulyn standen sich wie zwei
Ding hat uns geholt, das Finster, der wütende Kampfhähne gegenüber.
Dunkle Ermittler!« »Hau ab, verschwinde! Leon ist ein
»Hör auf!«, rief Anulyn. »Du weckst Feigling wie ihr alle! Aber ich ... ich
es auf. Es schläft, und ...« werde kämpfen! Ich gebe mich dem
»Es schläft?«, schrie ihr Bruder. Bösen nicht geschlagen! Ich kämpfe,
»Das glaubst du? Schwester, es ist und irgendwann werden wir sie­
hellwach und sieht uns zu, wie wir gen!«
verrückt werden und jammern. Viel­ Vor Tenpoles Augen flackerte das
leicht um unser Leben. Es ist das Bö­ Dunkel, brach sich in unwirklichen
se an sich, der Feind!« Prismen. Er röchelte und griff sich an
»Bitte!«, flehte sie. »Ich ertrage das die Brust, die sich vor Schmerzen
nicht mehr, wann habe ich denn end­ krampfte. Anulyn fiel ihm über die
lich mal Frieden?« Schulter und brach bei ihm zusam­
»Geh zu deinem Typ, dann hast du men, ohne dass er sie auffangen konn­
Frieden!« te. Er japste, schrie nach Luft, explo­
»Ja!«, stieß sie hervor. »Das stimmt! dierte in eine Welt aus Düster und
Leon gibt mir das, was ich bei mei­ Leere ...
ner Familie schon lange nicht mehr »Bleib!« Das war Arnies Stimme,
finde! Er gibt mir Frieden und Liebe. unendlich weit weg. Sie flackerte wie
Verständnis! Nähe! Was ich tue, ist ein erlöschendes, allerletztes Licht.
nur ...« Tenpole drehte unter unsäglichen
»Schluss!«, rief Tenpole. Er glaubte Schmerzen den Kopf und sah ihn mit
zu sehen, wie die Schreie und die Wut flehend ausgestreckten Armen, als
Finsternis über Terra 33

wollte er nach seinem älteren Bruder Wände, die Decke und der Boden
greifen. Er hustete und übergab bestanden aus Schwärze, durchzo­
sich. gen von pulsierenden grauen Adern.
»Bitte bleib! Ich ... Wir brauchen Zudem glaubte er das Schlagen
dich ...« eines großen Herzens zu hören,
Aber da war er schon weg. pochend und seufzend wie eine ge­
Tenpole sah seinen Ältesten nicht peinigte Seele in billigen Spukrei­
mehr. Anulyn stemmte sich hoch. Sie ßern.
und Arnie folgten ihm, zwei zähe »Du hörst es auch, Tenpole?« Anu­
Schatten im Morast aus Finsternis, lyns Stimme. Sie kam von hinten.
taumelten ihm röchelnd nach bis zu Tenpole Opera stand mitten in dem
der Wand, die jetzt so stark pulsierte, Raum, dessen Abmessungen er nicht
als wäre sie noch dabei, das Opfer zu schätzen konnte, weil ihm schlicht
verdauen, das sie sich eben geholt die Maßstäbe zur Beurteilung fehl­
hatte. ten.
Und es sah sie an. Tenpole wusste es Er drehte sich zu Anulyn um. Sie
einfach. Er spürte seine Nähe, den un­ sah ihn mit flackerndem Blick an.
beschreiblichen Druck. Das Dasein »Du musst es hören, denn du zuckst
von etwas, das man nicht sah, aber bei jedem Schlag zusammen.«
fühlte. Manchmal hatte er solche Er war sich dessen nicht bewusst.
Träume gehabt und war schweißgeba­ Warum sollte er zusammenfahren?
det aufgewacht. Jetzt war es real ... Wahrscheinlich bildeten sie sich alles
»Wo ist er hin?« Anulyn war her­ nur ein.
umgewirbelt, hustete, wankte, fiel, Das alles war nicht mehr als eine
schnellte sich im Sturz auf Tenpole kollektive Halluzination.
zu und rüttelte ihn an den Armen. Was war mit den Schmerzen in sei­
Ihre Schreie echoten grausam im ner Brust? Waren sie überhaupt da
dunklen Nichts, wurden vom Puls der gewesen?
Wände und Decke verstärkt und »Ob das ... das Ding ist?« Arnie
schauderlich zurückgeworfen. Hör tauchte aus den Schatten auf, die
auf! Alles drehte sich, seine Lungen eben noch nicht da gewesen waren,
schrien nach Luft. Die Brust schrie dunkle Schwaden im düster glim­
vor Stichen. Er starb. Er wusste es menden Licht, das den Raum erhellte
genau. Er starb in dieser Minute, jetzt und gespenstisch Reflexe auf ihre Ge­
und hier – wo immer das war. sichter zauberte. »Der Dunkle Er­
»Sag endlich was, Tenpole!« mittler, der zu uns auf die Erde ge­
War das immer noch Anulyn? Wo­ kommen ist?«
her nahm sie den Atem? Warum »Du müsstest es am besten von uns
schwieg sie nicht endlich? »Unser wissen, Arnie«, erwiderte er. »Du hast
Bruder ist weg! Vater! Warum tust du ihn doch gefunden, am Rand des
nichts? Du ... bist doch unser Vater!« Actionplatzes.«
»Es hat mich gefunden!«, protes­
* tierte der Junge.
»Warum bist du hingegangen?«,
Das Zischen weckte ihn auf. fragte Anulyn. Ihre Stimme klang
Er erkannte die Umgebung: Die nicht so, als würde es sie wirklich in­
34 HORST HOFFMANN

teressieren. »Warum bist du nicht so­ also wusste er, was sie zum Atmen
fort abgehauen?« brauchten.
»Boah, ey!«, protestierte er. »Für Tenpole Opera schlug sich mit der
wie blöd hältst du mich? Zicke! Weil flachen Hand gegen die Stirn. War er
ich dachte, dass es ein neues Adven­ denn schon ganz krank im Kopf? Er
ture sei, eine ganz neue Action. Au­ trug ein Multifunktionsgerät am
ßerdem hat es zu mir gesprochen.« Handgelenk, das unter anderem im­
»Was sagst du?« stande war, Messwerte für Luft, Tem­
Corsair! peratur, Druck und noch einiges an­
Irgendwie stimmte das nicht. Ten­ dere anzuzeigen. Er hatte es sich
pole hatte den Hauch einer ver­ eigens gekauft, um Arnie aus seinen
schwommenen Erinnerung. Corsair Sim-Welten herauszuholen, wenn er
hätte gar nicht da sein dürfen. Er wieder einmal nicht von selbst da
war doch weg gewesen – war er herausfand, die modernen Geister­
nicht? bahnen des Holo-Zeitalters. Und
»Wie hat die Kreatur gesprochen? dann war es ratsam, seine eigenen
Was hat sie gesagt?« Messungen zu haben, bevor man in
»Keine ... Kreatur«, stammelte Ar- der suggestiven Welt der Simulatio­
nie. »Es war nicht böse ...« nen verloren ging.
»Hör auf!« Corsair platzte ins Bild Er hob das Gelenk und sprach ei­
und drohte dem kleinen Bruder mit nige Befehle. Als das Gerät reagierte,
der Faust. »Es ist das Böse! Es ist un­ wusste er, dass sie Sauerstoff atme­
ser Feind! Wenn wir erst anfangen, es ten. Ein Intervall zurück, und er sah
anzuhören, haben wir den Krieg das, was das Gerät vor zehn Minuten
schon verloren! Das Böse kommt in automatisch aufgezeichnet hatte.
tausend Masken daher! Sein Ziel ist Und da hatte von Sauerstoff in einer
aber immer dasselbe. Es will uns tö­ ausreichenden Konzentration noch
ten, auslöschen! Versklaven! Quä­ nicht die Rede sein können.
len!« Stickstoff! In diesem Raum herrsch­
Tenpole wollte nicht hinhören. Er te normalerweise eine Stickstoff­
wusste zu gut, wie es weiterging. Es atmosphäre mit einem Druck von
war wie immer. Sie waren keine Fa­ 1,2 Bar. Dann war das also die Luft,
milie mehr, sondern stritten bei jeder die die Insassen dieses ... Schiffs nor­
Gelegenheit – gerade so, als suchten malerweise atmeten.
sie nur nach einer solchen. Menschen waren sie also keine ...
»Lass ihn in Ruhe! Du bist ja ver­ Aber war es wirklich Sauerstoff,
rückt!« Das war Anulyn. nur solcher? Oder hatte man ihnen
Tenpole hatte mit dem Atem zu noch etwas anderes hineingepumpt?
kämpfen – schon wieder. Das Zischen, Etwas, das die Sinne verwirrte, das
von dem er wieder zu sich gekommen sie leiden ließ ... vielleicht willenlos
war, konnte nur bedeuten, dass man machte ...?
ihnen Atemluft in ihr Gefängnis Sie hatten jetzt zwar Atemluft, und
pumpte – frischen Sauerstoff. Hatte doch war es ihm, als sei jeder Atem­
er vorher gefehlt? Der Herr dieses zug sein letzter.
Schiffes, der Dunkle Ermittler, hatte »Es kommt vom Schiff«, murmelte
die Erde und die Menschen studiert, er, ohne dass ihn einer hörte. Er hatte
Finsternis über Terra 35

sich von den Kindern entfernt, nä­ den Nacken gelegt. Ihre Arme waren
herte sich einer der Wände und weit ausgebreitet, die Handflächen
streckte die Hände nach ihr aus – ob­ nach oben gedreht. Ihre Stimme klang
wohl sich alles in ihm dagegen sträub­ fremd, wirr, entrückt.
te. »Mama? Du bist hier, du bist bei
Ja, er hatte Angst! mir, bei deiner kleinen Tochter. Weißt
»Lass mich in Ruhe, Corsair!« du noch, als wir bei Onkel Poco im
Arnie! »Du bist verblendet und stur! Medo-Center waren, als er starb? Er
Du siehst überall nur Feinde! Du bist war böse, hast du gesagt, und er wür­
ja irre! Das sagen auch meine Freun­ de in die Hölle kommen oder ins Fe­
de im Netz!« gefeuer, damit seine Seele reingewa­
Tenpole Opera hatte Herzrasen und schen werden kann. Ich war noch so
schwitzte. Seine Hände zitterten. Das klein, und du ...«
kam nicht durch den Luftmangel, »Hör auf!« Corsair schoss auf sie zu
den es ja gar nicht mehr gab, oder den und drohte ihr mit der Faust. »Schluss
Druck! Es war auch nicht irgend­ damit, so etwas hat Mutter niemals
ein anderes naturwissenschaftliches, gesagt! Onkel Poco war nicht
messbares Manko! schlecht!«
»Es ... ist der Dunkle Ermittler«, flüs­ »Du hast gesagt, dass wir alle ins
terte er. »Es ... Er ist das Finster ...« Fegefeuer der Hölle kommen, Ma.«
Anulyn hörte und sah ihn nicht. Ihr
* Blick war glasig, die Stimme ein mo­
notones Flüstern. »Du auch. Und da
»Das Hypernet? Du schreibst da bist du jetzt. Und Gott hat uns die
doch nicht über mich, oder?« Corsairs Hölle auf Erden geschickt, weil wir
Stimme war hässlich wie immer, gesündigt haben, und ...«
wenn man ihn reizte. Arnie sollte »Anulyn!« Tenpole war bei ihr,
jetzt besser aufhören. »Du kotzt dich drehte sie zu sich um und drückte sie
im Netz über mich aus? In deinen be­ an sich. »Hör endlich auf! Deine Ma
scheuerten Foren?« hat uns gar nichts geschickt, sie ist
»Sie sagen, dass du spinnst – alle!« auch nicht in der Hölle. Sie ...«
Arnie. »Woher willst du das wissen?«,
Es war das Schiff! Der Dunkle Er­ zischte Corsair, der jetzt ihn anging,
mittler, das Finster. Es ... Er schickte an seinen Schultern rüttelte und ihn
ihnen Angst, Panik, das schreckliche stieß. »Was erlaubst du dir überhaupt,
Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein. von Mutter zu reden! Du bist doch
Wenn die Kinder zu streiten aufhör­ schuld, dass sie sterben musste!«
ten, würden sie es spüren. »Ich lauf weg!«, rief Arnie schrill.
»Mama! Wo ist Mama?« »Ich hau ab, wenn ihr weiter so
Anulyn! zankt!«
Tenpole Opera blieb wie vom Blitz »Gott hat uns die Hölle auf Erden
getroffen stehen. geschickt«, sang Anulyn mit dieser
»Mama?« fremdartig entrückten Stimme wei­
Er fuhr herum. Anulyn stand gera­ ter. »Du hast sie uns geschickt, um
de wie eine Kerze in der Mitte des uns zu retten, denn das hier ... das ist
Dunkels und hatte den Kopf weit in viel schlimmer als die Hölle. Aber die
36 HORST HOFFMANN

Hölle ... will uns nicht haben ... doch Ich suche nach einem Weg. Arnie,
du willst uns schon ...« Corsair, passt ihr auf Anulyn auf!
»Ich werde verrückt!«, schrie Arnie Hört auf zu kämpfen, helft ihr!«
schrill. »Ihr macht mich irre! Ihr seid Es war eine Flucht, das war ihm
doch alle krank!« klar. Eine von vielen in seinem Leben.
Tenpole krümmte sich unter dem Er wusste, dass er vor einer Situation
Wahnsinn, der von allen Seiten auf davonlief, an der er nicht wenig Mit­
ihn eindrang. Anulyn war eine religi­ schuld besaß. Seine Kinder tobten in
öse Fanatikerin. Corsair schien ohne seinem Rücken, aber er konnte nicht
Krieg, Streit und Gewalt nicht leben zu ihnen zurück und ihnen helfen. Sie
zu können. Arnie verzweifelte an sei­ waren ihm längst entglitten.
ner Familie ... Tenpole Opera schrie gellend, nahm
Und ... das Schiff schien ebenfalls Anlauf und stürzte sich mitten in die
zu reagieren. Es lehnte sie ab, das nächste Wand, die vor ihm war.
spürte er ganz genau. Er wusste nicht,
wie, aber es war da und in ihm. Er
wusste es einfach. Das Schiff wollte 5.
sie nicht! 21. Juni 1347 NGZ
Deshalb hatte es sie zu ersticken
versucht, bevor ... Als Reginald Bull die Fahndung
Wer hatte ihnen aber dann den ausschreiben ließ, waren die Uhren
Sauerstoff gegeben? gerade auf ein Uhr gesprungen. Mit
Nur der Dunkle Ermittler wusste, übermüdetem Gesicht blickte der
dass sie ihn brauchten. Also ... hatte Terraner auf eine dreidimensionale
er ...? Aufnahme, die vor ihm im Raum
Tenpole hatte schon manchmal das schwebte.
Gefühl gehabt, jeden Moment den »Es ist eindeutig«, sagte die Stim­
Verstand verlieren zu müssen. Jetzt mung der Positronik, die direkt mit
aber war es schlimmer denn je. Alles dem Mondgehirn NATHAN verbun­
drehte sich, alles schrie, weinte und den war. »Die Familie war genau in
kreischte. Und über allem das dump­ der Nähe, als der Botschafter über
fe Pochen eines riesigen, gewaltigen Atlan Village schwebte. Die Mikro­
Herzens, das durch Mark und Bein kamera hat Details aufgenommen,
ging und alles andere durchzog. Jede die eindeutig sind: Sie sind mit dem
Faser des Körpers, jeden Gedanken­ Dunklen Ermittler verschwunden,
fluss, jede Transmission im neuralen auch wenn wir noch nicht wissen, wie
Geflecht. das geschehen ist.«
Der Atem der Wände, der Decke, Die Nachricht vom Verschwinden
des Bodens. Der Dunst einer Dunkel­ der vierköpfigen Familie in Atlan Vil­
heit, die vor allem anderen gewesen lage gehörte zu den Aufregungen des
sein musste, was war und jemals ge­ neuen Tages, den nicht wenige Men­
schah ... schen nicht nur in der Umgebung
»Wir müssen hier raus!«, schrie er, des Ministers als »Tag zwei nach
um sich in diesem Chaos um ihn her­ G’schogun« bezeichneten.
um verständlich zu machen. »Sonst Der Dunkle Ermittler, der ins Sol­
werden wir wirklich alle verrückt! system gekommen war, wuchs in den
Finsternis über Terra 37

