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Wir Kinder uom Bahnhof Zoo ist die wahre Geschichte von

Christiane F.

Christiane ist nicht wie andere 15-jährige Mädchen. Sie ist


abhängig von Drogen, schon zwei Jahre. Und sie tut alles,
um an Geld für Heroin zu kommen. Ihre Mutter denkt,
Christiane geht zur Schule. Aber in Wirklichkeit ist sie am
Bahnhof Zoo. Dort verdient sie Geld, weil sie mit Männern
mitgeht. Christianes Leben ist ein großes Chaos. Schafft sie
es, da noch herauszukommen?

Die Bahnhofshalle war dreckig. Aber der Gestank


störte mich schon bald nicht mehr.
Dort waren zwar Bullen, Besoffene und Stricher.
Aber ich gehörte dahin, weil Detlef dort war.
Oft wurde ich angestarrt. Die Freier wimmelte ich ab,
wenn sie mir Geld boten: ,,Bei mir läuft gar nichts, Alter .
Hau ab!" Ich war ihnen überlegen .
Das fand ich cool.

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo-die Kurzfassung in einfacher


Sprache. Die Originalfassung erschien 1978 und ist heute
im Carlsen Verlag erhältlich. 1981wurde Wir Kinder uom
Bahnhof Zoo verfilmt .

ISBN978 3 9813270 5 2

1/
www. spassaml esenve rl a g.de
9 783981 327052
WirKinderuom BahnhofZoo
Kurzfassung in einfacher Sprache

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•aß am Lesen Verlag


ww.spassamlesenverlag.de
Christiane F.
.1

Kurzfassung in einfacher Sprache des Wir Kinderuom BahnhofZoo


Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo".
Die Originalfassung erschien 1978 im
Verlag Gruner+ Jahr und ist heute im
Kurzfassung in einfacher Sprache
Carlsen Verlag erhältlich.

ext Originalfassung: Christiane F.mit Kai Hermann und Horst Rieck


ext Kurzfassung in einfacher Sprache: Sonja Markowski
Jmschlagmotiv: Shutterstock
,atz und Gestaltung: EenvoudigCommuniceren
)ruck: Esay-to~Read Publications

~ Oktober2012 !Spaß am Lesen Verlag, Münster.


~lle Rechte vorbehalten. Nichts aus dieser Ausgabe darf ohne vorherige
;chriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt, in einem
1utomatisierten Datenbestand gespeichert oder veröffentlicht
rverden, in irgendeiner elektronischen oder mechanischen Form oder
n Form von Fotokopien.Aufnahmen oder auf irgendeine andere Art
1,'
'

7 Vorwort 68 Geld
70 AtzesTod
8 Der Umzug 72 Geschnappt
11 Meine Familie 74 zweiter Entzug
14 Spielen 77 Axels Tod
18 Der neue Freund 79 ,,Bitte, Bitte,
21 Zwölf Mutti ..."
23 Kessi 82 Therapie
25 Die Clique 86 15.Geburtstag
28 LSD 89 Weg bei Narconon
31 Diskothek „Sound" 92 Bei meinem Vater
33 Verliebt 94 Wiedersehen mit
37 Heroin Detlef
41 Das erste Ma 1 96 BabsisTod
44 Babsi und Stella 100 Irrenanstalt
47 Bei Oma 103 Drogenberatung
51 Die Zoo-Clique 105 Goldener Schuss
53 Mein erstes Mal 107 Dealen
mit Detlef 110 Weg aus Berlin
55 Anschaffen 112 Neuanfang
59 Ein normaler 115 Zukunft
1,:
Morgen 117 Neue Leute "
60 Stotter-Max 119 Traum 1
1:
61 Wiedersehen 1;
,,
,;
63 Der erste Entzug 120 Wörterliste 111:11
Vorwort
,,
"
'[1
,,,
Dies ist ein Buch über die Kindheit und Jugend von l!I
i:1
II!
Christiane F.(geboren 1962). Sie erzählt in ihren I'

eigenen Worten, was sie alles erlebt hat.


Diese wahre Geschichte wird den meisten Leuten
unglaublich erscheinen. Denn Christiane hat
schreckliche Dinge mitgemacht: Schläge vom Vater,
Drogen, Sex für Geld, Freunde, die durch Drogen
jung starben.
Christiane hat zwei Reportern von der Zeitschrift
Stern über dieses Leben erzählt. Sie haben alles
aufgeschrieben und als Buch herausgebracht.
Das war1978. Christiane war gerade mal 16Jahre
alt. Obwohl sie so jung war, hatte sie schon so viel
erlebt.
Die Geschichte beginnt, als Christiane sechs Jahre
alt ist.

SchwierigeWörter oderAusdrückesind
unterstrichen.DieErklärungenstehen in der
Wörterlisteam Endedes Buches.

7
Der Umzug Man sah fast nur Beton und Asphalt. Dazwischen
gab es ein bisschen Rasen. Und man hatte ein paar
Eswar eine aufregende Zeit. Meine Eltern hatten Einkaufszentren gebaut. Das war's. überall stank es
beschlossen, dass wir nach Berlin umziehen. nach Kacke und Pisse.
Sie wollten dort eine Heiratsvermittlung gründen.
.1
Damit wollten sie viel Geld verdienen. Unsere Wohnung im elften Stockwarwinzig.
Auch mein Zimmer und das meiner Schwester war
Ich war sechs Jahre alt. Nach dem Umzug sollte klein.
ich eingeschult werden. Meine Schwester und ich Der Fahrstuhl brauchte ewig nach oben. Wenn ich
sollten ein riesiges Zimmer bekommen. In meinen nötig pinkeln musste, machte ich ins Treppenhaus.
Gedanken wusste ich genau, wie es aussehen soll. Das taten alle Kinder dort.

Für uns alle fing ein neues Leben an. Für die anderen war ich das Kind vom Land.
Ich sprach anders und sah anders aus. Der stärkste
In den Wochen vor dem Umzug spielte ich noch oft Junge war der Boss.Alle mussten ihm gehorchen.
beim Bauern. Ich tobte mit den anderen Kindern im Hier spielte man Spiele, die ich nicht kannte:
Heu. Und ich fütterte die Tiere. Man nahm anderen Kindern ihr neues Spielzeug
Ich liebte das Leben auf dem Land. Dort konnten weg. Und dann war es kaputt. Oder man
wir Wasserburgen und Dämme bauen. Wir konnten verprügelte jemanden, einfach so.
ewig mit dem Fahrrad durch den Wald fahren.
Bei schlechtem Wetter schnitzten wir drinnen Schnell verstand ich die Regel „schlagen oder
Figuren aus Baumrinde. Die Älteren und die geschlagen werden''. Wenn man der Schwächste
Jüngeren vertrugen sich gut. Es gab keinen war, hatte man Pech.
Anführer.Alle waren irgendwie gleich.
Ich hatte mich auf die Schule gefreut. Doch auch da
Und dann kamen wir in die Großstadt Berlin. war alles anders, als ich gedacht hatte. Die Kinder
Im Stadtteil Gropiusstadt gab es vor allem hatten keinen Respekt vor den Lehrern. In der
Hochhäuser. Zehntausende Menschen lebten dort. Klasse herrschte großes Durcheinander.

8
9
' 1

'1/ '
Die Lehrer hatten die Schüler überhaupt nicht unter Meine Familie '

Kontrolle. Aber ich merkte: Wenn ich eine große


Schnauze habe, finden die anderen Kinder mich toll. Mit der Heiratsvermittlung hat es nicht geklappt.
So war das eben in Berlin. Ich weiß nicht, warum. Dafür ging meine Mutter
arbeiten. Mein Vater saß zu Hause. Oder er putzte
seinen Porsche. Niemand in Gropiusstadt hatte so
ein teures Auto, schon gar kein Arbeitsloser.
Doch für meinen Vater war der Porsche sehr
wichtig. Damit wollte er zeigen, dass er jemand ist.

Abends ging er häufig in die Kneipe. Dann kam


er betrunken nach Hause. Immer öfter hatte er
,,
Wutausbrüche. /

Einmal hatte ich Rosen für meine Mutter gepflückt.


Das war natürlich verboten. Aber das Verbotsschild
konnte ich noch nicht gut lesen. Ich bekam keinen
Kuss von meiner Mutter, sondern Prügel von
meinem Vater.

Meine Mutter half mir nach der Arbeit bei den


Hausaufgaben. Kapierte ich es nicht schnell genug,
holte mein Vater den Handfeger. Und dann gab es
wieder Schläge.
Eigentlich verstand ich die Hausaufgaben ja.
Aber durch die Angst vor den Schlägen konnte ich es
nicht mehr.
Mein Vater schlug uns ständig: wenn wir nicht
aufräumten oder wenn wir beim Essen kleckerten.

n ,
Auch meine kleine Schwester bekam dauernd Dabei hatte ich ja auch Angst vor ihm. Aber das
Prügel. Eigentlich war für meinen Vater jeder Grund Prügeln fand ich eigentlich normal. Andere Väter
gut genug, uns zu schlagen. aus der Gegend machten das ja auch. Da kam sogar
manchmal die Polizei. So schlimm war esja bei uns
Der Vater von meinem Vater hat früher viel Geld gar nicht.
gehabt. Ihm gehörten eine Druckerei und eine
Zeitung. Ich hatte oft Angst zu Hause. Aber da gab es etwas,
Nach dem Krieg wurde ihm alles weggenommen. das mich immer froh machte: meine Tiere. Unsere
Er wollte, dass sein Sohn so richtig was wird. Wohnung war irgendwann ein kleiner Zoo. Ich hatte
Doch mein Vater schaffte es einfach nicht. Mäuse, Katzen, Kaninchen, einen Wellensittich und
Er hat früher eine Lehre gemacht. Dann lernte Ajax. Ajax war unsere Dogge.
er meine Mutter kennen. Sie wurde schon bald Unsere Familie war sehr tierlieb. Ich kannte keine
schwanger. Mein Vater brach seine Lehre ab. andere Familie, die so tierlieb war. Auch mein Vater
Und dann haben sie geheiratet. war lieb zu den Tieren. Die schlug er nie.
Irgendwie waren wir darum für ihn an allem Ajax durfte ich sogar manchmal mit zur Schule
schuld. Wir haben sozusagen seine Zukunft kaputt nehmen. Ersaß dann ganz brav unter meinem
gemacht. Seine Wut darüber reagierte er an uns ab. Tisch. 1,·, :

Die Freunde und Bekannten meines Vaters wussten


nichts von uns. Für sie hatte mein Vater keine
Familie. Wir mussten ihn immer „Onkel Richard"
nennen. Ich machte nie einen Fehler, nannte ihn
nie aus Versehen „Papa". Sonst hätte ich bestimmt
wieder Schläge bekommen.

Trotzdem liebte ich meinen Vater irgendwie.


Ich dachte immer: Mein Vater ist viel schlauer und
stärker als andere Väter.

13
Spielen Ein paar andere Kinder hatten auch Hunde.
Wir entdeckten ein Stück Natur, außerhalb der
Auf dem Land hatte ich immer viel Freiheit. Doch in Gropiusstadt. Dort spielten wir „Spürhund".
Berlin konnten wir fast nirgendwohin zum Spielen. Einer versteckte sich. Dann musste sein Hund ihn
überall standen Verbotsschilder. suchen. Mein Ajax hatte immer die beste Nase.
Wir durften nicht Fußball spielen. Rasen betreten
warverboten. Mit Rollschuhen oder Fahrrädern Bei uns in der Nähe machte irgendwann ein
fahren -auch verboten. Rumtoben machte zu viel Ponyhof auf. Da war ich acht oder neun. Ich half ab
Lärm. Die Klettergerüste auf dem Spielplatz waren und zu im Stall. Dafür durfte ich ein bisschen reiten.
kaputt. Außerdem durften wir da sowieso nur zu Das Pferd war viel größer und stärker als ich.
bestimmten Zeiten hin. Und trotzdem hatte ich die Macht. Das Pferd tat
genau, was ich wollte. Das gefiel mir. 1

Die Hausmeister der Hochhäuser hassten uns. 11'1


'1
Sie passten immer gut auf, ob wir uns an die Regeln Manchmal hatte ich keine Zeit, um im Stall zu 'I

hielten. Das taten wir natürlich nicht. Wir durften helfen. Aber reiten wollte ich trotzdem. Ich habe
so wenig. Gerade darum machten wir lauter dann heimlich die leeren Flaschen von meinem
verbotene Sachen. Vater eingesammelt. Beim Supermarkt bekam
Wir versteckten uns in irgendwelchen Kellern. ich dafür Pfandgeld. Davon konnte ich das Reiten
Wir fuhren Rollschuh im Hausflur. Oder wir spielten bezahlen.
Wettrennen mit den Fahrstühlen. Das Einkaufszentrum in der Nähe war auch ganz
interessant. Eswar dort aber sehr dreckig.
Die Fahrstühle fanden wir sowieso spannend. Überall lag Müll herum. Betrunkene schmissen
Wir sperrten andere Kinder ein und drückten auf Bierdosen auf die Straße. 1

alle Knöpfe. Dann hielt der Fahrstuhl auf jeder Aber die Läden fanden wir toll. Im Kaffee-Laden gab !''
' 1

Etage. Wenn das Kind pinkeln musste, machte es es Süßigkeiten. Wenn wir kein Taschengeld hatten, 1
"
sich in die Hose. Oder wir fuhren alle zusammen klauten wir eben was. Das fanden dann alle gut.
hoch. Dann sprangen wir gleichzeitig in die Luft. Denn die Ladenbesitzer mochten uns Kinder nicht. i
1

Dadurch blieb der Fahrstuhl stehen. Und das Klauen war eben ihre Strafe.

14 15
Die Stadtverwaltung hatte irgendwann genug Da war dann nichts mehr mit Rumtoben und
von unseren Streichen. Also wurde ein Abenteuer- Fahrradfahren. Stattdessen wurde der Rodelberg
Spielplatz gebaut. Dort gab es einen freundlichen gefährlich. Auf dem harten Boden konnte man sich
Sozialarbeiter. Mit Hammer und Nägeln sollten wir ganz schön wehtun.
irgendwas bauen. Aber wenn die Nägel drin waren,
durften wir nichts mehr ändern. Dabei machte das Die Berliner Mauer war nicht weit entfernt.
doch am meisten Spaß.Auf dem Land hatten wir Vor der Mauer gab es ein wunderschönes Stück
auch immer Hütten gebaut. Aber die blieben nie Natur: Bäume, Büsche, alte Bretter, Wasserlöcher.
gleich. Dort konnte man wirklich Abenteuererleben.
Wir spielten Verstecken und machten Lagerfeuer.
Dann machte der Spielplatz wieder zu. Er sollte Doch auch dort kamen schon bald Verbotsschilder.
umgebaut werden. Wir sollten auch bei schlechtem Und ein wenig später wurde das Gebiet zur
Wetterspielen können. Darum kam ein Betonbunker. Müllkippe. Weg war die Natur, weg war unser
Die Fenster waren schon nach ein paar Tagen Abenteuer.
,',
kaputt. Neben dem Spielplatz wurde auch noch 'r
;:
eine Schule gebaut. Der Schulspielplatz wurde in ',
den Abenteuerspielplatz hineingebaut. Für uns war
nicht mehr viel übrig.Außerdem lungerten dort
ältere Jungs rum. Die waren oft besoffen. Und sie
ärgerten alle Kinder. Die Sozialarbeiter konnten
nichts gegen sie machen.

Dafür bekamen wir dann einen Rodelberg.


Das war im Winter ein Riesenspaß. Im Frühling
tobten wir dort mit den Hunden. Und wir rasten
mit den Fahrrädern herum. Doch das wurde schon
bald verboten. Die Stadt kippte Zement auf den
Rodelberg. Sie legte Treppen an und stellte Zäune hin.

16 17
Der neue Freund Er sagte sogar „Gute Nacht': als ob nichts gewesen
war. Danach hat er mich nie wieder geschlagen.
In der Sandkiste vor dem Haus spielte ich
manchmal mit meinen Mäusen. Eines Tages Am nächsten Tag kam meine Mutter meine
verschwand eine von den dreien im Gras. Ich fand Schwester und mich abholen. Wir packten ein paar
sie nicht wieder. Zu Hause merkte mein Vater, dass Sachen. Unseren Kater und Ajax nahmen wir auch
eine weg war. Er schrie und schlug wie ein Irrer. mit.
Er schmiss mich aufs Bett. Erst wohnten wir bei einer Kollegin meiner Mutter.
Ich dachte, er schlägt mich tot. Doch da war es viel zu klein. Also mussten wir
1

zurück in die kleine Wohnung, zu meinem Vater. i

Auch meine Schwester bekam Schläge. Meine


Mutterstand weinend in der Tür. Ich hatte sie erst Mein Vater und meine Mutter sprachen nicht
nicht bemerkt. Doch dann schlug sie mit ihren mehr miteinander. Uns fragte mein Vater nur
Fäusten auf meinen Vater ein. Der prügelte meine in ganz normalem Ton: ,.Warum seid ihr denn
1

1,
Mutter auf den Flur hinaus. Sie wollte ins Bad weggegangen? Wir drei hätten es uns doch schön 1
fliehen. Doch mein Vater packte sie an den Haaren. gemacht." Meine Schwester und ich verstanden gar
In der Wanne war Wäsche eingeweicht. nichts mehr. Wie konnte erso tun, als ob alles ganz
Mein Vater stieß den Kopf meiner Mutter ins normal war?
1 ! 1

Wasser. Ich dachte, sie ertrinkt. Zum Glück kam sie 1 1

irgendwie wieder frei. Und dann starbAjax, meine Dogge. Niemand


tröstete mich. Mein Vater war zwar noch da. 1

1
1

'

Mein Vater verschwand ins Wohnzimmer. Meine Aber irgendwie gehörte er nicht mehr dazu.
Mutter sagte nichts. Sie zog ihren Mantel an und Meine Mutter weinte nur die ganz Zeit.
ging aus der Wohnung. Sie kümmerte sich um die Scheidung.
Das war einer der schrecklichsten Momente in
meinem Leben. Sie ging weg, ohne etwas zu sagen. Eines Tages kam Klaus, ein Freund meines Vaters.
Uns ließ sie einfach alleine. Er war erst Anfang zwanzig, viel jünger als meine
Mein Vater tat uns weiter nichts. Eltern. Eigentlich wollte er meinen Vater abholen.
:
11:
1,1

18 111,
19
i.1· ,,
1'
i
Doch der war schon weg. Da fragte er meine Mutter, Zwölf 1

ob sie mit ihm essen gehen wollte. Das tat sie.


