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Verbrennungschirurgie

marcus.lehnhardt@rub.de
Marcus Lehnhardt
Bernd Hartmann
Bert Reichert
(Hrsg.)

Verbrennungschirurgie
Mit 485 Abbildungen und 77 Tabellen

Mit einem Vorwort von Prof. em. Dr. med. Hans Ulrich Steinau

123
marcus.lehnhardt@rub.de
Herausgeber
Marcus Lehnhardt
BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum
Bochum, Deutschland

Bernd Hartmann
Unfallkrankenhaus Berlin
Berlin, Deutschland

Bert Reichert
Klinikum Nürnberg
Nürnberg, Deutschland

ISBN 978-3-642-54443-9 978-3-642-54444-6 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6

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marcus.lehnhardt@rub.de
V

Vorwort

»Difficulties are opportunities«


Joseph E. Murray, MD
Nobel Laureate 1977

Mit 43 Kapiteln und einer Autorenkollektion wie Insgesamt finden wir eine profunde multidiszipli-
aus dem »who is who« präsentiert sich ein aktuelles näre Sammlung zu allen Facetten des thermischen
Standardwerk zum Behandlungsspektrum thermi- Traumas, die Autorenvielzahl lässt dabei unter-
scher Traumen in Deutschland. schiedliche Stile und Nuancen zu. Soweit Richt-
linien oder prospektive Studien andauern, bleiben
Nach einer kurzen Einführung zur Historie, Epi- für den klinischen Alltag zumindest vernünftige
demiologie und Erstversorgung mit Triage, Evalua- Handlungsempfehlungen. Zur Verminderung der
tion und notwendigen Transportmedien folgen immer noch häufigsten Todesursache bei Brand-
Empfehlungen zur Struktur- und Prozessqualität verletzten, der Sepsis, sollte das Handbuch in
für Spezialabteilungen von Kindern und Erwachse- keiner chirurgischen Klinik oder pädiatrischen
nen: Der Primärversorgung mit ihren besonderen Notaufnahme fehlen. Es wird fraglos die kritische
intensivmedizinischen Maßnahmen, chirurgischen Reflexion und frühzeitige Verlegung in Spezial-
Techniken und Lagerungsmodi werden pathophy- zentren überzeugend anregen.
siologische und klinische Fakten hinterlegt. Großer
Raum wird den Hautersatztechniken und der Dif- Dr. med. Hans Ulrich Steinau
ferenzialtherapie mit aktuellen Materialien belas- Emeritus Professor für Plastische Chirurgie
sen. Für die Läsionen der Grade III und IV sowie und Schwerbrandverletzte; RUB
das Komplikationsmanagement von konsekutiven
nekrotisierenden Infektionen folgen anhand über-
zeugender Fallbeispiele die plastisch-rekonstruk-
tive Techniken zum Erhalt von Form und Funktion
inklusive von Amputationsmöglichkeiten der obe-
ren und unteren Extremität. Ein Zukunftsaspekt
demonstriert die Potenziale der Allografttrans-
plantationen von Hand und Gesicht. Für den klini-
schen Alltag werden Ergotherapie, Physiotherapie,
Schmerzbehandlung, psychologische Betreuung
und sekundäre Korrekturen beim Narbentrauma
vorgestellt. Eine ausführliche Hilfestellung zur
Dokumentation und Begutachtung Brandverletz-
ter soll zur fairen Kompensation beitragen.

marcus.lehnhardt@rub.de
Inhaltsverzeichnis

1 Die Entstehung des ersten Brandverletztenzentrums in Deutschland . . . . . . . . . . . . 1


Marcus Lehnhardt

2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Michael Steen
2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.2 Datenerhebungen und statistische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.3 Daten aus Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.4 Arbeitsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.5 Internationaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3 Strukturelle Rahmenbedingungen für die Behandlung Schwerbrandverletzter . . . . . 15


Bert Reichert
3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3.2 Strukturelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3.3 Belegungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

4 Infektionsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Heinz-Michael Just
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4.3 Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4.4 Präventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

5 Verbrennungswunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Philipp A. Bergmann, Frank Siemers
5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5.2 Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
5.3 Lokale Reaktionen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.4 Einschätzung des Verbrennungsausmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

6 Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


Richard M. Fakin, Merlin Guggenheim, Christoph Wallner, Marcus Lehnhardt, Pietro Giovanoli
6.1 Ödembildung und Hypovolämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.2 Immunologisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
6.3 Kardiovaskuläres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
6.4 Respiratorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
6.5 Niere und Ausscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.6 Intraabdominelles Kompartmentsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.7 Die verschiedenen Mediatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.8 Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
6.9 Hyperkoagulabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
6.10 Hypermetabolismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

marcus.lehnhardt@rub.de
VII
Inhaltsverzeichnis

7 Erstversorgung und präklinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53


Christoph Hirche, Matthias Münzberg, Ulrich Kneser
7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.2 Allgemeine Aspekte der präklinischen Erstbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.3 Ausbildungskonzepte zur strukturierten Herangehensweise an den Schwerbrandverletzten . . 55
7.4 Einzelschritte in der präklinischen Erstversorgung des Schwerbrandverletzten . . . . . . . . . . . 55
7.5 Analgesie und medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
7.6 Reevaluation, Kommunikation und Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
7.7 Schlussfolgerung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

8 Transport des brandverletzten Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63


Frank Sander, Jörg Beneker
8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
8.2 Notarzt und Rettungsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
8.3 Zentren für Schwerbrandverletzte in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

9 Schockraummanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Bert Reichert
9.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
9.2 Diagnostik und initiale Stabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
9.3 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

10 Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . 77


Frank Siemers, Philipp A. Bergmann
10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
10.2 Quantitative Einschätzung der betroffenen/verbrannten Körperoberfläche . . . . . . . . . . . . . 78
10.3 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
10.4 Lebensalter der Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
10.5 Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
10.6 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
10.7 Temperatur bei Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

11 Lokaltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Paul C. Fuchs, Oliver C. Thamm
11.1 Lokale Antiseptika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
11.2 Temporärer Hautersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
11.3 Wundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

12 Enzymatisches Débridement der Verbrennungswunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99


Frank Sander, Lior Rosenberg
12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12.2 Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12.3 NexoBrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
12.4 Versorgung der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
12.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

marcus.lehnhardt@rub.de
VIII Inhaltsverzeichnis

13 Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Peter K. Zahn, Britta M. Wolf, Andreas Hohn
13.1 Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
13.2 Intensivmedizinische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

14 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Dirk Martens
14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
14.2 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
14.3 Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
14.4 Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
14.5 Direkte thermische Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
14.6 Lokale Schädigung durch Rauchgase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
14.7 Systemisch-toxische Wirkung der Rauchgase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
14.8 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
14.9 Langzeitfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

15 Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Christoph Wallner, Björn Behr, Marcus Lehnhardt
15.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
15.2 Energiebedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
15.3 Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
15.4 Medikamentöse Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
15.5 Ernährungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
15.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

16 Antiinfektive Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131


Andreas Hohn, Peter K. Zahn, Samir G. Sakka, Bassem D. Mikhail
16.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
16.2 Diagnose einer Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
16.3 Antibiotische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
16.4 Pharmakokinetische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
16.5 Selektive Darmdekontamination, selektive orale Dekontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
16.6 Antimykotische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
16.7 Virale Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
16.8 Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

17 Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Dirk Martens
17.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
17.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
17.3 Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
17.4 Prävention und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
17.5 Infektionsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
17.6 Multiorganversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
17.7 Systemische Pilzinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

marcus.lehnhardt@rub.de
IX
Inhaltsverzeichnis

18 Operatives Management der frischen Verbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


Marcus Lehnhardt, Jonas Kolbenschlag
18.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
18.2 Infrastrukturelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
18.3 Operative Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
18.4 Präoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
18.5 Intraoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

19 Behandlung der infizierten Verbrennungswunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173


Adrien Daigeler, Marcus Lehnhardt
19.1 Infektionsbegünstigende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
19.2 Infektionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
19.3 Infektionsentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
19.4 Surveillance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
19.5 Diagnose Wundinfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
19.6 Klinische Zeichen der Wundinfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
19.7 Transplantatverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
19.8 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

20 Tissue Engineering der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


Bernd Hartmann, Christian Ottomann
20.1 Aktueller Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
20.2 Definition und Anforderungen an Skingineering-Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
20.3 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
20.4 Artificial Skin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
20.5 Skingineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
20.6 Ausblick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
20.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

21 Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis . . . . . . . 195


Mark David Smith, Jan Claas Brune, Beate Petschke, Hans-Joachim Mönig, Bernd Hartmann
21.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
21.2 Geschichte und klinische Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
21.3 Regulative Einordnung von autologen Zellkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
21.4 Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
21.5 Aussicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

22 Thermische Verletzungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223


Tobias Rothoeft, Andrea Herweg-Becker, Eckard Hamelmann
22.1 Erstversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
22.2 Aufnahme im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
22.3 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
22.4 Juckreiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
22.5 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
22.6 Besonderheiten der Rehabilitation im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
22.7 Psychologische Begleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

marcus.lehnhardt@rub.de
X Inhaltsverzeichnis

23 Operatives Management bei Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249


Bettina Lange, Lucas M. Wessel
23.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
23.2 Beurteilung einer thermischen Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
23.3 Erstmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
23.4 Behandlungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
23.5 Lokale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
23.6 Ambulante Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
23.7 Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

24 Besonderheiten im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263


Henrik Menke
24.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
24.2 Risikofaktoren und Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
24.3 Unfallort und Verbrennungsursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
24.4 Verbrennungsausmaß und Verbrennungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
24.5 Therapieaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
24.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

25 Gesichtsverbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Christian Ottomann, Bernd Hartmann
25.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
25.2 Pulmonales Inhalationstrauma bei Gesichtsverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
25.3 Bestimmung der Verbrennungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
25.4 Initiales Débridement bei Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
25.5 Topika zur Wundreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
25.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
25.7 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

26 Perianale Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277


Markus Öhlbauer, Britta Wallner
26.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
26.2 Verletzungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
26.3 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

27 Verbrennungen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287


Malte Möller, Klaus Rudolf
27.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
27.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
27.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
27.4 Kombinationsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
27.5 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

28 Augenirritation und Augenverätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307


Norbert Schrage
28.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
28.2 Epidemiologie von Verätzungen und Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
28.3 Mechanismen der Gewebeschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

marcus.lehnhardt@rub.de
XI
Inhaltsverzeichnis

28.4 Klinische Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312


28.5 Augenverätzungsläsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
28.6 Klinische Spezialbehandlungen und Strategien bei Verätzungskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . 317
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

29 Stromverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Ramin Ipaktchi, Nicco Krezdorn, Peter M. Vogt
29.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
29.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
29.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
29.4 Erstversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
29.5 Problemstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
29.6 Sonderform: Stromüberschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

30 Polytrauma und Schwerverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335


Jenny E. Dornberger, Axel Ekkernkamp
30.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
30.2 Verletzungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
30.3 Behandlungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

31 Verätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Stéphane Stahl, Hans-Eberhard Schaller
31.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
31.2 Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
31.3 Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
31.4 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
31.5 Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
31.6 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
31.7 Flusssäureverätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

32 Erfrierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Christoph Sachs, Peter Mailänder, Karl L. M. Mauss, Marcus Lehnhardt
32.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
32.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
32.3 Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
32.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

33 Psychotherapeutische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361


Jule Frettlöh, Margitta Lungenhausen
33.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
33.2 Forschungsstand zu psychischen Faktoren bei schweren Brandverletzungen . . . . . . . . . . . . . 362
33.3 Psychotherapeutische Versorgung von schwerbrandverletzen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . 364
33.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

34 Nekrotisierende Fasziitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371


Jörg Hauser, Heiko Sorg, Daniel Tilkorn
34.1 Einleitung und Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
34.2 Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

marcus.lehnhardt@rub.de
XII Inhaltsverzeichnis

34.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374


34.4 Differenzialdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
34.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
34.6 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

35 Gasbrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Stefan Bohr, Norbert Pallua
35.1 Einleitung und Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
35.2 Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
35.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
35.4 Differenzialdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
35.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
35.6 Prognose und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

36 Schwere blasenbildende Hautreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389


Maja Mockenhaupt
36.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
36.2 Klinisches Bild und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
36.3 Differenzialdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
36.4 Pathogenetische Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
36.5 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
36.6 Verlauf, Prognose und Folgeschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
36.7 Praktische Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

37 Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403


Maja Mockenhaupt
37.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
37.2 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
37.3 Aktuelle Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
37.4 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
37.5 Datensicherheit und Ethikvotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
37.6 Vollständigkeit der Erfassung und Inzidenz der Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
37.7 Demografische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
37.8 Ätiologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
37.9 Genetische Faktoren bei SJS/TEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
37.10 Praktische Aspekte von Fallmeldung und Fallerfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

38 Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417


Hans Ziegenthaler
38.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
38.2 Narben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
38.3 Narbentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

39 Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden . . . . . . . . . 431


Hans Ziegenthaler
39.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
39.2 Allgemeine Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
39.3 Rehabilitation für Brandverletzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

marcus.lehnhardt@rub.de
XIII
Inhaltsverzeichnis

39.4 Rehabilitationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437


39.5 Soziale Wiedereingliederung und ambulante Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

40 Rekonstruktive Verbrennungschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451


Tobias Hirsch, Lars-Peter Kamolz, Bohdan Pomahac, Hans-Ulrich Steinau, Marcus Lehnhardt
40.1 Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
40.2 Indikation und Timing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
40.3 Rekonstruktive Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

41 Begutachtung von Verbrennungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473


Henrik Menke
41.1 Grundlagen der Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
41.2 Ermittlung der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
41.3 Besonderheit der privaten Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
41.4 Zeitpunkt der Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

42 Behandlungskosten für Schwerbrandverletzte im DRG-System . . . . . . . . . . . . . . . . 481


Melodie Rahimi, Christoph Hirche, Ulrich Kneser
42.1 Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
42.2 Allgemeiner Hintergrund DRG-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
42.3 Spezielle Aspekte des DRG-Systems für die Verbrennungsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
42.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486

43 Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
Maximilian Kückelhaus, Tobias Hirsch, Marcus Lehnhardt
43.1 Bundesverband für Brandverletzte e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
43.2 Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
43.3 Phoenix Deutschland – Hilfe für Brandverletzte e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
43.4 Cicatrix – Gemeinschaft für Menschen mit Verbrennungen und Narben e. V. . . . . . . . . . . . . . 489
43.5 Kontaktadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

marcus.lehnhardt@rub.de
Autorenverzeichnis

Priv.Doz. Dr. med. Björn Behr Prof. Dr. med. Adrien Daigeler
Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte,
Handchirurgiezentrum Handchirurgiezentrum
Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
Bergmannsheil Bochum Bergmannsheil Bochum
Ruhr-Universität-Bochum Ruhr-Universität-Bochum
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
D-44789 Bochum D-44789 Bochum
E-Mail: bjorn.behr@rub.de E-Mail: adrien.daigeler@bergmannsheil.de

Dr. med. Jörg Beneker Dr. med. Jenny E. Dornberger


Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Zentrum für Schwerbrandverletzte
Unfallkrankenhaus Berlin mit Plastischer Chirurgie
Warener Straße 7 Unfallkrankenhaus Berlin
D-12683 Berlin Warener Straße 7
E-Mail: joerg.beneker@ukb.de D-12683 Berlin
E-Mail: jenny.dornberger@ukb.de
Dr. med. Philipp A. Bergmann
Abteilung für Handchirurgie, Plastische- Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp
und Mikrochirurgie Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie
Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg Unfallkrankenhaus Berlin
Bergedorfer Straße 10 Warener Straße 7
D-21033 Hamburg D-12683 Berlin
E-Mail: p.bergmann@buk-hamburg.de E-Mail: ekkernkamp@ukb.de

Dr. med. Stefan Bohr Dr. med. Richard M. Fakin


Klinik für Plastische Chirurgie, Hand und Verbrennungs- Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie
chirurgie Universitätsspital Zürich
Universitätsklinikum RWTH Aachen Rämistrasse 100
Pauwelsstraße 30 CH-8091 Zürich
D-52074 Aachen E-Mail: richard.fakin@usz.ch
E-Mail: sbohr@ukaachen.de
Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. Jule Frettlöh
Dr. rer. nat. Jan Claas Brune Neurologische Klinik und Poliklinik
Deutsches Institut für Zell- und Gewebeersatz Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
gemeinnützige GmbH Bergmannsheil Bochum
Köpenicker Straße 325 Ruhr-Universität-Bochum
D-12555 Berlin Bürkle-de-la-Camp-Platz 2
E-Mail: j_brune@dizg.de D-44789 Bochum
E-Mail: jule.frettloeh@rub.de

marcus.lehnhardt@rub.de
XV
Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Paul Christian Fuchs Dr. med. Andrea Herweg-Becker
Klinik für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Handchirurgie, St. Josef-Hospital
Schwerverbranntenzentrum Ruhr-Universität Bochum
Universität Witten/Herdecke Alexandrinenstraße 5
Kliniken der Stadt Köln gGmbH D-44791 Bochum
Krankenhaus Köln-Merheim E-Mail: a.herweg.b@googlemail.com
Ostmerheimer Straße 200
D-51109 Köln Priv. Doz. Dr. med. Christoph Hirche
E-Mail: fuchsp@kliniken-koeln.de Klinik für Hand-, Plastische- und Rekonstruktive
Chirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum
Prof. Dr. med. Pietro Giovanoli Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie an
Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie der Ruprecht-Karls-Universität Universität Heidelberg
Universitätsspital Zürich Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen
Rämistrasse 100 Ludwig-Guttmann-Straße 13
CH-8091 Zürich D-67071 Ludwigshafen am Rhein
E-Mail: pietro.giovanoli@usz.ch E-Mail: christoph.hirche@bgu-ludwigshafen.de

Dr. med. Merlin Manuel Guggenheim Priv. Doz. Dr. med. Tobias Hirsch
Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte,
Universitätsspital Zürich Handchirurgiezentrum
Rämistrasse 100 Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren
CH-8091 Zürich Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
E-Mail: merlin.guggenheim@usz.ch Bergmannsheil Bochum
Ruhr-Universität-Bochum
Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin D-44789 Bochum
Allergie Centrum Ruhr E-Mail: tobias.hirsch@rub.de
Ruhr-Universität Bochum
Kinderzentrum | Bethel Dr. med. Andreas Hohn
Evangelisches Krankenhaus Bielefeld gGmbH Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Grenzweg 10 Bereichsleitender Oberarzt Intensivmedizin
D-33617 Bielefeld Universität Witten/Herdecke
E-Mail: e.hamelmann@evkb.de; eckard.hamelmann@rub.de Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Krankenhaus Merheim
Dr. med. Bernd Hartmann Ostmerheimerstraße 200
Zentrum für Schwerbrandverletzte D-51109 Köln
mit Plastischer Chirurgie E-Mail: andreas.hohn@uk-koeln.de
Unfallkrankenhaus Berlin
Warener Straße 7 Dr. med. Ramin Ipaktchi
D-12683 Berlin Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand-
E-Mail: bernd.hartmann@ukb.de und Wiederherstellungschirurgie
Schwerbrandverletztenzentrum
Priv. Doz. Dr. med. Jörg Hauser Medizinische Hochschule Hannover
Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Carl-Neuberg-Straße 1
Chirurgie, Handchirurgie D-30625 Hannover
Alfried Krupp Krankenhaus Essen-Steele E-Mail: Ipaktchi.Ramin@mh-hannover.de
Hellweg 100
D-45276 Essen
E-Mail: joerg.hauser@krupp-krankenhaus.de

marcus.lehnhardt@rub.de
XVI Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Heinz-Michael Just Dr. med. Bettina Sigrid Lange
Institut für Klinikhygiene Kinderchirurgische Klinik
Klinikum Nürnberg Nord Universitätsmedizin Mannheim
Prof.-Ernst-Nathan-Straße 1 Klinikum Mannheim GmbH
D-90419 Nürnberg Theodor-Kutzer-Ufer 1–3
E-Mail: just@klinikum-nuernberg.de D-68163 Mannheim
E-Mail: bettina.lange@umm.de
Prof. Dr. med. Lars-Peter Kamolz
Universitätsklinik für Chirurgie Univ. Prof. Dr. med. Marcus Lehnhardt
Auenbruggerplatz 29 Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte,
A-8036 Graz Handchirurgiezentrum
E-Mail: lars-peter.kamolz@klinikum-graz.at Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
Prof. Dr. med. Ulrich Kneser Bergmannsheil Bochum
Klinik für Hand-, Plastische- und Rekonstruktive Ruhr-Universität-Bochum
Chirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie an D-44789 Bochum
der Ruprecht-Karls-Universität Universität Heidelberg E-Mail: marcus.lehnhardt@rub.de
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen
Ludwig-Guttmann-Straße 13 Dipl.-Psych. Margitta Lungenhausen
D-67071 Ludwigshafen am Rhein Neurologische Klinik und Poliklinik
E-Mail: ulrich.kneser@bgu-ludwigshafen.de Berufsgenossenschaftliches Uniklinikum Bergmannsheil
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Dr. med. Jonas Kolbenschlag D-44789 Bochum
Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, E-Mail: margitta.lungenhausen@bergmannsheil.de
Handchirurgiezentrum
Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren Prof. Dr. med. Peter Mailänder
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Klinik für Plastische Chirurgie, Handchirurgie,
Bergmannsheil Bochum Intensiveinheit für Schwerbrandverletzte
Ruhr-Universität-Bochum Universität Lübeck
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 Ratzeburger Allee 160
D-44789 Bochum D-23538 Lübeck
E-Mail: bjorn.behr@rub.de E-Mail: peter.mailaender@uni-luebeck.de

Dr. med. Nicco Krezdorn Dr. med. Dirk Martens


Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wieder- Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin
herstellungschirurgie und Schmerztherapie
Schwerbrandverletztenzentrum Unfallkrankenhaus Berlin
Medizinische Hochschule Hannover Warener Straße 7
Carl-Neuberg-Straße 1 D-12683 Berlin
D-30625 Hannover E-Mail: dirk.martens@ukb.de
E-Mail: krezdorn.nicco@mh-hannover.de
Dr. med. Karl L. M. Mauss
Dr. med. Maximilian Kückelhaus Klinik für Plastische Chirurgie, Handchirurgie,
Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Intensiveinheit für Schwerbrandverletzte
Handchirurgiezentrum Universität Lübeck
Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren Ratzeburger Allee 160
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum D-23538 Lübeck
Bergmannsheil Bochum E-Mail: karl.mauss@uni-luebeck.de
Ruhr-Universität-Bochum
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
D-44789 Bochum
E-Mail: maximilian.kueckelhaus@bergmannsheil.de

marcus.lehnhardt@rub.de
XVII
Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Henrik Menke Dr. med. Markus Öhlbauer


Sana Klinikum Offenbach Abteilung für Plastische Chirurgie
Chirurgische Klinik III und Verbrennungsmedizin
Starkenburgring 66 Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau
D-63069 Offenbach Prof.-Küntscher-Straße 8
E-Mail: henrik.menke@klinikum-offenbach.de D-82418 Murnau
E-Mail: markus.oehlbauer@bgu-murnau.de
Dr. med. Bassem Daniel Mikhail, M. Sc.
Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Priv.-Doz. Dr. med. Christian Ottomann
Handchirurgiezentrum Zentrum für Schwerbrandverletzte
Operatives Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren mit Plastischer Chirurgie
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Unfallkrankenhaus Berlin
Bergmannsheil Bochum Warener Straße 7
Ruhr-Universität-Bochum D-12683 Berlin
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 E-Mail: christian.ottomann@ukb.de
D-44789 Bochum
E-Mail: bassem.mikhail@bergmannsheil.de Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Prof. h.c. mult.
Norbert Pallua
Prof. Dr. med. Maja Mockenhaupt Universitätsklinikum RWTH Aachen
Klinik für Dermatologie und Venerologie Klinik für Plastische Chirurgie, Hand
Universitätsklinikum Freiburg und Verbrennungschirurgie
Hauptstraße 7 Pauwelsstraße 30
D-79104 Freiburg D-52074 Aachen
E-Mail: maja.mockenhaupt@uniklinik-freiburg.de E-Mail: npallua@ukaachen.de

Dr. med. Malte Möller Dipl.-Ing. Beate Petschke


Abt. für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie, Deutsches Institut für Zell- und Gewebeersatz gGmbH
Schwerbrandverletztenzentrum Köpenicker Straße 325
BG Unfallkrankenhaus Hamburg D-12555 Berlin
Bergedorfer Straße 10 E-Mail: b_petschke@dizg.de
D-21033 Hamburg
E-Mail: m.moeller@buk-hamburg.de Bohdan Pomahac M.D.
Division of Plastic Surgery
Dipl. Phys. Hans-Joachim Mönig Harvard Medical School
Deutsches Institut für Zell- und Gewebeersatz gGmbH Brigham and Women‹s Hospital
Köpenicker Straße 325 USA-Boston, MA
D-12555 Berlin E-Mail: bpomahac@partners.org
E-Mail: hj_moenig@dizg.de
Dr. med. Melodie Rahimi
Dr. med. Matthias Münzberg Klinik für Hand-, Plastische- und Rekonstruktive
Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Chirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum
Luftrettungszentrum Rettungshubschrauber Christoph 5 Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie an
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen der Ruprecht-Karls-Universität Universität Heidelberg
Ludwig-Guttmann-Straße 13 Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen
D-67071 Ludwigshafen am Rhein Ludwig-Guttmann-Straße 13
E-Mail: matthias.muenzberg@bgu-ludwigshafen.de D-67071 Ludwigshafen am Rhein
E-Mail: melodie.rahimi@bgu-ludwigshafen.de

marcus.lehnhardt@rub.de
XVIII Autorenverzeichnis

Univ.-Prof. Dr. med. Bert Reichert Dr. med. Frank Sander


Klinik für Plastische, Wiederherstellende und Zentrum für Schwerbrandverletzte
Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte mit Plastischer Chirurgie
Klinikum Nürnberg Unfallkrankenhaus Berlin
Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Warener Straße 7
Privatuniversität D-12683 Berlin
Breslauer Straße 201 E-Mail: frank.sander@ukb.de
D-90471 Nürnberg
E-Mail: bert.reichert@klinikum-nuernberg.de Prof. Dr. med. Hans-Eberhard Schaller
Klinik für Hand-, Plastische, Rekonstruktive
Dr. med. Tobias Rothoeft und Verbrennungschirurgie
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin BG-Unfallklinik Tübingen
St. Josef-Hospital Schnarrenbergstraße 95
Ruhr-Universität Bochum D-72076 Tübingen
Alexandrinenstraße 5 E-Mail: hschaller@bgu-tuebingen.de
D-44791 Bochum
E-Mail: tobias.rothoeft@ruhr-uni-bochum.de Prof. Dr. med. Norbert Schrage
Augenklinik der Stadt Merheim
Prof. Lior Rosenberg MD Kliniken der Stadt Köln
Department of Plastic and Reconstructive Surgery Ostmerheimer Straße 200
Soroka University Medical Center D-51109 Köln
POB 151 Beer Sheva E-Mail: schrage@kliniken-koeln.de
Israel
E-Mail: liorr@mediwound.com Priv.-Doz. Dr. med. Frank Siemers
Klinik für Plastische und Handchirurgie/Brandverletzten-
Dr. med. Klaus Rudolf zentrum
Abt. für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie, BG-Kliniken Bergmannstrost
Schwerbrandverletztenzentrum Merseburger Straße 165
BG Unfallkrankenhaus Hamburg D-06112 Halle
Bergedorfer Straße 10 E-Mail: plastische-chirurgie@bergmannstrost.com
D-21033 Hamburg
E-Mail: k.rudolf@buk-hamburg.de Dr. rer. nat. Mark David Smith
Deutsches Institut für Zell- und Gewebeersatz
Dr. med. Christoph Sachs gemeinnützige GmbH
Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrand- Köpenicker Straße 325
verletzte, Handchirurgiezentrum D-12555 Berlin
Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren E-Mail: m_smith@dizg.de
BG-Universitätskliniken Bergmannsheil Bochum
Ruhr-Universität-Bochum Dr. med. Heiko Sorg
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 Klinik für Plastische, Rekonstruktive
D-44789 Bochum und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie
E-Mail: christoph.sachs@bergmannsheil.de Alfried Krupp Krankenhaus Essen-Steele
Hellweg 100
Prof. Dr. med. Samir G. Sakka, EDIC, DEAA D-45276 Essen
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin E-Mail: heiko.sorg@krupp-krankenhaus.de
Universität Witten/Herdecke
Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Krankenhaus Merheim
Ostmerheimerstraße 200
D-51109 Köln
E-Mail: sakkas@kliniken-koeln.de

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XIX
Autorenverzeichnis

Priv. Doz. Dr. med. Stéphane Stahl Britta Wallner


Klinik für Plastische, Rekonstruktive Abteilung für Plastische Chirurgie und Verbrennungs-
und Ästhetische Chirurgie/Handchirurgie medizin
Märkische Kliniken GmbH BG Unfallklinik Murnau
Klinikum Lüdenscheid Prof.-Küntscher-Straße 8
Paulmannshöher Straße 14 D-82418 Murnau
D-58515 Lüdenscheid E-Mail: britta.wallner@bgu-murnau.de
E-Mail: stephane.stahl@klinikum-luedenscheid.de
Dr. med. Christoph Wallner
Priv. Doz. Dr. med. Michael Steen Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte,
Praxisklinik im Nikolaizentrum Leipzig Handchirurgiezentrum
Nikolaistraße 55 Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren
D-04109 Leipzig Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
E-Mail: praxis@plastische-chirurgie-in-leipzig.de Bergmannsheil Bochum
Ruhr-Universität-Bochum
Prof. em. Dr. med. Hans-Ulrich Steinau Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Senior Consultant Plastische und Handchirurgie D-44789 Bochum
Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie E-Mail: christoph.wallner@bergmannsheil.de
Sarkomzentrum WTZ
Universitätsklinikum Prof. Dr. med. Lucas Wessel
Hufelandstr. 54 Kinderchirurgische Klinik
D-45122 Essen Universitätsklinikum Mannheim
E-Mail: hans-ulrich.steinau@uk-essen.de Theodor-Kutzer-Ufer 1–3
D-68167 Mannheim
Dr. med. Oliver C. Thamm E-Mail: lucas.wessel@medma.uni-heidelberg.de
Klinik für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie,
Handchirurgie, Schwerverbranntenzentrum Dr. med. Britta M. Wolf
Universität Witten/Herdecke Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-,
Kliniken der Stadt Köln gGmbH Palliativ- und Schmerztherapie
Krankenhaus Köln-Merheim Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum
Ostmerheimer Straße 200 Bergmannsheil Bochum
D-51109 Köln Ruhr-Universität-Bochum
E-Mail: thammo@kliniken-koeln.de Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
44789 Bochum
Dr. med. Daniel Tilkorn E-Mail: wolf@ains-bergmannsheil.de
Klinik für Plastische, Rekonstruktive
und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie Dr. med. Peter K. Zahn
Alfried Krupp Krankenhaus Essen-Steele Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-,
Hellweg 100 Palliativ- und Schmerztherapie
D-45276 Essen BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum
E-Mail: d.tilkorn@web.de Ruhr-Universität-Bochum
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Univ.Prof. Dr. med. Peter M. Vogt D-44789 Bochum
Medizinische Hochschule Hannover E-Mail: peter.zahn@bergmannsheil.de
Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungs-
chirurgie Dr. med. Hans Ziegenthaler
Carl-Neuberg-Straße 1 Gräfliche Kliniken Moritz Klinik GmbH & Co. KG
D-30625 Hannover Rehabilitations-Fachklinik für Neurologie
E-Mail: vogt.peter@mh-hannover.de und Orthopädie/Traumatologie
Reha Zentrum für Brandverletzte
Herrmann-Sachse-Straße 46
D-07639 Bad Klosterlausnitz
E-Mail: hans.ziegenthaler@moritz-klinik.de

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1 1

Die Entstehung des


ersten Brandverletztenzentrums
in Deutschland
Marcus Lehnhardt

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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2 Kapitel 1 · Die Entstehung des ersten Brandverletztenzentrums in Deutschland

Die Entstehung des ersten Brandverletztenzentrums in dem nicht vor 1967 aufgenommen werden würde, riet er
1 Deutschland ist eng mit dem Gründungsmitglied der Ver- zur Kontaktaufnahme mit Prof. Dr. Jörg Rehn, Ärztlicher
einigung der Deutschen Plastischen Chirurgen (VDPC, Direktor der BG-Unfallklinik Bergmannsheil in Bochum.
mittlerweile Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Re- Prof. Dr. Koslowski selbst wechselte nie, wie ursprünglich
konstruktiven und Ästhetischen Chirurgen), Herrn Prof. geplant, an die neue BG-Unfallklinik in Ludwigshafen, da
Dr. Dr. med. Fritz Eduard Müller (. Abb. 1.1) verbunden. er zuvor einen Ruf an die Universität Tübingen erhielt, dem
Fritz Eduard Müller wurde am 1. August 1925 in Kattowitz er folgte.
geboren und genoss nach Abschluss seines Doppelstu- Zu dieser Zeit machten Verbrennungen etwa 19 % aller
diums in den Fächern Medizin und Zahnmedizin in Bonn Arbeitsunfälle aus. In Deutschland starben bis zu 800 Men-
im Jahr 1949 eine umfassende chirurgische Ausbildung in schen jährlich an den Folgen einer Verbrennung. Brand-
der allgemeinen und maxillofazialen Chirurgie. verletzte aller Schweregrade wurden bis dahin in den
Anlässlich des Besuchs eines maxillofazialen Kon- regionalen chirurgischen Abteilungen, die in der Regel von
gresses in London im Jahr 1958 erkannte er den in England Abdominalchirurgen geleitet wurden, aufgenommen und
zu diesem Zeitpunkt anzutreffenden deutlichen chirur- behandelt.
gischen Vorsprung und bewarb sich um ein Stipendium Wach gerüttelt durch einen wiederkehrenden Massen-
des DAAD und der NATO. Damit ausgestattet verbrachte anfall von Brandverletzten bei Sprengarbeiten, Verpuffun-
Prof. Dr. Müller insgesamt fünf Jahre in England. Dort gen und Explosionen im Bergbau in den Schächten und
erhielt er eine umfassende Aus- und Weiterbildung in allen Stollen unter Tage, erkannte man zuerst bei der Euro-
Teilen der Plastischen Chirurgie: der rekonstruktiven, der päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und bei den
ästhetischen, der Handchirurgie sowie insbesondere auch Berufsgenossenschaften, dass strukturelle Verbesserungen
in der Behandlung Schwerbrandverletzter unter anderem für dieses Patientengut dringend erforderlich waren. So
am Queen Mary’s Hospital in London, dem Children’s gab es sowohl im Rahmen der Klinikneuerrichtungen
Hospital Great Ormond Street und am Queen Victoria in Ludwigshafen als auch in Bochum erste gedankliche
Hospital East Grinstead durch Sir Harold Gillies, Jim Pläne zur Errichtung einer eigenständigen Brandver-
Evans, Richard Battle und Patrick Clarkson. So gab es letztenstation.
beispielsweise in Birmingham bereits eine Abteilung für
Schwerbrandverletzte, die über 50 Betten verfügte.
Getrieben durch das gewonnene Wissen und die Kennt-
nis möglicher Behandlungserfolge beschloss Prof. Müller
bei seiner Rückkehr, sich auch in Deutschland für die
Etablierung entsprechender Behandlungszentren nach
internationalem Standard einzusetzen. Er wandte sich an
verschiedene universitäre und städtische chirurgische
Abteilungen, so z. B. an Prof. Dr. Ernst Derra, Direktor
der Chirurgischen Klinik der Universität Düsseldorf, an
Prof. Dr. Georg Heberer, Direktor der Chirurgischen Uni-
versitätsklinik Köln und auch an Prof. Dr. Rudolf Zenker,
Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik München
(Nußbaumstraße).
Allesamt bekundeten den prinzipiellen Bedarf an Plas-
tischer und Wiederherstellungschirurgie, hielten jedoch
die Etablierung eigenständiger Abteilungen für nicht
umsetzbar. So wurden Prof. Müller im Alter von 38 Jahren
und ungeachtet seiner innovativen, vielfältigen chirur-
gischen Ausbildung und Erfahrung wiederholt lediglich
Assistenzarztstellen angeboten.
Ein weiteres Anschreiben richtete sich an Prof. Dr. Leo
Koslowski, damals erster Oberarzt der Chirurgischen Uni-
versitätsklinik Freiburg. Koslowski war mit dem Aufbau
der neu entstehenden BG-Unfallklinik in Ludwigshafen
beauftragt. Die Frage nach einer eigenständigen Abteilung
für Plastische Chirurgie wurde von ihm ebenfalls klar ab-
schlägig beschieden. Da in Ludwigshafen der Betrieb zu- . Abb. 1.1 Prof. Dr. Dr. med. Fritz Eduard Müller

marcus.lehnhardt@rub.de
1 · Die Entstehung des ersten Brandverletztenzentrums in Deutschland
3 1

. Abb. 1.2 Zeitungsbericht in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung anlässlich der Eröffnung des neuen Brandverletztenzentrums in
Bochum

Am Bergmannsheil in Bochum bekundete Prof. nach englischem Vorbild auch mit einer Klimaanlage zur
Dr. Rehn von Beginn an hohes Interesse am Aufbau einer Infektionsprophylaxe ausgestattet war, übernehmen. Im
solchen Station. Nach zähen Verhandlungen gelang es Jahr 1968 eröffnete die erste Intensivstation für Schwer-
Prof. Dr. Müller, der im Jahr 1964 zunächst noch als Ober- brandverletzte als eigenständige Einheit (. Abb. 1.2). Fort-
arzt der chirurgischen Klinik startete, den Aufbau dieser an wurden jährlich weit über 100 Patienten behandelt. Bis
Brandverletztenintensivstation mit zwei weitreichenden zu seiner Emeritierung wurden durch Prof. Müller mehr
Bedingungen zu verknüpfen: die Verbrennungsabteilung als 2000 Brandverletzte stationär versorgt.
sollte eine eigenständige ärztliche Leitung haben und mit Gebannt kann man Prof. Dr. Müller zuhören, wenn er
einer Abteilung für Plastische Chirurgie und Handchirur- berichtet: »Ich habe allein angefangen und unter Vorlage
gie verbunden sein. der guten Zahlen jedes Jahr um eine weitere Stelle verhan-
Im Juli 1966 konnte Fritz Eduard Müller als Oberarzt delt.« Dies wurde ihm jedoch keinesfalls leicht gemacht,
mit einer Assistenzärztin eine 28-Betten-Abteilung, die denn durch die Zechenstilllegungen in den Jahren 1960 bis

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4 Kapitel 1 · Die Entstehung des ersten Brandverletztenzentrums in Deutschland

1980 drohte den Kliniken des Bergmannsheil Bochum auch


1 immer wieder das finanzielle Aus. Zum Wohle zahlloser
im Laufe der Jahre hier erfolgreich behandelter schwerst-
kranker Patienten ist es dazu angesichts des Engagements
der Stadt Bochum, des Landes Nordrhein-Westfalen und
insbesondere durch die Schaffung der Ruhr-Universität-
Bochum mit ihrem Klinikverbund des Bochumer Modells
nicht gekommen.
Im Herbst 1968 veranstaltete Prof. Dr. Müller in
Bochum ein internationales Verbrennungssymposium,
auf dem insgesamt 150 Teilnehmer aus 19 Nationen (da-
runter die DDR) diskutierten. Während dieser Tagung
wurde auf Initiative Prof. Müllers am 16. Oktober 1968
um 13 Uhr im Bochumer Parkhotel die Vereinigung der
Deutschen Plastischen Chirurgen gegründet, die den ent-
scheidenden Meilenstein auf dem Weg von einer regiona-
len, körperorganbezogenen Plastischen Chirurgie hin zur
Monospezialität nach internationalem Vorbild markierte.

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5 2

Epidemiologie
Michael Steen

2.1 Einleitung –6

2.2 Datenerhebungen und statistische Quellen –6

2.3 Daten aus Deutschland –6


2.3.1 Häufigkeit und Letalität – 6
2.3.2 Verteilung nach Bundesländern – 7
2.3.3 Altersverteilung – 8
2.3.4 Zuweisungsdauer – 8
2.3.5 Geschlecht – 8
2.3.6 Patientenalter – 9
2.3.7 Verbrennungsschwere – 9
2.3.8 Liegezeit – 10
2.3.9 Verbrennungsentstehung, Unfallzusammenhang und Unfallursache – 11

2.4 Arbeitsunfälle – 11

2.5 Internationaler Vergleich – 12

Literatur – 13

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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6 Kapitel 2 · Epidemiologie

2.1 Einleitung fasst. Vorliegende Statistiken greifen deshalb auf die statio-
nären Aufnahmen und die Todesfälle zu.
Brandverletzungen und Verätzungen stellen eine Dia-
2 gnosegruppe dar, deren Ausprägung ein weites Spektrum
umfasst. Von der kleinen Brandblase bis zur schwersten, 2.2 Datenerhebungen und statistische
ggf. tödlichen Hautschädigung sind alle Formen zu beob- Quellen
achten.
Zahlreiche Staaten führen eine Todesursachenstatistik,
> Ausgedehntere Verbrennungen haben wegen des
die in der EU z. B. über Eurostat zusammengefasst wird
hohen Behandlungsaufwands für die Organisation
(Eurostat Health Statistics 2009). Weltweit sammelt die
der medizinischen Versorgung, die Einrichtung und
Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Daten, teil-
Unterhaltung von Spezialkliniken und trotz der ge-
weise für Länder ohne ausgebaute Statistik auf Basis
ringen Fallzahl eine hohe ökonomische Bedeutung.
von Hochrechnungen und Schätzungen (WHO 2014;
Eine ganze Reihe von Staaten führen eine Statistik der To- WHO 2008).
desursachen und/oder Krankenhausdiagnosen, in Deutsch- Bei der Übersicht über die wesentlichen Todesur-
land über das Statistische Bundesamt. Zwischen diesen sachen machen in den europäischen Ländern Unfalltote
globalen statistischen Daten auf Staatsebene und den medi- bei den Männern etwa 7,5 % der jährlichen Todesfälle
zinisch orientierten Daten einzelner wissenschaftlicher Ar- aus, bei den Frauen 4,5 % (Gesundheitsberichterstattung
beiten klafft eine Lücke, da bisher kaum kontinuierlich über des Bundes 2006). Todesfälle durch Verbrennungen und
lange Zeiträume Daten aus den Verbrennungszentren auf Verätzungen betreffen davon einen so kleinen Anteil, dass
der Ebene eines ganzen Landes gesammelt worden sind. in den Reports der Europäischen Kommission dazu keine
Verschiedene Ansätze, z. B. in den USA, Niederlanden oder Zahlen aufgeführt sind (Eurostat 2009).
Großbritannien sind unterschiedlich intensiv weiterver- Nur wenige Länder erheben genauere Daten dieser
folgt worden (7 Abschn. 2.5). kleinen Untergruppe. In Deutschland werden die Auf-
In Deutschland hat die Deutschsprachige Arbeits- nahmedaten der Krankenhäuser und die Todesursachen
gemeinschaft für Verbrennungsmedizin (DAV) seit dem nach Totenschein vom Statistischen Bundesamt nach
Jahr 1991 kontinuierlich Daten der Brandverletztenzen- ICD-10-Diagnosen erfasst. Darüber hinaus werden in
tren für Erwachsene nach einem standardisierten Erhe- Deutschland seit 1991 innerhalb der Deutschsprachigen
bungsbogen gesammelt. Die DAV ist damit eine der weni- Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungen und mit der
gen Institutionen weltweit, die über die letzten 20 Jahre Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin durch
kontinuierlich landesweite Erhebungen in den Brand- den Autor Basisdaten aus den Brandverletztenzentren für
verletztenzentren für Erwachsene durchgeführt hat. Die Erwachsene erhoben.
ersten 10 Jahre sind publiziert worden (Büttemeyer 2004). Dieses Kapitel bezieht sich deshalb vorrangig auf die
Das über den Autor im Anschluss gesammelte Material des Daten, die in den deutschen Zentren für Schwerbrand-
Zeitraums 2002 bis 2012 aus den jährlichen Erhebungen verletzte Erwachsene erhoben wurden. Soweit möglich,
fließt in dieses Kapitel ein. In den letzten Jahren haben sich werden diese zu Daten des Statischen Bundesamtes und zu
die Brandverletztenzentren für Kinder in Deutschland internationalen Daten in Beziehung gesetzt.
ebenfalls angeschlossen. Hier liegen aber noch keine Daten
aus einem vergleichbar langen Zeitraum vor.
In diesem Kapitel wird die Entwicklung des Verlet- 2.3 Daten aus Deutschland
zungsaufkommens in Deutschland im Zeitraum 2002 bis
2012 betrachtet. Verwendet wurden publizierte Daten des 2.3.1 Häufigkeit und Letalität
Statistischen Bundesamtes und ein Teil der innerhalb der
DAV gesammelten epidemiologischen Daten. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 15161 Brand-
Internationale Vergleiche sind auf Grund der geringen verletzungen der Körperoberfläche (ohne isolierte Augen-
Anzahl von Untersuchungen und ihrer fehlenden Vergleich- verätzungen) mit Krankenhausaufnahme und 132673
barkeit angesichts unterschiedlicher Datenbasis kaum Belegungstagen erfasst, das entspricht 17,9 stationären
möglich. Es wird deshalb nur auf einige Arbeiten in jüngerer Brandverletzten auf 100000 Einwohner oder bei einer
Zeit hingewiesen. Bevölkerung von 80,5 Millionen einem Anteil von 0,017 %
Kleine Brandverletzungen, die nicht in ärztliche Be- (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2006). Die
handlung kommen, werden statistisch daher auch nicht durchschnittliche Verweildauer betrug 8,0 Tage. Von
erfasst. Auch ambulant in Praxen niedergelassener Ärzte diesen Patienten starben 236 an den Folgen ihrer Verlet-
behandelte Brandverletzungen werden nicht statistisch er- zungen (. Tab. 2.1).

marcus.lehnhardt@rub.de
2.3 · Daten aus Deutschland
7 2

. Tab. 2.1 Anzahl in Deutschland stationär aufgenommener Brandverletzter und Letalität im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Brandverletzte gesamt 15139 14676 13606 14044 13873 13663 13834 14035 14451 14527 15161

Davon verstorben 306 323 257 277 228 221 220 227 215 224 236

Quelle: Statistisches Bundesamt

. Tab. 2.2 Anteil der Patienten in Brandverletztenzentren an allen stationären Aufnahmen von Patienten mit Brandverletzungen im
Zeitraum 2002 bis 2012 [%]

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

7,4 9,7 11,2 12,8 12,7 13,1 13,3 13,5 11,7 12,8 13,2

Quelle: Statistisches Bundesamt und Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

. Tab. 2.3 Patientenzahl und Letalität in den Brandverletztenzentren für Erwachsene in Deutschland im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Brandverletzte gesamt 1127 1423 1529 1799 1761 1791 1838 1900 1696 1855 1994

Davon verstorben 231 211 205 245 184 173 179 181 149 162 202

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

Im selben Jahr wurden in 19 Brandverletztenzentren Mögliche Faktoren für diese Veränderungen können
für Erwachsene in Deutschland 1994 Patienten aufgenom- neben der Verbesserung der klinischen Versorgung auch
men. Von diesen starben 202 Patienten. Ohne Einbezie- Faktoren in der präklinischen Versorgung oder dem Aus-
hung der Daten aus Kinderzentren starben damit 85,6 % maß der Verletzungen sein, mit dem die Patienten zur Auf-
aller stationär aufgenommenen Brandverletzten in spe- nahme kommen. Einige dieser Faktoren werden nach-
ziellen Zentren. Daraus lässt sich ableiten, dass heute der folgend beleuchtet.
größte Teil Schwerbrandverletzter in Deutschland auch in
spezialisierten Zentren behandelt wird.
Über den Zeitraum von 10 Jahren hat sich der anfäng- 2.3.2 Verteilung nach Bundesländern
liche Trend eines Rückgangs der Brandverletzungen nicht
fortgesetzt. Im Jahr 2012 ist die Zahl der stationär aufge- Aufgeschlüsselt nach Wohnort der Verletzten haben die
nommenen Brandverletzten nahezu identisch mit der Zahl dichter besiedelten Flächenländer absolut den größten
aus 2002. Dagegen ist die Zahl der verstorbenen Brandver- Anteil Verletzter (. Tab. 2.4). Bei Betrachtung der auf die
letzten um etwa 30 % zurückgegangen. Einwohnerzahl bezogenen Häufigkeit, in Deutschland ins-
Der Anteil an Patienten, der mit einer Brandverletzung gesamt 19 stationäre Brandverletzte pro 100000 Einwoh-
in einem spezialisierten Zentrum behandelt wird, hat ner, liegen die Stadtstaaten Bremen (29) und Hamburg (22)
sich parallel dazu um etwa 30 % erhöht (. Tab. 2.2). sowie die dünner besiedelten Flächenländer Mecklenburg-
Die Daten der Brandverletztenzentren zeigen in diesem Vorpommern (25), Sachsen-Anhalt (23), Schleswig-Hol-
Zeitraum eine Zunahme an Patienten ohne Anstieg der stein (22), Rheinland-Pfalz (21), Brandenburg (21) und
Letalität. Niedersachsen (20) über dem Bundesdurchschnitt.
Im Jahr 2012 starben in den Brandverletztenzentren für Angesichts der geringen absoluten Zahlen halten meh-
Erwachsene 202 Patienten, das sind 10,1 % der in diesen rere Bundesländer deshalb keine speziellen Behandlungs-
Einrichtungen versorgten Brandverletzten (. Tab. 2.3). zentren für Schwerbrandverletzte vor.

marcus.lehnhardt@rub.de
8 Kapitel 2 · Epidemiologie

. Tab. 2.4 Anzahl in Deutschland stationär aufgenommener Brandverletzter nach Bundesländern im Jahr 2012

Mecklenburg-Vorpommern
2

Nordrhein-Westfalen
Deutschland Gesamt

Baden-Württemberg

Schleswig-Holstein
Rheinland-Pfalz

Sachsen-Anhalt
Niedersachsen
Brandenburg

Thüringen
Hamburg

Saarland

Sachsen
Bremen

Hessen
Bayern

Absolut 15161 1814 2114 Berlin


640 356 258 674 998 397 1365 3138 1003 163 757 612 557 315

Pro 100000 17,9 17 17 15 21 29 22 18 25 20 17 21 17 19 23 22 18


Einwohner

Quelle: Statistisches Bundesamt

. Tab. 2.5 Altersverteilung der in Deutschland stationär aufgenommenen Brandverletzten im Jahr 2012

Patien-

95 bis ≤100
10 bis ≤15

15 bis ≤20

20 bis ≤25

25 bis ≤30

30 bis ≤35

35 bis ≤40

40 bis ≤45

50 bis ≤55

55 bis ≤60

60 bis ≤65

65 bis ≤70

70 bis ≤75

75 bis ≤80

80 bis ≤85

85 bis ≤90

90 bis ≤95
tenalter
5 bis ≤10

45 bis 50
1 bis ≤5

[Jahre]

≥100
<1

Anzahl 1027 3737 880 726 751 945 760 733 556 703 875 757 543 480 339 403 330 291 216 93 13 3
[ab-
solut]

Quelle: Statistisches Bundesamt

2.3.3 Altersverteilung 2.3.4 Zuweisungsdauer

Die Altersverteilung (. Tab. 2.5) zeigt bei Brandverlet- Die Zeitspanne zwischen Unfall und Einlieferung in ein
zungen einen sehr deutlichen Häufigkeitsgipfel im Alter Schwerbrandverletztenzentrum hat sich zwischen 2002
zwischen 1–5 Jahren. In diesem Zeitraum werden etwa und 2012 nicht wesentlich verändert (. Tab. 2.6). Zwischen
viermal so viele Kinder mit stationärer Behandlungs- 60 und 70 % aller Verletzten kommen innerhalb der ersten
bedürftigkeit verletzt wie in allen anderen Altersgruppen. vier Stunden nach Unfall in das entsprechende Zentrum.
In diesem Alter ist noch keine Gefahrerkennung und Als weiterer Aspekt zur Beurteilung der Entwicklung
Selbstregulation möglich, es besteht aber ein hoher Bewe- der Versorgungsstrukturen wurde die primäre Zuweisung
gungs- und Erkundungsdrang. in ein Brandverletztenzentrum vom Unfallort oder die se-
kundäre Verlegung erfasst (. Tab. 2.7).
> Eltern verkennen häufig das Gefahrenpotenzial
Die Quote der primären Zuweisungen liegt in den letz-
im Haushalt und in der weiteren zugänglichen
ten Jahren recht konstant bei 65 % der aufgenommenen
Umgebung des Kindes.
Patienten.
So kommt es überwiegend zu Verbrühungen. Das typische
Unfallereignis ist das Herunterziehen heißer Flüssigkeit
vom Herd oder Tisch mit Verletzung von Gesicht, Hals, 2.3.5 Geschlecht
Brustkorb und Armen.
Die geschlechtsbezogene Verteilung schwerer Brandverlet-
zungen bleibt über das Jahrzehnt unverändert und liegt mit
Abweichungen von 2–3 % bei 70 % Männern und 30 %
Frauen.

marcus.lehnhardt@rub.de
2.3 · Daten aus Deutschland
9 2

. Tab. 2.6 Zeit zwischen Unfall und stationärer Aufnahme in den Brandverletztenzentren für Erwachsene im Zeitraum 2002 bis 2012

Jahr

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Zeitspanne [h] Anteil [%]

0–1 20,6 27,0 23,0 21,9 21,9 23,4 23,4 23,8 16,6 22,8 21,3
1–4 44,9 41,7 42,6 45,7 49,0 43,9 54,1 52,0 47,7 52,0 48,5
4–8 8,5 8,6 9,8 9,3 9,0 9,3 6,5 7,2 16,1 9,9 13,4
8–24 5,7 4,0 5,3 6,6 3,1 3,4 4,4 5,2 5,9 4,7 4,3
24–48 3,3 3,0 2,4 5,1 2,6 3,4 2,3 2,4 4,0 2,2 3,1
>48 9,3 9,0 10,3 7,5 9,6 10,3 9,3 9,4 9,3 8,3 9,4

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

. Tab. 2.7 Anteil Zuweisung vom Unfallort in ein Brandverletztenzentrum gegenüber Verlegung aus einer erstversorgenden Klinik
im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Anteil Erstzuweisung [%] 51,1 63,2 64,4 61,0 67,1 64,7 65,5 62,8 64,3 65,0 64,6
Anteil Sekundärzuweisung [%] 42,4 35,9 34,5 37,9 31,9 29,3 33,5 36,3 34,7 34,1 34,5
Keine Angabe [%] 6,5 0,9 1,1 1,1 1,0 6,0 1,0 0,9 1,0 0,9 0,9

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

2.3.6 Patientenalter Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche


Die bei Aufnahme im Brandverletztenzentrum berechnete
Kinder werden nur in drei der 19 ansonsten für Erwachse- verbrannte Körperoberfläche ist von 2002 bis 2012 leicht
ne ausgewiesenen Brandverletztenzentren behandelt. Für rückläufig (. Tab. 2.9). Ein Trend, der beispielsweise auch
die Kinderzentren werden in den letzten Jahren ebenfalls in den Niederlanden beobachtet wird (Dokter 2014).
statistische Daten erhoben, diese sind jedoch in diesem Zusammen mit den steigenden Aufnahmezahlen in
Kontext nicht vergleichbar und deshalb hier nicht einbe- den Brandverletztenzentren belegt dies, dass auch geringer
zogen. Es zeichnet sich ein leichter Zuwachs an Patienten eingeschätzte Verletzungen in Zentren primär zugewiesen
>60 Jahre ab, ansonsten ist die Altersverteilung (. Tab. 2.8) oder dorthin verlegt werden. Dies kann eine Ursache für
der in den Erwachsenenzentren behandelten Patienten mit die sinkende Mortalität in den Zentren sein.
geringen Schwankungen konstant.
ABSI-Score
Der ABSI(»abbreviated burn severity index«)-Score wird
2.3.7 Verbrennungsschwere
verwendet, um die Schwere einer Verbrennung mittels
weniger Parameter zu umreißen (. Tab. 2.10). Er berück-
> Die Schwere der Verbrennung wird vorrangig
sichtigt:
bestimmt vom Ausmaß der verbrannten Körper-
4 verbrannte Körperoberfläche gesamt
oberfläche.
4 Alter
Hinzu treten aber auch weitere Faktoren, die die Über- 4 Inhalationstrauma
lebensrate beeinflussen wie z. B. das Alter, vorbestehende 4 Vorliegen Verbrennungen 3. Grades
Erkrankungen und Funktionseinschränkungen von Orga- 4 Patientengeschlecht
nen, das Vorliegen eines Inhalationstraumas, der Anteil
tief verbrannter Areale mit der Notwendigkeit ausgedehn- Innerhalb des Zeitraums von 2002 bis 2012 ist ein leichter
ter Hauttransplantationen und andere mehr. Rückgang des Scores zu beobachten. Auch dies belegt,

marcus.lehnhardt@rub.de
10 Kapitel 2 · Epidemiologie

. Tab. 2.8 Verteilung der in ein Brandverletztenzentrum aufgenommenen Patienten nach Altersgruppen im Zeitraum 2002 bis 2012

Jahr
2
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Altersgruppe
Anteil [%]
[Jahre]

<10 9,4 7,0 7,6 10,2 9,4 8,3 8,1 7,0 7,7 7,5 7,6

10–19 9,2 9,1 9,2 8,8 9,2 8,9 8,2 8,3 6,0 7,1 6,9

20–29 14,8 15,1 15,8 14,3 14,8 15,8 15,4 15,2 15,0 15,1 15,0

30–39 13,7 16,8 17,4 17,9 13,7 13,8 14,6 12,5 14,7 12,0 13,8

40–49 18,5 17,1 17,2 16,5 18,5 18,8 18,7 18,3 16,5 19,0 17,9

50–59 12,7 13,2 13,7 10,9 12,7 12,9 13,0 15,2 14,3 14,7 13,9

≥60 21,7 21,7 19,1 21,4 21,7 21,5 22,0 23,5 25,8 24,6 24,9

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

. Tab. 2.9 Verbrennungsausmaß bei Aufnahme im Brandverletztenzentrum im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Fallzahl [absolut] 1127 1423 1529 1799 1761 1791 1838 1900 1696 1855 1994

VKO gesamt [%] 22,5 23,0 20,8 20,5 18,4 18,6 17,2 17,0 17,3 19,7 18,4

2. Grad [%] 11,7 15,7 10,1 11,0 10,6 9,7 10,1 9,6 10,0 12,0 9,8

3. Grad [%] 10,1 13,3 10,4 8,8 7,3 8,1 6,6 6,7 6,8 7,1 8,0

Verbrennungsindex 64,5 58,7 63,1 65,8 57,9 58,3 62,4 60,6 58,0 57,1 55,1
(Alter + VKO)

VKO verbrannte Körperoberfläche


Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

. Tab. 2.10 ABSI-Score als Indikator für die Fallschwere bei Aufnahme im Brandverletztenzentrum

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

ABSI-Score [Mittel] 6,7 6,4 6,2 6,4 6,6 6,3 5,9 6,0 5,8 6,3 6,1

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

dass die Schwere der Verbrennung bei Aufnahme in den von ±2 Tagen. Zwischen den einzelnen Zentren waren die
Zentren leicht abgenommen hat. Schwankungen größer, hingen dort aber ganz wesentlich
von der Infrastruktur ab (Existenz einer Intermediate-
Care-Station etc.).
2.3.8 Liegezeit

Die Liegezeit auf den Intensivstationen der Brandver-


letztenzentren lag über den gesamten Zeitraum 2002 bis
2012 im Mittel bei 15,2 Tagen mit geringen Schwankungen

marcus.lehnhardt@rub.de
2.4 · Arbeitsunfälle
11 2
2.3.9 Verbrennungsentstehung, Unfall- in den eingeschlossenen Brandverletztenzentren zugenom-
zusammenhang und Unfallursache men hat (. Tab. 2.8). Die übrigen erfassten Ursachen sind
über die Beobachtungszeit recht konstant (. Tab. 2.12).
Ein Rückgang unter den Aufnahmen in Brandverletzten-
zentren ist bei den Arbeitsunfällen zu beobachten. Dies
deckt sich mit dem Rückgang der Arbeitsunfälle ins- 2.4 Arbeitsunfälle
gesamt. Im Jahr 2002 wurden 1187694 Arbeits- und Wege-
unfälle registriert, 2012 waren es 885009 mit kontinuier- Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV),
lichem Rückgang. Die Zahl der Schülerunfälle sank von in der die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zu-
1565562 im Jahr 2002 auf 1340454 im Jahr 2012 (Deutsche sammengeschlossen sind, führt Statistik zu den Arbeits-
Gesetzliche Unfallversicherung 2012). und Wegeunfällen. Die veröffentlichten Statistiken variie-
Dagegen stieg die Zahl der häuslichen Unfälle als ren in ihrer Zusammenstellung der Daten von Jahr zu Jahr
Unfallursache anteilig an. Suizide und kriminelle Delikte jedoch beträchtlich und geben nicht in jedem Jahrgang die
machen zusammen 4–6 % aller Brandverletzungen aus, die gleichen Datengrundlagen und Erfassungsgrundsätze
in Brandverletztenzentren aufgenommen werden, mit wieder. Ein von den anderen Jahrgängen herausragender
stärkeren Schwankungen in einzelnen Jahren, die durch Band wurde 2011 veröffentlicht (DGUV-Statistik Arbeits-
die prozentuale Ausweisung der Daten bei geringer abso- unfallgeschehen 2011). In ihm finden sich auch Diagnosen.
luter Zahl zustande kommen (. Tab. 2.11). Von insgesamt 887122 meldepflichtigen Unfällen im
Der Anteil an Verbrühungen hat zugenommen, ohne Jahr 2011 wurden 25918 (2,9 %) durch Verbrennung, Er-
dass der Anteil an behandelten Kindern und Jugendlichen frierung, Verätzung und Stromeinwirkung verursacht.

. Tab. 2.11 Zur Aufnahme in ein Brandverletztenzentrum führende Unfallzusammenhänge im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Unfall-
zusammenhang
Anteil [%]

Häuslicher Unfall 53,6 59,1 58,8 60,3 58,7 63,4 65,5 64,6 67,6 64,5 67,0

Arbeitsunfall 24,2 25,6 24,1 23,1 20,4 19,7 21,2 21,1 21,5 21,5 19,1

Verkehrsunfall 2,3 2,7 1,3 1,8 1,3 1,9 1,0 1,8 1,3 1,4 1,5

Suizid 5,8 5,8 6,1 4,8 3,8 3,5 3,9 4,3 3,1 4,4 4,4

Kriminell 1,4 1,0 1,3 1,3 1,4 1,0 1,3 1,1 1,3 1,3 1,2

Sonstige 12,7 5,8 8,4 8,7 14,4 10,5 7,1 7,1 5,2 6,9 6,8

Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

. Tab. 2.12 Zur Aufnahme in ein Brandverletztenzentrum führende Unfallzursachen im Zeitraum 2002 bis 2012

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Unfallursache
Anteil [%]

Verbrühung 16,7 17,8 22,5 24,4 20,7 27,5 26,4 25,6 27,1 23,6 24,2

Flamme 49,5 52,3 51,8 51,6 46,8 49,2 44,8 50,0 47,4 49,3 50,0

Kontakt 6,3 9,4 9,4 8,5 7,9 7,5 11,1 7,7 8,3 8,4 7,0

Strom 5,2 5,7 4,9 4,7 5,4 4,5 5,1 5,1 5,4 5,6 4,6

Explosion 9,4 9,7 10,4 8,8 11,2 8,7 10,2 9,0 7,9 10,0 11,2

Sonstige 12,9 5,1 1,0 2,0 8,0 2,6 2,4 2,6 3,9 3,1 3,0

Quelle: Datenerhebung der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin

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12 Kapitel 2 · Epidemiologie

Dies schließt auch alle ambulant behandelten Fälle ein. ten dort medizinische Hilfe in Krankenhäusern oder Not-
Von diesen 25918 Fällen waren 179 (0,7 %) so schwerwie- aufnahmen in Anspruch (American Burn Association
gend, dass sie zu einer Unfallrente führten; 15 Verletzte 2013). Das entspricht bei 317 Millionen Einwohnern
2 (0,1 %) starben an den Verletzungsfolgen. (United States Census Bureau, Stand Dezember 2013)
1,42 % der Bevölkerung.
Die stationären Aufnahmen lagen in den USA bei
2.5 Internationaler Vergleich 40000 Fällen gesamt (12,6 auf 100000 Einwohner), davon
30000 (9,5 auf 100000 Einwohner) in spezialisierten
Brandverletzungen stellen im weltweiten Vergleich nach Brandverletztenzentren. In Deutschland lagen die sta-
Verkehrsunfällen, Stürzen und Gewalt zwischen Per- tionären Aufnahmen gesamt bei 15161 Fällen (17,9 auf
sonen die vierthäufigste Verletzungsart dar (WHO 2004; 100000 Einwohner), davon in Brandverletztenzentren
WHO 2006). Der Anteil wird auf 1,1 pro 100000 Einwoh- 1994 Personen (2,3 auf 100000 Einwohner).
ner geschätzt. Die WHO-Mitgliedstaaten sind in sechs
> In den USA wurden 75 % aller stationären Brand-
WHO-Regionen gegliedert, die nicht mit den kontinenta-
verletzten in speziellen Zentren behandelt, in
len Grenzen und Staatengrenzen übereinstimmen: afrika-
Deutschland liegt der Anteil bei lediglich 13,2 %.
nische Region, amerikanische Region, Süd-Ost-Asien-
Region, europäische Region, ostmediterrane Region und In den USA verstarben 3400 der stationär behandelten
westpazifische Region. Brandverletzten an ihren Verletzungen, dies entspricht
einem Anteil von 8,5 %. In Deutschland starben 1,56 %
> Nach WHO-Angaben waren im Jahr 2004 weltweit
des Gesamtkollektivs und 10,1 % der in Brandverletzten-
etwa 11 Millionen Menschen so schwer verbrannt,
zentren Behandelten. Die Zahlen aus diesem Länder-
dass sie medizinische Hilfe in Anspruch nahmen
vergleich zeigen, dass in Deutschland mehr Patienten
(WHO 2014).
mit leichteren Verbrennungen in allgemeinen Kranken-
Für das Jahr 2008 gibt die WHO weltweit etwa 195000 To- häusern außerhalb der Brandverletztenzentren stationär
desfälle in Folge von Brandverletzungen an. Der wesentli- aufgenommen werden. Die Verteilung der Verstorbenen
che Anteil dieser Verletzungen ereignet sich in Ländern, belegt jedoch, dass die schwereren Verbrennungen mit
die von der Weltbank als Länder mit niedrigem Einkom- erhöhtem Sterberisiko auch weitgehend in die Brandver-
men oder als untere Gruppe der Länder mit mittlerem Ein- letztenzentren transferiert werden. Die Überlebensraten
kommen eingestuft werden. In diesen Ländern liegt der liegen auf vergleichbarem Niveau.
Anteil an Verbrennungen bis zu fünfmal höher als in den Eine umfangreiche Zusammenstellung der amerika-
Ländern mit hohem Einkommen. Die Sterblichkeit von nischen Zahlen findet sich bei Pruitt et al. (Pruitt 2002).
Kindern liegt in diesen Ländern bis zu siebenmal höher als Internationale und Schweizer Daten fasste de Roche zu-
in den Ländern der oberen Gruppe mit mittlerem Einkom- sammen (De Roche 2002). Überregionale oder landesweite
men und den Ländern mit hohem Einkommen (was weit- Zusammenstellungen für einzelne Jahrgänge oder über
gehend den entwickelten Industrieländern entspricht). längere Zeiträume finden sich u. a. für die Niederlande
Fast die Hälfte aller Verbrennungen weltweit ereignet sich (Dokter 2014), Großbritannien (Department for Commu-
in der Region Südostasien. nities and Local Government 2012), Türkei (Kut 2005),
Nach Zahlen für das Jahr 2013 der American Burn Iran (Sadeghi-Bazargani 2013), Mexiko (Orozco-Valerio
Association (ABA), die sich auch auf Daten der Amerika- Mde 2012), Bangladesh (Mashrekyemail 2011) und auf
nischen Statistikbehörde bezieht, nahmen 450000 Patien- Provinzebene in Indien (Kumar 2013).

. Tab. 2.13 Todesfälle durch Feuer nach WHO-Regionen

WHO-Regionen World Africa The Americas Eastern Europe South-East Western


Mediterranea Asia Pacific

Bevölkerung (×1000) 6737480 804865 915430 580208 889170 1760486 1787321

Todesfälle durch Feuer 195000 39000 8000 28000 20000 84000 16000

Todesfälle pro 0,29 0,48 0,09 0,48 0,22 0,48 0,09


100000 Einwohner

Quelle: (WHO 2004)

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
13 2
Weitere Länder verfügen über isolierte Daten aus je- Orozco-Valerio Mde J, Miranda-Altamirano RA, Méndez Magaña AC,
weils einem Zentrum für die Behandlung Brandverletzter, Celis A (2012) Tendencia de mortalidad por quemaduras en
Mexico, 1979-2009. [Trends in mortality by burns in Mexico,
die aber nicht repräsentativ für das Land sind (Adamo 1995;
1979-2009]. Gac Med Mex. 148:349–357
Barradas 1995, Oladele 2010), oder über Umfragen unter Peck MD, Kruger GE, van der Merwe AE, Godakumbura W, Ahuja RB
Zentren in einem kurzen Zeitabschnitt (Lancerotto 2011). (2008) Burns and fires from non-electric domestic appliances
Eine umfassende und kontinuierliche Datenerhebung in low and middle income countries Part I. The scope of the
bleibt im Bereich der Brandverletzungen eine anhaltende problem. Burns 34:303–311
Pruitt jr BA, Goodwin CW, Mason jr AD (2002) Epidemiological,
Herausforderung.
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Sadeghi-Bazargani H, Mohammadi R (2013) Unintentional domestic
Literatur burns in Iran: Analysis of 125000 cases from a national register.
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Adamo C, Esposito G, Lissia M, Vonella M, Zagaria N, Scuderi N (1995) Statistisches Bundesamt der Bundesrepublik Deutschland (2012)
Epidemiological data on burn injuries in Angola: a retrospective Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Kranken-
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care-basic data compiled by German burn centres, 1991-2000. gruppen, Vergleich der EU-15-Länder (pro 100000). Zitiert nach:
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Oladele AO, Olabanji JK (2010) Burns in Nigeria: a Review. Ann Burns
Fire Disasters 23:120–127

marcus.lehnhardt@rub.de
15 3

Strukturelle Rahmenbedingungen
für die Behandlung
Schwerbrandverletzter
Bert Reichert

3.1 Vorbemerkungen – 16

3.2 Strukturelle Anforderungen – 16


3.2.1 Strukturqualität – 16
3.2.2 Bauliche Ausgestaltung und Raumbedarf – 17
3.2.3 Personelle Ausstattung – 21

3.3 Belegungsmanagement – 22

Literatur – 22

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
16 Kapitel 3 · Strukturelle Rahmenbedingungen für die Behandlung Schwerbrandverletzter

3.1 Vorbemerkungen ren 2012 und 2013 wurden jeweils mehr als 6700 Patienten
im Alter ≤20 Jahre wegen einer Verbrennung stationär
Durch die Einrichtung spezialisierter Zentren zur Be- behandelt (Statistisches Bundesamt 2014), davon aller-
handlung brandverletzter Patienten konnte in den letzten dings nur etwa 1600 Kinder qualitätsgesichert durch
Jahrzehnten in Deutschland ein hoher Qualitätsstandard spezialisierte Zentren und Einrichtungen, die im Arbeits-
erreicht werden. Flächendeckend wird eine qualitativ kreis »Das schwerbrandverletzte Kind« und/oder in der
3 hochwertige Versorgung der Bevölkerung angeboten »Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbren-
(Müller 2002; Vogt 2007). nungsbehandlung« organisiert sind.
Parallel konnte die Überlebensrate der Patienten durch
> Neben die Sorge um das reine Überleben der
Fortschritte der Medizin, wie etwa neuartige Transplanta-
Patienten ist das Bemühen um eine möglichst gute
tionstechniken oder auch die Züchtung patienteneigener
posttraumatische Lebensqualität getreten.
Kulturhaut, gesteigert werden. Weiterentwicklungen re-
konstruktiver Techniken konnten dazu beitragen, Ampu- Spezifische Rehabilitationsmaßnahmen, die sich zwar
tationen von Gliedmaßen im Sinne des »life before limb« hauptsächlich auf schwerbrandverletzte Patienten kon-
zu reduzieren. zentrieren, grundsätzlich aber allen Brandverletzten ange-
Die Unfallverhütungsmaßnahmen der gesetzlichen boten werden sollten, sind bislang nur in wenigen Zentren
Unfallversicherungsträger haben maßgeblich dazu ge- anzutreffen.
führt, dass die Inzidenz thermischer und analoger Ver- Insgesamt sind schwere Verbrennungsverletzungen
letzungen kontinuierlich zurückging. Gleichzeitig waren seltene Unfallereignisse. Es ist daher sinnvoll, die Behand-
es gerade die Berufsgenossenschaften, die an ihren Unfall- lung auf wenige Zentren zu konzentrieren, da nur so ge-
krankenhäusern frühzeitig und konsequent Zentren für währleistet werden kann, dass jederzeit ausreichend erfah-
die Behandlung von Schwerbrandverletzten etablierten. renes Personal bereitsteht, um den besonderen Erforder-
Mit der im Jahr 2013 eingeführten Neustrukturierung nissen qualifiziert begegnen zu können.
der stationären Heilverfahren in der gesetzlichen Unfall- Als eine Fehlerquelle unter vielen sei die Neigung
versicherung wurde das Verletzungsartenverzeichnis des Unerfahrenen genannt, nur die äußerlich sichtbaren,
überarbeitet. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ver- oft dramatisch imponierenden Verletzungsfolgen wahr-
brennungsmedizin (DGV) herausgegebenen Empfeh- zunehmen, weitere Verletzungen aber zu übersehen. Es ist
lungen zur Verlegung brandverletzter Patienten in ent- daher von großer Bedeutung, dass Schwerbrandverletzte
sprechende Zentren (AWMF-Leitlinien-Register 2011) in Einrichtungen gelangen, in denen routinemäßig schwer-
wurden hierin übernommen und bilden die Grundlage verletzte Patienten untersucht und behandelt werden.
dafür, dass entsprechend verletzte Patienten grundsätzlich Neben Patienten mit thermischen Verletzungen im
dem Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) zugeord- Sinne schwerer und ausgedehnter Brand- oder Verbrü-
net werden müssen. Dementsprechend bleibt die Behand- hungsverletzungen profitieren auch andere von der Be-
lung berufsgenossenschaftlich Versicherter nur den hier- handlung in entsprechend ausgestatteten Einrichtungen.
für zugelassenen Einrichtungen überlassen. Neben solchen mit Verätzungen durch chemische Stoffe
und Patienten mit Verletzungen durch elektrischen Strom
> Kindliche Brandverletzungen unterscheiden sich
sind dies vor allem Fälle ausgedehnter exfoliativer Haut-
in verschiedener Hinsicht von den Entsprechungen
erkrankungen und exzessiver Weichteilverluste. Allen ge-
bei Erwachsenen. Leider ist festzustellen, dass die
mein ist die Besonderheit der kritischen Abhängigkeit von
Inzidenz leicht zunimmt.
möglichst keimarmer Lokalbehandlung durch entspre-
Vor allem Mängel in der Aufsicht, besonders der Klein- chend geschultes Personal in einem geeigneten Umfeld.
kinder, aber auch Misshandlungen sind hierfür ursächlich,
ein gesteigertes Maß an Aufklärung ist als Präventions-
maßnahme gefordert (Biasini 2014). 3.2 Strukturelle Anforderungen
Für kindliche Verbrennungen wird es zukünftig in ge-
nau definierten Fällen keiner Zentrumsnotwendigkeit 3.2.1 Strukturqualität
mehr bedürfen. Im Jahr 2014 wurde in der überarbeiteten
interdisziplinären Leitlinie zur Behandlung der Kinder Die verantwortungsvolle Behandlung von Schwerbrand-
eine zwischengeschaltete Begrifflichkeit eingeführt (»Spe- verletzten oder analog zu behandelnden Patienten stellt
zialisierte Klinik«). Sie soll der Tatsache Rechnung tragen, von Anfang an hohe Anforderungen, besonders auch an
dass in der Fläche bereits jetzt eine große Zahl stationärer die Strukturqualität. So naheliegend es zunächst sein mag,
Behandlungen bei kindlichen Verbrennungen erfolgen, in der Behandlung dieser Patienten nur eine von vielen
dies aber außerhalb der etablierten Strukturen. In den Jah- Varianten intensivmedizinischer Tätigkeitsfelder zu sehen,

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3.2 · Strukturelle Anforderungen
17 3
so entscheidend sind die besonderen Erfordernisse in der statt, drei von ihnen haben auch Mehrbettzimmer in Ge-
Versorgung dieser Patienten von angemessenen räum- brauch. Die Raumgröße schwankt zwischen 17 und 27 m2.
lichen und personellen Ressourcen abhängig. Solange Nur 56 % der Befragten geben an, dass sie die Raumgröße
Defektverletzungen der Körperoberfläche nicht stabil ab- in ihrer Einrichtung für ausreichend halten.
geheilt sind, besteht ein kritisch erhöhtes Risiko der Inoku- Weitere strukturelle Besonderheiten ergeben sich aus
lation von Infektionserregern, weswegen Verbandswechsel der Notwendigkeit, schwerbrandverletzte Patienten in un-
unter entsprechendem Personalaufwand und in entspre- mittelbarer räumlicher Nähe zur Intensiveinheit operieren
chend geräumigem Umfeld erfolgen müssen. zu können. Neben den kurzen Transportwegen spielen
hier auch technische Details wie die Möglichkeit, die
> Die Unterbringung in Einzelzimmern ist seit langem
Raumtemperatur sowohl in den Behandlungszimmern wie
obligat.
vor allem auch im OP selbst maximal erhöhen zu können.
Mittlerweile konnte nachgewiesen werden, dass die Über- Schwerbrandverletzte Patienten haben die Fähigkeit zur
tragung von multiresistenten Erregern wie MRSA, Pseu- Temperaturregulation weitgehend verloren.
domonas spp. oder auch Candida spp. im Einzelzimmer
seltener auftritt als in Mehrbettzimmern (Bracco 2007).
Auch wenn der letzte Beweis noch fehlt, ist es doch hoch 3.2.2 Bauliche Ausgestaltung
wahrscheinlich, dass Einzelzimmer die Übertragung von und Raumbedarf
Krankheitserregern auf Mitpatienten deutlich mindern
(Bartley 2010). Wenn man heute überlegt, auf Intensiv- In der Literatur finden sich keine wissenschaftlichen
stationen die Einzelpflege einzuführen, um der Ausbrei- Studien zur baulichen Minimalausstattung von Intensiv-
tung multiresistenter Erreger vorzubeugen, so ist dies in stationen hinsichtlich der Behandlungsqualität. Die um-
erster Linie für solche Bereiche zu erwägen, in denen fangreichen Angaben des American College of Critical
Schwerbrandverletzte behandelt werden. Die in jüngerer Care Medicine geben zur empfohlenen Flächengröße von
Zeit gehäuft beobachteten Ausbruchsereignisse mit hoch- Patientenzimmern keine Auskunft (Thompson 2012).
resistenten Erregern erzwingen unmittelbar entsprechen- Überhaupt werden für Brandverletztenstationen keinerlei
de Vorhaltungen (Siemers 2014). Spezifische Probleme Besonderheiten genannt. Man kann sich in der älteren
sind regelmäßig Inhalationstraumen, weswegen eine diffe- Literatur nur auf Empfehlungen mit niedrigem Evidenz-
renzierte Ventilationsbehandlung erfolgen muss. Nicht grad beziehen. So wurde im Jahr 2000 aus pflegerischer
selten treten schwerwiegende septische Komplikationen Sicht ein Grundriss von 4,5×4,5 m2 für ein Intensiveinzel-
auf, die Anwendung von Nierenersatztherapien ist häufig zimmer gefordert, auch mit Blick auf zunehmenden Platz-
erforderlich. Die Notwendigkeit überdurchschnittlich bedarf durch zukünftige Entwicklungen der Medizin-
großer Krankenräume ergibt sich aus dem außergewöhn- technik (Jastremski 2000).
lich großen Platzbedarf für die diversen Geräte. Gleich-
> Speziell in der Planung von Intensivstationen
zeitig muss es möglich bleiben, mit mehreren Personen
für die Behandlung Schwerbrandverletzter wird die
unter Einhaltung steriler Kautelen am Patienten arbeiten
Optimierung hygienischer Belange immer im
zu können.
Zentrum entsprechender Überlegungen stehen.
Berechtigte Vorgaben zum hygienischen Arbeiten
werden durch beengte Verhältnisse erschwert. Der Autor Obwohl die »Kommission für Krankenhaushygiene und In-
initiierte im Frühjahr 2015 eine netzbasierte Umfrage un- fektionsprävention« (KRINKO) beim Robert-Koch-Institut
ter den 26 deutschsprachigen Zentren für Schwerbrand- (RKI) regelmäßig Empfehlungen zu krankenhaushygie-
verletzte, 18 Einrichtungen nahmen teil. 50 % hatten min- nischen Maßnahmen herausgibt, fehlen diese für die Ver-
destens ein Ausbruchsereignis mit Übertragung multi- brennungsmedizin. Für die Definition der jeweiligen struk-
resistenter Erreger innerhalb der zurückliegenden drei turellen Minimalstandards muss im Einzelfall auf Beratun-
Jahre und waren dadurch gezwungen, die Station für Neu- gen durch Krankenhaushygieniker und Gesundheitsämter
aufnahmen zu sperren. In allen Fällen ließ sich als Auslöser zurückgegriffen werden.
ein Indexpatient identifizieren. 77 % gaben an, dass Über-
tragungen durch beengte Arbeitsbedingungen begünstigt > Allgemeine und detaillierte Anforderungen der
worden seien. Zur Vermeidung von Hygienefehlern sei Hygiene an die funktionelle und bauliche Gestaltung
daher eine minimale Raumgröße zu fordern. 70 % gaben von Einheiten für Intensivmedizin lassen sich aus
an, dass die Besonderheiten in der Behandlung Schwer- den im Jahr 1995 im Bundesgesundheitsblatt publi-
brandverletzter einen größeren Raumbedarf erfordern als zierten »Richtlinien für Krankenhaushygiene und
operative Intensivstationen üblicherweise bieten. In 83 % Infektionsprävention« des RKI entnehmen (Robert-
der Zentren finden die Behandlungen in Einzelzimmern Koch-Institut 2015).

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18 Kapitel 3 · Strukturelle Rahmenbedingungen für die Behandlung Schwerbrandverletzter

Dort werden Patienten mit Verbrennungen als »Intensiv- 4 vom Bettfußende 1,60 m
behandlungspatienten, die in besonders hohem Maße in- 4 vom Bettkopfende zur Wand 0,80 m
fektionsgefährdet sind, unabhängig davon, ob sie selber 4 von der Bettlängsseite zur Wand 1,50 m
eine Infektionsquelle sein können« beschrieben und in die
Kategorie mit den höchsten Anforderungen eingeordnet Den zuvor genannten Überlegungen folgend, heißt es
(A1). Allgemein heißt es u. a.: außerdem:
3 »Infektionsgefährdete Patienten sind von den Pa- »Entsprechend dem apparativen Aufwand könnte zu-
tienten, die eine Infektionsquelle darstellen, zu isolieren; sätzlicher Raumbedarf erforderlich sein.«
ggf. kann eine gesonderte Einheit für die jeweilige Patien- Folgt man dieser Aussage, ist die Frage relevant, wie
tengruppe zweckmäßig sein. Darüber hinaus können wei- denn eigentlich der apparative Aufwand speziell für die
tere fachspezifische Intensiveinheiten, Verbrennungs- und Intensivbehandlung Schwerbrandverletzter aussieht. Das
Vergiftungseinheiten auch aus hygienischen Gründen not- Ergebnis einer entsprechenden Erfassung hat am Klinikum
wendig sein. Intensiveinheiten sollen aus krankenhaus- Nürnberg zu den in . Tab. 3.1 aufgelisteten Gegenständen
hygienischen Gründen in personeller und apparativer geführt.
Ausstattung weitgehend als autarke Einheiten geführt wer- In . Abb. 3.1 wird ein Raumplan vorgestellt, der einer-
den. Intensiveinheiten sollen sich in der Nähe und auf der seits den Flächenbedarf der aufgeführten Geräteausstat-
gleichen Ebene derjenigen Behandlungseinheiten (Opera- tung und des Pflegebetts berücksichtigt, und zum anderen
tionsabteilung) befinden, aus deren Bereich die betreffen- den Arbeitsbereich des Personals, das am Patienten tätig
den Patienten vorwiegend kommen.« ist. Gedacht ist hier an die Situation eines Verbandswech-
Hinsichtlich des Raumbedarfs wird darauf verwiesen, sels am beatmeten, schwerbrandverletzten Patienten. Be-
dass Intensiveinheiten unabhängig von ihrer Größe aus wusst soll hier ein maximaler Personal- und Apparate-
hygienischen Gründen eine funktionsgerechte räumliche
Mindestausstattung haben müssen.
»Da in Intensiveinheiten hohe medizinische, geräte- . Tab. 3.1 Grundfläche der unverzichtbaren Geräte und
technische und personelle Anforderungen bestehen, ist der Gegenstände im Patientenzimmer im gegebenen Behand-
lungsszenario
räumliche Bedarf wesentlich größer als der für allgemeine
Pflegeeinheiten. Patienten der Gruppe A1 sollen auf fach-
Breite Länge
spezifischen Sondereinheiten untergebracht werden. Ein (cm) (cm)
Patient der Gruppe A1 oder A2 muss in einem Einzelraum
mit Vorraum isoliert werden. Der Vorraum dient zum An- Verbandstisch 55 75
und Ablegen der patientenbezogenen Schutzkleidung, für Rollwagen silber 65 85
unreine Arbeiten und zur Entsorgung. Die Vorräume der
Müll 45 45
Krankenzimmer dienen als Kontakt- und Luftschleusen.
Wäscheabwurf 45 65
Aus Überwachungsgründen empfiehlt es sich, die Zwi-
schenwände teilweise zu verglasen. In den Vorräumen sind Nachtisch 50 60
Einrichtungen zur Händedesinfektion und zum Wechseln Nachtisch ausgeklappt 50 120
der Schutzkleidung sowie Einrichtungen für unreine Arbei-
Ampel mit Perfusoren 45 100
ten und zur Entsorgung vorzusehen (Aufbereitung von
Infusionsständer 70 70
Steckbecken; Zwischenlagerung von kontaminierten
Gütern wie Wäsche, Utensilien, Abfälle; Spülbecken). Beatmungs-/Anästhesieturm 100 120
Die Erfahrung zeige, dass die Nebenräume in einer In- Mülleimer klein 50 50
tensiveinheit häufig zu klein bemessen sind. Ihre Größe
Pflegewagen 85 90
müsse daher der Größe der Intensiveinheit angemessen
Waschtisch (Ab-/Zuwasser separat) 60 120
sein. Auf Intensivbehandlungseinheiten seien Kranken-
hausinfektionen etwa drei- bis viermal häufiger als im Ge- Dialyse 60 70
samtdurchschnitt eines Krankenhauses. Da Mehrbettzim- Mobilisationsstuhl 80 100
mer die Keimübertragung begünstigen, seien vorwiegend
Patientenbett 100 210
Einbetträume erforderlich. Einrichtungen zur Hände-
Patientenbett ausgeklappt 100 250
desinfektion und ein Waschbecken seien in allen Kranken-
räumen erforderlich. Hocker 50 50
Aus Gründen der intensivmedizinischen Versorgung Bari-Air 120 235
seien im Einzelzimmer folgende Mindestabstände zur
Toilettenstuhl 65 70
Wand geboten:

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3.2 · Strukturelle Anforderungen
19 3

Ampel mit
Infusions- Perfusoren

(ausgeklappt)
ständer

Nachttisch
Beatmungsturm
Anästhesist

Dialyse
Chirurg

Pflege 2
Spezialbett
5m
Müll

Wäsche-
abwurf
1 e
fleg

Müll
P

Verbands-

Waschtisch
tisch
Pflegewagen

Springer
Rollwagen

22,5 m2
4,5 m
. Abb. 3.1 Anzunehmender Raumbedarf im Fall eines aufwendigen Verbandswechsels an einem schwerbrandverletzten, beatmeten Patienten

aufwand simuliert werden, denn nur so lässt sich ein Be- systemen und durch Geräte, die fakultativ an das Kran-
rechnungsansatz für die minimal notwendige Grundfläche kenbett herangebracht werden müssen (z. B. Endoskopie,
eines Patientenzimmers ableiten. Ultraschalldiagnostik, Echokardiografie).
Die erwähnte Richtlinie des Robert-Koch-Instituts be- »Aus hygienischen Gründen müssen Flächen und Aus-
nennt weitere relevante Anforderungen, beispielsweise zu stattung so bemessen sein, dass eine Übertragung von In-
Arbeitsräumen, Vorrats- und Lagerräumen, Aufenthalts- fektionserregern, soweit möglich, ausgeschlossen werden
räumen, Umkleiden, Warteräumen, Ver- und Entsorgungs- kann. Diese Forderung kann räumlich im Wesentlichen
schleusen. durch ausreichenden Abstand zwischen den Betten und der
Nachdem seitens der Bundesländer Bedenken geäußert Möglichkeit der Isolierung von Patienten erfüllt werden.
worden waren, ob aus Gründen der Infektionsprävention Für den Raumbedarf einer Intensivpflegeeinheit ist es also
Mindestabmessungen von Krankenräumen tatsächlich an- entscheidend, in welchem Zahlenverhältnis Intensivüber-
gegeben werden können und Erklärungsbedarf hinsichtlich wachungs- zu Intensivbehandlungspatienten stehen und
der Anforderungen an bestehende Intensiveinheiten be- welcher Umfang an Intensivbehandlung vorgesehen ist. Bei
stehe, fügte das RKI 1998 ergänzende Stellungnahmen hin- Neu-, Um- und Erweiterungsbauten von Intensiveinheiten
zu (Robert-Koch-Institut 1998): Der Basisflächenbedarf dürfen daher für A1- und A2-Patienten die angegebenen
für die Intensivüberwachung umfasse die erforderlichen Raummaße nicht unterschritten werden. Da die räumliche
Flächen für Pflege, Monitoring und Dokumentation. Für Gestaltung erheblichen Einfluss auf den Betriebsablauf
die Intensivbehandlung müsse diese Basisfläche um die einer Intensivstation und die Personalzuordnung haben,
erforderlichen Flächen für die apparative Behandlung sind Raumplanungskonzepte zu bevorzugen, die flexible,
von gestörten Vitalfunktionen, z. B. für Beatmungsgeräte, an den jeweiligen Bedarf orientierte Lösungen bieten,
Nierenersatzverfahren, kreislaufunterstützende Systeme, idealerweise z. B. die Möglichkeit, nach dem jeweiligen Er-
vergrößert werden. Zusätzlicher Raum werde beansprucht fordernis Behandlungseinheiten von einem oder mehreren
durch den steigenden Umfang an Patientenmanagement- Betten zu bilden. (Robert-Koch-Institut 1998)«

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20 Kapitel 3 · Strukturelle Rahmenbedingungen für die Behandlung Schwerbrandverletzter

Heute weiß man allerdings auch, dass eine großzügige Die Bauplanung im Krankenhaus muss auch Gesichts-
Flächenbereitstellung hygienische Nachteile haben kann. punkte des Arbeitsschutzes beachten. Den Empfehlungen
Ein Patientenzimmer mit großer Grundfläche enthält der DGUV folgend, müssen Überlegungen zur erforder-
mehr Gegenstände mit Berührungsoberflächen, die kon- lichen Raumgröße bei Intensivstationen folgende Aspekte
taminiert sein können und steigert damit auch das Risiko beachten (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2011):
der Keimübertragung auf andere Personen. Außerdem ist 4 Bewegungsflächen der Beschäftigten am Arbeitsplatz
3 es erheblich aufwändiger, große Räume adäquat zu reini- 4 Flächen für Verkehrswege einschließlich Flucht-
gen, was das Kontaminationspotenzial weiter erhöht. wegen und Gängen zu den Arbeitsplätzen und zu
Schließlich ist bekannt, dass mit der Raumgröße die Ge- gelegentlich benutzten Betriebseinrichtungen
fahr der Kontamination mit Clostridium difficile positiv 4 Stellflächen für Arbeitsmittel, Einbauten und Ein-
korreliert (Jou 2015). richtungen
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Inten- 4 Funktionsflächen für alle Betriebs- bzw. Benut-
siv- und Notfallmedizin (DIVI) bezieht sich bei ihren zungszustände von Arbeitsmitteln, Einbauten und
Empfehlungen zur baulichen Ausstattung auf die be- Einrichtungen
reits zitierten Vorgaben des RKI, ergänzt mit Blick auf die 4 Flächen für Sicherheitsabstände, soweit sie nicht
Empfehlungen der DGV aber, dass für Spezialeinrich- bereits in den Stell- oder Funktionsflächen berück-
tungen wie Verbrennungsintensivstationen zusätzliche sichtigt sind.
bauliche Voraussetzungen erforderlich sein könnten
(Jorch 2010). Bewegungsflächen sind zusammenhängende unverstellte
Die DGV formuliert hierzu (Deutsche Gesellschaft für Bodenflächen am Arbeitsplatz, die mindestens erforder-
Verbrennungsmedizin 2001): Die Brandverletztenzentren lich sind, um den Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit wech-
sollten über folgende baulich-apparative Ausstattung ver- selnde Arbeitshaltungen sowie Ausgleichsbewegungen
fügen: zu ermöglichen. Deren Fläche soll mindestens 1,50 m2 be-
4 Personenschleuse tragen.
4 Material- und Bettenschleuse
> Speziell bei Brandverletzten ist von größter Be-
4 heizbarer Aufnahme- und Schockraum mit Vorhalten
deutung, dass alle Personen, die am Patienten tätig
aller Geräte für Reanimation oder sofortige Intensiv-
werden, die Hygienestandards beachten. Nach-
therapie (Beatmungsgerät, Pulsoxymeter, hämodyna-
lässigkeiten in diesem Bereich können auch durch
mische Überwachung, Bronchoskopie, Ultraschall)
noch so aufwendige bauliche Rahmenbedingungen
und direkt angegliedert
nicht kompensiert werden (Dettenkofer 2004).
4 eine Intensivüberwachungs- und Behandlungsein-
heit mit mindestens vier Betten mit Einzelzimmern Die Working Group on Quality Improvement (WGQI) der
und der Möglichkeit maximaler Intensivtherapie European Society of Intensive Care Medicine hat im
4 chirurgischer Behandlungs-/Verbandsraum mit der Jahr 2011 Empfehlungen an die strukturelle Basisaus-
Möglichkeit der Hydrotherapie stattung von Intensivstationen publiziert. Einbettzimmer
4 Operationseinheit innerhalb der Brandverletzten- sollten auf der Intensivstation grundsätzlich eine Mindest-
station mit täglicher Operationsmöglichkeit fläche von 25 m2 haben (Valentin 2011). Die Grundfläche
4 Möglichkeit der kontinuierlichen bakteriologischen könne rechteckig sein, eine »Verkehrsradius« von mindes-
Überwachung tens 2,5 m sei aber jenseits der eigentlichen Bettenzone er-
4 Einrichtung zur kontinuierlichen arteriovenösen forderlich. Spezialisierte Räume, zu denen die einer Brand-
Hämofiltration bzw. Dialyse verletztenstation zählen, bedürfe zusätzlich eines Vorraums
4 Fotodokumentation mit mindestens 3 m2 Flächengröße (zur Händedesinfek-
tion, Ankleide, Lagerung steriler Materialien usw.).
Bezogen auf strukturelle Belange hat die European Burns Möglicherweise werden künftig auch weitere Aspekte
Association (EBA) eigene Forderungen zu einem Minimal- bei der baulichen Gestaltung von Intensivstationen be-
standard formuliert (Beerthuizen 2013). Danach soll ein stimmend sein (Putz 2014). Raumwirkung und deren
Verbrennungszentrum vorhalten: Einfluss auf das physische Befinden seien »Stiefkinder der
4 fünf Behandlungsplätze für Patienten mit schweren sogenannten Krankenhausarchitektur«, insbesondere auf
Verbrennungsverletzungen Intensivstationen. Die Wirkung des Raumes könne durch
4 Sicherstellungsmöglichkeit einer hohen Raum- verschiedene Faktoren ein Gefühl des Ausgeliefertseins
temperatur und klimatischer Kontrolle erzeugen, das Stress auslöst. Erste Ansätze, auf die Bedürf-
4 gänzliche Isolierbarkeit der Einrichtung nisse und das subjektive Erleben des Patienten einzugehen,
4 angemessene Intensivüberwachung wurden in jüngster Zeit an der Charité umgesetzt.

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3.2 · Strukturelle Anforderungen
21 3
3.2.3 Personelle Ausstattung wirksame Medikamente u. v. m. Sie bieten dem Patienten
und dessen Angehörigen emotionale Unterstützung. Pfle-
Das »Burn-Team« setzt sich aus Vertretern verschiedener gepersonen sind typischerweise die ersten, die Verände-
Disziplinen und Berufsgruppen zusammen. Wie für ande- rungen bei den Patienten bemerken und Anpassungen in
re Bereiche intensivmedizinischer Versorgung gilt auch der Behandlung veranlassen (Greenfield 2010). Komplika-
hier: kritisch kranke Intensivpatienten müssen interdis- tionen treten häufiger bei ungünstiger Pflegeausstattung
ziplinär betreut werden, also ist eine gute interdisziplinäre auf, insbesondere bei unerfahrenem Personal (Jorch 2010).
und interprofessionelle Kooperation essenziell. Gemeint Nach der Definition der bereits erwähnten WGQI der
ist ein »interaktiver multidisziplinären Prozess zwischen European Society of Intensive Care Medicine entsprechen
Angehörigen der Gesundheitsberufe, der durch gemein- schwerbrandverletzte Patienten dem höchsten »level of
same Ziele, Entscheidungsfindung, Verantwortlichkeiten care« (LOC): Grad III, für welchen grundsätzlich eine
und kollegiale Zusammenarbeit zum Zweck der optimalen Eins-zu-eins-Pflege empfohlen wird (Valentin 2011).
Patientenversorgung charakterisiert ist. Schlüsselanforde-
> In einer weltweit durchgeführten retrospektiven
rungen sind folglich Problemorientierung, Zusammenar-
multizentrischen Studie an 13796 erwachsenen
beit und das Teilen von Informationen« (Nierhaus 2014).
Patienten konnte nachgewiesen werden, dass ein
> Im Idealfall besteht ein Burn-Team neben den un- hohes Pflegepersonal-zu-Patient-Verhältnis mit
mittelbar verbrennungsspezifisch Versorgenden aus einem deutlichen geringeren Mortalitätsrisiko ver-
Epidemiologen, Molekularbiologen, Mikrobiologen, bunden ist (Sakr 2015).
Physiologen, Biochemikern, Pharmakologen, Patho-
Aufgrund der hohen Arbeitsdichte, aber auch wegen der
logen, Endokrinologen, Ernährungsspezialisten
Gefahr einer Keimübertragung fordert die EBA für jeden
sowie weiteren Experten (Al-Mousawi 2012).
Intensivpatienten auf einer Verbrennungs-Intensivstation
Zur Kernmannschaft zählen Verbrennungschirurgen, In- eine eigene Pflegekraft (Beerthuizen 2013). Auch wenn die
tensivmediziner, Pflegepersonen, Krankengymnasten und DGV seit langem ähnliches propagiert (Deutsche Gesell-
Ergotherapeuten. Bei gestiegenen Überlebensraten tritt schaft für Verbrennungsmedizin 2001), entspricht dies aus
die Bedeutung von Psychologen und Psychotherapeuten verschiedenen Gründen nicht der aktuellen Versorgungs-
sowie Psychiatern stärker in den Vordergrund. Kinder be- wirklichkeit in Deutschland. Letztlich fehlen wissenschaft-
nötigen eigene Spezifika, darunter z. B. pädagogisches Per- liche Grundlagen für eine klare Empfehlung dieses Pflege-
sonal (Biasini 2014). schlüssels. Die DIVI fordert mit einem Empfehlungs-
Die Endverantwortung in der Behandlung von schwer- grad 1C bei speziellen Situationen wie schweren Verbren-
brandverletzten Patienten liegt üblicherweise in der Hand nungen und einem Anteil von >60 % an Patienten mit
des chirurgisch Tätigen, denn die Kausaltherapie der Ver- Organersatzverfahren (z. B. Beatmung, Nierenersatzver-
brennungsverletzung ist chirurgisch. Daher sind im Allge- fahren) eine erhöhte Präsenz von Pflegepersonal bis zu
meinen Fachärzte für Plastische und Ästhetische Chirurgie einer Pflegekraft pro Bettenplatz pro Schicht.
mit besonderer Erfahrung in der Notfall- und Intensivme- Mehr noch als in anderen Bereichen finden sich auf
dizin Leiter der Verbrennungszentren (Beerthuizen 2013; Intensivstationen für Schwerbrandverletzte solche Men-
Müller 2002). Anästhesisten als Experten für die Erken- schen in der Gruppe der Pflegenden, die in besonderem
nung veränderter physiologischer Parameter infolge der Maße die erheblichen Anstrengungen, die die oft sehr
Verbrennung, aber auch unter dem Einfluss zahlreicher langdauernden Erholungsphasen der Patienten erfordern,
chirurgischer Maßnahmen, müssen als Intensivmedizi- außerordentlich motiviert leisten. Solche Personen erleben
ner mit den Besonderheiten der Verbrennungskrankheit ihre Arbeit als besonders erfüllend, sie wechseln häufig
vertraut sein. Die Steuerung und Entwöhnung von der nicht mehr in andere Bereiche innerhalb des Kranken-
maschinellen Beatmung ist in einem Kollektiv mit einem hauses. Schon allein aus diesem Grund findet man speziell
hohen Anteil pulmonaler Schädigungen eine weitere unter den Pflegenden überdurchschnittlich häufig Mit-
Herausforderung für Anästhesisten. Besondere Bedeutung arbeiter mit besonders ausgeprägter Berufserfahrung.
tragen sie in der Schmerzbekämpfung auch außerhalb der Weil dieser Umstand wesentlich zur Behandlungsqualität
eigentlichen operativen Maßnahmen, beispielsweise bei beiträgt, sollte man auf konstant gute Arbeitsbedingungen
schmerzhaften Verbandswechseln. achten (Dembicki 1989). Gleichzeitig werden ausge-
Gesundheits- und Krankenpfleger stehen als größte wählte andere Mitarbeiter aus der Pflege durch die Arbeit
Personengruppe im Burn-Team im Zentrum des Ge- auf einer Intensivstation für Schwerbrandverletzte emo-
schehens. Sie gewährleisten die ununterbrochene Pflege, tional stark belastet oder gar überfordert, so dass sie den
beobachten die Patienten, überwachen und steuern die oft besonderen Bedürfnissen der Brandverletzten nicht ge-
lebensnotwendigen Therapiegeräte, verabreichen hoch- recht werden können. Es kann erforderlich sein, solchen

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22 Kapitel 3 · Strukturelle Rahmenbedingungen für die Behandlung Schwerbrandverletzter

Mitarbeitern den Wechsel in andere Bereiche nahezulegen Biasini A, Biasini M, Stella M (2014) Intensive care of children with burn
(Müller 2002). injuries and the role of the multidisciplinary team. 2. Nurs. Child
Young. People 26:27–30
So frühzeitig wie nur möglich müssen physiotherapeu-
Bracco D, Dubois MJ, Bouali R, Eggimann P (2007) Single rooms
tische Behandlungen erfolgen, um Funktionsverlusten may help to prevent nosocomial bloodstream infection
vorzubeugen. Im Verlauf tritt die frühe aktive Mobilisation and cross-transmission of methicillin-resistant Staphylococcus
hinzu. Die Gruppe der Physio- und Ergotherapeuten steht aureus in intensive care units. Intensive Care Med 33:836–840
3 daher ebenfalls im Mittelpunkt der Arbeit am Patienten. Büttemeyer R, Steen M, Henkel VD, Germann G (2004) Establishing
a baseline for organisation and outcome in burn care-basic
data compiled by German burn centres, 1991–2000. Burns 30:
115–120
3.3 Belegungsmanagement Dembicki R, Varas R, Hammond J (1989) Burn nurse retention.
Elements of success 1. J Burn Care Rehabil 10:177–180
Die DIVI formuliert: für die Aufnahme, die Triage (im Falle Dettenkofer M, Seegers S, Antes G, Motschall E, Schumacher M,
Daschner FD (2004) Does the architecture of hospital facilities
von Bettenengpässen) und die Entlassung sollen Kriterien
influence nosocomial infection rates? A systematic review.
schriftlich formuliert sein (Empfehlungsgrad 1C). Die 5. Infect. Control Hosp. Epidemiol 25:21–25
Intensivtherapiestation soll an einem externen Qualitäts- Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (2001) Empfeh-
vergleich teilnehmen (Empfehlungsgrad 1C; Jorch 2010). lungen der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V.
Letzteres ist in Deutschland aufgrund der hier erhobenen zur strukturellen und personellen Ausstattung von Brandver-
jährlichen Daten gegeben (Büttemeyer 2004). Derzeit wird letztenzentren. www.Verbrennungsmedizin.de/Leitlinien-Per-
sonelle-Ausstattung.php
ein Verbrennungsregister aufgebaut, welches eine prospek-
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2011) Neu- und Umbau-
tive Datenerfassung erlauben wird. planung im Krankenhaus unter Gesichtspunkten des Arbeits-
Um die intensivmedizinische Versorgung aller Pa- schutzes. BGI/GUV-I 8681-1 edn. Berlin: DGUV
tienten gewährleisten zu können, kann hausintern eine am Greenfield E (2010) The pivotal role of nursing personnel in burn care.
Bettenbedarf orientierte Fremdbelegung auch auf einer 1. Indian J Plast Surg 43:S94–S100
Jastremski CA (2000) ICU bedside environment. A nursing perspective.
Intensivstation für Schwerbrandverletzte erfolgen, solange
Crit Care Clin 16:723–734, xi
die Aufnahmebereitschaft für Brandverletzte dadurch nicht Jorch G, Kluge S, König F, Markewitz A, Notz K, Parvu V, Quintel M,
beeinträchtigt wird und eine Gefährdung von Verbren- Schneider D, Sybrecht GW, Waydhas C (2010) Empfehlungen
nungspatienten ausgeschlossen werden kann. Diese wäre zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen. Deutsche
beispielsweise gegeben, wenn das Pflegepersonal durch Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
Jou J, Ebrahim J, Shofer FS, Hamilton KW, Stern J, Han JH (2015)
andere Patienten in einer Weise belastet würde, dass sie die
Environmental transmission of Clostridium difficile: association
Belange ihrer originären Patienten vernachlässigen müsste, between hospital room size and C. difficile Infection. Infect.
oder wenn durch Patienten aus anderen Fachrichtungen Control Hosp Epidemiol 36:564–568
Hygieneprobleme durch Keimübertragung drohten. Müller FE (2002) Voraussetzungen für die Behandlung Brandverletzter
Deutschlandweit melden die jeweiligen Zentren die in einem Zentrum – Ethische Fragen und Entscheidungen. In:
Anzahl freier Behandlungsplätze zentral bei der Feuer- Bruck JC, Müller FE, Steen M (Hg) Handbuch der Verbrennungs-
therapie. Landsberg ecomed: pp34–42
wehr in Hamburg. Eine tagesaktuelle Übersicht über die Nierhaus A, De Heer HG, Kluge S (2014) Konzept einer Klink
aufnahmebereiten Brandverletztenzentren ist unter der für Intensivmedizin. 1. Med Klin Intensivmed Notfmed 109:
Telefonnummer 040/42851-3998 zu erfragen (http://www. 509–515
hamburg.de/feuerwehr/108006/brandbettenvermittlung- Putz W, Hoheisel G, Willmeit T, Krückeberg L (2014) Parametrische (T)
feuerwehr-hamburg/). Raumgestaltung – Architektur von Intensivstationen.
DBZ 62(4):72–74
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In: Total Burn Care (Ed. by D.N.Herndon). Edinburgh: Saunders »Anforderungen der Hygiene an die funktionelle und bauliche
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25 4

Infektionsprävention
Heinz-Michael Just

4.1 Einleitung – 26

4.2 Epidemiologie – 26

4.3 Risikofaktoren – 27

4.4 Präventionsmaßnahmen – 28
4.4.1 Normative Grundlagen – 28
4.4.2 Organisation – 29
4.4.3 Maßnahmen – 30
4.4.4 Surveillance – 34
4.4.5 Multiresistente Infektionserreger – 34

Literatur – 35

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
26 Kapitel 4 · Infektionsprävention

4.1 Einleitung
. Tab. 4.1 Inzidenzdatenvergleich Deutschland/USA
(Infektionen/1000 Anwendungstage)
Patienten mit Brandverletzungen sind im besonderen
Maße infektionsgefährdet, weil durch die Verbrennung Datenquelle
4 die Haut als natürliche Barriere gegen das Eindringen
von Mikroorganismen meist großflächig geschädigt ist KISS NHSN Weber
(Dudeck 2014
4 physiologische, endokrinologische und immuno-
2013)
logische Stressreaktionen ausgelöst werden
4 4 bei chemisch bedingten Ursachen zusätzlich toxische Atemweginfektion
Schädigungen die Abwehr beeinträchtigen können – Tracheobronchitis 1,91 (2,87)* 1,46
> Haben Verbrennungspatienten die Akutphase – HAP 2,87 0,197
überlebt, sind Infektionen die größte Bedrohung und
– VAP** 8,72 4,4 4,16
für etwa 75 % der in Folge noch zu verzeichnenden
Mortalität verantwortlich. Sechs der zehn häufigsten Wundinfektion

Komplikationen sind Infektionen. – Cellulitis 0,252

Unterschieden wird dabei zwischen frühen Infektionen – (postoperative) **


Wundinfektion
und späten, d. h. erst im Laufe der stationären Behandlung
auftretenden Infektionen. Letztere sind primär Infektio- Sepsis
nen des Blutes (Sepsis), der Lungen, von Wunden und des – ZVK-assoziiert 3,08 3,4 1,92
Harntraktes, wobei Beatmungspneumonien und sekun-
– sekundär 0,084
däre Hautweichteilinfektionen am häufigsten vorkommen.
Die späten Infektionen gelten gemäß § 2 Nr. 8 Infektions- Harnweginfektion
schutzgesetz (IfSG) als nosokomiale Infektionen, da sie – katheterassoziiert 3,28 4,7 2,31
»im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären […]
– sekundär 0,224
medizinischen Maßnahme« stehen.
* bei invasiver Beatmung (nichtinvasiver Beatmung)
** 12 % aller Infektionen; Inzidenz nicht angegeben
4.2 Epidemiologie HAP „hospital acquired pneumonia“; KISS Krankenhaus-Infek-
tions-Surveillance-System; NHSN National Healthcare Safety
Network; VAP „ventilator associated pneumonia“
Für Patienten mit Brandverletzungen existieren neben
zeitlich begrenzten, in der Regel retrospektiv durchgeführ-
ten Untersuchungen nur wenige Übersichtsarbeiten mit
der Konsequenz zwar identischer Infektionslokalisationen, komialen Infektionen erfasst seit Januar 2009 in einem
aber je nach Erfassungsart, unterschiedlicher Infektions- eigenen Modul fremdkörperassoziierte Infektionen bei
definitionen und daraus resultierend weit auseinander- Brandverletzten (http://www.nrz-hygiene.de/fileadmin/
liegender Inzidenzen. Eine Analyse über 10 Jahre an einer nrz/module/its/200901_201312_BRANDVERLETZTE_
amerikanischen Universitätsklinik erbrachte, dass 11 % ITSRef.pdf). Die deutsche KISS-Erfassung (Krankenhaus-
aller Patienten einer Verbrennungsstation nosokomiale Infektions-Surveillance-System) ist vergleichbar mit
Infektionen entwickeln mit einer Inzidenz von 14,7 Infek- dem in den USA etablierten Erfassungssystem des NHSN
tionen pro 1000 Patiententage (Alp 2012). Dabei waren (National Healthcare Safety Network). Beide Surveillance-
Wundinfektionen mit 56 % am häufigsten gefolgt von Systeme erfassen aber nicht alle relevanten Infektionen,
Harnweginfektionen (18 %) und Sepsis (17 %). Getrennt sondern beschränken sich auf bestimmte Risiken, in erster
davon werden Infektionen durch zentrale Venenkatheter, Linie auf Infektionen in Zusammenhang mit Fremd-
die in den meisten Erfassungssystemen als (primäre) körpern (»devices«). Nach den Erfassungen der Autoren
Gefäßkatheter-Sepsis der Sepsis zugerechnet werden, mit Weber et al. (Weber 2012) schätzen diese, dass mit der
weiteren 6 % angegeben. Pneumonien rangieren mit 4 % NHSN-Surveillance nur etwa 50 % der nosokomialen
am Schluss der Auflistung. . Tab. 4.1 zeigt einen Vergleich Infektionen in einer Klinik der Maximalversorgung er-
der KISS-Daten mit US-amerikanischen Daten. fasst werden.
Das IfSG schreibt für Deutschland seit dem Jahr 2000 Für Deutschland zeigt die KISS-Erfassung, dass auf
für operativ tätige Fachabteilungen eine Infektionserfas- Brandverletzenintensivstationen verglichen mit anderen
sung als Qualitätssicherungsmaßnahme verpflichtend vor. Intensivstationen die höchsten fremdkörperassoziierten
Das Nationale Referenzzentrum für Surveillance von Noso- (VAP, HWK und ZVK-Sepsis) Infektionsraten auftreten.

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4.3 · Risikofaktoren
27 4

. Tab. 4.2 Erregerverteilung nach KISS bei zwei fremdkörperassoziierten Infektionen auf der Basis von 46073 Patiententagen
(3522 Patienten) auf 11 Brandverletztenstationen im Zeitraum 2010 bis 2014

Erreger Absolute Infektionszahlen (Anteil in % an Infektionsgesamtzahl)

Harnwegkatheterassoziierte Beatmungsassoziierte
Harnweginfektionen* Atemweginfektion*

Escherichia coli 37 (36,27) 24 (18,18)

– ESBL_ECO (Anteil an Escherichia coli) 1 (2,70) 3 (12,50)

Enterococcus spp. 17 (16,67) 3 (2,27)

– Enterococcus spp.** 5 (4,90) 0

Staphylococcus aureus 6 (5,88) 41 (31,06)

– MRSA (Anteil an Staphylococcus aureus) 1 (16,67) 11 (26,83)

Pseudomona aeruginosa 25 (24,51) 31 (23,48)

Klebsiella spp. 10 (9,80) 26 (19,70)

– ESBL_KLE (Anteil an Klebsiella spp.) 0 0

Candida albicans 3 (2,94) 17 (12,88)

– Candida albicans** 1 (0,98) 4 (3,03)

Koagulase neg. Staphylokokken 1 (0,98) 0

– Koagulase neg. Staphylokokken** (0,98) 0

* Für alle anderen fremdkörperassoziierten Infektionen erfasste Datenmenge noch unzureichend


** als alleiniger Erreger

Das entsprechende Erregerspektrum im KISS-Erfassungs- (KRINKO 2012b) Erreger auf Basis ihrer phänotypischen
zeitraum 2010 bis 2014 konnte aufgrund der geringen Fall- Resistenzeigenschaften, d. h. ihrer In-vitro-Empfindlich-
zahlen nur für die katheterassoziierte Harnweginfektion keit gegenüber den wichtigsten Antibiotikaklassen in 2-,
und die Atemweginfektionen unter invasiver Beatmung 3- oder 4-MRGN (multiresistente Gramnegative) einge-
ausgewertet werden (. Tab. 4.2). teilt. Dadurch soll auch dem behandelnden Arzt die Wahl
Neben fremdkörperassoziierten Infektionen sind des Antibiotikums erleichtert werden.
Wund- und Weichteilinfektionen von besonderer Bedeu- Demgegenüber berücksichtigen die Guidelines der
tung. In einer Analyse der Daten über sieben Jahre (2005 European Society of Clinical Microbiology and Infectious
bis 2011) – getrennt nach zwei Zeitperioden und nach Diseases (Tacconelli 2014) zum Verhalten bei Nachweis von
Screening- bzw. Wundabstrichen – fand eine Arbeits- multiresistenten Erregern eher die genotypischen Resistenz-
gruppe aus den Niederlanden (Diederen 2015), dass am mechanismen (z. B. Nachweis von ESBL) der Erreger.
häufigsten Staphylococcus aureus isoliert wurde und die
Resistenzen gegen gramnegative Erreger zum Teil deutlich
zugenommen haben, bedingt durch das Auftreten und 4.3 Risikofaktoren
die rasche Verbreitung immer neuer Resistenzgene (z. B
Breitspektrum-β-Laktamasen oder Carbapenemasen). Die Die bakterielle Besiedlung der Haut stellt insbesondere bei
in der Literatur verwendete Definition für Multiresistenz großflächigen Verbrennungen das primäre Risiko für
bei gramnegativen Erregern ist nicht einheitlich, d. h., dass nachfolgende Infektionen dar, wobei zu der patienten-
Art und Anzahl der Antibiotikagruppen, die eine Erreger- eigenen, physiologischen Besiedlung zusätzliche Besied-
spezies als multiresistent charakterisieren, in den verschie- lungen kommen, im Rahmen des Unfallgeschehens bzw.
denen Studien stark differieren. während der stationären Behandlung. Damit wird ver-
In Deutschland werden in der von der Kommission ständlich, dass diese Patienten in besonderem Maße vor
für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention mikrobiellen Kontaminationen geschützt und mit beson-
(KRINKO) erarbeiteten Empfehlung bei Infektionen oder derer Sorgfalt behandelt werden müssen. Dies umfasst spe-
Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen zielle Anforderungen an die räumlichen Gegebenheiten

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28 Kapitel 4 · Infektionsprävention

wie auch an alle diagnostischen, therapeutischen und


. Tab. 4.3 Risikofaktoren für eine Infektion bei Verbren-
pflegerischen Maßnahmen. Eine spezielle mikrobiologi- nungspatienten
sche Surveillance ist bei diesen Patienten von besonderer
Bedeutung, weil jeder Infektion eine Besiedlung voran- Unterbringung – Raumgröße
gehen muss und die Art der gefundenen Bakterien u. U. – Raumausstattung
Rückschlüsse auf Quelle und Übertragungsweg zulassen – Zugangsregelung

als wichtige Grundlage für die Auswahl der Antibiotika Betreuung – Patient/Pflege-
im Rahmen einer kalkulierten Primärtherapie bis zum Verhältnis
4 Vorliegen der Laborergebnisse gezielter mikrobiologischer Organisa-
– Qualifizierung

Untersuchungen. torisch Compliance Nichteinhalten der


Regelungen, z. B.:
> Fremdkörper, die bei der maschinellen Beatmung, – Basishygiene
wie auch der Katheterisierung von Gefäßen oder – Händehygiene
Harnwegen verwendet werden, setzen wichtige – Isolierregelungen
– sonstige Handlungs-
Mechanismen der körpereigenen Abwehr außer
vorgaben
Kraft, bei Verbrennungspatienten auch über einen
längeren Zeitraum, wobei die Infektionsgefährdung Alter <2 Jahre; >60 Jahre
mit der Liegezeit des Fremdkörpers ansteigt. Ausmaß der >30 % besonders hohes
Verbrennung Risiko
Die Gründe hierfür sind die mechanische Umgehung
der Schrankenfunktion der Haut und Schleimhaut, sowie Grad der
Verbrennung
die Fähigkeit von Bakterien auf Fremdmaterialien Biofilme
zu bilden und so zu einer Quelle persistierender Infektio- Wundeigen- nekrotisches Gewebe;
schaften proteinreiches Exsudat;
nen (Fokus) zu werden. Diese Biofilme sind mit Antibio-
Schädigung
tika nicht zu beseitigen, weshalb der Austausch der Fremd- des Kapillarsystems
körper als einzige kausale Therapie übrigbleibt, häufig
Immunsystem Beeinträchtigung der
allerdings mit der Notwendigkeit, bei Infektionssympto-
Patient zellulären Immunität
men z. B. bedingt durch Gefäßkatheter – insbesondere bei
Staphylococcus-aureus-Nachweis – trotzdem antibiotisch physiologische – Dehydrierung
Veränderungen – Schock
zu behandeln.
– Anämie
Eine Zusammenfassung der in der Literatur genannten – Elektrolytstörungen
relevanten Risikofaktoren für eine Infektion bei Verbren- – Organfunktions-
nungspatienten ist in . Tab. 4.3 wiedergegeben. störungen (z. B. Niere)

Grund- – Diabetes mellitus


erkrankungen – Niereninsuffizienz
4.4 Präventionsmaßnahmen – Steroidtherapie
– Chemotherapie
(Immunsuppression)
4.4.1 Normative Grundlagen
Personen – Hautkeime
Die Grundlage für Regelungen zur Risikominimierung – Keime des Nasen-
Rachenraums
bilden neben Vorgaben auf gesetzlicher oder Verordnungs-
ebene Empfehlungen/Richtlinien/Leitlinien, die entwe- Wasser »Nasskeime«
(z. B. Pseudomonas)
der von berufenen Kommissionen (in Deutschland die
KRINKO) oder von Fachgesellschaften veröffentlicht wer- Umgebung Luft z. B. Aspergillen
den. Da es speziell für Verbrennungspatienten auch inter- bei Baumaßnahmen
(Staub)
national hierzu nur wenige Publikationen gibt (Hodle 2006;
Rafla 2011; Bordes 2014), bleibt nur, Vorgaben aus Be- Medizin- – unzureichend
reichen mit vergleichbarem Risiko zu übernehmen und ggf. produkte aufbereitet
– bei Anwendung
an die eigene Situation anzupassen.
kontaminiert
Das IfSG regelt im § 6, welche speziellen Infektionen
von behandelnden Ärzten an das Gesundheitsamt zu mel-
den sind, im § 7 welche Nachweise von speziellen Infek-
tionserregern seitens des Labors gemeldet werden müssen.
In § 23 ist zusammengefasst, was alles i. S. einer allgemei-

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4.4 · Präventionsmaßnahmen
29 4
nen Infektionsprävention und zur Vermeidung der Weiter- 4 Die erste Säule betrifft die patientenbezogene Kran-
verbreitung von Infektionserregern für erforderlich gehal- kenhaushygiene in Form einer angemessenen Zahl
ten wird. In diesem Paragraphen werden auch die beiden von Hygienefachpersonal, einer risikobezogenen
Kommissionen KRINKO und ART (Kommission Anti- Surveillance nosokomialer Infektionen, Schulungs-
infektiva, Resistenz und Therapie) erwähnt und dass deren programmen für das Personal und die Sicherstellung
Empfehlungen zu beachten sind. In Abs. 5 wird gesetzlich der Einhaltung in Form von Compliance-Beobach-
geregelt, dass z. B. Krankenhäuser wie auch Behandlungs- tungen bzw. regelmäßigen Auditierungen.
oder Versorgungseinrichtungen, die mit diesen vergleich- 4 Die zweite Säule umfasst die immer wichtiger
bar sind, »innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infek- werdende mikrobiologische Diagnostik und hier ins-
tionshygiene in Hygieneplänen« festlegen müssen. Diese besondere die Definition von Problemerregern sowie
gesetzlich vorgeschriebene Regelung umfasst neben der Vorgaben für ein kosteneffizientes risikoadaptiertes
Meldepflicht (§§ 6 und 7) im § 23 Regelungen zur Surveil- Screening mit dem Hinweis darauf, dass eine adäqua-
lance sowohl von definierten nosokomialen Infektionen te mikrobiologische Diagnostik die Voraussetzung
als auch von Krankheitserregern mit speziellen Resis- für die Verordnung von Antibiotika sein sollte.
tenzen und Multiresistenzen. Der Sinn dieser Surveillance 4 Die dritte Säule stellt der Einsatz von Antibiotika
– die keine Meldepflicht bedeutet! – liegt darin, dass unter und hier insbesondere das Erstellen von Therapie-
Berücksichtigung der lokalen Infektionsraten und Resis- standards zur Vermeidung nicht indizierter Antibio-
tenzsituation die Ergebnisse bewertet und sachgerechte tikagaben sowie einer sinnvollen perioperativen
Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dies bedeutet, Prophylaxe aber auch der Surveillance zur gesetzlich
dass bestehende Hygienepläne wie auch Antibiotikaregime vorgeschriebenen Antibiotikaerfassung dar.
an die Veränderungen der lokalen Gegebenheiten fort-
laufend angepasst und die eigenen Ergebnisse regelmäßig
diskutiert werden müssen. 4.4.2 Organisation
Da die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben in
Deutschland Ländersache ist, wurden in § 23 Abs. 8 IfSG Für die Organisation einer Verbrennungseinheit bedeutet
die Landesregierungen verpflichtet, entsprechende Hy- dies, dass bereits bei der Konzeption auf ausreichende
gieneverordnungen (MedHygV) zu erlassen mit sehr de- Raumgrößen – idealerweise Einbettzimmer mit Vorraum
taillierten Vorgaben, von denen von besonderem Interesse – und einer ausreichenden Ausstattung genauso geachtet
für Verbrennungseinrichtungen der Punkt 1 (hygienische werden muss, wie auf die personelle Ausstattung. Letzteres
Mindestanforderungen an Bau, Ausstattung und Be- betrifft sowohl eine ausreichende Anzahl an Pflegekräften
trieb) sowie der Punkt 9 (klinisch-mikrobiologische und – angestrebt werden sollte eine Eins-zu-eins-Pflege in allen
klinisch-pharmazeutische Beratung des ärztlichen Per- drei Schichten zumindest im Akutstadium der intensiv-
sonals) sind. Aus diesen beiden Forderungen ergibt sich, medizinischen Behandlung – Sicherstellung des Facharzt-
dass nationale Empfehlungen wie die der KRINKO sich standards und klare Regelungen für alle Personen/Berufs-
künftig auch zu Raumgrößen und Raumausstattung gruppen (Reinigungskräfte, MTA, Physiotherapeuten,
äußern müssen, wobei interessant sein dürfte, ob die Konsilärzte etc.).
personelle Ausstattung auch unter den Begriff »Ausstat- Ein Literatur-Review aus dem Jahr 2004 unterstreicht
tung« i. S. des Gesetzes fällt – was entscheidend für die eindrucksvoll, dass ein Missverhältnis zwischen Pflege-
Infektionsprävention wäre. Aufgrund der Beeinträch- mitarbeitern und Patienten zu einem Anstieg noso-
tigung wichtiger physiologischer Körperfunktionen aber komialer Infektionen und Übertragungen von Mikro-
auch der zunehmenden Antibiotikaresistenzen hat die organismen führt, wobei nicht nur die Anzahl der Mit-
Empfehlung zur interdisziplinären Zusammenarbeit i. S. arbeiter entscheidend ist, sondern auch ihr Ausbildungs-
einer klinisch-mikrobiologischen und klinisch-pharma- stand (Hugonnet 2004). Am Beispiel von MRSA konnte
zeutischen Beratung bei diesen Patienten eine besondere gezeigt werden, dass als Resultat eines solchen Missver-
Wichtigkeit. hältnisses die Händehygiene nicht befolgt wurde, Patien-
Hilfestellung zur Umsetzung gibt die KRINKO-Emp- ten wie Personal verstärkt zwischen Stationen wechselten,
fehlung »Personelle und organisatorische Voraussetzun- Kohortenisolierungen nicht konsequent durchgeführt
gen zur Prävention nosokomialer Infektionen« (KRINKO wurden, es zu überschießenden Screening-Untersuchun-
2009a), die aber immer zusammen mit der Präambel zum gen kam und Isolierstationen überbelegt waren. Dies alles
Kapitel D (KRINKO 2009b) gelesen werden sollte. In hat die Fehlerquote im Rahmen der Patientenbetreuung
dieser Präambel werden in einer Tabelle die drei Säulen weiter verstärkt (Clements 2008).
eines effektiven zeitgemäßen Hygienemanagements mit
europäischem Konsens genannt:

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30 Kapitel 4 · Infektionsprävention

> Der derzeit herrschende Kostendruck im Gesund-


heitswesen mit Personalabbau in der direkten Patien- nach KISS bei bestimmten operativen Eingriffen er-
tenversorgung führt zwangsweise zu einem höheren höhte Infektionsraten ergeben (Brandt 2008). Die
Infektionsrisiko mit dadurch verlängerten Verweil- KRINKO hat sich deshalb der Sichtweise der U.S.-ame-
dauern in Krankenhäusern, zusätzlichen Isolierungs- rikanischen CDC angeschlossen und die RLT als Bei-
kosten mit Bettensperrung und daraus resultierend trag zur Infektionsvermeidung bei chirurgischen Ein-
zu einer weiteren Belastung der Mitarbeiter mit der griffen als ungelöste Frage (Kat. III) eingestuft.
Gefahr steigender Fehlerquoten.
4
Weitere Hinweise zur strukturellen und personellen Aus-
stattung von Brandverletztenzentren geben eine Empfeh- 4.4.3 Maßnahmen
lung der Deutschen Gesellschaft Verbrennungsmedizin
(http://www.worldburn.org/documents/infectioncontrol. Bei der Erstellung von Arbeitsanweisungen (»standard
pdf ). Für jede Handlung am Patienten muss es standar- operating procedures«, SOP) sind nach geltendem Recht
disierte Handlungsanweisungen geben, die regelmäßig die Empfehlungen der KRINKO, der ART wie auch des
geschult werden (Dokumentation vorgeschrieben). Jede ABAS zu beachten. Allerdings wird in den Erläuterungen
Station sollte in Übereinstimmung mit der jeweiligen Lan- zum Gesetz darauf hingewiesen, dass es möglich ist, von
des-Hygiene-Verordnung über entsprechende Hygiene- den Empfehlungen abzuweichen wenn man belegen kann,
beauftragte verfügen (Hygienebeauftragte Ärzte wie auch dass die gewählte Alternative mindestens die gleiche
Hygienebeauftragte Pflegekräfte), die aufgrund ihrer be- Sicherheit für die Patienten – beim Arbeitsschutz für die
sonderen Schulung qualitätssichernde Aufgaben wahr- Beschäftigten - gewährleistet und dass man von den Emp-
zunehmen haben. Dies setzt voraus, dass die Mitarbeiter fehlungen abweichen muss, wenn neuere wissenschaftliche
speziell ausgebildet sind, sie dafür freigestellt und von Erkenntnisse nahelegen, dass dadurch ein höherer Sicher-
ihren Vorgesetzten unterstützt werden und bei den Mitar- heitsgrad für die Patienten/Beschäftigten erreicht wird.
beitern sich die Einsicht durchsetzt, dass es sich hier nicht Dies bedeutet, dass die Hygienebeauftragten immer auch
um Kontrolleure handelt, sondern um Kolleginnen und andere aktuelle Empfehlungen bei der SOP-Erstellung be-
Kollegen die einem helfen, die eigenen Aufgaben mög- rücksichtigen müssen (z. B. Empfehlungen der Centers vor
lichst fehlerfrei zu erledigen. Compliance-Beobachtungen Disease Controll and Prevention, CDC bzw. der European
wie auch Audits sollten nicht als bedrohliche Kontrolle Centers for Disease Control, ECDC).
sondern als gewünschte Bestätigung der eigenen Arbeits-
> Bei der SOP-Erstellung ist grundsätzlich zu beden-
qualität aufgefasst werden! Dies setzt allerdings voraus,
ken, welches Infektionsrisiko durch eine Maßnahme
dass wir eine veränderte Fehlerkultur entwickeln, die die
minimiert werden soll, wobei neben der Art des
eigene Betroffenheit zulässt und Fehler nicht mehr als per-
Infektionserregers und dessen Virulenz der Übertra-
sönlich abwertend interpretiert.
gungsweg von besonderer Bedeutung ist. Letzterer
IfSG, MedHygV und KRINKO-Empfehlungen zielen
kann durch Kontakt (am häufigsten) direkt (z. B.
ausschließlich auf den Schutz der Patienten. Der Schutz
über die Hände), aber auch indirekt (z. B. über Medi-
der Beschäftigten ist in Deutschland über das Bundes-
zinprodukte, Waschen des Patienten) wie auch
ministerium für Arbeit und Soziales, die Bundesanstalt für
enteral oder parenteral erfolgen. Die Luft ist hier
Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit und dem Ausschuss
von nachrangiger Bedeutung (meist nur im Rahmen
Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) geregelt, der die techni-
von Baumaßnahmen relevant).
schen Regeln biologischer Arbeitsstoffe (TRBA) erarbeitet.
Beide Kommissionen (KRINKO wie ABAS) bemühen sich,
ihre Empfehlungen gemeinsam abzustimmen, um wider- Basishygiene
sprüchliche Anforderungen zu vermeiden. Insbesondere bei Verbrennungspatienten ist das konse-
quente Befolgen der Basishygienemaßnahmen von ent-
scheidender Bedeutung (. Tab. 4.4)!
Raumlufttechnik Die wichtigste Maßnahme der Basishygiene ist die
Zwar gibt es für Deutschland die DIN 1946-4, jedoch Händehygiene und hier insbesondere die Händedesinfek-
ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage (Evidenz) tion. Ein Händewaschen ist nur erforderlich nach Ver-
für die Hypothese, durch Raumlufttechnik (RLT) ließen schmutzung, meist reicht eine Händedesinfektion, die die
sich postoperative Wundinfektionen vermeiden. Schutzschicht der Haut weniger strapaziert als häufiges
Im Gegenteil haben Analysen der Surveillance-Daten Händewaschen. Dennoch ist die Hautpflege gerade in Be-
reichen mit häufiger Händedesinfektion besonders wich-

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4.4 · Präventionsmaßnahmen
31 4
vor einer eventuellen Kontamination durch behandelnde
. Tab. 4.4 Wichtigste Bestandteile der Basishygiene
Personen und zweitens zum Schutz einer Weiterverbrei-
Händewaschen bei Ver- tung der Keime des Patienten. Letzteres ist deswegen von
schmutzung besonderer Bedeutung, weil Verbrennungspatienten oft
Händehygiene mit seltener vorkommender Bakterienspezies besiedelt
Händedesinfektion vor und
nach Patientenkontakt sind und diese meist eine ausgeprägte Antibiotikaresistenz
aufweisen (multiresistente Erreger; MRE), weshalb pein-
Handschuhe
lichst darauf geachtet werden muss, diese Keime nicht auf
Persönliche Schutz- Schürzen und Kittel andere Patienten zu übertragen. Eine Gefährdung der be-
ausrüstung Mund-Nasen-Schutz handelnden Personen selber ist in der Regel nicht zu be-
Augenschutz (Gesichtsschild)
fürchten. Eine Resistenz gegen Antibiotika ist somit kein
Gefährdungsmerkmal für die Beschäftigten (TRBA 250)!
Korrektes Verhalten bei Hustenetikette Handschuhe dienen in erster Linie dazu, sich selbst vor
Husten, Niesen, Schnäuzen
Kontaminationen durch Sekrete/Exkrete des Patienten zu
Korrekte Aufbereitung schützen. Hierfür sind die normalerweise gebräuchlichen
von Pflegeutensilien/
keimarmen Handschuhe ausreichend. Bei der Versorgung
Medizinprodukten
von Verbrennungswunden allerdings müssen sterile
Korrekte Reinigung/ Handschuhe getragen werden. Bei der Benutzung von
Desinfektion der Patienten-
Handschuhen sind zwei Dinge zu beachten und werden
umgebung
regelmäßig falsch gemacht:
Injektions- bzw. Infusions- 1. Die Handschuhe müssen nach Beendigung der
techniken
Tätigkeit wegen der sie angezogen wurden (!) wieder
ausgezogen werden, um eine Kontamination der
Umgebung (Flächen, Türgriffe, Schalter etc.) zu ver-
tig. Wann eine Händedesinfektion erfolgen sollte, ist im meiden.
Schema nach WHO (. Abb. 4.1) dargestellt. 2. Nach dem Ausziehen der Handschuhe ist immer eine
Bei Verbrennungspatienten kommt der persönlichen Händedesinfektion erforderlich. Wird anschließend
Schutzausrüstung in doppelter Hinsicht eine besondere die Versorgung des Patienten fortgesetzt, müssen ggf.
Bedeutung zu: erstens als Schutz des gefährdeten Patienten neue Handschuhe angezogen werden.

Direkte Erweiterte
Patienten- Patienten-
umgebung umgebung

Vor einer
aseptischen Tätigkeit
2

1 Vor
Patienten-
kontakt

4 Nach
Patienten-
kontakt

3 Nach Kontakt mit


potentiell infektiösem
Nach Kontakt
Material

5 mit der unmittel-


baren Patienten-
umgebung

. Abb. 4.1 Die fünf Momente der Händehygiene (ASH 2008–2016; WHO 2009)

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32 Kapitel 4 · Infektionsprävention

Schutzkittel bzw. Schürze sollten flüssigkeitsundurch- und Desinfektionsplan für die Verbrennungseinheit er-
lässig sein und es ist bei der Wahl darauf zu achten, dass stellt werden (IfSG; KRINKO 2004).
die zu erwartenden Kontaktflächen vollständig bedeckt Die Handhabung von Essgeschirr, Wäsche und des Ab-
sind. Da es auch bei isolierten Patienten in der Regel nicht falls unterliegen keinen besonderen Anforderungen an
notwendig ist, bei Anwesenheit im Isolierzimmer perma- Aufbereitung bzw. Entsorgung, sofern der Patient nicht mit
nent einen Schutzkittel zu tragen, sondern nur bei Gefahr Infektionserregern infiziert ist, für die gemäß IfSG beson-
einer Kontamination (Bache 2015) sollten diese immer dere Vorschriften gelten (KRINKO 2015).
nur tätigkeitsbezogen verwendet und danach entweder
4 verworfen (Einwegkittel) oder der Aufbereitung zugeführt Parenterale Zugänge
werden. Schutzkittel sollten somit zwischen zwei Tätigkei- Parenterale Zugänge sind insbesondere während der Akut-
ten weder im Zimmer noch im Vorraum aufgehängt und phase zwar dringend erforderlich für die Applikation von
erneut benutzt werden, da bei nachfolgenden Benutzun- Flüssigkeit, Analgetika und anderer Medikamente, sie sind
gen immer die Gefahr einer Kontamination besteht. aber gerade in dieser Phase auch ein besonderes Risiko für
Ein Mund-Nasen-Schutz sollte dann getragen werden, die Entstehung einer systemischen Infektion (Sepsis) mit
wenn der Patient als so immunsuprimiert gilt, dass er auch der Gefahr nachfolgender Organinfektionen (Endokar-
vor den Keimen der ihn versorgenden Person geschützt ditis; Maki 2006). Die Lokalisation des parenteralen Zu-
werden muss (i. S. einer Umkehrisolierung). Er kann auch gangs beeinflusst das Infektionsrisiko auch dadurch, dass
bei Gefahr einer Aerosolbildung im Rahmen von Behand- je näher die Eintrittsstelle an einer Verbrennungswunde
lungsmaßnahmen getragen werden, wobei allerdings zu liegt, umso höher die Rate der katheterassoziierten Infek-
beachten ist, dass unter Umständen ein FFP-Atemschutz tionen ist (Echevarria-Guanilo 2009), wobei oftmals Loka-
erforderlich sein kann, wenn dies aus arbeitsschutzrecht- lisation und Ausmaß der Verbrennung die Anlage eines
lichen oder infektionspräventiven Überlegungen erfor- parenteralen Zugangs erschweren. Insofern ist bei diesen
derlich erscheint (z. B. Tuberkulose). Der Nachweis von Patienten eine besondere Sorgfalt beim Legen und der
multiresistenten Erregern beim Verbrennungspatienten Pflege derartiger Zugänge (peripher wie zentral) erfor-
macht nicht automatisch das Tragen eines Mund-Nasen- derlich (KRINKO 2002). Die wichtigsten Maßnahmen für
Schutzes erforderlich. Details für individuelle Regelungen zentrale Zugänge (ZVK; nur die der Evidenzkategorie I
im Rahmen der Risikobewertung können den einschlä- aufgeführt) sind nachfolgend wiedergegeben.
gigen Empfehlungen entnommen werden (KRINKO 2014;
KRINKO 2015). jWichtigste Maßnahmen zur Vermeidung
Ein Augenschutz (Gesichtsschild) ist dann in Erwä- von ZVK-Infektionen
gung zu ziehen, wenn mit Aerosolbildung bzw. Verspritzen
von Blut oder infektiösen Materialien des Patienten zu
Anlage des ZVK
rechnen ist.
5 Strenge Indikationsstellung
Für die Verwendung von Pflegeutensilien bzw. Medi-
5 Bevorzugung von Silikon oder Polyurethan gegen-
zinprodukten sind klare Vorgaben erforderlich, die auch
über PVC oder Polyethylen
spezielle Situationen (Isolierung) berücksichtigen. Pflege-
5 Möglichst Einsatz von Single-Lumen-Katheter;
utensilien und Medizinprodukte müssen so gelagert wer-
bei stringenter Indikationsstellung auch Doppel-
den, dass sie vor Kontamination geschützt sind (geschlos-
oder Triple-Lumen-Katheter einsetzbar
sene Schränke am besten im Vorraum). Medizinprodukte
5 V. subclavia als Insertionsstelle aus infektions-
dürfen gem. Medizinproduktegesetz (MPG) und Medizin-
präventiver Sicht zu bevorzugen
produkte-Betreiberverordnung nur von entsprechend ge-
5 Hygienische Händedesinfektion vor dem Anlegen
schulten Mitarbeitern aufbereitet werden (KRINKO 2012a).
der Schutzkleidung
Wenngleich die unbelebte Umgebung bei der Entste-
5 Anlegen von Mund-Nasen-Schutz, Haube,
hung nosokomialer Infektionen eine untergeordnete Rolle
sterilem Kittel und sterilen Handschuhen durch die
spielt, sollte sie bei diesen Patienten hierauf in die Präven-
handelnde Person
tionsmaßnahmen einbezogen werden. Da Verbrennungs-
5 Desinfektion der Einstichstelle mit Hautdesinfek-
patienten meist mit besonderen bzw. besonders resistenten
tionsmittel unter Beachtung der Einwirkzeit
Bakterien besiedelt sind und trotz maximalen Bemühens
5 Abdeckung mit großem sterilem Tuch
um die Einhaltung der Basishygieneanforderungen eine
5 Sichere Fixierung des Katheters
Kontamination der Umgebung sehr wahrscheinlich ist,
sollten in den Patientenzimmern regelmäßig Desinfek-
tionsmaßnahmen (primär der patientennahen Flächen)
erfolgen. Hierfür muss ein entsprechender Reinigungs-

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4.4 · Präventionsmaßnahmen
33 4
Patienten ausreichend Platz zur Verfügung steht, weil nur
dann die Einhaltung der erforderlichen Asepsis gewähr-
Verbandswechsel und Pflege
leistet werden kann. Auch müssen ausreichend Mitarbeiter
5 Tägliche Inspektion der Verbände, bei Gaze-
mit der erforderlichen Qualifizierung zur Verfügung
verbänden Palpation der Insertionsstelle
stehen, was sich aus den Vorgaben des IfSG und der
5 Täglicher Verbandswechsel von Gazeverbänden
TRBA 250 ergibt. Im Rahmen der Versorgung Brandver-
bei eingeschränkter Kooperation des Patienten
letzter hat das Aufnahmescreening wie auch Abstrichkon-
(Bewusstseinsstörung, Beatmung)
trollen bei Verbandswechsel bzw. als Bestandteil einer
5 Bei Druckschmerz, Fieber unklarer Ursache oder
Wundbehandlung eine zentrale Bedeutung, insbesondere
Sepsis Gazeverband entfernen und Inspektion der
als Basis einer möglicherweise erforderlichen kalkulierten
Einstichstelle
Antibiotikatherapie bei systemischen Infektionszeichen
5 Routinemäßiger Wechsel von Transparentver-
(7 Kap. 5). In solchen Fällen ist immer die Entnahme von
bänden spätestens nach 7 Tagen
Blutkulturen erforderlich.
5 Sofortiger Verbandswechsel bei Verschmutzung,
Vor dem Hintergrund der Vermeidung einer Weiter-
Durchfeuchtung, Ablösung oder Infektionsverdacht
verbreitung von Infektionserregern ist auch die Abfall-
5 Bei Transparentverbänden keine Salben verwenden
sammlung gerade bei großflächigen Verbandswechseln ein
wichtiger Aspekt.

Liegedauer und Katheterwechsel Wichtigste Maßnahmen zur Wundinfektions-


5 Kein routinemäßiger ZVK-Wechsel nach bestimm- prävention
ten Zeitintervallen 5 Einmalige Abdeckung der primär verschlossenen,
5 ZVK-Wechsel, die unter eingeschränkt aseptischen nicht sezernierenden Operationswunde mit einer
Notfallbedingungen gelegt wurden, zum frühest geeigneten sterilen Wundauflage für 24–48 h (ggf.
möglichen Zeitpunkt zur Vermeidung mechanischer Belastung auch
5 Täglich neue Prüfung der Indikation für einen ZVK! länger, z. B. in der plastischen Chirurgie), sofern
5 Bei sichtbarer Entzündung an der Eintrittsstelle nicht Komplikationshinweise und deren Kontrolle/
bzw. Tunnelinfektion unverzügliche Katheterent- Überwachung zu einem früheren Verbandswechsel
fernung und ggf. Neuanlage an anderer Stelle zwingen
5 Sofortiger Verbandswechsel bei klinischen Infek-
tionszeichen, bei Durchfeuchtung, Verschmutzung
Da eine Thrombusbildung in liegenden Kathetern mit
oder Lageverschiebung des Verbands sowie ande-
einer erhöhten Rate katheterassoziierter Infektionen ein-
ren Komplikationen
her geht, soll, falls notwendig, zur Spülung von Kathetern
5 Entfernung von Verband, Nahtmaterial sowie
sterile physiologische Elektrolytlösung verwendet werden
von Drainagen unter aseptischen Bedingungen/
(Kategorie IA). Die Verwendung von verdünntem Heparin
aseptischen Arbeitstechniken
zur Spülung von Kathetern hat sich als nicht effektiver
5 Frühestmögliche Entfernung von Drainagen
als die Spülung mit physiologischem Kochsalz erwiesen, es
(Fremdkörper)
wird sogar wegen der Gefahr erhöhter Blutungsneigung
5 Kein routinemäßiger Wechsel der Auffangbehälter
davon abgeraten. Der Vollständigkeit halber sei an dieser
(Anstieg der Kontaminationsgefahr bei häufiger
Stelle ergänzt, dass neben den zentralvenösen im Hinblick
Manipulation)
auf eine Infektionsgefährdung die peripheren Gefäßka-
5 Jede Manipulation an der Drainageaustrittsstelle
theter ein im Alltag deutlich unterschätztes Problem sind
unter aseptischen Bedingungen
(Ziegler 2011).
5 Beim Wechsel von Auffangbehältnissen (keim-
Wundversorgung arme) Handschuhe einsetzen (Personalschutz)
5 Kein Anheben von Sekretauffangbeuteln über das
Die großflächigen Wundverhältnisse Brandverletzter sind
Austrittniveau der Drainage, um das Zurückfließen
mit den üblichen postoperativen Wunden meist nicht ver-
möglicherweise kontaminierter Flüssigkeit zu ver-
gleichbar. Trotzdem können die in der KRINKO-Empfeh-
meiden
lung »Prävention postoperativer Infektionen im Opera-
tionsgebiet« (KRINKO 2007) aufgelisteten Empfehlungen
teilweise für die Versorgung dieser Patienten – modifiziert Darüber hinaus sind den Besonderheiten der großflächi-
auf die jeweiligen Verhältnisse – herangezogen werden. gen Wunden und deren Behandlung Rechnung zu tragen
Dabei ist besonders wichtig, dass für die Versorgung dieser (s. auch 7 Kap. 5 und 7 Kap. 17). Insbesondere die Hydro-

marcus.lehnhardt@rub.de
34 Kapitel 4 · Infektionsprävention

therapie hat in vielen Einrichtungen zu Pseudomonas-


Problemen bis hin zu Ausbrüchen geführt, was in Kombi- 5 spezifische Antibiotikarotationsempfehlungen
nation mit der zunehmenden Antibiotikaresistenz und der für intensivmedizinisch behandelte Patienten
bei diesen Patienten erhöhten Pathogenität sicher ein spe- 5 Antibiotikagaben nicht länger als 8 Tage (even-
zifisches Problem darstellt. In den letzten Jahren sind tuelle Ausnahmen: multiresistente Erreger oder
diverse Methoden der Wundbehandlung mit Silber, Anti- wiederholte beatmungsassoziierte Pneumonien,
biotika, Desinfizientien wie Chlorhexidin oder Methoden bei letzteren 15 Tage Antibiotikaapplikation
der Nanotechnologie publiziert worden (Verbelen 2013; empfohlen)
4 Jeschke 2013; Draelos 2010; Popp 2014; Okamura 2013).
Bei der Bewertung solcher Studien muss aber darauf ge-
achtet werden, dass es sich um klinische Studien mit dem Weitere Empfehlungen können der KRINKO-Empfehlung
Bewertungsparameter Infektion handelt und nicht um rein »Prävention der nosokomialen beatmungsassoziierten
experimentelle Laboruntersuchungen, die bestenfalls Hin- Pneumonie« entnommen werden (KRINKO 2013).
weise für nachfolgende klinische Studien geben können
(Liao 2013).
4.4.4 Surveillance
Maschinelle Beatmung
Beatmungsassoziierte Pneumonien sind bei Verbrennungs- Surveillance-Maßnahmen haben das Ziel, die Qualität der
patienten häufig und erfordern besondere Anstrengungen eigenen therapeutischen Bemühungen zu messen und zu
im Hinblick auf Prävention, Diagnostik und Behandlung. dokumentieren. Gleichzeitig dienen sie dazu, die Zuverläs-
Die American Burn Association hat im Jahr 2009 Empfeh- sigkeit des eigenen Handelns zu stärken (Compliance!),
lungen zu Prävention, Diagnostik und Behandlung der be- was gerade bei kritisch kranken Patienten von besonderer
atmungsassoziierten Pneumonie (»ventilator-associated Bedeutung ist. Neben der bereits erwähnten, gesetzlich
pneumonia«, VAP) veröffentlicht, die mangels spezifischer vorgeschriebenen Surveillance nach IfSG § 23 (nosoko-
Studien abgeleitet sind von den Ergebnissen von Studien miale Infektionen; multiresistente Infektionserreger; Anti-
anderer medizinischer, chirurgischer und Trauma-Patien- biotikaverbrauch) empfiehlt es sich, das vom Nationalen
ten (Mosier 2009). Die wichtigsten Empfehlungen mit dem Referenzzentrum für Surveillance angebotene spezielle
Evidenzgrad I sind nachfolgend wiedergegeben. Modul »Fremdkörperassoziierte Infektionen bei Brand-
verletzten« (s. o.) anzuwenden. Weitere Module, wie das
zur Händehygiene oder abteilungseigene Surveillance-
Wichtigste Maßnahmen zur VAP-Vermeidung Beobachtungen zur Compliance, die von den Hygiene-
5 Vermeidung unnötiger Intubation und Reintubation beauftragten der Abteilung kontinuierlich durchgeführt
5 Implementierung von Weaning- und Sedierungs- werden können, wären sinnvolle Ergänzungen. Surveil-
protokollen lance-Maßnahmen sind aber nur dann wirksam, wenn die
5 Verwendung spezieller Endotrachealtuben Ergebnisse regelmäßig mit allen Beteiligten besprochen
5 orale Anwendung topischer Antiseptika werden und wenn notwendig, daraus resultierende Verhal-
(z. B. Chlorhexidin) tensänderungen die Folge sind.
5 orale Einführung endotrachealer und Magen-
sonden
5 kontinuierliche Absaugung subglottischer Sekre- 4.4.5 Multiresistente Infektionserreger
tionen
5 halbhohe Lagerung von Patienten mit enteraler Verbrennungspatienten sind überproportional häufig im
Ernährung Laufe ihrer stationären Behandlung mit multiresistenten
5 Vermeidung unnötiger Bluttransfusionen Infektionserregern (MRE) besiedelt oder damit infiziert.
5 passive Befeuchtung mit HME-Filter zur Dies stellt nicht nur eine Erschwernis in der Therapie loka-
– Vermeidung von Kondensatbildung ler oder systemischer Infektionen dar, sondern bedeutet
– besseren Kondensatentleerung eine Gefährdung der anderen Patienten der Station bzw.
– Vermeidung unnötiger Wechsel des Beatmungs- Klinik, wenn die Maßnahmen der Basishygiene nicht kon-
zubehörs sequent eingehalten werden. Auch hier gibt es für Verbren-
5 Infektionskontrollmaßnahmen und eine nungspatienten keine speziellen Empfehlungen, sondern
Surveillance von intensivmedizisch behandelten diese müssen aus den allgemeinen Empfehlungen für ver-
Patienten gleichbare (Intensiv-)Patienten abgeleitet werden (KRINKO
2012b; KRINKO 2014; Tacconelli 2014). Werden vom La-

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
35 4
bor von mehreren Patienten zeitnah gleichartige multiresis- KRINKO (2002a) Prävention Gefäßkatheter-assoziierter Infektionen.
tente Erreger isoliert, ist zu prüfen, ob es sich um ein Aus- Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz
45:907–924
bruchsgeschehen handelt, welches nach IfSG § 6 melde-
KRINKO (2002b) Ausbruchmanagement und strukturiertes Vorgehen
pflichtig wäre. Dies setzt voraus, dass zunächst dieselbe bei gehäuftem Auftreten nosokomialer Infektionen. Bundes-
Keimspezies (z. B. Staphylococcus aureus, Acinetobacter gesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 45:
baumannii) mit gleichem oder sehr ähnlichem Antibio- 180–186
gramm isoliert wird. In solchen Fällen ist mit dem Labor KRINKO (2004) Anforderungen an die Hygiene bei der Reinigung und
Desinfektion von Flächen. Bundesgesundheitsbl – Gesundheits-
Rücksprache zu nehmen, ob es sich hierbei um klonal iden-
forsch – Gesundheitsschutz 47:51–61
tische bzw. nicht unterscheidbare Isolate handeln könnte KRINKO (2007a) Prävention postoperativer Infektionen im Operations-
(ggf. Typisierung der Isolate zur Klärung der Vermutung). gebiet. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheits-
Ist dies der Fall, besteht der Verdacht auf Übertragungen schutz 50:377–393
durch Nichteinhalten der vorgeschriebenen Hygiene- KRINKO (2007b) Kommentar der Kommission für Krankenhaushygiene
und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut zu den
maßnahmen, oder aber eine Verbreitung durch einen mit
Empfehlungen zur “Prävention postoperativer Infektionen im
diesem Keim besiedelten Mitarbeiter. Auf jeden Fall sind Operationsgebiet”. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch –
sofort die Hygienebeauftragten für diesen Bereich darüber Gesundheitsschutz 50:1581
zu informieren, die dann die notwendigen und seitens der KRINKO (2009a) Personelle und organisatorische Voraussetzungen
Klinik vorgeschriebenen Maßnahmen einleiten. Näheres zur Prävention nosokomialer Infektionen. Bundesgesundheitsbl
hierzu siehe in der KRINKO-Empfehlung »Ausbruchs- 52:951–962
KRINKO (2009b) Präambel zum Kapitel D, Hygienemanagement,
management« (KRINKO 2002b).
der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention.
Bundesgesundheitsbl 52:949–950
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36 Kapitel 4 · Infektionsprävention

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37 5

Verbrennungswunden
Philipp A. Bergmann, Frank Siemers

5.1 Einleitung – 38

5.2 Verletzungsmechanismus – 38
5.2.1 Verletzungen thermischer Genese – 38
5.2.2 Verletzungen nichtthermischer Genese – 38
5.2.3 Elektroverbrennungen – 39

5.3 Lokale Reaktionen der Haut – 40

5.4 Einschätzung des Verbrennungsausmaßes – 41


5.4.1 Verbrennungstiefe – 41
5.4.2 Verbrennungsausmaß – 43

Literatur – 44

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
38 Kapitel 5 · Verbrennungswunden

5.1 Einleitung kurze Einwirkzeit der Flamme ist das Verbrennungsaus-


maß der Haut meist weniger ausgeprägt, die Gefahr eines
Jährlich erliegen etwa 265000 Menschen ihren Verbren- Inhalationstrauma jedoch deutlich erhöht. Durch Ein-
nungsverletzungen (WHO 2014). Allein im deutschspra- atmen der heißen Gase kommt es binnen kurzer Zeit zu
chigen Raum wurden Im Jahr 2013 insgesamt 2050 Men- einer ausgeprägten Schädigung der Schleimhäute in den
schen mit schweren Brandverletzungen in spezialisierten oberen und unteren Atemwegen mit der Ausbildung eines
Verbrennungszentren eingewiesen und dort behandelt thermischen Inhalationstraumas.
(Siemers 2014). Die Zahl der weniger ausgeprägten Verbren-
nungen, die keine Behandlung in Zentren benötigen, liegt Verbrühungen
dabei weit höher. Die Gesamtmortalitätsrate schwerstbrand- Vor allem bei Kindern werden Verbrühungen durch heiße
5 verletzter Patienten im deutschsprachigen Raum lag im Flüssigkeiten als Ursache einer thermischen Hautschä-
Jahr 2013 bei 12,4 % (Siemers 2014). Durch das in den letz- digung beobachtet. Insgesamt machen Verbrühungen den
ten Jahrzehnten immer besser werdende Verständnis von zweithäufigsten Verletzungsmechanismus aus. Hierbei
Verbrennungen, Verbrennungswunden und der Verbren- kommt es zum Kontakt der Haut mit unterschiedlichen
nungskrankheit sowie Fortschritten in der Intensivmedizin, heißen Flüssigkeiten. Das Ausmaß der Schädigung wird
konnte diese Zahl deutlich reduziert werden (Dokter 2014; entscheidend durch die Art der heißen Flüssigkeit und
Jackson 2014; Pham 2009). Wichtig ist vor allem das Wissen die Dauer der Hitzeeinwirkung beeinflusst. Je zäher und
über die Pathogenese der Verbrennungswunde, um opti- dickflüssiger eine Flüssigkeit ist, desto wahrscheinlicher ist
male Therapiestrategien zu entwickeln, operative Techniken eine längere Hitzeeinwirkung und somit ein größerer
zu optimieren oder konservative Verfahren anzuwenden. Schaden. Aufliegende, mit heißer Flüssigkeit getränkte
Dieses Kapitel soll einen Überblick über Verbrennungswun- Kleidung begünstigt das Entstehen ausgedehnter Schäden
den, deren Pathogenese und Beschaffenheit geben. und sollte daher schnellstmöglich entfernt werden.
Bei thermischen Schädigungen mit heißem Fett spricht
man auch von sogenannten Fettverbrennungen, obwohl
5.2 Verletzungsmechanismus das schädigende Agens in diesem Fall flüssig ist.
Ein bei Kindern häufig vorkommender Unfallmecha-
Verletzungen des Hautweichteilmantels können je nach nismus stellt die Verbrühung durch heißes Wasser dar.
Verletzungsmechanismus unterschiedliche Ausmaße ein- Hierbei ergießt sich die heiße Flüssigkeit beispielsweise
nehmen. Es ist daher von besonderer Wichtigkeit, die Ge- durch Ziehen an einem Kochtopf oder einer Teetasse meist
nese der Verletzungen durch die unterschiedlichen Verlet- über Kopf, Gesichts- und Decoltébereich.
zungsmechanismen zu unterscheiden, um die unterschied-
lichen Behandlungsoptionen nachvollziehen zu können. Kontaktverbrennungen
Zu unterscheiden sind Verbrennungen thermischer, Kontaktverbrennungen entstehen durch den Kontakt
Verbrennungen nichtthermischer Genese sowie die Son- der Haut mit heißen Gegenständen (z. B. Metallen, Kunst-
dergruppe der Elektroverbrennungen. stoffen oder Teer; . Abb. 5.1). Häufig sind diese Art
von Hautschädigungen lokal begrenzt und nehmen nur
einen kleinen Anteil der Körperoberfläche ein. Die Art
5.2.1 Verletzungen thermischer Genese der Schädigung des Hautweichteilmantels ist bei dieser Art
von Verbrennung wiederum abhängig von der Hitze des
Verbrennungen Gegenstandes und der Dauer der Einwirkung. Bei heißen,
Verbrennungen durch direkte Flammeneinwirkung ma- bzw. flüssigen Metallen und Kunststoffen ist die Dauer der
chen im Erwachsenenalter den Großteil thermischer Ver- Hitzeeinwirkung relativ lang, sodass meist tiefe, zum Teil
letzungen der Haut aus. Gut die Hälfte alle Patienten (im bis in die tiefe Subkutis und ins Muskelgewebe reichende
Jahr 2013: 51,4 %; Siemers 2014), die in einem Brandver- Nekrosen beobachtet werden, die einer chirurgischen
letztenzentrum im deutschsprachigen Raum behandelt Therapie zugeführt werden müssen.
wurden, erlitten eine Verletzung durch eine Flammenver-
brennung. Das Ausmaß der Verbrennung ist von der mitt-
leren Temperatur der Flamme und der Dauer der Hitzeein- 5.2.2 Verletzungen nichtthermischer Genese
wirkung abhängig. Da beide Parameter häufig variieren,
werden meist Mischbilder mit unterschiedlichen Tiefe- Zu den Verletzungen des Hautweichteilmantels nicht-
graden und Ausdehnungen der Verbrennung beobachtet. thermischer Genese zählen Verätzungen mit Laugen und
Eine Sondergruppe der Verbrennung durch Flammen Säuren. Obwohl hier die Hitzeeinwirkungen meist nicht zur
stellt die Flammenexplosionsverbrennung dar. Durch Hautweichteilnekrose führt, ist die Pathologie und Behand-

marcus.lehnhardt@rub.de
5.2 · Verletzungsmechanismus
39 5

a b

. Abb. 5.1a, b Kontaktverbrennung. a Hand mit heißem Teer vor Débridement. b Hand nach Débridement

lung den Verbrennungen ähnlich, sodass auch sie im Rah- Verlauf ist auch nach einer Exposition der Haut mit Säuren
men der Verbrennungsmedizin behandelt werden. und Laugen auf Grund der Nekrosetiefe häufig ein chirur-
Das ätzende Agens dringt in Abhängigkeit von seiner gisches Debridement mit nachfolgender Hauttransplan-
Konzentration durch die verschiedenen Schichten des tation notwendig.
Hautweichteilmantels. Säuren führen sukzessive zu einer
Koagulationsnekrose, Laugen hingegen reagieren mit kör-
pereigenen Lipiden und bilden eine Kolliquationsnekrose. 5.2.3 Elektroverbrennungen
Beide Vorgänge können nur durch eine Neutralisation von
außen oder durch eine fortschreitende körpereigene Neu- Elektroverbrennungen müssen unterscheiden werden
tralisation gestoppt werden. Meist sind Säureverätzungen in Verletzungen durch Niederspannung [<1000 V, meist
rascher selbstlimitierend als Laugenverätzungen. Das Ver- Haushaltsspannung (230 V) und in Verletzungen durch
letzungsausmaß ist meist geringer einzuschätzen. Hochspannung (>1000 V)].
Eine Sonderstellung nimmt die Verätzung mit Fluss- Während Verletzungen durch Kontakt mit Nieder-
säure (Flourwasserstoffsäure) ein, welche vor allem in der spannung bei Erwachsenen nur in die seltensten Fällen zur
Herstellung von Glas genutzt wird. Sie ist eine sehr stark schwerwiegenden Verletzungen führen und nur lokale
giftige, besonders hydrophobe Lösung mit hohem Penetra- Verbrennungen mit geringer Tiefenausdehnung an der
tionsvermögen, die durch die Bindung von körpereigenem Kontaktstelle ohne systemische Folgen für den einzelnen
Kalzium und Magnesium starke systemischen Schädigung Patienten nach sich ziehen, ziehen Hochspannungsver-
hervorrufen kann. In der Notfallversorgung ist hier die letzungen meist erhebliche lokale und systemische Schädi-
rasche Neutralisation mit Kalziumglukonat (als Injektion gungen nach sich.
oder Gel) indiziert. Der Körper selbst bildet bei Elektroverbrennungen
einen elektrischen Widerstand; bei Auftreffen von Strom
> Eine initiale Neutralisation direkt am Unfallort
mit hoher elektrischer Spannung kommt es zu einer großen
hat maßgeblichen Einfluss auf das Ausmaß der Ver-
Hitzeentwicklung, welche im Gewebe eine ausgedehnte
letzung. Wichtigste Maßnahme ist die Entfernung
Nekrose hervorruft.
sämtlicher Kleidungsstücke, die das ätzende Agens
tragen und das Spülen der betroffenen Körperstel- > Je höher die Spannung und je größer der Wider-
len mit Wasser (Brent 2013). stand ist, desto ausgeprägter ist die Hitzeentwick-
lung. Entlang der elektrischen Leitung des Stroms
Zur initialen Neutralisation stehen neben dem bei Fluss-
durch den Körper entstehen tiefe Nekrosen der
säureverätzungen verwendetem Kalziumglukonat auch
Muskulatur und der Knochen bis hin zur Verkochung
verschiedene neue Antidots zur Verfügung. Deren Ver-
des Gewebes (. Abb. 5.2).
wendung wird jedoch auf Grund von diversen Nebenwir-
kungen kontrovers diskutiert. Extremitäten, die im Gegensatz zum Rumpf meist keine
Neben flüssigen Säuren und Laugen können auch ausreichende Ableitung bilden, sind häufig durch Strom-
trockene Stoffe zu Verätzungen führen, Beispiele hierzu einwirkung vollständig zerstört, sodass eine Amputation
sind Beton und Zement, die als ätzenden Inhaltsstoff der jeweils betroffenen Extremität häufig die einzige thera-
ungelöschtem Kalk enthalten (Feldberg 1992). Im weiteren peutische Möglichkeit darstellt.

marcus.lehnhardt@rub.de
40 Kapitel 5 · Verbrennungswunden

5
a b

. Abb. 5.2a, b Stromverbrennungen

Neben den ausgedehnten Schädigungen des Haut- 4 Zone 2: Direkt angrenzend die Stasezone, eine Zone
weichteilmantels mit nekrotischem Untergang großer mit einer gestörten Gewebeperfusion und Anteilen von
Teile der Muskulatur führen Elektroverbrennungen bereits deutlich geschädigten Zellen jedoch auch vitalen
durch einen Anstieg des Myoglobins und nicht zuletzt Zellen (Vo 1998). In dieser Zone kommt es zu einer
auf Grund der kardiotoxischen Wirkung des elektrischen Akkumulation von vasokonstriktiven Substanzen (u. a.
Stroms zu einer Vielzahl von systemischen Schwierig- Thromboxan A2) sowie Mediatoren einer lokalen ent-
keiten. In diesen Fällen ist eine intensivmedizinische Be- zündlichen Reaktion (Heggers 1980; Herndon 1984;
treuung dieser Patienten in speziellen Verbrennungszen- Morykwas 1999; Nwariaku 1996). Anteile oder auch die
tren unabdingbar. Neben der prophylaktischen, aggres- komplette Stasezone können sich zur einer vollständi-
siven Volumenersatztherapie steht meist eine rasche und gen Koagulationsnekrose entwickeln, welches klinisch
radikale chirurgische Therapie bei solchen Patienten im als »Nachbrennen« beschrieben wird. Durch Kühlung
Vordergrund. lässt sich das Ausmaß dieses »Nachbrennens« leider
nicht positiv beeinflussen.
4 Zone 3: Als äußere Zone beschreibt Jackson die
5.3 Lokale Reaktionen der Haut Hyperämiezone, welche durch eine ausgeprägte Vaso-

Unsere Haut, eingeteilt in Epidermis, Dermis und Subkutis


hat neben ihrer Barrierefunktion als Schutz gegenüber
äußerlichen Einflüssen und Keimen auch die Aufgabe, als
flächenmäßig größtes Organ, den Flüssigkeits- und Wärme-
haushalt des Körpers zu regulieren.
Thermische Einwirkungen führen zur Denaturierung
von Proteinen auf Zellebene, was in den meisten Fällen zu
einer Koagulationsnekrose führt.
Zwei Faktoren sind für den Start dieser Denaturierung
maßgeblich und synergistisch verantwortlich, zum einen
die Einwirkzeit und zum anderen die Temperatur. Ab einer
Temperatur von 69°C mit einer Einwirkzeit von 1 s bzw.
einer Einwirkzeit von 1 h bei einer Temperatur von 45°C
treten Zellnekrosen auf (Dugan 1977).
Jackson hat im Jahr 1953 einen noch heute gültigen,
schalenförmigen Aufbau der entstandenen Hautläsion
beschrieben, welche aus drei Zonen besteht (Moyer 1965;
. Abb. 5.3):
4 Zone 1: die sogenannte Nekrosezone charakterisiert . Abb. 5.3 Histologische Einteilung der Verbrennung nach Jackson.
Zone 1: innere Zone der Nekrose (irreversibel). Zone 2: mittlere Zone
das Zentrum der Läsion. Das in dieser Zone befind- der Stase (reversibel-irreversibel). Zone 3: äußere Zone der Hyperämie
liche Gewebe ist irreversible geschädigt. (reversibel). Mit freundl. Genehmigung des Thieme Verlags

marcus.lehnhardt@rub.de
5.4 · Einschätzung des Verbrennungsausmaßes
41 5
dilatation im Rahmen einer lokalen entzündlichen Diese sind abhängig von der Schädigung der verschie-
Reaktion gekennzeichnet ist. In dieser Zone finden denen Schichten der Haut.
sich vitale Zellen, die nicht der Gefahr der Nekrose 4 Erstgradige Verbrennungen sind rein auf die Epi-
ausgesetzt sind. Bei einer konservativen Ausheilung dermis beschränkt. Charakteristischerweise zeigen
einer Verbrennung geht die primäre Wundheilung zu sich ein Erythem, eine mehr oder weniger stark
großen Anteilen von dieser Zone aus. ausgeprägte Hautschwellung sowie Schmerzen; klas-
sisches Beispiel ist der Sonnenbrand. Erstgradige
Verbrennungen heilen immer narbenlos ab und be-
5.4 Einschätzung des Verbrennungs- dürfen keiner chirurgischen Intervention.
ausmaßes 4 Zweitgradige Verbrennungen schädigen die Epi-
dermis vollständig und zusätzlich die oberen Anteile
> Für Beurteilung und Prognose einer Verbrennung der Dermis (Grad IIa) oder tiefe Dermisanteile
ist es unabdingbar, das Verbrennungsausmaß (Grad IIb). Verbrennungen Grad IIa gehen in aller
abschätzen zu können. Hierbei sind sowohl die Ver- Regel mit einer Bildung von flüssigkeitsgefüllten
brennungstiefe als auch die Ausdehnung einer epidermalen Hautblasen mit darunter gut durchblu-
Verbrennung von entscheidender Bedeutung. teter und in großen Teilen intakter Dermis einher.
Zusätzlich zeigt sich ein deutlicher Schmerzcharakter.
Verbrennungen Grad IIa heilen in der Regel narben-
5.4.1 Verbrennungstiefe los nach 10–12 Tagen ab. Verbrennungen Grad IIb
heilen dagegen meist nicht narbenfrei ab und be-
Die Tiefe einer Verbrennung wird klinisch in drei Grade dürfen einer chirurgischen Therapie, häufig mit einer
unterteilt (in älterer Literatur in vier; . Abb. 5.4). Transplantation von Haut. Im Gegensatz zu Verbren-

. Abb. 5.4 Schematische Darstellung der Einteilung der Verbrennungstiefe Grade I bis III

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42 Kapitel 5 · Verbrennungswunden

. Abb. 5.5 Mischbild einer Verbrennung im Aufnahmebad, zentrale, . Abb. 5.6 Thorakale, tiefgradige Verbrennung mit der Gefahr der
tiefgradige Verbrennung (Grad IIb), in den Außenbezirken mit noch Thoraxkompression durch Rigidität der brandverletzten Haut
gut rekapillarisiertem Wundgrund, hier oberflächliche Verbrennung
Grad IIa

. Tab. 5.1 Die verschiedenen Verbrennungsgrade der Haut

Grad Charakteristika

I – auf die Epidermis beschränkt


– Erythem
– Schwellungsneigung
– keine Blasenbildung
– sehr schmerzhaft
– heilt narbenfrei ab

IIa – auf Epidermis und obere Dermisanteile beschränkt


– Blasenbildung
– Wundgrund feucht, rosig mit regelgerechter
Rekapillarisierung
– intakte Hautanhangsgebilde
– sehr schmerzhaft
– heilt narbenfrei ab

IIb – Epidermis und tiefe Dermisanteile betroffen


– meist keine flüssigkeitsgefüllten, prallen Blasen
mehr auszumachen
– Wundgrund rigide, feucht bis trocken
– meist reduzierter Schmerzcharakter
– mögliche Verletzung der Hautanhangsgebilde
– Abheilung nur unter Narbenbildung

III – alle Hautschichten (Epidermis, Dermis, Subkutis)


von Schädigung betroffen
– Haut weißlich und rigide
– trocken ohne Blasenbildung
. Abb. 5.7 Verkohlung
– Verlust der Hautanhangsgebilde
– reduzierter Schmerzcharakter
– Abheilung unter Narbenbildung
– Sonderform: Verkohlung (zusätzliche Schädigung
von Muskeln, Sehnen und Knochen)

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5.4 · Einschätzung des Verbrennungsausmaßes
43 5
nungen Grad IIa sind die Hautblasen nicht immer ist weißlich, eine Rekapillarisierung lässt sich nicht
mehr mit Flüssigkeit gefüllt, zum Teil zeigt sich ein beobachten und der Turgor ist deutlich erhöht.
trockener Wundgrund. Nach Entfernung von Blasen- Hautanhangsgebilde sind teilweise oder vollständig
anteilen zeigt sich eine weißliche Dermis, teilweise verlustig (. Abb. 5.6). Eine Sonderform der dritt-
mit partieller, jedoch meist deutlich verzögerter gradigen Verbrennung ist die Verkohlung (früher als
Rekapillarisierung. Im Vergleich zu Verbrennungen Verbrennung Grad IV bezeichnet) mit einer voll-
Grad IIa sind Verbrennungen Grad IIb meist weniger ständigen Verkohlung (. Abb. 5.7) der Muskulatur,
schmerzhaft, da die in der Dermis gelegenen Schmerz- der Sehnen und der knöchernen Anteile
rezeptoren geschädigt sind. Häufig existieren Misch- (. Tab. 5.1).
bilder (. Abb. 5.5).
4 Eine drittgradige Verbrennung beschreibt eine Schädi-
gung aller Hautschichten; die Verbrennung kann 5.4.2 Verbrennungsausmaß
bis auf die Muskulatur reichen und diese in manchen
Fällen ebenfalls betreffen. Blasen sind in diesem Zur Bestimmung des Ausmaßes einer Verbrennungsver-
Stadium nicht mehr auszumachen; der Wundgrund letzung bezogen auf die gesamte Körperoberflächen (KOF;

a b

. Abb. 5.8a, b Neuner-Regel nach Wallace zur Bestimmung der Körperoberfläche. a Beim Erwachsenen. b Beim Kind (Wilhelm 2011)

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44 Kapitel 5 · Verbrennungswunden

»total body surface area«, TBSA) haben sich zwei Metho- Vo LT et al (1998) A study of vascular response to thermal injury
den etabliert: on hairless mice by fibre optic confocal imaging, laser doppler
flowmetry and conventional histology. Burns: Journ Intern Soc
4 Zum einen kann die Oberfläche nach der soge-
Burn Injuries 24(4):319–324
nannten Neuner-Regel abgeschätzt werden. Hierbei WHO (2014) WHO Burns; Available from: http://www.who.int/media-
wird davon ausgegangen, dass bestimmte Anteile centre/factsheets/fs365/en/
des Körpers 9 % bzw. ein Vielfaches von 9 ausmachen Wilhelm W (2011) Praxis der Intensivmedizin. Springer Verlag, Heidel-
(. Abb. 5.8a). Bei Kindern ist auf Grund eines unter- berg Berlin New York. S. 663
schiedlichen Verhältnisses des Kopfes zur gesamten
Körperoberflächen von einer modifizierten »Neuner-
Regel« auszugehen (. Abb. 5.8b).
5 4 Eine weitere Methode ist die Bestimmung des
Ausmaßes einer Verbrennung mittels der Handinnen-
fläche (Palm und Langfinger) des jeweilig verletzten
Patienten.