Augen der Menschen bereits zu einer chen lassen – es kam vor, dass Men­
mythischen Unheilsgestalt heran, die schen spurlos verschwanden.
gekommen war, um das Ende Terras Seit dem vorigen Tag schien aller­
einzuläuten. dings nicht mehr viel so zu sein wie
Bull gab seine Befehle von Bord der vorher. Die Zahl der gemeldeten
LEIF ERIKSSON II aus, die auf dem Selbstmorde oder Suizidversuche
Weg nach Galapagos war. Isla Barto­ schnellte jäh in die Höhe, die Ambu­
lomé erwartete voller Ungewissheit lanzen rund um den Globus waren im
die neuerliche Ankunft des Dunklen Dauereinsatz, überall schienen die
Ermittlers in der Hoffnung, dass es Menschen durchzudrehen oder re­
bei dem einmaligen »Ausflug« blieb agierten mit Krankheit und Anfällen
und es zu einer Kommunikation zwi­ auf die neue Situation. Als psychisch
schen dem Nukleus und dem Ge­ labil bezeichnete Männer, Frauen
schöpf des Chaos kam. und Kinder waren extrem hoch ge­
Noch war G’schogun nicht einge­ fährdet. Menschen strömten in Un­
troffen. Er war auf dem direkten Weg. mengen den Predigern zu, die von
Es hatte den Anschein, als habe er Anfang an gegen die Gefahr aus dem
gesehen, was er wollte. Chaos gewettert hatten und nun ihre
Aber er war viel zu langsam, längst große Stunde gekommen sahen.
nicht so schnell wie bisher. Am An­ Es musste keinen Zusammenhang
trieb konnte es nicht liegen, denn die geben. Seit dem Vorabend war alles
Sprünge, egal ob über lange oder eher anders. Menschen flohen vor der Si­
kürzere Distanzen hinweg, waren ta­ tuation, viele in Alkohol und Drogen,
dellos. Dazwischen allerdings ließ er andere aus ihren Häusern, ohne auf
sich Zeit – gerade so, als sei sich der die Ausgangssperre zu achten. Sie
Ermittler nicht sicher, ob er den Weg waren in Panik. Mit der Ankunft des
fortsetzen solle oder nicht. Dunklen Ermittlers auf Terra starb
Worauf wartete er? Er hatte zahl­ viel von dem, woran sie sich drei Jah­
reiche Orte der Erde gesehen und re lang geklammert hatten.
wieder Kurs auf Galapagos gesetzt – Eine Familie verschwunden ... das
also was hielt ihn noch? wäre nicht unbedingt etwas gewesen,
Fawn Suzuke stand fast ununter­ was man dem LFT-Minister für Ver­
brochen mit dem Nukleus in Kontakt teidigung hätte melden müssen.
und berichtete regelmäßig. Dass diese Familie in Atlan Village
Marc London übernahm es, ihre wie von der Bildfläche fortgewischt
Auskünfte in Worte zu packen, die war, ließ aufhorchen. Und dass dies
auch für den verständlich waren, der ausgerechnet zu der Zeit geschehen
nicht auf der Insel und in der Nähe war, in der sie den Dunklen Ermittler
des Nukleus sein konnte. Der nicht, G’schogun vorübergehend aus der
wie er es formulierte, den düsteren Beobachtung verloren hatten, ließ die
Zauber spüren konnte, der über der Alarmglocken endgültig schrillen.
Isla Bartolomé lag. Reginald Bull besaß keine Mög­
Die Meldung aus Terrania musste lichkeit, von der ERIKSSON aus
allerdings nicht unbedingt etwas mit selbst zur Klärung des Falls beizutra­
dem Dunklen Ermittler zu tun haben. gen. Was er tun konnte, war, sofort
Bull wollte sich nicht verrückt ma­ eine Minister-Vollmacht zu erteilen,
38 HORST HOFFMANN

die Familie systemweit zur Fahndung So wichtig bin ich für sie!, dachte
auszuschreiben. Tenpole. Haben sie mich überhaupt je
Zusätzlich forderte er Spezialisten gebraucht? Sie haben schließlich ge­
des Terranischen Liga-Dienstes an, nug mit sich selbst und ihrem Zank
um den Fall möglichst schnell zu klä­ zu tun!
ren. Sollte es sich erweisen, dass Er glaubte, ein Geräusch gehört zu
G’schogun eine terranische Familie haben, etwas, das nicht hierher in das
gekidnappt hatte, war dies eindeutig Schreien und das Wummern des rie­
als »feindseliger Akt« zu werten. sigen Herzens gehörte, und drehte
den Kopf in die entsprechende Rich­
* tung.
Es konnte nicht sein, er musste sich
Tenpole Opera rannte mit Schwung irren.
in die Wand. Es war nicht überlegt, Tenpole Opera schloss die Au­
sondern spontan, ein Akt der jähen gen, zählte bis fünf und sah wieder
Verzweiflung nicht nur über die Si­ hin.
tuation. Die Öffnung war immer noch da. In
Er hatte nichts erwartet, nur rotge­ der Wand zu seiner Linken war ein
sehen. Wenn mit einem Schlag alles Loch aus farblosem Licht in der Mau­
aus gewesen wäre, hätte er nicht ge­ er aus Düsternis.
klagt, denn dann wäre er frei gewe­ »Kinder!«, rief er über die Schulter.
sen, endlich erlöst von einem Leben, »Hört jetzt auf, schlagt euch später
das nur noch aus Streit, Anfeindung, die Köpfe ein.« Er staunte, aber das
Trauer und Nichtverstehen bestand. nur am Rande, über seine Fähigkeit,
Und dann wäre er endlich wieder bei selbst in dieser Lage noch witzig zu
seiner Jeria gewesen. sein. »Hier ist was. Ich glaube, ich
Aber es gab kein Krachen und kei­ weiß jetzt, wie wir von hier fliehen
nen Schlag irgendwelcher Art. Ten­ können!«
pole rauschte in die Wand aus düste­ Bevor er ausgesprochen hatte, hör­
rem Wallen hinein, mitten ins graue te er wieder das Geräusch, diesmal
Aderwerk seines unseligen Gefäng­ von rechts. Es klang wie das Schmat­
nisses, hatte das Gefühl, zu driften zen eines großen, feuchten Mauls.
und tief, immer tiefer zu fallen ... Tenpole Opera starrte fassungslos
... und stand vor der Wand und auf die zweite Öffnung, die wie aus
starrte auf seine Hände und die blu­ dem Nichts entstanden war.
tigen Finger. »Das ... hat das Ding getan«, mur­
Er war drin gewesen, mitten in der melte er tonlos. »Ich meine, der Dunk­
Wand. Die blutigen Finger bewiesen le Ermittler. Oder sein Schiff hat uns
es. Aber er stand auch wieder genau das zweite Tor aufgetan, um uns zu
einen Meter vor ihr und besaß keiner­ verwirren. Vielleicht ... will er uns
lei Erinnerung an das, was er dort helfen, aber sein Schiff nicht ... Und
gesehen oder erlebt hatte. deshalb hat es ...«
Hinter ihm stritten die Kinder wei­ Was redete er denn da? Musste er
ter. Was auch immer mit ihm gesche­ sich denn wirklich noch mehr zum
hen war, sie hatten es nicht einmal Trottel machen, als er es ohnehin
bemerkt. schon war?
Finsternis über Terra 39

Denn was er sich da zusammenzu­ »Weil ...« Tenpole bekam es nicht


reimen versuchte, würde bedeuten, raus. Was immer er hatte sagen wol­
dass der Dunkle Ermittler G’schogun len, er konnte es nicht mehr ausspre­
– ja, so hatten sie ihn genannt – und chen.
sein Vehikel im Clinch miteinander »Schau ihn dir an, Arnie!« Corsairs
lagen. Stimme überschlug sich fast. »Sieh
Wenn er jetzt ein Held wäre, hätte dir diesen Versager an! Dieses elende
Tenpole diesen Verdacht eiskalt aus­ Weichei! Glaubst du etwa, der würde
genützt und seinen Profit daraus ge­ sich jemals ändern? Das will er doch
zogen. Aber er war kein Held und gar nicht! Guck nur, wie er zittert!«
würde nie einer werden. »Corsair!« Tenpole versuchte, ge­
»Kinder? Was machen wir nun? Wir rade zu stehen und nicht so, wie er
können die Tür da links nehmen oder sich fühlte. »Kinder, wir ...«
die rechte. Und ... ich fürchte ... sie »Ach was!«, schrie Corsair. »Du
können sich jeden Moment wieder nennst mich nicht mehr dein Kind, ist
schließen, wenn wir nicht ...« Er be­ das klar? Denn ich ... ich ..«
kam keine Antwort, und sie schrien »Was denn?«, fragte Tenpole und
auch nicht mehr. »Kinder?« machte einen Schritt auf ihn zu.
»Vater!« Arnies Stimme, triefend »Was? Sag es, sag es! Lass uns reden,
vor Angst und Entsetzen. Tenpole lasst uns ...«
drehte sich unendlich langsam um. »Ich schäme mich für so einen
»Es hat sie weggeholt!«, brüllte Vater!« Corsair schüttelte die Faust
Corsair und ließ ein Geheul der Wut in seine Richtung. »Ich könnte im Bo­
folgen, während sich Arnie erbrach den versinken vor Scham! Und so et­
und am Boden krümmte. »Dieses ver­ was will unsere Mutter jemals geliebt
dammte Ding hat sie geholt! Dafür haben?«
werde ich es ...«
Was?, dachte Tenpole. Was willst *
du ausrichten gegen ein Wesen wie
dieses, das alles ist? Diese ganze, neue Das hatte gesessen.
Welt. Das uns nur auszuatmen Tenpole Opera verstand im Mo­
braucht, wenn wir ihm unbequem ment nicht vieles, eines aber wurde
werden! ihm mit aller Deutlichkeit klar, als
Sosehr er Anulyn auch in den drif­ habe sich soeben ein schwerer Vor­
tenden Schatten suchte, er fand sie hang gehoben, der ihm bislang jede
nicht. Sicht auf sich und das verwehrt hat­
Das Mädchen, seine Anulyn, war te, was er, noch immer, als seine Fa­
fort, spurlos verschwunden. milie ansah.
»Sie war einfach weg«, schluchzte Nach Jerias Tod würde es nie wie­
Arnie. »Einfach so.« der sein können wie früher. Niemals
Seine nassen Augen sahen Tenpole würden die Kinder ihn so respektie­
an. Fragend, trotzig, anklagend. »Was ren wie ihre Mutter. Nie würden auch
hat sie dem Ding denn getan, Vater? die Vorwürfe ganz aufhören, die sie
Warum hast du sie nicht beschützt, ihm wegen Jerias Tod machten. Das
wie Mutter das getan hätte? Warum war umso schlimmer, als er es ihnen
bist du weggegangen?« nicht verübeln durfte.
40 HORST HOFFMANN

Aber – und das sah er in diesem nen ihr kaputtes Leben zu ermögli­
Augenblick so deutlich vor sich wie chen.
nie – sie waren an einem Punkt ange­ Was war es also? Was war das Ge­
langt, an dem es nur zwei Möglich­ heimnis, sie für sich zu gewinnen?
keiten für sie gab: Entweder ihre »Anulyn ist fort.« Corsairs Stimme
kleine Familie zerbrach, oder sie schallte in der Düsternis wie schwar­
schafften es; sie bekamen es auf die zer Rauch, der noch dunkler war.
Reihe, zueinanderzufinden und an ei­ Aber die Wolke zitterte und verblass­
nem Strang zu ziehen. te. »Unsere Schwester ist weg, und du
Schlimmer als im Augenblick stehst dumm herum!«
konnte es nicht mehr kommen. Sie Corsair funkelte ihn an, einen Arm
hatten sich alles an Scheußlichkeiten um Arnies Schultern gelegt. Der
gesagt, was es zu sagen gab. Corsair Jüngste war neben ihm zusammenge­
hätte nicht deutlicher werden kön­ brochen, sagte nichts, weinte nicht
nen. Und was Arnie quälte, war so mehr, sondern drückte sich nur still
offensichtlich, dass es ihm ins Gesicht in die Seite seines großen Bruders.
sprang. Tenpole sah ihn zittern.
Der Kleine litt unter dem dauern- »Wir werden sie suchen«, hörte er
den Streit und der Uneinigkeit wie sich sagen – und wusste im selben
kein anderer von ihnen. Wahrschein­ Moment, dass es falsch war. »Wir su­
lich, das leuchtete ein, war genau das chen eure Schwester und ...«
auch der Grund dafür, dass er keine Tenpole stockte. Das war es nicht.
Ruhe fand und sich in seinen virtuel­ Er brauchte nicht erst in Corsairs Ge­
len Welten ganz langsam, aber töd­ sicht zu sehen, seine neue Wut, den
lich sicher verlor. In seinen Holo- Trotz und das Aufbegehren.
Spielen und seinen famosen Freunden, »Wir suchen Anulyn – was haltet
die vermutlich genauso kaputt und ihr davon? Corsair ...« Er sah ihn
haltlos waren wie er. nicht an, sondern drehte sich halb
Wenn das also alles stimmte – was und wies in die Schatten, die sich trä­
konnte er tun, um das Ruder herum­ ge in den beiden neu geschaffenen
zureißen? Den Karren aus dem Dreck Öffnungen bewegten. »Was denkst
zu ziehen? du, Corsair? Entweder das Schiff oder
Und was war mit der Angst, die an sein Meister – oder beide – haben uns
ihm fraß? Der schrecklichen Panik? zwei Möglichkeiten eröffnet, diese
Würden sie jemals aufhören? Konnte Enge zu verlassen. Vielleicht ...«
er etwas dagegen unternehmen? »... ist es eine Falle«, übernahm
Was sollte er tun, was war richtig Corsair – mit genau den Worten, die
und was falsch? Bisher war es immer sein Vater hatte sagen wollen. »Es
falsch gewesen, was er getan und ver­ könnte eine verdammte Falle sein!
sucht hatte. Ob er nun wie ein Kame­ Schon mal daran gedacht?«
rad oder autoritär aufgetreten war – »Das Risiko müssen wir eingehen,
seine Kinder lachten über ihn oder oder nicht?« Tenpole war verwundert
gingen auf ihn los. Sie nahmen ihn über die plötzliche Ruhe in seiner
nicht ernst und besaßen keinen Re­ Stimme. »Wenn wir hierbleiben und
spekt vor ihrem Vater und Erzieher. nichts tun, werden wir Anulyn nie
Dem Mann, der hart arbeitete, um ih­ finden.«
Finsternis über Terra 41