Mit zwölf bekam ich ein bisschen Busen. Ich wollte
Danach kam Klaus öfter, wenn mein Vater nicht da nur noch enge Jeans anziehen. Ich bekam ein paar
war. Meine Mutter wurde wieder fröhlicher. hochhackige Schuhe von meiner Mutter. Meine
Wir zogen in eine andere Wohnung. Klaus war auch Frisur gefiel mir nicht mehr.Also probierte ich
fast immer da. Er war zwar nett, aber irgendwie etwas Neues aus. Mit meinem neuen Look zog ich
war er zu viel. Ich wollte Zeit mit meiner Mutter bis abends um zehn durch die Straßen.
verbringen. Und er wollte das auch. Jungen und Männer fand ich immer interessanter.
Ich fühlte mich zu ihnen hingezogen. Sie waren
Immer öfter suchte ich Streit mit Klaus. Eswurde stark und hatten irgendwie Macht. So wollte ich
i
richtig ungemütlich bei uns zu Hause. Meine auch sein.
Schwester und ich blieben deshalb so lange wie
möglich draußen. Das Streiten mit Klaus machte mir langsam sogar
ein bisschen Spaß. Ich fühlte mich irgendwie stark.
Für meine Schwester war alles anders. Sie ertrug .
die Stimmung zu Hause nicht mehr. Was sie dann
tat, konnte ich kaum glauben: Sie zog zurück zu
meinem Vater. Meine Mutter war völ Iig fertig. ' '

Und ich fühlte mich einsam. '


'
'

Zum Glück hatte mein Vater sich ein wenig


gebessert. Ich durfte ihn plötzlich sogar Papa
nennen. Er schien stolz auf mich zu sein. Und er
schenkte mir eine neue Dogge. Meiner Schwester
zahlte er die Reitstunden. Mich lud erzu einer Reise
nach Spanien ein. Seine neue Freundin kam auch
mit. Die Reisewar eine Belohnung.

i
·11

i'.!'
20 21 II
Mein Zeugnis am Ende der sechsten Klasse war Kessi
nämlich sehr gut gewesen. Damit konnte ich aufs
Gymnasium gehen. Der stärkste Typ in unserer Klasse war ein Mädchen:
Kessi.Sie hatte schon einen Busen und sah zwei
Leider hatte mein Vater den Urlaub blöd geplant: Jahre älter aus als alle anderen. Und sie hatte einen
Ich kam zwei Wochen zu spät in die neue Schule. unheimlich starken Freund. Ertrug enge Jeans und
Eswar eine Gesamtschule. Dort konnte man auch schicke Stiefel. Seine schwarzen Locken hingen ihm j'

Abitur machen. Ich hatte schon zwei Wochen bis auf die Schultern. Außerdem war er schon älter.
verpasst. Niemand half mir bei der Auswahl der Trotzdem war er in unserer Parallelklasse. In der
Kurse. Irgendwie blickte ich nicht durch. Dadurch Pause ging Kessi mit ihm in die Raucherecke.
hatte ich das Gefühl, dass ich nicht dazugehöre. Kessi war bei allen voll anerkannt. Alle Mädchen
Also probierte ich aufzufallen: Ich hatte eine große wollten so einen Freund haben.
Schnauze. Ständig rief ich dazwischen. Und ich
stritt mich mit den Lehrern. Dadurch fanden mich Ich wollte Kessi als Freundin haben. Schon alleine
die anderen aus der Klasse stark. ihr Spitzname gefiel mir. Ich kaufte mir Zigaretten.
Und von da an ging ich auch in die Raucherecke.
Wir unterhielten uns immer öfter, auch nach der
Schule.

Kessi brachte mir alles Mögliche bei. Wir tranken


ein bisschen Bier. Wenn wir keinen Bock auf Schule
hatten, schwänzten wir einfach. Das kam ja doch
nicht raus. Mit den Lehrern hatten wir sowieso
keine gute Beziehung. Ich glaube, denen war alles
egal.

Kessi war auch erst 13.Aber sie ließ sich damals


schon küssen. Und sie ging ins „Haus der Mitte''.

22 23
Das war ein Jugendhaus der evangelischen Kirche. Die Clique
Im Keller war eine Art Diskothek. Da durften wir
eigentlich noch nicht rein. Aber wir sahen ja älter Im Jugendhaus hing eine wahnsinnig starke Gruppe
aus als 13. rum. Alle Jungs trugen enge Jeans. Und sie hatten
Stiefel mit hohen Sohlen an. Sie waren irgendwie
Ich fing an mich zu schminken. Einen Büstenhalter anders als die anderen Teenies. Kessi kannte die
bekam ich auch. Den brauchte ich noch nicht. Aber Jungs. Sie stellte mich vor. Ich war unheimlich !
mein Busen sah dadurch größer aus. aufgeregt. 1

Am nächsten Abend hatte die Clique eine


Wasserpfeife mitgebracht. Kessi erklärte mir, dass
da Haschisch drin ist. Ich durfte mich dazusetzen.
Aber ich traute mich nicht mitzurauchen.
Ich erzählte einfach, dass ich lieber Bier trinken
1'
wollte. '

Die Clique gefiel mir gut. Die Leute waren nicht


laut. Irgendwie waren sie allen überlegen.Auch
untereinander waren sie cool. Esgab nie Streit.
Zur Begrüßung gaben sie sich ein Küsschen auf den
Mund. Ich hatte das Gefühl, dass ich dazugehöre.

Eines Tages schwänzte ich mal wieder mit Kessi die


Schule. Auf dem U-Bahnhof sahen wir zwei Typen
aus der Clique. i 1

Ich interessierte mich noch nicht richtig für Jungs.


Ich war ja erst zwölf. Und ich hatte noch nicht mal
meine Periode.

24 25
Aber ich lud die beiden zu mir nach Hause ein: Ich glaube, ich hatte Angst. Dann wollte er mir
„Der Freund meiner Mutter hat ein paar geile an den Busen fassen. Ich stand auf und lief zum
Scheiben, Led Zeppelin, David Bowie, Ten Years Plattenspieler.
After." Ich wusste, welche Musik ihnen gefällt. Kessi und der andere Junge kamen zurück ins
Auch ihre Sprache hatte ich inzwischen gelernt. Zimmer. Sie sahen seltsam aus. Ich wusste nicht,
was passiert war. Aber es muss unangenehm
Wir kauften eine Flasche Wein. Die Jungs gewesen sein.
schimpften über die Polizei. ,.Bullen" nannten sie :i
1

sie. Bis jetzt waren esja nur die Hausmeister, die ich Am Nachmittag gingen wir ins Kino. Da fasste mir
hasste. Aber anscheinend musste man Bullen auch der Junge mit seiner Hand zwischen die Beine. Ich
hassen. Ich glaubte einfach alles, was die Leute aus ließ es zu. Aber Angst hatte ich trotzdem. Doch ich
der Clique sagten. dachte: Wenn ich in der Clique sein will, gehört so
was eben dazu. Dann wollte er, dass ich ihn auch
Einer der beiden Jungs holte Dope von zu Hause. anfasse. Ich habe meine Hände in meinem Schoß
Er stopfte das Haschisch mit Tabak in ein Rohr, etwa verkrallt. Das wollte ich wirklich nicht.
20 Zentimeter lang. Dann zündete er das Gemisch
an und rauchte. Meine Reaktion hat sich in der Clique rumgesprochen.
Keiner fasste mich mehr an. Das fan<;Iich toll.
,,Heute habe ich auch Bock auf Dope''. sagte ich. Ich fühlte mich zu jung für so was. Und das war ' !,

Natürlich erzählte ich nicht, dass es mein erstes für alle okay.Auch darum waren die Leute aus der
Mal war. Ich zog am Rohr und bekam einen Clique mein Vorbild. Sie wussten, wie man cool lebt. !
Hustenanfall. Aber sonst merkte ich gar nichts.
Später fand ich heraus, dass das beim ersten Mal Eine andere Gruppe waren die Alkis. Die behandelten
öfter so ist. ihre Mädchen ganz anders. Alkis törnten sich mit
Alkohol an, meistens Bier und Schnaps. Die Jungs
Kessi ging mit dem einen Jungen in mein Zimmer. machten sich über die Mädchen lustig, wenn sie
Ich blieb mit dem anderen Jungen im Wohnzimmer. nicht wollten. Oder sie wurden brutal.
Er fing an mich zu streicheln. Mir wurde ganz heiß. Ich war froh, dass das in meiner Clique anders war.

26 27
:1,:,,
1

LSD Endlich war mein Kindergesicht weg. Ich wollte


cool und geheimnisvoll aussehen. Niemand sollte
Zu Hause wurde es immer schlimmer. Klaus mochte merken, dass ich vielleicht gar nicht cool war.
meine Dogge nicht. Er war ein richtiger Tierfeind.
Erst durfte sie nicht mehr im Wohnzimmer liegen. Eines Abends gab mir einer aus der Clique LSD.
Dann sollte sie auch raus aus meinem Zimmer. ,,Hast du schon mal einen Trip geworfen?", fragte er.
Und dann wollte er sie ganz aus der Wohnung „Na klar.Alter!", antwortete ich.Auf der Toilette ,
1

i1
, 1!
weghaben. schluckte ich die Pille. Erst merkte ich nichts.
I'
Doch später in der U-Bahn flippte ich fast aus. !

'1,
Meine Mutter stellte sich auch noch auf die Seite Ich dachte: Ich fahre in einer Blechdose. Und da
von Klaus. Ich kümmerte mich nicht genug um den rührt einer mit einem Riesenlöffel drin rum. 1 1

Hund, sagten sie.Ja, ich war abends oft weg. Die Gesichter der Menschen waren hässliche
Aber sonst war ich immer für die Tiere da. Fratzen. Mir wurde heiß und kalt.Alle Lichterwaren
Ich drohte, schrie und heulte. Nichts half. Klaus und wahnsinnig hell. Eswar eine irre Erfahrung. ·iil
meine Mutter gaben die Dogge weg. '1

Mit solchen Tierfeinden wollte ich nichts mehr zu Ich kam nach Hause. Meine Mutter schimpfte.
tun haben. Sie wollte wissen, wo ich gewesen war. Sie kam mir
lächerlich vor. Dick und fett sah sie aus, in ihrem
Um fünf ging ich jetzt immer ins Haus der Mitte. weißen Nachthemd. Ich sagte nichts. Wir redeten
Manchmal war ich davor schon mit der Clique sowieso kaum noch miteinander. Denn wir lebten in
zusammen. Ich rauchte jetzt jeden Tag Haschisch, zwei völlig unterschiedlichen Welten. Irgendwie tat
wie die anderen. Ich trank Bier und Wein. sie mir auch leid. Sie kam gestresst von der Arbeit.
Die Sozialarbeiter im Jugendhaus sagten zwar Und dann musste sie den Haushalt machen. Aber es
manchmal was. Sie warnten uns auch vor härteren war ja auch ihre eigene Schuld. Schließlich wollte
Drogen. Aber sie haben uns das Kiffen nie verboten. sie so ein Spießerleben haben.

i
Mein Aussehen war für mich immer wichtiger. Ich Meinen ersten Trip hatte ich also gut
hatte viel abgenommen. durchgestanden.
1

: 11

28 29
Viele haben beim erste n Mal ein en Horror-Trip . Diskothek „Sound"
Doch ich war ganz cool geblieben .
Im Bezirk Tiergarten gab es das „Sound" . Das war
Immer öfter bekam ich ein e Pill e. Und w enn keine ,,Europas modernste Diskothek ", sagte man .
Pille da war, kifft e ich. Doch irgendwann gabe n Ich wusste: Da war die richtige Scene. Da konnte ·
Haschisch und LSD keinen Kick mehr. Das gin g allen man alle Drogen kaufen , die man haben wollte.
aus der Cliqu e so. Wir hatten uns daran gew öh nt . Allerdings durfte man erst ab 16 rein . Und ich war ja
Dann brachte ein er Ephedrin mit. Das w ar ein gerade ma l 13. Darum hatte ich das Geburtsdatum
Aufputschmitt el. Wir probierten in der Zeit all e auf meinem Schülerauswe is gefälscht.
möglichen Medik amente aus.
An einem Samstag sollte ich zum ersten Mal dorthin
In der Schule li ef es im mer schl echter. Die Lehrer gehen. Ich traf mich mit Kessi.Eine Freundin von
nervt en mich. Esgab auch keinen persönlichen ihr und deren Freund waren auch dabei. Von dem
Kontakt zu ihnen . Die Lehrer hatten die Macht . Freund war ich total beeindruckt. Der war noch
Denn sie gaben j a die Zensuren. Das hasste ich. cooler als die Leute aus meiner Clique . Und er war
Meine Mitschül erw aren mir egal. Die verstanden auf H. Er spritzte also Heroin.
mich ja sowieso nicht. Hauptsache, ich hatte meine
Clique. Wir stiegen beim U-Bahnhof Kurfürstenstraße aus.
Das war ganz schön weit weg von zu Hause.An der
Kreuzung hingen Mädchen rum. Ich erfuhr erst
hinterher, dass sie auf den Strich gehen . Ein paar
Typen liefen da auch hin und her. Das waren Dealer.

Im Sound stank es. Eswar dreckig und laut. Kessi


guckte die ganze Zeit nach starken Jungs. Ich fühlte
mich nicht wohl. Irgendwie passte ich da einfach
nicht rein. Alle schluckten Pillen und tranken Bier.
Ich trank an dem Abend nur Pfirsichsaft.
Beim Einschlafen dachte ich: Christiane, das ist Verliebt
nicht deine Welt. Du machst da irgendwas falsch.
Am nächsten Wochenende schlief Kessi bei mir.
Am nächsten Tag erzählte ich meiner Mutter, dass Wir hatten beide eine Pille genommen. Meine
i
ich im Sound gewesen war. Sie machte mir gleich Mutter kam ins Zimmer. Wir konnten nur noch 1

Vorwürfe. Aber sie stellte weiter keine Fragen. lachen. Aber meine Mutter merkte natürlich nichts. '

.
1

'

Sie war mal wieder gestresst. Also erzählte ich auch Sie dachte wohl, dass wir einfach nur alberne
keine Einzelheiten. Teenies sind.

Kessi nahm mich jetzt jeden Samstag mit ins Sound.


Meine Mutter erlaubte es sogar. Ich erzählte ihr
immer, dass ich bei Kessi schlafe. Und Kessi sagte
ihrer Mutter, dass sie bei mir schläft.

An einem Samstag war Kessi aus dem Sound


verschwunden. Ich ging sie suchen. Sie saß auf einer
Bank auf dem U-Bahnhof. An dem Abend hatte sie
getrunken, gekifft und Ephedrin geschluckt.
Sie schlief. Vor ihr lag eine Tüte Pommes.

Dann kam die U-Bahn. Kessis Mutter stieg aus.


Sie kam von der Arbeit. Sie sah ihre Tochter, wie
sie dort auf der Bank rumhing. Natürlich wusste
i
sie gleich, was los war. Sie gab Kessi zwei kräftige
Ohrfeigen. Danach schleppte sie sie nach Hause.

Danach durfte Kessi abends nicht mehr raus.


Und wir durften uns nicht mehr sehen.

32 33
Heute weiß ich: Kessi hatte damals großes Glück. Ich freute mich so auf die Wochenenden. Dann ging
Ihre Mutter war streng. Dadurch ist Kessi nicht ich mit Atze ins Sound. Er war ganz zärtlich zu mir.
weiter in die Drogenszene abgerutscht. Mehr als küssen wollte ich noch nicht. Das spürte
er. Er war wie ein großer Bruder. Bei ihm fühlte ich
Das Blöde war: Kessi hatte immer viel Taschengeld mich sicher.
bekommen. Davon konnten wir Drogen kaufen.
Jetzt musste ich klauen gehen und andere um Geld An einem Samstag kam einer aus meiner neuen 1

bitten. Sonst konnte ich ja keine Drogen kaufen. Clique zu mir. Er erzählte, dass Atze eine andere
Freundin hat. Ich wollte es nicht glauben.
Die Clique fand ich nicht mehr so toll. Die Leute Ich rannte durchs ganze Sound und suchte Atze.
kamen kaum raus aus Gropiusstadt. Die Leute im Und da saßen die beiden, eng umschlungen. Ich war
Sound waren viel cooler. Da ging ich inzwischen völlig fertig. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.
alleine hin. Ich kaufte mir in der Apotheke Ephedrin. Ich rannte raus in den Park, gegenüber vom Sound.
Das gab es ohne Rezept. Mann, war ich gut drauf! Plötzlich stand Detlef neben mir. Er reichte mir ein
Taschentuch. Das war wirklich lieb.
Im U-Bahnhof stieß ich eines Tages mit einem
Jungen zusammen. Wir fingen an zu quatschen. Ich nahm eine extra Pille. Und dann flippte ich total
Das ging wie von selbst. Er hieß Atze und war16. aus. Ich tanzte wie verrückt. Draußen traf ich die
Ich verliebte mich sofort in ihn. Clique. Atze und seine neue Freundin waren auch
' 1

da. Aber das war mir egal.