Beide Methoden können jedoch nur einen Anhalt bieten.


Neuere, computergestützte Auswertungen haben die Ab-
schätzung wesentlich einfacher und genauer gemacht.

Literatur

Brent J (2013) Water-based solutions are the best decontaminating


fluids for dermal corrosive exposures: a mini review. Clinical
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medizin: Arosa

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45 6

Pathophysiologie
der Verbrennungskrankheit
Richard M. Fakin, Merlin Guggenheim, Christoph Wallner, Marcus Lehnhardt,
Pietro Giovanoli

6.1 Ödembildung und Hypovolämie – 46

6.2 Immunologisches System – 47

6.3 Kardiovaskuläres System – 47

6.4 Respiratorisches System – 48

6.5 Niere und Ausscheidung – 49

6.6 Intraabdominelles Kompartmentsyndrom – 49

6.7 Die verschiedenen Mediatoren – 49


6.7.1 Kinine – 49
6.7.2 Prostaglandine – 49
6.7.3 Thromboxane – 50
6.7.4 Histamin – 50
6.7.5 Serotonin – 50
6.7.6 Katecholamine – 50
6.7.7 Sauerstoffradikale – 50

6.8 Immunologie – 50

6.9 Hyperkoagulabilität – 50

6.10 Hypermetabolismus – 51

Literatur – 51

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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46 Kapitel 6 · Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit

Ein Verbrennungstrauma kann, je nach Ausdehnung, zu Hypovolämie eine zentrale Rolle. Aufgrund der aufgeho-
zahlreichen komplexen Kaskaden bis hin zum Schock mit benen Zellmembranfunktion führt das Extravasat zu einer
fatalen Folgen führen. Solch systemische Auswirkungen Volumenzunahme in der Peripherie und damit zu einer
von Brandverletzungen manifestieren sich dabei bereits systemischen Hypovolämie. Durch die reaktive periphere
ab einer Verbrennung von 20 % der Körperoberfläche Vasokonstriktion entsteht eine Minderperfusion des um-
(VKOF) (Grunwald 2008). Trotz einer umgehenden Kor- gebenden Gewebes. Klinisch zeigen sich vor allem massive
rektur der Hypovolämie durch Flüssigkeitsgabe und der Ödeme sowie eine eingeschränkte Harnausscheidung;
dadurch erzielten adäquaten Vorlast und Senkung des laborchemisch zeigt sich u. a. ein stark erhöhter Hämato-
Hämatokrits kann ein systemischer Schock persistieren kritwert.
(Kobayashi 2012). Ein besseres Verständnis der Pathophy-
> Das Auftreten der Ödeme zeigt einen biphasischen
siologie von Verbrennungskrankheiten ist dringend erfor-
Verlauf mit einem ersten Höhepunkt unmittelbar
derlich, da Brandverletzte in Zukunft zunehmend durch
posttraumatisch sowie einem zweiten, deutlich aus-
individualisierte Therapien auf der Zellebene behandelt
6 werden. Solche Therapien stellen im Rahmen einer moder-
geprägter, 12–24 h danach (Demling 2005). Trotz
adäquater und rascher Flüssigkeitssubstitution
nen Behandlung eine wichtige und erfolgreiche Ergänzung
kann somit in den ersten 36 h oft keine Normalisie-
zum chirurgischen Vorgehen dar.
rung des Blutvolumens und der laborchemischen
Eine Verbrennungswunde lässt sich histomorpholo-
Werte erreicht werden.
gisch in drei Zonen einteilen (Jackson 1953).
1. Die zentrale weißliche Nekrose- oder Koagulations- Des Weiteren zeigt sich ein anfänglich erhöhter intra-
zone entsteht hauptsächlich durch die irreversible kapillärer hydrostatischer Druck sowie ein stark reduzier-
Koagulation und Denaturierung der Proteine. ter bzw. negativer interstitieller Druck im Bereich der ver-
2. Die perifokale Zone der Stase mit reduzierter Durch- brannten Haut (Lund 1987). Diese erhebliche Differenz
blutung und Ischämie kann sich in als Folge eines bewirkt bei einer stark gestörten Permeabilität der Kapil-
Ödems, einer Infektion oder aufgrund insuffizienter laren eine signifikante Flüssigkeitsverschiebung aus dem
Perfusion zur Nekrose demarkieren. intravasalen in den interstitiellen Raum und eine Persis-
3. Die periphere Zone der Hyperämie ist eindeutig vital tenz bzw. Progredienz der Ödeme. Die vorliegenden inter-
und gekennzeichnet durch eine Vasodilatation, einen stitiellen Druckverhältnisse, die für einen Schockzustand
der zahlreichen Effekte von lokalen Mediatoren. paradox sind, sind charakteristisch für verbrannte Haut
und hauptsächlich auf das denaturierte Kollagen zurück-
Bei den lokalen Reaktionen in der Verbrennungswunde zuführen (Lund 1992; Wiig 2003). Durch eine Abnahme
stehen die thermische Denaturierung der Proteine und der der Plasmaproteinkonzentration und eine Erhöhung der
dadurch bedingte Funktionsverlust der Plasmamembrane Eiweißkonzentration in der Lymphflüssigkeit sinkt der
im Vordergrund. Die Haut kann ihre zahlreichen physio- kolloidosmotische Druck und nachfolgend die trans-
logischen Funktionen nicht mehr gewährleisten, und eine kapilläre Resorptionskapazität. Das Resorptionsdefizit
Vielzahl lokaler Entzündungsmediatoren wird aktiviert. wird weiterhin durch die therapeutische Flüssigkeitssubs-
Insbesondere die Proteasen und Radikalbildner führen zu titution potenziert, die wiederum zu einer Progredienz der
einer progressiven Erhöhung der Permeabilität der Kapil- Ödeme führt. Demzufolge wurde in der Vergangenheit
laren und dadurch zu Ödemen (Kao 2000). Die Progre- versucht, die traditionelle Flüssigkeitstherapie der kristal-
dienz der Nekrosezonen und Flüssigkeitsverschiebungen loiden Volumensubstitution zunehmend mit kolloidalen
wird zudem durch die Schädigung der Kollagenverbin- Lösungen, wie z. B. Hydroxyethylstärke (HES), zu ergän-
dungen der Zellen und Bildung freier Sauerstoffradikale zen, bzw. darauf umzustellen. Neue Studien, die auf den
unterstützt. Im Phänomen des sogenannten »Nachtiefens« Daten von 7000 schwerbrandverletzten Patienten auf der
findet dieser pathophysiologische Teufelskreis seinen Aus- Intensivstation beruhen, konnten jedoch keine signifikan-
druck. Die detaillierte Beschreibung der Verbrennungs- te Verminderung der Mortalitätsraten durch eine An-
wunde wurde 7 Kap. 5 behandelt. Dieses Kapitel befasst wendung von Kolloiden zeigen. Die Mortalitätsrate, ins-
sich nun hauptsächlich mit systemischen Reaktionen der besondere bei vordergründiger Niereninsuffizienz, wurde
Verbrennungskrankheit bei schwerverbrannten Patienten. sogar deutlich höher (Myburgh 2012; Perner 2012).
Derzeit erfolgt die empfohlene Volumengabe haupt-
sächlich mit Ringerlaktat und optionaler Zugabe von
6.1 Ödembildung und Hypovolämie Albumin zur Korrektur der Hypoproteinämie. Die Hypo-
proteinämie sowie die Erhöhung der Gefäßpermeabilität,
Bei der Entstehung eines Verbrennungsschocks spielt die Veränderungen der Zellmembrane und das Sinken des
neben der Aktivierung der multiplen Mediatoren auch die Membranpotenzials werden zum systemischen Phäno-

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6.3 · Kardiovaskuläres System
47 6
men, d. h. mit Ausbreitung auch im Bereich der nicht ver- phagen (TNF-α) und zur Freisetzung von Bakterien-
brannten Haut und den Folgen von Hypermetabolismus, toxinen (Lipopolysacchariden usw.) führt.
Eiweißkatabolismus, disseminierter intravaskulärer Ge- 4 Im Modell der posttraumatischen Immunsuppression
rinnung und letztendlich Multiorganversagen. Die promp- folgt nach initialer Stimulation durch das Verbren-
te Korrektur der Hypoproteinämie durch die Albumin- nungstrauma im Verlauf eine reaktive Immunsup-
substitution ist weiterhin umstritten, da sie nur teilweise pression mit ausgeprägter T-Zellsuppression. Die
einen klinischen Benefit zeigt. Dabei könnte durch diese B-Zellpopulation und die NK-Zellpopulation sind in
eine Reduktion der Volumengabe und sogar der Ödem- deutlich geringerem Ausmaß betroffen (Teot 2012).
bildung im Bereich der nicht verbrannten Haut erreicht Die Signaltransduktion im Immunsystem ist gestört.
werden (Cartotto 2013). Zwar ist die lokalisierte Abwehr des Organismus
physiologisch, auf systemischer Ebene jedoch führt
eine überschießende Reaktion des Immunsystems zur
Mediatoren bei Schwerbrandverletzten
Aggravation des septischen Krankheitsbilds.
5 Mediatoren spielen auf verschiedenen Ebenen der
pathophysiologischen Reaktion auf das Verbren-
Die im Rahmen der Verbrennungsfolge aktivierten Mast-
nungstrauma eine zentrale und komplexe Rolle, so
zellen produzieren Chemotaxine (TNF-α, IL-8, LTB4,
z. B. in der Ausbildung des Verbrennungsödems
PAF), Vasodilatoren (Histamin, PAF, Kinine) und Vaso-
oder in der posttraumatischen Immunantwort.
spasmogene (Histamin, PGD2, LTCA, LTD4; Teot 2012).
5 Ein genaues Verständnis der entzündungsfördern-
Eine lokale Restriktion der Mikrozirkulation begünstigt
den Zytokine und anderer Akteure ist nötig, um
zudem die Ausbildung von Mikrothromben und fördert
Verbrennungen adäquat therapieren zu können,
die fortgesetzte Leukozytenmigration, wodurch das pro-
bedarf aber aktuell noch weiterer Forschung.
inflammatorische Geschehen weiter unterhalten wird. Das
aktivierte Monozyten-Makrophagen-System führt neben
der Ausschüttung von IL-1 und TNF-α zur Stimulation der
T-Zellen und indirekt zur Produktion von IL-6 und Akute-
6.2 Immunologisches System Phase-Proteinen sowie Auslösung von Fieber (Teot 2012;
Schwacha 2003).
Im Rahmen der posttraumatischen Reaktion spielt die
immunologische Antwort eine besondere Rolle, da sich
eine Dysfunktion des Immunsystems bei Verbrennungen 6.3 Kardiovaskuläres System
oft entscheidend auf die Mortalität und Morbidität aus-
wirkt. Die häufigste Todesursache bei einem schweren Ver- Ein unmittelbar posttraumatischer kardiodepressiver Zu-
brennungstrauma ist nach wie vor das Multiorganversagen, stand ist am ehesten auf die rasche Aktivierung der Media-
welches wiederum häufig, aber nicht zwangsläufig, in etwa toren sowie eine neurogene Kopplung zurückzuführen. Er
50 % der Fälle, mit einem infektiologischen Geschehen wird verstärkt durch die folgende Hypovolämie sowie den
einhergeht (Ottomann 2004). Dabei besteht ein fließen- tiefen Vorlast. Nun wird das Herzzeitvolumen durch die
der Übergang zwischen SIRS (»systemic inflammatory kompensatorisch vermehrte Freisetzung von Katechola-
response syndrome«), Sepsis und Multiorganversagen als minen erhalten, die hingegen gemeinsam mit anderen
Reaktionen auf die Verbrennung. Zudem ist die Immun- Mediatoren (Serotonin, Vasopressin, Angiotensin-II usw.)
antwort nach Verbrennung im Vergleich zu anderen den peripheren Widerstand erhöhen und somit auch den
Traumamechanismen deutlich stärker und prolongiert. Ein Nachlast steigern. Nach etwa 12 h zeigt sich bei adäquater
Beispiel dafür ist eine verstärkte und anhaltende Aktivie- Volumensubstitution ein Abnahme des »capillary leak«
rung der Zytokine IL-6 und IL-8 in der ersten Woche nach und somit eine Steigerung der Diurese mit sekundärer
der Verbrennung im Vergleich zu anderen Traumapa- Normalisierung des Hämatokritwerts. Und dennoch be-
tienten (Mace 2012). steht weiterhin ein reduziertes Herzzeitvolumen, wahr-
Für das Verständnis der immunologischen Reaktion scheinlich aufgrund der diversen kardiodepressiv wir-
nach der Verbrennungstrauma werden grundsätzlich zwei kenden Faktoren, die aus den Verbrennungswunden selbst
Erklärungsmodelle herangezogen. freigesetzt werden (Baxter 1966). Auch schädigen freie
4 Im sogenannten Zwei-Hit-Modell (. Abb. 6.1) folgt Sauerstoffradikale die Membranen der Herzmuskelzellen.
auf die erste unmittelbare Schädigung durch das Eine mangelnde Kontraktilität auf noradrenerge Substan-
Verbrennungstrauma (»first hit«) die Einwirkung von zen entsteht durch die mediatorinduzierte Verstärkung der
Mikroorganismen als zweiter Schädigungsfaktor Stickstoffmonoxidsynthetaseaktivität in den Kardiomyo-
(»second hit«), der u. a. zur Aktivierung der Makro- zyten (Ungureanu-Longrois 1995). Therapeutisch ist hier-

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48 Kapitel 6 · Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit

First Hit
Messenger

Hypovolämie Gewebsuntergang Inhalationstrauma Kinine Prostaglandine Thromboxane Histamin

Katecholaminausschüttung Myoglobulinurie Leukozytenaktivierung Hyperkoagulabilität Gefäßpermeabilität Vasokonstriktion „capillary leak“


„capillary leak“
Mukosauntergang
reduzierte
Surfactant-Bildung --> ARDS

6 Ödembildung Nachtiefen

Second Hit

TNF-a Ausschüttung
Belastung durch Bakterientoxine
reaktive Immunsupression

Mastzellenaktivierung

Chemotaxis Vasodilatation Vasopasmus

Mikrothromben

Leukozytenmigration

. Abb. 6.1 Zwei-Hit-Modell

bei eine Steigerung des Herzzeitvolumens mit Senkung des hin als Goldstandard gilt und für die Intubationsindikation
peripheren Widerstandes, eine Normalisierung der Herz- entscheidend ist. Im Falle einer Intubation bei Schwerver-
frequenz, eine Steigerung der Gewebeperfusion und eine brannten ist aufgrund der Ödemprogredienz mit einer
Verkleinerung der arteriovenösen Sauerstoffdifferenz an- verzögerten Extubation zu rechnen (in der Regel frühes-
zustreben (Ottomann 2004). tens nach 72 h). Da eine längere Intubationsdauer mit
einer signifikant erhöhten Komplikationsrate verbunden
ist (z. B. beatmungsassoziierte Pneumonie), ist eine strikte
6.4 Respiratorisches System und verifizierte Indikationsstellung umso wichtiger. Ein
Inhalationstrauma erhöht die Mortalität von Verbren-
Abgesehen von der unmittelbar durch die Verbrennungs- nungspatienten um ca. 20%, und bei zusätzlichem Befund
wunde bedingten Mortalität stellt die Diagnose des Inha- einer Pneumonie sogar um 60% (Shirani 1987). Hierbei
lationstraumas mit seinen Folgen die häufigste Ursache für kommt es durch die direkte Schädigung der Zellen und
einen letalen Ausgang dar. die Stimulation der Alveolarmakrophagen zu einer Leuko-
zytenaktivierung und zu einer Entzündungsreaktion, auf
> Der anfängliche klinische und konventionell-radio-
die eine Ausschüttung von Mediatoren und proteo-
logische Befund korreliert nur selten mit der Schwere
lytischen Enzymen folgt. Diese bewirken wiederum die
des Inhalationstraumas.
Bildung von Sauerstoffradikalen, die Ausbildung eines
Die Verifizierung der Diagnose sowie deren Einteilung »capillary leak« sowie die Zerstörung der Mukosa mit der
(Grad I–III) erfolgt durch die Bronchoskopie, die weiter- Konsequenz eines interstitiellen Lungenödems und einer

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6.7 · Die verschiedenen Mediatoren
49 6
Flüssigkeitssequestrierung im Alveolarraum. In der Folge 6.6 Intraabdominelles
kommt es zur Entstehung hyaliner Membranen mit Exsu- Kompartmentsyndrom
datbildung und somit zu einer verminderten Lungen-
compliance. Die arteriovenösen Shunts führen zu einer Bei einem Verbrennungstrauma lässt sich bereits ab einem
weiteren Verschlechterung des pulmonalen Gasaustau- intraabdominellen Druck von 10mmHg eine Vermin-
sches. Ein wichtiger Ansatzpunkt beim Inhalationstrauma derung der Perfusion, die Ausbildung einer Darmwand-
wäre demnach die Unterdrückung der inflammatorischen ischämie, eine Senkung des pH-Wertes der Schleimhaut
Reaktion. Verschiedene Studien konnten hier erste Erfolge und ein begleitendes Infektionsrisiko bis zur Sepsis beob-
zeigen: Eine Hemmung der Thromboxan-A2-Synthase achten. Zur Verhinderung einer Darmwandischämie so-
führte zu einem besseren kardialen Leistungsvermögen wie ggf. einer Durchwanderungsperitonitis sollte mit der
sowie einem reduzierten Widerstand der Pulmonalarte- enteralen Ernährung mittels Magensonde bereits 6 h nach
rien (Ishitsuka 2004). Auch die Anwendung von Toco- dem Trauma begonnen werden (Davies 1993).
pherol (Vitamin E) zur Unterstützung der Phagozyten-
aktivität und Reduktion der reaktiven Sauerstoffspezies
zeigte eine Verbesserung des Lungenödems und damit 6.7 Die verschiedenen Mediatoren
der Gasaustauschfläche und konnte die Ablagerung von
Kollagenfasern verhindern (Yamamoto 2012). Des Weite- Grundsätzlich lassen sich die Mediatoren in diejenigen
ren erbrachte die Gabe von Anticholinergika eine Verrin- Akteure unterscheiden, die für eine gesteigerte vasku-
gerung der Atemwegobstruktion und einen verbesserten läre Permeabilität (»capillary leak«) verantwortlich sind
Atemwegwiderstand (Buhling 2007). (Kinine, Prostaglandine, Leukotriene, sowie Histamin und
Neben einem Inhalationstrauma ist auch die Entwick- Serotonin), und in diejenigen, die eine hyperkatabole
lung einer Schocklunge bzw. einem ARDS (»acute respira- Stoffwechsellage bedingen (Kortisol, Katecholamine und
tory distress syndrome«) möglich: die entzündungsför- andere Hormone). Pathophysiologisch zeigen sich der
dernde Mediatoren führen zu einer Produktionseinstel- hypovolämischer Schock, die Lipolyse, die Proteolyse und
lung des Surfactant durch die Typ-II-Pneumozyten und in die Glukoneogenese.
der Folge zu einem Verlust der alveolokapillären Barriere
und der Bildung von Atelektasen.
6.7.1 Kinine
> Entscheidend für die Prophylaxe und das klinische
Management des ARDS ist eine Überdruckbeat-
Bei einem Verbrennungstrauma werden lokal ent-
mung zur Verhinderung des alveolären Kollapses.
zündungsfördernde Kinine (Bradykinine) freigesetzt
(Arturson 1969). Diese erhöhen die Permeabilität der
Venolen, sodass sich Ödeme bilden. Eine Ursache hierfür
6.5 Niere und Ausscheidung kann die vermehrte Freisetzung von Faktor XII sein, der
neben den Kininen auch die Komplementkaskade und
Eine renale Ischämie kann aufgrund der Hypovolämie ent- Arachidonsäureproduktion aktiviert und eine Rolle in der
stehen. Häufiger, und insbesondere bei ausgeprägt tiefen posttraumatischen Hyperkoagulabilität des Blutes spielt
Verbrennungen und Stromverletzungen, besteht jedoch (Arturson 1996).
der Grund für ein Nierenversagen hauptsächlich in der
Myoglubinurie.
6.7.2 Prostaglandine
> Um eine ausreichende Diurese erhalten zu können,
ist besonders in der Frühphase der Therapie ein aus-
Prostaglandine (Prostaglandin E2 und Prostazyklin) wir-
reichender Flüssigkeitsersatz prioritär.
ken nach ihrer Freisetzung durch das Verbrennungstrauma
Dieser sollte je nach Ausscheidung sowie den klinischen proinflammatorisch. Nach der lokalen Freisetzung durch
und laborchemischen Befunden im Verlauf restringiert die geschädigten Zellen werden sie in der Folge auch durch
werden. Die Gabe von Kolloiden (z. B. Hydroxyethylstär- Makrophagen und Neutrophile produziert (Harms 1981).
ke, Dextrane) ist nicht zu empfehlen. Zu den lokalen wie auch systemischen Auswirkungen
gehören die Vasodilatation und eine Hemmung der pri-
mären Hämostase, sowie die Erhöhung der Gefässperme-
abilität und die Progredienz der Ödeme. Klinisch zeigt sich
oft Fieber (Prostaglandin E2) ohne einen klaren Infekt-
fokus.

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50 Kapitel 6 · Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit

6.7.3 Thromboxane β-Rezeptoren teilweise gehemmt werden (Gauglitz 2009;


Goodman-Gilman 1990). In einem Modell für die In-vivo-
Thromboxane (Thromboxan A2 und der Metabolit Applikation von Noradrenalin konnte eine Verringerung
Thromboxan B2) führen zu einer lokalen Vasokonstrik- des lokalen Blutflusses und Metabolismus in der betreffen-
tion und einer Ischämie durch Verringerung der Gewebe- den Hautregion gezeigt werden, was im Rahmen der
perfusion. Die progressive Hautischämie geht mit einer Administration in der Kreislauftherapie des Verbrennungs-
lokalen Freisetzung von Thromboxanen hauptsächlich patienten berücksichtigt werden sollte (Samuelsson 2012).
aus Gerinnungsplättchen einher und ist zum Teil für das
Phänomen des Nachtiefens verantwortlich (Heggers 1985;
Gauglitz 2009). 6.7.7 Sauerstoffradikale

Superoxidanionen, Wasserstoffperoxid und Hydroxyl-


6.7.4 Histamin Radikale entstehen posttraumatisch als reaktive Sauer-
6 stoffspezies, die von aktivierten Neutrophilen lokal frei-
Bei der thermischen Verletzung von Haut wird durch die gesetzt werden. Bei einem Schockzustand bzw. bei einer
Mastzellen Histamin freigesetzt, was zu einer Aufweitung Reperfusion des ischämischen Gewebes sind diese Sauer-
des Interzellularspalts zwischen den einzelnen Endothel- stoffradikale für die direkte Schädigung des Endothels und
zellen und somit zu einer gesteigerten Gefässpermeabilität somit die erhöhte vaskuläre Permeabilität verantwortlich.
führt (Goodman-Gilman 1990). Dieser Effekt ist in der Simultan zu den Superoxidanionen werden Stickstoff-
Frühphase vorherrschend. Dazu erhöht das Histamin den anionen erzeugt, welche zur Entstehung von Peroxynitrit
intrakapillären Druck und durch die Dilatation der Arte- und einer Verbreitung des Verbrennungsödems führen
riolen und die Konstriktion der Venolen folgerichtig den können (Gauglitz 2009; Rawlingson 2000). Stickstoff-
»capillary leak«. Histamin kann zudem mit parallelem An- monoxid wiederum begrenzt die Stasezone und damit die
stieg der Histamin- und Harnsäurespiegel die Aktivität der lokale Ausdehnung des Verbrennungsödems. Eine thera-
Xanthinoxidase steigern (Friedl 1989). Die Anwendung peutische Ergänzung mit Antioxidantien (z. B. Vitamin C)
von Antihistaminika und Mastzellstabilisatoren konnte in konnte jedoch keine eindeutige protektive Wirkung be-
Tierversuchen eine Reduktion des Verbrennungsödems weisen und bleibt umstritten.
erzielen (Goodman-Gilman 1990), brachte in humanexpe-
rimentellen Studien jedoch bisher keine vergleichbaren
Erfolge. 6.8 Immunologie

Die Komplementfaktoren C3a und C5a werden bei den


6.7.5 Serotonin inflammatorischen Prozessen der Verbrennungswunde
vermehrt exprimiert und stimulieren die Neutrophilen-
Serotonin wird in der Akutphase der Verbrennung freige- funktion (Davis 1987). Der Signalweg kann dabei auch
setzt und wirkt durch die Aktivierung der glatten Muskel- über die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies induziert wer-
zellen in der Media vasokonstriktiv in Lunge und Niere den (Gelfand 1983).
sowie in größeren peripheren Gefäßen. In den Muskelge-
fäßen wirkt Histamin jedoch vasodilatativ (Gauglitz 2009).
Zwar kann durch die Anwendung von Serotonin-Antago- 6.9 Hyperkoagulabilität
nisten (z. B. Ketanserin) eine Reduktion des peripheren
Gefäßwiderstandes erzielt werden, die peripheren Ödeme Innerhalb von zwei bis drei Stunden nach dem Verbren-
jedoch persistieren. nungstrauma kann durch die Wirkung des plättchen-
aktivierenden Faktors (»platelet activating factor«, PAF)
eine Erhöhung der Kapillarpermeabilität sowie eine
6.7.6 Katecholamine Hyperkoagulabilität des Blutes bis zum DIC beobachtet
werden (Edery 1963). In Tierexperimenten konnten
Infolge der systemischen Verbrennungsantwort werden PAF-Antagonisten die peripheren Ödeme stark reduzie-
reichlich Katecholamine (Adrenalin und Noradrenalin) ren. Aktivierte Thrombozytenplättchen setzen verschie-
freigesetzt, die peripher über α-1 Rezeptoren vasokonstrik- dene Zytokine frei, unter anderem IGF-1. Die erhöhte
tiv sind und zusammen mit der Hypovolämie der Ödem- IGF-1-Konzentration korreliert mit dem Ausmaß an Zell-
bildung entgegenwirken. Die gefässerweiternde Wirkung schädigung und reduziert die Proteinbiosynthese der Ver-
der Histamine und Kinine kann über eine Aktivierung der brennungspatienten (Teot 2012). Teilweise, insbesondere

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
51 6
bei pädiatrischen Verbrennungspatienten, konnte die In- balancierte Ernährungstherapie, eine angemessene Tem-
fusion von IGF-1 eine Verbesserung des klinischen Bilds peraturregulation sowie eine möglichst frühzeitige Mobi-
erbringen (Williams 2011). lisation des Patienten angezeigt.

6.10 Hypermetabolismus Literatur

Arturson G (1996) The plasma kinins in thermal injury. Scand J Clin


Die metabolischen Reaktionen bei einem Verbrennungs-
Lab Invest 107:153–161
traumas laufen in einer akuten und in einer chronischen Arturson G (1996) The pathophysiology of the burn wound
Phase ab. In der Akutphase kommt es zu einem deutlich and pharmacological treatment. The Rudi Hermans Lecture.
erhöhten metabolischen Bedarf. Innerhalb der ersten 48 h In: Burns 22:255–274
werden vermehrt Katecholamine und Nährstoffe sowie Baron DM, Metnitz PGH (2009) Metabolische Veränderungen bei
proinflammatorische Akute-Phase-Proteine relativ zum Brandverletzungen – Pathophysiologie und Therapie. Anästhesiol
Intensivmed Notfallmed Schmerzther 44:494–499
Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche produziert. Baxter CR, Cook WA, Shires GT (1966) Serum myocardial depressant
Kompensatorisch zur hyperkatabolen Stoffwechsellage factor of burn shock. Surg Forum 17:1–2
werden zunächst die hepatische Glykogenolyse und an- Buhling F, Lieder N, Kuhlmann UC, Waldburg N, Welt T (2007)
schließend die Glukoneogenese verstärkt aktiviert Tiotropium suppresses acetylcholine-induced release of chemo-
(Baron 2009). Die ausgeschütteten Katecholamine führen tactic mediators in vitro. Respir Med 101:2386-2394
Burch JM, Moore EE, Moore FA (1996) The abdominal compartment
zu einer verminderten Insulinwirkung, einer Hyperglykä-
syndrome. Surg Clin North Am 76:833–842
mie und im subkutanen Fettgewebe zu einer übermäßigen Cartotto R, Callum J (2012) A review of the use of human albumin in
Steigerung der Lipolyse, bei der die anfallenden freien Fett- burn patients. J Burn Care Res 33:702–717
säuren im Rahmen einer sich ausbildenden Hepatomegalie Chong SJ, Wong YC, Wu J, Tan MH, Lu J, Moochhala SM (2014)
in der Leber sowie in der Muskulatur deponiert werden. Parecoxib reduces systemic inflammation and acute lung injury
in burned animals with delayed fluid resuscitation. Int J Inflam.
Dieser Ablagerung freier Fettsäuren soll die frühe Nekros-
doi: 10.1155/2014/972645. Epub 2014 Jan 21
ektomie innerhalb der ersten 2–3 Tage nach dem Verbren- Davis CF, Moore FD Jr, Rodrick ML, Fearon DT, Mannick JA (1987)
nungstrauma entgegen wirken. Im Anschluss an die Akut- Neutrophil activation after burn injury: contributions of the
phase zeigen sich chronische Veränderungen bei einem classic complement pathway and of endotoxin. Surgery 102:
vorwiegend inflammatorisch bedingten, katabolen Stoff- 477–484
Deitch EA (1990) Intestinal permeability is increased in burn patients
wechselbild. Demnach wirkt sich eine leichte prätrauma-
shortly after injury. Surgery 107:411–416
tische Adipositas protektiv auf den posttraumatischen Demling RH (2005) The burn edema process: current concepts. J Burn
Verlauf aus (Jeschke 2013). Neben einer zunehmenden Care Rehabil 26:207–227
peripheren Insulinresistenz (innerhalb der ersten Tage bis Diao L, Marshall AH, Dai X, Bogdanovic E, Abdullahi A, Amini-Nik S,
zu einem Jahr danach) und weiterhin erhöhter Lipolyse Jeschke MG (2014) Burn plus lipopolysaccharide augments
zeigt sich zudem eine Störung der mitochondrialen Funk- endoplasmic reticulum stress and NLRP3 inflammasome activa-
tion and reduces PGC-1a in liver. Shock 41:138–144
tion, die zu einer Beeinträchtigung der Atmungskette mit
Friedl HS, Till GO, Tentz O, Ward PA (1989) Roles of histamine,
Verlagerung des Energieumsatzes bis hin zu verstärkter complement and xanthine oxidase in thermal injury of skin.
Wärmeproduktion führt. Die Leberzellfunktion ist bei Am J Pathol 135:203–217
einer Vielzahl Schwerbrandverletzter über einen längeren Gauglitz GG, Herndon DN, Kamolz LP, Jeschke MG (2009) Die Patho-
Zeitraum stark beeinträchtigt und zeichnet sich durch eine physiologie von Verbrennungswunden. In: Karnolz LP,
Herndon DN, Jeschke MG (Hg) Verbrennungen. Springer Berlin,
Dysfunktion des endoplasmatischen Retikulums (ER) aus,
Heidelberg, New York
welches vermutlich durch eine Entleerung der Kalzium- Gauglitz GG, Williams FN, Herndon DN, Jeschke MG (2011) Burns:
speicher ausgelöst wird (Song 2009). Eine anhaltende where are we standing with propranolol, oxandrolone, recombi-
chronische Hyperglykämie führt neben längeren statio- nant human growth hormone, and the new incretin analogs?
nären Verweilzeiten zu einem vermehrten Auftreten von Curr Opin Clin Nutr Metab 14:176–181
Gelfand JA, Donelan M, Burke JF (1983) Preferential activation and
Wundheilungsstörungen und einer erhöhten Prävalenz
depletion of the alternative complement pathway by burn injury.
von Wundinfektionen (Brandon 2009). Aktuell kann eine Ann Surg 198:58–62
Insulinadministration mit einem Ziel-Blutzuckerspiegels Goodman-Gilman A, Rall TW, Nies AS, Taylor R (1990) The pharmaco-
zwischen 130–150 mg/dl versucht werden (Jeschke 2013). logical basis of therapeutics. 6th Edn, MacMillan New York
Betablocker führen zwar zu einer Reduktion des Herzzeit- Grunwald TB, Garner WL (2008) Acute burns. Plast Reconstr
Surg 121:311e–319e
volumens und zu einer verbesserten Wundheilung, sind
Harms B, Bodai B, Demling R (1981) Prostaglandine release and altered
jedoch in der Akutphase aufgrund ihrer vasodilatativen microvascular integrity after burn injury. J Surg Res 31:27–28
Wirkung ungünstig. Derzeit sind somit im Umgang mit Hettiaratchy S, Dziewulski P (2004) ABC of burns. Pathophysiology and
der chronischen Verbrennungsreaktion vor allem eine types of burns. BMJ Vol 328

marcus.lehnhardt@rub.de
52 Kapitel 6 · Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit

Ishitsuka Y, Moriuchi H, Hatamoto K, Yang C, Takase J, Golbidi S, Teot L, Otmann S, Brancati A, Mittermayr R. Burn wound healing:
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marcus.lehnhardt@rub.de
53 7

Erstversorgung und
präklinische Behandlung
Christoph Hirche, Matthias Münzberg, Ulrich Kneser

7.1 Einleitung – 54

7.2 Allgemeine Aspekte der präklinischen Erstbehandlung – 54

7.3 Ausbildungskonzepte zur strukturierten Herangehensweise


an den Schwerbrandverletzten – 55

7.4 Einzelschritte in der präklinischen Erstversorgung


des Schwerbrandverletzten – 55
7.4.1 Selbstschutz, Beseitigung der Hitzequellen und Beendigung des Brennens
(»scene, safety, situation«) – 55
7.4.2 A (»airway«): Atemwegskontrolle mit Sicherung der Halswirbelsäule – 56
7.4.3 B (»breathing«): (Be-)Atmung – 57
7.4.4 C (»circulation«): Kreislauf- und Flüssigkeitstherapie – 58
7.4.5 D (»disability«): neurologisch-motorische Einschränkung – 59
7.4.6 E (»environment«): verbrannte Körperoberfläche, Thermomanagement/
-monitoring, Verbände – 59

7.5 Analgesie und medikamentöse Therapie – 61

7.6 Reevaluation, Kommunikation und Transport – 61

7.7 Schlussfolgerung und Ausblick – 61

Literatur – 62

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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54 Kapitel 7 · Erstversorgung und präklinische Behandlung

7.1 Einleitung dierten und gelehrten Konzepte der Schwerverletzten-


versorgung, PHTLS und ATLS, zurückgegriffen, die einen
Die Anzahl Schwerbrandverletzter ist in den Industrie- möglichen Ansatz zur notwendigen Strukturierung der
staaten durch effiziente Arbeitsschutzmaßnahmen und Schwerbrandverletztenversorgung bieten und im Ver-
technische Modifikationen kontinuierlich rückläufig gleich zu anderen Konzepten bereits validiert sind. Dabei
(Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin 2015). werden die bekannten Schritte mit speziellen Aspekten
Die damit einhergehende niedrige Inzidenz schwerer der Schwerbrandverletztenversorgung kombiniert. Diese
Brandverletzungen führt konsequenterweise zu einer Herangehensweise soll durch die bekannte, »gemeinsame
geringen Exposition der Rettungsdienstmitarbeiter, zu Sprache« Unsicherheiten ausräumen und Raum für die
schwindenden Erfahrungswerten und rückläufigen Fall- besonderen Anforderungen an die Schwerbrandverletz-
zahlen für die Validierung der geleisteten Arbeit (Allison tenversorgung bieten.
2004; Hirche 2011). Darüber hinaus ist die präklinische
> Die hier dargestellte Vorgehensweise bezieht sich auf
Erstversorgung von Schwerbrandverletzten häufig gepaart
den schwerbrandverletzten Patienten, der angesichts
mit visuell stark eindrücklichen, belastend traumatisieren-
des Ausmaßes seiner Verbrennung außerhalb eines
den Verbrennungsmustern, besonderen Unfallereignissen
Zentrums weder ambulant noch stationär behandelt
7 sowie einer häufig dramatischen Verletztenbergung. Diese
werden soll. Dies schließt Patienten ein, denen die
besonderen Umstände der Schwerbrandverletztenversor-
Entwicklung einer Verbrennungskrankheit oder
gung sorgen außerhalb von Schwerbrandverletztenzentren
Komplikationen durch die Verbrennung oder Begleit-
für eine Unsicherheit in der präklinischen Behandlung.
verletzung (Thermokombinationsverletzung) dro-
Eine nationale Auswertung in Großbritannien zeigte, dass
hen. Unberücksichtigt von dieser Vorgehensweise
58% der Rettungsdienste keine spezifischen Behandlungs-
sind kleine lokale Verbrennungen, die häufig durch
algorithmen und Leitlinien in der Erstversorgung von
Laienhelfer erstversorgt werden.
Brandverletztungen anwenden (Allison 2002). Die Mehr-
heit der Mitarbeiter im Rettungsdienst gibt darüber hinaus
an, aufgrund fehlender Aus- und Weiterbildung im Be-
reich der Schwerbrandverletztenversorgung und begrenzt 7.2 Allgemeine Aspekte der präklinischen
anwendbaren Leitlinien nicht ausreichend für die Behand- Erstbehandlung
lung Schwerbrandverletzter ausgebildet zu sein (Allison
2004, Cupera 2002). Die Aufgabe des Rettungsdienstteams in der präklinischen
Als Referenzen für die anwendbaren Praxis existieren Erstbehandlung besteht darin, nach Selbstschutz und
nach dem derzeitigen Stand (April 2016) in Deutschland sichernden Maßnahmen im Rahmen der Erstbegutachtung
eine S1-Leitlinie für thermische und chemische Verlet- (»primary survey«) das ABCDE-Schema gepaart mit ver-
zungen, eine S2-Leitlinie für thermische Verletzungen brennungsspezifischen Anforderungen abzuarbeiten und
im Kindesalter (S2k) sowie eine S3-Leitlinie für die Poly- zu reevaluieren (. Tab. 7.1). Dabei liegt der primäre Fokus
trauma- und Schwerverletztenversorgung (AWMF 2011a; auf der Diagnostik und Ersttherapie lebensbedrohlicher
AWMF 2015; AWMF 2011b). In Ergänzung kann für das thermomechanischen Kombinationsverletzungen, und
präklinische Traumamanagement auf das Pre-Hospital- möglicher Verletzungen der Halswirbelsäule, die primär zu
Trauma-Life-Support(PHTLS)-Konzept zurückgegriffen berücksichtigen sind (»cervical spine protection«, CSP).
werden, das sich auch mit dem Verbrennungstrauma be- Nach Ausschluss eines Unfallmechanismus mit potentieller
schäftigt, den eigentlichen Schwerpunkt jedoch auf die Verletzung aus diesem Bereich (z. B. Sturz aus unklarer
Versorgung Schwerverletzter und von thermomechani- Höhe, Hochrasanztrauma mit Verbrennungen, Explosions-
schen Kombinationsverletzungen legt (NAEMT 2012). verletzungen) sollen erst die verbrennungsspezifischen
Derzeit fehlt ein ausformulierter, validierter, strukturierter Aspekte abgearbeitet werden (Mühlberger 2010; Giessler
und evidenzbasierter Behandungsansatz für die präklini- 2004; Adams 2010). Ist eine schwere Begleitverletzung
sche Versorgung, vergleichbar mit dem des PHTLS, der neben dem Verbrennungstrauma nicht auszuschließen,
speziell die seltenen Ereignisse der präklinischen Versor- sollten die thermomechanischen Kombinationsverlet-
gung Schwerbrandverletzter reflektiert. zungen als führende, potenziell lebensbedrohliche Verlet-
Das Kapitel soll die vorhandenen Leitlinien und Ver- zungen diagnostiziert und behandelt werden (Cupera 2002,
sorgungskonzepte zusammenfassen und in einen struktu- NAEMT 2012). Dazu gehört auch die Schockraumanmel-
rierten Behandlungsansatz überführen, der für die Ret- dung in einem Traumazentrum, idealerweise mit angebun-
tungsdienstmitarbeiter einen schlüssigen Leitfaden bietet. denem Schwerbrandverletztenzentrum (7 Kap. 8–10).
Für die strukturierte, standardisierte und prioritäten-
orientierte Versorgung wird in diesem Kapitel auf die vali- > »treat first what kills first«

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7.4 · Einzelschritte in der präklinischen Erstversorgung des Schwerbrandverletzten
55 7
Beispiel
. Tab. 7.1 Essenzielle präklinische Schritte bei schwerbrand-
Milzruptur bei PKW-Insassen mit Verbrennungen nach verletzten Patienten
schwerem Verkehrsunfall mit Entzündung des Fahrzeugs.
– Selbstschutz der Rettungskräfte
Bei isoliert großflächigen Verbrennungen ohne Begleitver- – Entfernung der Hitzequelle
letzung werden die pathophysiologischen Prozesse erst mit – ABCDE-Schema (. Tab. 7.2)
– Ausschluss lebensbedrohlicher thermomechanischer
einer zeitlichen Verzögerung von 8–24 h relevant, weshalb Kombinationsverletzungen
die Ersthelfer mit deren Auswirkungen folglich seltener – aktives und passives Wärmemanagement inklusive
konfrontiert sind. Bei isolierten Verbrennungen ist somit Temperaturmonitoring
die »golden hour of shock« nicht direkt übertragbar – grobe Einschätzung der VKOF
(AWMF 2011b, NAEMT 2012). Die häufigsten Unsicher- – medikamentöse Therapie
– rationale Volumensubstitution nach Faustformeln
heiten sind bei schweren Verbrennungen bedingt durch – Reevaluation nach ABCDE-Schema (. Tab. 7.2)
den visuellen Eindruck und die Begleitumstände. Hier – sterile Verbände
soll die Anwendung bekannter Algorithmen (ABCDE- – Auswahl Zielklinik (Traumazentrum/Verbrennungszentrum
Schema) für Sicherheit sorgen. oder beides an einem Standort)
– Auswahl Transportmittel (vorgeheizt)

VKOF verbrannte Körperoberfläche (%)


7.3 Ausbildungskonzepte zur Die Schrittreihenfolge kann als Richtgröße gelten, bedarf
strukturierten Herangehensweise jedoch der Anpassung an den Individualfall
an den Schwerbrandverletzten

Es existieren im internationalen Vergleich verschiedene 7.4 Einzelschritte in der präklinischen


Konzepte zur strukturierten Herangehensweise an den Erstversorgung
schwerbrandverletzten Patienten. Die meisten dieser des Schwerbrandverletzten
Konzepte basieren auf der Anwendung des ABCDE-Sche-
mas und verbrennungsspezifischer Aspekte (. Tab. 7.1, Nachfolgend werden die einzelnen Schritte detailliert mit
. Tab. 7.2). Alle Konzepte werden auch in Form von Kurs- Bezug auf die Evidenz und das zuzuordnende Behand-
und Weiterbildungsmodule gelehrt. Die verbrennungs- lungskonzept dargestellt.
spezifischen Module lassen sich jedoch nicht einfach auf
die Versorgungsstruktur der Präklinik in Deutschland
übertragen. Die Konzepte sollen für den interessierten 7.4.1 Selbstschutz, Beseitigung
Leser der Vollständigkeit halber zum weiterführenden der Hitzequellen und Beendigung des
Literaturstudium genannt werden. Brennens (»scene, safety, situation«)
Neben dem etablierten PHTLS-Konzept für die prä-
klinische Versorgung von Schwerverletzten, das sich in ! Cave
einem Kapitel auf Verbrennungen bezieht, dem »advanced Es gilt, auch und insbesondere in der Schwer-
trauma life support« (ATLS) für die innerklinische brandverletztenversorgung, das oberste Gebot für
Schwerverletzen(erst)versorgung, und dem »advanced den Rettungsdienst: Eigenschutz geht vor!
trauma care for nurses« (ATCN) für Pflegefachkräfte sind
erste Konzepte für die Behandlung Schwerbrandverletzter Bei unklaren Explosionen oder hochentzündlichen Stoffen,
in Kursprogramme überführt worden. In den USA und in Starkstrom oder chemischen Unfallursachen und selbstver-
Japan wurde mit »advanced burn life support« (ABLS) ein ständlich bei unklaren Ereignissen müssen im Zweifelsfall
verbrennungsspezifischeres Kurskonzept etabliert, dieses spezialisierte und geübte Teams zur Beseitigung der Quelle
genügt jedoch aufgrund der unterschiedlichen Versor- eingesetzt werden (Feuerwehr, Elektriker, Dekontamina-
gungsstruktur den Anforderungen für den deutschspra- tionsteams). Verbleibt glimmende Kleidung, so sollte diese
chigen Raum nicht ausreichend. In Australien wird das vorsichtig gelöscht und entfernt werden, da sie sich weiter
Emergency-Management-of-Severe-Burns(EMSB)-For- in die Haut einbrennen kann. Durch zeitnahe Ödem-
mat angeboten, das jedoch die Anforderungen und Vor- bildung und Perfusionsminderung an den Extremitäten
aussetzungen in Deutschland ebenfalls nur bedingt be- und am Hals, sollte Schmuck frühzeitig entfernt werden.
rücksichtigt (Hirche 2011; Allison 2002; AWMF 2011a; Bereits in die Haut eingeschmolzene Kleidungsstücke oder
AWMF 2011b; Mühlberger 2010). Fremdkörper müssen jedoch belassen werden und sollten
erst in der Klinik entfernt werden (z. B. Polyvinyl, Polyester;
Hirche 2011).

marcus.lehnhardt@rub.de
56 Kapitel 7 · Erstversorgung und präklinische Behandlung

. Tab. 7.2 Grundlage der präklinischen Behandlung: ABCDE-Schema aus der Schwerverletztenversorgung nach PHTLS und ATLS
unter Berücksichtigung verbrennungsspezifischer Aspekte

Erstbeurteilung Umsetzung
(»primary survey«)

A airway Atmung und Atemwege/Gesichtsverbrennungen, Inhalationstrauma


cervical spine protection Stabilisierung HWS
B breathing Beatmung, Ventilation, Thoraxverbrennung
C circulation Kreislauf, Begleitverletzungen (»stop the bleeding«)
D disability Neurologie, Kohlenmonoxidvergiftung
E exposure Entkleidung/Entfernung verbrannter Kleidung
environment Wärmeerhalt (aktiv/passiv) durch warme Infusion, Rettungsdecke, aufgeheiztes
Rettungsmittel, groborientierende Abschätzung der VKOF

ATLS »advanced trauma life support«; PHTLS »pre hospital trauma life support«; VKOF verbrannte Körperoberfläche (%)
7
7.4.2 A (»airway«): Atemwegskontrolle Auch bei der Inspektion des Patienten kann der Ersthelfer
mit Sicherung der Halswirbelsäule Merkmale finden, die die Wahrscheinlichkeit für eine
drohende respiratorische Insuffizienz (»A-Problem«) er-
Unter Berücksichtigung einer möglichen Verletzung der höhen können. Hierzu zählen folgende Verletzungsmuster
Halswirbelsäule und Anlage einer Zervikalstütze (z. B. (Hirche 2011):
»stiffneck«) sind die Atemwege zu explorieren und zu 4 Tiefedermale und großflächige Gesichtsverbren-
sichern (»airway with cervical spine protection«). Eine erste nungen und zirkuläre Verbrennungen der Halsregion
Methode, um die Atemwege frei zu halten, ist der »trauma (. Abb. 7.1a)
chin lift« oder »trauma jaw thrust« (Esmarch-Handgriff). 4 Verbrennungen in enger Lagebeziehung zu den
Sind die Atemwege verlegt, so müssen sie zunächst frei- oberen Atemwegen
gelegt und dann gesichert werden. Als Hilfsmittel dienen 4 Schmauchspuren und Rauchsedimente im Be-
bei Toleranz durch den Patienten ein Guedel- oder Wendel- reich der oberen Atemwege/Nasenlöcher/Mund-
Tubus. Führt das Vorgehen nicht zu einer zügigen und effi- schleimhaut
zienten Atemwegsicherung, sollte eine endotracheale oder 4 Angesengte Augenbrauen, Wimpern, Bart- und
zumindest eine supraglottische Intubation (Larynxmaske Nasenhaare (. Abb. 7.1b)
oder -tubus) erfolgen (NAEMT 2012). Insbesondere bei
! Cave
Patienten mit ausgeprägten Gesichtsverbrennungen und
Die supraglottische Atemwegshilfe (Larynxtubus)
einer zeitnah anzunehmenden Anschwellung der Atem-
ist eine Alternative im Rettungsdienst, da sie durch
wege ist ein definitive Atemwegssicherung durch endo-
erleichtertes Einführen unabhängig von der Patien-
tracheale Intubation zu bevorzugen.
tenlage und auch von nichtärztlichen Rettungs-
Auf Grundlage der S3-Leitlinie der Schwerverletzten-
dienstmitarbeitern, und damit in der Regel früher
versorgung sollen bei polytraumatisierten Patienten bei
eingebracht werden kann (Krämer 2010). Jedoch ist
folgenden Indikationen präklinisch eine Notfallnarkose,
darauf zu achten, dass der Larynxtubus sicher
eine endotracheale Intubation und eine Beatmung durch-
positioniert werden kann, was bei einer thermo-
geführt werden (AWMF 2011b). Dieser Empfehlung be-
mechanischen Schädigung des Oropharynx un-
rücksichtigt das Vorliegen möglicher thermomechani-
möglich sein und zu einer Sekundärverletzung
schen Kombinationsverletzungen:
führen kann.
4 Hypoxie (SpO2<90 %) unter noninvasiver Sauer-
stoffgabe und nach Ausschluss eines Spannungs- Kriterien zur definitiven Atemwegsicherung bei Verbren-
pneumothorax nungspatienten sind (Hirche 2011; NAEMT 2012; Wapp-
4 schweres Schädelhirntrauma (»Glasgow coma score«, ler 2009):
GCS<9) 4 schweres thermomechanisches Kombinationstrauma
4 traumaassoziierte hämodynamische Instabilität 4 zirkuläre oder großflächige drittgradige Verbren-
(Blutdruck systolisch <90 mmHg) nungen, führend Gesicht, Hals, Thorax
4 schweres Thoraxtrauma mit respiratorischer 4 großflächige Verbrennungen, führend Grad IIa/b
Insuffizienz (Atemfrequenz >29) zur sicheren Analgesie

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7.4 · Einzelschritte in der präklinischen Erstversorgung des Schwerbrandverletzten
57 7

a b c

d e

. Abb. 7.1a–e Verletzungsmuster. a Das Verbrennungsausmaß im Gesicht suggeriert eine zügige Ödembildung mit möglicher Verlegung
der Atemwege. Aus diesem Grund sollte bereits präklinisch eine definitive Sicherung der Atemwege erfolgen. b Auf eine Sicherung des endo-
trachealen Tubus (*) wurde hier angesichts bestehender Unsicherheiten im Umgang mit der Gesichtsverbrennung und der Sorge vor weiter-
führender Schädigung fälschlicherweise verzichtet. c Durch die Verbrennung beginnen Ober- und Unterlippe bereits anzuschwellen (#). d Die
nahezu zirkuläre, tiefdermale Halsverbrennung (#) kann durch die einsetzende Ödembildung zu einer Verlegung der Atemwege führen und
bedarf einer frühzeitigen Sicherung in diesem Fall mit endotrachealem Tubus, Guedel-Tubus und Fixierung (*). e Angesengte Augenbrauen (*),
Wimpern (#) und Barthaare (§) lassen auf einen direkten Feuerkontakt und ein mögliches Inhalationstrauma schließen

4 schwere Gesichtsverbrennung 7.4.3 B (»breathing«): (Be-)Atmung


4 respiratorische Insuffizienz, Tachypnoe, Dyspnoe
4 Hypoxie trotz hochdosierter Sauerstoffin- Im Schritt Beatmung kann es bei Patienten mit schweren
sufflation Verbrennungen des Gesichts, des Halses und des Thorax
4 inspiratorischer Stridor durch den Verlust der Hautelastizität zu eine beeinträch-
4 schwerer Bronchospasmus tigten Atemexkursion kommen. Durch die sekundäre
4 Bewusstseinsstörungen (GCS<9) Ödembildung wird die Einschränkung regelrecht in einen
circulus vitiosus überführt. Je nach Schwere reichen die
! Cave Symptome von einer leichten Dyspnoe bis hin zu einer
Nicht jeder Patient mit Rauchgasinhalation muss lebensbedrohlichen, respiratorischen Insuffizienz (Eastman
intubiert werden, aber eine Sauerstofftherapie mit 2010). Durch ein begleitendes Inhalationstrauma (IHT)
Brille/Maske sollte jeder Patient erhalten. können die Schleimhäute der Atemwege ein zusätzliches

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58 Kapitel 7 · Erstversorgung und präklinische Behandlung

a b
7 . Abb. 7.2 Verbrennung von Thoraxwand (a) und Rücken (b) mit potenzieller Einschränkung der Ventilation. Bei nahezu zirkulärem
Befund III. Grades kann bei verzögerter Zuweisung in ein endversorgendes Schwerbrandverletztenzentrum eine notfallmäßige Escharotomie
von Thorax und Rücken notwendig sein, um ein Atemproblem suffizient zu lösen

Ödem bilden; Rußpartikel, chemische Bestandteile (Zya- 4 abdominelle Blutungen


nidintoxikation) oder eine Kohlenmonoxidintoxikation 4 Becken- und Oberschenkelverletzungen
können neben der Ventilation auch noch die Oxygenierung 4 hämodynamisch wirksame, arterielle oder venöse
beeinträchtigen. Informationen zu Unfallort und Unfall- Blutungen
hergang können hierbei wichtige Hinweise liefern (ge-
schlossener Raum, Dauer der Exposition). Besteht der Diese Verletzungen bedürfen einer sofortigen präklini-
hochgradige Verdacht auf eine Zyanidintoxikation (in der schen Versorgung mittels Beckenschlinge, Druckverband
Regel aufgrund der Begleitumstände des Verbrennungs- oder Tourniquet.
traumas und der klinischen Situation), muss eine präkli- Ist eine Kreislaufinstabilität ausgeschlossen, kann par-
nische Antidotgabe erwogen werden. allel zur Abarbeitung des ABCDE-Schemas eine moderate,
Auch können zirkuläre Verbrennungen des Oberkör- rationale Flüssigkeitstherapie durchgeführt werden. Eine
pers die Atemexkursion einschränken und bedürfen im zu hohe und zu schnelle Flüssigkeitszufuhr kann, insbe-
Notfall durch Escharotomie einer sofortigen Beseitigung sondere bei älteren Patienten, das Risiko einer kardialen
der Ursache (. Abb. 7.2). In der Regel überdauert es jedoch Dekompensation mit sich bringen (Myers 1997; Warden
die präklinische Phase, bis zirkuläre Verbrennungen von 1992). Außerdem tritt die nachfolgende Verbrennungs-
Hals und Thorax durch additive Ödembildung eine funk- krankheit mit Notwendigkeit zur differenzierten Volumen-
tionelle Ventilationsstörung verursachen. Bei thermo- substitution basierend auf Köpergewicht, VKOF, Diurese,
mechanischen Kombinationsverletzungen kann ein lebens- Alter und Begleitverletzungen außerhalb der regulären
bedrohlicher Spannungspneumothorax entstehen, der so- präklinischen Phase auf (<4 h). Aus diesem Grund soll auf
fort entlastet werden muss. die komplexen Formeln in dieser Phase »der Einfachheit
halber« verzichtet werden. Die verbreiteten Formeln nach
Parkland und Baxter sind für die klinische Phase der Be-
7.4.4 C (»circulation«): Kreislauf- handlung, unter engmaschigen Kontrolle der Diurese als
und Flüssigkeitstherapie Kontrollparameter und erst ab einer VKOF von 15–20 %
reserviert (Baxter 1968; Baxter 1973; Schuelen 1982). An-
Im Schritt »C« muss die Kreislaufsituation sicher beurteilt gesichts von Zeit-, Informations- und Wissensmangel ber-
werden. Außerdem schließt sich unmittelbar die orien- gen sie sogar Fehlerquellen für die präklinische Phase.
tierende Untersuchung nach PHTLS-Kriterien an, um
lebensbedrohliche Begleitverletzungen frühzeitig zu dia-
gnostizieren (Krämer 2010; PreHospital Trauma Life Sup-
port Committe 2007). Hierzu zählen unter anderem:
4 Hämatothorax, Spannungspneumothorax (bereits
unter »B«)

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7.4 · Einzelschritte in der präklinischen Erstversorgung des Schwerbrandverletzten
59 7
> Es werden Faustregeln für eine moderate Flüssig-
. Tab. 7.3 Richtgrößen der präklinischen Flüssigkeitsthera-
keitstherapie bei Schwerbrandverletzten empfoh-
pie für die Phase 2–4 h nach Verbrennungsexposition
len. Auf die Anwendung von Formeln sollte verzich-
tet werden. Das akute Vorgehen umfasst: Empfehlung für die vorklinischen Flüssigkeitstherapie
5 präklinische Volumensubstitution 250–1000 ml
(. Tab. 7.3) Patientenalter Flüssigkeitsmenge
(ml)
5 vorgewärmte kristalloide Infusionslösungen
5 intravenöser oder intraossärer Zugang, Erwachsene, Kinder ab 15 Jahre 1000
wenn möglich in nicht verbrannten Hautarealen
10–15 Jahre 500
(. Abb. 7.3)
5 bei thermomechanischer Kombinations- Kinder 5–10 Jahre 250
verletzung: Blutung kontrollieren, balancierte <5 Jahre max. 50–125
Volumentherapie
Die Verwendung von Formeln wird angesichts der unsicheren
! Cave Beurteilung der tatsächlichen VKOF und der damit einher-
Säuglinge und Kleinkinder haben im Verhältnis zum gehenden Fehlberechnung nicht empfohlen. Bei thermome-
Erwachsenen größere Flüssigkeitsumsätze, einen chanischen Kombinationsverletzungen mit »C-Problem«
muss selbstverständlich von der Richtgröße abgewichen und
größeren Extrazellulärraum und ein größeres Blutvo-
auch von der isolierten Gabe kristalloider Lösungen abge-
lumen. Eine Dehydratation kann daher viel schneller sehen werden
auftreten. Jedoch kann eine im Überschuss zuge-
führte Infusion relativ schnell zu einem intrazellulä-
ren Ödem und entsprechenden lebensbedrohlichen
Umständen führen. Die präklinische Volumenthe-
rapie kann in der Regel mit Vollelektrolytlösungen
ohne Glukosezusatz erfolgen (AWMF 2015;
Wappler 2009).

! Cave
Patienten mit thermomechanischen Kombina-
tionsverletzungen und Kreislaufinstabiltät sind von
den Empfehlungen zur rationalen Flüssigkeitsthe-
rapie des isolierten Verbrennungspatienten natür-
lich ausgenommen und benötigen in der Regel eine . Abb. 7.3 Zugangswege sollten idealerweise in nicht verbrannte
höhere Volumensubstitution und ggf. kolloidale Areale gelegt werden (#). Das Ausmaß der Verbrennung, insbeson-
dere deren Tiefe, ist bei Rußablagerungen häufig präklinisch nicht
Lösungen.
sicher einzuschätzen (*)

7.4.5 D (»disability«): neurologisch- 7.4.6 E (»environment«): verbrannte


motorische Einschränkung Körperoberfläche, Thermo-
management/-monitoring, Verbände
Die grob orientierende Untersuchung von neurologisch-
motorischen Einschränkungen hilft dem Ersthelfer, im VKOF
Rahmen des ihm vertrauten ABCDE-Schemas weitere, Die akkurate Bestimmung von Verbrennungsausmaß und
möglicherweise lebensbedrohliche Begleitverletzungen zu -tiefe in der präklinischen Versorgung ist nicht notwendig.
diagnostizieren. Der GCS sollte erhoben und die Pupillo- Die groborientierende Beurteilung von Verbrennungsaus-
motorik beurteilt werden. Weiterhin sollte eine grobe mo- maß und -tiefe dient der Indikationsstellung zur Einwei-
torische Beurteilung der Extremitäten erfolgen. Es muss sung in ein Verbrennungszentrum (7 Kap. 8). Auch wenn
bei einem entsprechendem Unfallmechanismus ein höher- es durch Rußablagerungen in der präklinischen Beurtei-
gradiges Schädelhirntrauma (SHT) oder eine Querschnitt- lung kaum realisierbar erscheint, soll der Vollständigkeit
symptomatik erkannt und behandelt werden. Außerdem halber erwähnt werden, dass nur dermale und tiefer rei-
können neurologisch-motorische Einschränkungen gene- chende Verbrennungen (>Grad IIa) für die Beurteilung
ralisiert auch einen indirekten Hinweis auf eine Kohlen- der VKOF hinzugezogen (Hammond 1987). Insbesondere
monoxidintoxikation bei IHT geben. Verbrennungen mit einer VKOF <20 % werden am Unfall-

marcus.lehnhardt@rub.de
60 Kapitel 7 · Erstversorgung und präklinische Behandlung

a b c
7
ort erheblich überschätzt, während das Verbrennungsaus-
maß bei einer VKOF >40 % unterschätzt wird (Wachtel
2000). Zur Kalkulation der VKOF können unterschied-
liche Methoden verwendet werden:
4 Am häufigsten findet Anwendung die Neuner-
Regel nach Wallace, bei der die Körperoberfläche
in 9-%-Anteile gegliedert wird (Wallace 1955).
4 Eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung der
VKOF ist die Zuhilfenahme der Handflächengröße
des Brandverletzten, die etwa 1 % der gesamten
Körperoberfläche entspricht (Berry 2001).
4 Eine weitere Alternative bietet die Stufenbeurteilung,
bei welcher der Körper in Hälften unterteilt wird
(> oder <50 %, > oder <25 % etc.). Diese Form der
Bestimmung hat sich als sehr praktikabel erwiesen
(Mühlberger 2010).

Thermo- und Oberflächenmanagement


Bis zu 79 % aller Schwerbrandverletzten >15 % VKOF
erreichen das endversorgende Zentrum in einem Zustand
der milden bis schweren Hypothermie. Eigene Behand-
lungsdaten und Literaturangaben zeigen, dass der Hypo-
d
thermiegrad signifikant mit Überleben und Intensivbe-
. Abb. 7.4 Rettungsdecken für das aktive, selbstwärmende (a, b, c) handlungsdauer korreliert. Damit ist die Körpertemperatur
Thermomanagement, Maßnahmen des Thermomanagements im des Schwerbrandverletzten ein unabhängiger Prognose-
präklinischen Einsatz (Produkte b und c) in einem Rettungstransport-
faktor und das gezielte Thermomanagement Bestandteil in
hubschrauber, in dem Maßnahmen der aktiven Raumaufheizung
erschwert sein können (d)
der ersten Stunde der Versorgung (in Analogie zur »golden
hour of shock« der Schwerverletztentherapie).
Aus diesem Grund soll an dieser Stelle die Bedeutung
des »Managements der Oberfläche« beim Schwerbrand-
verletzten einschließlich des Thermomanagements inner-
halb der Abarbeitung des ABCDE-Schemas hervorgeho-
ben werden. Sobald lebensbedrohliche Begleitverletzun-
gen ausgeschlossen werden, soll unter »E« bereits aktiv das
Thermomanagement berücksichtigt werden. Das aktive
und passive Thermomanagement (. Abb. 7.4) sollte analog

marcus.lehnhardt@rub.de
7.7 · Schlussfolgerung und Ausblick
61 7
und tiefdermal einstrahlenden Schmerzafferenzen noch
. Tab. 7.4 Gegenüberstellung von Maßnahmen des aktiven
und passiven Thermomanagements des Schwerbrandver-
intakt sind.
letzten. Begleitende, übergeordnete Maßnahme ist ein Tem- Eine intravenöse Schmerztherapie, z. B. mit Opiaten,
peraturmonitoring sollte erfolgen. S+-Ketamin und Benzodiazepine haben
sich in der präklinischen Versorgung von Brandverletzten
Passive Maßnahmen Aktive Maßnahmen ebenfalls bewährt (Krämer 2010). Die antizipierte Flüssig-
keitsverschiebung durch Entstehung der Verbrennungs-
Kurze Einsatzzeiten Aufgeheiztes Rettungsmittel
krankheit führt zu einer veränderten Pharmakokinetik.
Verbände Vorgewärmte Infusionen Deshalb sollte auf eine intramuskuläre oder subkutane
Reflektierende Thermofolien Aktive Wärmefolien Injektion von Medikamenten verzichtet werden. Es beste-
(bisher Verbreitung hen keine Empfehlungen für die präklinische Anwendung
im militärischen Bereich
von Steroiden, Antibiotika und Diuretika (Hirche 2011).
Sorgfältige Intubations- und Keine Kühlung
Analgosedierungskriterien
7.6 Reevaluation, Kommunikation
und Transport
zu . Tab. 7.4 erfolgen. Hierzu gehört auch der Einsatz einer
intermittierenden oder kontinuierlichen Temperaturkon- Nach Abschluss des ABCDE-Schemas und Fokussierung
trolle (über Monitor oder Thermometer), um den Erfolg der verbrennungsmedizinischen Aspekte soll rechtzeitig
der Maßnahmen zu erfassen und frühzeitig auch in der eine Reevalution erfolgen, um eine kritische Veränderung
Rettungsdienstphase intervenieren zu können. oder bis dato übersehene Begleitverletzungen zu diagnos-
Externa wie Salben, Gele oder Puder sollen nicht ver- tizieren. Dennoch sollte aufgrund des Wärmeverlusts
wendet werden, damit das endversorgende Zentrum die selbst im Sommer die präklinische Versorgungszeit so kurz
Areale sicher beurteilen kann. Insbesondere jede Art von wie möglich gehalten werden. Eine Erstversorgung in
Cremes müssen hier mühselig und unter Umständen einem nahen Krankenhaus der Grund- und Regelversor-
schmerzhaft für den Patienten wieder entfernt werden. gung zur Vermeidung einer Auskühlung, Reevaluation
Sterile Verbände tragen jedoch neben den klassischen Maß- und Stabilisierung, insbesondere in der Nacht, gilt als eta-
nahmen des Thermomanagements ebenso zum Wärme- blierter Standard vor planbarer Sekundärverlegung in ein
erhalt bei und sollten neben dem Einsatz von Thermofolien Zentrum. Bei thermomechanischen Kombinationsver-
Anwendung finden. letzungen sollte der primäre Transport in ein überregiona-
Durch Kühlung größerer Verbrennungsareale kann die les Traumazentrum angestrebt werden (AWMF 2011b). In
Hypothermie verstärkt werden. Auf der anderen Seite bietet Abhängigkeit von der Situation im Einsatz und der Trans-
eine Kühlung durchaus auch positive Effekte, insbesondere portkapazität bzw. dem Zustand des Patienten sollte ein
den der Analgesie. Unklar bleibt weiterhin, ob die Kühlung Traumazentrum mit angeschlossenem Verbrennungszen-
das sogenannte Nachtiefen der Verbrennung beeinflusst. trum aufgesucht werden.
Generell sollte die Kühlung aber auf kleinflächige Verbren- Die Indikationskriterien für die Behandlung im Schwer-
nungen und Laienhilfe beschränkt bleiben. Intubation und brandverletztenzentrum sowie die besonderen Aspekte zur
Analgosedierung haben in eigenen Daten und der Literatur Berücksichtigung des Transports Schwerbrandverletzter
einen signifikanten Einfluss auf die Hypothermie, welches sind an anderer Stelle dargestellt (7 Kap. 8–10).
den Ersthelfern bekannt sein muss (Lönnecker 2001).
Die Anwendung eines speziellen Systems für eine ak-
tive Kühlung (z. B. Water-Gel, Burn-Pack) sollte nicht er- 7.7 Schlussfolgerung und Ausblick
folgen. In einigen Fällen konnte die Hypothermie auf die
Erstversorgung mit oben genannten Kühlverbänden auf- Eine strukturierte und standardisierte, präklinische Ver-
grund falscher und zu langer Anwendung zurückgeführt sorgung des Schwerbrandverletzten ist notwendig und
werden (Krämer 2010). kann Unsicherheiten ausräumen. Etablierte Behandlungs-
konzepte aus der Schwerverletztenversorgung sollten auch
auf die Versorgung des Verbrennungspatienten übertragen
7.5 Analgesie und medikamentöse werden, und helfen, prioritär zu versorgende thermo-
Therapie mechanische Kombinationsverletzungen zu identifizieren.
Die Anwendung des ABCDE-Schemas mit zusätzlichem
Patienten mit Verbrennungen Grad IIa leiden unter star- Fokus auf den Schwerbrandverletzten (Oberfläche, Ther-
ken Schmerzen, da hierbei die subdermal verlaufenden momanagement, Flüssigkeitstherapie) kann die standar-

marcus.lehnhardt@rub.de
62 Kapitel 7 · Erstversorgung und präklinische Behandlung

disierte Untersuchung und Beurteilung sowie die Versor- Krämer PF, Grützner PA, Wölfl CG (2010) Versorgung des Brandver-
gungsqualität verbessern. Durch Faustformeln zur Flüssig- letzten. Standardisiertes präklinisches Managment. Notfall
Rettungsmed 13:23–30
keitssubstitution und aktives und passives Thermo-
Lönnecker S, Schoder V (2001) Hypothermie bei brandverletzten
management können Einflussfaktoren der präklinischen Patienten-Einflüsse der präklinischen Versorgung. Chirurg
Phase auf die Gesamtprognose (Hypothemie) positiv be- 72:164–167
einflusst werden, wozu auch eine kurze präklinische Ver- Mühlberger T, Ottomann C, Toman N et al (2010) Emergency pre-
sorgungsphase und eine nahegelegene innerklinische Erst- hospital care of burn patients. Surgeon 8:101–104
Myers C (1997) Fluid resuscitation. Eur J Emerg Med 4:224–232
versorgung vor Zentrumsverlegung beitragen kann. Eine
NAEMT (2012) Präklinisches Traumamanagement. Pre Hospital Trauma
Reevaluation des Patienten nach ABCDE-Kriterien soll Life Support (PHTLS) Jones & Bartlett Burlington
Veränderungen in dessen Zustand erkennen lassen, um die Pre Hospital Trauma Life Support Committe in cooperation withe
Therapie möglichst frühzeitig anpassen zu können. the committee on Trauma of the American College of Surgeons of
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marcus.lehnhardt@rub.de
63 8

Transport des brandverletzten


Patienten
Frank Sander, Jörg Beneker

8.1 Einleitung – 64

8.2 Notarzt und Rettungsdienst – 64


8.2.1 Luftgebundene Rettungsmittel – 64

8.3 Zentren für Schwerbrandverletzte in der Bundesrepublik


Deutschland – 65
8.3.1 Zentrumsindikationen – 65
8.3.2 Zentrale Anlaufstelle Schwerbrandverletzte – 65

Literatur – 67

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
64 Kapitel 8 · Transport des brandverletzten Patienten

8.1 Einleitung Mit etwa 75 Stationen bilden sie ein flächendeckendes


Netz in Deutschland. Darunter operiert ein Dutzend im
Nach adäquater präklinischer Erstversorgung (7 Kap. 7) 24-Stunden-Betrieb.
muss der Patient zügig und kreislaufstabil in eine geeig- In den modernen Rettungs- (RTH) und Intensivtrans-
nete chirurgische Klinik verbracht werden. Dabei gilt es porthubschraubern (ITH) der ADAC- und DRF-Luftret-
insbesondere eine Hypothermie zu vermeiden. Der Trans- tung sowie des Zivilschutzes (Bundespolizei) ist eine um-
port lässt sich grundsätzlich in zwei Phasen unterteilen: fassende medizinische Erst- und Intensivversorgung auch
1. Primärtransport in eine erstversorgende Klinik über große Entfernungen möglich. Nachteilig ist lediglich
2. Sekundärtransport in ein Brandverletztenzentrum eine gewisse Flugwetterabhängigkeit.
> Insbesondere bei einer großen Entfernung des
In diesem Kapitel werden die zur Verfügung stehenden
Unfallortes zu einer geeigneten Klinik sollte die Indi-
Rettungsmittel bzw. Transportformen, wesentliche Auf-
kation zum Einsatz der Luftrettung großzügig ge-
gaben des primär versorgenden und begleitenden Ret-
stellt werden.
tungsteams und die Indikationen zur Verlegung eines Pa-
tienten in ein Brandverletztenzentrum vorgestellt. Ist eine Indikation für ein Brandverletztenzentrum ge-
geben (7 Abschn. 8.3.1) und steht keine Möglichkeit der
Nutzung der Luftrettung zur Verfügung, sollte die erwei-
8 8.2 Notarzt und Rettungsdienst terte Erstversorgung zunächst in einem nahegelegenen
Krankenhaus mit adäquater Schockraumbehandlungs-
In Deutschland haben wir ein flächendeckendes Netz an möglichkeit erfolgen.
Rettungsmitteln, weshalb die Zeiten von Unfallalarmie- Für Patientenrückführungen/Repatriierungen nach
rung bis zum Eintreffen am Unfallort vergleichsweise ge- Unfällen im Ausland stehen Ambulanzflugzeuge sowie für
ring sind. Bodengebundene Rettungsmittel wie Rettungs- besonderen Indikationen die Flugbereitschaft der Bundes-
wagen (RTW) oder Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) sind in wehr zur Verfügung.
der Regel erstes Rettungs- und Transportmittel am Unfall-
ort. Rettungshubschrauber (RTH) werden in vielen Fällen
Aufgaben des erstversorgenden bzw. begleiten-
nachgefordert.
den Notarztes (Sander 2015)
Oberstes Gebot für die Mitarbeiter des Rettungsdienstes
5 Erfassung des Unfallmechanismus
ist zunächst der Selbstschutz. Hierbei sind insbesondere
5 intravenöser Zugang
auch den Anweisungen der Feuerwehr Folge zu leisten. Dem
5 Stabilisierung der Vitalfunktionen (ABC-Regel)
Notarzt obliegt die wesentliche Aufgabe der korrekten Ein-
5 ggf. Intubation (7 Kap. 14)
schätzung des Verbrennungs- und sonstigen Verletzungs-
5 Erhebung des Verbrennungsausmaßes
ausmaßes. Dies ist für die Wahl der adäquaten Zielklinik
(Fläche/Tiefe)
und für die dortige Voranmeldung wichtig, da hier ggf. ent-
5 Untersuchung auf Begleitverletzungen
sprechende Vorbereitungen, z. B. im Rahmen des Poly-
5 adäquate Analgesie
traumamanagements (7 Kap. 30), getroffen oder entspre-
5 Einleitung der Infusionstherapie (Kap. 9)
chende Intensivkapazitäten geklärt oder geschaffen werden
5 sterile Wundabdeckung (7 Kap. 7)
müssen. Neben Durchführung der üblichen notfallmedi-
5 Wärmeerhalt (z. B. chemische Heizdecken, warme
zinischen Maßnahmen (ABCDE-Schema) muss daher ins-
Infusionen, Standheizung im RTW)
besondere auch der Unfallmechanismus sorgfältig erfasst
5 Lagerung und Transport in Abhängigkeit
werden. Im Transportverlauf ist ein Auskühlen des Patien-
von Begleitverletzungen (z. B. Vakuummatratze,
ten unbedingt zu verhindern. Daher stellt eine entsprechen-
»stiff-neck«, Frakturschienung)
de Beheizbarkeit (Standheizung) und materielle Ausstattung
5 Überprüfung der Zentrumsindikationen
– ausreichend sterile und saugfähige Wundabdeckmate-
(7 Abschn. 8.3.1)
rialien und Vorhandensein einer wärmenden Patientenab-
5 Auswahl der anzufahrenden Klinik
deckungsmöglichkeit wie z. B. chemische Heizdecken – eine
wesentliche Anforderung an die Rettungsmittel dar.

> Zur Kreislaufstabilisierung Volumengabe (Voll-


8.2.1 Luftgebundene Rettungsmittel elektrolytlösung mit Acetatpuffer) vor Katechola-
mingabe.
Luftgebundene Rettungsmittel spielen beim Transport 5 keine kühlenden Verbände, Packungen oder Gele
schwerbrandverletzter Patienten eine wesentliche Rolle. 5 keine Antibiose, Kortison oder Diuretika

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8.3 · Zentren für Schwerbrandverletzte in der Bundesrepublik Deutschland
65 8
! Cave 8.3.1 Zentrumsindikationen
Auskühlung des Patienten: nur in der Ersthelfer-
phase ist eine Kühlung (7 Kap. 7) der verbrannten Die Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V.
Areale indiziert bei dann aber konsequentem Erhalt (DGV) hat in ihren Leitlinien die Einweisungskriterien in
des Gesamtwärmehaushaltes des Patienten ein Brandverletztenzentrum festgelegt. Diese orientieren
sich insbesondere am Verletzungsausmaß, an der Verlet-
zungslokalisation mit Augenmerk auf funktionelle und
8.3 Zentren für Schwerbrandverletzte ästhetische Langzeitergebnisse, an Begleitverletzungen
in der Bundesrepublik Deutschland und am Alter des Patienten.

Die Überlebensprognose brandverletzter Patienten ist vom


Patienteneinweisungskriterien in ein Brand-
Verbrennungsausmaß (Fläche und Tiefe), von weiteren
verletztenzentrum
Begleitverletzungen, insbesondere begleitendem Inhala-
5 Verbrennungen im Gesicht-Hals-Bereich, an
tionstrauma und dem Lebensalter abhängig. Dadurch er-
Händen, Füßen, Anogenitalregion, Achselregion,
geben sich höchste Anforderungen an die Versorgungs-
Bereiche über großen Gelenken oder sonstiger
qualität dieser Patienten.
komplizierter Lokalisation
Insbesondere die Berufsgenossenschaften haben zur
5 Verbrennungen >15 % der KOF
Sicherstellung einer optimalen Behandlung und Rehabili-
5 Verbrennungen III. Grades >10 % (bei Kindern
tation die Einrichtung spezieller Brandverletztenzentren
>5 %) der KOF
gefördert. Dies findet seit dem Jahr 2013 auch im Schwerst-
5 Verbrennungstraumata mit mechanischen Begleit-
verletzungsartenverfahren (SAV) der Deutschen Gesetz-
verletzungen
lichen Unfallversicherung (DGUV) Ausdruck und deckt
5 Verbrennungstraumata mit Inhalationsschaden
sich mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
5 Kleinkinder und Patienten >60 Jahre
Verbrennungsmedizin e. V. (DGV). Durch bauliche und
5 alle Patienten mit Stromverletzungen
apparative sowie personelle Ausstattungen kann eine opti-
5 Patienten mit infizierten Brandwunden
male Versorgung und Überwachung der Patienten ge-
währleistet werden. Vordringlich zu nennen wären ein
beheizbarer Schockraum, eine angeschlossene Intensiv-
überwachungseinheit mit klimatisierten Einzelzimmern
mit der Möglichkeit maximaler Intensivtherapie, Personal- 8.3.2 Zentrale Anlaufstelle Schwerbrand-
schleusen sowie separate Versorgungs- und Entsorgungs- verletzte
gänge und eine angeschlossene Operationseinheit. Der
ärztliche Leiter soll neben einer umfassenden plastisch- Eine bodengebundene Direkteinweisung vom Unfallort
chirurgischen Ausbildung weitreichende Kenntnisse in der in ein Brandverletztenzentrum ist in der Regel nur bei
speziellen plastisch-chirurgischen Intensivtherapie und geringer räumlicher Distanz möglich (s. auch Hinweis
der Handchirurgie besitzen. Zu wünschen ist eine zuvor 7 Abschn. 8.2.1). Meist erfolgt die Koordination über die
mehrjährige Tätigkeit in einem Brandverletztenzentrum. zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Kranken-
Neben der Vorhaltung moderner Hautersatzverfahren ein- hausbetten für Schwerbrandverletzte (ZA-Schwerbrand-
schließlich Kulturhautverfahren werden neben Physio- verletzte) in der Bundesrepublik Deutschland. Diese wird
und Ergotherapie eine psychologische und sozialdienst- seit 1999 von der Rettungsleitstelle Hamburg (7 Tage/
liche Betreuung sowie eine kontinuierliche bakteriologi- 24 Stunden) durchgeführt. Alle, am Vermittlungsverfah-
sche Überwachungsmöglichkeit gefordert. ren beteiligte Zentren melden Veränderungen der Bele-
Die Zentrumsbehandlung brandverletzter Patienten in gungssituation bzw. freie Bettenkapazitäten. Auf telefo-
Deutschland erfolgt daher vordringlich durch Plastische nische Anfrage kann die nächstgelegene geeignete freie
Chirurgen, aber auch durch Unfallchirurgen oder Kinder- Einrichtung benannt werden. Die Modalitäten der Ver-
chirurgen. legung werden dann eigenverantwortlich durch die be-
Derzeit gibt es in Deutschland in insgesamt 34 Zentren teiligten Ärzte oder Krankenhäuser geregelt.
etwa 112 ausgewiesene Brandverletztenbetten für Erwach-
sene und 43 Betten für Kinder. Lediglich in Berlin werden
insgesamt 12 Betten sowohl für Erwachsene als auch für
Kinder unter einem Dach vorgehalten (. Abb. 8.1).

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66 Kapitel 8 · Transport des brandverletzten Patienten

167 Betten in 34 Schwerbrandverletztenzentren:

Lübeck:
6 Betten (4 E, 2 K)
Hamburg:
8 Betten (6E, 2 K)

Hannover:
8 Betten
(6 E, 2 K)

Berlin:
12 Betten
8 Gelsenkirchen: 4 Betten (4 E) Halle/Saale:
(E oder K)

Hamm: 2 Betten (2 K) 14 Betten


Bochum: (8 E, 6 K)
11 Betten Dortmund: 5 Betten (5E)
(8 E, 3 K)
Duisburg: Leipzig: 6 Betten (6 E)
9 Betten (6 E, 3 K)
Kassel: Dresden:
Köln: 2 Betten 2 Betten (2 K)
14 Betten (2 K) Erfurt:
(10 E, 4 K) 2 Betten (2 K)
Aachen:
6 Betten (6 E)

Offenbach:
9 Betten (9 E)
Mainz:
2 Betten (2 K)
Mannheim:
Nürnberg:
2 Betten (2 K)
8 Betten (8 E)
Ludwigshafen:
8 Betten (8 E)
Stuttgart:
4 Betten (3 E, 1 K)
München:
16 Betten (8 E, 8 K)
Tübingen:
4 Betten (4 E)
Murnau:
3 Betten (3 E)

. Abb. 8.1 Deutschlandkarte der Brandverletztenbetten für Kinder und Erwachsene. E Brandverletztenbett für einen Erwachsenen; K Brand-
verletztenbett für ein Kind. (Nach http://www.verbrennungsmedizin.de/zentren.php, Stand 01/2016)

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
67 8

Kontaktdaten der zentralen Anlaufstelle


Schwerbrandverletzte
Telefon: 040/42851–3998/–3999
Telefax: 040/42851–4269
E-Mail: leitstelle@feuerwehr.hamburg.de

Literatur

Allison K, Porter K (2004) Consensus on the pre-hospital approach


to burns patient management. Injury 35 (8):734–738
Lonnecker S, Schoder V (2001) Hypothermie bei brandverletzten
Patienten – Einflüsse der präklinischen Behandlung. Chirurg
72:164–167
Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. (DGV) (2010)
AWMF-Leitlinien Register Nr. 044/001 – S1-Leitlinie für thermische
und chemische Verletzungen. http://www.awmf.org/leitlinien/
detail/ll/044-001.html
Sander F, Hartmann B (2015) Akut- und Erstversorgung von Brand-
verletzten. Notfall Rettungsmed 18:529–543
Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes (vfdb)
(2014) Merkblatt 06/02 zur Zusammenarbeit Feuerwehr –
Luftrettung. http://www.vfdb.de/download/Merkblatt/MB0602_
Feuerrwehr_Luftrettung.pdf

marcus.lehnhardt@rub.de
69 9

Schockraummanagement
Bert Reichert

9.1 Vorbemerkungen – 70

9.2 Diagnostik und initiale Stabilisierung – 70


9.2.1 Untersuchungen im Schockraum – 70
9.2.2 Aufnahmebad – 72

9.3 Besonderheiten – 73
9.3.1 Elektrotrauma – 73
9.3.2 Chemische Verletzung – 74

Literatur – 74

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
70 Kapitel 9 · Schockraummanagement

9.1 Vorbemerkungen
5 Initiale Befunde mit besonderer Berücksichtigung
Nur in 3 % der Traumafälle liegen schwere Verbrennungen des neurologischen Status und von Schmerz-
vor. Zwei Drittel dieser Fälle weisen keine weiteren Verlet- lokalisationen vor Einleitung einer Analgesie oder
zungen auf (Hawkins 2005), nur 5 % der Schwerbrandver- Anästhesie
letzten haben relevante Begleitverletzungen (Santaniello 5 Vorläufige Diagnosen, wobei es auf die Haupt-
2004). Kann man bei einem Verbrennungspatienten be- diagnosen ankommt und leichtere Verletzungen
gleitende Verletzungen zweifelsfrei auszuschließen, darf zunächst nicht relevant sind
die stationäre Aufnahme unmittelbar über das Aufnahme- 5 Therapiemaßnahmen und deren Erfolg, inkl.
bad erfolgen. Häufig ist dies aber nicht möglich, so dass Bewertung der Kreislaufparameter und des gleich-
eine erste Sichtung und Stabilisierung im Schockraum er- zeitigen Volumenbedarfs
folgen muss (Adams 2010). 5 Informationen zur Vorgeschichte (Psychose,
Substanzmissbrauch) und Sozialanamnese des Pa-
> Um möglichst frühzeitig erkennen zu können,
tienten, möglichst mit Angabe eines Ansprech-
ob Kombinationsverletzungen vorliegen, beginnt
partners mit Rückrufnummer
das Schockraummanagement bereits mit der
telefonischen Annahme des Patienten.

Wichtige zu erfragende Informationen sind Alter und Ge- Im Sinne des »damage control« müssen die Abläufe bei der
schlecht des Patienten, bei Kindern deren Körpergewicht. Schockraumversorgung strukturiert sein, um Sekundär-
Neben der geschätzten Ausdehnung der Brandverletzung schäden und Komplikationen vermeiden zu können.
9 sind Unfallart und -mechanismus wichtige Informationen,
> Anspannung und Handlungsdruck dürfen nicht dazu
die beispielsweise auf ein begleitendes Inhalationstrauma
verleiten, die Regeln der Basishygiene zu missach-
hinweisen können. Ereignisse, die auf ein thermomechani-
ten. Eine allen Beteiligten vertraute Routine ist erfor-
sches Kombinationstrauma hindeuten, sind z. B. Verkehrs-
derlich, ihre Umsetzung erfordert klare Absprachen
unfälle mit hoher Geschwindigkeit, Sprung aus der bren-
sowie eine enge und kollegiale Zusammenarbeit.
nenden Wohnung, Explosionen. Weitere Angaben betref-
Ein Teamkoordinator, der für den reibungslosen Ab-
fen den Zustand des Patienten: Atmung (CO-HB >10 %?;
lauf sorgt und den Patienten nicht verlässt, hat sich
Intubation erfolgt?), Kreislauf, Bewusstseinszustand, Kör-
bewährt (Adams 2010).
pertemperatur (Kaltwasserbehandlung?). Technische Fra-
gen zum Ablauf betreffen die Transportart und die voraus- Unabhängig von den beteiligten Fachdisziplinen wird
sichtliche Ankunftszeit. heute als Standard das ATLS(»advanced trauma life
Da die Aufnahme von Schwerbrandverletzten meist support«)-Konzept angewandt. Auf den Primärcheck, der
räumlich von der Notaufnahme getrennt ist, muss in diesen die Vitalfunktionen nach ABCDE (»airway, breathing,
Fällen die Kommunikation zwischen dem Trauma Team circulation, disability, exposure«) prüft, folgt der Sekun-
und der Verbrennungsmannschaft besonders gut funktio- därcheck, der auf das anatomische Verletzungsmuster
nieren. Die Anwesenheit eines plastischen Chirurgen beim abhebt. Die American Burn Association bietet Kurse an,
Eintreffen des Patienten ist sicherzustellen. die sich an diesem Schema orientieren. Grundsätzlich gilt,
Die Wartezeit auf den Patienten kann dafür genutzt dass die Abläufe jederzeit durch erforderliche therapeu-
werden, die Untersuchungsliege mit geeignetem Gerät tische Maßnahmen unterbrochen werden dürfen und dass
aufzuwärmen (z. B. »bair hugger«). Der Notarzt über- permanent reevaluiert werden muss.
gibt den Patienten und berichtet allen gleichzeitig,
jeder hört zu. Die Informationen werden zeitnah doku-
mentiert. 9.2 Diagnostik und initiale Stabilisierung

9.2.1 Untersuchungen im Schockraum


Informationen bei der Übergabe durch den
Notarzt (Adams 2010) Primärcheck
5 Vermutlicher Unfallzeitpunkt sowie rettungs- Verletzungen der Halswirbelsäule müssen ausgeschlossen
dienstliche Einsatzdaten werden. Vor der entsprechenden Abklärung ist eine pro-
5 Unfallanamnese und -mechanismus mit möglichst visorische Stabilisierung durch eine Halskrause erforder-
präzisen Angaben zur Art der Hitze- und Gewalt- lich. Verbrennungspatienten werden vollständig entkleidet
einwirkung und untersucht, Strommarken dürfen nicht übersehen
werden. Alle Befunde werden fotodokumentiert. Gleich-

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9.2 · Diagnostik und initiale Stabilisierung
71 9
zeitig müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, das wei- sen werden. Schwerbrandverletzte müssen vor Ausküh-
tere Auskühlen des praktisch immer hypothermen Patien- lung geschützt werden.
ten zu vermeiden. Das Prinzip dieser Abfolge soll zwar eingehalten wer-
Atemwege (»airway«, A) und Atmung (»breathing«, B) den, muss aber unterbrochen werden, sobald lebensretten-
werden immer zuerst geprüft. Liegen hier Störungen vor, de Maßnahmen erforderlich sind. Am Ende dieser basis-
müssen sie umgehend beseitigt werden. Gelingt dies nicht diagnostischen Abläufe sollen die Vitalfunktionen ausrei-
hinreichend, ist die Intubation durchzuführen. Auch bei chend stabil und durch adäquates Monitoring kontrolliert
bewusstlosen Patienten (»Glasgow coma score«, GCS<9) sein.
ist dies erforderlich. Zeigen sich Schmauchspuren und
Rauchsedimente im Bereich der oberen Atemwege, deutet Sekundärcheck
dies auf ein Inhalationstrauma hin. Es droht eine zuneh- Die Zweituntersuchung hat das Ziel, alle Verletzungsfolgen
mende Schwellung, die den Atemweg gefährden kann. zu diagnostizieren. Die Anamnese kann sorgfältig erhoben
Klinische Zeichen, die auf eine gestörte Atmung hin- werden. Der Unfallhergang wird rekonstruiert. Die Ganz-
weisen, sind eine schnelle oder unregelmäßige Atemfre- körper-CT (»Traumaspirale«) hat in jüngerer Zeit eine
quenz, seitenverschiedene Atemexkursionen, oder auch zunehmende Bedeutung erlangt, da sie in einer kurzen
ein auffälliges Atemgeräusch. Eine Tachypnoe >29 stellt Zeitspanne umfassende Informationen liefern kann.
eine Intubationsindikation dar. Bei Kombinationsverlet- Insbesondere beim Polytrauma ist die Indikation
zungen kann ein Spannungspneumothorax ausgelöst wer- frühzeitig, aber immer auch individuell zu stellen. Neben
den, der eine unmittelbare Entlastung z. B. durch eine ge- den eigentlichen Verletzungsfolgen detektiert sie auch
eignete Kanüle erfordert. etwaige Implantate oder Fremdkörper, was für die Durch-
Stets ist mit einer Verschlechterung der Situation zu führung einer später ggf. erforderlichen MRT von Bedeu-
rechnen, so dass laufend Kontrollen erfolgen müssen. Die tung ist.
Pulsoxymetrie ist deshalb obligat, kann bei einer Kohlen- Daneben haben die CCT und die Diagnostik der HWS
monoxidvergiftung aber falsch-positive Werte für die eine herausgehobene Bedeutung für intubierte Patienten,
Sauerstoffkonzentration anzeigen. bei denen ein adäquater Neurostatus nicht erhoben wer-
Nach Intubation muss die Tubuslage durch seitenver- den konnte. Befundabhängig werden konventionelle Rönt-
gleichende Inspektion und Auskultation kontrolliert wer- genaufnahmen angefertigt und eine Sonographie durch-
den, auch nach jeder Umlagerung. geführt.
Im Fall eines Kreislaufschocks muss eine schwere Blu-
tung ausgeschlossen werden (»circulation«, C). Sichtbare jLabordiagnostik
Verletzungen geben entsprechende Hinweise. Hier sind Die Labordiagnostik schließt die in der Notfallmedizin üb-
Druckverbände anzulegen, bei schweren Beckenverletzun- lichen Untersuchungen ein. Bei schwerbrandverletzten
gen die Beckenschlinge. Bei abdominellen oder thorakalen Patienten steht neben der orientierenden Übersicht initial
Traumen kommen innere Verletzungen in Frage. die Einschätzung des Schockgeschehens im Vordergrund.
Zum Primärcheck gehört auch die Erhebung eines
orientierenden neurologischen Status (»disability«, D). Kleines Blutbild Neben der Erkennung einer etwaigen
Neben der Pupillenreaktion ist die Willkürmotorik der Anämie (Kombinationsverletzung) steht beim Schwerver-
Extremitäten zu prüfen und zu dokumentieren, falls mög- brannten initial die Einschätzung des Flüssigkeitsbedarfs
lich soll der GCS erhoben werden. Defizite deuten auf im Vordergrund. Hohe Werte für Hb und Hkt deuten auf
Schädelhirntraumata oder Wirbelsäulenverletzungen hin. eine gesteigerte Hämokonzentration infolge eines Flüssig-
Auch muss an eine Kohlenmonoxidintoxikation bei Inha- keitsdefizits hin.
lationstrauma gedacht werden. Aber auch der Bewusst-
seinszustand muss stetig überprüft werden. Bei Verände- Arterielle Blutgasanalyse Neben Störungen der pulmona-
rung müssen die zuvor erfolgten Schritte (A bis C) wieder- len Gasaustauschfunktion (Inhalation) deutet ein Basen-
holt werden. Eine verzögert eintretende Eintrübung durch defizit von mehr als 6 mmol/l auf eine unzureichende Ge-
ein epidurales Hämatom darf nicht übersehen werden. webeperfusion (Schock) bzw. Leberfunktionsstörung.
Gleichzeitig müssen bewusstseinsverändernde Medika-
mente oder Drogen, insbesondere Alkohol, in Betracht Laktat Erhöhte Laktatwerte können Folge einer unzurei-
gezogen werden. chenden Gewebeperfusion (Schock) bzw. Leberfunktions-
Am Ende des Primärchecks erfolgt eine orientierende störun sein.
körperliche Untersuchung »von Kopf bis Fuß«. Insbeson-
dere instabile Frakturen großer Röhrenknochen und ins- Elektrolyte Abweichungen stören elementare Prozesse,
besondere eine instabile Beckenfraktur sollen ausgeschlos- z.B. eine Hypokaliämie die Herzfunktion

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72 Kapitel 9 · Schockraummanagement

Blutzucker Störungen der glucoseabhängigen Energie- hinterlassen typischerweise sehr kleine Oberflächenschä-
gewinnung durch Hypoglykämie kann die Hirnfunktion digungen – Berechnung fehlerhaft; Patienten mit einem
mindern Inhalationsschaden haben regelhaft einen erhöhten Volu-
menbedarf) richtet man sich in der Steuerung der Infu-
Gerinnungsanalyse Initial ist bei der Kombinationsverlet- sionsmenge nach klinischen Parametern, vor allem der
zung eine Verbrauchskoagulopathie auszuschließen. Urinausscheidung. Hierfür wird ein Blasenkatheter mit
Außerdem erforderlich sind: Temperaturfühler gelegt.
4 Blutgruppenbestimmung Im weiteren erfolgt die genaue Evaluation der Verbren-
4 CK-, Transaminasen-, Amylasen- und Lipase- nungsverletzung. Dies erfolgt nicht mehr im Schockraum,
bestimmung sondern im Aufnahmebad.
4 Troponinkonzentration
4 Retentionswerte
9.2.2 Aufnahmebad
Ergänzend erfolgt:
4 Bestimmung des Blutalkohols Aus organisatorischen Gründen ist die Intensivstation zur
4 Drogenscreening Behandlung Schwerbrandverletzter (SVI) zumeist räum-
4 Hepatitis- und HIV-Serologie lich von den Notfalleinrichtungen der Klinik getrennt. Für
diese Einrichtung sind andere Kriterien vorrangig: Sicher-
Initial ist bei unzureichender Zirkulation eine adäquate stellung der intensivmedizinischen Belange, räumliche
Volumentherapie mit vorgewärmten balancierten kristal- Nähe eines eigenen OP-Bereichs und eines speziellen Auf-
9 loiden Lösungen anzustreben. Hierfür sind mindestens nahmeraumes, strukturelle Abschirmung zur Minimie-
zwei großlumige intravenöse Katheter erforderlich, die rung des nosokomialen Infektionsrisikos.
möglichst in unverbrannte Areale gelegt werden sollen. Die im Schockraum durchzuführenden Maßnahmen
Empfohlen werden idealerweise in der V. cava superior können hier nicht erfolgen, schon allein weil die bild-
platzierte mehrlumige ZVK, über die auch der ZVD ge- gebenden Untersuchungen nicht mit dem entsprechenden
messen werden kann. Minimalaufwand realisierbar sind. Auch ist im Aufnahme-
Eine Hyperhydration ist zu vermeiden, da im Fall eines bad zwar das Anästhesieteam, nicht aber der Trauma-
verbrennungsspezifischen Schocks die Kapillarpermeabi- chirurg anwesend. Darum müssen Initialdiagnostik und
lität zunimmt und das Volumen in den Extravasalraum -stabilisation bereits erfolgt sein, bevor der Patient die SVI
übertritt. Die invasive intraarterielle Druckmessung zur erreicht.
Kreislaufüberwachung hilft, bei atmungsabhängigen Das Aufnahmebad ist ein spezialisierter Untersuchungs-
Druckschwankungen ein Volumendefizit zu erkennen. Für und Behandlungsraum für Schwerbrandverletzte. Weil diese
die korrekte Flüssigkeitstherapie wird das Körpergewicht Patienten typischerweise unterkühlt eintreffen und ihre
gemessen. Hierbei ist die präklinisch erfolgte Substitution Thermoregulation gestört ist, muss dieser Raum auf etwa
zu beachten. 35°C temperierbar sein. Der entkleidete Patient wird in ei-
Als Anhaltspunkt für die Bestimmung des erforder- ner speziellen Wanne unter Spülung mit Warmwasser mit
lichen Flüssigkeitsvolumens schlägt die ABA vor, die mo- einer desinfizierenden Seifenlösung sorgfältig gereinigt und
difizierte Formel nach Brooke vor (Brooke 2011): rasiert. Brandblasen und die zerstörten Hautanteile werden
auf diese Weise entfernt. Zuvor werden routinemäßig Ab-
2 ml/kgKG × VKOF (%) Grad IIb und III striche von Wunden, Nase, Mund und Leistenregion usw.
zur ersten mikrobiologischen Evaluation entnommen.
Einzelne Zentren haben eigene Standards definiert Diese belastenden Maßnahmen erfordern eine All-
(Ludwigshafener Formel; Kloeters 2009). Einheitliche gemeinnarkose, auch wenn die Patienten ansonsten keine
Empfehlungen fehlen also. In jüngerer Zeit wird die »rule sichere Intubationsindikation bieten. Hierfür enthält das
of ten« propagiert: man kalkuliert die der ermittelten Ver- Aufnahmebad einen vollwertigen Anästhesiearbeitsplatz.
brennungsoberfläche nächstliegende Zehnerzahl und Bei vermutetem Inhalationsschaden können Atemweg-
ermittelt die stündliche Infusionsmenge, indem man diese schädigungen durch eine Bronchoskopie evaluiert und
Zehnerzahl mit 10 ml multipliziert. Beträgt das Körper- Verschmutzungen entfernt werden. Außerdem gewinnt
gewicht >80 kg, kommen pro zusätzlichen 10 kg 100 ml man auch bei dieser Gelegenheit Material für eine mikro-
hinzu (Chung 2010). biologische Untersuchung.
Da grundsätzlich erhebliche Schwankungen im indi- Von größter Bedeutung für die weitere Behandlungs-
viduellen Bedarf zu erwarten sind, und ein formales Vor- planung ist die möglichst präzise Evaluation des eingetre-
gehen nicht in jedem Fall statthaft ist (Stromverletzungen tenen Verbrennungsschadens.

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9.3 · Besonderheiten
73 9
Oberflächenausdehnung der thermischen rurgen zu stellen. Anders als beim Kompartmentsyndrom
Verletzung befindet sich die Schwellung nicht in der Muskulatur,
Die Kalkulation der Verbrennungsausdehnung bereitet sondern subkutan. Daher sorgt bereits die Durchtrennung
präklinisch erhebliche Schwierigkeiten. Typisch ist eine des Verbrennungsschorfs für eine Entlastung (Pelzer 2002).
irrtümlich hohe Einschätzung mit der Folge einer falschen Die Muskelfaszie muss bei der Escharotomie nicht zwin-
Volumentherapie. gend eröffnet werden.
In der Klinik sind die Bedingungen günstiger. Hier Ähnliches gilt für zirkuläre Verbrennungen der thora-
kann der Patient nach Reinigung noch im Aufnahmebad kalen Haut, was zu einer mechanischen Beeinträchtigung
genau untersucht werden. Die Befunde werden traditionell der Atmung führen kann, sowie der abdominellen Haut
händisch in standardisierte Tabellen (Deutsche Gesetzliche mit Steigerung des intraabdominalen Drucks.
Unfallversicherung, DGUV F 1008 »Ergänzungsbericht Eine Besonderheit ist die Escharotomie im Bereich der
schwere Verbrennungen«) übertragen. Mit Einführung des Hände. Hier ist besonders darauf zu achten, dass funktio-
Verbrennungsregisters der Deutschen Gesellschaft für Ver- nelle Strukturen nicht verletzt werden. So sollen Escharo-
brennungsmedizin wird das bereits vor Jahren eingeführte tomien am Daumen nicht ulnarseitig und am Zeigefinger
Burn-case-3D-Standard für Kalkulation und Dokumenta- nicht radialseitig erfolgen, und die Ulnarseite der Hand
tion werden. grundsätzlich geschont werden (Pallua 2009).
Das Programm steht auch als Applikation für mobile Prinzipiell soll das Aufnahmebad so ausgestattet sein,
Endgeräte zur Verfügung, ebenso wie der »rapid burn dass solche chirurgischen Eingriffe dort möglich sind.
assessor«, welcher eine unkomplizierte Variante für eine
orientierende Einschätzung der Oberflächenausdehnung
darstellt. 9.3 Besonderheiten

Tiefenausdehnung der thermischen 9.3.1 Elektrotrauma


Verletzung
Auch unter günstigen Bedingungen im Aufnahmebad ist Schwachstromverbrennungen sind selten. Sie entstehen,
die Einschätzung der Schädigungstiefe stark fehlerbehaftet. wenn der Verletzte den stromführenden Gegenstand we-
Abgesehen davon, dass sich die Schädigung im weiteren gen tetanischer Muskelkontraktionen nicht loslassen kann.
Verlauf auch noch ausbreiten kann (»Nachtiefen«), ist die Starkstromverletzungen entstehen durch Hitzeeinwirkung
Beurteilung selbst für den klinisch Erfahrenen schwierig. des Lichtbogens oder durch Kontakt mit dem Flammen-
Unkompliziert ist die Bewertung lediglich beim Erythem bogen, oder direkten Stromkontakt (Pallua 2009).
der Verletzung Grad I oder bei tiefgradigen Läsionen III. Anders als bei thermischen Verletzungen durch äußer-
und IV. Grades. Letztere sind ganz offensichtlich so schwer- lich einwirkende Hitze kommt es beim Kontakt mit Stark-
wiegend, dass eine chirurgische Therapie erforderlich sein strom zwar ebenfalls zu gewebsschädigender Hitzeent-
wird. Relevant sind fehlerhafte Einschätzungen in den wicklung. Ausmaß und Schwere der Verletzung lassen sich
Fällen, die in der Schwere intermediär einzuordnen sind. aber durch Bewertung der geschädigten Körperoberfläche
Klinisch ist es aber gerade dieser Schädigungsgrad, der nicht ausreichend abschätzen.
korrekt eingeschätzt werden muss, um die richtige Lokal- Vor allem die Schädigung der inneren Gewebestrecke,
therapie zu wählen und Komplikationen zu vermeiden. die der Strom auf seinem Weg durch den Körper passiert
Erste Ansätze einer Verbesserung dieser Diagnostik durch hat, sind prognostisch relevant.
Nutzung laseroptischer Methoden sind mittlerweile Neben der einwirkenden Stromspannung und -stärke
markttauglich. Auch kann man die Selektivität des enzy- bestimmen die Kontaktfläche und der Widerstand des
matischen Débridements mit Bromelain als eine diagnos- betroffenen Gewebes sowie die Dauer der Einwirkung den
tische Maßnahme betrachten, die darüber hinaus im Fall Schweregrad der Verletzung.
von Gewebeschwellung eine Escharotomie ersetzen kann Elektrischer Strom fließt durch Gewebe mit hoher
(Rosenberg 2007). elektrischer Leitfähigkeit, vor allem entlang neurovasku-
lärer Leitungsbahnen und durch Muskulatur. Kommt es zu
Escharotomie Muskelnekrosen, entstehen innerhalb weniger Stunden
Nach Reinigung und Sichtung der Verbrennungswunden Schwellungen, die in den Körperabschnitten, die von straf-
werden antiseptische Verbände angelegt. Im Fall tief- fen Faszien umgeben sind, ein Kompartmentsyndrom ver-
greifender und ausgedehnter Verbrennungen an Extre- ursachen können. Klinische Untersuchungen, insbesonde-
mitäten muss eine notfallmäßige Escharotomie erwogen re am beatmeten Patienten, sind unzuverlässig. Umso
werden, um die Zirkulation sicherzustellen. Die Indika- wichtiger ist, die Kreatininkinase laufend zu kontrollieren
tionsstellung ist durch einen erfahrenen Verbrennungschi- und die Färbung des Urins zu beobachten. Kommt es zu

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74 Kapitel 9 · Schockraummanagement

ausgedehntem Muskeluntergang, wird Myoglobin in so Erstmaßnahme eine Wasser-/NaCl-Spülung über 20 min


großen Mengen freigesetzt, dass sich der Urin braun ver- durchzuführen. Verätzungen durch Estrich, Zement, Mör-
färbt. Solche Befunde beweisen das Vorliegen eines Kom- tel oder Branntkalk dürfen keinesfalls so behandelt werden:
partmentsyndroms, eine Dekompression durch Faszien- sie bilden mit Wasser eine ätzende Lauge. Natronlauge,
spaltung im entsprechenden Gebiet ist dringlich indiziert. Ameisensäure, Flusssäure oder Phenole können über die
Im Einzelfall kann es erschwert sein, die Zone der Haut aufgenommen werden und führen zu schwerwiegen-
Gewebeschädigung korrekt zu bestimmen, so dass unnötig den Organstörungen.
ausgedehnt vorgegangen wird. Dieses Vorgehen hat aber Bei Verätzungen mit Flusssäure treten sowohl Rötun-
keinen Vorteil für das Gesamtüberleben (Muehlberger gen wie auch Weißfärbungen der Haut auf. Sie korrelieren
2001). Intrakompartimentelle Druckmessungen sind um- allerdings nicht mit dem tatsächlichen Verletzungsausmaß
stritten und der Ausfall des peripheren Pulses speziell beim und dem Schmerzempfinden. Flusssäure dringt schnell
Stromunfall nicht regelhaft zu erwarten (Purdue 2007). über die Haut ein. Es kommt zu schwerwiegenden Elek-
Ungeachtet dessen sind die Pulse regelmäßig zu kontrol- trolytverschiebungen (Ca, Mg). Schon ab 1 % KOF besteht
lieren. akute Lebensgefahr. Wegen der Gefahr von Herzrhyth-
An einem 1,5-Tesla-Multikanal-Ganzkörper-MRT- musstörungen und Lungenödem müssen Betroffene um-
Scanner mit beweglichen Tischen kann man eine hochauf- gehend intensivmedizinisch überwacht und therapiert
lösende Ganzkörperuntersuchung in weniger als einer werden.
Stunde durchführen, ohne dass der Patient umgelagert Lokal kommt Kalziumglukonat zur Anwendung, je
werden muss. Diese Untersuchung kann entscheidende nach Verletzungsausmaß entweder als angefeuchtete
Hinweise dafür liefern, wo eine Muskelschädigung genau Kompresse, Gel, subkutan umgebend in das betroffene
9 vorliegt, so dass chirurgisch entsprechend gezielt vorge- Areal injiziert, oder sogar intraarteriell/-venös appliziert.
gangen werden kann (Reichert 2012). Man muss allerdings Das Krankenhauspersonal sollte über Kategorie-III-Hand-
beachten, dass dies nur eine Momentaufnahme darstellt schuhe (≥0,5 mm Dicke) verfügen, nur diese bieten einen
und eine mögliche Progredienz nicht ausgeschlossen wer- ausreichenden Eigenschutz.
den kann (Pallua 2009).

Literatur
9.3.2 Chemische Verletzung
Adams HA, Vogt PM (2010) Die notfall- und intensivmedizinische
Grundversorgung des Schwerbrandverletzten. Anästh Intensiv-
Die Lokalbehandlung bei Verätzungen richtet sich nach med 51:90–112
der jeweiligen Substanz. Es ist also von besonderer Wich- American Burn Association (2011) Initial Assessment and Manage-
tigkeit, diese Information zuverlässig zu gewinnen. Dann ment. In: Advanced Burn Life Support Course Provider Manual:
kann das entsprechende Sicherheitsdatenblatt herange- 17–18
Chung KK, Salinas J, Renz EM, Alvarado RA, King BT, Barillo DJ, Cancio
zogen, im Internet in entsprechenden Stoffdatenbanken
LC, Wolf SE, Blackbourne LH (2010) Simple derivation of the initial
(z. B. GESTIS, BASF etc.) recherchiert oder der Giftnotruf fluid rate for the resuscitation of severely burned adult combat
(Ortsvorwahl +19240) befragt werden, welche Maßnah- casualties: in silico validation of the rule of 10. J Trauma, 69 Suppl
men oder Antidote zur Verfügung stehen, um die weitere 1:S49–S54
Ausbreitung der Schädigung zu begrenzen. Hawkins A, Maclennan PA, McGwin G Jr, Cross JM, Rue LW (2005)
Verätzungen durch Säuren verursachen eine Koagula- The impact of combined trauma and burns on patient mortality.
J Trauma 58:284–288
tionsnekrose, die sich meist auf die Haut beschränkt. Da- Kloeters O, Germann G, Megerle K (2009) Aufnahme und Erstver-
gegen entsteht unter Einwirkung von Laugen eine Kolli- sorgung des Schwerbrandverletzten. In: Kamolz LP, Herndon DN,
quationsnekrose, die rasch auch tiefe Gewebeschichten Jeschke MG (Hrsg) Verbrennungen. Springer Heidelberg Wien
erreicht. New York: 31–39
Die Schädigungsmuster sind sehr variabel und reichen Muehlberger T, Krettek C, Vogt PM (2001) Der Stromunfall. Neue
Aspekte zu Pathophysiologie und Behandlung. Der Unfallchirurg
von geringfügigen Rötungen und Schwellungen bis hin zu
104:1122–1128
tiefgehenden Nekrosen. Kritisch sind Augenbeteiligungen. Pallua N, Markowicz M (2009) Primär plastisch-chirurgische Therapie.
Auch eine Inhalation oder Ingestion muss ausgeschlossen In: Wappler F, Spilker G (Hrsg) Verbrennungsmedizin. Vom Unfall-
werden. ort bis zur Rehabilitation. Georg Thieme Verlag Stuttgart
Bei Verätzungen mit Salzsäure, Essigsäure oder Phos- New York: 41–51
Pelzer M, Germann G (2002) Klinische Erstbehandlung. In: Bruck JC,
phorsäure steht die Dekontamination durch Spülbehand-
Müller FE, Steen M (Hrsg) Handbuch der Verbrennungstherapie.
lung im Vordergrund. Wenn derartige Notfälle häufiger Landsberg ecomed:165–174
vorkommen, sollten spezielle Spüllösungen vorgehalten Purdue GF, Arnoldo BD, Hunt JL (2007) Electrical injuries. In: Herndon
werden. Sind solche Lösungen nicht vorhanden, ist als DN (ed) Total burn care. Philadelphia Saunders Elsevier:513–520

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
75 9
Reichert B, Sievers R, Oti FE (2012) Whole-body magnetic resonance in
localization of a compartment syndrome in a high-voltage injury
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Rosenberg L (2007) Enzymatic débridement of burn wounds.
In: Herndon DN (ed) Total burn care. Philadelphia: Saunders
Elsevier:131–135
Santaniello JM, Luchette FA, Esposito TJ, Gunawan H, Reed RL,
Davis KA, Gamelli RL (2004) Ten year experience of burn,
trauma, and combined burn/trauma injuries comparing out-
comes. J Trauma 57:696–700

marcus.lehnhardt@rub.de
77 10

Stationäre Aufnahme, Prognose,


verbrannte Körperoberfläche
Frank Siemers, Philipp A. Bergmann

10.1 Einleitung – 78

10.2 Quantitative Einschätzung


der betroffenen/verbrannten Körperoberfläche – 78
10.2.1 Neuner-Regel nach Wallace – 78
10.2.2 Lund-Browder-Chart – 79
10.2.3 Handflächenregel – 79
10.2.4 Ergänzungsbericht schwere Verbrennungen der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung – 79
10.2.5 Computerassistierte Bestimmung der brandverletzten
Körperoberfläche – 79
10.2.6 Ausblick – 82

10.3 Prognose – 83
10.3.1 ABSI-Score – 83
10.3.2 Baux- und modifizierter Baux-Score – 84

10.4 Lebensalter der Patienten – 84

10.5 Komorbidität – 84

10.6 Inhalationstrauma – 85

10.7 Temperatur bei Aufnahme – 85

Literatur – 85

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
78 Kapitel 10 · Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche

10.1 Einleitung Rumpf 2×9 % je Seite. Für die Genitalregion sind in dieser
Formel 1 % KOF hinterlegt, der Kopf geht mit 9 % in die
Bei ausgedehnten thermischen Verletzungen haben mehre- Berechnung mit ein.
re Faktoren signifikanten Einfluss auf die Prognose des Pa- Mit Hilfe der Neuner-Regel ist eine annähernd gute
tienten. Neben Alter, Geschlecht und möglichen Komorbi- Abschätzung der betroffenen Körperoberfläche möglich.
ditäten sind vornehmlich die Tiefe der Verbrennungsläsio- Dennoch haben Untersuchungen gezeigt, dass das Ver-
nen und die Größe der betroffenen Hautfläche (verbrannte fahren eher zu einer Überschätzung der Fläche führt
Körperfläche prozentual zur Gesamtkörperoberfläche; (Wachtel 2000).
VKOF, % KOF) die entscheidenden Parameter. Darüber Erschwert wir die Abschätzung der Verletzungsfläche
hinaus sind Begleitverletzungen, wie z. B. das Vorliegen bei einem Körpergewicht von >80 kg bzw. <10 kg. Livings-
eines Inhalationstraumas (IHT), die Körperkerntempera- ton empfiehlt ab einem Körpergewicht von 80 kg eine
tur bei Aufnahme im Brandverletztenzentrum sowie die Fünfer-Regel: 5 % KOF für jeden Arm, 4×5 % (∑ 20 %)
initiale Volumentherapie mitentscheidend für das indivi- KOF für jedes Bein, 10×5 % für den Rumpf und 2 % KOF
duelle Outcome der Betroffenen. für den Kopf (Livingston 2000).
Die Ersteinschätzung in Hinblick auf Ausmaß und Für Kinder und Heranwachsende darf die Neuner-
Schwere einer thermischen Verletzung beginnt bereits am Regel aufgrund der differenten Körperproportionen nicht
Unfallort, wo sich der zuständige Notarzt nach Sicherung zur Anwendung gebracht werden. Nach einer Empfehlung
der Vitalfunktonen einen Überblick über die Verletzungs- von Livingston sollte für Kinder mit einem Körpergewicht
schwere verschafft. Diese Evaluation ist für die zu treffen- von <10 kg eine Achter-Regel zum Einsatz kommen: 8 %
den Entscheidungen bezüglich der weiteren Versorgung KOF für jeden Arm, 8×2 % (∑ 16 %) KOF für jedes Bein,
von großer Bedeutung. So orientiert sich u. a. die initiale 8×4 % oder (∑ 32 %) für den Rumpf und 20 % KOF für den
Volumentherapie eng an der Verletzungsschwere. Das Kopf (. Abb. 10.1; Livingston 2000).
10 Ausmaß der thermischen Schädigung im Hinblick auf die
prozentual betroffene Körperoberfläche (% KOF) ist neben
der Verletzungstiefe und den betroffenen Körperregionen
wie Kopf, Hände, Füße und Genitalregion sowie dem Vor- 20 %
liegen eines IHT ein mitentscheidendes Kriterium für die
Verlegung bzw. Behandlung in einem Schwerbrandverletz-
tenzentrum (7 Abschn. 8.3.1).
Rumpf vorne
16 %

10.2 Quantitative Einschätzung


der betroffenen/verbrannten hinten
Körperoberfläche 16 %
8% 8%

Für die Bestimmung des prozentualen Ausmaßes der zweit-


und drittgradig geschädigten Körperoberfläche (KOF)
stehen unterschiedliche Verfahren zur Verfügung.
> Für wissenschaftliche Fragestellungen oder Aspekte
der Qualitätssicherung ist eine genaue, objektive
Analyse der Größenausdehnung der thermisch ge- 8% 8%
vorne vorne
schädigten Haut unabdingbar.

10.2.1 Neuner-Regel nach Wallace 8% 8%


hinten hinten

Eine orientierende Analyse des Ausmaßes kann bereits am 16 % 16 %


Unfallort mit Hilfe der sogenannten Neuner-Regel nach
Wallace (Wallace 1951) erfolgen. Dieses Bewertungssche-
ma unterteilt den Körper eines Erwachsenen, in insgesamt
11 Körperregionen von jeweils 9 %KOF (. Abb. 5.8a). . Abb. 10.1 Achter-Regel zur Abschätzung der verbrannten Körper-
So errechnet sich beispielsweise für einen Arm eine oberfläche nach Livingston. Beine: 4×8 % = 32 %. Rumpf vorn und
betroffene KOF von 9 %, für ein Bein 2×9 % und für den hinten: 2×16 % = 32 %. Arme: 2×8 % = 16 %. Kopf: 20 %. ∑ = 100 %

marcus.lehnhardt@rub.de
10.2 · Quantitative Einschätzung der betroffenen/verbrannten Körperoberfläche
79 10
Neaman et al. konnten zeigen, dass eine Überschät- Planimetrische Untersuchungen haben gezeigt, dass
zung der Fläche insbesondere im Bereich von Kopf und die gesamte Handfläche durchschnittlich 0,85 % und die
Arm erfolgt. Die betroffene Fläche wurde als zu klein isolierte Fläche der Hohlhand 0,52 % der Körperober-
eingeschätzt, wenn Rumpf und Beine betroffen waren. fläche ausmachen (Sheridan 1995).
Aus diesen Untersuchungen wurde der Vorschlag ent-
> Eine aktuelle Metaanalyse kommt zu dem Schluss,
wickelt, die prozentuale Aufteilung der Körperpartien
dass die Berechnung der Körperoberfläche unter
neu zu definieren: Kopf 5 %, Arme 15 %. Die Werte für
Verwendung der gesamten Patientenhandfläche zu
Rumpf und Beine sind vom »body mass index« (BMI)
einer Überschätzung bei Erwachsenen (insbeson-
abhängig: Rumpf/Beine 35/45 % bei Normalgewicht,
dere bei Frauen) und zu einer Unterschätzung bei
40/40 % bei Adipositas, 45/35 % bei morbider Adipositas
Verletzten im Kindesalter führt (Rhodes 2013).
(Neaman 2011).
Überschätzt wird auch die berechnete Verletzungsflächen,
wenn ein erhöhter BMI von >30 kg/m2 bei den Betroffenen
10.2.2 Lund-Browder-Chart vorliegt (Berry 2001; Butz 2015).

Exakter als die Neuner-Regel in Hinblick auf die Einschät-


zung der Verletzungsschwere ist die Berechnung nach 10.2.4 Ergänzungsbericht schwere Verbren-
Charles Lund und Newton Browder (Lund 1944), da hier- nungen der Deutschen Gesetzlichen
bei das Lebensalter und die jeweiligen Körperpropor- Unfallversicherung
tionen einbezogen werden (. Abb. 10.2).
Auch bei Verwendung dieses Bestimmungsverfahrens, Bei Arbeitsunfällen erfolgt die Erfassung des Ausmaßes
welches bei der Anwendung mehr Zeit in Anspruch nimmt der Verletzung bei Verbrennung mit Hilfe eines entspre-
als die Nutzung der Neuner-Regel, besteht die Gefahr der chenden Ergänzungsberichtes durch die Deutsche Gesetz-
Überschätzung des Verletzungsausmaßes (Nichter 1985; liche Unfallversicherung (DGUV). Nach Abschluss der
Wachtel 2000). Die Ungenauigkeit bei der Bestimmung Versorgung im Schockraum fertigt der Aufnahmearzt eine
lässt sich darauf zurückführen, dass die Berechnung aus- Zeichnung des initialen Verletzungsausmaßes an. Der
schließlich auf einer einzelnen Körperphysiognomie be- Ergänzungsbericht beinhaltet eine Zeichenvorlage, die
ruht. Unterschiedliche Körpergrößen und -gewichte blei- Vorder- und Rückseite eines Erwachsenen schematisch
ben unberücksichtigt (Haller 2012). darstellt. Die thermisch geschädigten Hautareale werden
entsprechend ihres Verteilungsmusters auf diesem Bogen
> Die Genauigkeit der Berechnung hängt auch von
zeichnerisch hinterlegt. Durch die Verwendung unter-
der klinischen Erfahrung des Anwenders ab. Martin
schiedlicher Muster oder Farben können hierbei die ein-
et al. konnten zeigen, dass Verbrennungsspezia-
zelnen Verletzungstiefen differenziert dargestellt werden.
listen die betroffene Körperoberfläche genauer be-
Mit Hilfe dieses Erfassungsbogens. kann nachfolgend,
stimmen können als verhältnismäßig unerfahrene
unter Verwendung einer Tabelle das Ausmaß der Verlet-
Kliniker (Martin 2014).
zung (% KOF) errechnet werden. Zusätzlich lässt sich als
Die »Lund and Browder burn chart« kommt im deutsch- Prognosewert auch der ABSI-Score (. Tab. 10.1) ermitteln
sprachigen Bereich nicht so häufig zur Anwendung wie die (DGUV). Dieser versucht durch die Berücksichtigung von
Neuner-Regel (Giretzlehner 2013). Im Rahmen der Erst- Alter, Geschlecht, Verbrennungsausmaß und Begleitver-
versorgung steht sie zudem in der Regel nicht zur Ver- letzungen eine Aussage über die Überlebenswahrschein-
fügung und kann nicht so einfach abgeleitet werden wie lichkeit zu treffen (Tobiasen 1982).
andere Schätzverfahren.

10.2.5 Computerassistierte Bestimmung der


10.2.3 Handflächenregel brandverletzten Körperoberfläche

Bei lokalisierten thermisch geschädigten Arealen kann Die zeichnerische Dokumentation der Verletzungsschwere
auch die sogenannte 1-%-Regel oder »Handflächenregel« hat den Nachteil, dass sich die Dreidimensionalität des
zum Einsatz gebracht werden. Hiernach beträgt die Fläche menschlichen Körpers nur unzureichend erfassen lässt.
einer Hand des Verletzten etwa 1 % der Körperoberfläche Durch den Einsatz von Computertechnologie ist es mög-
(. Abb. 10.3). Die Referenzfläche beinhaltet neben der lich, diese darzustellen und somit eine genauere Bestim-
Hohlhand die Flächen der Langfinger einschließlich des mung der betroffenen Körperoberfläche vorzunehmen.
Daumens in gestreckter und adduzierter Stellung. In einer multizentrischen Befragung fanden Giretzlehner

marcus.lehnhardt@rub.de
80 Kapitel 10 · Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche

Datum:

Körperhöhe: Gewicht:

II.° + III.° = %

II.°
III.° verbrannte Körperoberfläche (%)
(Berkow-Formel)

Region 0-1 1-4 5-9 10-14 15 Erwach-


Jahr Jahre Jahre Jahre Jahre II.° III.°
sener
Kopf 19
10 Hals 2
17
2
13
2
11
2
9
2
7
2
Rumpf vorn 13 13 13 13 13 13
Rumpf hinten 13 13 13 13 13 13
Gesäß rechts 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5
Gesäß links 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5
Genitalien 1 1 1 1 1 1
rechter Oberarm 4 4 4 4 4 4
linker Oberarm 4 4 4 4 4 4
rechter Unterarm 3 3 4 3 3 3
linker Unterarm 3 3 4 3 3 9
rechte Hand 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5
linke Hand 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5
rechter Oberschenkel 5,5 6,5 8 8 9 9,5
linker Oberschenkel 5,5 6,5 8 8 9 9,5
rechter Unterschenkel 5 5 5,5 6 6,5 7
linker Unterschenkel 5 5 5,5 6 6,5 7
rechter Fuß 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 3.5
linker Fuß 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5
Total

. Abb. 10.2 Einschätzung der Verbrennungstiefe nach Lund und Browder. Herangezogen werden das Lebensalter und die jeweiligen
Körperproportionen

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10.2 · Quantitative Einschätzung der betroffenen/verbrannten Körperoberfläche
81 10

5%

1 %

a b

. Abb. 10.3a, b Handflächenregel: Die Fläche der Hand (a) des betroffenen Patienten entspricht 1 % seiner Körperoberfläche. b Die dar-
gestellte Fläche auf der Rückseite des Rumpfes entspricht etwa 5 % der Körperoberfläche

. Tab. 10.1 ABSI-Score

VKOF (%) Punkte Alter (Jahre) Punkte Andere Parameter Punkte Gesamt- Mortalitätswahr-
punktzahl scheinlichkeit (%)

1–10 1 0–20 1 Mann 0 2–3 <1

11–20 2 21–40 2 Frau 1 4–5 >2

21–30 3 41–60 3 Inhalationstrauma 1 6–7 10–20

31–40 4 61–80 4 Verbrennung Grad III 1 8–9 30–50

41–50 5 >80 5 Schwerwiegende Je Erkran- 10–11 60–80


Nebenerkrankung kung 1

51–60 6 >11 >80

61–70 7

71–80 8

81–90 9

91–100 10

ABSI »abbreviated burn severity index«; VKOF verbrannte Körperoberfläche

et al. (Giretzlehner 2014; Giretzlehner 2013) im Vergleich Mehrere Programme zur dreidimensionalen Erfassung
zur computerassistierten Analyse der VKOF bei der nicht- stehen zur Verfügung (Haller 2009; Neuwalder 2002;
assistierten visuellen Bestimmung eine Überschätzung Prieto 2011). »burn case 3D« (Haller 2009; . Abb. 10.4)
dieser Fläche ≤161 %. In den Untersuchungen einer weite- wird in zahlreichen deutschsprachigen Brandverletzten-
ren Arbeitsgruppe zur Computerunterstützung zeigten zentren erfolgreich zum Einsatz gebracht, zudem auch eine
sich keine Unterschiede zwischen der analogen Erfassung Schnittstelle zur Datenerfassung im Zuge der Multicenter-
der Fläche im Vergleich zu einem Verfahren, bei dem die studie für die Erfassung von Schwerbrandverletzten eta-
verletzten Areale am PC eingezeichnet und berechnet wur- bliert ist.
den (Williams 2013).

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82 Kapitel 10 · Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche

10

. Abb. 10.4 Burn-case-3D-Programm

> Bei der computerassistierten Dokumentation z. B. die Unfallursache, bei den patientenspezifischen Da-
wird ein individuelles dreidimensionales Modell des ten hinterlegt werden (Haller 2012).
jeweiligen Patienten generiert. Hierbei werden
die Einflussgrößen Alter, Gewicht, Körpergröße,
Geschlecht und Konstitution berücksichtigt. 10.2.6 Ausblick

Auf der Grundlage dieses Modells erfolgt dann am Die computerassistierte Erfassung des Verletzten unter Be-
Computerbild die zeichnerische Erfassung der brandver- rücksichtigung der o. g. individuellen Faktoren ermöglicht
letzten Areale entsprechend Verbrennungsausdehnung eine Annäherung an die tatsächliche Körperkonstitution
und -tiefe. Das Modell kann am Monitor rotiert werden, des Betroffenen. Dennoch können individuelle anatomi-
auch eine Zooming-Funktion ist im Programm integriert. sche Gegebenheit auch von der Software nicht berücksich-
An diesem Punkt der Dokumentation besteht das Risiko, tigt werden. Eine weiterreichende Annäherung lässt sich
dass der dokumentierende ärztliche Mitarbeiter durch nur durch die patientenbezogene Erfassung der Körper-
fehlerhafte Eingaben ein falsches Ergebnis erhält. Nach konturen mittels Scan oder Tomografie erzielen. Derartige
Abschluss der Dateneingabe ermittelt die Software die pro- Möglichkeiten sind im klinischen Alltag allerdings noch
zentual betroffene Körperoberfläche. nicht umgesetzt (Haller 2012).
Neben der Erfassung des Verletzungsausmaßes erfasst Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Tablets
die Burn-case-3D-Software noch automatisch die ICD-10- und Smartphones finden auch im Bereich der Verbren-
Codes der Verletzungen. Auch können die Kranken- nungsmedizin bei der Erfassung der Verletzungsschwere
geschichte erfasst und relevante Zusatzinformationen, wie Apps (»application software«) Anwendung. Diese Pro-

marcus.lehnhardt@rub.de
10.3 · Prognose
83 10
gramme ermöglichen eine schnellere und genauere Er- Score) wurde im Jahr 2013 entwickelt (Karimi 2013),
fassung der Verbrennungsausdehnung (Barnes 2015; Gold- dessen Validierung steht noch aus.
berg 2014; Haller 2012). Der Nachteil aller Bewertungssysteme ist, dass sie mit
inhomogenen Patientenkollektiven erstellt wurden und
nichteinheitlichen Verletzungsmustern mit Verletzungs-
10.3 Prognose ausmaßen von 0–10 bis 90–100 % berücksichtigt wurden.
Bei keiner Systemerstellung war eine externe Validierung
Eine Prognoseabschätzung, insbesondere bei ausgedehn- vorgenommen worden. Das ist insofern problematisch,
ten thermischen Verletzungen, ist hilfreich bei Entschei- dass wenn man davon ausgeht, dass die prozentual betrof-
dungen im klinischen Alltag, für wissenschaftliche Frage- fene Oberfläche als einer der Hauptmortalitätsfaktoren
stellungen, aber auch, wenn es darum geht Kliniker, An- anerkannt ist, so wurden bei der Entwicklung der Scores
gehörige und Patienten in die Behandlungsprozesse mit große Gruppen von Patienten mit geringer betroffener
einzubeziehen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es für Körperoberfläche einbezogen.
Brandverletzte Prognosebewertungsziffern in Hinblick Die Dauer der stationären Behandlung wird häufig als
auf ihr Überleben (Bull 1949; Hussain 2013a). Bis in die Indikator für das Outcome herangezogen. Aktuelle Unter-
1980er Jahre wurden hier ausschließlich das Alter und suchungen aus Großbritannien konnten zeigen, dass wei-
die prozentual betroffene Körperoberfläche einbezo- tere Faktoren außer Alter und der VKOF keine genaue
gen. Zur Abschätzung der Prognose stehen mehrere Be- Vorhersagekraft besitzen (Hussain 2013b).
wertungsschemata zur Verfügung. Am häufigsten kom-
men der ABSI-Score und der klassische Baux-Score,
die beide in mehreren Studien validiert wurden, zur An- 10.3.1 ABSI-Score
wendung.
Der im deutschsprachigen Raum am häufigsten verwen-
dete ABSI(»abbreviated burn severity index«)-Score wurde
Scores zur Abschätzung der Prognose
erstmals im Jahr 1982 von Tobiasen (Tobiasen 1982) be-
bei Brandverletzungen (Hussain 2013a)
schrieben. Einflussgrößen bei diesem Bewertungsschema
5 Baux-Score/modifizierter
sind neben dem Ausmaß der thermischen Schädigung und
Baux-/R-Baux-/P-Baux-Score
dem Alter der Patienten auch das Geschlecht und das Vor-
5 ABSI-Score
liegen eines Inhalationstraumas (. Tab. 10.1).
5 Total-burn-surface-Index
Nach der Erfassung aller Einflussgrößen wird ein
5 Modell nach Coste et al.
Punktwert zwischen 1 und 13 ermittelt. Ab einer Summe
5 Modell nach Ryan et al.
von 10 Punkten ist von einer Sterbewahrscheinlichkeit von
5 Modell nach McGwin et al.
>50 % auszugehen. Zahlreiche Einflussgrößen bleiben
5 Modell nach Galeiras et al.
allerdings unberücksichtigt. So gehen Faktoren wie Alko-
5 Belgian outcome of burn injury(BOBI)-Score
hol- und Nikotinabusus oder auch Adipositas nicht in die
Bewertung ein, obwohl diese nachweislich einen Einfluss
Aktuelle Untersuchungen belegen, dass die Risikofaktoren auf die Prognose haben (s. u.).
VKOF, Alter und Inhalationstrauma, unabhängig von-
> Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass der ABSI-
einander signifikante Risikofaktoren für die Mortalität
Score trotz veränderter demografischer Bedingun-
beim Verbrennungstrauma sind (Tsurumi 2015). Demo-
gen und fehlender Berücksichtigung von bekannten
grafische Veränderungen und verbesserte Therapieoptio-
Einflussgrößen mehr als 30 Jahre nach dessen Erst-
nen lassen vermuten, dass die etablierten Prognosebeur-
beschreibung noch ein zuverlässiges Instrument zur
teilungen diese Entwicklungen nicht mehr ausreichend
Prognoseabschätzung darstellt (Forster 2011).
abbilden. So zeigt eine aktuelle Studie, dass die Mortalitäts-
rate bei Schwerbrandverletzten seit den 1960er Jahren Tsurumi und Mitarbeiter (Tsurumi 2015) zeigen auf,
signifikant gesunken ist (Klein 2014). Die Einführung des dass die Risikofaktoren VKOF, Alter und Inhalations-
verbesserten (»revised«) Baux-Score sollte dieser Entwick- trauma voneinander unabhängig, signifikante Faktoren für
lung Rechnung tragen. Der revidierte Baux-Score für Er- die Mortalität sind. Zu den Einflussgrößen Geschlecht und
wachsene, welcher im Gegensatz zum klassischen Baux- BMI gibt es in Hinblick auf die Mortalität allerdings
Score auch das Vorliegen eines Inhalationstraumas be- keine einheitliche Feststellung (Dokter 2011; Farrell 2008;
rücksichtig, wurde im Jahr 2010 beschrieben (Osler 2010) Galeiras 2009; Ghanem 2011; Karimi 2013; Muller 2001;
und in einer großen, unabhängigen Kohorte extern vali- O’Keefe 2001; Tsurumi 2015).
diert (Dokter 2011). Der Baux-Score für Kinder (P-Baux

marcus.lehnhardt@rub.de
84 Kapitel 10 · Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche

10.3.2 Baux- und modifizierter Baux-Score gen wie Diabetes mellitus oder periphere arterielle Ver-
schlusserkrankung vorgeschädigt. Dadurch können zur
Lange Zeit wurde die Prognose von Brandverletzten Regeneration der Haut wichtige Prozesse nicht erfolgen, so
mit Hilfe des im Jahr 1961 vorgestellten Baux-Scores dass selbst zunächst nur oberflächlich dermal geschädigte
(Baux 1961), der im deutschsprachigen Bereich auch unter Areale (Grad IIa) in der Folgezeit auch in tieferen Gewebe-
dem Namen »Zellweger-Index« bekannt ist, ermittelt. Bei schichten geschädigt werden (McCampbell 2002).
diesem Instrument werden ausschließlich die prozentual Im Vergleich zu jüngeren Patienten zeigt sich bei älte-
betroffene Körperoberfläche und das Alter des Verletzten ren Patienten eine erhöhte Inzidenz für ein Inhalations-
berücksichtigt. Für die Überlebenswahrscheinlichkeit trauma. Untersuchungen dieses speziellen Kollektivs erga-
relevante Parameter wie Vorerkrankungen und Verbren- ben, dass fast die Hälfte (47,2 %) der betroffenen Patienten
nungstiefe blieben unberücksichtigt. Liegt der Punktwert ein Inhalationstrauma erlitten. Diese Häufigkeit liegt deut-
in Summe >75, geht man von einer schlechten Prognose lich über der von jüngeren Patienten (19,6 %; Bessey 2006;
für den Verletzten aus. Auch wenn der Score nur im Rah- Smith 1994). Aufgrund von zunehmender Immobilität im
men einer Dissertation veröffentlicht wurde, stieß er auf- Alter sind die Patienten oft nicht in der Lage, den brennen-
grund seiner Einfachheit und der klinisch leichten Repro- den Unglücksort sofort aus eigener Kraft zu verlassen. Die
duzierbarkeit auf großes Interesse. Da sich im Kindes- und daraus resultierende längere Exposition in Rauchgasen
Jugendalter keine Zunahme der Mortalität feststellen ließ, erklärt die erhöhte Inzidenz des Inhalationstraumas in
modifizierten Stern et al. (Stern 1979) den Score in der dieser Altersgruppe. Erschwerend kommen in vielen
Form, dass Patienten <20 Jahren ausgeschlossen wurden. Fällen durch eine COPD (»chronic obstructive pulmonary
disease«) vorgeschädigtes Bronchialsystem (20,8 %) hinzu.
> Der modifizierte Baux-Score wurde validiert und
Ein Inhalationstrauma wird unter diesen Umständen
zeigt eine gute Diskrimination zwischen Überleben-
mitentscheidend für die schlechte Prognose zahlreicher
den und Verstorbenen. Aktuelle Untersuchungen
10 konnten neben einer zuverlässigen Vorhersage für
der Patienten gewesen sein. In den Untersuchungen von
Bessey (Bessey 2006) erlitten von den 26 verstorbenen Pa-
Patienten >60 Jahre eine Überlegenheit gegenüber
tienten 17 (65,4 %) ein Inhalationstrauma.
dem ABSI-Score belegen (Lumenta 2008; Wibben-
Die Häufigkeit der für das Überleben entscheidenden
meyer 2001).
Vorerkrankungen, wie z. B. koronare Herzkrankheit,
Herzinsuffizienz, COPD, Diabetes mellitus, ist bei der
Gruppe älterer Patienten deutlich größer als bei Schwer-
10.4 Lebensalter der Patienten brandverletzten <60 Jahren. Die prätraumatischen Be-
dingungen spielten eine nicht unwichtige Rolle für das
Geriatrische Patienten stellen hinsichtlich der Prognose Überleben der älteren Patienten. Verletzte, die das Un-
aufgrund von Pathogenese, Pathophysiologie und thera- fallereignis überleben, haben signifikant weniger Neben-
peutischem Vorgehen eine gesonderte Gruppe bei der erkrankungen als die verstorbenen Brandverletzten
Behandlung Schwerbrandverletzter dar. Altersabhängige (Baux 1989).
Veränderungen der Haut, steigende Komorbiditäten und Alden (Alden 2005) untersuchte die besondere Proble-
verminderte Reaktionsfähigkeit im Rahmen des Traumas matik der Demenzkrankheit bei älteren Menschen in Ver-
können zu schwerwiegenderen Verläufen führen (Ho WS bindung mit Brandverletzungen. In Hinblick auf die Ver-
2001; McGill 2000). Untersuchungen haben gezeigt, dass läufe nach dem Unfallereignis konnten allerdings keine
die Dauer der stationären Behandlung bei älteren Patien- statistisch signifikanten Einflüsse im klinischen Verlauf
ten deutlich über der der jüngeren Verletzten mit ver- durch die Demenzkrankheit festgestellt werden.
gleichbarem Verletzungsmuster liegt (Solanki 2011).
> Mit zunehmendem Alter steigt die Vulnerabilität
10.5 Komorbidität
der Haut. Gerade bei älteren Schwerbrandverletzten
kommt es häufig zu drittgradigen Brandverletzun-
Hörbrand et al. (Horbrand 2003) machen auf die Bedeu-
gen (77,4 %). Dies liegt in vielen Fällen an der durch
tung schwerwiegender Vorerkrankungen bei brandverletz-
Immobilität bedingte längere Verbrennungsexpo-
ten Patienten im Allgemeinen und unabhängig vom Alter
sition. Außerdem spielen folgende pathophysiologi-
der Verletzten aufmerksam. Nebendiagnosen wie Herz-
sche Prozesse eine Rolle.
insuffizienz, koronare Herzkrankheit, COPD, Diabetes
Die Dicke der Haut nimmt durch zunehmende Atrophie mellitus, arterieller Hypertonus und chronischer Alkohol-
im Alter ab, zudem sind anatomische Strukturen wie der abusus stellen demnach entscheidende prognostische Fak-
subdermale Gefäßplexus durch bestehende Vorerkrankun- toren dar.

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
85 10
> Die Komorbidität der Patienten beeinflusst auch Adenosintriphosphat(ATP)konzentration im Blut kom-
direkt nach der stationären Aufnahme weitere the- men, was prädisponierend für posttraumatische Kompli-
rapeutische Entscheidungsprozesse. kationen wie Organversagen sein kann (Seekamp 1999).
Weitere lebensbedrohliche Komplikationen der Hypother-
Beim Vorliegen einer chronische Herzinsuffizienz mie sind die Herzrhythmusstörungen, nicht selten kommt
(NYHA III–VI) ist die kardiale Belastung durch die hohen es bei Körperkerntemperaturen unter 30°C zum Kammer-
Volumengaben innerhalb der ersten 24 h nach dem Ver- flimmern.
brennungstrauma ungleich höher als beim herzgesunden Bei Vorliegen des »letalen Trias« bestehend aus Hypo-
Patienten ist. Die Gefahr eines Lungenödems unter der thermie, Azidose und Koagulopathie wurde bei Unter-
Volumenbelastung steigt und kann zur Folge haben, dass suchungen auch bei Brandverletzten eine erhöhte Mortali-
die Schwerbrandverletzten auch ohne Inhalationstrauma tätsrate festgestellt (Sherren 2014).
unter maschineller Beatmung pulmonal dekompensieren.
Es sollte in einer solchen Situation jedoch nicht versucht
Literatur
werden, den Kreislauf ausschließlich mit Hilfe von Kate-
cholaminen aufrecht zu erhalten. Dies hätte zur Folge, dass Alden NE, Rabbitts A, Yurt RW (2005) Burn injury in patients with
es aufgrund des intravasalen Volumenmangels zu einer dementia: an impetus for prevention. J Burn Care Rehabil
erheblichen kardialen Belastung in Form von Tachykar- 26:267–271
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of age: burns in children and older adults. Surgery 140:705–715;
discussion 715–707
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130:160–173
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trauma wird das Inhalationstrauma nicht genügend be- a reliable tool to estimate burn surface areas in obese patients?
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aerzte/F_1008/F1008.pdf
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Inhalationstrauma auch bei geringgradiger und wenig aus- Farrell RT, Gamelli RL, Aleem RF et al (2008) The relationship of body
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Ghanem AM, Sen S, Philp B et al (2011) Body mass index (BMI) and
mortality in patients with severe burns: is there a »tilt point« at
Ein weiterer, prognostisch wichtiger Parameter ist die
which obesity influences outcome? Burns 37:208–214
Körperkerntemperatur des Patienten bei Aufnahme im Giretzlehner M, Dirnberger J, Owen R et al (2014) The determination
Brandverletztenzentrum. Bei Hypothermie kommt es zur of total burn surface area: how big is the difference? Burns
»Zentralisierung« des Blutkreislaufes, was eine Minder- 40:170–171
perfusion der Körperperipherie zur Folge hat. Die für die Giretzlehner M, Dirnberger J, Owen R et al (2013) The determination
of total burn surface area: How much difference? Burns 39:
Reparationsprozesse der Haut wichtige ausreichende
1107–1113
Durchblutung der geschädigten Areale kann zu einer Zu- Goldberg H, Klaff J, Spjut A et al (2014) A mobile app for measuring
nahme der Verbrennungstiefe führen. Des weiteren kann the surface area of a burn in three dimensions: comparison to the
es im Rahmen der Hypothermie zu einem Absinken der Lund and Browder assessment. J Burn Care Res 35:480–483

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86 Kapitel 10 · Stationäre Aufnahme, Prognose, verbrannte Körperoberfläche

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87 11

Lokaltherapie
Paul C. Fuchs, Oliver C. Thamm

11.1 Lokale Antiseptika – 88


11.1.1 Silbersulfadiazin – 88
11.1.2 Polyhexanid – 89
11.1.3 Mafenid – 89
11.1.4 Octenidin – 90
11.1.5 Zitronen- und Essigsäure – 90
11.1.6 Biofilm – 90
11.1.7 Toxizität lokaler Antiseptika – 90

11.2 Temporärer Hautersatz – 91


11.2.1 Suprathel – 91
11.2.2 Biobrane – 91
11.2.3 Aquacel – 93
11.2.4 Allogene Haut – 94

11.3 Wundversorgung – 94
11.3.1 Verbrennungen Grad I – 96
11.3.2 Verbrennungen Grad IIa – 96
11.3.3 Verbrennungen Grad IIb – 96
11.3.4 Verbrennungen Grad III – 97
11.3.5 Operierte Wundareale – 97

Literatur – 97

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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88 Kapitel 11 · Lokaltherapie

Das Ziel der Behandlung von Verbrennungswunden ist


deren Wundverschluss mit patienteneigener Epidermis. In
Abhängigkeit von Verbrennungstiefe und individuellem
Heilungsverlauf kann dies spontan erfolgen oder es sind
operative Verfahren, wie z. B. eine Spalthauttransplanta-
tion, notwendig (7 Kap. 5). Gegenstand dieses Kapitels ist
die lokale Wundversorgung von Entstehung der Verbren-
nung bis zur vollständigen Abheilung. Neben der akuten
Wundbehandlung während der Aufnahme eines Verbren-
nungspatienten, beinhaltet es auch die topische Wundver-
sorgung nach chirurgischer Exzision bei tiefergradigen
Verbrennungen.
Hierbei kann nicht die gesamte Bandbreite insbe-
sondere der Wundauflagen, welche ihre Bedeutung auch in
der Versorgung Brandverletzter haben, abgebildet werden.
Sicherlich hat jeder, der solche Verletzungen behandelt,
seine eigenen Favoriten, welche mit guten Ergebnissen und
. Abb. 11.1 Auftrag einer Öl-Wasseremulsion (Flammazine) zur
damit mit voller Berechtigung angewandt werden können.
Infektionsprävention
Im Folgenden soll ein Überblick über die Prinzipien und
häufig verwandten Substrate gegeben werden. Grundsätz-
lich sind bei der Auswahl geeigneter Substanzen zur topi- u. a. Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Klebsiella
schen Behandlung von Verbrennungswunden unter- species, Pseudomonas aeruginosa, Proteus species, Entero-
schiedliche Anforderungen zu berücksichtigen. bakterien und Candida albicans. Obwohl es den Eschar nur
geringfügig penetriert, hat es eine gute antiinfektiöse Wir-
kung und schützt die Wunde vor exogenen Infektionen.
11 Anforderungen an die toptische Behandlung
von Verbrennungswunden > Der genaue Wirkmechanismus von Silbersulfadiazin
5 Keimreduktion bzw. Schutz vor Infektionen ist noch unklar. Silber hat allerdings eine hohe Affini-
5 Unterstützung der Wundheilung tät zu Proteinen, und wird bei Kontakt mit dem
5 Reduktion der Evaporation Wundsekret aus der festen Verbindung mit Sulfadia-
5 Schmerzlinderung zin herausgelöst (Atiyeh 2007).
5 Möglichkeit zur Wundbeurteilung
Die so freigesetzten Silberionen können auf unterschied-
5 Bewegungsfreiheit
liche Weise zu einer Schädigung der Mikroorganismen füh-
5 geringes Nebenwirkungsprofil
ren. Es wird vermutet, dass Silberionen aufgrund ihrer star-
5 Kosteneffektivität
ken Neigung zur Verbindung mit Thiolgruppen von Enzy-
men und phosphorhaltigen Basen eine komplexe Bindung
mit der mikrobiellen DNA eingehen und so Zellteilung und
Replikation verhindern (Wijnhoven 2009). Sulfadiazin
11.1 Lokale Antiseptika wird in die Wundflüssigkeit freigesetzt und wird zu einem
geringen Teil (≤10 %) vom Körper resorbiert und zu zwei
11.1.1 Silbersulfadiazin Dritteln wieder mit dem Harn ausgeschieden. Die häufigs-
ten Nebenwirkungen von Silbersulfadiazin sind Leuko-
Die wohl noch immer am häufigsten verwendete topische penie, Überempfindlichkeitsreaktionen (Dermatitis, Ery-
Substanz zur Infektionsprävention bei Verbrennungen ist them, Exanthem) und eine Grauverfärbung der Haut
Silbersulfadiazin. Es ist eine weiße, schlecht wasserlösliche (Argyrose). Sie werden vom Hersteller mit einer Häufigkeit
Verbindung aus Silbernitrat und Natriumsulfadiazin, die von 1:1000 bis 1:100 angegeben. In der Literatur wird die
in 1- %iger Konzentration in einer Öl-Wasseremulsion er- Inzidenz einer Leukopenie bei Behandlung von Verbren-
hältlich ist (z. B. Flammazine). Die Creme lässt sich leicht nungen mit Silbersulfadiazin mit 5–15 % angegeben. Sie
und weitestgehend schmerzfrei auftragen, färbt nicht ab wird auf eine direkt toxische Wirkung auf das Knochen-
und verflüssigt nicht auf der Wunde. (Fox 1968). Von Be- mark zurückgeführt. Die Leukopenie kann mit alarmie-
troffenen wird sie als kühlend empfunden (. Abb. 11.1). rend niedrigen Leukozytenzahlen (<1000/μl) einhergehen
Silbersulfadiazin hat eine In-vitro Wirksamkeit gegen- und tritt in der Regel innerhalb der ersten drei Tage nach
über einer Vielzahl an Mikroorganismen. Dazu gehören Erstanwendung auf. Hauptsächlich sind neutrophile

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11.1 · Lokale Antiseptika
89 11
Granulozyten betroffen. Die Leukopenie ist nach Absetzen
der Substanz spontan rückläufig.
Bei Applikation auf oberflächliche Verbrennungen
entsteht nach ein paar Tagen ein weicher, gelb-gräulicher
Pseudoeschar, der dem Unerfahrenen eine Wundinfektion
vortäuschen kann. Der Belag ist eine Verbindung aus der
Creme und dem Wundsekret, kann mehrere Millimeter
dick sein, und ist üblicherweise leicht zu entfernen. Darun-
ter zeigt sich dann der rosige Wundgrund. Bei sicher ober-
flächlich eingeschätzter Verbrennung ist die Entfernung
des Pseudoeschar jedoch nicht erforderlich und sollte als
Wundabdeckung belassen werden. Bei tiefergradigen Ver-
brennungen haftet der Pseudoeschar fest am Wundgrund
und lässt sich nicht mehr einfach abstreifen.