»Wir riskieren es!«, verkündete gesamten Luftraum sperren lassen,


Corsair. Er schüttelte eine Faust. »Wir durch den sich der Besucher bewegte.
versuchen es und finden Anulyn! Es gab kein sichtbares Handicap.
Hörst du, Schwester? Du bist eine Natürlich wurde gerätselt und ver­
verrückte, durchgeknallte, manns­ sucht, die Verzögerungen zu deuten.
geile Tusse, aber ich hole dich auch Am häufigsten war die Meinung zu
aus der tiefsten Hölle heraus, wenn hören, G’schogun zögere, weil er mit
du in Not bist!« sich immer noch nicht ganz im Rei­
»Ja.« Arnie schluchzte. »Wir lassen nen befände. Einmal schien er es
dich nicht allein, Anulyn. Wir haben nicht erwarten zu können, mit dem
dich ... doch lieb ...« Nukleus zu kommunizieren, dann
Tenpole schluckte die Furcht hin­ wieder schien ihn etwas zu hemmen
unter. Sie schmeckte bitter. »Wir ha­ und, wenn man Pech hatte, umkehren
ben zwei Möglichkeiten, Kinder – die zu lassen.
rechte oder die linke Tür. Welche neh­ Bisher war keine Minute vergan­
men wir ... Corsair?« gen, ohne dass irgendjemand aus der
»Du fragst mich das?« Der Ster­ Führungsebene der LFT zu G’schogun
nenkämpfer schien sprachlos zu sein. gesprochen hätte. Obwohl jener nicht
»Du willst es wirklich von mir wis­ antwortete, signalisierte man ihm In­
sen ..?« teresse und die ungebrochene Bereit­
»Nun sag schon«, forderte Tenpole schaft zu Kooperation und Ge­
Opera. »Gib die Richtung an, Corsair spräch.
– oder habe ich meinen ältesten Sohn Bull hatte lange überlegt, ob er ihn
zu einem Weichei erzogen?« auf das Verschwinden der Familie
hin ansprechen sollte. Es brachte
nichts, hatte er entschieden, noch
6. nicht. Wenn der Ermittler hinter dem
Der dunkle Gott Verschwinden steckte, würde er es
wohl nicht zugeben. War er es nicht,
Die LEIF ERIKSSON II erreichte warf die Frage einen bitteren Schat­
den Archipel um 1:27 Uhr. Da sie sich ten des Misstrauens auf ihre Lage.
innerhalb der Atmosphäre nur lang­ Die Fahndung hatte überdies bis­
sam bewegen durfte, hatten Reginald her kein Ergebnis gebracht – aller­
Bull und Roi Danton den »schnelle­ dings lief sie erst seit wenigen Minu­
ren Weg« genommen und sich per Kä­ ten. Ein schneller Erfolg wäre mehr
figtransmitter in Nullzeit zur Isla als ein Wunder gewesen. Unvermeid­
Bartolomé strahlen lassen. bar »sickerte« die Information lang­
Damit waren sie um zwei Minuten sam zu den Medien hinaus; bisher
pünktlicher als der Dunkle Ermittler, konnten die Experten für Öffentlich­
der sich fast provozierend viel Zeit keitsarbeit die Nachricht noch »unter
ließ. Die Aufenthalte bei seinen Zwi­ Verschluss« halten.
schenstopps wurden länger, als kämp­ Reginald Bull und Roi Danton wur­
fe G’schogun gegen ein wachsendes den von Marc London empfangen,
Hindernis an. Von terranischer Seite der in Fawn Suzukes Namen um
aus wurde ihm aber nichts in den Weg Nachsicht dafür bat, dass sie nicht
gelegt, im Gegenteil: Bull hatte den selbst gekommen war. Fawn befand
42 HORST HOFFMANN

sich beim Nukleus, hockte mit ge­ durch, dass sie noch um eine Spur
schlossenen Augen vor der gleißen­ Finsterr waren als die Wände, an­
den Kugel und bewegte manchmal zeigten, wo es für die drei Menschen
lautlos und wie in tiefer Trance die weiterging.
Lippen. Das war mindestens ebenso »un­
Bull störte sie nicht. Er wusste, möglich« wie die Welt, durch die sie
dass Fawn reden würde, sobald der sich bewegten, Arnie zwischen ihnen,
Nukleus ihnen etwas Wichtiges zu von beiden an einer Hand gefasst.
sagen hatte. Solange sie schwieg, Corsair, der Sternenkrieger, der Re­
durfte man davon ausgehen, dass al­ bell, der Fanatiker, der ihm so oft
les noch immer »nach Plan« verlief. in Angriffspose gegenübergestanden
Zwei Minuten nach Bulls und Dan­ hatte. Mit dem er ein ums andere Mal
tons Ankunft auf Isla Bartolomé, er­ aneinandergeraten war wegen jeder
schien der Dunkle Ermittler und ver­ Bagatelle und in den unmöglichsten
änderte mit einem Schlag alles, was Augenblicken. Genau dieser Corsair
je auf der Insel da und bedeutsam ge­ marschierte nun Seite an Seite mit
wesen war. ihm, jeden Moment auf alles gefasst,
angespannt, aber irgendwie »ruhi­
* ger«.
Er brauste nicht mehr bei jeder
Tenpole Opera war immer noch Kleinigkeit auf, sondern zeigte, dass
nicht ganz sicher, ob er das alles er den Stier bei den Hörnern packen
wirklich erlebte oder nur träumte. wollte. Vielleicht war das die Erklä­
Corsair, Arnie und er streiften rung – Corsair hatte plötzlich einen
durch Knoten und Korridore, die ihm ganz konkreten Feind vor Augen, den
wie die riesigen Adern eines unglaub­ Dunklen Ermittler, und ein noch kon­
lichen Organismus vorkamen. Die kreteres Ziel: seine Schwester Anu­
Wände vermieden jeden rechten Win­ lyn zu befreien!
kel und jede flache Ebene. Die Gänge Er hatte für sie entschieden. Sie
wanden und bogen sich, sie pulsier­ hatten die rechte Öffnung genommen
ten und hallten wider vom Puls des und seitdem noch keine Minute ge­
gigantischen Herzens, das über allem rastet. Sie waren Kilometer gegan­
schlug. Es gab sonst keine Geräusche, gen, und es ging immer noch weiter.
der Boden und die Wände aus leben- Das hatte er eben gemeint: Sie
dem Dunkel schienen alles zu schlu­ marschierten voran, kilometerweit
cken, selbst ihre Atemzüge. durch ein »Etwas«, ein »Ding«, das,
Und das unsichtbare Riesenauge nach den Angaben in den Medien, ge­
war da ... und starrte, beobachtete ... rade mal zweihundert Meter groß
»Das kann alles nicht sein«, knurr­ sein sollte.
te Corsair, der links neben ihm ging »Wir haben es mit einem Geschöpf
wie der Kamerad auf einer Patrouil­ des Chaos zu tun, Corsair«, versuchte
le, der Freund im Sturm des Lebens, Tenpole zu erklären. »Da, wo dieses
der Wächter auf dem Gang zum letz­ Ding herkommt, herrschen andere
ten Gebet. Er starrte mit unbewegter Gesetze oder vielleicht gar keine.
Miene voraus, in das Dunkel, die wa­ Dort gibt es keine Maße und Entfer­
bernden Nebel, die ihnen nur da­ nungen wie ...«
Finsternis über Terra 43

»Sei endlich still!«, schnappte Cor­ Nur eines störte in diesem Bild:
sair. »Das wissen wir alles! Es hilft Anulyn war nicht da!
uns nicht weiter!« Es gab kein Lebenszeichen von ihr.
Tenpole hatte eine harsche Entgeg­ Anulyn blieb verschwunden.
nung auf der Zunge, verbiss sie sich »Was will es von uns?«
aber. Er hatte etwas erreicht, mit dem Tenpole sah seinen Sohn überrascht
er nie gerechnet hatte – indem er Cor­ aus, als dieser seine eigenen Gedan­
sair bewusst das Gefühl gegeben hat­ ken in diesem Moment aussprach –
te, wichtig zu sein; dass seine Mei­ schon wieder.
nung gefragt war. Wenn der Sohn sich »Was will das Finster von uns? Wo­
jetzt erneut im Ton vergriff, musste zu hat es uns entführt?«
der Vater das eben schlucken. Es war »Ich weiß es nicht«, antwortete
nicht böse gemeint. Er hatte die glei­ Tenpole wahrheitsgemäß. »Ich habe
che Angst wie sie alle. Sein Verhalten keine Ahnung.«
war seine persönliche Art, sie zu zei­ Ihre Blicke trafen sich, und da war
gen. kein Groll darin, kein Aufblitzen von
Vielleicht war das ihr ganzes Pro­ Trotz und Ärger.
blem – dass jeder meinte, die anderen »Wohin, Corsair?«
wollten etwas von ihm. Dass sie im »Sag du ...«
Grunde alle vier Mimosen waren und Sie hatten wieder einen der »Kno­
sich sofort angegriffen fühlten, wenn ten« erreicht, eine kleine »Halle«, von
sie etwas nicht sofort verstanden. der aus drei Gänge abzweigten. Das
Aber sie hatten einen Anfang ge­ war schon öfter passiert. Wie Nerven­
macht! bahnen durchzogen sie diesen wahn­
Sie marschierten erstmals, solange sinnigen Leib und stellten die Men­
Tenpole zurückdenken konnte, nicht schen immer wieder vor die Frage, in
getrennt, sondern gemeinsam. Auch welcher Richtung sie weitersuchen
Arnie war ruhig geworden. Der sollten.
Spielteufel und Ausreißer ging an »Wenn sie wenigstens rufen wür­
den Händen mit ihnen und weinte de!«, knurrte Corsair. »Oder ... uns
nicht, klopfte keine lockeren Sprü­ eine sonstige Nachricht geben, ir­
che und zappelte und zeterte nicht. gendwie muss es doch möglich
Ab und zu spürte Tenpole, wie sich sein!«
seine Finger um die seinen krampf­ »Die Wände schlucken alles«,
ten, als suchten sie Halt bei ihm – fluchte Tenpole. »Dass wir uns über­
noch mehr Halt ... haupt unterhalten können, ist ein
Es konnte nicht real sein. Wenn je­ Wunder.«
mand sie sehen könnte, hätte er eine »Also wohin?«, erinnerte ihn der
Familie vor Augen, die zusammen­ Sternenkämpfer.
hielt und sich gegenseitig Geborgen­ Tenpole zeigte aufs Geratewohl
heit gab. nach rechts. Sie gingen weiter, und
Also genau das, was er sich so lan­ wieder richtete er sich auf einen Ki­
ge erträumt und nicht mehr für mög­ lometermarsch ein, wieder neue Kor­
lich gehalten hatte. ridore und abermals Verteilerknoten.
Was er Jeria beim Abschied ver­ Hätten für den Dunklen Ermittler,
sprochen hatte ... das Finster, normale Gesetze gegol­
44 HORST HOFFMANN

ten, dann müsste er unvorstellbar Bull hatte eine Entgegnung auf den
groß sein. Er hätte niemals in Atlan Lippen, schwieg jedoch.
Village landen können. Der Dunkle Ermittler G’schogun
Umso größer war seine Überra­ war erschienen, um die Möglichkei­
schung, als sie plötzlich und unver­ ten für ein Bündnis mit den Terra­
hofft in einem anderen, neuen Raum nern zu eruieren.
standen, der selbst denjenigen um ei­ So weit der auf Roi Danton zurück­
niges an Größe übertraf, in dem sie gehende Plan.
gefangen gehalten worden waren. Aber dazu gehörte auch, dass er
Das ewige Düster leuchtete wie mit dem Nukleus »sprach«, denn die­
schwarzmagisch illuminiert. Corsair ser war ein wesentlicher Bestandteil
stieß einen Fluch aus, Arnie begann der terranischen Macht und des er­
seltsam unmelodisch zu singen, und folgreichen Widerstands. In keiner
Tenpole begann endgültig an seinem strategischen Überlegung für die Zu­
Verstand zu zweifeln. kunft durfte der Nukleus außer Acht
gelassen werden.
* Wollten die Rebellen unter den
Dunklen Ermittlern mit Terra ge­
Der Dunkle Ermittler war, gehüllt meinsam Front gegen TRAITOR ma­
in Schatten und Schwärze, über die chen, musste sich G’schogun zwangs­
Insel gekommen. Seine düstere Prä­ läufig ein Bild von der Entität machen,
senz ließ von Anfang an keinen in der die mentale Kraft von 34.000
Zweifel daran, wer die Regeln be­ Monochrom-Mutanten gespeichert
stimmte. und geballt war, vereint mit der geis­
Er prangte am Firmament wie eine tigen Essenz des Volkes der Charan­
neue, schwarze Sonne, die mit ihren diden.
verheerenden Strahlen alles lähmte, Sie standen nur etwa fünfzig Milli­
was bisher auf dem Eiland gelebt meter von der gelblich weißen, Fun­
hatte. Er dominierte die Insel, breite­ ken sprühenden Kugel entfernt, zwei
te einen düsteren Schleier aus Zeitlo­ Meter groß und doch mehr. Genau
sigkeit über sie aus. wie der Dunkle Ermittler. Die tat­
Eine schwarze Sonne, dachte Regi­ sächliche Größe ließ sich nicht in ein­
nald Bull. Ein dunkler Gott, der zur fachen physikalischen Angaben er­
Erde herabstieg, um zu richten ... fassen.
»Zweihundert Meter, sagt ihr?« Bull glaubte die Kraft des Nukleus
Er drehte den Kopf und sah Marc wahrnehmen zu können, sie quellen
London neben sich stehen. zu sehen in den Strömen der Kugel.
»So nah?« Sie schien zu ihm zu fließen, aufzube­
»Es ist wirklich unheimlich«, sagte gehren, sich zu sammeln, neu zu ori­
Bull. »Dieses Ding hat eine Größe, die entieren, vorzubereiten auf etwas,
in Metern nicht wiederzugeben ist.« von dem er sich keine Vorstellung zu
»Ich hätte nie für möglich gehalten, machen vermochte.
dass es so etwas gibt«, hauchte der Es waren nicht nur die Mono­
junge Mutant. »Gegen diesen Gigan­ chrom-Mutanten und die Charandi­
ten ... dieses Etwas ... soll unser Nu­ den, die den Nukleus ausmachten,
kleus antreten?« dieses Feuer in der Nacht, die größte
Finsternis über Terra 45

Hoffnung einer Menschheit, die sonst Tenpole war verwirrt: Wenn das
nicht mehr viele Trümpfe in der Hand Maschinen waren, Aggregate, techni­
hatte. Der Nukleus war vollgesogen sche Anlagen, dann hatte er noch nie
mit den psionischen Kräften, die teil­ im Leben welche gesehen.
weise aus dem immateriellen Korpus Es waren Strukturen, die die ge­
der Superintelligenz ARCHETIM samte Halle ausfüllten. Sie kamen
stammten und teilweise aus der men­ aus jeder Wand und wuchsen aus dem
talen Kraft der Terraner, die diese Boden, um sich in einigen Metern Hö­
über die TANKSTELLEN an ihn lie­ he mit der Decke zu vereinen, die wie
ferten. das Gewölbe einer finsteren Tropf­
»Ob sie bereits kommunizieren?«, steinhöhle wirkte. Die Stalaktiten
fragte Marc London. Er war zwei waren wahrscheinlich ebenfalls Ag­
Schritte vorgegangen, auf die Ener­ gregate, er konnte es nicht sagen oder
giekugel zu, vor der sich schattenhaft unterscheiden. Der Übergang zwi­
die Silhouette Fawn Suzukes abmalte, schen künstlichen und natürlichen
die seit Stunden in starrer Verbunden­ Objekten und Teilen war vollkommen
heit mit dem Nukleus ausharrte, nur fließend.
wenige Meter von ihm entfernt. »Ob War all dies lediglich ein bestimm­
sie schon miteinander sprechen, der tes Design, oder konnte er es mit ei­
Nukleus und der Dunkle Ermittler?« nem riesigen Organismus zu tun ha­
»Ich weiß es nicht, Marc«, sagte der ben? Es war unmöglich für den
Unsterbliche. »Wahrscheinlich tun Terraner, dies festzustellen.
sie es. Sie beschnuppern einander, »Es ist ... beides, Kinder«, sagte
bevor es losgeht.« Tenpole, als sie staunend und be­
»Wenn das hier schiefgeht«, flüs­ drückt im vorderen Teil der riesigen
terte Marc, »nützen uns die ganzen Halle standen, deren Ende sich in den
Waffen und all die Männer in ihren dunklen Nebeln verlor, die umher­
SERUNS nicht, die ihr hier zusam­ trieben wie Schleier aus finsterer
mengezogen habt, Bully. Ihr habt die Luft. Manche drifteten zur Decke,
Insel in eine Festung verwandelt – andere sanken zu Boden und versan­
doch sollte es sich erweisen, dass ken darin. »Es ist ein Wesen, ein
G’schogun falschspielt, könnt ihr Schiff, ein gigantischer Leib ...«
nichts dagegen tun! Wenn ihr ihm »Ja«, knurrte Corsair, »und irgend-
schon im Weltraum nichts entgegen­ wo hier drinnen sitzt der Dunkle Er­
zusetzen habt, welche Waffen bleiben mittler, der sich wahrscheinlich einen
uns dann hier, auf unserem so verletz­ Spaß daraus macht, uns in unserer
baren Planeten?« Hilflosigkeit zu beobachten.«
»Geh schon, Marc«, sagte Bull lang­ »Du glaubst, er tut das?«, fragte
sam, der nur zu gut begriff, was in Tenpole, während sie langsam wei­
dem jungen Mann vorging. »Geh hin tergingen. »Er, dieser G’schogun, sitzt
zu Fawn. Nimm sie in den Arm, sprich irgendwo in seiner Zentrale und ver­
zu ihr, auch wenn sie dich nicht hört. folgt, was wir tun?«
Zeig ihr, dass sie jetzt nicht allein »Da kannst du Gift drauf neh­
ist.« men!«
»Aber wozu? Wieso quält er uns
* so?«
46 HORST HOFFMANN