Seine Clique gefiel mir auch gleich. Wir redeten
über Drogen und über Klamotten. Ich fühlte mich Mit ein paar Leuten gingen wir zum Ku-Damm.
von allen anerkannt. Über Drogen wusste ich ja Im Europacenter gab es eine Eisbahn. Es hatte
inzwischen auch genug. Alle waren sich damals geregnet. Auf dem Eis war Wasser. Ich schlitterte
einig: Heroin ist eine Scheißdroge. Damit sollte man übers Eis und dachte: Ich laufe übers Meer!
gar nicht erst anfangen.
In der Clique war noch ein sehr netter Junge: Detlef. Da hörte ich, wie eine Scheibe kaputtging. Die Jungs
Mit ihm konnte ich auch toll reden. waren in das Kassierer-Häuschen eingebrochen.

34 35
'
'! ',,'

Einer holte Geldrollen aus der Kasse.Wir rannten Heroin


schnell weg. Draußen verteilten wir die Beute
untereinander. Wir fanden uns wahnsinnig cool. Am nächsten Samstag blieb ich zu Hause. Ich hatte
Niemand hatte uns erwischt. nur noch wenig Dope. Auf einmal wurde mir klar:
Ohne Sound und ohne Drogen habe ich nichts mehr.
Als ich zu Hause ins Bett fiel, fühlte ich mich nicht Also ging ich in der nächsten Woche doch wieder
gut. Ich hatte fast einen Horror-Trip. Ein Fleck auf hin. Ich schluckte alles Mögliche. Danach legte ich
einem Poster wurde zu einer gemeinen Fratze. meinen Kopf auf einen Tisch. So schlief ich fast die
Ich sah in den Spiegel. Ich hasste mich. Da im Spiegel ganze Nacht.
war kein cooles, geheimnisvolles Mädchen. Ich sah
fertig aus. Unter meinen Augen hatte ich schwarze Als ich wach wurde, saß Detlef neben mir. Erfragte,
Ränder. Meine Haut war fettig und voller Pickel. wie es mir geht. Das fand ich so lieb. Er kümmerte
sich um mich. Atze hatte sich auch um mich
In den nächsten Tagen nahm ich keine Pillen mehr. gekümmert. Aber Detlef war niedlicher und sanfter
Ins Sound wollte ich nie mehr. als Atze. In Detlef habe ich mich nicht sofort
Ich kiffte nur und trank Tee mit Haschisch. Ich war verknallt. Doch irgendwann musste ich mir
stolz auf mich. eingestehen: Ich bin verliebt.

Zu Hause war alles ganz entspannt. Ich schluckte


viele Beruhigungspillen. Dadurch stritt ich mich
nicht mehr so oft mit meiner Mutter und Klaus.

Weihnachten 1975war ich dreizehneinhalb.An den


Feiertagen wollte ich ins Sound. Deshalb dachte
ich: Ich erzähle meiner Mutter einfach, dass ich da
sowieso schon so oft hingehe. Vielleicht erlaubt
sie es mir dann ja einfach. Dann brauche ich nicht
mehr zu lügen.

37
1

1:

Mein Plan klappte. Ich erzählte meiner Mutter Ich schrie: ,,Wenn du H nimmst, will ich nichts mehr '.
natürlich nicht alles. Sie glaubte, das Sound sei eine mit dir zu tun haben!" Ich hab nicht ruhig mit ihm
harmlose Disco. Deswegen fand sie es okay, dass ich geredet. Nein, ich habe ihn angeschrien. In dem
dort zu Weihnachten und Silvester hingehe. Augenblick habe ich ihn wohl verloren.

In der Clique quatschten alle immer öfter über H. Ich fühlte mich immer einsamer. Warum ging
'1 111

Jeder wusste, dass es Scheißzeug ist. Doch die Scene ich noch ins Sound? Warum nahm ich eigentlich
im Sound wurde immer härter. Die Fixer blickten Drogen? Ich wusste es nicht. Haschisch und Pillen <11
:! 1

auf die Hascher und Pillenschlucker herab. Sie halfen mir auch nicht mehr gegen die Einsamkeit. :i
verachteten Leute wie mich. Haschisch nannten sie _1(
eine Babydroge. Im Sound war man jetzt cool, wenn Und dann übertrieb ich es: Ich schluckte viele i'!
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_•.'1•.'

man H nahm. verschiedene Pillen auf einmal. Dazu trank ich Bier. . '
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.,,
Auf dem Weg nach Hause brach ich zusammen. :.1,
'

Einer nach dem anderen versuchte H. Eszerstörte Ich kroch über den Bürgersteig. Meine Brusttat -'I:1,
die Clique. Doch ich hatte ja Detlef. Ich war froh, unheimlich weh. Irgendwie kam ich nach Hause. '1111,

dass es ihn gab. Einmal habe ich sogar Mittagessen Genau weiß ich es nicht mehr. 'i

'.I
für ihn gekocht. Da waren wir wie Mann und Frau. il
Am nächsten Morgen bekam meine Mutter mich
An einem Freitag kam ich ins Sound. Da saß Detlef nicht wach. Abends schlief ich immer noch.
mit einer total fertigen Braut. Er beachtete mich gar Erst einen Tag später konnte ich aufstehen.
nicht. Ich hörte, dass es um H ging. Und da wurde Ich erzählte meiner Mutter, dass ich eine Grippe
mir klar: Detlef will auch H. habe. Und ich sagte, dass mein Kreislauf manchmal
Ich schrie ihn an: ,,Mensch, Alter, bist du bekloppt? zusammenbricht. Das war auch wirklich so.
Du bist 16! Du kannst doch kein H nehmen!" Es passte zu meinem Alter und zum wachsen.
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.,,
Ich bettelte richtig. In der Pubertät hat man so was eben manchmal.
'11
Ich wollte nicht, dass er damit anfängt. Doch er Also holte meine Mutter keinen Arzt. Das war mir i!
nur recht. Der hätte vielleicht gesehen, was mit mir
1

hörte nicht zu.


Dann machte ich einen großen Fehler. los ist.
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1

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39 ,
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Mein nächster Trip wurde ein Horror-Trip. Ich hatte Das erste Mal
wieder eine Pille geschluckt. Danach dachte ich,
dass ich verblute. Stunden dauerte das. Ich konnte Meine Mutter, Klaus und ich zogen nach Kreuzberg.
nicht sprechen und nicht laufen. Die Miete war dort billiger. Ich musste lange zu : i

'1·
meiner alten Schule fahren. Aber das Sound war :il
Danach blieb ich ein paar Wochen clean. Ich wollte jetzt wenigstens näher. !:.,
keine Pillen mehr, kein Haschisch. Nur ein paar . i

Valium schluckte ich noch manchmal. Die waren Und dann gab mir meine Mutter zwei Freikarten für
zum Beruhigen. Aber das zählte ja nicht wirklich. David Bowie. David Bowie, der coolste Star von allen!
Ich konnte es kaum glauben. Sofort wusste ich,
mit wem ich hingehen wollte: Frank, aus der alten
Clique vom Sound.Alle nannten ihn Hühnchen oder
Leiche. Er spritzte nämlich Heroin. Und das konnte
man sehen. Erwarganzdürr.Aberersah auch fast
aus wie David Bowie. Darum nahm ich ihn mit.
Ich ging mit einem Fixer zum Konzert. Aber darüber
dachte ich nicht nach.

Auf dem Weg zum Konzert merkten wir: Wir haben


kein Dope und keine Kohle. Hühnchen war schon
auf Turkey. Er hatte zu lange kein H genommen.
Seine Hände flatterten. Während des Konzerts
durften wir wenigstens bei jemandem Pfeife
mitrauchen.
David Bowie war geil. Doch dann spielte er das
Stück „lt's too late", auf Deutsch „Es ist zu spät".
Und ich dachte nur noch: Der Song beschreibt mein 11
1.1

Leben. Ich war gleich ganz schlecht drauf.


i

40 .1
41
Nach dem Konzert schlauchten wir Geld Trotzdem fühlte ich mich gut. Das Leben war ganz
zusammen. Das konnte ich sehr gut. Hühnchen cool. Zu Hause gab es keinen Krach mehr. Und in der
brauchte schließlich seinen Druck. Als ich Schule bekam ich sogar bessere Zensuren.
genug Geld hatte, dachte ich: Ich habe es
zusammengeschlaucht. Dann will ich auch selber Eine Woche später traf ich Detlef wieder. Er wusste
Heroin probieren, das wir davon kaufen. schon, dass ich H genommen hatte. ,,Du bist ja
total verrückt geworden!", rief er. Doch er nahm
Hühnchen wurde wütend. ,,Das machst du nicht! esja selber auch. Detlef und ich besorgten uns ein
Sonst bist du bald eine Leiche!" Aber ich wollte bisschen H. Und dann nahmen wir es gleichzeitig.
mir nichts sagen lassen. ,,Ich werde doch nicht Er spritzte, ich zog es durch die Nase.
abhängig, so wie du", sagte ich. ,,Ich probiere es nur Ab diesem Moment waren wir wieder zusammen.
einmal. Und dann ist Schluss." Ohne H wäre das nicht passiert.

Vor der Spritze hatte ich Angst. Darum zog ich das ,;:,
Am Anfang ist man noch nicht so körperlich ,;,
,''I
Pulver durch die Nase. Mir wurde übel. Doch dann abhängig vom Heroin. Ich nahm es noch nicht
ging alles ganz schnell. Meine Glieder wurden jeden Tag. Doch wenn ich es nicht nahm, merkte ich
schwer und leicht zugleich. Ich war sehr müde. gleich: Zu Hause gibt es sofort wieder Streit.
Die ganze Scheiße war auf einmal weg. Ich fühlte
mich so toll wie noch nie.

Eswar der 18. April 1976, einen Monat vor meinem


14. Geburtstag. Den Tag werde ich nie vergessen.

Am nächsten Tag juckte meine Haut überall.


Das kam vom H. Hühnchens Haut war an den
Waden ganz kaputt. Er kratzte immer mit seinem
Taschenmesser.

42 43
Im Strandbad Wannsee klaute ich Sachen von
Babsiund Stella
alten Ornis. Wenn die im Wasserwaren, rief ich:
In den Osterferien 1976 saß ich an einem Samstag „Ach, Oma ist ja gar nicht da!" Und dann nahm ich
im Sound. Zwei Mädchen kamen die Treppe etwas Wertvolles mit. Niemand dachte dann, dass
herunter. Sie waren etwa 12Jahre alt. Aber mit ich klaue. Meine Beute konnte ich dann irgendwo
Schminke und Büstenhalter sahen sie älter aus. gegen Geld umtauschen.
Ich hasste Mädchen in meinem Alter. Sie machten
mich aggressiv. Vielleicht hasste ich ja eigentlich Einmal habe ich ein Kofferradio geklaut. Dafür
bekam ich 50 Mark. Das war ein toller Tag. Mein • ;i
' '

mich selber.
Erfolg musste gefeiert werden! ,,Ich mache mir •,,,l I!
Doch die beiden Mädchen interessierten mich heute auch einen Druck'; sagte ich zu Detlef.
Der fand das erst gar nichttoll. Aber ich wollte es l
auch. Denn wir waren ja auch irgendwie gleich. 1 '

Ich beobachtete sie. Eine kam zu mir. Sie hieß Babsi. trotzdem. i -ii
i )
Sie wollte einen Trip von mir haben. Ich glaube, sie
fand mich cool. Denn ich war ja schon erfahrener. Wir gingen in eine öffentliche Toilette. In der
Später kam auch die andere: Stella. Gegend schliefen viele Penner. Wir gaben ihnen
Am nächsten Tag lud ich sie beide zu mir ein. Zigaretten. Dafür passten sie auf, dass keiner
Wir wurden richtige Freundinnen. Mit ihnen war kommt.
es doch anders als mit den Fixern. Babsi und Stella Detlef tat das Dope auf einen Löffel. Darauf
rauchten nur Haschisch und nahmen Pillen. Doch tröpfelte er Wasser und Zitronensaft. Damit löst
kurze Zeit später nahmen sie auch schon H. sich das Dope besser. Dann hielt er ein Feuerzeug
unter den Löffel. Das Dope kochte. Detlef zog es in
Im Mai wurde ich 14. Meine Mutter schenkte mir 50 die Spritze. Eigentlich war es eine Einwegspritze.
Mark. Ich kaufte Detlef und mir H. Wir waren immer Die durfte man nur einmal benutzen. Doch
diese Spritze war schon ganz stumpf, wie eine
öfter zusammen.
Stricknadel. Detlef hatte sie schon oft benutzt.
Fürs H brauchten wir viel Geld. Also klaute ich auch Er konnte sich ja nicht für jeden Druck eine neue
immer öfter. Ich wurde immer besser. Spritze besorgen.

44 45
Bei Oma
1

i 1

Nach Detlef war ich dran. Doch die Nadel war ganz
'1
verstopft. Zum Glück war da noch ein anderer Fixer
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auf der Toilette. Das war ein ziemlich kaputter Typ. In den Sommerferien sollte ich zu Oma fahren.
Der lieh mir seine Spritze. Ich traute mich aber Sie wohnte in einem kleinen Dorf im Bundesland i; ;,
. '
nicht, die Nadel in den Arm zu stecken.Also musste Hessen. Ich freute mich wahnsinnig. Die Kinder dort :,:,!1'
der Fixer mir helfen. Detlef beachtete mich nicht. hatten noch nie was von Drogen gehört. Sie spielten 1 ,

Ihm gefiel das wohl alles gar nicht. am Bach und gingen Reiten, genau wie ich früher. '
; '
,,1
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Der Fixer musste dreimal stechen. Dann konnte Bei Oma in der Küche fühlte ich mich so entspannt. 'i'
er ein bisschen Blut hochziehen. Er hatte also Alles war wie aus dem Bilderbuch: Da gab es eine 11

endlich eine Vene gefunden. Dann spritzte er das offene Feuerstelle mit riesigen Töpfen. Und immer
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Heroin hinein. Sofort fühlte ich es. Eswar wie ein brutzelte darin etwas leckeres. Oma gab mir
1 !

Hammer. Aber ich hatte es mir anders vorgestellt, das Gefühl, zu Hause zu sein. Alles war vertraut,
aufregender. Ich fühlte irgendwie gar nichts mehr. gemütlich.

Detlef und ich passten jetzt noch besser zusammen. Mit den Kindern verstand ich mich sofort wieder.
Wir waren wie ein altes Ehepaar. Nur schliefen wir Wir bauten noch größere Staudämme als früher.
nicht miteinander. Wir hatten noch gar keinen Sex. Wir spielten im Wald und ritten viel. i

Ich fühlte mich nicht alt genug. Und für Detlef war Über Berlin erzählte ich wenig. Und an Detlef dachte 1

das okay. Dafür nahmen wir H zusammen. ich auch nicht so oft. Dabei hatte ich versprochen,
jeden Tag einen Brief zu schreiben. Am liebsten
wollte ich gar nicht mehr zurück nach Berlin. Aber
das ging nicht. Ich hätte ja meiner Mutter erklären
müssen, warum ich nicht zurück wollte.

Bei meiner Oma nahm ich keine Drogen. Auch in


Berlin fing ich nicht gleich wieder an. Denn wir
gingen auf Klassenfahrt.

47
I'!'/

Kessi saß im Bus neben mir. Ich hatte Und so ganz wusste ich auch nicht, was das
Bauchschmerzen. Da sagte Kessi auf einmal: ,,Du bedeutet. Mir war nur klar: Da befriedigen Jungs
siehst ja ganz gelb aus!" Ich dachte, sie macht einen wie Detlef Schwule für Geld.
Witz. Später brach ich zusammen. Im Krankenhaus
stellte sich heraus: Ich hatte Gelbsucht. Das Ein paar Tage später fuhr ich mit zum Bahnhof
bekommen viele Fixer durch die alten, dreckigen Zoo. Detlef quatschte mit irgendeinem Jungen.
Spritzen. Ich hatte gerade erst angefangen mit Ich wartete. Da kamen ein paar Typen und riefen:
fixen. Und trotzdem hatte ich schon meine erste „Sechzig Mark!" Die dachten wohl, ich schaffe
Gelbsucht. auch an. Schnell lief ich zu Detlef und hakte mich
Zum Glück merkten die Ärzte nichts von den bei ihm ein.
Drogen. Die Einstiche in den Armen waren schon
wieder verheilt. In den Ferien hatte ich bewiesen: Ich bin nicht
abhängig. Da konnte ich doch jetzt ein bisschen H
Im Krankenhaus schrieb ich Briefe an meine Mutter. nehmen? Detlef setzte sich einen Druck.
Auch meine beiden Katzen bekamen Post von mir. Ich sniefte. Wir waren glücklich. Und wir redeten
Ich faltete ganz kleine Briefumschläge für sie. vom Leben ohne H. II

Die Zeit bei meiner Oma hatte ich schon wieder


Nach drei Wochen durfte ich nach Hause. vergessen.
zum ersten Mal dachte ich wieder richtig an Detlef.
Er hatte ein paarmal nach mir gefragt, sagte meine Oft fuhr ich nach der Schule gleich zum Bahnhof.
Mutter. Dann kam er mich besuchen. Ich erschrak Ich nahm ein Spritzbesteck mit. Und ich schmierte
ganz furchtbar. Er war ganz mager. Sein Gesicht ganz viele Brote. Die nahm ich für Detlef und die
war eingefallen. anderen mit. Meine Mutter hat sich bestimmt
gewundert, warum ich so viele Brote mitnahm.
Detlef erzählte vom Bahnhof Zoo. Da war er jetzt Ich wurde ja immer dünner.
immer. Ich fragte, was er am Bahnhof macht.
Anschaffen",
nc..===.=c antwortete er. Die Bahnhofshalle war dreckig. Aber der Gestank
Ich wunderte mich gar nicht. störte mich schon bald nicht mehr.