11.1.2 Polyhexanid

Polyhexamethylenbiguanid (PHMB) ist eines der am häu-


figsten eingesetzten Antiseptika zur lokalen Wundbehand-
. Abb. 11.2 Mafenidacetat
lung. Es wird von verschiedenen Herstellern vertrieben
und ist z. B. unter den Namen Lavanid, Lavasept oder
Prontosan erhältlich. Polyhexanid hat ein breites antimik- 5-%iger Lösung als topisches Antiseptikum erhältlich ist.
robielles Spektrum gegen gram-positive und gram-nega- Es ist wirksam gegen ein breites Keimspektrum und zeigt
tive Erreger und ist neben den klinisch besonders relevan- besonders hohe Effektivität bei Pseudomonas aeruginosa
ten Pseudomonas aeruginosa u. a. auch gegen Methicillin- (Bennett 2001). Auch gegen seltenere Bakterien, wie z. B.
resistente Staphylococcus aureus (MRSA) gut wirksam. Es Clostridium perfringens, Vancomycin-resistente Entero-
ist hypoallergen und brennt nicht in der Wunde oder kokken und Acinetobacter baumanii wurde eine gute
auf der Haut. Im Gegensatz zu Povidon-Iod ist es geruch- Wirksamkeit nachgewiesen (Holder 1990). Gegen die
los, farblos und weist keinen Eiweißfehler auf. Nachteil im meisten gram-negativen Bakterien, die häufig in Brand-
Vergleich mit anderen lokalen Antiseptika, wie z. B. dem wunden nachgewiesen werden, zeigt es eine gute Aktivität.
Octenidin, ist die fehlende Wirksamkeit gegenüber Viren Es hat eine limitierte Effektivität bei einigen Staphylococ-
und Pilzen. cus aureus, insbesondere bei Methicillin-resistenten Stäm-
men und ist nur minimal gegen Pilze wirksam (Lindberg
> Der Wirkmechanismus von Polyhexanid beruht
1968). Mafenidacetat erreicht eine höhere Penetration
auf einer Interaktion von Bakterien mit der Phospho-
in den Eschar als Silbersulfadiazin und kann daher
lipidmembran, die zur Membraninstabilität und
auch bei drittgradigen Verbrennungen effizient zur Infekt-
damit zum Zelltod führt (De Paula 2011).
prophylaxe eingesetzt werden (. Abb. 11.2). Etwa 80 %
Im Gegensatz dazu kommt es bei menschlichen und tieri- des Wirkstoffs diffundieren in avaskuläres Gewebe. Die
schen Zellen zu keinen Wechselwirkungen, weshalb eine höchste Gewebekonzentration wird 2 und 4 h nach Appli-
hohe Sicherheit der Behandlung gewährleistet werden kation erreicht und die Resorption erfolgt rasch, wes-
kann. Es wird weder auf intakter Haut noch in Wunden halb die Applikation 12-stündlich wiederholt werden
vom Körper resorbiert und hat keine systemischen Neben- sollte.
wirkungen. Polyhexanid zeigt allerdings bei längerer Ein- Der enzymatische Abbau von Mafenidacetat durch
wirkzeit (>15 min) toxische Effekte auf Chondrozyten und die körpereigene Monoaminooxidase führt zu dem Meta-
sollte daher zurückhaltend bei der Behandlung von Knor- boliten Karboxybenzensulfonamid, der die Aktivität der
pelflächen eingesetzt werden (Rohner 2011). Karboanhydrase hemmt. Bei großflächiger Anwendung
kann es zur Ausbildung einer metabolischen Azidose
kommen, der durch Hyperventilation mit persistierend
11.1.3 Mafenid subnormalen PaCO2-Werten entgegengewirkt wird. Bei
Patienten mit pulmonaler Insuffizienz kann die respirato-
Mafenidacetat (Sulfamylon) ist eine sulfonamidhaltige rische Kompensation der Azidose nicht ausreichend er-
Substanz, die in 10-%iger Konzentration als Creme oder in folgen, so dass dann engmaschige Kontrollen des Säure-

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90 Kapitel 11 · Lokaltherapie

Basen-Haushaltes erforderlich sind. Der Metabolit wird 11.1.5 Zitronen- und Essigsäure
renal ausgeschieden und kann bei Niereninsuffizienz im
Körper kumulieren. Patienten mit akuter Niereninsuffi- Säuren und auch Laugen besitzen aufgrund ihrer unphy-
zienz sollten nur in Ausnahmefällen mit Mafenidacetat siologischen pH-Werte eine antibakterielle, antimykoti-
behandelt werden. Weiterhin sind schwere hämolytische sche und teilweise auch antivirale Wirkung. Sie werden
Anämien bei Patienten mit Glukose-6-Phosphat-Dehy- insbesondere als Oberflächendesinfektionsmittel ange-
drogenase-Mangel nach Behandlung mit Mafenidacetat wendet. Aber auch bei der Behandlung von Wundinfek-
beobachtet worden. Verbrennungsopfer, bei denen dieser tionen werden Säuren eingesetzt. Sowohl Zitronensäure
Enzymmangel bekannt ist, dürfen einer Behandlung mit als auch Essigsäure zeigen eine gute Wirksamkeit gegen
Mafenidacetat nicht zugeführt werden. Weniger schwere unterschiedliche Mikroorganismen (Nagoba 2011; Nagoba
Nebenwirkungen sind Schmerzen, Brennen, Juckreiz und 2013). In der Verbrennungsmedizin werden wir häufig
Hautausschlag. Auch Schwellung, Hautmazerationen, mit hartnäckigen Wundinfektionen durch Pseudomonas
Blasen und Urtikaria treten gelegentlich auf. aeruginosa konfrontiert, die im Verlauf erhebliche Resis-
tenzen entwickeln können. Besonders bei steigender Re-
> Ähnlich wie beim Silbersulfadiazin wurde für
sistenzentwicklung eignen sich Zitronen- oder Essigsäure
Mafenidacetat ein negativer Effekt auf die Wund-
(z. B. 3-%ig) besonders gut zur lokalen Wundbehandlung
heilung beobachtet. Es wirkt toxisch auf basale
und sollten als mögliche Alternativen im Gedächtnis
Keratinozyten und hemmt deren Proliferation. Die
bleiben (Sloss 1993).
Toxizität war jedoch in vitro geringer als beim
Silbersulfadiazin (McCauley 1992).

11.1.6 Biofilm

11.1.4 Octenidin Viele Bakterien bilden Mikrokolonien in einer selbstpro-


duzierten Matrix aus Biopolymeren und führen zu einem
Octenidin liegt bei Arzneimitteln in Form von Octenidin- sogenannten Biofilm. Dieser bietet eine stabile Struktur
11 dihydrochlorid als farblose Flüssigkeit vor. In Verbindung und schützt die Bakterien vor Bioziden und vor der kör-
mit 2-Phenoxyethanol ist es in Deutschland als Octenisept pereigenen Immunreaktion. Systemische Antibiotika er-
erhältlich. reichen deshalb die Bakterien nicht oder nur in sehr ge-
ringen Dosen. Aber auch einige lokale Antiseptika sind
> Octenidin besitzt eine gute Aktivität gegenüber
bei Biofilmbildnern wirkungslos. In Kombination mit
einer Vielzahl von gramnegativen und grampositiven
Undecylenamidopropyl-Betain (Prontosan) kann Poly-
Bakterien (auch MRSA) und ist ebenfalls wirksam
hexanid auch wirksam gegen biofilmbildende Bakterien
bei Pilzen, Protozoen und lipophilen Viren (z. B. HIV,
eingesetzt werden. Das Betain löst als oberflächenaktives
HBV, HSV).
Tensid den Biofilm und nimmt den Bakterien die schüt-
Der Wirkungseintritt beginnt nach 60 s. Es hat eine Rema- zende Matrix. Es wurde eine hohe Wirksamkeit bei den
nenzwirkung für 24 h und führt zu keiner Resistenz- typischen biofilmbildenden Pseudomonsas aeruginosa
bildung. Der Anwendungsbereich umfasst akute und chro- und MRSA nachgewiesen (Kaehn 2010). In vitro wurde
nische Wunden, Haut- und Schleimhautantiseptik sowie auch für Octenidin eine gute Wirksamkeit gegen biofilm-
Dekolonisation von MRSA-besiedelten Patienten. Octeni- bildende Bakterien nachgewiesen.
din ist geruchlos, farblos und kann schmerzfrei ange-
wendet werden. In seltenen Fällen kann ein vorübergehen-
des Brennen auftreten. Sehr selten sind kontaktallergische 11.1.7 Toxizität lokaler Antiseptika
Reaktionen, wie z. B. eine vorübergehende Rötung an der
behandelten Stelle möglich. Octenidin darf nicht zur Die optimale antiseptische Wundspüllösung hat eine
Spülung von präformierten Körperhöhlen (z. B. Abdo- ideale antimikrobielle Wirksamkeit, ohne dabei ortsstän-
men) verwendet werden. Es ist nur äußerlich ohne Druck dige Zellen und damit die Wundheilung negativ zu beein-
anzuwenden und darf nicht zur tiefen Gewebespülung flussen. Dies wird jedoch in der Realität nicht erreicht.
benutzt werden. Bei längerer Einwirkdauer im Gewebe
> Je höher die Wirksamkeit eines Antiseptikums ist,
kann es zu massiven Ödemen, Nekrosen und an den Ex-
desto größer ist in der Regel auch dessen Toxizität
tremitäten bis zur Entwicklung eines Kompartmentsyn-
gegenüber organischem Material.
droms kommen (Schupp 2009). Somit muss jederzeit
ein Abfluss z. B. über eine Lasche oder Drainage gewähr- So werden z. B. zur Oberflächendesinfektion hochpro-
leistet sein. zentige Alkohole, Säuren oder Laugen verwendet (7 Ab-

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11.2 · Temporärer Hautersatz
91 11
schn. 11.1.5), da sie eine maximale Toxizität gegenüber Flüssigkeit transparent; so ist der Heilungsverlauf gut zu
Mikroorganismen aufweisen. Ebenso führen sie aber zur beobachten und Infektionen können frühzeitig erkannt
Denaturierung von Proteinen, zu Zellwandschäden bis werden.
hin zur Zellnekrose. Die Wundheilung ist ein komplexes Die Indikationen für Suprathel sind dermale Verlet-
Zusammenspiel zwischen lokalen Keratinozyten, Fibro- zungen. Hierzu gehören zweitgradige Verbrennungen,
blasten und Endothelzellen sowie eingewanderten humo- Verbrühungen oder Verätzungen (Grad IIa und IIb), ober-
ralen Zellen und einer Vielzahl an Zytokinen. Eine Störung flächliche Hautabschürfungen und Spalthautentnahme-
dieses sensiblen Gleichgewichts kann zu einer Verzöge- stellen. Kontraindiziert ist die Anwendung bei infizierten
rung der Heilungsprozesse führen. Wunden. Es sollte nicht bei vollschichtig dermalen Läsio-
Unter den hier vorgestellten Antiseptika scheint nen (Verbrennungen Grad III, Ulzera o. ä.) oder blutenden
Polyhexanid die Wundheilung am wenigsten zu beein- Wunden eingesetzt werden. Wie bei allen temporären
trächtigen. Im Vergleich mit Octenidin (Octenisept) und Hautersatzmaterialien besteht das Risiko einer Wund-
Povidon-Iod (Betaisodona) zeigte Polyhexanid (Lavasept) infektion, weshalb regelmäßige Befundkontrollen erfolgen
in vitro die geringsten toxischen Effekte auf Keratinozyten müssen. Nebenwirkungen sind nicht bekannt.
und Fibroblasten. Durch Octenidin und Povidon-Iod Suprathel wird nach Säuberung der Wunde (Abtragen
wurde die Viabilität und Proliferation der Zellen signifi- von Verbrennungsblasen, oberflächliches Débridement)
kant gehemmt, während für Polyhexanid nur ein geringer steril auf den Wundgrund gelegt und blasenfrei der Haut
Einfluss nachweisbar war (Hirsch 2009). anmodelliert. Die weiße Membran kann beidseitig appli-
ziert werden. Sie ist elastisch, lässt sich gut dehnen und
damit jeder Körperkontur einfach anpassen. Durch leich-
11.2 Temporärer Hautersatz tes Ziehen wird es unter geringer Spannung aufgebracht
und an gekrümmte Flächen angelegt. Hierbei kann ein
Synthetische Materialien zur Abdeckung oberflächlicher Erwärmen der Membran durch Auflegen der Hand hilf-
Hautwunden, die nicht in den Körper eingebaut werden reich sein. Das Suprathel sollte den Wundrand etwas (etwa
und vorübergehend die Epidermis ersetzen sollen, werden 1 cm) überlappen, um eine vollständige Abdeckung der
als temporärer Hautersatz bezeichnet. Wunde sicherzustellen. Anschließend wird es mit Fettgaze
bedeckt, um ein versehentliches Entfernen der Membran
beim Verbandswechsel zu vermeiden. Da die Membran
11.2.1 Suprathel nach Applikation auf die Wunde durchsichtig wird und
nur noch schwer zu erkennen ist, empfehlen wir die Mar-
Eines der neuesten temporären Hautersatzmaterialien kierung mit einem sterilen farbigen Papier. Dieses kann
ist das Suprathel. Es ist ein Lacto-Capromer (D,L-Lactid, z. B. auf der Fettgaze platziert werden, bevor der äußere
Trimethylencarbonat, e-Caprolacton) mit dem Haupt- Verband aus Kompressen und Binden angelegt wird. Hier-
bestandteil Polymilchsäure. Durch seine hohe Sauerstoff- zu eignet sich idealerweise die in der Verpackung enthal-
und Wasser-Dampfpermeabilität schafft es ein günstiges tene grüne Papierschutztasche. Die praktische Anwendung
Wundmilieu, in dem die Epithelisierung der Wunde statt- ist . Abb. 11.3 zu entnehmen.
finden kann. Aufgrund seiner Biodegradierbarkeit kommt Da die Ökonomisierung in der Medizin einen zuneh-
es innerhalb von 4–6 Wochen zu einer vollständigen hy- menden Stellenwert erlangt, muss auch auf die Kosten der
drolytischen Resorption, weshalb bei einem eventuellen hier vorgestellten Produkte hingewiesen werden. Suprathel
Einwachsen in die Haut keine operative Entfernung not- gehört zu den teuersten Hautersatzmaterialien in der Ver-
wendig ist. brennungsmedizin. Auch wenn es anderen Materialen
hinsichtlich seiner Kosteneffektivität deutlich unterlegen
> Für Suprathel wurde in einer prospektiv randomi-
ist, so steigert es nachweislich den Patientenkomfort
sierten Studie gezeigt, dass im Vergleich mit einer
(Schwarze 2008).
Polyurethanfolie (Omiderm) signifikant weniger
Schmerzen an Spalthautentnahmestellen und Ver-
brennungen II. Grades auftraten. Es zeigte eine
11.2.2 Biobrane
bessere Adhärenz auf der Wunde und benötigte
weniger Verbandswechsel.
Biobrane besteht aus einer Silikonmembran mit einem
Unterschiede hinsichtlich der Wundheilung wurden darin verankerten Netz aus Nylon. An das der Wunde zu-
nicht festgestellt. (Schwarze 2008) Ein weiterer Vorteil gewandte Nylongewebe sind Kollagenpeptide gebunden,
von Suprathel ist die gute Wundbeurteilbarkeit. Es wird die sich mit dem Wundsekret verbinden und den tempo-
nach Applikation auf die Wunde durch Wärme und rären Hautersatz biologisch auf der Wunde fixieren. Feine

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92 Kapitel 11 · Lokaltherapie

a b

11

c d

e f

g h

. Abb. 11.3a–h Praktischer Einsatz des temporären Hautersatzmaterials Suprathel

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11.2 · Temporärer Hautersatz
93 11

i j

k l

. Abb. 11.3i–l (Fortsetzung)

Poren in der Silikonmembran erlauben den Austritt von > Verglichen mit einem konventionellen Wund-
Flüssigkeit. Biobrane ist indiziert bei Verbrennungen regime (Paraffingaze und Feuchtverband) wurde
Grad IIa und Spalthautentnahmestellen. Es sind wie bei für Biobrane bei Verbrennungen Grad IIa eine
allen temporären Hautersatzmaterialien regelmäßige Be- schnellere Heilung bei geringerer Hospitalisierung
fundkontrollen durchzuführen, um frühzeitig Infektionen nachgewiesen (Lal 2000). Seltener notwendige
zu erkennen und zu behandeln. Verbandswechsel und geringere Schmerzen
Im Anschluss an die übliche Wundreinigung (Blasen- (Gerding 1990) führen zu einem höheren Patienten-
abtragung und Desinfektion) oder nach Spalthautent- komfort und einer verbesserten Compliance.
nahme wird das Biobrane direkt auf die Wunde aufgelegt.
Dabei muss auf die richtige Lage geachtet werden. Die Auch Biobrane ist ein teurer temporärer Hautersatz, der
Seite mit dem kollagenbeschichteten Nylongewebe muss von den Kosten mit Suprathel vergleichbar ist. Da bei
der Wunde zugewandt sein. Da die Oberflächen sich sehr Biobrane jedoch nach wenigen Tagen keine Verbands-
ähnlich sehen, ist die Außenfläche mit einem Aufkleber wechsel mehr nötig sind, wird es, verglichen mit der kon-
»this side up« markiert. Das Biobrane wird entweder mit ventionellen Wundbehandlung, als kostenneutral ange-
Klammern oder wenn möglich nur durch den Verband sehen (Busche 2009).
auf der Haut fixiert. Im Gesicht sollte grundsätzlich auf
Klammern verzichtet und ein Klebstoff (z. B. Histoakryl-
kleber) zur Fixierung verwendet werden. Abschließend 11.2.3 Aquacel
werden eine Lage feuchte Kompressen (z. B. mit Prontosan),
eine Lage trockene Kompressen und ein elastokompres- Aquacel wird zur Gruppe der Hydrofaserverbände gezählt.
siver Verband angelegt (. Abb. 11.4). Es besteht aus Natrium-Karboxymethylzellulose und hat
2–3 Tage nach dem Aufbringen von Biobrane kann in eine hohe Wasserbindungskapazität (Abbildung 11.6). So
der Regel auf den Sekundärverband verzichtet werden. kann es größere Mengen an Wundsekret speichern. Die
Nach Abschluss der Epithelisierung löst sich die Silikon- Feuchtigkeit wird in die Fasern aufgenommen und breitet
membran selbständig und kann schrittweise entfernt wer- sich dadurch kaum horizontal aus, so dass die Gefahr von
den. Biobrane bietet eine Reihe von Vorteilen. Hautmazerationen gering ist. Weiterhin bildet sich bei Kon-

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94 Kapitel 11 · Lokaltherapie

Hier konnten erhebliche Vorteile gegenüber einem Paraf-


fingaze-Verband festgestellt werden: die behandelten Pa-
tienten hatten weniger Schmerzen, das Verbandsmanage-
ment war angenehmer, die Epithelisierungsrate höher und
die Narbenqualität wurde nach einem Jahr besser ein-
geschätzt (Barnea 2004). Im Unterschied zu Biobrane und
Suprathel verursacht das Aquacel nur etwa ein Zehntel der
Kosten und zeigt hierdurch ökonomische Vorteile.

11.2.4 Allogene Haut


a
Die Verwendung allogener Haut (glyzerol- (Euroskin)
oder kryokonserviert) erfüllt sicherlich als temporärem
Hautersatz die meisten gewünschten Kriterien eines tem-
porären Hautersatzes. Aufgrund der biologischen Eigen-
schaften kann durch die Verwendung von allogener Haut
eine nahezu physiologische Wundabdeckung erzielt wer-
den. Dies gilt sowohl für den mechanischen Schutz der
Wunde als auch für den Bereich des Schutzes von Evapo-
ration und teils auch der Infektprophylaxe. Durch die
Immunsupprimierung Schwerbrandverletzter kann in der
b frühen Phase sogar ein teilweises Einwachsen der Spender-
haut insbesondere im dermalen Bereich beobachtet wer-
den. Durch die Verwendung von Spenderhaut verlängert
11 sich das Zeitfenster bis zur notwendigen Deckung mit
Eigenhaut deutlich.
Diesen sehr großen Vorteilen insbesondere bei dritt-
gradigen, großflächigen Verletzungen stehen jedoch die
extrem hohen Kosten gegenüber, welche den Einsatz öko-
nomisch limitieren.
Deshalb besteht aus unserer Sicht die beste Indikation
in der Verwendung von allogener Haut im Einsatz als
»Sandwich-Technik« bei der Versorgung mit großflächigen
c weit expandierten Spalthauttransplantationen (1:6 oder
größer), da hier die additive Verwendung von allogener
. Abb. 11.4a–c Biobrane. a Verpackung. b Wundsituation. c Versor- Haut die Abheilung fördert.
gung der Wunde

takt mit Wundflüssigkeit ein kohäsives Gel in dem potenziell 11.3 Wundversorgung
pathogene Keime, wie z. B. Pseudomonas aeruginosa oder
Staphylocuccus aureus, aufgenommen und immobilisiert Eine adäquate Wundversorgung ist in der Verbrennungs-
werden (Walker 2003). Trotzdem müssen auch hier regel- medizin obligat. Die Wahl der richtigen Wundauflage und
mäßige Beurteilungen der Wundauflage stattfinden, um das Wundmanagement sind entscheidend für den Hei-
eventuelle Wundinfektionen frühzeitig zu erkennen. Unter lungsverlauf und die Qualität der Langzeitergebnisse.
der Wundauflage bildet sich ein feucht-warmes Wund- Dieses Kapitel soll eine praktische Hilfestellung bei der
milieu, in dem die Epithelisierung stattfinden kann. Versorgung von Verbrennungswunden geben. Dabei wird
die Anwendung der zuvor vorgestellten Antiseptika und
> Aquacel kann zur Versorgung nahezu aller infekt- Wundauflagen in Abhängigkeit von der Verbrennungstiefe
freier Wunden mit mittlerer bis starker Sekretion erläutert.
verwendet werden. In der Verbrennungsmedizin hat
es sich vor allem bei der Versorgung der Spalthaut-
entnahmestellen durchgesetzt.

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11.3 · Wundversorgung
95 11

a b c

d e f

. Abb. 11.5a–g Hydrofaserverband Aquacel. a Ver-


packung. b Sheet. c Wundsituation. d–f Aufbringen des
g Verbands. g Verlauf

marcus.lehnhardt@rub.de
96 Kapitel 11 · Lokaltherapie

11.3.1 Verbrennungen Grad I

Verbrennungen ersten Grades bedürfen keiner Wundver-


sorgung im klassischen Sinne, da es hierbei nur zu einer
lokalen Entzündungsreaktion mit Rötung und Überwär-
mung ohne Schädigung der Haut kommt. Kühlung und
ggf. topische Applikation einer niedrigdosierten Kortison-
creme (z. B. Advantan 1-%ig) für die Dauer von 24 h kön-
nen die Symptome deutlich lindern. Zusätzlich können
Analgetika verabreicht werden.
Verbrennungen II. und III. Grades müssen primär
einer Wundreinigung (Débridement/Verbrennungsbad)
zugeführt werden (. Abb. 11.6). Dabei werden abgelöste
Epidermisanteile mechanisch entfernt. Dies kann mit . Abb. 11.6 Verbrennungsbad
Bürsten oder feuchten Kompressen erfolgen. Als Wund-
spüllösung kann z. B. Polyhexanid (Lavasept, Prontosan
o. ä.) verwendet werden. Nach sorgfältiger Reinigung der
Verbrennungen kann die Bestimmung der Tiefegrade
sowie die Berechnung der betroffenen verbrannten Kör-
peroberfläche (VKOF) erfolgen (7 Kap. 10). Zweitgradige
Verbrennungen werden in Notfallambulanzen und nicht-
spezialisierten Krankenhäusern häufig mit Silbersulfadia-
zin (Flammazine) versorgt. Wir benutzen diese Substanz
bei zweitgradigen Verbrennungen nicht mehr, da sie eine
Beurteilung Wundverlaufs durch die Ausbildung des
11 Pseudoeschars schwierig macht. Silbersulfadiazin wird in
unserer Klinik in Ausnahmefällen nur noch zur Infekt-
a
prophylaxe bei drittgradigen Verbrennungen eingesetzt.

11.3.2 Verbrennungen Grad IIa

Sicher als Grad IIa eingestufte Verbrennungen sollten mit


modernen Hautersatzmaterialien, wie z. B. Biobrane oder
Suprathel versorgt werden, da diese Wundauflagen den
höchsten Patientenkomfort bei optimierten Heilungsbe-
dingungen bieten. Steht dieser spezielle temporäre Haut-
ersatz nicht zur Verfügung werden die Wunden mit einer
Fettgaze (z. B. Jelonet) und feuchten Kompressen abgedeckt.
Hierzu kann entweder eine antiseptische Wundspüllösung b
oder ein Wundgel zur Anwendung kommen (. Abb. 11.7). . Abb. 11.7 a Ganzkörperverband. b Verband neue SV
Die Feuchtverbände müssen täglich gewechselt werden und
jeweils eine erneute Wundevaluation erfolgen.
Sollte es bei der Behandlung mit einem temporären für IIb-gradige Verbrennungen nicht geeignet ist. Läsionen
Hautersatzmaterial zu einer Wundinfektion kommen, muss Grad IIb können spontan heilen, müssen jedoch auch
die Wundauflage sofort entfernt und eine lokal antisep- häufig einer operativen Therapie zugeführt werden. Dies
tische Therapie wie oben beschrieben eingeleitet werden. ist entscheidend von deren Heilungsverlauf abhängig, wes-
halb die Wunden jederzeit durch das temporäre Hauter-
satzmaterial gut beurteilbar sein müssen. Diese Eigen-
11.3.3 Verbrennungen Grad IIb schaft erfüllt das Suprathel, so dass wir diese Wundauflage
bei IIb-gradigen Verbrennungen mit guter Heilungschance
Die Versorgung von Verbrennungen Grad IIb erfolgt ähn- als temporären Hautersatz empfehlen. Hierbei ist zu er-
lich wie bei Grad IIa mit dem Unterschied, dass Biobrane wähnen, dass die Heilungschance durch ein oberfläch-

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
97 11
liches Débridement oder eine sparsame tangentiale Exzi- Entsprechend der bei den einzelnen Substanzen beschrie-
sion der obersten Dermisanteile vor dem Aufbringen von benen Vor- und Nachteile der jeweiligen topischen The-
Suprathel gesteigert werden kann. Bei der Anwendung von rapie, muss die Entscheidung individuell vom behandeln-
Suprathel ist bei den Verbandswechseln stets darauf zu den Chirurgen getroffen werden. Dementsprechend ist ein
achten, dass nicht versehentlich die durchsichtige Wund- enges mikrobiologisches Monitoring unerlässlich. In der
auflage mit entfernt wird (7 Abschn. 11.2.1). Grundsätzlich frühen Phase erfolgt die Versorgung häufig mit einer Fett-
können aber auch Verbrennungen Grad IIb mit klassi- gaze als Zwischenschicht, um ein Ankleben der Verbände
schen Feuchtverbänden (s. oben) versorgt werden. zu verhindern. Es erfolgt eine Zwischenschicht mit Anti-
septika getränkten Kompressen, um einen Keimschutz
zu schaffen. Als Antiseptika haben sich an der Klinik der
11.3.4 Verbrennungen Grad III Autoren Polyhexanid und Mafenidlösung, in Abhängigkeit
vom Keimspektrum, bewährt. Die Wundversorgung
Bei transdermalen Verbrennungen wird immer eine ope- schließt dann mit trockenen, sterilen Kompressen und
rative Therapie notwendig. Der richtige Zeitpunkt ist vor Netzverbänden ab.
allem bei großflächigen Verbrennungen mitentscheidend Zunehmend kommt auch bei extensiven Brandver-
für das Überleben des Patienten. Häufig muss auf eine pri- letzungen die Vakuumversiegelung zum Einsatz (Low
märe oder frühzeitige Nekrektomie bei schlechtem All- 2013). Den Vorteilen einer geschlossenen, sterilen Ver-
gemeinzustand verzichtet werden. In diesen Fällen ist eine bandsmethode stehen hierbei die Nachteile einer logis-
antiseptische Lokaltherapie zur Infektprophylaxe sinnvoll. tisch aufwendigen und ökonomisch teuren Methode ge-
Neben den üblichen Feuchtverbänden hat Mafenidacetat genüber.
(Sulfamylon) aufgrund seiner hohen Penetration in den Eine allgemeingültige Empfehlung zur Lokaltherapie
Verbrennungseschar Vorteile bei der Wirksamkeit. Die von Brandwunden kann leider nicht getroffen werden.
Creme wird großzügig auf den Eschar aufgetragen, kann Auch muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden,
offen belassen oder mit Fettgaze und Kompressenver- dass systematische, randomisierte Studien mit hoher Evi-
bänden bedeckt werden. Die Verbände sollten mindestens denz zu diesem wichtigen Thema nicht in ausreichendem
einmal täglich erneuert werden. Wenn Mafenidacetat Maße vorliegen.
nicht zur Verfügung steht, kann auch Silbersulfadiazin ver-
wendet werden. Aufgrund der geringeren Wirktiefe ist
es bei uns jedoch zweite Wahl. Kleinere drittgradige Ver-
Literatur
brennungen haben ein geringeres Infektionsrisiko und
bedürfen keiner Therapie mit Mafenidacetat oder Silber- Atiyeh BS, Costagliola M, Hayek SN, Dibo SA (2007) Effect of silver
sulfadiazin. Hier reicht bis zur operativen Therapie die on burn wound infection control and healing: review of the
Applikation eines Fettgazefeuchtverbands. literature. Burns: journal of the International Society for Burn
Injuries 33(2):139–148
Barnea Y, Amir A, Leshem D, Zaretski A, Weiss J, Shafir R, Gur E (2004)
Clinical comparative study of aquacel and paraffin gauze
11.3.5 Operierte Wundareale dressing for split-skin donor site treatment. Annals of plastic
surgery 53(2):132–136
Entgegen der vorangegangenen Kapitel ist eine klare Emp- Bennett LL, Rosenblum RS, Perlov C, Davidson JM, Barton RM,
Nanney LB (2001) An in vivo comparison of topical agents on
fehlung der lokalen Therapie bei der Versorgung operierter
wound repair. Plastic and reconstructive surgery 108(3):
noch nicht abgeheilter Wunden deutlich schwieriger fest- 675–687
zulegen. In die Entscheidung, welche Lokaltherapie nach Busche MN, Herold C, Schedler A, Knobloch K, Vogt PM, Rennekampff
einer Operation angewandt werden soll, gehen folgende HO (2009) [The Biobrane glove in burn wounds of the hand.
Faktoren ein: Evaluation of the functional and aesthetic outcome and compari-
4 Tiefe der Defekts (z. B. tangentiale vs. epifasziale son of costs with those of conventional wound management].
Handchirurgie, Mikrochirurgie, plastische Chirurgie: Organ der
Nekrektomie)
Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Handchirurgie:
4 mikrobiologische Situation der Wunde Organ der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Mikro-
4 Status des Patienten chirurgie der Peripheren Nerven und Gefäße: Organ der Vereini-
4 Zeitpunkt seit der letzten Operation gung der Deutschen Plastischen Chirurgen 41(6):348–354
4 operatives Verfahren (Wundabdeckung De Paula GF, Netto GI, Mattoso LHC (2011) Physical and Chemical
Characterization of Poly(hexamethylene biguanide) Hydro-
nach Nekrektomie oder Defektdeckung beispielsweise
chloride. Polymers 3(2):928–941
nach Meek vs. Maschentransplantation) Fox CL, Jr (1968) Silver sulfadiazine – a new topical therapy for
4 Heilungstendenz Pseudomonas in burns. Therapy of Pseudomonas infection in
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98 Kapitel 11 · Lokaltherapie

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99 12

Enzymatisches Débridement
der Verbrennungswunde
Frank Sander, Lior Rosenberg

12.1 Einleitung – 100

12.2 Geschichte – 100

12.3 NexoBrid – 101


12.3.1 Anwendung – 101

12.4 Versorgung der Hand – 101

12.5 Zusammenfassung – 103

Literatur – 103

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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100 Kapitel 12 · Enzymatisches Débridement der Verbrennungswunde

12.1 Einleitung nutzt. Auch Anwendungen von Enzymen aus dem Ficus-
baum (Debricin) wurden zum Ende der 1950er Jahre ver-
Das effektive frühzeitige Entfernen des Verbrennungs- öffentlicht (Connell 1959). Die Gewinnung von Brome-
schorfs ist ein notwendiger erster Schritt zur Vermeidung lain, eine Protease aus der Ananaspflanze (Familie der
escharassoziierter Komplikationen und zur Einleitung der Bromeliaceae), wurde im Jahr 1957 von Heinicke und
Wundheilung. Seit den 70er Jahren stellt daher die chirur- Gortner beschrieben. Klein erwähnte im Jahr 1964 Bro-
gische Frühnekrektomie bei der Behandlung der Verbren- melain erstmalig zum Zweck des Verbrennungsdébride-
nungswunde einen wesentlichen Behandlungsmaßstab dar ments. In einer Studie an drei amerikanischen Zentren
(Janzekowic 1970). Die Indikationsstellung und Terminie- mit 36 Probanden zeigte allerdings nur etwa die Hälfte
rung zum chirurgischen Débridement ist abhängig von der der Patienten einen ausreichenden Débridementerfolg
Verbrennungsursache und der präoperativen Beurteilung (Boswick 1985). Ein grundlegendes Problem schienen die
der Verbrennungstiefe. Das chirurgische Vorgehen ist sehr biologische Variabilität in der Bromelainzusammen-
effektiv und schnell, aber es erweist sich als relativ trau- setzung und die Reproduzierbarkeit der Gewinnung und
matisch und teilweise wenig selektiv (Gurfinkel 2010). Zubereitung gewesen zu sein (Levenson 1979, Rowan
Weiterentwickelte chirurgische Débridementtechniken 1990). Eine vorherige Silber-Sulfadiazin-Anwendung
wie Dermabrasion, Laserablation oder hydrochirurgische hemmt die Enzymwirkung (Levine 1971; Levine 1973).
Maßnahmen wie z. B. mittels Versajet sollen durch selek- Die Nutzung proteolytischer Enzyme bakteriellen Ur-
tiveres Débridement und Schonung vitaler Dermisanteile sprungs wurde erstmals von Altemeier et al. im Jahr 1951
die Möglichkeit spontaner Reepithelisierung oder eines publiziert (Altemeier 1951). Besonders die Proteasen aus
besseren Transplantatbettes wahren, um somit letztendlich Clostridium histolyticum zeigten die größte Aktivität.
im Langzeitverlauf eine bessere Haut- bzw. Narbenqualität Kollagenase von Costridium histolyticum wird teilweise
zu begünstigen (Rennekampff 2006; Wang 2008). bis heute benutzt (Santyl). Streptokinase und Strepto-
Nichtchirurgische oder »konservative« Débridement- dornase gewonnen aus hämolysierenden Streptokokken
maßnahmen basieren wesentlich auf autolytischen Prozes- (Varidase) zeigten nur unzureichende Wirkung, insbeson-
sen (Mazeration). Diese bestehen aus einer Kombination dere bei drittgradigen Verbrennungen (Teitelmann 1952;
aus topischen Medikationen (antimikrobielle oder chemi- Connell 1957).
sche Agentien), Kontamination und Lyse durch Mikroorga- Garret veröffentlichte erstmalig im Jahr 1969 eine Stu-
12 nismen und dem inflammatorischen Wundheilungspro- die an über 100 Patienten, die mittels neutraler Proteasen
zess. Dieser, bis zu mehreren Wochen dauernde Vorgang (Sutilains) von Bacilius subtilis behandelt wurden. Diese
ist begleitet von teils mehrfach täglichen Verbandswechseln wurden unter dem Handelsnamen Travase in den 1970er
und Wundreinigungsmaßnahmen – z. B. Duschen oder und 1980er Jahren bekannt. In mehreren Studien ging eine
Bürstungen zum Entfernen des Detritus. Allerdings birgt Travasebehandlung mit Wundinfektionen einher (Krizek
dieser langwierige Prozess die Gefahr zusätzlichen Ge- 1974; Hummel 1974). Eine begleitende Anwendung mit
webeschadens mit sekundären Schäden der Stase- und topischen Antiseptika wie Silbersulfadiazin oder Mafe-
Hyperämiezone und somit »Abtiefens« der Verbrennungs- nidazetat, welche beide die Enzymaktivität nicht be-
wunde. Durch mögliche Infektionen und eine prolongierte einträchtigen, wurde postuliert. Die Behandlung sollte in
inflammatorische Phase kann die Granulationsgewebe- einem feuchten Milieu erfolgen. Eine oft mehrtägige An-
und konsekutive Narbenbildung ausgeprägter sein (Bessey wendung unter täglich mindestens einmaliger Auftragung
2007; Cubison 2006, Hummel 1974; Klasen 2000). war allerdings notwendig bis ein ausreichender Débride-
menteffekt vorlag. Eine autologe Spalthautdeckung konnte
nach Travase im Vergleich zu sonst konservativer Behand-
12.2 Geschichte lung früher erfolgen (Pennisi 1975; Dimick 1977).
Makepeace hielt im Jahr 1983 in einer Übersichtsarbeit
Die Suche nach einer hochselektiven und effektiven Maß- ebenfalls fest, dass der große Vorteil von Sutilains darin
nahme zum Débridement aber auch zur zeitnahen und liegt, größere Verbrennungsareale frühzeitig débridieren
exakten Wundbeurteilung in der Verbrennungsbehandlung und transplantieren zu können. Travase war das in ameri-
ist nicht neu. Enzyme pflanzlichen Ursprungs zum Débride- kanischen Verbrennungszentren am meisten gebrauchte
ment nekrotischen Gewebes wurden erstmalig in den Enzym.
1940er Jahren beschrieben. Hier fand Papain, ein Pepsin aus Säureanwendungen (Pyruvat, Phosphorsäure) wurden
Frucht und Blättern des Melonenbaums (Carica papaya), bis in die 1960er Jahre beschrieben (Connor 1946; Schweit-
Anwendung (Glasser 1940; Cooper 1943; Guzmann 1953). zer 1951; Mir 1964), dann aber in den 1970er Jahren durch
In Kombination mit Urea und Chlorophyll (Burke die chirurgische Frühnekrektomie abgelöst. Besonders
1958; z. B. Panafil) wird Papain teilweise heute noch ge- aber wurde hier allerdings der antibakterielle Säureeffekt

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12.4 · Versorgung der Hand
101 12
neben dem mehrere Tage bis Wochen dauernden und entsprechenden hygienekonformen Verbandskautelen vor-
schmerzhaften Débridementeffekt hervorgehoben. handen sein. Auch eine unmittelbare Anwendung im Rah-
Weitere debridierende Agentien wie Trypsin (Trypsin, men der Verbrennungserstversorgung im Schockraum ist
Tryptar), Chymotrypsin (Alpha Chymar), Fibrolysinde- möglich. Eine adäquate Analgesie, ggf. sogar Anästhesie ist
oxyribonuklease (Elease), Schmeißfliegenlarvenextrakt Voraussetzung, da die Auftragung und die anfängliche Ein-
oder Vibriolysin aus marinen Vibrio protelyticus fanden wirkphase schmerzhaft sind. Die Verbrennungswunde muss
nur kurzzeitige Beachtung und nahmen keinen Einzug in zuvor mechanisch von Blasen und Keratinresten gesäubert
klinische Behandlungsprotokolle. und mit feuchten Tüchern (z. B. NaCl0,9 % oder Poly-
Silverstein et al. postulierten im Jahr 1987, dass enzy- hexanidlösung) vorbehandelt werden. Dringend vermieden
matisches Débridement einen hämodynamisch stabilen werden muss eine vorherige Behandlung mit jod- oder sil-
Patienten voraussetzt, da es zu starken Wundexsudationen berhaltigen Wundauflagen oder Salben. Das Produkt wird
kommen kann. Auf der akuten, noch feuchten Wunde ist homogen gemischt, etwa 2–3 mm dick aufgetragen und
die proteolytische Wirkung am effektivsten. Eine Kom- unter einem Folienokklusivverband über 4 h belassen, be-
bination mit antimikrobiellen Topika, die die Enzym- vor sich nach Entfernung eine mindestens zweistündige
aktivität nicht beeinträchtigen und ein Verbandswechsel »Soaking-Phase« mit feuchtnassen Tüchern (z. B. NaCl
alle 4–6 h wurden zur Vermeidung von Infektionen emp- 0,9 % oder Polyhexanid) anschließt (»wet to dry«).
fohlen. Der Wundgrund von Verbrennungen Grad IIb zeigt
Klasen kam im Jahr 2000 in seiner Übersichtsarbeit über dann weiße, mit punktuellen Blutungen durchsetzte vitale
sämtliche bis dahin beschriebenen Topika zum Verbren- Dermis die grundsätzlich der Spontanheilung überlassen
nungsdébridement zu dem Schluss, dass letztendlich keines werden kann (. Abb. 12.1). Dabei ist ein Austrocknen und
die Anforderungen und Erwartungen erfüllte, um das chi- eine Infektion der exponierten Dermis zu vermeiden.
rurgische Débridement wirklich ersetzen zu können. Die weitere Behandlung, bzw. Deckung kann dann in ge-
wohnter Weise erfolgen. Unmittelbar vor biologischen
Deckungsmaßnahmen sollte die Wunde nochmals mit
12.3 NexoBrid einer Bürste oder sogar chirurgisch angefrischt werden.
Eine autologe Spalthauttransplantation auf subkutanem
Seit Ende 2012 besitzt NexoBrid als »minimalinvasives Fettgewebe setzt auch nach enzymatischem Débridement
Verfahren« zum enzymatischen Débridement tiefer Ver- der Wunde eine ausreichende Präkonditionierung des
brennungen in Europa die Zulassung als Arzneimittel. Wundgrundes voraus.
Hierbei handelt es sich um ein Konzentrat proteolytischer
> Die NexoBrid-Anwendung und insbesondere die
Enzyme, angereichert aus Bromelain aus dem Stamm der
anschließende Beurteilung der Wundfläche unter-
Ananaspflanze (Ananas comosus). NexoBrid (früher De-
liegen einer Lernkurve. NexoBrid ist eine Ergänzung
brase oder Debridase) wurde bislang in mehreren Studien
im Therapiespektrum des Verbrennungsmediziners
untersucht. Im Vergleich zu chirurgischen Standard-
zum »minimalinvasiven« Débridement. Die Wunde
behandlungsmethoden konnte eine frühzeitigere Entfer-
lässt nach selektivem Débridement mit NexoBrid
nung des Eschar erreicht werden. Gleichzeitig war der
eine zeitnahe und exakte Beurteilung der Verbren-
Blutverlust vermindert. Insbesondere zeigte sich eine
nungstiefe zu.
Reduzierungen der Notwendigkeit eines chirurgischen
Débridements und letztendlich, aufgrund selektiven Er-
halts vitaler Dermis, eine Reduzierung der autologen
Spalthautdeckung mit dadurch langfristig einhergehend 12.4 Versorgung der Hand
weniger Spenderarealmorbidität. Aufgrund des größeren
Anteils spontaner Epithelisierung war die Abheilungs- Tiefe Handverbrennungen stellen aufgrund der anato-
dauer etwas verlängert. In der Langzeitbeobachtung er- mischen Besonderheiten der Hand und des dünnen Haut-
gaben sich aber vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich Kos- Weichteilmantels chirurgisch eine besondere Herausforde-
metik, Funktion und Lebensqualität (Rosenberg 2014). rung im Hinblick auf das funktionelle und ästhetische Er-
gebnis dar.

12.3.1 Anwendung > Die Hände sind bei mehr als einem Drittel der Ver-
brennungspatienten betroffen. Etwa jede zehnte
Die Anwendung von NexoBrid kann außerhalb des Opera- verbrannte Hand muss aufgrund drohenden oder
tionssaals erfolgen. Grundsätzlich muss aber die Möglich- existenten Kompartmentsyndroms escharotomiert
keiten des Patientenmonitorings, der Beatmung und der werden.

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102 Kapitel 12 · Enzymatisches Débridement der Verbrennungswunde

a b

12 c d

e f

. Abb. 12.1a–f Anwendung von NexoBrid. a Mischbild einer Verbrennung Grad II–III an der rechten Flanken-/Gesäßregion. b NexoBrid-
Auftragung nach vorheriger Feuchtverbandanlage und Bürstendébridement der Wundfläche. Umgebende Barriere mit etwa 2 cm Abstand
zum Wundrand mit Fettgaze oder Vaseline möglich. c Anlage des Folienokklusivverbands. d Nach vierstündiger Einwirkphase Entfernung
des Okklusivverbands und des Débridementdetritus. e Ergebnis des selektiven enzymatischen Débridements; eine exakte Verbrennungs-
tiefenbeurteilung ist hier möglich. Kirschroter Wundgrund »oberflächlich dermal« (Grad IIa). Weißer vitaler dermaler Wundgrund (Grad IIb)
mit kleinen punktuellen Blutungen »middermal« (MD), mit größeren Blutungen »tiefdermal« (TD). Exponiertes subkutanes Fettgewebe bei
vollschichtiger Verbrennung (Grad III). f Ausheilungsbild

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
103 12
Dabei kann allerdings die Diagnose- und Indikationsstel- Literatur
lung schwierig und die Durchführung der Escharotomie
Altemeier WA, Coith R, Culbertson W, Tytell A (1951) Enzymatic
chirurgisch anspruchsvoll und seitens der Narbenbildung Débridement of burns. Ann Surg 134:581–587
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Karger, Basel, S 97–100
lediglich ein Blutverlust von 20–50 ml pro Hand auf. Eine
Burke JF, GoldenTD (1958) A clinical evaluation of enzymatic Débride-
autologe Deckung konnte innerhalb einer Woche erfolgen. ment with papain-urea-chlorophyllin ointment. AmJ Surg
Nach Gebrauch von Debrase an der Hand zeigte sich eine 95:828–842
höhere Spontanheilungsrate und eine geringere Transplan- Connell JF, Rousselot LM (1959) Indications for and application of
tationsnotwendigkeit (Krieger 2012). Debricin ficus protease. Am J Surg 98:685–692
Connell JF, Bowe JJ, Del Guerico L, Rousselot LM (1957) Evaluation
Bei zirkulären Extremitätenverbrennungen konnte
of present day concepts in the treatment of the severely burned
im Schweineversuch mittels Debridase eine Senkung patient. Am J Surg 93:644–701
des Kompartmentdrucks erreicht werden (Krieger 2005). Connor GJ, Harvey SC (1946) The pyruvic acid method in deep clinical
Möglicherweise sind hierdurch insbesondere an den Hän- burns. Ann Surg 124:799–810
den chirurgische Escharotomien vielleicht sogar gänzlich Cooper GR, Hodge GB, Beard JW (1943) Enzymatic Débridement in the
local treatment of burns. Am J Dis Child 65: 909–911
zu vermeiden.
Cubison TCS, Pape SA, Arkhouse N (2006) Evidence for the link
between healing time and the development of hypertrophic
scars (HTS) in paediatric burns due to scalds. Burns 32:992–999
12.5 Zusammenfassung Dimick AR (1977) Experience with the use of proteolytic enzyme
(Travase) in burn patients. J Trauma 17:948–955
Das frühzeitige Entfernen des Verbrennungsschorfs zur Gant TD (1980) The early enzymatic Débridement and grafting
of deep dermal burns to the hand. Plast Reconstr Surg 66:
Vermeidung von escharassoziierten Komplikationen wie
185–190
Kompartmentsyndrom, Infektionen und prolongierte In- Garret TA (1969) Bacillus subtilis protease: a new topical agent for
flammationsphase und der daraus resultierenden Folgen Débridement. Clin Med 76(5):11–15
ist Voraussetzung und Anspruch an moderne Verbren- Glasser SR (1940) A new treatment for sloughting wounds: peliminary
nungsbehandlung. Sicherheit, Selektivität und Effektivität, report. Am J Surg 40:320–322
Gurfinkel R, Rosenberg L, Cohen S, Cohen A, Barezovsky A, Cagnano E,
aber auch Schnelligkeit und Kosteneffizienz sind Anforde-
Singer AJ (2010) Histological assessment of tangentially excised
rungen an jegliche Débridementmaßnahme (Rosenberg burn eschars. Can J Plast Surg 18(3):e33–36
2012). Obwohl bereits seit über 70 Jahren verschiedene Guzmann E-V, Guzmann MG (1953) The enzymatic Débridement of
enzymatischen Débridementmethoden untersucht wur- suppurations, necrotic lesions and burns with papain. J Int Coll
den, hat sich das frühe tangentiale chirurgische Débride- Surg 20:695–702
Heinicke RM, Gortner WA (1957) Stem bromelain: a new protease
ment in den letzten 40 Jahre vor allem aufgrund seiner
preparation from pineapple plants. Ec Botany 11:225–234
Effektivität etabliert und besitzt einen wichtigen Stellen- Hummel RP, Kantz DP, MacMillan BG, Altemeier WA (1974) The
wert. Anhand der aktuellen Daten- und Erfahrungslage continuing problem of sepsis following enzymatic Débridement
scheint NexoBrid insbesondere bei der Behandlung nicht of burns. J Trauma 14:572–579
exakt bestimmbarer oder gemischtgradiger Verbrennun- Janzekowic Z (1970) A new concept in the early excision and immedi-
gen (Grad II und III) und zur Vermeidung von Escharoto- ate grafting of burns. J Trauma 10 (12):1103–1108
Klasen HJ (2000) A review of the nonoperative removal of necrotic
mien Vorteile gegenüber chirurgischen Techniken zu bie-
tissue from burn wounds. Burns 26 (3):207–222
ten. Weitere Studien, auch zur Anwendung bei Kindern Klein GKV (1964) Enzymatic Débridement of third degree burns in
stehen derzeit noch aus. animals with bromelains—a preliminary report. J Maine Med
Assoc 55:169–171
jInteressenkonflikt Krieger Y, Bogdanov-Berezovsky A, Gurfinkel R, Silberstein E, Sagi A,
Rosenberg L (2012) Efficacy of enzymatic Débridement of deeply
NexoBrid (vormals Debrase oder Debridase) ist ein Pro-
burned hands. Burns 38(1):108–112
dukt der Firma MediWound Ltd, Israel, welche sämtliche Krieger Y, Rosenberg L, Lapid O, Glesinger R, Bogdanov-Berezovsky A,
Studien zu diesem Produkt finanziert hat. Dr. Frank Sander Silberstein E, Sagi A, Judkins K (2005) Escharotomy using an
steht in einem Beratungsverhältnis mit MediWound GmbH enzymatic Débridement agent for treating experimental burn
Germany und Prof. Dr. Lior Rosenberg ist Chief Medical induced compartment syndrome in an animal model. J Trauma
58(6):1259–1264
Officer von MediWound Ltd., Israel.
Krizek TJ, Robson MC, Groshin MG (1974) Experimental burn wound
sepsis Ð evaluation of enzymatic Débridement. J Surg Res
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Levenson SM (1979) Debriding agents. J Trauma 19:928–930

marcus.lehnhardt@rub.de
104 Kapitel 12 · Enzymatisches Débridement der Verbrennungswunde

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experimental skin burns of pigs with Bromelain, a pineapple-stem
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marcus.lehnhardt@rub.de
105 13

Intensivmedizin
Peter K. Zahn, Britta M. Wolf, Andreas Hohn

13.1 Pathophysiologie der Verbrennungskrankheit – 106


13.1.1 Zonen der Verbrennungswunde – 106
13.1.2 Phasen der Verbrennungskrankheit – 106

13.2 Intensivmedizinische Therapie – 107


13.2.1 Atemwegmanagement und Beatmung – 107
13.2.2 Flüssigkeitstherapie und Hämodynamik – 108
13.2.3 Analgesie und Sedierung – 109
13.2.4 Sedativa – 111
13.2.5 Analgetika – 111
13.2.6 Regionalanästhesie – 112
13.2.7 Delirmanagement – 112
13.2.8 Delirmonitoring – 113

Literatur – 114

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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106 Kapitel 13 · Intensivmedizin

13.1 Pathophysiologie dieser Phase zudem zu einem kritischen Abfall des Herz-
der Verbrennungskrankheit zeitvolumens führen.
> Ein generalisiertes Kapillarleck tritt bei mehr als
Die typischen lokalen pathophysiologischen Abläufe in
20 % verbrannter Körperoberfläche (VKOF) auf. Bei
der Verbrennungswunde mit Gewebsuntergang, Protein-
erwachsenen Patienten mit mehr als 10 % VKOF
verlust, ausgeprägter Flüssigkeitssekretion, Mediatoren-
besteht Schockgefahr. Bei Kindern hingegen kann
freisetzung und einer Aktivierung von Kaskadensystemen
sich ein Schock bereits bei einer VKOF ≥10 % ent-
(Gerinnung, Komplementsystem etc.) durch hitzege-
wickeln.
schädigte Zellproteine bedingen bei entsprechend großer
Wundfläche eine Reaktion des Gesamtorganismus im
Sinne eines »systemic inflammatory response syndrome« Ödemrückresorption
(SIRS), das als Verbrennungskrankheit bezeichnet wird. Mit schrittweiser Wiederherstellung der physiologischen
Kapillarschranke (etwa 24 h nach der Verbrennung) be-
ginnt die Rückresorption von Flüssigkeit aus dem Extra-
13.1.1 Zonen der Verbrennungswunde vasalraum. Folgen können eine akute intravasale Volu-
menüberlastung mit Lungenödem, Elektrolytentgleisun-
Abhängig von Höhe und Dauer der einwirkenden Tem- gen und Herz-Kreislaufbelastungen sein.
peratur entsteht im Zentrum der Verbrennungswunde
eine Koagulationsnekrose mit irreversibler Schädigung des Inflammation und Infektion
Gewebes. Um die Koagulationsnekrose herum befindet Das durch ein Verbrennungstrauma ausgelöste SIRS kann
sich eine ischämische Zone mit noch weitgehend unbe- in der Spätphase schwerer Verbrennungen (>20 % VKOF)
schädigtem Gewebe. Durchblutungsstörungen durch bei etwa 30 % der Fälle in ein Multiorgandysfunktions-
Hypovolämie oder ausgeprägte Ödeme können aber dazu syndrom (MODS) und bei etwa 15 % in eine schwere
führen, dass dieses Gewebe »at risk« ebenfalls irreparabel Sepsis oder einen septischen Schock übergehen. Ursachen
geschädigt wird (Dembinski 2012; Trupkovic 2008). für die Entwicklung einer Sepsis sind die traumabedingte
Immunsuppression, Invasion bakterieller Erreger über die
> Die Gefahr einer fortschreitenden Gewebeschädi-
ausgedehnten Wundflächen, katheterassoziierte Infektio-
gung in diesem Bezirk besteht auch noch Tage nach
nen oder auch beatmungsassoziierte Pneumonien beson-
dem primären Verbrennungsereignis. Im äußeren
ders nach Inhalationstrauma. Dabei ist der Übergang vom
Bereich der Verbrennungswunde befindet sich eine
13 hyperämische Zone mit vitalem Gewebe.
verbrennungsinduzierten SIRS in eine Sepsis besonders
bei brandverletzen Patienten häufig schwierig zu identifi-
zieren. Ein mögliches diagnostisches Hilfsmittel stellen die
im Rahmen einer Konsensuskonferenz der American Burn
13.1.2 Phasen der Verbrennungskrankheit Association (ABA) vorgeschlagenen Kriterien (Gibran
2013, Greenhalgh 2007; Giessler 2009) für die Diagnose
Das pathophysiologische Verständnis der Verbrennungs- einer brandinduzierten Sepsis dar.
krankheit ist entscheidend für die adäquate intensiv- Mindestens drei der folgenden Kriterien zusammen
medizinische Therapie des Verbrennungspatienten. Die mit einem Infektionsnachweis müssen zutreffen:
Verbrennungskrankheit infolge eines Verbrennungs- 4 Körpertemperatur >39 oder <36,5°C
traumas wird durch die drei Phasen Schock, Ödemrück- 4 Tachykardie >110/min bei Erwachsenen
resorption und Inflammation/Infektion charakterisiert 4 Tachypnoe: Atemfrequenz >25/min oder Atem-
(Dembinski 2012). minutenvolumen >12 l bei beatmeten Patienten
4 Thrombozytopenie: <100.000/μl bei Erwachsenen
Schock 4 Hyperglykämie: Blutzucker unbehandelt >11,1 mmol/l
Durch die Freisetzung verschiedener Mediatoren wie (>200 mg %) oder Insulinbedarf >7 IE/h
Histamin, Leukotrienen und Zytokinen kommt es zu einer 4 Enterale Resorptionsstörung:
generalisierten systemischen Störung der Kapillarpermea- 5 abdominelle Distension oder
bilität mit einer extravasalen Ansammlung von Proteinen 5 gastraler Reflux von mehr als der zweifachen
und massiver Ödembildung. Durch den etwa auf die Hälfte stündlichen Ernährungsmenge oder
erniedrigten kolloidosmotischen Druck im Plasma kommt 5 unkontrollierte Diarrhoe von >2,5 l/d bei
es zu einer ausgeprägten interstitiellen Flüssigkeitsver- Erwachsenen
schiebung mit massiver Hypovolämie und Ödembildung.
Hypovolämie und kardiodepressive Mediatoren können in

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13.2 · Intensivmedizinische Therapie
107 13

. Tab. 13.1 PEEP in Anhängigkeit von FiO2

FiO2 (%) 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
PEEP (mbar) 5 5–8 8–10 10 10–14 14 14–18 20–24

FiO2 »fractional inspired oxygen«, inspiratorische Sauerstoffkonzentration; PEEP »positive end-exspiratory pressure«, positiver
endexspiratorischer Druck

13.2 Intensivmedizinische Therapie PEEP: Der positive endexspiratorische Druck (PEEP) er-
folgt entsprechend der Tabelle des ARDS(»acute respira-
Insgesamt liegen nicht zu allen intensivmedizinischen tory distress syndrome«)-Netzwerks (. Tab. 13.1). Dabei
Versorgungsaspekten ausreichende Daten für die spezielle ist folgendes zu beachten:
Therapie brandverletzter Patienten vor. Daher müssen a. Basis-PEEP zum Beginn der Beatmung von 8 mbar
die Ergebnisse aus intensivmedizinischen Studien und b. PEEP + 12 mbar = oberes Druckniveau
Behandlungsstrategien, die bei anderen intensivmedi- c. möglichst geringe Differenz zwischen PEEP und obe-
zinischen Patientengruppen durchgeführt werden, oft rem Druckniveau (≤20 mbar, angestrebt: 12–15 mbar;
auf diese spezielle Patientengruppe übertragen werden. Beispiel: PEEP 8 mbar, Spitzendruck 20–23 mbar)
Zur antiinfektiven Therapie bei Verbrennungstrauma d. bei weiteren Oxygenierungsstörungen PEEP-Anpas-
7 Kap. 16. sung nach der Vorgaben des ARDS-Netzwerks
(. Tab. 13.1)
e. bei PEEP-Erhöhung entsprechend auch Anpassung
13.2.1 Atemwegmanagement und Beatmung des Druckniveaus ≤30 mbar

Aufgrund der Gefahr von Schwellung der Mund- und Inspiratorische Sauerstoffkonzentration (FiO2): Ziel-PaO2
Halsweichteile ist besonders bei Verbrennungen im Ge- = 60–80 mmHg (Ausnahme Kohlenmonoxidintoxikation;
sichts- und Halsbereich sowie bei Vorliegen eines Inhala- FiO2 = 1,0), Inspirations-Exspirations-Verhältnis (I:E): 1:1
tionstraumas die Indikation zur Intubation großzügig zu bis 1:3. Bei persistierend schwer eingeschränktem Gasaus-
stellen (Dembinski 2012). tausch unter lungenprotektiver Beatmung können folgen-
Entsprechend verschiedener Empfehlungen sollte auch de Maßnahmen ergriffen werden (Spies 2013; . Tab. 13.2):
bei brandverletzten Patienten eine lungenprotektive Beat- 4 Bauchlage für ≥12 h
mung erfolgen. Dabei könnte nachfolgender beispielhafter 4 bei einem hyperkapnisch bedingtem pH-Wert des
Beatmungsalgorithmus helfen. Bluts <7,2 unter lungenprotektiver Beatmung Einsatz
eines extrakorporalen CO2-Eliminationssystems
Beatmungsform: Beispielsweise BIPAP; frühestmögli- empfohlen
cher Einsatz von Spontanatmungsaktivität. Sind Gas-
austausch und Atemmechanik unauffällig und liegt
keine bedrohliche Schwellung der Atemwege vor, sollte . Tab. 13.2 Zusammenfassung der möglichen Einstellungen
eine möglichst zügige Extubation angestrebt werden am Beatmungsgerät bei schwer brandverletzten Patienten
(Dembinski 2012).
Beatmungsparameter Geräteeinstellung

Tidalvolumen/Atemzugvolumen: Einstellung eines Tidalvo- Tidalvolumen 6 ml/kgKG (Idealgewicht)


lumens von 6 ml/kgKG (ideales Körpergewicht). Faustformel Atemfrequenz 15–25 Atemzüge/min
ideales Körpergewicht (kg) = Körpergröße (cm) – 100 PEEP 8–18 mbar
FiO2 50–100 % (SaO2 >88 %)
Inspiratorischer Plateaudruck: Der inspiratorische Plateau-
Inspirations-Exspirations- 1:1,7
druck sollte 30 mbar nicht überschreiten. Verhältnis
Pinsp <30 mbar (≤35 mbar)
Atemfrequenz: Die Einstellung der Atemfrequenz erfolgt
entsprechend eines Ziel-PaCO2 von 35–45 mmHg, ohne FiO2 »fractional inspired oxygen«, inspiratorische Sauerstoff-
dass sich hierdurch ein intrinsischer PEEP entwickelt. Da- konzentration; PEEP »positive end-exspiratory pressure«,
bei sollte eine Atemfrequenz von 28/min nicht überschrit- positiver endexspiratorischer Druck; Pinsp »positive inspira-
tory pressure«
ten werden (Ellger 2013).

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108 Kapitel 13 · Intensivmedizin

4 bei einem PaO2/FiO2 <60 mmHg sollte der Ein- Nierenversagen bei Flüssigkeitssubstitution mit Hydroxy-
satz einer extrakorporalen Membranoxygenierung ethylstärke hat dazu geführt, dass der Einsatz von kolloida-
erwogen werden len Hydroxyethylstärkelösungen nur für den Ausgleich
eines akuten Volumenverlustes kurzfristig eingesetzt wer-
den sollten, während ein längerfristiger Einsatz auf der
13.2.2 Flüssigkeitstherapie Intensivstation zur Volumenersatztherapie z. B. bei Sepsis-
und Hämodynamik patienten nicht mehr empfohlen werden kann (Zwißler
2013). Da es für schwerstbrandverletzte Patienten nur sehr
Schockphase wenige kontrollierte Studien gibt, sollte nach der aktuellen
Im Vordergrund stehen bei schweren Verbrennungen in Datenlage dieses Vorgehen zunächst auch auf diese Patien-
der Schockphase (die ersten 24 h) massive transdermale tengruppe übertragen werden.
Flüssigkeitsverluste von 0,8 ml/cm2 pro VKOF pro Tag.
Eine grobe Beurteilung des Flüssigkeitsbedarfs kann mit- Flüssigkeitstherapie nach der Schockphase
hilfe der Parkland-Formel von Baxter (1968) oder nach der Ab dem zweiten bis dritten Tag nach dem Verbrennungs-
modifizierten Brooke-Formel (1994) vorgenommen wer- trauma kommt es aufgrund der Rückbildung des Kapillar-
den. Das Infusionsregime wird besser durch hämodyna- lecks und durch Rückresorption der Ödeme zu einer Hy-
mische Parameter wie Herzzeitvolumen, zentralvenöse perhydration und einem Proteinverlust (0,98 mg/cm2/h
Sauerstoffsättigung, Laktat- und Urinproduktion gesteuert initial, geht nach dem dritten Tag auf 0,25 mg/cm2/h zu-
(Dembinski 2012, Giessler 2009). rück). In dieser Phase ist zu achten auf:
4 Parkland-Formel von Baxter: 4 Natrium- und Flüssigkeitsrestriktion
4 ml Ringerlaktat/kgKG × % VKOF 4 ggf. Einsatz von Diuretika und/oder Inotropika
4 modifizierte Brooke-Formel: 4 restriktives Transfusionsregime (bei kardial gesunden
2 ml Ringerlaktat/kgKG × % VKOF Patienten Transfusionstrigger <7,5 g/dl)

Bei beiden Methoden wird die Hälfte der errechneten jErnährung


Menge innerhalb der ersten acht Stunden nach dem Er- Schwere Verbrennungen (>20 % VKOF) führen aufgrund
eignis infundiert. eines massiven Anstiegs von Zytokinen, Kortikosteroiden
und Katecholaminen zu einer massiven Stoffwechselsteige-
> Lungenödem, Kompartmentsyndrom, ödembedingte
rung die bis zu 150 % über dem Grundumsatz liegen kann.
Mikrozirkulations- und Wundheilungsstörungen von
13 Hauttransplantaten sind einige der negativen Folgen,
Folgen dieses schweren Hyperkatabolismus sind ausge-
dehnte Verluste von Proteinen, eine negative Stickstoffbi-
die sich aus einer Überinfusion ergeben können.
lanz, Verlust von Muskelgewebe, Wundheilungsstörungen,
Immunsuppression, Multiorganversagen mit einem erhöh-
jTyp der Infusionslösung ten Risiko für Morbidität und Mortalität (Giessler 2009,
Die Infusionstherapie bei schwerstverbrannten Patienten Deisz 2013).
in der Schockphase erfolgt häufig ausschließlich mit kris-
talloiden Lösungen oder es wird eine Kombination von kErmittlung des Ernährungsbedarfs
kristalloiden und kolloidalen Lösungen gewählt (Rex 2012, Verschiedene mehr oder weniger komplexe Formeln wie
Snell 2013). Während die Befürworter des kristalloiden die von Harrison-Benedict, Ireton, Carlson stehen zur Ver-
Regimes anführen, dass diese Lösungen schneller wieder fügung, um den Kalorienbedarf von Patienten mit schwe-
rückresorbiert werden und Kolloide im Interstitium u. a. ren Verbrennungen abzuschätzen. Einfach und sehr prak-
auch zu Wundheilungsstörungen führen könnten, begrün- tikabel ist nachfolgende Faustformel:
den die Befürworter eines kombinierten Flüssigkeits-
> Formel zur Ernährungsbedarfsermittlung bei
regimes ihr Vorgehen damit, dass insgesamt weniger große
erwachsenen Patienten
Mengen an Flüssigkeit infundiert werden müssen und
5 25 kcal/kg/d + 30–40 kcal × VKOF (%)
damit negative Auswirkungen wie Lungenödem und intra-
5 Beispiel: Patient 70 kgKG und
abdominelles Kompartment möglicherweise seltener auf-
30 % VKOF = 2650–2950 kcal/d
treten. Die immer noch durchgeführte Substitution von
Albumin wurde in einer neueren Cochrane-Übersicht in
Frage gestellt. Allerdings kann zum jetzigen Zeitpunkt kei- kErnährungsmodalitäten
ne endgültige Empfehlung gegeben werden (Roberts Wie auch bei anderen kritisch kranken Patienten wird
2011). Die aktuell verschärfte Diskussion über eine er- ein möglichst früher Beginn der Ernährung innerhalb der
höhte Mortalität und gesteigerte Inzidenz von akuten ersten 12 h nach dem Verbrennungstrauma gefordert.

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13.2 · Intensivmedizinische Therapie
109 13
Hierzu hat sich die Anlage entsprechender Ernährungs- 13.2.3 Analgesie und Sedierung
sonden direkt bei Aufnahme auf die ICU bewährt. Einige
Zentren legen bei Patienten mit >20 % VKOF aufgrund Wie auch bei anderen kritisch kranken Patienten orientie-
der zu erwartenden häufigen gastrointestinalen Motäli- ren sich die Vorgaben für die Sedierung von Brandverletz-
tätsstörungen eine naso- oder orojejunale Ernährungs- ten an der S3-Leitlinie »Analgesie, Sedierung und Delir-
sonde (Hall 2012). management« der Deutschen Gesellschaft für Anästhesio-
Anzustreben ist primär eine enterale bzw. orale Ernäh- logie und Intensivmedizin (AWMF 2009).
rung des Patienten mit folgenden Vorteilen: Voraussetzung für ein suffizientes Analgesie- und Se-
4 Schutz der Integrität der Darmmukosa mit redu- dierungsmanagement sind klare Definitionen der Anal-
zierter Bakterientranslokation aus dem Intestinuum gesie- und Sedierungstiefe, festgelegte Interventionsgren-
4 Steigerung der Immunkompetenz zen, Monitoring und Dokumentation der Ergebnisse und
4 vermindertes SIRS die zeitnahe Umsetzung einer adäquaten Schmerztherapie.
4 kürzere Liegedauer auf der Intensivstation
> Die Schmerztherapie bei schwerbrandverletzten
Patienten ist besonders komplex und schwierig.
Neben einer frühen und adäquaten Ernährung können
folgende Maßnahmen dazu eingesetzt werden die hyper-
metabole Stoffwechsellage zu beeinflussen (Deisz 2013, Sedierung: Monitoring und Dokumentation
Gauglitz 2011): Viele verschiedene Untersuchungen konnten an unter-
4 warmes Raumklima (28–33°C mit einer relativen schiedlichen kritisch kranken Patienten zeigen, dass proto-
Luftfeuchte von 60 %) kollbasierte Spontanatmungsversuche und ein bedarfs-
4 Behandlung von Angst und Schmerzen als stoff- adaptiertes Sedierungsmanagement zu einer Verkürzung
wechselsteigernde Reaktionen der Beatmungsdauer um bis zu 1,5 Tage führten, beat-
4 frühzeitiger chirurgischer Wundverschluss und mungsassoziierte Komplikationen um 50 % reduzierten
adäquate Verbände können evaporative Verluste von und so signifikante Outcome-Vorteile für den Patienten
0,6 kcal/ml reduzieren brachten. Eine Übersedierung kann zu folgenden Pro-
4 Senkung von Tachykardien mittels Betablockerthe- blemen führen:
rapie (z. B. Propanolol 4×20 mg/d) führt zu einer ge- 4 längere Beatmungsdauer
ringeren Lipolyse, ökonomisiert die kardiale Funk- 4 höhere Pneumonieinzidenz
tion und reduziert den Ruhe-Energieumsatz. 4 gastrointestinale Motilitätsstörungen
4 Oxandrolon (2×10 mg/d p. o.), ein anabol wirk- 4 höhere Delirinzidenz
sames Testosteronanalogon, das durch eine gesteiger- 4 längerer Intensivaufenthalt mit höheren Kosten
te Proteinsynthese den Muskelaufbau steigert, die 4 höhere Mortalität
Wundheilung verbessert und möglicherweise die
Krankenhausaufenthaltsdauer verkürzt (Deisz 2013, Der Einsatz von Sedierungsprotokollen wird in den Leit-
Rojas 2012). linien empfohlen. Ein zuverlässiges Messinstrument für

. Tab. 13.3 Richmond Agitation Sedation Scale

Score Ausdruck Beschreibung

+4 streitlustig offene Streitlust, gewalttätig, Gefahr für das Personal


+3 sehr agitiert zieht oder entfernt Katheter, aggressiv
+2 agitiert ungezielte Bewegungen, atmet gegen das Beatmungsgerät
+1 unruhig ängstlich aber Bewegungen nicht aggressiv oder lebhaft
0 aufmerksam und ruhig

-1 schläfrig erwacht anhaltend durch Stimme (>10 s)


-2 leichte Sedierung erwacht kurz mit Augenkontakt durch Stimme (<10 s)
-3 mäßige Sedierung Bewegung oder Öffnen der Augen durch Stimme ohne Augenkontakt
-4 tiefe Sedierung keine Reaktion auf Stimme, aber Bewegung oder Öffnen der Augen durch körperlichen Reiz
-5 nicht erweckbar keine Reaktion auf Stimme oder körperlichen Reiz

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110 Kapitel 13 · Intensivmedizin

die Sedierungstiefe ist der »Richmond Agitation Sedation


Scale« (RASS; . Tab. 13.3). Der RASS sollte regelmäßig,
mindestens 8-stündlich erfasst werden. In der Regel liegt
der Ziel-RASS bei 0 bis –1. Ein RASS von unter –2 sollte
nur wenigen speziellen Indikationen vorbehalten bleiben
und findet Anwendung beispielsweise bei erhöhtem ICP 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
(»intracranial pressure«), oder bei speziellen Lagerungen,
. Abb. 13.1 NRS-Skala (Mod. nach einer Vorlage des Landeskranken-
wie Bauchlagerungstherapie bei ARDS. hauses Universitätsklinikum Graz)

Analgesie: Monitoring und Dokumentation


(BPS; . Tab. 13.4) wurde bei invasiv beatmeten Intensivpa-
> Etwa 75 % der intensivpflichtigen Patienten berich-
tienten entwickelt und beinhaltet als Kriterien zur Bewer-
ten über starke Schmerzen während ihrer Behand-
tung der Schmerzintensität die Beurteilung des Gesichts-
lung; perioperativer Schmerz ist aus Patientensicht
ausdruckes, Bewegung der oberen Extremität und die Ad-
der häufigste Stressor und während der intensiv-
aptation an das Beatmungsgerät. Die Interventionsgrenze
medizinischen Behandlung ein unabhängiger Risiko-
für den Beginn oder eine Modifikation der Schmerzthera-
faktor für die Entstehung eines Delirs.
pie ist ein BPS von >6. Bei nicht-beatmeten, wachen aber
Schmerzen bei brandverletzten Patienten treten in verschie- kognitiv eingeschränkten oder deliranten Patienten kann
denen Ausprägungen auf (Girtler 2011, Retrouvey 2014). der BPS-NI (Skrobik 2013) verwendet werden – dabei wur-
1. Akuter perioperativer Schmerz beispielsweise nach de das Item Adaptation an das Beatmungsgerät durch das
Hautplastiken etc. (Dauer 3–5 Tage) Item Vokalisation ersetzt (Interventionsgrenze BPS-NI >6).
5 akutes Schmerzgeschehen beruhend auf einer Interventionsgrenzen für die vorgeschlagenen Scores,
Aktivierung von Schmerzfasern (Nozizeptoren) ab denen eine Schmerztherapie modifiziert oder gestartet
durch die operative Intervention werden sollte:
5 Gewebetrauma ohne größere Verletzungen von
zentralen oder afferent-peripheren neuronalen
. Tab. 13.4 BPS: Wertespanne 3–12; Interventionsgrenze
Strukturen >5–6
2. Früh (1–7 Tage) und spät (Wochen/Monate) auf-
tretende neuropathische Schmerzen Beurteilung Beschreibung Punkte
13 5 Schädigung zentraler oder peripher afferenter
Gesichtsausdruck entspannt 1
neuronaler Strukturen
5 Inzidenz hoch bei Grad IIb und III teilweise angespannt 2
5 Trias: stark angespannt 3
– brennende Spontanschmerzen
Grimassieren 4
– einschießende Schmerzattacken
– evozierte Schmerzen Obere Extremität keine Bewegung 1

teilweise Bewegung 2
Validierte Scoring-Systeme sollen zur Therapiesteuerung
Anziehen mit Bewegung 3
der Analgesie eingesetzt werden und die Evaluation des der Finger
Analgesieniveaus sollte mindestens alle 8 h erhoben werden.
ständiges Anziehen 4
Bei wachen und zur Kommunikation fähigen Patienten
sollte die individuelle Einschätzung der vorliegenden Adaptation an Tolerierung 1
Schmerzen durch den Patienten selbst erfolgen. Ein hervor- das Beatmungs-
seltenes Husten 2
gerät
ragendes Messinstrument ist die numerische Ratingskala
Kämpfen mit dem Beat- 3
(NRS). Hierbei wird der Patient befragt wie hoch er selbst mungsgerät
seine Schmerzen jetzt auf einer Skala von 0–10 einschätzen
Ventilation mit dem Beat- 4
würde – dabei bedeutet »0« kein Schmerz und »10« den
mungsgerät nicht möglich
stärksten vorstellbaren Schmerz (. Abb. 13.1).
Bei Patienten, die nicht oder nur unzureichend zur BPS »behavioral pain score«; Bei Patienten mit bereits vor-
Kommunikation in der Lage sind, sowie bei kognitiv ein- bestehenden kognitiven Einschränkungen kann der Score
geschränkten oder deliranten Patienten müssen Mess- auch zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) und
zur Verbesserung der erforderlichen Analgesie beitragen
instrumente zur Fremdbeurteilung des Schmerzes ange-
(. Tab. 13.5)
wandt werden (Spies 2013). Der »behavioral pain score«

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13.2 · Intensivmedizinische Therapie
111 13

. Tab. 13.5 Beurteilung von Schmerzen bei Demenz: Wertespanne 0–10, Interventionsgrenze >5 (www.DGSS.de)

Beurteilung 0 1 2

Atmung (unabhängig normal – Gelegentlich angestrengtes Atmen – Lautstarkes angestrengtes Atmen


von Lautäußerung) – Kurze Phasen der Hyperventilation – lange Phasen der Hyperventilation
Negative keine – Gelegentliches Stöhnen oder Ächzen – wiederholt beunruhigtes Rufen
Lautäußerungen – leise negative oder missbilligende – lautes Stöhnen oder Ächzen, Weinen
Äußerungen
Gesichtsausdruck lächelnd, – Traurigkeit – Grimassieren
nichtssagend – ängstlicher, sorgenvoller Blick
Körpersprache entspannt – Angespanntheit – starr
– nervöses Hin- und Hergehen, – geballte Fäuste
Nesteln – angezogene Knie
– sich entziehend oder wegstoßend, schlagend
Trost Trösten nicht – Ablenken oder Beruhigen durch – Trösten, Ablenken, Beruhigen nicht möglich
notwendig Stimme oder Berührung möglich

4 Wache, kooperative Patienten (NRS) Zu beachten ist allerdings, dass der Einsatz von volatilen
5 Ruheschmerz >3 Anästhetika für die Sedierung von Intensivpatienten über
5 Belastungsschmerz >5 mehrere Tage nicht zugelassen ist und somit einen »off
4 Sedierte, beatmete Patienten (BPS) label use« darstellt.
5 Schmerzscore >5–6 Folgende Substanzen könnten zur Sedierung von
4 Demente Patienten (BESD) schwerbrandverletzten Intensivpatienten eingesetzt werden:
5 Schmerzscore >5 4 Sedierung ≤7 Tage: Propofol bei Patienten >16 Jahre
bis ≤4 mg/kgKG/h, Midazolam bolusweise oder
Dexmedetomidin kontinuierlich bis ≤1,4 μg/kgKG/h;
13.2.4 Sedativa volatile Anästhetika
4 Sedierung >7 Tage: Midazolam kontinuierlich und
Die Ergebnisse einer nationalen Umfrage zur Praxis der adjuvante Sedativa; volatile Anästhetika
Sedierung und Analgesie auf deutschen Intensivstationen 4 Adjuvante Sedativa: Clonidin 0,5–1,5 μg/kgKG/h, Ke-
zeigten, dass in Deutschland Propofol das am häufigsten tamin (0,4–1 mg/kgKG/h) mit einem Benzodiazepin
eingesetzte Medikament zur Kurzzeitsedierung bis zu ei- kombiniert, Dexmedetomidin bis ≤1,4 μg/kgKG/h,
nem Zeitintervall von 72 h war. Dies begründet sich vor ggf. Neuroleptika
allem in der begrenzten Zulassung für Propofol für eine
Applikationsdauer von bis zu 7 Tagen. Adjuvant wurden in
nahezu allen Phasen der Sedierung in einem hohen Anteil 13.2.5 Analgetika
Alpha-2-Agonisten wie Clonidin eingesetzt.
Ein alternatives Sedierungsverfahren auf der Intensiv- Folgende Faktoren müssen bei der Applikation von Anal-
station stellt der Einsatz von volatilen Anästhetika dar. Vo- getika beachtet werden:
latile Anästhetika kommen aufgrund ihrer speziellen phar- 4 Therapie von kontinuierlichen Schmerzen,
makokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaf- hervorgerufen durch Operationswunde, Verletzung
ten den Anforderungen für ein ideales Sedativum wie gute und Katheter
Steuerbarkeit, keine Kumulation aktiver Metaboliten oder 4 Analgesie akuter Schmerzen, hervorgerufen durch
fehlende Abhängigkeitsentwicklung sehr nahe. Aktuell er- Interventionen wie die Anlage von Drainagen, Kathe-
möglichen zwei Systeme die Sedierung mit volatilen Anäs- tern, Verbänden und endotrachealem Absaugen,
thetika auf der Intensivstation: Intubation etc.
4 Anaesthetic conserving device (AnaConDa, Sedana
Medical, Uppsala, Schweden; seit 2004); Anwendung
von Sevofluran und Isofluran
4 MIRUS-System (Pall GmbH, Dreieich; seit 2013);
ermöglicht neben Isofluran und Sevofluran auch die
Applikation von Desfluran

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112 Kapitel 13 · Intensivmedizin

Starke Opioide möglich. Während bereits auf 80 % der dänischen und


jVoraussichtliche Analgesiedauer <72 h englischen Intensivstationen vor allem epidurale Analge-
4 Bolusgabe: Piritramid sieverfahren angewendet werden, findet dies nur auf 14 %
4 Kontinuierliche Applikation: Remifentanil 0,1 bis der deutschen Intensivstationen statt. Vorteile vor allem
≤0,74 μg/kgKG/min (Cave: aufgrund von Vorerkran- der thorakalen Epiduralanalgesie sind eine profunde
kungen, vorbestehender Opioiddauertherapie oder Analgesie sowie die Reduktion der Reintubationsrate,
Schweregrand der Verbrennung kann es zu individu- thrombembolischer und kardiovaskulärer Komplika-
ellen Unterschieden bei der Sensitivität auf Opioide tionen. Allerdings müssen natürlich die entsprechenden
kommen, weshalb in Einzelfällen von den vorgeschla- Kontraindikationen wie Gerinnungsstörungen, Sepsis,
genen Dosierungen abgewichen werden kann) Schock genauso beachtet werden wie im Vorfeld eine
kritische Risiko-Nutzen-Abwägung für den Patienten.
jVoraussichtliche Analgesiedauer >72 h Dazu gehören zeitnahe Kontrollen durch den Akutschmerz-
4 Kontinuierliche Applikation: Sufentanil (0,6–1,5 μg/ dienst hinsichtlich einer suffizienten neurologischen Beur-
kgKG/h) – gute Steuerbarkeit aufgrund der kürzeren teilung als auch eine Überwachung des Epiduralkatheters
kontextsensitiven Halbwertszeit gegenüber Fentanyl (Abszess, Hämatom).

Adjuvante Analgetika
4 Clonidin (3 μg/kgKG Bolus und kontinuierliche Gabe 13.2.7 Delirmanagement
von 0,3 μg/kgKG/min)
4 Ketamin in Kombination mit Benzodiazepin Etwa 30–80 % der intensivmedizinischen Patienten erlei-
(0,2–0,5 mg/kgKG Bolus; 2–4 μg/kgKG/min über den ein Delir. Gleichzeitig ist das Delir auf der Intensiv-
mehrere Tage), indiziert besonders zur Therapie bei: station ein Prädiktor für eine dreifach erhöhte 6-Monats-
5 Opioidtoleranz (z. B. Tumorpatienten, Opioid- Mortalität, höhere Kosten und eine signifikant anhaltende
abusus) kognitive Verschlechterung. Schlussendlich erhöht ein
5 opioidinduzierte Hyperalgesie Delir auf der ITS zeitabhängig die Mortalität der Patienten
5 chronisch persistierende postoperative Schmerzen (Spies 2013).

Antikonvulsiva Pathophysiologie
jGabapentin und Pregabalin Die durchschnittliche Dauer des Intensivdelirs beträgt
13 4 Alpha-2-Delta-1-Kalziumrezeptorinhibitoren etwa 2–3 Tage, allerdings konnten die Auswirkungen auf
4 Effektivität: die kognitive Funktion des Patienten bis zu 18 Monate
5 Keine Analgesie für akuten Verbrennungsschmerz nach der Entlassung von der Intensivstation nachgewiesen
5 Additive Hemmung neuropathischer Schmerzen werden.
nach Verbrennung Unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen
4 Neuropathischer Schmerz nach Verbrennung – scheinen zu einem Delir zu führen:
Gabapentin a. Imbalance des Neurotransmittersystems
5 3.–24. Tag 2400 mg Gabapentin/d (einschleichende 5 Mangel an Acetylcholin
Dosierung beachten) 5 Überschuss an Dopamin und Serotonin
5 Veränderungen des GABA-ergen und noradre-
Antidepressiva nergen Systems
Antidepressiva (trizyklische Antidepressiva, Serotonin- b. Systemische inflammatorische Prozesse
Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) verstärken die 5 Interleukine und Tumornekrosefaktor induzieren
hemmenden zentralen Mechanismen wie die verstärkte die zerebrale Freisetzung inflammatorischer Zyto-
Aktivierung serotonerger und noradrenerger absteigender kine, die mittels Neuroinflammation zu neuronaler
Nervenbahnen. Allerdings: weitgehend fehlende Daten Dysfunktion führen
zum Effekt auf neuropathische Schmerzen nach Verbren- c. Ischämisch bedingte zerebrale Läsionen
nungstraumen. 5 Mikroembolisation von Fett, Luft und thromb-
embolischem Material können zu ischämischen
Läsionen führen, die dann möglicherweise die
13.2.6 Regionalanästhesie Ausbildung eines Delirs fördern.

Periphere und neuroaxiale Regionalanästhesieverfahren


sind auch für die Schmerztherapie auf der Intensivstation

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13.2 · Intensivmedizinische Therapie
113 13
Es werden drei Erscheinungsformen des Delirs unter- jNichtmedikamentöse Maßnahmen
schieden 4 Umgebungs- und orientierungsfördernde Maßnahmen
a. Hyperaktives Delir (etwa 10 %) 5 sensorische Hilfsmittel zur Verfügung stellen
5 Halluzinationen (Brille, Hörgerät)
5 motorische Unruhe 5 zeitliche Orientierung (z. B. Wanduhr vom Bett
5 Desorientiertheit erkennbar)
5 vegetative Störungen (Tachykardie, Schwitzen) 5 Privatsphäre schaffen (vertraute Dingen wie
b. Hypoaktives Delir (etwa 40 %) Musik, Bilder etc.)
5 Schläfrigkeit bis Koma 5 regelmäßige Angehörigenbesuche
5 Desinteresse 5 regelmäßiges namentliches Vorstellen der den
5 Zurückgezogenheit Patienten betreuenden Mitarbeiter
c. Mischformen (etwa 50 %) 4 Nachtschlaf
5 Symptomwechsel zwischen hyper- und hypo- 5 keine unnötigen medizinischen Maßnahmen
aktivem Delir nachts durchführen
5 Abdunkeln der Räume und Vermeidung von Lärm
4 kritischer Einsatz von Schlafmitteln (beispielsweise
13.2.8 Delirmonitoring Einnahme von Lorazepam als unabhängiger Risiko-
faktor für ein Delir)
Auch für das Monitoring des ITS-Delirmontoring gelten 4 frühe Mobilisation und Bewegungsübungen
die Empfehlungen der S3-Leitlinie »Analgesie, Sedierung
und Delirmanagement« der Deutschen Gesellschaft für jMedikamentöse Therapie
Anästhesiologie und Intensivmedizin. Die regelmäßige Unabhängig von der Ursache des ITS-Delirs sollte so bald
Anwendung valider Delirmessinstrumente erhöhen die als möglich eine symptomorientierte medikamentöse
Detektionsrate von Delirien auf der Intensivstation. Ent- Therapie begonnen werden (Lütz 2011, Spies 2013).
sprechend verlässliche und damit häufig verwendete Mess-
instrumente zur Delirdetektion sind der »nursing delirium Neuroleptika: Die Verwendung von Neuroleptika führt
screening scale« (Nu-DESC; Lütz 2011) und der »confusion bei mehr als 50 % der Patienten zu einer Symptomverbes-
assessment method for intensive care unit« (CAM-ICU). serung. Haloperidol ist derzeit das am häufigsten einge-
Das Delirmonitoring anhand eines der vorgestellten Skalen setzte Medikament zur Behandlung des ITS-Delirs – wahr-
sollte durch die Pflege mindestens alle 8 Stunden durch- scheinlich nicht zuletzt aus dem Grund, da Haloperidol im
geführt werden. Allerdings sieht die Realität beim Delir- Gegensatz zu den atypischen Neuroleptika wie Risperidon
monitoring noch anders aus. Die Ergebnisse einer reprä- oder Olanzapin intravenös verabreicht werden kann. Mög-
sentativen Umfrage auf allen Intensivstationen der Nieder- licherweise bietet die Kombination von Haloperidol und
lande zeigten, dass lediglich 14 % der Befragten überhaupt Quetiapin Vorteile bei der Behandlung des ITS-Delirs
ein Delirscreening durchführten und nur 7 % ein validier- (Devlin 2010). Allerdings ist zu beachten, dass die länger-
tes Messinstrument verwendeten (Lange 2012). fristige Applikation oder Dosierungen über 3 mg/d zu Ne-
benwirkungen wie QT-Zeit-Verlängerung, extrapyra-
Delirmanagement auf ITS midal-motorischen Störungen und malignem neurolepti-
Vor der nichtmedikamentösen oder medikamentösen schen Syndrom führen können (Lange 2012). Außerdem
Therapie des Delirs müssen zunächst jene Faktoren ausge- kann bei Patienten mit Delir nicht zuletzt aufgrund des
schlossen werden, die ein Delir mit bedingen könnten. komplexen Krankheitsverlaufs die Resorption oraler Me-
4 inadäquate Analgesie (NRS >4 oder BPS >5) dikamente durch gastrointestinale Motilitätsstörungen
4 zu tiefe oder zu flache Sedierung gestört sein.
4 falsche Respiratoreinstellungen
4 metabolische Störungen Cholinesterasehemmer: In den bisher vorliegenden drei
4 Infekte Studien konnte mit den Cholinestereasehemmern Done-
4 Dehydration pizil oder Rivastigmin kein Effekt auf das ITS-Delir nach-
4 Urämie gewiesen werden. Rivastigmin führte sogar zu einer ten-
4 delirinduzierende Medikamente wie Benzodiazepine denziell erhöhten Letalität, weshalb die Studie beendet
und Anti-Parkinson-Medikamente werden musste (Van Eijk 2010).

Alpha-2-Adrenozeptoragonisten: Leider ist auch die Da-


tenlage für die Therapie des ITS-Delirs durch die Anwen-

marcus.lehnhardt@rub.de
114 Kapitel 13 · Intensivmedizin

dung von Alpha-2-Adrenozeptoragonisten wie Clonidin Heyland D, Muscedere J, Wischmeyer PE, Cook D, Jones G, Albert M,
und Dexmedetomidin noch nicht ausreichend. Dennoch Elke G, Berger MM, Day A (2013) A randomized trial of glutamine
and antioxidants in critical ill patients. N Engl J Med 368:1489–1497
scheinen diese Substanzgruppen die Dauer des ITS-Delirs
Lange M, Lanckohr C (2012) Analgosedierung und Delir in der Inten-
zu reduzieren sowie die Beatmungsdauer und die Zeit auf sivmedizin. Intensivmedizin up2date 8:213–224
der Intensivtherapiestation zu verkürzen. Ob eine der bei- Lin J-J, Chung X-J, Yang C-Y, Lau H-L (2013) A meta-analysis of trials
den häufig angewendeten Alpha-2-Adrenozeptoren Cloni- using the intention to treat principle for glutamine supplementa-
din und Dexmedetomin bei der Therapie des ITS-Delirs tion in critically ill patients with burn. Burns 39:565–570
Lütz A, Spies C et.al (2014) Das Delir. Konsequenzen für die Analgo-
Vorteile aufweisen, ist bisher unklar (Lange 2012).
sedierung kritisch kranker Patienten – Auszüge der neuen
S3-Leitlinie zu Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in
Benzodiazepine: Abgesehen vom Alkohol- und Sedativa- der Intensivmedizin (AWMF Registrierungsnummer: 001-012;
entzugsdelir sollten Benzodiazepine aufgrund ihrer pro- gültig bis 1.12.2014).
delirogenen Effekte beim ITS-Delir nur sehr restriktiv als Mateos AGL, Leyba CO, Sanchez SM (2011) Guidelines for specialized
Mittel der letzten Wahl bei aggressiven und agitierten Pa- nutritional and metabolic support in the critically ill patient.
Nutr Hosp 26:59–62
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marcus.lehnhardt@rub.de
115 14

Inhalationstrauma
Dirk Martens

14.1 Einleitung – 116

14.2 Definition – 116

14.3 Symptome – 116

14.4 Diagnose – 116

14.5 Direkte thermische Schädigung – 117

14.6 Lokale Schädigung durch Rauchgase – 118

14.7 Systemisch-toxische Wirkung der Rauchgase – 118


14.7.1 Kohlenmonoxid – 118
14.7.2 Zyanwasserstoff – 119

14.8 Therapie – 120

14.9 Langzeitfolgen – 120

Literatur – 120

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
116 Kapitel 14 · Inhalationstrauma

14.1 Einleitung
Befunde bei Inhalationstrauma
Von allen Verbrennungsunfällen erleiden 15–30 % ein In- 5 Verbrennungen des Gesichtes
halationstrauma. Bei ausgedehnten Verbrennungen tritt es 5 Verbrannte Augenwimpern, Nasen- oder Kopf-
häufiger auf. Hierunter kommt es zu einer erhöhten Mor- haare
bidität und zu einer Verdoppelung der Mortalität (Colohan 5 Rußbelag im Gesichtsbereich und/oder oro-
2010). Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind daher pharygeal
wesentlich. 5 Husten
5 Ruß im Sputum
5 Heiserkeit
14.2 Definition 5 Bronchospastik
5 Stridor
Der Begriff Inhalationstrauma beschreibt alle Schädi- 5 Atemnot, Tachypnoe
gungen des Atemwege und der Lungen durch das Ein- 5 Verwirrtheit, Koma
atmen heißer oder reizender Gase (Woodson 2012). Auch
die Folgen des Einatmens von nicht heißen, aber toxischen
Gasen, kann hierunter verstanden werden. Die Symptome können variieren. Ursachen hierfür sind die
Rauchgase bestehen aus thermischer Energie, einer Zusammensetzung der Rauchgase und deren Einwirkzeiten.
chemischen Komponente und festen Partikeln (Demling Das imposanteste Symptom findet sich bei Verbrennungen
2008). Die Hitze des Rauchgases ist für die thermische des Gesichts in Form der Schwellung der oberen Atemwege
Schädigung verantwortlich. Die chemischen Bestandteile sowie der Hals- und Gesichtsweichteile (. Abb. 14.1).
können Gase (z. B. Kohlenmonoxid, Zyanwasserstoff) oder Hochgradig verdächtig für ein Inhalationstrauma sind ver-
Aerosole (z. B. Aldehyde, Schwefelsäure) sein. An Partikeln brannte Augenwimpern, Augenlider, Nasenhaare und Ruß-
findet sich zumeist rußförmiger Kohlenstoff. Hieran bin- auflagerungen im Gesicht. Durch die Inhalation von Ruß
den sich Substanzen, wie Schwermetalle und Aldehyde. und Reizgasen können Husten, Bronchospastik oder heise-
Rußpartikel, die eine Größe zwischen 0,1 und 10 μm haben, re Sprache und Schluckstörungen hervorgerufen werden.
können in den Tracheobronchialbaum eindringen. Die Durch den Sauerstoffmangel oder durch die systemisch-
Größe der Partikel und der Aerosole sowie die Zusammen- toxische Wirkung der Rauchgase kann es zur Vigilanzmin-
setzung der Gase entscheiden über die Ausdehnung und die derung bis hin zum Komas kommen.
Schwere des Inhalationstraumas. So können kleine Partikel
tiefer in den Bronchialbaum eindringen, während fetthal-
tige Aerosole schneller an der Schleimhaut haften und nicht 14.4 Diagnose
14 so tief eindringen. Gase dringen teilweise bis in die Alveo-
len vor und werden resorbiert. Aufgrund der unspezifischen Definition gibt es keine ak-
zeptierten Diagnosekriterien. Die Diagnosestellung erfolgt
aufgrund von Anamnese und körperlicher Untersuchung.
Pathophysiologische Mechanismen
beim Inhalationstrauma
5 direkte thermische Schädigung
5 lokale Gewebeschädigung durch die Rauchgase
5 systemisch-toxische Wirkungen der Rauchgase
5 Sauerstoffmangel

14.3 Symptome

Bei jedem Patienten, der aus einem Feuer in einem geschlos-


senen Raum gerettet wurde, sollte gezielt nach den Symp-
tomen eines Inhalationstraumas gefahndet werden.

. Abb. 14.1 Ausgedehnte Gesichtsverbrennung.


(Aus Maybauer 2006)

marcus.lehnhardt@rub.de
14.5 · Direkte thermische Schädigung
117 14

a b c

. Abb. 14.2a–c Bronchoskopische Befunde beim Inhalationstrauma. a Erstgradige Verbrennung mit Erythem- und Ödembildung.
b Zweitgradige Verbrennung mit zusätzlichen petechialen Einblutungen und Erosionen. c Drittgradige Verbrennung mit zusätzlich weiß-
lichen Nekrosen und Epithelablösungen. (Aus Ligen 2012)

Zur Einschätzung der Verletzungsschwere wird die kommt es zur Reduktion der Atemgastemperatur. Eine
fiberoptische Bronchoskopie durchgeführt. Es gibt unter- direkte thermische Schädigung unterhalb der Glottis
schiedliche Einteilungen, verbreitet ist die Klassifikation in findet sich bei Explosionen mit schnellem Übertritt heißer
drei Schweregrade (. Abb. 14.2). Dieses ist nicht unkritsch, Gase in die tiefen Atemwege und beim Einatmen von Was-
da ein fiberoptisch schweres Inhalationstrauma ohne Be- serdampf (hohe Wärmekapazität von Wasser).
einträchtigung des Gasaustausches bleiben kann. Anderer- Somit findet sich die direkte thermische Schädigung
seits können durch die Schwere der thermischen Schädi- im Bereich der Schleimhäute von Naso- und Oropharynx
gung und der resultierenden systemischen Entzündungs- und des Pharynx. Es kann zur zügigen Ödementwicklung
reaktion Beeinträchtigungen des Gasaustausches resultie- mit Verlegung der oberen Atemwege kommen. Durch die
ren, die nicht durch ein Inhalationstrauma bedingt sind. frühzeitige Analgosedierung, tracheale Intubation und
Da durch die fiberoptische Bronchoskopie die proximalen kontrollierte Beatmung ist hier eine Sicherung der Atem-
Abschnitte des Tracheobronchialbaumes inspiziert wer- wege zu gewährleisten. Die tracheale Intubation ist eine
den, lassen sich keine Aussagen über die Verletzungs- invasive Maßnahme mit spezifischen Komplikationen, wie
schwere der kleinen Atemwege und der Alveolen machen. Aspiration, Fehlintubation oder Beatmungspneumonie.
Trotz schwerem Inhalationstrauma kommt es häufig Somit sollte die Indikation aufgrund von Anamnese und
erst im Verlauf der ersten Tage nach dem Trauma zur Ver- Lokalbefund individuell entschieden werden. Beispiels-
schlechterung des Gasaustausches. Somit ist die Blut- weise kann bei kurzdauernder Verpuffung trotz Gesichts-
gasanalyse bei Aufnahme zum sicheren Ausschluss eines verbrennung der Verzicht auf eine Intubation gerecht-
Inhalationstraumas ungeeignet. Dagegen kann ein beein- fertigt sein. Dagegen sollte die Intubation bei Heiserkeit,
trächtigter Gasaustausch unmittelbar nach dem Trauma Stridor und drittgradigen Verbrennungen im Gesichtsbe-
auf ein schweres Inhalationstrauma hinweisen. reich zügig erfolgen.
Die Röntgenuntersuchung der Lungen zeigt beim Eine erschwerte Intubation ist nicht ungewöhnlich, es
Inhalationstrauma initial meist keine Auffälligkeiten. Die müssen die Instrumentarien zur Beherrschung des schwie-
bei Brandverletzten nach mehreren Tagen anzutreffenden rigen Atemweges bereitgehalten werden (z. B. Video-
pulmonalen Infiltrationen lassen keine Differenzierung laryngoskopie). Die notfallmäßige Tracheotomie ist nur
zwischen Inhalationstrauma, kardialer Stauung oder selten erforderlich.
Pneumonie zu. Die Intensität des thermisch bedingten Ödems hängt
von der Tiefe und Ausdehnung der Verbrennung, der
Menge an infundierter Flüssigkeit und dem individuellen
14.5 Direkte thermische Schädigung Weichteilstatus ab. Zumeist bildet es sich nach 24 h lang-
sam zurück. Nach etwa fünf Tagen ist die Resorption abge-
Die direkte thermische Schädigung betrifft zumeist die schlossen.
oberen Atemwege. Die eingeatmeten Rauchgase haben
eine Temperatur von 150°C (Palmieri 2012). Durch einen
effizienten Wärmaustausch in den oberen Atemwegen

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118 Kapitel 14 · Inhalationstrauma

14.6 Lokale Schädigung durch Rauchgase


. Tab. 14.1 Häufige chemische Bestandteile von Rauchgasen
und ihr Ausgangsmaterial. (Modifiziert nach Demling 2007;
Die lokale Schädigung durch die Rauchgase betrifft über- Traber 2012)
wiegend den subglottischen Anteil der Atemwege. Durch
Ablagerung der Rauchinhaltsstoffe oder durch Rußpar- Substanz Ausgangsmaterial
tikel kommt es zur chemische Irritation der Schleimhaut
Kohlenmonoxid alle organischen Substanzen
mit Entzündungsreaktion, Hyperämie, Ödembildung und
Kapillarleck (Demling 2008). Im weiteren Verlauf kann es Zyanwasserstoff Wolle, Seide, Kunststoffe, Papier
durch Ausbildung proteinreicher Schleimansammlungen Ammoniak Wolle, Seide, Kunststoffe
zur Sekretverlegung im Tracheobronchialbaum kommen.
Salzsäure Polyvinylchlorid, Polyester
Akzentuiert wird der Krankheitsverlauf durch den Verlust
des Flimmerepithels und Surfactant. Phosgen Polyvinylchlorid

Initial imponieren Bronchokonstriktion und Hyper- Schwefeldioxid Gummi


reaktivität des Bronchialbaumes. Im weiteren Verlauf tritt Schwefelwasserstoff Holz, Wolle
das Kapillarleck hinzu und durch Flüssigkeitseinlagerun-
Acrolein Zellulose, Kunststoffe, Benzin
gen in den Lungen kommt es zum akuten Lungenversagen
(ARDS) und zu rezidivierenden Sekretverlegungen. Die Formaldehyd Kunststoffe
lokale Schädigung der Bronchialschleimhaut kann durch Isozyanat Polyurethan
eine fiberoptische Bronchoskopie nachgewiesen werden.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine unmittelbar nach
dem Trauma durchgeführte Bronchoskopie noch einen moglobin (COHb). Hierdurch kommt es zum verminder-
Normalbefund zeigen kann, da die entzündlichen Reak- ten Sauerstofftransport im Blut mit verminderter Abgabe
tionen erst mit einer Latenz von wenigen Stunden auf- in das Gewebe. Zusätzlich kommt es zur kompetetiven Bin-
treten (Hunt 1975). dung an intrazelluläre Cytochrome und Metalloproteine
(Maybauer 2006). Hierdurch kommt es zur Unterbrechung
der mitochondrialen Atmungskette. Wahrscheinlich ist
14.7 Systemisch-toxische Wirkung diese Interaktion verantwortlich ist für die Morbidität und
der Rauchgase Mortalität der Kohlenmonoxid-Vergiftung. Zusätzliche
Wirkungen, wie die Bindung an Myoglobin und die Peroxi-
Sauerstoffmangel sowie toxische Gase und Aerosole dation zerebraler Lipide scheinen nicht relevant zu sein
sind die häufigsten Todesursachen beim Brandverletzten (Palmieri 2012).
(Birke 1981). Viele toxische Gase, wie Zyanwasserstoff und Etwa 10–15 % des eingeatmeten Kohlenmonoxids wer-
14 Kohlenmonoxid, reizen die Atemwege nicht direkt son- den extravasal gebunden (Shimazu 2000). Unter der Beat-
dern haben eine systemisch-toxische Wirkung. Dagegen mung mit reinem Sauerstoff kommt es zur raschen Sen-
schädigen Salzsäure und Phosgen direkt die Alveolen kung des COHb-Gehalts. Die Elemination des intrazellulär
und verursachen ein schweres ARDS (»acute respiratory gebundenen Kohlenmonoxids erfolgt dagegen verzögert.
distress syndrome«) . Dieses erklärt die Diskrepanz zwischen zügig fallendem
In . Tab. 14.1 findet sich eine Zusammenstellung der COHb-Gehalt und verzögerter klinischer Besserung.
häufigsten Inhaltsstoffe von Rauchgasen sowie deren Aus- Grundsätzlich sollte bei jedem Brandverletzten mit Be-
gangssubstanzen. Bei Bränden bildet sich eine Mixtur wusstseinsstörungen an eine Kohlenmonoxidintoxikation
unterschiedlicher Gase und Partikel. Die Zusammen- gedacht werden. Die Schwere der Intoxikation hängt von
setzung ist fast immer unbekannt ist. Diesem diagnosti- der Expositionsdauer, der inspiratorischen Kohlenmono-
schem Dilemma steht die Möglichkeit der spezifischen xidkonzentration und von den Begleiterkrankungen ab. So
Antidotgabe gegenüber, die bereits bei Verdacht erfolgen kann eine Kohlenmonoxid-Konzentration von 0,1 % in
muss. der Einatemluft zu einer COHb-Konzentration von 50 %
führen.
Bei der Intoxikation stehen akute kardiale und zere-
14.7.1 Kohlenmonoxid brale Symptome im Vordergrund. Sie nehmen mit steigen-
der COHb-Konzentration an Intensität zu (. Tab. 14.2).
Kohlenmonoxid (CO) ist ein geruch- und farbloses Gas, Die pathognomonische kirschfarbene Hautfarbe wird
das bei der unvollständigen Verbrennung von vielen orga- aufgrund der häufigen Rußauflagerung und bei unzurei-
nischen Substanzen entsteht. Es bindet etwa 210-mal inten- chender Beleuchtung nicht wahrgenommen. Konventio-
siver an Hämoglobin als Sauerstoff und bildet Karboxyhä- nelle Pulsoximeter interpretieren die COHb-Konzentra-

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14.7 · Systemisch-toxische Wirkung der Rauchgase
119 14
zeit der Bindung von Kohlenmonoxid an Hämoglobin von
. Tab. 14.2 Karboxyhämoglobinkonzentration und klinische
Symptome. (Modifiziert nach Traber 2012; Maybauer 2006)
vier Stunden unter Raumluftatmung auf 40–60 min redu-
ziert werden. Liegt die COHb-Konzentration trotz Be-
COHb-Konzen- Symptome atmung mit reinem Sauerstoff nach 1 h >25 %, sollte die
tration (%) Indikation zur hyperbaren Sauerstoffgabe in der Über-
druckkammer erwogen werden. Ob hierdurch die Progno-
<10 – keine
se verbessert wird, ist nicht abschließend geklärt (Über-
10–30 – Kopfschmerzen sicht bei Palmieri 2012), weshalb bei der Indikationsstel-
– Engegefühl lung auch der Transportweg und die eingeschränkten Zu-
– erweiterte Hautgefäße
gangsmöglichkeiten zum Patienten in der Druckkammer
30–40 – heftige Kopfschmerzen berücksichtigt werden müssen.
– Schwäche
Für die Prognoseabschätzung sind Schwere und Dauer
– SehstörungenÜbelkeit
– Erbrechen
der Hypoxie wesentlich, die COHb-Konzentration korre-
liert nicht mit der Letalität (Hardy 1994).
40–50 – Symptome wie oben
Nach einer Kohlenmonoxidintoxikation kann es zur
– Aggressivität
– im Verlauf Synkope persistierenden oder fortschreitenden neurologischen Be-
– erhöhte Atem- und Pulsfrequenz einträchtigung kommen (Choi 1983). Da viele dieser Pa-
tienten unmittelbar nach dem Trauma analgosediert und
50–60 – Koma
– intermittierende Kämpfe kontrolliert beatmet werden, erfolgt die Diagnosestellung
– inital Tachypnoe, später Cheyne-Stokes- verzögert. Im Vordergrund stehen Konzentrations- und
Atmung Gedächtnisstörungen sowie extrapyramidale Störungen.
– Tachykardie Des Weiteren gibt es nach Kohlenmonoxidintoxikation
60–70 – Koma eine fleckförmige Myelinolyse des Großhirnmarklagers,
– Krämpfe die Symptome eines Korsakow-Syndroms zeigt. Neben
– arterielle Hypotonie einer langsamen Rekonvaleszenz ist ein Fortschreiten der
– drohender Atemstillstand
– im Verlauf Tod
neurologischen Defizite beschrieben.

70–80 – schwere arterielle Hypotonie


– Bradypnoe
– Tod binnen Sunden
14.7.2 Zyanwasserstoff
80–90 – Tod binnen einer Stunde
Zyanwasserstoff (Blausäure, HCN) bzw. Zyanid (CN) ent-
>90 – Tod innerhalb von Minuten steht bei der Verbrennung stickstoffhaltiger organischer
Substanzen. Es ist ein farbloses, nach Mandeln riechendes,
Gas. Durch Hemmung der Cytochrom-c-Oxidase hemmt
tion als oxygeniertes Hämoglobin und liefern eine falsch- es die Atmungskette. Die Symptome einer Zyanidintoxika-
hohe arterielle Sauerstoffsättigung. Mehrkanal-Pulsoxime- tion ähneln denen einer Kohlenmonoxidintoxikation. Ini-
ter können diesen Fehler erkennen und werden zunehmend tial imponierten Hautrötung, Beklemmung, Unruhe und
präklinisch eingesetzt. Tachykardie. Eine schwere Vergiftung führt zur arteriellen
Hypotonie, Atemstillstand und Koma.
> Die Diagnosesicherung einer Kohlenmonoxidin-
Die zeitnahe Bestimmung der Zyanid-Konzentration
toxitation erfolgt durch Messung der COHb-Konzen-
im Blut ist nur an wenigen Orten etabliert. Daher muss die
tration im Blut. Hierbei unterschätzt die venöse
Diagnose indirekt gestellt werden. Schwere Zyanidintoxi-
Bestimmung die Konzentration, weshalb eine arte-
kationen mit Bewusstlosigkeit und arterieller Hypotonie
rielle Bestimmung sinnvoll ist (Westphal 2003).
fallen durch eine metabolische Azidose mit deutlicher Er-
Jeder wache Patient mit einer COHb-Konzentration >10 % höhung der Plasma-Laktat-Konzentration auf, die trotz
erhält über eine Gesichtsmaske zusätzlichen Sauerstoff, bis ausreichender Flüssigkeitsgabe persistiert. Es konnte ge-
die COHb-Konzentration <10 % abgesunken ist. Die Fort- zeigt werden, dass bei Wohnungsbränden eine Korrelation
führung dieser Therapie über weitere sechs Stunden wird zwischen der COHb-Konzentration und der Plasma-Zya-
zur Auswaschung des interzellulären Kohlenmonoxides nid-Konzentration besteht (Baud 1991). Daher sollte bei
empfohlen (Palmieri 2012), in der Praxis ab häufig nicht bewusstlosen Patienten mit erhöhter COHb-Konzentration
konsequent fortgeführt. Vigilanzgeminderte Patienten eine Zyanidintoxikation vermutet und therapiert werden.
müssen analgesediert, tracheal intubiert und mit reinem Als spezifisches Antidot steht Hydroxokobalamin (Zyano-
Sauerstoff beatmet werden. Hierunter kann die Halbwert- kit) zur Verfügung (initiale Dosierung beim Erwachsenen:

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120 Kapitel 14 · Inhalationstrauma

. Abb. 14.3 Verfärbung des Urins nach Hydroxokobalamingabe. Tägliche Urinproben über eine Woche (Tage 1–7 entsprechend D1–D7).
(Aus Borron 2006)

5 g, Kinder: 70 mg/kgKG). Als Nebenwirkungen treten eine 14.9 Langzeitfolgen


Hautrötung sowie eine über mehrere Tage anhaltende bläu-
lich-rote Verfärbung des Urin auf (. Abb. 14.3). Auch wenn sich die Oxygenierung nach einem Inhala-
tionstrauma wieder normalisiert, lassen sich bei den Re-
konvaleszenten häufig ein hyperreagibles Bronchialsystem
14.8 Therapie und eine geringe restriktive Lungenfunktionsstörung
nachweisen. Bei Belastungstests lassen sich hierunter aber
Neben der möglichen Antidotgabe stehen die Sicherung meist keine Unterschiede zu Gesunden nachweisen.
des Atemweges und die Gewährleistung einer ausreichen- Einengungen der Atemwege und Synechien der Stimm-
den Oxygenierung im Vordergrund. Die frühzeitige trache- lippen können auftreten. Bei allen diesen Veränderungen
ale Intubation ist daher bei allen Patienten mit drohender muss berücksichtigt werden, dass sie von den Schäden nach
Verlegung der Atemwege oder deutlicher Vigilanzmin- Langzeitbeatmungspflicht nicht zu trennen sind.
derung indiziert. Im weiteren Verlauf muss die Indikation
zur fiberoptischen Bronchoskopie und zur gezielten Sekret- Literatur
entfernung engmaschig überprüft werden. Häufig ist eine
Tracheotomie erforderlich. Baud FJB, Barriot P, Toffis V, Riou B, Vicaut E, Lecarpentier Y, Bourdon R,
14 Zumeist ist die Beatmung mit Tidalvolumina von Astier A, Bismuth C (1991) Elevated blood cyanide concentrations
6 ml/kgKG und einem hohem positiv-endexspiratorischem in victims of smoke inhalation. N Engl J Med 325:1761–1766
Birke MM, Clarke FB (1981) Inhalation of toxic products from fires.
Atemwegsdruck (PEEP) erforderlich. Über die Anwendung Bull NY Acad Med 57:997–1013
von Hochfrequenzbeatmung oder extrakorporaler Mem- Borron SW, Baud FJ, Mégarbane B, Bismuth C (2006) Hydroxocobalamin
branoxygenierung wurde berichtet (Nelson 2009), sie soll- for severe acute cyanide poisoning by ingestion or inhalation. Am
ten entsprechenden Zentren vorbehalten bleiben. J Emerg Med 25:551–558
Zur Therapie eines Bronchospasmus können inhalative Chio IS (1983) Delayed neurologic sequelae in carbon monoxide
intoxication. Arch Neurol 40:433–435
β-Agonisten angewendet werden. Zur Analgosedierung
Colohan SM (2010) Predicting prognosis in thermal burns with
wird häufig Ketamin eingesetzt. Die Gabe von Cortico- associated inhalation injury: A systemic review of prognostic
steroiden ist beim Inhalationstrauma unwirksam und wird factors in adult burn victims. J Burn Care Res 31:529–539
nicht empfohlen (Thamm 2013, Palmieri 2012). Demling RH (2008) Smoke inhalation lung injury: An update. Eplasty
Bei einem Drittel der Patienten mit Inhalationstrauma 8: e27;254–282
Hardy KR, Thom SR (1994) Pathophysiology and treatment of carbon
tritt im weiteren Krankheitsverlauf eine Pneumonie auf.
monoxide poisoning. J Clin Tox 32:613–634
Eine engmaschige Surveillance ist notwendig. Eine Anti- Hunt JL, Agee RN, Pruitt BA (1975) Fiberoptic bronchoscopy in acute
biotikatherapie sollte dagegen erst bei sicherem Nachweis inhalation injury. J Trauma. 15:641–649
einer pulmonalen Infektion aufgenommen werden. Ligen L, Hongming Y Feng L, Chuanan S, Daifeng H, Xiaoye T(2012)
Bei Patienten mit kutanen Verbrennungen und einem Morphologic changes and prognosis of the respiratory tract
Inhalationstrauma ist ein gegenüber der Parkland-Formel epithelium in inhalation injury and their relationship with clinical
manifestations. Surgery 151:206–212
um 50 % gesteigertes Infusionsprogramm zu veranschla- Maybauer DM, Traber DL, Radermacher P, Herndon DN, Maybauer MO
gen (Naver 1985). Bei zu geringer Flüssigkeitsgabe nimmt (2006) Behandlungsstrategien des akuten Rauchgasinhalations-
das pulmonale Kapillarleck zu. traumas. Anästhesist 55:980–988

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
121 14
Naver PD, Saffle JR, Warden GD (1985) Effect of inhalation injury on
fluid resusitation requirements after thermal injury. Am J Surg
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inhalation injury. J Burn Care Res 30:1035–1038
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tion injury. In: Jeschke MG, Kamolz LP, Skjöberg F, Wolf SE (Eds.)
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New York, S 163–172
Shimazu T, Ikeuchi H, Sugimoto H, Goodwin CW, Mason AD, Pruitt BA
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long-term exposure to carbon monoxide. J Trauma 49:126–131
Thamm OC, Perbix W, Zinser MJ, Koenen P, Wafaisade A, Maegele R,
Neugebauer EA Theodorou P (2013) Early single-shot intravenous
steroids do not affect pulmonary complications and mortality in
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(Ed.) Total Burn Care, 4th Edition. Elsevier, London, Sydney,
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Westphal M, Morita N, Enkhbaatar P, Traber L, Traber DL (2003)
Carboxyhemoglobin formation following smoke inhalation injury
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Woodson LC, Talon M, Traber DL, Herndon DN (2012) Diagnosis and
treatment of inhalation injury. In: Herndon DN (Ed.) Total Burn
Care, 4th Edition. Elsevier, London, Sydney, New York, S 229–237

marcus.lehnhardt@rub.de
123 15

Ernährung
Christoph Wallner, Björn Behr, Marcus Lehnhardt

15.1 Einführung – 124

15.2 Energiebedarf – 124

15.3 Zusammensetzung – 125


15.3.1 Kohlenhydratbedarf – 125
15.3.2 Proteinbedarf – 125
15.3.3 Lipidbedarf – 126
15.3.4 Zusätzliche Nährstoffe – 126

15.4 Medikamentöse Unterstützung – 126

15.5 Ernährungsweg – 126

15.6 Zusammenfassung – 127

Literatur – 127

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
124 Kapitel 15 · Ernährung

15.1 Einführung Hypermetabolismus bzw. -katabolismus angewendet wer-


den. Unter anderem können eine warme Umgebungs-
Ausgedehnte Verbrennungen führen aufgrund einer er- temperatur, eine frühzeitige chirurgische Defektsanierung,
höhten katabolen Situation zu einem vermehrten Nähr- die Applikation von nicht selektiven Betablockern und
stoffbedarf. Dies spiegelt sich nicht nur in der Quantität Steroiden für einen reduzierten Energiebedarf sorgen
(kalorisch), sondern auch der Qualität (Zusammenset- (Rousseau 2013).
zung) der Ernährung wider.
> Ein Ernährungstherapiekonzept zu Art, Zusam-
15.2 Energiebedarf
mensetzung und Transport ist notwendig, um dem
Metabolismus des Brandverletzten gerecht zu
Der Energiebedarf eines verbrannten Patienten richtet sich
werden. Die Einführung einer Ernährungstherapie
in erster Linie nach:
und deren Optimierung führte u. a. zu einer Ver-
4 Basalrate
ringerung der Mortalität Brandverletzter innerhalb
4 verletzungsbedingter katabolen Rate
der letzten 20 Jahre (Williams 2011).
4 körperlicher Aktivität
Die Pathophysiologie eines Brandverletzten mit einer 4 beteiligter Infektionen
verbrannten Körperoberfläche >20 % führt zu einer
Stresssituation multipler Organsysteme einhergehend mit Das heißt, dass der Energiebedarf auch primär vom Aus-
erhöhter Körpertemperatur, Glykolyse, Proteolyse und dehnungsgrad der Verbrennungsverletzung abhängig ist.
Lipolyse (Williams 2011). Durch die Initiierung eines In erster Linie sollte der Energiebedarf eines Intensivpa-
supraphysiologischen metabolen Status kommt es zu tienten mittels indirekter Kalorimetrie erfolgen. Hierbei
muskuloskelettalem Katabolismus, Wachstumsstörung, wird der Metabolismus des Patienten anhand des Koh-
Insulinresistenz und einem erhöhten Risiko für Infek- lendioxidgehalts (CO2) der Ausatemluft im Vergleich zum
tionen (Hart 2000; Rutan 1990; Wilmore 1976). Eine Ver- Sauerstoffgehalt (O2) der Einatemluft berechnet. Der da-
ringerung des Körpergewichts von 10 % führt zu einer raus resultierende Wert ist die REE (»resting energy expen-
Immundysfunktion, 20 % zu einer kompromittierten diture«) und proportional zur Verbrennungsoberfläche
Wundheilung, 30 % zu schwerwiegenden Infektionen (Rousseau 2013). Über diese Methode kann ebenso die
und 40 % zum Tod (Williams 2011). Diese Daten ver- Ernährung überwacht werden. Dies lässt sich anhand der
deutlichen den Stellenwert einer suffizienten Ernährungs- gesteigerten Lipogenese durch Umbau von Kohlenhydra-
therapie. ten und der resultierenden Steigerung des Kohlendioxid-
Die Stabilisierung des Patienten, die Infektionskon- gehalts (CO2) in der Ausatemluft erklären (Rousseau 2013;
trolle, Verschluss der Verbrennungswunden sowie die Schutz 1995; Ireton-Jones 1987).
»fluid resuscitation« (im anglikanischen Sprachgebrauch Ist dieses Instrument nicht verfügbar, werden Formeln
Synonym für den Flüssigkeitsersatz) mit adäquater Er- zur Berechnung des Kalorienbedarfs empfohlen. Histo-
15 nährungstherapie stellen die Determinanten der initialen risch ist bei Brandverletzten durch indirekte Kalorimetrie
Therapie Brandverletzter dar (Williams 2011). Durch ein verdoppelter Energiebedarf in Relation zur Basalrate
künstliche Alimentation soll dem Katabolismus aufgrund beschrieben (Long 1979). Durch moderne Pflegekonzepte,
der Stressreaktion entgegengewirkt werden, ohne eine eine frühe und effiziente chirurgische Defektsanierung,
Überernährung herbeizuführen. eine optimierte künstliche Beatmung und nicht zuletzt
Die Ernährungstherapie eines akut Brandverletzten durch die eingeführte künstliche Alimentation wurde
sollte binnen 12 h nach Trauma erfolgen (Rousseau 2013). dieser Wert von 220 auf 147 % der Basalrate reduziert
Je später eine Therapie gestartet wird, desto schlechter ist (Long 1979; Saffle 1985). Nachdem eine indirekte Kalori-
die Überlebensrate (Wolf 1997). Zudem senkt bei früher metrie mit der Anschaffung und Wartung teurer Instru-
enteraler Ernährung einerseits die Katecholaminkonzen- mente verbunden ist, werden verschiedene Formeln zur
tration, anderseits wird das Auftreten einer Architekturstö- Berechnung der Basalrate herangezogen. Hier sind die
rung der intestinalen Schleimhaut reduziert (Mochizuki Curreri- und Harris-Benedict-Formeln zu nennen, welche
1987). Ebenso wird die Inzidenz einer Sepsis und Infek- aber rückblickend zu einer deutlichen Hyperalimentation
tionsrate reduziert. Dieser Umstand ist vermutlich auf die und dementsprechend zu Komplikationen (Fettleber und
Schonung der gastrointestinalen Mukosastärke als auch auf erhöhte Infektionsrate) führen (Suman 2006; Rodriguez
die Epithelintegrität bei enteraler Ernährung zurückzufüh- 2011; Spodaryk 2005).
ren (Pham 2008).
Neben einer suffizienten Ernährungstherapie können jCurreri-Formel
ernährungsunabhängige Strategien zur Vermeidung eines 25 kcal/kgKG + [40 × VKOF (%)]

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15.3 · Zusammensetzung
125 15
jHarris-Benedict-Formel 15.3.1 Kohlenhydratbedarf
Männer:
66,47 + (13,75 × KG) + [(5,0 × Größe) – (6,75 × Alter)]
> Kohlenhydrate spielen als Hauptbestandteil der
Frauen:
Ernährung beim gesunden Menschen wie auch
665,1 + (9,65 × KG) + [(1,86 × Größe) – (4,668 × Alter)]
beim intensivpflichtigen Schwerbrandverletzten die
Beide Formeln dienen zur Ermittlung der Basalrate, wobei
größte Rolle (≤55–60 % des Gesamtenergiebedarfs).
die Curreri-Formel zusätzlich die verbrannte Körper-
Analog hierzu wird bei Erwachsenen und Kindern
oberfläche (VKOF) zur Berechnung des totalen Energie-
eine Dosis von 5 mg pro kgKG pro Minute empfoh-
bedarfs einbezieht. Hier gilt, je größer die VKOF und je
len (Rousseau 2013).
höher die Körpertemperatur, desto höher der Energiebe-
darf (Spodaryk 2005). Zum einen sorgt die Glukose für die Energie einer adä-
Aufgrund der Unschärfe dieser Berechnungen gilt quaten Wundheilung, zum anderen aber sorgt das Ange-
die Anwendung der Schofield-Formel bei Kindern und bot der Kohlenhydrate als Energiequelle für eine Verschie-
die Toronto-Formel bei Erwachsenen als Standardmodell bung der Proteinreserve zugunsten des Muskelerhalts
zur Berechnung des Energiebedarfs. Beide Formeln unter- (Williams 2011).
liegen Evidenzgrad D und basieren auf mehreren Re- Einen immer höheren Stellenwert wird in der Behand-
gressionsanalysen von kalorimetrischen Studien (Rous- lung des kritisch Kranken der Insulintherapie zugeschrie-
seau 2013). ben. Zwar besteht das Risiko der Hyperglykämie, insbe-
sondere beim Brandverletzten, der einen erhöhten Bedarf
jToronto-Formel und daher engere Margen bietet, dennoch sorgt eine sta-
– 4343 + [10,5 × VKOF (%)] + (0,23 × Kalorienzufuhr) + bile Glukosekonzentration zwischen 5 und 8 mmol/l für
(0,84 × Basisrate nach Harris-Benedict) + (114 × Körper- einen signifikant besseren klinischen Verlauf im Sinne
temperatur) – (4,5 × Tage nach Unfall) einer geringeren Morbidität. Dies beinhaltet eine Erhö-
hung der Einheilungsrate von Hauttransplantaten, eine
jSchofield-Formel Reduktion von Infektionen und eine geringere Mortalität
Die Schofield-Formel ist stark vom individuellen Alter des (Jeschke 2010; Gore 2001; Pham 2005; Hemmila 2008).
Kindes und dessen Geschlecht abhängig. Als Alternative stünde Metformin zur Verfügung, was aber
3–10 Jahre: die Gefahr eine Laktatazidose birgt (Gore 2005).
4 Mädchen:
(16,97 × KG) + [1618 × Körpergröße (cm)] + 371,2
4 Knabe: 15.3.2 Proteinbedarf
(19,6 × KG) + [1033 × Körpergröße (cm)] + 414,9
> Der Proteinbedarf ist aufgrund des Skelettkata-
10–18 Jahre:
bolismus erhöht. Der Muskelzerfall betrifft auch die
4 Mädchen:
Atemmuskulatur, also das Diaphragma und die
(8365 × KG) + [4,65 × Körpergröße (cm)] + 200
Interkostalmuskeln, was in weiterer Folge zu einer
4 Knabe:
Verschlechterung der Atemmechanik führen kann.
(16,25 × KG) + [1372 × Körpergröße (cm)] + 515,5
Zudem verursacht der Proteinverlust eine ver-
schlechterte Wundheilung und Immunsuppression
Tendenziell neigen auch heute noch Brandverletzte zu
(Williams 2011).
einer Hyperalimentation in der Hospitalisierungsphase.
Eine ausgeglichene Ernährung sollte angestrebt werden. Stickstoff, welcher über die Proteinzufuhr alimentiert
wird, geht nicht nur über den Harn verloren, sondern auch
massiv über das Wundexudat (Kudsk 1982). Daher ist ein
15.3 Zusammensetzung profunder Ersatz der verlorenen Proteine essenziell.
Derzeitige Empfehlungen umfassen die Zufuhr von
Der Hauptbestandteil der Ernährungszufuhr sollte aus 1,5–3 g Protein pro kgKG pro Tag (im Vergleich: ein ge-
Kohlenhydraten bestehen. Polymeren, stickstoffhaltigen sundes Individuum benötigt 1 g pro kgKG), bzw. 20–25 %
und hochenergetischen Lösungen sollte der Vorzug gege- des kompletten Energiebedarfs in Proteinmasse (Wil-
ben werden. Eine faserreiche Ernährung sorgt bei erhöh- liams 2011; Wolfe 1983; Bell 1986; Waymack 1992). Eine
tem Konstipationsrisiko durch hohe Opioddosen für eine weitere wichtige Relation besteht zwischen Stickstoff und
bei hohem Flüssigkeitsumsatz wichtige Darmmotilität Totalenergiebedarf, welcher bei 1:100 optimal ist (Stick-
(Rousseau 2013). stoff zu Gesamtkalorien; Matsuda 1983). Einen besonde-

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126 Kapitel 15 · Ernährung

ren Stellenwert erreichen die Aminosäuren Alanin und (rhGH) die Muskelproteinverwertung, die Heilung, die Zir-
Glutamin. Neben der Wichtigkeit als Bestandteil der Ske- kulation und den Kalorienumsatz verbessert (Rutan 1990;
lettmuskulatur, der Leber und in der Wundheilung, dient Branski 2009; Hart 2001). Diese Effekte werden durch den
insbesondere das Glutamin Enterozyten und Lympho- insulinähnlichen Wachstumsfaktor (IGF) mediiert (Klein
zyten als primärer Energielieferant (Garrel 2003; Wisch- 1998). Nach wie vor sind der Einsatz und der positive Effekt
meyer 2001; Zhou 2001). Eine Substitution von Glutamin von rhGH nicht unumstritten (Takala 1999).
mit 0,3 g pro kgKG pro Tag senkt die Krankenhausaufent- Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die Zufuhr von
haltsdauer und die Mortalität signifikant (Williams 2011; IGF (»Insulin-like growth factors«) direkt. Dieses Protein
Rousseau 2013). führt auch zu einer Abschwächung des Muskelkatabo-
lismus, aber auch zur Verbesserung der Darmepithelinte-
grität (Møller 1991; Herndon 1999).
15.3.3 Lipidbedarf Oxandrolon – als anaboles Steroid – ist ein wenig viri-
lisierendes Hormon, das den Muskelkatabolismus deutlich
Bei Verbrennungspatienten ist die erhöhte Zufuhr von einschränkt. Zudem fördert es auch die Wundheilung und
Fettsäuren nachteilig. So verursachen 35 % Fettsäuren an- wirkt dem Gewichtsverlust entgegen (Demling 2000; Hart
teilig am Energiebedarf einen verlängerten Krankenhaus- 2001). Nicht nur in der akuten Phasen zeigte das Oxandro-
aufenthalt und ein erhöhtes Infektionsrisiko im Vergleich lon gute Ergebnisse im Hinblick auf das Körpergewicht,
zu 15 % (Garrel 1995). Fettsäuren sollten anteilig am Kalo- sondern auch in der Langzeittherapie nach Verbrennungs-
rienbedarf nicht mehr als 30 % der Nicht-Protein-Energie- trauma (Murphy 2004).
quellen übersteigen – also weniger als 1 g pro Kilogramm Betablocker, allen voran Propanolol, zeigten in Studien
Körpergewicht (Demling 2000). Nicht zu unterschätzen ist eine erfolgreiche Reduktion der Herzfrequenz von 20 %
auch die Zufuhr von Fettsäuren durch Sedativa wie z. B. (Williams 2009; Baron 1997). Ebenso kann damit die Ver-
Propofol, was 15–30 g Fettsäuren pro Tag ausmachen kann fettung der Leber insbesondere durch fettreiche Alimen-
(Rousseau 2013). tation reduziert werden (Barret 2001). Unter Zufuhr von
Propanolol reduziert sich auch der Muskelkatabolismus,
aber auch die Reduktion des Gewichts wird verlangsamt.
15.3.4 Zusätzliche Nährstoffe Der Wirkmechanismus ist noch nicht endgültig geklärt. Es
wird aber vermutet, dass durch Propanolol eine reduzierte
> Neben den drei Hauptnährstoffen soll auch die Zu- Lipolyse und Proteolyse erzielt werden (Pereira 2007;
fuhr von Vitaminen und Spurenelementen gesichert Herndon 2001). Zuletzt sorgt das Propanolol auch für
sein. Ein Mangel an den Vitaminen A und C sowie einen reduzierten Insulinbedarf bei Brandverletzten
Eisen, Zink und Selen führt zu einer beeinträchtig- (Williams 2011).
ten Wundheilung (Gamliel 1996).

15 Eine großzügige Substitution von Vitamin C verbessert 15.5 Ernährungsweg


die Wundheilung deutlich (Mayes 1997). Einige Studien
empfehlen eine Hochdosiszufuhr von Vitamin C (33 bzw.
> Die optimale Route der Nahrungsaufnahme eines
66 mg pro kgKG pro h) um Lungenödemen vorzubeugen
intensivpflichtigen Brandverletzten entspricht der
(Pham 2008; Kremer 2010; Biesalski 2010). Die zusätzliche
eines jeden Patienten. Ein enteraler Kostaufbau
Zufuhr von Selen, Zink und Eisen führt zu einer Verbesse-
sollte schnellstmöglich erfolgen und wenn nicht vor-
rung der Immunkompetenz, als auch der Wundheilung
handen dementsprechend engmaschig neu evalu-
(Hunt 1984; Selmanpakoğlu 1994). Zusammenfassend soll-
iert werden.
te die Wichtigkeit der Vitamine und Spurenelemente bei der
Behandlung von Brandverletzten nicht unterschätzt werden. Neben den genannten Vorteilen der Reduktion von Stress-
hormonen, der Schonung des Darmepithels, konnte auch
eine Reduktion von Druckulcera durch eine frühe enterale
15.4 Medikamentöse Unterstützung Ernährung gezeigt werden. Neben der trophisch-erhalten-
den Wirkung auf das Darmepithel und Erhalt der Darm-
Eine weitere Strategie, die Mortalität zu verringern sowie motilität, zeigt eine enterale Ernährung im Gegensatz zur
die Genesung zu verbessern, ist die Zuhilfenahme ver- parenteralen Lösung auch keine toxischen Nebenwirkun-
schiedener pharmakologischer Stoffe. gen auf Niere und Leber (Rousseau 2013; Kreymann 2006).
Zum einen hat sich in Studien gezeigt, dass die Applika- Aufgrund der gesteigerten Flüssigkeitszufuhr ist neben
tion von rekombinanten humanen Wachstumsfaktoren der Lungenbeteiligung ein paralytischer Ileus eine der

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
127 15
Hauptkomplikationen durch generalisierte Ödeme. Sollte primär mittels Stuhlaufweicher oder Flüssigkeitsgaben
eine direkte gastrale Nahrungszufuhr aufgrund z. B. einer versorgt werden (Pham 2008; ASPEN 2009). In weiterer
Pylorusdysfunktion nicht möglich sein, sollte die Option Folge können auch Laxantien wie Lactulose zur Behand-
einer nasojejunalen Sondenkost oder eine PEG-Anlage lung der Konstipation herangezogen werden (Guerra 2013).
(perkutane endoskopische Gastrostomie) erwogen wer- Andere Abführmaßnahmen sind in der Regel nicht not-
den (Rousseau 2013; Pham 2008). Bei einer künstlichen wendig.
Nahrungszufuhr absehbar über sechs bis acht Wochen
sollte auf die Möglichkeiten einer PEG-Anlage, einer
offenen Gastrotomie, einer transgastrischen Jejunostomie 15.6 Zusammenfassung
bzw. chirurgischer Jejunostomie zurückgegriffen werden
(ASPEN 2009). Sollte es im Zuge des Verbrennungstrau- Die Ernährungsunterstützung des Brandverletzten ist ein
mas zu einer Mittelgesichtsfraktur gekommen sein, wird wichtiger Teil der Behandlung. Diese Unterstützung sollte
die Platzierung der gastralen Sondenkost oral empfohlen möglichst rasch und physiologisch durchgeführt werden.
(ASPEN 2009). Erfahrungsgemäß benötigen nur die Das heißt, eine enterale Ernährung sollte bevorzugt durch-
wenigsten Patienten eine chirurgische Intervention zur geführt werden. Studien zeigen eine Reduktion von Mor-
Sicherstellung der Nahrungszufuhr, da die meisten Ver- talität und Morbidität bei enteraler Ernährung.
brennungspatienten eine intensivmedizinische Betreuung Die Ermittlung des Energiebedarfs kann durch eine
innerhalb der 6–8 Wochen verlassen. Ebenso ist die naso- Kalorimetrie oder daran angelehnte Formeln erfolgen.
gastrale Zufuhr bei einem Großteil der Patienten möglich. Bei Kindern sollte die Schofield-, bei Erwachsenen die
Hier sollte eine Startgeschwindigkeit der Nahrungsflüs- Toronto-Formel herangezogen werden. Entscheidend ist
sigkeit von 50 ml pro h gewählt werden. Um kalorisch das nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Er-
Ziel zu erreichen, kann diese Geschwindigkeit alle 4–8 h nährung. So sollte die Hauptenergiequelle aus Proteinen
erhöht werden (ASPEN 2009). Vor einer Generalanästhe- und Kohlenhydraten bestehen. Der übermäßige Einsatz
sie und Eingriffen an der Luftröhre (z. B. Tracheotomie) von Lipiden erhöht die Mortalität. Neben den genannten
sollte die enterale Ernährung bei nicht intubierten Patien- Hauptenergiequellen müssen auch Vitamine und Spuren-
ten sechs Stunden zuvor gestoppt und direkt postoperativ elemente in ausreichender Menge zugeführt werden. Me-
wieder gestartet werden. Diese Pause soll eine Aspiration dikamentöse Therapeutika in Form von Wachstumsfakto-
von Mageninhalt verhindern. Intubierte Patienten können ren, Hormonen und Betablockern stehen zur Reduktion
bis zum Transfer in den Operationssaal eine enterale Er- des kritischen Katabolismus zur Verfügung und reduzie-
nährung erhalten (ASPEN 2009). ren zeitgleich die Mortalität und Morbidität.
Die Alternative stellt eine parenterale Nährstoffzufuhr
bei Störung der enteralen Nahrungszufuhr dar. Spezifische
Kontraindikationen für eine enterale Ernährung sind: Literatur
4 akute Pankreatitis
ASPEN (2009) Clinical Guidelines for the Use of Parenteral and Enteral
4 kürzlich stattgefundene Resektionen im Darmbereich Nutrition in Adult and Pediatric Patients. J Parenter Enter Nutr
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Bei der parenteralen Ernährung ist aber auf die Kom-
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schleimhaut, Organtoxizität und einer erhöhten Mortalität Bell SJ, Molnar JA, Krasker WS, Burke JF (1986) Weight maintenance
zu verweisen (Pham 2008; Herndon 1989). Eine paren- in pediatric burned patients. J Am Diet Assoc 86:207–211
terale Ernährung sollte permanent kritisch neu überdacht Biesalski HK, McGregor GP (2007) Antioxidant therapy in critical care
– is the microcirculation the primary target? Crit Care Med
werden und stellt eine Reserveoption dar. Ebenso wird
35:S577–S583
eine parenterale Alimentation als kalorische Ergänzung Branski LK, Herndon DN, Barrow RE, Kulp GA, Klein GL et al (2009)
bei nicht ausreichender enteraler Förderung herangezogen Randomized controlled trial to determine the efficacy of long-
Dies sollte aber bei dem oben beschriebenen stufenweisen term growth hormone treatment in severely burned children.
enteralen Kostaufbau nicht notwendig sein. Ann Surg 250:514–523
Demling RH, Orgill DP (2000) The anticatabolic and wound healing
Neben der Aufzeichnung der Flüssigkeitsbilanz ist die
effects of the testosterone analog oxandrolone after severe burn
Dokumentation von Stuhlgängen essentiell. Eine Konstipa- injury. J Crit Care 15:12–17
tion (weniger als zwei Stuhlgänge pro Woche) sollte auf- Demling RH, Seigne P (2000) Metabolic management of patients with
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128 Kapitel 15 · Ernährung

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marcus.lehnhardt@rub.de
131 16

Antiinfektive Therapie
Andreas Hohn, Peter K. Zahn, Samir G. Sakka, Bassem D. Mikhail

16.1 Einleitung – 132

16.2 Diagnose einer Infektion – 132

16.3 Antibiotische Therapie – 133


16.3.1 Beginn – 133
16.3.2 Keimspektrum – 133
16.3.3 Initiale (kalkulierte) antibiotische Therapie – 133
16.3.4 Gezielte antibiotische Therapie – 135
16.3.5 Dauer – 135
16.3.6 Prophylaktische Antibiotikatherapie – 136

16.4 Pharmakokinetische Besonderheiten – 136

16.5 Selektive Darmdekontamination, selektive orale


Dekontamination – 138

16.6 Antimykotische Therapie – 139

16.7 Virale Infektionen – 141

16.8 Fazit für die Praxis – 141

Literatur – 141

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
132 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

16.1 Einleitung Die klassischen Diagnoseparameter für SIRS und Sepsis


scheinen für brandverletzte Patienten und deren spezi-
Das Risiko für Infektionen ist bei Verbrennungspatienten elle pathophysiologische Situation unzureichend. Die
deutlich erhöht. Ursächlich sind hierfür unter anderem American Burn Association (ABA) hat in einer Konsen-
die aufgrund der gestörten Barrierefunktion der Haut suskonferenz daher Kriterien für die Diagnose einer
herabgesetzte Immunkompetenz und die katabole Stoff- verbrennungsinduzierten Sepsis entwickelt (. Tab. 16.1;
wechsellage nach einem schweren Verbrennungstrauma, Greenhalgh 2007).
die sich aus der Entwicklung der sogenannten Verbren- Ebenso darf nicht jeder Keimnachweis aus Wund-
nungskrankheit ergibt. Es wird geschätzt, dass bis zu 75 % material zwangsläufig als Infektion angesehen werden,
der Todesfälle nach schwerem Verbrennungstrauma durch wenn entsprechende klinische Zeichen hierfür fehlen. Die
septische Komplikationen zustande kommen (Rafla 2011). französische Gesellschaft für Verbrennungsverletzungen
Eine frühzeitige und adäquate antiinfektive Therapie ist (Société française d‹etude et de traitement des brûlures,
für die Prognose zwar entscheidend, andererseits kann SFETB) hat zur Unterstützung der Diagnosestellung einer
die antiinfektive Therapie zu unerwünschten Folgen wie Infektion hilfreiche Kriterien identifiziert. Diese Kriterien
z. B. arzneimittelinduzierte Nebenwirkungen, Resistenz- berücksichtigen eher die Dynamik eines inflammato-
entwicklung oder opportunistische Infektionen wie Clos- rischen oder infektiösen Geschehens und legen den Ver-
tridium-difficile-Infektionen oder Wund- bzw. System- dacht auf eine sich entwickelnde Infektion nahe. Diese
mykosen führen. Die richtige Wahl der antibiotischen Kriterien beinhalten unter anderem eine signifikante, d. h.
Therapie wird beim Verbrennungspatienten zusätzlich jeweils 50-%ige, Zunahme der Herz- oder Atemfrequenz
durch die hohe Inzidenz an Infektionen mit Problem- oder das Auftreten eines SIRS bei Verbrennungstraumen
keimen und multiresistenten Erregern erschwert. Weiter- mit <15–20 % verbrannter Körperoberfläche (VKOF)
hin sollten die häufig ausgeprägten Veränderungen in der ohne zusätzliches Inhalationstrauma. Auch der Beginn
Pharmakokinetik bei Patienten nach schwerem Verbren- einer Katecholamintherapie oder die signifikante Steige-
nungstrauma infolge Organdysfunktion und veränderten rung der Katecholamindosierung kann als Hinweis auf das
Verteilungsvolumina bei der Auswahl und Dosierung der Vorliegen einer Infektion gewertet werden. Für die Dia-
Antibiotika berücksichtigt werden. gnose einer Wundinfektion wird neben den lokalen In-
fektionszeichen wie putrides Sekret, Transplantatlösung
oder Fettnekrosen u. a. auch zumindest das Vorliegen
16.2 Diagnose einer Infektion eines positiven Keimnachweises oder allgemeiner Infek-
tionszeichen gefordert (Ravat 2011).
Ein Verbrennungstrauma führt häufig zu einer systemi- Insgesamt ist die Diagnosestellung einer Infektion beim
schen Inflammationsreaktion (»systemic inflammatory Verbrennungspatienten eine Herausforderung. Neben der
response syndrome«, SIRS) mit den entsprechenden kli- Anwendung entsprechender Diagnosekriterien sollte sich
nischen Zeichen wie Fieber, Leukozytose, Tachykardie die Entscheidung nach dem Gesamtbild des Patienten rich-
und Tachypnoe. Daher ist eine Abgrenzung gegenüber ten und auf eine möglichst breite Informationsbasis gestellt
einer tatsächlichen Infektion gerade in der Frühphase der werden. Das klinische Bild sollte daher durch mikrobio-
16 intensivmedizinischen Behandlung oftmals schwierig. logische Befunde, Blutkulturen, Biomarker und infektio-

. Tab. 16.1 Diagnosekriterien der Sepsis nach Verbrennungstrauma. Modifiziert nach (Greenhalgh 2007)

Parameter Dimension

Körpertemperatur >39 oder <36,5°C

Herzfrequenz progressive Tachykardie >110/min

Atemfrequenz progressive Tachypnoe >25/min oder Atemminutenvolumen >12 l/min bei beatmeten Patienten

Thrombozytopenie <100000/μl (gemessen ab dritten Tag); Cave: initialer Dilutionseffekt

Blutzucker >200 mg/dl (bei Ausschluss eines Diabetes mellitus)

Insulinresistenz Insulingabe >7 IE/h i. v. und/oder >25 % gesteigerter Insulinbedarf über 24 h

Enterale Nahrungsmittel- – zunehmende abdominelle Distension


intoleranz – gastrale Nahrungsstase: gastrales Residualvolumen >2 × stündliche Nahrungsmenge (ml)
– Diarrhoe >2500 ml/d

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16.3 · Antibiotische Therapie
133 16
logische Konsile ergänzt werden. Die Behandlung solcher aeruginosa eine herausragende Bedeutung als Verursacher
Infektionen bedarf in der Regel einer langjährigen klini- schwerwiegender Wundinfektionen und anderer septi-
schen Erfahrung. scher Komplikationen in der Verbrennungsmedizin.
Hierbei sind jedoch lokale Unterschiede zu beachten.
So zeigen aktuell z.B. Patienten aus dem südeuropäischen
16.3 Antibiotische Therapie Raum sowie dem nahen Osten einen hohen Kontamina-
tionsgrad mit hochresistenten Acinetobacter baumanii,
16.3.1 Beginn insbesondere nach mehrtägiger Vorbehandlung vor Ort.
Eine Resistenzbildung kann auf unterschiedlichen
Im Falle schwerster, lebensbedrohlicher Infektionen gelten Mechanismen beruhen. Zum Beispiel führt die Bildung
die Therapievorgaben der internationalen Sepsis-Leit- einer Breitspektrum-β-Laktamase einer sogenannten
linien der »Surviving Sepsis Campaign« (SSC), die den »extended spectrum betalactamase« (ESBL) zu einer Re-
Beginn einer antibiotischen Therapie innerhalb der ersten sistenz gegenüber Drittgenerations-Cephalosporinen und
drei Stunden empfehlen (Dellinger 2013). Wenn möglich Monobactamen (wie z. B. Piperacillin). Das Vorliegen
sollte vor Beginn der antibiotischen Therapie eine mikro- einer Metallo-β-Laktmase (KPC) führt zu einer Resistenz
biologische Diagnostik inklusive von Blutkulturen erfol- gegenüber Carbapenemen. Ein typischer Bildner von Car-
gen. Eine antibiotische Therapie sollte hierdurch aber bapenemasen und Problemkeim in der Verbrennungsme-
nicht unnötig verzögert werden. Beim Vorliegen weniger dizin ist Acinetobacter baumannii.
schwerer Infektionen ohne Organversagen können vor Be- Bezüglich der gramnegativen Stäbchen hat durch die
ginn der antiinfektiven Therapie die Ergebnisse der mikro- Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions-
biologischen Diagnostik abgewartet werden. Hierdurch prävention (KRINKO) des Robert-Koch-Institutes (RKI)
kann zum einen ein unnötiger Einsatz von Antibiotika kürzlich eine Überarbeitung der Definition der Resis-
vermieden werden, falls sich die Diagnose einer Infektion tenzklassen stattgefunden. Dabei wurde vor allem der Ge-
nicht bestätigt und zum anderen der ursächliche Keim un- sichtspunkt der klinischen Relevanz der Resistenz zu
mittelbar gezielt therapiert werden, um möglichen Resis- Grunde gelegt, d. h. Resistenz gegenüber den Antibiotika
tenzentwicklungen vorzubeugen. betrachtet, die als primäre bakterizide Therapeutika bei
schweren Infektionen eingesetzt werden (Acylureidopeni-
cilline, Cephalosporine der dritten und vierten Genera-
16.3.2 Keimspektrum tion, Carbapeneme und Fluorchinolone). Andere Antibio-
tika wurden nicht berücksichtigt, da sie in der Regel nicht
Die zunächst sterilen Verbrennungswunden werden im als Monotherapeutika eingesetzt werden (z. B. Aminogly-
Verlauf der ersten Tage zunehmend kolonisiert. Diese koside) oder als Reserveantibiotika (z. B. Glyzylzykline)
Kolonisation findet in der Regel zunächst aus dem endo- gelten (KRINKO 2012).
genen Keimspektrum der Haut, dem Respirations- und Unterschieden werden:
dem Gastrointestinaltrakt des Patienten statt. Daher domi- 4 3MRGN: Multiresistente gramnegative Stäbchen mit
nieren in der Frühphase der Wundbesiedlung vor allem Resistenz gegen drei der vier Antibiotikagruppen
grampositive Keime. Typischerweise finden sich als typi- 4 4MRGN: Multiresistente gramnegative Stäbchen mit
sche Hautkeime Staphylokokkus aureus, koagulasenegative Resistenz gegen vier der vier Antibiotikagruppen
Staphylokokken, Streptokokken und Corynebakterien.
Die oben beschriebene Keimflora verschiebt sich mit . Tab. 16.2 zeigt eine Übersicht über die Antibiotikagrup-
zunehmender Dauer in den gramnegativen Bereich und pen, deren Leitsubstanzen und die entsprechenden Resis-
endogene, häufig wenig resistente gramnegative Erreger tenzen.
wie z. B. Escherischia coli besiedeln die Wunden.
> Verzögert sich die Wundheilung und benötigt
16.3.3 Initiale (kalkulierte) antibiotische
der Patient eventuell eine antibiotische Therapie,
Therapie
besteht die Gefahr einer weiteren Verschiebung
des Keimspektrums hin zu multiresistenten Keimen.
Sofern eine schwere Infektion vorliegt und daher nicht auf
Typische »Problemkeime« in der Verbrennungsmedizin die Ergebnisse der mikrobiologischen Diagnostik gewartet
sind Methicillin-resistente Staphylolokken (MRSA), resis- werden kann, erfolgt die Therapie kalkuliert unter Berück-
tente Enterokokken, Acinetobacter-Spezies und Pseudo- sichtigung des Patientenzustands, des Infektionsfokus, des
monas aeruginosa. Durch seinen Wachstumsvorteil in erwarteten Keimspektrums (z. B. »gram negative shift«)
feucht-warmer Umgebung erlangt gerade Pseudomonas und entsprechend der lokalen mikrobiologischen Situa-

marcus.lehnhardt@rub.de
134 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

. Tab. 16.2 Klassifizierung multiresistenter gramnegativer Stäbchen auf Basis ihrer phänotypischen Resistenzeigenschaften.
(Aus KRINKO 2012)

Antibiotikagruppe Leitsubstanz Enterobakterien Pseudomonas aeruginosa Acinetobacter baumannii

3MRGN 4MRGN 3MRGN 4MRGN 3MRGN 4MRGN

Acyloreidopenicilline Piperacillin R R Nur eine der R R R


vier Antibiotika-
Cephalosporine Cefotaxim und/oder R R R R R
gruppen wirk-
der dritten und Ceftazidim
sam (sensibel)
vierten Generation
Carbapeneme Imipenem und/oder S R R S R
Meropenem
Fluorchinolone Ciprofloxacin R R R R R

R resistent oder intermediär empfindlich; S sensibel; 3MRGN multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen drei der vier
Antibiotikagruppen; 4MRGN multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen vier der vier Antibiotikagruppen

tion. Hierzu ist ganz entscheidend, dass den behandelnden bacter baumanii. Da gerade diese in der Verbrennungs-
Ärzten die typische Keimflora des Krankenhauses bzw. der medizin eine herausragende Bedeutung haben, sollte bei
Intensivstation mit der dazugehörigen Resistenzstatistik lebensbedrohlichen Zuständen eine Kombinationstherapie
bekannt ist und diese regelmäßig überarbeitet wird. Idea- in Erwägung gezogen werden. Da multiresistente Erreger
lerweise werden auf Basis dieser Daten interdisziplinär aber erst häufig im späteren Krankheitsverlauf eine Rolle
(Mikrobiologe, Krankenhaushygieniker, Pharmakologe/ spielen, sollte überprüft werden inwieweit in der Frühphase
Apotheker, Infektiologe etc.) lokale Empfehlungen für eine der Erkrankung, wo häufig noch Infektionen aus der endo-
kalkulierte und gezielte antibiotische Therapie erstellt. Ein genen Flora des Patienten führend sind, auf Reserveanti-
krankenhausweiter Ansatz, der ein solches Konzept unter- biotika verzichtet werden kann. Eine solche Entscheidung
stützt, ist das sogenannte »antibiotic stewardship« (ABS). kann wiederum durch die eingangs genannten Resistenz-
Unter ABS versteht man konzeptionelle Strategien, die die statistiken unterstützt werden.
Qualität der antiinfektiven Behandlung bezüglich Sub- Eine typische Kombinationstherapie bei schwerem
stanzwahl, Dosierung, Applikation und Therapiedauer septischen Verlauf ist die Gabe von einem Carbapenem
sichern, um das bestmögliche Behandlungsergebnis mit (z. B. Meropenem) oder einem Breitspektrumpenicillin
minimaler Gefährdung für den Patienten zu erreichen. (z. B. Piperacillin) kombiniert mit einem Fluorchinolon
(z. B. Moxifloxacin). Auch Aminoglykoside (z. B. Genta-
> Schwere Infektionen mit septischem Verlauf und
micin) können als Kombinationspartner in bestimmten
Organversagen sollten laut den Empfehlungen der
Fällen sinnvoll sein. Eine Monotherapie mit Aminoglyko-
internationalen Sepsis-Leitlinien mit einem Breit-
16 spektrumantibiotikum ggf. in Kombination thera-
siden ist nicht indiziert. Wird bei dem Patienten ein MRSA
als Auslöser der Infektion vermutet kann der Einsatz von
piert werden (Dellinger 2013).
Glykopeptiden (z. B. Vancomycin) unter Kontrolle der
Folgende Substanzen kommen hier in der Regel zum Ein- Serumkonzentration erwogen werden.
satz: Insgesamt sollte der Einsatz des Antibiotikums gemäß
4 Acylureidopenicilline mit β-Laktamase-Inhibitor der »Tarragona-Strategie« erfolgen, die fünf Konzepte
(z. B. Piperacillin mit Tazobactam) herausstellt (Sandiumenge 2003).
4 Carbapeneme (z. B. Imipenem, Meropenem)
4 Cephalosporine der dritten oder vierten Generation
(z. B. Ceftazidim, Cefotaxim) Tarragona-Strategie
4 Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin, Moxifloxacin) 5 »Look at your patient«: Therapie entsprechend
dem individuellen Risikoprofil des Patienten
Die Daten für eine Kombinationstherapie sind insge- (z. B. vorausgegangene antibiotische Therapie,
samt widersprüchlich. Die Leitlinien empfehlen jedoch bei Begleiterkrankungen etc.).
schwerer Sepsis eine antibiotische Kombinationstherapie 5 »Listen to your hospital«: Anpassung der Therapie
bei schwierig zu behandelnden Infektionen mit multiresis- an lokale Standards und Statistiken
tenen Erregern wie Pseudomonas aeruginosa oder Acineto-

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16.3 · Antibiotische Therapie
135 16
7 Tage verkürzt werden kann (Chastre 2003). Auch die
5 »Hit hard and early«: Verabreichung einer frühen, internationalen Sepsis-Leitlinien empfehlen, eine antibio-
breiten und hochdosierten Therapie tische Therapiedauer von 7–10 Tagen nicht zu überschrei-
5 »Get to the point«: Verwendung geeigneter Sub- ten (Dellinger 2013). Lediglich in besonderen Situationen,
stanzen zur Erreichung adäquater Gewebekonzen- wenn sich der Patient nur verzögert erholt, bei neutro-
trationen penischen Patienten, nicht saniertem Infektionsfokus
5 »Focus, focus, focus«: Ständige Reevaluation mit oder einer Bakteriämie mit Staphylococcus aureus kann
möglichst kurzer Therapiedauer und Deeskalation eine längere Behandlungsdauer erforderlich werden.
Der Einsatz von Biomarkern kann dazu beitragen,
die Dauer der Antibiotikatherapie zu steuern. In diesem
Kontext hat Procalcitonin (PCT) offenbar den höchsten
16.3.4 Gezielte antibiotische Therapie Stellenwert, da PCT ein valider Marker für systemische
bakterielle Infektionen zu sein scheint. Eine aktuelle Meta-
Wann immer möglich – d. h. im klinischen Alltag in der analyse kommt zu dem Schluss, dass PCT-basierte Thera-
Regel zu dem Zeitpunkt, wenn der verantwortliche Erreger piealgorithmen bei Intensivpatienten dazu beitragen, die
identifiziert ist bzw. spätestens sobald eine Resistenz- antibiotische Therapie ohne relevante negative klinische
testung vorliegt – sollte die antibiotische Therapie zielge- Effekte für die Patienten zu verkürzen (Matthaiou 2012).
richtet erfolgen und die initiale kalkulierte Chemotherapie Übersichtsarbeiten zur Anwendung von PCT bei Verbren-
entsprechend angepasst werden (Kollef und Micek 2005). nungspatienten bewerten hauptsächlich den Einsatz zur
In einzelnen Fällen ist eine Therapieanpassung bereits vor Prognoseabschätzung oder zur Vorhersage septischer
Kenntnis des Resistenzspektrums möglich. Wenn bei- Komplikationen (Mann 2011; Ren 2015). Der Einfluss von
spielsweise als verantwortliche Erreger gramnegative PCT-basierten Protokollen auf die antibiotische Thera-
Stäbchen isoliert werden, kann eine kalkuliert begonnene piedauer beim Verbrennungspatienten wurde bisher noch
Therapie mit Vancomycin bereits zu diesem Zeitpunkt be- nicht systematisch evaluiert. Jedoch sollten Anstiege des
endet werden. PCT im Verlauf nicht zwangsläufig eine antibiotische
Grundsätzlich sollte eine antibiotische Therapie täg- Therapie-Eskalation und die Intensivierung der diagnos-
lich neu kritisch evaluiert werden. Spätestens jedoch nach tischen Maßnahmen zur Folge haben. Eine Studie hierzu
48–72 h mit Identifikation des oder der Erreger und Vorlie- zeigte eine erhöhte Komplikationsrate und eine längere
gen des Antibiogramms, sollte eine Breitspektrumtherapie, Intensivverweildauer in einer gemischten Intensivpopu-
falls möglich, gezielt auf wirksame Substanzen mit einem lation (Jensen 2011). Niedrige PCT-Werte können somit
engen Wirkungsspektrum umgestellt werden. Eine solche zwar hilfreich sein, eine systemische bakterielle Infek-
Deeskalationsstrategie soll dazu beitragen, den Selektions- tion auszuschließen; Anstiege des PCT sollten jedoch
druck auf die Keimflora zu minimieren und Resistenz- nicht zwangsläufig eine Therapie-Eskalation nach sich
entwicklungen zu verhindern. Daneben werden zusätzlich ziehen.
möglicherweise Kosten reduziert und arzneimittelindu- Anders ist die Situation bei systemischen Mykosen.
zierte Nebenwirkungen oder Toxizität verringert. Von den Systemische Candidainfektionen sollten 14 Tage nach der
Sepsisleitlinien wird ebenfalls empfohlen, eine Kombina- letzten negativen Blutkultur konsequent systemisch be-
tionstherapie nicht länger als 3–5 Tage durchzuführen. handelt werden. Für immunsupprimierte und neutropene
Danach sollte die am besten geeignete Einzelsubstanz Patienten besteht eine längere Therapieindikation. Limi-
gewählt werden (Dellinger 2013). Eine Therapieumstellung tiert kann dies durch die Nebenwirkungen der antimyko-
sollte nur erfolgen, wenn dies ohne Gefahr des Patienten tischen Therapie. Für systemische Aspergillosen besteht
einhergeht und die mikrobiologischen Befunde eindeutig noch kein Consensus zur Therapiedauer. Die Therapie
interpretiert werden können. wird jedoch über mehrere Wochen empfohlen. Diese
werden in erster Linie mit Voriconazol oder liposomalem
Amphotericin B behandelt. Bei Unverträglichkeit oder
16.3.5 Dauer Therapieresistenz können auch Posaconazol oder Caspo-
fungin in der Therapie der invasiven Aspergillose ein-
Häufig wird die antibiotische Therapie aus einem falsch gesetzt werden. Abschließend bei Zygomykosen wird die
verstandenen Sicherheitsbedürfnis zu lange fortgeführt. Therapie mit liposomalem Amphotericin B oder Posaco-
Intensivmedizinische Studien zu beatmungsassoziierten nazol empfohlen.
Pneumonien (»ventilator associated pneumonia«, VAP)
konnten zeigen, dass die antibiotische Behandlungsdauer
ohne Gefährdung für den Intensivpatienten auf etwa

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136 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

16.3.6 Prophylaktische Antibiotikatherapie beginn, appliziert wird und das ggf. bei länger dauernden
Eingriffen eine Wiederholungsgabe erfolgt, wenn der Ein-
Bei Verbrennungspatienten handelt es sich um eine Hoch- griff die doppelte Halbwertszeit des initial verabreichten
risikoklientel, und das Risiko für einen Schwerbrand- Antibiotikums überschreitet. Ebenso wird eine Wieder-
verletzten im Verlauf eine Infektion zu erleiden, steigt mit holungsgabe nach hohem Blutverlust empfohlen. Für Ver-
dem Ausmaß des Verbrennungstraumas. Jedoch kann eine brennungspatienten wird eine PAP vor Exzisionen oder
Kolonisation der Verbrennungswunden durch eine pro- plastischer Wunddeckung, jedoch nicht vor einem Ver-
phylaktische Antibiotikagabe nicht verhindert werden bandswechsel empfohlen (Ravat 2011). Zur Prophylaxe
(Ugburo 2004). In einer Studie an pädiatrischen Verbren- sollten Antibiotika mit Wirksamkeit gegen Staphylokok-
nungspatienten konnte eine konsekutive Infektion der ken wie Cephalosporine der ersten Generation (z. B. Cefa-
Brandwunden durch eine Prophylaxe nicht verhindert zolin) verwendet werden. Sollte allerdings bereits eine
werden (Ergun 2004). Kolonisation der Verbrennungswunde vorliegen, emp-
fiehlt sich zur PAP ein Antibiotikum zu wählen, das die bis
> Eine generelle Infektionsprophylaxe mittels Anti-
dato isolierten Erreger einschließt.
biotika wird zurzeit zwar nicht empfohlen, jedoch
scheint die Diskussion hierzu noch nicht beendet.