»Ihr zwei!«, rief Arnie. »Hört auf! »Vielleicht sind sie ja noch da«,
Bringt mich nach Hause. Ich will nicht hatte Arnie gesagt. Ausgerechnet er
mehr! Das ist ein Scheißspiel!« schien durch die wenn auch nur ge­
»Wir schaffen das, Kleiner«, sagte fühlte Nähe zu irgendwelchen mons­
Corsair mit einer Stimme, vor der trösen Raumfahrern aus einem
Tenpole geradezu erschrak. Aber endlosen Loch herauszukommen.
nicht etwa, weil sie so schneidend ge­ Womöglich spielte er in seiner Vor­
wesen wäre, sondern, viel unfassba­ stellung schon Weltraumkrieg und
rer für ihn ... andere raffinierte virtuelle Spielchen
... sanft, fast schon liebevoll. mit und gegen die Ungeheuer, die
»Wo ist Anulyn?«, rief Arnie. »Wann vielleicht alles andere gewesen wa­
findet ihr sie endlich? Sie braucht uns ren ... nur keine Menschen und Ähn­
doch, vielleicht quält er sie!« liche.
»Das würde er bitter bereuen!«, Tenpole Opera und seine beiden
zischte Corsair. »Das schwöre ich dir. Söhne wateten wie in einem zähen,
Niemand vergreift sich ungestraft an driftenden, sich mit ihnen drehenden,
meiner kleinen Schwester, auch wenn bitterschwarzen Sumpf aus dem pu­
sie durchgeknallt ist. Egal wo sie ist, ren Nichts. Sie riefen sich weiter die
wir holen sie da raus!« Seele aus ihrem Leib, wobei es ihnen
»Vielleicht ist sie ja gar nicht mehr völlig egal war, was der Dunkle Er­
hier«, wagte Tenpole zu äußern. »Ich mittler gegen sie unternehmen moch­
meine, sie könnte ja längst, vielleicht te.
mit einem Transmitter ...« »Dein Armband piepst«, sagte Cor­
»Spinn nicht herum!«, schrie Cor­ sair, als sie aus neuen dunklen Schwa­
sair ihn an. »Sie steckt hier irgendwo, den tauchten.
und wir werden sie finden! Ende!« Tenpole litt. Seine Füße taten ihm
weh, seine Waden. Sie gönnten sich
* keine Ruhe. Anulyn musste gefunden
werden, und ausruhen konnten sie
Es ging weiter. sich auch später – falls es je wieder
Sie zählten ihre Schritte nicht mehr ein Später für sie gab.
und hatten aufgehört, über die Un­ Vielleicht war der Dunkle Ermitt­
möglichkeiten in einer Umgebung ler längst auf dem Weg in seine Gala­
nachzudenken, die nicht die ihre war, xis oder sein Universum. Vielleicht
die sie nicht verstanden, für die sie auch zu einer Sammelstelle der TRAI­
wahrscheinlich noch nicht einmal die TOR-Truppen – genau das Richtige
passenden Sinne besaßen. für Sternenkämpfer Corsair.
Sie hatten gigantische Leerräume Tenpole hob den rechten Arm,
passiert, vielleicht Lagerhallen, und blickte auf sein Gerät und fasste es
waren durch Bereiche gekommen, die nicht.
vielleicht als Unterkünfte dienten für »Das ist das Signal von Arnies
Besatzungen, gleich welcher Art. Wo Uhr!«, platzte er heraus. »Kein Zwei­
Einrichtung vorhanden war, führte fel, das Signal kommt von ...«
der Versuch, sich vorzustellen, wie Er drehte sich zu Arnie um, der ein
ihre Benutzer einmal ausgesehen ha­ Stück zurückgeblieben war. Auch der
ben mochten, zu blankem Irrsinn. Knabe war ausgelaugt und erschöpft.
Finsternis über Terra 47

Auch er brauchte dringend eine Pau­ Das Signal führte sie in ein Laby­
se, aber ... »Arnie – dein Armband, rinth aus Gängen, Korridoren, Stol­
deine Uhr. Wo ist sie?« len, Liften, seltsamen Maschinen­
Sie befand sich nicht mehr an Ar- räumen und immer wieder toten
nies Handgelenk. Gassen.
»Ja, Kleiner«, sagte auch Corsair, Tenpole kam es vor, als wären sie
der seinem Vater einen alarmierten stundenlang unterwegs.
Blick zuwarf. Sie waren wieder zu­ Er zweifelte immer öfter daran,
sammen im Boot. »Wo ist deine ge­ dass sie ihr Ziel je erreichen konnten.
liebte Armbanduhr?« Tantalusqualen waren es, die sie aus­
»Anulyn hat sie«, antwortete Arnie. hielten, aushalten mussten. Denn sie
»Sie ... hat richtig darum gebettelt. waren zusammen und suchten Anu­
Sie wollte sie doch nur mal kurz tra­ lyn. Und wenn sie wieder beisammen
gen.« waren, konnten sie sich wieder als
»Warum?« Tenpole verstand gar Familie bezeichnen. Und als solche
nichts mehr. »Wie denn das, Arnie? waren sie unangreifbar!
Die Armbanduhr habe ich dir ge­ Er hämmerte es sich ein, immer
schenkt, aber du weißt es ja jetzt: da­ wieder, während er und die Kinder
mit wir immer wissen, wo du wieder durch die düsteren Gänge taumelten.
steckst. Denk dir jetzt nichts dabei, Von Gehen konnte kaum mehr die
es ist ...« Rede sein. Sie waren schwach, die
»Anulyn hat es gewusst«, flüsterte Beine wollten sie nicht mehr tragen,
Arnie und starrte ins Leere, während die Düsternis fraß sich in ihre Zellen
das Multifunktionsgerät seines Va­ und floss in ihren Adern.
ters weiter piepste. »Es stimmt, sie Sie folgten dem Signal, an das sie
kann wirklich in die Zukunft sehen. sich klammerten wie an einen Anker.
Sie hat gewusst, dass sie sie holen Immer wieder liefen sie in die Irre
würden ...« und mussten umkehren. Einmal ent­
»Das ist Humbug! Kein Mensch fernte es sich, dann wurde es wieder
kann in die Zukunft sehen, ich nicht stärker. Tenpole gewann mehr und
und du nicht!« Corsair wirkte ge­ mehr das Gefühl, dass sie an der Na­
nervt. se herumgeführt wurden.
»Aber Anulyn«, verteidigte der Ju­ Wer immer das hier mit ihnen an­
nior mit feuchten Augen seine Theo­ stellte, es war ein mehr als makabres
rie. »Sie kann das. Sie ist die Größte. Spiel!
Sie ist meine große Schwester, und Als sie die Armbanduhr fanden,
ich bin stolz darauf.« glaubte Tenpole es zuerst nicht.
»Hört auf!«, sagte Tenpole Opera Sie waren fertig, schachmatt, ka­
im Befehlston, als Corsairs Mund ge­ putt. Jeder musste den anderen stüt­
rade wieder aufklappte. »Schluss zen, so stark war ihre Erschöpfung
mit dem Zanken, wir haben ein Si­ des Fleischs und der Seele. Es war
gnal. Wir wissen endlich, in welcher nicht nur die körperliche Anstren­
Richtung wir Anulyn suchen müs­ gung, die sie zerstörte. Es war das
sen.« Düster, das Dunkle und Finster, das
in sie eindrang, mit jedem Atemzug
* und durch jede Pore der Haut, selbst
48 HORST HOFFMANN

jene der Bekleidung am zerschunde­ schmetterte Tenpole zurück. Wahr­


nen Körper. scheinlich würde er zuschlagen oder
Alles umsonst ... dort lag nur die ihm den Kopf vom Hals reißen – das
Armbanduhr, aber es gab keine Spur war ihm jetzt egal. Wenn sie im Leben
von Anulyn. nicht miteinander konnten, sollte es
»Wo ist sie?« Corsairs Stimme war eben zu Ende sein.
wie ein Gewehr, das in die dunklen Er konnte nicht mehr.
Schwaden abgefeuert wurde, die Nicht streiten und nicht kämpfen.
selbst seinen Zorn schluckten. »Wo »Wir sind eine Familie, Corsair!
ist meine Schwester?« Sieh es endlich ein! Verdammt, wann
»Meine Uhr ...« Arnie kniete am hört ihr endlich auf, vor allem davon­
Boden und wollte danach greifen. zurennen?«
Kaum hatte er sie berührt, schrie er »Halt den Mund, bevor ich ...!«
auf und zog die Hand zurück. »Die ist Er sah die Faust auf sich zukom­
heiß! Sie glüht wie Feuer!« men und schloss die Augen.
»Komm her!«, sagt Tenpole tonlos. Ja, dann sollte es sein. Dann war er
»Komm zurück zu uns, Arnie. Keiner gescheitert – sie waren gescheitert.
von uns lässt die anderen mehr al­ Jeria ... es tut mir so leid.
lein.« »Komm. Komm, Vater. Komm, Ar-
»Was redest du?«, schrie Corsair. nie. Wir suchen weiter. Und ich
»Tenpole, dieses ... dieses Monstrum schwöre euch, wir werden sie fin-
hat unsere Anulyn verbrannt! Das den!«
Armband ist alles, was von ihr übrig »Aber Anulyn ist tot!« Arnie wein­
geblieben ist! Es hat sie verglüht, ver­ te, spuckte, schlug um sich und schlug
brannt – irgend so etwas! Dieses wi­ Löcher in die Schwaden. »Sie haben
derliche Ding! Dafür wird es bezah­ sie verbrannt, sie ist ...«
len!« »Sie ist am Leben, Arnie.« Wieder
»Hör auf!« Tenpole versuchte, klar Corsair. »Es ergäbe keinen Sinn,
zu denken, einmal noch, ein letztes wenn das Finster sie getötet hätte. Es
Mal. Aber es ging nicht. Er konnte spielt mit uns. Es will uns in den
sich keine Worte mehr zurechtlegen, Wahnsinn treiben. Es hat die Uhr so
um Corsair nicht wieder zu verlieren. erhitzt, dass Anulyn sie wegwerfen
Selbst dazu war er nicht mehr in der musste, um sich nicht daran zu ver­
Lage. Was er jetzt sagte, kam direkt brennen. So sollen wir nur glauben,
aus seinem Herzen, ohne Kontrolle dass sie tot ist.«
des bewussten Verstands. War das Corsair? So hatte er noch
»Hör endlich auf, Corsair! Du bist nie geredet. Aber er stand doch vor
ein Traumtänzer! Du bist kein Ster­ ihm und wollte ihn ...
nenkämpfer, sonst wärst du in einem »Wir sind wie Tiere in einem Ver­
unserer Kampfschiffe und würdest suchslabor«, redete der Sternen­
an der Front den Kopf hinhalten!« kämpfer weiter. »Ja, ich bin sicher.
»Was fällt dir ein?«, brüllte Corsair Das Finster testet uns. Es will etwas
und packte ihn am Kinn. »Das brau­ über uns wissen. Und solange es noch
che ich mir von dir nicht sagen zu nicht weiß, was es wissen will, so lan­
lassen, ausgerechnet von dir!« ge sind wir sicher und stirbt keiner
»Allein machen sie dich ein!«, von uns!«
Finsternis über Terra 49

Tenpole öffnete die Augen. Das Nukleus und Ermittler hin und her
konnte er nicht gehört haben, oder? flossen. Worte, die so niemals gespro­
Corsair besaß gar nicht mehr die chen wurden, Gedanken im Aus­
Kraft für eine solche Ansprache. tausch – eben so, wie Fawn sie inter­
Doch als er die Augen wieder öff­ pretierte und in Menschensprache
nete, stand sein Ältester vor ihm, die umsetzte.
Hand immer noch ausgestreckt. »Sie reden«, sagte Bull, als er Roi
»Komm, Vater«, sagte er ernst und Danton neben sich sah. Sie standen
bestimmt. »Machen wir weiter.« ebenfalls nicht weit vom Nukleus
entfernt. Die Nähe war elektrisie­
rend. Jeder spürte die unsichtbare
7. Spannung in der Luft. »Sie haben
Hand in Hand längst Kontakt geschlossen.«
»Aber was, Bully?«, fragte Danton.
Nach einer halben Stunde des stil­ »Ist es gut für uns oder schlecht? Was
len Verharrens, still für all jene, die sagt der Nukleus, was der Ermitt­
nicht in der Lage waren, in jene über­ ler?«
geordneten Räume hineinzulauschen, »Das werden wir alles erfahren,
in denen sich das vollzog, was zwi­ Roi«, erwiderte Bull. »Und dann wer­
schen dem Dunklen Ermittler und den wir es einfach zu akzeptieren ha­
dem Nukleus geschah, senkte sich ben. Diese Runde wird ohne uns ge­
G’schogun weiter auf den Strand her­ spielt.«
ab, bis er ins seichte Wasser der Bran­ »Solche Spiele mag ich nicht«,
dung tauchte. knurrte Danton.
Bull hatte geglaubt, es bereits zi­ Bull lachte trocken. »Ich auch
schen und verdampfen zu sehen, ver­ nicht, Mike, aber ich fürchte, da wer­
brannt von einer Düsternis, die flam­ den wir gar nicht mehr gefragt.«
mender war als jede Sonne aus Licht »Weißt du, was ich ...« Danton un­
und Hitze. terbrach sich mitten im Satz und
Aber nichts dergleichen geschah. deutete auf Suzuke, die sich in die­
Das Einzige, was darauf hindeutete, sem Moment aufrichtete. Sie öffnete
dass es überhaupt einen Kontakt der die Augen nicht, doch ihr Gesicht
Elemente gab, war, dass die Schwär­ verriet die innere Anspannung, die
me von kleinen Fischen, die sich dort sich anscheinend einem Höhepunkt
immer aufhielten, eiligst das Weite näherte. Marc London stand mit auf
suchten. und hielt ihre Hand, so als sei sie sein
Eine weitere halbe Stunde verging, Anker in einem Geschehen, auf das
in der nichts passierte, was ein auch er keinerlei Einfluss mehr hatte
Mensch hätte fassen, hören, sehen und nie gehabt hatte.
oder sonst wie begreifen können. »Es geht los«, sagte Reginald Bull
Nur Fawn Suzuke reagierte. Ihre und nickte zu der gleißenden Kugel
Augen waren geschlossen, als sie we­ hin, auf der sich an der ihnen zuge­
nige Meter vor dem Nukleus hockte, wandten Seite eine etwa zwanzig
Marc neben ihr. Ihre Lippen aber be­ Zentimeter große Stelle zu verdun­
wegten sich lautlos. Ohne Stimme keln begonnen hatte. Sie konnten zu­
wiederholten sie Dinge, die zwischen sehen, wie diese Region sich weiter
50 HORST HOFFMANN

verdunkelte. Es schmerzte an den Tenpole nahm es ihm nicht übel,


Augen, direkt und lange ins Licht des denn es war nur ein Selbstschutz des
Nukleus hineinzusehen, das eigent­ Verstands, der sich weigerte, sich
lich jeden »Fleck« hätte überstrahlen selbst zu verlieren.
müssen. Sie strauchelten und fielen, aber sie
Diesen, der sich in weniger als ei­ richteten sich wieder auf. Sie schlepp­
ner Minute auf ihm manifestiert hat­ ten sich weiter durch die Korridore
te, allerdings nicht. Es war wie eine und Hallen einer unendlichen Welt,
genau umrissene, kreisförmige Zone die nach außen hin vielleicht tatsäch­
aus purer Lichtlosigkeit, und doch lich »nur« zweihundert Meter durch­
emittierte sie ihr eigenes Licht, wenn maß. Ihnen kam sie vor wie ein gan­
auch in absoluter Umkehrung aller zes Universum. Es war eine Welt für
bisher gültigen Gesetze der Physik. sich, und sie waren in ihr gefangen –
Das Kreisfeld war finsterer als die wie es Tenpole vorkam, bis in alle
dunkelste Nacht – und doch, auf nicht Ewigkeit.
nachvollziehbare Art und Weise, hell Vielleicht würden sie an diesem
genug, um die Menschen erkennen zu Platz nicht einmal in Frieden sterben
lassen, was sich abzuspielen begann. können, denn keines Gottes Blick
reichte bis in diese Gefilde der Dun­
* kelheit.
Aber sie hörten Anulyns Stimme,
Sie quälten sich durch die Gänge, die sie rief. Das war es, was sie an­
von denen einer nur noch wie der an­ trieb.
dere aussah. Sie taumelten einfach Anfangs waren sie einfach umher­
weiter, blieben stehen, fielen hin, geirrt, getrieben von dem verzweifel­
wollten aufgeben – und rafften sich ten Wunsch, Anulyn zu finden und
wieder auf. wieder zusammen zu sein. Tenpole
»Es ist ein verdammtes Spiel!«, wusste nicht, wie lange eigentlich.
hämmerte ihnen Corsair immer wie­ Die Zeit verlor jede Bedeutung.
der ein. Aber: Sie waren zusammen, und
Ausgerechnet er erwies sich plötz­ das war wichtig. Sie spürten die Nä­
lich als Antreiber und nahm damit he und Wärme der Familie, zum ers­
die Rolle ein, die Tenpole so gerne ten Mal seit ...
selbst ausgefüllt hätte. Der junge Er war es Jeria schuldig! Er hatte
Sternenkrieger machte seinem eige­ ihr beim Abschied versprochen, die
nen Selbstverständnis alle Ehre. Familie zusammenzuhalten. Er hatte
Tenpole leistete ihm in Gedanken es nie geschafft, nicht so, wie er es ge­
Abbitte. wollt hatte ...
Sobald Corsair Anzeichen von Dann war die Stimme da gewesen.
mentaler Erschöpfung zeigte, spran­ Sie drang aus den Wänden, als
gen Tenpole oder Arnie ein. Der Acht­ würden diese sie ausschwitzen. Sie
jährige überstand die Strapazen da­ hallte von ihnen wider, rief sie, lockte
durch besser als erwartet, dass er sich aus allen Richtungen, mit immer ver­
in seine virtuelle, imaginäre Welt änderten Klangfarben. Sie drehten
flüchtete und all das wie eine Art sich um sich selbst, wie um die Stim­
Spiel durchlebte. me zu orten. Dann liefen sie weiter,
Finsternis über Terra 51