49
Dort waren zwar Bullen, Besoffene und Stricher. Die Zoo-Clique
Aber ich gehörte dahin, weil Detlef dort war.
Statt ins Sound ging ich in die Bahnhofsterrassen.
Oft wurde ich angestarrt. Die Freie_rwimmelte Das war eine Gaststätte im Bahnhof. Dort waren
ich ab, wenn sie mir Geld boten: ,,Bei mir läuft gar auch Bernd und Axel. Sie waren 16 und nahmen
nichts, Alter. Hau ab!" Ich war ihnen überlegen. H. Und sie gingen auf den Strich. Sie wohnten mit
Das fand ich cool. Detlef in Axels Wohnung. Die hatte er von seiner
Mutter bekommen.
Auch die Mädchen starrten mich an. Sie hatten
wohl Angst. Ich war jünger als die meisten. Eswar eine richtige Fixer-Wohnung. Esstank
Sie wollten ihre Kunden nicht an mich verlieren. fürchterlich. überall standen leere Fischkonserven.
Zigaretten steckten in Öl, Tomatensoße oder
Senfsoße. In Bechern schwammen Zigaretten und
Asche.
Doch das war nicht alles. Axel spritzte Blutreste aus
seiner Spritze einfach auf den Teppich. Das roch
man.

Nur das Bett war sauber. Eswar immer frisch


bezogen und duftete nach Waschmittel.
Diejungs kümmerten sich um mich. Zum Glück,
denn außer ihnen hatte ich auch niemanden.

Detlef teilte sein H mit mir. Ergingauchfürmich


anschaffen. Das war etwas Besonderes. Manchmal
hatte ich deswegen ein schlechtes Gewissen.
Aber selber anschaffen, daran dachte ich noch
nicht.

50 51
Detlef ging oft mit viel Ekel an die Arbeit. Ich fing an, Mein erstes Mal mit Detlef
die Schwulen zu hassen. Am liebsten wollte ich sie
anschreien und klarmachen: ,,Detlef gehört mir!" An dem Samstag sollte es passieren. Detlef und ich
Aber wir brauchten sie ja zum Geldverdienen. wollten zum ersten Mal miteinander schlafen.
Ohne Geld hatten wir schließlich keine Drogen. Wir waren tatsächlich nüchtern. Ganz still lagen
wir nebeneinander. Mädchen aus der Schule hatten
Wir schliefen jeden Samstag im frisch bezogenen schreckliche Dinge erzählt, wie dieJungs ihr Ding
'!
Bett, Detlef und ich. Vor dem Schlafengehen gaben einfach in sie reingestoßen haben. So wollte ich das
wir uns ein Küsschen, mehr nicht. Dann schliefen nicht.
wir Rücken an Rücken ein. Detlef spürte einfach, „Okay, Kleines", sagte Detlef. Ich wusste, dass Detlef
dass ich noch nicht mehr wollte. mir nicht weh tun wollte.

Irgendwann habe ich dann meine Mutter um die Erging ganz vorsichtig in mich hinein. Wenn es
Pille gebeten. Sie wusste inzwischen, dass ich bei mir weh tat, hörte er gleich auf. Irgendwann war er
dann in mir drin. Ich hatte ihn wahnsinnig lieb.
Detlef schlafe.
Wir bewegten uns nicht.
Am nächsten Samstagabend war alles anders.
Detlef gab mir kein Küsschen. Wir fingen an zu Hinterher umarmte Detlef mich. Er hatte nicht
reden. Wir streichelten uns ein bisschen. Eswar einmal weitergemacht bis zum Orgasmus. Das fand
sehr schön, ganz zärtlich. Dann fragte Detlef: ich so lieb. Womit hatte ich ihn bloß verdient?
Willst du am nächsten Samstag mit mir schlafen?" Ich dachte an den Jungen damals im Kino. Der hatte
"„Okay", antwortete ich. ,,Aber nur, wenn wir mir einfach so zwischen die Beine gegriffen.
nüchtern sind." Detlef war einverstanden. Mit Detlef war das ganz anders.

Aufgeregt schlief ich ein.


Ich liebte Detlef so wahnsinnig. Plötzlich bekam ich
Angst. Ich wollte nicht, dass er stirbt! ,,Du, Detlef, wir
hören auf zu drücken': sagte ich. Detlef wollte auch
aufhören. Er küsste mich. Dann schliefen wir ein.

52 53 II,
' 1

1 I,
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Anschaffen
1

Zwei Tage später wollte ich doch wieder einen 'i


Druck haben. Detlef rastete aus. Aber dann ging er
• 1 '

doch für mich anschaffen. Danach bekam ich mein Der Dezember kam. Ich fror ständig. Mein Körper
H. Wir versprachen einander, dass wir zusammen war durch all die Drogen geschwächt. An einem
'

aufhören wollen. Sonntag wachte ich neben Detlef auf. Ich bemerkte 1 1

eine Schachtel mit roter Schrift. Die Farbe sah ganz


Ich hatte mit Detlef geschlafen. Das änderte vieles. komisch aus. Das Rot sprang mir fast ins Gesicht.
Die Freier ekelten mich an. Wie konnten die Jungs In meinem Mund war ganz viel Spucke.
und Mädchen mit einem dickbäuchigen Kahlkopf Ich zitterte. Und dann wurde mir heiß. Ich schwitzte
Sex haben? Ich konnte es mir einfach nicht fürchterlich. ,.Du, Detlef, was ist mit mir los!?':
vorstellen. fragte ich. ,.Turkey",war seine Antwort.
Trotzdem ging ich noch zum Bahnhof. Detlef war ja
da. Das war also Turkey. So schlimm war esja gar nicht,
dachte ich. Die Farben und die Spucke machten
In den Bahnhofsterrassen waren viele andere mich ein bisschen verrückt. Aber sonst ...
Stricher. Detlef warnte mich vor ihnen. Ich sollte Detlef machte einen Druck fertig. Danach ging es
ihnen nie vertrauen. Und ich sollte nie zeigen, dass mir gleich besser. Doch dann dachte ich: Ich bin
ich Geld oder Dope habe. Diese Stricher waren noch jetzt nicht nur vom H abhängig, sondern auch von
kaputter als wir. Detlef. Wenn er mir kein H besorgt, komme ich auf
Turkey. Das machte mir Angst.

Zwei Sonntage später waren wir mies drauf.


Wir hatten schlechtes Dope bekommen. Darum
mussten wir viel mehr spritzen, bis wir etwas
merkten. Wir mussten also in kurzer Zeit wieder
an Geld kommen. In der Wohnung stand nichts
Wertvolles mehr. Wir stellten uns vors Sound.
Dort wollte ich Geld zusammenschlauchen.

54 55
·:1:,1

11
Das hatte da immer geklappt. Ich hatte das gut Wir fuhren zum Park und blieben im Auto sitzen.
1 '

drauf. ,,Erst das Geld!", sagte ich. Das war so eine Regel.
Doch jetzt war ich auf Turkey. Esging nicht. In einer Die hatte ich von den anderen auf dem Strich ! 1

halben Stunde hatte ich nur 6 Mark 80. Ich dachte gelernt. Der Typ knöpfte seine Hose auf. In dem
an Detlef. Der war am Bahnhof. Sonntags liefen da Moment steckte ich den Schein in meinen Stiefel. i: 1
! ~
nur Familien mit Kindern rum. Bestimmt verdiente Dann konnte er ihn mir nicht wieder klauen.
er auch kaum was.
Ich tastete mich mit der linken Hand vor. Dann
Ein Mercedes fuhr vorbei. Der Typ am Steuer winkte fühlte ich sein Ding. Ich versuchte, an etwas
mir zu. Ich sollte einsteigen. Mir war klar, was los anderes zu denken. Ich sah mir die Scheinwerfer
war. Der Typ war ein Freier. Ich hatte ihn schon öfter anderer Autos an.
gesehen. Esging ziemlich schnell. Ergab mir sogar noch 20
Mark Trinkgeld.
,,100 Mark. Bist du einverstanden?", fragte er.
Ich antwortete: ,,Also bumsen ist bei mir nicht drin. Als ich ausstieg dachte ich erst: Das war also mein
Ich habe einen Freund. Der ist der einzige, mit dem zweiter Mann. Ich bin gerade mal 14. Aberdann
ich schlafe." fühlte ich mich eigentlich ganz gut. Ich hatte 120
,,Dann blas mir einen", sagte er. Mark im Stiefel! Jetzt dachte ich nur noch an den
,,Nein, dann muss ich kotzen!", war meine Antwort. nächsten Druck.

Anscheinend fand er mich unheimlich toll. Oder Ich besorgte Detlef und mir gutes Dope bei unserem
meine Angst erregte ihn. Die konnte ich nämlich Stammdealer. Dann fuhr ich zu Detlef. Der war
kaum verbergen. Jedenfalls sagte er: ,,Dann hol mir ganz schlimm auf Turkey. Er sah die Päckchen H
einen runter." Ich stimmte zu. und den Rest des Geldes. ,,Ich habe dem Typen nur !;
,,
1:1
Das war schon verrückt.100 Mark fürs Runterholen einen runtergeholt': sagte ich. Detlefflippte aus: 1·1

waren unheimlich viel. Der Typ wollte mich „Niemand zahlt so viel fürs Runterholen!" Doch er
1
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unbedingt. konnte nicht mehr. So schlecht ging es ihm. Er hatte
11

Krämpfe und zitterte. Ersetzte sich seinen Schuss.

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56 57
11
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11
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1 i'

Danach brachte er mich zu Bushaltestelle. Er sagte Ein normaler Morgen


nichts mehr. Ich versuchte ihn zu beruhigen: ,,Ich
1'
habe ihm wirklich nur einen runtergeholt. Das habe i:
Der nächste Morgen war wie jeder andere. 1

ich für dich gemacht!" Meine Mutter versuchte, mich aus dem Bett zu
,,Spinn nicht rum. Das hast du für dich getan!", bekommen. Dann ging sie zur Arbeit. Ich holte
meinte Detlef. ,,Du bist jetzt eine richtige Fixerin, das Haus meiner Jeans. Das Pulver war immer in
die nur an sich selber denkt!" Stanniolpapier verpackt. Ich tat das Dope auf einen
Löffel. Dann spritzte ich Zitronensaft darauf.
Esfing an zu regnen. Ich konnte nicht sehen, ob es Das Gemisch kochte ich über dem Feuerzeug auf.
Tropfen oder Tränen auf seinem Gesicht waren. Dann band ich mir den Arm ab, sodass ich die Vene
besser sehen konnte. Ich setzte mir den Druck.
Ich verspreche dir: Ich werde nie mit einem Freier
" i
bumsen." Detlef legte den Arm um mich. Dann stieg Das war mein ganz normaler Morgen. 1

!
ich in den Bus und fuhr nach Hause.
Das Spritzbesteck nahm ich immer mit zur Schule.
Manchmal musste ich länger da bleiben. Dann
setzte ich mir den Druck auf dem Schulklo. Eine
Freundin musste dann die Tür bewachen. Sie
wusste, dass ich Fixerin bin.

In der Schule bekam ich ständig Sechsen. Ich war


zwar im Unterricht. Aber meistens schlief ich. Ich
machte auch nie mehr Schularbeiten. Den Lehrern
war das egal. Esgab überhaupt keinen persönlichen
Kontakt. Nur einer hat mal irgendwann gefragt,
was los ist.
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,,

58 59
1 i

Stotter-Max Wiedersehen lli' 1

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Detlef und ich wollten jetzt zusammen anschaffen Irgendwann traf ich Babsi wieder. Ich hatte sie
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gehen. Manche von seinen Freiern wollten auch eine Weile nicht gesehen. Sie war noch hübscher
mal ein Mädchen dabeihaben. Detlef hatte Stotter- als früher. Aber es war klar: Auch sie war jetzt eine : 1

i
Max ausgesucht. Er war Ende 30 und stotterte Fixerin. Sie erzählte, dass sie auch anschaffen geht. 1 1

ganz schlimm. Stotter-Maxwollte sich immer nur Ihr Stammfreier zahlte ihr kein Geld, sondern Dope.
verprügeln lassen. Das erregte ihn. Ich sollte mich Heinz hieß er.,,Aber ich bumse nicht mit ihm", sagte
obenrum ausziehen. Dafür sollten Detlef und ich Babsi.
den doppelten Preis bekommen.
Ein paar Tage später traf ich auch Stella, Babsis
Wir hatten uns zu drittverabredet. Doch Detlef kam Freundin. Die erzählte eine ganz andere Geschichte.
nicht. Also bin ich mit Stotter-Max alleine in seine Heinz war erst Stellas Freier gewesen. Eswar
Wohnung gegangen. Ich zog mein T-Shirt aus. ein ekliger, verschwitzter Typ, mit dem sie auch
Dann bekam ich eine Peitsche in die Hand. bumsen musste. Und Stella war sich sicher:
Erst traute ich mich nicht. Doch dann schlug ich Auch Babsi bumste mit ihm. Babsi hatte mich also
drauflos. Eswar widerlich. Die Haut von Stotter- angelogen.
Max platzte irgendwann auf. Das Ganze dauerte
eine Stunde. Ich bekam 150 Mark. Stella ging nicht auf den Strich am Zoo. Sie ging auf
den Autostrich an der Kurfürstenstraße. Das war
Draußen musste ich kotzen. nichts für mich. Die jungen Mädchen bekamen nur
20 Mark. Und sie wussten nie, zu wem sie ins Auto
Danach ging ich öfter zu Stotter-Max. Manchmal stiegen.
war ich alleine. Ein anderes Mal ging ich mit
Detlef zusammen. Stotter-Max hatte immer Bald schon gingen Stella und ich zusammen
meinen Lieblingssaft da. Und für Detlef kochte er anschaffen. Manchmal hatten Babsi und ich
Grießpudding. Wenn wir da waren, stotterte er gemeinsam einen Freier. Zu zweit fühlten wir uns
manchmal kaum noch. sicherer.

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Babsi und Stella gehörten schnell zur Clique von Der erste Entzug '' 11
1 11
Detlef, Bernd,Axel und mir. Wir waren alle richtige
Freunde. Irgendwann war es dann 1977.Ich bekam nicht : ! 1,,

Zwischen Detlef und mir lief es manchmal nicht so genau mit, dass ein neues Jahr anfing. An eine
mehr so gut. Ich ging ja jetzt auch ohne ihn zu den Sache kann ich mich jedoch gut erinnern: Eswar
Freiern. Und das gefiel ihm gar nicht. Sonntag. Meine Mutter brachte mir Essen ans Bett.
Ich würgte ein paar Bissen hinunter. Danach lief
Kurz vor Weihnachten 1976fuhr mein Vater in den ich mit meiner Plastiktüte ins Bad. Da war mein
Urlaub. Babsi und ich durften in seiner Wohnung Spritzbesteck drin. Ich schloss die Tür zum Bad ab.
schlafen. Meine Schwester war auch da. Ich hatte besonderes H an dem Tag. Eswar eine
Sorte, die einen noch besseren Flash besorgt.
Gleich am ersten Abend stritt ich mich mit Babsi. Man muss damit nur sehr aufpassen. Nimmt man zu
Meine Schwester bekam alles mit. Babsi und ich viel, dann ist man schneller tot als bei normalem H.
hatten richtige Stricher-Sprache drauf. Wir waren
Freundinnen. Aber wenn es ums Dope geht, hört die Ich wollte mir den Drucksetzen. Ein wenig Blut war
Freundschaft auf. schon in der Spritze. Ich war also in einer Vene drin.
Meine Schwester merkte, dass wir von Rauschgift Doch auf einmal verstopfte die Spritze. Das ist das
redeten. Aber sie dachte, wir probieren nur mal was Schlimmste, was passieren kann. Denn wenn in
aus. Von unserer Abhängigkeit wusste sie nichts. dem Augenblick das Blut gerinnt, kann man alles
Sie versprach mir, niemandem etwas zu verraten. wegschmeißen.

Ich drückte mit Gewalt. Es klappte. Doch beim


letzten Rest verstopfte die Spritze wieder. Wieder
drückte ich mit aller Kraft. Da spritzte das Blut im
ganzen Bad herum. Zur gleichen Zeit fühlte ich den
Flash. Ich musste meinen Kopffesthalten.
Im Herzen fühlte ich einen Krampf. Meine Kopfhaut
prickelte.

62
1'11

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1 :1

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Ich versuchte, das Bad sauber zu machen. Wir hatten gehört, dass zwei Fixer nie zusammen 1
1 i 1

''
Meine Mutter hämmerte an die Tür. Sie wollte, entziehen sollen. Meistens geht es dann schief. Das
dass ich aufmache. Ich hatte ein paar Blutspritzer war uns egal. Wir wollten das einfach schaffen.
übersehen. Im Waschbecken lag noch ein blutiges
Taschentuch. Ich machte die Tür auf. Nachmittags fing der Turkey an. Wir waren
„Du nimmst Rauschgift!", schrie sie. Sie bog mit schweißnass. Unsere Körper zitterten und bebten.
Gewalt meine Arme gerade. Der frische Einstich war Ich wälzte mich auf dem Boden. Detlef hatte
gut zu sehen. Dann kippte sie meine Plastiktüte aus. Magenkrämpfe. ,,Ich halt das nicht aus!'; schrie er.
Das ganze Zimmer stank fürchterlich nach Schweiß. '
'
'
!

Lügen hatte keinen Zweck mehr. Ich heulte. Ich dachte nur: Ich liebe ihn trotz allem.
Meine Mutter zitterte. Nach einer Weile fragte sie:
,,Willst du denn nicht damit aufhören?" Dann bekam ich einen Hustenkrampf. Ich musste
Natürlich wollte ich das. Aber ohne Detlef ging das kotzen. Weißer Schaum kam aus meinem Mund.
nicht. ,,Detlef? Der auch?'; fragte meine Mutter. Meine Mutter machte den Teppich sauber.
Sie war fassungslos. ,,Wir versuchen das zusammen.
Ich nehme mir Urlaub. Und dann fangen wir gleich Wir nahmen Beruhigungspillen und tranken Wein.
an!''. sagte sie. Der Gedanke gefiel mir. Damit wurden wir wenigstens ein bisschen ruhiger.
Dann schliefen wir ein paar Stunden. Nachts sah
Natürlich wollte sie wissen, wo ich das Geld ich, wie Detlefs Körper noch immer zitterte.
herbekam. Das konnte ich ihr nicht auch noch Ich wischte ihm den Schweiß von der Stirn.
erzählen. Aber sie war nicht blöd. Sie hatte natürlich
auch schon gehört, dass junge Mädchen auf den Am nächsten Morgen ging es uns schon besser.
Strich gehen. Ich erzählte vom Geldschlauchen. Nachmittags konnten wir wieder miteinander
Und ich sagte ihr, dass ich putzen ging. Anscheinend reden. Wir wollten nie mehr Hund Pillen nehmen.
reichte ihr das. Sie fragte nicht weiter. Nein, wir wollten nur noch Haschisch rauchen und
ein friedliches Leben führen. Detlef wollte sich
Am nächsten Tag stand Detlef vor der Tür. Er wollte wieder Arbeit suchen. Ich wollte Abitur machen.
auch entziehen.