In einer Metaanalyse, die sowohl Studien zur periopera- 16.4 Pharmakokinetische Besonderheiten
tiven Antibiotikaprophylaxe als auch Arbeiten zu gene-
reller, systemischer antibiotischer Prophylaxe mit bis zu Grundsätzlich werden Antibiotika in bakteriostatische und
zweiwöchiger Dauer eingeschlossen hat, kamen die Auto- bakterizide Substanzen unterteilt. Durch bakteriostatische
ren zu dem Schluss, dass eine prophylaktische Therapie Antibiotika wird lediglich die Vermehrung der Erreger ge-
zwar effektiv zu sein scheint, aber aufgrund der geringen hemmt, ruhende Bakterien werden nicht beeinflusst. Typi-
methodischen Qualität und der eingeschränkten Ver- sche Vertreter dieser Substanzklasse sind Sulfonamide,
gleichbarkeit der Studien eine generelle antibiotische Pro- Tetrazykline und Chloramphenicol. In der Behandlung
phylaxe nicht empfohlen werden kann (Avni 2010). Diese schwerer Infektionen werden in der Regel bakterizide Anti-
Sichtweise wird auch durch eine aktuelle Cochrane-Ana- biotika wie beispielsweise β-Laktame (Penicilline, Cephalo-
lyse gestützt (Barajas-Nava 2013). Auch medikamenten- sporine, Carbapeneme), Fluorchinolone, Glykopeptide
assoziierte Nebenwirkungen, allergische Reaktionen, eine (z. B. Vancomycin) oder Aminoglykoside verwendet. Diese
Induktion von Resistenzen, Clostridien-assoziierter Kolitis unterscheiden sich in ihrem Wirkmechanimus, aber auch
und möglicherweise gesteigerte Kosten sprechen für einen hinsichtlich pharmakokinetischer Aspekte. Ein Parameter,
eher restriktiven Einsatz antiinfektiver Substanzen. Nach der für die Wirksamkeit bakterizider Substanzen entschei-
einem Inhalationstrauma hat eine prophylaktische Anti- dend ist, ist die sogenannte minimale Hemmkonzentration
biotikatherapie keinen Stellenwert, obwohl in bis zu 70 % (MHK). Die MHK gibt die niedrigste Konzentration eines
der Fälle eine beatmungsassoziierte Pneumonie auftritt Antibiotikums an, die bakterielles Wachstum in einem
(Latenser 2009). Nährmedium, also in vitro, verhindert.
Ein festes Konzept hingegen ist die periinterventionelle Dabei ist beispielsweise bei β-Laktamantibiotika die
16 oder perioperative antibiotische Prophylaxe (PAP). In der Zeitdauer oberhalb der MHK (T>MHK) entscheidend, wäh-
Verbrennungsmedizin soll die PAP durch eine Reduktion rend bei Aminoglykosiden eher die Maximalkonzentra-
der Erregermenge in den Verbrennungswunden die Er- tion oberhalb der MHK (Cmax/MHK) die Wirksamkeit
folgsrate einer plastischen Deckung erhöhen sowie Bak- bestimmt. Es gibt aber auch Substanzklassen, wie z. B. Flu-
teriämien verhindern. Auf der anderen Seite muss ein orchinolone, bei denen das Konzentration-Zeit-Integral
Selektionsdruck vermieden werden. Daher handelt es sich über der MHK entscheidend ist (AUC/MHK; Beck 2014;
bei der PAP im Allgemeinen um eine einmalige Gabe eines . Abb. 16.1).
Antibiotikums, diese kann jedoch in einzelnen Fällen Für β-Laktamantibiotika wurde aufgrund ihrer Zeitab-
≤48 h postoperativ fortgeführt werden. Besteht die Situa- hängigkeit das Konzept entwickelt, diese nach Gabe einer
tion, dass durch den chirurgischen Eingriff, das Wund- Initialdosis kontinuierlich zu infundieren oder eine soge-
gebiet nicht vollständig saniert wird und demnach für den nannte prolongierte Infusionsdauer (z. B. >4 h) zu wählen.
Patienten ein hohes Infektionsrisiko fortbesteht, kann Obwohl solche Konzepte schon in einigen Einrichtungen
die begonnene PAP auch mehrtätig fortgesetzt werden. In in der täglichen Praxis angewendet werden und unter
diesem Fall ist jedoch eine saubere Abgrenzung von Pro- pharmakologischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll
phylaxe und Therapie nicht mehr möglich. erscheinen, konnte eine Überlegenheit solcher Strategien
Es sollte beachtet werden, dass die PAP frühzeitig, d. h. bisher nicht gezeigt werden (Dulhunty 2015) und es muss
bei parenteraler Gabe etwa 30–60 min vor Operations- darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um einen

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16.4 · Pharmakokinetische Besonderheiten
137 16

AUC
Konzentration

MHK
Cmax
MHK

T>MHK
MHK

Zeit

. Abb. 16.1 Illustration von Pharmakokinetik-/Pharmakodynamik-Indizes. AUC Fläche unter Plasmakonzentration-Zeit-Kurve; Cmax Spitzen-
konzentration; MHK minimale Hemmkonzentration; T>MHK Anteil des Dosierungsintervalls während dessen die Plasmakonzentration über
dem Intervall liegt. (Aus Beck 2014)

Off-label-Gebrauch handelt. Ein anderer Ansatz, um den das Verteilungsvolumen für wasserlösliche Medikamente
inter- und intraindividuell äußerst variablen pharmako- infolge ausgedehnter Volumentherapie und Ödembildung
kinetischen und schwierig vorhersehbaren Veränderungen mit Kapillarleck deutlich zunimmt. Zusätzlich kommen
in der Pathophysiologie des Verbrennungstraumas gerecht Veränderungen in der Proteinbindung durch Imbalancen
zu werden, ist die Steuerung der Antibiotikadosierungen von Akut-Phase-Proteinen zu Albumin und durch den
anhand der Serumspiegel im Sinne eines therapeutischen Proteinverlust über Verbrennungswunden hinzu. Der im
Drug-Monitorings (TDM). Gerade in der Frühphase der Verlauf der Verbrennungskrankheit sich entwickelnde
Verbrennungskrankheit kann hypovolämiebedingt die Hypermetabolismus führt zu einem verstärkten Abbau der
Nierenfunktion deutlich eingeschränkt sein, während aber Antibiotika (. Abb. 16.2; Roberts 2009).

SEPSIS

gesteigertes Kapillarleck normale Organfunktion Endorgandysfunktion


Herzzeitvolumen (z.B. Leber, Niere)
veränderte
Proteinbindung

erhöhte Clearance vergrößertes unverändertes verringerte Clearance


Verteilungsvolumen Verteilungsvolumen

niedrige normale hohe


Plasmakonzentrationen Plasmakonzentrationen Plasmakonzentrationen

. Abb. 16.2 Schematische Darstellung der pathophysiologischen Veränderungen in der Sepsis mit den entsprechenden Effekten auf die
Pharmakokinetik. Es sollte beachtet werden, dass sich die pathophysiologischen Veränderungen durchaus überschneiden können und die
Effekte auf die Plasmakonzentrationen dadurch schwierig abzuschätzen sind. (Mod. nach Roberts 2009)

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138 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

> Obwohl möglicherweise gerade schwerstkranke Fachinformationen nur unter Kontrolle der Serumspiegel
Patienten von einer antiinfektiven Therapiesteue- empfohlen.
rung durch TDM profitieren könnten (Huttner 2015), Für Antibiotika mit enger therapeutischer Breite und
ist bisher eine Überlegenheit dieser Strategie nicht der Gefahr toxischer Effekte (wie z. B. Aminoglykoside
gezeigt worden. Aktuell wird TDM bisher nur in und Glykopeptide) enthält die Tabelle ebenfalls Empfeh-
wenigen Zentren angewendet und ist darüber hinaus lungen für Tal- und Spitzenkonzentrationen.
noch nicht für alle verfügbaren Antibiotika etabliert.

Für den Alltag hat sich unter Berücksichtigung der klini- 16.5 Selektive Darmdekontamination,
schen Situation des Patienten bewährt, von einer etwa selektive orale Dekontamination
1,5- bis 2-fach erhöhten Tagesdosis der antibiotischen Sub-
stanzen auszugehen. . Tab. 16.3 zeigt eine Übersicht über Die internationalen Sepsis-Leitlinien empfehlen eine
die aktuell empfohlenen Dosierungen und Serumzielkon- selektive Darmdekontamination (SDD) zur Prophylaxe
zentrationen für die gängigsten antibiotischen Substanzen einer beatmungsassoziierten Pneumonie bei Patienten, bei
bei erwachsenen Schwerstbrandverletzen mit Verbrennun- denen eine längere Beatmungsdauer (>48 h) zu erwarten
gen >20 % VKOF (Ravat 2011). Die Dosierungsempfeh- ist (Dellinger 2013). Da neben oralen und gastralen, nicht
lung für die kontinuierliche Gabe von Meropenem in dieser resorbierbaren Antibiotika auch eine systemische Anti-
Tabelle erfolgte anhand anderer pharmakokinetischer biotikaapplikation zum Einsatz kommt, spricht man besser
und intensivmedizinischer Studien zu dieser Thematik von einer selektiven systemischen Darmdekontamination.
(Krueger 2005; Roberts 2009). Für die β-Laktamantibiotika Eine wichtige Voraussetzung für eine solche Strategie ist
wird von den französischen Experten eine kontinuierliche die Erfahrung mit diesem Konzept und die Erhebung
Gabe empfohlen. Aufgrund der intra- und interindividu- regelmäßiger Resistenzstatistiken um den Erfolg der Maß-
ellen pharmakokinetischen Schwankungen wird eine Ab- nahme zu bewerten zu können und eine Zunahme resis-
weichung von den Dosierungsempfehlungen der jeweiligen tenter Erreger frühzeitig zu detektieren. Eine niederlän-

. Tab. 16.3 Übersicht zu den Dosierungen von Antibiotika bei Verbrennungspatienten mit ausgedehnten Verbrennungen (>20 %
VKOF). (Mod. nach Ravat 2011)

Substanz Applikationsform Initialdosis Tagesdosis Zielkonzentration


(Serum) (mg/l)

Penicilline
– Oxacillin, Cloxacillin – Kontinuierlich – 50 mg/kgKG – 150–200 mg/kgKG – steady state 8–10
– Amoxicillin – Kontinuierlich – 50 mg/kgKG – 150–200 mg/kgKG – steady state 64–80
– Piperacillin – Kontinuierlich – 50 mg/kgKG – ≥200 mg/kgKG – steady state 64–80

Cephalosporine
– Cefotaxim – Kontinuierlich – 25 mg/kgKG – 100–150 mg/kgKG – steady state 16–20
16 – Ceftazidim – Kontinuierlich – 25 mg/kgKG – 100–150 mg/kgKG – steady state 16–20

Carbapeneme
– Imipenem – Kontinuierlich – 10 mg/kgKG – 50–100 mg/kgKG steady state 16–20
– Meropenem* – Kontinuierlich – 1000 mg – 3000 mg (1000 mg/8h) –

Fluorchinolone
– Ciprofloxacin – Bolusgabe – – 3–4 × 10–20 mg/kgKG –
– Levofloxacin – Bolusgabe – – >750 mg/d –

Aminoglykoside
– Gentamicin, Tobramycin – Bolusgabe – 1 × 10 mg/kgKG Spitze: 20; Tal: 2

Glykopeptide
– Vancomycin – Kontinuierlich 5 mg/kgKG – 30–40 mg/kgKG steady state 20–30
– Teicoplanin – Bolusgabe – – ≥12 mg/kg/KG –

Oxazolidinone
– Linezolid – Kontinuierlich 5 mg/kgKG 1200 mg/d steady state 10

* Die Dosierungsempfehlung für Meropenem erfolgt auf der Basis von pharmakokinetischen und intensivmedizinischen Studien
(Krueger 2005; Roberts 2009)

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16.6 · Antimykotische Therapie
139 16

. Tab. 16.4 Gegenüberstellung von selektiver Darmdekontamination und selektiver oropharyngealer Dekontamination. Modifiziert
nach (De Smet 2009)

SDD SOD

Oral 6-stündlich bis zur Entlassung: Paste (2 %) 6-stündlich bis zur Entlassung
mit Polymyxin E, Tobramycin, Amphotericin B wie bei SDD

Gastral Suspension (10 ml) mit Polymyxin E (100 mg), –


Tobramycin (80 mg), Amphotericin B (500 mg)

Intravenös In den ersten vier Tagen: Cefotaxim (4 × 1000 mg/d) –


(nicht bei bestehender Therapie mit (bei Unverträglichkeit: Ciprofloxacin 2 × 400 mg)
Carbapenemen, Piperacillin, Ceftazidim
oder Fluorchinolonen)

SDD selektive Darmdekontamination; SOD selektive oropharyngeale Dekontamination

dische Studie zeigte, dass eine selektive oropharyngeale Kolonisation oder Infektion nur im Zusammenhang mit
Dekontamination (SOD) hinsichtlich der Mortalitätssen- dem klinischen Bild. Eine Candidapneumonie kommt
kung ebenso effektiv war, wie eine SDD (De Smet 2009). beim nicht-neutropenischen Intensivpatienten praktisch
. Tab. 16.4 stellt die beiden Strategien exemplarisch gegen- nicht vor. Die Diagnostik kann durch den Nachweis spe-
über. Ein weiteres Konzept ist die orale antiseptische Be- zifischer Antigene wie Mannan oder 1,3-β-D-Glucan er-
handlung mit Chlorhexidin beim beatmeten Intensivpa- gänzt werden. Ein Nachteil ist jedoch die hohe Rate falsch
tienten. Aufgrund der hohen klinischen Akzeptanz, der positiver Resultate (Dellinger 2013). Bei Patienten mit
einfachen Umsetzbarkeit und des Fehlens einer Resis- einer multifokalen Candidakolonisation mit Risikofak-
tenzinduktion wird für diese Maßnahme in den Sepsisleit- toren für eine Infektion wird eine präemptive antimyko-
linien der gleiche Empfehlungsgrad vergeben wie für die tische Therapie nicht empfohlen solange der Patient stabil
SDD und die SOD (Dellinger 2013). Auch für Verbren- ist. Bei anhaltendem Fieber unter einer breiten antibio-
nungspatienten wurde das Regime der SDD mit zusätz- tischen Therapie kann eine Behandlung mit Antimykotika
licher systemischer Gabe von Antibiotika untersucht und erwogen werden. Gleichzeitig sollte jedoch eine intensive
in einer Studie von 2005 konnte eine Mortalitätsreduktion weitere Diagnostik erfolgen (Matthaiou 2015). Letztend-
sowie eine verringerte Pneumonierate gezeigt werden (De lich bleibt der klinische Verdacht und die individuelle
La Cal 2005). Dennoch hat sich auch beim Verbrennungs- Abwägung bei der frühzeitigen Diagnostik von systemi-
patienten eine SDD bisher nicht flächendeckend durch- schen und lokalen Wundinfektionen entscheidend. Unter-
gesetzt und es ist bisher nicht untersucht, ob eine SOD oder stützend bei dieser Entscheidung haben klinische Scores
orale antiseptische Behandlung beim Verbrennungspa- sich bewährt, wie z. B. ein León-Score >2,5 (León 2006;
tienten möglicherweise sogar gleichwertig zu einer SDD . Tab. 16.5). Die Risikofaktoren Multimorbidität, Immun-
sind. suppression, VKOF >30 %, Verbrennungen Grad III und
Langzeitgabe von lokalen und systemischen Antibiotika
werden in diese individuelle Kalkulation miteinbezogen.
16.6 Antimykotische Therapie Bei der Wahl der systemischen antimykotischen The-
rapie sollte der klinische Zustand des Patienten berück-
Verbrennungswunden sind ein Hauptrisikofaktor für sichtigt werden. Die amerikanischen Leitlinien der Infec-
Pilzinfektionen. Verbrennungspatienten mit einem zen- tious Diseases Society of America (IDSA) empfehlen bei
tralen Venenkatheter haben mit die höchste Rate an hämodynamisch stabilen Patienten eine primäre Therapie
Candidämien unter den Krankenhauspatienten (Ha 2011). mit Fluconazol und bei instabilen Patienten oder bei vor-
Zunehmend spielen Infektionen mit Non-albicans-Stäm- ausgeganger Therapie mit Fluconazol den Einsatz von
men eine relevante Rolle. Infektionen mit Candida spp. Voriconazol oder einem Echinocandin (. Tab. 16.6). Die
sind häufig schwierig zu diagnostizieren. Der Nachweis antimykotische Therapie sollte nach einer negativen Blut-
von Pilzen aus physiologisch sterilen Körperregionen kultur noch über zwei Wochen fortgeführt werden (Pappas
zusammen mit Hinweisen auf einen Infektionsfokus aus 2009). Für Candida glabrata besteht eine primäre Resis-
dieser Region unterstützt die Diagnose einer Candida- tenz gegen Azol-Antimykotika und bei Infektionen mit
infektion. Beim Nachweis von Candida spp. aus Bronchial- Candida parapsilosis sind die Echinocandine Anidulafun-
sekret oder Urin gelingt die Unterscheidung zwischen gin und Caspofungin unwirksam. Darüber hinaus ist auch

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140 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

Unter den Wundpilzinfektionen sind Hefen (Candida


. Tab. 16.5 León-Score (Candida-Score)
spp.) mit Abstand am häufigsten. Candidämien treten in
Befund Punktzahl der Regel später im klinischen Verlauf ein. Schimmelpilze
(z. B. Aspergillus spp.) sind viel seltener. Da diese im Vgl. zu
Multikolonisation 1 Hefen keine Opportunisten der Normalflora sind, muss die
Bauchoperation 1 Quelle, falls nicht aus dem ursprünglichen Unfallort ver-
schleppt, gut hinterfragt werden. Eine hohe Umgebungs-
Parenterale Ernährung 1
belastung, z.B. aus insuffizienten Lüftungsfilter oder nahen
Sepsis 2 Baustellen, kann hierfür verantwortlich sein. Abschließend
sind Zygomycotainfektionen (z. B. Mucor spp.) mit einer
Score Risiko der invasiven Candidose (%)
sehr hohen Mortalität (≤100 %) assoziiert (Schofield 2007)
<3 2,3 und darum sehr gefürchtet. Sie weisen eine rasante epifas-
ziale Ausbreitung auf.
≥3 15,7
Inspektorisch kann eine Wundmykose durch die früh-
5 23,6 zeitige Abschorfung, Verdunklung der Wundfarbe ähnlich
der Ecthyma gangraenosum, Ausbreitung eines subkuta-
Sensitivität 81 %, Spezifität 74 %
nen, zentrifugalen Ödems unter der zentralen ischämi-
schen Nekrose oder bereits durch sichtbares Verschimmeln
imponieren.
für Pilzinfektionen die Kenntnis lokaler Resistenzstatis- Der lediglich mikrobiologische Kulturnachweis aus
tiken hilfreich. den Wundabstrichen kann nicht zwischen der Kontamina-
tion und der Infektion unterscheiden. Als Goldstandard
jWundmykosen für die Diagnostik einer Wundmykose gilt der histopatho-
Neben den systemischen Mykosen werden lokale Wund- logische Nachweis. Dieser ist jedoch oft zu spät nach-
infektionen der Verbrennungswunde (Wundmykosen) weisbar. Hefepilze zeigen Pseudohyphen, Sprossung und
unterschieden. Mit zunehmendem Einsatz von Antibiotika runden Hefezellen im Gewebe. Schimmelpilze dagegen
nimmt die Wundkontamination mit Pilzen zu (Schofield zeichnen sich durch parallelwandige verzweigte Hyphen
2007). Es besteht eine Korrelation zwischen der Mortalität aus. Mucormykosen haben bandförmige, selten verzweigte
und der Wundinfektion mit Pilzen mit zunehmender Hyphen.
VKOF. Bei der Gruppe von VKOF 30-60 % zeigen Wund- Bei problematischer, lokaler Wundkontamination mit
infektionen mit Pilzen eine Mortalität von 80 %, dagegen Pilzen kann die topische Therapie je nach Keim mit Nys-
zum Vergleich bakterielle Infektionen mit einer 20 %er tatin (insbesondere bei Candidastämme), Amphotericin B,
Mortalität korrelieren (Horvath 2007). Clotrimazol oder Silbersulfadiazin erwogen werden.
Der Anteil an Wundinfektionen mit Pilzen wird mit Lediglich <1 % der Wundmykosen sind keine Hefepilze
20 % geschätzt (Horvath 2007). 99 % hiervon sind Hefe- (Horvath 2007). Bei Wundinfektion empfehlen sich zu-
pilzinfektionen (z. B. Candida albicans et non-albicans), sätzlich die systemische Therapie sowie das aggressive
16 während der Rest von Schimmelpilzen (z.B. Aspergillus Débridement.
fumigatus) und Zygomycota (z.B. Mucor parapsilosis) ver-
ursacht wird.

. Tab. 16.6 Behandlungsempfehlung für die intravenöse antimykotische Therapie einer dokumentierten oder vermuteten invasiven
Candidiasis. (Mod. nach Pappas 2009)

Primärtherapie Alternativtherapie

Stabiler Patient Fluconazol (800 mg Bolusgabe, dann 400 mg/d) Amphotericin B Lipidformulierung
(3–5 mg/kgKG/d)
Konventionelles Amphotericin B
(0,5–1 mg/kgKG/d)

Instabiler Patient (z. B. septischer Anidulafungin (200 mg Bolusgabe, dann 100 mg/d) Voriconazol
Schock, Organdysfunktion) Caspofungin (70 mg Bolusgabe, dann 50 mg/d; Tag 1: 2 × 6 mg/kgKG dann
oder vorausgegangene Therapie bei >80 kgKG keine Dosisreduktion) ab Tag 2: 2 × 4
mit Fluconazol Micafungin (100 mg/d) mg/kgKG/d

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Literatur
141 16
16.7 Virale Infektionen Dosierung der Antibiotika anhand des Serumspiegels.
Der Stellenwert kontinuierlicher oder prolongierter
Obwohl es bei Verbrennungspatienten offenbar zu einer Infusionen ist aktuell unklar, scheint aber unter phar-
relevanten Anzahl von Cytomegalievirus (CMV)-Infek- makologischen Aspekten sinnvoll.
tionen kommt, die überwiegend auf eine endogene Reak- 4 Verbrennungspatienten haben ein hohes Risiko für
tivierung zurückzuführen sind, ist der klinische Stellen- fungale Infektionen. Die Diagnostik- und Therapie-
wert dieser Befunde unklar, zumal sich keine Unterschiede empfehlungen orientieren sich an den internationalen
in den Mortalitätsraten zeigte (Bordes 2011). Da auch für Leitlinien.
andere Virusinfektionen wie z. B. Herpes simplex die Da-
tenlage unklar ist, unterscheiden sich die Therapieemp-
fehlungen für Virusinfektionen bei Verbrennungspatien- Literatur
ten nicht von denen anderer Intensivpatienten. Bei Nicht-
Avni T, Levcovich A, Ad-El DD, Leibovici L, Paul M (2010) Prophylactic
ansprechen einer antibiotischen Therapie sollte dennoch
antibiotics for burns patients: systematic review and meta-analy-
immer auch an das Vorliegen einer viralen Infektion den- sis. Bmj 340:c241. doi:10.1136/bmj.c241
ken lassen. Barajas-Nava LA, Lopez-Alcalde J, Roque i Figuls M, Sola I, Bonfill
Cosp X (2013) Antibiotic prophylaxis for preventing burn wound
infection. Cochrane Database Syst Rev 6:Cd008738.
doi:10.1002/14651858.CD008738.pub2
16.8 Fazit für die Praxis
Beck S, Wicha SG, Kloft C, Kees MG (2014) [Pharmacokinetics and
pharmacodynamics of antibiotic therapy]. Anaesthesist 63
Diese Punkte bilden ein vorläufiges Fazit für die Praxis: (10):775-782. doi:10.1007/s00101-014-2369-9
4 Verbrennungspatienten haben aufgrund der gestörten Bordes J, Maslin J, Prunet B, d’Aranda E, Lacroix G, Goutorbe P,
Barrierefunktion mit reduzierter Immunkompetenz Dantzer E, Meaudre E (2011) Cytomegalovirus infection in severe
ein erhöhtes Risiko für Infektionen. burn patients monitoring by real-time polymerase chain reaction:
A prospective study. Burns 37 (3):434–439. doi:10.1016/j.
4 Die Unterscheidung zwischen systemischer Inflam- burns.2010.11.006
mationsreaktion und septischem Krankheitsbild ist Chastre J, Wolff M, Fagon JY, Chevret S, Thomas F, Wermert D,
häufig schwierig. Clementi E, Gonzalez J, Jusserand D, Asfar P, Perrin D, Fieux F,
4 Zu Beginn der Erkrankung dominieren häufig gram- Aubas S (2003) Comparison of 8 vs 15 days of antibiotic therapy
positive Erreger der endogenen Flora der Patienten for ventilator-associated pneumonia in adults: a randomized trial.
Jama 290 (19):2588-2598. doi:10.1001/jama.290.19.2588
mit einer Verschiebung in den gramnegativen Bereich
De La Cal MA, Cerda E, Garcia-Hierro P, Van Saene HK, Gomez-Santos D,
im späteren Krankheitsverlauf. Häufig können multi- Negro E, Lorente JA (2005) Survival benefit in critically ill burned
resistente Erreger nachgewiesen werden. patients receiving selective decontamination of the digestive
4 Bei schweren Infektionen sollte die antibiotische tract: a randomized, placebo-controlled, double-blind trial. Ann
Therapie schnell und breit-wirksam gemäß den Surg 241 (3):424–430
De Smet AM, Kluytmans JA, Cooper BS, Mascini EM, Benus RF, van der
internationalen Sepsis-Leitlinien und dem Tarragona-
Werf TS, van der Hoeven JG, Pickkers P, Bogaers-Hofman D,
Prinzip erfolgen van der Meer NJ, Bernards AT, Kuijper EJ, Joore JC, Leverstein-van
4 Bei weniger schweren Infektionen und stabilem klini- Hall MA, Bindels AJ, Jansz AR, Wesselink RM, de Jongh BM,
schem Zustand sollte wann immer möglich bis zum Dennesen PJ, van Asselt GJ, te Velde LF, Frenay IH, Kaasjager K,
Vorliegen des Antibiogramms mit der antibiotischen Bosch FH, van Iterson M, Thijsen SF, Kluge GH, Pauw W, de Vries
Therapie gewartet werden. JW, Kaan JA, Arends JP, Aarts LP, Sturm PD, Harinck HI, Voss A,
Uijtendaal EV, Blok HE, Thieme Groen ES, Pouw ME, Kalkman CJ,
4 Die Therapiedauer sollte in der Regel 7–10 Tage Bonten MJ (2009) Decontamination of the digestive tract and
betragen. Biomarker wie Procalcitonin können mög- oropharynx in ICU patients. N Engl J Med 360 (1):20–31.
licherweise die Steuerung der Therapiedauer unter- doi:10.1056/NEJMoa0800394
stützen. Dellinger RP, Levy MM, Rhodes A, Annane D, Gerlach H, Opal SM,
4 Eine prophylaktische antibiotische Therapie hat Sevransky JE, Sprung CL, Douglas IS, Jaeschke R, Osborn TM,
Nunnally ME, Townsend SR, Reinhart K, Kleinpell RM, Angus DC,
außer im Rahmen einer perioperativen Prophylaxe
Deutschman CS, Machado FR, Rubenfeld GD, Webb S, Beale RJ,
bei operativen Eingriffen in der Verbrennungs- Vincent JL, Moreno R (2013) Surviving Sepsis Campaign: interna-
medizin keinen Stellenwert. tional guidelines for management of severe sepsis and septic
4 Durch den Hypermetabolismus beim Verbrennungs- shock, 2012. Intensive Care Med 39 (2):165–228. doi:10.1007/
trauma, durch veränderte Verteilungsvolumina in- s00134-012-2769-8
Dulhunty JM, Roberts JA, Davis JS, Webb SA, Bellomo R, Gomersall C,
folge der Volumentherapie und Organdysfunktionen
Shirwadkar C, Eastwood GM, Myburgh J, Paterson DL, Starr T,
(z. B. Leber und Niere) ist die Pharmakokinetik anti- Paul SK, Lipman J (2015) A Multicenter Randomized Trial of
infektiver Substanzen beim Verbrennungstrauma Continuous versus Intermittent β-Lactam Infusion in Severe Sepsis.
individuell sehr variabel. Idealerweise erfolgt eine Am J Respir Crit Care Med. doi:10.1164/rccm.201505-0857OC

marcus.lehnhardt@rub.de
142 Kapitel 16 · Antiinfektive Therapie

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marcus.lehnhardt@rub.de
143 17

Sepsis
Dirk Martens

17.1 Einleitung – 144

17.2 Definitionen – 144

17.3 Diagnose – 145

17.4 Prävention und Therapie – 146


17.4.1 Initiale Sepsistherapie – 146
17.4.2 Weiteres Sepsismanagement – 147

17.5 Infektionsorte – 148


17.5.1 Tracheobronchitis und Pneumonie – 148
17.5.2 Harnweginfektionen – 149
17.5.3 Bakteriämie und katheterassoziierte Infektion – 149
17.5.4 Sonstige Infektionen – 150

17.6 Multiorganversagen – 150


17.6.1 Definition – 150
17.6.2 Akutes Lungenversagen – 150
17.6.3 Akutes Nierenversagen – 151
17.6.4 Leberversagen – 153

17.7 Systemische Pilzinfektionen – 153

Literatur – 154

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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144 Kapitel 17 · Sepsis

17.1 Einleitung Die Gastroparese und verminderte Darmmotilität


sind beim Brandverletzten häufig. Sie treten aber auch im
Sepsis und Multiorganversagen sind beim Schwerbrandver- Rahmen einer Sepsis auf. Hierunter und aufgrund einer
letzten die häufigsten Todesursachen während des inten- verminderten Splanchnikus-Durchblutung kann es zur
sivmedizinischen Aufenthalts (Bloemsma 2008). Neben der Translokation von Bakterien und Endotoxinen aus dem
Verbrennungstiefe ist die Verbrennungsausdehnung ein Darmlumen in das portalvenöse Blut kommen. Zunächst
Risikofaktor zur Entwicklung einer Infektion und einer filtert das retikuloendotheliale System (RES) der Leber die
Sepsis. Kinder und alte Patienten sind besonders häufig von Bakterien und Endotoxine heraus. Bei fortbestehender
einer Sepsis betroffen. Translokation kommt es zur Erschöpfung des RES und
Aufgrund des Verlusts der Hautbarriere können Infek- zur systemischen Einschwemmung. Somit kann eine pro-
tionserreger leicht in den Körper eindringen und eine sys- longierte Translokation die Sepsis unterhalten und sollte
temische Entzündung verursachen. Zusätzlich kommt es durch darmmotilitätssteigernde Maßnahmen therapiert
nach einer ausgedehnten Verbrennung zur Beeinträchti- werden.
gung der unspezifischen und der spezifischen immunolo- Mit der Anzahl der betroffenen Organe steigt die Letali-
gischen Abwehr mit erhöhter Infektanfälligkeit (Murphey tät. Ein Ausfall von drei und mehr Organen wird nur aus-
2012). Auch opportunistische Erreger können so zu inva- nahmsweise überlebt.
siven Infektionen und nachfolgender Sepsis führen.
Bei der Sepsis kommt es im Rahmen einer Infektion
oder durch freigesetzte bakterielle Substanzen, wie Endo- 17.2 Definitionen
toxine aus Gram-negativen Bakterien, zur überschießen-
den Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Zu nennen In der Intensivmedizin gibt es Diagnosekriterien für die
sind hierbei insbesondere Tumornekrosefaktor α, unter- generalisierte Entzündungsreaktion (»systemic inflam-
schiedliche Interleukine, Komplement und Arachidon- matory response sysdrome«, SIRS) und die Sepsis.
säuremetaboliten. Im Rahmen einer komplexen und bis
heute nicht in allen Details verstandenen Kaskade werden
Klassische Diagnosekriterien für SIRS und Sepsis
weitere Entzündungsvermittler freigesetzt. Diese beein-
5 Körpertemperatur >38 oder <36°C
flussen unterschiedliche physiologische Prozesse und
5 Herzfrequenz über 90 Schläge pro Minute
Organsysteme. Typisch ist eine verminderte Sauerstoffutili-
5 Atemfrequenz bei Spontanatmung über 20 Atem-
sation mit nachfolgender vermehrter Laktatbildung.
züge pro Minute oder arterielle Kohlendioxid-Kon-
So kommt es zur Ausbildung eines Kapillarlecks und es
zentration (PaCO2) <32 mmHg
kann zur Entwicklung einer intravasalen Gerinnung kom-
5 Leukozytenkonzentration im Blut >12.000 oder
men. Einige Sepsismediatoren wirken negativ inotrop und
<4.000/μl oder eine Linksverschiebung mit >10 %
lösen eine Vasoplegie aus. Andere Mediatoren beeinträch-
unreifen (stabkernigen) Formen
tigen die Motilität des Darmes, hemmen die Diurese und
beeinträchtigen die Syntheseleistung der Leber. Als Folge
Beim Vorliegen von mindestens zwei Parametern liegt
der komplexen Wirkungen kommt es im Extremfall zum
ein SIRS vor. Sind die Symptome durch eine Infektion
Multiorganversagen. Da unterschiedliche Infektionen zur
hervorgerufen, liegt eine Sepsis vor.
identischen Aktivierung der Entzündungskaskade führen,
lässt sich erklären, dass verschiedene Infektursachen, wie
17 eine Brandwundeninfektion oder eine Pneumonie, ein Beim spontanatmenden Brandverletzten findet sich regel-
identisches Multiorganversagen auslösen. haft eine Tachypnoe und die Körpertemperatur kann auf-
An Symptomen finden sich häufig eine arterielle Hy- grund des Hypermetabolismus erhöht oder aufgrund der
potonie und Tachykardie, ein Lungenversagen, ein akutes fehlenden Wärmekonservierung bei großflächigem Haut-
Nierenversagen und ein interkurrent auftretendes Leber- verlust vermindert sein. Unmittelbar nach ausgedehnter
versagen. Trotz Hemmung der Inotropie findet sich im thermischer Schädigung werden sowohl eine Leukozytose
Rahmen der Sepsis zunächst ein erhöhtes Herzminuten- als auch eine Leukopenie beobachtet. Somit erfüllen alle
volumen. Ursache ist die physiologische adrenerge Gegen- Schwerbrandverletzten die Diagnosekriterien für SIRS.
regulation bei vermindertem arteriellem Gefäßwiderstand. Daher sind die klassischen Definitionen von SIRS und
Erst präfinal findet sich als Ausdruck der schweren kardia- Sepsis beim Brandverletzten nicht anwendbar.
len Depression durch die prolongierte Sepsis ein kardiales Im Rahmen einer Konsensuskonferenz der amerikani-
Pumpversagen mit Abfall des Herz-Minuten-Volumens, schen Verbrennungsgesellschaft (American Burn Associa-
häufig kombiniert mit einer Bradykardie und intrakardia- tion, ABA) wurde eine alternative Definition erarbeitet
len Reizleitungsstörungen. (Greenhalgh 2007). Demzufolge sollte die Diagnose SIRS

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17.3 · Diagnose
145 17
beim Brandverletzten nicht angewendet werden. Die Dia- Da die metabolischen, endokrinologischen und immu-
gnosekriterien einer Sepsis wurden geändert. nologischen Veränderungen beim Brandverletzten lange
anhalten, wird durch die ABA empfohlen, die dargelegten
jABA-Diagnosekriterien für Sepsis Definitionen für den gesamten Krankheitsverlauf des Pa-
beim erwachsenen Brandverletzten tienten anzuwenden und nicht auf die sonst in der Inten-
Mindestens drei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sivmedizin üblichen Definitionen zu wechseln.
sein:
4 Köpertemperatur: >39°C oder <36,5°C
4 Herzfrequenz: >110 Schläge/min 17.3 Diagnose
4 Atemfrequenz bei:
5 A. Spontanatmung: >25 Atemzüge/min
> Sepsisverdacht besteht bei allen Patienten, die
5 B. kontrollierter Beatmung: Atemminutenvolumen
nach der initialen Schockphase erneut hämodyna-
>12 l/min erforderlich
misch instabil werden und bei denen Symptome,
4 Thrombozytenkonzentration: <100.000/μl (verwert-
wie Hyperventilation, Thrombozytopenie, Hypergly-
bar frühestens drei Tage nach Abschluss der initialen
kämie, Hypothermie und Verwirrtheit neu hinzutre-
Schockphase)
ten. Zusätzlich muss ein Infektfokus identifiziert sein.
4 Blutzucker:
5 A. >200 mg/dl (Ausschluss Diabetes mellitus) Die laborchemische Sicherung der Diagnose einer Sepsis
oder beim Brandverletzten stellt eine Herausforderung dar. Er-
5 B. Insulinresistenz: höhungen der Plasma-Laktat-Konzentration kommen bei
– >7 Einheiten/h oder systemischer oder regionaler Minderdurchblutung sowie
– Steigerung der Insulindosierung um >25 % bei Hypoxämie vor und sind daher unspezifisch.
4 Gastrointestinal: Unmittelbar nach einer Verbrennung sind viele labor-
5 A. zunehmende abdominelle Anspannung oder chemische Entzündungsparameter verändert. In den ers-
5 B. Unmöglichkeit der enteralen Ernährung ten zwei Tagen nach dem Verbrennungstrauma findet
(residueller Mageninhalt >150 ml/h) oder sich eine Leukozytose, meist bedingt durch eine Erhöhung
5 C. Diarrhoe mit Stuhlvolumen über 2500 ml/d der neutrophilen Granulozytenkonzentration. Ursächlich
4 Zusätzlich muss eine Infektion nachgewiesen werden sind eine Verminderung des Plamavolumens und eine
durch mindestens eines der folgenden Kriterien: akute Freisetzung der Granulozyten aus dem Knochen-
5 A. positiver kultureller Nachweis mark. Es schließt sich eine Phase der Leukopenie an. Die
5 B. Nachweis einer Wundinfektion, eines pulmo- Genese ist multifaktoriell: Neben eine traumabedingten
nalen Infektes, eines Harnweginfekts oder einer Myelosuppression ist eine medikamentös-toxische Ur-
katheterassoziierten Infektion sache möglich (z. B. durch Silbersulfadiazingabe). Die
5 C. Ansprechen auf eine antimikrobielle Therapie Leukopenie kann unterschiedlich lange persistieren. In der
Regel ist sie nicht so stark ausgeprägt, dass eine Umkehr-
Die Definitionskriterien der Sepsis bei verbrannten Kin- isolierung erforderlich ist. Im Rahmen von Gram-nega-
dern wurden ebenfalls durch die ABA erarbeitet. Sie be- tiven Infektionen oder einer Sepsis überlagert sich ein
rücksichtigen deren abweichende Normwerte von Herz- zusätzlicher Abfall der Neutrophilenanzahl. Somit ist die
und Atemfrequenz. Bestimmung der Leukozytenzahl kein geeigneter Indika-
In der Intensivmedizin wird unter einer schweren tor für eine Infektion oder eine Sepsis.
Sepsis eine Sepsis mit Organdysfunktion durch Minder- Bei Patienten ohne Verbrennungen mit Sepsis findet
durchblutung oder arterielle Hypotonie verstanden. Bei sich nicht selten eine disseminierte intravasale Gerinnung
Brandverletzten finden sich selten Organdysfunktionen (»disseminated intravascular coagulation«; DIC). Verbren-
ohne gleichzeitige arterielle Hypotonie. Daher lehnt die nungspatienten haben häufig und sehr früh im Krank-
ABA die Verwendung der Diagnose »Schwere Sepsis« heitsverlauf Störungen der Blutgerinnung. Hierzu gehören
beim Brandverletzten ab. eine Thrombozytopenie, Verminderungen der Gerinnungs-
Unter einem septischen Schock wird bei Brandverletz- faktoren-Konzentrationen und auch eine sublatente intra-
ten eine arterielle Hypotonie verstanden, die trotz aus- vasale Gerinnung. Klinisch manifeste Gerinnungsstörun-
reichender intravenöser Flüssigkeitsgabe persistiert. Aus- gen sind zumeist vorübergehend und treten in der unmit-
druck der unzureichenden Gewebeperfusion können eine telbaren posttraumatischen Schockphase auf. Im weiteren
erhöhte Blut-Laktat-Konzentration oder eine Oligurie Krankheitsverlauf bleiben sowohl das prokoagulatorische
oder Anurie sein. Diese Definition ist identisch mit den als auch das fibrinolytische System vermehrt aktiviert.
Vorgaben in der Intensivmedizin (Greenhalgh 2007). Eine manifeste intravasale Gerinnung findet sich dagegen

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146 Kapitel 17 · Sepsis

nur sehr selten. Sie ist ein Indikator für eine schlechte verhindert werden. Durch eine frühzeitige Entwöhnung
Prognose. vom Respirator und Extubation kann einer beatmungs-
Die Plasmakonzentrationen von C-reaktivem Protein assoziierten Pneumonie die Grundlage entzogen werden.
(CRP), Tumornekrosefaktor α und Interleukin 6 sind nach Blasenkatheter-bedingte Harnwegsinfektionen und eine
Verbrennungen erhöht (Drost 1998). Besonderes Interesse Katheter-assoziierte Blutstrom-Infektion können durch
hat in diesem Zusammenhang Interleukin 6 erlangt. Es das frühzeitige Entfernen der jeweiligen Katheter vermie-
induziert die Bildung von CRP in der Leber und seine Kon- den werden. Eine frühzeitige enterale Ernährung kann die
zentration stellt ein Maß für die Schwere der Entzündungs- Translokation von Bakterien aus dem Magen-Darm-Trakt
reaktion dar. Entsprechend korreliert seine Plasma-Kon- verhindern. Entsprechende Vorgehensweisen sollten fest
zentration mit der Letalität nach Verbrennungen. Gleich- in das intensivmedizinische Behandlungsregime imple-
wohl kann durch die Interleukin-6-Bestimmung im Blut mentiert werden. Die durch nationale und internatio-
keine Differenzierung zwischen der nichtinfektiösen Ent- nale Fachgesellschaften herausgegebenen Richtlinien und
zündungsreaktion im Rahmen der Verbrennungskrank- Empfehlung zur Verhinderung von Infektionen sollten be-
heit und einer Sepsis vorgenommen werden. achtet werden.
Die Bestimmung der Procalcitoninkonzentrationen im Grundsätzlich muss die Sepsistherapie mehrgleisig
Plasma stellt eine Alternative dar (Barati 2008), da hier- und zügig eingeleitet werden. Durch die frühzeitige Wie-
durch bei bakteriellen Infektionen septische von nicht- derherstellung eines ausreichenden intravasalen Volumens,
septischen Patienten differenziert werden können. Durch einer ausreichenden myokardialen Kontraktilität und einer
die tägliche Procalcitoninbestimmung kann nicht nur ausreichenden Sauerstoffversorgung der Organe kann eine
frühzeitig eine Sepsis erkannt werden, Änderungen der deutliche Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit
Plasma-Procalcitonin-Konzentration bilden die Schwere erreicht werden (Rivers 2001).
der Sepsis ab und können unter kalkulierter Antibiotika-
therapie frühzeitige Hinweise auf ein Beherrschen oder
Fortschreiten der Sepsis geben. Von einigen Autoren wird 17.4.1 Initiale Sepsistherapie
postuliert, dass durch die gleichzeitigen Bestimmungen
von Procalcitonin und CRP eine bessere Differenzierung Die Fokussanierung steht am Anfang der Sepsistherapie.
zwischen nicht-infektiöser und infektiöser Entzündungs- Allerdings ist diese Maxime beim Brandverletzten teilwei-
reaktion erreicht werden kann (Bafadhel 2011). Weiterge- se schwierig umsetzbar. Eine Brandwunde als Fokus kann
hende Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven beispielsweise nur durch ein ausgedehntes Débridement
sind notwendig. saniert werden. Dieser operative Eingriff stellt eine zusätz-
Bei allen Patienten mit Verdacht auf Sepsis sollte eine liche Belastung für den schwer erkrankten Patienten dar.
frühzeitige Fokussuche angestrebt werden. Die Inspektion Häufig ist die Identifikation der auslösenden Infektion
der Brandwunden und eine Röntgenuntersuchung der nicht augenscheinlich oder es sind konkurrierende Infekt-
Lungen sollten unverzüglich erfolgen. fokus anzuschuldigen.
Zur gezielten antimikrobiellen Therapie sollte immer Trotz fehlendem Erregernachweis muss eine kalkulier-
ein Erregernachweis angestrebt werden. Hierzu müssen te antiinfektive Chemotherapie aufgenommen werden. Die
bei Sepsisverdacht Blutkulturen sowie eine Urinkultur Wahl wird auf ein oder die Kombination mehrerer Breit-
angelegt werden und (falls möglich) die mikrobielle Unter- band-Antibiotika fallen. Sie ist abhängig vom vermuteten
suchung des Tracheal- oder Bronchialsekretes erfolgen. Infektfokus und dem zentrumsspezifischen Erregerspekt-
17 Auch sollten die Liegedauer und der Lokalbefund der Ge- rum. Zumeist sind die Gaben von Antibiotika mit ausrei-
fäßkatheter überprüft werden. chender Gewebepenetration in die Lunge und die Weich-
teile erforderlich. Eine detaillierte Darstellung findet sich
> In der Regel tritt eine Sepsis zwischen dem
in 7 Kap. 16. Wichtig ist die mikrobiologische Probenent-
zweiten und siebten posttraumatischen Tag auf
nahme vor der Aufnahme der Antibiotikatherapie. Neben
(Fitzwater 2003).
mehreren engmaschig hintereinander abgenommenen
Blutkulturen sollten die Indikationen für Untersuchungen
von Urin und Trachealsekret sowie der Brandwunden ge-
17.4 Prävention und Therapie stellt werden.
Die zeitnahe und großzügige intravasale Flüssigkeits-
Aufgrund der schlechten Prognose kommt der Verhinde- gabe ist eine wesentliche Maßnahme zur Wiederherstel-
rung einer Sepsis und eines Multiorganversagens große lung eines ausreichenden intravasalen Volumens. Durch
Bedeutung zu. Durch eine frühzeitige Nekrektomie mit die Surviving Sepsis Campaign wird die initiale Gabe eines
definitiver autologer Deckung kann eine Wundinfektion Flüssigkeitsbolus von 30 ml/kgKG empfohlen (Dellinger

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17.4 · Prävention und Therapie
147 17
2013). Nachfolgende intravenöse Flüssigkeitsgaben haben beimengung um 5 bis 8 % höher als in der oberen Hohl-
sich an der Reaktion auf diese Flüssigkeitsgabe zu orien- vene. Bei Lage der Katheterspitze in der Nähe der Leber-
tieren. Ziel ist ein Anheben des zentralvenösen Druckes venen kann es andererseits zur Beimischung von desoxy-
beim spontan atmenden Patienten auf >8 mmHg, bzw. auf geniertem Blut kommen. Daher ist die Interpretation einer
>12 mmHg unter mechanischer Beatmung. Fällt eine ini- aus der unteren Hohlvene gewonnenen Sauerstoff-Sätti-
tial erhöhte Plasma-Laktat-Konzentration, so kann dieses gung schwierig zu beurteilen. In einer neueren Untersu-
als Ausdruck der sich normalisierenden Gewebeperfusion chung wurde die Bedeutung der regelmäßigen Bestim-
gewertet werden. Welche Infusionslösungen besonders mung der zentralvenösen Sättigung bei septischen Patien-
geeignet sind, ist nicht abschließend geklärt. Lange Zeit ten in Frage gestellt (The ProCESS Investigators 2014).
wurden in Deutschland kolloide Lösungen bevorzugt. Auch wenn diese an Nichtverbrannten erhobenen Befunde
Nachdem hydroxyethylstärkehaltige Lösungen aufgrund der weiteren Bestätigung bedürfen, sollte beim septischen
von vermehrten Nierenversagen und Gerinnungsstörun- Brandverletzten nicht die Anlage eines zentralvenösen Ka-
gen (Myburgh 2013) nicht mehr empfohlen werden und theters in die obere Hohlvene erzwungen werden. Neben
auch für andere synthetische Kolloide, wie Gelatinelösun- dem Zeit- und Personalaufwand muss auch das Risiko
gen, keine breite Akzeptanz besteht, werden großzügig durch verbranntes oder operiertes Areal einen invasiven
kristalloide Lösungen eingesetzt. Ob der Einsatz von albu- Gefäßzugang zu legen gegen den geringen oder auch frag-
minhaltigen Lösungen zukünftig breite Anwendung fin- würdigen Erkenntnisgewinn abgewogen werden.
den wird, bleibt abzuwarten. Die Diurese sollte ≥0,5 ml/kgKG betragen. Die An-
Durch den Einsatz von Katecholaminen soll der arte- wendung von Diuretika sollte vermieden werden, da hier-
rielle Mitteldruck auf ≥65 mmHg angehoben werden. durch die Interpretation der quantitativen Diurese beein-
Hierzu bieten sich bei vermindertem Herzminutenvo- trächtigt wird.
lumen das β-Sympathomimetikum Dobutamin und bei Da die Beeinträchtigung der Oxygenierung eine we-
vermindertem systemisch-vaskulärem Gefäßwiderstand sentliche Rolle bei der Sepsis spielt und aufgrund der frei-
der α-Agonist Noradrenalin an. Die Anwendung von gesetzten Entzündungsmediatoren die Entwicklung von
Dopamin gilt als obsolet. Hilfreich für die differenzierte pulmonalen Gefäß-Shunts droht, sollte die Indikation
Therapiesteuerung ist ein erweitertes hämodynamisches zur kontrollierten Beatmung engmaschig geprüft werden.
Monitoring. Der Pulmonalarterienkatheter wird heute nur Neben der Anwendung einer erhöhten inspiratorischen
noch in Ausnahmefälle Anwendung finden, die Pulskon- Sauerstoff-Konzentration wird durch die maschinelle
turanalyse in Form des PiCCO-Messverfahrens hat sich in Atmung der Sauerstoff-Verbrauch durch Entlastung
den letzten Jahren als geeignetes Überwachungsverfahren der Atemarbeit vermindert. Die maschinelle Beatmung
etabliert. sollte beim Erwachsenen spätestens aufgenommen wer-
Bei Sepsis besteht eine Weitstellung der arteriellen den bei:
Gefäße. Daher ist nach ausreichender intravenöser Flüs- 4 Atemfrequenz über 35/min
sigkeitsgabe und bei Fortbestehen der arteriellen Hypo- 4 Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
tonie die kontinuierliche intravenöse Noradrenalinappli- 4 verminderte Vigilanz
kation erforderlich. Die Dosierung liegt zwischen 0,01 und 4 Abfall der arteriellen Sauerstoffsättigung <90 %
1 μg/kgKG/min. Dobutamin wird bei einem Abfall des
Herzminutenvolumen-Index <2,5 l/min/m2 eingesetzt.
Die Dosierung liegt zwischen 2,5 und 20 μg/kgKG/min. 17.4.2 Weiteres Sepsismanagement
Unter Dobutamingabe kann es zur Tachyarrhythmie kom-
men. Eine β2-vermittelte Vasodilatation mit Abfall des Die initial aufgenommenen therapeutischen Maßnahmen
arteriellen Blutdrucks ist nicht selten. sollten fortgeführt werden. Gegebenenfalls muss die Anti-
Entsprechend den Empfehlungen der Surviving Sepsis biotikatherapie entsprechend den mikrobiologischen Be-
Campaign soll durch dieses Vorgehen ein Anstieg der zen- funden hinterfragt und angepasst werden. Sofern nicht
tralvenösen Sauerstoffsättigung auf >70 % erreicht werden bereits in der Stabilisierungsphase erfolgt, sollen die Liege-
(Dellinger 2013). Die Überwachung der zentralvenösen dauern der Gefäßkatheter überprüft und gegebenenfalls
Sauerstoffsättigung ist beim Schwerbrandverletzten häufig ein Wechsel der invasiven Zugänge durchgeführt werden.
nicht möglich. Diese wird in der oberen Hohlvene be- Während der wiederholten Entnahme von Blutkulturen
stimmt. Bei einem hohen Prozentsatz der Brandverletzten eine große Bedeutung zugesprochen wird, ist die mikro-
ist der zentralvenöse Katheter über die Leistenregion ange- biologische Untersuchung der Katheterspitze zunehmend
legt, da diese Region häufig nicht verletzt ist. Die Katheter- in der Hintergrund getreten.
spitze findet sich somit in der unteren Hohlvene. Hier liegt Solange durch intravenöse Flüssigkeitsgaben und
die Sauerstoffsättigung aufgrund der großen renalen Blut- adäquate Noradrenalindosierung ein mittlerer arterieller

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148 Kapitel 17 · Sepsis

Blutdruck von >65 mmHg aufrecht erhalten wird, ist auf mung verursachen, die durch Erythropoetingabe nicht
die Gabe von Glukokortikoiden zu verzichten. Nur unter vermindert wird.
hohen Noradrenalin-Gaben kann die Gabe von Hydro- Die Transfusion von Frischplasma hat ausschließlich
kortison gerechtfertigt sein. Diese sollte nicht als Bolus bei manifester Blutungsneigung und nicht zur Korrektur
erfolgen, sondern durch die kontinuierliche intravenöse pathologischer Gerinnungsparameter zu erfolgen. Die
Applikation von täglich 200 mg durchgeführt werden. So- Gabe von Thrombozytenkonzentraten sollte bei Unter-
bald wieder eine mittlere oder niedrige Noradrenalindo- schreiten einer Konzentration von 20.000/μl erfolgen. Im
sierung erreicht wird, ist über mehrere Tage die schritt- Rahmen ausgedehnter Operationen ist ein Anheben auf
weise Reduktion und Beendigung der Hydrokortison-Gabe 50.000 bis 80.000/μl gerechtfertigt. Eine Thrombosepro-
durchzuführen. Die in der Vergangenheit sehr großzügige phylaxe entsprechend den etablierten Standards ist auch
Hydrokortisongabe bei Patienten mit niedriger Noradrena- beim septischen Brandverletzten durchzuführen.
lingabe hat zu keiner Prognoseverbesserung geführt. Beob- Die hochdosierte Substitution von Selen ist beim septi-
achtet wurden aber häufig Hyperglykämien, die nur durch schen Patienten ohne Überlebensvorteil. Da bei den Patien-
hochdosierte Insulingaben zu beherrschen waren. ten aber häufig eine verminderte Serum-Selen-Konzen-
Als weiterer Vasokonstriktor steht Vasopressin zur tration angetroffen wird, ist die 7-tägige Gabe von täglich
Verfügung. Sein Einsatz ist nur bei sehr hohen Noradrena- 500–2000 μg verbreitet. Weitere Therapieansätze, wie die
lindosierungen gerechtfertigt. Erfahrungen beim Brand- Gaben von Antithrombin III, Mediatorenantagonisten,
verletzten zeigen einen blutdrucksteigernden und einen hochdosiertem N-Acetylcystein oder Immunglobulinen
fraglichen diuretischen Effekt. Jedoch kann es hierunter führen beim Brandverletzten mit Sepsis nicht zu einer Ver-
zu oberen gastrointestinalen Blutungen, peripheren Min- besserung der Prognose.
derdurchblutungen und zum fehlenden Transplantatein-
wachsen kommen (Cartotto 2007).
Es sollte immer eine enterale Ernährung angestrebt 17.5 Infektionsorte
werden. Aufgrund einer Gastroparese gelingt diese trotz
Anwendung von Prokinetika häufig nur nach Anlage einer Es liegen nur wenige Untersuchungen über die Verteilung
jejunalen Ernährungssonde. Beim Brandverletzten ist der der Infektionsquellen beim Brandverletzten vor (. Tab. 17.1;
Einsatz einer Immunonutrition belegt und sollte auch im Mozingo 2014). Demnach sind Infektionen der Atemwege
Rahmen der Sepsis erfolgen. Die parenterale Ernährung am häufigsten. Eine isolierte Bakteriämie findet sich eben-
bleibt Patienten mit Ileus, therapierefraktärer Gastroparese falls häufig, gefolgt von Harnweginfekten. In den letzten
oder schwerer Minderernährung vorbehalten. Bei septi- Jahrzehnten ist es zu einer kontinuierlichen Abnahme der
schen Nichtverbrennungspatienten führt der intravenöse Häufigkeit von Wundinfektionen gekommen. Bemühungen
Einsatz von Glutamin zu einer erhöhten Letalität und wird die Diagnosekriterien zu standardisieren sind beim Brand-
daher abgelehnt, andererseits wird der Einsatz beim Brand- verletzten noch unzureichend.
verletzten unverändert für sinnvoll erachtet (Elke 2013).
Ein abschließende Beurteilung über den Einsatz von Gluta-
min beim septischen Brandverletzten steht aus. 17.5.1 Tracheobronchitis und Pneumonie
Entsprechend dem Vorgehen bei anderen Intensivpa-
tienten werden unter der Ernährung Blutzuckerkonzen- Insbesondere als Folge eines Inhalationstraumas kann es
trationen ≤180 mg/dl (10 mmol/l) toleriert. Die in der Ver- zur chemischen Tracheobronchitis kommen. Die muko-
17 gangenheit übliche Insulingabe bei Blutzuckerkonzentra-
tionen >110 mg/dl (6 mmol/l) führte häufig zu einer schwe-
ren Hypoglykämie, die den Patienten zusätzlich belastete. . Tab. 17.1 Häufigkeit der Infektquellen bei Schwerbrand-
verletzten. Nach (Mozingo 2014)
Die Sepsis führt zu einer verminderten Sauerstoffver-
sorgung des Gewebes. Um diese nicht zu verstärken, ist Lokalisation Häufigkeit (%)
eine Anämie zu vermeiden. Hierbei sind Hämoglobinwer-
te von >9 g/dl (5,2 mmol/l) ausreichend. Eine präoperative Pneumonie 24
Anhebung auf 10 g/dl (6,2 mmol/l) kann gerechtfertigt Bronchitis 11
sein, da im Rahmen von Nekrektomien Blutverluste zu er-
Harnweginfekt 24
warten sind und ein Abfall der Hämoglobinkonzentration
<7 g/dl (4,4 mmol/l) vermieden werden muss. Die Gabe Bakteriämie 29
von Erythropoetin ist ohne Einfluss auf die Transfusions- Brandwunde 3
häufigkeit beim septischen Patienten, da Verbrennungs-
Sonstige 9
krankheit und Sepsis eine deutliche Knochenmarkhem-

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17.5 · Infektionsorte
149 17
ziliäre Reinigungsfunktion ist beeinträchtigt und nekro- kann die Diagnose irrtümlich gestellt werden. 38 % aller
tische Epithelzellen stellen einen idealen Nährboden für Patienten mit einem Inhalationstrauma entwickeln eine
Mikroorganismen dar. So kann es zur Kolonisation und Pneumonie. Unter Analgosedierung und kontrollierter
Infektion des Tracheobronchialbaums kommen. Eine Dif- mechanischer Beatmung kann es zur beatmungsassoziier-
ferenzierung zwischen chemischer und infektiöser Tracheo- ten Pneumonie (»ventilator associated pneumonia«, VAP)
bronchitis ist kaum möglich. Auch sollte berücksichtigt kommen. Diese entsteht auf zwei Wegen: Durch das Ein-
werden, dass sich aus einer Tracheobronchitis eine Infek- atmen bzw. das Aspirieren von Bakterien oder durch häma-
tion der tiefen Atemwege und eine Pneumonie entwickeln togene Aussaat. Letztere findet sich erst nach einem länge-
können. ren Krankheitsverlauf. Sie ist gekennzeichnet durch bilate-
Die Symptome einer Pneumonie finden sich beim rale Infiltrationen und eine erhöhte Sterblichkeit.
Schwerbrandverletzten häufig in der Akutphase. Als Folge Durch eine Pneumonie kommt es zum Anstieg der
des Hypermetabolismus kommt es zu einem vermehrten Mortalität um 40 %. Die höchsten Pneumonierate findet
Sauerstoffverbrauch mit Hyperthermie und Tachypnoe. sich bei alten Patienten und Kindern (Gauglitz 2012).
Beeinträchtigungen der Oxygenierung sind nach einem
Inhalationstrauma oder massiver intravenöser Gabe kris-
talloider Lösungen nicht selten anzutreffen. 17.5.2 Harnweginfektionen
Der Verdacht auf eine Pneumonie sollte geäußert wer-
den bei neu aufgetretenen pulmonalen Infiltraten in der Harnweginfektionen finden sich fast ausschließlich bei
Röntgenuntersuchung und eitrigem Trachealsekret. Eine Patienten mit liegenden Harnblasenkathetern. Üblicher-
mikrobiologische Sicherung ist immer anzustreben. Hier- weise erfolgt die Unterscheidung zwischen Infektionen der
bei gelten die Nachweise von >105 Mikroorganismen/ml oberen und der unteren ableitenden Harnwege. Eine Infek-
im rachealsekret oder von >104 Erregern/ml in der bron- tion der oberen Harnwege, wie eine Pyelonephritis, findet
chalveolären Lavage als positiv. Auf die Untersuchung sich beim Schwerbrandverletzten selten (Gauglitz 2012).
von Sputum sollte grundsätzlich verzichtet werden, da sich Dagegen sind Infektionen der unteren ableitenden Harn-
hierin fast immer nur physiologische Standortflora nach- wege häufig. Falls im Harn der Nachweis von mehr als 105
weisen lässt. Tritt eine Pneumonie binnen zwei Tagen nach Mikroorganismen pro ml gelingt, besteht mit hoher Wahr-
der trachealen Intubation auf, ist sie meist Folge einer Aspi- scheinlichkeit eine Infektion. Verantwortlich sich häufig
ration und hat häufig eine gute Prognose. Mit zunehmen- Gram-negative Bakterien, wie Escherichia coli oder Enter-
der Krankheitsdauer finden sich die gleichen Mikroorga- bacterarten sowie Candidaspezies. Therapeutische Heraus-
nismen auf den Wunden und im Tracheobronchialbaum forderungen können aber auch gegen mehrere Antibiotika-
(Ramzy 1998). Insbesondere finden sich Staphylococcus klassen resistente Enterokokken darstellen. Unter einer
aureus, Pneumokokken, Pseudomonas aeruginosa und entsprechenden antimikrobiellen Therapie und nach Wech-
Acinetobacter baumanii (Rogers 2014). Mit zunehmendem sel des Harnblasenkatheters sind die Infektionen häufig
Krankheitsverlauf treten Problemkeime in den Vorder- zu beherrschen. Sie können aber auch der Ausgangspunkt
grund, wie Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus- perakut verlaufender Sepsisfälle sein.
Stämme (MRSA) und gegen mehrere Antibiotikaklassen
resistente Gram-negative Bakterien (3MRGN und 4MRGN).
Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang 17.5.3 Bakteriämie und katheterassoziierte
Carbapenemase-bildende Gram-negative Erreger. Infektion
Bei klinischen Zeichen einer Pneumonie und posi-
tivem mikrobiologischem Nachweis gilt die Diagnose Bei einer Bakteriämie muss eines der folgenden Kriterien
einer Pneumonie als gesichert. Bei fehlendem mikrobio- erfüllt sein (Gallagher 2012):
logischem Nachweis und deutlichen klinischen Zeichen ist 1. Nachweis von mindestens zwei positiven Blutkulturen
eine Pneumonie wahrscheinlich. Dagegen ist bei geringen mit einem pathogenen Erreger oder eine positive
klinischen Hinweisen und positivem mikrobiologischem Blutkultur und klinische Zeichen der Sepsis.
Nachweis eine Pneumonie möglich. Von einer Sepsis bei 2. Nachweise eines hautbesiedelnden Erregers (z. B.
Pneumonie kann bei klinischen Zeichen einer Pneumonie koagulasenegative Staphylokokken) in mindestens
mit zunehmender hämodynamischer Instabilität und po- zwei Blutkulturen, von denen zumindest eine durch
sitivem Erregernachweis ausgegangen werden. Venenpunktion gewonnen wurde und klinische
Trotzdem ergeben sich bei der Diagnosestellung einer Zeichen einer Sepsis.
Pneumonie immer wieder Schwierigkeiten. Aufgrund eines
Inhalationstraumas oder eines nichtinfektiösen Lungenver- Bei der primären Bakteriämie gelingt der Erregernachweis
sagens (ARDS) mit Nachweis pulmonaler Infiltrationen ausschließlich im Blut während bei der sekundären Bakte-

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150 Kapitel 17 · Sepsis

riämie der Nachweis zusätzlich an anderer Stelle des Pa- 17.6 Multiorganversagen
tienten gelingt.
Eine katheterassoziierte Infektion liegt vor, wenn sich 17.6.1 Definition
bei Sepsis kein anderer Fokus findet und die klinischen
und laborchemischen Zeichen der Sepsis sich binnen Man versteht hierunter das gleichzeitige Versagen von
24 Stunden nach dem Entfernen des Katheters zurück bil- mindestens zwei vital wichtigen Organsystemen. Am häu-
den. Gleichzeitig muss der Erregernachweis im Blut oder figsten sind die Lungen mit Beeinträchtigung der Oxyge-
auf der Katheterspitze geführt werden. nierung und das Herz-Kreislauf-System mit arterieller
Katheterassoziierte Infektionen sind häufiger nach Ka- Hypotonie und Tachykardie betroffen. Bei <5 % der Pati-
theteranlagen durch verbrannte Hautareale und bei ingui- enten mit Multiorganversagen ist die Leberfunktion be-
naler Anlage (Silva 2014) anzutreffen. Beim Brandverletzten troffen. In der Intensivmedizin sind unterschiedliche
finden sich Infektionsraten von ≤20 katheterassoziierten Schweregradeinteilungen gebräuchlich, bei denen neben
Infektionen pro 1000 Anwendungstage (Greenhalgh 2007). der Anzahl der Organsysteme auch die Schwere ihrer Dys-
Neben Pilzen finden sich Gram-negative als auch Gram- funktion klassifiziert wird. Beim Schwerbrandverletzten
positive Erreger. wird eine modifizierte Klassifikation nach Marshall emp-
Häufig gelingt ein identischer Erregernachweis in fohlen (. Tab. 17.2; Cook 2001). Alternativ wird die An-
den Brandwunden und auf den infizierten Katheterenden. wendung des SOFA-Systems empfohlen. Alle Schwere-
Angeschuldigt wird das Eindringen der Erreger von der gradeinteilungen wurden an Nichtverbrannten validiert
Brandwunde in das Gefäßsystem mit nachfolgender Kolo- und haben im klinischen Alltag nur geringe Verbreitung
nisation des Katheters. Ob durch die Verwendung von gefunden. Zu berücksichtigen ist, dass in den ersten drei
teflon- oder antibiotikabeschichteten Kathetern eine Re- Tagen nach dem Trauma keine Schweregradeinteilung des
duktion der Infektionsraten beim Brandverletzten erreicht Multiorganversagens erfolgen darf. Grund ist die regelhaft
werden kann, ist unklar. auftretende initiale Schockphase der Verbrennungskrank-
Bei der Anlage von Gefäßkathetern ist eine streng heit mit vorübergehenden Organdysfunktionen, die zu-
antiseptische Vorgehensweise einzuhalten. Feste Wechsel- nächst überwinden werden müssen.
intervalle werden abgelehnt. Ein Gefäßkatheter muss aber Zwischen 40 und 60 % aller Patienten mit Verbren-
bei lokaler Rötung oder Druckschmerzhaftigkeit unver- nungen von >20 % der Körperoberfläche (verbrannte
züglich gewechselt werden. Bei fehlender Indikation sollte Körperoberfläche, VKOF) entwickeln ein Multiorganver-
der Gefäßkatheter unverzüglich entfernt werden um eine sagen. Auch wenn dieses ohne eine Infektion auftreten
mögliche Eintrittspforte für Erreger zu schließen. kann, so ist es nach Überwindung der Schockphase bei
>80 % mit einer Sepsis vergesellschaftet (Fitzwater 2003).
In der Regel tritt es vier Tage nach Bestehen einer Sepsis
17.5.4 Sonstige Infektionen auf. Die Mortalität steigt mit der Anzahl der versagenden
Organsysteme (Nguyen 2009).
Neben der Wundinfektion kann es zu abdominellen Infek- Risikofaktoren für das Auftreten eines Multiorganver-
tionen kommen. Als Folge der initialen Schockphase droht sagens sind:
die Minderperfusion der Darmmukosa mit resultierender 4 Lebensalter >50 Jahre
Translokation von Erregern oder ihren Toxinen. 4 Verbrennungen Grad III von >30 % der Körperober-
An weiteren Infektionen kommen eine Chondritis, fläche
17 eine Sinusitis und Infektionen des Auges und der Tränen- 4 Inhalationstrauma
drüsen und -gänge vor. Die Endokarditis wird beim Brand- 4 männlicher Patient
verletzten häufig erst post mortem festgestellt, weshalb
die Dunkelziffer erheblich sein dürfte (Apple 2002). An sie
sollte bei mehrfachem Nachweis eines identischen Erre- 17.6.2 Akutes Lungenversagen
gers in den Blutkulturen gedacht werden. In der transthora-
kalen oder transoesophagealen Echokardiografie können Etwa die Hälfte der Patienten mit einem Multiorganver-
sich typische Veränderung nachgewiesen werden. sagen entwickeln ein ARDS (»acute respiratory distress
Bei unzureichendem Impfschutz treten vereinzelt nach syndrome«, ARDS). Die neu eingeführte Berlin-Klassifi-
ausgedehnten Verbrennungen Tetanus-Erkrankungen auf. kation ist gut geeignet bei Brandverletzten die Schwere des
Insgesamt ist diese Infektion aber selten und wird daher Lungenversagens aufzuzeigen (Bordes 2014). Hierbei wer-
nicht näher dargestellt (Weitergehende Darstellung in: den drei Schweregrade unterschieden.
Gallagher 2012).

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17.6 · Multiorganversagen
151 17

. Tab. 17.2 Scoring-System des Multiorganversagens. Nach (Cook 2001)

Organsystem, Parameter, Einheit 0 1 2 3 4

Herz-Kreislauf (Schläge/min) ≤120 120-140 >140 Inotropiegabe Laktat


>5 mmol/l

Atmung: Oxygenierungsindex >300 226-300 151-225 76-150 ≥75


(PaO2/FiO2)

Niere: Kreatinin (μmol/l) ≤100 101-200 201-350 351-500 >500

ZNS (Glasgow coma score) 15 13-14 10-12 7-9 ≤6

Leber: Gesamtbilirubin (μmol/l) ≤20 21-60 61-120 121-240 >240

Blut: Thrombozytenzahl (×103/μl) >120 81-120 51-80 21-50 ≤20

FiO2 »fractional inspired oxygen«, inspiratorische Sauerstoffanteil; PaO2 »partial pressure of oxygen«, alveolärer Sauerstoffpartialdruck
(mmHg)

Kohlendioxydkonzentration einen arteriellen pH-Wert


Berlin-Definition von ARDS (modifiziert von >7,2 zu gewährleisten.
nach Bordes 2014) Lagerungsmaßnahmen, einschließlich der Anwendung
5 Schweregrad: Oxygenierungindex (PaO2/FiO2) der intermittierenden Bauchlage, werden beim Brandver-
bei PEEP ≥5 cm H2O letzten mit wechselndem Erfolg angewendet. Im eigenen
– mildes ARDS: 200 bis ≤300 mmHg Patientengut wird auf die Benutzung von Lagerungsbetten
– moderates ARDS: 100 bis ≤200 mmHg (z. B. Rotorest) verzichtet, da die hierin weiterhin mög-
– schweres ARDS: ≤100 mmHg lichen tangentialen Bewegungen der Patienten zu einer
chronischen Schädigung der aufliegenden Hautareale und
Zusätzlich müssen die folgenden Bedingungen erfüllt der Transplantate führen.
sein: Alternative Therapiemaßnahmen, wie die Hochfre-
5 Entstehungszeit quenzbeatmung und die Inhalation mit Heparin sollten
– innerhalb von einer Woche nach Schädigung oder nur im Rahmen von Studien durchgeführt werden. Die
– Neuauftreten/Verschlechterung einer respirato- erfolgreiche Anwendung der extrakorporalen Membran-
rischen Symptomatik oxygenierung (ECMO) beim Brandverletzten mit ARDS
5 Röntgenaufnahme des Thorax ist beschrieben worden (Asmussen 2013).
– beidseitige pulmonale Verdichtungen Im eigenen Patientengut wird ein ARDS nach >20 %
5 Ursache der Flüssigkeitseinlagerungen VKOF nicht selten beobachtet, jedoch versterben diese
– Ausschluss kardiales Lungenödem oder Patienten extrem selten in der Hypoxämie.
– Ausschluss Flüssigkeitsüberladung, z. B. durch
Echokardiografie
17.6.3 Akutes Nierenversagen

Sie korrelieren mit der Letalität. Die intensivmedizinische Beeinträchtigungen der Nierenfunktion sind beim Brand-
Behandlung des ARDS beim Brandverletzten unterschei- verletzten nicht ungewöhnlich Die Häufigkeit des akuten
det sich nicht von der bei anderen Intensivpatienten. Hier- anurischen Nierenversagens beim Schwerbrandverletzten
bei erfolgt die druckkontrollierte Beatmung mit einem variiert zwischen 0,5 und 30 %. Die Mortalität schwankt
Tidalvolumen von 6 ml/kgKG Idealgewicht und einem zwischen 56 und 100 %. Besonders ungünstig ist die Pro-
Beatmungsspitzendruck von ≤30 cm H2O (ARDS Network gnose bei Sepsis und Multiorganversagen sowie bei einem
Investigators 2000). Die meisten Patienten profitieren von Patientenalter von >40 Jahren. In einer Untersuchung
einem erhöhten endexspiratorischen Atemwegdruck, der korrelierte das Auftreten eines akuten Nierenversagens mit
in Abhängigkeit von der inspiratorischen Sauerstoffkon- der Verbrennungsschwere: Bei >65 % VKOF war das Risiko
zentration bis auf >20 cm H2O gesteigert wird. Hierunter eines akuten Nierenversagens um das 9,9-fache erhöht
ist dann häufig ein Beatmungsspitzendruck von ≥35 cm gegenüber Patienten mit einer VKOF von <65 % (Kim
H2O erforderlich, um ein ausreichendes Tidalvolumen zu 2003). In dieser Patientengruppe war das Sterberisiko 14-
gewährleisten und gleichzeitig bei erhöhter arterieller fach erhöht.

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152 Kapitel 17 · Sepsis

> Das akute Nierenversagen zeigt zwei Häufigkeits- im Vergleich zu anderen Patienten mit akutem Nieren-
gipfel. Es tritt als frühes Nierenversagen in den ers- versagen eine längere Dauer der Nierenersatztherapie er-
ten Tagen nach dem Trauma während des Verbren- forderlich ist. Anwendungen über mehrere Wochen sind
nungsschocks auf. Das späte Nierenversagen tritt nicht ungewöhnlich.
zwei bis drei Wochen nach Krankheitsbeginn auf. In Brandverletztenzentrum wird zumeist die konti-
nuierliche venovenöse Nierenersatztherapie durchgeführt.
Ursachen des frühen Nierenversagens sind ein prolon- Es stehen die Hämodialyse, die Hämofiltration und eine
gierter hypovolämer Schock bei unzureichender Flüssig- Kombination beider Verfahren in Form der Hämodiafil-
keitsgabe, eine Myoglobinurie oder eine ausgedehnte tration zur Verfügung. Bei der Hämodialyse werden durch
Hämolyse (Mariano 2010). Die Ursachen für das späte diffusiven Transport harnpflichtige Substanzen entfernt.
Nierenversagen sind häufig multifaktoriell. Neben Hypo- Es strömt das Blut entlang einer semipermeablen Mem-
volämie, Entzündungsmediatoren und ausgedehnten Ge- bran, auf deren anderen Seite im Gegenstrom eine Elektro-
webezerstörungen mit Freisetzung denaturierter Proteine lytlösung entlang fließt. Hierdurch werden überwiegend
spielen auch die Gaben nephrotoxischer Medikamente kleine Moleküle aus dem Blut entfernt. Bei der Hämofil-
oder iatrogene Ursachen wie der Stress durch rezidivie- tration erfolgt die Ultrafiltration des Blutes über eine semi-
rende Operationen eine Rolle. Vereinzelt tritt ein Nieren- permeable Membran. Hierunter wird Plasmawasser abfil-
versagen im Rahmen eines abdominellen Kompartment- triert und die darin gelösten Stoffe werden mitgerissen,
syndroms auf. Die bei weitem häufigste Ursache ist die sofern die Membran für diese Substanzen durchlässig ist.
Sepsis. Das herausgelöste Plasmawasser wird durch eine extern
Zur Definition des Nierenversagens sollten auch beim zugeführte Lösung ersetzt. Durch die Hämofiltration wer-
Brandverletzten die RIFLE(»risk, injury, failure, loss of den mittelgroße und große Moleküle bis 40 kDa aus
function, end stage kidney disease«)-Kriterien angewendet dem Blut entfernt. Kleine Moleküle werden durch die
werden (. Tab. 17.3). Die Serum-Kreatinin-Konzentration von extern zugeführte Lösung langsam verdünnt. Bei der
ist kein sensitiver Parameter zur Abschätzung der Nieren- Hämodiafiltration handelt es sich um eine Kombination
funktion. Insbesondere bei ausgedehnter Katabolie mit beider Reinigungsverfahren. Ob eine Hämofiltration, eine
Abbau der Muskulatur kommt es zum Abfall der Serum- Hämodialyse oder eine Kombination beider Verfahren
Konzentration. Eine sensitivere Abschätzung der Nieren- überlegen ist, ist unklar.
funktion stellt die Serum-Bestimmung des Cystatin C dar In der Vergangenheit wurde die Nierenersatztherapie
(Shlipak 2013). Ob diese sich in der Überwachung des unter kontinuierlicher intravenöser Heparin-Gabe durch-
Brandverletzten etablieren wird, bleibt abzuwarten. geführt. Eine gehäufte Blutungsrate aus den chirurgisch
Die Anwendung von Diuretika ist in der Regel beim versorgten Brandwunden und Escharotomien wurde da-
Nierenversagen des Brandverletzten nicht erfolgverspre- runter berichtet. Als Alternative bietet sich die Zitrat-ba-
chend. Daher sollte eine frühzeitige Nierenersatztherapie sierte lokale Antikoagulation an, die von vielen Brandver-
aufgenommen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass letztenzentren erfolgreich angewendet wird.

. Tab. 17.3 RIFLE-Kriterien der Niereninsuffizienz

Ausmaß der Schädigung Serumkreatininkonzentration/Befund Urinproduktion


17 (ml/kg/h)

Risiko (»risk«) Anstieg um das 1,5-Fache oder Abnahme der glomerulären <0,5 über 6 h
Filtrationsrate um >25 % verglichen mit dem Ausgangswert

Beeinträchtigung (»injury«) Anstieg um das 2-Fache oder Abnahme der glomerulären <0,5 über 12 h
Filtrationsrate um >50 % verglichen mit dem Ausgangswert

Akutes Versagen (»failure«) Anstieg um das 3-Fache oder Abnahme der glomerulären Anurie über 12 h
Filtrationsrate um >75 % verglichen mit dem Ausgangswert oder
Anstieg auf ≥4 mg/dl (354 μmol/l) mit einem akuten Anstieg
um ≥0,5 mg/dl (44 μmol/l)

Längerdauernder Funktionsverlust Persistierendes Nierenversagen bei komplettem Funktionsverlust


(»loss of function«) über ≥4 Wochen

Irreversibler Funktionsverlust (»end Terminales Nierenversagen über ≥3 Monate


stage kidney diesease«)

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17.7 · Systemische Pilzinfektionen
153 17
17.6.4 Leberversagen Spezies Candida kommen Schimmelpilzerkrankungen
vor. Hierbei handelt es sich um Erreger der Gattungen
Binnen weniger Tage nach dem Trauma entwickeln Aspergillus, Rhizopus, Mucor, Rhizomucor, Fusarium und
Brandverletzte eine vergrößerte Leber, die während dem Absidia (Katz 2013). Einzelfallberichte liegen über Infek-
gesamten weiteren intensivmedizinischen Aufenthalt tionen mit Penicillium und Trichosporon vor.
nachweisbar ist. Durch das thermische Trauma kommt Hefen kolonisieren häufig die Brandwunde. Nur selten
es zu einer Leberverfettung, deren Grad von der Verbren- werden Wundinfektionen, Harnweginfektionen oder eine
nungsausdehnung abhängig ist. Hierunter kommt zu einer Sepsis beobachtet. Der Nachweis von Candidaspezies im
Verminderung der Abwehrfunktion des retikulärendo- Tracheobronchialbaum weist auf eine Kolonisation hin
thelialen Systems und zur Beeinträchtigung der Synthese- und stellt keine Indikation zur Aufnahme einer antimyko-
leistungen der Leber. Die Rate an bakteriellen Transloka- tischen Therapie dar.
tionen nimmt entsprechend zu (Barret 2001). Dagegen zeigen Schimmelpilze häufig ein aggressives
Zusätzlich kommt es nach dem Verbrennungstrauma und invasives Wachstum. Außer der Brandwunde können
zum kontinuierlichen Untergang von Leberzellen bei sie Infektionen der Lungen, des Darmes, des Gehirns und
gleichzeitiger Proliferation der verbliebenen Hepatozyten. der ableitenden Harnwege verursachen. Auch generali-
Es kommt zunächst zum fibrotischen und im weiteren sierte Infektionen sind nicht ungewöhnlich. Zunächst be-
Verlauf zum zirrhotischen Organumbau. Daraus resultiert siedeln diese Pilze das avitale Gewebe. Von dort breiten
eine langsam fortschreitende Verschlechterung der Leber- sie sich in das vitale Gewebe aus. Einige Pilzarten besitzen
syntheseleistung bis hin zum Leberausfall. Dieser langsam die Fähigkeit der Invasion in Gefäße (Angioinvasion) mit
fortschreitende Krankheitsprozess erklärt, weshalb ein kli- ausgedehnter Thrombenbildung. Hierdurch kommt es zu
nisch relevantes Leberversagen im Krankheitsverlauf erst avaskulären Nekrosen. Klinisch imponieren eine rasch
nach ≥4 Wochen auftritt. fortschreitende dunkle Verfärbung der nekrotischen Haut
Da der Umbauprozess der Leber zwar durch das oder neu auftretende Hautnekrosen.
Trauma angestoßen, im weiteren Verlauf aber eigenge- Der direkte Nachweis einer invasiven Hefe- oder
setzmäßig fortschreitet, ist es nicht ungewöhnlich, dass Schimmelpilz-Infektion gelingt in der Regel nur durch die
Patienten nach ausgedehnten Verbrennungen einen chro- Biopsie. Bei Hinweisen auf eine systemische Infektion
nischen Leberschaden erwerben. Laborchemisch impo- kann der Serum-Nachweis von 1,3-β-D-Glucan, Mannan
nieren eine Hyperbilirubinämie und eine Verminderung oder Galactomannan hilfreich sein. Alle drei Zucker-
der plasmatischen Gerinnungsfaktoren. Einen kausalen derivate sind Zellwandbestandteile unterschiedlicher Pilz-
Therapieansatz gibt es nicht. Bei fortschreitendem Leber- Spezies. 1,3-β-D-Glucan kommt bei Aspergillen, Fusarien
ausfall und zunehmendem Abstand zum Initialtrauma und Candida vor. Es kann aber auch nachgewiesen werden
kann die Vorstellung zur Lebertransplantation erwogen in Trichosporon, Coccidia, Histoplasma und Pneumo-
werden. cystis jiroveci. Bei Nachweisen von Mannan und Galac-
Zu trennen ist hiervon die häufig anzutreffende akal- tomannan im Serum besteht der hochgradige Verdacht
kulöse Cholezytitis. Im Vordergrund stehen die labor- auf eine systemische Candida- bzw. Aspergillusinfektion
chemischen Auffälligkeiten einer Cholestase. Neben der (Yeo 2002).
früher üblichen Cholezystektomie werden heute zumeist Da auf den Standardnährböden Pilze langsam wach-
eine songraphisch gestützte perkutane transhepatische sen, gelingt der kulturelle Nachweis erst nach einer oder
Cholezystostomie (PTC) oder die endoskopische Anlage zwei Wochen. Venös gewonnene Blutkulturen ergeben
einer nasobiliären Sonde durchgeführt (Owen und Jain, bei Schimmelpilzen nicht selten negative Befunde, da die
2005). Als Folge des langen intensivmedizinischen Aufent- Pilzmyzele zu groß sind, um durch das Kapillarstrombett
haltes kann es zur aszendierenden Cholangitis mit Strik- hindurch zu passieren. Häufiger gelingt der Nachweis im
turen des Ductus choledochus kommen. In diesen Fällen arteriellen Blut und durch mykotische Embolien in den
kann eine endoskopische Stent-Einlage in die Gallengänge Augengefäßen.
indiziert sein. Beim Nachweis von Candida kann eine systemische
Infektion beim Nachweis an unterschiedlichen Lokalisa-
tionen vermutet werden. Beweisend ist der histologische
17.7 Systemische Pilzinfektionen Nachweis einer Gewebeinvasion.
Wesentlich ernster ist der Nachweis von Schimmel-
Pilzinfektionen werden beim Brandverletzten seit der An- pilzen zu nehmen, da es sich häufig um rasch fortschrei-
wendung von antimikrobiellen Lokaltherapeutika und der tende invasive Infektionen handelt. Die Einleitung einer
systemischen Gabe von Breitbandantibiotika zunehmend antimykotischen Therapie sollte daher aufgenommen
häufiger beobachtet. Neben Infektionen mit Hefen der werden.

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154 Kapitel 17 · Sepsis

Neben liposomalem Amphotericin B stehen die Azole Dellinger RP, Levy MM, Rhodes A, Annane D, Gerlach H, Opal SM,
Voriconazol und Posaconazol sowie die Echinocandine Sevransky JE, Sprung CL et al (2013) Surviving Sepsis Campaign:
International Guidelines for management of severe sepsis and
Caspofungin und Anidulafungin zur Verfügung. Aufgrund
septic shock: 2012. Crit Care Med 41:580–637
seiner guten Wirksamkeit und Gewebepenetration sollte Drost AC, Burleson DG, Cioffi WG, Jordan BS, Mason AD, Pruitt BA
bei Aspergillus-Infektionen Voriconazol eingesetzt werden. (1993) Plasma cytokines following thermal injury and their
Alternativ kann bei lebensbedrohlichen Schimmelpilzin- relationship with patient mortalitiy, burn size, and time postburn.
fektionen liposomales Amphotericin B Anwendung finden. J Trauma 35:335–339
Elke G, Weiler N (2013) Glutamin und Antioxidantien. In: Kluge S,
Candida-Infektionen können durch Azol- oder Echino-
Markewitz A, Muhl E, Putensen C, Quintel M, Sybrecht GW (Eds.)
candin-Gaben therapiert werden. Grundsätzlich sollte eine DIVI-Jahrbuch 2013/2014, S83–89
Resistenzbestimmung der Pilzspezies angestrebt werden Fitzwater J, Purdue GF, Hunt JL, O’Keefe GE (2003) The risk factors and
und die antimykotische Therapie entsprechend ausgerich- time course of sepsis and organ dysfunction after burn trauma.
tet werden. Ein klinischer Mikrobiologie oder Infektiologe J Trauma 54:959–966
sollte hinzugezogen werden. Gallager JJ, Branski LK, Williams-Bouyer N, Villareal C, Herndon DN (2012)
Treatment of infection in burns. In: Herndon DN (Ed.) Total Burn
Lokale Schimmelpilzinfektionen führen sehr früh zu
Care, 4th Edition. Elsevier, London, Sydney, New York, S137–156
einer systemischen Ausbreitung mit Multiorganversagen. Gauglitz GG, Shahrokhi S, Jescke MG (2012) Treatment of infections
Trotz frühzeitiger und auch resistenzgerechter antimyko- in burns. In: Jeschke MG, Kamolz LP, Skjöberg F, Wolf SE (Eds.)
tischer Therapie haben sie eine sehr hohe Letalität. Handbook of Burns – Acute Burn Care. Volume 1. Springer Heidel-
Kommt zu einer Häufung von Schimmelpilz-Infek- berg, Berlin New York, S221–240
Greenhalgh DG, Saffle JR, Holmes JH et al. (2007) American burn
tionen (insbesondere der Gattung Aspergillus) müssen die
association consensus conference to define sepsis and infections
Filter der Klimaanlage überprüft werden. Schimmelpilz- in burns. J Burn Care Res 28:776–779
infektionen treten auch vermehrt bei Umbaumaßnahmen Katz T, Wasiak J, Cleland H, Padiglione A (2014) Incidence of non-
mit Baustaubentwicklung auf. candidal fungal infections in severe burn injury: An australian
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157 18

Operatives Management
der frischen Verbrennung
Marcus Lehnhardt, Jonas Kolbenschlag

18.1 Einleitung – 158

18.2 Infrastrukturelle Voraussetzungen – 158

18.3 Operative Strategie – 158

18.4 Präoperatives Vorgehen – 159

18.5 Intraoperatives Vorgehen – 160


18.5.1 Débridement der Verbrennungswunde – 161
18.5.2 Defektdeckung – 163

Literatur – 172

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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158 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

18.1 Einleitung 18.3 Operative Strategie

Das operative Management der tieferen Verbrennungen Die Festlegung der operativen Strategie bestimmt den
stellt einen der bedeutendsten Schritte in der Therapie Großteil des weiteren Behandlungsverlaufs und sollte
brandverletzter Patienten dar. Nur durch eine optimale möglichst früh, optimaler Weise bereits im Schockraum,
Planung und Durchführung der operativen Eingriffe kann beginnen.
die bestmögliche Versorgung (Schwer-)Brandverletzter Eine, soweit zu diesem Zeitpunkt möglich, genaue Er-
gewährleistet und das Outcome dieser Patienten optimiert fassung der Flächen- und Tiefenausdehnung der thermi-
werden. Hierzu trägt neben den rein operativen Techniken schen Läsion ermöglicht eine erste Abschätzung der erfor-
wie den verschiedenen Möglichkeiten der Nekrektomie derlichen Maßnahmen.
und Deckung insbesondere das strategische Vorgehen bei. Dies wird kann durch einfache Hilfsmittel wie die
In Anbetracht der komplexen chirurgischen und intensiv- Neuner-Regel nach Wallace oder eine Zeichnung verein-
medizinischen Situation bei großen Verbrennungen be- facht und präzisiert werden. Darüber hinaus stehen auch
darf es einer genauen Planung der operativen Schritte un- EDV-gestützte Systeme wie z. B. die Burn-case-3D-Tech-
ter Berücksichtigung des Patientenprofils, insbesondere im nik zur Verfügung, welche neben einer reinen Ober-
Bezug auf das Ausmaß der thermischen Schädigung und flächenberechnung auch die Hinterlegung von Fotos mit
den zur Verfügung stehenden Spenderstellen. anatomischer Zuordnung und weitere Möglichkeiten bie-
Das vorliegende Kapitel soll daher nicht nur einen ten (Dirnberger 2003) (. Abb. 10.4).
Überblick über die zur Verfügung stehenden chirurgischen Basierend auf der Festlegung des Verbrennungsaus-
Techniken, sondern auch über das strategische Manage- maßes erfolgt dann die Planung des weiteren Vorgehens.
ment bieten. Insofern initial drittgradige Areale sicher vorhanden sind,
können bei geringer Flächenausdehnung und stabilem
Patienten bereits am Unfalltag eine Nekrektomie und Haut-
18.2 Infrastrukturelle Voraussetzungen transplantation durchgeführt werden. In den meisten Fäl-
len zeigt sich jedoch erst nach einigen Tagen das definitive
Um eine bestmögliche Therapie des Schwerbrandverletz- Ausmaß der Verletzung, insbesondere bei Verbrühungen.
ten zu ermöglichen, sind infrastrukturelle Voraussetzun- Sobald bei Aufnahme bereits mit großer Wahrschein-
gen unabdingbar. lichkeit operationspflichtige Areale vorhanden sind, sollten
Von baulicher Seite sind klimatisierte und mit Über- bereits entsprechende Operationskapazitäten für den Pa-
druckatmosphäre ausgestattete Einzelboxen für die Patien- tienten reserviert werden. Bei sehr großflächigen Verbren-
tenversorgung zu fordern. So können kleinere operative nungen sollte zudem bereits im Schockraum die Indikation
Eingriffe wie Escharotomien, aber vor allem die regel- für kultivierte epidermale Autografts geprüft werden. Ist
mäßigen Verbandswechsel in einem keimarmen Umfeld diese gegeben, kann zeitnah Haut abgenommen und zur
durchgeführt werden. Dies spart OP-Kapazität für not- Kultivierung eingeschickt bzw. ein entsprechendes Entnah-
wendige Nekrektomien und Deckungen ein und die Belas- mekit geordert werden, um die Wartezeit auf die Autografts
tung für den Patienten durch etwaige Transporte in den möglichst gering zu halten.
Operationssaal wird reduziert.
> Nach initialer Stabilisierung des Patienten sollte
Um diese Belastungen weiter zu verringern, sollte ein
zeitnah die erste Nekrektomie geplant werden, um
dezidierter Operationssaal für Brandverletzte vorgehalten
eine schnellstmögliche Wiederherstellung des Haut-
werden. Dieser sollte sich in räumlicher Nähe zur Brand-
mantels zu erreichen und so die Belastung für den
verletztenintensivstation befinden und die Möglichkeit
Patienten und insbesondere das Infektionsrisiko zu
18 einer separaten Patienteneinschleusung bieten, um Konta-
minimieren.
minationen zu vermeiden. Zudem muss der Operations-
saal beheizbar sein, um zusammen mit den kurzen Trans- Die Frühnekrektomie wurde erstmals im Jahr 1970 von
portwegen ein Auskühlen des Patienten zu minimieren. Janzekovic beschrieben und gilt heute als der Gold-
Von personeller Seite ist ein ausreichender Personal- standard (Janzekovic 1970). Es konnte gezeigt werden
schlüssel zu fordern, um insbesondere die aufwändigen dass dieses Vorgehen die Mortalität senkt und die Dauer
Verbandswechsel entsprechend durchführen zu können. des Krankenhausaufenthalts verringert, eine Reduktion
des Blutverlustes wird in der Literatur kontrovers disku-
tiert (Ong 2006; Chang 2010; Desai 2011). Diese positiven
Effekte werden insbesondere auf die niedrigeren Infekt-
raten durch das Débridement avitalen Gewebes und die
Verringerung der Zytokinkonzentrationen zurückgeführt

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18.4 · Präoperatives Vorgehen
159 18
(Ong 2006; Chang 2010; Hultman 1997; Hart 2003; Chen 18.4 Präoperatives Vorgehen
2010).
Um die Operationszeit und damit auch den Blutverlust Unmittelbar vor der geplanten Operation sollten insbeson-
zu minimieren, sollten mehrere Operationsteams simultan dere die Gerinnungssituation des Patienten optimiert und
eingesetzt werden. Für die Planung des ersten Eingriffs entsprechende Mengen an Blutkonserven bereit gestellt wer-
sind insbesondere die zu operierende Köperoberfläche, die den. Als Faustregel kann hier ein Bedarf von einem Erythro-
betroffenen Körperregionen und die zur Verfügung ste- zytenkonzentrat pro 5 % verbrannter Körperoberfläche
henden Spenderareale maßgeblich. (VKOF) gelten (. Abb. 18.1). Hierbei sind jedoch insbeson-
Bei großflächigen Verbrennungen sind eine vollstän- dere die Vorerkrankungen und individuellen Risikofaktoren
dige Nekrektomie und Deckung mit Eigenhaut in einer des Patienten zu berücksichtigen und die bedarfsgerechte
Sitzung häufig nicht zu erreichen, ohne den Patienten vital zeitnahe Bereitstellung auch intraoperativ sicherzustellen.
zu gefährden. Hierbei müssen insbesondere der zu erwar- Neben der geplanten Nekrektomie und Deckung sollte
tende Blutverlust, aber auch die Zunahme der Wundfläche auch geprüft werden, ob eine Tracheotomie bzw. ein Wech-
durch die Spalthautentnahme berücksichtigt werden. Ziel sel der einliegenden zentralen Zugänge erforderlich ist. In
muss es daher sein, die funktionell und ästhetisch wich- Abhängigkeit der vorhanden Ressourcen kann dies teil-
tigsten Strukturen zeitnah zu nekrektomieren und zu weise präoperativ in der Box geschehen oder bei kompli-
decken, um durch Immobilisation, Entzündung und Nar- zierten Anlagen bzw. erforderlicher chirurgischer Tracheo-
benbildung bedingten funktionellen und ästhetischen tomie im OP-Saal.
Defiziten vorzubeugen. Bei geplantem Débridement des Thorax bietet es sich
Im eigenen Patientengut hat es sich daher bewährt, ins- an bereits vor der Operation einen Verband im Patienten-
besondere die Hände und Unterarme in einer ersten Sit- bett vorzulegen, welcher dann nach dem direktem Um-
zung zu débridieren und zu decken, um eine zeitnahe phy- lagern des Patienten vom OP-Tisch in das Bett nur noch
siotherapeutische Beübung zu ermöglichen (Omar 2011). angelegt werden muss.
In den meisten Fällen ist es sinnvoll, die zur Verfügung Maßgeblich für eine schnelle und adäquate Operation
stehenden Spenderstellen auszuschöpfen und, sofern der ist die Lagerung des Patienten. Diese muss nicht nur einen
Patient stabil ist, die Areale zu nekrektomieren, die direkt uneingeschränkten Zugang zu den zu débridierenden
mit Eigenhaut bedeckt werden können. So können die Zeit Flächen, sondern auch zu den Hautentnahmestellen er-
bis zu einer erneuten Abnahme minimiert und die kost- lauben und gleichzeitig einen ausreichenden Zugang von
baren Spenderstellen optimal genutzt werden. Bei Kindern Seiten der Anästhesie ermöglichen. Aufgrund des Haut-
stellt der Kopf eine hervorragende Entnahmestelle dar. Bei barriereverlusts durch die Verbrennung, aber auch durch
männlichen Erwachsenen bietet das häufig durch die die Entnahmestellen der Hautransplantate, kommt es zu
Volumengabe bereits präextendierte Skrotum eine gute einem starken Flüssigkeitsverlust durch Verdampfung. Um
Möglichkeit zur Gewinnung mehrerer Spalthautbahnen. diesen Effekt entgegen zu wirken, bedarf es einer Raum-
Sofern möglich können nach Ausschöpfung der zur Verfü- temperatur von 32°C, insbesondere auch schon beim ste-
gung stehenden Spenderareale weitere nekrektomierte rilen Abwaschen des OP-Gebiets. Um diese Temperaturen
Areale mittels temporärer Hautersatzmittel bedeckt wer- zu erreichen, bedarf es je nach Klimatechnik des Opera-
den. Bei reizlosen tiefgradigen Verbrennungen können tionssaals einer gewissen Zeit, welche entsprechend einzu-
beispielsweise Areale im Bereich des Rückens, welche häu- planen ist. Dies kann insbesondere problematisch werden,
fig aufgrund der Lagerung nur schwer zu decken sind, auch wenn bereits beatmete und mit allen Zugängen versehene,
mittels topischer Substanzen gegerbt werden. Insbesonde- schwerstbrandverletzte Patienten versorgt werden sollen.
re bei sehr ausgedehnten Verbrennungen sollten Regionen Hier verkürzt sich die Einleitungszeit deutlich, was bei
mit zu erwartender schlechterer Einheilungsrate erst nicht adäquater Aufheizung des Operationssaals bereits
transplantiert werden, wenn die funktionell und ästhetisch zur Hypothermie vor Beginn der operativen Therapie füh-
bedeutsamen Regionen mit in der Regel guter Einhei- ren kann. Bei ausgedehnten Verbrennungen können neben
lungsrate adäquat versorgt wurden. dem Aufheizen des Operationssaals auch die temporäre
In speziellen Situationen wie beispielsweise begrenzten Auflage steriler Wärmedecken und der Einsatz von Heiz-
Verbrennungsarealen Grad IIb und III bei multimorbiden strahlern erfolgen, um ein Auskühlen zu verhindern.
Patienten können bis zur Stabilisierung der Gesamtsitua-
tion auch gerbende Verfahren wie beispielsweise mit > Je nach Ausmaß der Verbrennung sollten unbedingt
Caerium-Nitrat erfolgen (Vehmeyer-Heeman 2006). Bei mehrere OP-Teams eingesetzt werden, um möglichst
bereits infizierten Verbrennungen steht jedoch die Sanie- zeitsparend große Flächen versorgen zu können.
rung des Infektionsfokus im Vordergrund und erfordert Pro Sitzung sollte nach Möglichkeit nicht mehr als
teilweise ein deutlich radikaleres Vorgehen. 25 % KOF nekrektomiert werden.

marcus.lehnhardt@rub.de
160 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

18
. Abb. 18.1 Die exakte Einzeichnung der VKOF mit weiteren Angaben zum Unfallhergang und den Vorerkrankungen erlaubt eine optimale
Planung des weiteren Vorgehens

18.5 Intraoperatives Vorgehen um diesen bei der Entnahme besser respektieren zu kön-
nen (. Abb. 18.2).
Bei Kindern hat sich im eigenen Patientengut die Verwen- Analog zu anderen Entnahmestellen erfolgt die Unter-
dung des Kopfs als primäre Spenderstelle aufgrund der spritzung mit einer adrenalinhaltigen Kochsalzlösung
relativen Größe und der guten kosmetischen Ergebnisse (. Abb. 18.3), um den Blutverlust zu minieren.
bewährt. Hier empfiehlt es sich, vor der Rasur den Haar- Zur weiteren Reduktion des Blutverlusts sollten bei
ansatz mittels chirurgischem Hautmarker anzuzeichnen, Operationen an den Extremitäten Blutsperren angelegt

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
161 18

. Abb. 18.2 Vorbereitung zur Spalthautentnahme vom Kopf eines . Abb. 18.3 Nach Infiltration adrenalinhaltiger Kochsalzlösung
brandverletzten Kindes. Der Haaransatz ist angezeichnet und dient zeigt sich eine deutliche Expansion der Haut
als Begrenzung der Infiltration mit adrenalinhaltiger Kochsalzlösung.
An der rechten Schulter ist eine zentrale Verbrennung Grad IIb mit
IIa-Rändern zu sehen

werden. Diese können nach dem Débridement eröffnet Anästhesie und intraoperativer Überwachung. Während
werden, um die adäquate Tiefe der Nekrektomie zu sichern das mechanische Débridement insbesondere bei Aufnah-
(O‹Mara 2002). Nach sicherem Erreichen einer gut per- me unentbehrlich ist, findet das enzymatische Débride-
fundierten Schicht sollten dann, wie auch an den Ent- ment keine generelle Anwendung. Zeitnah eingesetzt kann
nahmestellen, adrenalingetränkte Kompressen aufgelegt es jedoch Zeit sparen und die sich anschließende Opera-
werden, welche mit einer leichten elastischen Wickelung tion verkürzen.
fixiert werden können (Sterling 2011). Die tangentiale Nekrektomie stellt das Mittel der Wahl
bei Verbrennungen Grad IIb dar. Hierbei wird die nekro-
> Die Operation ist bei deutlicher Hypothermie oder
tische Haut schichtweise abgetragen, bis punktuell blu-
zu großen Blutverlusten mit drohender kardiopul-
tende, vitale Dermisanteile hervortreten (. Abb. 18.4). Auf
monaler Instabilität zeitlich zu begrenzen. Da dies
diese Weise kann möglichst viel Dermis erhalten werden,
bei großflächigen Verbrennungen trotz der be-
was zum einen ein optimales Transplantatlager schafft und
schriebenen Maßnahmen nahezu unweigerlich ein-
zum anderen für eine unauffälligere Narbenbildung und
tritt, ist die strenge Berücksichtigung und Kommu-
bessere Elastizität sorgt. Für die tangentiale Nekrektomie
nikation der zuvor festgelegten Strategie zwingend
stehen verschiedene chirurgische Instrumente bereit, allen
erforderlich.
voran das Weck-Messer (auch Goulian-Dermatom ge-
nannt). Mittels verschiedener Aufsätze kann die Schicht-
dicke angepasst werden. Die kompakte Form des Messers
18.5.1 Débridement der Verbrennungswunde ermöglicht auch feine Débridements an schwierigen Stel-
len sowie die Respektierung der Übergänge zur gesunden
Prinzipiell kann hier zwischen chirurgischem und nicht- Haut (. Abb. 18.5).
chirurgischem Débridement unterschieden werden. Das Als Ergänzung hierzu können Wasserstrahlskalpelle
chirurgische Débridement lässt sich in tangentiale und wie beispielsweise das Versajet-Gerät Einsatz finden.
epifasziale Nekrektomien einteilen, das nichtchirurgische Deren Anwendung kann insbesondere an anatomisch
Débridement kann mechanisch (beispielsweise Blasen- schwierigen Stellen Vorteile bringen, sie sind jedoch teuer
abtragung mittels Schwämmen bei Aufnahme) oder enzy- und bedürfen hinsichtlich ihrer Handhabung einer gewis-
matisch (beispielsweise mittels Nexobrid) erfolgen. sen Eingewöhnung (Duteille 2012; Rappl 2007). Um auch
Während die nichtchirurgischen Verfahren in den größere Flächen tangential nekrektomieren zu können,
allermeisten Fällen in Analgosedierung erfolgen können, wurde das Humby-Messer entwickelt. Auch hier kann
bedürfen die chirurgischen Verfahren einer adäquaten die Tiefe mittels einer Schablone eingestellt werden. Die

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162 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

a a

. Abb. 18.4a, b Tangentiales Débridement mittels Wasserstrahl-


Skalpell. So können auch kleine Flächen an schwer zu erreichenden
Lokalisationen gezielt abgetragen werden ohne umliegendes Gewe-
be zu schädigen. a Kleine Läsion Grad IIb. b Verbrennung des Hand-
rückens Grad IIb

Kontrolle der adäquaten Tiefe und auch der Festigkeit der


Schraubverbindung sollte unbedingt vor jeder Nutzung c
erfolgen, da die große Klinge des Messers bei Fehlfunktion
. Abb. 18.5a–c Tangentiale Nekrektomie mittels Weck-Messer.
18 oder falscher Einstellung schwerste Verletzungen verur-
a Verbrennung an der rechten Schulter. An dieser größeren Fläche er-
sachen kann. Trotz der möglichen Nutzung eines Humby- folgt die tangentiale Nekrektomie mittels Weck-Messer. Ziel ist hier
Messers stellt die tangentiale Nekrektomie ein zeitaufwän- das Erreichen von punktuellen Blutungen des Wundgrunds. b Ver-
diges Verfahren dar, welches zudem mit einem hohen brennung der Hand. c 14 Tage postoperativ zeigt sich eine stabile
Blutverlust einhergeht (. Abb. 18.6). Bei kleineren Flächen Einheilung der Sheet-Transplantate mit gutem kosmetischem Ergeb-
nis. Zur Sicherung der Transplantate werden postoperativ Kunst-
kann das tangentiale Débridement auch bis ins subkutane
stoffschienen angelegt. Nach dem ersten Verbandswechsel am fünf-
Fettgewebe geführt werden. Da dieses jedoch kein optima- ten postoperativen Tag beginnt die Physiotherapie
les Transplantatlager darstellt bedarf es häufig einer Kon-
ditionierung durch Wundauflagen. Bei stabilen Patienten
und kleinen bis mittelgroßen Wundflächen kann dieses
Verfahren sicher angewandt werden und resultiert in
einem deutlich besseren Narbenbild.

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
163 18
entlang der Faszie mit sorgfältiger Koagulation bzw. Liga-
tur perforierender Gefäße kann mit einem konventionel-
len Skalpell geschehen, die Nutzung eines monopolaren
Elektrokauters mit entsprechendem Aufsatz ist jedoch zeit-
und blutsparend und sollte daher bevorzugt werden. Mit
dieser Technik können auch große Areale schnell und mit
geringem Blutverlust debridiert werden, allerdings ent-
steht durch den vollständigen Verlust der Dermis ein
schlechteres Narbenbild. Durch den Einsatz von dermalen
Ersatzmaterialen kann dies, wie in den nachfolgenden
Absätzen beschrieben, abgemildert werden.

a 18.5.2 Defektdeckung

Nach Entfernen allen nekrotischen Gewebes und Schaffen


eines adäquat durchbluteten Transplantatlagers stellt sich
die Frage nach der (temporären) Defektdeckung.
Insbesondere bei Kindern und oberflächlichen Verbren-
nungen hat sich nach einem gründlichen mechanischen
Débridement die Auflage von temporären Hautersatzma-
terialen wie Suprathel bewährt. Es haftet der Wunde gut an
und bietet durch einen sauren pH-Wert einen gewissen anti-
batkeriellen Schutz. Es kann daher lange auf der Wunde
belassen werden und kann so aufwendige und schmerzhafte
Verbandswechsel einsparen (Jeschke 2013; Keck 2012).
Tiefere Läsionen sind dieser Therapie jedoch nur be-
dingt zugänglich und bedürfen nach einer chirurgischen
Nekrektomie einer Rekonstruktion der Hautoberfläche
b
(Keck 2012).
. Abb. 18.6a, b Tangentiales Débridement mittels eines Humby-
Messers. a Verbrennung Grad IIb und III des Rückens. b Tiefe dermale Autologe Hauttransplantate
Verbrennung des Gesäßes. Aufgrund der Größe wird ein Humby- Den Goldstandard zur Wiederherstellung der Oberflächen-
Messer verwandt
integrität nach Verbrennung stellen die autologen Haut-
transplantate dar (Janzekovic 1970; Jeschke 2013). Diese
> Bei instabilen Patienten oder Patienten mit sehr lassen sich in Voll- und Spalthauttransplantate einteilen.
großen, infizierten Verbrennungsflächen kann es Während bei den Vollhauttransplantaten die voll-
jedoch auch erforderlich sein, die Vorteile der schichte Haut bis zum subkutanen Fettgewebe entnommen
tangentialen Nekrektomie zugunsten vitaler Indika- wird, bleibt die Entnahmetiefe von Spalthauttransplantaten
tionen zu opfern, um schneller und blutsparender im Regelfall auf 0,2–0,3 mm beschränkt. Aufgrund der mit-
zu operieren. genommenen Dermis bieten Vollhauttransplantate eine
bessere Narbenbildung, sie sind jedoch nur in deutlich ge-
Dies wird durch eine epifasziale Nekrektomie erreicht, ringerem Umfang verfügbar und stellen höhere Ansprüche
welche bei o. g. Ausnahmefällen, aber insbesondere bei an die Perfusion des Wundgrundes. Dies liegt darin be-
Verbrennungen Grad III zum Einsatz kommt. Da es sich gründet, dass die Ernährung der Transplantate initial nur
hierbei um vollschichtige Verbrennungen handelt, welche durch Diffusion erfolgt.
die komplette Dermis betreffen, erfolgt bei der epifaszialen
Nekrektomie die Abtragung der nekrotischen Haut und > Vollhauttransplantate sind aufgrund der größeren
des Fettgewebes unmittelbar oberhalb der Muskelfaszie. Gewebemasse und der schlechteren Abflussmög-
Bei Kindern und in besonderen Situationen auch bei Er- lichkeiten für Sekret anfälliger für eine Minderdurch-
wachsenen kann es sinnvoll sein, das subkutane Fettge- blutung. Daher sind hier das Sticheln der Trans-
webe zu erhalten und zu konditionieren, per se ist es aller- plantate vor dem Aufbringen sowie die adäquate
dings ein schlechtes Transplantatbett. Die Präparation Fixierung besonders wichtig.

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164 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

. Abb. 18.7 Bei der Abnahme der Haut am Kopf des Kindes mittels
(Akku-)Dermatom ist insbesondere dessen Tiefeneinstellung zu a
prüfen. Das Aufspannen der Entnahmefläche durch den Assistenten
vereinfacht die Entnahme ebenso wie ein leichtes Anfetten der Haut

Aufgrund der häufig sehr großen Wundflächen kommen


in der primären Verbrennungstherapie jedoch hauptsäch-
lich Spalthauttransplantate zum Einsatz. Die Entnahme
erfolgt üblicherweise mittels Akku- oder Pressluftderma-
tomen nach vorherigem Rasieren und Einfetten der Ent-
nahmestellen. Die Entnahmestellen sollten zudem zur
Reduktion des Blutverlustes einige Zeit vor der Abnahme
mit adrenalinhaltiger Kochsalzlösung unterspritzt werden.
Zur Entnahme bieten sich insbesondere die Oberschenkel
an, bei Kindern greifen wir gerne auf den Kopf zurück
(. Abb. 18.7).
Bei ausgedehnten Verbrennungen müssen jedoch häu-
fig auch suboptimale Entnahmestellen in Kauf genommen
werden, um genug Haut zur Transplantation gewinnen zu
können. Bei der Wahl der Entnahmestellen sollte beim
wachen Patienten auch darauf geachtet werden, eine Ent- b
nahme von Auflageflächen möglichst zu vermeiden, da
diese für den Patienten besonders schmerzhaft sind.
Beim männlichen Patienten stellt das häufig bereits
präextendierte Skrotum eine wertvolle Möglichkeit zur
Gewinnung weiterer Transplantate dar. Durch die ober-
flächliche Abnahme der Haut bleibt die Basalzellschicht
18 erhalten und die Entnahmestelle sollte im Normalfall
innerhalb von 14 Tagen spontan abheilen. Sie kann dann
bei Bedarf auch erneut abgenommen werden, jedoch gilt
hier dann besondere Vorsicht. Eine erneute, grenzwertig
tiefe Abnahme oder eine Infektion können eine vermeint-
c
lich unproblematische Entnahmestelle leicht zum Voll-
schichtendefekt werden lassen. . Abb. 18.8a,b Sheet-Transplantation. a 10 Tage postoperativ
Die so gewonnene Haut kann dann entweder gesti- nach der tangential débridierten Verbrennung. b Weitere drei Tage
später findet sich das Transplantat vollständig eingeheilt und kann
chelt, als sogenanntes »sheet«, oder als »gemeshtes«, also
mit rückfettenden Salben behandelt werden. c Z. n. Transplantation
zu einem Netz aufbereiteten Transplantat, verwandt wer- eines gestichelten Spalthauttransplantats, welches an dieser Stelle
den. Sheets sollten insbesondere an besonders exponierten aufgrund des besseren ästhetischen Ergebnisses einem Meshgraft
Bereichen wie Händen und Gesicht angewandt werden, so vorgezogen wurde.

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
165 18

a b

c d

. Abb. 18.9a–d Spalthauttransplantation. a Nach tangentialer Exzision der nekrotischen Haut zeigt sich großflächig freiliegendes subku-
tanes Fettgewebe. b Zur Konditionierung des Transplantatlagers erfolgt die Aufbringung einer speziellen Wundauflage für fünf Tage. c Nach
Abnahme der Wundauflage findet sich eine gut granulierte Wundfläche welche eine Spalthauttransplantation aufnehmen kann. d Sieben
Tage nach Spalthauttransplantation zeigt sich ein sehr gutes Einheilungsergebnis. Die Transplantate wurden aufgrund der anatomischen Lage
intraoperativ durch einen Vakuumundverband versorgt welcher fünf Tage belassen wurde

kann ein besseres ästhetisches Ergebnis erzielt werden. Perinealregion können Vakuumverbände mit kontinuier-
Meshgrafts können in verschiedenen Expansionsver- lichem Unterdruck zur besseren Fixierung der Transplan-
hältnissen aufbereitet werden, um ihre Effizienz weiter zu tate eingesetzt werden (. Abb. 18.9, . Abb. 18.10).
verbessern (. Abb. 18.8). Bei sehr großflächigen Verbrennungen, wo nur wenige
Sofern ausreichend Spenderstellen zur Verfügung ste- und anatomisch ungünstige Entnahmestellen zur Verfü-
hen, stellt ein Expansionsverhältnis von 1:1,5 bis ≤1:3 ein gung stehen, kann die Technik nach Meek angewandt wer-
gutes Verhältnis aus Epithelialisierungszeit und Ein- den (. Abb. 18.11). Hierbei werden Spalthauttransplantate
heilungsrate dar. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die auf Korkplatten aufgebracht und in kleine Quadrate ge-
tatsächliche zu erreichenden Expansionsverhältnisse bei schnitten. Diese werden dann auf passgenaue Plissees auf-
Meshgrafts kleiner ausfallen (Kamolz 2013). Die Trans- gebracht und mittels Sprühkleber fixiert. Sie können dann
plantate werden dann mittels Metallklammern fixiert, bei auseinander gezogen und auf die zu deckenden Flächen
Kindern können kleinere Transplantate auch mit resor- aufgebracht werden. So können zum einen ein hohes Ex-
bierbaren Fäden eingenäht werden. Kleine Transplantate pansionsverhältnis erreicht und zum anderen auch kleine
können mittels Fettgaze-Überknüpfverbänden fixiert wer- Spenderstellen optimal genutzt werden (. Abb. 18.12). Das
den, bei größeren Transplantaten bieten sich fixierende Verfahren ist jedoch technisch aufwändig und bedarf
Verbände mit sterilem Schaumstoff über einer Lage aus sowohl gewisser instrumenteller Grundvoraussetzung als
Fettgaze an. An anatomischen oder besonderen Scher- auch Erfahrung des Operateurs (Chen 2011; Kreis 1993;
kräften ausgesetzten Regionen wie dem Rücken und der Meek 1958).

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166 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

scheidend für das Gelingen der Hautverpflanzung. Hierzu


sollten zweitägig, bei starker Sekretion auch täglich, Ver-
bandswechsel erfolgen. So können zeitnah Fibrinbeläge
entfernt und potenzielle Infektionen erkannt werden.
> Insbesondere bei stark sezernierenden Wunden
haben wir gute Erfahrungen damit gemacht die Trans-
plantate – bedeckt von sterilen Baumwolltüchern –
an der Raumluft abtrocknen zu lassen. Sollten die
Transplantate klinischen Anhalt für einen Infekt
bieten, kann zudem in diesem Rahmen ein »Einlegen«
topischer Antiseptika erfolgen.
a
Hierbei sind jedoch die Wirksamkeitslücken und ins-
besondere auch der Albuminfehler der jeweiligen Mittel zu
berücksichtigen (Kolbenschlag 2012). Auch beim gleich-
zeitigen Einsatz spezieller Wundauflagen können sich
Wechselwirkungen einstellen, welche die Wirkung redu-
zieren können (Hirsch 2011). Nach sicherem Einheilen der
Transplantate können diese abgeduscht werden, um Beläge
und Debris schonend zu entfernen.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Anwendung
von Stoßwellen möglicherweise das Einheilen von Haut-
transplantaten begünstigen kann. Bis zu regelhaften klini-
schen Anwendung bedarf es jedoch noch weiterer Studien.
Eine große Variabilität findet sich in der Versorgung
von Spalthautentnahmestellen. Wichtig sind hierbei ins-
besondere die Förderung der Wundheilung, eine bestmög-
liche Schmerzreduktion, ein möglichst selten erforderlicher
b bzw. einfacher Verbandswechsel sowie die Wirtschaftlich-
keit. Von der offenen Wundbehandlung über einfache Fett-
. Abb. 18.10a, b Vakuumverband. a Zur Konditionierung nach
gazeverbände bis hin zu (semi-)okklusiven Folienverbän-
Nekrektomie einer tiefdermalen Verbrühung. b Zur Fixierung groß-
flächiger Transplante bei einem Schwerbrandverletzten den (. Abb. 18.13) und teuren Spezialwundauflagen findet
sich bei der Versorgung der Entnahmestelle das gesamte

Alle beschriebenen Transplantate sind insbesondere


am Anfang sehr anfällig gegenüber Scherbewegungen, . Abb. 18.11a–g Meek-Technik. a Motorbetriebene Maschine 7
weswegen den o. g. Fixierungstechniken große Bedeutung zum Schneiden der Meek-Transplantate. Rechts unten ist der Schnei-
zukommt. Insbesondere auf mechanisch stark belasteten deblock zu sehen, welcher mit einliegenden Transplantate in die
Gebieten, in der Nähe von Gelenken oder auf Muskeln mit Maschine eingeführt wird. b Aufbringen der entnommen Spalthaut
auf die Korkplättchen zur weiteren Verarbeitung. So können auch
größeren Bewegungsamplituden wie beispielsweise am
kleine Transplantate von anatomisch weniger günstigen Stellen opti-
Unterschenkel, empfiehlt sich eine temporäre Ruhigstel- mal genutzt werden. c Einlegen der mit Spalthaut versehenen
18 lung der Extremität mittels Gipsverband oder Schienen- Korkplättchen in den Schneideblock. d Durch den Durchlauf durch
anpassung. die Schneidemaschine wird eine feine Rasterung des Transplantats
Um ein initiales Anheilen oder »take« der Transplan- erzielt. e Die Transplantate werden dann auf ein Trägerpapier aufge-
bracht auf dem sie mittels Spray fixiert werden. Das Trägerpapier
tate zu erreichen, belassen wir die fixierende Schicht der
verfügt eine auseinanderziehbare Prägung, welche die Expansion er-
Verbände für fünf Tage. Der Deckverband kann zweitägig möglicht. f Durch das Auseinanderziehen des Trägerpapiers wird
bzw. bei Bedarf gewechselt werden. Bei klinischen Anhalt eine hohe Expansionsrate erreicht. g Intraoperative Situs nach Auf-
für Infekt (Grünfärbung der Verbände, Geruch) sollte der bringen der Meek-Transplantate. Diese können im Anschluss mit
Verbandswechsel entsprechend vorgezogen werden. Nach einem konventionellen Fettgazeverband versorgt werden. Das Ein-
bringen einer Zwischenschicht empfiehlt sich um einen eventuell
dem ersten Entfernen der fixierenden Verbände werden
durchgeschlagenen Deckverband wechseln zu können ohne die
die Klammern für gewöhnlich noch zwei Tage belassen Trägerpapier abzuheben. h Die Technik bedarf einer gewissen Erfah-
und dann entfernt. Neben dem initialen Angehen der rung und instrumentellen Grundausstattung, aber vor allem erfor-
Transplantate ist insbesondere die Transplantatpflege ent- dert sie Teamwork

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
167 18

a b

c d

e f

g h

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168 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

. Abb. 18.12 Ein schwerbrandverletzter Patient bei welchem


lediglich die dorsalen Arme und der obere Rücken als Spenderstellen
in Frage kommen

Spektrum der »modernen« Wundtherapie wieder (Tanaka a


2014; Brenner 2014; Masella 2013; Caliot 2014).
Im eigenen Patientengut bevorzugen wir für kleine bis
mittlere Entnahmeflächen semiokklusive Folienverbände.
Diese führen zu einer deutlichen Schmerzreduktion und
können bis zur Reepithelialisierung belassen werden. Da
sie bei sehr großflächigen Entnahmestellen häufig nicht
adäquat zu befestigen sind, greifen wir hier vorwiegend auf
Fettgazeverbände zurück. Spezielle Wundauflagen finden
nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei Infekten oder an
speziellen anatomischen Regionen, Anwendung.

Allogene und xenogene Hauttransplantate


Insbesondere beim Schwerstbrandverletzten können häu-
fig nicht alle Defekte zeitnah durch eigene Haut gedeckt
werden. Zudem stellen die vollständige Nekrektomie und b
Eigenhauttransplantation in einer Sitzung oft eine zu große
Belastung für den Patienten dar, da die effektive Wund-
fläche durch die Entnahmestellen deutlich vergrößert
wird. Es bedarf daher einer temporären Defektdeckung,
welche gut verfügbar ist sowie protektive Eigenschaften
wie Schutz vor Keimbesiedelung und Austrocknung bietet.
Dies gewährleisten allogene und xenogene Hauttransplan-
tate im besonderen Maße. Die allogenen und xenogenen
18 Transplantate sind jeweils in unterschiedlichen Konservie-
rungszuständen erhältlich, am häufigsten als kryo- oder
glyzerolkonservierte Präparate (Jeschke 2013; Vogt 2007;
Kreis 1989). In Europa erfolgt die Lagerung und die Bereit-
stellung glyzerolkonservierter Spenderhaut u. a. über die
European Skin Bank in den Niederlanden, konservierte
Spenderhaut kann aber auch über das Deutsche Institut für
Zell- und Gewebeersatz (www.DIZG.de) bezogen werden. c
Die Transplantate werden nach durchgeführter Nek-
. Abb. 18.13a–c Spalthautentnahmestellen. a Vor Anlage eines
rektomie auf die Wundflächen aufgelegt und provisorisch semioklussiven Folienverbands. b Situs 10 Tage postoperativ nach
fixiert. Bei unauffälligem Verlauf können diese längere Zeit Entfernung des Folienverbands. c Rasch fortschreitende Wundhei-
belassen werden, aufgrund der Immunsuppression im lung weitere drei Tage später

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
169 18
Rahmen der Verbrennungskrankheit können allogene Für die Behandlung der akuten Verbrennung bedeutet
Transplantate teilweise sogar einheilen. Nachdem wieder dies gemäß dem Zitat »Epidermis is life, dermis is quality
Spenderstellen zu Verfügung stehen bzw. der Patient stabi- of life« des Franzosen Michel Rives, dass möglichst viel
lisiert ist, können die temporären Transplantate dann Dermis erhalten werden sollte (Rives 1994). Sofern dies
durch autologe Haut ersetzt werden. nicht möglich ist, sollte deren Rekonstruktion angestrebt
Der Einsatz von Spenderhaut empfiehlt sich daher werden, um eine bessere Verschiebeschicht gegenüber
neben den o. g. Kriterien auch in anatomischen Regionen, dem Untergrund und so ein besseres Narbenbild zu er-
in denen Autografts häufig verloren gehen und eine, zu- zielen. Hierzu gibt es mittlerweile eine große Auswahl an
mindest teilweise, geführte Granulation und Sekundärhei- dermalen Templates, welche hierzu auf die Wunde auf-
lung zu vertreten ist, beispielsweise am Rücken. So können gebracht werden können. Je nach Art des dermalen Ersatz-
wertvolle autologe Transplantate für eine schnelle Deckung stoffes bedürfen diese einer Vaskularisierungsphase oder
der funktionell bedeutsamen Strukturen wie der Hände können direkt mit Eigenhaut gedeckt werden.
verwandt werden. Durch die o. g. Eigenschaften der allo- Insbesondere an ästhetisch und funktionell relevanten
genen und xenogenen Transplantate können diese auch Stellen kann so eine deutliche Verbesserung gegenüber
sehr gut zur Augmentierung bei Deckung mit sehr groß- einer direkten Hauttransplantation erfolgen, gerade nach
flächig expandierten (1:6, 1:9) autologen Transplantaten epifaszialen Nekrektomien (Jeschke 2013; Ryssel 2008;
oder kultivierten Keratinozyten im Sinne einer »Sandwich- Richters 2008).
technik« eingesetzt werden (Kreis 1993). Da sich die thermalen Verletzungen in den meisten
Fällen auf den Hautmantel beschränken sind die o. g. Maß-
Ergänzende Verfahren nahmen häufig ausreichend. Durch lange Exposition,
Solche kultivierten Keratinozyten stellen eine weitere Mög- chemische Noxen, Explosionen oder Stromverletzungen
lichkeit dar auch größte Verbrennungswunden zu decken. können jedoch auch vollschichtige Gewebedefekte ent-
Hierbei wird eine Hautprobe mittels eines speziellen Kits stehen.
abgenommen und zur Isolation und Züchtung autologer Diese bedürfen bei freiliegenden funktionellen Struk-
Keratinozyten verwandt. In Deutschland erfolgt dies aktu- turen der Rekonstruktion mit vaskularisierten Lappen-
ell primär durch das Deutsche Institut für Zell- und Ge- plastiken (Jabir 2014). In der Akutphase der Verbrennung
webeersatz in Berlin, welches auf Anfrage ebenfalls die not- sind diese aufwändigen Rekonstruktionen nur bedingt
wendigen Kits zur Verfügung stellt. Da das Kultivieren der indiziert, gegebenenfalls kann ein überbrückendes Verfah-
Zellen mehrerer Wochen bedarf, sollte die Entscheidung, ren wie die kontinuierliche Unterdrucktherapie genutzt
ob dieses kosten- und zeitintensive Verfahren angewandt werden um lappenpflichtige Defekte bis zur Stabilisierung
werden soll, möglichst zeitnah getroffen werden. Optima- des Patienten genutzt werden. In der spätprimären Phasen
lerweise erfolgen die Indikationsstellung und Anforderung stellen sie jedoch ein wertvolles Instrument im rekonstruk-
des Entnahmekits bereits im Schockraum, so dass am Fol- tiven Armamentarium dar. Die . Abb. 18.14 zeigt den Fall
getag bereits die Entnahme durchgeführt werden kann. eines 15-jährigen Patienten mit Stromeintrittsläsion des
Nach erfolgreicher Anzucht werden die Zellenverbände in Schädels mit freiliegender Kalotte und Defektdeckung mit-
einer wässrigen Suspension auf Fettgaze fixiert und können tels freier Parascapular-Lappenplastik.
so appliziert werden. Aufgrund der Vulnerabilität empfiehlt
sich die o. g. Kombination mit einer Deckschicht aus Spen-
derhaut. Die Einheilungsraten der kultivierten Keratinozy-
ten ist – unserer Erfahrung nach – limitiert. Bei sehr großen
Verbrennungsflächen kann dieses Verfahren jedoch als
»ultima ratio« Anwendung finden (Kreis 1989; Rives 1994;
Carsin 2000; Lootens 2013; Schiozer 1994; Lee 2012).
> Aufgrund der stetig verbesserten Prognose auch
schwerbrandverletzter Patienten rückt neben der
unmittelbaren Lebenserhaltung durch reine Defekt-
deckung auch zunehmend die Lebensqualität in
den Vordergrund.

marcus.lehnhardt@rub.de
170 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

d f

18

g h

. Abb. 18.14a–h 15-jähriger Patient mit Starkstromverletzungen und knapp 90 % verbrannter Körperoberfläche, großteils Grad IIb–III.
a-c Aufnahmebefund: bereits im Schockraum erfolgte die notfallmäßige Escharotomie der zirkulär tiefergradig verbrannten Areale. d Situs
nach mehreren Nekrektomiesitzungen und temporärer Defektdeckung der Arme mittels Spenderhaut sowie Aufbringung eines dermalen
Ersatzstoffes an Thorax und Beinen. e Freiliegende Schädelkalotte im Bereich der Stromeintrittsstelle. f Defektdeckung mittels freier Para-
scapular-Lappenplastik auf welcher noch ehemalige Spalthautentnahmestellen zu sehen sind. g Intraoperativer Situs mit aufliegenden der-
malen Ersatzstoffen. h Situs nach Entfernung der Silikondeckschicht des dermalen Ersatzmaterials und Anfrischung des Wundbettes.

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18.5 · Intraoperatives Vorgehen
171 18

i j

k l

. Abb. 18.14i–m i Entnahme der kultivierten Keratinozyten aus den Versandboxen mit Nährmedium. Die Transplantate sind zur einfacheren
Verwendung auf Fettgaze aufgespannt. j Die Transplantate werden auf das dermale Ersatzmaterial aufgebracht und fixiert. Zum Schutz der
Transplantate erfolgt die Bedeckung mit Spenderhaut im Sinne einer »Sandwich-Technik«. k Der junge Patient etwa drei Monate nach Trauma.
l und m Derselbe Patient 18 Monate nach Trauma

marcus.lehnhardt@rub.de
172 Kapitel 18 · Operatives Management der frischen Verbrennung

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marcus.lehnhardt@rub.de
173 19

Behandlung der infizierten


Verbrennungswunde
Adrien Daigeler, Marcus Lehnhardt

19.1 Infektionsbegünstigende Faktoren – 174

19.2 Infektionsformen – 175


19.2.1 Impetigo – 175
19.2.2 Zellulitis – 175
19.2.3 Wundinfektion – 175
19.2.4 Invasive Wundinfektion – 176

19.3 Infektionsentstehung – 176

19.4 Surveillance – 176

19.5 Diagnose Wundinfektion – 177

19.6 Klinische Zeichen der Wundinfektion – 177

19.7 Transplantatverlust – 178


19.7.1 Pilzinfektionen – 180
19.7.2 Viren – 181

19.8 Therapie – 181

Literatur – 181

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
174 Kapitel 19 · Behandlung der infizierten Verbrennungswunde

19.1 Infektionsbegünstigende Faktoren > Das Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche


(VKOF) korreliert mit dem Risiko, eine Wundinfek-
Zwar sind durch die modernen Verfahren der Antisepsis tion zu entwickeln, eines Transplantatverlustes und
und das frühzeitige Abtragen von Nekrosen und Debris eines verlängerten Krankenhausaufenthalts. Jedes
mittlerweile Infektionen der Verbrennungswunden und Prozent mehr VKOF erhöht das Risiko einer Wundin-
nachfolgende septische Verläufe nicht mehr die häufigste fektion um 8 %, das eines Transplantatverlusts und
Todesursache (Brusselaers 2010), nach wie vor stellt aber die Hospitalisierungsdauer um je 4 % (Park 2013).
der Verlust der natürlichen Hautbarriere und das damit
erleichterte Eindringen von pathogenen Keimen in den
Einflussfaktoren innerhalb der Erstversorgung
Organismus eines der fundamentalen Folgeprobleme im
5 Kühlung
Rahmen von Schwerbrandverletzungen dar. Ein wesent-
5 Wundabdeckung
liches Ziel in der Behandlung des Schwerbrandverletzten
5 Zeitmanagement
ist daher eine adäquate Infektionsprophylaxe, das recht-
5 Flüssigkeitssubstitution
zeitige Erkennen von Wundinfektionen und deren suffi-
ziente Therapie.
Verschiedene Faktoren können hierbei durch den Arzt Eine ausgedehnte Kühlung führt zu tieferen Verbren-
im Verbrennungszentrum nicht beeinflusst werden, wir- nungen und kompromittiert die Immunabwehr. Unsterile
ken aber begünstigend auf die Entstehung von Wundinfek- Wundauflagen oder Kontaminationen am Unfallort sor-
tionen. gen ebenfalls für eine erhöhte Keimlast auf der frischen
Wunde. Je später eine Wunde dem versorgenden Zentrum
zugeführt wird, desto höher das Risiko einer Kontamina-
Einflussfaktoren beim Patienten
tion und Besiedlung der verbrannten Areale. Auch eine
5 Alter
verzögerte oder ungenügende Flüssigkeitszufuhr kann
5 Komorbiditäten
durch Minderperfusion Infektionen begünstigen.

Je älter und kränker der Patient desto geringer seine Reser-


Einflussfaktoren des Managements
ven, einer Infektion zu begegnen (Park 2013). Herz-Kreis-
5 Wundmanagement
lauf- oder pulmonale Erkrankungen verringern die Sauer-
5 Hygienemaßnahmen
stoffsättigung im Gewebe und machen es anfälliger für
Infektionen. Diabetes mellitus, Nieren- oder eine Leber-
insuffizienz begünstigen ebenfalls das Auftreten von Infek- Im Verbrennungszentrum sorgen die Entfernung der Klei-
tionen. Nikotin-, Alkohol- und/oder Drogenabusus beein- dung, die sterile Waschung (. Abb. 19.1) und Rasur des
flussen ebenfalls in erheblichem Maße die Immunabwehr. Patienten für eine Keimreduktion. Sterile Verbände mit
verschiedenen Salben und Gelen, auf die im entsprechen-
den Kapitel eingegangen wird, reduzieren die Keimlast wei-
Einflussfaktoren der Verbrennung
ter bzw. verhindern die Besiedelung. Das Prinzip, Debris
5 Ausmaß
und avitales Gewebe möglichst rasch zu entfernen hat sich
5 Tiefe
mittlerweile durchgesetzt. Dazu gehört auch die Entfer-
5 Genese
nung von Blasen. Die Verbände halten die Wunde idealer-
5 Körperregion
weise feucht und ermöglichen gleichzeitig das Abfließen
von Wundsekret. Regelmäßige Verbandswechsel entfernen
Je größer das Ausmaß der Verbrennung, desto größer ist Debris und entziehen damit Keimen den Nährboden.
der Schaden für den Gesamtorganismus inklusive Aus- Die strenge Antisepsis ist entscheidend für die Vermei-
wirkung auf das Immunsystem. Je tiefer die Verbrennung dung von Infektionen. Die Händedesinfektion nach jedem
19 desto größer ist die Menge an avitalem Gewebe als Nähr- Patientenkontakt sollte selbstverständlich sein, wird aber in
boden für Pathogene (Cochran 2002; Heideman 1992). der Routine zu häufig unterlassen. Regelmäßige Hygiene-
Gleiches gilt für Verbrennungen durch große Hitze und schulungen helfen bei der Sensibilisierung des Personals.
Stromverletzungen. Körperregionen wie das Perineum mit Bei jedem Patientenkontakt werden sterile Handschuhe
hoher natürlicher Keimbelastung sind gefährdeter, Infek- und Kittel, Haube und Mundschutz getragen. Bereichsklei-
tionen zu entwickeln. dung inklusive Schuhe wird selbstverständlich nur auf
der jeweiligen Station getragen. Verbandsmaterial und per-
sönliche Dinge des Patienten verlassen das Zimmer nicht.
Es ist peinlich darauf zu achten, dass nicht mit den gleichen

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19.2 · Infektionsformen
175 19

. Abb. 19.1 Sterile Waschung eines Frischbrandverletzten in einer


speziellen Wanne mit warmem Wasser in einem beheizten Raum. Alle
Mitarbeiter am Patienten tragen sterile Kittel, Handschuhe, Mund-
und Kopfschutz. Durch diese Maßnahme werden Verschmutzungen
entfernt und die Keimlast auf der Haut und den Verbrennungswun-
den reduziert

Handschuhen am Patienten gearbeitet wird, medizinische


Geräte bedient, die Patientenakte berührt oder telefoniert
wird. Mindestens zwei Personen sollten dafür bei jedem
Verbandswechsel anwesend sein, um Fehler zu vermeiden
und beispielsweise steril anreichen zu können. Aufgrund b
des Kostendruckes sind diese Vorgaben jedoch wegen des
. Abb. 19.2 a Kleine offene Stellen im ansonsten abgeheilten
Personalmangels schwer einzuhalten.
Spalthautentnahmegebiet mit Bläschen und septischer Granulation.
Die Patienten werden idealerweise in Einzelboxen mit Hier genügt regelhaft das Débridement mit einer Kompresse und
eigener Klimatisierung und speziellen Luftfiltern unter- tägliche Verbandswechsel um eine Abheilung zu erreichen. b Inner-
bracht, wobei die Luftströmung stets vom Patienten weg halb bereits abgeheilter Areale entleert sich aus einer eröffneten
gerichtet sein sollte. Blase Eiter. Am Grund der Blase schimmert septisches Granulations-
gewebe durch. Hier empfiehlt sich nach Débridement mit der
Kompresse und Desinfektion ein kleinflächiges Abtragen des Granu-
lationsgewebes. Die Wunde kann dann sekundär heilen
19.2 Infektionsformen

Auch unter Beachtung sämtlicher Richtlinien können 19.2.2 Zellulitis


Wundinfektionen entstehen. In der amerikanischen Litera-
tur wird unterschieden in: Die Entzündung breitet sich über das eigentliche Ver-
4 Impetigo brennungsareal in bisher nicht betroffene Haut und Unter-
4 Zellulitis hautschichten mit Rötung Schwellung und Schmerzhaftig-
4 Wundinfektion keit aus. Erreger sind meist Staphylokokken und Strepto-
4 invasive Wundinfektion kokken. Meist ist es ausreichend, das Wundareal suffizient
zu débridieren, eine antibiogrammgerechte Antibiose hilft
dann den Infekt zu beherrschen (. Abb. 19.3).
19.2.1 Impetigo

Hierbei handelt es sich um eine Infektion bereits abgeheil- 19.2.3 Wundinfektion


ter Wunden, oberflächliche Eiterpusteln und Verlust der
bereits eingeheilten oder abgeheilten Haut meist durch Die Infektion entsteht meist auf dem Boden nicht aus-
Staphylokokken (. Abb. 19.2). Die Therapie besteht aus reichend débridierter Areale der Verbrennungswunde und
der Eröffnung der Abszesse und offenen Wundbehandlung führt zum Verlust transplantierter Haut und Eiterbildung
mit topischen Antiseptika. (. Abb. 19.4). Systemische Infektzeichen können bestehen.

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176 Kapitel 19 · Behandlung der infizierten Verbrennungswunde

. Abb. 19.4 Restnekrosen und infiziertes Fettgewebe mit Eiter-


bildung bei einer Verbrennung Grad IIb und III, die insuffizient débri-
diert wurde. Hier muss radikal nachnekrektomiert werden, ggf. sogar
. Abb. 19.3 Perifokale Rötung und über die Wundgrenzen hinaus- epifaszial. Da dies für das ästhetische Ergebnis nachteilig wäre, kann
reichende Entzündung bei alter tiefgradiger Verbrennung (IIa). Hier alternativ die obere Fettschicht tangential abgetragen und dann
wird eine tangentiale Nekrektomie notwendig. Es kann in gleicher über einen Vakuumsogverband Granulationsgewebe gezüchtet wer-
Sitzung transplantiert werden, da der Wundgrund selbst dann sauber den, um darauf zu transplantieren. In diesem Falle muss allerdings
ist und der Infekt damit saniert ist peinlich auf einen eventuellen Reinfekt geachtet werden

Auch hier ist die gründliche Nekrektomie und Resektion von Katecholaminen schädigen die Immunabwehr des
infizierten Gewebes flankiert von systemischer antibio- Gewebes weiter. SIRS (»systemic inflammatory response
grammgerechter Antibiose effektiv. syndrome«), Organversagen, Hyperglykämie, Nierener-
satzverfahren, parenterale Ernährung begünstigen außer-
dem die Entstehung von Wundinfekten.
19.2.4 Invasive Wundinfektion

Die lokale Wundinfektion breitet sich mit Eiter- und Ne- 19.4 Surveillance
krosenbildung über die Verbrennungswunde aus. Es be-
stehen systemische Infektzeichen, die sich bis zur Sepsis Tägliche oder zweitägliche Verbandswechsel, bei denen
ausweiten können. Die Therapie besteht aus dem radikalen streng auf Antisepsis geachtet wird erlauben es, Infek-
Débridement und Antibiose wie oben. tionen früh zu erkennen. Die Verbandswechsel sollen von
geschultem Pflegepersonal durchgeführt werden. Der Arzt
muss die Wunden inspizieren, wozu auch die Inspektion
19.3 Infektionsentstehung des entfernten Verbandsmaterials gehört, um Exsudat-
menge und -qualität zu beurteilen. Mindestens dreimal
Initial sind die meisten Brandwunden steril. Auf die Kolo- tägliche Temperaturmessung und tägliche Blutentnahmen,
nisation mit grampositiven Keimen, meist Staphylokok- sowie mindestens wöchentliche Wundabstriche ergänzen
ken, die oft aus Hautanhangsgebilden, die nicht zerstört die Wundüberwachung. Bei jeder Aufnahme eines Schwer-
sind, stammen, folgt um die zweite Woche der Wechsel auf brandverletzen erfolgen routinemäßig Ganzkörperab-
ein gramnegatives Spektrum, wobei der ubiquitär vorhan- striche (alle Wunden, Körperöffnungen, Perineum, Axillae
dene Pseudomonas aeruginosa dominiert (Pruitt 1992; und Leisten) und die Urinkultur. In der Regel leitet sich
Peck 1998; Pruitt 1998). Pseudomonaden sind neben Aci- aus den Aufnahmeabstrichen keine direkte therapeutische
19 netobacter Species auch die häufigsten Auslöser für sep- Konsequenz dahingehend ab, dass die dort gefundenen
tische Verläufe (Lee 2013). Auch die hämatogene Besied- Keime auch für spätere Wundinfektionen ursächlich sind,
lung aus dem Magendarmtrakt durch Translokation wird allerdings können dadurch die Träger multiresistenter
diskutiert (Fleming 1991; Munster 1993). Keime rasch identifiziert und geeignete Gegenmaßnah-
In der Frühphase der Verbrennungskrankheit be- men eingeleitet werden (Miller 2000; Sheridan 2001).
günstigen neben oben bereits beschriebenen Faktoren
neutropene Verläufe das Auftreten einer Infektion. Opera-
tionen mit hohem Blutverlust und großen Mengen Blut-
transfusion und ggf. Auskühlung des Patienten und Gabe

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19.6 · Klinische Zeichen der Wundinfektion
177 19

. Abb. 19.6 Fulminanter Wundinfekt mit Pseudomonas aerigunosa


bei Z. n. alter Verbrennung mit freiliegender Tibia und myokutaner
Latissimus-dorsi-Plastik und Spalthauttransplantation. Neben Ne-
krosen ist der charakteristische grünliche Wundbelag und das Sekret
im Verbandmaterial sichtbar. Die lytischen Enzyme verhindern ein
Verkleben des Lappens mit dem Untergrund, so dass dieser frei
flottiert. Hier muss radikal débridiert werden. Der Lappen ist nicht
zu retten

sichtbar, die einer perivaskulären Hämorrhagie entspre-


chen (Ecthyma gangraenosum; Branski 2009).
b

. Abb. 19.5a, b Klinischer Befund der Wundinfektion. a Der


19.6 Klinische Zeichen der Wundinfektion
glasige Wundgrund ist angereichert mit lytischen Bakterienenzymen.
Hierauf wird die Spalthaut keine Fibrinbrücken aufbauen können
und auf solchen Wundgrund transplantierte Haut wäre verloren. Hier Diese klinischen Zeichen legen die Diagnose einer Wund-
müssen die restlichen Nekrosen und das Granulationsgewebe tan- infektion nahe:
gential beispielsweise mit einem scharfen Löffel abgetragen werden. 4 zunehmendes Exsudat
Dann kann in derselben Sitzung die Hauttransplantation gewagt
4 Verfärbung der Wundflüssigkeit, der Wunde oder
werden, wobei hier ein großes Risiko des Transplantatverlusts besteht.
Frühe Verbandswechsel deutlich vor den sonst üblichen fünf Tagen der umgebenden Haut
wären angezeigt, um frühzeitig einen Reinfekt zu erkennen und ggf. 4 Konsistenz des Wundbelags oder Pusentwicklung
über dosiertes Trocknenlassen der Wunde die Einheilungsschancen 4 Geruch
zu erhöhen. b Chronische nicht abheilende Wunden entstehen lokal 4 progrediente Nekrose
begrenzter Infekte wegen. Hier ist vor einer Spalthauttransplantation
4 Verlust transplantierter Haut
die Resektion des Ulkusgrundes bis in gesundes Gewebe nötig. Das
narbige, teils regelrecht holzige Gewebe am Wundgrund sollte voll- 4 bekannte Infektzeichen wie
ständig entfernt werden 5 Rötung
5 Schwellung
5 Schmerzen
19.5 Diagnose Wundinfektion 5 Funktionseinschränkung

Die Diagnose Wundinfektion bleibt abgesehen von den Weitere Parameter wie eine Pulsrate über 110/min, eine
Abstrich- und histologischen Ergebnissen vor allem eine Temperatur >39°C und der systolische Blutdruck <100, be-
klinische. Transplantatverlust, schmierige und riechende gleitet von erhöhten Infektparametern im Labor weisen auf
Wundbelege, Rötung und Schwellung sowie progrediente eine beginnende Sepsis hin. Es muss allerdings einschrän-
Nekrosen sind wesentliche Indizien (. Abb. 19.5). Wache kend darauf hingewiesen werden, dass erhöhte Infektwerte
Patienten äußern verstärkte Schmerzen. Typische Zeichen und Fieber, sowie erhöhte Pulsraten und Tachypnoe auch
einer Infektion mit Pseudomonaden sind beispielsweise im Rahmen des SIRS beobachtet werden und somit nicht
der charakteristische süßliche Geruch der Wunde und sicher auf eine Infektion hinweisen müssen (Greenhalgh
eine grünliche Verfärbung der Wundbeläge und Verbände 2007; Mann-Salinas 2013; Hogan 2012). Gleiches gilt leider
(. Abb. 19.6). Bei einer invasiven Infektion werden kleine auch für das Procalcitonin (Schultz 2013). Gelegentlich
bläulich-schwarze Flecken in vormals gesundem Gewebe fällt die Wundinfektion zunächst durch die Änderung

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178 Kapitel 19 · Behandlung der infizierten Verbrennungswunde

scheinend gesundes Gewebe enthält, zu gewinnen. Außer-


dem wird Gewebe für die Gramfärbung und die Kultur
eingesandt, sodass nach dem Ergebnis die zielgerichtete
Antibiose eingeleitet werden kann.
> Entscheidend für den langfristigen Erfolg ist die
chirurgische Sanierung. Das radikale Débridement
lässt sich nicht durch konservative Maßnahmen
ersetzen.

Abgesehen vom lokalen Befund können Infektparameter


im Blut die Diagnose stützen, erhöhte Leukozytenzahlen
und hohes CRP sprechen für eine Infektion, erhöhtes Pro-
calcitonin kann mit septischen Komplikationen korrelie-
ren (Heimburg 1998).
Es bleibt allerdings festzuhalten, dass der Keimnach-
. Abb. 19.7 Histologischer Befund in der Methylenfärbung aus weis und auch Quantifizierungen keine sichere Aussage
an einen Wundinfekt angrenzender teils unverbrannter Haut mit über den weiteren klinischen Verlauf erlauben. Erst die
sichtbarer Blasenbildung und einer hohen Konzentration an blau Gesamtschau aller Parameter inklusive der systemischen
gefärbten Stäbchenbakterien im Gewebe und der makroskopischen Wundsituation ermöglicht die
Korrekte Einschätzung.

systemischer Parameter auf. In diesem Falle muss neben der


katheterassoziierten Infektion, der Pneumonie und dem 19.7 Transplantatverlust
Harnwegsinfekt insbesondere an eine Wundinfektion ge-
dacht werden. Wundinfektionen führen zu Transplantatverlust, erfordern
Bei Verdacht auf Infektion ist ein reiner Wundabstrich Folgeeingriffe und Verlängern den stationären Aufenthalt
nicht mehr zielführend, da nicht zwischen einer Wundbe- (. Abb. 19.8; Kollef 2003).
siedelung und einer Wundinfektion, also der Invasion der Die meisten Untersuchungen zu Wundinfektionen bei
Keime in das gesunde Gewebe hinein unterschieden wird. Brandverletzten beziehen sich nicht explizit auf bereits ex-
Es erfolgt die quantitative Keimzahlbestimmung aus dem zidierte und transplantierte Areale. Insbesondere nehmen
Wundgewebe mittels Histologie. Mehr als 105 Keime/g in sie keine Stellung zum Risiko des Transplantatverlustes
der histologischen Probe gelten als Hinweis für eine inva- durch die Infektion und Folgen für die Patienten. Der Ver-
sive Infektion (. Abb. 19.7). lust transplantierter Haut stellt aber insbesondere bei be-
Bei einer Keimzahl darunter liegt mit einer Wahr- grenzten Spenderflächen ein ernstes Problem dar. Nicht
scheinlichkeit von 97 % keine Infektion vor, bei einer Keim- nur durch direkte toxische Gewebeschädigung, sondern
zahl darüber liegt aber nur in 36 % auch histopathologisch auch durch die Sekretion von Enzymen wird die Einhei-
eine Infektion vor (McManus 1987). Mehr als 108 Keime lung der Transplantate gestört (. Abb. 19.5a). Das Verkle-
sind bei schweren septischen Komplikationen in infizierten ben der Spalthaut mit dem Wundgrund durch Fibrin-
Brandwunden nachweisbar. Für Staphylokokken konnte brücken ist der erste Schritt der natürlichen Fixierung des
gezeigt werden, dass ein erhöhtes Risiko für Transplan- Transplantats am Wundbett und die Voraussetzung für
tatverlust besteht, sobald mehr als 105 koloniebildende das Einsprossen neuer Gefäße. Unterbleibt dieser Schritt
Einheiten/g Gewebe nachgewiesen werden (Robson 1997). oder werden diese Brücken durch vorhandene bakterielle
Ab welcher Keimzahl ein Verlust der transplantierten Haut Enzyme aufgelöst, kann das Transplantat nicht einheilen.
zu befürchten ist, ist nicht klar. Es scheint jedoch so, dass In der Regel beginnt es bereits nach wenigen Minuten am
19 beispielsweise Streptokokken der Gruppe A (Staphylo- Wundgrund zu »kleben«. Geschieht dies nicht, so liegt
coccus pyogenes) aufgrund ihrer enzymatischen Aktivität wahrscheinlich kein ausreichend débridierter Wundgrund
bereits bei geringeren Keimzahlen problematischer sind als mit einer zu hohen Konzentration an diesen Enzymen vor.
andere Keime (Gruteke 1996; Gupta 1999; Branski 2009). Wird dies intraoperativ bemerkt, darf nicht transplantiert
Erst der histologische Nachweis der Keiminvasion in ge- werden, da das Transplantat nicht einheilen wird. Gegebe-
sundes Gewebe sichert die Diagnose Infektion (Pruitt 1992). nenfalls muss nachdébridiert werden. Gelegentlich beob-
Hierfür ist es hilfreich, ein ausreichend großes Gewebe- achtet man dieses Phänomen bei Patienten mit schlechtem
stück (500 mg), das neben dem infizierten oder abgestor- Allgemeinzustand auch ohne Infekt. Auch dann ist die
benen Gewebe auch angrenzendes perfundiertes und an- Chance des Einheilens der Transplantate gering.

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19.7 · Transplantatverlust
179 19
gramnegative Bakterien, 36 % Pilze und 15 % grampositive
Bakterien als Auslöser, wobei der häufigste Einzelerreger
mit 24 % Candidapilze waren. Häufig wurden Mischinfek-
tionen mit Pseudomonas, Aspergillen und Candida be-
obachtet. Die Wundinfektionen traten alle erst nach dem
10. Tag nach Verbrennung auf. Knapp 40 % der Patienten
mit >20 % VKOF entwickelten eine Wundinfektion. Die
Wundinfektion selbst hatte keinen Einfluss auf das Über-
leben der Patienten, verlängerte deren stationären Aufent-
halt allerdings um das Dreifache. Es waren mehr Opera-
tionen notwendig und größere Transplantatflächen zu
verzeichnen. 46 % der Patienten mit Wundinfektion ent-
wickelten einen reoperationspflichtigen Transplantatver-
lust. Das größte Risiko eines Transplantatverlusts bestand
. Abb. 19.8 Umschriebene Areale mit infizierten Restnekrosen. Sie bei einer Pilzinfektion (56 %), gefolgt von grampositiven
bedeuten zwar in diesem Zustand keine Gefahr für die bereits ein- (45 %) und gramnegativen (35 %) Keimen. Bezüglich der
geheilte Haut oder den gesamten Organismus, verzögern allerdings Korrelation mit Transplantatverlusten traten die einzelnen
die Abheilung. Hier sollte man sich die Mühe machen, auch kleine Keime bei allerdings geringen Fallzahlen in absteigender
Flächen nachzudébridieren und ggf. nachzutransplantieren, um die
Reihenfolge auf: Enterococcus faecalis (100 %) gefolgt
Abheilung zu beschleunigen
von Aspergillen (86 %), Proteus mirabilis (66 %), Pseudo-
monas aerigunosa (44 %), Candida (41 %) und Staphylo-
Staphylokokken können durch die Sekretion proteo- coccus aureus (38 %). In dieser Studie konnte gezeigt wer-
lytischer Enzyme, Hyaloronidasen und Lipasen in Eschar den, dass die späte Transplantation, der prozentuale Anteil
und gesundes Gewebe eindringen und dort Abszesse bil- der VKOF und die Verbrennungstiefe das Risiko für eine
den. Auch Streptokokken verfügen über eine Vielzahl an Wundinfektion mit Transplantatverlust erhöhten. Interes-
proteolytischen Enzymen weshalb bereits Keimdichten santerweise war das Überleben nicht durch Wundinfekte
von unter 105 Keimen zu Wundkomplikationen führen oder Transplantatverluste beeinflusst (Posluszny 2011).
können (Gruteke 1996). Gramnegative Keime besitzen zu- In Europa sind unter den gramnegativen Keimen vor
sätzlich in ihrer äußeren Membran Lipopolisaccharid- allem Pseudomonaden, Acinetobacter baumanii und Ente-
moleküle mit toxisch wirkenden Lipidankern, die bei der rokokken, sowie Escherichia coli für Wundinfektionen
Lyse des Bakteriums freigesetzt werden und das umge- verantwortlich, wobei Acinetobacter-Infektionen mittler-
bende Gewebe schädigen (Woods 1983). Sie bilden um weile durch Aufnahmen von Patienten aus dem vorder-
sich herum eine Schleimschicht, die sie vor Medikamen- asiatischen Raum auch in Europa häufiger werden
tenwirkung schützt und verfügen außerdem teilweise über (Pruitt 1998; Hodle 2006).
Geißeln, die ihnen ermöglichen, sich fortzubewegen. Auf der Schwerbrandverletztenintensivstation des
Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Berg-
> Gramnegative Keime erhöhen die Mortalität um
mannsheil wurden in den letzten vier Jahren bei 441 Brand-
bis zu 50 % (Niederman 1989) und verlangsamen
verletzten am häufigsten koagulasenegative Staphylokok-
die Wundheilung (Park 2013).
ken, die als Standortflora gewertet werden können, gefolgt
Eine ausführliche Arbeit an 71 Patienten zum Thema von Staphylococcus aureus und Pseudomonaden abge-
Transplantatverlust bei Wundinfekt identifizierte bei 49 % strichen (. Tab. 19.1).