wobei Arnie noch die beste Kondition »Eine dieser drei Richtungen ist die
zeigte. Sie jagten ein Phantom, das richtige«, sagte Corsair. »Hinter einer
war ihnen klar, aber es war alles, was dieser drei Abzweigungen finden wir
sie noch besaßen – alles außer sich Anulyn.«
selbst. »Das ist geil hier!« Arnie hatte
Aus allen Richtungen, aber immer Schweißperlen auf der Stirn, aber er
aus einer. Tenpole konnte es nicht strahlte über das ganze Gesicht.
besser sagen. Sie hörten die Stimme »Jetzt geht es los! Es geht ums Golde­
von überall, aber es gab nur »eine ne Ticket, wir ballern sie ab! Wir
Richtung«. Sie wussten, wohin sie zu schießen sie aus dem Programm!«
gehen hatten. Auch wenn Anulyn un­ Tenpole zuckte nicht einmal mehr
endlich fern schien, wenn sie den Weg zusammen. Er versuchte, klar zu
niemals bewältigen konnten – es war überlegen. Vielleicht lebte Anulyn
der einzige, den sie hatten. längst nicht mehr, ihre Stimme war
Und so ging es weiter, bis sie die kein Lebensbeweis. Aber solange
Stimme ihrer Tochter und Schwester auch nur die Chance bestand, muss­
tatsächlich aus allen Richtungen ten sie sie weiter suchen.
hörten – nein, genau gesagt, aus »Wir könnten doch einfach son­
dreien. dieren, oder?«, fragte er ohne Über­
Drei Richtungen, eine Verteilerhal­ zeugung. »Ich meine, nur in die
le, ein Knoten mit drei Ausgängen, Gänge hineinschauen, sodass wir
und sie waren drei ... einander immer noch im Auge ha­
»Okay«, sagte Tenpole. »Das Spiel ben. Wir sind zu dritt, möglicher­
wird weiter verschärft. Noch offen­ weise wissen wir mehr, wenn jeder
sichtlicher kann es nicht werden, dass von uns in einen der Wege hinein­
wir hier vorgeführt werden. Unser lauscht. Dazu genügen nur ein paar
Freund will uns also trennen. Was tun Meter ...«
wir?« »Dazu müssten wir uns loslassen«,
gab Corsair zu bedenken, aber der
* Einwand klang nur halbherzig.
52 HORST HOFFMANN

Tenpole spürte deutlich, wie es in schleuderte alles an Verwünschun­


seinem Sohn brannte, wie er am liebs­ gen, was ihm sein Vorratsspeicher an
ten losrennen und irgendwo alles Flüchen hergab, gegen die neue Wand,
kurz und klein schlagen wollte. Und die sich genau dort gebildet hatte, wo
er verstand ihn. Er merkte selbst, noch eben der Verteiler gewesen war.
dass er nicht mehr lange gegen das Die destruktive Energie seiner Worte,
ankämpfen konnte, was in ihm nach Schreie und Gedanken hätte eine
außen brechen wollte. Einfach schrei­ ganz Welt zum Einsturz bringen müs­
en oder um sich schlagen ... irgendet­ sen, doch nicht diese neue, immer
was tun ...! noch leise schmatzende Wand, die
»Wir schießen sie alle ab!«, giftete sich mit den Wänden des Ganges ver­
Arnie. Seine Augen glänzten in kaum band und vereinte wie die erste Haut,
noch zu stoppendem Irrsinn. »Wir die sich über einer klaffenden Wunde
fetzen sie aus dem All! Ich komme, bildete.
Anulyn! Ich beame mich auf dem Jet »Arnie!« schrie er. »Corsair!« Keine
zu dir! Lösch das Böse aus! Warte auf Antwort außer dem grauenvollen
mich, ich bin der Silberne Surfer, ich Echo der eigenen Stimme, das auf ihn
komme mit dem Goldenen Strahl!« einschlug wie Keulen und Schwerter.
»Es reicht!« Tenpole riss seine Hand »Kinder! Geht nicht fort! Kommt zu­
los. Von Arnie und von Corsair. rück! Arnie! Corsair! ANULYN!«
Es war für einen Moment, als habe
er sich das Herz aus der Brust gerissen,
aber dann hörte er wieder die Stimme 8.
seiner Tochter ... so klagend, so jäm­ Am Ende
merlich, so unsagbar verzweifelt ...
»Ich suche hier!«, rief er und deu­ Es geschah wie in bleierner Zeitlo­
tete in den Gang, der bei ihm ab­ sigkeit.
zweigte. »Nur ein paar Schritte, wir Der Nukleus der Monochrom-Mu­
dürfen uns nicht aus den Augen ver­ tanten schwebte still an seinem Platz
lieren ...« am Pinnacle Rock, als seien alle Ge­
»Wir werden uns niemals verlieren, setze der Physik aufgehoben. Und
Vater!«, schwor Corsair. »Ich sehe in doch passierte unglaublich viel. Bull
diesem Gang hier nach! Arnie, bist spürte es auf einer Ebene, die er nicht
du okay?« beschreiben konnte. Er sah einfach
»Ich reite auf dem Goldenen Dra­ und versuchte zu begreifen.
chen zu meiner Schwester!«, sagte Die zwanzig Zentimeter große Zo­
der Achtjährige, unendlich verloren ne absoluter Lichtlosigkeit, mitten
in der Düsternis dieses Orts und sei­ auf der Oberfläche der Kugel, schien
ner eigenen Vorstellung. sich in den Nukleus hineingefressen
Er trat in den Gang hinein, der üb­ zu haben. Sie waberte in ihrer Dun­
rig blieb. Für jeden von ihnen führte kelheit, aus der auf rätselhafte Weise
ein Weg zu Anulyn. ein Licht emittiert wurde, das wie­
Drei Wege ... derum eine »Sicht« ermöglichte.
Als Tenpole das Schmatzen hörte, Reginald Bull sah ...
wusste er, dass sie nie wieder beisam­ Ein neuer Kreis entstand, erwuchs,
men sein würden. Er fuhr herum und stieg auf aus der Zone der Finsternis.
Finsternis über Terra 53

Ein Kreis aus kriechenden, fürchter­ Der Schrei hallte von den Wänden
lich anzusehenden Geschöpfen, de­ nach, die ihn ein- und wieder ausat­
formierten Wesen, keins wie das an­ meten. Die sich vollsogen mit seiner
dere. Sie waren fremd und hässlich, Verzweiflung und seinem Schmerz.
eklig, widerlich ... und ... Die auch das auf ihn zurückwarfen,
... und doch auf geradezu perverse wie um ihm den Todesstoß zu verset­
Art und Weise bekannt. zen, das vielleicht sogar gnädigere
Reginald Bull sah nichts mehr au­ Ende nach einer Qual ohne Ende und
ßer dem Nukleus und dem Kreis aus Zeit.
sich windenden, biegenden, quälen­ Und dazu schlug das Herz dieses
den Monstrositäten, die, jedes einzel- Etwas, das ihn und die Kinder nie
ne, ein »Gesicht« besaßen. Es wurden hatte freigeben wollen. Das sie mar­
mehr und mehr, schon Hunderte oder terte und all seine finstere Unbesieg­
Tausend ... barkeit demonstrierte. Das mit ihnen
Die Monochrom-Mutanten!, begriff spielte bis in alle Ewigkeit. Dieses
Bull. Jedes einzelne dieser Geschöpfe riesige Herz würde ewig schlagen,
war eine grausame Verzerrung und und die Stimme, die er hörte, ohne sie
Spiegelung der im Nukleus präsenten zu verstehen, würde nie verstum­
Mutanten, Projektionen, deren Äuße­ men.
res sich an den »Originalen« der Nu­ Er war so dumm gewesen! Das
kleus-Bewusstseine orientierte. zu erkennen, war vielleicht das
Reginald Bull begriff, wessen er Schlimmste. Er hatte gewusst, dass es
Zeuge wurde. Er verstand es nicht, sie beobachtete und testete, ihnen
und doch wirkte es logisch. Finten legte und sie steuerte, wohin
Denn um einen Kontakt zu schlie­ es sie haben wollte. Er hatte gespürt,
ßen, mussten sie eine Ebene finden, dass es sein Tempo und die Grausam­
auf der sie gemeinsam präsent sein keit des Spiels anzog. Und er hätte
konnten. Der Dunkle Ermittler wissen müssen, dass Anulyns Stimme
G’schogun und der Nukleus waren zu niemals aus drei Richtungen zugleich
weit voneinander entfernt, ihre We­ kommen konnte.
sen waren zu unterschiedlich, als dass Ihr Zusammenhalt war das Einzige
sie hätten einander direkt auf einem und Wichtigste gewesen, was ihnen
Level begegnen können. noch geblieben war. Nun besaßen sie
Um Kommunikation zu ermögli­ gar nichts mehr. Jeder von ihnen war
chen, mussten sie eine eigene, ge­ allein und mit sich selbst gefangen im
meinsame Ebene schaffen. eigenen Kosmos des Horrors. Was mit
Genau dies geschah hier. Anulyns Verschwinden begonnen
Der Ermittler, manifestiert in der hatte, war vollendet. Sie würden
Schwarzen Zone, erfasste die »See­ elend krepieren. Vielleicht würde es
len« des Nukleus und spiegelte sie in sie noch sezieren, bei lebendigem
eine Sphäre, in der auch er sein konn­ Leib ausschlachten und, Zelle für
te. Das war die gemeinsame Platt­ Zelle, im eigenen Verzweiflungsschrei
form, auf der sie sich austauschen ersticken. Weil es daran Freude hatte,
konnten ... und vielleicht mehr ... weil es böse war, weil es ...
Tenpole Opera schrie, auch wenn er
* keine Luft mehr bekam. Er rannte
54 HORST HOFFMANN

gegen die Wände an, versank halb passte und ihnen das Leben gab, das
darin, schlug, stieß, wälzte sich, fiel sie nicht haben durfte ...
und kroch über den Boden, der ihm ... weil er es ihr genommen hatte!
seine düstersten Schwaden entgegen­
atmete und ihn anstarrte. Der flüster­ *
te und seufzte: Komm ... Du bist al­
lein ... Keiner braucht dich mehr ... Er war sich darüber im Klaren,
Du bist ... allein ... dass er sich ihre Stimmen nur einbil­
Er schrie die Namen seiner Kinder dete, weil er es sich wünschte.
und gab sich selbst die Antwort. Da­ Keine Sehnsucht war in diesen Mi­
bei mussten ihn mindestens Arnie nuten stärker als die, sie zu hören und
und Corsair doch hören, sie waren wiederzufinden. Wieder mit ihnen
nicht weiter als ein Dutzend Meter zusammen zu sein, um danach alles
entfernt gewesen, als sich die Wände besser zu machen. Ein ganz neues Le­
geschlossen hatten. Wahrscheinlich ben vielleicht, kein Streit mehr, keine
waren sie ganz genauso hilflos und Fluchten. Sie konnten es schaffen,
verzweifelt wie er. das wusste er. Sie würden es schaffen,
Und das wummernde Herz des wenn sie hier jemals wieder heraus­
dunklen Gottes schlug, drosch auf kamen.
ihn ein, hämmerte wie der Pulsschlag Er wusste, dass sie das niemals er­
der Ewigkeit ... leben würden. Er konnte klar denken.
Tenpole tobte so lange, bis er ohne Er war gesund im Kopf. Er stand und
jede Kraft im geschundenen Körper lauschte, ganz ruhig, ganz locker.
in der Mitte des Ganges auf dem Rü­ »Es ist nicht wahr«, murmelte er.
cken lag und schwer atmete. Wenigs­ »Ich kann sie nicht hören, das sind sie
tens das konnte er noch. nicht. Aber ...«
Er stellte das Atmen ein. Er hörte Es war ein Trug, es musste ein neu-
es, er hörte sie. Sie waren da, sie rie­ er Grad der Folter sein, aber ...
fen nach ihm ... Arnie, Corsair und Er konnte nicht sicher sein!
auch Anulyn! Tenpole Opera wusste, dass er wie­
Er wusste, dass es ein weiterer Be­ derum hereingelegt werden sollte.
trug war. Dass es nicht wahr sein Und wenn das Finster, wenn der
konnte. Dass das grausame Spiel wei­ Dunkle Ermittler, ihn noch tausend­
terging und nochmals verschärft wur­ undeinmal tötete – es waren seine
de. Dass sich sein Folterstuhl streckte, Kinder! Er hörte die Stimmen, so
dass er verrückt wurde und nicht mehr echt und so lockend. Sie riefen nach
unterscheiden konnte zwischen dem, ihm, er war ihr Vater. Er war der, den
was real war und was heller Irrsinn. sie brauchten, und er würde gehen.
Er wünschte es sich. Er verging in der Er würde sie nicht im Stich lassen,
Sehnsucht, die er niemals gekannt niemals.
oder auch nur für möglich gehalten »Wartet, Kinder!« Seine trockenen,
hatte. Er starb bei dem Gedanken rissigen Lippen schmerzten und
daran, seine Kinder nie wiedersehen schmeckten Blut. »Ich komme. Haltet
zu dürfen. Sie waren sein Alles. Sie aus, seid beieinander. Das seid ihr
waren das, was ihn mit Jeria versöh­ doch, oder? Ich höre euch, ihr seid al­
nen konnte, wenn er gut auf sie auf­ le zusammen und ...«
Finsternis über Terra 55

Er wankte vorwärts, spürte die ihrer verrückten Nachbarin, die an­


Schmerzen nicht mehr. Er taumelte geblich eine Seherin war.
in den Gang hinein, aus dem die Hätte sie dann nicht sehen müssen,
Stimmen der Kinder kamen. Es gab dass seine Jeria in ihrer Schrottkiste
nur diesen Weg. Er hörte sie, sie wa­ sterben würde?
ren da. Alle drei und ... zusammen. Sie stieg ein, winkte nicht, sah
Sie warteten auf ihn ... nicht zurück. Sie startete, hob sanft
Plötzlich war der Gang zu Ende, von der Landeplattform ab ...
und als sich die düsteren Schwaden »Bleib zurück, Vater! Tenpole! Tu
vor ihm lichteten wie ein Vorhang, es nicht!«
der von unsichtbarer Hand aufgezo­ Aber da war auch noch etwas an­
gen wurde, sah er einen weiteren deres. Es schälte sich aus den Fins­
Korridor vor sich, einen leuchtenden tern Schwaden, wuchs aus ihnen her­
Weg, scheinend im Glanz der absolu­ aus, war bei ihm ... näher denn je. Es
ten Düsternis, endlose Stufen aus sah ihn an, winkte, wollte, dass er zu
grenzenlosem Finster, die aus dieser ihm kam. War da und erstickte ihn
Welt hinausführten, selbst aus die­ durch seine furchtbare Nähe ...
ser ... Es begann an ihm zu zerren. Jetzt
»Komm nicht näher, Vater!« war es so weit, jetzt wollte es ihn. Der
Wer war das? Arnie? Corsair, Anu­ Dunkle Ermittler, das Finster, das Et­
lyn? Er konnte es nicht unterschei­ was ... welche Namen er ihm auch
den ... Nein, falsch ... es waren sie immer geben wollte. Nun kam es,
alle, alle drei. Sie riefen nach ihm mit jetzt hatte es ihn, wo es ihn haben
einer Stimme ... wollte. Es hatte ihn belauert und sei­
»Bleib stehen, Tenpole! Es ist eine ne Nähe spüren lassen. Es wollte sie
Falle! Wenn du diesen Weg gehst, alle haben, und nun war es endlich
wird dich die Finsternis endgültig am Ziel.
holen!« Das war also das Ende.
Nein. Es ging nicht. Er konnte nicht Tenpole stand.
stehen bleiben, jetzt nicht mehr. Es Oder ging weiter.
stand eine Million zu eins, dass auch Er wusste es nicht mehr.
dies ein Trick war, der übelste von al­ Sein Herz schrie und wummerte in
len, aber es gab eine Chance ... eins zu
einer Million.
Wenn seine Kinder ihn riefen und
warnten, waren sie diesen Weg vor
ihm gegangen. Dann warteten sie ir­
gendwo dort vor ihm. Er brauchte
nur zu ihnen zu gehen!
Jeria ... wie sie den Gleiter bestieg.
Sie winkte ihm nicht, denn sie hatten
sich gestritten. Sie musste dringend
zur Klinik, aber er gab ihr den eige­
nen Gleiter nicht. Aus Trotz, aus
Zorn, aus Falschheit. Sie hatte sich
diesen anderen bei Jessi ausgeliehen,
56 HORST HOFFMANN