65
'i'''I

, i 1

1, !

Meine Mutter verwöhnte uns in den Tagen danach. Wir kauften nur H, wenn wir zufällig Geld hatten.
Sie kochte für uns. Und sie brachte uns Comics. Manchmal bezahlte jemand anders einen Druck für
Vom Arzt hatte sie Beruhigungstropfen bekommen. uns.
Die sollten wir nehmen. Damit ging es uns ganz gut.
Detlef wohnte jetzt erst mal bei mir. Ich liebte
Nach einer Woche wollten wir mal an die frische ihn noch mehr. Fast jede Nacht schliefen wir
Luft. Wir standen vor der Tür und dachten: Wir miteinander.Tagsüber gingen wir spazieren.
wissen gar nicht, wohin wir gehen sollen. Unsere Manchmal nahmen wir meine Katzen mit.
Freunde sind Fixer. Wo wir sonst hingingen, sind Die kletterten dann in den Bäumen herum.
Fixer. Ich brauchte noch nicht zur Schule.
Eswar eine schöne Zeit.
Irgendwie fuhren wir automatisch zum Bahnhof.
Wir wollten wenigstens Axel und Bernd Bescheid Nach drei Wochen musste ich wieder zum
sagen. Die beiden hatten viel Dope bei sich. Detlef Unterricht. Und Detlef musste wieder aus der
und ich schauten uns an. ,,Wir können uns ja ab Wohnung raus.
und zu einen Schuss genehmigen. Hauptsache, Am nächsten Tag ging ich ihn suchen. Da stand er
wir werden nicht mehr abhängig", sagte Detlef. Ich am Bahnhof und wartete auf Freier. Ich fand es
stimmte ihm zu. widerlich. Detlef setzte sich wieder jeden Tag einen
Druck. Und ich musste jeden Tag zum Bahnhof.
Wir waren gerade mal zwei Stunden bei meiner Denn ich wollte Detlef sehen. Sonst hatte ich ja
Mutterweg. Da hatten wir schon wieder H niemanden.
genommen. Wir fühlten uns gut. Und wir dachten
echt, dass wir danach einfach wieder aufhören
können.
ii 1

..11;1

In den nächsten Wochen klappte unser Plan: ii'


,.
'

Wir setzten ab und zu einen Druck.


Aber wir gingen nicht anschaffen.

66
1

''1'

Geld 100 Mark brauchte ich am Tag alleine für Dope.


Irgendwie war ich stolz auf mich: soviel Geld, mit 14
Dann fing die ganze Scheiße wieder von vorne an. Jahren.
Ich wollte mich so fühlen wie Detlef. Wenn er auf AufH war das Anschaffen auch gar nicht so
H war und ich nicht, verstanden wir uns weniger schlimm. Und ich bestimmte die Regeln. Bumsen
gut. Erst ging Detlef noch alleine anschaffen. Doch durften die Freier mich immer noch nicht.
schon bald reichte das nicht mehr. Ich musste auch
wieder auf den Strich.

Dann bekamen wir einen neuen Stammfreier.


Das war ein bekannter Geschäftsmann. Der kannte
auch Politiker und so. Wir gingen in seine teure
Wohnung. Dort saßen viele junge Leute. Alle waren
ganz cool. Manche fummelten aneinander herum.
Immer mehr Leute hatten Sex miteinander.
Sie wollten, dass wir auch mitmachen. Aber das '

wollte ich nicht. Irgendwie fand ich es aber auch


/'
alles spannend. Ich wurde sogar ein bisschen erregt. 1

Detlef und ich gingen in ein Nebenzimmer und


schliefen miteinander. Plötzlich sah ich den
Geschäftsmann. Er schaute uns zu und holte sich
einen runter. Esstörte mich nicht. )'1
Hinterhergaberuns100 Mark. 1

il
)i
Ich fand es toll, dass der Mann so viel Geld hatte.
Später wollte ich auch so eine Wohnung haben. Ich
verdiente in der Zeit auch so 4.000 Mark im Monat.

68 69
AtzesTod Mir war klar: Ich mache alles um mich herum
kaputt. Vor allem meine Mutter macht sich immer
Früher hatte ich vor vielen Leuten Angst: vor furchtbare Sorgen um mich.
meinem Vater, den Hausmeistern und den Lehrern.
Doch jetzt fühlte ich mich cool und stark. Sogar die
Bullen waren mir egal. Die hatten mich bis jetzt 1

auch noch nie geschnappt.

Eines Morgens schob mir meine Mutter die Zeitung


zu. Da standen öfter Berichte über Drogentote drin.
An dem Tag stand da: ,,Glaserlehrling Andreas W.
(17)setzte sich den ,Todesschuss'...". Es dauerte eine
Weile, bis ich es verstand.Andreas W. war Atze,
mein erster Freund.

Er hatte eine Überdosis gespritzt.


Sein Abschiedsbrief war in der Zeitung abgedruckt.
Darin warnte er alle vor Dope: ,,Essoll ein Warnbrief
sein für alle, die mal vor der Entscheidung stehen:
Na, versuche ich's mal? Ihr Dummköpfe, seht es
doch an mir!"

Ich konnte nicht mal weinen. Niemand weinte um


Atze. Viele waren sogar sauer auf ihn. Denn er hatte
vor seinem Tod gute Dealer an die Polizei verraten.
Die saßen jetzt im Knast.

Nach Atzes Tod fühlte ich mich gar nicht mehr so cool.

70 71
Geschnappt Dann gingen wir nach Hause. Mein Dope war weg.
Die Bullen hatten mich zum ersten Mal geschnappt.
In der Schule gab es einen netten Lehrer. Mit ihm
spielten wir bestimmte Situationen nach, zum Am nächsten Morgen war ich auf Turkey. Ich brauchte
Beispiel ein Bewerbungsgespräch. Und wir gingen Geld. Da dachte ich an die Bierdose. Darin sammelte 'I'' !
! '

zur Berufsberatung. Ich las die Infoblätter zum meine Mutter Fünf-Mark-Stücke. Eswar das Letzte, i}
Beruf Tierpfleger. Detlef suchte sich auch ein meine Mutter beklauen. Aber ich nahm trotzdem 1,

paar Berufe aus. Wir träumten von einer schönen sieben Fünf-Mark-Stücke aus der Dose. Ich nahm I'
,' :1
Zukunft. mir vor, sie zurückzuzahlen. . 1,i

Am nächsten Tag stand ich am Bahnhof. Detlef war Jeden Tag schaute sich meine Mutter jetzt meine
mit einem Freier weg. Da hörte ich eine Stimme Arme an. Sie suchte nach Einstichen. Ich spritzte
hinter mir: ,,Was machst du denn hier?" Ich wusste deswegen in die Hand, immer an die gleiche Stelle.
gleich, was los ist: Bullen. Ich versuchte mich 1rgendwann hat sie es gemerkt. Richtig verdraschen
herauszureden. Doch sie fanden mein Spritzbesteck hat sie mich. Sowieso war sie in der Zeit oft hart zu
und nahmen mich mit zur Wache. Ich musste alles mir. Das war eigentlich genau das Richtige.
ausziehen. Eine Polizistin guckte mir in jedes Loch. Es hilft einem Fixer nicht, wenn alle Leute nett und
Sie kontrollierte, ob ich irgendwo Dope versteckt verständnisvoll sind.
habe. Das Hin meiner Jeans hat sie natürlich
gefunden.

Meine Mutter holte mich von der Wache ab.


Siewollte wissen, wo ich gewesen bin. ,,Am Bahnhof':
sagte ich. ,,Ich habe auf Detlef gewartet." Natürlich
erzählte ich ihr nicht, dass ich auch auf den Strich
gehe.
,,Triff dich nicht mehr mit diesem arbeitslosen,
asozialen Penner!': antwortete sie.

72 73
zweiter Entzug Ich rief meine Mutter an und bettelte. Ich wollte
zurück nach Berlin. Meine Mutter antwortete ganz
In den Frühjahrsferien sollte ich wieder zu Oma. kühl:,, Ich denke, du hast nur noch gelegentlich '1"1

Ich freute mich. Und gleichzeitig hatte ich Rauschgift genommen? Dann kann esja nicht so
wahnsinnige Angst. Vier Wochen ohne Detlef und schlimm sein."
ohne Dope-wie sollte das gehen? Ich musste dort
entziehen. Das war klar. Und ich wollte, dass Detlef Vier Tage dauerte der Turkey. Danach fing ich an
in der Zeit auch entzieht. zu fressen. Ich aß Brot mit Marmelade. Ich stopfte
Detlef war einverstanden. Er wollte sich eine Arbeit eingemachtes Obst mit Schlagsahne in mich
suchen und aufhören mit dem Anschaffen. hinein. In kurzer Zeit nahm ich zehn Kilo zu.Alle
freuten sich. Ich bekam eine weite Hose von meiner
Bei meiner Oma fing der Turkey an. Erst ging ich in Cousine. Denn meine engen Jeans passten mir nicht
den Wald. Doch da nervte mich das Gezwitscher der mehr.
Vögel. Eigentlich nervte mich alles dort.
Mit meiner Cousine verstand ich mich gut. Sie war
In meinem Zimmer hing ein Poster an der Wand. ja genauso alt wie ich. Wir gingen oft reiten. Und
Darauf war die Hand eines Skeletts abgebildet. wir spielten mit anderen Kindern im Steinbruch.
Die hielt eine Spritze fest. Auf dem Poster stand:
,,Das ist das Ende. Mit Neugier fing es an." Ich fühlte mich wie in einem schönen Film. Doch
Ich dachte, das ist ein Poster von meiner Cousine. ich wusste, dass der Film auch wieder zu Ende geht.
In Wirklichkeit hatte meine Mutter meiner Oma Irgendwann musste ich zurück nach Berlin.
alles erzählt. Sie wusste, dass ich drogensüchtig bin.
Meine Oma gab mir immer ein bisschen
stundenlang starrte ich auf das Poster. Ich schwitzte Taschengeld. Das sparte ich. Irgendwann hatte ich
und kotzte, wie beim letzten Entzug. Meine Cousine 40 Mark. Ich war ganz stolz. 40 war eine wichtige
kam ab und zu ins Zimmer. Dann machte sie Musik Zahl. So viel kostete ein Schuss. Ich dachte: Das
an. Später dachte ich: Sie wollte nett sein und mich kann nicht wahr sein. Ich spare schon wieder für
damit ablenken. den nächsten Schuss!

74 75
Deswegen kaufte ich mir ein T-Shirt für 20 Mark. AxelsTod ',1,
1

Ich wollte die 40 Mark nicht. Die Zahl erinnerte


mich immer an einen Schuss. Am Bahnhoftrafich Detlef und Bernd. Axel war :, i

nicht da. Ich dachte: Der ist wohl bei einem Freier.
An einem Abend rief Detlef an. Er war bei einem Ich fragte: ,,Wie geht es Axel?" Die Jungs schauten
Freier. Dort konnte er telefonieren. Detlef hatte mich komisch an. Dann sagte Detlef: ,,Weißt du ' ,',,111
noch nicht entzogen. Ich freute mich trotzdem sehr noch nicht, dass er tot ist?" '
,,,• 1

über sein Telefonat. Jeden Abend zählte ich die Tage '' 1,

bis zu unserem Wiedersehen. Wir gehörten einfach Ich konnte es kaum glauben. Axel war tot. Ich '.1
zusammen! hatte ihm immer Thunfisch gekauft. Den mochte
erso. Und erstellte mir immer Danone-Joghurt
Dann waren die vier Wochen bei Oma vorbei. hin.Jetztwarertot. Man hatte ihn mit einer
Ich zwängte mich in meine enge Jeans. Sie ging Spritze im Arm auf einer Toilette gefunden.
nicht zu. Mit offener Hose und auf hochhackigen
Stiefeln fuhr ich nach Berlin. Axels Tod machte mich fertig. Und weil ich so
fertig war, brauchte ich einen Schuss. Detlef gab
mir ein bisschen von seinem Dope ab.

Wir wohnten jetzt bei einem von Detlefs Freiern.


In Axels Wohnung konnten wir ja nicht mehr.
Unser Bett stand im Schlafzimmer des Freiers.
Wenn Detlef und ich zusammen schliefen, drehte
ersieh einfach um.
Ich mochte den Freier gar nicht. Er war wohl in
Detlef verliebt. Ich hatte Angst, dass Detlef auch
schwul wird.
Wir hatten immer verabredet, dass Detlef sich
nicht anfassen lässt.

77
,' 11'1
,,

1
,,
1'

Doch in einer Nacht hörte ich ihn stöhnen, als er ,,Bitte, Bitte, Mutti ..."
mit dem Freier im Bett lag. Die ganze Nacht blieb er
dort. Im Sommer1977 wurden Detlef und ich mal
wieder festgenommen.Auf dem U-Bahnhofwar
Plötzlich wurde mir klar: So lange wir H nehmen, eine Razzia. Wir rannten in den letzten Waggon.
muss ich Detlef mit anderen teilen. Da stieß ich mit einem Opa zusammen. ,,Mensch,
du olle Halbtote!", sagte der. Die meisten Leute
wussten, dass auf dem Bahn hofviele Fixer waren.
Die Bullen rannten hinter uns her. Das war gar nicht
nötig. Denn im Waggon wurden wir von ein paar
Omas und Opas festgehalten.
1

Die Bullen brachten uns zur Wache. Sie nahmen


uns das Dope weg. Und sie schrieben ein Protokoll.
Schon bald durften wir wieder weg. Wir waren für
sie hoffnungslose Fälle.

Wir wollten neues Dope kaufen. Aber unser


Stammdealer warn irgendwo zu finden. Also
kauften wir es woanders. In einer öffentlichen
Toilette machte ich erst die Spritze sauber. Ich hielt
sie ins Wasser des stinkenden Klos. Das Dope haute
mich um. Ich fiel in den Dreck.

Danach gingen wir seit langem wieder mal ins


Sound. Detlef verschwand auf die Tanzfläche.
Ich setzte mich neben den Orangensaft-Automaten.
Der hatte oben ein Loch.

79
Da steckte ich einen Strohhalm hinein. Ich trank, Nur nahm ich ein bisschen zu viel Essig.Ich war
bis mir übel wurde. Auf dem Klo musste ich kotzen. sofort weg.
Eine Stunde später wachte ich auf. Mein Kopftat
Und dann zerrte mich plötzlich ein Mitarbeiter furchtbar weh. Ich dachte, ich sterbe. Ich heulte und
der Disco durch den Laden. Er nahm mich mit in 1 kroch zum Telefon. Dann rief ich meine Mutter auf
i
einen Raum mit Getränkekisten. In der Mitte stand der Arbeit an . .,Bitte, bitte, Mutti, komm, ich sterbe!"
ein Barhocker. Ich hatte schon öfter schreckliche
Geschichten gehört. Im Sound wurden Leute Meine Mutter war verzweifelt. Sie wusste natürlich
'
verprügelt. Manche Fixer-Bräute schliefen mit was los war. Trotzdem brachte sie mir einen großen
einem der Geschäftsführer. Die bekamen dafür Korb Erdbeeren.
keine Schläge.
Mein Körper war kaputt. Von anderen Fixern wusste
Ich hatte panische Angst. Gleichzeitig spürte ich ich: Erst kippt man nach einem Schuss ein paarmal
eine unheimliche Kraft. Eigentlich hatte ich die gar um. Und irgendwann wacht man einfach nicht
nicht.Aber trotzdem riss ich mich los. Ich rannte auf mehr auf.
die Straße. In einer Telefonzelle rief ich die Polizei Fixer sterben allein, meistens auf einem stinkenden
an. Ich hatte auch Angst um Detlef. Was würden die Klo.
ihm im Sound antun?
Ich rief durch den Hörer: .,Mein Freund wird gerade Eigentlich wollte ich ja sterben. Warum war ich i 'i
zusammengeschlagen!" Irgendwas musste ich mir d.enn auf der Welt? Als Fixer macht man ja nur alles '!

ja ausdenken. kaputt. Schon für meine Mutter wollte ich sterben.


Dann brauchte sie sich nicht mehr solche Sorgen zu
Als die Polizei kam, konnte sie natürlich nichts machen.
finden. Die Bullen waren sauer auf mich.

Zu Hause setzte ich mir einen Druck. Ich hatte


keinen Zitronensaft mehr. Also nahm ich Essig.Ich
dachte: Das ist ja auch sauer.