. Tab. 19.1 Keimnachweise der häufigsten Keime im Wundabstrich 2010–2014 bei 441 Patienten der Schwerbrandverletzteninten-
sivstation des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil, Bochum in absteigender Reihenfolge (in Klammern
Anteil multiresistenter Keime)

steril KNS Staphylo- Pseudo- E. coli Entero- Klebsiellae Bacillus Entero- Proteus Acineto-
coccus monas bacter bacter mirabilis bacter
aureus aeruginosa cloacae faecalis

130 146 56 (12) 27 (3) 31 (4) 22 (1) 17 (2) 18 12 8 7 (3)

KNS koagulasenegative Staphylokokken

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180 Kapitel 19 · Behandlung der infizierten Verbrennungswunde

a b

c d

. Abb. 19.9a–d Befunde eines jungen Mädchens mit Flammenverbrennung. a Aufnahmebefund. b Tiefreichende Nekrosen der Muskulatur
zunächst unklarer Ursache. c Die Histologie zeigte eine tiefreichende Pilzinfektion, die gesamte Muskulatur bis zum Knochen (Tibia) durch-
setzend. d Hier gelang nur durch radikales Débridement auch der Muskulatur und eine systemische antimykotische Therapie der Erhalt der
Unterschenkel

19.7.1 Pilzinfektionen wobei Candidaspezies überwiegen (Mayhall 2003; Ballard


2008). In einer Studie an 228 verstorbenen von 3751 Pa-
Pilzinfektionen werden wegen des langsameren Wachs- tienten wurde der Tod bei 32,6 % eindeutig auf die invasive
tums der im Vergleich zu Bakterien meist erst mit einer Pilzinfektion zurückgeführt. Bei nach dem 78. Tag verstor-
Latenz von 2–3 Wochen manifest. Eine breite antibiotische benen waren es sogar 43 % (Murray 2008). Die Mortalität
Therapie kann das Pilzwachstum durch die Aufhebung des einer invasiven Mykose ist hoch, wobei hier die Zahlen
Selektionsdrucks fördern. Aus dem Gastrointestinaltrakt zwischen 20 und 76 % schwanken. Schimmelpilze und
und den oberen Atemwegen des Patienten gelangen meist Zygomyzeten weisen wahrscheinlich aufgrund ihrer Affini-
Candidapilze auf die Wunden. Schimmelpilze werden in tät zu Blutgefäßen und ihrer schnellen hämatogenen Ver-
der Regel aerogen übertragen. Als Ursache kommen hier breitung eine höhere Mortalität auf als Candidaspezies
Baumaßnahmen in der in Nähe oder die Behandler selbst [Cochran 2004; Ballard 2008; Murray 2008; Horvath 2007).
19 in Betracht. Zusätzlich zur lokalen Nekrotisierung wirken die Pilztoxine
systemisch (Struck 2007). Einige Autoren fordern daher,
> Pilzinfektionen werden verkannt, da sie initial
Pilzinfektionen neu zu bewerten und ihrem großen negati-
oft okkult verlaufen (. Abb. 19.9) und erst in späten
ven Einfluss auf die Prognose gerecht zu werden (Horvath
Stadien Pilzformationen auch oberflächlich sicht-
2007; Greenhalgh 2007). Der Nachweis einer Pilzinfektion
bar werden (. Abb. 19.10). Sie scheinen allerdings
erfolgt meist über Antikörpertitertests, wobei diese auf-
weit häufiger zu sein, als landläufig vermutet.
grund der Immunsuppression der Patienten verzögert an-
In bis zu 40 % können bei Schwerbrandverletzten mit ge- sprechen können. Sicherer ist der direkte Antigennachweis
eigneten Methoden Pilzinfektionen nachgewiesen werden, aus Serum, Liquor oder Urin. Blutkulturen sind sensitiv, um

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
181 19
Abstriche überwacht wird. Unter Berücksichtigung dieses
Keimspektrums mit dem zugehörigen Resistenzprofil
können bei noch ausstehendem Resistogramm Antibiosen
kalkuliert verabreicht werden. Dies ist insbesondere dann
hilfreich, wenn rasch fortschreitende Wundinfektionen
oder systemische Infektzeichen keinen Aufschub der sys-
temischen Therapie dulden.
Die neueste Untersuchung zur antibiotischen Prophy-
laxe zur Vermeidung von Infektionen in Brandwunden von
2013 belegt vor allem eine ungenügende Studienlage, um
sichere Empfehlungen zu geben. Es scheint allerdings so, als
würden Silber Sulfadiazin-Präparate, direkt auf die Brand-
wunde aufgebracht, mit höheren Raten an Wundinfektionen
. Abb. 19.10 Verfärbungen der Meek-Auflagen durch Aspergillen. einhergehen. Der prophylaktische Einsatz topischer Anti-
Der Patient verstarb in der Pilzsepsis
biotika kann die Rate an Wundinfektionen nicht senken
und auch nicht die Rate an septischen Komplikationen oder
Candidamykosen zu identifizieren, erweisen sich aber für die Mortalität. Für die perioperative Antibiotikagabe und
den Nachweis von Aspergillosen oder Zygomyzeten als un- die selektive Darmdekontamination konnte ebenfalls kein
zuverlässig. Die rtPCR kann hier als teures Verfahren auch positiver Effekt belegt werden (Barajas-Nava 2013). Eine
eine schnelle Diagnose bringen (Denman 2006). Als Gold- prophylaktische Antibiotikagabe wird wegen des Risikos
standard gilt die Histopathologie an Proben, die gesundes der Resistenzentwicklung nicht empfohlen.
und erkranktes Gewebe beinhalten um die Invasivität bes- Die Therapie der Wahl besteht vor allem in der chirur-
ser beurteilen zu können (Horvath 2007; Church 2006). Als gischen Wundsanierung. Infiziertes Gewebe wird bis ins
Therapie der Wahl gilt die radikale chirurgische Sanierung gesunde Gewebe hinein reseziert. Sollten zahlreiche kleine
bis ins gesunde Gewebe. Auf die medikamentöse Therapie infizierte Restdefekte bestehen kann auch das Bad mit
wird im entsprechenden Kapitel näher eingegangen. Die Chloramin T in der Wanne unterstützend wirken. Regel-
möglichst frühzeitige Therapie ist auch bei einer Pilzinfek- mäßige Verbandswechsels in mindestens zweitäglichem
tion der entscheidende Faktor für den Therapieerfolg. Abstand wirken wie oben beschrieben ebenfalls keimredu-
Wichtig ist, eine Pilzinfektion in Erwägung zu ziehen und zierend. Sollte eine Wundinfektion mit Pseudomonaden
sich der geeigneten Diagnoseverfahren zu bedienen. Auf vorliegen, kann das Offenlassen der Wunde dem Feucht-
unserer Intensivstation wurden in den letzten vier Jahren keim sein benötigtes Milieu nehmen. Auf spezielle Wund-
bei 441 Patienten 14-mal Candidaspezies nachgewiesen auflagen und topische Behandlung wird im entsprechen-
und einmal Aspergillen (. Abb. 19.10). den Kapitel näher eingegangen.

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183 20

Tissue Engineering der Haut


Bernd Hartmann, Christian Ottomann

20.1 Aktueller Stand – 184

20.2 Definition und Anforderungen an Skingineering-


Produkte – 184

20.3 Historische Entwicklung – 185

20.4 Artificial Skin – 186

20.5 Skingineering – 187


20.5.1 Kultivierte autologe Keratinozyten – 187
20.5.2 Dermisersatzmaterialien – 190
20.5.3 Mehrschichtiger zellbesiedelter autologer Hautersatz – 191

20.6 Ausblick in die Zukunft – 191

20.7 Zusammenfassung – 192

Literatur – 192

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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184 Kapitel 20 · Tissue Engineering der Haut

20.1 Aktueller Stand nissen (Hartmann 2007). Dagegen sind die Ergebnisse bei
Läsionen Grad III mit komplettem Verlust der Dermis und
Bei einem Hautverlust größer 65 % der verbrannten Kör- der konsekutiven Transplantation auf Fett- bzw. Muskel-
peroberfläche (VKOF) reichen Eigenhauttransplantate zur gewebe sowohl funktionell als auch ästhetisch nicht befrie-
einzeitigen Deckung des schwerbrandverletzten Patienten digend. Erst Arbeiten von Cuono und Hickersen aus den
oft nicht mehr aus, denn aufgrund des limitierten Spender- Jahren 1987 und 1994, die zunächst allogene Dermis in das
areals stoßen auch Hauttransplantationsmethoden mit Wundbett transplantierten, führten zu besseren klinischen
hohen Expansionsraten wie z. B. die Technik nach Meek an Ergebnissen (Cuono 1987; Hickersen 1994).
ihre Grenzen (Raff 1996; Meek 1958; Meek 1965; Kreis Tissue-engineering-Verfahren der Haut (Skingineer-
1993). Selbst Kombinationsverfahren wie die Sandwich- ing) umfasst jedoch nicht nur mehr die kultivierten Kera-
technik nach Alexander, bei der weitmaschige Mesh-Trans- tinozyten, sondern auch das große Feld des im Labor her-
plantate mit allogener Fremdhaut überdeckt werden, kön- gestellten Dermisersatzes und die inzwischen zahlreichen
nen den Wunsch nach einer definitiven und einzeitigen Matrices, die mit Zellen (Keratinozyten, Fibroblasten)
Wundversorgung bei großflächigen thermischen Hautlä- und bestimmten Faktoren (z. B. Wachstumshormon) in-
sionen nicht erfüllen, da zu wenig Haut zur Transplantation okuliert werden. Zahlreiche Forschungsgruppen arbeiten
zur Verfügung steht (Alexander 1991; Vandeput 1966). weltweit teils parallel an innovativen Lösungen, um sich
Weitere Spezifikationen autologer Transplantationsverfah- mittels Tissue-engineering-Verfahren einem adäquaten
ren wie die Stamp- oder Mikroskin-Technik, Chip-graft- Vollhautersatz anzunähern. Nichtsdestotrotz steht der
Technik oder die Autolog-allogene-intermingled-Technik Einsatz eines kultivierten, das heißt vollständig im Labor
stoßen an ihre Grenzen, da das Grundproblem der limitier- hergestellten Hautersatzes noch in der Phase von frühen
ten unverbrannten Hautareale bestehen bleibt (Chang klinischen Studien. Es gelingt zwar immer mehr, bestimmte
1998; Min 1981; Yang 1981; Jackson 1954; Converse 1954; Zellen oder Zellbestandteile in Hautersatzmaterialien zu
Toranto 1974; Herndon 1992; Horch 1994). implementieren, die anfängliche Euphorie auf einen zeit-
Aufgrund des Hautbarriereverlusts und der mit der lich absehbar verfügbaren funktionell und kosmetisch im
Immunsupression im Rahmen der Verbrennungskrank- Labor hergestellten Vollhautersatz ist jedoch verflogen,
heit einhergehenden erhöhten Infektionsrate überleben denn erst mit den zahlreichen Hautanhangsgebilden wird
die Patienten den Zeitraum bis zur erneuten möglichen eine adäquate Qualität der Haut erreicht (Halim 2010). Bei
Hautabnahme nach Reepithelisierung des Spenderareals der Herstellung eines im Labor kultivierten Hautersatzes
oftmals nicht (Janzekovic 1971; Fisher 1984). Erst die Er- wurde zudem die Zell-zu-Zell Kommunikation, die auf
forschung im Labor gezüchteter Hauttransplantate und die hochkomplexen physiologischen Kaskaden beruht, unter-
Einführung transplantier- und resorbierbarer Biomateria- schätzt (Böttcher-Haberzeth 2010). Es sind zwar Zwischen-
lien im Rahmen des Tissue Engineering (TE) ermöglichten erfolge erzielt worden, da erste bilaminäre Hautersatz-
einen Ausweg aus diesem Dilemma. matrices aus Keratinozyten- und Fibroblastenkombina-
Ausgehend von den grundlegenden Arbeiten von tionen kommerziell erhältlich sind, die Erfüllung des
Rheinwald und Green in den 70er Jahren können im Labor Wunsches nach einem Vollhautersatz aus dem Labor, in
gezüchtete Keratinozytentransplantate in der Verbren- Qualität und Funktion gesunder Haut vergleichbar, steht
nungsmedizin eingesetzt werden (Rheinwald 1975a). Seit jedoch nach wie vor in weiter Ferne.
1981 werden kultivierte epidermale Transplantate (»cultur-
ed epithelial autografts«, CEA) routinemäßig in der Be-
handlung schwerbrandverletzter Patienten eingesetzt 20.2 Definition und Anforderungen
(Burke 1981). Die ursprünglich von Rheinwald und Green an Skingineering-Produkte
beschriebene Methode ist vielfältig modifiziert worden.
Ausschlaggebend für die Wahl der jeweiligen Methode ist Sowohl im Rahmen der Verbrennungschirurgie als auch
das gewünschte Endprodukt: Weitgehend ausdifferenzier- bei allen anderen Läsionen mit großflächigem Hautverlust
te, mehrlagige transplantierbare Keratinozytenzellverbän- (Decollement, großflächige Naevi usw.) ist nach wie vor
de als Sheets oder die Suspension einer überwiegend ge- die Goldstandardtherapie die autologe Spalthauttransplan-
20 ring differenzierten, proliferationsfähigen Keratinozyten- tation, bei der neben der Epidermis oberflächliche Dermis-
population. Die Vorteile der CEA liegen in der theoretisch anteile transplantiert werden (Sharma 2014). Die etwa
unbegrenzt kultivierbaren Zellzahl, im Vermeiden wieder- 0,2 mm dicken Transplantate resultieren jedoch oftmals
holter Spalthautentnahmen und der einzeitigen Deckung nicht nur in kosmetisch ungünstiger bis stigmatisierender
großflächig verbrannter Patienten. Im Rahmen von ober- Narbenbildung, sondern können durch Narbenkontrak-
flächlichen, im Bereich der Dermis liegenden Wunden tion darüber hinaus zu funktionellen Einbußen führen. Da
führen diese Transplantate zu guten postoperativen Ergeb- die Hautanhangsgebilde fehlen, die die Funktion der Haut

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20.3 · Historische Entwicklung
185 20
erfüllen (Schweiß- und Talgausscheidung, Schmerz-, flüssigkeit befinden, von den Rändern ausgehend wachsen.
Druck-, Vibrations- und Temperaturempfinden), ist die Die ersten Kulturmedien bestanden dabei aus einfachen
großflächige Spalthauttransplantation hauptsächlich als physiologischen Kochsalzlösungen, wobei immer mehr mit
lebensrettende Maßnahme anzusehen (Kiwanuka 2011). Zusätzen wie Glukose, Aszitesflüssigkeit und menschlichen
Die Problematik der geringen Qualität der Spalthaut kann wie tierischen Seren experimentiert wurde (Ljunggren
durch die Vollhauttransplantation umgangen werden, auf- 1898; Carrel 1919; Hadda 1912; Kreibich 1914). Erst der
grund des limitierten Spenderareals sind jedoch maximal Zusatz von Aminosäuren und Peptiden in den 30er Jahren
2–3 % der Körperoberfläche mit autologer Vollhaut trans- des 20. Jahrhunderts führten zu wesentlichen Fortschritten
plantierbar. Vor diesem Hintergrund entstand früh der bei der sogenannten Inkubation der entnommenen Haut.
Wunsch nach kultivierter, im Labor hergestellter Haut im Im Jahr 1941 gelang Medawar erstmalig die enzymatische
Rahmen des Tissue Engineering (Skingineering), die un- Trennung von Epidermis und Dermis mittels Trypsin als
begrenzt im Sinne eines Ersatzteillagers zur Verfügung ein Meilenstein des Tissue Engineering (Medawar 1948).
steht. Zielsetzung des Skingineering ist die in vitro Gene- Billingham und Reynolds konnten als weiteren entschei-
rierung von biologischer oder synthetischer Haut oder denden Schritt im Jahr 1949 erstmals darstellen, dass tryp-
Hautersatzmaterialien, die in der Lage sind, Gewebever- sinierte Keratinozyten in einer Zellkultur vital bleiben und
luste permanent mit vergleichbarer biomechanischer durch mitotische Aktivität proliferieren (Billingham 1952).
und ästhetischer Qualität zu ersetzen (MacNeil 2007). Da- Allerdings dauerte es bis zum Jahr 1968, als erstmals die
bei waren mehrlagige Keratinozytenverbände das erste erste Transplantation primär kultivierter Keratinozyten am
Konstrukt, das erfolgreich in vitro kultiviert und in vivo Kaninchen durch Karasek in der Form gelang, dass histolo-
transplantiert werden konnte. Mittlerweile werden kulti- gisch eine komplett stratifizierte Epidermis nachgewiesen
vierte autologe Zelltransplantate weltweit routinemäßig werden konnte (Karasek 1968). Unabhängig des Transplan-
eingesetzt (Herndon 1992; Fisher 1984). Die Qualität der tationserfolges perfektionierten jedoch erst Rheinwald und
kultivierten Epidermistransplantate steht jedoch nach Green die Möglichkeit der Kultivierung einer hohen An-
wie vor aufgrund der fehlenden dermalen Anteile und zahl von Keratinozyten im Jahr 1975 mit der Methode der
Hautanhangsgebilde weit hinter der Zielsetzung eines Keratinozyten Subkultivierung, bei der aus vorhandenen
Vollhautersatzes aus dem Labor zurück, so dass diese als Zellreihen immer wieder neue Zellreihen ausgesät werden
Zwischenlösung mit artifiziellen Dermisersatzmaterialien (Rheinwald 1975a). Der ausschlaggebende Faktor bestand
kombiniert werden. Unabhängig des Erreichten sind die in der Kultivierung auf einem Kollagengel, wodurch die
Anforderungen an die im Labor hergestellten Materialien Proliferationsfähigkeit der Keratinozyten exponentiell ge-
hoch: steigert werden konnte. Die Notwendigkeit eines soge-
4 sofortige unbegrenzte Verfügbarkeit zum einzeitigen nannten Feeder Layers aus Bindegewebselementen war
definitiven Wundverschluss auch bei großflächigem somit erkannt, wobei aus der Verwendung embryonaler
Hautverlust 3T3-Mäuse Fibroblasten die besten Ergebnisse resultierten
4 möglichst vergleichbare Qualität gegenüber gesunder (Rheinwald 1975b). Während die Arbeiten von Rheinwald
Haut mit geringer Narbenbildung und Kontraktur und Green den Weg der therapeutischen Anwendung kul-
4 einfacher Transport ohne Kühlkette und permanente tivierter Keratinozyten ebneten, war die Entdeckung des
Verfügbarkeit »epidermal growth factor« (EGF) für die Kultivierung von
4 einfache Handhabung mit verkürzter Operations- gleichsam entscheidender Bedeutung für die Herstellung
dauer zusammenhängender, im Labor hergestellter Zellverbände
4 ausbleibende Fremdkörperreaktion oder immuno- (Cohen 1965). Inzwischen wurden die Kulturmedien
logische Abstoßung mehrfach modifiziert und enthalten unter anderem fetales
4 geringe Kosten Kälberserum, Spurenelemente, differenzierte Elektrolyt-
konzentrationen, Hormone und zum Teil Antibiotika und
Antimykotika, so dass heute Keratinozyten auch ohne
20.3 Historische Entwicklung Feeder Layer kultiviert werden können. Innerhalb von
3–4 Wochen können so mehrlagige epidermale Zellstruk-
Erste Beschreibungen, menschliche Haut in einer Flüssig- turen (CEA-Sheets) im Labor gezüchtet werden, die mehr
keit lebend aufzubewahren, stammen von Ljunggren am als 500-mal so groß sind wie das entnommene Ausgangs-
Ende des 19. Jahrhunderts (1898). Kaninchen wurden klei- hautstück. Zudem ist inzwischen die Kultivierung einer
ne Hautstücke entnommen, in Aszitesflüssigkeit aufbe- Keratinozyten Zellsuspension oder sogar einer Mischzell-
wahrt und nach ein paar Tagen wieder erfolgreich replan- suspension möglich, mit der die Keratinozyten oder die
tiert (Ljunggren 1898). Andere Forscher konnten später Keratinozyten/Fibroblasten/Melanozyten Suspension auf
beobachten, dass epidermale Hautinseln, die sich in Kultur- die Wunde nicht nur aufpipettiert, sondern mittels be-

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186 Kapitel 20 · Tissue Engineering der Haut

stimmter Sprühvorrichtungen aufgesprüht werden kann


(Wood 1992; Allouni 2013).
Nach der weltweiten Anwendung der CEA in nahezu
allen führenden Schwerbrandverletztenzentren und zahl-
reichen Studien hinsichtlich des Kurz- und Langzeiter-
gebnisses bleiben nach der anfänglichen Euphorie die
Nachteile jedoch evident (Lee 2012). Nicht nur die Kulti-
vierung im Labor dauert mit 3–4 Wochen noch zu lange,
die Zellkulturen sind zudem infektionsanfällig und auch
die intraoperative Fragilität und die postoperative Druck-
empfindlichkeit der Keratinozyten bei oftmals mäßiger
In-vivo-Konfluation bleiben Herausforderungen in der
Versorgung schwerbrandverletzter Patienten mit CEA.
Der wesentliche das Verfahren limitierende Faktor ist da- . Abb. 20.1 Integra-Transplantation am Hals im Rahmen eines
rekonstruktiven Eingriffs
bei die Tatsache, dass gerade Vollhautdefekte mit Absenz
dermaler Anteile erst entsprechend aufwändig kondi-
tioniert werden müssen, um eine erfolgreiche CEA-Trans-
plantation zu gewährleisten (Wong 2013). Jedoch gerade
die Misserfolge im Rahmen der Transplantation der CEA
führten zu der klinischen Erkenntnis, dass Keratinozyten
nur dann erfolgreich anwachsen und konfluieren, wenn
eine Kommunikation zwischen Keratinozyten und Fibro-
blasten gewährleistet ist. Die Interaktion der Keratino-
zyten mit den Fibroblasten über Botenstoffe, die über
die extrazelluläre Flüssigkeit zwischen Haut- und Binde-
gewebszellen erfolgt, rückte damit weiter in den Fokus
des Skingineerings (Nascimento 2012; Widgerow 2011;
Menon 2012). Parallel zur Zellzüchtung im Labor erfolgte
mit den wachsenden medizintechnologischen Möglich-
. Abb. 20.2 Vaskularisation der Integra-Matrix innerhalb eines
keiten die Erforschung dreidimensionaler Trägerstruktu-
zweizeitigen Vorgehens. Die Matrix kann nun mit autologer Spalt-
ren für die kultivierten Keratinozyten und Fibroblasten. Im haut transplantiert werden
Jahr 1981 beschrieben erstmals Bell et al. die Anwendung
einer dermoepidermalen Matrix, angereichert mit allo-
genen humanen Fibroblasten und Keratinozyten, welche Erwarten (Stern 1990). Es stellte sich heraus, dass in die
in dem Produkt Apligraf mündete. Versuche, die allogenen etwa 2mm dicke Matrix erst Kapillaren einsprossen und
Fibroblasten durch bovines Kollagen zu ersetzen, führten eine ausreichende Vaskularisierung der Matrix erreicht
zu dem ersten artifiziellen zweischichtigen bzw. bilaminä- werden muss, bevor die darüber transplantierte epider-
ren Hautersatz (Bilayer), basierend auf einer azellulären male Haut ausreichend versorgt wird. Da die Vaskularisie-
Kollagen-Glykosaminoglykan Matrix und einer Silikon- rung der Ersatzmatrix deutlich länger als 5 Tage dauert, in
schicht mit Namen Integra Artificial Skin als Dermisersatz. denen die auf die Matrix transplantierte epidermale Spalt-
Integra wurde beginnend in den frühen 80er Jahren ent- haut durch Diffusion von Gewebsflüssigkeit ernährt wird,
wickelt und war erstmals 1996 in den USA kommerziell resultiert ein nekrotischer Hautverlust, oftmals verbunden
erhältlich (Stern 1990). mit einer Infektion. Erfolgreiche Lösungsansätze bestan-
den darin, zunächst die Integra Matrix zu transplantieren
und nach der Vaskularisation die epidermale Spalthaut
20.4 Artificial Skin 2–3 Wochen später zu transplantieren. Der Nachteil des
20 zweizeitigen Vorgehens mit dem Risiko und der Belastung
Die Möglichkeit der im Labor generierten Matrix Integra einer zweiten Operation wird inzwischen umgangen,
als Dermisersatz, die jederzeit und unbegrenzt zur Verfü- indem die Matrixdicke auf etwa 1 mm reduziert wurde. In
gung steht, war ein Meilenstein im Rahmen des Skingineer- diesem Fall ist eine einzeitige dermoepidermale chirur-
ing (. Abb. 20.1, . Abb. 20.2). Versuche, die artifizielle gische Versorgung möglich, allerdings mit dem Nachteil,
dermale Ersatzmatrix in einer einzeitigen Operation mit dass die Verschiebeschicht und damit Qualität des artifizi-
Spalthaut zu transplantieren, misslungen jedoch wider ellen Dermisersatzes abnimmt. Der Operateur ist sozu-

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20.5 · Skingineering
187 20
sagen in dem Dilemma zwischen schnellem und defini-
tivem Wundverschluss versus ausreichend dicker dermaler
Verschiebeschicht (King 1997; Heimbach 2003). Unab-
hängig von den spezifischen Problemen öffnete Integra
erstmals die Möglichkeit eines dermoepidermalen Hauter-
satzverfahrens mit einem bei Vollhautverlust deutlich bes-
seren funktionalen und kosmetischen Ergebnis (Moiemen
2011). Weitere Matrices entstanden, seit 2007 ist die der-
male Ersatzmatrix Matriderm kommerziell erhältlich, ba-
sierend auf einer bovinen Kollagen-Elastin-Kombination
(Hasli 2007). Durch die vorgegebene Porenstruktur der
artifiziellen dermalen Ersatzmatrices kommt es zu einer
bestimmten Anordnung der Kollagenfibrillen (»cross link-
ing«) mit einer konsekutiv reduzierten Narbenbildung bei . Abb. 20.3 CEA-Sheets zur Transplantation im Rahmen der Versor-
gung schwerbrandverletzter Patienten
jedoch nicht immer gänzlich ausbleibender Narbenkon-
traktur (Schneider 2009).

20.5 Skingineering

Die im Rahmen des Tissue Engineering entstandenen Ver-


fahren zum Hautersatz können in drei Gruppen unterteilt
werden:
1. Kultivierte autologe Keratinozyten (»cultured
epidermal autograft«, CEA)
2. Dermisersatzmaterialien (»engineered dermal
matrices«)
3. Mehrschichtiger zellbesiedelter autologer Hautersatz
(»engineered dermo-epidermal matrices«)

. Abb. 20.4 Entnahme eines CEA-Sheets


20.5.1 Kultivierte autologe Keratinozyten

Sheet ten zu erhöhen. Dies gelingt bei Vollhautverlust vor allem


Die inzwischen weltweit routinemäßig eingesetzten CEA- durch die vorbereitende Wundkonditionierung mittels
Transplantate bestehen aus einer mehrlagigen Schicht von glyzerol- oder kryokonservierter allogener Fremdhaut. Die
patienteneigenen Keratinozyten (CEA-Sheet; . Abb. 20.3, Spenderhaut heilt zunächst aufgrund der mit der Schwer-
. Abb. 20.4). Die Vorteile liegen in der nahezu unlimi- brandverletzung einhergehenden Immunsuppression ein
tierten kultivierbaren Zellzahl bei limitierten Spender- und kann für den 3- bis 4-wöchigen Zeitraum der Zellkul-
arealen des schwerbrandverletzten Patienten. Im Rahmen tivierung als Ersatzbarriere dienen (. Abb. 20.5). Die allo-
von oberflächlichen, im Bereich der Dermis liegenden genen Epidermiskomponenten werden nach initialen An-
Wunden führen diese Transplantate zu kosmetisch ein- zeichen einer Vaskularisierung sukzessive nach 12–14 Ta-
wandfreien postoperativen Ergebnissen (Hartmann 2007; gen abgestoßen, während die allogenen dermalen Anteile
Atiyeh 2007). Dagegen sind die Ergebnisse bei Verlust der zum Teil inkorporiert werden. In zum Teil mehreren ope-
Dermis und der Transplantation auf Fett- bzw. Muskel- rativen Schritten gelingt es auf diese Weise, allogene der-
gewebe sowohl funktionell als auch ästhetisch äußerst male Bestandteile im Wundbett zu fixieren, um die Trans-
schlecht. plantation der CEA nach Vollhautverlust zu ermöglichen
Erst Arbeiten von Cuono und Hickersen, die zu- (Auxenfans 2014).
nächst allogene Dermis in das Wundbett transplantierten, Nach Möglichkeit werden Kulturhautverfahren in
führten zu besseren klinischen Ergebnissen (Cuono 1987; Kombination mit einer autologen Spalthauttransplantation
Hickersen 1994). Es gilt also, vor dem Einsatz von CEA- durchgeführt. Aufgrund der Scherkräfte auf den mecha-
Transplantaten im Wundbett dermale Komponenten zu nisch strapazierten Arealen des Körpers (Gesäß, Rücken)
etablieren, um die Take Rate der kultivierten Keratinozy- wird, soweit vorhanden, die expandierte autologe Spalthaut

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188 Kapitel 20 · Tissue Engineering der Haut

. Abb. 20.5 Wundkonditionierung mittels allogener Fremdhaut, . Abb. 20.7 Transplantation einer Keratinozytenzellsuspension
um dermale Anteile zur Vorbereitung der CEA-Transplantation zu
gewinnen

transplantiert. Dazu werden Eigenhauttransplantate z. B. in Suspension


der speziellen von Meek entwickelten Technik oder als Transplantiert werden können nicht nur ausdifferenzierte,
weitmaschige Mesh-Transplantate mit einer Expansion von mehrlagige transplantierbare Keratinozytenzellverbände
1–3 bis 1–6 auf die mechanisch belasteten Wundflächen als Sheets, sondern auch die Suspension einer überwiegend
aufgebracht (Boyce 1995). Auf die Areale, die nicht von gering differenzierten, proliferationsfähigen Keratino-
Scherkräften beeinflusst sind, werden die CEA transplan- zytenpopulation (. Abb. 20.7). Hunyadi et al. waren die
tiert. Auch erneut zur Spalthautentnahme verwendete ersten, die trypsinisierte, nicht kultivierte Keratinozyten in
Areale können mit den Keratinozytensheets rasch ver- Fibrinkleber auf chronische Wunden suspendierten
schlossen und zur Abheilung gebracht werden. Mit diesem (Hunyadi 1987). Später kamen Vorrichtungen hinzu, die
individuell dem Verletzungsmuster des Patienten angepass- es ermöglichen, Zellsuspensionen auf die Wunde aufzu-
ten Verfahren lassen sich auch großflächige Verbrennungen sprühen, um so die gleichmäßige Verteilung der Zellen
von über 90 % Körperoberfläche versorgen (. Abb. 20.6). gegenüber der Transplantation durch Aufpipettieren zu
erhöhen, was in dem kommerziell erhältlichen Produkt
Recell mündete. Bei dieser Methode können Hautzellen
direkt nach Präparation aus einem kleinen Spalthaut-
stück gewonnen werden und intraoperativ ohne Kulti-
vierung als Mischzellpopulation auf die Wunde aufge-
sprüht werden.
Allerdings ist die Methode der Zellsprühung auf das
Vorhandensein einer intakten dermalen Komponente an-
gewiesen und daher hauptsächlich für zweitgradige Wun-
den geeignet. Der Vorteil liegt in einem schnellen und
20 sicheren Wundverschluss insbesondere bei oberflächlichen
Verbrennungen im Gesichtsbereich mit ausgezeichneten
ästhetischen Ergebnissen ohne Zeichen des Overgraftings
(Hartmann 2007). Gerade aufgrund der aufgesprühten
Mischzellpopulation werden zusätzlich Melanozyten trans-
. Abb. 20.6 Transplantation kultivierter Keratinozytensheets am plantiert, so dass weniger Pigmentstörungen, die insbeson-
linken Unterschenkel dere bei dunkelhäutigen Patienten stigmatisierend sein

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20.5 · Skingineering
189 20

. Tab. 20.1 Kulturhaut- und Zelltransplantate (»cultured epithelial autograft«, CEA)

Produktname Firma Inhalt

Epicel Genzyme Biosurgery, Cambridge, Kultivierte autologe epidermale humane Keratinozyten,


MA, USA Anzüchtung mit Hilfe von Mäusefibroblasten, Sheet

Myskin Celltran Ltd., Sheffield, UK Kultivierte autologe epidermale humane Keratinozyten,


Anzüchtung mit Hilfe von bestrahlten Mäuse- Fibroblasten, Sheet

Epidex Euroderm GmbH, Leipzig, Kultivierte autologe epidermale humane Keratinozyten,


Deutschland Anzüchtung mit Hilfe von Mäuse- Haarfollikelzellen, Sheet

Epidermiszellkultur Deutsches Institut für Zell- Kultivierte autologe epidermale humane Keratinozyten,
und Gewebeersatz, Berlin, Anzüchtung mit Hilfe von kollagenbeschichteten Zellkultur-
Deutschland flaschen, Sheet

Keratinozytensuspension Deutsches Institut für Zell- Kultivierte autologe epidermale humane Keratinozyten,
und Gewebeersatz, Berlin, Anzüchtung mit Hilfe von kollagenbeschichteten Zellkultur-
Deutschland flaschen, Suspension

Recell Clinical Cell Culture Europe Ltd, Autologe intraoperativ aufbereitete autologe humane Mischzell-
Cambridge, UK suspension

können, auftreten (O’Neill 2011). Einige der kommerziell tische Zelldissoziation unter Zerstörung der Desmosomen
erhältlichen Keratinozytenkulturen sind in . Tab. 20.1 auf- ermöglicht. Durch Resuspension mit 7 ml 10-%igem NCS
geführt. Aktuell ist in Deutschland nur über das Deutsche (»newborn calf serum«, neonatales Kälberserum) wird der
Institut für Zell- und Gewebeersatz (DIZG) eine autologe enzymatische Vorgang gestoppt und somit eine Schädi-
Keratinozytenkultur zur großflächigen Anwendung beim gung der Zellen vermieden. Diese Lösung wird durch ein
Schwerbrandverletzten erhältlich. feines Zellsieb mit 70 μm Porengröße filtriert und bei 4°C
und 1200 U/min für 10 min zentrifugiert. Der erhaltene
Herstellung von CEA-Transplantaten Überstand wird verworfen und das gewonnene Zellpellet
jHautentnahme und Hautverarbeitung in Komplettmedium resuspendiert. Dieses setzt sich zu-
Unter Vollnarkose oder Lokalanästhesie wird dem Patien- sammen aus serumfreiem Keratinozytenmedium, EGF,
ten nach Rasur und sterilem Abwaschen der Entnahme- Rinderhypophysenextrakt und 1 μg/ml Gentamycin. Nach
stelle an einer kosmetisch unbedenklichen Stelle eine etwa der Untersuchung der Vitalität der Zellen mittels Trypan-
10 cm2 große Spalthautbiopsie entnommen. Die Biopsie blau 0,4 % und der Ermittlung der gewonnenen Zellzahl
wird anschließend an einer sterilen Werkbank (»laminar mit Hilfe der Neubauer- Zählkammer erfolgt die Aussaat
air flow«) in mit Phosphatpuffer (PBS) gefüllten Petri- in einer 75 cm² kollagenbeschichteten Zellkulturflasche.
schalen präpariert. Zunächst erfolgt zur Reinigung und zur Die anschließende Inkubation erfolgt bei 37°C und 5-%iger
weiteren Desinfektion das jeweils zweimalige Schwenken CO2-Begasung. Ein Mediumwechsel findet alle 2–3 Tage
in 70 % Alkohol und PBS. Das soweit vorbereitete Haut- statt (Rheinwald 1975a). Die mitosefähigen Zellen lagern
stück wird nun in eine Petrischale mit 1 % Dispase gelegt sich in Form von Klonen ab und breiten sich einlagig auf
und über Nacht bei 4°C inkubiert. Wahlweise kann Genta- dem Flaschenboden als sogenannter »Monolayer« aus. Da
mycin zugesetzt werden. Die Proteinase Dispase zerstört die Zellen bei zu hoher Dichte ihre mitotische Potenz
im Bereich der Basalmembran Kollagen IV und somit durch Kontaktinhibition verlieren (Auxenfans 2014), ist es
den dermoepithelialen Zusammenhalt. Die Desmosomen nötig, die Zellen bei 70- bis 80-%iger Konfluenz nach etwa
der Epidermis bleiben dabei allerdings erhalten (Poumay 10 Tagen zu passagieren. Hierfür werden die Zellen mit
1994). Der Vorgang gilt als abgeschlossen, wenn sich die 4 ml Trypsin/EDTA (0,05 %) für etwa 7 min bei 37°C in-
Epidermis als Ganzes von der Dermis ablösen lässt. kubiert. Zusätzliches Abklopfen erleichtert das Ablösen
der Zellen vom Flaschenboden. Nach Abstoppen der Tryp-
jKeratinozytenisolierung sinierung mit neonatalem Kälberserum und Zentrifuga-
Das abgelöste Epithel wird mit einer sterilen Schere zer- tion ist es ausreichend, die Zellen mit einer Dichte von
kleinert und anschließend in sterilen Röhrchen mit 5 ml 1 Million pro Kulturflasche erneut auszusäen. Aus einer
Trypsin/EDTA (0,25) 20 min im 37°C warmen Wasserbad 75 cm2 Kulturflasche sind bei 80 % Konfluenz etwa 3 Mio.
inkubiert, wobei sie alle 5 min geschüttelt werden. Da- Zellen zu gewinnen. Diese Vermehrung ist nicht unbe-
durch wird sowohl eine mechanische als auch enzyma- grenzt durchführbar, da die Keratinozyten in der Kultur

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190 Kapitel 20 · Tissue Engineering der Haut

einen höheren Stoffwechsel als in vivo aufweisen. Nach durch die zusätzliche Anwendung eines Unterdrucks
80–100 Mitosen, was etwa sechs Passagen entspricht, geht (»vacuum assisted closure«, VAC) auf die Integra-Matrix
die Wachstumskurve gegen null und Fibroblasten über- erzielt werden (Molnar 2004). Die Unterdruckanwendung
wuchern die Kultur (Leigh 1994). Vermutlich fehlen den hat zudem den Vorteil, dass Scherkräfte minimiert, mög-
Keratinozyten in vitro langfristig parakrine Stimuli, die für liche Serome oder Hämatome verhindert und die Matrix
die Persistenz von Basalzellen essentiell sind (Pittelkow abgedichtet wird. Zusätzlich wird das Infektionsrisiko
1986). Der günstigste Zeitpunkt für eine Transplantation ist durch die angelegte Vakuumversiegelung reduziert. Die
nach 2–3 Wochen erreicht, wenn schon eine beträchtliche Hoffnung, dass zusätzlich Hautanhangsgebilde in die Ma-
Vermehrung stattgefunden hat, die meisten Zellen sich aber trix einsprossen, realisierte sich dagegen nicht (Moiemen
noch in der exponentiellen Wachstumsphase befinden. Die 2011). Wie bereits erwähnt kann eine dünnere Matrix
Zellen können jedoch auch kryokonserviert werden, so auch einzeitig als Single-step-Operation zusammen mit
dass sie im Bedarfsfall auch im weiteren Behandlungsver- der Spalthauttransplantation durchgeführt werden, aller-
lauf zur Verfügung stehen (Donnersmarck 1995). dings mit Abstrichen bezüglich der Matrixdicke und damit
resultierenden definitiven dermalen Verschiebeschicht.
Andere kommerziell erhältliche Dermisersatzmaterialien
20.5.2 Dermisersatzmaterialien schlossen sich an, die sich bezüglich ihrer Porenstruktur
und Materialien unterscheiden (. Tab. 20.2). Im Moment
Integra Artificial Skin war die erste im Labor erzeugte sind weitere neue Matrices in der wissenschaftlichen Er-
bilaminäre Matrix, die als Dermisersatz verwendet wurde, forschung und befinden sich zum Teil bereits in der Pha-
bestehend aus einer Kollagenschicht mit einer Porenstruk- se II der notwendigen Sicherheitsstudien mit Anwendung
tur auf Glykosaminoglykanbasis und einer Silikonmem- am Patienten im Rahmen von Multicenterstudien, wie z. B.
bran als epidermale Barriere gegen Infektionen und Aus- Novomaix. Der Einsatz von rein synthetischen Materialien
trocknen. Parallel mit dem Einsprossen der Kapillaren und als dermaler Ersatz hat sich im klinischen Alltag bisher
einer zunehmenden Vaskularisierung der Matrix wandern nicht durchgesetzt. Da jedoch auch synthetische Matrices
patienteneigene Fibroblasten ein, die zum Umbau des experimentell sowohl in vitro als auch in vivo vielver-
Produktes in eine annähernd äquivalente körpereigene sprechende Ergebnisse als Dermisersatz zeigen, bleibt der
Dermis führen. Nach ausreichender Vaskularisation wird klinische Einsatz voraussichtlich mehr oder weniger eine
nach Entfernen der Silikonmembran auf die Integra- Frage der Zeit. Diese rein synthetischen Materialien be-
Matrix-Spalthaut oder CEA transplantiert (Matsumura stechen durch ihre einfache Lagerung, Transport und
2013). Eine wesentlich schnellere Vaskularisation konnte niedrigeren Kosten gegenüber den biologischen Matrices

. Tab. 20.2 Dermisersatzmaterialien (»engineered epidermal and dermal matrices«)

Produktname Firma Inhalt

Epidermal: Biobrane Smith&Nephew AG, Niederlassung Dreidimensionales Nylonnetz mit Silikon und Kollagen
Deutschland, Tuttlingen, Deutschland

Epidermal: Suprathel PolyMedics Innovation GmbH Lacto-capromer, Polymilchsäure


Denkendorf, Deutschland

Dermal: Alloderm Lifecell Corporation, Bridgewater, Azelluläre allogene Dermis


NJ, USA

Epidermal: Xenoderm Mbp GmbH, Neustadt-Glewe, Azelluläre xenogene Dermis


Deutschland

Dermal: Integra Integra Lifescience Corporation, Dreidimensionale Glykosaminoglykan Matrix aus Kollagen Typ I
Plainsboro, NJ, USA und Chondroitin-6-Sulfat plus Silikonlayer
20 Dermal: Matriderm Dr. Suwelack Skin & Health Care AG, Dreidimensionale Matrix aus Rinderkollagen Typ I, III und V
Deutschland und Elastin

Dermal: Epiflex Deutsches Institut für Zell- und Gewebe- Azelluläre allogene Dermis
ersatz (DIZG), Berlin, Deutschland

Dermal: Novomaix Matricel GmbH Matrix mit Längsporen aus porcinem Kollagen
Herzogenrath, Deutschland

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20.6 · Ausblick in die Zukunft
191 20
aus bovinen oder porcinen Kollagenen teilweise unter Auch die Gesetzgebung in Deutschland durch das neue
Beimischung von Elastin. Gewebegesetz macht die Verwendung von zellbesiedelten
Hautersatzmaterialien extrem schwierig bis unmöglich.
Neue Trends gehen in Richtung »custom made matri-
20.5.3 Mehrschichtiger zellbesiedelter ces«, bei der nach einer Biopsie die Matrix mit autologen
autologer Hautersatz kultivierten Keratinozyten und Fibroblasten inokuliert
wird. Hier sind die aktuellen Ergebnisse der Phase II Studie
Der Versuch, kultivierte autologe Keratinozyten mit ver- im Rahmen des EuroSkinGraft Projektes abzuwarten,
schiedenen allogenen Materialien zu kombinieren (»engi- nachdem in Zürich die ersten Resultate der Phase I (Safety)
neered dermo-epidermal matrices«), ist von zahlreichen Untersuchung sehr vielversprechend waren (Hartmann-
Arbeitsgruppen verfolgt worden. Yannas und Burke stell- Fritsch 2016). Ein derzeit nicht überwindbarer Nachteil
ten im Jahr 1989 erstmals ein Hautäquivalent vor, bei besteht hier jedoch in der nach wie vor langen Kultivie-
dem durch Zentrifugation trypsinierter Keratinozyten und rungszeit von drei bis vier Wochen. Modelle, die Kultivie-
Fibroblasten in einer Kollagen-Glykosaminoglyken Matrix rungszeit mittels besonderer Bioreaktoren oder mecha-
ein fertiges Hautäquivalent erreicht wurde, das sich im nischer Transduktion zu beschleunigen, sind Gegenstand
Tierversuch als vielversprechend darstellte, klinisch jedoch aktueller intensiver Forschung (Bareither 2011; Raab 2013;
nicht durchsetzen konnte (Yannas 1982). Vergleichbare Moers 2013). Unabhängig vom Produkt und der verschie-
Ergebnisse mündeten Ende der 90er Jahre in dem kom- denen Matrices und der Frage, ob allogene oder autologe
merziell erhältlichen Produkt Apligraf, einer Kombination Zellen oder Zellbestandteile von Vorteil sind, fehlen be-
allogener humaner neonataler Keratinozyten und Fibro- züglich Narbenbildung und Hautqualität noch Studien mit
blasten auf einer bovinen Kollagen Matrix (Trent 1998; Langzeitergebnissen, da die dermoepidermalen Produkte
. Tab. 20.3). Der Wunsch nach dreidimensional konstru- weltweit bisher sehr selten angewendet werden.
ierten engineered dermoepidermalen Matrices ist weiter-
hin hoch, insbesondere auch im Bereich der chronischen
Wundversorgung. Ein neues Produkt vor diesem Hinter- 20.6 Ausblick in die Zukunft
grund ist Orcel, das ebenfalls eine Kombination aus neo-
natalen allogenen Keratinozyten und Fibroblasten enthält, Intakte Haut besteht aus einer komplexen dreidimensio-
jedoch auf einer gelartigen Basis ohne Porenstruktur be- nalen Struktur. Neben den Keratinozyten sind unter ande-
ruht (Ananta 2011). Festgehalten werden muss an dieser rem verschiedene Zelltypen wie Fibroblasten, Melano-
Stelle aber, dass diese mit allogenen Zellen besiedelten Pro- zyten, vaskuläre Endothelzellen und Immunzellen für die
dukte lediglich eine wundheilungsfördernde Komponente Eigenschaften der Haut notwendig. Erst durch die Anwe-
einbringen. Dauerhafter Wundverschluss ist den autolo- senheit der Hautanhangsgebilde wie Haare, Schweiß- und
gen Zellen vorbehalten. Welche dermoepidermale Matrix Talgdrüsen, Nervenzellen für Temperatur-, Druck-, Vibra-
sich letztendlich am Markt durchsetzen wird, kann derzeit tions- und Schmerzempfinden agiert die Haut konzertiert
nicht abgeschätzt werden. Ausschlaggebend sind nicht nur als Organ. Die Forschung, um diese komplexe Struktur im
die besten Kurz- und Langzeitergebnisse, sondern auch Labor nachzubilden, steckt noch in den Kinderschuhen.
Faktoren wie Produkteinführung, Marketing und Kosten. Selbst wenn alle Komponenten in eine Matrix implemen-

. Tab. 20.3 Mit allogenen Zellen besiedelte Matrices (»engineered dermo-epidermal matrices«)

Produktname Firma Inhalt

Apligraf Trademark of Novartis AG, Basel, Schweiz Humane allogene neonatale Keratinozyten in einem drei-
dimensionalen Kollagen Typ-I-Gel aus allogenen neonatalen
Fibroblasten

Orcel Ortec International Incorporation, Humane allogene kultivierte Keratinozyten und allogene
New York, NY, USA Fibroblasten in einem Kollagen- Gelgerüst

Transcyte Smith & Nephew AG, Niederlassung Neonatale allogene humane Fibroblasten
Deutschland, Tuttlingen, Deutschland

epifast BIOSKINCO S.A. de C.V. Exhacienda de Santa Allogene Keratinozyten auf Petroleumgaze
Mónica. Tlalnepantla Estado de México.
México. 54030

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192 Kapitel 20 · Tissue Engineering der Haut

tiert werden, ist die Zell-Zell Kommunikation und eine Literatur


intakte extrazelluläre Matrix noch lange nicht gewährleis-
Alexander JW, MaeMillao BG, Law E, Kittur DS (1981) Treatment of
tet. Als Schritt in die Richtung, inwieweit ein kultivierter severe burns with widely meshed skin autograft and meshed
Hautersatz vital ist und seine Funktion erfüllt, stehen seit skin allograft overlay. J Trauma 21:433
2010 bestimmte Marker zur Verfügung, die die Qualität Allouni A, Papinii R, Lewis D (2013) Spray-on-skin cells in burns:
des Hautersatzes aus dem Labor zumindest ansatzweise A common practice with no agreed protocol. Burns 39(7):
messen können. So konnte Cytokeratin 19 (K19) kürzlich 1391–1394
Ananta M, Brown RA, Mudera V (2011) A rapid fabricated living
als Marker beschrieben werden, der aus basalen Kera-
dermal equivalent for skin tissue engineering: an in vivo
tinozyten exprimiert wird (Lavoie 2011). Derzeit gilt der evaluation in an acute wound model. Tissue Engineering Part A
Nachweis von K19 in transplantierter im Labor gezüch- 18(3-4):353–361
teter Haut als Marker für eine funktionsfähige Epidermis. Atiyeh BS, Costagliola M (2007) Cultured epithelial autograft (CEA)
Andere Arbeitsgruppen beschrieben K19 dagegen als in burn treatment: three decades later. Burns 33(4):405–413
Auxenfans C, Menet V, Catherine Z et al (2014) Cultured autologous
modifizierten Subtypen von Keratinozytenstammzellen.
keratinocytes in the treatment of large and deep burns: A retro-
Als weitere Keratinozyten Stammzellmarker wurden Inte- spective study over 15 years. Burns 40(1):82–88
grin 6 in Kombination mit Transferrin CD 71 beschrieben Bareither R, Pollard D (2011) A review of advanced small scale parallel
(Cerqueira 2013). Unabhängig möglicher Marker bleibt bioreactor technology for accelerated process development:
der histologische Nachweis einer Epidermis mit Stratifi- Current state and future need. Biotechnology progress 27(1):2–14
Billingham RE, Reynolds J (1952) Transplantation studies on sheets
zierung derzeit der zuverlässigste Nachweis einer funktio-
of pure epidermal epithelium and on epidermal cell suspensions.
nalen transplantierten Epidermis. Andere Arbeitsgruppen Br J Plast Surg 5:25–36
sehen einen Fortschritt in der Kultivierung von dermalen Böttcher-Haberzeth S, Biedermann T, Reichmann E (2010) Tissue
Endothelzellen, die in Fibrin- oder Kollagengel kultiviert engineering of skin. Burns 36.4:450–460
nachweislich Kapillaren in der Matrix formen. Ob diese Boyce ST, Goretsky MJ, Greenhalg DG et al (1995) Comparative assess-
nach Transplantation Anschluss an die Wundbettvaskula- ment of cultured skin substitutes and native skin autograft for
treatment of full-thickness burns. Annals of surgery 222(6):743
risierung erhalten, ist derzeit noch mehr als fraglich
Burke JF, Yannas IV, Quinby WC Jr, Bondoc CC, Jung WK (1981)
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Haut haben zu Zwischenerfolgen geführt, die anfängliche autograft with porcine skin onlay dressing in extensive burns.
Euphorie nach einem greifbaren Vollhautersatz aus dem Burns 24:264–269
Labor steht jedoch in weiter Ferne. Insbesondere die Kom- Cohen S (1965) The stimulation of epidermal proliferation by a specific
protein (EGF). Dev Biol 12:394–407
plexität des dreidimensionalen Konstrukts der Haut mit
Converse JM, Rapaport FT (1956) The vascularization of skin
den unterschiedlich differenzierten Zelltypen und Haut- autografts and homografts; an experimental study in man. Ann
anhangsgebilden, die sich ständig erneuern und unter- Surg 143:306–315
einander kommunizieren, bleibt eine Herausforderung an Cuono C, Langdon R, Birchall N et al (1987) Composite autologous
interdisziplinäre Arbeitsgruppen bestehend aus Material- allogenic skin replacement after burn injury. Plast Reconstr
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und klinisch tätigen Verbrennungschirurgen. Es gilt nach
Keratinozytenkulturen in der Schwerbrandverletztenbehandlung
wie vor, den derzeitigen Goldstandard der Spalthauttrans- – bisherige Erfahrungen, Unfallchirurg 1995; 98:229-232
plantation in der Versorgung großflächiger thermischer Feng X, Tonnesen MG, Mous SA et al (2013) Fibrin and collagen
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bessere Hautersatzverfahren abzulösen. Dreidimensionale
http://dx.doi.org/10.1155/2013/231279
Matrices mit inokulierten differenzierten Zelltypen im Fisher JC (1984) Skin – the ultimate solution for the burn wound.
20 Rahmen des Skingineering sind hierbei eine erfolgver- N Engl J Med 311:466–467
sprechende Aussicht, die verschiedenen Techniken der Hadda S (1912) Aus der chirurgischen Abteilung des israelitischen
Spalthauttransplantation, die zum Teil mehr als 50 Jahre alt Krankenhauses zu Breslau: Die Kultur lebender Körperzellen.
Berl Klin Wschr 49:11
sind, Schritt für Schritt zu ersetzen.
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20

marcus.lehnhardt@rub.de
195 21

Kultivierte autologe
Hautzelltransplantate: Historie,
Regulativa und Praxis
Mark David Smith, Jan Claas Brune, Beate Petschke, Hans-Joachim Mönig,
Bernd Hartmann

21.1 Einleitung – 196


21.1.1 Klinische Erfahrungen und Indikation – 196
21.1.2 Aktuelle Situation – 196

21.2 Geschichte und klinische Anwendung – 197


21.2.1 »Cultured epithelial autografts« – 197
21.2.2 Gesprühte Hautzellsuspensionen – 197

21.3 Regulative Einordnung von autologen Zellkulturen – 198


21.3.1 Zeitraum von 1978 bis 2007 – 198
21.3.2 Zeitraum seit 2007 – 199

21.4 Praxis – 199


21.4.1 Erfüllung der grundlegenden regulatorischen Anforderungen – 199
21.4.2 Vorbereitung und Kommunikation zwischen Klinik und Hersteller – 200
21.4.3 Gewebeentnahme und Freigabe zur Weiterbearbeitung – 200
21.4.4 Zellgewinnung – 203
21.4.5 Zellkultur – 203
21.4.6 Erzeugung des Fertigarzneimittels – 212
21.4.7 Freigabe und Lieferung von Transplantaten – 213
21.4.8 Wundvorbereitung bis zur Transplantation – 214
21.4.9 CEA-Einsatz – 214
21.4.10 Anwendung von Suspensionen zum Sprühen – 216
21.4.11 Nachbehandlung – 217

21.5 Aussicht – 218


21.5.1 Limitierungen und Prognosen – 218
21.5.2 Künftige Möglichkeiten – 220

Literatur – 220

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
196 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

21.1 Einleitung Die Indikation für die klinische Anwendung in vitro


gezüchteter autologer Epidermistransplantate (Keratino-
Kultivierte autologe Hautzelltransplantate können bei aus- zytensheets und Keratinozytensuspensionen) umfasst im
gedehnten thermischen Wunden der Grade IIb und/ Wesentlichen folgende Gebiete:
oder III eine notwendige therapeutische Option sein. 4 Behandlung großflächig verbrannter Patienten mit
Wenn die Fläche gesunder Haut nicht ausreichend für eine VKOF >60 % (bei Kindern 50 %)
adäquate Deckung mittels »Autografting« ist, kann eine 4 Behandlung von Brandwunden bei fehlenden
Vervielfachung der transplantierbaren Fläche erforderlich Spenderarealen
werden. Neben perioperativen Verfahren wie Mesh- und 4 Behandlung von verzögert heilenden tiefdermalen
Meek-Technik (Richard 1993) ist die autologe Zellkultur Wunden im Bereich ästhetisch wichtiger Körper-
die einzige Möglichkeit, die mittels »Autografting« zu de- areale
ckende Fläche erheblich zu erhöhen. 4 spezielle Indikationen nach Dermabrasio oder Laser-
ablation im Rahmen der ästhetischen Chirurgie
> Aus kleinen Biopsaten (<10 cm2) von gesunden,
vornehmlich im Gesichtsbereich
infektionsfreien Hautarealen können innerhalb von
3–5 Wochen autologe Transplantate mit einer ge-
samten Fläche von bis zu 1,5 m2 hergestellt werden.
21.1.2 Aktuelle Situation

21.1.1 Klinische Erfahrungen und Indikation Während kultivierte autologe Transplantate einen adäqua-
ten Epithelersatz bilden, so erfüllen sie aber nicht die An-
Schwerbrandverletzte mit verbrannter Körperoberfläche forderungen an ein Vollhautäquivalent. Obwohl Vollhaut-
(VKOF) >60 % bedürfen aufgrund des unterschiedlichen äquivalente schon längst im Fokus von Forschung und
Läsionsmusters eines individuellen Behandlungsplans. Entwicklung sind, konnte sich bisher kein solches »tissue
Dabei sind mögliche Spalthautentnahmestellen sowie engineering product« (TEP) als Bestandteil der Verbren-
Mehrfachentnahmen einzubeziehen. nungstherapie etablieren. Die Kombination von erhebli-
In der Regel wird der Wundverschluss mit autologen chen regulatorischen Anforderungen, einer vergleichswei-
Hauttransplantaten angestrebt. Dabei kommen unter- se geringfügigen Zahl von Patienten und eine zumindest
schiedlichen Techniken (Sheet-, Mesh-, Meek-) und Ex- im deutschsprachigen Raum für Klinik und Hersteller
pansionsraten (1:1 bis 1:9) zum Einsatz. Ziel ist einerseits nachteilhaften Lage bei der Vergütung führt dazu, dass
der rasche definitive Wundverschluss, anderseits ist die TEP-Innovationen für die Verbrennungsmedizin bisher
verstärkte Narbenbildung mit den hohen Expansionsraten nicht zur Verfügung stehen.
korreliert. Daher ist es ebenso wichtig ein funktionales und Das Bereitstellen von etablierten kultivierten autolo-
ästhetisch gutes Resultat unter Verwendung niedrigstmög- gen Hautzelltransplantaten für die Behandlung von Ver-
lichen Expansionsraten anzustreben. brennungswunden muss deshalb unbedingt nachhaltig
Angesichts des Dilemmas einer möglichst geringen aufrechterhalten werden. Dies scheint jedoch momentan
Expansion der Hauttransplantate und der limitierten Flä- lediglich im Kontext mit gemeinnützigen Geschäftszielen
che an möglichen »donor sites« besteht Bedarf an in vitro noch möglich zu sein. Die Ursache dafür muss man in der
gezüchteten Keratinozyten. Je höher dabei die VKOF des politischen und gesundheitsökonomischen Entwicklung
Patienten ist, desto unabdingbarer ist es, geeignete Areale der letzten 10 Jahre sehen. Zunächst hat die Einführung
mit gezüchteten Keratinozyten zu verschließen. Leider des DRG-Systems dazu geführt, dass die Sensibilität von
kann aus der vorliegenden Literatur (retrospektive Aus- Entscheidern in Kliniken gegenüber kostenintensiven Be-
wertungen und Kasuistiken) kein hoher Evidenzlevel für handlungsverläufen deutlich zugenommen hat. Ungefähr
den Einsatz der Keratinozytenkulturen gewonnen werden. seit 2004 ist eine Entwicklung zu beobachten, nach der
Bei klarer Indikationsstellung und sinnvollen Einsatz medizinischen Entscheidungen zunehmend auch ökono-
in einem individuellen Behandlungsplan überwiegen je- misch verteidigt und begründet werden müssen.
doch die Vorteile der Kulturhauttransplantate deutlich. Zeitgleich sind u. a. mit der EU-Direktive 2004/23 und
Dies gilt auch speziell für die Sprühtransplantion von deren Überführung in nationales Recht der Mitgliedstaa-
Zellsuspensionen. Es konnte bei tiefdermalen Gesichts- ten gesetzliche Grundlagen für Institutionen wie dem
21 wunden mit fehlender Epithelisierung nach >14 Tagen mit Deutschen Institut für Zell- und Gewebeersatz (DIZG) die
den aufgesprühten Zellen eine gute bis sehr gute Aushei- Anforderungen an die Qualitätssicherung bei der Herstel-
lung mit nur geringer Narbenbildung unter Vermeidung lung von autologen Hautzellkulturen erweitert worden.
der hier sonst indizierten Spalthauttransplantaten erzielt Dies hatte und hat eine stete Erhöhung der Herstellkosten
werden. von Zellkulturen zur Folge.

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21.2 · Geschichte und klinische Anwendung
197 21
Das nachfolgend beschriebene Verfahren zur Herstel- pekte der Indikationsstellung trotz 40-jähriger klinischer
lung von Kulturhaut ist insofern ein ideales Beispiel für die Praxis ungeklärt bleiben (Wood 2006). Gleichwohl ist es
Verdeutlichung des allgegenwärtigen Konflikts zwischen unstrittig, dass diese Transplantate einen erheblichen Bei-
dem Wunsch einer Gesellschaft, einerseits auf dem Gebiet trag zum »Outcome« in der Behandlung von ausgedehnten
lebensrettender Behandlungsmöglichkeiten jederzeit Sta- thermischen Verletzungen leisten (Cirodde 2011; Auxen-
te-of-the-art-Technologien verfügbar zu haben und ande- fans 2015), ja sogar lebensrettend sein können (Muns-
rerseits deren Bereitstellung durch die ständige Weiterent- ter 1996).
wicklung von Regulativa und Auflagen nahezu unmöglich
zu machen.
Es wäre wünschenswert, dass diese Behandlungsfor- 21.2.2 Gesprühte Hautzellsuspensionen
men in Rahmen des deutschen Gesundheitssystems eine
höhere gesundheitspolitische Wertschätzung erlangen, da- Erst im Jahr 2000 entstand ein Bericht über ein grund-
mit eine aktive und behördlich zugelassene Versorgungs- sätzlich anderes Verfahren für die Anwendung von auto-
infrastruktur für Zellen nicht nur weiterhin verfügbar sein logen Hautzellen mit Relevanz für die Verbrennungsme-
wird, sondern auch künftig Innovationen für eine verbes- dizin (Navarro 2000). Hierbei handelte es sich um eine
serte Behandlung von Schwerbrandverletzten in die klini- Suspension von kultivierten Keratinozyten, die experi-
sche Praxis Eingang finden. mentell gesprüht werden konnte. Weitere wegbereitende
Experimente mit gesprühten Hautzellen wurden beschrie-
ben (Navarro 2001; May 2001; Duncan 2005). Im Gegen-
21.2 Geschichte und klinische Anwendung satz zu CEA können nicht nur kultivierte Keratinozyten,
sondern auch perioperativ gewonnene, nichtkultivierte
Die Behandlung von Verbrennungswunden mit kultivier- Hautzellen mittels eines solchen Verfahrens angewendet
ten autologen Hautzellen hat seinen Ursprung in der weg- werden.
bereitenden Arbeit von Howard Green, James G. Rhein-
wald und Kollegen. Nichtkultivierte Hautzellsuspensionen
Die Gewinnung und Anwendung von nichtkultivierten
Hautzellsuspensionen erfolgt in der Regel innerhalb eines
21.2.1 »Cultured epithelial autografts« operativen Vorgangs. Somit ist der regulatorische Auf-
wand erheblich reduziert. Auf Grund der geringfügigen
Bereits im Jahr 1975 wurde eine Methode für die Kulti- Anzahl von gewonnenen Zellen ist das Verfahren eher für
vierung von Keratinozyten beschrieben (Rheinwald die Behandlung von kleineren Arealen geeignet. Es findet
1975), auf der noch heute die Herstellung von autologen Anwendung bei Verbrennungswunden, aber auch bei
epithelialen Hauttransplantaten basiert. Nur vier Jahren chronischen Wunden und Pigmentstörungen (Gravante
später wurde einen Artikel veröffentlicht (Green 1979), 2007; Mulekar 2008; Cervelli 2009; Mulekar 2009; Back
der eine klinische Anwendung von kultivierten Keratino- 2009; Cervelli 2010).
zyten in Aussicht stellte. Darauf folgten dann im Jahr 1981
die ersten zwei in der Literatur beschriebenen Behand- Kultivierte Keratinozytensuspensionen
lungen von Verbrennungspatienten mit sogenannten Suspensionen von kultivierten Keratinozyten können in
»cultured epithelial autografts« (CEA) (O’Connor 1981). der Regel schneller als CEA zur Behandlung bereitgestellt
CEA wird in diesem Kapitel ausschließlich für Trans- werden, weil die Zellen nicht bis zur Etablierung eines
plantate in der Form von mehrschichtig gewachsenen, mehrschichtigen Zellrasens kultiviert werden müssen.
zusammenhaltenden »Sheets« von Keratinozyten ange- Mit 6–10 Tagen Kultivierung lassen sich 3–6 Verdop-
wendet. pelungen der Zellzahl erreichen. Aus einem Biopsat
Vierzig Jahren später gelten noch immer die Kultur- (5–10 cm2) kann nach etwa 10 Tagen eine Zellzahl von
prinzipien von Rheinwald und Green als Grundlage für die 50–100 Millionen Keratinozyten erreicht werden. Damit
Herstellung von CEA, und inzwischen sind schätzungs- kann eine Fläche von ≥1000 cm2 mittels Sprühen gut
weise weltweit mehr als 5000 Verbrennungspatienten mit gedeckt werden.
solchen Transplantaten behandelt worden. Für einen Patienten können parallel sowohl Keratino-
Trotz dieser Anzahl von Behandlungen ist die Evidenz- zyten zum Sprühen als auch CEA kultiviert werden. Bei-
lage für CEA noch relativ bescheiden. Die Tatsache, dass spielsweise könnte bei einer Diagnose von isolierten
Genehmigung und Durchführung von relevanten klini- Wundarealen Grad IIb an kosmetisch wichtigen Stellen
schen Studien ausreichender Teststärke mit erheblichen relativ schnell aus einer Zellkultur Zellsuspensionen zum
Schwierigkeiten behaftet sind, führt dazu, dass einige As- Sprühen bereitgestellt werden, während für eine spätere

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198 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

großflächigere Anwendung weiterhin Keratinozyten für EU-Direktiven »Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen
CEA kultiviert werden. Eine solche kombinierte Heran- Parlaments und Rates vom 31. März 2004«, »Richtlinie
gehensweise hat sich aber noch nicht in der Praxis ver- 2006/17/EG vom 8. Februar 2006« und »Richtlinie
breitet. 2006/86/EG vom 24. Oktober 2006« zu Zellen und Gewe-
Hartmann und Kollegen berichten über Erfahrungen ben in nationales Recht, die mit dem Inkraftsetzen des Ge-
mit gesprühten Keratinozytensuspensionen (Hartmann webegesetzes vom 20. Juli 2007 ihren Abschluss fand, so-
2007). Die Anwendung von gesprühten Keratinozytensus- wie die Veröffentlichung der EU-Guideline EC/1394/2007
pensionen ist auch als ein Adjuvant zur Behandlung mit zu Arzneimitteln für neuartige Therapien (»advanced the-
gemeshten Autografts (Richard 1993) oder Meek-Trans- rapy medicinal products«, ATMP) im Jahr 2007.
plantaten (Menon 2013) denkbar.

Kultivierung von anderen Zelltypen der Haut 21.3.1 Zeitraum von 1978 bis 2007
Neben Keratinozyten können auch andere Zelltypen der
Haut kultiviert und in der Verbrennungsmedizin thera- Mit der Reform des Arzneimittelgesetzes (AMG) der
peutisch angewendet werden. Beispielsweise lassen sich Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1976, das am
kultivierte autologe dermale Fibroblasten als Ergänzung 01.01.1978 in Kraft trat, sind »Körperteile, -Bestandteile
zur Anwendung von dermalen Gewebetransplantaten […] von Mensch (und Tier) in bearbeitetem oder unbe-
(Jhaveri 2010) bzw. synthethischen Ersatzmaterialien für arbeitetem Zustand« über die Definition des Stoffbegriffs
Narbenkorrekturen bzw. zur Rekonstruktion von tieferen (§ 3 AMG) dem Regelungsbereich des AMG zugeordnet.
Verbrennungswunden wie auch bei Pigmentstörungen Diese Stoffe, zu denen damit humane Zellen und Gewebe
einsetzen (Cario-André 2006). gehören, sind nach § 2 Abs. 1 dann Arzneimittel, wenn
sie »dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im
Erläuterung der aktuellen Praxis menschlichen […] Körper 1. Krankheiten, Leiden, Kör-
Detaillierte Auseinandersetzungen mit nichtkultivier- perschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu
ten Hautzellsuspensionen sowie mit kultivierten Sus- lindern, […]«. Voraussetzung für die Herstellung von
pensionen von Zelltypen außer Keratinozyten liegen Arzneimitteln gemäß § 2 Abs. 1 ist eine behördliche Her-
außerhalb des Anwendungsbereichs dieses Kapitels. In stellungserlaubnis (§ 13 AMG). Diese Herstellungser-
der Abhandlung der aktuellen Praxis werden ausschließ- laubnis wird auf Antrag von der zuständigen Behörde in
lich Herstellungsverfahren und die Anwendung von CEA dem Bundesland, in dem sich die pharmazeutische Her-
und kultivierten Keratinozytensuspensionen berücksich- stellungsstätte befindet, erteilt. Voraussetzung dafür ist
tigt. der Nachweis des pharmazeutischen Unternehmers, dass
Um die regulatorischen Anforderungen an die Ge- er die Anforderungen des internationalen Herstellungs-
webeentnahme und die Herstellung in einen Kontext zu standards für Arzneimittel (»good manufacturing prac-
setzen, ist es erforderlich, zuerst die Entwicklung der regu- tice«, GMP, in seiner nationalen jeweils gültigen Entspre-
lativen Einstufung autologer Zellkulturen zu erläutern. chung) erfüllt. Im Mittelpunkt stehen hierbei vor allem
die Eignung der Herstellungsräume und Einrichtungen
sowie die Anforderungen an die Sachkunde und Qualifi-
21.3 Regulative Einordnung von autologen kation des Personals.
Zellkulturen Neben dem Erfordernis der Herstellungserlaubnis be-
steht auch eine Zulassungspflicht (§ 21 AMG): »Arznei-
Die regulative Einordnung von autologen Zellkulturen hat mittel im Sinne des § 2 Abs. 1 […] dürfen im Geltungsbe-
sich in den Jahren seit 1978 mehrfach gravierend verän- reich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn
dert. Neben der Novellierung des deutschen Arzneimittel- sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen
gesetzes infolge pharmazeutisch-wissenschaftlicher Ent- sind […]. Alternativ kann anstelle der nationalen Zulas-
wicklungen haben vor allem die amtlichen Bekannt- sung ein Arzneimittel für den Geltungsbereich der EU
machungen der Gesetze oder gesetzesähnlichen Veröffent- bei der European Medicines Agency (EMA) mit Sitz in
lichungen des Europäischen Parlaments/der Europäischen London zentral zugelassen werden. Arzneimittel, die zur
Kommission auf dem Gebiet der Medizin, die innerhalb autologen Anwendung bestimmt und deren Aufbereitung
21 einer vorgegebenen Frist in nationales Recht zu überfüh- oder Vermehrung von autologen Körperzellen im Rah-
ren sind, die nationale Gesetzgebung maßgeblich beein- men der Gewebezüchtung zur Geweberegeneration vor-
flusst. Dieser Abriss ist deshalb einmal in den Zeitraum bis gesehen sind, unterliegen nach § 21 Abs. 2 Nr. 1a einer
zum Jahr 2007 und in den danach unterteilt worden. Ausnahmeregelung und erfordern keine solche Zulas-
Grund für diese Einteilung war die Umsetzung der drei sung.

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21.4 · Praxis
199 21
von § 21 eine Zulassungspflicht festgeschrieben. Diese Zu-
Zusammenfassung der historischen regulatorischen lassung für Arzneimittel für neuartige Therapien kann
Lage ausschließlich zentral bei der EMA in London beantragt
In dem betrachteten Zeitraum war für die Aufberei- werden. Diese zentrale Zulassung berechtigt den Hersteller
tung und/oder Vermehrung von autologen Körper- von Arzneimitteln für neuartige Therapien, diese EU-weit
zellen im Rahmen der Gewebezüchtung zur Gewebe- in den Verkehr zu bringen.
regeneration nur eine Herstellungserlaubnis nach Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber mit dem § 4b
§ 13 AMG erforderlich. Bei der Aufbereitung und/oder AMG eine sehr eng definierte Ausnahmeregelung geschaf-
Vermehrung von allogenen Körperzellen musste fen, die auf autologe Hautzellkulturen zutrifft. Für ärztlich
zusätzlich zur Herstellungserlaubnis auch eine Zulas- verschriebene, individuelle Zubereitungen für einen ein-
sung nach § 21 AMG vorliegen. zelnen Patient kann anstelle der zentralen Zulassung bei
der EMA eine nationale Sondergenehmigung nach § 4b
AMG beantragt werden. Diese Lösung stellt eine nationale
Auslegung der »Hospital Exemption« gemäß Art. 28 der
21.3.2 Zeitraum seit 2007 ATMP-Richtlinie 1394/2007 dar. Sie wird inzwischen auch
in anderen EU-Ländern als nationale »Zwischenlösung«
Die Inkraftsetzung der drei EU-Direktiven 2004/23/EG, auf dem Weg zur sehr teuren zentralen Zulassung erwogen.
2006/17/EG und 2006/86/EG zu Zellen und Geweben
sowie der ATMP-Richtlinie EC/1394/2007 als neues euro-
Zusammenfassung der aktuellen Regularien
päisches Gemeinschaftsrecht und ihre Überführung in
5 Nach aktueller Gesetzeslage gelten autologe
nationales Recht hat die bis dahin geltende regulative Ein-
Hautzellkulturen als Arzneimittel für neuartige
ordnung von autologen und allogenen Hautzellkulturen
Therapien.
signifikant verändert.
5 Für die Aufbereitung und/oder Vermehrung von
Die drei EU-Direktiven sind mit dem »Gewebegesetz«
autologen Körperzellen im Rahmen der Gewebe-
vom 20. Juli 2007 in nationales Recht überführt worden.
züchtung zur Geweberegeneration wird eine Her-
Dieses Gewebegesetz ist als sogenanntes Artikelgesetz aus-
stellungserlaubnis nach § 13 AMG gefordert sowie
geführt, d. h. es ist eine Zusammenstellung aller Änderun-
eine zentrale Arzneimittelzulassung der EMA für
gen im Arzneimittelgesetz, im Transplantationsgesetz und
das Inverkehrbringen innerhalb der Europäischen
im Transfusionsgesetz, die sich aus den drei EU-Direktiven
Union.
ableiten.
5 Anstelle der zentralen Zulassung kann eine natio-
Hinsichtlich der Zellkulturen ist damit erstmals die
nale Sondergenehmigung nach § 4b AMG treten.
Entnahme der Hautbiopsie zur Gewinnung der Primärzel-
len für die Hautzellkultur als Gewebespende eingestuft
und eine Genehmigungspflicht eingeführt worden. Ge-
mäß § 20b Abs. 1 des AMG ist »eine Einrichtung, die zur 21.4 Praxis
Verwendung beim Menschen bestimmte Gewebe im Sinne
von § 1a Nr. 4 des Transplantationsgesetzes (TPG-GewV) Die Prozesse im Institut der Autoren (DIZG) spiegeln im
gewinnen (Entnahmeeinrichtung) […] will, bedarf einer Kontext der aktuellen gesetzlichen Lage in Deutschland die
Erlaubnis der zuständigen Behörde.« Damit wird also das aktuelle Praxis mit kultivierten Keratinozyten zur klini-
behandelnde Krankenhaus zur Entnahmeeinrichtung und schen Anwendung wider.
muss eine entsprechende Erlaubnis erlangen.
Die ATMP-Richtlinie EC/1394/2007 ist im Rahmen
der 15. AMG-Novelle aus dem Jahr 2011 in nationales 21.4.1 Erfüllung der grundlegenden
Recht überführt worden. In § 4 Absatz 9 AMG ist veran- regulatorischen Anforderungen
kert: »Arzneimittel für neuartige Therapien sind Genthe-
rapeutika, somatische Zelltherapeutika oder biotechnolo- Eine Anwendung von kultivierten Keratinozyten in Form
gisch bearbeitete Gewebeprodukte nach Artikel 2, Ab- von CEA oder Suspension setzt die Erfüllung von spezifi-
satz 1, Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 schen regulatorischen Anforderungen voraus. Die aktuelle
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. No- Lage in Deutschland ist in . Tab. 21.1 abgebildet.
vember 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien.« Beabsichtigt eine Klinik kultivierte Keratinozyten an-
In diesem Zusammenhang wurde gleichzeitig die bis zuwenden, dann müssen die regulatorischen Anforderun-
zum Jahr 2007 bestehende Zulassungsbefreiung für auto- gen vorab erfüllt werden. Das Erlangen einer Genehmi-
loge Zellkulturen aufgehoben und in der Neuformulierung gung zur Entnahme von Hautgewebe für die Kultivierung

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200 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

. Tab. 21.1 Regulatorische Anforderungen an die Herstellung von autologen Zellkulturen zur klinischen Anwendung in Deutschland

Klinikinterne Herstellung Externe Herstellung, aber klinikeigene Externe Herstellung unter


Genehmigung zur Gewebeentnahme Erlaubnis des Herstellers

Klinik Hersteller

Herstellungserlaubnis/ AMG § 20b(1) AMG § 20b(1) AMG § 13 AMG § 20b(2)


Genehmigung (Gewebeentnahme) (Gewebeentnahme)
AMG § 20c (Herstellung) AMG § 13 (Herstellung)

Zulassung Zentrale EMA-Zulassung als ATMP, oder (in Deutschland) eingeschränkte Genehmigung gemäß AMG § 4b

AMG Arzneimittelgesetz; ATMP »advanced therapy medicinal products«, Arzneimittel für neuartige Therapien; EMA European Medici-
nes Agency

der Zellen kann viel Zeit und Ressourcen in Anspruch gung nach AMG § 20c sinnvoll sein, wenngleich diese Ent-
nehmen. scheidung eine dauerhafte Einbindung von signifikanten
Wenn in einer Klinik, in der bisher kultivierte Kerati- klinikeigenen Ressourcen zur Folge hat.
nozyten nicht benötigt und deshalb die erforderlichen Ge-
nehmigungen nicht erteilt bzw. beantragt worden sind,
kann in Deutschland unter einer Voraussetzung eine inof- 21.4.2 Vorbereitung und Kommunikation
fizielle behördliche »Duldung« erwartet werden: dass eine zwischen Klinik und Hersteller
Therapie mit CEA vom behandelnden Arzt als lebensret-
tend indiziert, bewertet wird. Die bisher geduldete Praxis Sobald für einen Patienten eine autologe Kultur in Betracht
in solchen Fällen ist: gezogen wird, ist es ratsam und dringend zu empfehlen,
a. Die Entnahme wird den für die Klinik und den Kontakt zum Hersteller aufzunehmen. Eine erfolgreiche
Hersteller zuständigen Behörden gemeldet, und an- Transplantation setzt eine regelmäßige und offene Kom-
schließend munikation zwischen Klinik und Hersteller voraus.
b. werden die Unterlagen zum Erlangen einer Genehmi-
> Je früher und offener Klinik und Hersteller kommu-
gung eingereicht.
nizieren, um so besser können die Bedürfnisse des
Behandlungsplans und der Herstellung einer Kultur
Kliniken, die kultivierte autologe Zellen anwenden möch-
gegenseitig berücksichtigt werden.
ten, müssen intern abwägen, ob sie dafür eine eigene Ge-
nehmigung gemäß AMG § 20b(1) beantragen wollen, oder
ob sie gemäß AMG § 20b(2) eine Kooperation mit einem 21.4.3 Gewebeentnahme und Freigabe
Hersteller, der die Herstellungserlaubnis nach AMG § 13 zur Weiterbearbeitung
hat, eingehen möchten. Im letztgenannten Fall werden die
jeweiligen Verantwortlichkeiten der Klinik und des Her- Die Biopsie ist der erste Schritt, die eine genaue Abstim-
stellers gemäß der guten Herstellungspraxis (GMP) in mung zwischen Klinik und Hersteller erfordert. Der Ver-
einer Verantwortungsabgrenzungsvereinbarung (VAV) lauf und die Aufteilung der Verantwortung wird im
festgelegt. §-20b(2)-Verfahren genau im VAV festgelegt. Die »Prozes-
Für die Kliniken, deren »herstellende Tätigkeit« abseh- se« und deren Zuordnung hinsichtlich der Verantwortung
bar auf die Bereitstellung von Biopsaten zur Kultivierung sind in . Tab. 21.2 abgebildet.
bei einem externen Hersteller beschränkt bleibt, ist die Be-
antragung einer Genehmigung nach § 20b(2) in aller Regel Bereitstellung und lokale Lagerung
sinnvoller und für die Klinik der deutlich einfachste Weg. des Entnahmekits
VAV dürfen mit beliebig vielen Herstellern abgeschlossen Ein »Kit« besteht in der Regel aus Dokumenten, Probenge-
werden und beinhalten keinerlei Verpflichtung zur Be- fäßen und Materialien für den Rücktransport. Das Gefäß
21 stellung. für die Aufbewahrung des Biopsats enthält eine Lösung,
Für Kliniken, in denen weitere relevante Tätigkeiten die die Vitalität der Zellen im Biopsat über die post-Ent-
ausgeübt werden oder perspektivisch denkbar sind, könnte nahme-, Lager- und Transportdauer (in der Regel auf
der »Alleingang« zum Erlangen einer Genehmigung nach etwa 1 Tag beschränkt) aufrechterhält. Diese Gefäße müs-
AMG § 20b(1) und bei Bedarf einer Herstellungsgenehmi- sen auch vor Entnahme kühl gelagert werden und haben

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21.4 · Praxis
201 21

. Tab. 21.2 Abgrenzung der Verantwortlichkeiten bei der Gewebeentnahme zur Kultivierung autologen Zellen

Prozess Verantwortlich

Bereitstellung eines Entnahmekits Hersteller

Lokale Lagerung des Entnahmekits Klinik

Aufklärung des Patienten bzw. des/der Angehörigen

Einholung einer Zustimmung zur Gewebeentnahme sowie für eine Blutprobe


Arzt
Biopsie

Entnahme einer Blutprobe

Durchführung eines serologischen Screenings Klinik, oder Hersteller

Freigabe des Biopsats zur Weiterbearbeitung Arzt

Transport Biopsat (und evtl. Blutprobe) zum Hersteller Hersteller

üblicherweise eine Haltbarkeit, die auf wenige Wochen Spalthaut der Dicke 0,2–0,3 mm steril entnommen. Jedes
beschränkt ist. Deshalb wird in der Praxis meistens ein Biopsat sollte mindestens 4 cm2, bevorzugt 9 cm2 groß
»frisches« Kit für einen Patienten in die Klinik geliefert. sein. Wegen der potenziellen Gefahr der bakteriellen Kon-
Die lokale, kurzzeitige Lagerung der Biopsatgefäße gilt tamination empfiehlt es sich, mindestens von zwei ge-
als »Herstellungsschritt« und bringt deshalb die Klinik in trennten Körperregionen zu entnehmen, sofern dies medi-
die Pflicht, relevante Anforderungen der guten Herstel- zinisch vertretbar ist.
lungspraxis (GMP) zu erfüllen. Der Ort der Lagerung
> Die Hautbiopsien müssen von klinisch gesunden
muss in einem Raumplan benannt werden, ebenso bei Be-
Hautarealen entstammen, die nicht verbrannt,
darf für eine Kühllagerung der Kühlschrank, dessen Tem-
infektfrei und ohne lokale Läsionen sind.
peratur überwacht und dokumentiert werden muss. Die
dafür erforderlichen schriftlichen Arbeitsanweisungen Zu den geeigneten Entnahmestellen gehören in Abhängig-
müssen in einem Qualitätsmanagementsystem (QMS) or- keit vom Verbrennungsmuster die Leiste, die Axilla, der
ganisiert sein. Der »§-20b(2)-Weg« erleichtert hier einiges, retroaurikuläre Skalp, das untere Abdomen und das Skro-
weil die Anforderungen durch ein vom Hersteller bereit- tum. Prinzipiell sind aber alle zur Spalthautentnahme in
gestelltes QM-Handbuch weitgehend abgedeckt werden Betracht kommende Regionen möglich.
können.
> Die Hautproben müssen unter sterilen Kautelen
Aufklärung und Zustimmung und mit steriler Abdeckung unter Aussparung des
OP-Feldes entnommen werden, um Störungen der
Der entnehmende Arzt, oder ein durch ihn beauftragter,
Zellkultivierung durch eine mikrobielle Kontamina-
sachkundiger Mediziner muss den Patienten bzw. Angehö-
tion zu vermeiden. Die Entnahmestellen müssen
rigen oder einen vom Gericht bestellten Vertreter über den
mit handelsüblichen, zur Hautdesinfektion vor chi-
Behandlungsplan, die damit verbundenen Risiken und
rurgischen Eingriffen zugelassenen Antiseptika ge-
rechtliche Aspekte vollständig aufklären. Hierbei muss ins-
mäß Anwendungsvorschrift abgewaschen werden.
besondere auf die notwendige Biopsie, die Entnahme einer
Alle anhaftenden Beläge des Antiseptikums sind mit
Blutprobe, die Parameter des serologischen Screenings, die
steriler Kochsalzlösung gründlich abzuspülen. Dies
vorgesehene Transplantation einer autologen Zellkultur,
ist angesichts der Zytotoxizität der Antiseptika ein
den Datenschutz und Widerrufsrechte geachtet werden.
wichtiger Schritt.
> Eine schriftliche Bestätigung der Aufklärung sowie
Die Hautproben sollen nach der Entnahme sofort jeweils
eine schriftliche Zustimmung zur Gewebeentnahme,
einzeln in Biopsatgefäße aseptisch überführt, die Gefäße
Blutprobe und autologen Zellkultivierung muss vor
sofort fest verschlossen und jeweils gemäß Gesetzgebung
Entnahme eingeholt werden.
(in Deutschland ist hier AMWHV § 34 zutreffend) ge-
kennzeichnet werden.
Biopsie
Hautproben für die Gewinnung von Keratinozyten zur
Kultivierung werden am besten mit dem Dermatom als

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202 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

Entnahmebericht, Biopsatfreigabe
Mindestangaben gemäß AMWHV § 34 für zur Weiterbearbeitung
Gewebespenden zum Zeitpunkt ihrer Entnahme Laut TPG GewV § 5 muss die Entnahmeeinrichtung dem
5 Art der Spende und Spenderidentität oder, soweit Hersteller, der das entnommene Gewebe be- oder verar-
zuerkannt, die von der Entnahmeeinrichtung für beitet, einen Entnahmebericht übermitteln, der aus-
die spendende Person vergebene Zuordnungs- schließlich folgende Angaben enthält:
nummer
5 Tag und, sofern möglich, Uhrzeit der Entnahme
Entnahmebericht gemäß TPG GewV § 5
5 Warnung vor einem möglichen Gefährdungspo-
5 Name und Anschrift der Gewebeeinrichtung,
tenzial
die das Gewebe erhalten soll
5 sofern zutreffend, Art der verwendeten Zusätze
5 Spenderidentität mit Angaben zu Familienname,
5 bei autologen Spenden der Hinweis »Nur zur auto-
Vorname, Geschlecht, Tag der Geburt, und bei
logen Verwendung«
lebenden Spendern Anschrift oder, soweit zuer-
kannt, die von der Entnahmeeinrichtung für
den Gewebespender vergebene Zuordnungs-
Sofern diese Angaben nicht auf dem Behältnis gemacht
nummer
werden können, sind sie in einem Begleitdokument aufzu-
5 Beschreibung und Kennzeichnungscode des ent-
führen, das dem Behältnis beigefügt wird. Aus der Kenn-
nommenen Gewebes
zeichnung der Proben für die Laboruntersuchung müssen
5 Familienname, Vorname und Anschrift des für die
insbesondere die Zuordnung zur spendenden Person zwei-
Entnahme verantwortlichen Arztes
felsfrei möglich sein und Angaben über Ort und Zeit der
5 Tag, Uhrzeit und Ort der Entnahme sowie die Art
Probenentnahme hervorgehen.
und Weise der Entnahme
Serologisches Screening 5 Identifizierung/Chargennummer der verwendeten
Aufbewahrungs- und Transportlösungen
Auch bei einer autologen Transplantation gibt es serologi-
5 Freigabe der Gewebe für die Aufbereitung, Be-
sche Anforderungen an die Spendereignung. Laut TPG-
oder Verarbeitung, Konservierung oder Aufbewah-
GewV Anlage 3 nach § 4 sind mindestens folgende biolo-
rung im Sinne des § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des
gischen Tests durchzuführen:
Transplantationsgesetzes

Notwendige biologische Tests gemäß TPG-GewV


Anlage 3 nach § 4
Da es medizinisch erforderlich sein kann, mit der Zellge-
5 HIV 1 und 2: Anti-HIV-1, -2
winnung bzw. Zellkultur zu beginnen, bevor die Ergebnis-
5 Hepatitis B: HBsAg, Anti-HBc
se des serologischen Screenings vorhanden sind, kann eine
5 Hepatitis C: Anti-HCV-Ab
»vorläufige« Freigabe durch den entnehmenden Arzt er-
5 Syphilis: validierter Test für Treponema pallidum
folgen.
Während AMG und AMWHV prinzipiell verlangen,
Diese Anforderungen mögen für eine autologe Transplan- dass der Hersteller »seine« Ausgangsmaterialien zur Her-
tation erklärungsbedürftig sein. TPG-GewV Anlage 2 stellung freigibt, ist laut TPG-GewV ausschließlich der
nach § 3 Abs. 2 liefert hierfür spezifische Orientierungshil- entnehmende Arzt für die Freigabe des Biopsats zur
fen. Diese besagt: Weiterbearbeitung verantwortlich. Deshalb muss das sero-
logische Screening, wenn es in der Verantwortung des
> Sollen die entnommenen Gewebe rückübertragen Herstellers durchgeführt wird (was prinzipiell zulässig
werden, sind die Mindestanforderungen an biologi- ist), gemäß GMP-Vereinbarung auch dann das Biopsat
sche Laboruntersuchungen nach § 4 in Verbindung durch den entnehmenden Arzt für die Weiterbearbeitung
mit Anlage 3 zu erfüllen. Positive Untersuchungser- endgültig freigegeben werden. Das ist aus praktischer
gebnisse führen nicht dazu, dass dieses Gewebe Sicht etwas umständlich. Es geht in der Regel wie folgt
nicht gelagert, verarbeitet und rückübertragen wer- vor sich: Der Hersteller beauftragt sein akkreditiertes
21 den kann, wenn geeignete Lagerbedingungen vor- Prüflabor mit dem Screening. Der Hersteller bekommt
handen sind, die jegliches Risiko einer Kreuzkonta- vom Prüflabor die Ergebnisse des Screenings und liegt
mination mit anderen Transplantaten oder einer diese der Chargendokumentation bei. Der entnehmende
Kontamination mit Adventiv-Agentien oder eine Arzt erhält vom Hersteller eine Kopie des Befunds, auf
Verwechslung ausschließen. deren Basis er schriftlich die endgültige Freigabe erteilt

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21.4 · Praxis
203 21
und diese an den Hersteller versendet. Er legt dann eine vorhanden sind. Die Anwesenheit von anderen Zelltypen
Kopie des Befunds in die Patientenakte, die, wenn aus- kann sogar vorteilhaft sein. So kann beispielsweise die Prä-
schließlich »autolog« gespendet wurde, auch als Spender- senz von Melanozyten oder Fibroblasten in den Keratino-
akte gelten darf. zytenkulturen deren Kontraktionsverhalten mindern
(Rakar 2014; Sakrak 2012). Biedermann et al. zeigten, wie
Rücktransport von Hautbiopsaten wichtig wiederum stromale Zellen/Fibroblasten für die
In der Regel übernimmt der Hersteller die Verantwortung Funktion von Melanozyten sind und damit für die Pig-
für den Rücktransport von Biopsaten. Das Entnahmekit mentierung der Haut (Biedermann 2014).
enthält die für den Rücktransport erforderliche Dokumen- Auf die Fibroblasten der Dermis muss in besonderer
tation und Verpackung. Der Transport sollte validiert wer- Weise aufgepasst werden, da dermale Fibroblasten in der
den. Das heißt, dass bei einer Worst-case-Betrachtung Lage sind, schneller als Keratinozyten zu proliferieren,
insbesondere hinsichtlich zulässiger Temperatur und d. h, diese Zellen dermalen Ursprungs können relativ
Transportdauer die Biopsate beim Hersteller mit einer für schnell (auf alle Fälle binnen des für die Kultivierung von
die Zellgewinnung und Zellkultur ausreichenden Qualität CEA erforderlichen Zeitraums) eine Keratinozytenkultur
ankommen. Die gute Herstellungspraxis (GMP) verlangt überwachsen. Es wird deshalb in der Regel bei der Zellge-
»state of the art« für Prozesse und deren Überwachung. winnung akut darauf geachtet, dass eine möglichst saubere
Heute muss das so interpretiert werden, dass die Tempera- Trennung von Epidermis und Dermis bei der Zellgewin-
tur während des Transports kontinuierlich überwacht und nung erfolgt.
dokumentiert wird. Erreicht man eine frühe und saubere Trennung von
Der Versandbehälter muss für den Transport entspre- Dermis und Epidermis – bevor die Gewebematrix vom
chend gekennzeichnet werden. angewendeten Enzym soweit verdaut wird, dass bereits
viele Einzelzellen isoliert worden sind, kann man (bei Be-
darf durch eine separate weitere Verdauung der Epidermis)
Versandbehälterkennzeichnung
eine für die Kultivierung von CEA bzw. Keratinozyten zum
5 Angabe von Anschrift, Telefonnummer und An-
Sprühen geeignete Zellpopulation isolieren.
sprechpartner von Empfänger und Absender
Auch die Anforderungen an ein möglichst zellscho-
5 Warnung »Vorsicht Gewebe und Zellen – nur zur
nendes Verfahren lassen sich neben der Auswahl und Qua-
autologen Verwendung«
lität (insbesondere die Aktivität) des Enzyms am besten
5 Warnung »nicht bestrahlen«
durch eine frühe und saubere Trennung von Epidermis
5 Offizieller Gefahrstoffaufkleber (UN 3373: Biologi-
und Dermis erfüllen, da die extrazelluläre matrixarme Epi-
scher Stoff, Kategorie B – Verpackungsanweisung
dermis wesentlich leichter enzymatisch zu verdauen ist als
P650ADR)
die Dermis.
In . Abb. 21.1 wird die Zellgewinnung im Institut der
Autoren demonstriert.

21.4.4 Zellgewinnung
21.4.5 Zellkultur
Die Vitalität und Vermehrungsfähigkeit der Zellen in den
Biopsaten nimmt mit der Zeit ab. Die Enzyme, die für die In der Zellkultur werden die Zellen in der aus der Zellge-
Isolation von vereinzelten Zellen aus der Gewebematrix winnung resultierenden Suspension vermehrt.
erforderlich sind, schädigen die Zellen. Deshalb gelten bei An dieser Stelle ist es nützlich, einige in der Zellkultur
der Zellgewinnung zwei Grundregeln: verwendete Begriffe zu definieren und eine kurze Einfüh-
1. Es soll so früh wie möglich mit der Zellgewinnung rung in die Zellkulturgrundlagen zu geben.
begonnen werden.
2. Das enzymatische Verfahren zum Isolieren der Zellen Relevante Nomenklatur
soll so schonend wie möglich sein. Einige in diesem Kapitel und häufig verwendete Begriffe
sind in . Tab. 21.3 definiert.
Während es für die Herstellung von CEA bzw. Keratinozy-
ten zum Sprühen erforderlich ist, eine keratinozytenreiche Relevante Grundlagen
Zellpopulation aus einem Biopsat zu isolieren, wird aber Als Ausgangspunkt wird zuerst ein verallgemeinertes
nicht gefordert, eine reine Population von Keratinozyten »Zellkultursystem« definiert, das sich für die Kultivierung
als Ergebnis der Zellgewinnung zu erzielen. CEA können von Keratinozyten zur klinischen Anwendung als CEA
erzeugt werden, wenn andere Zelltypen der Epidermis oder Suspension eignet.

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204 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

X YZ-AB-
0 2 2-1 4

b
a

. Abb. 21.1a–e Zellgewinnung. a Hautbiopsat im gekennzeichneten Behältnis. Das nicht geöffnete Behältnis wird außen desinfiziert und in
den Reinraum zur Bearbeitung überführt. b Mit dem Biopsat wird ausschließlich in der GMP(EU)-Reinraumklasse A offen gearbeitet. Als er-
stes durchläuft das Biopsat ein mehrstufiges Waschverfahren, um mögliche Kontaminationen so weit wie möglich zu entfernen. Von den an-
gewendeten Waschlösungen werden Proben zur Prüfung auf Sterilität gemäß Europäischen Arzneibuch (»European pharmacopoeia«, Ph.
Eur.) gezogen. Danach wird eine Reihe von Einschnitten zugefügt. Diese ermöglichen der enzymatischen Lösung über eine größere Fläche
Zugang zu der zu verdauenden Grenzschicht (dem Stratum germinativum) zwischen Epidermis und Dermis. c Das zugeschnittene Biopsat
wird in einer enzymatischen Lösung inkubiert. Die Bebrütung erfolgt in geschlossenem Behältnis in der GMP(EU)-Reinraumklasse B. d Nach
Inkubation wird die Epidermis mit Pinzetten von der Dermis abgezogen. Der bisher erreichte Verdauungsgrad der Epidermis wird ermittelt –
lässt sich die Epidermis leicht mit zwei Pinzetten zerkleinern, dann ist eine Fortsetzung der Verdauung nicht erforderlich. Ansonsten wird die
enzymatische Bebrütung fortgeführt. e Nach kraftfreiem Zerstückeln der Epidermis in möglichst kleine »gelockerte« Gewebestreifen wird
der »Extrakt« in ein verschließbares Röhrchen überführt. Die Gewebereste lassen sich dann durch Schwenken noch weiter zerkleinern. Am
21 Ende wird der Extrakt über ein Zellsieb in ein zweites Röhrchen überführt. Die daraus resultierende Zellsuspension ist das Ergebnis der Zell-
gewinnung. Die Zellpopulation soll weitestgehend aus vereinzelten, teilungsfähigen Keratinozyten bestehen. Die Konzentration (Zellen/ml)
und der Anteil von vitalen Zellen (%) werden ermittelt (im Institut der Autoren auf Basis des bewährten Trypan-Blau-Ausschlusstests (Stro-
ber 2001). Die »Vitalität« dient zur Kontrolle der Qualität der Zellgewinnung. Die Konzentration wird benutzt, um zu bestimmen, in wieweit
die Suspension für das Einsäen in die Zellkulturflasche für die Primärkultur verdünnt werden muss. Von der Zellsuspension werden Proben
zur Prüfung auf Sterilität gemäß Ph. Eur. gezogen

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21.4 · Praxis
205 21

. Tab. 21.3 Definitionen und Abkürzungen für Begriffe der Zellkultur

Begriff Abkürzung Definition

Primärzellen PZ Zellen, die aus Gewebe gewonnen wurden und bisher nicht kultiviert waren

Primärkultur PK Eine Zellkultur, die mit Primärzellen initiiert wurde


Zellkulturflasche ZKF Das Gefäß, in dem die Zellen mit Nährmedium kultiviert werden. (In diesem Kapitel handelt
es sich in den Beispielen ausschließlich um Flaschen mit einer Kulturfläche von 75 cm2)
Einsaat Die Zellpopulation, mit der eine Kultur begonnen wird

Einsaatdichte ED Die auf die vorhandene Kulturfläche bezogene Zelldichte beim Einsäen (in der Regel als
Zellzahl×cm-2 angegeben)
Lag-Phase Die Zeit, die nach dem Einsäen verläuft, bis die Zellen anfangen sich regelmäßig zu teilen

Monolayer Eine Schicht von kultivierten Zellen, in der alle Zellen direkt auf dem Boden des Kulturgefäßes
angeheftet sind
Verdopplungszeit DT Die Zeit, in der sich eine Zellpopulation durch Mitose verdoppelt
Konfluenz Der Status eines Monolayers, wenn der Kulturgefäßboden komplett mit Zellen bewachsen ist

Subkultivierung Der (in der Regel enzymatische) Prozess, bei dem die Zellen aus einem Gefäß wieder-
gewonnen und anschließend in mehrere Gefäße eingesät werden (auch Passagierung bzw.
Trypsinierung genannt)
Split-Ratio Das Verhältnis zwischen der Anzahl von Zellkultureinheiten vor Subkultivierung und nach
Subkultivierung. (z. B. 10 ZKF vorher und 100 danach entspricht einer Split-Ratio von 1:10)
Subkultur SK Eine Zellkultur, die durch Subkultivierung entstanden ist. Eine Subkultur kann aus einer
Primärkultur entstehen (häufig dann als SK1 abgekürzt), aber auch aus eine Subkultur
(SK2, SK3 usw.)
Kryokonservierung Der Prozess, bei dem Zellen so eingefroren werden, dass sie vital und (wenn gewünscht)
teilungsfähig bleiben, um später bei Bedarf kultiviert werden zu können

Kryokonserve KK Eine Population von kryokonservierten Zellen; eine Kryokonserve kann eine Population
von PZ oder von bereits kultivierten Zellen sein

Dieses System beinhaltet:


1. Eine Zellpopulation, die überwiegend aus lebenden, Patientenparameter, die den Verlauf
teilungsfähigen Keratinozyten besteht beeinträchtigen
2. Einen Satz von Umgebungsparametereinstellungen, Bei der Kultivierung von Keratinozyten für die Behand-
die für die Kultivierung der Zellen geeignet sind: lung von Schwerbrandverletzten gibt es eine Vielzahl
5 Temperatur (37°C) von mit dem Patientenverbundenen Parametern, die
5 pH (~7,3) den Verlauf einer Kultur maßgeblich negativ beeinflus-
5 Luftfeuchte (>95 %) sen können, beispielsweise:
5 Sauerstoffpartialdruck (~10±5 kPa an der 5 Patientenalter, Zeit zwischen Verbrennung und
Zelloberfläche)] Biopsie: Probleme mit der Zellkultur treten bei
3. Prozesse für die Ernährung der Zellen älteren Patienten häufiger auf, ebenso, je später
die Biopsate für die Zellkultur entnommen
Für jedes solche »Zellkultursystem« gibt es einen Satz von werden
Parametern, die das Wachstum der Zellen kollektiv be- 5 Vorhandensein einer Sepsis oder von Hautinfektio-
stimmen. nen, insbesondere Infektionen mit multiresisten-
Neben »online« steuerbaren Parametern wie Menge ten Organismen
und Rezeptur des Kulturmediums, Zufuhr von neuem 5 verletzungsassoziierte Komplikationen (z. B. Inhala-
Nährmedium und Abfuhr von »verbrauchtem« Medium tionstrauma) können sich negative auf das Wachs-
gibt es auch eine Reihe von nicht prospektiv kontrollierba- tum auswirken
ren Parametern, die das Wachstum beeinflussen können
und mit der Herkunft der Zellen verbunden sind.

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206 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

und Trypsin (wofür Richtlinien hinsichtlich Virus- und


5 sekundäre Krankheiten (z. B. Diabetes mellitus, TSE-Sicherheit bereits etabliert und von einigen Lieferan-
Autoimmunkrankheiten) und Einnahme von Medi- ten umgesetzt worden sind), sind gegenwärtig die Supple-
kamenten sowie Rauchen, Alkoholismus und mente nicht in der notwendigen Qualität auf dem Markt
Drogenmissbrauch können das Zellwachstum in verfügbar. Der Hersteller ist dann dazu verpflichtet, die
der Kultur erheblich einschränken beste verfügbare Qualität zu identifizieren und durch Cha-
rakterisierung die Eignung der Qualität selbst zu belegen.
Für Supplemente tierischer oder rekombinanter Her-
Es gibt aber grundsätzlich für jedes Zellkultursystem zwei kunft sind neben Sterilität (bzw. Sterilisierbarkeit) die Frei-
Parameter, die den Vermehrungsgrad und die Kulturdauer heit von Mykoplasmen und Viren sowie eine ausreichend
für eine angenommene Wachstumsrate (in der Regel in geringe Konzentration von Endotoxin chargenweise zu
Form der Verdopplungszeit (DT) angewendet) maßgeb- belegen.
lich bestimmen: Sogenannte »Feeder-Zellen« werden auch in diesem
4 Einsaatdichte (ED) und Kontext angewendet. Hier handelt es sich um eine Popula-
4 Dichte eines konfluenten »Monolayers« (KD) tion von teilungsunfähigen Fibroblasten, die mit den Kera-
tinozyten am Anfang kokultiviert werden. Solche Feeder-
Prinzipiell stehen Vermehrungsgrad und Kulturdauer in Zellen, die meistens muriner Herkunft sind, führen nicht
direktem proportionalem Verhältnis zu dem Unterschied nur zu einer kürzeren Verdopplungszeit, sondern auch zu
zwischen Einsaatdichte und Dichte bei Konfluenz [er- einer höheren »Plating-Efficiency« (Anteil von eingesäten
reichbare Fläche = ƒ(KD-ED); Kulturdauer = ƒ(KD-ED)]. Zellen, die am Boden anhaften und sich teilen) und zu ei-
Anders ausgedrückt: Bei einer bestimmten Ausgangs- ner kürzeren Lag-Phase indem Sie die zu kultivierenden
population ist der Vermehrungsgrad umso größer, je dün- Zellen parakrin oder über Deponierung auf dem Kultur-
ner die Zellen eingesät werden (und für CEA deshalb auch boden mit einer Vielzahl von Faktoren versorgen. Die An-
die erreichbare Fläche), aber umso länger wird auch die wendung von solchen Feeder-Zellen erfordern die Com-
Kultivierung dauern. pliance mit Cell-Banking-Richtlinien sowie eine vollstän-
dige virale Charakterisierung.
Anforderungen an spezifische erforderliche Insgesamt ist mit der Erfüllung der Anforderungen an
Ausgangsstoffe solche Hilfsstoffe ein erheblicher Aufwand verbunden, der
Die Notwendigkeit, die Kulturdauer in einem klinisch ak- einen signifikanten Einfluss auf die Herstellungskosten hat.
zeptablen Rahmen zu halten, macht die Anwendung von
speziellen Ausgangsstoffen tierischer oder rekombinan- Planung einer Kultur
ter Herkunft bisher unabdingbar. Die Wegbereiter der Es gilt also für jeden CEA-Auftrag die Kultur so zu gestal-
Kultivierung von Keratinozyten zur klinischen Anwen- ten, dass die notwendige Transplantatfläche mit einer ver-
dung, H. Green und J. G. Rheinwald beschrieben bereits tretbaren Kulturdauer sicher erreicht wird.
in den 70er Jahren die Abhängigkeit der ausreichenden Da sich für Keratinozyten die Zelldichte eines kon-
in vitro Proliferation von Keratinozyten von Kultur- fluenten Monolayers von Kultur zu Kultur nicht maßgeb-
medium-Supplementen (Green 1977; Rheinwald 1980; lich verändert (etwa 0,16±0,04 Millionen Zellen×cm-2),
Rheinwald 1977). Spezifisch »epidermal growth factor« bestimmt grundsätzlich die Einsaatdichte sowohl die Kul-
(EGF) und »Produkte von Fibroblasten« waren für das turdauer (in Abhängigkeit von den »Spendercharakteristi-
Aufrechterhalten einer ausreichenden Proliferation über ken«) als auch die erreichbare Fläche. Beim Errechnen der
mehrere Zellteilungen als erforderlich identifiziert wor- optimalen Einsaatdichte muss darauf geachtet werden,
den. Darüber hinaus schrieben Rheinwald und Green dass die Dauer der Lag-Phase steigt, wenn eine (prospektiv
sowie anderen Autoren (Johnson 1992; Ogawa 1990) wei- nur grob einschätzbare) minimale Einsaatdichte unter-
teren Kulturmedium-Supplementen wie fötales Kälber- schritten wird. . Tab. 21.4 stellt auf Basis von plausiblen,
serum, Insulin und Choleratoxin eine proliferationsunter- jedoch nur beispielhaften Angaben dar, wie eine Entschei-
stützende Rolle zu. Noch heute sind Supplemente dieser dung über die Einsaatdichte die erreichbare Fläche und
Art für die Kultivierung von großen Mengen von Kera- Dauer einer Primärkultur beeinflussen kann.
tinozyten zur klinischen Anwendung unerlässlich. Zwei wichtige Fakten können aus der Tabelle ersehen
21 Die Anwendung von solchen Hilfsstoffen und Enzy- werden:
men (z. B. Trypsin), die für die Zellgewinnung bzw. Sub- 1. Auch bei denkbar geringen Einsaatdichten können
kultivierung erforderlich sind, bereitet dem Hersteller we- die häufig in der Verbrennungsmedizin erforder-
gen der pharmazeutischen Anforderungen einige Schwie- lichen Transplantatflächen von 0,5–1,5 m2 nicht
rigkeiten. Mit der Ausnahme von fötalem Kälberserum praktikabel mit einer Primärkultur erreicht werden.

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21.4 · Praxis
207 21

. Tab. 21.4 Einfluss der Einsaatdichte auf erreichbare Fläche und Primärkulturdauer, bei auf Erfahrungswerten beruhender ange-
nommener Verdopplungszeit und Lag-Phase-Dauer

Zellgewinnung Einsaatdichte Anzahl Lag-Phase Verdopplungs- Erreichbare Kulturdauer bis


(Mio. Zellen) (Mio. Zellen pro Zellkultur- (Tage) zeit (h) Fläche (m2) zur Konfluenz
Zellkulturflasche) flaschen (Tage)

0,25 40 >7 0,3 >14

0,5 20 >5 0,15 >10

0,75 13 ~4 0,1 ~9
10 30
1 10 ~3 0,075 ~8–9

1,5 7 ~3 0,05 ~8

2 5 ~3 0.04 ~7

2. Zu niedrige Einsaatdichten können zu einer inakzep- . Tab. 21.5 stellt einige Beispiele für die Führung einer
tabel langen Kulturdauer führen (die angegebene Kultur dar. Die Angaben basieren auf den angenommenen
Dauer entspricht nur der Zeit bis zur Konfluenz, für Werten aus . Tab. 21.4. Zusätzlich wird hier angenom-
die Kultivierung bis zum Entstehen von mehrschich- men, dass
tigen Sheets werden weitere Tage benötigt). a. wie im Institut der Autoren, aus einer ZKF ein Trans-
plantat mit einer Deckungsfläche von 55 cm2 gewon-
Bereits am Anfang der Kultur ist es deshalb für den Her- nen werden kann;
steller erforderlich, eine gute Einschätzung der zu kulti- b. pro ZKF 7,5 Mio vitale Keratinozyten bei der Sub-
vierenden Fläche vom behandelnden Arzt zu erhalten. kultivierung gewonnen werden können;
Das Ergebnis der Zellgewinnung und die erforderliche c. in der Subkultur nach dem Erreichen der Konfluenz
Fläche bestimmen die Einsaat (sowohl beim Anlegen der weitere 3 bis 4 Tage für die Ausbildung von mehr-
Primärkultur als auch später bei einer Subkultivierung). schichtigen Sheets erforderlich sind.

. Tab. 21.5 Beispiele für die Führung und Dauer einer Zellkultur zur Herstellung von CEA

Erforderliche Fläche Tx (m2) 0,4 0,7 1,0

Erforderliche Kulturfläche 0,55 0,95 1,35


(55 cm2 Tx pro 75 cm2 ZKF) (m2)

Erforderliche Anzahl ZKF 74 127 180

Zellgewinnung (Mio Zellen) 10

Verdopplungszeit (h) 30

Einsaatdichte PK 0,75 1,5 0,75 1,5 0,75 1,5


(Mio. Zellen pro ZKF)

Anzahl ZKF in der PK 13 7 13 7 13 7

Dauer PK (Tage) ~9 ~8 ~9 ~8 ~9 ~8

Erforderliche Split-Ratio 1:6 1:11 1:10 1:19 1:14 1:26

Zellgewinnung (Mio Zellen) ~100 ~50 ~100 ~50 ~100 ~50

Einsaatdichte SK ~1,4 ~0,7 ~0,8 ~0,4 ~0,6 ~0,3


(Mio. Zellen pro 75 cm2 ZKF)

Dauer SK (Tage) ~11 ~13 ~12 >18 ~15 >18

Gesamt Kulturdauer (Wochen) ~3 ~3 ~3 4–5 ~4 4–5

PK Primärkultur; SK Subkultur; Tx Transplantation; ZKF Zellkulturflasche

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208 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

. Tab. 21.5 zeigt, dass: rungen zwischen Klinik und Hersteller chronologisch ein-
4 Transplantatflächen bis 0,4 m2 relativ verlässlich in gefügt sind.
etwa 3 Wochen hergestellt werden können (voraus-
gesetzt, die Zellen wachsen typisch) Kommunikation zwischen Klinik
4 jenseits dieser Fläche die erforderliche Split-Ra- und Hersteller
tio 1:10 übersteigt und zu Einsaatdichten führt, die Es ist bereits bei der Beauftragung einer Zellkultur klinik-
die Dauer der Subkultur signifikant verlängern, so seitig erforderlich, den Hersteller über die Größe der mit
dass es bis zu 5 Wochen dauern kann, die notwendige kultivierten Zellen zu behandelnden Fläche orientierend
Fläche herzustellen zu informieren. Diese Information ist für die Planung der
Kultur wie in 7 Abschn. 21.4.5 Planung einer Kultur be-
Zellkulturplanung in Abstimmung schrieben erforderlich.
mit dem Behandlungsplan Es reicht allerdings aus, die zu transplantierende Fläche
Die Planung einer größeren Zellkultur für CEA erfährt erst kurz vor der Subkultivierung verbindlich festzulegen
noch mehr Komplexität, wenn die Tatsache berücksichtigt und darüber zu entscheiden, wie viele Transplantationen
wird, dass häufig die mit CEA zu deckenden Flächen nicht geplant sind. Die Gestaltung der Subkultivierung (gewähl-
in einem operativen Vorgang transplantiert werden können. te Split-Ratio, Anzahl von Subkulturen, Bedarf für Kryo-
Für den Hersteller stehen zwei pragmatische Ansätze konservierung) wird durch diese klinikseitige Festlegung
zur Verfügung, die bei dieser Herausforderung helfen kön- bestimmt.
nen. Beim Einsäen (sowohl bei einer PK als auch bei einer Es ist ebenso ratsam, den Hersteller frühzeitig über alle
SK) können mehr als eine Einsaatdichte gewählt werden, Änderungen zu informieren, die eine Wirkung auf die
so dass ein Teil der Kultur früher und ein Teil später die Transplantationspläne haben könnten. Das Auftreten von
Konfluenz erreicht. Zweitens kann sowohl bei der Zellge- Infektionen (insbesondere mit multiresistenten Keimen)
winnung als auch bei der Subkultivierung ein Teil der ge- oder andere Komplikationen können Verschiebungen er-
wonnenen Zellen kryokonserviert werden, um damit zu forderlich machen. Eine besser als erwartete Heilung bei
einem späteren im Behandlungsplan vorgesehenen Zeit- Verletzungen Grad IIb kann zu einer Reduzierung der er-
punkt eine weitere Kultur zu beginnen. forderlichen Transplantationsfläche führen. Je früher der
Die Voraussetzung für den Erfolg ist die bereits erwähn- Hersteller über solche Änderungen informiert wird, umso
te frühe und klare Kommunikation zwischen Klinik und besser können die veränderten klinischen Anforderungen
Hersteller. Wird der Hersteller ausreichend früh über die durch die Gestaltung der Kultur berücksichtigt werden.
relevanten Aspekte des Behandlungsplans informiert, kann Während der Kultivierung einer SK muss auch eine
er mit den erwähnten Ansätzen agieren, um »Unterchar- verbindliche Vereinbarung über den Transplantationster-
gen« mit Teilmengen zu vereinbarten Terminen zu liefern. min zwischen Klinik und Hersteller getroffen werden.
Die Fertigung von CEA setzt mehrschichtig gewachse-
Verlauf einer Zellkultur ne Kulturen voraus. Sie können aber nicht beliebig lange
Der praktische Verlauf einer Keratinozytenkultur wird mehrschichtig kultiviert werden. Der Hersteller verfolgt
grafisch in . Abb. 21.2 dargestellt und beschrieben. . Tab. sehr aufmerksam das Wachstum der SK, und nach etwa
21.6 liefert eine tabellarische Zusammenfassung des Ver- 5–8 Tagen nach Subkultivierung wird es ihm in der Regel
laufs der Kultur, in der die Kommunikation und Vereinba- möglich sein, eine verlässliche Aussage darüber zu ma-

. Abb. 21.2a–f Praktischer Verlauf einer Keratinozytenkultur. a Die durch Verdünnung hinsichtlich der gewählten Einsaatdichte eingestellte 7
Suspension wird in der GMP(EU)-Reinraumklasse A in einzelne sterile ZKF hinein »pipettiert«. b Die eingesäten ZKF der PK werden in der
GMP(EU)-Reinraumklasse B bei 37°C, >95 % Luftfeuchte und (zur pH-Pufferung) 5 % CO2-haltige Luft inkubiert. c Die ZKF werden sowohl in
der PK als auch in der SK regelmäßig (in der Regel in Zeitabständen von 24 oder 48 h) in der GMP(EU)-Reinraumklasse B unter dem Mikro-
skop kontrolliert. In den ersten 72 h einer Kultur wird kontrolliert, dass die Zellen am Boden der ZKF adhärieren, dass sie eine keratinozyten-
typische Morphologie aufweisen und vor allem, dass sie anfangen sich zu teilen. Es wird bei jedem solchen Vorgang sorgfältig auf Anzeichen
einer mikrobiellen Kontamination geachtet. d Die sich teilenden Zellen bilden zunächst Inseln (oberste ZKF) auf dem Flaschenboden. Mit
fortschreitendem Wachstum verbinden sich die Inseln zu größeren Zellflächen (mittlere ZKF). Schließlich wird die Konfluenz erreicht (untere
ZKF). Bei typischen Einsaatdichten (z. B. 1,5 Mio Zellen pro ZKF) und typischem Wachstum (DT ~30 h) dauert die Kultivierung ab Ende der
Lag-Phase 5–6 Tage. e Wenn eine Subkultivierung erforderlich ist (für CEA nahezu unabdingbar), wird aus jeder ZKF der PK mittels eines en-
21 zymatischen und der Zellgewinnung ähnlichem Prozess eine Suspension gewonnen. Die Konzentration von vitalen Zellen in dieser Suspen-
sion wird ermittelt und die Suspension mittels Verdünnung für das Einsäen in die »Töchter«-ZKF der SK eingestellt. Die eingestellte Suspensi-
on wird in die Tochterflaschen aseptisch hineinpipettiert. Hier ist eine Split-Ratio von 1:6 abgebildet. Alle Schritte der Subkultivierung erfol-
gen in der GMP(EU)-Reinraumklasse A. Proben zur Prüfung auf Sterilität gemäß Ph. Eur. werden während der Subkultivierung gezogen. f Die
eingesäten ZKF der SK werden in der GMP(EU)-Reinraumklasse B bei 37°C, >95 % Luftfeuchte und (zur pH-Pufferung) 5 % CO2-haltige Luft in-
kubiert. DT Verdopplungszeit; PK Primärkultur; SK Subkultur; Tx Transplantation; ZKF Zellkulturflasche

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21.4 · Praxis
209 21

a b

e f

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210 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

. Tab. 21.6 Zeitstrahl einer Zellkultur inklusive Kommunikation und Vereinbarungen zwischen Klinik und Hersteller

Woche Klinik Zeitraum Hersteller

Gewebeentnahme und Orientierung


zur behandelnden Fläche
≤24 h
1
Zellgewinnung, Einsäen PK

7–10 Tage Kultivierung PK

Verbindliche Festlegung
Fläche, Anzahl
2 Transplantationen >1? ≥24 h

Subkultivierung

9–14 Tage

Festlegung des ersten Kultivierung SK1


Transplantationstermins
≥48 h
3–4

≤24 h Fertigung CEA


Transplantation

CEA »cultured epithelial autografts«; PK Primärkultur; SK Subkultur

chen, wann die Transplantate aus der mehrschichtigen steller offen. Es lassen sich dann höchstens noch Verschie-
Kultur gewonnen werden können. In der Regel kann dann bungen um ±1 Tag mit vertretbarem Aufwand bewältigen.
ein Zeitraum von 2–3 Tagen benannt werden, in dem die Aber auch diese Option kann nur noch bis zu 48 h vor dem
Klinik den Transplantationstermin festlegen kann. vereinbarten Termin berücksichtigt werden. Spätestens
Nach der Festlegung eines Transplantationstermins 48 h vor dem Transplantationstermin wird der Prozess der
verbleiben kaum noch Gestaltungsoptionen für den Her- Transplantatfertigung unwiderruflich begonnen.

. Abb. 21.3a–f Gewinnung und Fertigung von CEA. a Die Kultur muss erst zu einem mehrschichtigen, zusammenhaltenden Zellsheet wach- 7
sen, bevor die CEA aus den ZKF gewonnen werden können. Der erste Schritt der Transplantatgewinnung ist die Inkubation der Kultur mit
einem Enzym, das zwar das intakte Sheet vom Boden der ZKF ablöst, es aber selbst nicht verdaut. Im Institut der Autoren wird hierfür Dispase
angewendet und die Wirkung des Enzyms sorgfältig kontrolliert. Mit Ausnahme der Bebrütung des Sheets mit der Dispaselösung, die in der
GMP(EU)-Reinraumklasse B stattfindet, finden alle Schritte der Fertigung und Primärverpackung in der GMP(EU)-Reinraumklasse A statt.
b Wenn sich die Ränder des »Zellsheets« mit einem stumpfen Instrument (z. B. ein gebogener Glasstab) mechanisch kraftfrei und intakt vom
Boden der ZKF ablösen lassen, dann ist die enzymatischen Verdauung zu beenden und die Gewinnung der Transplantate fortzusetzen. Die
sorgfältige Abtrennung der Ränder des Sheets vom ZKF-Boden wird komplett entlang aller vier Kanten des Sheets durchgeführt. c Anschlie-
ßend wird der Sheet mit zwei Pinzetten an den beiden Ecken an der »Halsseite« der ZKF gehalten und der ganze Sheet mit äußerster Vorsicht
vom Boden ein Stück weit abgezogen. d Ein mechanisch stabilisierendes Trägermaterial (im Institut der Autoren wird hierfür eine als Medizin-
produkt zertifizierte Fettgaze angewendet) wird vorsichtig auf dem teilweise vom Boden abgelösten Sheet aufgelegt. Entlang der abgelösten
Ecken werden die Sheetränder über das Trägermaterial umgeschlagen. Die so umgeschlagenen Kanten werden dann mit Titanclips mit einer
Spezialzange fixiert, so, dass Sheet und Trägermaterial zusammengehalten werden. e Verstärkt durch das Trägermaterial kann der Sheet nun
21 komplett vom ZKF-Boden abgelöst und in das Primärtransplantatbehältnis mit Transportmedium (die Lösung, in der die Transplantate bis
zur Anwendung ernährt werden) überführt werden. Dann wird entlang der frei verbliebenden Kanten der Sheetrand über das Trägermaterial
sorgsam umgeschlagen und ebenfalls mit Titanclips zusammengeklammert. f Wenn der Sheet in regelmäßigem Abstand komplett an allen
vier Kanten des Transplantats mittels Titanclips an das Trägermaterial befestigt worden ist, wird das Primärbehältnis geschlossen. Die Trans-
plantatgewinnung ist somit abgeschlossen. Die Verpackung kann dann fortgesetzt und die Kennzeichnung (Etikettierung) vorgenommen
werden. CEA »cultured epithelial autografts«; PK Primärkultur; SK Subkultur; ZKF Zellkulturflasche

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21.4 · Praxis
211 21

a
b

c d

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212 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

a b

. Abb. 21.4a, b Gewinnung und Fertigung von Suspensionen zum Sprühen. a Die Gewinnung von Suspensionen zum Sprühen erfolgt
durch eine enzymatische Behandlung (wie bei der Subkultivierung) mit Kulturen, die fast bis zur Konfluenz gewachsen sind. Nur aus solchen
Monolayern können ausreichend viele vereinzelte vitale Zellen gewonnen werden. Wird die Gewinnung zu früh durchgeführt, ist die ge-
samte Ausbeute zu gering. Wird sie zu spät durchgeführt, lassen sie sich auch durch eine längere Enzymbehandlung nicht komplett verein-
zeln. Letzteres führt nicht nur zu einer geringeren Ausbeute, sondern auch zu einer zu geringen Vitalität. Eine gepoolte Suspension wird aus
Suspensionen hergestellt, die mehreren individuellen Zellkulturflaschen entstammen. b Die gepoolte Suspension wird mittels Zentrifuga-
tion und anschließender Verdünnung in Transportmedium so eingestellt, dass die Menge von vitalen Zellen der Spezifikation entspricht.
Aus der eingestellten gepoolten Suspensionen werden die Transplantatprimärbehältnisse (sterile 5-ml-Einwegspritzen) abgefüllt. Die Primär-
behältnisse werden mit sterilen Stöpseln verschlossen. Damit ist die Transplantatgewinnung beendet und die Sekundärverpackung und
Etikettierung können folgen

21.4.6 Erzeugung des Fertigarzneimittels steril. Der Folienbeutel ist nur innen steril. Somit erhält das
OP-Personal die auf übliche Weise handhabbaren doppelt
Die Erzeugung des Fertigarzneimittels ist sowohl bei CEA steril verpackten Transplantate.
als auch bei Suspensionen zum Sprühen ein mehrstufiger Die Fertigarzneimittel werden gemäß AMG § 10 ge-
Prozess. Dieser beinhaltet die Gewinnung der Transplan- kennzeichnet. Die für CEA und Suspensionen von Kera-
tate aus der Kultur, die Fertigung der Transplantate und tinozyten zum Sprühen relevanten gesetzlichen Bestim-
deren Verpackung und Kennzeichnung. mungen schreiben vor, dass auf alle Behältnisse und, sofern
vorhanden, äußeren Umhüllungen folgende Angaben an-
CEA gebracht werden müssen:
Die Gewinnung und Fertigung von CEA im Institut der
Autoren ist in . Abb. 21.3 abgebildet und erläutert.
Kennzeichnung der Fertigarzneimittel gemäß
Suspensionen AMG § 10
5 Name und Anschrift des pharmazeutischen Unter-
In . Abb. 21.4 ist der Ablauf bei der Gewinnung und Fer-
nehmers
tigung von Suspensionen zum Sprühen im Institut der
5 Bezeichnung des Arzneimittels
Autoren grafisch dargestellt und beschrieben.
5 Zulassungsnummer
Verpackung und Kennzeichnung 5 Chargenbezeichnung
5 Darreichungsform (z. B. »Sheet«, oder »Suspension
Die während der Fertigung in die Primärbehältnisse über-
zum Sprühen«)
führten Transplantate müssen nun in die komplette Pri-
5 Inhalt nach Gewicht, Volumen, oder Stückzahl
märverpackung gebracht werden, bevor sie den Reinraum
5 Art der Anwendung (hier gilt »zur Transplantation«)
21 verlassen dürfen. Im Institut der Autoren besteht die Pri-
5 Verfallsdatum mit dem Hinweis »verwendbar bis«
märverpackung aus dem genannten Primärbehältnis mit
dem Sheet, das in einen sterilisierten Folienbeutel einge-
bracht und der noch im Reinraum zugeschweißt wird. Das Während grundsätzlich die Primärbehältnisse mit allen
Primärbehältnis ist damit sowohl innen als auch außen diesen Angaben gekennzeichnet werden müssen, wird bei

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21.4 · Praxis
213 21
kleineren Behältnissen das AMG-konforme Etikett häufig Die Methoden für und Anforderungen an für diese Art
auf der Außenseite der Primärverpackung (in unserem Fall von Transplantaten relevanten IPK sind nur bedingt durch
der Folienbeutel) aufgebracht. Weitere Angaben zu Indika- internationalen Normen (ISO), bzw. ICH-Richtlinien,
tion und Anwendung sind in einem Beipackzettel zu ma- oder Arzneibuchmonografien festgelegt. Wenn ISO, ICH
chen. Diese sogenannten »Gebrauchs- und Fachinforma- und Ph. Eur. nicht ausreichende »guidance« hierfür lie-
tionen« (GFI) sind ein behördlich zustimmungspflichtiger fern, müssen durch den Hersteller selbst die Methoden
Bestandteil der Zulassung und müssen allen zur Abgabe und Akzeptanzkriterien beschrieben und begründet und
freigegebenen Transplantaten beiliegen. die Prozesse validiert werden.

Spezifikationseinhaltung
21.4.7 Freigabe und Lieferung Die Einhaltung der Spezifikation wird chargenweise
von Transplantaten durch die Qualitätskontrolle überprüft. Dies beinhaltet
eine Bewertung der Ergebnisse der IPK und Endkon-
Im pharmazeutischen Sinne entspricht jede einzelne Aus- trollen (Testung des Fertigarzneimittels) sowie eine wei-
lieferung von kultivierten autologen Zellen einer Charge. tere Durchsicht der gesamten Chargendokumentation.
Jede solche Charge bedarf einer Freigabe durch eine von Wird die Spezifikation ohne Abweichung eingehalten
der zuständigen Behörde anerkannten sachkundigen Per- und die ordnungsgemäße Herstellung bestätigt, kann
son. Die grundlegenden Voraussetzungen für die Freigabe die Chargenfreigabe durch die sachkundige Person er-
einer Charge sind: die ordnungsgemäße Herstellung ent- folgen.
sprechend GMP und deren Prozessvorschriften sowie die
Einhaltung der Spezifikation des Fertigarzneimittels. Die Abweichungsmanagement
Freigabe muss vor Auslieferung an die Klinik erfolgen. Ge- Der Umgang mit Abweichungen in den Prozessen muss
rade bei lebenden Zellen bereitet diese Anforderung dem vorgeschrieben sein. Prozessabweichungen sowie Ergeb-
Hersteller Schwierigkeiten, weil bei solchen Produkten oft nisse »out of specification« (OOS) müssen im Sinne der
die Haltbarkeit kurzer ist als die Zeit, die für die Prüfung Qualität des Arzneimittels bewertet und als kritisch, oder
des Fertigarzneimittels erforderlich ist. nicht kritisch begründet eingestuft werden. Es kann also
sein, dass mit einer robusten Begründung unter definier-
Überprüfung der ordnungsgemäßen ten Voraussetzungen eine Charge, bei der nicht kritische
Herstellung Abweichungen aufgetreten sind, doch zur Transplanta-
Die ordnungsgemäße Herstellung einer Charge wird durch tion freigegeben werden kann. Die Überlebensnotwendig-
den Leiter der Herstellung an Hand der Chargendokumen- keit einer Transplantation kann hier zur Entscheidung
tation überprüft. Dabei gilt es sicherzustellen, dass die herangezogen werden, beispielsweise unter der Vorausset-
Herstellung der Charge gemäß der intern geltenden Pro- zung, dass nach Aufklärung über die Abweichungen und
zessvorschriften und in Konformität mit GMP und den deren Tragweite der Arzt die Transplantation durchführen
Zulassungsunterlagen ohne Abweichungen erfolgte, dass möchte.
die Dokumentation vollständig und lückenlos auch hin-
sichtlich Rückverfolgbarkeit ist und, dass die Anforderun- Sterilitätsprüfung bei Transplantaten
gen an In-Prozess-Kontrollen (IPK) erfüllt wurden. mit beschränkter Haltbarkeit
Einige der IPK-Anforderungen sind im Annex 1 der Die Sterilität ist eine grundsätzliche Anforderung an auto-
GMP-Leitfaden entsprechend der Reinraumklassen vorge- loge Keratinozytentransplantate. Da aber solche Trans-
schrieben. Dazu gehören z. B.: Grenzwerte für die Anzahl plantate einen validierten Sterilisationsprozess nicht un-
von Partikeln die mit der für das aseptisches Arbeiten mit terzogen werden können, ist die Sterilität mittels einer
»offenem« Produkt erforderlichen Online-Partikelmes- Arzneibuchmethode chargenweise zu prüfen. Die aktuell
sung gezählt werden, und Keim koloniebildende Einheiten anerkannten Methoden zur Prüfung auf Sterilität sehen
(KBE) die mittels Sedimentations- bzw. Abklatschplatten eine Inkubationsdauer von 14 Tage vor.
sowie durch Luftkeimmessungen festgestellt werden. Autologe Keratinozytentransplantate die nicht als Fer-
Produkt- und oder prozessspezifische IPK spielen auch tigarzneimittel kryokonserviert werden, haben de facto
eine wichtige Rolle bei kultivierten Zellen zur Transplanta- eine Haltbarkeit, die wesentlich kürzer als die Dauer der
tion. Darunter sind beispielsweise die Prüfung auf Sterili- für die Freigabe erforderlichen Prüfung auf Sterilität ist.
tät, die Testung für Endotoxine und Mykoplasmen sowie Während dieses Problem inzwischen regulatorisch
die Bestimmung von pH, Vitalität und Zellzahl. Auch eine wahrgenommen wurde und behördliche Duldung hin-
phänotypische Identitätsprüfung der kultivierten Zellen sichtlich einer »vorläufigen« Freigabe (z. B. auf Basis von
kann erforderlich sein. Sterilitätsbefunden von IPK) vorhanden zu sein scheint, ist

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214 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

das Problem bisher nicht adäquat durch Normen, Richt- Bei der Auswahl der Wundflächen, die für die Trans-
linien oder Monographien adressiert. plantation vorgesehen sind, ist zu beachten, dass die Trans-
Ein neuer Normentwurf (ISO (FDIS) 18362) mit dem plantate außerordentlich empfindlich gegenüber Scher-
Arbeitstitel »Manufacture of cell-based healthcare pro- kräften und mechanischen Belastungen sind. Daher ist für
ducts – control of microbial risks during processing«, liegt den Transplantationserfolg eine sorgfältige Auswahl der zu
gegenwärtig zur Zustimmung von ISO vor. Der Norm- transplantierenden Flächen unter Aussparung belasteter
entwurf beschäftigt sich intensiv mit den Themen Sterili- Areale sehr entscheidend. Areale, die relativ hohen Scher-
tät (insbesondere die Nichtsterilisierbarkeit von lebenden kräften unterliegen, bzw. Auflageflächen sind für die
Zellen) sowie mit dem Management von »intrinsischen« Transplantation mit CEA nur bedingt geeignet.
(vom Spender kommenden) und dem Verhindern von Die bakterielle Kontamination der Wundflächen ist
»extrinsischen« (durch den Prozess eingebrachte) Konta- durch ein engmaschiges mikrobiologisches Monitoring
mination. Diese an GMP angelehnte und auf ISO 13408 streng zu überwachen, da eine entstehende Wundinfektion
Teil 1 basierende Norm wird mittels Empfehlungen für einen Transplantationserfolg stark gefährdet. Um Infek-
ein risikobasiertes Vorgehen, viele besondere Heraus- tionen vorzubeugen, müssen Wunden, auf die Keratino-
forderungen für den Hersteller von autologen Zelltrans- zyten transplantiert werden sollen, möglichst keimarm
plantaten als erstes regulatorisches Dokument adres- sein (<105 Keime/g Gewebe; Hartmann 2007).
sieren. Für die antimikrobielle Wundbehandlung wurden in
der Vergangenheit lokal aufgetragene Antibiotikamixturen
Lieferung von Transplantaten in die Klinik empfohlen. Diese Protokolle sind aktuell durch die Ver-
Eine freigegebene Charge wird für den Transport verpackt. wendung nur noch gering zytotoxischer Lösungen und
Das Einhalten des für Lagerung bzw. Transport vorgegebe- Gele mit Polyhexanid beziehungsweise Octenidin abgelöst
nen Temperaturbereichs muss für die maximale Lager- worden.
und Transportdauer validiert sein. Durch die vorherige Die eingewachsene Fremdhaut sollte zum Zeitpunkt
Abstimmung zwischen Klinik und Hersteller kann die Fer- der Transplantation nur tangential so abgetragen werden,
tigung der Transplantaten sowie den anschließenden dass dermale Anteile im Wundbett verbleiben. Granulati-
Transport mittels Vertragskurier so organisiert werden, onsgewebe ist zu entfernen (Hartmann 2007). Von der gu-
dass die Transplantate zum gewünschten OP-Termin und ten Vaskularisation der zu transplantierenden Wundareale
ohne Überschreitung der Haltbarkeit direkt in die Klinik hängt die nutritive Versorgung der Transplantate ab.
geliefert werden.
> Wasserstoffperoxid ist zytotoxisch! Die Anwendung
von Wasserstoffperoxid zur Blutstillung ist als obsolet
zu bezeichnen.
21.4.8 Wundvorbereitung
bis zur Transplantation Zur Blutstillung können aber verdünnte Adrenalinlösun-
gen benutzt werden.
Während die Transplantate kultiviert werden, sollte eine
gezielte Behandlung der Wunden als notwendige Vorberei-
tung der Transplantation erfolgen. Als notwendig in der 21.4.9 CEA-Einsatz
Behandlung Schwerbrandverletzter hat sich die Frühexzi-
sion des verbrannten Gewebes erwiesen. Dies gelingt in Der Zeitpunkt der Transplantation muss exakt mit Datum
der Regel schrittweise mit ≤25 % VKOF pro Eingriff (Hart- und Uhrzeit mit dem Hersteller abgestimmt werden, da die
mann 2007). Transplantate unmittelbar vorher gewonnen und für den
Die Wundareale nach drittgradigen Verbrennungen, Transport in die Klinik vorbereitet werden müssen. Nach
die für eine spätere Transplantation mit kultivierten Zellen dieser Prozedur können sie nicht wieder in die Zellkultur
vorgesehen sind, sollten möglichst mit Dermisersatz wie zurückgeführt werden.
azelluläre Dermis beziehungsweise allogener Spenderhaut Das Wundbett wird gemäß 7 Abschn. 21.4.8 versorgt
gedeckt werden, um ein Einheilen von dermalen Struktu- und, wenn erforderlich, noch einmal penibel nachgearbei-
ren im Wundbett zu ermöglichen (Cuono 1987). Dabei tet. Beim Débridieren ist eine äußert akkurate operative
kann auch zweizeitig vorgegangen werden und die be- Technik gefordert. Das Arbeiten mit dem Versajet hat sich
21 schriebenen allogenen Transplantate erst im Verlauf der hier bewährt (Hartmann 2007).
drei- wöchigen Kulturzeit zum Einsatz kommen. Tiefe Neben einem exakten Anfrischen der Wunde kann
zweitgradige Verbrennungen werden üblicherweise mit auch eine Reduzierung der Keimzahl im Wundbereich re-
temporären (synthetischen oder biologischen) Wundver- alisiert werden. Auf konsequente Blutstillung muss geach-
bänden versorgt (Hartmann 2007). tet werden. Bis zur definitiven Auflage der Keratinozyten-

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21.4 · Praxis
215 21

a b c

d e

. Abb. 21.5a–e Anwendung von CEA. a Das Primärbehältnis wird erst unmittelbar vor dem Transplantieren eines »Sheets« im OP geöffnet.
Das offene Gefäß wird dem Chirurgen zugereicht. Die Transplantate liegen im Gefäß mit der »Zellseite« nach oben. Der Chirurg entnimmt ein
Transplantat mit zwei Pinzetten aus dem Gefäß, so, dass die »Zellseite« von ihm abgewandt ist. b–d Der Chirurg beginnt dann, die Transplan-
tate mit der Zellseite unten mosaikartig auf dem zur Transplantation vorbereiteten Wundbett (Abschn. 21.4.8) zu legen. Die Transplantate
müssen spannungs- und faltenfrei aufgelegt werden. Eine »Repositionierung« bereits aufgelegter Sheets sollte vermieden werden. Es ist äu-
ßerste Sorgfalt geboten, da der sehr dünne Keratinozytensheet leicht durch Manipulationen gerissen werden kann. e Nach dem Auflegen
werden die Sheets an ihren Rändern mithilfe chirurgischer Wundklammern auf dem Wundbett fixiert

transplantate werden die Wundflächen feucht gehalten. den zweilagig mit 10–15 cm breiten Streifen grobmaschi-
Der Einsatz von Polyhexanidlösung 0,02 w/v ist an dieser ger Parafin- oder Vaselingaze (ohne zytotoxische Zusätze)
Stelle ebenfalls möglich. Es sollte jedoch vor der Auflage abgedeckt.
der Zellen nochmals mit Kochsalzlösung nachgespült wer- Zum weiteren Schutz der Transplantate, vor allem vor
den. Danach wird die Wundfläche abgetupft und ist somit Austrocknung, sollten schwachfeuchte Kompressen
zur Transplantation vorbereitet. Die Praxis bei der An- (NaCl-Lösung) aufgelegt und diese dann mit Bauchtü-
wendung von CEA ist in . Abb. 21.5 dargestellt und be- chern, Polsterwatte o. ä. abgedeckt bzw. ein Mullverband
schrieben. angelegt werden. Der mechanische Schutz der transplan-
Wenn die Transplantate appliziert sind, sollen diese tierten Areale ist anzustreben. Im Bereich der Extremitäten
Areale getrennt von den (nicht behandelten) anderen ist die Ablage von gut gepolsterten Cast-Verbänden sinn-
Wundflächen abgedeckt werden. Die Transplantate wer- voll.

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216 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

21.4.10 Anwendung von Suspensionen likonverbände sind denkbar. Es sollte auf jeden Fall ein
zum Sprühen Abreißen von anhaftenden Verbänden unterlassen wer-
den. Keratinozytensuspensionen können auch großflächig
Der Zeitpunkt der geplanten Transplantation von gesprüh- in Verbindung mit autologen Mesh- oder Meek-Trans-
ten Keratinozyten muss ebenfalls exakt mit Datum und plantaten appliziert werden.
Uhrzeit mit dem DIZG abgestimmt werden. Die Kombination von autologen Keratinozyten-
Das dermale Wundbett wird intraoperativ nochmals sprühtransplantationen mit weit expandierten Autografts
penibel gereinigt und alle anhaftenden Belege sowie Reste soll eine schnellere Epithelisierung der Wunde bewirken.
von Salben müssen entfernt werden. Sinnvoll ist auch hier Dies hat sich im klinischen Vorgehen bewährt (Hart-
das vorsichtige Nachdébridement mit dem Versajet und mann 2007). Aufgrund der verschiedenen Expansionsver-
die anschließende Blutstillung mit verdünnter Adrenalin- fahren unterscheidet sich auch der Vorgang beim Sprühen.
lösung (Hartmann 2007). Nach dem Stillen der Blutungen
kann die Wundfläche für 15–20 min mit gebrauchsfertiger Suspensionen mit Mesh-Transplantaten
Polyhexanidlösung (Lavasept 0,02 w/v) feucht gehalten Bei Mesh-Transplantaten ab 1:3 können die Transplantate
werden. Danach soll nochmals mit NaCl-Lösung gründ- zunächst in gewohnter Weise aufgelegt und mit Staplern
lich nachgespült werden. Jetzt ist die Wunde zur Trans- fixiert werden. Danach erfolgt die Sprühtransplantation
plantation vorbereitet. durch mehrmaliges dünnes Aufbringen der Zellsuspen-
Der Verlauf bei der Anwendung von Keratinozytensus- sion mit dem Sprühgerät. Als Verband wird der übliche bei
pensionen mit dem im Institut der Autoren entwickelten Meshgraft eingesetzte zweilagige Fettgazeverband aufge-
»cell sprayer« ist in . Abb. 21.6 erläutert. legt und der Verband mit ausreichender Polsterung ange-
Als Abdeckung hat sich Suprathel bewährt, da es auf fertigt. Auf zusätzliche antimikrobielle Substanzen im Ver-
der Wunde verbleiben kann. Aber auch nicht haftende Si- band sollte aufgrund der Zytotoxizität verzichtet werden.

a b c

. Abb. 21.6a–c Anwendung von Keratinozytensuspensionen. a Der im DIZG entwickelte »cell sprayer« ist ein wiederverwendbares Medi-
zinprodukt der Klasse IIa. Der elektronisch gesteuerte Sprayer wird vom DIZG für die Transplantation von Keratinozytensuspensionen termin-
gerecht für die Operation bereitgestellt und anschließend zur Wiederaufbereitung abgeholt. Das Gerät reguliert das Entleeren der Spritze
so, dass die Zellsuspension in einer Düse mit einem sterilen Luftstrom vermischt und damit ohne Vitalitätsverlust zu Mikrotröpfchen verne-
belt wird. b Unmittelbar vor der Anwendung werden die Spritzen steril aus der gekühlten Transportbehälter entnommen, ausgepackt und
vorsichtig geschwenkt, damit die Zellen in der Flüssigkeit gut verteilt werden. Bedienung und Anwendung sind einfach. Der Chirurg schaltet
das Gerät ein, legt das Transplantat (die Zellsuspension in einer 5-ml-Einwegspritze) in den Sprayer ein und betätigt die »Sprühtaste«, die
sich in der für eine Pistole üblichen Abzugsposition befindet. Solange die Sprühtaste gedrückt gehalten wird, wird gesprüht. Sobald eine
21 Spritze komplett entleert wurde, fährt der »cell sprayer« automatisch in Position für das Einlegen und Applizieren der nächsten Spritze.
c Die Flugbahn der Tröpfchen wird so reguliert, dass der Chirurg die Deckung der Wunde mit vernebelter Suspension (analog dem Spritz-
lackieren) kontrollieren kann. Der Inhalt einer 5-ml-Spritze reicht in Abhängigkeit der Zellkonzentration für die Behandlung einer Fläche von
bis zu 500 cm2. Die Suspension wird gleichmäßig auf der Wundfläche verteilt. Es empfiehlt sich, in mehreren Sprühlagen vorzugehen. Beim
Sprühvorgang sollte darauf geachtet werden, dass nicht zu viel Flüssigkeit appliziert wird. Werden zu viele Mikrotröpfchen auf eine Fläche
aufgebracht, können sich diese zu größeren Tröpfchen vereinigen mit dem Ergebnis, dass diese dann vom Zielareal abfließen können

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21.4 · Praxis
217 21
Suspensionen mit Meek-Transplantaten Die mikrobielle Besiedelung ist unbedingt auch nach
Bei Meek-Transplantaten ab 1:4 kann der Einsatz der Zell- der Transplantation zu überwachen. Sollte es zur An-
sprühtransplantation ebenfalls zu einer rascheren Epitheli- sammlung von Flüssigkeit oder gar zu entzündlichem Exu-
sierung führen. Dabei muss aber in anderer Reihenfolge dat kommen, wird die Flüssigkeit mit feuchten Kompres-
vorgegangen werden. Nach Präparation des Wundbetts und sen abgesaugt, und es werden Abstriche genommen.
der notwendigen peniblen Blutstillung werden zunächst Auf den Wundarealen ist auf keinen Fall zu reiben.
abschnittweise die Zellen aufgesprüht und nachfolgend Wenn der äußere Verband nicht mehr haftet (z. B.
gleich mit Meek-Transplantaten bedeckt. Auf das sonst üb- »schwimmt«), so ist er vorsichtig zu entfernen, das Exsudat
liche Anspülen der Meek-Gaze muss verzichtet werden, um mit feuchten getränkten Kompressen abzusaugen und die
ein Wegwaschen der Zellen zu verhindern. Damit die auf- Keimbesiedelung zu überwachen. Der Verband wird dann
gesprühten Zellen nicht austrocknen, sollten die jeweils neu aufgebaut und, wenn erforderlich, täglich gewechselt.
behandelten Areale nicht zu groß gewählt werden. Als Ver- Bei klinisch manifester Infektion kann lokal sehr vor-
band wird standardgemäß zweilagige Fettgaze aufgelegt sichtig mit Polyhexanidlösung gemäß Herstellerangabe
sowie ausreichend saugfähige Polsterverbände angefertigt. behandelt werden.

CEA-Nachbehandlung
21.4.11 Nachbehandlung jTake down
Der »take down« (Entfernen der Träger) sollte in der Regel
> Äußerste Vorsicht ist beim Wechseln der äußeren zwischen dem 10. und 14. Tag nach Transplantation statt-
Verbände in den ersten 10 Tagen p. o. und bei der finden. Er erfordert außerordentlich viel Geduld und
vollständigen Entfernung aller Verbände zum »take Sorgfalt.
down« (12–14 Tage p. o. bei CEA) geboten. Bis zu Zunächst werden die äußeren Verbände einschließlich
4 Wochen nach Transplantation sollte jegliche me- der zweilagigen Fettgaze entfernt und alle Staplerklam-
chanische Belastung der Transplantate vermieden mern herausgenommen. Beim Entfernen der Tacker ist
werden. Dies ist bei der Auswahl der zu behandelten darauf zu achten, dass das darunter liegende Gewebe nicht
Körperareale zu bedenken und in den individuellen mit angehoben wird. Dann kann man mit dem Abweichen
Behandlungsplan des Patienten zu integrieren. der Träger beginnen. Die Trägergaze der Keratinozyten
soll mit nassen Kompressen (NaCl-Lösung) bedeckt wer-
Hinweise für den 1. bis 10. Tag den und soll mindestens 15 min weichen.
nach Transplantation Die Trägergaze auf den Keratinozytensheets haftet in
Der äußere Mullverband kann ggf. täglich vorsichtig ge- der Regel relativ fest. Das Entfernen sollte nach dem Ein-
wechselt werden, wenn die Situation am Patienten dies weichen mit dem Anheben an einer Ecke begonnen wer-
erfordert. Die erste Abdeckung der Transplantate sollte den. Haftet die Fettgaze nur leicht, so wird der Träger mit
nach Möglichkeit mindestens 5–7 Tage auf den transplan- tangentialem Zug oder durch Abrollen entfernt. Keines-
tierten Arealen verbleiben, danach kann sie täglich ge- falls darf er senkrecht vom Wundgrund abgezogen wer-
wechselt werden. Der äußere Verbandswechsel muss sorg- den, da so das Epithel vom Wundgrund abgehoben wird.
fältig erfolgen, um die das Transplantat schützende grob- Haften die Träger noch zu stark am Epithel, so sollte der
maschige Gaze und das Transplantat selbst nicht von der »take down« um 1–2 Tage verschoben werden.
Wunde zu lösen bzw. direkt zu schädigen. Wegen der mög- Bei gutem Transplantationsverlauf befindet sich unter
lichen Mazeration und Zellschädigung ist ein Spülen der dem Träger ein glänzendes, weiches, hauchdünnes, trans-
transplantierten Wundareale, insbesondere in den ersten parentes Epithel, das manchmal kaum sichtbar ist. Im Ver-
Tagen nach der Transplantation, zu vermeiden. Ab 5.– laufe der Zeit wird der Sheet milchig, dann weißlich und
7. Tag werden alle Verbände bis zur grobmaschigen Gaze schließlich trüb und undurchsichtig. Auch wenn dieses
entfernt und erneuert. Es muss aber weiterhin in Abhän- Bild nicht zu beobachten ist und transplantierte Areale
gigkeit von der Lokalisation eine ausreichende Polsterung feucht sind, kann Epithel vorhanden sein und im Verlauf
erfolgen. Im Rahmen dieser Verbandswechsel ist eine der nächsten zwei Wochen ausdifferenzieren.
zwanzigminütige Luftexposition der mit der belassenen Die transplantierten Flächen werden wieder mit nicht-
Fettgaze bedeckten Areale sinnvoll. adhärenter Gaze (wirkstoffreier Fettgaze) abgedeckt und
Der Patient sollte in dieser Zeit soweit möglich immo- mit Mullpolsterverbänden geschützt.
bilisiert sein, um das Verankern der Transplantate auf der
Wunde zu ermöglichen. Scherkräfte und mechanische Be- jZwei Wochen nach »take down«
lastung wie Druck oder Reibung sind unbedingt zu ver- Der äußere Verband kann ein- bis zweimal täglich gewech-
meiden. selt werden. Eine Reinigung der transplantierten Areale

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218 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

darf in dieser Phase ausschließlich mit NaCl-Lösung und Antiseptika und Antiobiotika
durch Abtupfen erfolgen. Klinisch infizierte Areale werden Nahezu alle Antiseptika sind zelltoxisch. Jod und Silber-
mit Polyhexanidlösung gemäß Herstellerangaben lokal be- verbindungen werden nicht empfohlen. Einzig Polyhexa-
handelt. Die transplantierten Areale sind mikrobiell zu nid 0,02 w/v in einer gebrauchsfertigen Lösung kann,
überwachen. wenn unbedingt erforderlich, gemäß Herstellerangabe
Bereits geschlossene, etwas milchig aussehende Trans- eingesetzt werden. Es muss in jedem Fall sehr sorgfältig
plantatflächen sollten vor dem erneuten Verbinden kurz- wieder mit NaCl-Lösung abgewaschen beziehungsweise
zeitig (≤30 min) an der Luft exponiert werden. Der Ver- abgetupft werden.
band wird dann wieder mit einer leicht fettigen, nicht In den frühen Tagen der Transplantation kamen zur
adhärierenden Gaze aufgebaut, der zwei- bis dreilagige lokalen Infektionsbehandlung auch lokal aufgesprühte An-
Mullkompressen folgen, die dann mit einem äußeren Ver- tibiotikamischungen zur Anwendung. Dies stellt aber ei-
band zu fixieren sind. nen »off-label use« der gebrauchten Substanzen dar. Inwie-
Mit zunehmender Stabilität der Transplantate kann die weit relevante Wirkspiegel im Wundbereich erzielt wurden
Luftexposition verlängert werden, die sich positiv auf die ist unklar. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist vom Gebrauch
weitere Verhornung des Epithels auswirkt. dieser Mischungen abzuraten.
In dieser Phase sind die Transplantate noch außeror-
dentlich empfindlich gegenüber Druck, Scherkräften und Langzeitbehandlung
mechanischer Belastung. Die transplantierten Flächen und Epithelisierte Wunden werden gemäß dem Klinikstandard
Gliedmaßen sollten in dieser Phase unbedingt noch aus- nachbehandelt. Ab der 6. postoperativen Woche ist zu er-
reichend gepolstert beziehungsweise zeitweise ruhigge- wägen, Kompressionskleidung entsprechend den medizi-
stellt sein. Die Physiotherapie muss unter Vermeidung von nischen Standards anzuwenden.
mechanischen Belastungen von erfahrenen Therapeuten
durchgeführt werden.
21.5 Aussicht
jJenseits der zweiten Woche nach »take down«
Mit zunehmender Stabilisierung und Verhornung wird die 21.5.1 Limitierungen und Prognosen
Luftexposition verlängert. Die Transplantate sollten jedoch
in dieser ebenfalls zweiwöchigen Phase durch Verbände Kultivierte Keratinozyten sind einen wichtigen Baustein
geschützt werden. Jenseits der vierten Woche kann die bei der Behandlung von großflächigen thermischen Wun-
physikalischer Therapie intensiviert werden. Es ist darauf den. Doch die Technik hat klare Limits, die in der Fach-
zu achten, dass dabei keine Scherkräfte auf die Transplan- literatur dokumentiert und diskutiert worden sind. Als
tate wirken. Nachteile wurden identifiziert:
Nachdem sich die transplantierte Epidermis gefestigt 4 lange Kulturdauer
hat, ist eine sorgfältige medizinische Langzeitpflege ent- 4 aufwendige Herstellungstechnik
scheidend für den Erfolg der Transplantation. Es kann das 4 Fragilität der Transplantate
Reinigen mit milder Waschlotion auf eindeutig keratinisier- 4 aufwendige Transplantationstechnik
ten Flächen begonnen werden. Nach etwa zwei Monaten 4 intensive postoperative Behandlung
sollten sich die Transplantate soweit gefestigt haben, dass
Duschen mit milder Seife und die Pflege mit milder Lotion Das Risiko einer Infektion des Patienten ist über die ge-
begonnen wird, was den Heilungsprozess weiter unterstützt. samte Kulturdauer und danach gegeben und auch die ho-
hen Kosten von Zellkulturtransplantaten stellen eine
Besonderheiten bei aufgesprühten Schwierigkeit insbesondere in der aktuellen Erstattungs-
Suspensionen situation dar (Allouni 2013; Lootens 2013).
Wenn Suspensionen mit Mesh-Transplantaten kombiniert Die aufgeführten Limitierungen bilden aber auch die
werden, kann der aufliegende Fettgazeverband bei fehlen- Ausgangspunkte für eine Vielzahl von Weiterentwicklun-
den Infektzeichen länger (7–8 Tage) belassen werden, um gen und Forschungsprojekten mit dem Ziel, Herstellung
die Epithelisierung innerhalb der Maschen nicht zu stören. und Anwendung, und damit das beeindruckende medizi-
Wenn Suspensionen in Kombination mit Meek-Plissees an- nische Potenzial der Zellkulturtransplantate zu optimieren
21 gewendet werden, empfiehlt es sich, bei fehlenden Infekti- und einfacher nutzbar zu machen.
onszeichen, die Primärabdeckung (Suprathel oder die Fett- Wichtig ist, dass bei diesen Bemühungen die Sicherheit
gaze bzw. die Meek-Plissees bei der Kombinationsmethode) der Transplantate und das regulatorische Umfeld genau im
eher länger zu belassen. Bei anhaftenden Verbänden kön- Blick behalten werden. Die Erhöhung der Proliferationsge-
nen diese auch nach 12–14 Tagen abgeduscht werden. schwindigkeit zur Erlangung kürzerer Kulturzeiten der

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21.5 · Aussicht
219 21
Zellen darf nicht in ungehemmtem Wachstum resultieren,
das nach Transplantation der Kulturen beim Patienten zur
Tumorbildung führt. Diesen Arten der Beeinflussung der
Zellen steht auch der Wunsch nach minimaler Manipula-
tion der Kulturen entgegen.
> Aus regulatorischer Sicht muss zwischen dem
Nutzen für den Patienten und der Stimulation der
Zellen abgewogen werden. Es ist zu erwarten, dass
eine unnatürlich verkürzte Kulturzeit mit Folgen
für den Patienten verbunden wäre: von übermäßi-
ger Narben- und Kolloidbildung bis hin zur Tumor-
entwicklung.