der viel zu engen Brust. Wenn er Aus den Minuten wurden Stunden.
starb, waren auch seine Kinder tot. Bull besaß kein richtiges Zeitgefühl
Aber sie würden einander wiederse­ mehr, jeder Moment war wie in Star­
hen, in einer anderen Welt, die nur re, passives Erleben einer nicht nach­
besser sein konnte. vollziehbaren Kommunikation auf
Und ... Jeria, die er erst wiederge­ Ebenen jenseits des Verstehbaren.
sehen hatte, als sie die Bilder des Manchmal hob sich der Schleier,
Wracks in den Nachrichten zeigten ... und der Terraner konnte Roi Danton
Ihre Leiche, die sie aus dem Gleiter neben sich stehen sehen, genau wie er
geschält hatten. Der schreckliche Un­ geschlagen in zeitlose Andacht und
glaube in ihren toten Augen ... Spannung. Und Fawn Suzuke, wie
Schnitt. sie mit geschlossenen Augen vor dem
Nukleus hockte, wie sie die Lippen
bewegte, ohne den geringsten Laut zu
9. produzieren.
Pakt Sie konnten nichts tun. Zu keiner
Zeit erhielten sie die Möglichkeit, ir­
In diesen Augenblicken, so sagte gendeinen Einfluss zu nehmen. Der
Roi Danton später, hatte G’schogun, Nukleus gewährte ihnen selten Ein­
das Quant der Finsternis, seinen blick in seine Vorhaben, das war
Quell-Klipper verlassen. längst bekannt. Und der Dunkle Er­
Es fiel nicht nur Reginald Bull mittler akzeptierte zwar allem An­
schwer, zwischen dem Dunklen Er­ schein nach ihn als höhere Wesenheit
mittler G’schogun und seinem Vehi­ – nicht aber die Terraner als Verhand­
kel zu unterscheiden, denn für den lungspartner.
Betrachter – oder besser vielleicht: Stunden vergingen.
Erleber – waren sie wie eins. Ein Dann war es vorbei.
»Ding«, ein »Etwas«, ein »Finster« – Bull wusste es, als er sich von den
der Dunkle Ermittler eben. Füßen gehoben fühlte, als würde er
Aber in diesen wie endlos erschei­ schweben. Etwas veränderte sich, das
nenden Minuten hatte sich G’schogun Licht, die Geräusche, die nun wieder
aus seinem Quell-Klipper gelöst und an die Ohren drangen, das Erfühlen
sich zum Nukleus der Monochrom- der Welt.
Mutanten begeben. »Der Nukleus will zu uns spre­
Der Dunkle Ermittler als Sendbote chen«, sagte die Stimme von Fawn
des Chaos verhandelte mit dem Nu­ Suzuke. Die Mittlerin hatte sich er­
kleus, dem Repräsentanten der Ord­ hoben und zu den Wartenden umge­
nung. Finsternis traf auf Licht. dreht. Das Licht des Nukleus war
Und die Welt ging nicht unter. schwächer geworden, der dunkle
Die beiden unbegreiflichen Wesen Fleck fast verblasst. »Er wird uns nun
kommunizierten direkt, ohne Einbe­ sagen, was weiter geschieht.«
ziehung irgendeiner vermittelnden
Instanz. Sie tauschten sich aus, *
tauschten Informationen und Stand­
punkte, sie verhandelten miteinan­ Es war wie ein Erwachen, wie er
der. noch nie aufgewacht war. Ein Atem­
Finsternis über Terra 57

holen, wie er noch nie nach Luft ge­ oder nur geahnt. Es war der Herz­
schnappt hatte. Ein Geburtstag, wie schlag gewesen, der sie begleitet und
er noch niemals gefeiert worden beobachtet hatte. Es war der Finster
war. Gott dieser Welt, die Luft, die er ih­
Sein Herz ... tat nicht mehr weh, als nen zu atmen gab.
sei es nie krank gewesen. Als Tenpole Opera seinen letzten
Er war wieder da. Sie waren wie­ Schritt getan hatte, seinen letzten
der da, sie alle. Anulyn, Corsair, Ar- Atemzug genommen, war es bei ihm
nie. Er wusste nicht, wem er als Ers­ gewesen. Seine Nähe war größer und
tem um den Hals fallen sollte, sie grausamer gewesen als jemals vorher.
waren wieder bei ihm, wieder zusam­ Er sah es, ohne zu sehen, und hörte es,
men! Sie alle vier, die kleine Fami­ ohne zu hören.
lie! »Ja, die Terraner sind treu«, hatte
Jeria stand ebenfalls dabei. Er sah es ihm zugeraunt. »Ja, ihre Natur ba­
sie nicht, aber er wusste es. Sie war siert auf Solidarität. Sie lassen einan­
die ganze Zeit bei ihnen gewesen und der nicht im Stich.« Er verstand das
hatte sie geführt. Ihre Liebe hatte ih­ nicht und auch: »Ja, man kann sich
nen geholfen, den Weg bis zum Ende auf sie verlassen.«
zu gehen. Sich selbst zu überwinden, Er wusste nicht, was das bedeutete,
als es kein Weiter mehr zu geben aber ihm war klar, dass ihre Leiden
schien. nun endgültig zu Ende waren.
»Es wird gut, Tenpole!« Die Kinder waren da gewesen, hat­
Anulyn tanzte einen verrückten ten ihm aufgeholfen und ihn gestützt,
Reigen um ihn herum, dann Corsair, bis er wieder allein stehen konnte.
schließlich Arnie. Der Kleine hüpfte Sie waren die ganze Zeit über da, je­
mit, während Corsair seine Grimas­ der von ihnen mit seiner eigenen Prü­
sen schnitt und mit beiden Zeigefin- fung.
gern auf sie zielte. Aber er grinste Ja, das wusste Tenpole nun. Der
dabei wie ein großer, ausgelassener dunkle Gott dieser Welt hatte sie be­
Junge. Sie lachten alle, obwohl sie obachtet und getestet. Allein aus die­
noch nicht einmal draußen waren ... sem Grund hatte er sie entführt, und
frei ...! wenn er sie gequält hatte, dann nur,
Aber sie würden es sein! Es war um zu beobachten, wie sie sich ver­
vorbei! Es hatte es ihnen gesagt, ge­ hielten, wenn ihre Situation aus­
flüstert, gehaucht ... Das Etwas, das sichtslos wurde. Wenn es bequemer
Finster, der Dunkle Ermittler, der und gnädiger gewesen wäre, aufzuge­
dunkle Gott, G’schogun. ben, statt sich weiter selber zu fol­
Es war nicht mehr da. Es saß hier tern, bis an die Grenze der Selbstauf­
in diesem Etwas, in seinem Raum­ gabe ...
schiff, aber es war nicht mehr bei ih­ ... und darüber hinaus ...
nen. Vielleicht war es das gewesen, was
Seit dem Augenblick, als sie sich er hatte sehen wollen. Dass Tenpole
wiedergefunden hatten, an die Gesta­ sich lieber selbst aufgab als seine
de einer unwirklichen Düsternis ge­ Kinder. Dass auch diese in der Stun­
spült, hatten sie es gehört und gefühlt, de der Not ihre eigenen Weichen
in den dräuenden Schwaden gesehen stellten, ihre Fluchten und ihre Ängs­
58 HORST HOFFMANN

te vergaßen und sich gegenseitig Halt schlingen schienen, bis sein Kopf
gaben. wieder aus dem dunklen Gekräusel
Tenpole verstand es nicht mit dem auftauchte und Corsair winkte, fast
Kopf, doch sein Bauch sagte ihm, wie übermütig.
dass sie getestet worden waren und »Kommt!«, rief er. »Na los, ihr
die Prüfung bestanden hatten. Weicheier! Worauf wartet ihr noch?
Warum auch immer es hatte sein Es geht nach ... Hause!«
müssen. Arnie sprang mit einem lauten
Sie waren zusammen. Corsair – »Jaaaaa!«.
würde er wieder zum Sternenkrieger Anulyn drehte sich zu Tenpole um
werden, wenn sie hier heraus waren? und reichte ihm eine Hand.
Würde Anulyn sich wieder in die Ar­ Tenpole Opera schämte sich seiner
me der Männer flüchten, die ihr das Tränen nicht, als er sie nahm und
gaben, was sie zu Hause nicht gefun­ ganz fest drückte. Es war alles nicht
den hatte? wahr, oder? Seine Kinder und er ... sie
Und Arnie – würde er sich von waren wieder zusammen – und strit­
Neuem in seine virtuellen Welten ten sich nicht!
stürzen und langsam, aber sicher von Es war fast eine Spur zu perfekt ...
ihnen aufgesogen werden? vielleicht am bitteren Ende doch nur
Er sah das Leuchten in ihren Au­ wieder eine Finte des Dunklen Er­
gen, obwohl es dunkel war. Sie befan­ mittlers?
den sich wieder in genau jenem Und ... wie passte der Salzwasser­
»Raum«, in dem sie an Land gespült geschmack hierher, den er auf seinen
worden waren. Es war eine Art Lippen schmeckte? Die salzige Brise,
Schleusenkammer, das war ihm mitt­ die mit dem Licht zu ihnen herein­
lerweile klar. Gleich würde sich eine wehte ...?
Öffnung bilden, und sie wären frei. Er
wusste es. *
Im gleichen Moment entstand in
dem Finstern Horizont hinter dem Sie standen starr und lauschten.
Meer ein Licht, das rasch heller wur­ Mehr konnten sie nicht tun. Der
de. Es riss auf, schickte ihnen seine Dunkle Ermittler, der auf ihre Einla­
Strahlen entgegen, ging auf wie eine dung zur Erde gekommen war, und
neue Sonne in der Düsternis, die ewig der Nukleus der Monochrom-Mutan­
war. ten hatten sich ausgetauscht, kurzge­
»Es ist der Weg, den wir hierherge­ schlossen, beraten, geeinigt.
kommen sind, Kinder.« Er schluckte. Der Pakt mit dem Dunklen Ermitt­
»Gehen wir ihn? Wollen wir nach ler, so teilte es die mentale Stimme
Hause gehen?« des Nukleus mit, sei in diesen Mo­
»Ja, Vater«, sagten Arnie, Corsair menten besiegelt worden. Nach
und Anulyn zusammen, als hätten sie gründlichem Austausch von Infor­
es lange einstudiert. »Ja, gehen wir mationen, Standpunkten und Welt­
heim.« sichten sei G’schogun zwar nicht
Corsair machte es vor und sprang bereit, im Namen aller Ermittler-Re­
kopfüber in die schwarzen Fluten, bellen den sofortigen Kampf gegen
die ihn für einen Moment zu ver­ TRAITOR auszurufen, sondern auch
Finsternis über Terra 59

dieses Mal nur einen Nadelstich mit abwarten, wie und wann die Verbün­
den neuen Verbündeten auszufüh­ deten aktiv würden.
ren. Und das war es.
Denn TRAITOR sei unendlich und Damit endete die Botschaft des
TRAITOR als Ganzes könne ohnehin Nukleus, die gleichzeitig die des
nicht besiegt werden, selbst von den Dunklen Ermittlers G’schogun war,
Dunklen Ermittlern nicht. der zur Erde gekommen war, um die
Doch dieser eine Nadelstich solle Menschen zu studieren. Um zu son­
der Testfall CRULT sein! dieren, inwieweit sie sich als Verbün­
Einige Ermittler-Rebellen würden dete im Kampf gegen TRAITOR eig­
sich nach CRULT begeben, dort auf neten.
die Terraner warten und sich bereit­ Doch es war noch nicht das Ende
halten – um einzugreifen, wenn es der Wunder.
geboten sei. Reginald Bull war bereits darauf
Und wenn auch der Nukleus seinen vorbereitet gewesen, jetzt in seine
Teil der Abmachung erfüllte und das »reale« Welt zurückzukehren, sich
Kommando der Terraner Antakur neu zu orientieren und eher »Erleb­
von Bitvelt anzugreifen begänne! tes« in rationale Worte und Entschei­
Wie genau sich die Aktion gestal­ dungen umzusetzen. Doch G’schogun,
ten würde, sollte die Sache der Terra­ mit dem er und die anderen Terraner
ner sein, auch die Zeitgestaltung. Die kein einziges Wort gewechselt hatten,
Ermittler-Rebellen würden jedenfalls wartete noch mit einer weiteren
in CRULT Geduld mitbringen und Überraschung auf sie.
60 HORST HOFFMANN

In dem wabernden Feld aus Düs­ Und diesmal sprach er zu ihnen.


ternis, das den »Leib« des Ermittlers Auch die Ermittler-Rebellen, ließ
markierte, begann sich an einer win­ er die Terraner durch einen mentalen
zigen Stelle eine Art Perforation zu Impuls wissen, gingen ein hohes Risi­
bilden, als sich ein einziger Licht­ ko ein, wenn sie in CRULT einen An­
strahl aus dem dunklen Wallen wagte griff der Terraner unterstützten.
und den Beobachtern wie ein Speer G’schogun hatte sich deshalb nicht
aus purer Helligkeit entgegenstach. auf Versprechungen oder Versiche­
Er wuchs ihnen entgegen, erhob rungen verlassen wollen, sondern am
sich aus dem Düsterfeld und verwan­ lebenden Objekt geprüft, wie es mit
delte sich. Je näher er kam, desto grö­ der Verlässlichkeit der Menschen in
ßer und heller wurde er – bis sich in Krisensituationen aussehe.
ihm Konturen herauszuschälen be­ Das Resultat war positiv!
gannen. Die Terraner, so der Impuls, erhiel­
Reginald Bull stockte der Atem, als ten hiermit die »Probanden« wieder
er die vier winzigen Gestalten er­ zurück.
kannte, die wie eine Spitze auf dem Es war gleichzeitig der Abschied
Strahl saßen, die Spitze des ins Un­ des Dunklen Ermittlers G’schogun,
endliche wachsenden Speers, der zu der zur Erde gekommen war, um eine
einem Bild geworden war, das in Hö­ »andere Welt« kennenzulernen, als es
he und Breite wuchs. die seine war.
Die vier Gestalten waren nicht
starr. Sie lebten und schritten ihnen
wie über eine unsichtbare Rampe aus 10.
der Finsternis entgegen. Gleich 21. Juni 1347 NGZ, 7 Uhr
würden sie die Erde berühren. Sie
wuchsen wie in einem Lupeneffekt Die LEIF ERIKSSON II und zahl­
auf ihrem Weg ins Freie von Steckna­ reiche andere Einheiten der Flotte
delgröße zur Größe von echten Terra­ eskortierten den Dunklen Ermittler
nern heran ... bis sie am Boden ange­ G’schogun geradeso wieder aus dem
kommen waren und, offenbar stark Solsystem hinaus, wie es einem Besu­
entkräftet, ebenfalls wie in einem cher gebührte, der bereits mehr galt
Zeitraffer hinsanken – wobei sie sich als »nur ein vorübergehender Gast«.
an den Händen hielten und keine Se­ Manche sagten, dass diese Art der
kunde lang losließen. Verabschiedung fast eines Freundes
Bull wusste, um wen es sich han­ würdig gewesen wäre.
delte, noch ehe Sicherheitskräfte zu Die Menschen auf der Erde sahen
ihnen liefen und sich ihrer annah­ noch lange zum Himmel auf, der
men. Er musste sich eingestehen, die plötzlich wieder der Himmel war, den
vierköpfige Familie fast vergessen zu sie kannten, der ihnen vertraut war,
haben, die aus Terrania verschwun­ der für zwei Tage dunkler gewesen
den war. war als bei Sonnen-, Mond- und to­
Nun stand es also fest: Der Dunkle taler Sternenfinsternis.
Ermittler G’schogun hatte sie tat­ Sie begleiteten den Dunklen Er­
sächlich geholt und gab sie ihnen nun mittler bis nach MOTRANS-1 im Lu­
zurück. na-Orbit, wo der Halbraumtunnel
Finsternis über Terra 61