80 81
1: ·1·
''
'1

Therapie Entweder ich setze mir den Goldenen Schuss oder


ich mache wirklich einen Entzug.
J
: ,:
11'

1, .:
:·! ,1
Wegen meiner Festnahmen musste ich zur
Kriminalpolizei. Stella kam mit. Eine freundliche Ich entschloss mich dazu, zu einer
Beamtin brachte mir Kakao, Kuchen und Äpfel. Drogenberatung zu gehen. Dort erzählten sie
Dann erzählte sie, dass Leute in der Scene schlecht mir, dass es kaum Therapieplätze gibt. Bei den
über mich gesprochen hatten. Da fing ich an zu meisten Organisationen war alles voll. So viele
quatschen. Ich nannte Namen und erzählte alles Drogenabhängige gab es. Außerdem musste man
Mögliche. Danach kam auch noch ein anderer Bulle. körperlich fit sein. Und ich war eigentlich auch zu
Der fragte mich nach dem Sound. Ich erzählte, was jung. Für Kinder gab es keine richtige Therapie. 1 !!

ich wusste. Dass da ganz viel gedealt wird und dass


die Geschäftsführer da Leute verprügeln. Ich hatte von Narconon gehört. Das war das
''
Dann musste ich alles unterschreiben. Stella Therapie-Haus einer Sekte: Scientology Church. '
' 1

bestätigte meine Aussagen. Dort wollte ich hin. Jeder wurde dort zugelassen.
Man durfte seine eigene Kleidung anbehalten.
Hinterher dachte ich nur: Was habe ich getan? Nur musste man vorher 1.500 Mark bezahlen.
Ich habe viel zu viel erzählt. Dabei habe ich auch
mich selber belastet. Das alles war genug für ein Meine Mutter fing gleich an zu telefonieren.
Gerichtsverfahren. Musste ich jetzt ins Gefängnis? Sie erkundigte sich nach Narconon. Für die Therapie
Zum Glück hörte ich darüber erst einmal nichts. wollte sie 1.500 Kredit bei der Bankaufnehmen.

Meine Mutter redete kaum noch mit mir. Schon ein paar Tage später sollte ich insTherapie-
Sie war verzweifelt und schrie nur herum. Haus. Ich fühlte mich wie neugeboren. Vor der
Ständig telefonierte sie mit Behörden und Therapie wollte ich erst noch selber entziehen.
Drogenberatungen. Ich wollte das alleine schaffen.
Als ich am Morgen aufwachte, war ich voll auf
Im Mai 1977wurde mir klar, dass es zwei Turkey. Ich sagte mir: Das ist nur das Gift in deinem
Möglichkeiten gibt. Körper. Und dann fing ich an zu träumen.

82
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1

:! 11
Ich träumte von meinem zukünftigen Leben. die Mädchen oft nur20 Mark. Ich hatte immer noch :·;•.·1!1
Ganz klar sah ich alles vor mir: einen Horror vor dem Autostrich. Babsi war mal zu
,1 1

.1 I:
Da war meine Wohnung im Grünen, eine schöne einem üblen Typen ins Auto gestiegen. Der hatte sie 1 '

Altbauwohnung. Sie hatte zwei oder drei kleine drei Tage festgehalten. Zig Männer haben sie in der ''.'I1

'I,
Zimmer. Es roch nach leckerem Essen. Zeit vergewaltigt. Und sie war voll auf Turkey. 11

Die Nachbarn sagten immer freundlich „Guten Tag".


Im Schafzimmerstand eine breite Liege. Rechts und Babsi und Stella hatten mirTipps gegeben: Keine
links davon hatte ich Zimmerpalmen hingestellt. schnellen Sportautos. Am besten waren die Autos
An der Wand hinter der Liege klebte eine mit Kindersitz auf dem Rücksitz. Das waren Papas,
Fototapete. Darauf waren Sanddünen abgebildet die mal etwas anderes wollten. Und die hatten
und ein paar Palmen. Wie eine Oase sah es aus. meistens mehr Angst als die Mädchen.
In meiner Sitzecke war totale Ruhe. Ich hatte keine
Probleme. Viele Möbel hatte ich sei ber gemacht. Am U-Bahnhof Kurfürstenstraße stieg ich aus.
Denn die Sachen aus den Geschäften waren mir Gleich hielten ein paar Autos. Doch die Typen
zu protzig. Ich hatte einen Hund und zwei Katzen. kamen mir komisch vor. Dann hielt einer an, der
Abends kochte ich in aller Ruhe. Dann kam Detlef okay aussah. Wir einigten uns auf 35 Mark. Eswar
nach Hause und setzte sich an den Tisch. eigentlich ganz einfach.
Das alles träumte ich auf Turkey. Hinterher kaufte ich mir Dope. Ich setzte mir den
Schuss in einer Damentoilette.
Am vierten Tag des Entzugs konnte ich aufstehen. Zwei Stunden später wachte ich auf. Die Spritze
Ich wollte noch einmal über den Ku-Damm steckte noch in meinem Arm. Mein Hintern hing in
bummeln. Aber ohne H war der Ku-Damm nicht so der Kloschüssel. Ich ging nach Hause.
geil. Doch ich hatte nur 20 Mark. Also fehlten mir
weitere 20 für einen Schuss. Zu Hause stritt ich mich sofort mit meiner Mutter.
Ich wollte nicht zum Bahnhof gehen. Ich konnte ja Sie merkte natürlich, dass ich gedrückt hatte.
nicht zu Detlef sagen: ,,Du, ich habe entzogen. ,,Du gehst noch heute zu Narconon!': brüllte sie.
Aber jetzt brauche ich noch einen Freier." Ich packte meine Sachen. Spritze, Löffel und den
Da hatte ich eine Idee: Autostrich! Dort bekamen Rest vom Dope steckte ich in meine Unterhose.

85
1 1 i
!

Ich musste alle möglichen Befehle ausführen.


15. Geburtstag Und ich durfte nur „Ja" sagen, sonst gar nichts.

Bei Narconon wurde ich sofort aufgenommen.


Stundenlang musste ich von Wand zu Wand laufen.
Die Typen stellten keine Fragen. Von meiner
Die Wand sollte ich berühren. Keine Ahnung,
Mutter wollten sie gleich die 1.500 Mark haben.
warum. Irgendwann hatte ich genug. Ich rastete
Sie versprach, das Geld am nächsten Tag
aus. Doch ich sollte weitermachen. Nach fünf
vorbeizubringen.
Stunden warf ich mich auf den Boden. Ich schrie 1

und heulte. Die Sitzung war zu Ende. Irgendwie


Auf dem Klo setzte ich mir noch schnell einen
fühlte ich mich besser. .•• 1 ;'

Druck. Dann gab ich einem der Typen von Narconon


In einem anderen Raum stand ein Gerät. Eswar 1

das Spritzbesteck. ,,Das sehen wir gerne", sagte er.


eine Art Pendel. Der Typ fragte: ,,Fühlst du dich 1'
Erfand es cool, dass ich alles freiwillig abgab.
wohl?" Ich antwortete: ,,Ja.Und ich erlebe alles viel I ''
Ich bekam Bücher über Scientology. Eigentlich fand
,. 1

bewusster."
ich es eine ganz geile Sekte.
Das Pendel blieb ruhig. Da erfuhr ich, dass es ein
Lügendetektor war. Ich war stolz auf mich. Ich hatte
Mein Zimmer musste ich mit einer anderen Frau
etwas erreicht.
teilen. Die redete ständig nur über Drogen. Und sie
fand Narconon Scheiße. Das zog mich runter.
Eswar ganz schön anstrengend bei Narconon:
Ich wollte ja wirklich entziehen.
Therapie, Küchendienst, sauber machen.
Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Das Essen
Dann rief meine Mutter an.
war schlecht. Die Bossevon Narconon aßen alleine.
Eswar mein 15.Geburtstag. Doch sie gratulierte mir
Die bekamen viel besseres Essen.
nicht gleich. Erst hatte sie schlechte Nachrichten:
Mein Kater war gestorben. Ich heulte und heulte.
An einem Sonntag hatte ich dann doch Zeit zum
Nachdenken. Half mir die Therapie? Wie ging es
Dann bekam ich zum ersten Mal Therapie. Ich
Detlef?
wurde in einen Raum eingeschlossen.
Ich wollte mit jemandem reden.
Ein ehemaliger Fixer leitete die Sitzung.

I'
87 '
86
Aber bei Narconon durften wir keine Weg bei Narconon
Freundschaften schließen. Alles wurde in Sitzungen
besprochen.
Mit ein paar anderen lief ich weg. Ich fuhr gleich
Es kam mir komisch vor: Die Therapie kostete viel zum Bahnhof Zoo, um Detlef zu treffen. Doch der
Geld. Doch eigentlich wurden da ja keine Probleme war nicht da. Die Leute da hatten ihn schon eine
gelöst. Wir wurden nur gedrillt. Weile nicht gesehen. Dafür war Stella da.

Am Montag beschwerte ich mich im Büro. Wir gingen zum Autostrich. Ein Auto hielt, mit
Ich erzählte auch von Leuten, die heimlich noch auf einem ziemlich verrückten Typen drin. Wir kannten
die Scene gingen. Doch der Typ lächelte mich nur ihn schon. Ergab mirioo Mark.Stella kaufte Dope.
an. Dann musste ich eine extra Sitzung machen. Dann setzten wir uns einen Druck.

Ich konnte das alles nicht mehr ernst nehmen. Auf der Straße sprang plötzlich ein kleiner Hund
Manchmal musste ich einen Fußball anbrüllen. an mir hoch. Er war furchtbar süß und hatte
Oder ich sollte jemandem stundenlang in die Augen schwarzweißes, wuscheliges Fell. Ein ziemlich
sehen. Ich hatte erst mal genug. kaputter Typ fragte, ob ich den Hund kaufen will.
Das wollte ich! Endlich hatte ich wieder einen
Hund. Ich nannte ihn Janie.

Doch wo sollte ich jetzt hin? Zu meiner Mutter


konnte ich nicht. Die wäre ausgerastet. Außerdem
wohnte meine Schwester jetzt wieder bei ihr.
Da war kein Platz mehr für mich. Bei einem Freier
schlafen wollte ich auch nicht.
Also ging ich zurück zu Narconon. Zu Janie sagten
sie zum Glück nichts.

88 89
Danach haute ich noch zweimal ab. Ich blieb ein Ich rannte aufs Dach und versteckte mich. 1: 1

paar Tage weg. Eswar wie immer: Freier, Druck, Da konnte mich niemand finden.
Freier, Druck.
Und dann erfuhr ich, wo Detlef war. Er war mit Am nächsten Tag rief ich meine Mutter an.
Bernd in Paris. Ich konnte es nicht fassen. Detlef und Ich weinte und fragte: ,,Was ist bloß los?"
ich hatten immer von Paris geträumt. Und jetzt war Meine Mutter antwortete ganz kühl: ,.Was mit dir
er dort, ohne mich. Und er hatte sich nicht einmal passiert, ist mir völlig egal."
verabschiedet. Anscheinend hatte ich plötzlich
keinen Freund mehr. Jetzt hatte ich nur noch Janie. Ich wurde unheimlich sauer. Meine Eltern ließen
mich im Stich. Ich dachte an meine Schulfreundin
Danach machte ich bei Narconon so richtig gut Kessi.Sie hatte damals Glück gehabt: Ihre Mutter
mit. Ich benahm mich vorbildlich. Ich dachte nur: hatte sie rechtzeitig gerettet.
Narconon ist meine einzige Rettung. Wenn ich das
hier nicht schaffe, sterbe ich. Drei Tage später war mein Vater wieder da. Er hatte
eine Vollmacht von meiner Mutter dabei. Darauf
Und dann rief plötzlich mein Vater an. Ich hatte stand, dass er mich bei Narconon wegholen durfte.
lange nichts von ihm gehört. Er wollte mit mir Ich konnte nichts dagegen tun.
essen gehen. Beim Abholen sollte er eine Erklärung Und dann heulte ich und heulte ich. Denn ich war
unterzeichnen. Narconon wollte schriftlich haben, mir sicher: Narconon ist meine Rettung. Ohne diese
dass mein Vater mich auch wieder zurückbringt. Therapie werde ich sterben.
Da rastete er völlig aus. ,.Ich bestimme, wo
meine Tochter bleibt!", schrie er. Er wollte mich Ich hasste die ganze Welt.
mitnehmen und nicht wieder zurückbringen.
Ich flehte: ,.Papa, bitte, lass mich hier! Ich will nicht
sterben!"

Die Leute von Narconon unterstützten mich.


Mein Vater rief die Polizei.

90 91
Bei meinem Vater Das Geld hatte ich von meinem Vater geklaut.
Dann setzte ich mir einen kleinen Druck.
Im Park war eine tolle Stimmung. überall machten
Und dann war ich in der Wohnung meines Vaters, Leute Musik. Alles war ganz friedlich.
unserer alten Wohnung. Am Morgen lag]anie
in meinem Bett. Ich wollte mit ihr Gassi gehen. Ich war zu Hause, bevor mein Vater zurückkam.
Doch die Tür war zu, abgeschlossen. Ich warf mich Der merkte nichts. Ich spielte ihm vor, dass ich ganz
dagegen. Doch es half nichts. überall suchte ich brav war.
nach einem Schlüssel. Doch da war keiner. Nur die Tauben taten mir leid. Die hatten ja nichts
Janie pinkelte auf den Balkon. zu fressen bekommen. Am nächsten Tag wollte ich
Mein Vater hatte mich eingesperrt, wie ein wildes ihnen eine doppelte Portion geben.
Tier!
Ab dem Tag ging ich jetzt nachmittags immer in 1 1

Das Schlafzimmer war leer. Meine Mutter hatte die die Hasenheide.Janie nahm ich mit. Die Tauben
Betten mitgenommen. Mein Vater schlief auf einer fütterte ich nur alle paarTage.Aberdaswarokay.
Schlafcouch im Wohnzimmer. Der Gummibaum mit Sie verhungerten nicht.
dem Bambusstockwarweg. Damit hatte mein Vater
mich früher geschlagen.

Ich redete kaum mit meinem Vater. Er quatschte


umso mehr. Einen richtigen Stundenplan hatte
er sich für mich ausgedacht. Ich sollte was im
Haushalt machen und einkaufen. Und ich musste
seine Brieftauben füttern. Wenigstens sperrte er
mich nicht mehr ein.·
Am ersten Nachmittag fuhr ich jedoch nicht zu den
Tauben. Ich fuhr in die Hasenheide. Das war ein
Park, in dem auch gedealt wurde. Ich kaufte mir H.
'1
1 i

92 93
Wiedersehen mit Detlef Heinz war eigentlich sogar ganz nett. Er nervte nur
ziemlich. Ich musste echt mit ihm schlafen. Und er '
11 11'
·''

wollte, dass ich auch was empfinde. Also tat ich so.
Dann kam ein ganz besonderer Nachmittag. E~tdanngaberRuhe.
Ich war wieder in der Hasenheide. Plötzlich hielt Nach Stella und Babsi war ich jetzt seine Neue.
mir jemand von hinten die Augen zu. Eswar Detlef!
Manchmal fühlte ich mich wie Heinz' Tochter.
Ich erfuhr, wo er gewesen war. Er hatte einem Ich hatte ja eigentlich gerade nur ihn. Meine Mutter 1li'
'

;11
Freier Schecks geklaut. Vom Geld war er nach wollte nichts mehr von mir wissen. Detlef und ,,

11,
1

!II
Paris gefahren. Dort hatte er tatsächlich Entzug Bernd waren beide im Knast. Babsi hatte jetzt auch
gemacht. Jetzt war er wieder da. Am Bahnhof Zoo eine Therapie bei Narconon angefangen.
hatte er sich gleich wieder einen Druck gesetzt. Und meinen Vater musste ich ständig belügen.
Wir fantasierten mal wieder über unsere Zukunft, Ich musste unheimlich aufpassen, dass er nichts
ohne Drogen. Schon nächste Woche wollten wir merkt.
aufhören.
i
Von Stella hatte ich lange nichts gehört. il
1

Doch eine Woche später wurde Detlef Dann stellte sich heraus: Auch sie war im Knast. : !
1 :,

festgenommen. Bei einer Razzia hatte man ihn Heinz bekam Angst. Was, wenn Stella der Polizei
erwischt. Und da kam auch gleich die Sache mit den von ihm erzählt?
Schecks raus.Jemand hatte ihn verraten.

Ich konnte nur noch heulen. Da half nur ein


Schuss.Am Bahnhof traf ich einen Freier, den ich
schon kannte: Heinz. EswarStellas und Babsis
alter Stammfreier. Ich wusste: Mit ihm werde ich
bumsen müssen. Dafür bekomme ich aber gutes H.
Das mit dem Bumsen war mir jetzt egal. Detlef war
ja erst mal im Knast.

94 95
1,

1 ,1
:, 1i1
BabsisTod Ich setzte mir einen Druck im Bad. Erst danach
konnte ich weinen.

Ich riefBabsi bei Narconon an. Wir telefonierten Ich war mir sicher: Babsi hatte schlechtes Dope
häufig. Ich wollte ihr von Stella erzählen. bekommen. Darum war sie jetzt tot. Irgendein
Doch Babsi war nicht da. Sie lag mit Gelbsucht Dealer hatte sie mit schlechtem Dope ermordet.
im Krankenhaus. Am nächsten Tag wollte ich sie Ich rannte zur Polizei. Dort erzählte ich alles
'
besuchen. Doch Babsi war verschwunden. Die Ärzte was ich wusste: über Dealer, über Zuhälter und
machten sich Sorgen. Wenn man mit Gelbsucht übers Sound. Doch es schien die Bullen nicht zu
Rauschgift nimmt, ist das lebensgefährlich. interessieren.

Babsi und ich hatten uns oft gestritten. Ich wollte Babsis Mörder selber finden. Also fuhr
Aber irgendwie ähnelten wir uns sehr. Ich wollte ich zum Straßenstrich. Dort kaufte ich bei ein
gerne mit ihr reden. Doch ich konnte sie nicht paar Dealern ein bisschen H. Ich wollte vorsichtig
überall suchen. Mein Vater rief ja regelmäßig zu ausprobieren, ob es gutes Dope war. Doch schon
Hause an. Er wollte immer kontrollieren, ob ich da bald war ich einfach nur total ];>reit.Niemand wusste
war. natürlich, wo Babsi ihr letztes Dope gekauft hatte.