Ein Set von Standardsicherheitskriterien, die nach jeder


Verbesserung des Prozesses »abgeklopft« werden, wäre
hier wünschenswert.
Viele der heute bekannten (und oben erwähnten)
CEA-Einschränkungen könnten durch eine Kombination
der Zellen mit stabilisierenden Strukturen abgemildert
werden. Die dem zugrundeliegende Hypothese wäre, dass
ein kultiviertes Hauttransplantat, das die in gesunder Haut
vorhandenen Strukturen enthält und der natürlichen Haut
ähnlich ist, nach Transplantation schneller die Aufgaben
der Haut übernehmen könnte und damit optimale Resul- 50 μm
tate erzielen würde (Marino 2014).
. Abb. 21.7 Hämatoxylin-/Eosinfärbung eines Beispiels für ein Voll-
Pontiggia et al. setzen dafür ein Hydrogel ein, um kul-
hautäquivalent auf Basis einer azellulären dermalen Matrix. Nach der
tivierten Zellen einen Halt zu bieten (Pontiggia 2013). Kultur von humanen Keratinozyten und Fibroblasten auf Epiflex ist
Frew et al. nutzen Biobrane (eine porcine Kollagenmatrix) eine Differenzierung der Hautkonstrukts zu erkennen. Alle Strata
als Basis für die Kultur von epidermalen Keratinozyten (basale, spinosum, granulosum) und insbesondere das Stratum cor-
(Frew 2013). Killat demonstrierte die Besiedelung einer neum sind sichtbar ausgebildet. Die Dermis ist bereits vereinzelt mit
Zellen durchsetzt. (Mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Stefan
Struktur aus bovinem Kollagen mit humanen Zelllinien
Kippenberger und Dr. Nadja Zöller, Uniklinik Frankfurt)
(Killat 2013) und Zöller et al. gelang es, dieselbe Matrix
mit primären humanen Zellen zu besiedeln (Zöller 2008;
Mewes 2007). Im weiteren wurden von dieser Gruppe Dermis Transplantats ›epiflex‹ mit Fibroblasten und Kera-
transplantationsfähige Zellkulturtransplantate auf Kolla- tinozyten zu einem vollhautähnlichen Transplantat mit
gen-Elastin-Basis hergestellt, die eine der nativen Haut zelldurchsetzter Dermis und klar definierten epidermalen
ähnliche Struktur aufwiesen. Die ersten klinischen Daten Schichten: Stratum basale, Stratum spinosum, Stratum
konnten hier bereits erhoben werden (Golinski 2009; granulosum und Stratum corneum. . Abb. 21.7 stellt eine
Zöller 2014). Boye und Kollegen nutzten Kollagen-Gly- mikrofotografische Aufnahme dieses Konstrukts dar.
kosaminoglykan-Scaffolds (CGS), hergestellt aus bovinem Der Einsatz aller oben erwähnten Konstrukte ist je-
Hautkollagen und Chondroitin-6-Sulfate, um humane doch dadurch eingeschränkt, das diese für die Versorgung
Vorhautfibroblasten zu kultivieren (Sander 2014), und mit Nährstoffen nach der Transplantation zunächst voll-
Mahmoudi-Rad et al. untersuchten dezellularisiertes ständig von Diffusion abhängig sind. Klar et al. konnten
Amnion als Matrix für die Kultur dermaler Vorhautfibro- durch Nutzung von sogenannten adipösen SVF-Zellen
blasten (Mahmoudi-Rad 2013). Einen ähnlichen Ansatz (»adipose stromal vascular fraction«) ein mit Kapillaren
verfolgten Huang et al. und Yang et al.: sie siedelten epider- ausgestattetes Transplantat erstellen (Klar 2014). Nach der
male Keratinozyten auf einer künstlich quervernetzten Hypothese oben stellte ein solches prävaskularisiertes
Amnionmembran an (Huang 2013; Yang 2006). Transplantat die ultimative Lösung dar (schnelle Integrati-
Auch humane azelluläre Dermis sollte sich als Träger- on, Vorbeugen von Kontraktionen), ist in der Zulassung
material für die Kultur dermaler Zellen eignen (Deshpan- jedoch regulatorisch höchst komplex. Darüber hinaus ist
de 2013). In Pilotversuchen des Instituts der Autoren und nicht sichergestellt, dass der Körper die vorbereiteten Ge-
der Uniklinik der Johann Wolfgang Goethe-Universität fäße nach der Transplantation auch direkt, oder zumindest
Frankfurt am Main führte die Besiedelung des azellulären als Ressource für die Revaskularisierung im Rahmen der

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220 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

Einheilung, nutzt. Der mikrochirurgische Anschluss jedes größerer Teil des Zellwachstums ließe sich auf den Patien-
einzelnen vorkultivierten Gefäßes ist unter den aktuellen ten verlagern – die Zwischenräume zwischen den Zellin-
klinischen Gegebenheiten sicherlich nicht abbildbar. seln würden nach Transplantation gefüllt werden. Bei tie-
Viele Gruppen adressieren das Problem der lang an- feren Verbrennungen müsste aber auch hier zunächst eine
dauernden Kulturphase. Diese hat »signifikante« Auswir- dermale Rekonstruktion (z. B. nach Cuono) erfolgen. Ei-
kungen auf die Kosten und korreliert mit einem erhöhten nen Schritt weiter könnte man noch kommen, wenn ein
Infektionsrisiko für den Patienten. Nach der Methode von auf azellulärer Dermis basiertes Konstrukt mit Fibroblas-
Rheinwaldt und Green dauert die Kultur mehrschichtiger ten und Keratinozyten gezüchtet würde, das dann mittels
Keratinozytensheets in der Regel 3–4 Wochen (Allou- eines Meek-Verfahrens transplantiert wird. Sollte sich he-
ni 2013). Dies ist länger als die durchschnittliche Zeit, die rausstellen, dass auch bei dieser Variante die Zwischenräu-
benötigt wird, um den Patienten zu stabilisieren und das me zwischen den Inseln/Meeks mit Zellen und Kollagen
Wundbett auf eine Transplantation vorzubereiten. Da da- gefüllt würden, wäre dies ein Verfahren der Zukunft.
rüber hinaus das Risiko einer Infektion während dieser
Zeit kontinuierlich gegeben ist, sollte diese auf die für die
Literatur
Vorbereitung des Patienten notwendige Zeit minimiert
werden; die Verkürzung der Kulturdauer ist ja eine ge- Allouni A, Papini R, Lewis D (2013) Spray-on-skin cells in burns:
wünschte Verbesserung. Pontiggia et al. (Pontiggia 2013) A common practice with no agreed protocol. Burns: Journal of
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waren in der Lage, die Kulturdauer von 21 auf 12 Tage zu
http://doi.org/10.1016/j.burns.2013.03.017
reduzieren. Auxenfans C, Menet V, Catherine Z, Shipkov H, Lacroix P, Bertin-Maghit
Weiter verkürzt werden könnte die Zeit bis zur Einsatz- M et al (2015) Cultured autologous keratinocytes in the treatment
bereitschaft von CEA durch die Verwendung allogener of large and deep burns: A retrospective study over 15 years.
Zellen, zum Beispiel aus humaner Vorhaut (Mcheik 2014). Burns: Journal of the International Society for Burn Injuries 41(1),
Diese sind aufgrund der patientenunabhängigen Kultur 71–79. http://doi.org/10.1016/j.burns.2014.05.019
Auxenfans C, Shipkov H, Bach C, Catherine Z, Lacroix P, Bertin-Maghit
schnell verfügbar und erste Untersuchungen transplantier- M et al (2014) Cultured allogenic keratinocytes for extensive
ter Brandwunden bzw. Wunden der Spenderareale zeigen burns: a retrospective study over 15 years. Burns: Journal of the
eine signifikante Verkürzung der Reepithelisierungszeit International Society for Burn Injuries 40(1):82–88. http://doi.
(Yanaga 2001; Fratianne 1993). Die Nachteile der Nutzung org/10.1016/j.burns.2013.05.005
allogener Zellen liegen unter anderem in den damit ein- Back C, Dearman B, Li A, Neild T, Greenwood JE (2009) Noncultured
keratinocyte/melanocyte cosuspension: effect on reepithelializa-
hergehenden Regularien – allogene Zellen sind zulas-
tion and repigmentation--a randomized, placebo-controlled
sungstechnisch noch komplexer als autologe Zellen, und study. Journal of Burn Care & Research 30(3):408–416. http://doi.
intuitiv bieten autologe Zellen größere Sicherheit und das org/10.1097/BCR.0b013e3181a28c4d
höhere Einheilungspotential. Auxenfans et al. argumentie- Biedermann T, Böttcher-Haberzeth S, Klar AS, Widmer DS, Pontiggia L,
ren darüber hinaus, dass die für die Kultur notwendige Zeit Weber AD et al (2014) The Influence of Stromal Cells on the
Pigmentation of Tissue-Engineered Dermo-Epidermal Skin Grafts.
zu einem gewissen Grad sowieso verfügbar sei, da die Zell-
Tissue Engineering Part A 21(5-6), 150127064142004–969. http://
kulturtransplantate nach frühesten 12 Tagen appliziert doi.org/10.1089/ten.TEA.2014.0327
werden sollten, so dass die Tiefe der Wunde mit ausrei- Cario-André M, Pain C, Gauthier Y, Casoli V, Taieb A (2006) In vivo and
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Cervelli V, De Angelis B, Spallone D, Lucarini L, Arpino A, Balzani A
derhaut wird bereits regelmäßig angewendet (Cuono-
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Ein ähnlicher zellkulturbasierter Ansatz drängt sich bei
Cultured epithelial autografts in massive burns: A single-center
Betrachtung der vorangehenden Verfahren auf: Ein die retrospective study with 63 patients. Burns: Journal of the Inter-
Kulturdauer verkürzendes Verfahren könnte durch die national Society for Burn Injuries 37(6):964–972. http://doi.
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222 Kapitel 21 · Kultivierte autologe Hautzelltransplantate: Historie, Regulativa und Praxis

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21

marcus.lehnhardt@rub.de
223 22

Thermische Verletzungen
im Kindesalter
Tobias Rothoeft, Andrea Herweg-Becker, Eckard Hamelmann

22.1 Erstversorgung – 224


22.1.1 Kühlung – 224
22.1.2 Vitalfunktionen – 224
22.1.3 Ersteinschätzung der thermischen Verletzung – 224
22.1.4 Analgesie – 225
22.1.5 Volumentherapie – 225
22.1.6 Transport – 225

22.2 Aufnahme im Krankenhaus – 226


22.2.1 Verletzungsausmaß <10 % VKOF – 226
22.2.2 Verletzungsausmaß >10 % VKOF – 229

22.3 Inhalationstrauma – 240

22.4 Juckreiz – 241

22.5 Prävention – 241

22.6 Besonderheiten der Rehabilitation im Kindesalter – 243

22.7 Psychologische Begleitung – 244

Literatur – 244

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
224 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

Thermische Verletzungen sind häufige Verletzungen im warmem Wasser (etwa 20°C) unmittelbar nach dem Trau-
Kindesalter. In Deutschland gibt es 18 Zentren für schwer- ma für etwa 10 Minuten. Die Kühlung hat nicht nur einen
brandverletzte Kinder (Stand 2016), die bei der Zentralen analgetischen Effekt, sondern kann unter Umständen die
Anlaufstelle für die Vermittlung von Krankenhausbetten Schädigung tieferer Hautschichten verhindern. Bei Verlet-
für Schwerbrandverletzte gemeldet sind. Diese Kranken- zungen am Körperstamm, am Kopf sowie generell bei
häuser stellen nominell 46 Betten zur Verfügung. Daneben >15 % verletzter Körperoberfläche (VKOF) sollte auf eine
werden viele Kinder mit thermischen Verletzungen auch Kühlungsbehandlung verzichtet werden, da die eventuell
in kinderchirurgischen Kliniken betreut, die nicht an der verursachte Hypothermie mit einer signifikanten Erhö-
zentralen Bettenvergabe teilnehmen und keinen Zen- hung der Letalität einhergeht (Lönnecker 2001). Da die
trumscharakter haben. Kühlung, wie beschrieben, unmittelbar nach Trauma erfol-
Vom Arbeitskreis »Das schwerbrandverletzte Kind« gen sollte, ist eine Fortsetzung dieser Behandlung bei Ein-
werden jährlich die Patientenzahlen der 18 Zentren für treffen des Rettungsdienstes in der Regel nicht mehr ange-
schwerbrandverletzte Kinder sowie sechs weiterer Klini- zeigt. Die verletzten Areale sollten zum weiteren Transport
ken erfasst. Von den etwa 1900 pro Jahr in diesen Kliniken lediglich steril bzw. sauber abgedeckt werden. Die Verwen-
behandelten Patienten sind mehr als 60 % unter drei Jahre dung von Verbrennungs-Gel-Kompressen oder ähnlichem
alt, etwa 20 % sind jünger als ein Jahr. In mehr als 70 % der ist abzulehnen, da diese eine weitere Auskühlung des
Fälle handelt es sich um Verbrühungen, am zweithäufigs- Patienten bewirken können.
ten sind Kontaktverbrennungen. Verbrennungen durch
Flammen sind deutlich seltener, Verletzungen durch Strom
oder Explosionen stellen Raritäten dar. Der Großteil der 22.1.2 Vitalfunktionen
Verletzungen hat ein Ausmaß von unter 10 % der Kör-
peroberfläche. Deutschlandweit erleiden jährlich etwa Die Durchführung der Akutmaßnahmen erfolgt, wie bei
6000 Kinder so schwere thermische Verletzungen, dass sie jedem polytraumatisierten Patienten, nach allgemeinen
stationär behandelt werden müssen. notfallmedizinischen Richtlinien. Nach Sicherung der
Atemwege, Gewährleisten der Atmung und Stabilisierung
der Kreislauffunktion erfolgt die weitere Behandlung. So-
22.1 Erstversorgung lange das Kind respiratorisch stabil ist, die Oxigenierung
keine Probleme bereitet und sicher kein Inhalationstrauma
Wesentlich für den weiteren Behandlungserfolg ist eine vorliegt, sollte auf eine Intubation verzichtet werden. Bei
gute Primärversorgung am Unfallort und während des Inhalationstrauma, ausgedehnten Verletzungen im Ge-
weiteren Transports. sichtsbereich, Aspiration oder Ingestion heißer Flüssigkeit
Nach Rettung aus dem Gefahrenbereich müssen zu- sollte der Patient hingegen intubiert werden.
nächst die Vitalfunktionen geprüft und gesichert werden.
Anschließend ist eine sofortige Beendigung der Hitzeein-
wirkung durch Entfernung von Kleidung, die mit heißem 22.1.3 Ersteinschätzung der thermischen
Wasser getränkt ist, und anschließende Kühlung erfor- Verletzung
derlich.
Danach erfolgt die Ersteinschätzung der thermischen Die Schwere einer thermischen Verletzung wird in Prozent
Verletzung hinsichtlich Ausmaß und Tiefe sowie mögli- der Körperoberfläche, der Tiefenausdehnung (Grade
cher vorhandener Begleitverletzungen. Wichtig ist die zeit- I–IV) und der Lokalisation bemessen. Für die weitere The-
nahe und ausreichende Durchführung einer Analgesie und rapie sind dabei nur Verletzungen ≥Grad II bedeutsam.
– falls erforderlich – die Einleitung einer Volumentherapie. Begleitende Verletzungen, insbesondere ein eventuelles
Hilfreich zur Dosierung der Medikamente ist die Verwen- Inhalationstrauma, müssen bei der Beurteilung mitbe-
dung eines Broselow-Bandes zur Abschätzung des Körper- rücksichtigt werden.
gewichts. Während des Transportes und besonders nach Die Ausdehnung der Verbrennung wird im Kindes-
Kühlung ist auf den Erhalt der Körperkerntemperatur des alter nach dem Schema von Lund und Browder (. Abb.
Patienten zu achten. 10.2) oder nach der Handflächenregel (Handfläche mit
Fingern des Verletzten entspricht 1 % KOF) beurteilt
(. Abb. 10.3). Die betroffene Körperoberfläche wird dabei
22.1.1 Kühlung im Rahmen der Erstversorgung in der Regel deutlich über-
schätzt (Hammond 1987). Die genaue Bestimmung der
22 Eine Wundkühlung wird zumeist durch die Ersthelfer er- Verletzungstiefe wird am Unfallort nur selten gelingen;
folgen. Empfehlenswert ist die Applikation von hand- dies ist für die Soforttherapie aber auch nicht bedeutsam,

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22.1 · Erstversorgung
225 22
da sich keine Veränderungen hinsichtlich Wundbehand-
lung und Volumentherapie ergeben. Vor allem nach einer
Verbrühung kann die Tiefenausdehnung erst nach einigen Skalpvenen
Tagen sicher beurteilt werden; typisch sind hierbei ver-
V. jugularis externa
schiedene Verletzungstiefen mit fließenden Übergängen.
Die Verletzungstiefe wird in Grad I (epidermal),
Kubitalvenen
Grad IIa (oberflächlich dermal), Grad IIb (tief dermal)
Grad III (komplett dermal) und Grad IV (über die Dermis V. cephalica
hinausgehend bzw. Verkohlung) eingeteilt. Handgelenkinnenseite
Handgelenkinnenseite Handrücken

22.1.4 Analgesie

Zur Erstversorgung am Unfallort ist eine Schmerzbehand- La


ateraler Fußrücken
Lateraler
V. saphena magna
lung mit Ketamin/S-Ketamin in Kombination mit Mida-
zolam besonders geeignet. Alternativ können auch Opiate
wie Fentanyl im Rahmen der Erstversorgung verabreicht . Abb. 22.1 Punktionsorte beim Kind zur Anlage peripherer Venen-
werden (. Tab. 22.1). katheter (Aus Flake 2005)

Wenn am Unfallort kein intravenöser oder intraossärer


Zugang gelegt werden kann oder aufgrund einer nur klei- mentherapie und Analgesie indiziert (. Abb. 22.1). Dieser
nen Verletzung nicht indiziert ist, lassen sich Ketamin/ sollte möglichst in einem nicht betroffenen Hautareal an-
S-Ketamin, Midazolam und Fentanyl auch rektal oder gelegt werden. Nach spätestens drei erfolglosen Versuchen
intranasal verabreichen. Generell ist darauf zu achten, dass sollte ein intraossärer Zugang in Erwägung gezogen wer-
die pro Nasenloch applizierte Menge nicht über 0,5 ml den (. Abb. 22.2). Die Anlage von zentralvenösen Kathe-
liegt. Peripher wirkende Analgetika sind nicht ausreichend tern am Unfallort ist nicht sinnvoll.
wirksam und sollten nur in Kombination mit Opiaten ver- Während des Transports erfolgt die Volumentherapie
abreicht werden. Alle Maßnahmen am Patienten finden mit einer Voll-Elektrolytlösung (NaCl 0,9 % oder Ringer-
grundsätzlich in Analgosedierung statt. Lösung). Da die Abschätzung der Ausdehnung der Verlet-
zung im Rahmen der Erstversorgung sehr ungenau ist,
wird auch die Volumentherapie nur auf groben Schätzun-
22.1.5 Volumentherapie gen beruhen. Die Volumengabe innerhalb der ersten Stun-
de nach Trauma kann mit etwa 1 ml × % VKOF × kgKG
Bei Verletzungen <10 % VKOF ist die Anlage eines intra- erfolgen. Besser geeignet ist aber ein einfaches Schema für
venösen Zugangs zur Volumensubstitution in der Regel die initiale Infusionstherapie, welches an das EPLS-Sche-
nicht erforderlich, falls ein versorgendes Krankenhaus in- ma (Biarent 2010) angelehnt ist: 10 ml/kgKG pro Stunde,
nerhalb von 30 min erreicht werden kann. Die Schmerz- bei Zeichen einer Hypovolämie zusätzlich 20 ml/kgKG.
therapie kann, wie oben beschrieben, auch mit nasaler Diese Bolusgabe kann bei Bedarf ein- bis zweimal wieder-
oder rektaler Medikamentengabe durchgeführt werden. holt werden. Das hierbei verabreichte Volumen ist bei der
Bei Verletzungen >10 % VKOF ist die Anlage eines späteren Therapie im Krankenhaus zu berücksichtigen.
großlumigen peripheren intravenösen Zugangs zur Volu- Ein rascher Therapiebeginn ist bei großflächigen Ver-
letzungen dringend erforderlich, da die verspätete Volu-
mengabe nach Trauma zu einer erheblich gesteigerten
. Tab. 22.1 Dosierung von Analgetika im Kindesalter im Morbidität und Mortalität führt (Wolf 1997; Barrow 2000).
Rahmen der Erstversorgung
Aufgrund des im Vergleich zu Erwachsenen deutlich klei-
intravenös/intraossär rektal
neren zirkulierenden Volumens können bereits Verzöge-
rungen von etwa 30 min zu einem Volumenmangelschock
Ketamin 2–6 mg/kgKG 6–10 mg/kgKG führen.
S-Ketamin 1–3 mg/kgKG 3–5 mg/kgKG

Midazolam 0,05–0,1(0,2) mg/kgKG 0,4 mg/kgKG


22.1.6 Transport
Fentanyl 1–10 μg/kgKG

Piritramid 50–100 μg/kgKG Der Transport eines Kindes mit thermischer Verletzung
sollte immer in Begleitung eines Notarztes erfolgen. Ein

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226 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

Zentren für schwerbrandverletzte Kinder vorbehalten wer-


den. Die Indikation zur Verlegung oder Vorstellung in
einem Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder erfolgt
1–2 cm entsprechend der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für
Verbrennungsmedizin:
1. Kind unter einem Jahr
2. Verbrennungen II. Grades von ≥10 % der Kör-
peroberfläche bzw. Verbrennungen III. Grades von
≥5 % der Körperoberfläche
3. Verbrennungen II. und III. Grades oder entsprechen-
de Schädigung durch chemische Substanzen mit
Lokalisation im Gesicht, an der Hand, am Fuß, über
großen Gelenken oder im Anogenitalbereich mit rele-
vanter Größe und Tiefe, zirkuläre Verbrennungen –
einschließlich der durch elektrischen Strom verur-
sachten thermischen Schäden.
4. Inhalationstraumata, auch in Verbindung mit leichten
äußeren Verbrennungen; vom Vorhandensein eines
solchen ist grundsätzlich bei Explosionsunfällen aus-
zugehen.
5. Alle thermischen Verletzungen IV. Grades
2–3 cm

Die Anmeldung in einem Zentrum erfolgt über die zustän-


a
dige Rettungsdienstzentrale oder überregional über die
Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Kranken-
hausbetten für Schwerbrandverletzte der Feuerwehr Ham-
burg (Telefon: 040/42851-3998; 42851-3999; www.fhh.
hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/inneres/feuerwehr/
service/brandbetten/start.html).

22.2 Aufnahme im Krankenhaus

Die Aufnahme im Krankenhaus erfolgt in einem auf 35–


38°C vorgeheizten Raum, um weiteren Wärmeverlusten
vorzubeugen. Das Ausmaß der Verletzung wird nun erneut
und genau bestimmt und die weitere Therapie je nach Aus-
b
dehnung der Verletzung, vorhandenen Begleitverletzun-
. Abb. 22.2 a Punktionsstellen (Pfeile) zur Anlage eines intraos- gen und Beteiligung der Atemwege festgelegt. In die Be-
sären Zugangs beim Kind. A proximale anteromediale Tibia. B Etwa rechnung der VKOF gehen nur zweit-, dritt- und viertgra-
1–2 cm unterhalb der gut palpablen Tuberositas tibiae. C Distale
dige Schädigungen ein.
Tibia. D Etwa 2–3 cm kranial des medialen Malleolus (Aus Weiss
2009b). b Intraossäres Infusionssystem EZ-IO-System mit Handbohr-
Bezüglich der Lokalisation der Verletzung ist auf mög-
maschine und 15-G-Intraossärnadel für Kinder (3–39 kg, Nadellänge licherweise nicht akzidentelle Verletzungsmuster (z. B.
15 mm) Handschuh- und Strumpfmuster) zu achten. Sie erfordern
dringend weitere Abklärung, um eine Kindesmisshand-
lung nicht zu übersehen.
Wärmeverlust ist unbedingt zu vermeiden. Die bei Auf-
nahme gemessene Körperkerntemperatur stellt ein Quali-
tätskriterium für den Transport dar. Analgesie und gegebe- 22.2.1 Verletzungsausmaß <10 % VKOF
nenfalls erforderliche Volumensubstitution sind ebenfalls
weiterhin zu gewährleisten. Die häufigsten thermischen Verletzungen im Kindesalter
22 Die stationäre Behandlung von Kindern mit thermi- sind Verbrühungen, die zu Verletzungen <10 % VKOF mit
schen Verletzungen sollte spezialisierten Kliniken oder gemischter Zuordnung zu Grad IIa oder IIb führen. Ein

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
227 22

. Tab. 22.2 Dosierung von Analgetika im Kindesalter

Dosierung Bemerkungen

30 mg/kgKG p. o. »loading dose«, dann maximale Tagesdosis:


10–15 mg/kgKG p. o. alle 6 h 75 mg/kgKG bei Kindern >1 Jahr
40 mg/kgKG rektal »loading dose«, dann 90 mg/kgKG bei Kindern >6 Jahre
Paracetamol 20 mg/kgKG rektal alle 6 h hepatotoxisch

7,5 mg/kgKG i. v. alle 6 h bei Kindern <10 kg


15 mg/kgKG i. v. alle 6 h bei Kindern >10 kg, max. 1 g

Ibuprofen 10 mg/kgKG p. o. alle 8 h max. Tagesdosis 40 mg/kgKG

Metamizol 10-15 mg/kgKG p. o./i. v. alle 6 h arterielle Hypotonie bei rascher Injektion

Tramadol 1,5 mg/kgKG p. o. alle 4 h

Morphin 0,1–0,2 mg/kgKG p. o. alle 4 h Atemdepression, Übelkeit, Juckreiz


0,05 mg/kgKG i. v. alle 3 h

Piritramid 50–100 μg/kgKG i. v. alle 6–12 h Atemdepression


Wirkung vom pH-Wert abhängig

Volumenmangelschock ist hierbei in der Regel nicht zu Halbwertszeit von Remifentanil besteht nach Beendigung
erwarten, eine Intensivtherapie nicht erforderlich. Der der Infusion keine ausreichende Analgesie mehr.
Krankenhausaufenthalt nach einer solchen Verletzung Nach der Wundversorgung sollte die Analgesie nach
sollte möglichst kurz sein und die Patienten frühzeitig am- dem WHO-Stufenschema mit peripheren Analgetika und
bulant versorgt werden. gegebenenfalls Piritramid oder Morphin fortgeführt wer-
Bei Säuglingen sollte schon bei Verletzungen ab 5 % den. Da Ibuprofen und Metamizol eine höhere analgeti-
VKOF die Urinausscheidung überwacht werden, da bei sche Potenz als Paracetamol aufweisen, sollten diese den
diesen sehr jungen Patienten eine Verletzung von geringer Vorzug erhalten (. Tab. 22.2). Zur Erfassung von Schmer-
Ausdehnung bereits zu einer Verbrennungskrankheit mit zen und zur Steuerung der Schmerztherapie verweisen wir
konsekutivem Volumenmangel führen kann. Gegebenen- auf 7 Abschn. 22.2.2 Analgesie und Sedierung.
falls ist also auch hier eine Volumentherapie nach den un- Ab dem Kindergartenalter kann zur Analgesie auch auf
ter 7 Abschn. 22.2.2 Volumensubstitution genannten Sche- Lachgas als festes 50 %/50 %-Gemisch mit Sauerstoff
mata durchzuführen. zurückgegriffen werden. Die analgetische Potenz ist bei
alleiniger Anwendung zur Durchführung von Verbands-
Analgosedierung wechseln allerdings nicht ausreichend, so dass hier er-
Die Wundreinigung mit Débridement erfolgt bei Aufnah- gänzend die Gabe von z. B. Ketamin erforderlich ist
me unter aseptischen Bedingungen in Analgosedierung (Lange 2012).
oder Narkose. Eine Fortführung der Analgosedierung zur
Wundversorgung mit Ketamin/S-Ketamin und Midazo- Wundversorgung
lam, wie oben beschrieben, hat sich bewährt, da hierbei Für die Wundversorgung werden Okklusivverbände mit
Schutzreflexe und Spontanatmung erhalten bleiben. inaktiven, aktiven oder biologischen Managementsyste-
Alternativ ist beim spontan atmenden Patienten auch men (wie z. B. Fettgaze, Mepithel, Polymem, Aquacel, Acti-
der Einsatz von Propofol (fraktionierte Boli 0,5–1 mg/ coat teilweise in Kombination mit Salben wie z. B. Polyhe-
kgKG bis Wirkeintritt) oder Dexmedetomidin (0,5–1 μg/ xanid-Gele) verwendet. Alternativ können unmittelbar
kgKG als Bolus) anstelle von Midazolam denkbar. Aller- nach Verletzung oder bis zu 48 h später temporäre synthe-
dings ist dabei die atemdepressive Wirkung von Propofol tische (Suprathel, Biobrane) oder biologische (Amnion)
zu bedenken; Dexmedetomidin hat einen relativ langsa- Hautersatzmaterialien auf die Wundfläche aufgebracht
men Wirkungseintritt und kann zu arterieller Hypotensi- werden. Kontrollierte Studien, welche Verbandsmateria-
on führen (Canpolat 2012). Anstelle von Ketamin ist auch lien hier Vorteile bieten, existieren nicht.
der Einsatz von Remifentanil (0,01–0,05 μg/kgKG/min) In jedem Fall sollten Verbandsmaterialien verwendet
denkbar, bei dessen Einsatz in niedriger Dosis die Spontan- werden, die nicht täglich gewechselt werden müssen. Die
atmung ebenfalls erhalten bleibt. Aufgrund der kurzen Kombination aus Flammazine und Fettgaze ist heute obso-

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228 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

a b

. Abb. 22.3a, b Suprathel ist ein alloplastischer resorbierbarer Hautersatz, der bei oberflächlich dermalen bis tief dermalen Verletzungen
eingesetzt werden kann. Das elastische Material kann an den Wundgrund angeformt werden

let, da diese Behandlung tägliche schmerzhafte Verbands- Falls die Verletzung für eine Versorgung mit einem
wechsel erfordert und die Wunden nur eingeschränkt temporären synthetischen Hautersatz geeignet ist, wird
zu beurteilen sind. Zudem verzögert das in Flammazine nach Abtragen der Blasen (-reste) und Reinigung initial ein
enthaltene Silber-Sulfadiazin die Wundheilung (Wasiak Verband mit einem Polyhexanid-oder Octenidin-Gel ange-
2012). legt und 12–36 h nach Trauma Suprathel auf die Wunde
Der Verzicht auf tägliche Verbandswechsel in Sedie- aufgelegt (Radu 2011, Highton 2013). Initial wird ein Poly-
rung erleichtert bei diesen relativ leicht verletzten Patien- hexanid-Gel verwendet, da sich dieses leicht und ohne grö-
ten die gesamte Versorgung. Durch Vermeidung täglicher ßere Schmerzen von der Wundfläche entfernen lässt. Are-
Nüchternzeiten ist die enterale Ernährung in der Regel ale, die nur eine geringe Verletzungstiefe aufweisen, werden
völlig unproblematisch. Eine ambulante Versorgung ist in vor der Applikation von Suprathel lediglich oberflächlich
der Regel nach einigen Tagen möglich. debridiert, tiefere Areale mit einem Wundreiniger oder
Bei Aufnahme werden die Wunden mit einer antisep- scharfen Löffel debridiert. Auf das Suprathel werden zwei
tischen, nichtalkoholischen Lösung (z. B. Octenidin 3,5 % Lagen Fettgaze aufgebracht und darüber ein saugender Se-
oder Polyhexanid) gereinigt. Bei Verletzungen im Bereich kundärverband aus Kompressen (. Abb. 22.3). Der Vorteil
des behaarten Kopfes sollte die gesamte Kopfhaut aus hy- ist, dass Suprathel bis zur Abheilung auf der Wunde ver-
gienischen Gründen rasiert werden. Nach Verletzungen bleibt und nur die obere Fettgazeschicht und der Schutzver-
im Gesichtsbereich ist die Untersuchung durch einen Au- band gewechselt werden müssen. Diese Prozedur ist
genarzt zur Diagnose möglicher Corneaverletzungen er- schmerzlos und kann problemlos ambulant erfolgen.
forderlich. Im Falle von kleineren Verletzungen bevorzu- Der Nachteil dieser Methode ist, dass auch bei kleinen
gen wir nach Abtragen der Blasen (-reste) und Reinigung Flächen für das Debridement eine Kurznarkose erforder-
der Wunde die Versorgung mit einem Polyhexanid- oder lich ist. Daher wenden wir dieses Verfahren nur bei Verlet-
Octenidin-haltigen Wundgel, welches nach Abdeckung zungen von mindestens 3–5 % VKOF an. Der erste Ver-
mit Mepitel und einem Superabsorber zur Aufnahme des bandswechsel nach Suprathelauflage erfolgt nach 2–3 Ta-
entstehenden Wundsekrets bis zu fünf Tage auf der Wunde gen, danach zweimal pro Woche. Suprathel bietet keine
belassen werden kann. Beim ersten Verbandswechsel wird Vorteile hinsichtlich Narbenbildung; die Patienten berich-
dieses Regime dann beibehalten oder auf einen Verband ten aber über rasche Schmerzfreiheit nach Applikation
mit Polymem gewechselt. Ein ähnliches Therapieregime ist (Highton 2013).
auch unter Verwendung von Acticoat oder Aquacel (Ver- Die eindeutige Demarkierung kann dann je nach Lo-
belen 2014) möglich. Oftmals erreicht man dann mit ein kalisation bis zu 1–2 Wochen abgewartet und bis dahin
bis zwei Verbandswechseln die komplette Abheilung. Klei- konservativ, wie beschrieben, behandelt werden (. Abb.
nere tiefgradige Areale mit einer Ausdehnung ≤2×2 cm 22.4). Falls bis zur Abheilung der betroffenen Areale mehr
heilen ebenfalls in annehmbarer Zeit ab, so dass hier zu- als 14 Tage vergehen, ist eine Nachkontrolle in einer spezi-
meist auf eine chirurgische Intervention verzichtet wird. alisierten Ambulanz (Narbensprechstunde, Verbren-
Bei gelenküberschreitenden Verletzungen ist eine früh- nungsambulanz) angezeigt, um eine Narbenbildung früh-
22 zeitige krankengymnastische Übungsbehandlung einzu- zeitig erfassen und eine entsprechende Therapie einleiten
leiten. zu können (7 Abschn. 22.6, 7 Kap. 38). Für eine genaue

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
229 22
behandelnden Arztes. Im Vordergrund sollten Verträg-
lichkeit, gute hautpflegende Eigenschaften und Akzeptanz
stehen.
Ehemals oberflächliche Wundareale inkl. Hautentnah-
mestellen sollten bis zu zwei Jahren, Narben jedoch lebens-
lang eingecremt werden. Gleiche Zeitraumempfehlungen
gelten auch für den intensivierten Sonnenschutz in Form
a von textilem Schutz und/oder Sonnencreme mit LSF 50+.
Im ersten Jahr nach der thermischen Verletzung sollte
direkte Sonneneinstrahlung vermieden werden.

Tetanusprophylaxe
Entsprechend den Impfempfehlungen der Ständigen Impf-
kommission (STIKO) am Robert Koch-Institut ist eine
Impfung bei allen Personen mit fehlender oder unvollstän-
diger Grundimmunisierung indiziert oder wenn die letzte
Impfung länger als 10 Jahre zurückliegt. Bei nicht oder
nicht ausreichend Geimpften wird gegebenenfalls eine
Tetanus-Immunprophylaxe empfohlen
Die Durchführung der Impfung sollte möglichst rasch
nach der Verletzung erfolgen, da Tetanus eine sehr variable
b
Inkubationszeit aufweist. Die meisten Fälle von Tetanus
. Abb. 22.4 a Bei der Erstversorgung nach Verbrühung erkennt treten nach etwa einer Woche auf, es sind aber auch Fälle
man die deutliche Rötung des Wundgrundes nach Abtragen der mit Symptombeginn nach einem Tag beschrieben.
Blasenreste. Die genaue Tiefe der Verletzung lässt sich zu diesem
Zeitpunkt nicht abschätzen. b Nach einigen Tagen erkennt man,
dass es sich um eine dermale bis tief dermale Verletzung handelt,
die operativ mittels einer Spalthauttransplantation versorgt wer- 22.2.2 Verletzungsausmaß >10 % VKOF
den muss
Bei Verletzungen >10–15 % VKOF ist durch die entstehen-
de Verbrennungskrankheit in der Regel eine Flüssigkeits-
Darstellung der Wundbehandlung bei Kindern sei auf therapie zur Vermeidung eines Volumenmangelschocks
7 Kap. 23 verwiesen. erforderlich. Nach größeren thermischen Traumata erhöht
sich der metabolische Grundbedarf erheblich und es kann
Behandlung nach Wundschluss zu einer stressinduzierten Katabolie kommen. Der groß-
Nach dem Abheilen der Wunde benötigen die ehemaligen flächige Verlust der Schutzfunktion der Haut kann zu in-
Verbrennungs- ebenso wie die Hautentnahmeareale eine fektiologischen Problemen führen. Diese speziellen Frage-
intensive Hautpflege. Die Epithelschicht ist anfangs noch stellungen werden im Folgenden abgehandelt.
sehr dünn und verletzlich, die Funktion der Hautanhangs- Bezüglich der Wundversorgung wird auf 7 Abschn.
gebilde noch gestört oder zerstört. Es gibt eine Vielzahl von 22.2.1 Wundversorgung verwiesen, bezüglich der Behand-
Produkten, die zur Anwendung kommen können. Ent- lung nach Wundschluss auf 7 Abschn. 22.2.1 Behandlung
scheidend ist, dass Haut und Narben Feuchtigkeit und Fett nach Wundschluss, für die Tetanusprophylaxe siehe 7 Ab-
zugeführt wird, um Geschmeidigkeit und Elastizität des schn. 22.2.1 Tetanusprophylaxe.
Gewebes zu erhalten oder wiederzuerlangen. Dabei kommt
im Narbenbereich der mit der Hautpflege verbundenen Volumensubstitution
Narbenmassage eine besondere Bedeutung zu. Kontrol- Der Volumenmangel durch Verbrennungskrankheit ent-
lierte Studien zur Effektivität unterschiedlicher Produkte steht durch eine Kombination aus Entzündungsreaktion
oder Vergleichsstudien existieren nicht. Häufig kommen (Gibran 2000), Flüssigkeitsverlust über die Wundfläche
Dexpanthenol-haltige Salben zum Einsatz. Die Pro- und Elektrolytverschiebungen (Baxter 1968, Moyer 1965,
duktauswahl kann der Klinik, dem behandelnden Arzt Moylan 1973, Arturson 1979). Hierdurch entsteht eine in-
oder später auch den Eltern überlassen werden. 61 % der travaskuläre Hypovolämie, welche 8–12 h nach Trauma ihr
Eltern wechseln einer Umfrage von »Paulinchen e. V.« Maximum erreicht (Moore 1970, Demling 2005). Durch
(Gottwald 2013) zufolge ohnehin im Verlauf auf andere Entzündungsmediatoren entsteht eine (im Kindesalter
Pflegemittel und folgen nicht mehr der Empfehlung des überwiegend linksventrikuläre) myokardiale Dysfunktion,

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230 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

während der systemische Widerstand oft erhöht ist (Rey- ruht nicht auf einem Fehler der Ärzte und Pflegekräfte in
nolds 1995). der Anwendung der Schemata, sondern auf fehlender Re-
Das genaue Ausmaß, ab dem eine Volumensubstitu- aktion auf überschießende Urinproduktion oder auf wei-
tion im Kindesalter erforderlich ist, unterliegt einer gewis- tere Flüssigkeitsgaben z. B. bei anhaltend negativem »base
sen Variabilität. Bei Säuglingen kann es, wie erwähnt, excess«. Die Infusion großer Mengen kristalloider Flüssig-
schon bei Verletzungen ≥5 % VKOF zu einem Volumen- keiten verringert die Proteinkonzentration im Plasma und
mangel kommen. Zumeist wird ab einer verletzten Kör- fördert somit die weitere Ödembildung. Eine über das er-
peroberfläche von 10 % VKOF mit einer Volumensubsti- forderliche Maß hinausgehende Flüssigkeitsgabe ist häufig
tution begonnen. Nachdem bei erwachsenen Patienten assoziiert mit der Entwicklung von Pneumonie, Kompart-
Therapieprotokolle mit einer permissiven Hypovolämie mentsyndrom (Oda 2006) und Lungenödem bei beatme-
beschrieben wurden (Arlati 2000), sind ähnliche Proto- ten pädiatrischen Patienten (Zak 1999). Größere Studien
kolle nun auch bei Kindern veröffentlicht. Nach diesen zu diesem Phänomen bei Kindern existieren nicht, es ist
wird eine Volumensubstitution bei ≤20 % VKOF mit allerdings unzweifelhaft ebenso vorhanden wie bei er-
einem reduzierten Volumen durchgeführt (Walker 2014). wachsenen Patienten.
Dieses Protokoll wird allerdings in Verbindung mit einer Zu der Studie von Tanaka, der bei Erwachsenen mit
Wundversorgung mit Biobrane angewendet, welches die thermischen Verletzungen bei Zufuhr von hohen Dosen
Flüssigkeitsverluste über die Wundfläche reduziert. Vitamin C (66 mg/kgKG/h) eine erhebliche Verminde-
rung des Volumenbedarfs zeigte, gibt es bei pädiatrischen
> Eine adäquate Flüssigkeitstherapie zur Vermeidung
Patienten keine Entsprechung (Tanaka 2000).
eines Volumenmangelschocks ist erforderlich. Keine
Vom Arbeitskreis »Das schwerbrandverletzte Kind«
der aktuell verwendeten Formeln zur Berechnung
wird die modifizierte Parkland-Formel zur Berechnung
des tatsächlichen Flüssigkeitsbedarfs ist aber durch
des Flüssigkeitsbedarfs (Erhaltungsbedarf und zusätzli-
größere Studien abgesichert.
cher Verbrennungsbedarf) favorisiert:
Ebenso wenig ist durch größere Studien geklärt, ob kristal- 4 Der Erhaltungsbedarf wird nach der Holliday-Segar-
loide oder kolloidale Infusionslösungen zur Volumenthe- Formel ermittelt (100 ml/kgKG/d für die ersten 10 kg,
rapie bei Brandverletzten verwendet werden sollten. 50 ml/kgKG/d für die zweiten 10 kg, darüber hinaus
Eine im Jahr 2011 publizierte Übersichtsarbeit über ver- 25 ml/kgKG/d). Alternativ kann der Erhaltungsbedarf
öffentlichte Formeln zur Berechnung des Flüssigkeitsbe- über die Körperoberfläche berechnet werden. Bei der
darfs bei schweren thermischen Verletzungen listet acht zweiten Methode sind etwa 1500 ml/m2 KOF erfor-
zwischen 1952 und 1996 publizierte Formeln auf, mit denen derlich. Der Erhaltungsbedarf wird in der Regel in
der Flüssigkeitsbedarf ermittelt werden kann (Spelten 2011). Form von Ringer-Lösung gegeben. Bei Säuglingen
Als Infusionslösungen werden hierbei isotone kristalloide und Kleinkindern ist eine glukosehaltige Infusion
Lösungen, kolloidale Lösungen, Kombinationen aus beidem anstelle der Ringer-Lösung zu wählen. Eine enterale
oder hypertone NaCl-Lösungen verwendet. Ernährung (falls erforderlich über Sonde) ist unmit-
Am weitesten verbreitet ist in pädiatrischen Verbren- telbar nach Trauma anzustreben und die enteral ver-
nungszentren die Therapie mit isotonen kristalloiden Lö- abreichte Flüssigkeit von der Erhaltungsinfusion
sungen nach der Parkland-Formel; in einigen Zentren abzuziehen.
werden aber kolloidale Lösungen als »rescue-Therapie« 4 Als zusätzlicher Verbrennungsbedarf werden in den
bei hohem Volumenbedarf verwendet. Bei pädiatrischen ersten 24 h nach Trauma 4 ml × kgKG × VKOF (%)
Patienten senkt die Gabe von Albumin die zur Wiederher- infundiert, wobei 50 % des berechneten Volumens in
stellung eines suffizienten Kreislaufs erforderliche Flüssig- den ersten 8 h, die weiteren 50 % in den nächsten 16 h
keitsmenge (Faraklas 2011). Die Mortalität wird durch die infundiert werden. Von Stunde 24–48 werden zusätz-
Gabe von Albumin bei brandverletzten Patienten nicht lich 2 ml × kgKG × VKOF (%) gegeben. Von Stunde
erhöht (Cochran 2007). 48–72 wird zusätzlich 1 ml × kgKG × VKOF (%) ge-
geben.
> Beinahe genauso gefährlich wie die Gabe einer zu
geringen ist die Gabe einer zu großen Flüssigkeits-
Als Infusionsflüssigkeit sollte Ringerazetat-Lösung ver-
menge.
wendet werden. Die Verwendung kolloidaler Infusionslö-
In den letzten 10 Jahren wurden zur Flüssigkeitstherapie sungen ist hierbei nicht standardisiert vorgesehen. Das
bei Erwachsenen diverse Arbeiten publiziert, die zeigten, Monitoring der Serumelektrolyte mit entsprechender Kor-
dass das applizierte Flüssigkeitsvolumen oft erheblich über rektur sollte selbstverständlich sein. Speziell eine Hypona-
22 das im Schema vorgesehene Volumen hinausgeht (Saffle triämie ist bei pädiatrischen Patienten in den ersten 48 h
2007). Dieses als »fluid creep« bezeichnete Phänomen be- eine häufige Komplikation.

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
231 22
Im Verlauf der Volumentherapie kann es zur Entwick-
Infusionstherapie nach der modifizierten lung eines abdominellen Kompartmentsyndroms kom-
Parkland-Formel men. Bei erwachsenen Patienten liegt eine kritische Gren-
Erhaltungsbedarf: ze für die Entstehung eines abdominellen Kompartment-
5 100 ml/kgKG/d für die ersten 10 kgKG syndroms bei Überschreitung des Ivy-Index (Gabe von
5 50 ml/kgKG/d für die zweiten 10 kgKG >250 ml/kgKG/d). Für pädiatrische Patienten ist dies nicht
5 darüber hinaus 25 ml/kgKG/d validiert; es erscheint aber sinnvoll bei Erreichen ähnlicher
Volumina den intraabdominellen Druck mittels Messung
Verbrennungsbedarf: des Blasendrucks zu überwachen (normal: 0–8 mmHg,
5 0–24 h: 4 ml × kgKG × VKOF (%), davon 50 % in den intraabdominelle Hypertension: >10–12 mmHg, abdomi-
ersten 8 h, 50 % in den nächsten 16 h nelles Kompartment: >10–15 mmHg und Organversagen;
5 24–48 h: 2 ml × kgKG × VKOF (%) Kaussen 2012).
5 48–72 h: 1 ml × kgKG × VKOF (%) In der Universitäts-Kinderklinik in Bochum wird der
Erhaltungsbedarf auf Grundlage der Körperoberfläche
ermittelt (1600 ml/m2) und intravenös und/oder ente-
Als Beispiel für alternative Infusionsregimes unter Ver- ral zugeführt. Die Substitutionstherapie wird nach der
wendung kolloidaler Infusionslösungen sei hier das Vorge- modifizierten Parkland-Formel durchgeführt. Allerdings
hen im Shriner Burns Hospital in Galveston in Texas ge- wird bei Verletzungen <20 % KOF die Substitution bei
nannt: Dort wurde eine Formel entwickelt, welche die hämodynamisch stabilen Patienten oft schon im Verlauf
Körperoberfläche des Patienten zur Berechnung der erfor- verringert und nach 24 h beendet. Bei größeren Verlet-
derlichen Flüssigkeitsmenge benutzt (Caravajal 1980). zungen wird von Stunde 48–72 die Flüssigkeitssubstitu-
Hierbei werden als Grundbedarf 2000 ml/m2 KOF und tion nicht mit 1 ml × kgKG × VKOF (%), sondern je
5000 ml/m2 VKOF in den ersten 24 h gegeben. In den nach bestehender Hämodynamik und Flüssigkeitsver-
Stunden 24–48 werden 1500 ml/m2 KOF als Erhalt und lusten über die Wundflächen fortgeführt. Nach 12 h
3750 ml/m2 VKOF als Verbrennungsbedarf gegeben. Als wird die Gesamt-Eiweißkonzentration sowie die Albu-
Infusionslösung wird Ringer-Laktat mit Zusatz von Albu- min-Konzentration im Plasma bestimmt. Bei einem Albu-
min (12,5 g/1000 ml) verwendet. min <2,5 g/dl und über das errechnete Maß hinaus-
Da hypertones NaCl (Monafo 1970) im deutschen gehendem Volumenbedarf erfolgt dann eine Substitution.
Sprachraum in pädiatrischen Zentren nicht verwendet Nach 24 h erfolgt eine erneute Bestimmung des Albumins
wird, wird hier auf weitere Erläuterungen verzichtet. mit gegebenenfalls wiederholter Substitution. Das Albu-
Zwischen den einzelnen Formeln bestehen erhebliche mindefizit kann nach folgender Formel berechnet wer-
Unterschiede im errechneten Substitutionsvolumen. Eine den: 2,5 g/dl – Serumalbumin (g/dl) × kgKG × 3. Das
Beispielrechnung für die Menge an substituiertem Volu- Defizit kann in Form von Humanalbumin 20 % als Bolus
men innerhalb der ersten 24 h nach den beschriebenen verabreicht werden.
Formeln demonstriert dies (. Tab. 22.3). Diese Unter-
schiede sind umso größer, je kleiner das zu versorgende Hämodynamisches Management
Kind ist. Ursächlich ist das unterschiedliche Verhältnis Falls durch Volumengabe allein keine hämodynamische
von Körperoberfläche zu Körpergewicht. Ein Erwachse- Stabilisierung erreicht werden kann, kommen Katechola-
ner wiegt rund das 18- bis 30-Fache eines Neugebore- mine zum Einsatz. Insbesondere bei beatmeten Patienten,
nen, die Körperoberfläche ist aber nur um den Faktor 8 bei denen es durch die Sedierung zu einem weiteren Blut-
größer. druckabfall kommt, wird dies häufiger der Fall sein. Zu-

. Tab. 22.3 Beispielhafter Vergleich der Flüssigkeitszufuhr nach Parkland- vs. Galveston-Formel

Patient Länge (cm) Gewicht (kg) KOF (m2) VKOF (%) Flüssigkeitszufuhr Flüssigkeitszufuhr
nach Parkland (ml) nach Galveston (ml)

1 72 9 0,42 45 900 + 1620 840 + 945

2 8,8 0,44 25 880 + 880 880 + 550

3 100 17,5 0,7 60 1750 + 4200 1400 + 2100

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232 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

nächst sollte Dobutamin als positiv inotropes Medikament ergänzt werden. Bevorzugter Zugangsort ist hierbei die
benutzt werden. Bei Dobutamin handelt es sich um einen A. femoralis, da arterielle Katheter in der A. radialis im
weitgehend selektiven β1-Adrenozeptoragonisten, der in Kleinkindalter bei Verletzungen der Extremitäten oder
höherer Dosis auch α1- und β2-Rezeptoren stimuliert. Eine Anwendung von Vasopressoren oft nicht zuverlässig funk-
Dosis von mehr als 15 μg/kgKG/min ist aufgrund deutli- tionieren (Shin 2013). Eine Pulswellenundulation wäh-
cher Erhöhung des myokardialen Sauerstoffbedarfs sowie rend der Pulsoxymetrie oder der RR-Messung per arteriel-
Erhöhung des systemischen Widerstandes nicht empfeh- lem Katheter weist auf einen Volumenmangel hin.
lenswert. Bei Volumenmangel kann es bei Gabe von Do- Die Herzfrequenz ist als Marker für eventuellen Volu-
butamin auch zu einem Blutdruckabfall kommen. menbedarf nur bedingt geeignet, da nach thermischen
Noradrenalin wirkt vorwiegend über α1-Adrenozep- Verletzungen eine anhaltende Tachykardie als Ausdruck
toren und führt über eine Vasokonstriktion zu einer Er- der Hypermetabolie bestehen kann. Auch ein normwerti-
höhung des systemischen Widerstandes. Unter der Vor- ger Blutdruck ist bei Kindern nicht Ausdruck eines ausrei-
stellung, dass es durch Vasokonstriktion in den Rand- chenden Herzzeitvolumens. Regelmäßig sollte die Rekapil-
bereichen der Verletzungszone zu einer Vergrößerung der larisierungszeit kontrolliert werden, die <3 s sein sollte.
Nekrose kommen kann, sollte der Einsatz dieses Medi- Unbedingt erforderlich ist die Messung des Laktats so-
kaments sorgfältig abgewogen werden. wie des »base excess« zur Therapiesteuerung. Ein erhöhtes
Für den Einsatz der direkten Vasokonstriktoren Vaso- Laktat ist als prognostischer Parameter für ein schlechtes
pressin und Terlipressin im Kindesalter gibt es keine Daten. Outcome allerdings zuverlässiger als ein anhaltend negati-
Nach hämodynamischer Stabilisierung und Beendi- ver »base excess«. Ein erhöhter Laktatwert spiegelt direkt
gung der Volumentherapie kann zur Verkürzung der einen durch Hypoperfusion verursachten anaeroben Me-
Ödemphase die Diurese mittels Schleifendiuretika geför- tabolismus wider. Zudem sind Blutbild, Blutgase, Gerin-
dert werden. Üblich ist die Gabe von Furosemid, welches nung, Elektrolyte, Osmolalität und Serumproteinwerte
oft schon in geringen Dosen ausreichende Wirkung erzielt regelmäßig zu überprüfen.
(0,25–1 mg/kgKG pro Dosis). Bei ungenügender Wirkung Ein weiteres wesentliches Instrument zum Therapie-
ist eine Steigerung der Dosis bis hin zur Gabe über Perfu- monitoring ist die Urinausscheidung. Eine Urinstunden-
sor mit 10 mg/kgKG/d möglich. menge von 1,0–2,0 ml/kgKG/h beim Kleinkind bzw. Säug-
Die Transfusion von Blutprodukten erfolgt bei Kin- ling und 0,5–1,0 ml/kgKG/h bei Kindern mit einem Ge-
dern mit thermischen Verletzungen ähnlich wie bei ande- wicht >30 kg sollte angestrebt werden. Bei einer darüber
ren pädiatrischen Intensivpatienten. hinausgehenden Ausscheidung und stabilen Kreislaufpa-
Die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erfolgt rametern sollte die Flüssigkeitszufuhr reduziert werden.
beim hämodynamisch stabilen Patienten bei Unterschrei- Die Urinmenge ist als alleiniges Instrument zur Überwa-
ten eines Hämoglobinwerts von 7–8 g/dl (Palmieri 2007); chung einer ausreichenden Hydratation nur eingeschränkt
präoperativ und intra-operativ wird man aber wohl im zu verwerten, da initial durch das Trauma eine erhöhte
Einzelfall höhere Hämoglobin-Werte anstreben, um vor- ADH-Produktion entstehen kann. Im Verlauf können eine
hersehbare Blutverluste auszugleichen. Bei instabiler Hä- Glukosurie bei Glukoseintoleranz, Proteinurie bei hoher
modynamik wir ein Hämoglobin-Wert von 10 g/dl ange- Proteinzufuhr etc. zu einer hohen Urinstundenmenge
strebt. trotz Dehydratation führen.
Die Substitution von FFP (»fresh frozen plasma«) er- Für ein invasives hämodynamisches Monitoring ist ein
folgt bei einer Restaktivität der Faktoren von 30–40 % (Ab- pulmonalarterieller Katheter (PAK) nutzbar, über den der
fall des Quickwerts bzw. Anstieg der INR; Verlängerung zentrale Venendruck (ZVD), der Lungenkapillarenver-
der PTT auf das 1,5-Fache der Norm). Eine isolierte Zu- schlussdruck und das Herzzeitvolumen (HZV) gemessen
fuhr von AT III ist normalerweise nicht erforderlich, da werden können. Die Anlage eines PAK ist allerdings inva-
pro- und antikoagulatorische Faktoren gleichzeitig durch siv, aufwändig und komplikationsträchtig. Ein relativ neu-
FFP ersetzt werden. er Ansatz zum hämodynamischen Monitoring ohne Anla-
ge eines PAK ist die Verwendung transpulmonaler Ther-
Zugänge und Therapiemonitoring modilution (TPTD). Bei der TPTD wird gekühlte iso-
Bei Verbrühungen >10–15 % VKOF sollten zwei großlu- tonische Kochsalzlösung (zentral-)venös injiziert. Nach
mige periphere Zugänge gelegt werden, bei Verletzungen Passage des Lungenkreislaufs und Auswurf in den System-
>20 % VKOF oder schlechtem Venenstatus zusätzlich ein kreislauf trifft die verdünnte kalte Flüssigkeit auf einen
zentraler Venenkatheter (ZVK). EKG, Blutdruck und Pul- Messkatheter (z. B. in der Femoralarterie), an dem die
soxymetrie sind das hämodynamische Basismonitoring Temperatur des vorbeiströmenden Blutes gemessen und
22 und sollten bei beatmeten oder großflächig betroffenen eine Thermodilutionskurve erstellt wird. Diese ist sowohl
Kindern (>30 %) durch eine invasive Blutdruckmessung vom Herzzeitvolumen als auch von der in den vasalen und

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
233 22
extravasalen Kompartimenten liegenden Flüssigkeitsmen- »base excess« sollte ansteigen und dann ≥5 mmol/l sein.
ge abhängig. Die Vorlast für das Herz kann in Form des Die zentralvenöse Sättigung sollte >70 % sein, der ZVD
globalen enddiastolischen Volumens (GEDV) oder des 8–12 mmHg.
intrathorakalen Blutvolumens (ITBV) bestimmt werden.
Zusätzlich wird das extravasale Lungenwasser (EVLW) er- Beatmung
rechnet, das als Marker für ein Lungenödem verwendet Die Sicherung der Atemwege hat bei pädiatrischen Patien-
werden kann. Es gibt allerdings noch keine Studien, bei ten eine hohe Priorität. Eine frühzeitige Intubation sollte
denen die Pulskonturanalyse bei pädiatrischen Verbren- vor längeren Transporten, bei Inhalationstrauma, bei Ge-
nungspatienten zur Steuerung der Volumentherapie in den sichtsverbrennungen sowie bei ausgedehnten Verletzungen
ersten 24 h nach Trauma eingesetzt wurde (Branski 2011; mit starker Ödembildung erwogen werden. Aufgrund des
Kraft 2013). Zudem existieren keine validen Normwerte geringeren Durchmessers der kindlichen Atemwege führt
für das EVLW im Säuglings- und Kleinkindalter (Biga- eine Abnahme des Durchmessers durch Ödembildung
tello 2010). Im weiteren Therapieverlauf scheint die Puls- nach dem Gesetz von Hagen-Poiseuille zu einem überpro-
konturanalyse aber ein gutes Werkzeug bei pädiatrischen portional großen Anstieg des Atemwegwiderstands (Bei-
Patienten mit ausgedehnten Verletzungen zu sein. spiel: 1 mm Ödem bei 4 mm Tracheadurchmesser führen
Eine Echokardiografie kann ebenfalls wertvolle Hin- zu einem Anstieg des Widerstandes auf das 16-Fache bei
weise auf den Volumenstatus und die Pumpfunktion des Reduktion des Atemwegquerschnitts um 75 %).
Herzens liefern und somit zur Steuerung der Volumen- Die passende Tubusgröße lässt sich entweder kalkulie-
oder Katecholamintherapie herangezogen werden. Bei ren (Alter + 16)/4 oder anhand der Größe des kleinen Fin-
großflächigen Verletzungen ist insbesondere eine trans- gers des Patienten abschätzen. Auch bei Säuglingen und
oesophageale Untersuchung hierzu geeignet (Maybauer Kleinkindern sollte Tuben mit Cuff bei zu erwartender
2014). Ein ZVK ermöglicht je nach Lage die Messung des schwieriger Beatmung der Vorzug gegeben werden. Ein
ZVD und der zentralvenösen Sättigung (SVO2). Tubus mit Cuff stellt nach Extubation kein größeres Risiko
für die Entwicklung eines Stridors oder einer Atemweg-
Zielorientierte Therapie stenose dar (Weiss 2009a).
Ähnlich wie in der Sepsistherapie scheint es auch in der
> Bei Aufnahme eines intubierten Patienten ist zu
Behandlung von Kindern mit ausgedehntem thermischen
prüfen, ob der verwendete Tubus von ausreichender
Trauma sinnvoll, eine zielorientierte Therapie durchzu-
Größe ist. Eine erforderliche Umintubation sollte
führen. Anzustreben ist eine rasche Normalisierung von
dann unmittelbar erfolgen, da diese durch Ödembil-
Herzfrequenz und Blutdruck (. Tab. 22.4). Problematisch
dung in der Folge nur schwieriger und risikoreicher
ist dabei, dass im Kindesalter ein »normaler« Blutdruck
wird.
nur schlecht definiert ist (Haque 2007).
Erstrebenswert scheint ein systolischer Blutdruck von Bei anhaltend schwieriger Beatmungssitution oder nicht
>80 mmHg sowie arterieller Mitteldruck (MAD) von >45– von der Beatmung zu entwöhnendem Patienten kann als
50 mmHg bei Patienten im Säuglingsalter und ein systoli- ultima ratio auch im Säuglings- oder Kleinkindalter eine
scher Bludruck von >90 mmHg sowie ein arterieller Mit- Tracheotomie erwogen werden. Es ist aber unbedingt zu
teldruck >55–65 mmHg bei Kleinkindern und Schulkin- bedenken, dass eine Dekanülierung eventuell erst Jahre
dern zu sein. Die Diurese sollte, wie schon mehrfach er- später möglich ist und eine Tracheaplastik erforderlich
wähnt, 1–2 ml/kgKG/h beim Säugling und Kleinkind und werden kann.
0,5–1 ml/kgKG/h beim Schulkind sein. Das Laktat sollte Die Beatmung sollte nach den üblichen lungenprotek-
initial rasch fallen und dann <2 mmol/l sein. Ein negativer tiven Standards erfolgen (Dellinger 2013). Das Tidalvolu-
men sollte bei 6–8 ml/kgKG liegen, der Spitzendruck bei
<30 cm H2O. Der PEEP (»positive end-exspiratory pressu-
. Tab. 22.4 Vitalparameter im Kindesalter re«)sollte initial 5 cm H2O betragen, bei erhöhter Flüssig-
keitszufuhr im Verlauf wird dieser dann oft auf 8–10 cm
Alter Herzfrequenz Atemfrequenz Minimaler H2O oder noch höhere Werte erhöht werden müssen. Ins-
(Jahre) (Schläge/min) (Atemzüge/min) Hb (g/dl) besondere in den ersten 48 h wird aufgrund der sich rasch
ändernden Compliance oft ein volumenkontrollierter Mo-
<2 100–160 30–40 11,0
dus verwendet.
2–5 80–140 20–30 11,0

6–12 70–120 18–25 11,5 Analgesie und Sedierung


>12 60–110 16–20 12,0
Analgesie und Sedierung sind ein wesentlicher Bestandteil
der intensivmedizinischen Behandlung. Eine inadäquate

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234 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

Schmerztherapie führt bei folgenden Eingriffen oder Pro- Dexmedetomidin ist ein α2-Agonist mit sedierenden
zeduren zu vermehrter Angst der Patienten und reduziert und milden analgetischen Eigenschaften. Er senkt den Be-
die Effektivität der Analgesie (Weismann 1998). Mittel- bis darf an anderen Analgetika und Sedativa. Da Dexmedeto-
langfristig wird auch die Schmerzwahrnehmung durch die midin spezifisch an die 2A-Untereinheit des α2-Rezeptors
Erfahrung von Schmerzen im Säuglings- oder Kleinkind- bindet, wirkt es effektiver als Clonidin, das für die gleichen
alter verändert (McGrath 1996). Indikationen verwendet wird. Zusätzlich findet Clonidin
Ziel der Schmerztherapie ist die Behandlung der durch beim Opiatentzug Verwendung. Beide Substanzen sind
die Verletzung selbst hervorgerufenen Schmerzen sowie nicht atemdepressiv. Bei Bolusgaben von Dexmedetomi-
die Vermeidung von Stress und Schmerzen durch ärztliche din sind aber Bradykardien und Hypotension beschrieben
und pflegerische Prozeduren. Hierzu stehen sowohl phar- (Shank 2013).
makologische als auch nichtpharmakologische Maßnah- Propofol ist ein reines Sedativum ohne analgetische
men zur Verfügung. Zur Behandlung des Grundschmerzes Eigenschaften. Bei längerer Anwendung (>48 h) in höherer
ist eine kontinuierliche Analgesie erforderlich, die bei älte- Dosis (>4 mg/kgKG/h) besteht die Gefahr eines Propofol-
ren Kindern auch als patientenkontrollierte Analgesie Infusionssyndroms mit Laktat-Acidose, Rhabdomyolyse
(PCA) durchgeführt werden kann. Durch Lagerung, Ver- und Herzversagen, weshalb es im Kindesalter nicht mehr
bandswechsel, endotracheales Absaugen hervorgerufene zur dauerhaften Sedierung verwendet wird (Fodale 2008).
Schmerzen sollten durch rasch wirksame Analgetika mit Außerdem kann es zu einer Atemdepression sowie einer
kurzer Halbwertszeit abgefangen werden. arteriellen Hypotension führen.
Eine dauerhafte Sedierung kann bei erhaltener Spon-
> Wesentlich ist eine Bewertung der Effektivität
tanatmung entweder mit Ketamin in Kombination mit
der durchgeführten Schmerztherapie. Da Säuglinge
Midazolam (0,05–0,1 mg/kgKG/h) oder Dexmedetomidin
und Kleinkinder keine ausreichende Auskunft zur
(0,4–2 μg/kgKG/h) erfolgen; alternativ mit Fentanyl in
Selbsteinschätzung geben können, muss hier auf
niedriger Dosis (1 μg/kgKG/h) kombiniert mit Mida-
verschiedene Beobachtungsinstrumente zur
zolam.
Schmerzeinschätzung zurückgegriffen werden.
Bei beatmeten Patienten wird in der Regel Fentanyl in
Bei brandverletzten Kindern ist die COMFORT-B-Skala höherer Dosis (2–5 μg/kgKG/h) ergänzt um Midazolam
validiert (DeJong 2010), mit deren Hilfe beatmete und benutzt. Die Hinzunahme von Ketamin in niedriger Dosis
nicht beatmete Patienten eingeschätzt werden können. Bei (0,1 mg/kgKG/h) führt zu einem geringeren Opiatbedarf
nicht beatmeten Patienten ist bei Säuglingen und Kleinkin- und sollte deshalb bei großflächigen Verletzungen frühzei-
dern auch die Einschätzung mittels der »Kindlichen Unbe- tig erwogen werden. Im weiteren Verlauf können diese
hagens- und Schmerz-Skala« (KUSS) nach Büttner ver- Medikamente bei hämodynamischer Stabilität um die
breitet (Büttner 2000), ab dem vierten Lebensjahr dann Gabe von Clonidin oder Dexmedetomidin ergänzt werden
auch mit visuellen Analog-Skalen (Scott 1977). (. Tab. 22.5).
Für die pharmakologische Schmerztherapie stehen Für den Verbandswechsel bei beatmeten Patienten
verschiedene Substanzklassen zur Verfügung. Opiate sind sollten zur Vermeidung einer raschen Toleranzentwick-
extrem potente Schmerzmittel, welche an den endogenen lung Bolusgaben aus der laufenden Sedierung vermieden
Opiatrezeptoren binden. Die Anwendung von Opiaten ist werden. Hierzu hat sich die prozedurale Sedierung mit
mit einer Toleranzentwicklung verbunden, so dass bei län- Remifentanil (0,2–0,5 μg/kgKG/min) und Propofol
gerer Anwendung eine gesteigerte Dosis für denselben an- (3–6 mg/kgKG/h) bewährt.
algetischen Effekt erforderlich ist und sich eine Abhängig- Bei nicht mehr ausreichender Sedierung trotz Do-
keit entwickeln kann. An Nebenwirkungen sind Atemde- sissteigerung kann auch im Säuglings- und Kleinkindalter
pression, Übelkeit, Juckreiz und eine Obstipation zu be- die Sedierung mittels volatiler Anästhetika (Isofluran, Se-
achten. Eine opiatinduzierte Hyperalgesie kann ebenfalls vofluran) erfolgen. Entsprechende Applikationssysteme
auftreten. stehen für die Intensivstation zur Verfügung (AnaConDa)
Ketamin ist ein NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Re- und können bei modifizierter Installation am Beatmungs-
zeptorantagonist, der in der Schmerztherapie brandver- system auch bei Kindern mit einem Tidalvolumen von
letzter Patienten ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert weniger als 350 ml (. Abb. 22.5) eingesetzt werden (Sa-
hat. Vorteile sind erhaltene Schutzreflexe, keine Atem- ckey 2005). Beachtet werden muss dabei, dass es keine Da-
depression und eine unbeeinträchtigte Magen-Darm- Tä- ten zu den möglichen Langzeitfolgen einer solchen Be-
tigkeit. Nachteilig sind psychomimetische Effekte (Hallu- handlung gibt und auch der entsprechende Einbau der
zinationen, Delir). Diese können durch Kombination AnaConDa Off-Label erfolgt. Eine Nachuntersuchung der
22 mit Benzodiazepinen oder Dexmedetomidin vermieden Patienten in einer kinderneurologischen Ambulanz wird
werden. empfohlen. Für eine Sedierung mit Isofluran ist bei Kom-

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
235 22

. Tab. 22.5 Dosierung von Analgetika und Sedativa für dauerhafte Sedierung auf der Intensivstation

Präparat Dosierung Bemerkungen

Ketamin 2–4 mg/kgKG/h immer in Kombination mit Benzodiazepinen


bei Hypersalivation ggf. Atropin
S-Ketamin 1–2 mg/kgKG/h

Fentanyl (1–) 2–5 (–10) μg/kgKG/h Kumulation bei langer kontextsensitiver HWZ

Remifentanil 0,2–0,5 (–2) μg/kgKG/min Hypotension, rasche Toleranzentwicklung

Midazolam 0,05–0,3 mg/kgKG/h Kumulation bei langer kontextsensitiver HWZ

Clonidin 0,5–2 μg/kgKG/h Bradykardie, Hypotension

Dexmedetomidin 0,4–2 μg/kgKG/h Bradykardie, Hypotension

Propofol 3–6 mg/kgKG/h Atemdepression, keine Langzeittherapie im Kindesalter >48 h

bination mit einem Opiat eine MAC von 0,5–1,0 % erfor- können bei schweren Brandverletzungen auch im Kindes-
derlich, welche end-tidal gemessen wird. Die Gabe von alter auftreten.
Boli ist im Kindesalter aufgrund der Gefahr ausgeprägter Der Beginn einer enteralen Ernährung ist auch bei aus-
Hypotensionen unbedingt zu vermeiden. gedehnten Verletzungen wenige Stunden nach Trauma
Bei längerfristiger kontinuierlicher Sedierung wird bei anzustreben (Suri 2006) und sollte über eine nasogastrale,
stabilen Patienten eine tägliche Unterbrechung der Sedie- eine nasoduodenale oder auch eine naso-jejunale Sonde
rung bis zur Auslösung von Weckreaktionen empfohlen erfolgen. Eine im Dünndarmbereich liegende Sonde ist
(»drug holiday«). Dadurch kann eine unbemerkte Akku- zur Ernährung auch bei einer Gastroparese geeignet, zu-
mulation, eine zu tiefe Sedierung und eine protrahierte dem ist die Rate an Aspirationspneumonien wahrschein-
Aufwachphase vermieden werden (Verlaat 2014). lich geringer (Rogers 2014). Bei frühzeitigem Beginn einer
gastralen Ernährung kommt es allerdings nur selten zu
Gastrointestinaltrakt, Ernährung einer stark verzögerten Magenentleerung. Zudem ist die
und Stoffwechsel gastrale Ernährung als zusätzliche Ulcus-Prophylaxe nutz-
jGatrointestinaltrakt bar.
Zur Vermeidung eines Stressulkus ist die Therapie mit
> Eine enterale Ernährung erhält die mukosale Inte-
einem H2-Blocker (z. B. Ranitidin 3×1 mg/kgKG) oder
grität des Magen-Darm-Trakts, fördert die intestinale
einem Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol 2×1 mg/
Motilität und verringert die Sepsisrate und Kolonisa-
kgKG) obligatorisch. Lebensbedrohliche Ulkusblutungen
tion der Wunden mit Darmbakterien (Hart 2003).

Bei persistierender arterieller Hypotension oder Therapie


mit Vasopressoren sollte allerdings auf eine frühzeitige
enterale Ernährung, die über eine trophische Ernährung
hinausgeht, gegebenenfalls verzichtet werden, da intesti-
nale Perforationen als Komplikation nicht ausgeschlossen
werden können (Gottschlich 2002).
Eine parenterale Ernährung ist bei Nahrungsintole-
ranz und eventuell auch in der frühen Erholungsphase
erforderlich, falls nach schwerem thermischen Trauma die
erforderliche Kalorienmenge auf enteralem Weg allein
nicht appliziert werden kann. Die Verwendung von paren-
teralen Lösungen mit hohem Aminosäurengehalt und
gleichzeitig mäßiger Glukosezufuhr von 5–7 mg/kgKG/
min ist beschrieben, um ein Energie- und Proteindefizit zu
. Abb. 22.5 Inhalative Sedierung mit Isofluran mittels AnaConDa.
verringern und gleichzeitig teilweise erhebliche Komplika-
Bei Tidalvolumina von weniger als 350 ml ist die Installation als Ver- tionen durch Hyperglykämien und eine eventuelle Insulin-
dampfer im Inspirationsschenkel erforderlich therapie zu vermindern (Dylewski 2013; Jeschke 2014).

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236 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

. Tab. 22.6 Berechnung des Kalorienbedarfs nach Schofield

Alter (Jahre) Geschlecht Täglicher Bedarf (kcal)

Mädchen (16,25 × kgKG) + (1023,2 × Länge in m) – 413,5


0–3
Junge (0,167 × kgKG) + (1517 × Länge in m) – 617,6
Mädchen (16,97 × kgKG) + (161,8 × Länge in m) + 371,2
3–10
Junge (19,6 × kgKG) + (103,3 × Länge in m) + 414,9
Mädchen (8,365 × kgKG) + (465 × Länge in m) + 200
10–18
Junge (16,25 × kgKG) + (137,2 × Länge in m) + 515,5

Modifikationsfaktor in Abhängigkeit von der VKOF (Suman 2006):


<10 % = 1,2; 11–20 % = 1,3; 21–30 % = 1,5; 31–50 % = 1,8; >50 % = 2,0

Die parenterale Ernährung von Intensivpatienten ist in dunstung aufgewendet wird. Eine Erhöhung der Raum-
einigen Studien allerdings mit einer erhöhten Sepsisrate temperatur von 25 auf 33°C kann bei ausgedehnten Verlet-
(Braunschweig 2001, Lu 2011) assoziiert. zungen die Verringerung des Grundumsatzes von 200 auf
140 % bewirken.
jErnährung Die Messung des tatsächlichen Energiebedarfs am Bett
Nach größeren thermischen Verletzungen erhöht sich nicht ist zwar möglich, aber sehr aufwändig, und wird nach un-
nur der metabolische Grundbedarf erheblich, es entsteht serer Kenntnis im deutschen Sprachraum nicht routine-
auch eine von der Verletzungsgröße abhängige stressindu- mäßig durchgeführt
zierte Katabolie. Diese Hypermetabolie wird auf Verände- Es existieren mehrere Formeln zur Ermittlung des
rungen im Steroidhaushalt sowie der Katecholaminproduk- Kalorienbedarfs, die allerdings sämtlich nur eine grobe
tion nach thermischem Trauma zurückgeführt und geht mit Annäherung an die tatsächlichen Bedürfnisse darstellen
Hyperthermie, hyperdynamem Kreislauf und dem Abbau (. Tab. 22.6, . Tab. 22.7). Das Risiko einer erheblichen Hy-
von Muskelgewebe und Fett einher. Eine persistierende Ka- peralimentation mit allen negativen Konsequenzen ist so-
tabolie nach Trauma führt zu einer Kaskade von Komplika- mit gegeben.
tionen: Ein Gewichtsverlust von etwa 10 % geht mit einer Daten aus Tierversuchen, dass der frühzeitige Beginn
Immunsuppression einher, 20 % führen zusätzlich zu einer enteralen Ernährung die hypermetabolische Phase
Wundheilungsstörungen, 30 % zu schweren Infektionen nach einer thermischen Verletzung zumindest abschwächt,
und 40 % in der Regel zum Tod. Die metabolischen Verän- konnten in kleineren Studien an pädiatrischen Patienten
derungen persistieren bis zu zwei Jahre nach der Verletzung. nicht nachvollzogen werden (Gottschlich 2002).
Die Grenze, ab der metabolische Veränderungen mit
> Der Energiebedarf eines brandverletzten Patienten
einer Erhöhung des Grundumsatzes beginnen, liegt bei
sollte zu 55–60 % mit Kohlehydraten gedeckt wer-
ungefähr 10 % VKOF. Bei 40 % VKOF liegt der Grundum-
den. Die notwendige Kohlenhydratzufuhr kann somit
satz bis zur Wundheilung bei 150 %, danach bei etwa
gegebenenfalls die maximale Glukoseoxidations-
135 %. Nach etwa zwei Jahren ist eine Verringerung des
kapazität von 5–7 mg/kgKG/min (Sheridan 1998;
Grundumsatzes auf etwa 110 % zu beobachten. Das Kno-
Prelack 1997) übersteigen, was in der Regel zu Hyper-
chenwachstum wird für bis zu zwei Jahre stark gehemmt,
glykämien führt.
so dass es langfristig zu Osteopenie kommen kann.
> Zur Verhinderung einer Katabolie und zur Verringe-
rung der Hypermetabolie kommen grundsätzlich . Tab. 22.7 Berechnung des Kalorienbedarfs nach der
die Ernährungstherapie sowie eine pharmakologi- Galveston-Formel (Hildreth 1993; Hildreth 1989)
sche Beeinflussung des Stoffwechsels in Betracht.
Alter Erhaltungsbedarf Verbrennungsbedarf
Historisch gesehen führte die Einführung der Früh-Nek- (Jahre) (kcal/m2) (kcal/m2 × VKOF)
rektomie mit nachfolgender Hauttransplantation zu einer
erheblichen Senkung des Grundumsatzes. Eine Erhöhung <1 2100 1000
der Umgebungstemperatur führt ebenfalls zu einer we-
22 sentlichen Senkung des Grundumsatzes, da ein Teil der
1–11 1800 1300

11–16 1500 1500


Energie zum Ausgleich von Wärmeverlusten über Ver-

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
237 22

. Tab. 22.8 In der Pädiatrie gebräuchliche Sondennahrungen

Präparat Kcal Kohlenhydrate* (g) Eiweiß* (g) Fett* (g)

Infatrini 100 10,3 2,6 5,4

Nutrini multi fibre 100 12,5 2,5 4,4

Nutrini energy multi fibre 150 18,5 4,0 6,7

Nutrison protein plus multi fibre 128 14,1 6,3 4,9

Hipp Sondenkost 150 17,2 6,0 5,7

* Angaben jeweils pro 100 ml

Die Interventionsgrenze, ab der eine Insulintherapie Menge von 1–1,5 g/kgKG zugeführt werden mit einem
erfolgen sollte, liegt bei Kindern mit thermischen Verlet- Fett-freien Tag pro Woche (Dylewski 2013).
zungen mit 150 mg/dl (Kraft 2014) wahrscheinlich niedri-
> Es ist zu bedenken, dass bei einer Sedierung mit
ger als bei anderen pädiatrischen Intensivpatienten, bei
Propofol zur Durchführung von Verbandswechseln
denen eine Intervention ab einer dauernden Erhöhung des
Fett zugeführt wird, da Propofol einer 10 % Lipid-
Blutzuckers >180 mg/dl empfohlen ist (Dellinger 2013).
infusion entspricht.
Eine Glukosezufuhr, die erheblich über der maximalen
Glukoseoxidationsrate liegt, begünstigt die Entwicklung Bei vielen Patienten bestehen Defizite bei Vitaminen und
einer Fettleber. Die Glukosetoleranz kann durch die Ver- Spurenelementen durch Gewebeverlust, Stoffwechselver-
abreichung von Medikamenten, wie z. B. Katecholaminen, änderungen, vermehrte Ausscheidung im Urin und verän-
vermindert werden. derte Zusammensetzung der Proteine im Plasma. Ob diese
Nach großflächigen Traumen führt die entstehende Defizite durch frühzeitige prophylaktische Gabe oder Sup-
Hypermetabolie insbesondere zu einem Abbau von Mus- plementation nach Nachweis entsprechender Defizite the-
kulatur, da große Mengen von Aminosäuren für die Rege- rapiert werden sollten ist unklar. Auch die erforderlichen
neration von verletztem Gewebe, Synthese von Akute- Dosen der verschiedenen Vitamine und Spurenelemente
Phase-Proteinen und Glukoneogenese benötigt werden sind nicht bekannt. Eine Supplementierung scheint aber
(Hart 2000). Diese Prozesse lassen sich bei ausreichender positive klinische Auswirkungen zu haben (Berger 2007;
Proteinzufuhr zumindest teilweise aus zugeführten Ami- Berger 2006).
nosäuren speisen und der Abbau von Muskulatur kann Zur Überwachung sollte die regelmäßige Kontrolle des
somit gebremst werden (Patterson 1997). Eine Aminosäu- Gewichts sowie die Messung des Blutzuckers, des Serum-
rezufuhr von 2,5–4 g/kgKG täglich ist hierzu bei pädiatri- Eiweißes, der Elektrolyte, der Triglyzeride, der Transami-
schen Patienten erforderlich. Eine zusätzliche Supplemen- nasen, des Bilirubins, des Albumins, des Harnstoffs und
tierung mit Glutamin oder Arginin kann derzeit nicht des CRP erfolgen.
empfohlen werden.
Der Fettstoffwechsel ist bei Patienten nach thermi-
schem Trauma deutlich verändert. In der Akutphase nach Zusammenfassung Ernährungsempfehlungen
Verletzung wird Fett in großem Maße abgebaut, allerdings 5 Eine enterale Ernährung sollte innerhalb von 6 h
werden nur 30 % der verfügbaren freien Fettsäuren zur nach Trauma begonnen werden. Bei Intoleranz
Energiegewinnung genutzt. Der Rest wird neu verestert enteraler Ernährung sollte eine parenterale Ernäh-
und in der Leber akkumuliert. Die zugeführte Fettmenge rung begonnen werden.
sollte also bei etwa 10–25 % der Nicht-Protein-Kalorien 5 Eine indirekte Kalorimetrie zur Ermittlung des
liegen (Demling 2000). Gebräuchliche Sondennahrungen Energiebedarfs wäre wünschenswert. Alternativ
sind in . Tab. 22.8 aufgeführt. sollte der Bedarf über die Schofield-Formel oder
Falls eine enterale Ernährung nicht oder nicht ausrei- die Galveston-Formel errechnet werden.
chend möglich ist, sollte zunächst nur eine geringe Fett- 5 Die Proteinzufuhr sollte hoch gewählt werden und
menge zugeführt werden, um einen Mangel an essentiellen bei 2,5–4 g/kgKG/d liegen.
Fettsäuren zu verhindern. Bei einer parenteralen Ernäh- 5 Die Kohlenhydratzufuhr sollte 60 % des täglichen
rung <7 Tage kann auf eine Fettzufuhr verzichtet werden, Energiebedarfs decken. Eine Überschreitung einer
bei längerer rein parenteraler Ernährung sollte Fett in einer

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238 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

Eine intensive Insulintherapie stellt derzeit keinen


Zufuhr von 5–7 mg/kgKG/min kann eine Insulin- Standard dar.
therapie erforderlich machen.
5 Der Blutzucker sollte <150 mg/dl sein. Gegebenen- jPropranolol
falls sollte eine kontinuierliche Insulinzufuhr be- Die durch ein großflächiges Verbrennungstrauma anhal-
gonnen werden. tend erhöhte Katecholaminkonzentration wird als einer
5 Die Fettzufuhr (insbesondere parenteral) sollte der hauptsächlichen Mediatoren für die Hypermetabolie
begrenzt werden und ≤25 % des Energiebedarfs nach einem solchen Trauma angesehen (Wilmore 1974).
abdecken. Somit stellen Medikamente, die Katecholamin-Rezeptoren
5 Spiegelkontrollen von Vitaminen und Spurenele- blockieren, einen vielversprechenden Ansatz zur Reduk-
menten sollte bei Verletzungen >40 % VKOF erfol- tion der Hypermetabolie dar. Im Kindesalter am ausführ-
gen. Falls indiziert sollte eine Substitution begon- lichsten untersucht ist Propranolol, ein nicht selektiver
nen werden. β1/β2-Blocker.
5 Eine Therapie mit Propranolol, Oxandrolon oder Eine Konsequenz des erhöhten Katecholaminspiegels
rhGH kann bei Verletzungen >40 % VKOF erwogen ist eine anhaltende Erhöhung der Herzfrequenz. In Studien
werden. konnte gezeigt werden, dass eine Therapie beginnend 24–
72 h nach Aufnahme (nach hämodynamischer Stabilisie-
rung) mit Propranolol (0,5 mg/kgKG/d, im Verlauf gestei-
jInsulin gert auf ≤4 mg/kgKG/d) zu einer Verringerung der Herz-
Eine Hyperglykämie ist Bestandteil der Hypermetabolie frequenz um 10–15 % ohne negative Konsequenzen führt
nach thermischem Trauma und entsteht durch Insulinre- (Williams 2011; Herndon 2012). Gleichzeitig wird durch
sistenz und erhöhte hepatische Glukoneogenese. die β2-Blockade die Lipolyse gehemmt und die durch das
thermische Trauma verursachte hepatische Steatose ver-
> Eine dauerhaft erhöhte Blutzuckerkonzentration ist
mindert (Wolfe 1987). Auch der Abbau von Skelettmusku-
mit einer schlechteren und verzögerten Wundhei-
latur wird gehemmt (Herndon 2001).
lung sowie schlechteren Ergebnissen bei Spalthaut-
In mehreren prospektiven Studien traten unter Behand-
transplantation vergesellschaftet, daneben führt sie
lung mit Propranolol keine vermehrten Todesfälle auf; der
zu vermehrten infektiologischen Komplikationen
Einsatz bei schwer kranken Patienten ist allerdings derzeit
(Gore 2001).
kein Standard. Speziell die mögliche Kombination von Pro-
Die genaue Grenze, ab der eine Erhöhung des Blutzuckers pranolol mit Insulin sollte sehr sorgfältig erwogen werden.
zu Problemen führt, ist nicht bekannt, darf aber bei einer
dauerhaften Erhöhung >150 mg/dl angenommen werden jOxandrolon
(Finney 2001, Kraft 2014). Eine Insulintherapie zur Be- Die Testosteronproduktion ist nach schweren Brandverlet-
handlung bei Hyperglykämie ist daher empfehlenswert. zungen deutlich reduziert. Unmittelbar nach Verletzung
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass eine lassen sich im Blut erhöhte Spiegel nachweisen, welche
hochkalorische Ernährung in Kombination mit einer konti- dann im Verlauf absinken und für Jahre reduziert bleiben.
nuierlichen Insulintherapie zur Einstellung des Blutzuckers Eine Substitution dieses Hormons verhindert den Mus-
auf etwa 110–150 mg/dl positive Auswirkungen auf Morbi- kelabbau und verbessert die Proteinsynthese.
dität und Mortalität bei großflächigen Verbrennungen bei Bei Oxandrolon handelt es sich um ein Testosteron-
Kindern hat. Diese Therapie führt zu einer Erhaltung der Analogon mit geringerer androgener Wirkung. Unter The-
fettfreien Körpermasse (LBM, »lean body mass«) und ver- rapie mit 0,2 mg/kgKG in zwei Einzeldosen konnte bei
hindert weiteren Muskelabbau (Ferrando 1999; Sakurai pädiatrischen Patienten mit Verletzungen >30 % VKOF
1995). Die Konzentration pro-inflammatorischer Zytokine eine positive Wirkung auf Proteinsynthese, Knochendich-
im Serum wird reduziert. Infektiologische Komplikationen te und Körpermasse (LBM) erzielt werden (Porro 2012).
(allerdings im Vergleich zu hyperglykämen Kontrollgrup- Um einen positiven Effekt auf den Muskelaufbau zu erhal-
pen) werden reduziert (Jeschke 2010, Kraft 2014). Eine ten, ist eine begleitende Physiotherapie unbedingt erfor-
Insulintherapie kann bei häufig erforderlichen Nüchternzei- derlich. Der größte Effekt ist bei Patienten im Schulalter zu
ten vor regelmäßigen Verbandswechseln und Operationen erwarten. Auch hier handelt es sich nicht um eine Stan-
schwierig zu steuern sein. Relevante Hypoglykämien unter dardtherapie.
40 mg/dl sind bei bis zu einem Viertel der so behandelten
Patienten zu verzeichnen; zudem sind rezidivierende Hypo- jRekombinantes Wachtumshormon
22 glykämien mit einer Steigerung der Morbidität und Morta- Ebenso wie bei Oxandrolon kommt es bei Therapie mit
lität bei pädiatrischen Patienten verbunden (Jeschke 2014). rekombinantem Wachtumshormon (»recombinant human

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22.2 · Aufnahme im Krankenhaus
239 22
growth hormone«, rhGH) bei Patienten mit Verletzungen jSepsis
>40 % VKOF zu einer Verbesserung der Knochendichte, Eine Sepsis wird nach den Leitlinien der American Burn
des Längenwachstums und zu einem Muskelaufbau. Zu- Association bei vorliegen von drei oder mehr der folgen-
dem wird die Wundheilung verbessert und die Hyperme- den Kriterien diagnostiziert (Greenhalgh 2007).
tabolie attenuiert (Branski 2009). In der Literatur beschrie-
ben wird eine Therapie mit einer Dosis von 0,2 mg/kgKG
Sepsiskriterien
in der Akutphase (beginnend in der ersten Woche nach
5 Leukozytose >12000/μl oder Leukopenie <4000/μl
Trauma für etwa 4 Wochen) und 0,1 mg/kgKG für ein
5 Thrombozytopenie (<50.000/μl) oder rasch fallend
weiteres Jahr. Die anfangs zu wählende höhere Dosis
5 Tachykardie (>2 SD über der Altersnorm)
führt allerdings zu einer Insulinresistenz und somit even-
5 Tachypnoe (>2 SD über der Altersnorm)
tuell zu einer Hyperglykämie. In einer Studie an kritisch
5 Hyperglykämie (200 mg/dl oder zunehmende
kranken erwachsenen Patienten erhöhte rhGH die Morta-
Insulinresistenz)
lität (Takala 1999). Wie bei allen anderen beschriebenen
5 arterielle Hypotension
pharmakologischen Therapien ist dies keine Standard-
5 Fieber/Hypothermie (>38,5 oder <36,5°C)
therapie.
5 Verwirrtheit
Vorteilhaft scheint bei Einsatz dieses Medikaments die
5 Nahrungsintoleranz
Kombination mit Propranolol zu sein.

jAndere medikamentöse Therapien Zudem werden das Vorhandensein eines Infektfokus sowie
Zu anderen Pharmaka, die eine Hypermetabolie beeinflus- das Ansprechen auf eine antimikrobielle Therapie ge-
sen, wie Metformin, IGF-1/IGFBP-3, Glucagon-like Pep- fordert.
tide-1 oder Fenofibrat existieren im Kindesalter und teil- Aufgrund der ausgeprägten Entzündungsreaktion
weise auch bei erwachsenen Patienten keine Daten. nach schwerem thermischen Trauma sind Parameter wie
CRP und Pro-Calcitonin zur frühen Diagnose einer Sepsis
Infektion nicht immer geeignet. Für die frühe Diagnose ist das
Das mikrobiologische Monitoring sollte schon bei Auf- CRP weitgehend untauglich, allerdings sind Anstiege von
nahme des Patienten begonnen werden (Nasen-/Rachen- mehr als 100 mg/l über 24 h mit einer schweren Sepsis
abstrich). Eine gezielte antibiotische Behandlung erfolgt assoziiert (Barati 2008). Für die frühe Diagnose einer
nur bei einer nachgewiesenen Superinfektion der Wund- Sepsis ist das Pro-Calcitonin (und insbesondere der Ver-
flächen, positiver Blutkultur oder sonstiger gesicherter lauf) wahrscheinlich besser geeignet. Insbesondere bei
Infektion anderer Organe. Antibiotische Prophylaxen sind adäquater Therapie fällt dieser Parameter auch recht rasch
nicht indiziert, da diese nicht zu einer Verringerung der wieder ab (Mann 2011) und eignet sich somit zur Thera-
Sepsis-Rate führen und Resistenz-Entwicklungen begüns- piekontrolle. In einigen Studien, insbesondere an pädiat-
tigen (Barajas-Nava 2013). Eine asymptomatische bakteri- rischen Patienten, war die klinische Diagnose unter Hin-
elle Kolonisation der Wunden ist keine Indikation zur sys- zunahme der Thrombozytenzahl allerdings der beste
temischen Antibiotikatherapie. Vor oder während komple- Sepsismarker.
xer Hautersatzverfahren sollte dies aber Grund zu einer In der ersten Woche nach Trauma überwiegen Infek-
topischen antimikrobiellen Therapie sein. tionen mit gram-positiven Erregern (Serour 2006), da-
nach solche mit gram-negativen Bakterien oder auch
> Zu achten ist auf die Möglichkeit eines »toxic shock
Pilzen (Patel 2012). Speziell an die Möglichkeit einer Pseu-
syndrome« (TSS) bei kleinflächig verletzten Klein-
domonasinfektion sollte gedacht werden; zudem sollten
kindern. Dieses stellt eine Rarität dar, ist aber bei
die auf der betreuenden Station lokalen mikrobiologischen
verzögert oder gar nicht gestellter Diagnose lebens-
Gegebenheiten beachtet werden. Bei Infektionen durch
bedrohlich.
zentrale Katheter sollten diese entfernt bzw. ausgetauscht
Infektiologische Komplikation bei Kindern mit schweren werden.
thermischen Verletzungen sind in der Akutphase schwer In der Regel wird man mit einer Breit-Spektrum-The-
zu detektieren. Die Patienten sind oftmals nur einge- rapie beginnen und nach Erhalt der Resistenz-Testung die
schränkt zu beurteilen, die Körpertemperatur ist bei vielen Therapie ggf. umstellen bzw. einengen.
über 38°C, die Entzündungswerte sind durch das Trauma Die adjunktive Sepsistherapie erfolgt wie bei anderen
erhöht. Somit ergibt sich die Notwendigkeit einer Kom- pädiatrischen Patienten. Hierzu sei u. a. auf die AWMF-S2-
bination verschiedener klinischer und laborchemischer Leitlinie »Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge
Parameter zur Diagnosestellung einer Infektion oder der Sepsis« sowie die »surviving sepsis campaign guideli-
Sepsis. nes« verwiesen (Dellinger 2013).

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240 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

Verletzung wurde auch schon von anderen Arbeitsgrup-


Empirische antibiotische Therapie pen berichtet; in der Regel normalisieren sich die IgG-
5 Infektionen in den ersten 72–120 h: Werte nach einigen Wochen (Munster 1970; Muns-
– Cefuroxim 3 × 30 mg/kgKG i. v. oder ter 1987). Sofern die Patienten intensivmedizinischen
– Ampicillin/Sulbactam 4 × 50 mg/kgKG i. v. Maßnahmen unterliegen (invasive Beatmung, zentrale
5 Infektionen nach 72–120 h: Katheter), substituieren wir in der Initialphase Immunglo-
– Vancomycin 4 × 10 mg/kgKG i. v. (Spitzen- und buline mit einer Zielkonzentration von >600 mg/dl.
Talspiegel um dritte Gabe) und
– Meropenem 3 × 20 mg/kgKG i. v.
22.3 Inhalationstrauma

jPneumonie Inhalationstraumata kommen bei den im deutschsprachi-


Insbesondere bei beatmeten Patienten sollte bei frühzei- gen Raum versorgten pädiatrischen Patienten sehr selten
tiger Verschlechterung (i.e. innerhalb der ersten 48 h) der vor. Auch im internationalen Schrifttum gibt es nur wenige
Beatmungssituation und/oder eitrigem Trachealsekret große kontrollierte Studien hierzu. Daher kann hier nur
nach Gewinnung einer Probe für die weitere bakteriologi- auf einige allgemeine Empfehlungen eingegangen werden.
sche Untersuchung (per Bronchiallavage) rasch eine The- Grundsätzlich stellt ein Inhalationstrauma eine Verlet-
rapie mit einem Zweitgenerations-Cephalosporin (z. B. zung der Atemwege über verschiedene Mechanismen dar:
Cefuroxim) oder Amoxicillin+Sulbactam erwogen wer- 1. Verletzung der oberen Atemwege durch direkte Hit-
den. Frühe Infektionen des Respirationstraktes sind eher zeeinwirkung
durch bereits bestehende Luftwegsinfekte oder durch die 2. Chemische Veränderungen des Respirationstrakts
Intubation bedingt und daher durch ein anderes Keim- 3. Systemische Vergiftung durch Inhalation von Kohlen-
spektrum verursacht als die im weiteren Verlauf auftreten- monoxid (CO) oder Zyanid
den Infektionen. Bei später einsetzenden Problemen wird
eine nosokomiale Infektion u.a. mit Pseudomonas aerugi- Ad 1) Die direkte Hitzeeinwirkung durch ein Feuer betrifft
nosa wahrscheinlicher. Die lokalen mikrobiologischen durch reflektorischen Schuss der Glottis in der Regel nur
Gegebenheiten auf der betreuenden Station sollten beach- die Atemwege bis zur Carina. Die daraus resultierende
tet werden. Eine Pneumonie beim schwer brandverletzten Schwellung kann mit einer Latenz von mehreren Stunden
Patienten ist letztlich eine klinische Diagnose, da erhöhte entstehen.
Entzündungswerte, Infiltrate im Röntgen-Thorax und
Oxigenierungsprobleme auch ohne Pneumonie bei diesen Ad 2) Durch Verbrennung von Gummi, Kunststoffen, be-
Patienten auftreten können. handelten Hölzern entstehen diverse giftige Gase, die zu
Zur Prophylaxe einer Pneumonie gibt es im Kindesal- einer direkten Schädigung des respiratorischen Epithels
ter kaum Daten. Essentiell ist eine möglichst rasche Extu- mit dem histologischen Bild einer Bronchitis führen kön-
bation. Die Mundpflege mit Chlorhexidin ist ebenfalls nen. Die daraus entstehende Schwellung, der einge-
vorteilhaft. Eine möglichst sitzende Lagerung ist bei Klein- schränkte mucociliäre Transport sowie die Inaktivierung
kindern und Säuglingen nicht möglich. Die selektive von Surfactant können auch noch 12–48 h nach Trauma
Darmdekontamination scheint bei Kindern mit schweren zum respiratorischen Versagen führen. Die vollständige
thermischen Verletzungen nicht effektiv zu sein (Bar- Erholung der pulmonalen Funktion kann Monate dauern.
ret 2001); zu anderen Praktiken wie Ernährung über spe-
zielle, hinter dem Pylorus platzierte Sonden oder Endotra- Ad 3) Durch die hohe Bindungsaffinität von Kohlenmon-
chealtuben mit subglottischer Absaugung gibt es im Kin- oxid (CO) zum Hämoglobin kommt es zur Bildung von
desalter keine Daten. Carboxyhämoglobin (CO-Hb) mit konsekutiver Hem-
mung des Sauerstofftransportes. CO hat eine 200-fach hö-
jImmunglobuline here Affinität zu Hämoglobin als Sauerstoff und verschiebt
Bei Verletzungen von mehr als 30 % VKOF findet sich bei zudem die Sauerstoffbindungskurve nach links. Auch die
den von uns betreuten Säuglingen und Kleinkindern fast Atmungskette wird durch CO gehemmt. Dies führt zu ei-
regelhaft ein Immunglobulinspiegel von <200 mg/dl initial ner Verschlechterung der Gewebeoxigenierung. Der
oder <100 mg/dl zwei Tage nach der Verletzung. In dieser Nachweis einer CO-Intoxikation erfolgt über den Nach-
Altersgruppe sind auch bei gesunden Kindern deutlich weis von CO-Hb in der Blutgasanalyse; dabei wird auch
niedrigere Immunglobulinkonzentrationen als bei Er- der Sauerstoffpartialdruck gemessen, da die Sauerstoffsät-
22 wachsenen zu beobachten. Dieses Phänomen der deutlich tigung bei transkutaner Messung falsch zu hoch angezeigt
ausgeprägten Hypogammaglobulinämie nach thermischer wird.

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22.5 · Prävention
241 22
Die Inhalation von Zyanid führt ebenfalls zu einer werden. Eine permissive Hyperkapnie ist zu erwägen und
Hemmung der Atmungskette mit resultierender Gewebe- führt bei einem pH <7,20 und einem pCO2 <75 mmHg
hypoxie. Ein sofortiger direkter Nachweis ist nicht mög- wahrscheinlich nicht zu wesentlichen hämodynamischen
lich. Hinweisend sind eine Laktatazidose und ein negativer Veränderungen. Bei Schwierigkeiten der konventionellen
»base excess«; also Laborparameter, die beim brandver- Beatmung kann eine Hochfrequenz-Oszillations-Ventila-
letzten Patienten in der Regel ohnehin deutlich verändert tion (HFOV) versucht werden, als ultima ratio ist eine
sind und sich in dieser Situation einer entsprechenden Be- extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) zu er-
urteilung entziehen. wägen.
> Hinweisend auf ein Inhalationstrauma können der
Unfallhergang, Verbrennungen im Gesichtsbereich,
22.4 Juckreiz
versengte Nasenhaare und rußhaltige Sekretion
sein.
Juckreiz nach Verbrennungen und Verbrühungen ist ein
Die Diagnose eines Inhalationstraumas wird bronchosko- weit verbreitetes Problem. Der Pruritus beginnt in der Re-
pisch gestellt. Nach Gamelli (Endorf 2007) werden vier gel in der Proliferationsphase der Wundheilung und kann
verschiedene Stadien unterteilt (7 Kap. 14). In Röntgenauf- dann einige Wochen oder auch Jahre anhalten. Chroni-
nahmen des Thorax sieht man in den ersten 24 h nach scher Juckreiz scheint eher bei Verletzungen der Extremi-
Trauma oft keine Veränderungen, die mit der Schwere des täten aufzutreten (Vitale 1991). In der Regel werden hier
Inhalationstraumas korrelieren. systemische Antihistaminika eingesetzt, die allerdings bei
Die Durchführung einer Bronchoskopie beim Patien- Monotherapie nur bei einer Minderheit der Patienten eine
ten mit Inhalationstrauma hat nicht nur diagnostische ausreichende Wirkung haben. Am weitesten verbreitet ist
Zwecke. Von der Entfernung von abgeschilfertem Epithel, die Gabe des Zweitgenerations-Antihistaminikums Cetiri-
Mukus und kleineren Fremdkörpern scheinen die Patien- zin. Um eine gute Wirkung zu erzielen, sollte eine mög-
ten durchaus zu profitieren. Speziell bei Säuglingen und lichst hohe Dosis verabreicht werden (6 Monate bis 2 Jahre:
Kleinkindern ist allerdings zu bedenken, dass ein Tubus ≤3 × 2,5 mg, 2–5 Jahre: ≤3 × 5 mg, >5 Jahre: ≤3 × 10 mg).
unter einem Innendurchmesser von 3,5–4,0 mm einer Eine Alternative ist die Gabe von Gabapentin, eines anti-
bronchoskopischen Intervention nicht zugänglich ist, da konvulsiven Wirkstoffes, der auch zur Therapie neuropa-
ein Bronchoskop mit Arbeitskanal einen Durchmesser von thischer Schmerzen eingesetzt wird. Die empfohlene Dosis
mindestens 2,8 mm hat. liegt bei 5–10 mg/kgKG zweimal täglich (Mendham 2004).
Medikamentöse Therapien bei Inhalationstrauma sind Bei therapierefraktärem Juckreiz ist bei Erwachsenen der
hauptsächlich in Tierversuchen evaluiert: Vielverspre- Einsatz von Botulinum-Toxin beschrieben (Akhtar 2012).
chend ist eine Inhalation mit β2-Mimetika, welche zu einer Zur Einschätzung der Schwere des Juckreizes ist ähn-
Verringerung der paO2/FiO2-Ratio führt (vernebeltes Ad- lich wie bei der Schmerzeinschätzung der Einsatz von
renalin oder Salbutamol jeweils als Dauerinhalation). Da visuellen Analogskalen beschrieben (McCormack 1988).
ein Inhalationstrauma eventuell auch zu einem erhöhten Dies setzt allerdings die Fähigkeit zu einer Selbsteinschät-
intra-pulmonalem Gefäßwiderstand führen kann, ist bei zung voraus und kann somit erst ab einem Alter von etwa
Oxigenierungsproblemen ein Versuch mit inhalativem vier Jahren eingesetzt werden.
Stickstoffmonoxid (NO) gerechtfertigt. Mit Beginn einer adäquaten, konsequenten Kompres-
In einigen bei Kindern durchgeführten Studien wurde sionstherapie lässt der Juckreiz schnell nach, so dass die
die Inhalation von Heparin (6 × tgl. 5000 IE in 3 ml NaCl medikamentöse Therapie in der Regel zügig reduziert und
0,9 %) und Acetylcystein (6 × tgl. 3 ml einer 20-%-Lösung) beendet werden kann.
zur Auflösung von Fibrincasts und Mukus evaluiert. Täg-
liche Kontrollen der Blutgerinnung sind dabei erforder-
lich. Ob dies zu einer Besserung führt ist aber umstritten 22.5 Prävention
(Desai 1998; Holt 2008).
Systemische Steroide sind beim Inhalationstrauma Thermische Verletzungen sind bei Kindern unter 5 Jahren
nicht indiziert; in einigen bei erwachsenen Patienten die zweithäufigste Unfallursache. Verbrühungen überwie-
durchgeführten Studien stieg hierbei die Mortalität an. gen in dieser Altersgruppe mit bis zu 80 %. Ein Großteil
Eine prophylaktische antibiotische Therapie ist ebenfalls der thermischen Verletzungen im Kindesalter geschieht im
nicht angezeigt. häuslichen Bereich. Viele dieser Unfälle ließen sich durch
Ein für ein Inhalationstrauma speziell geeigneter Beat- die Gestaltung eines kindersicheren Umfeldes vermeiden.
mungsmodus existiert nicht. Die Beatmung sollte wie un- Deshalb ist eine umfangreiche Präventionsarbeit dringend
ter 7 Abschn. 22.2.2 Beatmung beschrieben durchgeführt erforderlich. Da die meisten Kinder, insbesondere die mit

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242 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

a b

. Abb. 22.6a, b Die Initiative für brandverletzte Kinder »Paulinchen e. V.« versucht mit engagierter Aufklärungsarbeit thermischen Verlet-
zungen bei Kindern vorzubeugen

Verbrühungen, sehr jung sind, sollten Informationen und 22.7) für das Kleinkind unerreichbar abzustellen, würde
Schulungen zu dem Thema Unfallverhütung von thermi- zu einem signifikanten Rückgang der Unfallzahlen füh-
schen Verletzungen schon sehr früh an Eltern und Betreu- ren. Kinder dürfen bei offenen Flammen nie unbeaufsich-
ungspersonen herangetragen werden. Im Idealfall ge- tigt gelassen werden und auch keinen Zugang zu Feuer-
schieht dies schon in der Schwangerschaft und rund zeug und Streichhölzern haben. Heiße Gegenstände soll-
um die Geburt. Elternschulen, Familienbildungsstätten, ten generell nicht erreichbar abgestellt werden. In den
Brandschutzerzieher der Feuerwehren etc. und nicht zu- letzten Jahren finden wir eine Häufung von schweren
letzt die Initiative für brandverletzte Kinder »Paulinchen Handverbrennungen durch nicht gesicherte Kaminöfen
e. V.« versuchen mit engagierter Aufklärungsarbeit ther- (. Abb. 22.8).
mischen Verletzungen bei Kindern vorzubeugen (. Abb. Bei älteren Kindern werden die Aspekte der Aufklä-
22.6). Auch der niedergelassene Kinderarzt kann hier im rung über mögliche Gefahren (z. B. Erklettern von Zügen
Rahmen der Vorsorge-Untersuchungen wichtige Präven- und Hochspannungsmasten) und das Üben (z. B. Umgang
tionsarbeit leisten. mit Streichholz, Feuerzeug oder Feuerwerkskörper) im-
Eltern und andere Aufsichtspersonen unterschätzen mer bedeutsamer.
häufig Neugier, Tatendrang und den sich ständig erwei- Umfangreiches Informationsmaterial zu diesem The-
ternden Aktionsradius der heranwachsenden Kinder. ma bieten z. B. »Paulinchen – Initiative für brandverletzte
Während Eltern glauben, dass das Unfallrisiko für ihre Kinder e. V.« , Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-
Kinder im Straßenverkehr am höchsten und im häuslichen rung (BZgA), Bundesarbeitsgemeinschaft »Mehr Sicher-
Umfeld nur gering ist, geschehen tatsächlich 60 % aller Un- heit für Kinder e. V.« und die »Deutsche Akademie für
fälle im häuslichen Bereich und nur etwa 10 % im Straßen- Prävention und Gesundheitsförderung im Kindesalter
verkehr (Saß 2014)! e. V.« (DAPG).
22 Schon allein die Maßnahme, heiße Flüssigkeiten wie
Tassen mit Kaffee oder Tee und Wasserkocher (. Abb.

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22.6 · Besonderheiten der Rehabilitation im Kindesalter
243 22

. Abb. 22.7 Heiße Flüssigkeiten sollten so abgestellt werden, dass


Kinder sie nicht am Kabel erreichen und zu sich herunterziehen können

22.6 Besonderheiten der Rehabilitation


im Kindesalter

Auf die wesentliche Bedeutung und Durchführung von


Kompressionstherapie, Silikonanwendung und z. B. auch
Schienentherapie wird an anderer Stelle in diesem Buch
eingegangen. Es sollen jedoch hier ein paar Besonderhei-
ten beim pädiatrischen Patienten Erwähnung finden:
Die Entwicklung aktiver, hypertropher Narben ist im
Kindesalter deutlich häufiger und ausgeprägter anzutref-
fen als bei Jugendlichen und Erwachsenen.
Da viele unserer Patienten noch sehr jung sind und
schnell wachsen, bedeutet dies, dass auch häufige Ände- b
rungen – insbesondere an der Kompressionsbekleidung –
oder Neuversorgungen erforderlich sind. Deshalb ist eine . Abb. 22.8 Nicht gesicherte Kaminöfen (a) können bei Klein-
kindern zu schweren Handverbrennungen führen (b)
relativ engmaschige ambulante Nachbetreuung im Rah-
men einer Narbensprechstunde oder Verbrennungsambu-
lanz unabdingbar. Der Orthopädietechniker/Bandagist Die elterliche Therapiecompliance nach thermischen
sollte in der Versorgung schwerbrandverletzter Kinder Verletzungen ist zumeist sehr gut. Dies mag einerseits mit
spezialisiert und möglichst fester Bestandteil im Team der dem oft von Schuldgefühlen belastetem Unfallereignis zu-
stationären Behandlung und Nachsorge sein. Es müssen sammenhängen, andererseits mit dem für die Eltern schon
jeweils zwei Sätze gut sitzender, maßgefertigter Kompres- bald sichtbaren »ersten Erfolgen« der Behandlung.
sionsbekleidung vorhanden sein, um die kontinuierliche Die Lebhaftigkeit und Willensstärke, aber auch die
Kompressionsbehandlung sicherzustellen. Größenverhältnisse unserer jungen Patienten, stellen El-

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244 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

tern, Behandler und auch den Orthopädietechniker oft vor Deshalb muss ein psychologisches Unterstützungsan-
kleine und größere Herausforderungen. So kommen an- gebot von Beginn an selbstverständlich sein und kann ge-
stelle von Klettverschlüssen häufiger Haken-Ösen-Ver- gebenenfalls seelsorgerisch ergänzt werden. Im Verlauf
schlüsse z. B. bei Kopfbandagen oder Halsringen zum Ein- lässt sich klären, ob und in welchem Umfang therapeuti-
satz, da sie von den Kindern nicht geöffnet werden kön- sche Hilfen erforderlich sind.
nen. Kompressionswesten werden für den korrekten Sitz In den unterschiedlichsten Phasen von Hospitalisie-
mit Windelhaltern oder später Leistengurten gehalten. Hat rung und Rehabilitation ist es für betroffene Eltern und
man die Eltern erst einmal von der Notwendigkeit der er- Familien oft eine enorme Hilfe und Unterstützung, sich
forderlichen Maßnahmen überzeugen können, ist die Ak- mit anderen Betroffenen austauschen zu können. Hier bie-
zeptanz bei den Kindern erstaunlich gut. tet Paulinchen e. V. ein vielfältiges Angebot.
Die kindliche Hand- und Fingerverbrennung stellt auf-
grund der Proportionen eine besondere Herausforderung
dar. Der normale Kompressionshandschuh mit vier Näh- Literatur
ten pro Finger macht die Versorgung bei einer Kleinkind- Akhtar N, Brooks P (2012) The use of botulinum toxin in the manage-
hand sehr schwierig und beeinträchtigt z. T. die Effektivi- ment of burns itching: preliminary results. Burns 38:1119–23.
tät. Ein anderer Zuschnitt mit nur einer Naht pro Finger Arlati S, Storti E, Pradella V, Bucci L, Vitolo A, Pulici M (2007) Decreased
verbessert Kompression und Praktikabilität. fluid volume to reduce organ damage: a new approach to burn
shock resuscitation? A preliminary study. Resuscitation 72:371–
Sind poststationär therapeutische Maßnahmen wie
378
Krankengymnastik oder Ergotherapie erforderlich, gestal- Arturson G, Jonsson CE (1979) Transcapillary transport after thermal
tet sich die Suche nach qualifizierten Therapeuten oft injury. Scand J Plast Reconstr Surg 13:29–38
schwierig, da sie idealerweise nicht nur Erfahrung mit Kin- Barajas-Nava LA, López-Alcalde J, Roqué i Figuls M, Solà I, Bonfill Cosp
dern sondern auch Brandverletzten haben sollten. Emp- X (2013) Antibiotic prophylaxis for preventing burn wound infec-
tion. Cochrane Database Syst Rev. doi:10.1002/14651858.
fehlenswert ist eine Kontaktaufnahme zwischen dem abge-
CD008738.pub2.
benden, in der Regel sehr erfahrenen Therapeuten in der Barati M, Alinejad F, Bahar MA, Tabrisi MS, Shamshiri AR, Bodouhi NO,
Klinik und dem heimatortnah übernehmenden Kollegen. Karimi H (2008) Comparison of WBC, ESR, CRP and PCT serum
Durch den fachlichen Austausch soll vermieden werden, levels in septic and non-septic burn cases. Burns 34:770–774
dass aus Angst und Unerfahrenheit zu restriktiv behandelt Barret JP, Jeschke MG, Herndon DN (2001) Selective decontamination
wird und es zum Stillstand oder gar Rückschritt des The- oft the digestive tract in severly burned pediatric patients. Burns
27:439–445
rapieerfolges kommt.
Barrow RE, Jeschke MG, Herndon DN (2000) Early fluid resuscitation
improves outcomes in severely burned children. Resuscitation
45:91–96
22.7 Psychologische Begleitung Baxter CR, Shires T (1968) Physiological response to crystalloid resusci-
tation of severe burns. Ann N Y Acad Sci 150:874–894
Berger MM, Eggimann P, Heyland DK, Chioléro RL, Revelly JP, Day A,
Ein Unfall mit thermischen Verletzungen bedeutet für die
Raffoul W, Shenkin A (2006) Reduction of nosocomial pneumonia
betroffenen Kinder und Jugendliche, aber auch für deren after major burns by trace element supplementation: aggrega-
Familien meist eine erhebliche psychische Belastungs- tion of two randomised trials. Crit Care 10:R153
situation mit z. T. weitreichenden psychosozialen Folgen. Berger MM, Baines M, Raffoul W, Benathan M, Chiolero RL, Reeves C,
Die Narben begleiten die betroffenen Kinder lebenslang. Revelly JP, Cayeux MC, Sénéchaud I, Shenkin A (2007) Trace ele-
ment supplementation after major burns modulates antioxidant
Daher ist die Begleitung brandverletzter Kinder und ihrer
status and clinical course by way of increased tissue trace ele-
Familien durch Psychologen, Seelsorger und »Paulinchen ment concentrations. Am J Clin Nutr 85:1293–1300
– Initiative für brandverletzte Kinder e. V.« ein wichtiger Biarent D, Bingham R, Eich C, López-Herce J, Maconochie I, Rodríguez-
Teil der umfassenden Betreuung. Núñez A, Rajka T, Zideman D (2010) European Resuscitation
Posttraumatische Belastungssymptome sind in den Council Guidelines for Resuscitation 2010 Section 6. Paediatric life
ersten 4–6 Wochen nach dem Unfall normal. In 15–20 % support. Resuscitation 81:1364–1388
Bigatello LM, Kistler EB, Noto A (2010) Limitations of volumetric indi-
der Fälle kann es aber zu langfristigen, chronifizierenden
ces obtained by trans-thoracic thermodilution. Minerva Aneste-
Traumafolgestörungen kommen (Landolt 2013). Hierbei siol 76:945–949
können z. B. Unfallereignis, Schwere der Verletzung und Branski LK, Herndon DN, Barrow RE, Kulp GA, Klein GL, Suman OE,
ihrer sichtbaren Folgen, Unfallalter aber auch vorbestehen- Przkora R, Meyer W 3rd, Huang T, Lee JO, Chinkes DL, Mlcak RP,
de Belastungsfaktoren eine Rolle spielen. Seitens der Eltern Jeschke MG (2009) Randomized controlled trial to determine the
efficacy of long-term growth hormone treatment in severely
stehen oft große Schuldgefühle in Bezug auf das Unfaller-
burned children. Ann Surg 250:514–523
eignis und die »Schwächung ihrer Beschützerfunktion« im
22 oft langwierigen, schwierigen Verlauf von Klinikaufenthalt
Branski LK, Herndon DN, Byrd JF, Kinsky MP, Lee JO, Fagan SP, Jeschke
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und Rehabilitation im Vordergrund. measurements in severely burned children. Crit Care. 15:R118

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246 Kapitel 22 · Thermische Verletzungen im Kindesalter

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249 23

Operatives Management
bei Kindern
Bettina Lange, Lucas M. Wessel

23.1 Einleitung – 250

23.2 Beurteilung einer thermischen Verletzung – 251

23.3 Erstmaßnahmen – 251

23.4 Behandlungsrichtlinien – 252


23.4.1 Patientenaufnahme – 253
23.4.2 Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder – 253
23.4.3 Flüssigkeitstherapie und hämodynamisches Monitoring – 254

23.5 Lokale Therapie – 255


23.5.1 Behandlungsstrategie nach Verletzungstiefe – 255
23.5.2 Transplantation – 257
23.5.3 Mikrobiologisches Monitoring – 259

23.6 Ambulante Nachbehandlung – 259

23.7 Résumé – 260

Literatur – 260

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
250 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

23.1 Einleitung

Thermische Verletzungen stellen im Kindesalter nach Ver-


kehrsunfällen mit einer Häufigkeit von etwa 31500 pro Jahr
die zweithäufige Unfallursache dar. Von diesen thermisch
verletzten Kindern müssen jährlich etwa 6000 stationär,
etwa 1500 in Spezialkliniken und davon sogar mehr als
100 intensivmedizinisch behandelt werden (Paulinchen
e. V. 2013). Aktuell werden im Rahmen der Primärversor-
gung in den ersten vier Stunden nach dem Unfall 75 % der
betroffenen Kinder in Abhängigkeit vom Verletzungsmus-
ter in einer spezialisierten Klinik für Kinderbrandverlet-
zungen versorgt. Leider gibt es immer noch zeitlich verspä-
tete oder gar sekundäre Einweisungen in ein Zentrum, die
im Verlauf durch einen komplizierten Verlauf mit erhöhter
Morbidität und einer ausgeprägten Narbenbildung gekenn-
zeichnet sind. Trotz sachgemäßer Behandlung kann infolge
hypertropher Narbenbildung eine lebenslange Stigmatisie-
rung verbleiben, die bis ins Erwachsenenalter zahlreiche
Korrekturoperationen nach sich ziehen kann. Ziel muss
daher eine Minimierung dieser ungünstigen Verläufe sein.
Im Gegensatz zu den Erwachsenen stellt im Kindesal-
ter die Verbrühung mit heißer Flüssigkeit mit einer Häu-
figkeit von über 80 % die häufigste thermische Unfallursa-
che dar (Bruck 2002; Voßschulte 2013). Es folgen Verbren-
nungen (10 %) und Kontaktverletzungen (10 %). Unfälle . Abb. 23.1 Kindesmisshandlung: Verbrühung
infolge Strom (Lichtbogen) oder Explosion sind im Kin-
desalter sehr selten, werden jedoch bei Jugendlichen wie-
derholt im Rahmen von Mutproben auch mit letalem Aus- Teetasse streckt und sich diese dann über ihm ergießt. Kin-
gang beobachtet. Ein begleitendes inhalatives Trauma stellt der können jedoch immer auch Opfer nicht akzidenteller
im Kindesalter eine Rarität dar. In den Sommermonaten Verletzungen sein. Beim Vorliegen einer Kindesmisshand-
treten trotz intensiver Aufklärungskampagnen immer wie- lung zeigen sich häufig andere, für den Hergang typische
der schwere Grillunfälle durch den unsachgemäßen Um- Verletzungsmuster (Schiestl 2007). Ferner lassen sich die
gang Erwachsener mit Brennspiritus auf. Den häufigsten Angaben zu dem geschilderten Unfallhergang nicht mit
Unfallort stellt die häusliche Umgebung dar; Unfälle im dem vorliegenden Verletzungsmuster in Einklang bringen.
Kindergarten oder in der Schule zu Lasten der Berufsge- Häufig verstricken sich die Schutzbefohlenen bezüglich
nossenschaften sind im Kindesalter sehr selten. der Verletzungsursache in Widersprüche.
Bezogen auf das Patientenalter sind Kleinkinder unter
> Bei Kindesmisshandlung durch Eintauchen in heiße
drei Lebensjahren mit einer Unfallhäufigkeit von 75 %
Flüssigkeiten finden sich an den Extremitäten
(Demling 1989; Voßschulte 2013) am häufigsten betroffen,
strumpfförmige Verletzungsmuster mit scharfer Be-
da sie altersbedingt ihre Umwelt neugierig erkunden und
grenzung an den oberen Wundrändern (. Abb. 23.1).
Gefahren nicht wahrnehmen. Da die Haut dieser Kinder
Ebenso typisch sind flächenhafte Verletzungen der
sehr viel dünner als bei Adoleszenten und Erwachsenen ist
Gesäßregion. Kreisrunde Verbrennungsmarken durch
und die Kinder sehr klein sind, kann der flüssige Inhalt
noch glühende Zigaretten sind ebenfalls möglich
einer heißen Tasse Tee oder Kaffee bis zu 30 % der Kör-
(Jacobi 2010).
peroberfläche des Kindes mit einer drittgradigen Tiefen-
wirkung verletzen. Um ein optimales Therapieziel ohne dauerhafte Traumati-
Im Kindesalter sollte der Untersucher ein besonderes sierung bzw. Langzeitfolgen zu erreichen, muss gerade für
Augenmerk auf die Anamnese zum Unfallhergang haben. die Behandlung thermisch verletzter Kinder ein interdiszi-
In den meisten Fällen kann von den Beteiligten, häufig die plinäres Team mit entsprechender Erfahrung zur Verfü-
Eltern selbst, eine glaubhafte, plausible, akzidentelle Ursa- gung stehen (Kinderchirurg und/oder Plastischer Chirurg,
che für die thermische Verletzungen angegeben werden. So Pädiatrischer Intensivmediziner, Physiotherapeut, Ergo-
zum Beispiel, wenn sich das Kleinkind nach der heißen therapeut, Orthopädietechniker, Psychologe, Erzieher,
23
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23.3 · Erstmaßnahmen
251 23

a b

. Abb. 23.2a, b Verletzungsausmaß. a Überschätzung. b Unterschätzung

Lehrer). Die Behandlung muss fach- und kindgerecht in 23.3 Erstmaßnahmen


Kinderzentren bzw. Kinderkliniken mit einer speziellen
Expertise in der Behandlung thermischer Verletzungen im Nach einer Verbrühung ist die Gefahr in der Regel bereits
Kindes- und Jugendalter durchgeführt werden. durch den Unfallhergang selbst beseitigt, die Rettung be-
reitet keine Probleme. Bei Brandverletzungen ist primär
die Rettung aus der Gefahrenzone unter Wahrung des
23.2 Beurteilung einer thermischen Selbstschutzes wichtig (McCormack 2003). Zu den Erst-
Verletzung maßnahmen am Unfallort gehört die Überprüfung und
Sicherung der Vitalfunktionen, die Indikation zur Intuba-
Eine thermische Noxe schädigt die Haut in unterschied- tion erfolgt nach den bekannten notärztlichen Gesichts-
licher Ausdehnung sowie Tiefe und führt zum teilweisen punkten (Skinner 2002). Das klinische Gesamtbild, die
oder vollständigen Absterben derselben. betroffenen Körperabschnitte und die Ausdehnung der
Der Schweregrad einer thermischen Verletzung wird thermischen Verletzung, das Transportmittel und die zu
nach dem Ausmaß der verletzten Körperoberfläche in Pro- erwartende Transportdauer müssen berücksichtigt werden.
zent (VKOF %), der Tiefe (Grad I–IV) und Lokalisation Es folgt die Beurteilung und Dokumentation der Ver-
der betroffenen Haut bemessen. Abhängig von der Unfall- letzung, im Einzelfall die Behandlung möglicher Begleit-
ursache müssen begleitende Verletzungen wie z. B. ein In- verletzungen. Vorhandene Wunden werden steril abge-
halationstrauma, ein Stromschaden, eine toxische Schädi- deckt.
gung, Verätzungen oder Frakturen bei der Beurteilung mit Die Anlage eines venösen Gefäßzugangs zur Schmerz-
berücksichtigt werden. und Volumentherapie erfolgt im Erwachsenenalter routi-
Das Ausmaß der verletzten Körperoberfläche in Pro- nemäßig, kann jedoch im Säuglings- und Kleinkindesalter
zent wird im Kindesalter mit der Handflächenregel nach unter Notfallbedingungen eine Herausforderung für jeden
Wallace (Handfläche mit Fingern entspricht 1 % VKOF) Notarzt sein.
oder mit dem altersabhängigen Schema von Lund und Bei Kindern hat die Schmerzbehandlung oberste Prio-
Browder beurteilt (. Abb. 10.2). rität. Dazu geeignet sind Ketamin, Ketamin S, Opiate (Fen-
Die Verletzungstiefe wird altersunabhängig in Grad I tanyl oder Piritramid) in Kombination mit Midazolam.
(epidermal), Grad IIa (oberflächlich dermal), Grad IIb Die Dosierung ist abhängig von der Applikationsform und
(tief dermal), Grad III (komplett dermal) und Grad IV dem Körpergewicht des Kindes (. Tab. 22.1). Peripher
(Verkohlung) eingeteilt (. Tab. 5.1). wirksame Analgetika alleine zeigen keine ausreichende
In der Regel wird im Kindesalter die Ausdehnung der Wirksamkeit und sollten nur in Kombination mit Opiaten
Schädigung primär überschätzt, die Verletzungstiefe eher verabreicht werden (Meyer 2002).
unterschätzt (. Abb. 23.2). Vor allem nach einer Verbrü- Alternativ hat sich die Anlage eines intraossären Zu-
hung ist die Tiefe in den ersten Tagen nicht sicher zu beur- gangs in die proximale Tibia bewährt (. Abb. 23.3) (Ben-
teilen. Häufig treten bei dem gleichen Kind mehrere Stadi- jamin 2002). Die Möglichkeit der nasalen oder rektalen
en gleichzeitig mit fließenden Übergängen auf. Die Anga- Analgosedierung muss ebenfalls in Erwägung gezogen
be der Schmerzintensität allein ist im Kindesalter zur Be- werden. Zur nasalen Applikation sind im Kindesalter spe-
stimmung der Verletzungstiefe ungeeignet. zielle Nasenzerstäuber vorhanden (. Abb. 23.4). Auf intra-

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252 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

. Abb. 23.3 Intraossärer Zugang Tibia . Abb. 23.4 Zerstäuber zur nasalen Medikamentenapplikation

muskuläre oder subkutane Injektionen sollte auf jeden Fall für schwerbrandverletzte Kinder und Jugendliche koordi-
verzichtet werden, um eine weitere Traumatisierung zu niert. Ist die Zuweisung in ein Zentrum primär nicht mög-
vermeiden. lich, erfolgt sie nach der Erstversorgung zum nächstmög-
Bei einem Verletzungsausmaß <10 % VKOF ist eine lichen Zeitpunkt (Jester 2005).
Volumentherapie nicht zwingend erforderlich, auf das Während des Transports erfolgt keine Kühlung, die
Legen eines Zuganges kann daher verzichtet werden. Ein Analgesie wird fortgesetzt, die Kinder sind unbedingt vor
Volumenmangelschock kann im Kindesalter ab einem einem weiteren Wärmeverlust zu schützen (Jester 2005).
Verletzungsausmaß von >10 % VKOF auftreten, die Anla- Die Gabe von Kortison oder eine prophylaktische
ge mindestens eines venösen oder intraossären Zugangs antibiotische Therapie sind nicht indiziert.
außerhalb der Verletzungsregion ist obligat. Die Volumen-
therapie erfolgt mit isotonen, kristalloiden Lösungen
(Ringerlösung, Ringeracetat). Nach einem Bolus (20 ml/ 23.4 Behandlungsrichtlinien
kgKG) erfolgt auf dem Transport die Gabe weiterer Boli
gemäß der Klinik des Kindes (z. B. Rekapillarisationszeit). Die Indikation zur Behandlung in einem Zentrum richtet
Besonders bei kleinen Kindern sind die Aufrechterhal- sich nach dem Alter des Patienten in Verbindung mit dem
tung des Wärmehaushalts sowie der Schutz vor Hypother- Verletzungsausmaß, der Lokalisation und den Begleitver-
mie mit speziellen Rettungsfolien wichtig (Schiestl 2007). letzungen. Die Indikation zur Verlegung in ein Zentrum
Die Kühlung als Bestandteil der Primärtherapie ist im für schwerbrandverletzte Kinder folgt der Leitlinie »Ther-
Kindesalter sehr umstritten, da eine Hypothermie sehr mische Verletzungen im Kindesalter« der Deutschen Ge-
leicht und schnell entsteht. Nur kleinere Verletzungsareale sellschaft für Verbrennungsmedizin und der Deutschen
sollten zur Schmerzlinderung innerhalb der ersten Stunde Gesellschaft für Kinderchirurgie (. Tab. 23.1).
mit lauwarmem Wasser (nicht <15°C) und nicht länger als
20 min gekühlt werden.
Ziele der fach- und kindgerechten Behandlung
Bei großflächigen thermischen Verletzungen über
des brandverletzten Kindes
15 % VKOF, bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkin-
5 Überleben sichern
dern, bei intubierten und beatmeten Patienten sollte auf
5 Infektion und Sepsis vermeiden
die Kühlung grundsätzlich verzichtet werde, da die Letali-
5 Schmerzlinderung
tät bei Hypothermie signifikant steigt (Lonnecker 2001).
5 Minimierung stigmatisierender Narben
Der Krankheitsverlauf wird nachteilig beeinflusst, die
5 Wiedererlangung voller Beweglichkeit/Ermögli-
Wundheilung und ggf. Transplantateinheilung verzögert,
chen der Teilhabe
die Überlebensrate sinkt (Nguyen 2002). Jede Reduktion
5 Wiedereingliederung und Minimierung des psychi-
der Körperkerntemperatur um ein Grad Celsius ver-
schen Traumas
schlechtert die Prognose um 10 %.
In Abhängigkeit vom Schweregrad der thermischen
Verletzung wird über die Einsatzzentrale der Feuerwehr In den Anfängen der Verbrennungsmedizin war die Siche-
Hamburg (Telefon: 040/42852-3998; www.feuerwehr- rung des Überlebens der betroffenen Kinder das einzig
hamburg.org/brandbetten) der Transport in ein Zentrum anerkannte Ziel. Dieses hing stark von der Vermeidung
23
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23.4 · Behandlungsrichtlinien
253 23

. Tab. 23.1 Zuweisungskriterien in ein Behandlungszentrum für schwerbrandverletzte Kinder und Jugendliche (Deutsche Gesell-
schaft für Kinderchirurgie 2015)

Verletzungsausmaß/Begleiterkrankungen Region Therapie

Grad II >10 % VKOF Gesicht stationär in einem Zentrum für schwerbrandverletzte


Grad III >5 % VKOF Hände Kinder und Jugendliche
Grad IV unabhängig von der VKOF Füße
Genitalbereich
Inhalationstrauma
Achselhöhlen
Elektrotrauma Gelenkregion

Chemische Noxen

lokaler Wundinfektionen und einer Sepsis ab. Narbenbil- heizten Raum (35–38°C) stattfinden. Der gemessene Wert
dung wurde allgemein akzeptiert, eine spezielle Narbenbe- der Körperkerntemperatur zum Zeitpunkt der Aufnahme
handlung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht entwickelt. gilt als ein Qualitätskriterium für den Transport des
Die psychische Belastung für die Patienten und deren An- Kindes.
gehörige wurde über viele Jahre unterschätzt.
Die oben genannten Behandlungsziele können jedoch
nur erreicht werden, wenn das nekrotische Gewebe zeitge- 23.4.2 Zentrum für schwerbrandverletzte
recht abgetragen und die thermisch geschädigten Areale Kinder
mit geeigneten Transplantaten gedeckt werden. Voraus-
setzung für das Erreichen dieser Ziele sind die Beherr- Für die Behandlung thermisch verletzter Kinder muss ne-
schung und Verfügbarkeit aller notwendigen Techniken ben den baulichen Voraussetzungen qualifiziertes Personal
der plastischen Chirurgie. Die zeitliche Abfolge und der zur Verfügung stehen, um eine fach- und kindgerechte
Inhalt der einzelnen Behandlungsschritte hängen vom Versorgung zu gewährleisten (Deutsche Gesellschaft für
Allgemeinzustand des Kindes ab und werden im Team Kinderchirurgie 2015). Die psychische Belastung ist für
festgelegt. Zu berücksichtigen sind das Patientenalter, die alle Beteiligten (Patienten, Angehörige, Fachpersonal)
Art der thermischen Verletzung, der infektiologische Zu- umso größer, je kleiner das Kind und dramatischer die
stand der Wunden, die aktuelle Abwehrlage des Kindes Umstände des Unfalls waren. Um Hektik und Stress zu
und nicht zuletzt das Vorhandensein eines systemischen vermeiden, muss gerade zu Beginn eine ruhige, sachliche
inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS). Längere und große Kompetenz vermittelnde Atmosphäre herge-
Nüchternzeiten für Verbandswechsel müssen vermieden stellt werden.
werden.
> Empathischer Umgang mit allen Beteiligten stellt
die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie dar.
Weitere physische und psychische Traumatisierun-
23.4.1 Patientenaufnahme
gen sind unbedingt zu vermeiden (Flatten 1999).

Säuglinge und Kleinkinder besitzen bezüglich ihrer Ther- Die leitenden Ärzte eines pädiatrischen Schwerbrandver-
moregulation eine deutlich geringere Kompensationsmög- letztenzentrums verfügen über eine mehrjährige Erfah-
lichkeit, die sich erst mit zunehmendem Alter bessert. rung in der Behandlung schwerbrandverletzter Kinder.
Wird die Gefahr der Unterkühlung nicht beachtet, kom- Das ärztliche Team muss eine langjährige Erfahrung in der
men gerade kleine Kinder in Abhängigkeit von den Be- intensivmedizinischen und chirurgischen Behandlung
gleitumständen des Unfalls mit einer relevanten Hypother- thermischer Verletzung im Kindesalter aufweisen. Eine
mie zur Aufnahme. Fand die Verletzung im Freien statt Kinderanästhesie mit qualifizierten Ärzten und Pflegeper-
und ist die Außentemperatur bei leichter Bekleidung ge- sonal muss etabliert sein und zum Wohle des Kindes ihre
ring, kühlen die Kinder rasch aus. Gleiches gilt, wenn in speziellen Erfahrungen in der altersspezifischen Anästhe-
guter Absicht ein thermisch verletztes Kind zur Kühlung sie und Schmerztherapie adäquat einbringen. Das Pflege-
unter eine Dusche gestellt oder in einer Badewanne gelegt personal setzt sich idealerweise aus Kinderkrankenschwes-
wird. Infolgedessen sollte die Aufnahme des Kindes nach tern und -pflegern zusammen. Das Team wird ergänzt
den Kriterien der Leitlinie der Fachgesellschaft für Ver- durch Physio- und Ergotherapeuten (Simons 2003), Or-
brennungsmedizin standardisiert in einem bereits vorge- thopädietechniker, Kinderpsychologen, Seelsorger und

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254 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

te Oberfläche in der Regel überschätzt, die Tiefe der Wun-


den anfangs immer unterschätzt. Dies trifft vor allem bei
Säuglingen bzw. Kleinkindern mit einer Verletzung durch
heiße Flüssigkeit zu. In der Regel weisen Verbrühungen zu
Beginn eine Rötung mit Blasenbildung auf rotem Unter-
grund auf, die als Zeichen der oberflächlich zweitgradigen
Verletzung (Grad IIa) zu bewerten ist. Die wahre Tiefen-
ausdehnung zeigt sich erst im Laufe der folgenden 6–9 Tage
mit Ausbildung einer tiefergradigen Nekrose im Sinne
einer tiefen zweit- oder drittgradigen Verletzung (Grad IIb–
III). Infolgedessen wird der Flüssigkeitsbedarf gerade in der
Anfangsphase zu hoch berechnet, da die betroffene Kör-
peroberfläche falsch eingeschätzt wird. Mithilfe software-
gestützter Computerprogramme kann für Erwachsene
. Abb. 23.5 Verbrühung der behaarten Kopfhaut die Oberfläche anhand dreidimensionaler Körpermodelle
exakter berechnet werden (Haller 2009). Für Kinder und
Jugendliche fehlen hierzu jedoch noch altersentsprechende
den Sozialdienst. Auf die Möglichkeit der Einbindung Modelle, weshalb belastbare Zahlen außerhalb von Studien
von Selbsthilfegruppen wird selbstverständlich immer hin- noch nicht zur Verfügung stehen (Lange 2012).
gewiesen (Scheler 2002). Die Beschäftigungstherapie mit Der Flüssigkeitsbedarf nach einer thermischen Verlet-
einer Erzieherin rundet das Angebot ab (Pedretti 2001). zung wird für Kinder mit der modifizierten Parkland-For-
Neben der Erstversorgung, Anamnese, Eingangsunter- mel (Hennenberger 1995; Cartotto 2002) berechnet und
suchung und Dokumentation müssen zeitgleich alle not- berücksichtigt den körpergewichtsabhängigen (KG)
wendigen intensivmedizinischen Maßnahmen eingeleitet Grundbedarf des Kindes (≤10 kg: 100 ml/kgKG/d, ≤20 kg:
werden. Bei Verletzungen im Gesichtsbereich wird initial 80 ml/kgKG/d, >20 kg: 40 ml/kgKG/d). Umso kleiner und
ein Augenarzt zum Ausschluss einer begleitenden Cornea- leichter das Kind, umso höher ist der Grundbedarf. Das
verletzung hinzugezogen. Bei Verletzungen im Bereich der verletzungsbedingte Zusatzvolumen wird mit Hilfe der
behaarten Kopfhaut sollte zur vollständigen Beurteilung verletzten Körperoberfläche (VKOF) in Prozent (%) und
und Versorgung der Wunde sowie aus hygienischen Grün- einem vom Tag der Verletzung abhängigen Multiplikator
den primär großzügig die Indikation zur Rasur der gesam- bestimmt.
ten behaarten Kopfhaut gestellt werden (. Abb. 23.5).
> Berechnung des zusätzlichen Volumenbedarfs zum
Die frühzeitige enterale Ernährung verhindert die bak-
Grundbedarf:
terielle Translokation aus dem Darm in die Wundflächen.
5 Tag 1: + 4 ml/kgKG × VKOF %
Eine grundsätzliche antibiotische Therapie wirkt kontra-
5 Ab Tag 2: + 1 ml/kgKG × VKOF %
produktiv und leistet der Wundbesiedlung mit multiresis-
tenten Erregern Vorschub. Antibiotika kommen nur ge- Als Infusionslösung kommen im Kindesalter in den ersten
zielt, bei nachgewiesenen septischen Komplikationen und 24 h isotone, kristalloide Lösungen zur Anwendung. Als
angepasst an das Antibiogramm zum Einsatz. Die Vermei- Infusionslösung hat sich vor allem Ringeracetat durchgesetzt.
dung einer Infektion zeigt günstige Einflüsse bezüglich der Übliche Ringerlösungen enthalten Laktat, nach thermischer
Narbenbildung und des Überlebens. Verletzung kann jedoch Acetat ohne gewichtige Verschie-
Eine physio- bzw. ergotherapeutischen Behandlung bung der Homöostase verstoffwechselt werden. Nur bei pro-
beginnt so früh wie möglich, um den vollen Bewegungs- trahiertem Schock oder früher chirurgischer Versorgung
umfang zu erzielen. kommen auch in der Initialphase nach strenger Indikations-
stellung zusätzlich hypertone, saline Lösungen zur Anwen-
dung (7 Kap. 14). In den ersten 24 h nach dem Trauma wer-
23.4.3 Flüssigkeitstherapie und den 50 % des Volumens innerhalb der ersten 8 h infundiert.
hämodynamisches Monitoring Die Steuerung der Volumengabe erfolgt nach der Diurese
mit einer Zielgröße von >1 ml Urin/kgKG/h.
Flüssigkeitssubstitution Die enterale Ernährung sollte ab dem ersten Tag mit
Voraussetzung für die korrekte Berechnung des Flüssig- mehreren kleinen Mahlzeiten erfolgen, um septische Kom-
keitsregimes ist die genaue Bestimmung der verletzten Kör- plikationen infolge einer bakteriellen Translokation aus
peroberfläche und Verletzungstiefe (Hennenberger 1995). dem Darm zu vermeiden. Abhängig vom Zustand des Kin-
Aufgrund der Größe des Kindes wird die thermisch verletz- des kann diese oral oder über eine enterale Sonde erfolgen.
23
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23.5 · Lokale Therapie
255 23
Bei notwendiger Intubation erfolgt die enterale Ernährung 23.5 Lokale Therapie
über eine Magensonde. Eine grundsätzliche antibiotische
Therapie wirkt kontraproduktiv und leistet der Wundbe- Alle Verbandwechsel müssen unter aseptischen Bedin-
siedlung mit multiresistenten Erregern Vorschub. gungen und für das Kind schmerzfrei in Narkose oder
zumindest in tiefer Analgosedierung durchgeführt wer-
> Antibiotika kommen nur gezielt bei nachgewiesener
den. Periphere Schmerzmittel sind für die ersten Ver-
septischer Komplikation und angepasst an das
bandswechsel nicht ausreichend, da in der Regel die Ver-
Antibiogramm zum Einsatz. Die Vermeidung einer
bände zu stark anhaften und das Lösen des Verbandsma-
Infektion zeigt günstige Einflüsse bezüglich der
terials von den Kindern als sehr schmerzhaft empfunden
Narbenbildung und des Überlebens.
wird. Die früher durchgeführten Verbandswechsel in der
Der Nährstoffbedarf hängt vom Alter und Gewicht des be- Badewanne sind seit Jahren aufgrund ihrer Schmerzhaftig-
troffenen Kindes ab und muss stets individuell berechnet keit verlassen worden.
werden. Ab dem 1. bis zum 11. Lebensjahr muss von einem Aktuell werden die Verbandswechsel bei Kindern
Grundbedarf von 1800 kcal/m2 KOF und einem Zusatz grundsätzlich in tiefer Analgosedierung mit Ketanest in
von 1300 kcal/m2 VKOF ausgegangen werden (7 Kap. 14). Verbindung mit einem Benzodiazepin, meistens Midazo-
Bei schwerbrandverletzten Kindern sollte 8–10 Tage lam, durchgeführt. Bei kleinen Kindern wählt man den
nach dem Trauma bei Tachykardie zur Reduktion der rektalen (. Abb. 23.6), bei größeren den venösen Zugang.
Herzfrequenz und Prophylaxe eines Abbaus der Körper- Bei ausreichender Compliance kann im Verlauf auf die
substanz die medikamentöse Therapie mit einem β-Blocker Analgesie mit einem festen Lachgas-Sauerstoffgemisch
berücksichtigt werden (Herndon 2012). (50 %/50 %) zurückgegriffen werden (Lange 2012). Vor-
aussetzung für eine erfolgreiche Schmerzbehandlung ist
Hämodynamisches Monitoring ein ausreichendes Alter, um selbst bis zum Wirkungsein-
Zu Beginn ist bei allen Kindern ein sicherer venöser Zu- tritt die Maske halten und das Gemisch tief einatmen zu
gang zur Flüssigkeitssubstitution und parenteralen Ernäh- können (. Abb. 23.7). Eine zu tiefe Sedierung mit Atem-
rung von großer Bedeutung. Handelt es sich um großflä- insuffizienz kann so vermieden werden. Schmerzhafte
chige und/oder tiefe Verletzungen, wird die Anlage eines Prozeduren wie Wunddébridement mit Blasenabtragung
zentralen Venenkatheters (ZVK) notwendig, um gleichzei- oder gar eine Nekrektomie können mit dieser Methode
tig den zentralen Venendruck (ZVD) messen zu können. jedoch nicht behandelt werden.
Eine Gewichtszunahme von mehr als 10 % in den ersten
24–48 h sollte stets vermieden werden.
Zur Überwachung der Urinausscheidung wird im Be- 23.5.1 Behandlungsstrategie
darfsfall bei Aufnahme ein transurethraler oder alternativ nach Verletzungstiefe
suprapubischer Blasenkatheter gelegt. Nur über ein eng-
maschiges Monitoring der Urinausscheidung kann die Bei einer thermischen Verletzung Grad I handelt es sich
ideale Infusionsmenge bestimmt werden (Benjamin u. um eine reine Rötung der Haut ohne Blasenbildung. Die
Herndon 2002). Grundsätzlich muss jedoch berücksichtigt Behandlung erfolgt grundsätzlich konservativ. Die Wun-
werden, dass das Risiko einer nosokomialen Infektion über
die transurethrale Harnableitung die Vorteile eines lebens-
notwendigen Monitorings nicht überschreiten darf.
Bei schwerbrandverletzten Kindern kann zur Verbes-
serung der Diurese und Reduktion der Ödeme in den
ersten 24 h nach dem Trauma die hochdosierte Gabe
von Vitamin C (66 mg/kgKG/h) erwogen werden (Tanaka
2000).
Blutbild, Blutgase, Gerinnung, Elektrolyte, Osmolalität
und Serumproteinwerte sind regelmäßig zu überprüfen,
die Blutgruppe ist zu bestimmen. Vor geplanten chirurgi-
schen Interventionen muss die Notwendigkeit einer Blut-
transfusion abgewogen und erforderliche Blutkonserven
bereitgestellt werden. Abhängig vom Alter und Zustand
des Kindes kann der Hb auch bis auf 6 g/dl absinken; je-
doch nicht bei Säuglingen, die noch eine Trimenon-Anä-
mie aufweisen. . Abb. 23.6 Rektale Analgosedierung

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256 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

. Abb. 23.8 Silberhaltiger Hydrokolloidverband

Kontamination der Wunden. Tägliche Verbandwechsel


sind somit nicht erforderlich und werden erst 2–4 Tage mit
Sättigung der Hydrokolloidverbände notwendig.
Alternativ besteht die Möglichkeit, polihexanidhaltiges
Makrogol als Gel auf fetthaltigen Gazen aufzubringen.
Diese nichtokklusiven Verbände müssen jedoch täglich
gewechselt werden.
Silbersulfadiazincreme (Flammazine) sollte im Kin-
desalter gerade bei großflächigen thermischen Verletzun-
gen nicht mehr zur Anwendung kommen. Sie wird zwar als
. Abb. 23.7 Inhalative Analgesie (Lachgas) angenehm kühlend empfunden, durch den Silberanteil ist
eine gute antibakterielle Wirkung gegeben. Von Nachteil
ist jedoch die Notwendigkeit der täglichen Verbandwech-
den werden sorgfältig mit einer antiseptischen, nichtalko- sel, die durch das Auftragen der Salbe schmerzhaft, auf-
holischen Lösung (Octenidin 3,5 %, Taurolidin 0,5 % oder wendig und zeitintensiv sind.
Polyhexanid) gereinigt. Als weitere Maßnahme ist die lo- Problem der exakten Beurteilung zweitgradig thermi-
kale Behandlung mit einer fetthaltigen Salbe ggf. in Ver- scher Verletzungen sind die im Verlauf zusätzlich auftre-
bindung mit einem lockeren Gazeverband ausreichend. tenden Nekrosen, die eine initiale Abgrenzung zu Ver-
Auch eine thermische Verletzung Grad IIa wird grund- letzungen Grad IIb unmöglich machen. Infolgedessen ist
sätzlich konservativ behandelt. Die Wundreinigung mit die unmittelbare Anwendung von Matrices (Suprathel) in
oberflächlichem Débridement aller Blasen erfolgt in Anal- aller Regel nicht sinnvoll, da diese aufgrund der sich ent-
gosedierung oder Narkose unter aseptischen Bedingun- wickelnden Nekrose nach wenigen Tagen wieder komplett
gen. In der Regel lässt sich das Débridement durch eine verloren geht.
Kombination aus mechanischer Entfernung und Reini- Verletzungen Grad IIa heilen infektfrei problemlos mit
gung mit antiseptisch getränkten Kompressen problemlos den unterschiedlichen Verbandanordnungen und hinter-
erreichen. Um eine weitere Auskühlung zu vermeiden, lassen im Normalfall bei guter Pflege keine Narben. In aller
sollte die verwendete antiseptische Lösung unbedingt auf Regel reichen Hydrokolloidverbände aus, nach Reepitheli-
Körpertemperatur erwärmt sein. Für die anschließende alisierung erfolgt die Pflege mit rückfettenden Salben.
Versorgung stehen zahlreiche Verbandmodalitäten zur Bei der tiefen zweitgradigen Verletzung Grad IIb rei-
Verfügung. Aufgrund eigener Erfahrungen hat sich die chen die Nekrosen bis in die Dermis, so dass die Entfer-
Verwendung silberimprägnierter Hydrokolloidverbände nung der abgestorbenen Hautanteile zum richtigen Zeit-
mit okklusiver Abdeckung der Wunden bewährt (. Abb. punkt von eminenter Bedeutung ist. Im Gegensatz zu Er-
23.8). Austretende Wundflüssigkeit wird vom Hydrokollo- wachsenen sollte die Nekrektomie nie epifaszial und vor
idverband aufgenommen, der Flüssigkeitsverlust über die allem nie zu früh durchgeführt werden. Da die meisten
Wunden wird stark reduziert, die Silberimprägnierung thermischen Verletzungen durch Verbrühungen verur-
wirkt nachweislich antiseptisch und verhindert eine rasche sacht sind, bleiben die Haarfollikel und Schweißdrüsen in
23
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23.5 · Lokale Therapie
257 23
aller Regel erhalten, so dass eine zu frühe und zu tiefe fen Defekten führen, die durch eine verlängerte konserva-
Nekrektomie die Regeneration der Hautanhangsgebilde tive Therapie mit eindeutiger Demarkierung vermeidbar
unmöglich macht. Daher muss so lange Geduld geübt wer- sind. Nach exakter Beurteilung der Verbrennungstiefe
den, bis die Demarkierung der Nekrosen klar erkennbar wird eine tangentiale oder epifasziale Nekrektomie durch-
ist. Dies ist im Fall einer Verbrennung nach dem 8. und geführt. Anschließend erfolgt direkt, bei sehr großen De-
einer Verbrühung zwischen dem 9. und 12. Tag vollzogen. fekten zweizeitig nach Konditionierung der Wunde oder
Fortschritte werden hier durch die Anwendung der Laser- passagerer Deckung mit biosynthetischen Folien die Spalt-
Doppler-Bildgebung erwartet, aktuell fehlen jedoch Evi- hauttransplantation.
denz basierte Daten (Holland 2002). Bei einer thermischen Verletzung Grad IV ist es zu
Mittels tangentialer Nekrektomie werden die verletz- einer Verkohlung mit Begleitverletzung benachbarter Mus-
ten Hautanteile bis in punktuell blutende Dermisanteile keln und/oder Knochen gekommen. Die Entfernung dieser
entfernt. Nur bei eindeutiger Tiefenzuordnung wird im verletzten Strukturen ist absolut erforderlich. Die Deckung
Kindesalter eine frühzeitige tangentiale Exzision durchge- erfolgt mit autologer Spalt- oder Vollhaut. Die Anwendung
führt. Die tangentiale Nekrektomie wird in der Regel mit eines allogenen Ersatzes für die Subkutis sollte gerade an
dem Handdermatom (Weckmesser) durchgeführt. Dabei kosmetisch exponierten Stellen erwogen werden.
ist es wichtig, die Dermis so oberflächlich wie möglich von
Nekrosen zu befreien, um Restdermis zu erhalten. Für das
kosmetische Ergebnis hat dieses Vorgehen große Bedeu- 23.5.2 Transplantation
tung. Hilfreich kann die Nekrektomie mit dem Hydrochi-
rurgiesystem (Versajet) sein, das Nekrosen über einen Bei thermischen Verletzungen dritten und vierten Grades
Hochgeschwindigkeitswasserstrahl mit steriler Kochsalz- an den Extremitäten oder am Hals bzw. Rumpf, die min-
lösung entfernt. Allerdings darf das Verfahren nicht zu destens zwei Drittel der Zirkumferenz betreffen oder zir-
lange und kräftig an derselben Stelle eingesetzt werden, da kulär sind, ist häufig notfallmäßig die Escharotomie erfor-
sonst unnötige Dermisdefekte entstehen, die das kosmeti- derlich, um einen durchblutungsgefährdenden Gewebe-
sche Ergebnis erheblich beeinträchtigen. druck zu vermeiden. Dabei wird die geschädigte Haut
Im Anschluss an eine tangentiale Nekrektomie mit er- mittels definierter Schnittführung durchtrennt. Das
haltener Dermis ist die Deckung mit einer Polylaktid-Ma- Durchtrennen des gesamten subkutanen Fettgewebes bis
trix (Suprathel) sehr sinnvoll. Unterhalb der Matrix kommt auf die Muskulatur ist nicht notwendig. Die Schnittfüh-
es zu einer raschen Epithelialisierung und somit Abheilung rung erfolgt nach funktionellen Gesichtspunkten. Die
der Wunden. Voraussetzung ist die komplette Nekrekto- Durchblutung ist anschließend regelmäßig zu kontrollie-
mie. Belassene Nekrosen lassen die Matrix wieder ab- ren. Bei Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom erfolgt
schwimmen, das Risiko einer Wundinfektion steigt. Um nach primärer Stabilisierung des Patienten zusätzlich eine
die Zahl der notwendigen Verbandswechsel und somit die Fasziotomie in üblicher Weise.
Dauer des stationären Aufenthaltes zu verringern, ist bei Zur Spalthautentnahme wird im Kindesalter der Kopf
erfolgloser Anwendung von Matrices die Spalthauttrans- bevorzugt (Schiestl 2007). Aufgrund der Größe des kind-
plantation mit einem besseren kosmetischen Ergebnis die lichen Kopfes, seiner Kugelform verbunden mit einer gro-
Methode der Wahl. ßen Oberfläche und der im Verlauf nicht sichtbaren Hypo-
Bei der thermischen Verletzung Grad III sind alle pigmentierung der Entnahmestelle nach Wiedereinsetzen
Hautschichten betroffen mit komplettem Untergang der des Haarwachstums (. Abb. 23.9), bietet die behaarte
Haut. Die Ursache für die Verletzung muss sehr wohl un-
terschieden werden. Handelt es sich um eine Flammverlet-
zung, wie nach einem Hausbrand oder einen Grillunfall,
sollte eine frühzeitige Nekrektomie angestrebt werden. Die
Verbrennung durch Feuer führt in der Regel zu einer kom-
pletten drittgradige Verbrennung, die nur in den Randbe-
reichen zweitgradige Anteile aufweist. Die frühe Nekrek-
tomie kann die Reaktion des Gewebes mit Ausschüttung
der Entzündungsmediatoren rascher und früher eindäm-
men. Schwieriger ist die Lage bei Kindern nach Verbrü-
hung mit heißer, fetthaltiger Flüssigkeit wie Milch oder
Fritteusenfett. Bei diesen Fettverbrennungen wechseln
sich Bereiche zweit- und drittgradiger Verbrennung ab. . Abb. 23.9 Spalthautentnahme am Bein: postoperative Pigment-
Eine frühzeitige Nekrektomie würde unweigerlich zu tie- störung

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258 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

. Abb. 23.10 Spalthautentnahme am Kopf: Markierung der Haar- . Abb. 23.11 Haarwachstum nach Spalthautentnahme am Kopf
grenze

Kopfhaut entscheidende Vorteile. Vor der vollständigen


Rasur des Kopfes muss die Haargrenze markiert werden
(. Abb. 23.10). Nach der Desinfektion der Kopfhaut wird
diese zur Blutstillung mit einem Gemisch aus NaCl 0,9 %
und Suprarenin (1:200.000 I.E.) unterspritzt. Die Trans-
plantatdicke sollte 0,2 mm nicht überschreiten.
Nach Entnahme der autologen Spalthaut erfolgt die
Blutstillung mit warmen oder vasokonstriktorisch wirken-
den Medikamenten auf getränkten Kompressen (z. B. Ge-
misch aus NaCl 0,9 % und Suprarenin 1:40000 I.E.). Es
folgt die Abdeckung mit einer biosynthetischen Membran
oder einer Gaze sowie Fixierung mittels Kopfverband.
Nach Abheilung mit Wiedereinsetzen des Haarwachs-
tums ist eine erneute Spalthautentnahme jederzeit möglich
(. Abb. 23.11). Weitere kosmetisch günstige Entnahme- . Abb. 23.12 Transplantation ungemeshter Spalthaut am Hals
stellen sind der seitliche Brustkorb, proximale Oberschen-
kel und die Gesäßregion.
Ausreichend vorhandene Spalthaut sollte im Kindesal- Zur Deckung größerer Verletzungsareale wird auch im
ter aus kosmetischen Gründen ungemesht transplantiert Kindesalter die Aufarbeitung der Spalthaut mit der Meek-
werden (. Abb. 23.12). Zu den bevorzugten Regionen ge- Technik in einem Verhältnis 1:2 bis 1:6 angewendet. Die
hören das Gesicht, der Hals, das Dekolletee und die Brust aufgearbeitete Spalthaut wird auf Trägerfolien aufgebracht,
sowie Hände und Füße. Zur Drainage von Blut und Wund- die nach etwa 7 Tagen entfernt wird.
sekret können die Transplantate sparsam gestichelt (skari- Autologe Keratinozytenkulturen können als Sheets
fiziert) werden. oder Suspension hergestellt werden (Schiestl 2007). Dazu
Die Spalthauttransplantate werden abschließend mit werden etwa 2×2 cm2 Spalthaut entnommen. Die Sheets
Nähten, Klammern oder Fibrinkleber fixiert. Im Kindesal- werden auf eine Trägerfolie aufgebracht, die Suspension
ter erfolgt zur sicheren Transplantateinheilung in gelenk- direkt auf die Wunde gesprüht. Beide Verfahren eignen
übergreifenden Regionen großzügig die Ruhigstellung auf sich besonders zur Defektdeckung nach Dermisersatz. Bis-
Schienen für 5–7 Tage (Walters 1987; Sturzenegger 1996; her fehlen jedoch evidenzbasierte Daten.
Coppard 2007). Allogene Spalthaut dient dem temporären Wundver-
Bei einer großflächigen Verletzung muss zur vollstän- schluss. Sie ist kommerziell als Leichenhaut von Organ-
digen Deckung die Spalthaut durch Mesh-Technik expan- spendern bei großflächigen Verletzungen, infizierten
diert werden. Im Kindesalter sollte aus kosmetischen Wunden oder instabilen Patienten zu erwerben und wird
Gründen ein Verhältnis 1:1,5 bis 1:3 nicht überschritten zur Defektdeckung im Sinne eines sequenziellen Vorge-
werden. hens verwendet. Die Abstoßung der allogenen Transplan-
23
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23.6 · Ambulante Nachbehandlung
259 23
tate wird nach 10–20 Tagen beobachtet, in dieser Zeit ha-
ben sich bereits verwendete Spenderareale erholt, sodass
eine weitere Defektdeckung mit autologer Spalthaut oder
autologen Keratinozytenkulturen möglich ist.
Bei Verbrennungen Grad III kann zusätzlich zur Spalt-
hauttransplantation vor allem im Bereich von Gelenken
und der Halsregion, aber auch über freiliegenden Sehnen
oder Knochen (Bridge-Effekt) ein allogener Dermisersatz
ein- oder zweizeitig verwendet werden. Ziel ist eine funk-
tionell und ästhetisch bessere Narbenbildung.
Bei thermischen Verletzungen Grad III im Bereich von
Handfläche und Fußsohle hat sich die Defektdeckung mit
Vollhaut bewährt (Luce 2000). Diese kann von der Retro-
aurikularregion, der Ellenbeuge oder Leiste entnommen
werden. Bei letzterer muss im Kindesalter bei der Entnah-
me die spätere Schambehaarung berücksichtigt werden.

23.5.3 Mikrobiologisches Monitoring

Das mikrobiologische Monitoring wird in Abhängigkeit


vom Lokalbefund regelmäßig durchgeführt. Eine antibio-
tische Behandlung ist nur bei nachgewiesener Infektion
der Wundflächen gezielt nach Abstrich und gemäß Anti-
biogram durchzuführen.

23.6 Ambulante Nachbehandlung

Wird das Kind aus der stationären Behandlung entlassen,


ist es sehr wichtig, den Eltern langfristig ein verbindliches . Abb. 23.13 Kompressionskleidung nach Maß: Armstrumpf

Konzept für die Nachbehandlung an die Hand zu geben.