des Situationstransmitters für ihn er­ wissen, was sie an Bord des Quell-
stellt wurde, diesmal rund 1500 Klippers erlebt hatten. Er wollte se­
Lichtjahre weit in die Milchstraße hen, was für Menschen das waren, die
hinausreichend. einen Dunklen Ermittler überzeugt
Reginald Bull befahl aus Sicher­ hatten.
heitsgründen, danach MOTRANS­ Roi Danton war auf der Erde und
OC1 an einen anderen Standort zu Galapagos zurückgeblieben, wo er
verlegen. – »Nur für den Fall«, dass sich bereits mit der CRULT-Frage be­
doch irgendeine Art von Verrat sei­ schäftigte. Er würde, das war schon
tens der Ermittler im Spiel ist!« jetzt klar, kaum eine andere Wahl ha­
Insgesamt war sein Gefühl durch­ ben, als sich mit dem auf der Jupiter-
aus gut. Dantons Plan, mit den Er­ Bahn geparkten Traitank 1.199.188
mittler-Rebellen zu kooperieren, in die Höhle des Löwen zu wagen.
schien zu funktionieren – allerdings Bald würde es ernst werden. Das
auch zu einem eminent hohen Preis. musste gut vorbereitet sein, sollten
Denn der Aufenthalt des Nukleus der sie eine reelle Chance haben. Nur ...
Monochrom-Mutanten auf Terra war wie sollte dies aussehen?
nun nicht mehr länger geheim. Danton erwartete vom Nukleus de­
Der Aktivatorträger machte sich finitiv mehr als einen guten Rat­
nichts vor. Es war nicht Friede, Freu­ schlag, denn sein Leben und das sei­
de, Eierkuchen. G’schogun war, stell­ nes Kommandos würden davon
vertretend für die anderen Rebellen abhängen.
unter den Dunklen Ermittlern, ins Danton fragte mit allem Nach­
Solsystem gekommen und hatte, un­ druck Fawn Suzuke und erhielt die­
ter dem Strich, ein positives Fazit ses Mal tatsächlich eine konkrete
gezogen – nicht zuletzt aufgrund sei­ Antwort.
ner Studien am »lebenden Objekt«. Der Nukleus, teilte Suzuke mit,
Das war allerdings schon alles. Der wusste nicht, wie der Schlag gegen
Ermittler hatte sich nur einmal dazu CRULT erfolgen sollte. In dieser
herabgelassen, zu den Menschen zu Richtung hatte Roi also keine Hilfe
sprechen. Ansonsten hielt er jede zu erwarten. Er würde die Frage, die
Kommunikation mit ihnen für unter ihm auf der Seele brannte, wohl oder
seiner Würde. übel selbst zu klären haben. Zeit war
Die Terraner waren vielleicht für genug, nur die richtige Idee musste
ihn und seinesgleichen nicht mehr als her ...
ein Mittel zum Zweck. Und selbst
falls sie gemeinsam Erfolg hatten,
war nicht sicher, wie es danach wei­ 11.
terging. Sie konnten Waffengefährten Familienleben
sein, aber noch lange nicht automa­
tisch auch Freunde. »Zu Hause!« Anulyn drückte sich
Die kleine Familie ... Tenpole Ope­ mit dem Rücken gegen die Tür, die
ra und seine drei Kinder ... sich soeben hinter ihnen geschlossen
Bull nahm sich vor, sie einzuladen hatte. »Endlich!«
oder aufzusuchen, sobald er wieder »Irgendwann werde ich mal was
etwas Luft hatte. Er wollte genau gegen die Medien machen«, knurrte
62 HORST HOFFMANN

Corsair. »Was die für einen Blödsinn aber ... das ist nicht fair, Tenpole!
verbreitet haben ...« Du kannst doch nicht einfach ... so
»Ey, geil!«, rief Arnie aus der Tür tun, als sei das alles okay – oder?
zu seinem Zimmer, in dem schon die Und wenn ich jetzt abhauen würde
bunten Lichter seiner Holo-Displays und zu Leon ... oder Tom ... oder
tanzten und ihn von hinten be­ Pierre ...?«
schienen. »Corsair ballert jetzt gegen »Ich wundere mich sowieso, dass
die Medien, so richtig multime­ du immer noch hier bist«, sagte ihr
dial! Nix mehr mit TRAITOR, Gro­ Vater ungerührt.
ßer?« »Das ist ... das ist ...!«
»Was interessiert mich die ver­ Sie stemmte die Fäuste in die Sei­
dammte Kolonne?« Corsair spielte ten, holte Luft, verdrehte die Augen,
mit seinen Muskeln. »Pah, die ist weit stieß den Atem aus, trat auf, schrie
und deshalb uninteressant. Der eine spitz und kurz, warf den Kopf in den
ist hier, aber das seht ihr natürlich Nacken, schrie noch einmal – und
nicht. Macht alle nur weiter in eurem schoss davon in ihr Zimmer.
Trott. Ich weiß jedenfalls, was ich zu Keine Minute später war sie wieder
tun habe.« da, gestiefelt und gespornt in einem
Tenpole saß am Tisch der Küche Minikleid, das nicht einmal die Be­
und schaute zu, wie sein Ältester in zeichnung »breiter Gürtel« verdient
seinem Zimmer verschwand. Hin­ hätte. Die Bluse war ein Fummel aus
ter ihm knallte die Tür in die Fas­ ineinander verklebten Fetzen.
sung. »Was ist, Tenpole? Warum fragst du
Anulyn sah ihn verwundert an. nicht, ob ich wirklich so rausgehen
»Was denn, Tenpole? Keine Reakti­ will? Ich meine, zu Leon. Zu meinen
on? Willst du nicht hinter ihm her Jungs, zu den Durchgeknallten ...«
und ...« »Dann bestelle ihnen viele Grüße
»Warum?«, fragte Tenpole halb ab­ von mir. Und ... erkälte dich nicht,
wesend und trank sein Bier aus der mein Schatz.«
Flasche. Eine neue Idee spukte in sei­ »Mein ... Boah ey!«
nem Kopf herum, eine neue Life-on­ Anulyn warf sich mit Wucht in die
demand-Variante: »Ein Tag Leben in Brust und rauschte davon. Tenpole
der Hölle – Chaos-life im Dunklen zuckte nur kurz zusammen, als die
Ermittler!« Tür knallte.
»Weshalb sollte ich?« Dann lehnte er sich zurück und
»Findest du das gut?« Sie zeigte auf nahm den nächsten Schluck. Es tat
die Flasche in seiner Hand. »Alkohol gut, das hatte er vermisst.
am helllichten Tag? Ist es das, was du Er hörte das Wummern der Strahl­
unter einem Vorbild für deine Kinder geschütze aus Corsairs Sternenkämp­
verstehst?« fer-Zimmer und das elektronische
Er zuckte die Achseln. »Na und?« Gedudel der Freak-Horrorprogram­
»Mutter hätte das nicht gut gefun­ me aus Arnies Domizil.
den!« Tenpole verzog das schmale Ge­
»Na und?« sicht zu einem müden, aber fast seli­
Anulyn stand vor ihm, kerzenge­ gen Lächeln und dachte bei sich: Ja,
rade, um Worte bemüht. »Aber ... Jeria, so sind die nun mal, unsere
Finsternis über Terra 63

Kinder. Die Welt ... unsere Welt ... ist war auch meine Schuld ... und ich
wieder in Ordnung ... warte auf dich ...«
Jeria lächelte zu ihm zurück, von So waren sie, die Operas, seine
irgendwoher, und ließ ihn wissen, dass kleine Familie.
sie stolz war auf ihn und ihre drei. Der nächste Außerirdische konnte
»Ich war dir nie böse, Tenpole ... Es kommen.
ENDE

Terra sammelt Verbündete um sich – obwohl mit jedem von ihnen die Chancen
steigen, sich der Terminalen Kolonne erwehren zu können, erhöht sich auch
die Wahrscheinlichkeit für einen Verräter in den eigenen Reihen. Zudem kann
längst nicht sicher sein, wie das Ringen um die Zukunft der Erde ausgehen
wird.

Mit Band 2471, der in einer Woche erscheint und der von Arndt Ellmer ge­
schrieben worden ist, blenden wir zu Perry Rhodan um, der sich auf dem
Heimweg ins Solsystem befindet. Die Besatzung der JULES VERNE erfährt
darin mehr über seltsame Geschenke. Der Roman erscheint unter folgendem
Titel:
DAS GESCHENK DER METALÄUFER

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 33. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
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A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustim­
mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. November 2008.
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PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
SCHWARMINTELLIGENZ
Bei der Begegnung von Vertretern einander völlig Insekten wie Ameisen, Termiten, Bienen und derglei­
fremder Völker gilt es als Erstes, die Kommunikations­ chen. Die Handlungen der Einzelindividuen bleiben
barriere zu überwinden. Guten Willen, Toleranz und beschränkt und folgen einem häufig sehr begrenzten
Geduld auf beiden Seiten vorausgesetzt, lässt sich Verhaltens- und Reaktionsrepertoire, dennoch erfül­
dieses Hindernis mithilfe von Translatoren mehr oder len sie ihre Aufgaben sehr zielgerichtet und effizient.
weniger schnell überwinden. Ob es dann im zweiten Das Schwarmverhalten von Fischen und Vögeln zeigt
Schritt zu einer wirklichen Verständigung kommt, beispielsweise eine bemerkenswerte Perfektion, ob­
hängt sehr davon ab, wie stark sich Mentalität, Welt­ wohl das Prinzip auf nur drei Regeln basiert, die es den
sicht, Ethik und dergleichen voneinander unterschei­ Individuen eines solchen Schwarms ermöglichen,
den oder nicht. Durchaus möglich, dass die Unter­ sich in Synchronizität zu bewegen: 1) Beweg dich
schiede zu groß sind. In einem solchen Fall wird sich Richtung Mittelpunkt derer, die du ringsum siehst, 2)
die Kommunikation auf den Austausch allgemeiner beweg dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt,
Informationen beschränken und eine echte Annähe­ 3) beweg dich grob in jene Richtung wie deine Nach­
rung wohl eher nicht zustande kommen. barn. Aus diesen Regeln auf individueller Ebene folgt
Wenn wir uns vor Augen führen, wie sehr sich bereits die Gesamtstruktur des Schwarms. Der Vorteil des
Mentalität und Denkweise von Menschen auf der Erde Schwarmverhaltens ist beispielsweise der Schutz,
unterscheiden, die »nur« aus anderen Kulturen ande­ weil Fressfeinden eine geringere Angriffsfläche gebo­
rer Kontinente kommen – beispielsweise Vertreter der ten wird.
sogenannten westlichen Zivilisation im Vergleich zu Auch unser Gehirn basiert auf dem Zusammenspiel
solchen aus Afrika oder Asien, wobei schon diese Um­ eines »Superorganismus«, dessen Individuen – näm­
schreibung eine extreme Vereinfachung darstellt! –, lich die einzelnen Neuronen – letztlich vergleichswei­
lässt sich leicht erkennen, welches Potenzial an Kon­ se »dumm« sind und abhängig von ihrer Reaktions­
flikten und grundsätzlichem Unverständnis aus der schwelle »feuern« oder »nicht feuern«. Erst im Zu­
Begegnung von Volksvertretern erwachsen kann, die sammenwirken von Abermilliarden Nervenzellen, die
einer völlig anderen Evolution von unterschiedlichen komplexen und spezifischen Regeln folgen, entsteht
Welten entstammen. Schon auf dieser Ebene können das, was wir Intelligenz nennen.
voneinander abweichende Auffassungen, welche Be­ Die Tarnii KOLTOROC sind ebenfalls unter der Rubrik
deutung ein Individuum und das gesellschaftliche Schwarmintelligenz einzuordnen: Die Individuen sind
Ganze haben sollen oder dürfen, gravierende Auswir­ vergleichsweise »dumm«, haben nur eine be­
kungen zeitigen. schränkte Wahrnehmung, aber dennoch funktioniert
Gesteigert wird diese Schwierigkeit noch um ein Viel­ ihr Zusammenspiel in einer fast perfekten Weise. Erst
faches, sobald eine der Seiten den Regeln einer die Schwarmintelligenz als Ganzes ist in der Lage, bis
Schwarmintelligenz folgt. Abhängig von der Ausprä­ zu einem gewissen Grad zu interagieren, zum Beispiel
gung, kann von Gruppen- oder Kollektiver Intelligenz den Bewegungen der Kolonne zu folgen. Was den In­
gesprochen werden – bis hin zum »Superorganis­ dividuen persönlich fehlt, gleicht die Schwarmintelli­
mus«. Letzterer zeigt als Ganzes intelligente Verhal­ genz aus. Grundlage ist das ausgefeilte Kommunika­
tensweisen, die zwar von der Kommunikation und den tionssystem des Staatenfunks, der innerhalb der
spezifischen Handlungen der Individuen abhängen, Staatenschiffe permanente Kontakte zwischen allen
aber unter dem Strich auch deutlich darüber hinaus­ Angehörigen herstellt. Die Individuen erbringen kei­
gehen, getreu dem Motto, dass das Ganze mehr als nerlei sonderliche Denkleistung, aber jedes einzelne
nur die bloße Summe seiner Teile ist. Hauptkennzei­ Mündel KOLTOROCS kommuniziert über das ins Hirn
chen ist hierbei das Fehlen einer zentralisierten Form implantierte Funkgerät – und die unglaubliche Menge
der Oberaufsicht im Sinne einer Hierarchie oder eines gleichzeitig aufgenommener Informationen, obwohl
Befehlsbaums – an ihre Stelle tritt eine hochgradig meist auf Befindlichkeiten, Beobachtungen und In­
entwickelte Form der Selbstorganisation. stinktregungen beschränkt, formt die eigene Hand­
Aus der Tierwelt sind eine ganze Reihe klassischer lung wie auch jene des Schwarms insgesamt.
Beispiele bekannt, vor allem bei Staaten bildenden Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,
Autoren, Redaktion und Verlag wünschen euch ein Gleichfalls stelle ich fest, dass auf der LKS die Zu­
gesegnetes und besinnliches Weihnachtsfest. Lasst schriften von anderen Lesern wenig reflektiert wer­
euch nicht zu sehr von der Hektik draußen und im den beziehungsweise wenig Bezug auf die Gedanken
»Glotzofon« anstecken. Lesen ist lange nicht so anderer Leser genommen wird, so, wie ich jetzt auf
stressig. Vor mir liegt eine schon ältere Ausgabe aus eine Idee von Mike Potthoff eingegangen bin.
dem Bertelsmann Lesering, die ich 1963 geschenkt Auch hätte ich gerne gewusst, ob die auf der LKS Ver­
bekam: »Unter dem Tannenbaum – die schönsten ewigten sich untereinander austauschen. Das können
Weihnachtsgeschichten«. Da finden sich Namen wie aber nur die Genannten beantworten.
Tolstoi, Rilke, Capote, Storm, Borchert, Stifter, aber
auch die berühmte Geschichte »Der Weihnachts­ In Sachen Reflexion der LKS-Beiträge durch andere
abend« von Charles Dickens ist drin. Ihr erinnert Leser habe ich eine gute Nachricht. Das hat im letzten
euch ... Uncle Scrooge. halben Jahr zugenommen. Was wiederum darauf hin­
Gut, die Verfilmung mit Patrick Stewart ist optisch her­ weist, dass sich mehr Leser von der LKS angespro­
vorragend umgesetzt, aber den gedruckten Text er­ chen fühlen, was wiederum am Inhalt der Zuschriften
setzt sie nicht. liegt und an der Genialität des ... (Lassen wir das.
Wem der Weg zum Bücherschrank im Moment zu weit Witze zu Weihnachten sind nicht jedermanns
ist, auf den wartet diese LKS. Sache.)
Dass eine solche Kommunikation schwierig ist, liegt
Auch ein Weihnachtsgeschenk
an den Zeiträumen. Bis deine Reflexion erschien, dau­
Michael Schreiber, michael.schreiber@bluemail.ch erte es acht Wochen. Bis Mikes Antwort darauf er­
Ich habe eine komplette PR-Heftsammlung seit Num­ scheint, falls er denn antwortet, nochmals mindes­
mer 1 – diverse Auflagen, dazu ATLAN-Hefte (Minizyk­ tens acht. Macht zusammen vier Monate. Die
len) und Taschenbücher zu verschenken. Für Selbst­ Kommunikation per E-Mail oder im Galaktischen
abholer und schon in Schachteln verpackt. Region Forum läuft schneller.
Basel/Schweiz. Zur Wunschliste: Ihr seid jetzt also zu zweit, die frei­
willig doppelt zahlen wollen. Falls der Verkäufer den
Wer noch immer nichts Passendes für Weihnachten Mehrbetrag nicht annehmen will, überweist ihn auf
gefunden hat, vielleicht ist das ja die Lösung. Umtau­ das Konto des Verlags (Vorsicht, schon wieder ein
schen wird in diesem Fall aber nicht gehen. Scherz).
Mehr Wunschzettel gleich in der folgenden Zuschrift.
Wunschzettel zu Band 2500
Manfred Herbst, herbstman@t-online.de Frank Sczensny, devoteefrank81@gmx.de
»Der Fund von Amienolc« hätte auch ein Jubiläums­ Nach langen Monaten des stillen Genießens muss ich
band sein können, so gut war er. Ebenso gut war PR- mal wieder ein paar Zeilen an dich verfassen.
Extra 7, nur auf einer etwas anderen Ebene. Ihr über­ Ich bin gerade dabei, das Ende von PR Nummer 2461
trefft euch mal wieder selbst, und das trotz der vielen zu lesen. Bisher ist euch der Negasphären-Zyklus
anderen Produkte, die noch nebenher erscheinen. wirklich sehr gut gelungen. Ich habe jedoch schon mal
Der eigentliche Anlass meiner Mail ist aber der Leser­ einen Blick auf die LKS von Heft 2462 geworfen und
brief von Mike Potthoff zum Thema Band 2500 auf der möchte mich einigen dort angesprochenen Dingen
LKS von 2462. Genau wie Mike bin auch ich bereit, das widmen.
Doppelte für einen Jubiläumsband zu zahlen. Mike ist Der Jubiläumsband 2500: Sollte dieser Brief erschei­
also nicht mehr der Einzige. nen, sind es noch zirka 30 Wochen bis zum Jubilä­
Deine Argumente gegen einen doppelten Preis kann umsband, also über ein halbes Jahr. Mir kam bei dem
ich schwerlich entkräften, da ich mich in dieser Bran­ Wunsch, einen Roman mit doppeltem Umfang zu er­
che nicht auskenne. Die Nachauflagen kosten genau­ stellen, ein TV-Spot für Wunschmüsli in den Sinn. Da
so viel, das PR-Extra hat einen anderen Preis. Warum geht man auf die Internetseite und stellt sich das Müs­
sollte es nicht möglich sein, einen Jubelband mit li ganz nach seinen Wünschen zusammen.
einem anderen Barcode auszustatten? Warum macht ihr nicht etwas Ähnliches für Nummer
Wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch! 2500? Die Leser können (bitte realistische) Wünsche
zu Romaninhalt (Extras) oder Umfang abgeben. Die und Christkindle suchen. Davon streicht uns dann der
drei besten Vorschläge gebt ihr dann in Druck, zum Kalkulator die Hälfte, und die andere lässt sich in
Beispiel: einem halben Jahr zeitlich nicht mehr verwirklichen.
– einen mit doppeltem Inhalt inklusive Mike Potthoffs Ein ganz normales Heft wie jede Woche, das wäre
»Nummer 0«; doch mal eine gelungene Abwechslung als Jubel­
– einen mit Poster, Bastelanleitung für XRAYN und HIS­ band. Aber keine Angst. Dieser Fall wird nicht eintre­
MOON und das Modell der PENDULUM; ten.
– einen mit kostenlosem Download des Hörbuchs und Jetzt aber weiter mit deinen Zeilen:
anderen Net-Goodies (euch fällt ja immer was
Nettes ein). Noch etwas zum Stardust-System. Da gibt es die wil­
Natürlich müssten die Extrawunsch-Romane vor desten Spekulationen. Bitte lasst euch da nicht rein­
Druck von den jeweiligen Lesern geordert und bezahlt reden. Dass das Stardust-System in ein anderes Uni­
werden. Ist so was zeitlich noch möglich, oder geht versum oder eine andere Zeit eingebettet ist, wäre
das eher bei Band 3000? sehr unrealistisch und würde Neuleser abschrecken.
Perry und Atlan müssen die Negasphäre in Hangay
Dein Wunschmüsli liest sich toll. Organisatorisch lie­ verhindern, um nicht zu viel Spielraum in unserer Ga­
ße sich das leider nicht bewältigen. Auf 100.000 Leser laxis für weitere Handlungsstränge inklusive der Hy­
kämen mindestens 50.000 verschiedene Versionen perimpedanz zu verlieren. Aber wer sagt denn, dass
des Bandes, sodass der Preis für jedes Heft mindes­ der Chaotender vernichtet werden muss oder andere
tens im vierstelligen Bereich läge. Einheiten des Chaos?
Was wir machen und weshalb wir eure ersten Reakti­ TRAITOR arbeitet universell beziehungsweise multi­
onen zur LKS 2462 jetzt im Weihnachtsband abdru­ universell. Also müssen Perry und Co. einen Weg fin­
cken: Wir werden uns alle eure Wünsche ansehen, mit den, das vom Chaos bedrohte Stardust-System vor
unseren eigenen vergleichen und dann nach dem den Chaosschrecken zu erreichen.
bestmöglichen Kompromiss für alle Geschmäcker Währenddessen wird dort von neuen Helden das neue