Am nächsten Morgen holte ich mir eine Zeitung. Kurze Zeit später erwischte mich mein Vater mit
Das machte ich eigentlich jeden Tag. Früher hatte Dope. Es hatte keinen Zweck mehr zu lügen.
meine Mutter mir die Berichte über Drogentote Ich dachte: Mein Vater schlägt mich bestimmt
gezeigt. Jetzt las ich sie selber. halbtot. Doch er war genauso verzweifelt wie
Ich schmierte mir mein Brot mit Marmelade. meine Mutter. Er schloss mich wieder in der
Und dann las ich: ,,Siewar erst 14." Wohnung ein. Meinen Hund Janie nahm er mir weg.
Ich wusste es sofort. Babsi war tot. Ich hatte selber Ich habejanie nie mehr gesehen.
das Gefühl zu sterben. Man hatte Babsi mit der
Spritze noch in der Hand gefunden. Sie war das Natürlich kam ich wieder aufTurkey.
jüngste Rauschgiftopfer in Deutschland. Ich rief Heinz an.

96 97
11
Ich hatte einen Plan: Ich wollte eine Schnur aus Ein anderer Freier behauptete, er sucht Models.
dem 11. Stock runterlassen. Heinz sollte da das Wenn man ins Auto stieg, zog er eine Pistole.
Dope dranhängen. Dann konnte ich es hochziehen. Dann musste man ihn kostenlos befriedigen.
Als Bezahlung wollte Heinz eine getragene
Unterhose von mir. Der Typ war wirklich kaputt. Die Studenten waren die besten Freier. Mit denen
Mein Plan klappte. konnte man wenigstens reden. Ich traute mich
auch, mit ihnen nach Hause zu gehen. Das tat ich
Jetzt hatte ich Dope, obwohl mein Vater mich bei den anderen nicht. Da stieg ich nur ins Auto.
eingeschlossen hatte. Irgendwann vergaß er Oder wir gingen in eine Pension.
abzuschließen. Ich riss aus. Nach einer Woche fand
mein Vater mich. Wieder nahm er mich mit nach Wenn ich nicht genug Freier hatte, klaute ich was.
Hause. Oder ich half anderen beim Verkaufen geklauter
Sachen.
Mir ging es richtig schlecht. Detlef war im Knast,
Babsi war tot. Stella war auch im Knast. Ich hatte
gehört, dass sie sich umbringen will. Ich flehte
meinen Vater an, er sollte Stella aus dem Knast
holen. Ich sagte ihm: .,Mit Stella zusammen
werde ich clean!" Mein Vater hat es dann wirklich
geschafft. Stella kam erst mal zu uns. 11
1-'·

Natürlich hat Stella gleich wieder H genommen.


Wir gingen oft zum Autostrich. Da gab es schon
verrückte Typen. Einer hatte eine Stahlschiene im
Bein. Der wollte nur, dass man da draufklopft.
Ein anderer hatte einen Schein vom
Gesundheitsamt oder so. Darauf stand, dass er
unfruchtbar ist. Er wollte nur ohne Gummi bumsen.

'1 i
1.I·
98 99
1

'II, i

1 1;
Irrenanstalt In zwei anderen Wannen wurden zwei Omas
gebadet. Die waren wirklich völlig irre. Sowieso
waren die Leute da verrückt. Nur eine war okay,
Irgendwann war ich wieder völlig fertig. Alles nervte Püppi. Die war schon 15Jahre da.
mich: die Freier, die Scene, mein Vater. Ich ging zwar Ich bekam ein Oma-Nachthemd und eine riesige
noch manchmal zur Schule. Aber da nervte mich Unterhose. Ein Team von Ärzten fragte mich alles
das Rumsitzen. Ich dachte an Selbstmord. Doch ich Mögliche. Ich bekam Angst. Was, wenn ich hier nie
war zu feige, mir den Goldenen Schuss zu setzen. mehr wegkam?

Ich hatte eine Idee: Ich konnte ja freiwillig in Nach zwei Tagen kam ich auf eine andere Station.
die Irrenanstalt gehen. Esgab die Bonhoeffer- Da waren noch drei Fixerinnen. Wir aßen immer
Heilanstalten. Wir nannten sie „Bon nies Ranch". am gleichen Tisch. Die Ornis nannten diesen Tisch
Ich dachte:Jemand wird dann doch merken, Terroristen-Tisch.
wie schlecht es mir geht. Vielleicht kapierte das
Jugendamt dann, was mit mir los war. Ich wollte eine Therapie machen. Aber in Bonnies
Ranch bekam ich die Therapie nicht. Das war
Eswar wie ein Schrei um Hilfe. noch nicht das Schlimmste. Ich sollte einen Zettel
unterschreiben. Darauf stand, dass ich freiwillig
Ich erzählte meiner Mutter von meiner Idee. drei Monate bleibe. Das wollte ich natürlich nicht!
Erst reagierte sie ganz kühl. Doch dann sagte ich Doch ich musste. Sonst hätte der Oberarzt mich
ihr die Wahrheit. Ich erzählte ihr meine Geschichte. unter Zwang für ein halbes Jahr eingewiesen.
Irgendwann haben wir dann beide nur noch
geweint. Sie hat mich in den Arm genommen und Vor den Fenstern waren Gitterstäbe. Ich konnte
nicht wieder losgelassen. meinen Kopf gerade so durchs Gitter stecken. Etwa
eine Stunde pro Tag schien die Sonne aufs Fenster.
In Bonnies Ranch musste ich mich nackt ausziehen.
Dann kam ich in eine Badewanne. Ich musste mich Ich drehte langsam durch. Ich rannte mit dem Kopf
von oben bis unten abschrubben. gegen Scheiben.

100 101
Oder ich lief stundenlang an Wänden entlang. Drogenberatung
Ich rannte, immer auf und ab. Mein Körper wurde
immer schwächer. Ich musste da weg.
Wo sollte ich jetzt hin? Zu meiner Mutter traute ich
Dann hatte ich Glück. Ich wurde krank und musste mich jedenfalls nicht. Ich ging zur Drogenberatung.
ins Krankenhaus. Dort besorgte ich mir einen Die überzeugten mich, dass ich meine Mutter
Parkschein. Mit dem Zettel durfte man raus in anrufen soll. Sie kam mich abholen.
den Park des Krankenhauses. Ich erzählte einfach, Auf dem Weg nach Hause bemerkte ich, dass ich
dass ich eine alte Omi in ihrem Rollstuhl spazieren Fieber hatte. Meine Mutter rief den Notarzt.
fahren wollte. Im Park kletterte ich über den Zaun. Der gab mir eine Spritze in den Hintern. Vor der
Weg war ich. Die alte Omi ließ ich stehen. hatte ich furchtbare Angst. Das war schon komisch.
Ich hatte so oft gefixt. Und jetzt hatte ich Angst vor
Ich besorgte mir ein bisschen Dope. Dann setzte ich der Spritze.
mir einen Schuss.
Ein paar Tage später ging es mir etwas besser.
Ich fuhr wieder zur Drogenberatung. Dort hörten
sie mir richtig gut zu. Das war das erste Mal,
dass ich einfach nur erzählen durfte. Die Leute
quatschten mich nicht so voll.

Als ich dort fertig war, rief jemand draußen vor der
Tür: ,.Hau ab mit deiner Gelbsucht!" Eswar wieder
so weit. Ich hatte schon wieder Gelbsucht.

Bald ging es mir richtig schlecht. Meine Mutter fuhr


mit mir ins Krankenhaus. Doch da wollten sie Fixern
wie mir nicht helfen. Am nächsten Morgen fuhren
wir in ein anderes Krankenhaus.

102 103
Dort blieb ich erst einmal. Nach ein paar Tagen ging Goldener Schuss
es mir besser.

Jeden Tag musste ich die Drogenberater anrufen. Den letzten Tag in Freiheit wollte ich mit Detlef
Ich hoffte auf einen Therapieplatz. natürlich feiern. Auf der Scene trafen wir Stella
und noch ein paar Leute. Wir besorgten uns alle
Dann gab es eine große Überraschung: Detlef war zusammen Dope. Doch plötzlich war Stella mit dem
aus dem Knast entlassen worden! Er besuchte mich ganzen Dope weg. Detlefrannte ihr noch hinterher.
im Krankenhaus. Wir gingen zusammen raus in den Wegwaren sie beide.
Krankenhauspark.
Und irgendwie saßen wir dann plötzlich in der Ich fing an nachzudenken. Als Fixer hatte ich keine
U-Bahn. Wir fuhren zur Scene und setzten uns richtigen Freunde. Meine Leberwarfast kaputt. Ich
einen Druck. Doch ich war rechtzeitig wieder im bekam keinen Therapieplatz, weil ich zu fertig war.
Krankenhaus. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hin sollte.
Von Detlef wusste ich nicht mal, bei welchem Freier
Am nächsten Tag taten wir das Gleiche. Allerdings er schläft. Zu meiner Mutter konnte ich nicht.
kam ich zu spät zurück. Schnell war klar, wo ich Die hätte mich wahrscheinlich in ein Heim gesteckt.
gewesen war. Meine Mutterwarwiedervöllig Ins Krankenhaus konnte ich auch nicht mehr.
verzweifelt. Der Drogenberater wollte auch nichts
mehr für mich tun. Detlef heulte. Er hatte ein Alles war plötzlich wieder ganz klar: Entweder ich
schlechtes Gewissen. muss den Entzug schaffen oder ich setzte mir den
Goldenen Schuss.
Wieder sagten wir zueinander: Jetzt wollen wir Der Entzug hatte ja nicht geklappt. So oft hatte ich
wirklich aufhören. Detlef ging zur Drogenberatung. es probiert. Aber ich schaffte es einfach nicht.
Schon am nächsten Tag konnte er mit der Therapie Also blieb nur die andere Möglichkeit übrig.
anfangen.
Ich machte schnell zwei Freier. Vom Geld kaufte
ich mir ein halbes Gramm. Das musste genug sein.

104 105 11, 11

1
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... 1 irl

Dann überlegte ich, aufwelcherToilette ich mir den Dealen


Schuss setzen sollte. Die am Bundesplatz war schön
sauber und hell. Und da war nachts auch keiner.
Dort hatten sich schon öfter Fixer umgebracht. Am Bahnhof traf ich einen alten Freier von Detlef.
Die Türen gehen bis zum Boden. Und es gibt auch Der war inzwischen selber Fixer. Bei ihm durfte ich 111

keine Löcher in den Wänden. Man hatte dort also schlafen. Doch eigentlich war es dort schrecklich: ' .. ··.I
11!· ,1
I' '·'
seine Ruhe. Er war in Detlef verliebt. Ständig redete er über
seine Zukunft mit Detlef. Am liebsten wollte er dass · 1111

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Ich ließ mir Zeit. Ich wusch mein Gesicht und Detlef mit der Therapie aufhört. Er vermisste ihn so.
,1·· 1

bürstete meine Haare. Dann spülte ich die Spritze ab. Esstellte sich sogar heraus, dass Detlef einen ,,
1
il
Ich hatte keine Angst. Selbstmord war ja eigentlich Schlüssel für die Wohnung hatte.
ganz einfach, dachte ich. Beim zweiten Versuch 11,11

klappte es mit dem Spritzen. Das halbe Gramm Eines Morgens hörte ich jemanden im Flur.
verschwand in meinem Körper. Ich hatte das Gefühl, Da stand Detlef! Er war aus der Therapie
mein Herz zerreißt. Mein Kopf schien zu platzen. rausgeflogen. Da gab es strenge Regeln, zum
ili
Beispiel übers Aufstehen. Detlef hatte sich ein i1'II
Als ich aufwachte, war es draußen hell. Ich lag paarmal nicht daran gehalten.
neben dem Klo. Mein rechtes Bein tat furchtbar
weh. Ich konnte es kaum bewegen. Ich schleppte Detleffuhrgleich Dope kaufen. Er brachte jedoch 11.:.11

1
mich nach draußen. Da traf ich zwei Jungs. Die nicht nur ein kleines bisschen Dope mit. Einen •/II
waren ganz lieb zu mir. Sie brachten mich zu ganzen Beutel hatte er dabei. ,,Ich deale nämlich
einem befreundeten Arzt. Der gab mir ein paar jetzt': teilte er mir mit. Das Dope gehörte einem
Medikamente und ließ mich schlafen. Typen. Für den sollte Detlef dealen. Er musste dem IIII
Typen einen großen Teil des Gewinns zahlen. 'l ,!I
Doch ich konnte nur denken: Beim nächsten Mal Wir durften dafür ein bisschen Dope für uns selber 1
muss ich ein ganzes Gramm nehmen. Anscheinend behalten. Das war genug für einen Tag. So bezahlte
war ein halbes Gramm zu wenig, um mich uns der Typ. Wenn alles klappte, brauchten wir III
umzubringen. nicht mehr anschaffen zu gehen.
.' 11·.·,.

'· ... 1

106 107
Erst einmal wollten wir selber was vom Dope Doch wir hatten ja gar nichts. Wir trauten uns erst
probieren. Wir mussten ja wissen, was wir mal nicht, etwas zu sagen.
verkaufen. Eswar richtig gut. Dann fing Detlef an,
das Dope in Portionen zu teilen. Das war gar nicht Detlef setzte sich einen Druck. Ein bisschen Dope
so einfach. Es durfte nicht zu viel drin sein und nicht hatte er noch. Nach dem Druck schlief er sofort
zuwenig. ein. Die Nadel steckte noch im Arm. Ich zog sie
Wir vergruben den größten Teil des Dopes. vorsichtig raus. Da merkte ich, dass Detlef ganz
So konnte es keiner finden. Wir wollten nicht mit so schlapp war. Er rutschte vom Sessel.Sein Gesicht
viel H herumlaufen. Bei einer Razzia hätten sie uns war grau, seine Lippen blau. Ich schüttelte ihn.
gleich festgenommen. Ich hörte keinen Herzschlag. Sofort rief ich
den Notarzt. ,,Mein Freund hat eine Überdosis
Das Dealen klappte ganz gut. Schnell wussten viele genommen!"
Leute, dass wir gute Portionen haben. Aber wir
hatten ganz schönen Stress. Ständig dachten wir an „Hör auf, der ist schon wieder wach!", brüllte der
die Bullen. Die trugen ja oft keine Uniform, damit Typ, von dem das Dope war. Ich rief ins Telefon:
wir sie nicht erkannten. ,,Falscher Alarm!" Dann legte ich wieder auf.

An einem Tag hielt ein Auto neben uns. Der Typ am Der Typ ging mit Detlef aus der Wohnung. Dann
Steuer fragte uns, wo der Bahnhof ist. Detlef rastete klingelte es: Bullen. Sie wollten wissen, was los war.
aus. Das ist ein Bulle, dachte er. Wer weiß denn Ich dachte mir irgendeine Geschichte aus.
nicht, wo der Bahnhof ist? Jeder wusste das. Dann musste ich meinen Namen nennen.
Detlefrannte los. Dabei warf er das Dope einfach ,,Na, dann komm mal mit''. sagte der eine Polizist.
weg, irgendwo ins Gebüsch. Wir trauten uns später ,,Du bist als vermisst gemeldet."
nicht mal, danach zu suchen.

Wir gingen zurück zur Wohnung des Freiers.


Abends kam auch der Typ zur Wohnung, dem das
Dope gehörte. Erwartete auf sein Geld.

108 109
1

1:1

J
Weg aus Berlin In Hamburg holte uns meine Tante ab.
1 il
Meine Mutter und sie besprachen, wie es
1
,11
weitergehen sollte. Sie planten mein Leben:
Ich kam in eine Zelle. Die hatte richtige Gitterstäbe, Schule, neue Freunde, Lehre, Beruf. 111]1

wie im Film. Am Abend kam meine Mutter mich 1111

abholen. Sie sagte nur kühl „Guten Abend." Beim Abschied heulte meine Mutter wieder.
11,ll
Dann hakte sie mich sehr fest unter. Wie stiegen ins Ich versuchte, nichts zu fühlen.
11,1
Auto. Da war auch Klaus, der Freund meiner Mutter.
II
Wir fuhren los. Ich hatte keine Ahnung, wohin es Eswar der 13. November 1977.
1 'I
ging. Wir waren jedenfalls nicht auf dem Weg nach 11,•.
1
111:'
Hause.
11

1
Dann waren wir beim Flughafen. Irgendwo stand
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„Hamburg''. Jetzt verstand ich. l n der Nähe von ;I
Hamburg wohnten Verwandte von uns: Oma, Tante, i:

Onkel und ein Cousin. Sollte ich da hin? In deren


Haus war alles so übertrieben sauber. Ich war mal
einen Tag barfuß gelaufen. Am Ende des Tages hatte
ich immer noch saubere Füße!

Meine Mutter flog mit mir mit. Sie sagte erst kein
Wort. Dann fing sie an zu weinen. Sie redete und
redete. Sie wollte immer nur mein Bestes, sagte sie.
Und sie erzählte von einem Traum: Darin lag ich mit
verdrehten Beinen auf einer öffentlichen Toilette.
Sie wusste ja nicht, dass das tatsächlich passiert
war. Irgendwie hat sie das vielleicht gespürt.