Ambulante Kontrollen müssen in Abhängigkeit vom Aus-
maß der Verletzung in einer Spezialsprechstunde engma-
schig und regelmäßig erfolgen. Wünschenswert ist die
Fortsetzung der Behandlung durch dasselbe Behand-
lungsteam, um lückenlos die Therapie fortsetzen zu kön-
nen und das bei Kindern und Eltern gewonnene Vertrauen
zu stärken.
Die behandelnden Ärzte müssen bei den Kontrollun-
tersuchungen unbedingt sicherstellen, dass alle angeord-
neten Therapien von den Eltern wahrgenommen werden
(Ward 1991). Besonders Familien in schwieriger Lebenssi-
tuation müssen unterstützt werden. Die Nachsorge bein-
haltet unter anderem die Pflege, den UV-Schutz und ggf.
erforderliche operative Korrektureingriffe (Berman 1996).
Darüber hinaus muss maßgefertigte Kompressionsklei- . Abb. 23.14 Kontrolle des effektiven Kompressionsdrucks
dung beurteilt werden (. Abb. 23.13), da aufgrund des
Wachstums der Kinder diese regelmäßig an die Entwick-
lung der Kinder angepasst und der effektiv wirkende Kom- Familien müssen immer wieder bestärkt werden, die The-
pressionsdruck (. Abb. 23.14) überprüft werden muss rapien konsequent durchzuführen, denn nur so ist eine
(Gallagher 1992). Ergänzend kommen Silikonprodukte optimale Narbenfunktion und ein optimales Narbenbild
zum Einsatz (Van den Kerckhove 2001; Ziegler 2004). Die (Cubison 2006) zu erreichen.

marcus.lehnhardt@rub.de
260 Kapitel 23 · Operatives Management bei Kindern

Während der gesamten Behandlungs- und Rehabilita- Cubison TC, Pape SA, Parkhouse N (2006) Evidence for the link be-
tionszeit können posttraumatische psychosoziale Lang- tween healing time and the development of hypertrophic scars
(HTS) in paediatric burns due to scald injury. Burns 32(8):992–999
zeitfolgen durch ein Netzwerk psychosozialer Interventio-
Demling RH, LaLonde C (1989) Burn Trauma. Thieme Verlag, New York
nen nachhaltig reduziert werden. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (2015) Thermische Verlet-
zungen im Kindesalter (Verbrennung, Verbrühung). AWMF-Leit-
linienregister (006/128). http://www.awmf.org/uploads/tx_sz-
23.7 Résumé leitlinien/006-128l_S2K_Thermische_Verletzungen_Kinder_
2015-04.pdf
Flatten G (1999) Das Besondere traumatischen Erlebens. Die posttrau-
Das Notfallmanagement und die stationäre Behandlung matische Belastungsstörung. Paulinchen S 25–28
brandverletzter Kinder sind in den vergangenen 10 Jahren Gallagher JM, Kaplan S, Maguire GH, Leman CJ, Johnson P, Elbaum L
deutlich verbessert worden, nicht zuletzt durch eine noch (1992) Compliance and durability in pressure garments. J Burn
immer nicht ausreichende Erhöhung der Betten zur Inten- Care Rehabil 13(2 Pt1): 239–243
sivtherapie in spezialisierten Kliniken. Ergänzend zu die- Haller HL, Dirnberger J, Giretzlehner M, Rodemund C, Kamolz L (2009)
»Understanding burns«: research project BurnCase 3D – over-
ser etablierten Versorgung in Zentren für schwerbrandver-
come the limits of existing methods in burns documentation.
letzte Kinder und Jugendliche wird durch den Arbeitskreis Burns 35(3):311–317
»Das schwerbrandverletzte Kind« in Zusammenarbeit mit Hennenberger A, Partecke BD (1995) Therapie des schwerbrand-
der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e.V. verletzten Kindes aus pädiatrisch-intensivmedizinischer Sicht.
eine zusätzliche Zertifizierung zur Einrichtung speziali- Unfallchirurg 98:193–197
Herndon DN, Rodriguez NA, Diaz EC, Hegde S, Jennings K, Mlcak RP,
sierter Kliniken vorbereitet. Ein nach wie vor ungelöstes
Suri JS, Lee JO, Williams FN, Meyer W, Suman OE, Barrow RE,
Problem stellt die poststationäre Rehabilitation der Kinder Jeschke MG, Finnerty CC (2012) Long-term propranolol use in
gemeinsam mit ihren Eltern dar. Neben der ambulanten severely burned pediatric patients: a randomized controlled
Versorgung sind wiederholte Behandlungen unter statio- study. Ann Surg 256(3):402–411
nären Bedingungen erforderlich. Die Kostenübernahme Holland AJ, Martin HC, Cass DT (2002) Laser Doppler imaging predic-
tion of burn wound outcome in children. Burns 28(1):11-7Jacobi
für eine solch intensive Behandlung wird jedoch häufig
G, Dettmeyer R, Banaschak S, Brosig B, Herrmann B (2010) Child
nur nach sehr aufwendigen Prozeduren durch die Kran- abuse and neglect – diagnosis and management. Dtsch Arztebl
kenkasse genehmigt. Die »ideale Nachsorge« gibt es im Int 107(13): 231–240
Kindesalter nicht, da altersspezifische Einrichtungen nicht Jester I, Jester A, Demirakca S, Waag KL (2005) Notfallmanagement bei
existieren und das erforderliche Kostenvolumen von kei- der Primärversorgung kindlicher Verbrennungen. Intensivmed
nem Kostenträger übernommen wird. Dies ist umso ärger- 42:60–65
Lange B, Kraft N, Wessel LM (2012) Bestimmung der betroffenen
licher, da Kinder lebenslang durch die Folgen thermischer
Körperoberfläche im Rahmen einer thermischen Verletzung im
Verletzungen stigmatisiert und bedingt durch das körper- Kindesalter-Konventionelle Methoden versus BurnCase 3D.
liche Wachstum wiederholt operative Korrekturmaßnah- Medical Science GMS Publishing House; Doc12dgch6493
men erforderlich sind. Langfristig verursachen Kinder bei Lange B, Wessel LM (2012) Schmerzkonzept einer kinderchirurgischen
inadäquater »Rehabilitation« volkswirtschaftlich höhere Klinik: Stellenwert eines 50 %igen Lachgas-Sauerstoff-Gemisches-
eigene Erfahrungen und Literaturübersicht. Monatsschrift Kinder-
Kosten als ein Erwachsener. Daher wäre zum Schutz der
heilkunde 3:244–250
nachwachsenden Generation die Einrichtung einer effizi- Lonnecker S, Schoder V (2001) Hypothermia in patients with burn
enten, wenn auch kostenträchtigen Rehabilitation im Kin- injuries: influence of prehospital treatment. Chirurg 72:164–167
desalter mit zertifizierten Rehabilitationszentren eine Luce EA (2000) The acute and subacute management of the burned
sinnvolle Investition in die Zukunft (Schuntermann 2005). hand. Clin Plast Surg 27(1):49–63
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263 24

Besonderheiten im Alter
Henrik Menke

24.1 Einleitung – 264

24.2 Risikofaktoren und Komorbidität – 264

24.3 Unfallort und Verbrennungsursache – 265

24.4 Verbrennungsausmaß und Verbrennungstiefe – 265

24.5 Therapieaufwand – 266


24.5.1 Operationsfrequenz – 266
24.5.2 Besonderheiten der Altershaut – 266
24.5.3 Dauer und Intensität des stationären Aufenthalts – 266
24.5.4 Mortalität – 267

24.6 Fazit – 268

Literatur – 268

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
264 Kapitel 24 · Besonderheiten im Alter

24.1 Einleitung 24.2 Risikofaktoren und Komorbidität


24
Die demografische Entwicklung ist gekennzeichnet durch Erkrankungen des hohen Lebensalters, die diese Patien-
eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung (. Abb. tengruppe begleiten, stammen vor allem aus dem kardio-
24.1). Bereits von 1995 bis 2010 stieg der Anteil der über vaskulären Bereich. So leiden z. B. 45,6–58,9 % der Sieb-
65-jährigen Menschen von 16 auf 22 % an. Laut weiterer zigjährigen und Älteren an einer Hypertonie, 18,5–21,8 %
Prognosen wird der Anteil der älteren Bevölkerung bis haben einen Diabetes mellitus, 23,3–45,4 % haben eine
zum Jahr 2040 auf 37 % ansteigen (Kreymann 2000). KHK, 19,3–28,5 % hatten schon einen Herzinfarkt und
Als Folge dieser Veränderung nimmt der Anteil alter, 9–11,2 % haben Nephropathien (Berliner Altersstudie
multimorbider und chronisch kranker Patienten stetig zu. 2010).
Bedingt durch zahlreiche Vor- und Begleiterkrankungen Ein weiteres Merkmal ist die Multimorbidität, d. h. das
sowie laufende Medikationen, werden sich sowohl Chirur- Vorliegen mehrerer Begleiterkrankungen. Diese steigt mit
gen als auch Internisten bei einem älter werdenden Klien- zunehmendem Alter signifikant an: 51,9–54,3 % der Sieb-
tel auf zunehmende Komplikationsraten einstellen müssen zig- bis Vierundachtzigjährigen haben vier und mehr Risi-
(Hamrick 2005). Dies stellt die medizinische Versorgung kofaktoren. Hierzu zählen mit 50,4 % an erster Stelle (Ber-
im Krankenhaus der Zukunft vor erhebliche Herausforde- liner Altersstudie 2010):
rungen. 4 Hypertonie
Dieser demografische Wandel äußert sich auch im 4 Diabetes mellitus
Krankengut, das uns in der Verbrennungsmedizin begeg- 4 Rauchen
net (Pierson 2011). Mit dem Anstieg der älteren Bevölke- 4 Cholesterin/HDL >5 mmol/l
rung, wird auch die Zahl der älteren Patienten in der Ver- 4 BMI >28 kg/m2
brennungsmedizin weiter steigen (Blaisdell 2012). Zahlen 4 Bewegungsmangel
aus dem Verbrennungszentrum Offenbach zeigen, dass
sich dieser Trend bereits im Zeitraum zwischen 1970 und Die höchste Zahl an Begleiterkrankungen liegt bei den
2000 abzeichnete. Das Durchschnittsalter stieg kontinuier- über 60-Jährigen vor (. Abb. 24.3).
lich und der Anteil der Patienten über 60 Jahre nahm von Der Erfassung der Begleiterkrankungen kommt im
13,9 auf über 25 % zu (Pierson 2011; . Abb. 24.2). Dies Klinikalltag eine große Bedeutung zu. Gerade bei notfall-
stellt eine repräsentative Verteilung dar; der Anteil der mäßig eingelieferten Patienten, z. B. im Rahmen einer Ver-
über 60-Jährigen entspricht damit der DAV-Erhebung aus brennung, ist die zusätzliche Erkrankung wichtiger Organ-
dem Jahr 2012. systeme aufgrund der obengenannten Zahlen nahezu
regelhaft zu vermuten. Gleichzeitig liegen hierzu bei der

Alterspyramide für Deutschland

in Jahren
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
2006 2050
Männer Frauen

Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland

. Abb. 24.1 Demografie im Wandel – Entwicklung der Alterspyramide in Deutschland

marcus.lehnhardt@rub.de
24.4 · Verbrennungsausmaß und Verbrennungstiefe
265 24
Häufig sind diese Komorbiditäten geradezu ursächlich
30 für das Verbrennungstrauma: Patienten mit Diabetes mel-
% litus und einer Polyneuropathie erleiden häufig Verbrü-
hungen, da sie die Hitze der Wärmflasche oder des Bad-
25
wassers nicht ausreichend empfinden. Patienten mit mul-
tipler Sklerose können sich bei eingeschränkter Mobilität
20 nicht rasch genug der Gefahr entziehen. Patienten mit ei-
ner Sauerstofftherapie bei COPD (»chronic obstructive
pulmonary disease«) erleiden häufiger Verpuffungen
15 durch Sauerstoffexplosion bei einem Rauchen unter fort-
laufender Sauerstoffanwendung.
Als sinnvoller Ansatz die begleitende Multimorbidität
10 effektiver zu beachten erweist sich eine verstärkte inter-
20–29 30–39 40–49 50–59 60–
disziplinäre Zusammenarbeit mit einem Geriater. Dies
Altersgruppe (Jahren) führte zu einem positiven Effekt in Bezug auf Schmerzen,
Vitalität und soziale, geistige und physische Funktion
. Abb. 24.2 Altersverteilung im Zentrum für Schwerbrandverletzte
in Offenbach 2007 bis 2010
(Shyu 2010). Bei Patienten im höheren Alter müssen
Besonderheiten in Bezug auf Diagnostik und Therapie
bedacht werden, z. B. Veränderungen in der Pharmako-
3,5
kinetik, Pharmakodynamik oder eingeschränkte Leistungs-
n reserven bei operativen Interventionen.
3

2,5

2
24.3 Unfallort und Verbrennungsursache
1,5 Typischerweise ereignet sich der Verbrennungsunfall bei
1 den älteren Patienten im häuslichen Umfeld. In eigenen
Untersuchungen lag dieser Anteil bei 88 %. Arbeitsunfälle
0,5
kommen kaum vor, während bei jüngeren Patienten fast
0 ein Viertel diese Ursache aufweisen.
20–29 30–39 40–49 50–59 60– Die hohe Dominanz von Verbrennungsunfällen im
Altersgruppe (Jahre) häuslichen Bereich ist auch aus anderen Ländern bekannt
(Ho 2001; Solanki 2010). Die Patienten kennzeichnen
. Abb. 24.3 Mittlere Anzahl an Komorbiditäten der Patienten im
Merkmale wie körperliche Schwäche, Verschlechterung
Zentrum für Schwerbrandverletzte Offenbach in den Jahren 2007
bis 2010
der Komorbiditäten, sowie durch Medikamente verursach-
te Verwirrung. Alltägliche häusliche Tätigkeiten wie Zube-
reitung von Speisen oder Getränken, ein Bad nehmen,
nichtelektiven Aufnahme in der Regel keine adäquaten In- Duschen oder eine Wärmflaschen machen, werden damit
formationen vor. zu gefährlichen Ereignissen (Solanki 2010).
Patienten mit akuten Verbrennungen wiesen in 53,7 % Neben der klassischen Verbrennung durch offene
Komorbiditäten auf. Im eigenen Patientengut hatten in Flamme stehen Verbrühungsverletzungen beim älteren
Offenbach die über 60-jährigen Patienten durchschnittlich Menschen vermehrt im Vordergrund. Mehr als ein Drittel
3,62 Begleiterkrankungen. Im Vordergrund stehen dabei der älteren Patienten erleidet eine Verbrühung als häufige
auch hier kardiovaskuläre Erkrankungen, die bei knapp Verbrennungsursache. Bei fast 10 % liegt eine Verpuffung
zwei Drittel über 60- jährigen Patienten vorliegen (Schau- vor (Schauberger 2014).
berger 2014).
Neben Komorbiditäten wie arterieller Hypertonie,
Herzinsuffizienz bei KHK, Diabetes mellitus und neurode- 24.4 Verbrennungsausmaß
generativen Begleiterkrankungen wie Demenzen, muss und Verbrennungstiefe
aber auch an andere Risikofaktoren, wie eine verminderte
Leistungsreserve, soziale Isolation und eine eingeschränk- Das Verbrennungsausmaß, d. h. die prozentual beteiligte
te Anpassungsfähigkeit des Organismus gedacht werden Köperoberfläche (VKOF), zeigt primär keinen klaren Be-
(Beuleke 2010). zug zum Alter (Schauberger 2014; Solanki 2010). Im Ver-

marcus.lehnhardt@rub.de
266 Kapitel 24 · Besonderheiten im Alter

brennungszentrum Offenbach zeigte sich kein signifikan- tung geringer zu halten und im veränderten Heilungsmus-
24 ter Unterschied der Altersgruppen in Bezug auf das Ver- ter des älteren Menschen.
brennungsausmaß bzw. die VKOF. So betrug die VKOF bei
den Patienten älter als 60 Jahre im Durchschnitt 14,8 %
und bei den jüngeren 11,5 %. 24.5.2 Besonderheiten der Altershaut
Blasidell et al. zeigten in einer Studie zu Verbrennun-
gen in Boston und Maine von 1999 bis 2008, dass diese Die Wundheilung verläuft bei jüngeren Menschen schnel-
Patientengruppe nicht unbedingt schwerere Verbrennun- ler; auch Inzisionsnarben erreichen rascher Stabilität und
gen hatte. Bei 82,2 % der Patienten über 60 Jahren und bei bleiben im weiteren Heilungsverlauf stabil, während bei
91 % der jünger als 60 Jahre alten Patienten, lag das Ver- älteren Menschen der Heilungsprozess mehr Zeit braucht
brennungsausmaß <30 % (Blaisdell 2012). Auch in ande- und Narben weniger stabil sind (Goodson 1977).
ren Studien gab es keinen signifikanten Unterschied in Mit zunehmendem Alter kommt es zu Atrophie, Ver-
Bezug auf die Verbrennungsausdehnung (Solanki 2010). dünnung der Haut und abnehmender Vaskularisierung
Berücksichtigt man allerdings die Verbrennungstiefe, (Anderson 1989, Jacobson 1996). Bereits durch kleine
so finden sich altersabhängig auffallende Unterschiede. Traumata kann es so zu erheblichen Schäden kommen. Die
Drittgradige Verbrennungen liegen bei älteren Patienten dünnere atrophische Haut, die reduzierte Mikrovaskulari-
signifikant häufiger vor und betreffen einen Großteil der sation, die reduzierte Erneuerungsrate der Epidermis und
Patienten. Damit liegt eine vollständige Zerstörung der die mangelnde Regenerationsfähigkeit der Haut wurden
Haut vor und die Patienten müssen operativ behandelt bereits als eine der Ursachen für eine schwerere und tiefere
werden. Verbrennung beschrieben (West 1994).
Als weitere Gründe für die häufigere Inzidenz tieferer
Verbrennungen sind auch spezielle logistische Probleme
Besonderheiten der Altershaut
anführen, die mit einem höheren Alter einhergehen kön-
5 Zunehmende Atrophie und Verdünnung
nen. Die Patienten leben meist alleine und haben beein-
5 Reduktion der Vaskularität
trächtigte Sinne sowie eine verlangsamte Reaktion, durch
5 Geringere mechanische Stabilität
die sie sich nicht so einfach aus der Gefahrensituation be-
5 Verminderte Regenerationsfähigkeit
geben können (Anous 1986). Hierdurch kommt es durch
eine längere Kontaktzeit bei Verbrühungen, z. B. durch
Wasser, zu tieferen Verbrennungen. Auch die reduzierte Auch die daraus resultierende langsamere Heilung führt
Empfindlichkeit bzw. Polyneuropathie bei Diabetes melli- dazu, dass vermehrt Hauttransplantate verwendet werden
tus kann eine Erklärung für tiefere Verbrennungen sein. müssen, um einen zeitgerechten Wundverschluss zu erzie-
len (Tejerina 1991).
Diese altersabhängigen Veränderungen tragen dazu
24.5 Therapieaufwand bei, dass ältere Patienten tiefere Verbrennungen aufweisen
und eine höhere Anzahl an operativen Eingriffen erfahren.
24.5.1 Operationsfrequenz

Ältere Patienten weisen im Vergleich zu jüngeren Patien- 24.5.3 Dauer und Intensität des stationären
ten eine höhere Operationshäufigkeit auf. So wurden im Aufenthalts
eigenen Krankengut im Mittel wurden pro Patient unter
60 Jahre 1,4 Operationen durchgeführt und pro Patient Es lässt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen
über 60 Jahre 2,2 Operationen (Schauberger 2014). Die dem steigenden Alter und damit verbundenem längeren
Zahl an Operationen ist vergleichbar mit denen anderer stationären Aufenthalt feststellen (p<001). Im Jahr 2007
Studien. Herd et al. führten von 1975 bis 1984 eine Studie betrug die Dauer des stationären Aufenthaltes bei den un-
am Queen Victoria Hospital in Sussex (UK) durch ter 60-jährigen Verbrennungspatienten 18 Tage, bei den
(Herd 1987). Hier wurden unter den Patienten, die älter als älteren 24 Tage (Schauberger 2014). In einer australischen
65 Jahre alt waren, durchschnittlich 2,19 Operationen pro Untersuchung lag die Liegedauer der Patienten über 70
Patient durchgeführt. Insgesamt wurden in Offenbach Jahre alt mit durchschnittlich 10 Tagen doppelt so hoch
71 % der unter 60-jährigen Patienten und 85 % der älteren wie bei jüngeren Patienten (Solanki 2012).
Patienten operativ behandelt. Ursachen für eine verlängerte Liegezeit wie Verbren-
Die Ursache für die häufigere Operationsfrequenz liegt nungstiefe oder Operationsfrequenz wurden bereits ge-
in den ausgeprägteren Verbrennungstiefen, dem Bemühen nannt. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Liegezeit ist
durch kleinere oder kürzere Eingriffe die operative Belas- der Verbleib der Patienten nach Entlassung. Ist keine Ent-

marcus.lehnhardt@rub.de
24.5 · Therapieaufwand
267 24

Dichte
0.028
0.026 1
2
0.024
0.022
0.020
0.018
0.016
0.014
0.012
0.010
0.008
0.006
0.004
0.002
0.000
20 30 40 50 60 70 80 90 100
25 35 45 55 65 75 85 95
gestorben=1, überlebt=2 Alter

. Abb. 24.4 Altersabhängige Sterblichkeit im Zentrum für Schwerbrandverletze Offenbach in den Jahren 2007 bis 2010

lassung in ihr selbstständiges häusliches Umfeld möglich, mer noch keine Patienten, die älter als 60 Jahre waren und
zeigen diese Patienten eine auffallende Verlängerung der Verbrennungen über 30 % aufwiesen (Hartford 1971). Die
Aufenthaltsdauer (Solanki 2011). Mortalitätsrate lag unter den älteren Verbrennungspatien-
Ein wichtiger Faktor ist die verlängerte Intensivthera- ten in den 1970er Jahren bei 77 % und reduzierte sich in
piedauer, die neben der Operationsfrequenz auch den hö- den beiden darauf folgenden Dekaden um nahezu 50 % auf
heren therapeutischen Aufwand widerspiegelt. Die durch- eine Mortalitätsrate von 41 % (Lionelli 2005). Trotz aller
schnittliche Intensivzeit der über 60-Jährigen beträgt im medizinischen Fortschritte verschlechtert die Häufung be-
eigenen Krankengut 21,4 Tage, während die durchschnitt- stimmter Risikofaktoren die Überlebensprognose; so be-
liche Intensivzeit bei den Patienten unter 60 Jahren bei trägt die Überlebenschance nur noch unter 1 %, wenn
13,1 Tagen liegt (Schauberger 2014). Auch andere Unter- gleichzeitig ein Alter von über 65 Jahren, ein Inhalations-
suchungen zeigen, dass damit ein erheblicher und über- trauma und eine verbrannte Körperoberfläche von mehr
proportionaler Anteil der Intensivkapazität durch ältere als 40 % vorliegen.
Patientin benötigt wird. In einem internistisch geprägten Auch heute noch gilt, dass Schwere der Verbrennung
Krankengut lag der Anteil der über 60-Jährigen konstant und höheres Alter des einzelnen Patienten mit höherer
über 75 % (Kreymann 2000). Damit ist zu erwarten, dass Mortalität assoziiert sind; ab einer VKOF von 60–69 %
der weiter ansteigende Teil der älteren Bevölkerung einen überlebte keiner der über 65 Jahre alten gegenüber 68,2 %
relativ großen und zunehmenden Anteil der Ressourcen bei den jüngeren Patienten (Blaisdell 2012). Die Letalität
brauchen wird. der über 60-jährigen liegt mit 18,3 % deutlich höher als
Die Intensivmedizin ist kostenintensiv. Die Tageskos- bei den jüngeren Patienten mit 2,6 % (Blaisdell 2012; Krey-
ten liegen etwa viermal so hoch wie auf einer Normalsta- mann 2000; Schauberger 2014; . Abb. 24.4). Vielleicht lässt
tion. Der Kostenaufwand ist dabei nicht per se altersab- sich hier durch multidisziplinäre Therapieleitlinien und
hängig (Kreymann 2000). Behandlungskonzepte eine weitere Verbesserung erzielen.

> »Als wichtigstes Ziel in der Alterschirurgie gilt es,


24.5.4 Mortalität den Patienten nicht nur am, sondern auch im Leben
zu halten. Der Fokus der chirurgischen Therapie
Bereits im Jahr 1902 konnte gezeigt werden, dass das Über- liegt somit auf dem Erhalt der Unabhängigkeit und
leben der Verbrennungspatienten im Zusammenhang mit Selbstständigkeit, der Verbesserung bzw. zumindest
dem Alter und dem Verbrennungsausmaß des Patienten dem Erhalt der Lebensqualität in der noch zur Ver-
steht (Weidenfeld 1902). Bis in die 1970er Jahre fanden fügung stehenden Lebenszeit sowie in der Reduzie-
sich unter den überlebenden Verbrennungspatienten im- rung von Schmerzen« (Beuleke 2010).

marcus.lehnhardt@rub.de
268 Kapitel 24 · Besonderheiten im Alter

Dieses Prinzip gilt gerade auch in der Verbrennungs- Literatur


24 behandlung des älteren Menschen. Um dieses Ziel zu er-
reichen bedarf es aber spezieller, auch stationärer Nachbe- Anderson PC (1989) Geriatric Dermatology: Clinical Diagnosis and
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handlungsangebote, die nach der Akutversorgung die all- Anous M, Heimbach D (1986) Causes of death and predictors in
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Verbrennungspatienten unterstützt. Die derzeit verfügba- 26(2):135–139
ren Möglichkeiten sind hierzu leider unbefriedigend, da Beuleke A, Jähne J (2010). Der demographische Wandel und seine
sich niemand in der Verantwortung für diese Patienten Auswirkungen auf die Chirurgie. Chirurg (11):594–596
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5 Längere Inanspruchnahme der Intensivressourcen 19(10):833–839
und längere Liegedauer Herd B, Herd A, Tanner N (1987) Burns to the elderly: a reappraisal.
5 Ungenügende stationäre Nachbehandlungs- British Journal of Plastic Surgery:278–282
möglichkeiten Ho W, Ying S, Chan H (2001). A study of burn injuries in the elderly in a
regional burn centre. Burns 27:382–385
Jacobson RG, Flowers FP (1996) Skin changes with aging and disease.
Wound Repair Regen 4(3):311–315
24.6 Fazit Kreymann KG (2000) Internistische Intensivmedizin im hohen Lebens-
alter. Der Internist 41(6):553–562
Lionelli G et al (2005) A three decade analysis of factors affecting burn
Auch die Verbrennungsmedizin muss sich mit einer, durch mortality in the elderly. Burns 31 (8):958–963
den demografischen Wandel bedingten, älteren Patien- Pierson T, Ryu S, Menke H (2011) »Wer brennt«: - Anforderungen an
tenklientel auseinandersetzen. Dies bedingt Konsequen- die Verbrennungsmedizin im Wandel. (DAV Tagung)
zen für die Therapie und damit das Arbeiten in den spezi- Schauberger A (2014) Der demographische Wandel und seine Aus-
wirkungen auf die Verbrennungsmedizin. Dissertationsschrift
alisierten Zentren. Das ältere Patientengut weist spezifi-
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
sche altersabhängige Risikofaktoren auf. Shyu YL, Liang J, Wu C, Cheng H, Chen M (2010) An interdisciplinary
intervention for older Taiwanese patients after surgery for hip
fracture improves health-related quality of life. BMC Musculo-
Spezifische Risikofaktoren des älteren Patienten skelet Disord 11(1):225–234
in der Verbrennung Solanki NS et al (2011) Social Issues Prolong Elderly Burn Patient
5 Begleiterkrankung als Risikofaktor Hospitalization. Journal of Burn Care & Research 32(3):387–391
5 Polyneuropathie Solanki NS, Greenwood JE, Wagstaff MJ, Franchi BF (2012) Length of
5 Eingeschränkte Mobilität Stay of Elderly Patients in an Acute Burns Unit. Journal of Burn
Care & Research 33(3):e178
5 Erhöhte Vulnerabilität der Haut
Tejerina C et al (1992) Burns in patients over 60 years old: epidemiology
5 Langsamere Heilungsmuster and mortality. Burns:149–152
Weidenfeld S (1902) Über den Verbrennungstod. Abhängigkeit des
Verbrennungstods von der Grösse der verbrannten Hautfläche.
Archives of dermatology and syphilology 61
Es ist gekennzeichnet durch vermehrte Multimorbidität, West MD (1984) The Cellular and Molecular Biology of Skin Aging.
tiefere Verbrennungen und einen höheren therapeutischen Arch Dermatol 130(1):87
Aufwand. Die Häufung an Begleiterkrankungen und al-
tersphysiologische Veränderungen erfordern auch eine
vermehrte geriatrische Expertise. Intensivtherapiedauer,
Liegezeit und Operationsfrequenzen nehmen signifikant
zu. Die längere Rekonvaleszenzphase des alten Patienten
wird bislang in poststationären Nachbehandlungsangebo-
ten ungenügend abgebildet.

marcus.lehnhardt@rub.de
269 25

Gesichtsverbrennungen
Christian Ottomann, Bernd Hartmann

25.1 Vorbemerkung – 270

25.2 Pulmonales Inhalationstrauma


bei Gesichtsverbrennung – 270

25.3 Bestimmung der Verbrennungstiefe – 270

25.4 Initiales Débridement bei Aufnahme – 271

25.5 Topika zur Wundreinigung – 272

25.6 Therapie – 272


25.6.1 Oberflächliche und oberflächlich-dermale Läsionen – 272
25.6.2 Mitteltiefe und tiefe dermale Läsionen – 273
25.6.3 Tiefe Läsionen – 273

25.7 Nachsorge – 274

Literatur – 275

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
270 Kapitel 25 · Gesichtsverbrennungen

25.1 Vorbemerkung dingungen herrschen, kommt es zügig zur Anschwellung


der Hals/Gesichtsweichteile mit konsekutiver Verlegung
Das Gesicht ist in der Dichtung der Spiegel der Seele. Es der Atemwege. Die endotracheale Intubation ist dann er-
25 überträgt Ausdrücke und Emotionen, Gefühle und kom- schwert oder unmöglich. Daher ist die endotracheale Intu-
muniziert die individuelle Identität. Das Gesicht beher- bation mit anschließender Beatmung einschließlich posi-
bergt aber auch wichtige funktionale Bereiche wie Lid- tiv endexspiratorischem Beatmungsdruck für alle Patien-
schluss, Stimmbildung, die Mundöffnung zur Ernährung ten mit Verdacht auf ein Inhalationstrauma zu fordern
sowie Gestik und Mimik durch die subkutane Muskulatur. (Sen 2012).
Gesichtsverbrennungen können diese wichtigen anatomi-
schen und funktionellen Strukturen zerstören und daher
zu Schmerzen, Narben, Schwellungen und Kontrakturen 25.3 Bestimmung der Verbrennungstiefe
mit dauerhaften körperlichen und psychischen Folgeer-
scheinungen führen. Die Bestimmung der Verbrennungstiefe erfolgt in den
meisten Verbrennungszentren durch den erfahrenen Ver-
brennungschirurgen anhand des klinischen Bildes sowie
25.2 Pulmonales Inhalationstrauma der Beurteilung der vorhandenen Durchblutung im Be-
bei Gesichtsverbrennung reich der verbrannten Fläche. Ausschlaggebend sind die
Kriterien der Hyperämie (Grad IIa) oder der verlangsam-
Etwa 80 % der bei Bränden Getöteten sterben an Rauchgas- ten Rekapillarisierung bei Verbrennungen Grad IIb. Auch
vergiftungen, 30 % der in den Brandverletztenzentren be- die Diagnose einer Verbrennung Grad III sollte nicht dem
handelten Patienten haben ein Inhalationstrauma als zu- ungeübten Kollegen überlassen werden, da sich wichtige
sätzliche Verletzung. Gefährdung besteht durch Ödem- Therapieentscheidungen mit dieser Diagnose verbinden.
bildung im Glottisbereich und thermische Schäden der Deutliche Zeichen sind die typische beige bis weiße Farbe
oberen Atemwege, sowie durch Kohlenmonoxid- und und die harte lederartige Konsistenz des Eschars sowie
Zyanidvergiftung. Der Verdacht auf ein pulmonales Inha- thrombosierte subkutane Venen. Problematisch ist die Be-
lationstrauma ist bei folgenden Symptomen zu stellen: urteilung, wie tief der Schaden in die Dermis reicht und die
4 Verbrennungen im Gesicht Schlussfolgerung, ob es sich um eine oberflächliche (»mid
4 verbrannte Haare/Bart oder Augenbrauen dermal«) thermische Läsion Grad IIb oder um eine tiefe
4 Unfall in geschlossenen Räumen Verbrennung Grad IIb (»intermediate deep dermal« und
4 rußiges Sputum »deep dermal«) handelt. Hiervon hängt die weitere Thera-
4 heisere Stimme pie ab und tiefe dermale Läsionen sind in der Regel opera-
4 Tachypnoe, Dyspnoe tionspflichtig. Lässt sich eine sichere Beurteilung der Ver-
4 Bronchospastik brennungstiefe zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht defini-
4 eingeschränkte Vigilanz tiv erzielen, wird oftmals zugewartet, bis sich die Verbren-
4 Verwirrung, Aggressivität nungswunde demarkiert hat. Läsionen Grad IIa heilen im
4 Bewusstlosigkeit, Koma Gesicht innerhalb von 6–14 Tagen und oberflächlich der-
male Läsionen innerhalb von 14–21 Tagen bei kompli-
Die Bewusstlosigkeit im Rahmen eines pulmonalen Inha- kationsfreiem Verlauf sowie Infektionsfreiheit narbenlos
lationstraumas ist Ausdruck einer schweren Hypoxie und/ bis narbenarm ab. Ist nach dieser Zeit keine vollständige
oder einer Intoxikation mit Gasen (z. B. Kohlenmonoxid, Reepithelisierung erfolgt und bildet sich Granulations-
Zyanide, Phosgen). Rauchgase und thermische Zellzerstö- gewebe, handelte es sich um eine tief dermale Verbrennung
rung bewirken eine Stimulation der Alveolarmakropha- mit der Gefahr der hypertrophen Narbenbildung. Pigment-
gen, es werden chemotaktische Faktoren freigesetzt, die veränderungen können je nach Hauttyp bei allen Graden
eine massive Entzündungsreaktion in der Lunge bewirken. der Gesichtsverbrennung im Ausheilungsergebnis persis-
Die hierbei freigesetzten Entzündungsmediatoren zerstö- tieren. Das viel zitierte »Nachtiefen« einer thermischen
ren die Mukosa der Lunge und steigern die kapillare Per- Läsion ist ein pathologischer Vorgang, der oft zur initialen
fusion, es kommt konsekutiv zum sogenannten »capillary Fehlbestimmung der Verbrennungstiefe führt (Jost 2014).
leak« mit Ausbildung eines interstitiellen Lungenödems Daher sind die Bestimmungen der Verbrennungstiefe
mit Behinderung des pulmonalen Gasaustauschs. Auf- mittels objektiver optischer oder lasergestützter Messver-
grund der negativen Beeinflussung der Mediatoren auf die fahren, die als Bedside-Messung die richtige Therapie-
Pneumozyten II kommt es zum Surfactantmangel und ein- entscheidung unterstützen meist auf den 2.–5. posttrau-
hergehend zum alveolären Kollaps mit Atelektasenbildung matischen Tag validiert (Afromowitz 1988; Rothenber-
(Lee 2006). Während anfänglich noch gute Intubationsbe- ger 2014). Bei der Anwendung von Laserdopplersystemen

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25.4 · Initiales Débridement bei Aufnahme
271 25
im Gesichtsbereich ist sehr sorgfältig beim Patienten auf Definition
den Augenschutz zu achten. Unter chirurgischem (Wund-)Débridement versteht
man die radikale Abtragung von avitalem Geweben,
Nekrosen, Belägen und/oder Entfernung von
25.4 Initiales Débridement bei Aufnahme Fremdkörpern bis in intakte anatomische Strukturen
mit allen dazu geeigneten Instrumenten und
Aufgrund der eigenen Erfahrung und der Literatur folgend Techniken wie Bürste, Skalpell, scharfem Löffel,
empfehlen wir das zeitnahe und gründliche Débridement Shaver, Ringkürette oder mittels Wasserstrahldruck,
unabhängig von Tiefe und Ausmaß bei jeder Gesichtsver- Weckmesser und Schleifgeräten (Deutsche Gesell-
brennung (Cole 2012; Klein 2005). Die Wundreinigung schaft für Wundheilung und Wundbehandlung
im Gesicht wird vom Patienten oft als dramatisch empfun- e. V. 2012)
den und geht meist mit starken Schmerzen einher, weshalb
die Indikation zu einem Eingriff in Analgosedierung be-
ziehungsweise Allgemeinnarkose großzügig gestellt wer- Wenn das initiale Débridement durch den erfahrenen
den sollte (. Abb. 25.1). Nur so lässt sich ein radikales Operateur bereits bei oberflächlichen Brandwunden eine
Débridement einschließlich richtiger Tiefen- und Ausdeh- sichtbare oberflächige kapilläre Blutung erzeugt ist dies
nungsbestimmung der Gesichtsverbrennung durchführen: ein gutes Zeichen und die Wunde kann mit einem epi-
4 initiale Abstrichentnahme zur bakteriologischen thelialen Hautersatz (z. B. Suprathel) direkt versorgt wer-
Untersuchung den (Fraulin 1996). Aufgrund der hohen Kapillardichte
4 Débridement in Analgosedierung oder Allgemein- sowie der großen Zahl an Hautanhangsgebilden im Ge-
narkose sicht resultiert eine schnelle Wundheilung (Pasyk 1989).
4 komplette Entfernung von Schmutz, Ruß, Blasen und Bei männlichen Patienten findet sich darüber hinaus eine
anhaftenden avitalen Gewebeanteilen höhere Stammzelldichte, da die Stammzellen in den Haar-
4 gründliches mechanisches Débridement mittels Kom- bulbi im Bereich des Bartes zahlenmäßig häufiger autre-
presse, Bürste oder Stahlschwamm bis sich ein saube- ten, wodurch ebenfalls eine beschleunigte Reepithelisie-
rer, beurteilbarer Wundgrund darstellt rung resultiert (Fernandes 2004). Thermische Läsionen
4 erste Einschätzung der Verbrennungstiefe- und Aus- mit einer verzögerten Rekapillarisierung im Gesicht wer-
dehnung den zunächst konservativ mittels antimikrobiellen Gelen
4 ophthalmologisches Konsil bei Verdacht auf Augen- im geschlossenen Verband behandelt, da zum Zeitpunkt
beteiligung der Erstversorgung oftmals nicht eingeschätzt werden
4 HNO-ärztliches Konsil bei Knalltrauma und/oder kann, ob es sich um eine oberflächlich-, mittel, oder tief-
Verbrennungen der Ohren dermale thermische Läsion handelt. Auch sollte an die
4 gepolsterter, saugfähiger Wundverband mit milden Möglichkeit eines enzymatischen Débridements gedacht
antimikrobiellen Lösungen oder Gelen (Polyhexanid) werden.

a b

. Abb. 25.1a, b Oberflächliche Verbrennung Grad IIa. a Ausgangsbefund. b Nach Débridement

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272 Kapitel 25 · Gesichtsverbrennungen

25.5 Topika zur Wundreinigung gedeckt wird, ist mittlerweile um Wundauflagen und ver-
schiedene topische Externa erweitert, die ein sich kontinu-
Benutzt werden isotonische Kochsalzlösung, Ringerlaktat ierlich erweiterndes Sortiment darstellen. Die Einteilung
25 oder auch Leitungswasser aus Leitungen, die über einen der Wundauflagen kann anhand der verwendeten Materi-
Keimfilter verfügen. Spüllösungen mit antimikrobiellen alien (sogenannte Produktgruppen) erfolgen. Wichtige
Zusätzen (Polyhexanid, Octenidin u. a.), die als Medizin- Produktgruppen sind:
produkte zugelassen sind müssen nach Herstellerangabe 4 Fettgaze (aus unterschiedlichen Materialien
angewandt werden. Zu beachten sind hier Unverträglich- und Inhaltsstoffen)
keiten und Toxizitäten (z. B. Knorpel) Bei der Wundreini- 4 Alginate
gung des Gesichtes nach Verbrennungen ist es mehr oder 4 Hydrogele
weniger unvermeidbar, dass die Spüllösung in die Augen 4 Hydrokolloide
läuft. Es sollte daher grundsätzlich ein nicht Schleimhaut 4 Schaumstoffe
reizendes Topikum verwendet werden (Kamolz 2013) be- 4 Mikrofasern/Hydrofasern
ziehungsweise die Bindehaut durch fettende Augensalbe 4 Membranen aus Polylaktid
geschützt werden. 4 Kollagene
4 Alginogele

25.6 Therapie Neben den gängigen Wundauflagentypen gibt es auch Pro-


dukte, die die verschiedenen Materialien in einer Wund-
25.6.1 Oberflächliche und oberflächlich- auflage kombinieren (z. B. Schaumstoffverbände mit Hy-
dermale Läsionen drofasern) oder Wundauflagen, die Wirkstoffe enthalten,
wie Antiseptika (z. B. PVP-Iod-Lösung, Polihexanid, Octe-
Aufgrund der lediglich epidermalen Schädigung (»super- nidin), Antibiotika (z. B. Fusidinsäure, Sulfonamide, Gen-
ficial deep dermal lesion«) unter erhaltener Basalmembran tamycin) oder auch Honig. Durch die große Vielfalt an
heilt jede thermische Läsion Grad IIa im Gesichtsbereich Wundauflagen und ihrer verschiedenen Zusammenset-
bei Infektionsfreiheit innerhalb von 6–12 Tagen durch zungen ist eine Einteilung nach ihren Eigenschaften z. B. in
Reepithelisierung ab. Wesentliche Unterschiede in der passive, hydroaktive oder inaktive Produkte nicht mehr
Wahl des Wundverbands und aus der Frequenz der Ver- eindeutig möglich. Die Wundauflage sollte der individuel-
bandswechsel resultieren nicht (Leon-Villapalos 2008). len Verbrennungssituation, der Lokalisation, der Exsudat-
Die Entscheidung, welcher Wundverband wie oft gewech- menge und der Größe der Wunde sowie den Bedürfnissen
selt wird, hängt oftmals von der persönlichen Präferenz des Patienten angepasst sein. Um diesen Anforderungen
und Erfahrung des Verbrennungschirurgen ab. Allerdings zu entsprechen, sind auch die physikalischen Eigenschaf-
zeigen moderne Wundverbandsstoffe eine geringere ten der Wundauflagen, wie Haftstärke, Elastizität, Entfern-
Infektionsrate und eine Schmerzreduktion. Die Autoren barkeit ohne Schmerz und Rückstände – gerade bei Kin-
bevorzugen die Anlage eines Wundverbandes aus einer dern – von hoher Bedeutung. Grundsätzlich sollen alle
Polylactidmembran (Suprathel). Der einmal transplantier- Materialien, die mit der Wunde in Berührung kommen,
te epitheliale Ersatz kann bis zur Reepithelisierung auf der steril sein. Die Wundauflage/der Verband sollte die Ver-
Wunde verbleiben. Dies ist aufgrund der reduzierten und brennungswunde feucht halten, vor einer Verunreinigung
nicht die Wunde freilegenden Verbandswechsel für den und weiteren Besiedelung mit Krankheitserregern und
betroffenen Patienten schmerzärmer und daher sehr traumatischen Einflüssen (Ankleben , Austrocken) schüt-
komfortabel. Bezüglich der immer noch weit verbreiteten zen, bei Entfernung keine Rückstände hinterlassen und das
Anwendung von silber- und jodhaltigen Topika finden Gewebe nicht mechanisch beschädigen. Weiterhin sollte
sich in der Literatur sowohl negative als auch positive Aus- Exsudat aufgenommen werden und eine für die Wundhei-
wirkungen der silber- und jodhaltigen Topika auf die lung optimale Feuchtigkeitsbalance aufrechterhalten wer-
Wundheilung. Die Autoren halten silber- und jodhaltige den, ohne dass es zur Austrocknung der Wundfläche oder
Wirkstoffe bei oberflächlichen Gesichtsverbrennungen je- zu Mazeration kommt. Dabei sollten Toxine, Bakterien
doch für absolut verzichtbar, da toxizitätsbedingt mit der und Gerüche ebenso wie Wundexsudat in der Wundaufla-
Anwendung eine Heilungsverzögerung verbunden ist. Das ge aufgenommen und nicht wieder abgegeben werden. Des
Spektrum der verfügbaren Wundversorgungsprodukte hat Weiteren sollte die Atmungsaktivität/Sauerstoffversor-
sich von den klassischen Verbandsmaterialien zu einem gung nicht beeinträchtigt werden und die Wundauflage in
beinahe unüberschaubaren, sich ständig vergrößernden der Anwendung praktikabel sein. Die Frequenz der Ver-
Angebot an Wundauflagen und Lokaltherapeutika erwei- bandswechsel hängt von der gewählten Wundauflage ab
tert. Der klassische Verband, mit dem die Wunde nur ab- (Leon-Villapalos 2008).

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25.6 · Therapie
273 25
Bei einem komplikationslosen Heilungsverlauf und Stammzellen enthalten (Blanpain 2014). Daher ist mit
der initial richtigen Einstufung der Verbrennungstiefe äußerster Sorgfalt und Erfahrung vorzugehen. Als Wund-
zeigt sich bei thermischen Läsionen Grad IIa im Gesicht auflage nach dem erweiterten Débridement hat sich auch
eine vollständige Reepithelisierung nach spätestens hier eine Polylactid Membran (Suprathel) bewährt (High-
12 Tagen, bei oberflächlichen Läsionen Grad IIb oft nach ton 2013; Selig 2013). Diese kann bis zur kompletten
12–21 Tagen. Um Pigmentstörungen nicht noch zu för- Reepithelisierung auf der débridierten Wunde belassen
dern ist auf einen konsequenten Sonnenschutz für mindes- werden und erspart so die belastenden Verbandswechsel.
tens sechs Monate zu achten. Regelmäßiges Pflegen der Die Membran fällt nach dem vollständigen Wundver-
Gesichtshaut mit rückfettenden Cremes beugt Rhagaden schluss von alleine ab. Ein alternatives Verfahren ist die
und damit potentiellen Infektionseintrittsstellen vor. Auf- Therapie mit einem temporären Hautersatz aus einer
grund der Reepithelisierung wirken die Patienten im Rah- Silikonmembran und einem darin verankerten Nylonge-
men des Gewebe-Remodelling oftmals wesentlich ver- webe (Biobrane). Das der Wunde zugewandte Nylongewe-
jüngt, da mit der Heilung der Brandwunde eine komplett be ist in einer 3D-Struktur aufgebaut an die Kollagenpep-
neue Epithelschicht einhergeht sowie es im Rahmen des tide gebunden sind. Die Öffnungen in Biobrane erlauben
thermischen Traumas zu einer Schrumpfung des dermalen den Austritt von Exsudat durch die Silikonmembran. Da-
Kollagens kommt. durch kann die Membran auf der Wunde verbleiben, bis
die Oberfläche reepithelisiert ist (Farroha 2013). Bei tiefen,
verzögert heilenden Wunden mit noch erhaltenen derma-
25.6.2 Mitteltiefe und tiefe dermale len Anteilen bieten sich zudem Kulturhautverfahren an.
Läsionen Dabei lassen sich autologe Keratinozyten im Labor züch-
ten, die als Sheets auf die dermalen Wunden aufgetragen
Bei tieferen dermalen Wunden des Gesichtes (Verbren- werden. Alternativ sind die Keratinozyten als Suspension
nungstiefe Grad IIb, »intermediate deep dermal« und subkonfluenter, schnell proliferierender Zellen erhältlich.
»deep dermal lesion«) empfehlen wir ein radikaleres Dé- Der Vorteil besteht in einer verkürzten Kultivierungsdauer,
bridement, das über das eigentliche initiale Débridement so dass die Keratinozyten bereits nach einer Woche verfüg-
zur Reinigung und Anfrischung der Wunde hinausgeht. bar sind und direkt auf die Wunde transplantiert werden.
Dieses kann enzymatisch (. Abb. 25.2) oder mechanisch Eine viel versprechende Methode stellt dabei die Sprüh-
erfolgen. Beim enzymatischen Débridement erfolgt das applikation dar (. Abb. 25.3; Allouni 2013; Hartmann
Ablösen von Fibrinbelägen und dünnen nekrotischen 2007). Auch intraoperativ gewonnene Zellsuspensionen
Schichten durch Enzympräparate mit unterschiedlichem (ReCell) beziehungsweise in der eigenen Gewebebank her-
Wirkungsspektrum im Rahmen serieller Verbandswechsel gestellte Zellsuspensionen sind bei der kleinen Fläche der
(Rosenberg 2014; Strohal 2013). Das mechanische Débri- Gesichtsverbrennung sinnvoll einsetzbar.
dement erfolgt dagegen operativ mit dem scharfen Löffel
oder in unserem Vorgehen meist mit dem Versajet (Boz-
kurt 2013; Sainsbury 2009). 25.6.3 Tiefe Läsionen
Auch Handdermatome sowie Schleifgeräte (Derma-
brasio) kommen zum Einsatz. Entscheidend bei dem ge- Die frühzeitige Nekrektomie und anschließende Wund-
wählten Verfahren ist die Erhaltung der dermalen Hautan- konditionierung stellt sich derzeit als bestes Therapiever-
hangsgebilde, die die zur Reepithelisierung notwendigen fahren bei Verbrennungen Grad III im Gesicht dar (Green-

a b c

. Abb. 25.2 a Tiefe Verbrennung Grad IIb. b Nach enzymatischem Débridement. c Versorgung mit Suprathelverband

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274 Kapitel 25 · Gesichtsverbrennungen

25

a b c

. Abb. 25.3 Klinische Anwendung von autologen Keratinozyten in Suspension bei verzögerter Heilung. a Tag 18 nach Verbrennung.
b Heilungsverlauf nach weiteren 10 Tagen. c Spätergebnis nach 1,5 Jahren

halgh 2013). Um subdermale Gewebeschichten zu erhal- me zu vermeiden. Oftmals problematisch bei der Haut-
ten wird die Nekrektomie so exakt wie möglich mittels transplantation im Gesicht ist die postoperative Kontrak-
Weckmesser oder wenn möglich mittels Versajet durchge- tur der transplantierten Sheets, die das anfänglich oft aus-
führt, bis sich ein gut blutender, vitaler Wundgrund dar- gezeichnete Ergebnis deutlich reduziert, so dass trotz der
stellt. Nach sicherer Blutstillung erfolgt zunächst eine tem- Fortschritte in der Verbrennungsmedizin die operativen
poräre Wundversorgung zur Wundkonditionierung als Ergebnisse nach drittgradigen Verbrennungen im Gesicht
erster Behandlungsschritt. Es finden sich in dieser frühen nach wie vor dürftig sind (Ryan 2013). Dies ist weniger
Phase der Therapie der Gesichtsverbrennungen noch aus- durch ein Versagen der Transplantate als vielmehr im im-
geprägte Ödeme im Wundbereich, die ein primäres auto- mens hohen Anspruch an die Unversehrtheit des Gesichts
loges Graften deutlich erschweren. Zum temporären Ver- begründet.
schluss ist Fremdhaut (allogene Spenderhaut) ein Mittel Deshalb kommen in vielen Brandverletztenzentren bei
der Wahl. Die Fremdhaut wird durch den Körper teilweise drittgradigen Läsionen auch Hautersatzprodukte in Ver-
inkorporiert und zeigt so die Vitalität des Wundbettes an. bindung mit den Spalthauttransplantaten zum Einsatz.
Auch können Kollagene der Fremdhaut als dermale Antei- Der Einsatz von Vollhauttransplantaten ist in der Akutver-
le in der Wunde verbleiben. Vor der definitiven Wundver- sorgung von Gesichtsverbrennungen dem Verbrennungs-
sorgung mittels Spalthauttransplantation sollte jegliches muster und dem Behandlungsplan anzupassen. Die Trans-
Granulationsgewebe mechanisch abgetragen werden, um plantation im Ober- und Unterlidbereich ist sicherlich
eine überschießende Narbenbildung zu verringern. Die auch in der Akutphase sinnvoll. Ansonsten liegt die Haupt-
Hauttransplantation im Gesicht erfolgt durch autologe indikation im Bereich der späteren plastisch-rekonstrukti-
Spalthauttransplantate entsprechend der ästhetischen ven Eingriffe.
Zonen, was oft nicht gut umsetzbar ist (Parry 2013).
Sheettransplantate, also nicht expandierte Spalthaut sind
kosmetisch günstig, da sich bei diesen Transplantaten kein 25.7 Nachsorge
Gittermuster darstellt, das in typischer Weise bei der Grö-
ßenexpansion (Meshgraft) auftritt. In der Praxis hat es sich In der Behandlung aller Gesichtsverbrennungen nimmt
bewährt die Transplantate zu sticheln, um ein sicheres Ein- die Narbentherapie einen besonders hohen Stellenwert ein,
heilen ohne Hämatom- bzw. Seromkomplikationen zu ge- da durch frühestmögliche und konsequente Behandlung
währleisten. Im Einzelfall können die Transplantate auch die Bildung stigmatisierender, den Patienten ein Leben
im Größenverhältnis 1:1 gemesht werden. Aufgrund des lang begleitender Narben vermieden bzw. vermindert wer-
begrenzten Spenderareals werden Sheetgrafts nur für kos- den kann (Gold 2014). Alle verzögert konservativ abge-
metisch exponierte Stellen verwendet, beim schwerbrand- heilten sowie alle operativ behandelten Wunden im Ge-
verletzten Patienten werden sie für Gesicht und Hände sicht sollten in die Nachbehandlung eingeschlossen wer-
eingesetzt. Bei Kindern werden die Spalthauttransplantate den. Sobald eine vollständige Reepithelisierung durch die
aufgrund des größeren Kopfvolumens am rasierten Kopf konservative Therapie erreicht oder sobald die transplan-
entnommen und um Textur- und Pigmentstörungen an tierte Spalthaut stabil genug ist, wird mit der Behandlung
anderen sichtbaren Körperarealen nach Spalthautentnah- begonnen. Den Goldstandard der Therapie stellt nach wie

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
275 25
vor die Kompressionsbehandlung dar. Geeignete Kom- Cole JK, Engrav LH, Heimbach DM, Gibran NS, Costa BA et al (2012)
pression wird durch spezielle Kompressionsmasken er- Early excision and grafting of face and neck burns in patients over
reicht, die von qualifizierten Sanitätshäusern nach Maß 20 years. Plast Reconstr Surg 109:1266–1273
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V.
angepasst und von spezialisierten Herstellern gefertigt (2012) S3-Leitlinie 091-001 »Lokaltherapie chronischer Wunden
werden. Hier sollte unbedingt auf eine frühzeitige Anwen- bei den Risiken CVI, PAVK und Diabetes mellitus«. http://www.
dung einer Kombination von Kompression und Silikon awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/091-001l_S3_Lokaltherapie_
geachtet werden. Eine weitere Behandlungsoption ist die chronischer_Wunden_2012-06.pdf
Anwendung von Silikongelen und von Silikonauflagen Farroha A, Frew Q, El-Muttardi N, Philp B et al (2013) Use of biobrane
to dress split-thickness skin graft adjacent to skin graft donor
(Monstrey 2014). Gerade bei kleinflächigen Läsionen im
sites or partial-thickness burns. Journal of Burn Care & Re-
Gesichtsbereich, wo die Kompression durch weiche oder search 34(5):308
harte Masken schlecht angepasst werden kann, liegen hier Fernandes KJ, McKenzie IA, Mill P et al (2004) A dermal niche for
deutliche Vorteile. Eine kombinierte Kompressionssilikon- multipotent adult skin-derived precursor cells. Nature cell
behandlung gibt es auch in Form von in die Kompressions- biology 6(11):1082–1093
Fraulin FO, Illmayer SJ, Tredget EE (1996) Assessment of cosmetic and
kleidung eingenähten Silikonsheets. Noch besser ist die
functional results of conservative versus surgical management of
Silikontherapie mittels individuell angepasster und ausge- facial burns. Journal of Burn Care & Research 17(1):19–29
gossener Masken, die innen mit Silikon beschichtet sind. Gold M, Berman H, Clementoni B et al (2014) Updated international
Voraussetzung in der Kombinationstherapie von Silikon clinical recommendations on scar management: part I – evaluat-
und Kompression ist die Compliance des Patienten. Zu- ing the evidence. Dermatologic Surgery 40(8):817–824
dem sollte während der Narbennachbehandlung eine re- Greenhalgh DG, Hinchcliff K, Sen S, Palmieri TL (2013) A ten-year
experience with pediatric face grafts. Journal of Burn Care &
gelmäßige medizinische Kontrolle erfolgen, um den rich- Research 34(5):576–584
tigen Sitz und Druck der Kompressionswäsche oder Sili- Hartmann B, Ekkernkamp A, Johnen C et al (2007) Sprayed cultured
konmaske zu kontrollieren. Hier sind die Brandverletzten- epithelial autografts for deep dermal burns of the face and neck.
zentren mit ihren Spezialsprechstunden unverzichtbar. Bei Annals of plastic surgery 58(1):70–73
einer bereits vorhandenen Narbenhypertrophie oder ei- Highton L, Wallace C, Shah M (2013) Use of Suprathel for partial thick-
ness burns in children. Burns 39(1):136–141
nem Keloid ist der therapeutische Effekt nur marginal,
Jost GD, Osland, J (2014) Estimation of burn depth at burn centers in
weshalb andere medizinische Therapieoptionen diskutiert the United States: A survey. Journal of Burn Care & Re-
werden sollten (Rabello 2014). search 35(8):372–374
Auch hier kommen bei den Gesichtsverbrennungen Kamolz LP, Wild T (2013) Wound bed preparation: The impact
Verfahren wie das »medical needling« sowie spezielle La- of debridement and wound cleansing. Wound Medicine
1:44–50
serverfahren, auch ergänzend zu der beschriebenen Nar-
Klein MB, Moore LM, Costa B, Engrav LH (2005) Primer on the manage-
bentherapie, vermehrt zur Anwendung. Inwieweit mit ment of face burns at the University of Washington. J Burn Care
Techniken wie dem Blistergrafting auch Pigmentstörun- Rehabil 26:26:2–6
gen behandelbar sind, bleibt abzuwarten. Dem Verbren- Lee AS, Mellins RB (2006) Lung injury from smoke inhalation. Paediatr
nungschirurgen fällt in der Nachsorge die eminent wichti- Respir Rev 7(2):123–8128
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276 Kapitel 25 · Gesichtsverbrennungen

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277 26

Perianale Verbrennungen
Markus Öhlbauer, Britta Wallner

26.1 Ätiologie – 278

26.2 Verletzungsmanagement – 278


26.2.1 Harnableitung – 278
26.2.2 Wundinfektionsprävention – 279
26.2.3 Wundmanagement – 279
26.2.4 Wundunterdrucktherapie – 280
26.2.5 Hautübertragung – 280
26.2.6 Ergänzende Maßnahmen – 282
26.2.7 Vermeidung von Narbenkontrakturen – 283

26.3 Komplikationen – 283


26.3.1 Frühe Komplikationen – 283
26.3.2 Spätkomplikationen – 283

Literatur – 284

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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278 Kapitel 26 · Perianale Verbrennungen

Verborgen in einer tiefen Furche zwischen den Oberschen- übertragenen Krankheiten und Infektionen der Haut
keln liegt die Perianalregion – gewöhnlich gut geschützt (Cass 1985; Jordan 1998; Morey 2004; Weibel 1941;
vor Brandverletzungen. Wessels 2006).
Verbrennungen der Perianalregion treten zumeist in 4 Vornehmlich antiseptische oder hämostatische
Kombination mit ausgedehnten thermischen Verletzun- Substanzen inklusive Karbol- und Schwefelsäure,
gen des Körperstamms und/oder der unteren Gliedmaßen Formaldehyd, Iod und Ammoniak werden hierfür
26 auf. Neben dadurch erhöhter Komplexität der Gesamtver- verwendet, wobei zumeist Dosierungsfehler zu
sorgung des Patienten führt dies auch zu einer deutlichen den genannten Verletzungen führen.
Erhöhung der Morbidität. 4 Zusätzlich muss dann dabei – vor allem bei in suizi-
daler Absicht herbeigeführten Verätzungen mit
> Isolierte thermische Verletzungen der Perianal-
Quecksilberchloriden – die systemische Giftwirkung
region sind selten, weisen dann auch oftmals eine
beachtet werden (Weibel 1941).
ungewöhnliche Anamnese auf. Vor allem ein statt-
4 Fließende Übergänge zum Bereich der Forensik fin-
gehabter (Kindes)Missbrauch oder der Versuch
den sich aber auch bei perianalen thermischen Verlet-
diesen zu verschleiern und Selbstbeschädigungen
zungen nach (eifersuchtsbedingten) körperlichen
sollten dann kritisch hinterfragt werden.
Übergriffen oder nach Ausleben sadomasochistisch
Zumeist bleiben aber die wesentlichen Anteile von Vulva sexueller Neigungen (Vigh 1969).
und Anus, insbesondere die zentral hochsensiblen Regio- 4 Strahlenbedingte Verbrennungen perianal als iatroge-
nen, von tiefergradigen Verletzung verschont, einerseits ne Folge strahlentherapeutischer Tumortherapie sind
bedingt durch die spezielle anatomische Lokalisation, an- in den letzten Jahren zwar äußerst selten geworden,
derseits durch reflektorische Kontraktion der Gesäß- und stellen aber nach wie vor eine herausfordernde Kom-
Beckenbodenmuskulatur im Moment der Einwirkung der plikation bei diesem aufgrund der Grunderkrankung
Noxe. zumeist ohnehin geschwächten Patienten dar
Die Mitbeteiligung tiefer, muskulärer Körperschichten (Cass 1985; Jordan 1998; Morey 2004; Wessels 2006).
wie z. B. der Sphinkteren ist glücklicherweise äußerst sel- 4 Auch die iatrogen bedingten Verbrennungen im Rah-
ten, dann aber umso komplexer hinsichtlich der Rekon- men interventioneller oder chirurgischer Maßnah-
struktion. men müssen in diesem Zusammenhang aufgeführt
werden. Vor allem Diathermie-bedingte Verbrennun-
gen bei, aber auch ohne Verwendung alkoholhältigen
26.1 Ätiologie Desinfektionsmittel, Verletzungen nach Entflam-
mung der sterilen Abdeckung, durch heiße (Opera-
Brandverletzungen der Perianalregion beim Erwachsenen tions-)Instrumente sowie Verätzungen bei Behand-
sind vornehmlich bedingt durch Flammenverbrennungen. lung von Warzen werden als Ursachen in der rezenten
Brandverletzungen der Perianalregion bei Kindern werden Literatur aufgeführt.
zumeist durch Verbrühungen, durch Übergießen oder
Eintauchen in heiße Flüssigkeiten verursacht.
Auch Stromverletzungen, Verbrühungen durch (in- 26.2 Verletzungsmanagement
dustriellen) heißen Dampf sowie Verbrennungen durch
Feuerwerkskörper können mitunter zu Brandverletzun- Das Management perianaler Brandverletzungen stellt –
gen dieser speziellen Körperregion führen. Insbeson- bedingt durch die einzigartigen anatomischen wie funk-
dere Stromverletzungen können zu ausgedehnten Weich- tionellen Eigenschaften sowie die hohe endogene bakte-
teilgewebsschäden mit dramatischen Folgen für den be- rielle Last dieser Körperregion - eine wahre Herausforde-
troffenen Patienten führen (Angel 2001; Berger 1985; rung sowohl an das gesamte Behandlerteam als auch an
Cass 1985; Diarra 2004; Gottlieb 1991; Jordan 1998; den Patienten selbst dar (Gottlieb 1991; . Abb. 26.1).
McCauley 1991; Morey 2004; Muir 1973; Nallathambi
1987; Potokar 2001; Puri 2009; Shakil 1987; Wessels 2006;
Witsaman 2006). 26.2.1 Harnableitung
Isolierte Verbrennungen der Perianalregion weisen oft
mannigfaltige, teils bizzare Ursachen auf: Die Harnableitungsowohl mittels transurethralen als auch
4 Verätzung, vornehmlich perivulvär, sind oftmals suprapubischen Katheter bleibt auch bei perianalen
assoziiert mit (Eigen)Versuchen zur postkoitalen Brandverletzungen weiterhin kontrovers diskutiert. Wur-
Kontrazeption oder zum illegalen Schwangerschafts- de noch in den 1990er Jahren beinahe jeder Brandver-
abbruch, aber auch zur Eigenbehandlung von sexuell letzte Patient mittels Harnkatheter für den gesamten Zeit-

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26.2 · Verletzungsmanagement
279 26
26.2.2 Wundinfektionsprävention

Die unmittelbare Nähe zum Anus lässt - auch bei eigent-


licher Unversehrtheit der Analregion selbst – eine rasche
Superinfektion der Brandwunden mit Fäkalkeimen erwar-
ten. Wundinfektionen bergen nicht nur die Gefahr sekun-
dären Abtiefens der Verbrennungswunde durch Zerstö-
rung primär überlebender Epithelzellen, sodass in Folge
eine primär oberflächlichere zu einer tiefgradigeren, dann
operationspflichtigen Brandwunde wird, sondern dass
Wundinfektionen vor allem auch das Anheilen von Spalt-
hauttransplantaten wesentlich verzögern oder sogar ver-
hindern können (Muir 1973).

26.2.3 Wundmanagement

Perianale Brandverletzungen sowohl bei Kindern als auch


Erwachsenen beiderlei Geschlechts können nach initialem
Wunddébridement mittels Salben/Gel/Gazeverbänden
versorgt werden, wobei in den letzten Jahren auch für Ver-
brennungen der Perianalregion silbersulfadiazinhaltige
a Salben durch antimikrobiell wirksame, zumeist auf Poly-
hexanidbasis hergestellte, durchsichtige Gele, welche den
Wundgrund kaum noch verändern, abgelöst wurden (Alg-
hanem 1990; Gottlieb 1991; McDouglas 1979; Muir 1973;
Peck 1990; Rutan 1993; Weiler-Mithoff 1996).
Eine Reihe unterschiedlicher Substanzen, beispielswei-
se Kaliumpermanganat, Natriumbikarbonat, Milchsäure
und östrogenhaltige Cremen angewandt als Vaginaltam-
pons oder Vaginalduschen wurden für die Behandlung
perianaler Brandverletzungen ausgelobt, die Wirksamkeit
blieb aber bis heute unbewiesen (Weibel 1941).
Das tägliche Duschbad hingegen hilft die normale
Hautflora zu erhalten und Wunddebris zu entfernen. Ein
b
ggf. notwendiges mechanisches Débridement sollte in der
. Abb. 26.1 a Überwiegend tiefgradige Brandverletzung von über Perianalregion immer besonders exakt und mit besonde-
70 % Körperoberfläche nach Flammenverbrennung mit u. a. ausge- rer Vorsicht erfolgen, da das hochspezialisierte Gewebe
dehnten perianalen Brandverletzungen. b Detailaufnahme. Der Pa-
dieser Körperregion hinsichtlich seiner originären Eigen-
tient wird bereits im Rahmen der Erstversorgung im Narkosebad mit
einem Darmmanagementsystem versorgt, das bis zu 30 Tage belas-
schaften kaum rekonstruiert werden kann (McDoug-
sen werden kann las 1979; Muir 1973), der Verlust des sensiblen Anoderms
aber mit lebenslanger Inkontinenz einhergehen kann.
Brandverletzungen der Perianalregion eignen sich aus
raum der Behandlung versorgt, beschränkt man sich nun den genannten Gründen für gewöhnlich nicht für eine
vor allem auf den Bereich der Akutphase und soweit Kom- Frühexzision.
fort und Hygiene für den Patienten damit verbessert wer- Die initiale konservative Behandlung ist daher auf
den. Problematisch haben sich bei Langzeitanwendung die Vermeidung von Wundinfektionen gerichtet. Gerade
vor allem transurethrale Katheter in Hinblick auf erhöh- in der Perianalregion mit zahlreichen und auch tieflie-
tes Aufreten aufsteigender Harnwegsinfektionen sowie genden Hautanhangsgebilden heilen auch mitteltief – bis
urethraler Vernarbung und Stenosierung, besonders tief zweitgradige Brandverletzung ohne Hauttransplan-
bei männlichen Patienten erwiesen (Alghanem 1990; tation zufriedenstellend ab, so die Ausbildung weiterer
McDouglas 1979; Michielsen 1996; Muir 1973; Peck 1990; Nekrosen mit vollschichtigen Defekten verhindert wer-
Pisarski 1994). den kann.

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280 Kapitel 26 · Perianale Verbrennungen

Auch umschriebene drittgradige Brandverletzungen


der Perianalregion können konservativ behandelt werden.
Dies ist dem Umstand geschuldet, dass perianale Wunden
dazu neigen rasch zu kontrahieren und nach Entfernung
des Eschars rasch per sekundam zu reepithelisieren
(Alghanem 1990; Cass 1985; Gottlieb 1991; Jordan 1998;
26 Michielsen 1996; Morey 2004; Peck 1990; Pisarski 1994;
Rutan 1993; Weiler-Mithoff 1996; Wessels 2006).
Größere vollschichtige Wunden erfordern die Exzision
und nachfolgende Hauttransplantation um Narbenkont-
rakturen im Verlauf hinanzuhalten (Alghanem 1990; Gott-
lieb 1991; Muir 1973, Peck 1990; Rutan 1993; Weiler-Mit- b
hoff 1996). Dabei sollten bei der Wahl der Spalthautspen-
derstellen potentielle Entnahmestellen für ggf. im weiteren
Verlauf notwendige lokale oder gestielte Lappenplastiken
bedacht und nach Möglichkeit geschont werden.

26.2.4 Wundunterdrucktherapie

Eine Sonderstellung im Management perianaler Brandver-


letzungen nimmt die Wundunterdrucktherapie ein, deren
optimale Wundgrundkonditionierung von Wunden un-
terschiedlicher Genese, eben auch von Brandwunden, seit
vielen Jahren bekannt ist.
> Wundunterdrucktherapie vermindert oder verhin-
b
dert die Ausbildung des posttraumatischen Binde-
gewebsödems. Gewebeperfusion und Mikrozirkula- . Abb. 26.2 a Der gluteale wie auch der perianale Wundgrund
tion werden erhalten oder sogar verbessert. Neben zeigt sich nach passagerer Wundunterdrucktherapie ideal für eine
Spalthauttransplantation vorbereitet. b Spätergebnis: narbig stabil
der Verminderung des sekundären Nachbrennens
abgeheilte Gluteal- und Perianalregion ein Jahr nach Trauma
kann damit eine Optimierung der Durchblutung der
brandverletzten Haut und somit der Wundheilung
erreicht werden.
gion eine nur untergeordnete Priorität hinsichtlich der
Oberflächlich zweitgradige Brandverletzungen heilen un- Deckung mit Eigenhaut eingeräumt werden. Bis zur Ver-
ter Wundunterdrucktherapie rasch und narbenfrei ab – fügbarkeit neuer Spalthautentnahmestellen epithelisieren
zur Optimierung der Epithelisierung und Vermeidung von dann zwischenzeitlich auch tiefzweitgradig verbrannte
überschießender Granulation soll bei der Verbandanlage perianale Wunden vom Wundrand und/oder vom Wund-
zwischen Wunde und Polyurethanschaum ein Wunddis- grund vor allem bei Infekt- und Nekrosefreiheit.
tanzgitter eingelegt werden.
> Drittgradige Verbrennungen perianal, die nach
Tiefgradige Brandwunden, sowohl nach tangentialem
vollständiger Exzision nicht spannungsarm direkt
Débridement bei tief zweitgradigen als auch nach drittgra-
verschlossen werden können, bedürfen der Defekt-
digen Verbrennungen entwickeln unter der passager ange-
deckung mit Eigenhaut (Alghanem 1990; Gottlieb
legten Wundunterdrucktherapie einen sauber granulieren-
1991; Muir 1973, Peck 1990; Rutan 1993; Weiler-
den Wundgrund, der bereits ideal für eine Spalthaut-
Mithoff 1996).
transplantation vorbereitet ist (Öhlbauer 2011; Petkar
2011; (. Abb. 26.2). Der Einsatz dicker Hauttransplantate vermindert dabei die
Wahrscheinlichkeit für das spätere Auftreten hypertropher
oder kontrakter Narben, ihre Verfügbarkeit ist aber limi-
26.2.5 Hautübertragung tiert und ihre Einheilungsrate gegenüber dünnen Trans-
plantaten vermindert, u.a. aufgrund der erschwerten Fixie-
Bei ausgedehnt tiefgradig brandverletzten Patienten muss rung in dieser Körperregion. Insbesondere Hautübertra-
aufgrund limitierter Spenderareale oftmals der Perianalre- gung im Bereich von Penis und Vulva benötigen in den

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26.2 · Verletzungsmanagement
281 26

a b

. Abb. 26.3 Kontinuierliche Ableitung des Stuhls durch das Darmmanagementsystem. a Während Interventionen im Narkosebad und im
OP. b Tiefgradige, die gesamte Perianalregion betreffende Brandverletzung vor Anlage der Wundunterdrucktherapie

ersten postoperativen Tagen erhöhte Aufmerksamkeit um Bedenken hinsichtlich der Kontamination der Trans-
ein Einheilen der Transplantate zu gewährleisten. Neben plantate durch Fäkalkeime wurden lange Jahre vielfach als
Polster- und Überknüpfverbände haben sich in den letzten unbegründet abgetan. Die Möglichkeit zur Anwendung
Jahren in dieser prekären Körperregion vor allem auch Un- moderner Formen des Darmmanagements erbrachten dif-
terdruckverbände zur sicheren Fixierung der Hauttrans- ferenzierte Einschätzungen (Kement 2011; Norton 2009;
plantate bewährt. Wunddistanzgitter mit oder ohne bakte- Rees 2009).
rizide, zumeist silberhaltige Inhaltsstoffe lassen sich dabei Bei sedierten Patienten haben sich moderne Formen
optimal in dieses Verbandregime integrieren. des Darmmanagements, die eine kontinuierliche Ablei-
Eine spezielle Transplantationsform wurde im tung des Stuhls ermöglichen, bewährt (. Abb. 26.3). Be-
Jahr 1989 von Sawada zur Deckung perianaler Defekte dingung für einen erfolgreichen Einsatz dieser bis zu
nach Brandverletzung beschrieben. Hierbei werden ähn- 30 Tage im Rektum einliegenden Stuhlableitungssysteme
lich einer Reverdin-Plastik münzgroße Vollhauttransplan- ist ein breiig-flüssiger Stuhl, der zumeist mittels oral oder
tate auf granulierenden Wundgrund im Abstand von per Magensonde verabreichten Laxantien erreicht werden
5–6 cm um den Anus aufgebracht. Durch den hohen der- kann.
malen Anteil sind diese Transplantate widerstandsfähiger Eine völlige Dichtigkeit, vor allem für Stuhlwasser, ist
gegen Infektionen und zeigen eine geringere Schrump- aber zumeist auch mit diesen Darmmanagementsystemen
fungsneigung (Horch 1994; Sawada 1989). nicht zu erreichen, sodass dies über eine erhöhte Frequenz
Die postoperative Bauchlagerung der Patienten ist der Verbandwechsel kompensiert werden muss oder bei
heute im Wesentlichen abgelöst durch Lagerung in spe- Anwendung der Unterdrucktherapie über spezielle Adap-
ziellen Luftkissenbetten. Besonders Sandbetten können tierungen, die anusnah platziert über im Vergleich zum
hier ihren unübertrefflichen Vorteil hinsichtlich opti- Gesamtsystem erhöhten Unterdruck neben dem Darm-
mierten Wundgrund für Hauttransplantate bei gleich- managementsystem paraanal vorbeilaufendes Stuhlwasser
zeitiger Reduktion des Milieus für (Feucht)Keime aus- aufnehmen können (. Abb. 26.4).
spielen (Alghanem 1990; Barr 1971; Boorman 1981; Gott- Diese beim sedierten Patienten überaus erfolgreichen
lieb 1991; Michielsen 2010; Michielsen 1998; Muir 1973, Darmmanagementsysteme werden für gewöhnlich vom
Newsome 1972; Peck 1990; Rutan 1993; Ryan 1995; Van wachen Patienten nur schlecht oder gar nicht toleriert. Ein
Gilder 2010; Weiler-Mithoff 1996). mehr oder weniger willkürliches Pressen des Patienten, der
Postoperative Bettruhe für 5–7 Tage und eingeschränk- den Ballon des in der Rektumampulle einliegende Stuhl-
te körperliche Aktivität für 4–6 Wochen sind nach Haut- ableitungssystem als Defäkationsreiz wahrnimmt, kann
übertragungen perianal zumeist erforderlich. zur Dislokation des Systems oder zum Absetzten größerer
Während der postoperativen Phase ist für gewöhnlich Stuhlmengen neben dem System führen. Fehlt ausreichend
die kontinuierliche Harnableitung bis zum gesicherten An- intakte Haut als Klebefläche für einen Fäkalkollektor be-
heilen der Hauttransplantate empfohlen. Suprapubische steht die Möglichkeit der Anlage eines Anus praeter, wobei
Zystostomien sind dann bei Schwerbrandverletzten oder dafür aber auch ausreichend unverbrannte Haut im Be-
bei primärer Mitverletzung von Urethra oder Harnblase reich des Abdomens vorhanden sein muss, die dann wie-
indiziert. derum als potenzielle Spalthautentnahmestelle nicht mehr

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282 Kapitel 26 · Perianale Verbrennungen

26

a b

c d

. Abb. 26.4a–e Wundunterdrucktherapie. a Bei anusnahen Verbrennungen muss das im Rektum einliegende Schlauchsystem des Darm-
managementsystems in die Wundunterdrucktherapie mit eingeschlossen werden. b Anusnah zu platzierende Adaptierung des PU-Schaums
mit Absaugsystem bei Einschluss des Schlauchsystem des Darmmanagementsystems in die Wundunterdrucktherapie. c Über erhöhten
Unterdruck im Vergleich zum Gesamtsystem kann neben dem Darmmanagementsystem paraanal vorbeilaufendes Stuhlwasser aufgenom-
men werden. d Eine völlige Dichtigkeit, vor allem für Stuhlwasser, ist zumeist auch mit den modernen Darmmanagementsystemen nicht
zu erreichen. e Ohne perianales Absaugsystem folgt Stuhlwasser dem Soggefälle im Wundunterdruckverband

zur Verfügung steht. Auch stellt die Anlage eines Anus 26.2.6 Ergänzende Maßnahmen
praeter kein Allheilmittel bei perianalen Verbrennungen
dar, werden doch auch beim technisch korrekt angelegten > Die prophylaktische Anwendung von Antibiotika
Kolostoma sowohl beim doppelläufigen als auch beim bei perianalen Brandverletzung ist nicht indiziert.
endständigen Stoma zumindest Stuhlwasser und Schleim
immer wieder aus dem Rektum abgesetzt (Beagley 2000; Der Einsatz von Antibiotika soll auch bei perianalen
Boorman 1981; Bordes 2008; Dowsett 2002; Nakaza- Brandverletzungen auf manifeste, systemisch verifizierba-
wa 2002; Quarmby 1999; Subhas 2011). re Infektionen beschränkt bleiben (Alghanem 1990 Gott-

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26.3 · Komplikationen
283 26
lieb 1991; Michielsen 1996; Peck 1990; Pisarski 1994; werden. Routinemäßig durchgeführte Urinkulturen sind
Rutan 1993; Weiler-Mithoff 1996). dabei Teil des bakteriologischen Screenings, zeigen doch
über 70 Prozent der Patienten mit perianalen Verbrennun-
gen eine signifikante Bakteriurie und die Hälfte dieser Pa-
26.2.7 Vermeidung von Narbenkontrakturen tienten wiesen eine Bakteriämie mit eben diesen Keimen
auf (Alghanem 1990; Denchev 2003; McDouglas 1979;
Die Vermeidung von Narbenkontrakturen ist ein entschei- Peck 1990; Weiler-Mithoff 1996). Sind Dauerkatheter un-
dender Faktor im Management dieser oftmals schwerver- umgänglich ist der wöchentliche Katheterwechsel oder die
letzten Patienten. Lagerung der Oberschenkel in forcierter Anlage einer suprapubischen Zystostomie zu empfehlen.
Abduktion, aktive und passive Übungstherapie für das
Hüftgelenk und frühzeitige Mobilisierung können helfen Mitbeteiligung angrenzender Organe
schwere Kontrakturen und narbige Einziehungen über dem Primäre oder sekundäre Mitverletzungen benachbarter
Perineum zu vermeiden. Neben konsequenter Narbenpfle- Organe wie Harnblase, Dickdarm oder Beckenknochen
ge und Narbenmassage erfolgt nach vollständigem Abhei- müssen ausgeschlossen oder entsprechend behandelt wer-
len von Restdefekten die Versorgung mit Kompressions- den (Cass 1985; Jordan 1998; Morey 2004; Wessels 2006).
kleidung ggf. inkl. Silikonpelotten, um gezielt Druck auf
Prädilektionsstellen für Narbenhypertrophien aufbringen
zu können. Ringförmige Narbenbildung mit Stenosie- 26.3.2 Spätkomplikationen
rungsneigung um Vulva und Anus können die Anwendung
vaginaler Stents bzw. Analdiladatoren erforderlich machen Narbenbildung
(Alghanem 1990 Gottlieb 1991; Lai 1995; Michielsen 1996; Spätkomplikationen perianaler Verbrennungen reichen
Peck 1990; Pisarski 1994; Sawhney 1983; Weibel 1941). von Pigment- und Texturveränderungen bis zu schwersten
Narbendeformitäten, wodurch Ausscheidungs- und Se-
xualfunktion massiv gestört sind. Stellen Hautirritationen
26.3 Komplikationen eine konservativ mittels Salbenanwendung noch relativ gut
zu therapierende Beeinträchtigung dar, gehen verminderte
26.3.1 Frühe Komplikationen Intimhygiene, gestörte Sexualität und veränderte Körper-
wahrnehmung mit beträchtlichen Einschränkungen ein-
Mortalität
her. Besonders Narben nach Verbrühung in der Kindheit
Die perianale Brandverletzung stellt entsprechend der aufgrund von Vernachlässigung oder Missbrauch stellen
Klassifikation der American Burn Association und den dauernd schmerzhafte Erinnerung an die Vergangenheit
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungs- dar, was zu schweren physischen und psychosozialen Pro-
medizin ein festes Kriterium zur stationären Aufnahme in blemen für die Betroffenen führen kann (Gottlieb 1991).
ein Schwerbrandverletztenzentrum dar.
> Die in der Literatur beschriebene hohe Mortalität Narbenkontrakturen
srate von bis zu 70 % ist Ausdruck der Schwere Narbenkontrakturen stellen die häufigste Komplikation
der Verletzung der jeweiligen, eben auch perianal nach stattgehabter perianaler Verbrennung dar, die einer
brandverletzten Patienten und ist ohne direkten sekundären chirurgischen Korrektur bedürfen, besonders
Bezug zur Körperregion zu sehen. beim noch wachsenden Kind.
Intrinsische Kontrakturen von Vulva und Anus sind
Die Patienten mit perianalen Verbrennungen, die die Ver- selten, extrinsische Kontrakturen mit oder ohne Strangbil-
letzung nicht überleben, sterben überwiegend nicht auf- dung zum Perineum oder zur Leiste sind häufig. Bis zu
grund anourogenitaler Komplikationen (Alghanem 1990 60 % aller perianal brandverletzter Kinder entwickeln kor-
Gottlieb 1991; McDouglas 1979; Michielsen 2010; Mi- rekturpflichtige Kontrakturen (Alghanem 1990 Gott-
chielsen 1998; Peck 1990). lieb 1991; Michielsen 1996; Peck 1990; Pisarski 1994).
Infektion Strangbildung im Bereich des Perineums kann zu ein-
geschränkter Beweglichkeit der Hüftgelenke führen, kann
> Exzessive Wundkolonisation und Dauerkatheteran- die äußeren Geschlechtsorgane verziehen sowie schwere
lage prädisponieren zu aufsteigenden Harnwegsin- Einschränkungen bei Miktion und Defäkation und beim
fekten, zur Bakteriämie und Septikämie. Sexualleben bedeuten.
Harnkatheter sollten deshalb nur bis zum stabilen Abhei- Nach Lösen der Narbenkontrakturen sind zumeist lo-
len der oberflächlichen Verbrennungswunden oder bis kale Lappenplastiken oder Hauttransplantation nötig, um
zum stabilen Anheilen der Hauttransplantate angewandt die normale Position der Genitalien wiederherzustellen.

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284 Kapitel 26 · Perianale Verbrennungen

Narbige Kontrakturen der Vagina bedürfen entweder Michielsen 1996; Peck 1990; Pisarski 1994; Rutan 1993;
einer zumeist langdauernden Stentingtherapie oder eben- Weiler-Mithoff 1996).
falls einer chirurgischen Kontrakturlösung. Hierfür stehen
neben einfachen Narbenexzisionen, Spalt- und Vollhaut-
transplantate, Lokal- und Regionallappenplastiken bis hin Literatur
zu Fernlappenplastiken zur Verfügung (Alghanem 1990;
26 Belyaev 2006; Denchev 2003; Gottlieb 1991; Grishke- Alghanem AA, McCauley RL, Robson MC, Rutan RL, Herndon DN.
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8 Bordes J, Goutorbe P, Asencio Y, Meaudre E, Dantzer E (2008)
oder der direkte Wundverschluss nach Narbenexzision
A non-surgical device for faecal diversion in the management
sind mögliche Behandlungsoptionen (Alghanem 1990, of perineal burns. Burns. 34:840–844
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Eine seltene Komplikation, von der vor allem Kinder be- Cass AS, Gleich P, Smith C (1985) Male genital injuries from external
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troffen sind, ist der Rektumprolaps. Bedingt durch Fehl-
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oder Unterernährung, Durchfall oder Obstipation oder plastic surgery after burns of the perineum and anus with
auch das Valsalva Manöver lässt sich ein Rektumprolaps spincter’s affection – method of clinical approach. Acta Chir Plast
durch manuelles Zurückdrücken sowie Vermeiden der 45:144
Risikofaktoren korrigieren (Alghanem 1990, Peck 1990; Diarra B, Roudie J, Ehua Somian F, Coulibaly (2004) Caustic burns of
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des Behandlers in den Intimbereich der Patienten struction with bilateral bilobed flap for cloacal-like defect after
hebt den Kontrollverlust nur noch hervor und be- childbirth. Ann Plast Surg 64:62–64
schädigt ihr Selbstwertgefühl. Jordan HG, Gilbert DA (1998) Male genital trauma. Clin Plast Surg
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Etwa 25 % aller perianal brandverletzten Erwachsenen ent- Kement M, Acar HA, Barlas IS, Aksakal N, Gezen C, Düzci U, Oncel M
wickeln einen Libidoverlust. Die direkte Verletzung der (2011) Clinical evaluation of a temporary fecal containment
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Genitalien erhöht die Zahl der Patienten mit sexueller
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287 27

Verbrennungen der Hand


Malte Möller, Klaus Rudolf

27.1 Einleitung – 288

27.2 Diagnostik – 288

27.3 Therapie – 290


27.3.1 Konservative Therapie – 290
27.3.2 Operative Therapie – 291

27.4 Kombinationsverletzungen – 303

27.5 Nachbehandlung – 303


27.5.1 Physiotherapie und Ergotherapie – 304
27.5.2 Schienentherapie – 304
27.5.3 Kompressionstherapie – 304
27.5.4 Silikonapplikation – 304

Literatur – 304

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
288 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27.1 Einleitung Die exakte Einschätzung der Ausdehnung und der


Tiefe der thermischen Schädigung am Anfang der Thera-
Da die Hände zu den besonders exponierten Körperregio- pie entscheidet über das therapeutische Vorgehen und ist
nen gehören, sind Sie in einem hohen Maß durch thermi- somit von großer Wichtigkeit für das spätere Ergebnis be-
sche Verletzungen betroffen (Germann 2000; Kamolz züglich des ästhetischen Aspektes und der Funktionalität
2009). Im Krankengut am Zentrum für Schwerbrandver- (Richards 2014).
letzte des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Ham-
burg lag im Jahr 2012 die Mitbeteiligung der Hand bei
27 52,7 %. Beide Hände waren in 19,4 % der Fälle betroffen. 27.2 Diagnostik
Die Handinnenflächen sind aufgrund der dickeren Horn-
schicht, außer bei den Kontaktverbrennungen, seltener > Zur Diagnostik während der Primärversorgung ge-
betroffen. hört das ausgiebige Débridement der Wunden, da
Die Behandlung brandverletzter Hände stellt einen ho- nur so eine exakte Beurteilung des Schweregrades
hen Anspruch an den behandelnden Arzt, da neben den möglich ist.
ästhetischen Aspekten insbesondere der Funktionalität
hohe Bedeutung zukommt (Siemers 2009). Somit steht der Um die Fingerdurchblutung beurteilen zu können, müssen
Erhalt der Funktionalität der Hände vom Beginn der The- z. B. auch Verunreinigungen wie Nagellack entfernt wer-
rapie an im Vordergrund (Pan 2015). den. Die vollständige Abtragung aller Blasen und/oder
Während bei Kindern die Verbrühungen dominieren, Blasenreste ist grundsätzlich immer erforderlich!
ist bei Erwachsenen die thermale Schädigung durch direk- 4 Brandverletzung Grad I:
te Flammeneinwirkung am häufigsten. Die weniger häufi- 5 Schaden auf Epidermis beschränkt
gen Kontaktverbrennungen führen oft zu einer kompletten 5 Haut schmerzhaft, gerötet
Zerstörung der dermalen Strukturen. Bei Hochvoltstrom- 5 keine Blasenbildung
verletzungen ist vielfach der Erhalt der ganzen Hand ge- 4 Brandverletzung Grad IIa (. Abb. 27.1):
fährdet. 5 Schaden betrifft oberflächlich dermale
Um das Ausmaß der Schädigung einschätzen zu kön- Strukturen
nen, ist die Erhebung des Unfallherganges entscheidend, 5 Wunde schmerzhaft
insbesondere um Begleitverletzungen zu erkennen und 5 Blasenbildung, darunter rötlicher Wundgrund
behandeln zu können. mit guter Rekapillarisierung

a b c

. Abb. 27.1a–c Brandverletzung Grad IIa. a Zustand nach Blasenabtragung, Testung der Rekapillarisation mit dem Pinzettengriff. b Nach
Loslassen zeigt sich der Wundgrund weißlich, das Blut wurde aus den Kapillaren gedrückt. c Das Kapillarbett füllt sich wieder mit Blut. (Mit
freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

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27.2 · Diagnostik
289 27
4 Brandverletzung Grad IIb
5 Schaden betrifft tiefe dermale Strukturen
5 Wunde vermindert schmerzhaft
5 Blasenbildung, darunter blassrötlich-weißlicher
Wundgrund mit verzögerter Rekapillarisierung
4 Brandverletzung Grad III
5 Schaden betrifft komplette Dermis
5 Wunde schmerzlos
5 Wunde trocken, lederartig, gelegentlich – insbe-
sondere bei Kindern – kirschrot (durch ther-
mische Hämolyse des Kapillarbetts), ggf. thrombo-
sierte Gefäße sichtbar (. Abb. 27.2)
5 Fingernägel lösen sich
. Abb. 27.2 Thrombosierte Venen sind in der Nekrose sichtbar.
5 keine Rekapillarisierung
(Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums
Hamburg)

a b

. Abb. 27.3 a–c Aufnahmebefunde. a Linke Hand nach Blasenabtragung mit einem Mischbild aus rötlichem und weißlichem Wundgrund.
b Rechte Hand nach Blasenabtragung mit ähnlichem Mischbild. c Ausheilungszustand: die linke Hand heilte unter konservativer Therapie ab.
Im Bereich der rechten Hand wurde eine Spalthauttransplantation nach Demarkierung durchgeführt. Der Patient war mit dem Ergebnis der
rechten Hand zufriedener. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

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290 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

Die Einteilung der Schweregrade an der Hand kann pri- 4 Eine anschließende Hochlagerung der Hände sollte
mär schwierig sein. Insbesondere wenn zusätzlich große konsequent durchgeführt werden, um bei erheblicher
Flächen durch die Brandverletzung betroffen sind, die Schwellneigung die Handschwellung zu minimieren,
Patienten zentralisiert im Brandverletztenzentrum an- da diese mit einer verschlechterten Durchblutung
kommen und somit der Wundgrund bei mitteltiefen und somit auch schlechteren Wundheilung einher-
Brandverletzungen Gard II weißlich-blässlich imponiert. geht. Aus den gleichen Gründen sollte eine zu enge
In diesen Fällen ist eine Nachschau nach Wiedererwär- Wickelung des Verbandes insbesondere der Finger
mung und Normalisierung der Kreislaufverhältnisse not- vermieden werden.
27 wendig. 4 Eine Ruhigstellung der Hand in Schienen sollte in der
Akutphase nicht erfolgen, um die Ruhigstellungszeit
> Eine kontinuierliche Ableitung der Sauerstoffsätti-
der Gelenke nicht unnötig zu verlängern, da nach er-
gung kann bei ausgedehnten thermischen Traumen
folgter Spalthauttransplantation ohnehin eine kurz-
der Hand zur Kontrolle der Durchblutung erforder-
zeitige postoperative Ruhigstellung zur Anheilung der
lich sein.
Transplantate notwendig wird. So wird einer schnel-
Ebenso kann sich eine primär als weniger betroffen einge- len Einsteifung der Finger – insbesondere der Lang-
schätzte Wunde nach Rückgang des Gewebeödems als tie- fingergrundgelenke - vermieden. Zum anderen wird
fer betroffen herausstellen, da durch die Hautschädigung durch Bewegung der Hand der venöse Rückfluss ge-
in der Zone der Stase eine Minderperfusion vorhanden fördert und damit die Schwellneigung verringert.
sein kann. Dies wird als Nachbrenneffekt bezeichnet
(. Abb. 27.3). Bei der akuten Brandverletzung der Hand ist eine Antibio-
tikatherapie nicht erforderlich und würde nur zu einer
Keimselektion führen. Grundsätzlich ist bei jeder Brand-
27.3 Therapie verletzung der Tetanusimpfschutz abzuklären und bei
nichtvorhandenem Impfstatus eine entsprechende Imp-
Die Akutbehandlung der Brandverletzung der Hand um- fung durchzuführen.
fasst die nachfolgende Vorgehensweise:
4 Aufgrund der Schwellneigung der Hand müssen bei
der Akutversorgung Ringe von den Fingern genom- 27.3.1 Konservative Therapie
men werden. Zur Beurteilung der Fingerdurchblu-
tung sollte Nagellack entfernt werden. Bei der Brandverletzung Grad I° ist eine spezifische Thera-
4 Eine Rasur der umgebenden Haare ist zur Mini- pie nicht erforderlich, die Verbrennung heilt ohne Narben-
mierung der Keimkontamination notwendig, Es ist bildung ab.
jedoch darauf zu achten, dass durch die Rasur keine Die kurzzeitige Applikation kühlender und Antihista-
zusätzlichen Hautläsionen gesetzt werden. min beinhaltender Salben kann zur Schmerzlinderung
4 Die Akutversorgung sollte unter sterilen Kautelen angewandt werden.
unter ausreichender Analgesie erfolgen. Das Débride- Bei einer Brandverletzung Grad IIa erfolgt die Thera-
ment umfasst die Entfernung sämtlicher Blasen/Bla- pie mit regelmäßigen Verbandwechseln. Aufgrund der er-
senreste und des abgestorbenen Gewebes. heblichen Wundsekretion können tägliche bis mehrmals
4 Zur Akutbeurteilung gehört die Einschätzung von tägliche Verbandwechsel erforderlich sein. Mit zunehmen-
Verbrennungsausmaß und Verbrennungstiefe, beides dem Rückgang der Wundsekretion kann der Verband-
muss dokumentiert werden. Eine antiseptische Ober- wechsel auf zweitägig ausgedehnt werden. Zu jedem Ver-
flächenbehandlung mit z. B. Polihexanid 0,04-%ig bandwechsel gehört die Wundinspektion und -beurtei-
sollte zur Vermeidung einer Infektion und zur Ver- lung. Insbesondere ist auf die Entwicklung eines Wundin-
meidung der Wundaustrocknung als Oberflächenbe- fektes zu achten, da dies zu einer Abtiefung mit Schädigung
handlung erfolgen. Zur Vermeidung der Anklebung der tief- dermalen Strukturen bis hin zur Operations-
des Verbandsmulls an der Wundfläche kann eine pflichtigkeit führen kann.
Salbentüllauflage appliziert werden. Es können aber Bei der Brandverletzung Grad IIa erfolgt die Regenera-
auch andere Verbandsanordnungen z. B. mit Schaum- tion der oberflächlich-dermalen Schichten aus den noch
verbänden gewählt werden. regenerationsfähigen Koriumanteilen. Daher ist diese nach
4 Dem Fingereinzelverband ist hierbei Vorzug zu ge- etwa 14 Tagen reepithelisiert.
ben, um Verklebungen zu vermeiden und um zum Da die Handinnenflächen eine dickere Verhornung
frühest- möglichen Zeitpunkt mit der Mobilisierung aufweisen, sollte bei Brandverletzungen in diesem Bereich
zu beginnen. dementsprechend erst nach eindeutiger Demarkierung der

marcus.lehnhardt@rub.de
27.3 · Therapie
291 27
operationspflichtigen Areale spät operiert werden. Zumal Insbesondere bei Kindern bietet sich angesichts der
die Handinnenflächen mit den Fingerkuppen das taktile dann geringeren Anzahl der in Narkose durchgeführten
Organ darstellen. Verbandwechsel und der Schmerzfreiheit wegen die An-
Bei einem Mischbild der Verbrennungstiefe kommt es wendung von Folien an (Uhlig 2007).
nach spätestens zwei Wochen zur Demarkation regenera- Suprathel ist eine alloplastische resorbierbare Folie
tionsfähiger Bereiche. mit hoher Permeabilität für Feuchtigkeit, welche nach
Ist aufgrund der thermalen Schädigung keine ausrei- Débridement auf die oberflächliche Brandverletzung
chende Regeneration vorhanden, oder sind als Folge einer Grad IIa aufgebracht wird. In Verbindung mit dem feuch-
Infektion die verbliebenen Koriumschichten zerstört, soll- ten Wundgrund passt diese sich dem an. Darüber werden
te die tangentiale Nekrektomie und Spalthauttransplanta- zweilagige Gazeauflagen gelegt, wobei bei den folgenden
tion durchgeführt werden. Verbandwechseln nur die obere Lage zur Wundbeurtei-
Bei Nichtbeachtung drohen neben instabilen Narben- lung entfernt werden muss. Die Folie kann mit zuneh-
bereichen und ästhetisch störendem Ergebnis insbeson- mender Reepithelisierung entfernt werden, verbleibende
dere an der Hand massive schwere Bewegungseinschrän- Reste lösen sich im Verlauf aufgrund der Resorbierbar-
kungen durch Narbenzug. keit auf.
Cuticell Epigraft ist eine biosynthetische Zellulose-
Verbände membran, die nach Rückgang der initialen starken Sekre-
Es gibt zur Behandlung von Brandverletzungen diverse tion etwa ab dem dritten Tag einmalig aufgelegt wird. Die
Verbandmaterialien die zur Anwendung kommen. Auf- Folie wird in den ersten Tagen ebenfalls mit einer dünnen
grund der Vielzahl werden hier nur die gebräuchlichsten Mullauflage abgedeckt, später ist eine zusätzliche Abde-
exemplarisch vorgestellt. Ziel der Verbände sollte es sein, ckung nicht mehr erforderlich.
antiseptische Wundverhältnisse aufrecht zu erhalten, die Beiden Folien gemeinsam ist die nahezu vollständige
Wunden vor Austrocknung zu schützen, einen Tragekom- Schmerzfreiheit und die einmalige Applikation, weshalb
fort zu ermöglichen, um den Analgetikaeinsatz zu mini- bis zur abgeschlossenen Wundheilung keine weiteren
mieren und die Bewegungsfähigkeit der Hände zu erhal- schmerzhaften Verbandwechsel erforderlich sind, sondern
ten. Verbandwechsel sollten unter sterilen Bedingungen nur die oberen Mullauflagen gewechselt werden.
erfolgen. Um optimale Bedingungen zum Verbandwechsel Eine offene Wundbehandlung mit gerbenden Substan-
zu schaffen, sollten dem Patienten ausreichend Analgetika zen (Expositionsmethode) sollte an den Händen nicht zur
rechtzeitig vor dem Verbandwechsel gegeben werden. Anwendung kommen, da insbesondere das Gewebe an den
Nach der Wunddesinfektion mit z. B. Octenisept kann Fingern aufgrund des geringen Durchmessers austrock-
ein Verband mit z. B. Polihexanidsalbe 0,04 % zur anti- nungsgefährdet ist, die gegerbte Haut starr ist und bei Be-
septischen Behandlung angelegt werden. Die Anwendung wegung bricht. Über diese schmerzhaften Wunden kön-
antimikrobieller Substanzen soll die bakterielle Besiede- nen sich leicht Wundinfektionen manifestieren.
lung der Wunden reduzieren. Als Wundauflage sollte ein
Gazenetz zur Vermeidung einer Verklebung mit dem
Wundgrund aufgelegt werden, wobei darauf zu achten ist, 27.3.2 Operative Therapie
dass bei Bewegungen dies nicht verrutscht. Grundsätzlich
sollte jeder betroffene Finger einzeln verbunden werden, Bei tiefen zirkulären Brandverletzungen ist die Durchblu-
um ein Verkleben der Wundflächen zu vermeiden, und um tung der Finger und Hand gefährdet. Die Ödembildung bei
eine optimale Beübung auch bei angelegten Verbänden gleichzeitigem Verlust der Elastizität des Gewebes verur-
durchführen zu können. Zur Sekretaufsaugung erfolgt die sacht nicht nur eine Störung der Mikrozirkulation, es kön-
Applikation von Mullkompressen, anschließend Anwicke- nen auch die versorgenden Arterien komprimiert werden.
lung mit Mullbinden, welche zusätzlich durch selbsthaf- Selbst bei nicht komplett zirkulären Brandverletzungen
tende Binden ergänzt werden können. Auf keinen Fall kann die Durchblutung beeinträchtigt sein, sodass ein Ver-
sollten durch den Verband Einschnürungen entstehen, lust von Fingergliedern bis hin zum Extremitätenverlust
deswegen ist auch eine evtl. weiter zunehmende Schwell- droht. Da das Ödem in den ersten Stunden zunimmt, kann
neigung zu berücksichtigen. Die Verbandwechsel können sich eine bei der Primärversorgung noch gut durchblutete
– in Abhängigkeit von deren Durchfeuchtung – mehrmals Hand im Verlauf als nicht mehr durchblutet erweisen, da-
oder bis zu zweitägig notwendig werden. Eine komplette her sind engmaschige Durchblutungskontrollen erforder-
Durchfeuchtung der Verbände sollte vermieden werden. lich. Ein Hinweis hierauf kann auch die Schmerzzunahme
Alternativ können auch Verbände mit vorgefertigten und die einsetzende Sensibilitätsstörung der Finger sein.
Handschuhen (z. B. Aquacel AG Burn mit Silber und ver-
stärkten Nylonfasern) angewandt werden (Ridel 2015).

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292 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

verwendet werden, um eine Eintrocknung des Gewebes zu


vermeiden (. Abb. 27.5).

Faszienspaltung
Bei tiefergehenden Brandverletzungen oder der Stark-
stromverletzung kann die zusätzliche Faszienspaltung der
Handbinnenmuskulatur erforderlich sein (Wong 2000).

27 Karpaltunnelspaltung
Die Spaltung des Karpaltunnels kann bei tiefergehender
Brandverletzung im Bereich der Hohlhand und Handge-
a lenksbereich zur Entlastung des Druckes auf den Nervus
medianus erforderlich sein.
Die Entlastungsschnitte werden zur Vermeidung der
b Gewebsaustrocknung temporär z. B. mit Kunsthaut (Epi-
gard) abgedeckt.
. Abb. 27.4a, b Escharotomie. a Schnittführung an einem der Wenn keine spontane, zeitgerechte Epithelisierung ab-
Langfinger. b Schnittführung an der gesamten Hand. (Mit freundl. sehbar ist, sollte die operative Therapie mit möglichst ein-
Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)
zeitiger tangentialer Excision und Spalthauttransplanta-
tion erfolgen.
Escharotomie
Die Escharotomie ist das Setzen von Entlastungsschnitten, Nekrektomie
um die Durchblutung wiederherzustellen (. Abb. 27.4). Bei eindeutig tiefgradigen Brandverletzungen, oder wenn
Hierbei wird der Verbrennungsschorf inzidiert, um den nicht mit einer zeitgerechten Abheilung zu rechnen ist,
Gewebedruck zu entlasten (Burd 2006). Wichtig hierbei ist sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Operation mit
die vollständige Durchtrennung aller rigiden Fasern bis ins Nekrektomie und Spalthauttransplantation durchgeführt
Subkutangewebe, damit keine punktuellen Einschnürun- werden (Omar 2011, Sheridan 1995). Wichtig ist hierbei,
gen verbleiben. Bei den Längsinzisionen ist darauf zu ach- daß ein gut transplantationsfähiger Wundgrund vor der
ten, dass die Inzisionen über dem Handrücken bis zu den Hauttransplantation besteht. Hierzu ist die Resektion aller
Fingerspitzen durchgehend erfolgen. Hierbei erfolgt die nekrotischen Areale notwendig.
Inzision mediolateral an Zeige- und Mittelfinger ulnarsei- Ein neueres Verfahren zur Entfernung von Nekrosen
tig, am Daumen, Ring- und Kleinfinger radialseitig unter ist das enzymatische Wunddébridement mit Debridase
Schonung der Gefäß-Nerven-Bündel. Durch den Gewebe- (Krieger 2012).
druck klafft anschließend das Gewebe auseinander. Als Bei der Operation an den Händen kann eine Blutsperre
temporäre Abdeckung kann Epigard (Polyurethanschaum) verwendet werden. Die gepolsterte Druckmanschette sollte

a b

. Abb. 27.5a, b Zustand nach Inzision. a Auseinanderweichende Nekrose. b Abdeckung des Gewebes zum Schutz vor Austrocknung mit
Kunsthaut. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

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27.3 · Therapie
293 27
mit einem Druck, der 70–100 mmHg über dem systoli- Spalthauttransplantation
schen Blutdruckwert des Patienten liegen sollte, aufgefüllt Zur Defektdeckung an der Hand kann Spalthaut in un-
werden. Die Anwendung einer Blutsperre setzt Erfahrung terschiedlichem Expansionsverhältnis verwendet werden
voraus, da keine Blutungspunkte auftreten. Somit ist unter (Pensler 1988). Die Spalthaut besteht aus der Epidermis und
Blutsperre die Beurteilung eines transplantationsfähigen dem Stratum retikulare der Dermis. In jedem Fall sollte die
Wundgrundes mit Abgrenzung der vitalen Schicht er- Spalthaut zumindest skarifiziert (kleine Stichinzisionen ins
schwert. Dadurch kann das abgestorbene Gewebe zu ober- Spalthauttransplantat zur Schaffung eines Sekretabflusses)
flächlich abgetragen werden, was bedeutet, dass die trans- werden, um eine Abhebung des Transplantates vom Wund-
plantierte Spalthaut nicht anwachsen kann. Zum anderen grund zu vermeiden. Es kann aber auch im Verhältnis 1:1,5
kann es aber auch zu einer zu tiefen Abtragung kommen, expandierte Spalthaut verwendet werden, wobei aus ästheti-
wodurch unnötig vitales Gewebe abgetragen wird. schen Gesichtspunkten an der Hand diese wenig expandiert
Bei kleinflächigen Bereichen kann es sinnvoll sein, auf aufgebracht werden sollte. Somit wird das typische Mesh-
eine Blutsperre zu verzichten, da der Vorteil des blutarmen graft-Muster vermieden. Ein höhergradiges Expansionsver-
Operierens durch die Hyperämie nach Aufhebung der hältnis sollte an den Händen nicht Verwendung finden.
Blutsperre entfällt. Aus den nichtbetroffenen Arealen wird die Spalthaut
Bis zur Spalthauttransplantation sollten die tangential in einer Schichtdicke von 0,2–0,4 mm gewonnen. Je dün-
nekrektomierten Areale zur Blutstillung mit warmen ner die Spalthaut entnommen wurde, desto besser findet
kochsalzgetränkten Kompressen abgedeckt und elastisch die Einheilung und die Abheilung der Entnahmestelle
gewickelt werden. Manche Operateure verwenden zur statt. Auf der anderen Seite ist nach Abheilung die Neigung
Blutstillung auch den Zusatz von Epinephrin zum Koch- zur Narbenkontraktur um so größer, je dünner die trans-
salz. plantierte Spalthaut ist.
Je stärker die mechanische Belastung des Transplan-
jTangentiale Nekrektomie tats, desto dicker sollte die Hautbedeckung gewählt wer-
Bei der tangentialen Nekrektomie erfolgt ein schichtweises den. Am Handrücken reicht in der Regel eine Schichtdicke
Abtragen der tief thermisch geschädigten Areale mit dem von 0,2 mm aus. Hingegen werden die palmaren Bereiche
Handdermatom (Weck-Messer, Humby-Messer). der Finger und Hohlhand einer stärkeren mechanischen
Ein gut transplantationsfähiger Wundgrund ist vor- Belastung ausgesetzt, sodass bei Verwendung von Spalt-
handen, wenn einzelne Blutungspunkte in 1,5-2 mm Ab- haut in diesem Bereich eine Schichtdicke von 0,3–0,4 mm
stand zueinander auf weißem Wundgrund (Korium) oder gewählt werden sollte.
vitales Fettgewebe vorhanden sind. Bei der Transplantation sollte bei der Aufbringung der
Transplantate auch die Schrumpfungstendenz berücksich-
> In der Regel sollte die Entfernung des abgestorbe-
tigt werden. Streckseitige Transplantate sollten nicht in
nen Gewebes und Defektdeckung mittels Eigenhaut
Streckstellung der Finger, beugeseitige Transplantate nicht
einzeitig erfolgen, um eine Gewebeaustrocknung
in Beugestellung aufgebracht und fixiert werden.
zu verhindern.
Um eine dickere Verschiebeschicht am Handrücken zu
Bei tiefer gehenden Brandverletzungen kann aber auch an bekommen, kann nach Nekrektomie die Spalthauttrans-
der Hand auf das Sehnengleitgewebe oder subkutanes Fett plantation einzeitig mit Matriderm, einer dermalen Ersatz-
transplantiert werden. Am Handrücken sollte, wenn mög- matrix, bestehend aus bovinem Kollagen und Elastin,
lich, eine Fettgewebsschicht erhalten bleiben um eine gute durchgeführt werden (Haslik 2007).
Verschiebeschicht zu erhalten. Bei Transplantation auf Die Fixierung der Spalthauttransplantate im Bereich
Fettgewebe ist auf eine genaue Blutstillung zu achten, da der Finger kann mittels Einzelnähten erfolgen. Im Hand-
die Gewebsthrombokinase der Spalthauttransplantate rückenbereich können auch »skin-stapler« (Klammer-
nicht in der Lage ist, diese Blutungen zu stillen. Hingegen nähte) verwendet werden. Einige Operateure verwenden
kann es bei Transplantation von Spalthaut auf Koriuman- auch Fibrinkleber zur Spalthautfixierung.
teile durch die Wirkung der Gewebsthrombokinase zum Nach Spalthauttransplantation wird zur Vermeidung
Sistieren der Blutung kommen. der Anhaftung der Transplantate an den Verbandsmull
Nach Entfernung der nekrotischen Hautanteile steht eine Gaze aufgebracht. Zur Sekretaufsammlung erfolgt die
die Defektdeckung mittels Hauttransplantation an. Aufbringung von Mull z. B. mit Kompressen.
Im Bereich der palmaren Hand bei Kindern kommen Bei konkaven Wunden können zur besseren Anhaf-
sowohl Vollhaut- als auch Spalthauttransplantationen zur tung der Transplantate an den Wundgrund Überknüpf-
Anwendung, wobei keines der Verfahren einen signifi- polster verwendet werden.
kanten Vorteil bezüglich der Funktionalität aufweist (Pra- Um eine gute Anhaftung der Transplantate an den
setyono 2015). Wundgrund zu bekommen und um Scherkräfte auf die

marcus.lehnhardt@rub.de
294 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27

a b

. Abb. 27.6a, b Erstverband. a Leicht komprimierender Verband zur guten Fixation der Transplantate nach Spalthauttransplantation.
b Leichter Verband bei einheilenden Spalthauttransplantaten zur Beübung der Hand. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaft-
lichen Klinikums Hamburg)

Transplantate zu vermeiden, sollten leicht komprimieren- > Das Vollhauttransplantat zeichnet sich durch gerin-
de Verbände angelegt werden. Die Wickelung sollte unter gere Schrumpfungstendenz verglichen mit dem
mäßigem Zug erfolgen, jedoch auf keinen Fall die Finger- Spalthauttransplantat aus, hat aber aufgrund der
oder Handdurchblutung beeinträchtigen. Wichtig ist, dass Dicke eine etwas schlechtere Einheilungsrate, da die
jeder Finger einzeln verbunden wird, um eine Mazeration Diffusionsstrecke höher ist.
der gesunden Haut und ein Verkleben zu verhindern. Fin-
ger, die nicht betroffen sind, sollten nicht verbunden wer- Das Vollhauttransplantat umfasst die gesamte Dicke der
den, damit sie beübt werden können. Vorausgesetzt, es Kutis (Chan 2013). Zur Vollhautentnahme stehen nur be-
ergeben sich dadurch keine Scherkräfte auf transplantierte grenzte Areale aus Bereichen eines relativen Hautüber-
Areale. schusses zur Verfügung. Vorteil der Vollhautentnahme ist,
Wenn möglich sollte auch auf eine Gipsschienung ver- dass bei quer verlaufender Entnahme der Hebedefekt pri-
zichtet werden, da diese bei empfindlichem Gewebe mär verschlossen werden kann und somit die entstehende
Druckstellen verursachen können, die Verdunstung der Narbe wenig auffällig ist. Die Entnahmestellen sollten un-
Gewebeflüssigkeit im Verband verhindern und somit eine behaart sein, da sonst an der Empfängerstelle Haarwachs-
feuchte Kammer schaffen. tum vorhanden ist. Es bieten sich Hautareale an der Beu-
Postoperativ sollten die transplantierten Hände zur Ver- geseite von Gelenken an, an der Bauchwand und am Ober-
hinderung eines Ödems ruhig- und hochgelagert werden. arm. Für kleinere Bereiche, wie zum Beispiel im Bereich
Wenn vertretbar, sollte der Erstverband erst nach der Finger, können aber auch ungewöhnliche Entnahme-
4–5 Tagen erfolgen, da sich in dieser Zeit eine Verbindung stellen zur Anwendung kommen (Agarwal 2004; Baru-
zwischen Transplantat und Wundgrund durch Kapillar- chin 2005).
einsprossung gebildet hat. Je früher der Erstverband Bei der Vollhautentnahme sollte das subkutane Fettge-
durchgeführt wird, desto größer das Risiko, diese hierbei webe zur besseren Anheilung des Transplantats entfernt
vom Untergrund zu trennen. Wenn die Transplantate nach werden. Bei guter Blutstillung des zu transplantierenden
5 Tagen keine Verbindung zum Untergrund bekommen Wundgrunds kann auf eine Skarifizierung verzichtet wer-
haben, werden sie nicht einheilen. Bei dem geringsten Ver- den. Bei der Verbandanlage ist auf einen guten Andruck zu
dacht auf Wundinfektion muss jedoch der Erstverband achten, ein Überknüpfpolster kann sinnvoll sein.
vorgezogen werden (. Abb. 27.6).
Okklusivverbände
Vollhauttransplantation Bei umschriebenen Hautweichteildefekten an den Fingern,
In Bereichen mit starker mechanischer Beanspruchung an können nach erfolgter Nekrosenentfernung sehr gute Er-
der Beugeseite der Hand bietet sich die Verwendung eines gebnisse durch Okklusivverbände (Folienokklusivver-
Vollhauttransplantates an (. Abb. 27.7). Die Vollhaut be- band) erzielt werden (. Abb. 27.8). Hierbei handelt es sich
steht aus Epidermis mit der vollständigen Dermis. um ein Verfahren zur sekundären Wundheilung, bei dem
ein Defekt durch selbstklebende Folie gedeckt wird. In der
feuchten Kammer kommt es zur Bildung einer speziellen

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27.3 · Therapie
295 27

a b

. Abb. 27.7a, b Brandverletzung Grad III. a Befund in der Hohlhand. b Defektdeckung mittels skarifizierter Vollhaut. (Mit freundl. Genehmi-
gung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

a b

. Abb. 27.8a–c Folienokklusivverband. a Wundgrund nach


Débridement vor Anlage der Folie. b Folienabdeckung der Wunde.
c Abgeheilte Wunde nach Folienbehandlung. (Mit freundl. Geneh-
c
migung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

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296 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

Wundschicht in dem die Regeneration und Hautneubil- > Eine genaue Planung der Defektdeckung mittels
dung erfolgt. Unter der Folie bildet sich ein trübes und Lappenplastik ist von großer Wichtigkeit. Hierzu
stark riechendes Sekret, welches ein feuchtes Wundmilieu zählen:
schafft. Solange die Folie dicht ist, sollte sie belassen wer- 5 Anamnese
den. Erst bei starker Leckage sollte ein Folienwechsel erfol- 5 Berücksichtigung des psychischen Zustands des
gen. Die Folienbehandlung sollte nicht vor der Reepitheli- Patienten
sierung beendet werden. Falls sich bei den Wundkontrol- 5 Gefäßsituation
len zusätzlich zu den Flüssigkeitsansammlungen unter der 5 Größe und Tiefe des Defekts
27 Folie Entzündungszeichen zeigen, sollte zur Infektbehand-
lung auf ein antiseptisches Verbandregime umgestiegen Wird die Indikation für ein Defektdeckungsverfah-
werden (s. o.). ren gestellt, ist es wichtig, den Patienten in vollem
Umfang über die angewandte Technik, die Risiken,
jDefektdeckung bei tiefergehenden Probleme der Spenderregion, postoperatives Vor-
Brandverletzungen gehen, Immobilisation und Komplikationen aufzu-
Bei tiefgradigen Brandverletzungen, insbesondere an den klären, da die Kooperation des Patienten für den
Fingern aufgrund des geringen Hautmantels kann eine Erfolg der Operation maßgeblich mitentscheidend
Mitbeteiligung von Knochen, Gelenken, Sehnen, Nerven ist.
vorhanden sein. Auch bei diesen Strukturen muss ein Dé-
bridement aller abgestorbenen Gewebestrukturen durch- Lokale Lappenplastiken
geführt werden. Bei umgebender intakter Haut kann zur Defektdeckung
Bei tiefgehenden Brandverletzungen im Bereich der eine gestielte Lappenplastik verwendet werden (Nisan-
streckseitigen Finger über den proximalen Interphalange- ci 2008; Noever 1990). Hierzu stehen verschiedene Lap-
algelenken ist aufgrund des dünnen Hautweichteilmantels penplastiken zur Verfügung:
nach dem Débridement häufig ein Freiliegen des Gelenkes 4 Z-Plastiken
vorhanden. In so einem Fall kann in diesem Bereich die 4 Translokations-
Spalthaut nicht einheilen. Bei schwersten ausgedehnten 4 Rotations-
Brandverletzungen mit Mangel an intaktem transplanta- 4 Dehnungslappenplastiken
tionsfähigen Gewebe kann in Ausnahmefällen die Bildung
von Granulationsgewebe zur Schaffung eines transplanta- Vorteile dieser Lappenplastiken sind die ähnliche Hautfar-
tionsfähigen Wundgrundes unterstützt werden, um dann be und -textur des Gewebes. Des weiteren können auch
eine Spalthautdeckung zu ermöglichen. Falls eine instabile fasziokutane Lappen, Faszienlappen, Muskellappen oder
Narbe entsteht, kann diese dann nach der Akutphase durch Mehrkomponentenlappen zum Einsatz kommen, wobei
belastbares Gewebe mittels Lappenplastik ersetzt werden. diese zum Teil mit einer Spalthauttransplantation kombi-
Bei Freiliegen von Knochen oder funktionellen Struk- niert werden (Kim 2010; . Abb. 27.9).
turen reicht eine Defektdeckung mittels Spalthauttrans-
plantation nicht aus. In solchen Fällen muss eine suffizien- Fernlappenplastiken
te, belastbare Bedeckung mit vaskularisiertem Gewebe Die gestielten Fernlappenplastiken kamen in der Zeit, be-
angestrebt werden. Hierfür kommen sämtliche Verfahren vor die Möglichkeit zum mikrochirurgischen Gewebe-
der Plastischen Chirurgie mit lokalen Lappenplastiken transfer bestand, zur Anwendung. So können große De-
über Fernlappen bis hin zum freien mikrochirurgischen fekte mit freiliegenden funktionellen Strukturen an der
Gewebstransfer zur Anwendung. steckseitigen Hand mit einem gestielten Leistenlappen
Prinzipiell sollte bei Brandverletzten die einfachste und oder einem Bauchhautlappen gedeckt werden. Ebenso
sicherste Methode zur Defektdeckung angewandt werden. kann der Defekt mittels Einnaht in den kontralateralen
Somit kommt der Auswahl der Lappenplastik eine ent- Oberarm mittels Colson-Lappenplastik gedeckt werden.
scheidende Bedeutung zu. Ebenso ist aber auch der Zeit- Vorteile der Fernlappenplastiken sind die sichere Be-
punkt der Operation entscheidend für das spätere Ergeb- deckung des Gewebes mit einem belastbaren Hautweich-
nis. Eine frühzeitige Rekonstruktion sollte angestrebt wer- teilmantel. Der Nachteil besteht in der langen Immobili-
den, damit die funktionellen Strukturen erhalten bleiben. sation des Armes, die bis zur Einheilung erforderlich ist.
Aufgrund der Vielzahl der Verfahren werden im Folgen- Die Ruhigstellung muss solange erfolgen, bis das Gewebe
den nur exemplarisch einzelne Defektdeckungsmöglich- an die ortsständige Blutversorgung Anschluss gefunden
keiten aufgezeigt. hat (. Abb. 27.10).

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27.3 · Therapie
297 27

a b

c d

. Abb. 27.9a–d Stromverbrennung. a Stromeintrittsmarke mit Nekrose. b Nach Nekrektomie der Stromeintrittsmarke. c Defektdeckung
mittels Verschiebeschwenklappenplastik und Hebedefektdeckung mittels Spalthauttransplantat. d Befund nach Abheilung. (Mit freundl. Ge-
nehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

Freie Lappenplastiken > Das Risiko des Lappenverlusts bei mikrochirurgi-


Freie Lappenplastiken kommen an der Hand zur Anwen- schen Gefäßanastomosen beträgt 5–10 % und ist
dung, wenn wichtige Strukturen wie Knochen, Sehnen, abhängig von der Erfahrung des Operateurs, dem
Nerven, Gelenke, freiliegen und aufgrund des Verbren- Gefäßstatus der anastomosierten Gefäße, dem
nungsausmaßes und der Verbrennungstiefe eine Defekt- allgemeinen Gefäßstatus des Patienten sowie den
deckung aus umgebendem Gewebe nicht möglich ist. intraoperativen Rahmenbedingungen.
Hierbei wird Gewebe aus einer anderen Region durch
mikrochirurgische Gefäßnähte der versorgenden Arterie Dies ist bei der Lappenplanung zu berücksichtigen, ebenso
und der ableitenden Venen auf den Defekt aufgebracht. wie mögliche Beeinträchtigungen im Spendergebiet. Die
Zusätzlich können mikrochirurgische Nervennähte zur Komplikationsrate ist bei der primären Rekonstruktion
Erlangung einer Sensibilität erfolgen (Reddy 1998). Bei mittels freier Lappenplastik leicht erhöht gegenüber dem
einem Muskeltransfer mit mikrochirurgischem Anschluss mikrovaskulären Anschluss in der sekundären Rekonst-
an den motorischen Nerv kann eine Muskelkontraktion ruktionsphase (Sauerbier 2007).
die Funktion wiederherstellen. Freie Lappenplastiken können – wie z. B. der laterale
Zur Planung der Operation ist die Kenntnis der Durch- Oberarmlappen – als fasziokutaner Lappen mit der Kutis
blutungssituation der Hand notwendig. Neben dem Allen- entnommen werden, andere Faszien- oder Muskellappen
Test kann eine Angiographie zur Gefäßdarstellung erfor- erfordern noch die zusätzliche Spalthauttransplantation
derlich sein. zur Komplettierung der Körperoberfläche.
Eine weitere Variante des freien mikrochirurgischen
Gewebstransfers ist der Durchstromlappen, welcher bei

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298 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27

a b

. Abb. 27.10a–c Defektdeckung freiliegender funktioneller


Strukturen der streckseitigen Langfinger. a Bauchhautlappen-
deckung. b Nach Lappenstieldurchtrennung. c Endbefund.
(Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen
c
Klinikums Hamburg)

umschriebenen Defekten an den Fingern bei z. B. Strom- größere Gegenstände umfasst werden. Daher ist zur Erhal-
marken verwendet werden kann. Bei diesem Verfahren tung der Funktion bei der Daumenwiederherstellung auf
wird das venöse Gefäßnetz des Lappens mikrochirurgisch den Längenerhalt zu achten. Schon bei der Primärbehand-
an eine Arterie angeschlossen, so dass die Lappenplastik lung der thermischen Daumenverletzung sollte ein Kon-
arterialisiert wird. Zum Abfluss werden zwei bis drei venö- zept zur Daumenwiederherstellung nach der Hauttrans-
se Anastomosen angelegt (Woo 1996). Diese Lappenplas- plantationsphase erstellt werden.
tiken neigen postoperativ zu einer starken Ödembildung,
> Daumenwiederherstellungsoperationen sollten
weisen jedoch eine hohe Einheilungsrate auf. Beim opera-
möglichst bald nach der Verletzung durchgeführt
tiven Vorgehen spielen Venenklappen und Flussrichtung
werden, da sich nach Verlust des Daumens bei der
kaum eine Rolle.
Greiffunktion Ersatzmuster ausbilden. Diese Ersatz-
In der Sekundärrekonstruktion stellt die funktionelle
griffe werden dann häufig beibehalten und sind
Wiederherstellung durch Auflösung narbiger Kontraktu-
auch nach erfolgreichem Daumenersatz schlecht
ren die wesentliche Rekonstruktion dar (Baumeister 2004).
wieder korrigierbar.
Daumenwiederherstellung Für die Daumenwiederherstellung existieren grundsätz-
Der Daumen spielt für die Handfunktion eine besondere lich verschiedene Methoden.
Rolle (Eski 2007; Kurtzmann 1990). Durch das Sattelge-
lenk kann er den anderen Fingern gegenübergestellt wer- jPollizisation
den, dadurch können zum einen feinere Gegenstände zwi- Dieses Verfahren kann angewandt werden, wenn die
schen Daumen und Zeigefinger gefasst und zum anderen Nachbarfinger in der Funktion erhalten sind und nur der

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27.3 · Therapie
299 27
Daumen thermisch zerstört wurde. Die Langfinger-Polli-
zisation ist dann zu empfehlen, wenn auf das Feingefühl
und die Feinmotorik besonderer Wert gelegt wir, da die
Sensibilität der Fingerkuppe erhalten bleibt. Eine Pollizis-
ation kann auch dann durchgeführt werden, wenn der ge-
samte Daumen bis zur Basis zerstört wurde. Nachteile die-
ses Verfahrens sind Verlust des umgesetzten Langfingers
und die eingeschränkte Beweglichkeit und Kraft. Außer-
dem sind ein Umdenken und das Training der Bewegungs-
abläufe erforderlich.
Bei der Pollizisation wird ein Finger unter Erhalt von
Nerven, Blutgefäßen und Beugesehnen an seiner Basis ge-
löst, verkürzt und auf die Daumenposition umgesetzt. Der a
umgesetzte Finger entspricht dann in seiner Länge dem
ursprünglichen Daumen. Gleichzeitig erfolgt damit eine
Verschmälerung der Hand und der Handfläche (Ward
1985).
Als Daumenersatz wird meist der intakte Zeigefinger
verwendet (. Abb. 27.11; May 1984), es kann jedoch bei
Zerstörung mehrerer Finger jeder andere Langfinger als
Daumenersatz verwendet werden. Bei der Operation wird
in Höhe des Grundgelenks oder Grundglieds mobilisiert
und der erste Mittelhandknochen zur Längenanpassung
reseziert. Sämtliche vorhandenen Strukturen werden so-
b
weit gelöst, dass eine Umsetzung auf den Daumenstrahl
möglich ist. Am Daumen werden Fingergrundglied und
der erste Mittelhandknochen durch eine Osteosynthese
verbunden. Beugesehnen, Nerven und Blutgefäße bleiben
im Verlauf intakt. Die Strecksehnen des Langfingers wer-
den mit denen des Daumens vernäht.

jZehentransplantation
Der Vorteil der Zehentransplantation ist die komplette
Daumenrekonstruktion ohne Verlust eines Fingers. Vom
äußeren Aspekt bleibt die umgesetzte Zehe weiterhin eine
Zehe und unterscheidet sich deutlich vom gegenseitigen
Daumen.
Bei der Zehentransplantation wird die zweite Zehe (Sa-
bapathy 2013) oder eine verschmälerte Großzehe auf den
Daumenstrahl übertragen (. Abb. 27.12). Da die zweite
Zehe in sich beweglich ist, sollte – wenn am Daumen kein
Grundgelenk erhalten ist – dieser der Vorzug gegeben wer-
den. Die Großzehe ist gegenüber der zweiten Zehe wesent-
lich belastbarer und eignet sich auch für schwerere Arbei-
ten. Wurden bei der Brandverletzung oder Kombinations- c
verletzung außer dem Daumen auch weitere Langfinger . Abb. 27.11a–c Isolierte Daumenamputation. a Intraoperativer
zerstört oder in ihrer Funktion beeinträchtigt, ermöglicht Befund vor Pollizisation des Zeigefingers in die Daumenposition.
die Übertragung der zweiten Zehe einen Spitzgriff zwi- b Ergebnis am Ende der Operation. c Funktionelles Ergebnis im Rah-
schen Daumen und erhaltenen Langfingern mit einer gu- men der Nachuntersuchung. (Mit freundl. Genehmigung des Berufs-
genossenschaftlichen Klinikums Hamburg)
ten Beweglichkeit.
Bei der Operation wird die Zehe am Fuß abgelöst.
Knochen, Sehnen, Nerven und Blutgefäße werden freige-
legt. Nach der vollständigen Ablösung der Zehe am Fuß

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300 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27

a b

c d

. Abb. 27.12a–d Kombiniertes Trauma mit thermischer Einwirkung und Quetschung aller Finger. a Übersicht. b Seitliche Ansicht. c Transplanta-
tion der zweiten Zehe auf den Daumenstumpf. d Haltefunktion: Der Patient war mit dem funktionellen Ergebnis zufrieden, sodass er keine weitere
Zehentransplantation auf den zweiten Strahl wünschte. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

wird zunächst der Zehenknochen mit dem Daumengrund- kuppe ist der Patient aufzuklären. Es bleibt nach der Ze-
glied oder dem ersten Mittelhandknochen mit Kirschner- hentransplantation eine mehr oder minder ausgeprägte
draht oder Cerclage verbunden. Die Sehnen werden ge- Kälteempflindlichkeit vorhanden. Nach Einheilung der
näht, ebenso mikrochirurgisch Nerven und Blutgefäße. transplantierten Zehe ist meist eine gute Belastbarkeit vor-
Da die Zehentransplantation jedoch eine freie Gewebs- handen. Bis zur Erreichung der vollen Belastbarkeit kön-
übertragung mit Gefäßanschlüssen ist, besteht ein Risiko nen drei Monate vergehen. An der Entnahmestelle kommt
von etwa 5 %, dass es zu einer Zehennekrose kommt. Über es selten zu Problemen des Gangbildes. Für die ersten Mo-
ein verzögertes Einsetzen der Sensibilität an der Zehen- nate müssen Einlagen getragen werden.

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27.3 · Therapie
301 27
jPhalangisation Fingeramputation
Bei einem Daumenverlust in Grundgliedhöhe kann eine > Der Erhalt der Phalangen sollte das Ziel der Behand-
Vertiefung der Zwischenfingerfalte zwischen dem ersten lung sein. Trotzdem kann bei viertgradigen Brand-
und dem zweiten Strahl eine Verbesserung der Handspan- verletzungen mit Zerstörung des Hautweichteil-
ne erzielen. Dieses wird meist kombiniert mit einer einzei- mantels samt Sehnen und freiliegendem Knochen
tigen Verlängerung des ersten Mittelhandknochens durch eine Fingeramputation notwendig werden. Grund-
Einfügung eines Knochenspans. sätzlich gilt auch hier das Prinzip, bei ausreichender
> Der Vorteil einer Phalangisation besteht darin, Weichteilbedeckung des Knochens so viel Länge
dass die Funktionsverbesserung ohne Verlust eines wie möglich zu erhalten.
Fingers oder einer Zehe erreicht wird und keine
Um den Fingernagel bei Endgliedamputation zu erhalten,
mikrochirurgische Anastomose erforderlich ist.
sind 5 mm distal der Lunula intaktes, knöchern gestütztes
Diese Methode ist auch im höheren Alter des Pa-
Nagelbett notwendig, da es sonst zu Nagelwachstumsstö-
tienten möglich und sinnvoll.
rungen mit Rundnagel kommt. Somit sollte bei proximalen
Auf der anderen Seite ist der funktionelle Gewinn nicht Verletzungen das Nagelbett entfernt werden.
mit dem einer Pollizisation oder Zehentransplantation ver- Bei der Amputation im Mittelglied sollten die Ansätze
gleichbar. Eine Beweglichkeit ergibt sich nur im Sattelge- der kurzen Beugesehne und des Mittelzügels der Streck-
lenk und es wird keine vollständige Rekonstruktion der sehne aus funktionellen Gesichtspunkten erhalten blei-
Daumenqualität erzielt. ben. Bei der Amputation auf Grundgliedhöhe erfolgt
Bei dieser Operation wird die zum Daumen führende die Beugung und Streckung durch die intrinsische Mus-
kleine Handmuskulatur am Daumengrundglied abgelöst kulatur. Sehr kurze Zeigefinger- und Kleinfingergrund-
und am Mittelhandknochen neu fixiert. Die am ersten Mit- gliedstümpfe sind weitgehend funktionslos, daher weist
telhandknochen ansetzende, zum Zeigefinger führende eine Strahlresektion unter Umständen ein besseres Er-
Muskulatur wird abgelöst, ohne den Zeigefinger wesent- gebnis auf.
lich zu schwächen. Zur Erweiterung der Haut ist eine Bei der Amputation wird der Knochenstumpf abge-
Hautplastik oder Verpflanzung eines Hautlappens vom rundet, um Knochenvorsprünge zu vermeiden, welche die
Unterarm notwendig. Sinnvollerweise wird diese Vertie- Gebrauchsfähigkeit des Stumpfes beeinträchtigen können.
fung mit einer Verlängerung des ersten Mittelhandkno- Die Gefäßnervenbündel werden aufgesucht, die Gefäße
chens kombiniert. Bei der Operation wird der erste Mittel- koaguliert. Bei der Nervenkürzung ist darauf zu achten,
handknochen durchtrennt und ein vom Beckenkamm dass die Nervenstümpfe nicht im Bereich der Greiffläche
entnommener Knochenspan eingefügt. Dieser wird mittels zu liegen kommen. Die Beuge- und Stecksehnen werden
einer Platte fixiert. vorgezogen und durchtrennt. Da die Brandverletzung häu-
Durch dieses Verfahren kann meist eine Verlängerung figer die Streckseite der Finger betrifft, können meist die
von 1,2–1,5 cm erzielt werden. Der Amputationsstumpf palmaren Hautweichteile zur Deckung verwendet werden.
verändert sich jedoch nicht in seiner Beschaffenheit. Diese ergeben eine gut belastbare Stupfbedeckung. Der
Hautverschluss sollte locker erfolgen um die Lappen-
jDistraktion durchblutung nicht zusätzlich zu schädigen. Überstehende
Die Distraktion dient ebenfalls der Daumenverlängerung. »dog ears« sollten entfernt und angepasst werden. Hierbei
Hierbei wird ein Ringfixateur nach Ilisarow angelegt. Zur ist darauf zu achten, dass die Lappenbasis nicht beeinträch-
Verbesserung der Stabilität wird der zweite Mittelhand- tigt wird, um die Stumpfdurchblutung nicht zu gefährden.
knochen einbezogen. Der erste Mittelhandknochen wird Wenn keine gleichzeitige Spalthauttransplantation durch-
durchtrennt und das Daumengrundglied mit einem Me- geführt wurde, erfolgt bei Amputationsstümpfen keine
tallstift fixiert. Nach einer Woche wird mit der täglichen Ruhigstellung. Eine Stumpfbeklopfung zur Abhärtung
Distraktion um 0,5–1 mm begonnen. Mit dieser Methode beugt der Berührungsempfindlichkeit vor.
kann eine Verlängerung um bis zu 4 cm erzielt werden
(Matev 1980). Am Ende der Behandlung besteht eine weit- Korrekturoperationen
gehend normalisierte Knochenstruktur am verlängerten Da die Finger und die Hand ein großes Bewegungsausmaß
ersten Mittelhandknochen. umfassen, werden trotz adäquater Nachbehandlung mit
Kompression und Übungsbehandlung im Verlauf häufig
Narbenkorrekturen notwendig (Deb 2004). Die häufigsten
Korrekturoperationen an der Hand sind die Aufhebung
der Narbenkontraktur in den Zwischenfingerfalten, ins-
besondere in der ersten Zwischenfingerfalte zwischen

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302 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27

a b

c d

. Abb. 27.13a–d Narbenkorrektur. a Hypertrophe Narbe mit Instabilität. b Komplette Exzision der hypertrophen Narbe. c Spalthauttrans-
plantation des Defekts. d Ergebnis nach Einheilung der Spalthaut. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums
Hamburg)

Daumen und Zeigefinger (Kamath 2009) und die narben- Bei großflächigen Narbenfeldern bietet sich die Nar-
bedingte Beugekontraktur in den Fingergelenken. beninzision unter Schonung der funktionellen Strukturen
und die Defektdeckung mittels Vollhaut oder Spalthaut an.
> Eine Korrekturoperation sollte erfolgen, wenn sich
Bei überwiegender palmarer Schädigung bietet sich
das Bewegungsausmaß durch Beübung und adju-
nach Narbeninzision eine Rotationsverschiebelappenplas-
vante Therapie nicht verbessert. Ein zu langes War-
tik vom Handrücken heran.
ten mit der Korrekturoperation birgt das Risiko der
Im Bereich der Langfingerfalten zeigt sich der Narben-
Gelenkkapselschrumpfung und damit der arthro-
zug wie eine »Schwimmhautbildung« durch querverlau-
genen Bewegungseinschränkung.
fende Narbenzüge, so dass die Fingerspreizung einge-
Bei der Narbenkorrektur ist darauf zu achten, dass die Nar- schränkt wird.
be komplett bis zur letzten Faser durchtrennt wird Hierbei können ebenfalls Verschiebelappenplastiken
(Fufa 2014). Die Präparation muss bis zum unverletzten wie die Schmetterlingsplastik angewandt werden. Ebenso
normalen Gewebe erfolgen. Auch kommen einzelne Nar- können in diesem Bereich nach Narbeninzision auch Voll-
benfasern, die in die Tiefe ziehen, vor, welche durchtrennt und Spalthauttransplantate zur Erweiterung erfolgen.
werden sollten. Faszien und Muskelgewebe sollten respek- Bei Narbenkontrakturen an der Beugeseite von Hand
tiert werden (. Abb. 27.13). und Fingern sollte bei der Schnittführung auf eine quere
Im Bereich der ersten Zwischenfingerfalte beeinträch- Narbeninzision, welche über die Gelenkachse nach dorsal
tigt eine Narbenkontraktur die Greif- und Haltefunktion reicht, geachtet werden. Keinesfalls sollte eine Schnittfüh-
der Hand, da die Oppositionsfähigkeit des Daumens zu rung in Längsrichtung über den Fingergelenken durchge-
den Langfingern behindert wird. Bei strangförmiger Narbe führt werden. Auch in diesem Bereich erfolgt die Defekt-
kann durch eine Z-Plastik der Narbenzug aufgehoben und auffüllung mittels Voll- oder Spalthaut.
eine Vertiefung des Zwischenfingerraums erzielt werden Am Handrücken kann es bei flächenhaft instabilen
(. Abb. 27.14; Cartotto 2014). Narben oder bei massiv hypertrophen Narben notwendig

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27.5 · Nachbehandlung
303 27

a b

. Abb. 27.14a, b Narbenkorrektur. a Narbenkontraktur in der ersten Zwischenfingerfalte, angezeichnete Z-Plastik. b Erweiterte erste Zwischen-
fingerfalte nach Verschiebelappenplastik. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg)

werden, eine Narbenkorrektur durchzuführen. In diesem 27.5 Nachbehandlung


Fall kann eine flächenhafte Narbenresektion mit Spalt-
hauttransplantation die Belastbarkeit verbessern. Um eine Die Übungsbehandlung bei Brandverletzungen an den
Abhebung der Transplantate vom Wundgrund zu vermei- Händen ist wesentlich mitentscheidend für die verbleiben-
den sollten die Transplantate zum Sekretabfluss inzidiert de Beweglichkeit (Schneider 2012).
werden. Auf eine gute Auspolsterung des Verbandes ist zu
> Von Beginn an sollen Physiotherapeuten in die Be-
achten.
handlung mit einbezogen werden. Im Gegensatz zu
Durch direkte thermische Schädigung des Nagelbetts
historischen Therapieansätzen mit zum Teil langer
und Narbenkontraktur im Nagelwallbereich können Nagel-
Ruhigstellung ,teils auch über Aufhängungen über
deformitäten resultieren, welche eine Nagelbett- und Nagel-
ossär eingebrachte Drähte in Heugabelschienen,
wallrekonstruktion erfordern (Achauer 1990; Goutos 2011).
wird heutzutage eine frühzeitige Übungsbehand-
lung angestrebt.

27.4 Kombinationsverletzungen Daher wird schon präoperativ die brandverletzte Hand be-
übt. Postoperativ sollte während der Ruhigstellung auf eine
Bei Verletzungsmechanismen mit gleichzeitiger thermi- funktionsgerechte Lagerung der Gelenke geachtet werden.
scher und mechanischer Schädigung der Hand, wie sie bei In den Langfingergrundgelenken verursacht eine Lage-
Unfällen an Transportbändern, Schleifmaschinen und rung in Streckstellung eine Schrumpfung der Kollateral-
Dampfpressen vorkommen, ist mit der vollständigen Zer- bänder mit entsprechenden nachfolgenden funktionellen
störung des Hautweichteilmantels zu rechnen. Um die Problemen bei der Beugung. Daher ist eine Lagerung der
Schädigung abschätzen zu können, sollte eine genaue Un- Langfingergrundgelenke in einer Beugung von 80–90° an-
tersuchung mit Diagnostik erfolgen. Der wahre Umfang zustreben. Bei den Mittel- und Endgelenken der Langfin-
der Schädigung zeigt sich jedoch häufig erst intraoperativ, ger und am Handgelenk besteht die Neigung zur Beuge-
weshalb eine zügige operative Versorgung angestrebt wer- kontraktur, welcher durch Lagerung der Hand in Intrinsic-
den sollte. Das zerstörte Gewebe muss vollständig entfernt plus-Stellung (Streckung in den Mittel- und Endgelenken,
werden. Eine definitive Versorgung von Frakturen mit Be- sowie Dorsalextension im Handgelenk) entgegengewirkt
deckung durch Weichteile ist bei der Erstversorgung anzu- wird. Im Daumensattelgelenk ist auf eine Oppositionsstel-
streben. Eine zeitgerechte Versorgung bietet den besten lung des Daumens zu achten. Postoperativ wird meist
Schutz vor Infektion. Schon bei der Primärversorgung ist schon nach dem Erstverband mit der Übungsbehandlung
die Planung der Hautweichteildeckung, wenn sie nicht pri- begonnen. Ziel ist die Wiedererlangung der Handfunktion
mär erfolgen kann, zu planen. mit komplettem Faustschluss und den Greiffunktionen.
Wenn eine schwere Verletzung mit irreparablen Schä- Narbenstränge können erhebliche funktionelle Nach-
den ohne Aussicht auf Wiederherstellung vorliegt, muss teile nach sich ziehen. Regelmäßige Nachuntersuchungen
auch die Amputation in Erwägung gezogen werden. Unre- sind von großer Bedeutung, da sich solche Folgezustände
alistische Erhaltungsversuche führen zu einer Beeinträch- erst nach Abschluss der Primärbehandlung und Rehabili-
tigung der Gesamtfunktion der Hand. tation entwickeln (Reichert 2011).

marcus.lehnhardt@rub.de
304 Kapitel 27 · Verbrennungen der Hand

27.5.1 Physiotherapie und Ergotherapie

Ziel ist es, die Bewegungsfähigkeit der Gelenke in allen


Bewegungsgraden aufrecht zu erhalten und kontrahieren-
dem Narbenzug durch hypertrophe Narbenbildung entge-
genzuwirken. Hierzu ist die Einbeziehung der Physiothe-
rapeuten von Anfang an sinnvoll. Zur Übungsbehandlung
sollte in der Akutphase eine ausreichende Schmerzmittel-
27 gabe durchgeführt werden, um die Übungsbehandlung
adäquat durchführen zu können. Die passive Übungsbe-
handlung sollte die physiologischen Bewegungsausmaße
der Gelenke berücksichtigen. Eine selbständige, aktive
Übungsbehandlung unter vorheriger Anleitung ist jedoch
unerlässlich. Hierzu können auch Paraffinknete, Be-
übungsbälle, Schwämme und andere Hilfsmittel eingesetzt . Abb. 27.15 C-Splint zur Aufrechterhaltung der Daumenabsprei-
werden. Die Beübung sollte sowohl die isolierte Bewegung zung. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsgenossenschaftlichen
einzelner Gelenke, als auch komplexere Bewegungsabläufe Klinikums Hamburg)
der Hand, wie zum Beispiel den Faustschluss umfassen.
Nach komplettem Hautverschluss können auch Handbe-
wegungsbäder eingesetzt werden.

27.5.2 Schienentherapie

Um Narbenzug entgegenzuwirken, kann es sinnvoll sein,


zusätzlich zur tagsüber stattfindenden Übungsbehandlung
eine Schienenbehandlung durchzuführen. Insbesondere in
der Nacht, wenn keine Beübung stattfindet kann, sollte
durch eine Nachtlagerungsschiene dem Narbenzug und
. Abb. 27.16 Kompressionshandschuh mit zusätzlichem Druck auf
der Gelenkkapselschrumpfung entgegengewirkt werden. die Zwischenfingerfalten. (Mit freundl. Genehmigung des Berufsge-
Im Bereich des Daumens bietet sich ein C-Splint zur Auf- nossenschaftlichen Klinikums Hamburg)
rechterhaltung der Spreizung in der ersten Zwischenfin-
gerfalte an (Dewey 2008). Nach stabil eingeheilten Spalt-
hauttransplantaten können auch Dreipunktquengelschie- 27.5.4 Silikonapplikation
nen zur Anwendung kommen. Zur Vermeidung einer
Narbenkontraktur im Zwischenfingerbereich mit Auch Silikonauflagen wirken einer überschießenden Nar-
Schwimmhautbildung sollten Fingerspreizer verwendet benbildung, wohl durch eine Verbesserung der Haut-
werden (. Abb. 27.15). durchblutung, entgegen. Die Silikonauflagen können so-
wohl in Verbindung mit Kompressionshandschuhen, als
auch als selbstklebende Folie appliziert werden. An den
27.5.3 Kompressionstherapie Fingern haben sich auch Silikonfingerlinge bewährt. Die
Silikonauflage sollte zur Vermeidung von Hautmazeration
Mit der Kompressionstherapie sollte nach Einheilung der nur 10 h täglich getragen werden.
Spalthauttransplantate begonnen werden. Hierbei ist es
wichtig, dass ein in dieser Technik erfahrenes Sanitätshaus
Literatur
die Anfertigung nach Maß durchführt, da der exakte Sitz
für das Ergebnis entscheidend ist. Die Kompressionshand- Achauer BM, Welk RA (1990) One-stage reconstruction of the post-
schuhe sollten kontinuierlich Tag und nach getragen wer- burn nailfold contracture. Plast Reconstr Surg 85:937–940; discus-
den. Hierdurch wird ein permanenter Druck von außen sion 941
Agarwal R, Drew PJ (2004) unusual graft donor site in a full-thickness
auf die Narben ausgeübt, so dass einer überschießenden
hand burn. Burns 30(8):871–872
Narbenreaktion mit Narbenverhärtung und Narbenzug Baruchin AM, Scharf S; Bauchin O, Yoffe B (2005) Resurfacing of finger-
entgegengewirkt wird. Die Kompressionstherapie ist bis tip following deep burns: the hypothenar skin graft. Burns
zur Narbenausreifung erforderlich (. Abb. 27.16). 31(2):243–244

marcus.lehnhardt@rub.de
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305 27
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marcus.lehnhardt@rub.de
307 28

Augenirritation
und Augenverätzungen
Norbert Schrage

28.1 Einleitung – 308

28.2 Epidemiologie von Verätzungen und Verbrennungen – 308

28.3 Mechanismen der Gewebeschädigung – 308


28.3.1 Physikalische, nichtmechanische Gewebeschädigung – 308
28.3.2 Chemische Gewebeschädigung am Auge – 310

28.4 Klinische Erscheinungsformen – 312


28.4.1 Verblitzung – 312
28.4.2 Verbrühung – 312
28.4.3 Chemische Läsion – 312

28.5 Augenverätzungsläsion – 313


28.5.1 Therapeutische Intervention – 314
28.5.2 Klinische Einordnung – 314
28.5.3 Erstbehandlung – 314
28.5.4 Bewertung nach Erstbehandlung – 317

28.6 Klinische Spezialbehandlungen und Strategien


bei Verätzungskrankheit – 317
28.6.1 Lokaltherapie nach Verätzung – 317
28.6.2 Peridektomie – 318
28.6.3 Spezielle Lidoperationen und spätere Hornhauttransplantation – 319

Literatur – 320

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_28, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
308 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

28.1 Einleitung kann das Blut bei chemischen Ereignissen als Puffer
wirken.
Die Läsion einer Verätzung und Verbrennung des Auges
> Die natürlichen Abwehrmechanismen versagen,
entsteht durch eine chemische oder physikalische Überlas-
wenn die Einwirkung plötzlich, zeitlich andauernd
tung der Abwehrkräfte der Augenoberflächen.
und in ihrer physikalischen oder chemischen Kon-
Die Gradierung einer Verätzung und Verbrennung
zentriertheit die Gewebeabwehr vollständig über-
reicht vom nur spürbaren Reiz mit Jucken und brennen
fordert. Dann kommt es zum Schaden.
über erst sichtbare Veränderungen wie Rötung bis zur
Gewebsverletzung mit Verlust von Gewebeanteilen und Die engen Grenzen der Puffereigenschaften von Hornhaut-
Nekrosen. Toxikologisch wird die Bewertung einer Ver- gewebe sind in der nachfolgenden Grafik dargestellt
28 ätzung mit Irritation bis hin zur nicht heilenden Verlet- (. Abb. 28.2). Um diese zu gängigen Behandlungssubstan-
zung bewertet. zen ins Verhältnis zu setzen, haben wir die kommerziell
Um Verätzungen und Verbrennungen zu verstehen verfügbaren Puffer in Relation zum Gewebepuffer gesetzt.
und adäquat zu behandeln möchte ich zunächst die Me-
chanismen von Gewebsschädigung durch physikalische
und chemische Einflüsse beschreiben um dann die klini- 28.3.1 Physikalische, nichtmechanische
sche Phänomenologie parallel zu den Bewertungen der Gewebeschädigung
toxikologischen Substanzklassen nach GHS einzuführen.
Danach werden adäquate Erstbehandlung und die folgen- Physikalische (Licht, Strahlung, thermisch) Schädigungen
de spezielle Nachbehandlung der Verätzungskrankheit sind zunächst als Verbrühungen und Verbrennungen
beschrieben. möglich, die als häufigste thermische Schäden auftreten.
Hierbei werden die Gewebeanteile von periorbitaler Haut,
Augenlid, Zilien, Bindehaut und Hornhaut typischerweise
28.2 Epidemiologie von Verätzungen in dieser Reihenfolge mit Einwirkung im Bereich der Lid-
und Verbrennungen spalte betroffen. Häufige Verletzungsformen sind heiße
Wasser-Dämpfe, die mit oder ohne Druck ins Gesicht der
Wesentlich ist, dass in den westlichen Zivilisationen die Betroffenen sprühen. Im Haushalt sind Dampfkochtöpfe
Anzahl der industriell verursachten Verätzungen und und Fritteusen typische Unfallverursacher im gewerbli-
Verbrennungen langsam abnimmt, die Anzahl der priva- chen Bereich die Hochdruckdampferzeugungen und War-
ten Unfälle mit Verätzungssubstanzen dagegen langsam tungszonen dieser Anlagen.
zunimmt (Kuckelkorn 1995a; Kuckelkorn 1993). Im Vor- Andere physikalische Verbrennungen oder Schädigun-
dergrund stehen inzwischen neben hochkonzentrierten gen lassen sich auf physikochemische Prozesse wie die Bil-
Laugen und Säuren, Substanzen wie Reizgas (CS-Gas dung von Radikalen unter dem Einfluss von ultraviolettem
und Capsaicin), welche in schweren Fälle erhebliche
Schäden anrichten können (Kearney 2014). Die prognos-
tisch gefährlichen Verätzungen mit Laugen sind im indus-
triellen Zusammenhang deutlich häufiger. In eigenen
Untersuchungen zum Thema findet sich die in der Pro-
motionsarbeit von Hellmann (Hellmann 2008) zusam- Säure: 64
mengefasste aktuelle Verteilung von Verätzungssubstanzen
(. Abb. 28.1).
Sonsge: 126

Fluorionen
Lauge: 109
28.3 Mechanismen der Gewebeschädigung (NaF, HF): 3
Tenside: 21
Gewebe wie Haut, Bindehaut und Hornhaut haben spezi- Lösungsmiel: 9
fische Abwehrkapazitäten biochemischer und physikali-
Tränengas: 12
scher Art, die sich Umwelteinflüssen gegenüber normaler- Kalk: 105
weise behaupten können. So sind erhebliche thermische
Verbrennung:
Veränderungen durch Eng- und Weitstellung von Blutge- 38
fäßen regulierbar, solange die Gefäße noch reagieren kön-
nen. Bei schweren Verätzungen erliegt diese Regulation . Abb. 28.1 Augenverätzungen durch verschiedene Verätzungs-
innerhalb von wenigen Sekunden (Green 1985). Ebenso agentien unter epidemiologischen Gesichtspunkten (Hellmann 2008)

marcus.lehnhardt@rub.de
28.3 · Mechanismen der Gewebeschädigung
309 28

Pufferkapazität der Hornhaut: 0,29 μmol/mg


8
7,5
7
6,5
6
pH

5,5
5
4,5
4
3,5
3
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3
a addion [ml]

Pufferkapazität der Hornhaut: 0,42 μmol/mg


12
11,5
11
10,5
10
pH

9,5
9
8,5
8
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3
b addion [ml]

. Abb. 28.2 Experimentell ermittelte Pufferkapazität der gesunden Hornhaut bei Titration von 20 mg Corneastromahomogenat mit
0,005 mol/l NaOH (Natronlauge) a 0,29 μmol/mg. b 0,42 μmol/mg. (Mit freundl. Genehmigung von Dr. med. S. Rihawi und M. Frentz)

Licht (Schneeblindheit und Verblitzung) fassen (Behar- Maßnahme führt bei wiederholter Anwendung zu einer
Cohen 2014). Hierbei werden durch Absorption von Licht langfristigen Hornhauttrübung die durch die Endothel-
in den äußeren Schichten der Hornhaut eine große Menge degeneration verursacht ist (Oh 2010; Szentmáry 2013).
von lichtinduzierten chemischen Radikalen gebildet, die Eine schwere langandauernde Entzündungsreaktion bleibt
dann zu einer mehr oder weniger vollständigen Epithelde- in der Regel aus.
generation des Hornhautepithels mit entsprechend hefti- Kontakte mit glühenden Substanzen wie flüssigen Me-
gen Schmerzzuständen führen. tallen (. Abb. 28.3), welche zur Erstarrung auf dem Auge
Kälteschäden am Auge mit lokalen Erfrierungen sind führen, zeichnen sich durch die große thermische Übertra-
extrem selten und nur bei flächigen langfristigen Kontak- gung von Hitze in das Gewebe aus. Diese führt in der Regel
ten mit gut wärmeleitenden Metallen oder tiefkalten Flüs- zu ausgesprochen schweren Schäden nicht nur der Ober-
sigkeiten ein Problem, dass selten zur Hornhauttrübung fläche, sondern auch in der Tiefe des Gewebes. Die Gewebe
führt. Klinisch findet die Kryokoagulation bei der Infek- werden biochemisch so verändert, dass eine Koagulation
tion mit Akanthamöben der Hornhaut Anwendung. Diese bis hin zur Verkohlung vorkommt. Diese Veränderungen

marcus.lehnhardt@rub.de
310 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

28.3.2 Chemische Gewebeschädigung


am Auge
Substanzklassen
Chemisch unterscheidet man zwischen:
4 Säuren
4 Basen
4 Radikalen
4 reduzierenden und oxidierenden Substanzen
4 alkylierenden Substanzen
28
Der Angriff der jeweiligen Stoffgruppen an die Haut und
Schleimhaut des Auges erfolgt unterschiedlich und insbe-
sondere mit verschiedenen Latenzen und Auswirkungen.
. Abb. 28.3 Verbrennung mit flüssigem Aluminium
jKonzentration, Dissoziation
Entscheidend für die Wirkung einer chemischen Sub-
führen zu einer äußerst schweren Entzündungsreaktion stanz am Auge ist die Konzentration der Substanz, die
(Kuckelkorn 1993). chemische Gefährlichkeit, die Einwirkungsdauer und der
Angriffspunkt der Substanz im zellulären und extrazellu-
> Verbrennungen mit glühenden Substanzen zählen
lären Gewebe. Parameter der Gefährlichkeit lassen sich
mit zu den schwierigsten Fällen von Schäden, da
chemisch immer nur in Relation zum Gewebe des Auges
nicht nur die Hüllen des Auges degenerieren mit
definieren (Pospisil 2001). Diese Definition, die wir land-
schwersten deformierenden Lidveränderungen,
läufig als pH-Wert bei Säuren und Basen bezeichnen, ist
Degeneration der Limbusstammzellen, Horn- und
in Wirklichkeit chemisch besser mit den Dissoziations-
Bindehaut, sondern auch die inneren Strukturen
konstanten (pK-Werten) der jeweiligen Säure- und Basen-
irreversibel geschädigt sind.
anteile von Substanzen beschrieben (Burgher 1996; . Abb.
Strahlenschäden des Auges lassen sich prinzipiell auch un- 28.4). Liegen diese pK-Werte weit außerhalb der Amino-
ter diesem Thema subsumieren, werden aber hier nicht säuren, Zucker, Lipide und Nukleinsäuren, so wird eine
ausführlich abgehandelt, da die Oberflächenwirkungen chemische Reaktion mit diesen Korrosiva erfolgen (Matsu-
nicht im Vordergrund stehen. moto 2001). Selbst wenig dissoziierte Substanzen wie z. B.

14

12

10

6 Amphotere Zone des Zellüberlebens und der Proteinbiosynthese

. Abb. 28.4 pK-Werte von Aminosäuren. Die Dissoziationskonstanten bestimmen, ob eine Aminosäure bei einem bestimmten pH-Wert teil-
weise oder vollständig dissoziiert vorliegt

marcus.lehnhardt@rub.de
28.3 · Mechanismen der Gewebeschädigung
311 28

Je niedriger pKa, desto


stärker die Säure,
mit entsprechend mehr Basen
kann sie reagieren
= desto reaktiver ist sie
pKa
schwache Säuren,
starke Basen NH2- NH3 33 kaum Protolyse

OH- H2O 14
NH3 NH4+ 9.2

CH3COO- CH3COOH 4.8

H2O H3O+ 0

Je höher pKa, desto NO3- HNO3 -3


stärker die Base,
mit entsprechend mehr
Säuren kann sie reagieren
= desto reaktiver ist sie Cl-
schwache Basen HCl -7 starke Säuren

. Abb. 28.5 pK-Werte und Reaktionsrichtungen von chemischen Reaktionen. Die Aminosäuren liegen in einem engen Bereich in der Mitte.
Die amphotere Lösung (Diphoterine/Previn) grenzt diesen Bereich reaktionstechnisch ein und reagiert jeweils mit den extremen Reaktions-
partnern von außen nach innen. Damit ist der biologisch wichtige Bereich zwischen 9,3 und 5 geschützt. (Modifiziert nach Burgher 1996)

Flusssäure entfalten bei schwachem pH von 5 eine lebens- jSäuren


gefährliche Wirkung, da der pK-Wert von 0 eine vollstän- Säuren führen zu einer Koagulation von Eiweißen. Zellu-
dige Reaktion aller verfügbaren Reaktionspartner im Kör- läre Membranen als Doppellipidmembranen können Säu-
per nach sich zieht und damit zu einer völligen Verarmung ren vergleichsweise lange widerstehen. Der Zusammen-
an Kalzium und Magnesium führt (Langefeld 1997). bruch der epithelialen Barrieren nach einer Säurever-
Dieses Beispiel mag den etwas sperrigen Begriff pK-Wert ätzung erfolgt typischerweise schlagartig und führt bei
erläutern, um für dieses Konzept nachhaltiges Verständnis hoch konzentrierten Säuren zu einem plötzlichen Durch-
und in Bezug auf die Ziele einer initialen Therapie weg- bruch in die tiefen Gewebeschichten. Diese sehr unvor-
weisende und heilende Kräfte zu mobilisieren (Mathieu hersehbare Eigenschaft lässt Säuren in Experimentalauf-
2001). bauten zur Verätzung wesentlich schwieriger nutzbar ma-
chen, da es praktisch entweder kein oder ein maximales
jBasen und Laugen Schadensereignis zu unterscheiden gibt (Spöler 2008;
Basen und Laugen führen zu einer Verseifung der Lipide. . Abb. 28.5).
Da praktisch alle zellulären biologischen Grenzflächen aus
Doppellipidmembranen bestehen ist leicht verständlich, jEinordnung chemischer Substanzen nach GHS
dass Zellgrenzen wie z. B., epitheliale Barrieren durch Die Gefahr, welche von einer chemische Substanz ausgeht,
konzentrierte Laugen in kürzester Zeit regelhaft durch- wird aktuell nach Klassen beurteilt die auf Basis des »glo-
brochen werden (Spöler 2007). In allen Experimenten balized harmonised system« (GHS) erfasst werden (. Abb.
unserer Arbeitsgruppe ließen sich mit Laugen die am ein- 28.6). Daten dazu sind im Rahmen der REACH-Verord-
fachsten reproduzierbaren Ergebnisse produzieren, da die nung der Europäischen Gemeinschaft aus historischen
Grenzflächen regelhaft innerhalb kurzer Zeit durchlässig Tierversuchen und tierversuchsfreien Testsystemen erho-
werden. ben worden. Die Klassifikation wird auf den zu jeder Sub-

marcus.lehnhardt@rub.de
312 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

welcher 4–6 h nach beendigter Arbeit also gegen 2


bis 4 Uhr morgens mit unerträglichen Schmerzen in der
Praxis oder Ambulanz auftaucht. Die Anamnese ist weg-
weisend und die Behandlung in der Regel mit einfachen
oberflächenpflegenden Salben wie Dexpanthenol und/oder
antibiotikahaltigen Augensalben plus Schmerzmittel (Ibu-
profen) durchzuführen. Langzeitige Schäden sind extrem
a b
selten. Die Patienten verlangen typischerweise nach Lokal-
. Abb. 28.6a, b GHS-Symbole für korrosive und irritierende Sub- anästhetika, diese sind in der Behandlung kontraindiziert,
stanzen. Diese Klassifikationen sind europäisch vorgeschrieben und da durch eine solche Fehlbehandlung schwere Ulzerationen
28 gelten für Haut und Auge. a Korrosiv. b Reizend der Hornhaut ausgelöst werden können (Erdem 2013).

stanz notwendigen Sicherheitsdatenblättern dokumentiert 28.4.2 Verbrühung


(»material safety data sheet«, MSD). Die Klassen sind NI
(»non irritant«, nicht reizend), S1 (korrosiv, mit Narben- Verbrühungen der Augen können von leichten oberfläch-
bildung), S2A (korrosiv, abheilend) und S2B (korrosiv, lichen Schäden bis hin zu tiefen Nekrosen von Hornhaut,
nicht abheilend). Diese grobe Klassifikation geht von limi- Limbus und Bindehaut. Die Erkrankungstiefe geht von
tierten zeitlichen Expositionen aus und erfasst keine typi- leichten epithelialen Verlusten mit starken Schmerzen bis
schen Unfälle mit Expositionen im Schwall mit großen hin zu schweren Verbrennungen inklusive einer nachfol-
Mengen von Substanzen. Für Spritzer und kleinen Subs- genden Limbusstammzellinsuffizienz. Diese haben dann
tanzmengen erlaubt diese Klassifikation aber eine ver- alle Kriterien der Läsionen nach einer schweren Verätzung
gleichende Einordnung von unbekannten Substanzen von Grad I–IV.
(Adriaens 2014). Die grafischen Zeichen für die Kenn-
zeichnung sind das Kreuz für reizend und die Hand mit
Wunde und Tropfen für schwer korrosive Substanzen. 28.4.3 Chemische Läsion

Die Reizung eines Auges durch chemische Substanzen


28.4 Klinische Erscheinungsformen kann von leichten Missempfindungen (Irritation) bis hin
zu massiven Beeinträchtigungen des Sehens über einen
28.4.1 Verblitzung Zeitraum von 1–48 h gehen. Typischerweise finden solche
Reizungen mit Capsaicin oder Reizgasen statt, aber auch
Eine Verblitzung oder Schneeblindheit tritt typischerweise niedrig konzentrierte und extrem kurzzeitige Expositio-
nach einer überkritischen Exposition des Auges gegenüber nen mit gefährlichen Chemikalien hinterlassen solche Zu-
UV-Strahlen auf. Diese imponiert als eine je nach Aus- stände. Typischerweise kommt es zu einer Rötung Schmer-
prägung der Exposition von 1 bis 5 h verzögerte Schmerz- zen und Missempfindungen, die häufig in einer mit Fluo-
symptomatik mit korneal-epithelialen oberflächlichen De- rescein anfärbbaren Oberfläche von Horn- und Bindehaut
fekten (Söderberg 2011). Klinisch typisch ist der Patient, einhergehen (. Abb. 28.7).

a b

. Abb. 28.7a, b Chemische Irritation durch Tränengas. a Klinisches Bild: das Auge ist gerötet, schmerzt, brennt und juckt äußerst unangenehm.
Capsaicin setzt Substanz P frei und führt damit zu einer starken Reizung der Nervenendigungen bis hin zur Nekrose von Nervenfasern mit nach-
folgender schwerer neurotropher Korneadegeneration. b Im Fluoresceinbild zeigt sich eine diffuse Anfärbbarkeit von Horn- und Bindehaut

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28.5 · Augenverätzungsläsion
313 28
28.5 Augenverätzungsläsion Diese Veränderung beinhaltet einen massiven Anstieg der
Gewebeosmolarität. Die extremen Osmolaritätsdifferen-
Die Augenverätzung ist eine definitive Schädigung der zen alleine reichen aus um durch Wasserentzug aus den
oberflächlichen und tiefen Schichten von: Gefäßen die Zirkulation in den Gefäßen von Konjunktiva
4 Cornea und Sklera zum erliegen zu bringen und eine sekundäre
4 Limbus Ischämie mit einem schweren nutritiven Schaden zu ver-
4 Bindehaut ursachen. Im Weiteren verändert sich je nach eindringen-
4 tarsalen Konjunktiva der Substanz die chemischen Zusammensetzung des Ge-
4 Lidhaut webes durch Reaktion der Proteine, Zucker und Lipid-
membrane. Diese Veränderung besteht einerseits in der
Vielfach sind Bereiche innerhalb der offenen Lidspalte be- chemischen Reaktion, Veränderungen der Wasserbin-
troffen. In schweren Fällen werden die Chemikalien typi- dungsfähigkeit Proteindeformation und Membranzerfall.
scherweise unter Druck in den Konjunktivalsack gespült Diese Konzentrationsverschiebungen führen im Zusam-
und verbleiben dort bei einem unmittelbar einsetzenden menhang mit einer Beendigung der Exposition dann zu
Lidkrampf des betroffenen Patienten. Die Schäden am einem massiven Flüssigkeitseinstrom aus den umliegen-
Auge sind dann auf der gesamten Schleimhautoberfläche den Kompartimenten. Damit erklärt sich rein physikalisch
zu finden. die nach einer schweren chemischen und auch thermi-
schen Läsion typischerweise einsetzenden Hornhautöde-
> Die Gewebe der Bindehaut und Hornhaut werden me und wie auch die Chemosis der Bindehaut. Dieser Was-
von der eindringenden chemischen Substanz je sereinstrom wird insbesondere nach einer Spülung mit
nach Konzentration, chemischer Art der Substanz (hypoosmolarem) Wasser noch verstärkt. Nach Einfüh-
und Einwirkungszeit durchdrungen. Parallel zu rung der Auenspülung mittels hyperosmolarer Lösung
einer chemischen Reaktion ändern sich die Ionen- (Previn) in unserer Klinik ist die von Reim (Reim 1990) in
konzentrationen im Gewebe durch Addition von seiner Klassifikation beschriebene Chemosis initial nicht
Ionen aus der eindringenden Substanz. mehr beobachtet worden (. Abb. 28.8).

a b

c d

. Abb. 28.8a–d Augenverätzungen. a Verätzung Grad I mit Brandkalk nach Augenspülung. Das Auge ist massiv gerötet. Die Hornhaut zen-
tral Fluorescein-positiv, die Bindehaut temporal oben chemotisch. Die Prognose ist sehr gut. In diesem Fall restitutio ad integrum nach 2 Wo-
chen. b Verätzung Grad II mit Beton 2 Tage nach Trauma. Die Bindehaut ist im unteren Bereich ischämisch, das Limbusrandschlingennetz
über annähernd die Hälfte des Limbus vollständig obliteriert. Die Bindehaut fehlt im unteren Bereich beinahe vollständig, Die Lidkanten sind
glatt und nicht verätzt. Die Hornhaut klar mit großem Epitheldefekt. c Verätzung Grad II mit massivem Hornhautstromaödem durch Spülung
mit Leitungswasser. Man beachte das intakte Randschlingennetz, die massiven Descemetfalten als Zeichen der Wasseraufnahme der Horn-
haut zum Osmolaritätsausgleich. d Verätzung mit Benzalkoniumchlorid 1 g/l bei einem Säugling. Zustand 2 Wochen nach Verätzung und
ausgiebiger Spülung mit Previn sowie Behandlung mit Vitamin C, Steroiden und lokalen Antibiotika. Man beachte die massive Neovaskulari-
sation und die zentrale Erosion sowie die schwere Hornhauttrübung

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314 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

28.5.1 Therapeutische Intervention kation nach Reim (. Tab. 28.1) klinisch nach wie vor weg-
weisend.
Auch wenn wir Mediziner bislang glauben, dass die chemi- Wichtig an dieser Klassifikation ist die initiale und spä-
schen Läsionen regelhaft unumkehrbar sind, so gehorchen tere Einordnung der Befunde, die sich am Überleben des
auch die verätzten Gewebe den chemischen Gesetzen des Organs orientiert. Klassifikationen wie die von Dua (Dua
Massenwirkungsgesetzes, welches nur Edukte und Produk- 2001) vorgeschlagene, haben isoliert die Heilung der Horn-
te kennt. Wenn Reaktionen mit Geweben und Strukturen haut und die Anwendbarkeit von Limbustransplantaten im
chemisch umgekehrt werden, so sollte chemisch alteriertes Blick, wieder andere versuchen die Verbindung zur Toxiko-
Gewebe vollständig oder auch nur teilweise wiederherge- logie mit dem Konzept von Area und Depth herzustellen,
stellt werden? Es ist daher wichtig, die Verätzung in dieser welches aber isoliert in der Augenheilkunde keine prognos-
28 Form neu zu verstehen und nicht als unumkehrbares Er- tische Wertigkeit bekommt, insbesondere da vielfach ohne
eignis. Die Grafiken zu pK-Werten von Aminosäuren und Kenntnis der Ätzsubstanz und der Expositionsbedingungen
Reaktionsmuster in Abhängigkeit vom pK-Wert sollen hel- behandelt werden muss (Bagley 2006; . Abb. 28.9).
fen, diesen Ansatz begreifbar zu machen (Merle 2008).