Pannenhilfe im All
Kleine Hommage
an Reinhard Habecks Rüsselmops
von Willi Diwo, willi.diwo@freenet.de
Galaktische Rätsel gelöst und neue kosmische Rätsel Möge er noch lange andauern, damit Heft »0« nie
enthüllt oder gemeistert. wirklich veröffentlicht werden muss.
Auf dem Weg nach Stardust findet Perry die Motana Oder war es doch kein Traum?
und Gon-O auf dem Flug ins Ahandaba. Das Ende des
Sternenozeans war mir zu mysteriös, als dass ihr nie Während ich deine Zeilen lese, sitze ich gemütlich im
mehr darauf zurückkommen würdet. Wo liegt das Kaminsessel und knacke ein paar Paranoia-Nüsse
Ahandaba? Im Stardust-System? Was ist Ahan­ oder wie die heißen. Für deine Zeilen sind wir dir dank­
daba? bar, denn du hast uns die Arbeit einer Veröffentlichung
Kantiran könnte mit seinen Friedensfahrern ein Bin­ dieser Nullnummer abgenommen. Fröhliche Weih­
deglied bilden (zum Beispiel zur Gründermutter?). nachten!
Stenogramm
Jörg Schulmeister, jpschulmeister@gmx.de
Ich finde, du hättest Mike Potthoff (LKS Heft 2462) »Venus ist tot«. Der Titel passt nicht ganz in diese
ruhig die Wahrheit verraten können. Ihr könnt doch Woche, aber der Autor: Uwe Anton. Man muss ihn euch
endlich mal zugeben, dass es das PR-Heft »0« seit nicht extra vorstellen. Als Autor herausragender Ro­
über 20 Jahren gibt. Ihr habt es in eurem Tresor ver­ mane, als Exposé-Autor bei den ATLAN-Heft-Kurz­
steckt. Es wurde nach der Tschernobyl-Katastrophe zyklen und als Experte für Science Fiction im Allge­
1986 geschrieben für den Fall, dass die PR-Serie mit meinen hat er sich längst einen Namen gemacht.
sofortiger Wirkung eingestellt werden muss, weil eine Jetzt gibt es eine wunderbare Gelegenheit, den
Katastrophe die Existenz der Menschheit bedroht. Schriftsteller auch als Verfasser von Kurzgeschichten
Seitdem wurde der Roman einige Male aktualisiert, kennenzulernen.
zuletzt während des Börsencrashs im September Im Fabylon-Verlag erschien jetzt sein Kurzgeschich­
2008. ten-Band mit 15 Storys aus der Welt von morgen –
Hier kurz die Handlung von Heft »0«: Im Jahr 2011 bitterböse, ironisch, pointiert und vor allem gut er­
erlangt der frühere Astronaut Perry Rhodan in einer zählt.
Klinik der NASA nach 44-jährigem Wachkoma das Be­ Das Taschenbuch ist 264 Seiten stark, kostet zwölf
wusstsein. Er hatte im Jahr 1967 einen Unfall beim Euro und ist mithilfe der ISBN 978-3-927071-23-0 in
Training im Weltraum. jeder Buchhandlung oder über Versender wie amazon.
Ursprünglich sollte er der Mann sein, der einmal als de zu bestellen.
Erster den Mond betreten würde. Dies war damals für Infos: Fabylon-Verlag, Uschi Zietsch-Jambor und Ge­
das Jahr 1971 geplant. rald Jambor, Günztalstraße 13, 87733 Markt Retten­
Die Ärzte, die den mittlerweile 75-Jährigen betreuen, bach, E-Mail: team@fabylon-verlag.de www.fabylon­
stellen fest, dass er geistige Schäden davongetragen verlag.de.
hat. Er verlangt einen gewissen Bully zu sprechen, mit
dem er damals auf dem Mond gelandet sein will. Als Letzte Meldung
man ihm zu erklären versucht, dass er niemals auf Ein Bonbon zum Jahresende kann ich hier auch an­
dem Mond war, faselt er etwas von Chaoten oder kündigen. Ab kommende Woche gibt es ein tolles Fort­
Anarchen, die ihn in eine Parallelwelt entführt hätten. setzungscomic in der Erstauflage. Es stammt von den
Die Ärzte beschließen, dass man dem Patient besser Machern der PERRY-Comics, auch bekannt als Alliga­
seinen Glauben lassen sollte. torfarm.
Dieser verfällt in eine Art Sprechzwang, den man auf­ Wer bisher immer geglaubt hat, die würden Tag und
zeichnet. Rhodan erzählt, was er in seinem Wachko­ Nacht Krokodile füttern, täuscht sich. Die Mädels und
ma geträumt hat. Jungs um Kai Hirdt schwitzen nicht vor Angst, son­
Ihr seht also – die ganze PR-Serie war nur ein Traum. dern vor Arbeit.

Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt • mail@Perry-Rhodan.net

Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans.


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Diese Woche in der 5. Auflage: PERRY RHODAN, Heft 1368/1369,


mit den Titeln:
Band 1368 – H. G. Ewers
IRUNA
Atlan trifft seine große Liebe – ein Ränkespiel beginnt

Band 1369 – K. H. Scheer


Strangeness-Rhapsodie
Mit der CORDOBA unterwegs – an der Grenze des fremden Universums
Dunkle Ermittler; Refaktiver Sprung sung durch den Refaktiven Sprung aufs Spiel setzen. Dies
Den Dunklen Ermittlern wurde verheißen, durch den »Re­ ist für sie nicht entschuldbar, durch gar nichts, denn
faktiven Sprung« werde jedes Mal ein Quant der Finster­ Xrayn könnte deswegen die Dunklen Ermittler aus dem
nis aus seinem schrecklichen Dasein erlöst. Dieser Dienst des Chaos verstoßen, Twarion Uruc könnte aufhö­
Sprung geht stets auf den Ruf des Energiewesens Twari­ ren, den Refaktiven Sprung abzuhalten. Aus diesen Über­
on Uruc zurück, der alle Ermittler über dem Ereignishori­ legungen heraus versuchen die meisten Ermittler, im Fall
zont eines gigantischen Schwarzen Loches zusammen­ einer Konfrontation jede Rebellion zu ersticken – um
ruft, wo sich die Quanten aus den Quell-Klippern lösen. nicht die Erlösung zu riskieren.
Besinnungslos vor Erwartung, umtanzen die Quanten Die Bestrafung für Rebellentum ist hart: Man entzieht
jene Position unterhalb des Ereignishorizonts, aus der dem Quant der Finsternis sein Raumschiff, seinen schüt­
schließlich Twarion Uruc auftauchen wird; dieses Auftau­ zenden Quell-Klipper. Denn töten kann man ein Quant der
chen gleicht einer energetischen »Blume«, die sich in Finsternis nicht. Aber mit dieser Handlung stößt man das
Schichten entfaltet und nach einigen Minuten eine halbe Geschöpf wieder schutzlos hinaus ins Universum, so wie
Lichtsekunde Radius über dem Ereignishorizont um­ Äonen zuvor, nach der Urkatastrophe, aus der die Quan­
fasst. Die Quanten versuchen, ins Innere der »Blume« ten der Finsternis hervorgegangen sind. Und man be­
vorzudringen, und einem von ihnen wird dies pro Refak­ raubt dadurch das Quant jeglicher Möglichkeit, dass die
tiven Sprung gestattet: Eine n-dimensionale Explosion Chaotarchen doch noch ihr Versprechen halten: die Ver­
zerreißt das eindringende Quant der Finstenis und trennt schmelzung zwischen Finsternis und On- bzw. Noon-
das On- bzw. Noon-Quant von jenem Stückchen Element Quanten aufzuheben.
der Finsternis, mit dem es über Ewigkeiten verbunden Dunkle Ermittler; Rebellen des Feldzuges Hangay
war. So zumindest scheint es. Unter den Dunklen Ermittler, die für den Einsatzort Ne­
Der Refaktive Sprung, nur alle paar tausend Jahre abge­ gasphäre Hangay und umliegende Galaxien mit TRAITOR
halten, führt den Quanten stets vor Augen, dass es eine in die Milchstraße kamen, befindet sich eine geheime
Chance gibt, eines Tages erlöst zu werden. Das ist auch Gruppe von Rebellen. Deren erstes Ziel ist es, Antakur von
ihr ganzer Antrieb: Zu dienen, und sei es über Jahrmillio­ Bitvelt – den Progresswahrer des Feldzuges und damit
nen – und wenn der Refaktive Sprung erfolgt, betet jedes eine der obersten Instanzen vor Ort – auszulöschen.
Quant, es möge dasjenige sein, das erwählt wird. Wenn es zur Schlacht um Hangay kommen wird (sie
Dunkle Ermittler; Entstehung der Rebellen rechnen mit rund tausend Jahren), wollen sie zudem
Eines Tages geschieht es, dass einer der Ermittler in Kon­ komplett die Seiten wechseln. Letztlich wollen sie den
takt zu einem »erlöst« geglaubten Quant der Finsternis Hohen Mächten demonstrieren, dass sie den Bau VULTA­
gerät und dabei feststellt, dass die Chaotarchen ihr ur­ PHERS behindert haben – und sich damit und mit ande­
altes Versprechen, die Quanten der Finsternis zu erlösen, ren noch zu begehenden Verraten auf die Seite der Kos­
niemals gehalten haben. Das Quant, das im Refaktiven mokraten schlagen. Dies soll die Rache für den Betrug der
Sprung scheinbar erlöst wird, wird lediglich durch einen Chaotarchen an den Ermittlern sein.
unbekannten 6-D-Effekt unter den Ereignishorizont des Terrania; Atlan Village
Schwarzen Loches geschleudert und von dort in ein an­ Dieses »Paradies der Künstler und Galerien« erstreckt
deres Universum, in eine andere Zeit – von wo es kaum sich bis auf die Hänge des Ringwalls um den Handels­
je wieder in die »relative« Gegenwart und Jetztzeit und Zivilhafen Terranias. Nachdem sich seit 2040 n. Chr.
dieses Universums zurückfindet. aufgrund Atlans großer Popularität auf Terra der Name
Statt das Quant der Finsternis von dem On- oder Noon- inoffiziell gebildet hatte, wurde er anlässlich der Inthro­
Quant zu trennen, wie es versprochen wurde, wird es le­ nisation Atlans als arkonidischer Imperator Gonozal VIII.
diglich von seinem Quell-Klipper getrennt und »ent­ am 19. Juni 2050 n. Chr. offiziell bestätigt.
sorgt«. Allein aus diesem Grund findet der Refaktive Alle Gebäude in diesem Viertel sind flach und folgen in der
Sprung stets über dem Ereignishorizont eines riesigen Anordnung einem eher assoziativen Straßenbild. Dort
Schwarzen Loches statt: Allein dort können die Quanten gibt es die verwinkeltsten Gassen ganz Terranias, aber
der Finsternis getäuscht werden; nur an einem solchen auch die besten Straßencafés, Nachtlokale und Restau­
Ort ist es ihnen unmöglich, den weiteren Weg des »er­ rants. Auch viele Studenten der Universität Terrania leben
wählten« Quants zu beobachten. aufgrund der räumlichen Nähe in diesem Stadtteil.
Aus diesem schockierenden Wissen entwickelt sich die Etwas erstaunlicher wirkt auf den ersten Blick, dass hier
Bewegung der Rebellen, die allerdings nur wenige Pro­ auch etliche Studenten der Space Academy Terrania le­
zent aller Dunklen Ermittler ausmacht. Die meisten Er­ ben, doch ist die Verkehrsanbindung dank der Thora Road
mittler glauben nach wie vor an das Versprechen Twarion als Haupt-West-Ost-Verbindungsachse so exzellent, dass
Urucs, das dieser im Namen Xrayns machte. Sie wissen es kaum ins Gewicht fällt, quasi am anderen Ende der
zudem , dass die Rebellen in ihrer aller Namen die Erlö­ Stadt zu leben.

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