110 111
Neuanfang Nach den Ferien musste ich dort zur Schule.
Ich kam in die g. Klasse der Realschule. Esgefiel
mir ganz gut. Die Klasse malte ein Bild an die
Bei meiner Tante war ich erst einmal vier Tage auf Wand: schöne Häuser, die so aussahen wie mein
Turkey. Dann konnte ich wieder aufstehen. Jeden Traumhaus.
Morgen zog ich meine gewohnten Klamotten an: Ich hatte viel versäumt. Doch ich bemühte mich. 1

hochhackige Stiefel, enge Jeans. Dann ging ich Ich machte sogar Hausaufgaben.
mit dem Hund meiner Tante in den Wald. Mit den
Stiefeln blieb ich ständig im Sand stecken.Aber Nach drei Wochen rief mich der Rektor zu sich.
normale Schuhe wollte ich auch nicht anziehen. DasJugendamt in Berlin hatte die Schule über mich
informiert. Da lag ein ganzer Hefter über mich.
Meine Tante war erst 30. Mit ihr konnte ich gut Der Rektor teilte mir mit, dass ich nicht auf der
quatschen. Wir redeten einfach so, nicht über Schule bleiben konnte. Schon in der nächsten Pause
meine Probleme. Und irgendwie dachte ich immer sollte ich mich bei der Hauptschule melden.
weniger an Abhauen. Meine Tante war streng.
Ich musste zum Beispiel um halb zehn zu Hause Ich glaubte das alles nicht. Beim Rektor der
sein. Komischerweise hielt ich mich fast immer Hauptschule heulte ich dann richtig los.
dran. Mir wurde klar:Jetzt muss ich dafür büßen, was
ich gemacht habe.Alle beurteilen mich nach meiner
Ich passte mich sogar ein bisschen an. Das war Vergangenheit. Sie sehen mich nicht so, wie ich
ganz schön schwierig. Ich versuchte nicht mehr so jetzt bin.
oft „Scheiße" zu sagen. Für meine Oma war das ein
hässliches Wort. Ich weiß auch nicht, was ich erwartet hatte.
Mein Leben konnte sich ja auch gar nicht so schnell
Dann kam Weihnachten. Die letzten zwei Jahre war ändern. Mein Körper war noch ganz schön kaputt.
ich auf der Scene gewesen. Jetzt feierte ich unterm Ich konnte Hektik und Stress nicht ertragen.
Tannenbaum. Ich bekam viele Geschenke und Ich war ja erst so kurze Zeit ohne Drogen.
freute mich richtig.
I'
1

112 113
''il
!!

Meine Zukunftspläne waren nach dem Rausschmiss Zukunft


jedenfalls gleich weg. Was sollte ich mit einem
Abschluss an der Hauptschule denn werden?
Pläne für die Zukunft hatte keiner so richtig.
Mit dem Schulwechsel änderte sich noch mehr: Viele Mädchen dachten sich: Irgendwann finde
Als Schülerin der Realschule ging ich in eine ich einen Typen. Der kümmert sich dann schon um
Disco, in die alle Realschülergehen. Doch als mich.
Hauptschülerin wurde ich da plötzlich komisch Keiner wollte wirklich etwas erreichen. Das zog
angeguckt. Darum ging ich in eine andere Disco, mich ganz schön runter. Das Leben ohne Drogen
die für Hauptschüler. Da gab es nun mal einen hatte ich mir anders vorgestellt.
Unterschied. Das fand ich ganz schön hart.
Ich kannte diese Trennung aus Berlin nicht. Die Jugendlichen auf dem Land langweilten sich.
Manche tranken viel Alkohol. Ein paar andere
Die meisten aus meiner Klasse mochten den wurden zu Punkern. Esgab viel Brutalität, vor allem
Klassenlehrer nicht. Mir gefiel er. Er war ein in den Beziehungen zwischenjungs und Mädchen.
bisschen altmodisch. Doch er brachte uns wirklich Ich wurde ständig angemacht: .,Na Alte, wie ist es
etwas bei. Wir lernten, was später wichtig ist und mit uns?" Das hat mich mehr genervt als die Freier
wie man mit Leuten umgeht. Nie brüllte er herum. auf dem Autostrich.
Er war immer ruhig und ging auf jeden Schüler ein. ':il
,,
Die meisten Freier waren netter als die Typen hier in
den Discos. Diese Typen wollten nur eins: bumsen.
1

Zärtlichkeit gab es da kaum. Manche Mädchen


wollten nicht gleich knutschen. Das akzeptierten
, II
die Typen kaum. Dann pöbelten sie die Mädchen
,1
an oder lachten sie aus. Viele Mädchen knutschten
deswegen gegen ihren Willen. Sie wollten nicht
ausgelacht werden.

114 115
Auf einer Klassenfahrt wurde mir erst klar, dass Neue Leute
die Mädchen solche Jungs toll fanden.Je brutaler,
desto interessanter waren sie. An dem Ort, wo wir
hinfuhren, gab es auch solche Typen. Sie gaben an Durch meinen neuen Freund wollte ich die Schule
mit ihren Motorrädern. Sie kamen in die Disco und so gut wie möglich fertig machen. Das wurde mir
wollten Schülerinnen aufreißen. Sie wussten, dass nicht immer leichtgemacht. Irgendwann habe ich
dort oft junge Mädchen auf Klassenfahrt waren. mich mit dem Rektor gestritten. Der unterrichtete
auch ein paar Fächer. Im Unterricht hatte ich etwas
Die ganze Klassenfahrt drehte sich nur noch um die nicht verstanden. Wahrscheinlich habe ich meine
Typen. Ich habe den Mädchen versucht zu erklären: Frage nicht freundlich genug gestellt. Der Rektor
Die nutzen euch nur aus. Die interessieren sich wurde sauer. Er schickte mich raus.
nicht wirklich für euch. Doch das half nichts. Später musste ich in sein Büro kommen. Da sah
ich schon wieder diesen Ordner vom Jugendamt.
Ein Typ hat ein Mädchen aus meiner Klasse besoffen Der Rektor wusste also auch alles. Er sagte: ,,Du bist
gemacht. Danach hat er mit ihr im Auto geschlafen. hier zu Gast. Ich kann dich jederzeit rausschmeißen. 1

Das war ihr erstes Mal. Er hat sie mehr oder weniger Also benimm dich auch wie ein Gast!" Wie sollte ich 1

vergewaltigt. Hinterher war sie natürlich völlig so noch Lust auf Schule haben? Ich hatte mehr Lust, 11

verzweifelt. alles wieder hinzuschmeißen.


i 1

111

Ich dachte nicht mehr ans Abhauen. Mir war klar: Über meinen Freund lernte ich andere Jugendliche ,:
1

',
lj
Abhauen bedeutet Drogen. kennen. Das waren keine Aufreißer-Typen.
Ich fand einen lieben Freund, einen vom Sie akzeptierten mich, obwohl ich anders war. :i:1
Gymnasium. Er war ruhig, konnte träumen. Und er Ich dachte: Vielleicht kann ich so werden wie sie.
hatte auch immer gute Lösungen für Probleme. Doch ich hatte meine Vergangenheit. 1
1

Bei ihm wurde ich ruhig. Und ergab mir coole Nach einer Weile war es aus zwischen meinem
Bücher zu lesen. Freund und mir. Er wollte mit mir schlafen. Doch ich
dachte immer noch an Detlef. Ich wollte gar keinen
anderen. Manchmal schrieb ich Detlef Briefe.

116 117
Dann hörte ich, dass er wieder im Knast ist. Auch Traum
Stella hatte die Polizei ins Gefängnis gesteckt. Ich
dachte oft an die beiden.
Ich bin jetzt 16 und habe fast ein Jahr nicht
Weil mit meinem neuen Freund Schluss war, lernte gedrückt. Meinen Abschluss an der Hauptschule
ich wieder andere Leute kennen. Mit ihnen konnte habe ich geschafft, ganz gut sogar. Nur eine
ich noch besser reden. Die waren mehr so wie ich. Lehrstelle kann ich nicht finden.
Aber ich musste aufpassen. Sie interessierten sich
nämlich alle für Rauschgift. Natürlich weiß ich, wo ich H bekommen kann.
Aber ich rauche nur Haschisch. Und manchmal
Meine Mutter, meine Tante und ich hatten gedacht: nehme ich eine Valium. Sonst nichts.
Hierweitwegvon Berlin gibt es kein Rauschgift.
Doch das war Quatsch. Mit meiner Tante fuhr ich Mit der Clique fahren wir oft in die Natur.
einmal zum Einkaufen in eine Kleinstadt. Da waren Wir suchen Orte, an die sonst keiner kommt.
so komische Typen. Ich wusste gleich, dass die was Das Geilste ist unsere Kalkgrube. Die ist wie eine Art
mit H zu tun haben. Es gab da eine richtige Fixer- Tal: einen Kilometer lang, 200 Meter breit und 100
Scene. Und ich bildete mir ein, dass die mich alle Meter tief. Dort fließen klare Bäche. An den Wänden
ansahen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir meine gibt es kleine Wasserfälle. Nur das Rauschen des
Vergangenheit ansehen. Zu Hause habe ich mir Wassers ist zu hören. Überall liegen weiße Brocken.
die Schminke aus dem Gesicht gewischt. Ich habe Die sehen aus wie Knochen von Mammuts.
meine hohen Stiefel ausgezogen. Es hat mich
geschockt, dass die mich erkannt haben. Wir träumen davon, dort zu wohnen. Blockhütten
wollen wir bauen und Gärten anlegen. Und ein paar
Im Club in unserer Kleinstadt bekam ich eine neue Tiere wollen wir halten.
Clique. Die meisten hatten eine Lehrstelle. Aber sie
rauchten Haschisch. Und sie schluckten manchmal Den einzigen Weg aus der Grube sprengen wir dann
Pillen. Trotzdem konnten wir uns gut unterhalten. einfach weg. Wir haben dann nämlich keine Lust,
Und alle waren friedlich. je wieder nach oben zu gehen.

118 119
WÖRTERLISTE Seite 25: Periode
Wenn ein Mädchen langsam zur Frau wird, bekommt esjeden
Monat seine Periode. Es istein anderes Wortfür "seine Tage
Seite 10: eine groBe Schnauze haben haben", ,,seine Regel haben" oder "Menstruation'�
Vorlaut sein, mitviel und laut reden auffallen wollen.
Den Ausdruck benutzt manviel in Berlin. Seite 26: Scheiben
Ein anderes Wortfür Schallplatten oder Langspielplatten (,,LP").
Seite 16: Sozialarbeiter
Ein Sozialarbeiter berät und betreut Menschen, zum Beispiel Seite 26: Dop·e
Jugendliche. Er hilft ihnen, mit Problemen umzugehen. Das englische Wortfür Rauschgift. Hier ist Haschisch gemeint.

Seite 17: Berliner Mauer Seite 27: sich antörnen


Van 1961 bis 1989 stand zwischen Ost-Deutschland und West­ Sich berauschen mit Rauschgiftoder Alkohol.
Deutschland eine Mauer. Sie trennte die beiden Länder. Es gab die
DDR im Osten und die BRD im Westen. Ost-Berlin gehörte zur DDR, Seite 28: kiffen
West-Berlin zur BRD. Die Mauerverlief mitten durch die Stadt Haschisch rauchen.
Berlin.
Seite 29: einen Tripwerfen
Seite 21: Look Das Rauschgift LSD nehmen. 1

Das englische Wortfür "Aussehen': also Kleidung, Frisur, Schminke


1/
und so weiter. Seite 29: SpieBer
Hatjemand ein hübsches Haus, einen guten Job, ein schönes 1

Seite 22: Gesamtschule Leben? Dann nennen ihn manche Leute SpieBer. Meistens sind das
Eine Gesamtschule ist eine Oberschule. Eigentlich sind es drei aber Leute, die selber ein schlechteres Leben haben.
Schulen in einem: Hauptschule, Realschule und Gymnasium.
Man kann dort alle Abschlüsse machen. Seite 30: Kick
Eine ganz aufregende Erfahrung.
Seite 23: keinen Bock haben
Keîne Lust haben. Seite 31: Scene
Hier ist die Drogenszene gemeint. Das bedeutet: Die Leute,
Seite 25: Clique die Drogen nehmen und sich an bestimmten Orten aufhalten.
Eine Gruppe Menschen, die sich regelmäBig trifft. Meistens sind
damitjunge Leute gemeint, die zusammen ausgehen. Seite 3i: H
Abkürzung für Heroin. Man spricht es auf Englisch aus,
Seite 25: Teenies wie "Eitsch".
Kommt vom englischen "Teenager". Damit sind Jugendliche
zwischen 13 und 19 Jahren gemeint.

120 121
Seite 31: auf den Strich gehen zittert er. Das sieht dann so ähnlich aus wie die Bewegungen eines
Am Straßenrand den Körper für Geld verkaufen. Truthahns.
Sex haben mit Männern, die dafür bezahlen.
Seite 42: Geld zusammenschlauchen
Seite 31: Dealer Ein anderes Wort ist betteln. Man spricht Leute auf der Straße an
Jemand, der Drogen verkauft. und bittet sie um Geld.

Seite 35: Europacenter Seite 48: anschaffen


Ein Einkaufszentrum mitten im ehemaligen West-Berlin, nicht Wer anschaffen geht, lässt sich für Sex bezahlen.
weit vom Bahnhof Zoo.
Seite 49: einen Druck setzen
Seite 38: Fixer Heroin spritzen. Ein anderes Wort für „Druck" ist Schuss.
Jemand, der Heroin spritzt.
Seite 49: sniefen
Seite 38: Hascher Rauschgift in die Nase hochziehen.
Jemand, der Haschisch raucht.
Seite 50: Stricher
Seite 38: Braut Ein Stricher ist jemand, der auf den Strich geht.
Ein anderes Wort für Mädchen, Freundin.
Seite 50: Freier
Seite 39: Pubertät Ein Freier bezahlt Geld dafür, dass er mit jemandem Sex hat.
Die Zeit zwischen der Kindheit und dem Erwachsensein.
Seite 56: bumsen
Seite 40: clean Geschlechtsverkehr haben, mit jemandem schlafen.
Wer clean ist, hat aufgehört Drogen zu nehmen. Es ist das
englische Wort für „sauber". Seite 56: einen blasen
Einen Mann mit dem Mund befriedigen.
Seite 41: Kohle
Ein anderes Wort für Geld. Seite 56: einen runterholen
Einen Mann mit der Hand befriedigen.
Seite 41: aufTUrkey Seite 57: einen Schuss setzen
Auf Turkey sein bedeutet auf Entzug sein. Jemand ist Heroin spritzen.
drogenabhängig, hat aber eine Weile keine Drogen genommen.
Der Körper reagiert darauf, weil er die Drogen „braucht". Seite 59: Stanniolpapier
.,Turkey" ist das englische Wort für Truthahn. Truthähne flattern, Eine dünne Folie, ähnlich wie Alufolie. Darin wird Heroin in
machen komische Bewegungen. Wenn jemand auf Turkey ist, Portionen verpackt.

122 123
Seite 61: Autostrich es schlecht geht. Die Scientology Church hat weltweit viele
Auf den Autostrich kommen die Freier im Auto. Sie suchen sich ein Anhänger, auch berühmte Leute.

Mädchen oder einen Jungen aus. Sie oder er steigt zum Freier ins
Auto. Sie fahren irgendwo hin und haben dort Sex, meistens im Seite 91: Vollmacht
Eine Vollmacht ist eine Art Erlaubnis. Auf einem Papier steht
Auto.
etwa: .,lch erlaube dieser Person mich zu vertreten". In diesem
Buch hat Christianes Mutter Christianes Vater eine Vollmacht
Seite 63: Flash
Dieses Wort bedeutet auf Englisch Blitz. Esbeschreibt das Gefühl, gegeben. Denn nur ihre Mutter durfte entscheiden, was mit
das plötzlich etwas unglaublich Tolles geschieht. Man fühlt, wie Christiane geschehen soll. Sie hat ihrem Vater erlaubt, Christiane
eine Art Blitz durch den Körper fährt. mitzunehmen.

Seite 92: Gassi gehen


Seite 70: Überdosis
Bei einer Überdosis hat man zu viel Rauschgift genommen. Den Hund ausführen.

Der Körper kann das Rauschgift nicht verarbeiten. Man wird ganz
krank, ohnmächtig oder stirbt. Seite 97: Zuhälter
Ein Zuhälter ist eine Art Mädchenhändler. Er lässt Mädchen für

Seite 70: Knast sich auf den Strich gehen. Hinterher bekommt er einen Teil des

Gefängnis. Geldes, das sie verdient haben. Dafür sagt er, dass er sie beschützt.

Seite 97: breit sein


Seite 79: Razzia
Bei einer Razzia kontrolliert die Polizei Personen oder Sachen. In einem Rauschzustand sein, nachdem man Drogen genommen
Das tut sie, ohne dies vorher anzukündigen. hat.

Seite 79: Protokoll Seite 98: Gummi


Hier bedeutet es: Das Gespräch wird aufgeschrieben. Danach Ein anderes Wort für Kondom.

müssen alle Beteiligten das Protokoll unterzeichnen.


Seite 115:Punker
Seite 83: Goldener Schuss Ein Anhänger des „Punk". Punk ist eine Jugendkultur. Einen Punker
Wer sich den Goldenen Schuss setzt, stirbt an einer Überdosis erkennt man an der ausgefallenen Kleidung und Frisur. Punker

Heroin. haben auch ihre eigene Musik, den Punk Rock.

Seite 83: Scientology Church Seite 116:aufreißen


Scientology ist eine Art Religion. Church ist das englische Wort Meistens reißen Jungs Mädchen auf Das heißt, sie machen
für Kirche. Viele Leute nennen es jedoch nicht Kirche, sondern Bekanntschaft mit einem Mädchen, weil sie Sex haben möchten.
Organisation. Manche sehen Scientology eher als Sekte. Sie Ein anderes Wort für „aufreißen" ist„anmachen'~
sagen: Scientology will nur Geld verdienen an Menschen, denen

124 125
Sieerleben
denHimmel.
Sieerleben
dieHölle.
Siesindnoch
Christiane F Kinderundhaben
ihreZukunft
schon
verspielt.

DERERSCHÜTTERNDE
Wir Kinder vom Kai Hermann, Horst Rieck, BERICHT
DER
BahnhofZoo ChristianeF.

Wir Kinder vom


F.
CHRISTIANE
BahnhofZoo

Im Alter von zwölf Jahren


kommt Christiane F.in einem
Jugendheim zum Haschisch,
kurz darauf in einer Diskothek
zum Heroin. Sie wird süchtig,
geht vormittags zur Schule
und nachmittags mit ihren
ebenfalls heroinabhängigen
Freunden auf den Kinderstrich am Bahnhof Zoo. Die Berlinerin Christiane F.
erzählt mit minuziösem Erinnerungsvermögen und rückhaltloser Offenheit
ihre traurige Geschichte. Ein Buch, das in den 7oer Jahren Deutschland
erschütterte- und bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

Alter ab 13Jahren
ISBN 978-3-551-35941-4
Preis € 9,95 v161s.'ö"'
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