28.5.3 Erstbehandlung
28.5.2 Klinische Einordnung
Nach den obigen Ausführungen wird der Leser merken,
Die klinische Erscheinungsform von Verätzungen wird dass das Hauptaugenmerk der initialen Therapie auf drei
nach dem von Lidern, Bindehaut und Hornhaut bewertet. wesentlichen Prinzipien ruht:
Besonderer Augenmerk liegt auf dem Überleben des 1. Beendigung der Einwirkung des korrosiven Agens
Limbus und der diese Struktur versorgenden kleinen Ge- (Einwirkungszeit verkürzen)
fäße. Die Klassifikation von Roper Hall und anschließend 2. Schäden durch chemische Reaktionen, soweit reversi-
Martin Reim in vier Grade ist bezogen auf die Prognose bel, zurückreagieren bzw. mit den in der Spüllösung
der Augen nach wie vor gültig, auch wenn es Bestrebungen angebotenen Reaktionspartnern abreagieren lassen
gibt, die Klassifikationen im Hinblick auf das Überleben 3. Den osmolar bedingten Schaden physikochemisch
der kornealen Strukturen zu verfeinern. In Bezug auf beenden und minimieren, dabei große osmolare
Prognose und Therapie des Gesamtauges ist die Klassifi- Sprünge vermeiden

. Tab. 28.1 Klassifikation der Augenverätzungen. (Modifiziert nach Reim 1990)

Klasse I II III IV

Zeitraum Befunde

Erosio Erosio Erosio tiefe Ischämie >¾

kein Limbusschaden Limbusschaden <ൈ Limbusschaden <½ Limbusschaden >½

Hyperämie Ischämie ൈ Ischämie >½ dichte Corneatrübung

Initial (Chemosis) rosa (Chemosis) konjunktivale Nekrosen

Corneatrübung Sklera porzellanweiß

Missfärbung und Atrophie der Iris

Fibrinexsudate

Regeneration Rezirkulation persistierende Erosio Proliferationen

Regeneration Narbenpterygium Konjunktivalisation

Konjunktivalisation schwere Vernarbung


1–3 Tage
später Ulzeration große Ulzerationen

Neovaskularisation Einschmelzung

Narben Katarakt, Glaukom

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28.5 · Augenverätzungsläsion
315 28
digung der Einwirkung der korrosiven Wirkung lässt sich
durch jede neutrale wässrige Spülung oder Leitungswasser
erreichen. Im Zweifel sind annähernd alle trinkbaren Flüs-
sigkeiten außer saure Fruchtsäfte und hochprozentige
Alkoholika geeignet, um die Einwirkung eines Korrosi-
vums auf das Auge zu beenden. Wichtig ist es, im Notfall
keine Zeit mit der Suche nach einer geeigneten Spezial-
lösung zu verlieren, sondern die nächstliegende Flüssigkeit
zu nehmen, die die Verätzung zunächst beenden kann.
Hier sind Leitungswasser, wenn nichts anders vorhan-
den ist, aber auch Sprudel, Cola, Bier oder Milch oppor-
tun. Durch diese Flüssigkeiten wird das Agens verdünnt
und weggespült. In Ex-vivo-Experimenten wurde unter
anderem auch mit Milch gespült; die historisch genann-
ten Trübungen der Hornhaut wurden nicht gefunden
. Abb. 28.9 Augenverätzung Grad IV mit 60-%iger Natronlauge,
(. Abb. 28.10).
versorgt für 2 h Transport in unsere Klinik mit einem kochsalzge-
tränkten Wattetupfer. Bei ausbleibender Augenspülung resultiert Chemische Dekontamination
eine schwerste Augenverätzung mit Lidbeteiligung, ischämischem Die Umkehrung einer chemischen Reaktion auf Haut und
Limbus, trüber Hornhaut (gekochtes Fischauge) graue Nekrose
Auge ist eine sehr spezielle Anforderung, die chemisch
der Lidhaut und der inferior-medialen Konjunktiva. Der Limbus ist
vollständig zerstört. Nach Previn-Augenspülung fehlt die sonst
spezielle Voraussetzungen, nämlich adäquate, den Körper
zu beobachtende Chemosis weitestgehend nicht schädigende Reaktionspartner braucht. Dieser muss
einerseits reaktiver als die biologischen Gewebe und ande-
rerseits mit seinen Reaktionsprodukten nicht schädlich
> Wichtigste Maßnahme bei Augenverätzungen: sein. Puffer können zwar H+ oder OH-Ionen neutralisie-
Augenspülung so früh wie eben möglich, mechani- ren aber spezifische Rückreaktionen von Proteinen sind
sches Entfernen von ätzenden Fremdkörpern vom nicht bekannt, ferner können sich die Reaktionsprodukte
Auge von Puffern mit Geweben im Körper ablagern. Typische
Vertreter für diese Reaktionen sind Trübungen nach De-
Ausspülen kontamination von Flusssäure mit kalziumhaltigen Lösun-
Klinisch lassen sich die oben genannten Therapieprinzipi- gen (Kalziumglukonat) welche weiße Trübungen (Fluss-
en einzeln aber auch kombiniert verwirklichen. Die Been- und Kalkspat; Spöler 2007) in der Hornhaut hinterlässt

a b

. Abb. 28.10 a Doppeltes Ektropionieren mit Desmarréschem Lidhaken. b Augenspülung mit Ringerlaktat mittels Überlaufkanüle. Wichtig
bei Verätzungen: lange spülen, initial für 1–2 min im Schwall unter Augenbewegung in alle Blickrichtungen und Reinigung der Fornices,
danach langsam tropfend spülen für 15 min (Zeit kontrollieren!)

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316 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

13

12
Intrakameraler pH-Wert während des Sülens

11

10

28
9

ungespült
8 Diphoterine

isotonischer Phosphatpuffer
7
Boratpuffer

6 NaCl 0,9%

Leitungswasser
5
0 200 400 600 800 1000 1200
Zeit (s)

. Abb. 28.11 Augenspülung mit verschiedenen Spüllösungen nach 1 molarer Natronlaugenverätzung. Previn senkt den pH-Wert intra-
kameral nach 15 min Spülung am effektivsten, danach folgt Boratpuffer und Leitungswasser. Ein isotoner Phosphatpuffer und Kochsalzlösung
sind bezogen auf die pH-Senkung intraokular wirkungslos und daher in der spezifisch auf solche Unfälle vorbereiteten Rettungsdienstam-
bulanz eines Augenarztes oder Krankenhauses nicht zu empfehlen. Hier sollten effiziente Mittel wie z. B. Previn oder Diphoterine vorgehalten
werden. (Nach Rihawi 2005; Rihawi 2006)

oder die Trübungen mit Kalziumphosphat nach Augen- fähigkeit der überlebenden Gewebe wiederherzustellen
spülungen mit Phosphatpuffern. Der für Alkaliverätzun- (. Abb. 28.11). Dieses Konzept wird derzeit von zwei che-
gen gut geeignete Boratpuffer hinterlässt bislang keine misch verschiedenen Lösungen wie Diphoterine und Pre-
beobachteten Ablagerungen, sein Anwendungsgebiet ist vin geboten und scheint nach unseren eigenen Untersu-
aber auf Alkali zu fokussieren, da dieser Puffer bei Säuren chungsergebnissen und klinischen Erfahrungen tatsäch-
eine deutlich zu geringe Kapazität aufweist. lich zu funktionieren.
Anders ist dies bei amphoteren Lösungen mit chemi-
schen Reaktionsmöglichkeiten jenseits der Dissoziations- Osmoschock
konstanten von Aminosäuren, Lipiden und Zuckern. Che- Zuletzt ist in der Ersttherapie notwendig die Osmolaritäts-
misch lässt sich dieses Konzept dadurch belegen, dass jeder unterschiede abzumildern. Dies gelingt durch hyperosmo-
der im zellulären Stoffwechsel verfügbaren Bausteine, lare Augenspüllösungen, die die aufgenommenen Ionen
durch Enzyme moderiert als »Amphoter« reagiert. Insbe- im Gewebe nicht einfach verdünnen und damit in den
sondere Aminosäuren verhalten sich N- und C-Terminal Überlebenden Geweben zu erheblichen Zytolysen führen.
als echte Amphotere, die in einem pH-Bereich von 5,4 bis Allerdings sind nach unseren eigenen Untersuchungen
9,3 an beiden Enden reagieren können. In den meisten Fäl- diese Spülungen mit nicht puffernden oder amphoteren
len ist eine Karboxylgruppe mit einem pKa von 2–3 vor- rein hyperosmolaren Lösungen außerordentlich zwei-
handen. Diese richtet die Aminosäure in der Proteinbio- schneidig, da die Hyperosmolarität alleine die in das Ge-
synthese typischerweise aus. Unterhalb und oberhalb der webe eingedrungene Korrosivafront vertieft und damit zu
Grenzen von pH 5,4 und 9,3 kommt die Proteinbiosynthe- einem erhöhten Schaden führt. Um also diese Wirkung
se komplett zum Erliegen. Daher muss durch eine Spülung optimal zu entfalten ist eine Kombination von Puffer res-
des Auges (und der Haut) nach einer Verätzung dieser pH- pektive Amphoterwirkung mit der Hyperosmolarität
Bereich schnell wieder erreicht werden um die Reaktions- zwingend notwendig (Kompa 2002). Derzeit realisiert die-

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28.6 · Klinische Spezialbehandlungen und Strategien bei Verätzungskrankheit
317 28
ses Wirkprinzip die Augenspüllösung »Plum pH-neutral«, 28.6 Klinische Spezialbehandlungen und
allerdings handelt es sich hier um einen hochkonzentrier- Strategien bei Verätzungskrankheit
ten Phosphatpuffer, den wir aufgrund der häufig beobach-
teten Hornhauttrübungen zur Behandlung von Verätzun- Epithelheilungsfördernde Maßnahmen müssen initiiert
gen nicht empfehlen (Schrage 2005; Schrage 2001). werden. Dazu gehören Oberflächenpflege, intensive The-
Schlimmer noch ist, dass praktisch alle phosphathaltigen rapie mit hyaluronsäurehaltigen Substanzen. Ferner sind
Therapeutika eine Augenverkalkung verursachen können, unkonservierte phosphatfreie Steroide indiziert (z. B. De-
daher sollte diese bei verletzten Epithelien nicht ange- xa-Pos-Comod), die eine autoimmune Zerstörung der
wendet werden (Bernauer 2006). Es bleiben daher mit überlebenden Limbusstammzellen sowie die Zerstörung
kombiniertem Wirkprinzip derzeit nur Diphoterine- und der Hornhaut durch die eindringenden Leukozyten ver-
Previn-Spüllösungen, welche sicher phosphatfrei sind hindern können (Pfister 1996). Gleichzeitig sollte Vita-
(. Abb. 28.12). min C (Ascorvit, Cebion intravenöse Lösung) gegeben
werden, um die Proliferation von Fibroblasten und die
Transformation von verbliebenen Stammzellen in diffe-
28.5.4 Bewertung nach Erstbehandlung renzierte Zellen zu behindern (. Abb. 28.13).

Nach der initialen Phase einer Verätzungsläsion und der


nachfolgenden Dekontamination, welche um so länger 28.6.1 Lokaltherapie nach Verätzung
dauern sollte je länger das Korrosivum eingewirkt hat,
müssen die Läsionen an der Spaltlampe bewertet werden, Unkonservierte Augentropfen
Die Augenspülung muss vor jeder anderen Maßnahme er- Um Schäden durch die Tropftherapie zu mindern ist eine
folgen, Während der initialen Spülung ist Zeit für eine Un- absolut konservierungsmittelfreie Therapie zu wählen.
fallanamnese. Cave: perforierende Verletzungen (explo- Wesentliche Stützen sind unkonserviertes Vitamin C (Pfis-
dierte Autobatterie nach Unfällen) sind ein besonderes ter 1991; Cebion, intravenöse Lösung), unkonservierte
Risiko, hier gibt es derzeit keine wissenschaftliche Klarheit phosphatfreie Steroide (hier ist derzeit Dexa-POS-Comod
ob hyperosmolare Lösungen Schaden anrichten können die einzige Substanz im deutschen Markt; Bernauer 2008).
(Pfister 1996). Daher ist eine Spülung mit Ringerlaktat und Ein Kombipräparat ohne Konservierungsmittel wäre auch
eine sofortige chirurgische Versorgung notwendig. Dexa-Polyspectran AT. Ein Hylaluronsäurepräparat ohne
Phosphatpuffer sind aktuell nur Hylo-Comod und Hylo-
Care, welche zusätzlich noch Dexpanthenol enthalten und
in experimentellen Versuchen zur Hornhautheilung gute
Heilungsergebnisse zeigen (Schrage 2010).

140
120
Zellproliferation (%)

a
100
80
60
40
20
0
0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5
b Vitamin-C-Konzentration (mMol)

. Abb. 28.12a, b Experimentelle Verätzung und Dekontamination . Abb. 28.13 Verhältnis Zellproliferation zu Vitamin-C-Konzentra-
mittels Previn. a Unbehandelte Verätzung für 20 s 2 Mol mit NaOH, tion: in Dosierungen >1 mmol/l behindert Vitamin C die Proliferation
danach kurze Spülung mit 0,9-%igem NaCl. b 20 s Verätzung mit von Fibroblasten und modifiziert damit die Narbenbildung. Klinisch
2 Mol NaOH und Dekontamination der Hornhaut mit Previn-Lösung ist der proliferationshemmende Effekt bei Keloiden hochwirksam
für 15 min (Flussgeschwindigkeit: 66 ml/min): Im OCT ist deutlich zu und im Gegensatz zu Zytostatika komplett reversibel (Hermel 2001;
sehen, dass das Gewebe völlig anders betroffen ist und die Eindring- Böhmer 2001; Heckelen 2004)
tiefe des Agens in die Hornhaut durch Augenspülung mit einer
Dekontaminationslösung begrenzt wird (Mit freundl. Genehmigung
aus Rihawi 2006)

marcus.lehnhardt@rub.de
318 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

28
a b

. Abb. 28.14a, b Klinische Verätzung des Auges mit Alkali. a Spülung mit phosphathaltiger Lösung. b Experimentelle Spülung eines Ex-vivo-
Auges mit Erosio mit Phosphatpuffer. Beide Augen entwickeln unter der Zuführung von Phosphat Verkalkungen Ziel ist also eine Lokalthera-
pie, die das zaghaft wachsende Epithel möglichst wenig inhibiert, die Autolyse durch aktivierte Leukozyten mittels Steroiden inhibiert und
eine gerichtete und kontrollierte Proliferation mittels Vitamin C erlaubt. Ferner müssen Superinfektionen durch Antibiotika wie Fluochinolone
oder Aminoglykoside verhindert werden (Schrage 2010)

Phosphatfreie Augentropftherapie Amnion ist in der Therapie von Verätzungen ein her-
Da Phosphate bei beschädigten Epithelien regelhaft zu vorragend geeignetes Material, um die Hornhaut zu bede-
Hornhautverkalkungen führen, ist die Anwendung von cken und überlebende Stammzellen zu einer Epithelregene-
Phosphatpuffern nach Verätzungen kontraindiziert. Kli- ration anzuregen oder auch beginnende Epithelheilungen
nisch wurde dies von uns nach Verätzungen (Schrage 2001) zu unterstützen. Die Hornhaut wird von Amnion hydriert
und bei trockenem Auge (Bernauer 2006) beobachtet. Wir antiinflammatorisch behandelt und mechanisch geschützt.
konnten diese schwerwiegende Nebenwirkung auch expe- Dieses Funktionen sind unter einer weichen Kontaktlinse
rimentell erzeugen (Schrage 2010; . Abb. 28.14). essenzielle Maßnahmen zur Reepithelisierung.
Ich bevorzuge bei schweren Verätzungen mit Limbus-
defizienz eine Technik mit zwei Amnionschichten , die den
28.6.2 Peridektomie Limbus schützen und vor einer Bindehautüberwachsung
(Pannus) der Hornhaut abgrenzen (Reim 2001).
Nekrosen, welche sich finden sollten nach einer kurzen
Wartezeit von weniger als 48 h entfernt und mittels Perid-
ektomie am besten mit kombinierter Amnionplastik
durchgeführt werden.

jTenonplastik
Wenn nach einer Peridektomie die Sklera freiliegt, sollte
diese freiliegende Sklera mit Tenon bedeckt werden. Diese
Bedeckung mit vitalem Gewebe verhindert sicher die frü-
her typische Komplikation einer Skleraperforation. Auch
hier sollte unbedingt eine Kombination mit einer Amnion-
plastik angestrebt werden (. Abb. 28.15).
Eine Kombination von Amnionplastik sollte immer
überlegt werden, wenn ein Quadrant oder auch mehrere
Quadranten ischämisch sind und eine Bindehautnekrose
zeigen. Dann kombiniert man das quadrantenweise Vorge-
hen der Tenonplastik mit einem darunter und darüber
gelegten Amnionpatch (. Abb. 28.16). Damit kann die
Oberfläche optimal geschützt werden, eine Stromaverdün-
nung aufgehalten und die Epithelheilung, soweit Epitheli- . Abb. 28.15 Amnionplastik mit Tenonplastik als initiale chirurgische
en überlebt haben, gefördert werden (Iakimenko 2013). Maßnahme (Kuckelhorn 1995b)

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28.6 · Klinische Spezialbehandlungen und Strategien bei Verätzungskrankheit
319 28

. Abb. 28.16a–c Tenonkapsel. a Mobilisierung. b Fixation von Amnion unter der Tenonkapsel über die gesamte Hornhaut. c Deckung von
Tenonplastik und Limbus bis in den Fornix mittels großem Amnionpatch

28.6.3 Spezielle Lidoperationen und spätere stellung einer glatten Lidkante dar. Hornhauttransplanta-
Hornhauttransplantation tionen sollten möglichst nicht à chaud durchgeführt wer-
den. Andere Hornhauttransplantate mit Limbusstammzel-
Weitere Maßnahmen nach einer schweren Verätzung sind len (Eberwein 2012), »horseshoe Keratoplastik« oder
nach der initialen Phase die Wiederherstellung der norma- isolierte Limbustransplantate wie gegebenenfalls Ex-
len Lidstellung und Funktion, dies wird mit Symblepharo- pansionskulturtransplantate (Meller 2011; Pauklin 2009;
lysen und Amniontransplantaten (Meller 2011), selten Pellegrini 1997) haben nur eine Chance, wenn das Auge
Mundschleimhaut oder Lippenschleimhauttransplantaten nicht mehr hochentzündlich ist. Letztendlich ist auch die
erreicht. Eine weitere Möglichkeit stellt die tarsokonjunk- Keratoprothetik, welche wir derzeit mit der Miro-Kerato-
tivale Verschiebung oder die Tarsusfraktur zur Wiederher- prothese oder auch der Boston-Keratoprothese zur Verfü-

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320 Kapitel 28 · Augenirritation und Augenverätzungen

gung haben, eine Möglichkeit, die Sehkraft wieder herzu- Hellmann M (2008) Eye chemical burns caused by various irritating
stellen. Dies sind allerdings alles Maßnahmen die nicht in agents from an epidemiological point of view. RWTH Aachen
University Hospital Dissertation
die erste Phase einer Verätzungsbehandlung gehören.
Hermel M, Heckelen A, Kirchhof B, Schrage NF (2001) Inhibitory effect
> Erstes Ziel sind die Beruhigung des Auges, Dämp- of ascorbic acid on human retinal pigment epithelial cell prolifera-
tion compared to cytostatic drugs – influence of histamine.
fung der Entzündung und Wiederherstellung der
Inflamm Res 50 Suppl 2:S93–95
Augenoberflächen. Sekundäre Ziele sind dann die Iakimenko SA, Buznyk OI, Rymgayllo-Jankowska B (2013) Amniotic
Wiederherstellung der klaren optischen Medien membrane transplantation in treatment of persistent corneal ulcer-
unter Rekonstruktion von Lidern, Limbus und Horn- ation after severe chemical and thermal eye injuries. Eur J Ophthal-
haut. mol 23(4):496–503. doi: 10.5301/ejo.5000243. Epub 2013 Mar 20
Kearney T, Hiatt P, Birdsall E, Smollin C (2014) Pepper spray injury
28 Häufig werden intraokulare Eingriffe aufgrund von Kom- severity: ten-year case experience of a poison control system.
plikationen notwendig. Insbesondere Glaukome sind eine Prehosp Emerg Care 18(3):381–386. doi:
tückische Komplikation, die nicht übersehen werden darf. 10.3109/10903127.2014.891063. Epub 2014 Mar 26
Kompa S, Schareck B, Tympner J, Wustemeyer H, Schrage NF (2002)
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marcus.lehnhardt@rub.de
323 29

Stromverletzungen
Ramin Ipaktchi, Nicco Krezdorn, Peter M. Vogt

29.1 Einleitung – 324

29.2 Pathophysiologie – 325

29.3 Diagnostik – 325

29.4 Erstversorgung – 326


29.4.1 Kardiale Überwachung – 326
29.4.2 Flüssigkeitszufuhr – 327
29.4.3 Kompartmentsyndrom – 327
29.4.4 Chirurgische Versorgung – 328

29.5 Problemstrukturen – 329


29.5.1 Kopf und Hals – 329
29.5.2 Auge – 330
29.5.3 Extremitäten – 330
29.5.4 Zentrales und peripheres Nervensystem – 331
29.5.5 Vaskuläres System – 331

29.6 Sonderform: Stromüberschlag – 332

Literatur – 332

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_29, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
324 Kapitel 29 · Stromverletzungen

29.1 Einleitung
. Tab. 29.1 Korrelation von Stromstärke und möglichen
Effekten
Laut dem Statistischen Bundesamt verstarben im Jahr 2013
insgesamt 131 Personen an den Folgen von Stromverlet- mA Folgen
zungen, wobei es sich in 1,5 % der Fälle um Folgen von
Blitzschlag handelte (Statistisches Bundesamt 2013). 1 Stromfluss ist spürbar

Nach der aktuellen Statistik der Deutschen Gesell- 10 Muskelzuckungen und Schmerzen
schaft für Verbrennungsmedizin (DGV) wurden im 50 Bewusstlosigkeit möglich
Jahr 2013 127 Patienten von den insgesamt 2050 Aufnah-
100 tödliche Stromwirkung möglich
men (6,2 %) in einem deutschsprachigen Verbrennungs-
zentrum aufgrund der Folgen von Stromverletzungen be-
handelt (Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedi-
zin 2013). Diese Zahl ist über die letzten Jahre in etwa im Verlauf folgenlos abheilen, oder aber aufgrund der elek-
29 gleich geblieben und auch vergleichbar mit den Zahlen aus trischen Verbrennung ganze Gliedmaßen betreffen. In
dem angelsächsischen Raum. Gemäß der aktuellen Litera- manchen Fällen können sogar ganze Körperpartien des
tur werden rund 3–7 % aller Verletzungsfolgen, die in ei- Patienten tiefgradig verkohlen (. Tab. 29.1).
nem Verbrennungszentrum behandelt werden, auf einen Betroffen sein können neben der Haut und den Weich-
Zwischenfall mit Strom zurückgeführt (Hussmann 1995; teilen aber auch Knochen und innere Organe. Gerade bei
Rai 1999; Saracoglu 2014). Am häufigsten handelt es sich den Hochvoltverletzungen wie z. B. Blitzschlag können
bei diesen Verletzungen um Arbeitsunfälle (Arnoldo 2004; oft außer der Eintritts- und Austrittsstelle keine weiteren
Janicak 1997). Manifestationen gefunden werden. Dennoch können diese
Das Verletzungsausmaß kann hierbei stark variieren. Patienten schwere Myonekrosen und konsekutives Organ-
Unter anderem ist es abhängig von der Stromart (Gleich- versagen entwickeln.
strom, Wechselstrom), der Dauer des Kontaktes, der Elektrotraumata sind nach wie vor von einer hohen
Stromstärke, der Kontaktfläche und dem Weg des Stromes Morbidität begleitet. So besteht auch heutzutage insbeson-
durch den Körper (Garcia-Sanchez 1999). Grund für die
verschiedenen Verletzungsfolgen sind zum einen die
unterschiedlichen Leitfähigkeiten der verschiedenen Kör-
pergewebe. So besitzen Knochen den größten Widerstand
(Ω). Den niedrigsten Widerstand besitzen Nerven, gefolgt
von den Gefäßen, der Muskulatur, der Haut, den Sehnen
und zuletzt dem Fettgewebe (Koshima 1991; . Abb. 29.1).
Folgen einer Stromverletzung können daher sowohl
kleinere, nur auf die Kutis begrenzte Läsionen sein, welche

Nerven

Gefäße

Muskulatur

Haut

Sehnen

Fettgewebe

Knochen

. Abb. 29.1 Zunahme des elektrischen Widerstands in Abhängig- . Abb. 29.2 Hochvoltverletzung. Aufnahmebefund
keit vom Gewebe

marcus.lehnhardt@rub.de
29.3 · Diagnostik
325 29

a b

. Abb. 29.3a, b Hochvoltverletzung des Hautweichteilgewebes an der Ein- und Austrittsstelle

dere bei Hochvoltverletzungen noch eine Amputationsrate


von bis zu 40 %, wobei hier insbesondere die obere Extre-
mität am häufigsten betroffen ist (. Abb. 29.2).

29.2 Pathophysiologie

Nach dem Ohmschen-Gesetz entsteht Wärme bei Strom-


durchfluss in Abhängigkeit vom Widerstand (Zelt 1988).
Von Niedervolt-Verletzungen spricht man bei einer elek-
trischen Spannung von <1000 V, liegt die Spannung
>1000 V, so spricht man von einer Hochvoltverletzung.
Strom bzw. elektrische Stromstärke entsteht durch ei-
nen gerichteten Fluss von elektrischen Ladungsträgern
bestehend aus Ionen oder Elektronen. Definiert wird die . Abb. 29.4 Hochvoltverletzung mit Schädigung der tiefer liegen-
elektrische Stromstärke (I) durch die Ladungsmenge pro den muskulären Strukturen
Zeiteinheit. Es handelt sich hierbei um eine physikalische
Basisgröße und besitzt nach SI die Einheit Ampere (A).
Unter dem elektrischen Widerstand (R) versteht man > Die zerstörerische Stromwirkung kommt zustande
das Verhältnis zwischen der Spannung (U) und der elek- durch:
trischen Stromstärke (I) nach der Formel R = U/I. 5 Wärmeentwicklung
Der Strom folgt in der Regel dem Weg des geringsten 5 Durchlöcherung der Zellmembranen durch
Widerstands. Daher werden Hautweichteilgewebe ins- Elektroporation
besondere an der Ein- und Austrittsstelle stark verletzt 5 irreversible Veränderung der in der Zell-
(. Abb. 29.3). Aufgrund des hohen Widerstands der knö- membran befindlichen Aminosäuren durch
chernen Strukturen, fließt der Strom bei Erreichen von Elektrodenaturierung
Knochengewebe entlang des Knochens und schädigt hier- Das Ergebnis aller drei Prozesse ist identisch:
bei dadurch oft die tiefer liegenden muskulären Strukturen die Zelle wird zerstört.
(. Abb. 29.4). Auf seinem Weg zur Erdung wird der Strom-
fluss gerade bei Eintritt im Bereich der oberen Körper-
hälfte oft auch durch das Herz geleitet, was schwere kar- 29.3 Diagnostik
diale Rhythmusstörungen und Nekrosen zur Folge haben
kann. Trotz der Vielfalt der zur Verfügung stehenden radiologi-
schen Diagnostik, wie z. B. MRT, werden diese Verfahren
zur ungefähren Ausmaßbestimmung der tiefen Nekrosen

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326 Kapitel 29 · Stromverletzungen

in der Literatur kontrovers diskutiert und insgesamt als lung ist ferner wesentlich, ob der Betroffene bewusstlos
kostenintensiv und ohne relevante Aussagekraft bewertet aufgefunden wurde, ob ein Kreislauf-, Atem- oder Herz-
(Fleckenstein 1995; Hammond 1994; Sayman 1992). Da- stillstand mit Reanimation vorlag, sowie ob kurz nach Er-
rüber hinaus erschweren oft noch Artefakte die Aussage- eignis EKG-Veränderungen aufgetreten sind.
kraft von MRT-Bildern. Um das eigentliche Ausmaß Nach Aufnahme des Patienten sollten zur Gesamt-
der tiefen Nekroseareale festzustellen, benötigt es einen beurteilung Begleitverletzungen (Frakturen, intraabdo-
geschulten klinischen Blick sowie einer intraoperativen minelle Blutung etc.) im Rahmen von Trauma-Scan
Exploration im Sinne eines radikalen Débridement im (. Abb. 29.5) und FAST-Sonografie ausgeschlossen wer-
Bereich der betroffenen Areale. Ferner kann zur präopera- den, sowie falls noch nicht durchgeführt ein initiales
tiven Festlegung eine Angiographie durchgeführt werden. 12-Kanal-EKG durchgeführt werden. Dieses sollte auch
Diese kann auch zur Verifizierung einer Amputationsindi- zur Verlaufsbeurteilung eines am Unfallort durchgeführ-
kation herangezogen werden (Vedung 1990). Bei der Beur- ten EKG herangezogen werden. Ferner müssen die Extre-
teilung des Verbrennungsausmaßes muss bei Stromverlet- mitäten zum Ausschluss eines Kompartmentsyndroms
29 zungen auch bei nur kleinen oberflächlichen Hautläsionen untersucht und im Falle eines vorliegenden Kompartment-
die gesamte vom Strom durchflossene Extremität bzw. syndroms umgehend fasziotomiert werden. Im Zweifel
Areal berücksichtigt werden. sollte hier der frühen Fasziotomie der Vorrang gegeben
werden. Abschließend sollten im Rahmen einer ganzkör-
perlichen Untersuchung die Ein- und Austrittsstellen eva-
29.4 Erstversorgung luiert und in diesem Zusammenhang die betroffene ver-
brannte Körperoberfläche bestimmt werden (. Abb. 29.6).
Im Allgemeinen gilt die Regel: Eigenschutz vor Selbstge- Hiernach erfolgt das weitere intensivmedizinische Mana-
fährdung. So sollte die Bergung und Versorgung des Ver- gement.
letzten erst dann erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass die
Stromquelle abgeschaltet ist.
29.4.1 Kardiale Überwachung
> Eigenschutz vor Selbstgefährdung!
Im Rahmen der Erstversorgung gelten die allgemeinen Etwa 30 % aller Patienten zeigen nach Kontakt mit Strom
Richtlinien und Empfehlungen der ATLS und ACLS. (Nieder- und Hochvoltverletzungen) Veränderungen im
Unbedingt sollte frühzeitig zum einen der Unfallher- EKG. Am häufigsten zeigen sich nicht spezifische ST-Ver-
gang, die Höhe der applizierten Spannung und die Strom- änderungen, sowie eine Sinustachykardie (Cooper 1995;
art in Erfahrung gebracht werden. Für die weitere Behand- Das 1974; Arnoldo 2006; Chandra 1990).

a b

. Abb. 29.5 Begleitverletzungen im MRT. a Seitliche Darstellung einer Brustwirbelsäulenfraktur (Th 8–10). b Transversale Schnittführung
bei HWS-Fraktur (C 2)

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29.4 · Erstversorgung
327 29

. Abb. 29.6 Hochvoltverletzung. Stromaustrittsstelle an der Fuß-


sohle

Eine kardiale Überwachung ist dann indiziert, wenn


sich Veränderungen im Aufnahme-EKG zeigen, nach er-
folgreicher Reanimation oder bei Bewusstlosigkeit. Bei
anfänglich unauffälligem EKG sind pathologische Verän-
derungen im Verlauf sehr selten. Ischämien oder Arrhyth-
mien treten in aller Regel sehr zeitnah auf (Purdue 1986).
So wie für erhöhte Tropenwind-T-Werte bislang keine
ausreichende Aussagekraft bewiesen werden konnte, kann . Abb. 29.7 Myoglobinurie
auch durch die Bestimmung von CK und CK-MB keine
Vorhersage über kardiale Ischämien getroffen werden
(Housinger 1985). kann die Harnausscheidung durch die Gabe von Diuretika
verstärkt werden.
> Generell sollten alle Patienten mit Stromkontakt
Am besten geeignet ist hierfür Mannitol, welches
etwa 24–48 h mit einem EKG-Monitoring überwacht
osmotisch wirksam ist. Ferner kann der Urin durch die
werden (Arrowsmith 1997; Bailey 2000).
Gabe von Natriumbikarbonat alkalisiert werden, sofern
Bei asymptomatischen Patienten mit einem initial unauf- dies notwendig ist.
fälligem EKG und ohne vorhergegangen Ereignisse, kann Erst bei Versagen aller Maßnahmen und bei sig-
nach vier Stunden die kardiale Überwachung beendet wer- nifikanter laborchemisch relevanter Niereninsuffizienz
den (Arnoldo 2006). (glomeruläre Filtrationsrate <30 ml/h), ist ein passageres
extrakorporales Nierenersatzverfahren angeraten. Eine
therapierefraktäre Myoglobinurie trotz suffizienter Flüs-
29.4.2 Flüssigkeitszufuhr sigkeitstherapie zeigt indirekt eine ausgeprägte Muskel-
nekrose bzw. eine anhaltende Nekrotisierung von Muskel-
Im Allgemeinen orientiert sich die Flüssigkeitszufuhr an gewebe. Sobald der Urin sich aufhellt und laborchemisch
der Urinausscheidung. Bei fehlender Myoglobinurie sollte ein Rückgang von Myoglobin nachweisbar ist, kann die
die stündliche Urinmenge etwa 0,5–1 ml/kgKG/h betragen intensive Flüssigkeitszufuhr reduziert werden.
und entsprechend mit kristalloider Flüssigkeit substituiert
werden.
Bei Vorliegen einer Myoglobinurie (dunkler pigment- 29.4.3 Kompartmentsyndrom
haltiger Urin, Nachweis von Myoglobin; . Abb. 29.7) sollte
zur Vermeidung einer tubulären Schädigung die Diurese- Im Rahmen der Elektrizitätsverletzungen, insbesondere
rate erhöht werden und die Stundendiurese sollte rund bei Hochvoltverletzungen, können häufig Muskelnekrosen
2 ml/kgKG/h betragen. Hierbei handelt es sich lediglich auftreten (. Abb. 29.8). Innerhalb der ersten 48 h kommt
um einen Richtwert. Wesentlich ist neben der Diureserate es durch die Ischämie zu einem Anschwellen der Musku-
ein im Verlauf deutliches Aufhellen des Urins. Zusätzlich latur, was bei intakten Faszien zu einem Kompartmentsyn-

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328 Kapitel 29 · Stromverletzungen

29 a b

. Abb. 29.8a, b Hochvoltverletzung mit Muskelnekrosen

drom führt. Anders als bei zirkulären Verbrennungen sind 29.4.4 Chirurgische Versorgung
aufgehobene Pulse bereits ein Spätzeichen.
Ziel der chirurgischen Versorgung ist eine vollständige
> Bei bewusstlosen oder intubierten Patienten
Nekrektomie mit anschließender Defektdeckung bzw.
müssen daher in engen Abständen die Extremitäten
einer Rekonstruktion der betroffenen Areale. Hierbei kön-
klinisch untersucht und bei Verdacht auf ein
nen, wenn suffizient vitales Gewebe vorliegt oder zeitnah
beginnendes Kompartmentsyndrom entsprechend
durch eine Lappenplastik gut durchblutetes Gewebe zur
vollständig fasziotomiert werden.
Defektdeckung verwendet wird, teilnekrotische empfind-
Wache und adäquate Patienten klagen über zunehmende liche Strukturen wie z. B. Sehnen, Nerven oder Gefäße
Schmerzen im Bereich der betroffenen Extremität. Eine belassen und oberflächlich débridiert werden. Das post-
Kompartmentdruckmessung von >30 mmHg gilt als pa- operative Ergebnis kann in diesen Fällen einem radikalen
thologisch und legt eine Kompartmentspaltung sehr nahe, Debridement mit anschließender Rekonstruktion über-
wobei es sich hierbei nicht um einen Absolutwert handelt. legen sein (Zhu 2003).
Entscheidend ist der klinische Aspekt. Entsprechend sollte Der Zeitpunkt der chirurgischen Interventionen, ab-
eine Fasziotomie bei klinisch begründetem Verdacht auch gesehen von der Kompartmentspaltung (. Abb. 29.9),
dann durchgeführt werden, wenn der gemessene Kom- welche umgehend erfolgen sollte, richtet sich nach den
partmentdruck niedriger liegt. kardialen, renalen, respiratorischen und neurologischen
Eine deutlich erhöhte Kreatin-Kinase (CK) korreliert Komplikationen und dem Allgemeinzustand des Patien-
mit einem hohen Anteil von Muskelnekrosen, weshalb ten. Erst wenn der Patient ausreichend stabil für operative
in diesen Fällen unter Berücksichtigung der Klinik eine
frühzeitige Dekompression empfohlen wird (Kopp 2004).
Hohe CK-Werte im Aufnahmelabor sind mit einer schlech-
teren Prognose (Kopp 2004) assoziiert.
Im Falle einer Kompartmentspaltung der oberen Ex-
tremität sollte bei Beteiligung der Hand eine Karpaldach-
spaltung erfolgen. Im Bereich der unteren Extremität soll-
ten der N. tibialis und die A. tibialis posterior im Bereich
des Tarsalkanals befreit werden. Um die exponierten Are-
ale zu schützen, empfiehlt es sich, die Wunden mit einem
Vakuumverband (VAC) oder einem Polyurethanschwamm
(z. B. Epigard) zu bedecken.

. Abb. 29.9 Kompartmentspaltung

marcus.lehnhardt@rub.de
29.5 · Problemstrukturen
329 29
Eingriffe ist, sollte mit den Nekrektomien begonnen
werden. Der Zeitpunkt wird insgesamt kontrovers disku-
tiert, jedoch sollte mit den ersten Nekrektomien innerhalb
der ersten 5 Tage begonnen werden. Ebenso kontrovers
wird der Zeitpunkt der Rekonstruktion diskutiert. So zeigt
eine frühzeitige definitive Versorgung unter Umständen
mit Verwendung von freien mikrovaskulären Lappen-
transfer eine geringere perioperative Komplikationsrate,
ebenso wie einen verkürzten stationären Aufenthalt
(Koul 2008). Auch lokale oder gestielte Lappenplastiken
die zeitnah durchgeführt werden, zeigen ein gutes post-
operatives Ergebnis im Rahmen der Sofortrekonstruktion
(Zhu 2003).
a

29.5 Problemstrukturen

29.5.1 Kopf und Hals

Stromverletzungen können zu lokalen oder vollschichti-


gen Nekrosen des Skalps und der darunterliegende Kalotte
führen (. Abb. 29.10a). Nach durchgeführter Nekrektomie
der Weichteile kann die Schädelkalotte partial oder kom-
plett frei liegen (. Abb. 29.10b). Ist diese partiell betroffen,
kann die kortikale Schicht bis auf die Diploe abgetragen
werden und der Wundgrund mit Spalthaut gedeckt
werden. Ist der komplette Schädelknochen betroffen, so
b
kann dann der Schädelknochen reseziert werden und
durch kranioplastische Maßnahmen rekonstruiert werden
(. Abb. 29.10c). Alternativ kann versucht werden den
Knochen zu trepanieren und anschließend mit Weichtei-
len zu decken. Hier geht man von dem Prinzip aus, dass der
Knochen als Matrix fungiert und im Verlauf eine Rege-
neration möglich sei (Norkus 1998; Gumus 2006). Ist die
Dura ebenfalls betroffen, so benötigt es zur Defektdeckung
in aller Regel einen freien mikrochirurgischen Gewebe-
transfer, welcher zum einen für die eventuelle Defektfläche
benötigt wird, zum anderen aber auch zum Ausfüllen von
lokalen Höhlen verwendet werden kann.
Als weitere Möglichkeit sei die Wundkonditionierung
mittels Vakuumverband genannt. Bei Vorliegen von teilne-
c
krotischem Knochen oder Fehlen des Periostes sollte hier
ebenfalls der Knochen trepaniert werden, so dass ausrei- . Abb. 29.10a–c Hochvoltverletzung. a Nekrose des Skalps. b Nach
chendes vitales Granulationsgewebe aus der Tiefe empor- durchgeführter Nekrektomie der Weichteile partial oder komplett
wachsen kann. Der Defekt kann dann im Verlauf mittels freiliegende Schädelkalotte. c Zustand nach Rekonstruktion durch
kranioplastische Maßnahme
Spalthauttransplantaten gedeckt werden.
Insbesondere bei Säuglingen und kleinen Kindern
können Niedervolt-Unfälle im Gesichtsbereich auftreten.
So können kleine Kinder durch Kauen auf einem Stromka- unter 4 Jahren (Rai 1999). Die Behandlungsstrategie wird
bel Verletzungen erleiden. Es kann dann im Bereich des kontrovers diskutiert. Vorteile einer frühzeitigen Exzision
Mundwinkels zu drittgradigen Verbrennung kommen, die und Rekonstruktion bzw. eines Wundverschlusses sind ein
die Kommissur und das Lippenrot zerstören. Hierbei han- kürzerer Krankenhausaufenthalt, sowie weniger Kom-
delt es sich um die häufigste Stromverletzung bei Kindern plikationen (De la Plaza 1983). Demgegenüber steht, dass

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330 Kapitel 29 · Stromverletzungen

ein frühzeitiges Vorgehen zu einer vorrübergehenden > Trotz frühzeitigem Débridement und neurovaskuläre
Spannung und Verkleinerung des Mundes führen kann, Dekompression bzw. Kompartmentspaltung besteht
was wiederum Wachstumsstörungen des Unterkiefer- auch heutzutage nach wie vor eine hohe Amputations-
knochens zur Folge haben kann (Hartford 1975; Ortiz- rate nach Stromexposition (Jacobsen 1997; Ferreiro
Monasterio 1980). Bei einem konservativen Vorgehen 1998; Luce 1978).
sollte zunächst die vollständige Ausreifung der Narbe ab-
gewartet werden. Hierzu sollte zur physikalischen Unter- Während von einigen Autoren eine Amputationsrate
stützung und im besten Fall zur Vermeidung einer Mikros- von rund 9 % angegeben wird, berichten andere Autoren
tomie ein oraler Splint angepasst und getragen werden Amputationsraten von bis zu 49 % berichtet (Zhu 2003;
(Silverglade 1986). Die Hauptgefahr bei einem konserva- Handschin 2009; Yakuboff 1992).
tiven Vorgehen liegt darin, dass innerhalb der ersten 3 Wo- Im Bereich der oberen Extremität sollte der Extremti-
chen die A. labialis noch sekundär rupturieren und es tätenerhalt so lange wie nur möglich versucht werden. Hier
spontan zu Blutungen kommen kann. Über dieses Risiko sollten die entstandenen Defekte nach den Prinzipien der
29 sollten die Eltern, gerade bei ambulanten Behandlungen rekonstruktiven Chirurgie gedeckt werden (Sauerbier
intensiv aufgeklärt werden. Tritt der Fall ein, so reicht in 2007). So können im Bereich der Hand dünne Faszien-
aller Regel eine lokale Kompression über mehrere Minu- lappen angewendet werden, für kleinere Defekte z. B. der
ten aus. Eine unmittelbare Wiedervorstellung ist dennoch Temporoparietallappen, für größere Defekte ein Serratus-
empfohlen. Faszienlappen oder weitere fasziokutane Lappen wie der
Anterolateral-thigh-Lappen (ALT-Flap). Auch kann man
hier mit einem Leistenlappen gestielt oder frei sehr gute
29.5.2 Auge Ergebnisse erzielen. Sollten diese Lappenplastiken zu-
nächst voluminös erscheinen, so können sie im Verlauf
Nach Stromkontakt kann sich bei den Betroffenen in bis zu ausgedünnt werden, wodurch sehr gute Ergebnisse erzielt
8 % der Fälle ein Katarakt entwickeln (Solem 1977; Booza- werden können.
lis 1991). Das Auftreten eines Kataraktes kann mehrere Der Nachteil eines reinen Muskellappens ist, dass fast
Monate bis Jahre dauern, in Einzelfällen kann es aber auch regelhaft langstreckige Verwachsungen der freiliegenden
innerhalb weniger Stunden auftreten (Kobernick 1982). Sehnenanteile auftreten. Im Bereich des Ellenbogens kann
Der pathophysiologische Hintergrund hierfür wird kont- der Defekt zum Teil suffizient mit einem gestielten M.-latis-
rovers diskutiert. Zum einen werden Stromverletzungen simus-dorsi-Lappen gedeckt werden, erstreckt sich der De-
im Kopf- und Halsbereich als Ursache für einen Katarakt fekt aber über das Olecranon nach distal hinaus, so sollte
gesehen, andererseits werden aber auch in der Literatur alternativ zur sicheren Deckung ein freier Lappen gewählt
Fälle beschrieben, in denen Patienten nach alleiniger werden. Im Falle einer vollständig nekrotischen Axilla kön-
Stromexposition des Stammes bzw. der Extremitäten einen nen hier Transpositionslappen (faszio- oder myokutan)
Katarakt entwickelt haben. Als Ursache kann eine direkt vom Rumpf gewählt und eingeschwenkt werden.
durch Hitzeeinwirkung verursachte Koagulationsnekrose Bei jeglicher freier Lappenplastik der Extremitäten
gesehen werden, welche zu einer reduzierten Permeabilität sollte stets das Risiko eines Steal-Phänomens berücksich-
der Linse führen kann (Reddy 1999). tigt werden, so dass im Extremfall durch den Anschluss der
Patienten sollten in jedem Fall ophthalmologisch un- Lappenplastik die restliche Extremität nicht ausreichend
tersucht und bei Verdacht auf eine okuläre Mitbeteiligung perfundiert wird.
entsprechend behandelt werden. Mittels endovaskulärer Intervention und Flow-through-
Lappenplastiken (Ansel 2006; Titley 2004; Zeller 2008)
kann jedoch versucht werden, einem Steal-Phänomen und
29.5.3 Extremitäten somit eine Minderperfusion der Extremität vorzubeugen.
Im Falle einer unausweichlichen Amputation der obe-
Insbesondere die obere Extremität ist am häufigsten be- ren Extremität sollte für eine spätere Prothesenversorgung
troffen (Bingham 1986), wobei das Ausmaß der Verletzung so viel Länge wie möglich erhalten werden. So kann im
distal in der Regel stärker betont ist als proximal. Zelt et al. Verlauf eine myoelektrische, zugbetätigte, passive oder
beschrieb sogenannte »choke points« (Zelt 1988). Hierbei Hybridprothese angepasst werden. Unter Umständen ist es
handelt es sich um Areale wie das Handgelenk, mit gerin- dann hierfür notwendig, dass das Flexoren- und Extenso-
gen Anteilen an Weichteilen und höheren Anteilen an rensystem des Arms erhalten ist.
Strukturen mit hohen Widerständen wie Sehnen und Kno- Als Alternative zu den zum Teil sehr modernen, aber
chen. Dadurch entstehen hier besonders hohe Temperatu- auch sehr kostenintensiven Prothesen seien an dieser Stel-
ren mit folgender Gewebsdestruktion. le zwar alte, aber weiterhin durchaus wirkungsvolle chirur-

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29.5 · Problemstrukturen
331 29
gische Möglichkeiten genannt. So kann mittels Kruken- 29.5.4 Zentrales und peripheres
berg-Verfahren der Unterarm in zwei pinzettenartige An- Nervensystem
teile aufgetrennt werden (Chopsticks). Hierdurch kann
der Verunfallte immerhin noch Greifbewegungen durch- Nach Hochvoltverletzungen zeigen bis zu 60 % der Betrof-
führen. fenen Ausfälle des zentralen Nervensystems, hierbei am
Als Besonderheit sei an dieser Stelle die Möglichkeit häufigsten eine vorrübergehende Bewusstlosigkeit (Gru-
der motorischen Ersatzplastiken erwähnt. Ihre Anwen- be 1990).
dung sollte im Falle eines vollständigen Verlustes einer
> Bei bis zu 27 % der Hochvoltverletzungen ist das
funktionellen muskulären Einheit evaluiert werden. So
Rückenmark betroffen und das insbesondere dann,
kann hier im Falle eines funktionellen Ausfalles der ante-
wenn sich die Eintrittsstelle am Kopf befindet
rioren Muskelloge des Unterschenkels mittels einer Steig-
und der Stromfluss sich so durch den Körper zieht
bügelplastik die Fußheberschwäche verbessert werden.
(Koller 1989; Levine 1975).
Hierbei wird der intakte M. tibialis posterior an seiner In-
seration abgesetzt und durch die Membrana interossea Breugem et al. beschrieben einen Fall, bei dem ein männ-
nach ventral durchgezogen. Eine Verflechtung erfolgt licher Patient im Verlauf eine vollständige Tetraplegie ent-
dann an der M.-tibialis-anterior- bzw. M.-peroneus-Sehne. wickelte, die sich nach etwa drei Monaten, beginnend an
Als weitere Möglichkeiten finden freie mikrochirurgi- den Armen, jedoch wieder reversibel zeigte. Im Bereich der
sche funktionelle Muskeltransplantationen mit Neuro- unteren Extremität trat eine inkomplette Erholung auf
tisation Anwendung. Als Beispielsmuskeln seien an dieser (Breugem 1999). Auch wenn das neuronale Gewebe einen
Stelle die Mm. gracilis oder latissimus dorsi genannt. geringen Widerstand zeigt, kann es insbesondere im Be-
Als weitere chirurgische Alternative kann eine Sauer- reich der von Zelt et al. beschriebenen »choke areas« wie
bruch-Kinemato-Myoplastik des M. biceps brachii durch- z. B. am Ellenbogen zu einer enormen Hitzeentwicklung
geführt werden und im Falle eines sehr kurzen Ober- kommen, wodurch es zum einen zu Verletzungen der nutri-
armstumpfes, dieser mittels Kallusdistraktion nach Iliza- tiven Gefäße der peripheren Nerven kommen kann, zum
rov verlängert werden (Ilizarov 1990). anderen jedoch auch partielle oder totale Nekrosestraßen
auftreten können. Mittels frühzeitiger chirurgischer De-
> Es besteht daneben auch die Möglichkeit einer
kompression und Neurolyse kann versucht werden, weite-
Hand- oder Armtransplantation, insbesondere bei
ren Schaden von Nerven abzuwenden bzw. hierdurch eine
beidseitigen Verletzungen. Hier sollten jedoch
mögliche Regeneration zu verbessern. Der Zeitpunkt einer
auch die Nebenwirkungen der konsekutiv notwen-
Rekonstruktion richtet sich nach dem Verlauf, sollte jedoch
digen Immunsuppressiva berücksichtigt werden.
unter regelmäßiger Bestimmung der Nervenleitgeschwin-
Bei Amputationen im Bereich der unteren Extremität rich- digkeit und intensiver Physio- und Ergotherapie ab dem
tet sich die Amputationshöhe der unteren Extremität pri- dritten Monat erfolgen. Abhängig der Lokalisationshöhe,
mär darauf, einen belastungsstabilen Prothesenstumpf Auswertung der Nervenleitgeschwindigkeit, sowie der Be-
zu erhalten. Ist eine Weichteildeckung nicht möglich, so stimmung der Restmuskelaktivität kann eine Nervenrekon-
kann zum Beispiel der Stumpf mittels Hauttransplantaten struktion oder eine Ersatzplastik evaluiert werden.
gedeckt werden. Der Nachteil von Hautransplantaten ist
jedoch, dass durch die mechanische Belastung des Stump-
fes chronische Wunden bis hin zu instabilen Narben ent- 29.5.5 Vaskuläres System
stehen können. Alternativ, wenn regionale Lappenplas-
tiken nicht zur Verfügung stehen, sollten zur definitiven Ebenso wie das neuronale Gewebe, besitzen Gefäße einen
Versorgung freie mikrovaskuläre Lappen gewählt werden. geringen Widerstand, weshalb hier eine Schädigung durch
Abhängig vom Befund sollten Lappenplastiken mit kuta- Hitzeentwicklung nicht sehr häufig ist. Allerdings kann es
nen Anteilen gewählt werden, so z. B. ein myokutaner in sehr seltenen Fällen zu partiellen oder transmuralen
M.-latissimus-dorsi-Lappen oder ein Anterolateral-thigh- Wandnekrosen kommen. Diese Patienten können im Ver-
Lappen. Ein Fußsohlen Filet Lappen bietet sich in jenen lauf Aneurysmen oder sogar Gefäßwandrupturen entwi-
Fällen an, in denen die Fußsohle und die A. tibialis poste- ckeln. Neben spontanen Gefäßrupturen treten aber auch
rior keine Verletzungen zeigen. Im Idealfall kann zusätz- durch Thromben verursachte Gefäßobliterationen auf.
lich eine sensible Innervation durch Koaptation des proxi- Robson et al. zeigen in experimentellen Untersuchungen,
malen N. tibialis mit dem distalen Anteil herbeigeführt dass durch das Elektrotrauma Thromboxan A2 freigesetzt
werden. Vorteil dieser Lappenplastik ist, dass aufgrund der wird, was wiederum zu einer Vasokonstriktion und konse-
Felderhaut der Fußsohle hier ein äußerst stabiler Prothe- kutiver Thrombose führen kann (Robson 1984). Durch die
senstumpf geschaffen werden kann. Verletzung der Tunica media kann es zudem zu einer Vas-

marcus.lehnhardt@rub.de
332 Kapitel 29 · Stromverletzungen

kulitis kommen, was ebenfalls zu einer Gefäßobliteration 4 Stromleitungen bestehen aus Kupfer, welches als
führen kann (Fox 1974). Edelmetall gehandelt wird und der Verkauf zu einem
Diese Aspekte sollten auch für spätere Rekonstruktio- lukrativen Geschäft führen kann. Beim Versuch
nen mit freien mikrovaskulären Lappenplastiken berück- diese Leitungen durch das Hochwerfen von Metall-
sichtigt werden. stangen »zu kappen«, können Lichtbögen mit
tödlichen Folgen verursacht werden.
4 Zuletzt sind »Trainsurfer« oder Personen, die
29.6 Sonderform: Stromüberschlag aus Unachtsamkeit auf Güterwaggons klettern, zu
nennen.
Im Rahmen von Stromverletzungen sind Verletzungen,
welche durch einen Stromüberschlag (Störlichtbogen/
Lichtbogen) verursacht werden, als gesonderte Form zu Literatur
betrachten.
29 Das Verletzungsmuster ist mit thermischen Verletzun-
Ansel GM, Sample NS, Botti CF (2006) Critical limb ischemia – a con-
temporary review of reperfusion techniques. Vasc Dis Man-
gen vergleichbar und entsprechend zu behandeln. Lichtbo- ag 3:305–306
gen treten ausschließlich bei Hochspannungen (>1000 V) Arnoldo BD et al (2004) Electrical injuries: a 20-year review. J Burn Care
auf. Ein direkter Kontakt mit dem Stromfluss liegt nicht Rehabil 25(6):479–484
Arnoldo BD, Klein M, Gibran NS (2006) Practice guidelines for the
vor und bei Patienten, welche ausschließlich durch einen
management of electrical injuries. J Burn Care Res 27(4):439–447
Lichtbogen verletzt werden, können Strommarken fehlen. Arrowsmith J, Usgaocar RP, Dickson WA (1997) Electrical injury and the
frequency of cardiac complications. Burns 23(7–8):576–578
> Als Faustregel kann festgehalten werden, dass
Bailey B, Gaudreault P, Thivierge RL (2000) Experience with guidelines
in Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit ein Licht- for cardiac monitoring after electrical injury in children. Am J
bogen pro 1000 V Spannung 1 cm überspringen Emerg Med 18(6):671–675
kann. Da die Luft einen sehr hohen Widerstand be- Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
sitzt, treten hierbei Temperaturen ≤20.000°C auf (2015) Unfälle mit Hochspannung. http://www.bgetem.de/
(Mäkinen 2003), wobei nicht allein die Hitze für die arbeitssicherheit-gesundheitsschutz/aus-unfaellen-lernen/
unf-hochsp/unfaelle-mit-hochspannung
Schwere der Verletzungen verantwortlich ist,
Bingham H (1986) Electrical burns. Clin Plast Surg 13(1):75–85
sondern auch die Energie, die mit dem Stromüber- Boozalis GT et al (1991) Ocular changes from electrical burn injuries.
schlag freigesetzt wird (Koumbourlis 2002). A literature review and report of cases. J Burn Care Reha-
bil 12(5):458–462
Die Verletzungsfolgen reichen von »bagatellartigen« Ver- Breugem CC, Van Hertum W, Groenevelt F (1999) High voltage electri-
brennungen bis hin zu Verbrennungen Grad IV des ge- cal injury leading to a delayed onset tetraplegia, with recovery.
samten Körpers. In Extremfällen sind Verpuffungen/Ver- Ann N Y Acad Sci 888:131–136
dampfungen an der Hautoberfläche aufgrund der unmit- Chandra NC, Siu CO, Munster AM (1990) Clinical predictors of myocar-
dial damage after high voltage electrical injury. Crit Care
telbaren Hitzeeinwirkung möglich. Dabei kann es zu ex-
Med 18(3):293–297
plosionsartigen Weichteilverletzungen kommen. Cooper MA (1995) Emergent care of lightning and electrical injuries.
Als Ersthelfer darf man sich, wie auch schon zuvor im Semin Neurol 15(3):268–278
Absatz »Erstversorgung« erwähnt, erst dem Opfer nähern, Das KM (1974) Electrocardiographic changes following electric shock.
wenn durch den zuständigen Energieversorger die Strom- Indian J Pediatr 41(316):192–194
leitung abgestellt wurde. De La Plaza R, Quetglas A, Rodriguez E (1983) Treatment of electrical
burns of the mouth. Burns Incl Therm Inj 10(1):49–60
Als Unfallkausalität können drei häufige Ursachen be- Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (2013) Jahresstatistik
nannt werden: aller Verbrennungszentren
4 Arbeiten in der Nähe von Starkstromleitungen stellen Ferreiro I et al (1998) Factors influencing the sequelae of high tension
ein hohes Gefahrenpotenzial dar. So besteht beispiels- electrical injuries. Burns 24(7):649–653
weise für Baggerfahrer, welche auf einer Baustelle Ma- Fleckenstein JL et al (1995) High-voltage electric injury: assessment of
muscle viability with MR imaging and Tc-99m pyrophosphate
terialien transportieren, das Risiko, mit dem ausge-
scintigraphy. Radiology 195(1):205–210
fahrenen Baggerarm beim Unterqueren einer Stark- Fox JL, Yasargil MG (1974) The experimental effect of direct electrical
stromleitung einen Spannungsüberschlag zu verursa- current on intracranial arteries and the blood-brain barrier.
chen. Detaillierte Unfallanalysen werden unter J Neurosurg 41(5):582–589
anderem durch die Berufsgenossenschaft Energie Garcia-Sanchez V, Gomez Morell P (1999) Electric burns: high- and
low-tension injuries. Burns 25(4):357–360
Textil Elektro Medienerzeugnisse (Berufsgenossen-
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schaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse J Trauma 30(3):254–258
2015) und Unfallkasse Post und Telekom (Unfallkasse Gumus N, Coban YK, Reyhan M (2006) Cranial bone sequestration
Post und Telekom 2015) beschrieben. 3 years after electrical burn. Burns 32(6):780–782

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marcus.lehnhardt@rub.de
335 30

Polytrauma
und Schwerverbrennung
Jenny E. Dornberger, Axel Ekkernkamp

30.1 Vorbemerkung – 336

30.2 Verletzungsursachen – 336

30.3 Behandlungsrichtlinien – 336


30.3.1 ATLS-Konzept – 336
30.3.2 Primary survey – 336
30.3.3 Secondary survey – 337

Literatur – 339

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_30, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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336 Kapitel 30 · Polytrauma und Schwerverbrennung

30.1 Vorbemerkung 30.3 Behandlungsrichtlinien

Schwere Verbrennungsverletzungen in Kombination mit 30.3.1 ATLS-Konzept


einem Polytrauma kommen in urbanen Verbrennungs-
zentren selten vor, stellen ein komplexes Behandlungs- Nach Ankunft im Schockraum, Übergabe des Patienten
problem dar und bedingen eine Behandlung in einer Kli- durch den begleitenden Notarzt an den erfahrenen, dienstha-
nik der Maximalversorgung, die sowohl ein Verbren- benden Unfallchirurgen und Umlagern, richtet sich die an-
nungszentrum als auch eine Klinik für Unfallchirurgie schließende Behandlung nach strukturierten Algorithmen.
vorhält.
> Als Grundlage hierfür sind die Richtlinien des
In der Literatur findet man unterschiedliche Angaben
American College of Surgeons Comittee on Trauma
zur Inzidenz dieses »two hit phenomenon«. Daten variie-
in Form des ATLS(»Advanced Trauma Life Support«)-
ren zwischen 2,2 und 10 %, wobei zu einem großen Teil
Konzepts etabliert.
bereits eine größere Fraktur in Kombination mit einer Ver-
brennungsverletzung als Kombination berücksichtigt wird
(Brandt 2002; Dossett 1991; Pruitt 1970; Purdue 1989;
ATLS(»Advanced Trauma Life Support«)-Prinzipien
30 Klein 2008). Im eigentlichen Sinne steht der Begriff Poly-
(American College of Surgeons Comittee on Trauma
trauma für das Erleiden von gleichzeitig entstandenen Ver-
2014)
letzungen mehrerer Körperregionen oder Organsystemen,
5 Die gefährlichste Verletzung wird zuerst
von denen wenigstens eine Verletzung oder aber die Kom-
behandelt
bination mehrerer lebensbedrohlich ist. Im Hinblick auf
5 Das Fehlen einer endgültigen Diagnose darf
thermische Verletzungen gilt ein Erwachsener mit 20 %
die Einleitung einer notwendigen Behandlung
betroffener Körperoberfläche als schwerstverletzt und da-
niemals verzögern
mit als lebensbedroht. Liegen gleichzeitig ein Inhalations-
5 Eine detaillierte Anamnese ist für die initiale
trauma oder auch eine Fraktur vor, sind neben der Haut
Beurteilung eines Patienten mit akuten Verlet-
weitere Organsysteme betroffen, welche die Prognose ent-
zungen nicht zwingend notwendig
sprechend mitbestimmen.

Es umfasst standardisierte diagnostische und therapeuti-


30.2 Verletzungsursachen sche Handlungsabläufe für die Schockraumphase trauma-
tisierter Patienten.
Zu den häufigsten Verletzungsursachen zählen Autoun-
fälle, gefolgt von Stromunfällen mit anschließendem Sturz,
Wohnungsbrände mit nachfolgendem und rettendem 30.3.2 Primary survey
Sprung aus dem Fenster, Arbeitsunfälle, Verkehrsunfälle
mit Fußgängern und Explosionen. In einem »primary survey« (. Tab. 30.1; American College
Weiterhin zu erwähnende Ursachen sind die zuneh- of Surgeons Comittee on Trauma 2014) wird zunächst die
mende universelle Nutzung von Massentransportmitteln sofortige Übersichtsuntersuchung und eine systematische
wie Zügen und Flugzeugen und die daraus resultierenden Beurteilung der Vitalfunktionen nach ATLS-Protokoll
Unfälle (Santaniello 2004). durchgeführt. Sind die üblichen Schritte (Sicherung der
Bei militärischen Einsätzen ist dieses Verletzungsmus- Vitalfunktionen, Erhebung des neurologischen Status, An-
ter, aufgrund der wesentlich häufigeren Explosionsunfälle algesie) erfolgt, kann der Patient unter Vermeidung einer
in Krisengebieten, mit bis zu 24 % deutlich zahlreicher Hypothermie entkleidet werden. Auf diesen Punkt des
(Pruitt 1970). ATLS-Protokolls ist aus verbrennungschirurgischer Sicht
Durch den generellen enormen Fortschritt in der außerordentliche Aufmerksamkeit zu richten, da ein Wär-
Schwerverletztenversorgung während der letzten Jahre meverlust bei Schwerbrandverletzten nicht nur besonders
und der damit einhergehenden erhöhten Überlebenswahr- schnell eintritt, sondern auch den weiteren Verlauf ent-
scheinlichkeit dieser Patienten, ist zur erfolgreichen Be- scheidend beeinflusst. Angewärmte Infusionen, Wärme-
herrschung eine maximale interdisziplinäre Kooperation decken, -matten oder auch Heizstrahler müssen daher
notwendig. abrufbar in der Nähe und einsetzbar sein. An dieser Stelle
muss ebenfalls die erste orientierende Einschätzung der
thermischen Schädigung der Haut, in Ausmaß und Tiefe,
durch den Plastischen Chirurgen des Brandverletztenzen-
trums durchgeführt werden.

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30.3 · Behandlungsrichtlinien
337 30
30.3.3 Secondary survey
. Tab. 30.1 Primary Survey (Erstuntersuchung) (American
College of Surgeons Comittee on Trauma 2014)
Sie beinhaltet eine ausführliche Untersuchung von Kopf
A Airway maintenance and cervical spine protection bis Fuß, Anamneseerhebung entsprechend des ATLS-Ana-
(Atemwegsmanagement und HWS-Stabilisierung) mneseschemas (. Tab. 30.2; American College of Surgeons
B Breathing and ventilation [(Be-)Atmung/Ventilation] Comittee on Trauma 2014) sowie eine befundorientierte
Ergänzung der Bildgebung. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt
C Circulation (Kreislauf- und Blutungskontrolle)
eine erneute Einschätzung der thermischen Schädigung
D Disability (neurologischer Status) der Körperoberfläche und wenn möglich werden genauere
E Exposure/environmental control (Entkleidung und Angaben zum Unfallereignis eruiert, um weitere Informa-
Temperaturkontrolle) tionen zu erhalten, die auf eine zusätzliche Schädigung, wie
z. B. ein Inhalationstrauma hinweisen. Ziel ist es, schnellst-
möglich die traumatische Gesamtbelastung mit den be-
drohlichen und relevanten Verletzungskomponenten zu
Begleitend erfolgt die Anlage des Basismonitorings, erkennen. Hilfreich haben sich hierfür Scoring-Systeme
d. h. die Anlage des Elektrokardiogramms, der Pulsoxyme- wie der »Injury Severity Score« (ISS), die als Entschei-
trie, der manuellen oder invasiven Blutdruckmessung und dungshilfe dienen können, erwiesen. Dabei ist es wichtig,
eventuell notwendiger Katheter. In Abhängigkeit von der dass Diagnostik und Therapieplanung die zeitliche Limi-
Stabilität des Patienten muss auf entsprechende lebensret- tierung der sogenannten »ersten goldenen Stunde« beim
tende bzw. -wiederherstellende Sofortmaßnahmen umge- polytraumatisierten Patienten berücksichtigen und auf das
stiegen werden, bevor der Abklärungszyklus fortgeführt Wesentliche beschränkt bleiben.
werden kann. Anschließend sollte unter Führung des Traumaleaders
Zum Screening intraperitonealer freier Flüssigkeit ein Behandlungsplan mit klar abgestimmten Zuständig-
wird ein fokussierter thorakoabdomineller Ultraschall keiten und Kompetenzen erstellt werden. Häufig ist ein
nach FAST(»focused assessment with sonography in abgestuftes Vorgehen notwendig, um Zusatzbelastungen
trauma«)-Protokoll durchgeführt. Weiterhin ist die primä- des Patienten durch gewebetraumatisierende und mit er-
re Ganzkörper-Computertomografie eine wichtige Grund- heblichem Blutverlust einhergehende Operationen zu ver-
voraussetzung, um eine zügige, weitsichtige und vor allem meiden.
interdisziplinäre Patientenversorgung zu planen. In den Falls nicht schon während der ersten Phase erforder-
letzten Jahren hat sich der generelle Nutzen der Ganzkör- lich, haben lebensrettende Sofortoperationen wie z. B.
per-Computertomografie im Hinblick auf die Überlebens- Druckentlastung des Gehirns, des Perikards und der Pleu-
wahrscheinlichkeit bestätigt, auch wenn bei initial negati- rahöhlen sowie die Kontrolle von Massenblutungen, die
ven Befunden ein Risiko für verzögert diagnostizierte teilweise noch im Schockraum durchgeführt werden müs-
Verletzungen bestehen bleibt (Stengel 2012). Routinemä- sen, höchste Priorität. Daran schließen sich dringliche Pri-
ßige, zusätzliche konventionelle Röntgenbilder in Form märeingriffe an, welche ebenfalls am ersten Tag durchge-
von Thorax- und Beckenübersichtsaufnahmen können im führt werden müssen (»day-1-surgery«). Hierzu zählen
Rahmen der Erstuntersuchung entfallen und werden operative Eingriffe, die die traumatische Gesamtbelastung
durch diese sehr schnelle und qualitativ hochwertige reduzieren.
Schnittbilddiagnostik ersetzt. Im Fokus dieser Basisbildge-
bung stehen hauptsächlich die Diagnostik von Schädel-
hirntraumata, Thorax- und intraabdominellen Verletzun- . Tab. 30.2 Ample history (Anamnese) (American College
gen sowie instabilen Frakturen, insbesondere der langen of Surgeons Comittee on Trauma 2014)
Röhrenknochen. Auch kleinere Blutungen müssen bei
A Allergies (Allergien)
Verbrennungspatienten möglichst schon zu diesem Zeit-
punkt ausgeschlossen werden, da sie nach Einlagern von M Medications (Medikamente )
Flüssigkeit im Gewebe erschwert sichtbar werden (Brandt P Past illnesses (medizinische und chirurgische Vor-
2002). geschichte, vorangegangene Krankheiten)
Nach Abschluss der Erstbeurteilung und Sicherstel- L Last meal (letzte Mahlzeit)
lung sowie engmaschiger Reevaluierung der Vitalparame-
E Events preceding injury (Ereignisse, die zum Unfall
ter schließt sich der »secondary survey«, d. h. die Sekun- führten und/oder damit im Zusammenhang stehen)
därbeurteilung an.

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338 Kapitel 30 · Polytrauma und Schwerverbrennung

Folgeoperationen müssen daher interdisziplinär und


Dringliche Primäreingriffe (Sekundärphase) individuell auf das spezifische Verletzungsmuster des Pati-
5 Versorgung thorakaler und abdomineller (Hohl-) enten abgestimmt werden, um neben einem raschen
Organverletzungen (»source control«) Wundverschluss die Gesamtbelastung kalkulierbar zu hal-
5 Entlastung intrakranieller Raumforderungen; ten und einen größtmöglichen Funktionserhalt aller ver-
offene Hirnläsionen letzten Organe und Strukturen zu erreichen.
5 Entlastung einer Rückenmarkkompression mit Kontrovers diskutiert wird das Zeitmanagement der
neurologischen Defiziten anschließend notwendigen Versorgung schweren Begleit-
5 Kompartmentspaltung verletzungen (Rosenkranz 2002). Das Therapiekonzept
5 Versorgung von offenen Frakturen, Gelenken, hat sich insbesondere bei unfallchirurgischen Verletzun-
Wunden, freiliegenden Strukturen, groben Skelett- gen im Verlauf der letzten Jahrzehnte maßgeblich verän-
instabilitäten, z. B. Frakturen der langen Röhren- dert. Von der nahezu ausschließlichen konservativen Frak-
knochen, Luxationen turbehandlung im Gips hat sich nach Versuchen mit Schie-
5 Versorgung von Verletzungen, die unversorgt zu nen- und Traktionsbehandlung eine zeitnahe invasive und
gravierendem Funktionsverlust führen damit operative Therapie durchgesetzt (Dossett 1991).
30 5 Débridement von nekrotischem und minderdurch- Sofern möglich, erfolgen simultane Eingriffe, d. h. nach
blutetem Gewebe dem ersten Wunddébridement wird die Frakturversor-
gung durchgeführt und anschließend die Verbrennungsa-
reale mit Spalthaut transplantiert (Brandt 2002). Hierbei
Bei jeder Operation ist zu bedenken, dass das zügig eintre- ist, soweit irgend möglich, eine definitive Versorgung an-
tende generalisierte Ödem durch das kapilläre Leck zu ei- zustreben. Ist dies nicht erreichbar, falls eine z. B. zirkuläre
ner Wunddehizenz führen kann. bzw. semizirkuläre Verbrennung einer Extremität vorliegt,
Das beschriebene Vorgehen entspricht dem Damage- und das Risiko für ein Kompartmentsyndrom zu hoch ist,
Control-Prinzip. Patienten mit einer Kombinationsverlet- kann alternativ vorerst eine Versorgung mit einem exter-
zung und zu erwartender instabiler Kreislaufsituation, mit nen Fixateur mit anschließendem Débridement und Spalt-
Auswirkungen der Kapillarschädigung und dem damit hauttransplantation erfolgen, bevor nach Konsolidierung
einhergehenden Flüssigkeitsverlust, müssen nach diesem der Weichteilverhältnisse eine definitive ORIF (»open re-
Stufenkonzept weiterbehandelt werden. duction and internal fixation«) durchgeführt wird (Sheri-
dan 2012). Im Vordergrund steht, wie auch in der generel-
> Ziel ist es, einen verletzungsadaptierten Behand-
len Traumaversorgung, die Stabilisierung instabiler Frak-
lungsplan zu erstellen, der auf die individuelle
turen, um hierdurch die Voraussetzung z.B. zum Lagern
Gesamtbelastung des Patienten abgestimmt ist und
und schmerzarmen Mobilisieren für eine effiziente Be-
ein individualisiertes Traumamanagement umfasst,
handlung auf der Intensivstation zu schaffen. Weiterhin
um mögliche Sekundärschädigungen zu minimieren.
werden dadurch Spätkomplikationen minimiert und das
Dies hat sich im Gegensatz zu einer Rundumversorgung Infektrisiko gering gehalten (Brandt 2002). Von aufwendi-
am Unfalltag im Sinne des »early total care« als günstiger gen Rekonstruktionsversuchen bei komplexen offenen
erwiesen und weicht zum Teil deutlich von der etablierten Frakturen mit Gefäß- und Nervenschäden ist bei einer
Standardversorgung isolierter Verletzungen ab. In Bezug gleichzeitigen Verbrennung tendenziell abzuraten, um die
auf das Verbrennungstrauma sollte der Patient nach erster zusätzliche Gesamtbelastung überschaubar zu halten und
Stabilisierung und erfolgten Sofortoperationen zunächst die individuelle Kapazität des Patienten nicht zu über-
eingeduscht und insofern notwendig escharotomiert bzw. fordern. Auch in diesen Fällen muss trotz möglicher
fasziotomiert werden, bevor er in die Sterilpflege im Kontamination der Verbrennungsareale nach 48 h und
Brandverletztenzentrum aufgenommen wird. Nach Ab- dadurch erhöhtem Infektionsrisiko zunächst eine Stabili-
schluss der Schockraum- und frühen Operationsphase sierung durch einen externen Fixateur erreicht werden.
schließt sich die Behandlung auf der Intensivstation an. Angestrebt werden sollte immer eine interdisziplinär ge-
Auch nach initialer Stabilisierung in der akuten Phase troffene Entscheidung zur Erlangung des bestmöglichen
besteht durch die ungünstige Kombination eines Poly- funktionellen Outcomes (Dougherty 1996).
traumas mit einer Schwerverbrennung auch in den Tagen Auch im Anschluss an die akute Phase müssen immer
und Wochen nach dem Trauma ein hohes Risiko für wieder entsprechend den vorliegenden Gegebenheiten in-
das Eintreten eines Multiorganversagens, gefolgt von ver- terdisziplinär Kompromisse eingegangen werden. So kann
schiedenen Komplikationen, die durch eine ungünstige z.B. eine frühfunktionelle Beübung durch die Physiothera-
Krankheitsdynamik zu einem tödlichen Ausgang führen peuten nur moderat erfolgen, um ein gleichzeitiges Ein-
können. heilen von Spalthauttransplantaten nicht zu gefährden. In

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
339 30
jedem Fall ist der gesamte Prozess intensiv unter den be- Pruitt BA Jr (1970) Management of burns in the multiple inury patient.
handelnden Fachrichtungen zu kommunizieren und zu Surg Clin North Am 50(6):1283–1300
planen und muss sich immer an der aktuellen individuel- Purdue GF, Hunt JL (1989) Multiple trauma and the burn patient. Am J
Surg 158(6):536–539
len Situation des Patienten orientieren. Rosenkranz KM, Sheridan R (2002) Management of the burned trauma
Ebenfalls eine große Herausforderung stellt die Kom- patient: balancing conflicting priorities. Burns 28(7):665–669
bination eines Schädelhirntraumas (SHT) mit einer Ver- Santaniello JM, Luchette FA, Esposito TJ, Gunawan H, Reed RL, Davis
brennung dar. Bei jedem SHT muss mit einem Hirnödem KA et al (2004) Ten year experience of burn, trauma, and com-
gerechnet werden, welches aufgrund der generalisierten bined burn/trauma injuries comparing outcomes. J Trau-
ma 57(4):696–700
Ödementwicklung in den ersten Tagen durch die notwen-
Sheridan RL, Schaefer PW, Whalen M, Fagan S, Stoddard FJ Jr, Schneider
dige Volumentherapie nach einer Verbrennung noch ver- JC et al (2012) Case records of the Massachusetts General Hospital.
stärkt wird. Um intrakranielle Druckspitzen monitorisie- Case 36-2012. Recovery of a 16-year-old girl from trauma and
ren zu können, ist meist eine Hirndrucksonde notwendig. burns after a car accident. N Engl J Med 22;367(21):2027–2037
Auch hier sollte das deutlich erhöhte Infektionsrisiko bei Stengel D, Ottersbach C, Matthes G, Weigeldt M, Grundei S, Radem-
acher G, et al (2012) Accuracy of single-pass whole-body com-
gleichzeitig bestehenden Verbrennungen im Bereich des
puted tomography for detection of injuries in patients with major
Kopfes und der damit einhergehenden Gefahr einer Me- blunt trauma. CMAJ 15;184(8):869–876
ningitis besondere Aufmerksamkeit erhalten und darf
nicht unterschätzt werden. Neurologische Untersuchun-
gen und engmaschige Kontrollen mit Schnittbilduntersu-
chungen können gegebenenfalls alternativ einem Druck-
monitoring vorgezogen werden (Sheridan 2012).
Abschließend ist festzuhalten, dass das Management
eines Schwerverbrandverletzten mit Polytrauma mit dem
eines polytraumatisierten Patienten ohne thermische Ver-
letzung vergleichbar ist. Dabei wird die präklinische Phase
durch das Vorliegen von Verbrennungen zunächst nicht
wesentlich beeinträchtigt. Anschließend erfolgt die
Schockraumversorgung nach den Prinzipien des ATLS-
Konzepts. Angestrebt wird die traumatische Gesamtbelas-
tung zügig zu erkennen und einen verletzungsadaptierten
Behandlungsplan zu erstellen. Eine enge interdisziplinäre
Zusammenarbeit ist für das notwendige abgestufte Vorge-
hen Voraussetzung und erfordert höchste Aufmerksamkeit
und Kooperation aller Beteiligten. Insbesondere der zeitli-
che Ablauf der notwendigen Schritte bietet Diskussionspo-
tenzial zwischen den Fachabteilungen und muss aufgrund
der sehr individuellen Verletzungsmuster stets einzeln
im Sinne einer individualisierten Medizin entschieden
werden.

Literatur

American College of Surgeons Comittee on Trauma (Hrsg) (2014)


Advanced Trauma Life Support. Elsevier, München. S 5–19
Brandt CP, Yowler CJ, Fratianne RB (2002) Burns with multiple trauma.
Am Surg 68(3):240–243
Dossett AB, Hunt JL, Purdue GF, Schlegel JD (1991) Early orthopedic
intervention in burn patients with major fractures. J Trauma
1991 31(7):888–892
Dougherty W, Waxman K (1996) The complexities of managing severe
burns with associated trauma. Surg Clin North Am 76(4):923–958
Klein L, Dousa P, Zajicek R, Pafcuga I, Tokarik M (2008) Specific aspects
of the treatment of patients with multiple mechanical and burn
injuries. Acta Chir Plast 50(1):17–22

marcus.lehnhardt@rub.de
341 31

Verätzungen
Stéphane Stahl, Hans-Eberhard Schaller

31.1 Definition – 342

31.2 Ursachen – 342

31.3 Wirkmechanismus – 342

31.4 Epidemiologie – 345

31.5 Symptome – 346

31.6 Therapie – 347

31.7 Flusssäureverätzung – 350

Literatur – 352

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_31, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
342 Kapitel 31 · Verätzungen

31.1 Definition oxid, Natriumhypochlorit, Kaliumpermanganat, Chlorate,


Perchlorate und Nitrate), Wasser entziehende Stoffe (z. B.
Eine Verätzung bezeichnet eine Verletzung, die durch den Aceton, Alkohol) und Alkalimetalle (z. B. Lithium, Natri-
Kontakt mit chemischen Stoffen entstanden ist. Die sehr um, Kalium), die in Kontakt mit Wasser oder Luft zu einer
heterogenen Eigenschaften von Verätzungen werden stark exothermen Reaktion führen.
durch die Art, die Konzentration, die Menge und die
> Ätzende Stoffe können organischer oder anorgani-
Einwirkungszeit des chemischen Stoffes bestimmt. Die
scher Natur, fest, flüssig oder gasförmig sein und
Schwere einer Verätzung wird analog zu Verbrennungen
werden nach den GHS-Richtlinien gekennzeichnet
je nach Oberfläche und Tiefe der Schädigung unterteilt.
(. Abb. 31.1).

31.2 Ursachen 31.3 Wirkmechanismus

Die Gefahren die von chemischen Verbindungen ausge- Die schädigende Wirkung chemischer Stoffe ist hoch kom-
hen, werden hinsichtlich ihrer schädlichen Wirkung auf plex und oft nicht im Einzelnen belegt. Die oft zitierte em-
Haut oder Cornea nach den GHS-Richtlinien (»globally pirische Unterteilung der Wirkmechanismen chemischer
harmonized system of classification, labelling and pa- Stoffe auf biologisches Gewebe aus dem Jahr 1974 hat da-
ckaging of chemicals«) der Vereinten Nationen unterteilt. her eher einen beispielhaften Charakter (Jelenko 1974):
31 Nach OECD-Richtlinien wird die Wirkung auf die Haut 4 Oxidierend: Reaktionen in denen chemische Stoffe
nach einer Exposition im Tierversuch von ≤4 h in Hautrei- ein Elektron abgegeben (Chromsäure, Natriumhypo-
zung (»hazard statement«: H315: reversibler Hautschaden) chlorit, Kaliumpermanganat)
oder Verätzung (H314: irreversibler Hautschaden mit Ne- 4 Reduzierend: Reaktionen in denen chemische Stoffe
krose von Epidermis und Dermis) unterteilt (OECD 2002). ein Elektron aufnehmen (Alkyl-Quecksilber-Verbin-
Im Jahr 1970 wurde geschätzt, dass 25000 chemische Stof- dung, Salzsäure, Salpetersäure)
fe eine Verätzung verursachen können (Curreri 1970). 4 Korrosiv: Stoffe welche durch unmittelbare Hautnek-
Nach Angaben der größten zentralen Stoffdatenbank der rose zur Schorfbildung führen (Phenol, weißer Phos-
Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) gibt es bis phor, Natronlauge, Salzsäure)
zum Jahr 2014 etwa 9100 Reinstoffe mit ätzender Wirkung 4 Zellgifte: Führen zum Gewebsuntergang durch Schä-
auf der Haut (H314), etwa 57100 Reinstoffe mit hautrei- digung des Zellmetabolismus (Essigsäure, Ameisen-
zender Wirkung (H315) und über 69400 Reinstoffe, die säure, Oxalsäure, Flusssäure, Wolframsäure)
einen schweren Augenschaden (H318) oder eine schwere 4 Hygroskopisch: Schädigen das Gewebe durch Wasser-
Augenreizung (H319) verursachen können (European entzug oder Hitzeentwicklung (Schwefelsäure, Salz-
Chemical Agency 2014). säure, Kalziumchlorid, Silicagel, Kalziumsulfat)
Diese Stoffe werden ubiquitär eingesetzt wie z. B. im 4 Nekrotisierend: Stoffe welche im direkten Kontakt
Haushalt, in der Industrie, in der ästhetischen Chirurgie Gewebstoxisch wirken, z. B. durch DNA-Strangbruch
(Fruchtsäure, Trichloressigsäure oder Phenol-Peeling), in (Dimethylsulfoxid: DMSO, Senfgas, Lewisit)
der Landwirtschaft, ja sogar in Kriegsgebieten oder bei
Attentaten (Reilly 2000; Jenner 2013; . Tab. 31.1). Zu Die sauren oder basischen Eigenschaften eines chemi-
den ätzenden Stoffen zählen stärkere Säuren und Basen schen Stoffes lassen eine grobe und klinisch relevante Ein-
sowie oxidierend wirkende Stoffe (z. B. Wasserstoffper- teilung der Verätzungen zu. Der Kontakt mit starken Säu-

a b c

. Abb. 31.1a–c Piktogramme nach den Stoffrichtlinien der Vereinten Nationen (a), der EU (b), und nach der Gefahrenklasse für ätzende
Stoffe der Vereinten Nationen (c)

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31.3 · Wirkmechanismus
343 31

. Tab. 31.1 Klinisch relevante chemische Stoffe mit Vorkommen und charakteristischen Eigenschaften

Chemischer Stoff Vorkommen Merkmale einer Exposition

Schwefelsäure (Dihydrogen- – Batteriesäure – hypertherme Reaktion bei Hautkontakt


sulfat; »sulfuric acid«; H2SO4) – Waschmittelindustrie – dunkelbraune bis schwarze, trockene Belege
– Abflussreiniger (Karunadasa 2010; Tintinalli 2010)
– zu den häufigsten Säureverletzungen
gehörend (Xie 2004; Sykes 1986), insbesondere
bei Säureattacken (Mannan 2007)

Essigsäure (Ethansäure; »acetic – 4–5 %: Haushaltessig, Säuerungsmittel – graubrauner Schorf (Pillay 2013)
acid«; Essigsäure 99 %: »acidum für Obst und Gemüse
aceticum glaciale«; »glacial – 6–40 %: pharmazeutische Produkte,
acetic acid«; CH3COOH) Fixierung von Dauerwellen
– >60 %: Textilindustrie

Flusssäure (Fluorwasserstoff- – Ätzen von Glas und Metallen – 2-%ige Flusssäure


säure; »hydrofluoric acid«; HF) – Mikrochipherstellung – nach 1-stündigem Kontakt anfangs
– Veredelung von Benzinen Abblassung bzw. Rötung
– nach 96 h Nekrosen, Ulzeration und sub-
kutane Ödeme (GESTIS 2014)
– >50-%ige Flusssäure
– tiefe Zerstörung des Gewebes mit intensiven
Schmerzen
– Hypokalzämie (QT-Verlängerung im EKG)
– Hypomagnesiämie
– Azidose
– Hyperkaliämie
– kardiale, renale und hepatische Funktions-
störungen

Schweflige Säure (Dihydrogen- – Bleichmittel – Rötung und Brennen der Haut


sulfit; »sulfurous acid«; H2SO3) – Kältemittel – häufig auch Augen und Atemwege betroffen
– Konservierungsstoff

Salzsäure (Chlorwasserstoffsäure; – Magensaft – schwarze Hautbelege


»hydrochloric acid«; »muriatic – Metallverarbeitung – Gefahr eines Inhalationstraumas durch Salz-
acid«; HCl) – Reinigen von Mauerwerken säuredämpfe
– Chlor bildet bei Kontakt mit Feuchtigkeit
hypochlorige Säure (HOCl) und Salzsäure
(HCl)

Ameisensäure (Methansäure; – Desinfektionsmittel – metabolische Azidose


»formic acid«; HCOOH) – Entkalken von Waschmaschinen – Hämolyse
– Enteisen von Fluglandebahnen – Hämoglobinurie
– Nierenversagen (Chan 1995)
– Lungenödem (Mozingo 1988)

Phosphorsäure (»phosphoric Herstellung: – dunkelbraune Verfärbung der Haut


acid«; H3PO4) – phosphathaltiger Dünger – Phosphorpartikel mit Schwarzlicht bzw.
– Waschmittel Wood-Lampe identifizierbar (Barqouni 2014)
– Rostentferner – weißer, feiner Phosphor an der Luft selbst-
entzündbar bei etwa 34°C

Salpetersäure (Hydrogennitrat; – Düngemittel – gelbbrauner Schorf mit umgebender


»nitric acid«; HNO3) – Sprengstoffe ödematöser Schwellung
– Goldverarbeitung – Methämoglobinämie
– akutes Nierenversagen (Kolios 2010)
– toxische Gefährdung durch Hautresorption
(Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-
medizin 2008)

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344 Kapitel 31 · Verätzungen

. Tab. 31.1 (Fortsetzung)

Chemischer Stoff Vorkommen Merkmale einer Exposition

Phenol (Benzenol; »phenol«; – Kunststoffherstellung – Hautrötung


»carbolic acid«; C6H6O) – Phenol-Peeling – später Weißverfärbung (»frost«)
– bei längerer Einwirkungszeit Dunkelfärbung
bis zur Bildung von Nekrosen
– Nierenfunktionsstörungen (Bentivegna 1990)
– toxische Gefährdung durch Hautresorption
(Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-
medizin 2008)

Ammoniak (»ammonia«; NH3) – Düngemittel – graugelbe Belege auf der Haut


– Sprengstoffe – schwarze lederartige Nekrosen bei tieferen
– Kältemittel Verätzungen (White 2007)
– meist Augen und Atemwege betroffen

Natronlauge (Natriumhydroxid; – Reinigung in Getränke- und Nahrungs- – verzögert einsetzende Schmerzempfindung


»lye«; NaOH) mittelindustrie – Verquellung des Gewebes mit weicher, sulziger
– Abflussreiniger Oberfläche
31 – Abbeizmittel

Kalziumoxid (ungelöschter Kalk; – Herstellung: Nasser Zement:


»lime«; »calcium oxide«; CaO) – Zement – Exposition von 1 h führt zu drittgradigen
– Gips Verätzungen (Greening 1978)
– Papier – häufigste Laugenverletzung (Xie 2004;
Hardwicke 2012; . Abb. 31.2)

Kaliumhydroxid (»potassium – Ausgelaufene Batterien (Winek 1999) – Verquellung des Gewebes ohne Schorfbildung
hydroxide«; KOH) – Herstellung von Schmierseifen – bei längerer Kontaktzeit auch Reizung der Haut
– Mikrochips durch Lösungen <1 % (GESTIS 2012)
– Mikrobiologie zur Unterscheidung von
grampositiven und gramnegativen
Bakterien

Natriumhypochlorit (NaClO; – Bleichen Braune Verfärbung der Haut (Lang 2013)


»sodium hypochlorite«) – Desinfizieren (Eau de Javel)

Alkane (CnH2n+2) – Benzin – Erythem und Blasenbildung nach 30 min


– Dieselkraftstoff (Frolke 2007)
– Heizöl – Pulmonale, kardiovaskuläre, neurologische,
– Kerosin renale und hepatische Komplikationen
– Petroleum (Tintinalli 2010)

Desinfektionslösungen – Octenisept – Erythem und Blasenbildung besonders bei


– Softasept der Verwendung von Tourniquet
– Betaisodona – häufig betroffen dünnere Haut von Klein-
kindern oder Bereich des Perineums beim
Erwachsenen

Rot: Säuren, blau: Laugen, grün: Sonstige

ren (pH ≤3,0) führt zu Koagulationsnekrosen, wobei star- Gewebe einzudringen. Im Rahmen von chemischen Pee-
ke Basen (pH ≥11,0) Kolliquationsnekrosen verursachen. lings kommt es zu einer kontrollierten Zerstörung der Epi-
Die Gewebsverflüssigung bei der Kolliquationsnekrose dermis und oberer Anteile der Dermis (zweitgradige Ver-
kann im Unterschied zur Koagulationsnekrose zu einer ätzungen) sowie langfristig zu einer Zunahme der Dicke
ausgeprägteren Eindringtiefe führen. Protonen bzw. Oxo- der Dermis, von Elastin, Fibroblasten und lamellar organi-
niumionen in Säuren zerstören die Wasserstoffbrücken- sierten Kollagenfibrillen (Butler 2001).
bindungen und Karboxylatgruppen von Proteinen. Die Starke Laugen verflüssigen das Gewebe durch Versei-
resultierende Strukturveränderung führt zu einer Koagu- fung von Fetten und Proteinolyse. Durch die Verseifung
lation der Proteine, die Säuren daran hindert, tiefer in das wird die hydrophobe Schutzbarriere der Haut aufgehoben.

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31.4 · Epidemiologie
345 31

. Abb. 31.2 Zweitgradige Zementverätzung an beiden Kniegelen-


ken beim Verlegen von Estrich

Hydroxid(OH-)ionen führen zu einer Proteindenaturie-


rung. Zusätzlich beschleunigt der hygroskopische Effekt
von Laugen den Zelluntergang. Im Kontrast zu Säuren wei-
sen die Wundränder bei Basen keine klare Begrenzung auf
und führen vermehrt zu Ödembildung (Goertz 2013).
Die Expositionszeit gegenüber chemischen Stoffen be- a
trägt meist mehrere Minuten und dauert gelegentlich noch
im Verbrennungsbad an, sofern bis dahin keine angemes-
sene Wasserspülung stattgefunden hat (Palao 2010). Da
Schmerzen erst nach Diffusion durch die Hautbarriere
entstehen, wird der Kontakt mit ätzenden Stoffen unter
Umständen erst nach längerer Expositionszeit wahrge-
nommen. Die durchschnittliche Zeit bis zur Erstvor-
stellung in einem Verbrennungszentrum betrug in einer b
retrospektiven Studie aus Birmingham bei Verätzungen . Abb. 31.3a, b Erstgradige Verätzung. a Verätzung in Gesicht und
etwa 36 h (Hardwicke 2012). Augen durch Kaliumhydroxid (Reinigungsmittel Aspiral). b Verätzung
am Unterarm mit 96-%iger Schwefelsäure bei einer Pharmazie-
studentin

31.4 Epidemiologie

Epidemiologische Daten wie die Inzidenz, die Verletzungs- 40 Jahre). Im Durchschnitt betreffen Verätzungen in 72,7 %
art und der Unfallort von Verätzungen stehen in einem (Yeong 1997) bis 99 % (Hardwicke 2012) der Fälle <10 %
sozioökonomischen und historischen Kontext. Verätzun- der KOF (Körperoberfläche). In einer retrospektiven Da-
gen betreffen in den USA 2,5–4 % (Stuke 2008; Taira 2010), tenauswertung einer Fallserie von 131 Patienten waren
in Sri Lanka 7 % (Karunadasa 2010), in Birmingham 7,9 % 75 % der Verätzungen drittgradig (Wang 1992). Die Letali-
(Hardwicke 2012), in China 8,5 % (Xie 2004) oder in Sin- tät von Verätzungen wird grob zusammenfassend auf
gapur 10,7 % (Wang 1992) aller Verbrennungen. Laut einer 0,7–2 % eingeschätzt (Xie 2004; Wang 1992).
systematischen Literaturübersicht sind Verätzungen in Eu- In den letzten 30 Jahren sind die Verätzungsoberfläche
ropa sehr viel seltener als Verbrennungen und Verbrühun- und -tiefe geringer geworden, wobei der Anteil an häusli-
gen und etwas seltener als Stromverletzungen (Brussela- chen Verletzungen zugenommen hat (Hardwicke 2012).
ers 2010). In Birmingham ereigneten sich bei 185 nachun- Nach Angaben der DGUV wurde in Deutschland von 2003
tersuchten Patienten 42 % der Verätzungen im häuslichen bis 2012 ein stetiger Rückgang meldepflichtiger Arbeits-
Umfeld und 34 % in der Industrie; 26 % wurden durch verletzungen durch Verätzungen registriert (Maximum
Säuren und 55 % durch Basen verursacht (Hardwicke 2012; 2003: 6496; Minimum 2012: 3868; durchschnittlich: 5286
Geschlechterverteilung ᄝ:ᄛ = 160:25, Durchschnittsalter: pro Jahr). Am häufigsten betroffen waren Augen und

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346 Kapitel 31 · Verätzungen

Augenregionen (48,3 %), gefolgt vom gesamten Unterarm


. Tab. 31.2 Auflistung wichtiger Giftzentralen und Stoff-
(7,1 %), gesamten Fuß (7,1 %) und der gesamten Hand datenbanken
(6,4 %; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2014).
Laut statistischem Bundesamt kann eine Zunahme der Giftzentralen Internetadresse
Verätzungen von 2004 bis 2012 von ca. 11 % festgestellt
werden (Max.: 2012: 2.654; Min.: 2005: 2.350; durch- Berlin www.giftnotruf.de

schnittlich: 2.654 pro Jahr). Auch hier ist die Augenregion Bonn www.meb.uni-bonn.de/giftzen-
(53,5 %) am häufigsten betroffen, gefolgt von inneren Ver- trale
ätzungen (21 %), Bein (4,6 %), Kopf (3,8 %), Hand (3,8 %), Erfurt www.ggiz-erfurt.de
und Arm (3,7 %; . Abb. 31.3). Der Rückgang beruflicher
Freiburg www.giftberatung.de
Verätzungen ist möglicherweise einer besseren Prävention
Göttingen www.giz-nord.de
(Chemikalienschutzhandschuhe, Hautschutzmittel und
Schutzbrillen) am Arbeitsplatz zuzuschreiben. Homburg/Saar www.uniklinikum-saarland.de/
In einer retrospektiven Studie aus China wurden 11,5 % de/einrichtungen/kliniken_insti-
tute/kijumed
aller Verätzungen auf Anschläge zurückgeführt (Xie 2004).
Der prozentuale Anteil von Säureattacken ist weltweit sehr Mainz www.giftinfo.uni-mainz.de
unterschiedlich (5–100 %; Mannan 2007). Säureattacken München www.toxinfo.org/
sind besonders in Entwicklungsländern (Bangladesh, Tai-
31 wan, Sri Lanka, Iran, Kambodscha, Nigeria, Uganda, Ja-
Nürnberg www.giftinformation.de

maica und Venezuela (Mannan 2007), aber auch in den Stoffdatenbanken

USA (Brodzka 1985; Krob 1986; Purdue 1990), England Europäischen http://echa.europa.eu/informa-
(Beare 1990) und Deutschland (Noah 2004) anzutreffen Chemikalienagentur tion-on-chemicals/cl-inventory-
(ECHA) database
und werden meist aus Rache (Streitigkeiten um Geld und
Eigentum, Gewalt oder Missbrauch in Ehe oder Familie, Medizinische Leitlinien www.basf.com/group/corpo-
Eifersucht) ausgeführt. Sie betreffen in über 90 % das Ge- der BASF rate/de/sustainability/emplo-
yees/occupational-medicine/
sicht (Karunadasa 2010), und führen demzufolge zur Ent-
responsible-care
stellung und Erblindung und letztlich zur sozialen
Isolation(Acid Survivors Foundation 2014). Deshalb wird GESTIS-Stoffdatenbank www.dguv.de/ifa/stoffdaten-
bank
von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen (Yeong 1997).
Bei Säureattacken werden oft Schwefelsäure aus Autobat- Gemeinsamer Stoffdaten- www.gsbl.de
pool des Bundes und der
terien, Abflussreiniger (Farhad 2011) oder Ameisensäure
Länder
(Karunadasa 2010) verwendet.
Informationssystem http://igsvtu.lua.nrw.de
Gefährliche Stoffe

31.5 Symptome Gefahrstoffdatenbank www.gefahrstoff-info.de/


der Länder

Auf der Haut findet sich charakteristischerweise ein Spritz- Datenbank Gefahrgut www.dgg.bam.de
muster durch den Kontakt mit flüssigen Arbeitsmitteln Rufbereitschaft- und www.hamburg.de/resy
oder verunreinigter Kleidung. Nach Kontakt mit chemi- Ersteinsatzinformations-
schen Stoffen müssen systemische sowie lokale Symptome system
beachtet werden. Dies gilt besonders bei Schleimhautver- Datenbank für www.dechema.de/Chemsafe.
ätzungen, bei Kindern, ausgeprägten Verätzungen oder sicherheitstechnische html#Online
besonderen Gefahrenstoffen (z. B. Flusssäure). Kenngrößen

> Bei der Anamnese sollten Parameter erhoben wer-


den, die auf eine systemische Intoxikation hinwei-
Patienten, das Einholen ausführlicher Informationen bei
sen können (Allgemeinzustand, Agens, Einwirkdau-
der ortsnahen Giftzentrale oder in Stoffdatenbanken uner-
er, Zeit und Dauer der Wasserspülung). Husten,
lässlich (. Tab. 31.2). Am Arbeitsplatz sind stoffbezogene
Atemnot, Hypotonie, Schwindel, Kopfschmerzen,
Informationen aus der Kennzeichnung und dem Sicher-
Tetanie und Herzrhythmusstörungen können Anzei-
heitsdatenblatt heranzuziehen.
chen hierfür sein.
Zur Befunderhebung gehört eine Einschätzung der
Aufgrund der Vielfalt an Stoffen und Gemischen und der Wundoberfläche in Prozenten der Köperoberfläche (7 Kap.
zahlreichen Wirkmechanismen ist, nach Stabilisierung des 10) und der Verletzungstiefe. Die Verletzungstiefe wird in

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31.6 · Therapie
347 31

. Abb. 31.4a, b Zweitgradige Verätzung mit Jodmethan in der . Abb. 31.5 Drittgradige Verätzung am lateralen Mittelfinger mit
chemischen Industrie Natronlauge wegen undichtem Schutzhandschuh bei der Reinigung
von Bienenbeuten und -rähmchen

Schweregrade unterteilt. Anders als bei Verbrennungen ist Gründen zur Verlaufsbeurteilung und aus rechtlichen
jedoch eine Unterscheidung in Grad IIb und Grad III ange- Gründen unverzichtbar (Bryson 2011; Yavuzer 2001). Eine
sichts der Veränderungen des Hautturgors, der Hautverfär- Augenbeteiligung sollte nach dem prozentualen Anteil an
bung und der sehr unterschiedlichen toxischen Nachwir- der Limbusoberfläche (Dua 2001) und der Verletzungstie-
kungen von Verätzungen obsolet. fe nach Roper-Hall und Ballen (Roper-Hall 1965) charak-
terisiert werden (7 Kap. 28).
Schweregrade der Verätzung
5 Grad I: Schädigung der Epidermis mit Hautrötung,
31.6 Therapie
Erwärmung, Ödem und Schmerzen, keine Blasen-
bildung, Ausheilung ohne Narbenbildung
Bei Kontakt mit Gefahrenstoffen sollte immer der Eigen-
5 Grad II: Untergang der Epidermis und anteilsweise
schutz (Schutzhandschuhe und Schutzbrille) beachtet wer-
der Dermis, nicht wegdrückbare Hautrötung,
den. Dabei sollte bedacht werden, dass medizinische Ein-
Epidermolyse mit Blasenbildung, Ausheilung ohne
malhandschuhe nach den Anforderungen der DIN EN 455
Narbenbildung möglich (. Abb. 31.4)
keine Chemikalienschutzhandschuhe sind. Die ABCDE
5 Grad III: Zerstörung der Epidermis, der Dermis, der
(»airway, breathing, circulation, disability, exposure«)-
Hautanhangsgebilde (Haarfollikel, Talgdrüsen) und
Regel (Atemwege, Belüftung, Kreislauf, neurologisches
sensorischer Hautrezeptoren, Narbenbildung im
Defizit, Exposition) des Traumamanagements sollten bei
Verlauf (. Abb. 31.5)
Verätzungen grundsätzlich berücksichtigt werden. Die
vitale Bedrohung durch Exposition gegenüber chemischen
Besonders nach Laugenverätzungen ist die Verletzungstie- Stoffen ergibt sich aus der Menge des resorbierten Stoffes,
fe initial meist unscheinbar und wird daher häufig unter- dessen Toxizität sowie Alter und Allgemeinzustand des
schätzt. Patienten. Nachfolgend wird lediglich auf die Behandlung
Eine Fotodokumentation mit angemessenem Bildaus- nach dermaler Exposition eingegangen.
schnitt und Ausrichtung sowie unter Berücksichtigung Kontaminierte Kleider sowie sämtlicher Schmuck soll-
anerkannter Qualitätsleitlinien ist aus chirurgischen ten unverzüglich entfernt werden. Die Stoffe sollten durch

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348 Kapitel 31 · Verätzungen

31
a b

. Abb. 31.6a, b Isozyansäurenverätzung (Belege in a) in der chemischen Industrie. Erstversorgung initial mit Previn (Diphoterine)

grobe mechanische Reinigung (Bürsten) wie auch durch > Bei ausreichender Menge adäquat temperierten
Verdünnung bzw. ausgiebiges Spülen sofort entfernt wer- Wassers und lang andauernder kontinuierlicher
den. Ausschlaggebend ist das sofortige Handeln nach Ver- Spülung, ist die exotherme Reaktion geringer Rück-
ätzungen, da experimentell gezeigt werden konnte, dass stände relativ bedeutungslos, zumal die Reaktion
eine Verzögerung von 1–2 min zu bedeutend tieferen und ohnehin bei normaler Hautbefeuchtung kaum zu
größeren Wunden führte (Gruber 1975; Yano 1994). Bei verhindern ist.
alkalischen Lösungen wird generell eine längere Dauer der
Spülung empfohlen. Obwohl es keine gesicherten evidenz- Mit Phenol kontaminierte Haut kann idealerweise, wegen
basierten Erkenntnisse über die Dauer der Spülung gibt, der geringen Wasserlöslichkeit, mit 50-%igem Polyethylen-
wird allgemein eine Dauer von 30 min bis ≤2 h empfohlen, glykol 300 oder 400 (Pruitt 2006) oder Isopropanol (Hun-
bevorzugt mit temperiertem Wasser (28–31°C) um einer ter 1992) gewaschen werden, sofern die Erstversorgung
Hypothermie vorzubeugen (Palao 2010; Hall 2006). Im durch Wasserspülung dadurch nicht verzögert wird
Verbrennungsbad ist auf einen ungehinderten Abfluss der (Wang 2014). Bitumen (Asphaltherstellung) sind stark
Spülflüssigkeit zu achten, damit nicht weitere Areal durch hydrophob und lassen sich daher sehr gut mit Vaseline
die abgespülten Stoffe verätzt werden können. oder Ölen entfernen. Ist die toxische Substanz nicht zu ent-
Ausgiebiges Spülen mit Wasser führt zu einem kürze- fernen, sollte bei systemischen Nebenwirkungen ein sofor-
ren Krankenhausaufenthalt, einer geringeren Mortalität tiges epifasziales Débridement durchgeführt werden
und einem geringeren Bedarf an Hauttransplantationen (O’Cleireachain 2014).
(Brent 2013). Die Wasserspülung ist die Therapie der Ein Vorteil neutralisierender Substanzen wie z. B. Pre-
Wahl. Bedenken über die chemischen Reaktionen be- vin (Diphoterine) konnte bislang nicht klinisch belegt wer-
stimmter Stoffe sollten in der Praxis nicht die Erstversor- den (. Abb. 31.6; Brent 2013). Experimentell scheint eine
gung durch Wasserspülung verzögern (Wang 2014). Alka- Spülung mit Previn zu einer geringeren Substanz-P-Aus-
limetalle (z. B. Lithium, Natrium, Kalium) führen in Kon- schüttung (Neuropeptid) und schnelleren Wundheilung
takt mit Wasser oder Luft zu einer stark exothermen Reak- als bei Wasserspülungen zu führen (Cavallini 2004). Führt
tion. Kalziumoxid (Branntkalk, Zementherstellung) ist die Beschaffung einer neutralisierenden Substanzen zu ei-
stark ätzend (pH-Wert 12–13) und reagiert mit Wasser in ner Verzögerung von mehreren Minuten gegenüber einer
einer exothermen Reaktion zu Kalziumhydroxid, Lösch- einfachen Wasserspülung, ist der Einsatz obsolet, da die
kalk (Leonard 1982). längere Einwirkzeit eine bedeutend tiefere und größere
Verätzung zur Folge hat (Brent 2014).

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31.6 · Therapie
349 31

c d

. Abb. 31.7a–d Berufliche Phosphorsäureverätzung (25–50 %; Ferroclin). a Erstbefund mit dunkelbrauner Verfärbung der Haut. b, c Versa-
jet-Débridement aller verätzten Areale. d Abschlussbefund nach Exzision einer drittgradigen Verätzung infrakostal und Spalthautransplanta-
tion an Arm und Oberschenkel

Nach der Erstversorgung sollte bei folgenden Kriterien Da viele chemische Stoffe zu einer Verfärbung der Haut
die Behandlung in einem Verbrennungszentrum fortge- oder zu einer Änderung des Hautturgors führen, kann eine
führt werden: verlässliche Gradeinteilung insbesondere bei Laugenver-
4 multimorbide Patienten ätzungen sehr schwierig sein. Hydrochirurgische Derma-
4 Verätzung von Händen, Füßen, Gesicht, Augen, Peri- brasionssysteme (Versajet) sind zur schonenden Unter-
neum scheidung einer zweit- von einer drittgradigen Verätzung
4 Verätzung >15 % KOF hilfreich (. Abb. 31.7). Darüber hinaus werden möglicher-
4 zweit- oder drittgradige Verätzungen weise Rückstände bereits diffundierter Stoffe eliminiert
4 chemische Stoffe mit systemischer Toxizität (z. B. und eine Verletzung tieferer Hautschichten verhindert
Flusssäure) (Gumus 2010). Bestimmte Eigenschaften chemischer

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350 Kapitel 31 · Verätzungen

Stoffe begünstigen das Durchdringen der Epidermis (Lipo-


philie, Molekülgröße, Viskosität, Polarität, Tenside oder
Lösungsmittel). Um den Schaden zu begrenzen, ist auch
bei Verätzungen Grad I–II eine hydrochirurgische Derm-
abrasion zu erwägen. Bei tieferen Verätzungen können al-
ternativ auch Humby- bzw. Weckmesser oder das Derma-
tom zum Einsatz kommen. Kleinflächige drittgradige Ver-
ätzungen sollten primär exzidiert und sekundär verschlos-
sen werden. Es hat sich bewährt, größere drittgradige
Verätzungen nach Exzision mit einer Vakuumversiegelung
zu versorgen. Der pflegeleichte Verband trägt zur Keimre-
duktion bei, vermindert die Ödembildung und fördert die . Abb. 31.8 Verätzung nach Säureattacke auf einen Säugling mit
Entwicklung einer Mikrostomie
Wundgranulation. Grundsätzlich sollte nicht vitales Gewe-
be so früh wie möglich reseziert und eine frühzeitige De-
ckung angestrebt werden, um das Risiko einer Wundkon- kularisierung nach Verätzungen im Vergleich zu Verbren-
tamination und einer Resistenzentwicklung zu minimie- nungen oder Erfrierungen (Goertz 2013). Auch eine ein-
ren. Wie bei Verbrennungen ist die Kontrolle der Diurese malige Exposition mit chemischen Stoffen kann zu einer
und des Perfusionsdruckes durch Flüssigkeitssubstitution Kontaktdermatitis führen (Kanerva 1994). Eine Umsetzung
31 und vasoaktive Substanzen wesentlich, um die Organper- am Arbeitsplatz sollte in diesen Fällen erwogen werden.
fusion sicherzustellen. Die Überwachung der Blutgase, der
Elektrolyte und des Säure-Basen Haushalts sind besonders
bei Verätzungen von besonderer Bedeutung. Da sich das 31.7 Flusssäureverätzung
stadiengerechte operative Management darüber hinaus
nicht von dem bei Verbrennungen unterscheidet, sei 7 Fluorwasserstoff ist eine stechend riechende, bei 19–20°C
Kap. 18 verwiesen. siedende, farblose, klare, an feuchter Luft stark rauchende
Bei der Nachbehandlung gibt es viele Parallelen zu Ver- Flüssigkeit (BASF 2014).
brennungen. Frühzeitige Physiotherapie und Narbenbe-
> Im Gewebe dissoziiert Flusssäure in Protonen und
handlung beugen Komplikationen vor. Zu den möglichen
den besonders toxischen Fluoridionen. Die lipophilen
Folgeerscheinungen zählen:
Fluoridionen diffundieren durch das Gewebe, stören
4 Mikrostomie
den Zellmetabolismus und führen zu Kolliquations-
4 Katarakt
nekrosen. Die extremen Schmerzen werden durch
4 Glaukom
Elektrolytverschiebungen von Kalium und Kalzium
4 Symblepharon
erklärt, die zur Stimulation nozizeptiver Neurone
4 Ektropium
führen (Bertolini 1992).
4 Entropium (Singh 2013)
4 Erblindung Kalzium- und Magnesiumionen bilden mit Fluoridionen
4 Stenose der Nasenöffnungen inaktive Komplexe und werden daher therapeutisch verab-
4 Narbenkarzinome (Nayak 2014) reicht um die Resorption von Fluoridionen zu hemmen.
4 mentosternale Kontrakturen oder Gelenkkontrakuren Die Flusssäurekonzentrationen von 1–3 %, wie sie in
(. Abb. 31.8) Reinigungslösungen oder Rostentfernern (≤12 %) enthal-
ten sind, gehen selten mit systemischen Nebenwirkungen
Wegen der Mitbeteiligung regionaler Hautweichteile im einher (Stuke 2008; Mangion 2001). Die Konzentration
Gesicht, können auch unkonventionelle Fernlappen (Tag- industriell genutzter Flusssäure beträgt 20 % und gelegent-
liacozzi) (Tahir 2012) oder freie Lappenplastiken nach Ge- lich >50 %. Systemische Nebenwirkungen sind bei Ver-
webeexpansion indiziert sein (Sakurai 2005). ätzungen von 1 % der KOF mit >50-%iger Flusssäure
Die späte Ausbildung von Nekrosen als Langzeitkom- oder 5 % der KOF bei <50-%iger Flusssäure zu erwarten.
plikation von Verätzungen werden selten in der Literatur Eine Verätzung mit hochprozentiger Flusssäure kann bei
beschrieben z. B. nach Natronlaugenverätzung bis 13 Mo- 20 % KOF letale Folgen haben (Chela 1989; Mullett 1987;
nate nach der Verletzung (O’Donoghue 1996). Sie konnte Muriale 1996; Sheridan 1995; Tepperman 1980). Bei Kon-
in dem Patientengut der Berufsgenossenschaftlichen Un- zentrationen <20 % können Symptome erst nach 24 h auf-
fallklinik Tübingen jedoch bereits häufiger auch nach Jah- treten, bei Konzentrationen von 20–50 % binnen 1–8 h, bei
ren beobachtet werden (unveröffentlicht). Eine mögliche Konzentrationen von >50 % sofort (Kirkpatrick 1995). Zu
Erklärung hierfür ist die deutlich längere Dauer der Revas- den systemischen Wirkungen zählen:

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31.7 · Flusssäureverätzung
351 31
4 Hypokalzämie, Hypomagnesiämie sowie Hyper- halb von 2 h zum Tod führen (Yuanhai 2014). Nach Inha-
kaliämie und Hyponatriämie (Bertolini 1992) lation muss die Infusionstherapie wegen der bestehenden
4 kardial, renal und hepatische Funktionsstörungen Gefahr eines toxischen Lungenödems vorsichtig erfolgen.
4 verringerte Konzentration des Nebenschilddrüsen- Prophylaktisch sollte ein PEEP-Beatmung erwogen wer-
hormons den. Bei Flusssäureinhalation sollte Kalziumglukonat 2,5 %
4 Erhöhung des Fluoridgehaltes in einigen Organen auch per inhalationem verabreicht werden.
4 Azidose (Störung des Säure- Basen-Gleichgewichts
> Besonders bei Flusssäurenverätzungen ist die sofor-
zugunsten der sauren Valenzen)
tige und ausgiebige Wasserspülung von größter Be-
4 EKG-Veränderungen (QT-Verlängerung) und
deutung (. Abb. 31.9).
kardiale Arrhythmien (»torsade de pointes«;
Yamaura 1993) Zur Bindung der Fluoridionen sollte Kalziumglukonat-Gel
4 Blutgerinnungsstörungen (Lungenembolie; 2,5 % in den ersten 3 h alle 15 min auf die Wunden aufge-
Matsumoto 1989) bracht werden. Alternativ kann das Gel durch Vermen-
4 Schock gung von 25 ml Kalziumglukonat 10 % und 75 mg Gel (z. B.
K-Y JELLY) hergestellt werden, um die Fluorid Ionen zu
Wegen des zu erwartenden raschen Kalzium- und Magne- neutralisieren (Stuke 2008). Die subkutane Infiltration von
siumabfalls sollten sofort 20 ml 10-%iges Kalziumglukonat 5- bis 10-%igem Kalziumglukonat wird bei Flusssäurekon-
verabreicht werden (Hatzifotis 2004). Die renale Ausschei- zentrationen von >20 % (Trevino 1983), bei anhaltenden
dung von Fluorid Ionen kann durch Gabe von Natriumbi- starken Schmerzen oder bei grauer Verfärbung der Haut
karbonat (Alkalisierung des Harns) beschleunigte werden. mit perifokalem Erythem empfohlen (Paterson 1956).
Die Ausschwemmung des Fluorids und die Behandlung Hierbei sollte die Haut mit 0,5 ml 10-%igem Kalziumglu-
der Hyperkaliämie können zusätzlich durch eine Hämo- konat/m2 unterspritzt werden (Tintinalli 2010). Die Hy-
dialyse unterstützt werden (fluoridfreie Dialyseflüssigkeit perosmolarität und die freien Kalziumionen können zu-
mit normalem bis niedrigem Kalium und leicht höherem nächst zu einer Schmerzverstärkung führen. Bei ausge-
Kalziumgehalt verwenden; McIvor 1990). Engmaschige prägten Verätzungen oder bei Verätzung der Akren kann
laborchemische und klinische Kontrollen sind bei drohen- Kalziumglukonat intraarteriell oder intravenös als Bier-
der Hypokalzämie unverzichtbar (Parästhesien perioral block (40 ml 10-%iges Kalziumglukonat mit 5000 U Hepa-
oder an den Extremitäten, Tetanie, Chvostek-Zeichen: Be- rin) verabreicht werden (Stuke 2008; Hatzifotis 2004).
klopfen des N. facialis provozieren Muskelkontrakturen, Intraarteriell werden in einer 50-ml-Perfusorspritze 10 ml
Trousseau-Zeichen: Pfötchenstellung beim Abdrücken der 10-%iges Kalziumglukonat mit 40 ml 5-%iger Dextrose
A. brachialis). Bei Hautkontakt mit höher konzentrierten über 2–4 h verabreicht (Tintinalli 2010).
Flusssäurelösungen (>50 %) ist auch mit einer gleichzeiti- Eine arterielle Blutdruckmessung sollte vorgenommen
gen inhalativen Exposition zu rechnen. Diese ist wahr- werden, um ein Paravasat rechtzeitig zu erkennen. Throm-
scheinlich, wenn das betroffene Hautareal >5 %, die Klei- bosen und Arteriospasmen sind weitere potenzielle Kom-
der kontaminiert, die Konzentration >50 % oder Kopf und plikationen der intraarteriellen Kalziumglukonatverab-
Hals betroffen sind. Flusssäuredämpfe können ein hämor- reichung. An den Akren sollte bei anhaltenden Schmerzen
rhagisches Lungenödem, Atelektasen auslösen und inner- zusätzlich eine Nagelentfernung erwogen werden, da

a b

. Abb. 31.9a, b Flusssäurenverätzung bei undichtem Schuhwerk. a Zunächst symptomloser Ausgangsbefund. b Befund nach 5 Tagen

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352 Kapitel 31 · Verätzungen

Flusssäure den Nagel durchdringen kann (Stuke 2008). Bei Dibbell DG, Iverson RE, Jones W et al (1970) Hydrofluoric acid burns
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355 32

Erfrierungen
Christoph Sachs, Peter Mailänder, Karl L. M. Mauss, Marcus Lehnhardt

32.1 Einleitung – 356

32.2 Pathophysiologie – 356

32.3 Symptome – 357

32.4 Therapie – 359

Literatur – 360

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_32, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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356 Kapitel 32 · Erfrierungen

32.1 Einleitung auch bei positiven Temperaturen zu Kälteschäden führen


können. Dieser Effekt beschreibt den Unterschied zwi-
Eine Erfrierung ist eine durch Kälteeinwirkung entstande- schen gemessener Lufttemperatur und der gefühlten
ne Gewebeschädigung. In Mitteleuropa ist die Erfrierungs- Temperatur in Abhängigkeit zur Windgeschwindigkeit
verletzung wesentlich seltener Grund einer medizinischen (Shabat 2003).
Behandlung als die Verbrennung. Geschuldet sind Ver- Die Bewertung der Schwere der Schädigung ist erst
letzungen mit niedrigen Temperaturen meist alpinen nach vollständiger Wiedererwärmung der betroffenen
Unfällen, Verkehrstraumata, industriellen Unfällen oder Körperregion möglich. Selbst dann ist eine Einteilung des
Begleitverletzungen intoxikierter oder bewusstseinsredu- Schweregrades zunächst nur bedingt beurteilbar, da sta-
zierter Patienten Auch wenn sich die klinischen Bilder der diendefinierende Zeichen verzögert entstehen. Die Aus-
Erfrierung und Verbrennung sehr ähneln, bestehen deut- bildung von Blasen dauert im Vergleich der Verbrennung
liche Unterschiede in der Pathophysiologie. Die flächige länger. Bis zur klaren Demarkation der geschädigten Be-
Schädigung von Gewebe ist beiden Verletzungsentitäten reiche vergehen oft mehrere Tage.
gemeinsam. Die Behandlung von Erfrierungen und Patienten mit
generalisierter Hypothermie sollte in Brandverletztenzen-
> In Abhängigkeit von Expositionsdauer und Tempe- tren erfolgen. Bezüglich des Temperaturmanagements, der
ratur kommt es bei Erfrierungen von oberflächlichen keimarmen Arbeitsweise, der Erfahrung im Umgang mit
Hautirritationen bis hin zu tiefgreifenden und all- intensivpflichtigen Patienten und Schwerstwunden bis hin
schichtigen Nekrosen des Gewebes. Das Therapie- zu individuellen Verbandstechniken bieten Brandverletz-
spektrum reicht von der symptomatischen Therapie tenzentren die Infrastruktur für eine adäquate Behand-
32 mit antiseptischen Salben und Analgetika bis hin lung.
zu aufwendigen plastisch-chirurgischen Rekonstruk-
tionen oder Amputationen.
32.2 Pathophysiologie
Die Akren sind aufgrund ihrer exponierten Lage, schlech-
ten Durchblutung und ihres geringen Weichteilmantels am Erfrierungen sind thermische Verletzungen, die auftreten,
häufigsten betroffen. Eine folgenlose Abheilung ist bei einer wenn niedrige Temperaturen eine Gewebeschädigung her-
lokalen Gewebetemperatur von <10°C unwahrscheinlich. vorrufen. Es kommt zu einer Eiskristallbildung im Gewe-
Nicht selten treten Erfrierungen mit einer allgemeinen Un- be, was zu Schäden an Kapillaren, Degranulation von
terkühlung zusammen auf. Als erste Symptome werden Mastzellen mit folgender Ausschüttung von Histamin,
hierbei Unempfindlichkeit und Ungeschicklichkeit der Ex- Ödementwicklung, Bildung von Mikrothromben und so-
tremität beobachtet. Eine generalisierte Hypothermie ist mit Ischämie des Gewebes durch Verschluss des Kapillar-
ein lebensbedrohliches Krankheitsbild und bedarf einer bettes führt (. Abb. 32.1). Bei der Wiedererwärmung
speziellen Therapie, mit in der Medizin einzigartigen Vor- kommt es zur Erzeugung von freien Sauerstoffradikalen,
sichtsmaßnamen. So darf bei der Rettung eines unterkühl- Prostaglandin F2α und Thromboxan A2 sowie zur Frei-
ten Patienten dieser nicht derart bewegt werden, dass die setzung von proteolytischen Enzymen. Diese Prozesse
Extremitäten über Herzniveau zu liegen kommen, um den werden als Ischämiereperfusionsschaden beschrieben
Rückstrom des kalten Blutes aus den Extremitäten zum und führen zu einer vermehrten Thrombozytenaggrega-
Herzen zu vermeiden. Hier besteht die Gefahr eines reflek- tion, was wiederum zu einer sekundären Ausdehnung des
torischen Herzstillstandes (Bergungstod). Ischämieareals führt.
Physiologisch kommt es bei einer Abkühlung des Ge-
> Neben der Erfrierung ist der Kälteschaden (»non- webes sowie bei drohender Hypothermie zunächst zu ei-
freezing-cold injury«, NFCI), als moderatere Verlet- ner peripheren Vasokonstriktion und muskulären Faszi-
zungsentität, eine Folge von Temperaturverlust kulationen, um die Körperkerntemperatur aufrechtzuer-
des Gewebes. halten. Bedingt durch die Minderdurchblutung der obe-
ren Hautschichten und Extremitäten steigt hier die
Sonderformen der Kälteverletzungen sind die Kontakt- Empfindlichkeit gegenüber der niedrigen Temperatur.
exposition mit sehr kalten Substanzen wie z. B. Trockeneis Durch die Muskelarbeit besteht ein erhöhter Energiebe-
oder flüssigem Stickstoff. Diese führt zu ähnlichen Schädi- darf, welcher aufgrund der reduzierten Durchblutung
gungen wie eine Verbrennung, weshalb sie auch Kältever- nicht gedeckt werden kann. Lokal werden die Phasen der
brennung genannt wird. Vasokonstriktion, um dem vollständigen Verlust des Ge-
Der sogenannten Wind-chill-Effekt beschreibt eine webes vorzubeugen, durch Phasen der peripheren Vaso-
Schädigung durch hohe Windgeschwindigkeiten, welche dilatation unterbrochen. Dieses als »hunting response«

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32.3 · Symptome
357 32

. Abb. 32.1 Schematische Darstellung der Entwicklung der durch Kälte bedingten Gewebeschädigung (modifiziert nach Imray)

bezeichnete Phänomen ist abhängig von der Körpertem- 32.3 Symptome


peratur und findet sich bei zunehmender Hypothermie
seltener. Die Symptome bei Erfrierungen entstehen zeitabhängig.
Der Kälteschaden (NFCI) entsteht durch einen langsa- Meist beginnt es mit Blässe und Taubheitsgefühl sowie Be-
men Temperaturverlust des Gewebes, ohne Ausbildung wegungseinschränkung und Koordinationsverlust.
von Eiskristallen. Durch die Vasokonstriktion und die da- Nach der Wiedererwärmung folgen:
mit verbundene Kühlung der Nerven auf <10°C werden 4 Hyperämie
diese geschädigt, wobei große myelinisierte Nervenfasern 4 Ödeme
kälteempfindlicher sind und früher Schädigungen aufwei- 4 nadelstichartige Schmerzen
sen (Kennett 1991). 4 Juckreiz
4 ggf. Blasenbildung

. Tab. 32.1 Stadieneinteilung der Erfrierung (modifiziert nach Imray 2009)

Schweregrad Klinisches Bild Morphologie Therapie

I – Rötung Unvollständige intradermale Erwärmung nach Schema


– Schwellung Erfrierung
– Hyperämie
Oberflächlich
II – Rötung Vollständige dermale Erfrierung Anlage trockener Schutzverband
– Blasen (klar)
– oberflächliche Erosionen
III – livide Verfärbung Vollständige Erfrierungen von Haut
– Blasen (hämorrhagisch) und Subkutangewebe Überweisung in Verbrennungs-
– Hautnekrosen zentrum zur Wiedererwärmung,
Tief
IV – gemustert dunkelrot/livide Allschichtige Nekrose von Haut, additiven topischen und systemi-
bis schwarz/nekrotisch Subkutangewebe, Muskeln, Knochen- schen Therapie, Verbandanlage
– wenig Ödem gewebe

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358 Kapitel 32 · Erfrierungen

a b

32

. Abb. 32.2a–f Tiefgradige Erfrierungen. a, b Erfrierungen Grad III


der Hände und Füße. c, d Gemischtes Bild einer Erfrierung mit so-
wohl klarer als auch hämorrhagischer Blasenbildung und Erfrierung
Grad IV der Zehen und Fußsohle. e, f Erfrierungen Grad IV eines
d
Fußes, die oberflächlichen Blutgefäße sind vollständig thrombosiert

Kommt es zur Blasenbildung, entstehen bei oberflächli- sichtbare kutane Gefäßverschlüsse eine tiefgradige Erfrie-
chen Erfrierungen klar gefüllte Blasen, die denen einer rung anzeigen. Ab der Erfrierung zweiten Grades besteht
Verbrennung ähneln. Tiefgradige Erfrierungen bilden mit eine Reduktion der Oberflächensensibilität, bei drittgra-
hämorrhagischem Exsudat gefüllte Blasen (. Abb. 32.2). digen Erfrierungen ist diese aufgehoben. Wie bei der
In Analogie der Verbrennung werden vier klinische Verbrennung Grad I besteht auch bei der erstgradigen
Schweregrade unterschieden (. Tab. 32.1). Erfrierung eine ausgesprochene Schmerzhaftigkeit des
In der allgemeinen medizinischen Versorgung reicht betroffenen Areals. Insbesondere nach der Erwärmung
eine Unterteilung in oberflächliche und tiefe Erfrierungen, klagen die Patienten über brennende Schmerzen und eine
wobei das Vorliegen von hämorrhagischen Blasen oder Berührungsempfindlichkeit.

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32.4 · Therapie
359 32

e f

. Abb. 32.2e,f (Fortsetzung)

Mögliche Langzeitsymptome bei langanhaltender 32.4 Therapie


Kälteexposition bzw. tiefgradiger Erfrierung:
4 Überempfindlichkeit gegenüber Kälte Liegt begleitend zu einer lokalen Erfrierung eine Hypo-
4 sensorische Defizite thermie vor, ist diese primär zu behandeln (Ingram 2013;
4 chronische Schmerzen der betroffenen Region Mohr 2009; Herndon 2012). Gleiches gilt für Begleitver-
4 Hyperhidrose bis zum Verlust ganzer Extremitäten letzungen, die in Abhängigkeit vom Unfallmechanismus
erkannt oder ausgeschlossen werden müssen. Der Patient
Bei der NFCI (. Tab. 32.2) kommt zu einem charakteristi- sollte in einer trockenen und warmen Umgebung behan-
schen Ablauf von wechselnden klinischen Stadien in der delt werden. Es ist zwingend darauf zu achten, dass eine
betroffenen Körperregion. Die langanhaltenden Folgen erneute Kälteexposition vermieden wird, da wechselnde
werden aufgrund der geringen sichtbaren Hautverände- Phasen von Hyperämie und Minderperfusion zur Ausdeh-
rungen initial häufig unterschätzt. nung des geschädigten Areals führen. Pathophysiologisch
liegt hierbei zugrunde, dass der gesteigerte Metabolit- und
Sauerstoffbedarf des Gewebes nach der Erwärmung durch
. Tab. 32.2 Vier klinische Phasen charakterisieren den die Phasen der erneuten Vasokonstriktion nicht gedeckt
Ablauf der NFCI. (Nach Imray 2011) werden kann und Gewebe sekundär abstirbt (Syme 2002).
Ist eine erneute Kälteexposition der geschädigten Areale
Phase Klinik
unumgänglich, ist deren Erwärmung erst im Anschluss an
Prähyperämiephase blassweißes Hautkolorit, Sensibilitäts- die erneute Kälteexposition durchzuführen. Die Anhe-
störungen, Verlust der Tiefensensibili- bung der Körpertemperatur sollte dagegen sofort erfolgen.
tät, selten Blasen Für die Erstversorgung empfiehlt sich das Vorgehen
Zyanotische Phase Frühphase der Wiedererwärmung mit nach dem folgenden Schema (Imray 2009):
Einsetzen des Schmerzes

Hyperämiephase Stunden nach der Erwärmung,


Schmerzen, Schwellung, Rötung, Klinische Versorgung von Erfrierungsverletzungen
Rekapillarisierung noch beeinträch- 5 Einweisung des Patienten in ein Zentrum für
tigt, petechiale Einblutungen Brandverletzte
Posthyperämiephase über Wochen bis Monate anhaltende 5 Erhebung der Körperkerntemperatur, Ausschluss
Phase mit Kälteempfindlichkeit, schwerwiegender Begleitverletzungen
Schmerzen und Hyperhidrosis 5 Aufwärmen der betroffenen Körperstellen in
37–39°C warmem Wasser mit Zusatz von Antiseptika
(Polyhexanid, Jod) für 15–60 min, oder bis zur
Einstellung eines rot/violetten Hautkolorits

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360 Kapitel 32 · Erfrierungen

tatoren (Prostaglandin E1, Isosorbiddinitrat) eine Verbes-


5 Débridement offener Blasen, intakte Blasen serung der Gewebedurchblutung erreicht und so die
belassen Ausdehnung des geschädigten Areals reduziert werden.
5 Schienung und Hochlagern der betroffenen Die Kontraindikationen sind hierbei streng zu prüfen.
Extremität Konnte keine vollständige Reperfusion erreicht wer-
5 Tetanusprophylaxe den, und ist die Demarkation der erfrorenen Areale ein-
5 Adäquate Analgesie (ggf. durch Opiate) + Flüssig- deutig, sollten diese débridiert werden. Hier kann die
keitszufuhr (Zielblutdruck systolisch >120 mm Hg) Nekrose in einem tangentialen Débridement, ähnlich dem
5 Ibuprofen 12 mg/kgKG zweimal täglich Eschar der Verbrennung, abgetragen werden. Das Zeit-
5 Tägliches warmes antiseptisches Wasserbad mit intervall zwischen dem Unfallereignis und der operativen
aktiver und passiver Mobilisierung Versorgung kann, bei infektfreier Wundsituation, größer
5 Sterile Verbände (auch im Zwischenfinger/-zehen- gewählt werden. Lediglich über knöchernen Strukturen
bereich) sowie unmittelbar über Gelenken empfiehlt sich ein früh-
5 Strikte Nikotinkarenz zeitiges Débridement, um ein Austrocknen von Knochen
und Gelenken zu verhindern. In Abhängigkeit des ent-
standenen Weichteildefektes muss die Rekonstruktion mit
Therapeutisch sollte ein Wiedererwärmen des Gewebes allen zu Verfügung stehenden Mitteln der plastischen
im 37–39°Celsius warmen Wasserbad erfolgen, was oben Chirurgie extremitäten- und funktionserhaltend erfolgen.
genannten Entzündungsprozess in Gang setzt. Zusätzlich
kommt es häufig nach Reperfusion des ischämischen Ge-
32 webes zu mikrovaskulären Thrombosen, was zu sekun- Literatur
dären Gewebeverlusten führen kann (Mohr 2009). Das
Bilgiç S, Ozkan H, Ozenç S, Safaz I, Yildiz C (2008) Treating frostbite.
Ausmaß des Gewebeverlustes spiegelt die Schwere der
Can Fam Physician 54(3):361–363
Erfrierung wider (Grieve 2011). Grieve AW, Davis P, Dhillon S, Richards P, Hillebrandt D, Imray CH
Aufgrund der Entzündungsreaktionen bei der Wieder- (2011) A clinical review of the management of frostbite. J R Army
erwärmung ist die medikamentöse Therapie mit nichtste- Med Corps 157(1):73–78
roidalen Antirheumatika (Ibuprofen 12 mg/kgKG zweimal Herndon DN (2012) Cold-induced injury: frostbite. In: Herndon DN
täglich) und Aspirin (75 mg einmal täglich) indiziert. Bei (Hrsg) Total Burn Care. Fourth Edition. Elsevier:449–452
Imray CH, Grieve A, Dhillon S (2009) Caudwell Xtreme Everest Re-
ausbleibender Reperfusion kann die Gabe von Gewebe-
search G. Cold damage to the extremities: frostbite and non-
plasminogenaktivatoren und Prostazyklinen notwendig freezing cold injuries. Postgraduate medical jour-
werden (Bilgiç 2008; Ingram 2013). nal 85(1007):481–488
Das tägliche Baden der betroffenen Extremität in anti- Imray CH, Richards P, Greeves J, Castellani JW (2011) Nonfreezing
spetischen Lösungen und die physiotherapeutische Mobi- cold-induced injuries. Journal of the Royal Army Medical
Corps 157(1):79–84
lisation dient als Vorbeugung von Kontrakturen und Be-
Ingram BJ, Raymond TJ (2013) Recognition and treatment of freezing
wegungseinschränkungen sowie zur Erhöhung des Gewe- and nonfreezing cold injuries. Curr Sports Med Rep 12(2):125–130
bestoffwechsels durch die reaktive Hyperämie. Kennett RP, Gilliatt RW (1991) Nerve conduction studies in experimen-
Bei der NFCI steht die langsame Erwärmung des Ge- tal non-freezing cold injury: I. Local nerve cooling. Muscle
webes mit suffizienter Schmerztherapie im Vordergrund. Nerve 14(6):553–562
Mohr WJ, Jenabzadeh K, Ahrenholz DH (2009) Cold injury. Hand
Amitriptylin eignet sich zur Vorbeugung und Therapie der
Clin 25(4):481–496
protopathischen Beschwerden in einer Anfangsdosis von Sachs C, Lehnhardt M, Daigeler A, Goertz O (2015) Dtsch Arztebl
25 mg, welche auf bis zu 100 mg pro Tag gesteigert werden Int 30;112(44):741–747
kann (Imray 2011). Shabat YB, Shitzer A, Fiala D (2013) Modified wind chill temperatures
Bildgebende Diagnostik wie die Magnetresonanzto- determined by a whole body thermoregulation model and
mografie, Szintigrafie oder Angiografie haben einen prog- human-based facial convective coefficients. Int J Biometeor-
ol 58(6):1007–1015
nostischen Wert. Sie geben Hinweise auf das Ausmaß des
Syme D, Commission IM (2002) Position paper: on-site treatment of
Gewebeverlusts (Ingram 2013) und sind wichtig für die frostbite for mountaineers. High altitude medicine & biology
frühzeitige Beurteilung der Demarkationslinie. Darüber 3(3):297–298
hinaus kann der Verlauf der Reperfusion abgebildet und
überwacht werden.
Bleibt diese unzureichend, kann durch additive Thera-
pieverfahren wie die Sympathektomie, die Sauerstoffüber-
drucktherapie, die systemische Lyse (Gewebsplasmino-
genaktivatoren) oder der Infusionstherapie mit Vasodila-

marcus.lehnhardt@rub.de
361 33

Psychotherapeutische
Versorgung
Jule Frettlöh, Margitta Lungenhausen

33.1 Einleitung – 362

33.2 Forschungsstand zu psychischen Faktoren


bei schweren Brandverletzungen – 362

33.3 Psychotherapeutische Versorgung


von schwerbrandverletzen Patienten – 364
33.3.1 Grundkonzept – 364
33.3.2 Akutphase – 365
33.3.3 Stationäre und ambulante Rehabilitationsphase – 366
33.3.4 Wirksamkeit psychotherapeutischer Versorgungsangebote – 368

33.4 Ausblick – 369

Literatur – 369

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_33, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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362 Kapitel 33 · Psychotherapeutische Versorgung

33.1 Einleitung Zudem sind jüngere Ärzte und Pflegende, die noch
nicht über das notwendige Erfahrungswissen im Umgang
Die medizinische Behandlung schwer brandverletzter Pa- mit dieser Klientel verfügen, im Kontaktverhalten häufig
tienten erfolgt heutzutage mit hohen evidenzbasierten verunsichert. »Schutz- und Vermeidungsreaktionen«, wie
Qualitätsstandards. Durch eine effektive Versorgung in das Ignorieren des psychischen (Mit-)Leidens einerseits
spezialisierten Zentren konnte in den letzten Jahren u. a. sowie überfürsorgliche Reaktionen andererseits sind
die Überlebensrate enorm gesteigert werden. Angesichts beobachtbar und können ebenfalls zu einer Erhöhung der
der hohen Priorität der somatischen Versorgung wurde psychischen Belastung des Patienten beitragen.
aber den psychischen und psychosozialen Aspekten lange Der psychotherapeutische Versorgungsauftrag ist
Zeit noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit ge- dementsprechend umfassend. Er sollte sich primär auf die
schenkt. Trotz besorgniserregender Zahlen über die Präva- psychischen und psychosozialen Belange des Patienten
lenz psychischer Störungen bei Brandverletzten werden richten, aber auch den Bedarf der Angehörigen sowie der
viele Patienten nur unzureichend psychologisch versorgt, medizinisch und pflegerisch Versorgenden nicht außer
da es weitgehend an psychotherapeutisch erprobten und Acht lassen. Letzteres ist aber leider bislang ein hehrer An-
wissenschaftlich fundierten Behandlungskonzepten man- spruch, der in den meisten Behandlungszentren noch
gelt. So gibt es keineswegs in allen Brandverletztenzentren keine Umsetzung findet.
eine fachkompetente Erstversorgung und oftmals scheitert Dieses Buchkapitel soll einen vertiefenden Einblick in
die Weiterbehandlung an fehlenden ambulanten Therapie- forschungsbasierte und klinisch relevante Bereiche der psy-
plätzen. chotherapeutischen Betreuung und Behandlung schwer-
Der überwiegende Teil der bislang vorliegenden For- brandverletzter Patienten geben. Dabei wird der Schwer-
schungsergebnisse bezieht sich auf die Prävalenz psychi- punkt auf die Phase der Intensivbehandlung gelegt, nach-
scher Folgestörungen (7 Abschn. 33.2). Für den deutsch- geordnet auch die Versorgung in der sich anschließenden
33 sprachigen Bereich liegt bislang lediglich eine Studie vor, Rehabilitations- und Nachbehandlungsphase dargestellt.
die sich ausführlich der Erfassung psychischer Beeinträch-
tigungen sowie der Wirkung psychotherapeutischer Inter-
ventionen in der Versorgung von Schwerstbrandverletzten 33.2 Forschungsstand zu
widmet. psychischen Faktoren bei schweren
Da eine vorbestehende, oder sich erst entwickelnde Brandverletzungen
psychische Störung auch in subsyndromaler Ausprägung
den Rehabilitationsverlauf erschwert und mit erheblichen Schwere Brandverletzungen bringen neben den körper-
psychosozialen Beeinträchtigungen einhergehen kann, ist lichen meist auch tiefgreifende psychische und soziale Pro-
eine frühe diagnostische Identifizierung der besonders be- bleme bzw. Beeinträchtigungen mit sich. Diese können das
troffenen Patienten indiziert. Wo immer möglich, sollte Leben der Betroffenen, ihrer Angehörigen und Freunde
eine psychische Stabilisierung sowie ggf. auch die Einlei- u. U. dauerhaft verändern. Nicht selten ist das Brandereig-
tung einer Psychotherapie bereits im Rahmen der stationä- nis höchst traumatisierend erlebt worden und geht mit
ren Erstversorgung vorgenommen werden. Ein Einblick in massiven Ängsten, Schreckhaftigkeit, Verunsicherung,
Möglichkeiten und bisherige Grenzen der psychothera- Irritation, Schlafstörungen, Hyperarousal, Reizbarkeit,
peutischen Versorgung wird in 7 Abschn. 33.3 gegeben. Affektlabilität und Trauer einher. Ebenso kann die inten-
sivmedizinische Behandlung zur Traumatisierung der
> Die alleinige Diagnosestellung einer psychischen
Patienten beitragen (Hatch 2011, Peris 2011, Wehler 2004).
Störung deckt allerdings den psychologischen Ver-
Daraus resultieren oft massive Ängste vor der nächsten
sorgungsbedarf in der ersten stationären Behand-
Behandlung sowie dem unbekannten Fortgang der Symp-
lungsphase nicht hinreichend ab. Viele psychische
tomentwicklung. Intensive Schmerzen, z. B. bei Verbands-
Probleme werden erst in der Rehabilitationsphase
wechsel, Katheteranlage, trachealem Absaugen sowie die
und der anschließenden häuslichen Situation rele-
grundsätzlich hilflose Situation des Patienten führen in
vant bzw. erkennbar.
vielen Fällen zu einem maximalen Erleben von Kontroll-
Es zeigt sich, dass die emotionalen Belastungen und die verlust, Verzweiflung und Verwirrung.
Hilflosigkeit von Angehörigen in der klinischen Routine Im Vergleich zu anderen Patientenpopulationen sind
häufig ungesehen bzw. aufgrund fehlender personeller bei Schwerbrandverletzten die Prävalenzraten psychischer
Ressourcen unberücksichtigt bleiben. Die Beziehung zum Störungen offensichtlich deutlich höher (Farroha 2013).
Patienten und zu seinem unmittelbaren Unterstützungs- Das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung
system wird dadurch gestört und kann die psychische Be- liegt bei etwa 18 % der Verbrennungsopfer vor, subsyndro-
einträchtigung der Betroffenen noch weiter verstärken. male posttraumatische Symptome treten bei etwa 42 % auf

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33.2 · Forschungsstand zu psychischen Faktoren bei schweren Brandverletzungen
363 33
(Hobbs 2015). Angststörungen liegen dieser Studie zufolge Auch die in Studien oft sehr unterschiedliche Zusam-
bei rund 35 % der Betroffenen vor. Allerdings spiegelt sich mensetzung der Stichprobe ist für eine zusätzliche Varianz
in den vorliegenden Studien eine große Varianz der Prä- in den Daten mitverantwortlich, etwa durch eine Selektion
valenzraten von psychischen Störungen wider, die von 2,6 der Klientel nach Behandlungszentren, nach betroffener
bis zu 75 % reichen (Ripper 2007). Eine niederländische Körperoberfläche (VKOF), dem ABSI-Score, oder nach
Arbeitsgruppe (Van Loey 2003) berichtet von Depres- Art des Unfalls, Geschlecht, Altersgruppe sowie Her-
sionsraten zwischen 13 und 23 %. Auch in einer neueren kunftsland der betroffenen Personen.
Studie (Falder 2009) zeigt sich eine hohe Variabilität zen- In der Gesamtschau der einbezogenen Studien zeich-
traler psychischer Langzeitfolgen bei Schwerbrandverletz- net sich ab, dass meist unmittelbar nach dem Unfall eine
ten. Die Raten schwanken hier zwischen 7 und 46 % für starke psychische Belastung vorliegt. So kann für die
Depressionen sowie zwischen 9 und 45 % für die Posttrau- brandverletzten Patienten allein die häufig erforderliche
matische Belastungsstörung. Behandlung auf einer Intensivstation eine traumatische
Erfahrung darstellen (Hatch 2011). Patienten müssen in
> Die verschiedenen Prävalenzangaben für psychische
dieser initialen Phase der Behandlung häufig schmerzhaf-
Störungen nach Brandverletzungen sind in erster
te Behandlungsprozeduren, wie Kathederanlage, trachea-
Linie auf unterschiedliche methodische Herangehens-
les Absaugen oder Verbandswechsel, bei denen Haut abge-
weisen zurückzuführen. In den vorliegenden Studien
rissen werden kann, durchleben. Sie sind der Situation
variieren die gewählten Messzeitpunkte, Messinstru-
hilflos ausgeliefert, erscheinen daher manchmal verwirrt
mente sowie die Stichprobenzusammensetzung zum
und sind erschwert kontaktierbar. Bei etwa 30 % der Pa-
Teil erheblich.
tienten kommt es zu einem sogenannten Durchgangssyn-
Hauptsächlich wird das Ergebnis der Messung bzw. Diag- drom, gekennzeichnet durch Bewusstseinseintrübung
nosestellung bei einem zeitlich instabilen (variablen) oder organische Psychose mit Wahnvorstellungen und
Merkmal wie der psychischen Belastung nach einem Un- optischen Halluzinationen. Hinzu kommen häufig auch
fall vom Messzeitpunkt beeinflusst. In einer Studie von lebhafte Träume, die der Patient nicht mehr von der Wirk-
Ptacek und Kollegen (Ptacek 2002) wird dies besonders lichkeit unterscheiden kann (Brunnhuber 2005). Dieses
deutlich. Die Prävalenzrate von mittel- bis schwergradigen reversible Syndrom wird wahrscheinlich durch eine Anal-
depressiven Symptomen lag innerhalb der ersten drei Tage gosedierung während der intensivmedizinischen Behand-
nach dem Unfall bei 83 %, fünf Tage später bei 35 %, wäh- lung hervorgerufen. In dieser Phase ist es kaum möglich,
rend sie nach zehn Tagen nur noch 15 % betrug. die Betroffenen über bevorstehende Behandlungen aufzu-
Eine andere Arbeitsgruppe führte während der Akut- klären, wodurch starke Angstreaktionen während und
phase und 12 Monate später ausführliche klinische Inter- nach medizinisch relevanten Interventionen entstehen
views mit brandverletzten Patienten durch (Dyster- können. Psychische Zustände dieser Art können die Com-
Aas 2008). Dabei wurde ersichtlich, dass nicht bei allen pliance erheblich beeinträchtigen. So verlangt z. B. die
Patienten eine generelle Abnahme der Belastung eintritt. Haut- und Narbenpflege, später dann die konsequente
Bei zahlreichen Befragten war die Symptombelastung ge- Durchführung der Kompressionstherapie von den Betrof-
nerell gesunken, während andere im Verlauf des ersten fenen viel Geduld, Stärke und Disziplin sowie ein sehr gu-
Jahres eine Verschlechterung erfuhren, die nach 12 Mona- tes Selbstmanagement. Psychische Belastungen, Depressi-
ten die Kriterien für eine psychische Störung erfüllte. onen und Angstzustände können hier Hindernisse für die
Zusätzlich beeinflussen auch die in Untersuchungen Umsetzung der ärztlichen Empfehlungen bezüglich der
eingesetzten Messinstrumente die Ergebnisse. Während die Therapie (Sabaté 2003; Zschaler 2012) und des sonstigen
psychische Symptomatik in einer Vielzahl von Studien mit gesundheitsfördernden Verhaltens sein und sich im weite-
gut operationalisierten und testgütegeprüften Selbstbeur- ren Verlauf zu manifesten Störungen entwickeln.
teilungsinstrumenten erhoben wurde (z. B. Beck-Depres-
> Das Vorliegen einer manifesten psychischen
sions-Inventar, BDI; Hospital Anxiety and Depression
Diagnose, oder auch die Feststellung einer sub-
Scale, HADS), verwendeten andere Studien nur semistruk-
syndromalen hohen psychischen Belastung,
turierte, DSM-IV basierte klinische Interviews. Weitere
kann auch den Rehabilitationsverlauf deutlich
Befunde basieren allein auf den Auswertungen von akten-
erschweren und so gravierende psychosoziale
kundigen Angaben der Patienten. Diese Herangehensweise
Folgeprobleme nach sich ziehen.
führt wahrscheinlich zu einer generellen Unterschätzung
der Belastung, da nicht jeder betroffene Patient seine Belas- Fauerbach et al. (Fauerbach 2007) zeigten auf, dass eine
tung und/oder den Bedarf an psychotherapeutischer Un- berufliche Wiedereingliederung unter diesen Umständen
terstützung zum Ausdruck bringt bzw. bringen kann, und verzögert oder gar unmöglich ist, obwohl die körperlichen
damit eine systematische Dokumentation nicht erfolgt. Voraussetzungen durchaus gegeben wären. Dies ist beson-

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364 Kapitel 33 · Psychotherapeutische Versorgung

ders fatal, da eine berufliche Anbindung wesentlich zur brandverletzen Patienten veröffentlicht (Ripper 2007). Da-
psychischen und psychosozialen Resozialisierung beitra- rin zeigte sich u.a., dass psychische Belastungen während
gen kann. So wird die Rückkehr an den Arbeitsplatz von der Erstversorgung zu einer deutlich längeren Beeinträch-
Brandverletzten als überaus hilfreich und stabilisierend tigung des beruflichen Funktionsniveaus führen.
erlebt (Ciofi-Silva 2010). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für eine
In einem Überblicksartikel, der alle englischsprachigen zielorientierte psychologische psychotherapeutische Ver-
Veröffentlichungen zwischen 1950 und 2008 berücksich- sorgung (insbesondere im deutschsprachigen Raum) noch
tigt, kommen die Autoren (Quinn 2010) zusammenfas- erheblicher Forschungsbedarf besteht, während die soma-
send zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt 66 % der tische bzw. medizinische Versorgung von schwerbrandver-
brandverletzten Patienten beruflich wieder integriert wer- letzten Personen in den letzten Jahren bereits einen evi-
den konnten. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit lag zwi- denzbasierten, hohen Qualitätsstandard erreicht hat.
schen 4,7 Wochen und 24 Monaten. Andere Arbeits-
> Der aktuelle Forschungsstand lässt trotz der ange-
gruppen berichten von einer Rückkehrrate von über
führten Einschränkungen klar erkennen, dass inter-
72 % (Mason 2012), sofern es sich um Betroffene handelt,
disziplinäre Behandlungskonzepte unter Einschluss
die sich zum Zeitpunkt des Verbrennungsereignisses in
psychotherapeutischer Maßnahmen den Rehabili-
einem Beschäftigungsverhältnis befanden. Es wird aller-
tationserfolg schwer brandverletzter Patienten ent-
dings auch darauf hingewiesen (Van Baar 2006), dass es je
scheidend verbessern können.
nach Ausprägung der Verbrennung bei 21–50 % der
Brandverletzten zu arbeitsbezogenen Problemen kommen Die Inhalte und die Besonderheiten bei der Umsetzung
kann. psychotherapeutischer Versorgungsangebote sowie ein zu-
sammenfassender Überblick über die vorliegenden wis-
> Wichtige Einflussfaktoren in der Frage der berufli-
senschaftlichen Befunde zur Wirksamkeit dieser Ansätze
chen Wiedereingliederung sind die Verbrennungs-
33 lokalisation (Hände oder Gesicht betroffen) und
sind Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.
das Verbrennungsausmaß, Alter, Schmerz, psycho-
soziale Faktoren und berufsspezifische Aspekte.
33.3 Psychotherapeutische Versorgung
Hierbei zählen die medizinischen Faktoren (zentral
von schwerbrandverletzen Patienten
die VKOF) zu den bei Weitem einflussreichsten.

In einer Studie zu persönlichen und brandspezifischen 33.3.1 Grundkonzept


Faktoren erbrachten Brych und Kollegen (Brych 2001)
erstmals den Nachweis, dass eine psychiatrische Vorge- Obwohl die Prävalenzraten von psychischen Störungen in
schichte die Wahrscheinlichkeit für eine Rückkehr an den den bislang vorliegenden Studien z. T. erheblich variieren
Arbeitsplatz am stärksten verringert, konkret um 90 % (7 Abschn. 33.2), ist die massive psychische Belastung die-
nach 6 Monaten und 95 % nach 24 Monaten. ser Klientel unumstritten und von großer klinischer Rele-
In einem Übersichtsartikel (Kornhaber 2014) wurden vanz für den gesamten Heilverlauf. Dennoch sind aktuell
aus neueren Studien (veröffentlich zwischen 2002 und aufgrund fehlender personeller Ressourcen immer noch
2012) relevante Faktoren identifiziert, die den Rehabilita- zahlreiche Schwerstbrandverletzte psychologisch unter-
tionsverlauf aus der Sicht von Betroffenen maßgeblich be- versorgt. So gibt es bislang keineswegs in allen Brandver-
einflussen. Der Auswertung lagen 14 Studien aus dem eng- letztenzentren eine fachkompetente und regelhafte psy-
lischsprachigen Raum mit insgesamt 184 beteiligten Pati- chologische Erst- und Weiterbehandlung (Van Loey 2001,
enten aus acht Ländern zugrunde. Der Altersdurchschnitt Ripper 2015).
lag bei 41 Jahren, das Mittel der Verbrennungsausdehnung Vor dem Hintergrund dieser unbefriedigenden Ver-
am Körper bei 38 %. Die stationäre Verweildauer wies sorgungssituation sollte eine qualifizierte psychosoziale
allerdings einen Range von 1 Tag bis zu 68 Monaten auf. Begleitung und Behandlung von schwer brandverletzten
Betroffene beurteilten das Ausmaß der Unterstützung, die Patienten folgende Voraussetzungen erfüllen:
Fähigkeit zur Bewältigung und Akzeptanz, die Aussicht 1. Einsatz psychotherapeutischer Fachkräfte mit
des Wiedereinstiegs in den Beruf sowie körperliche Verän- grundlegenden Basiskenntnissen der Verbrennungs-
derungen und Limitierungen als wesentliche Einflussfak- medizin
toren. Diese Ergebnisse untermauern in besonderer Weise 2. psychosoziale Beratung und Betreuung als fest integ-
den Bedarf an psychoedukativer und psychotherapeuti- rierter Bestandteil des Versorgungsangebots
scher Unterstützung während der Rehabilitationsphase. 3. Gewährleistung einer vielfältigen, d.h. verschiedene
Im Jahr 2007 wurde für den deutschsprachigen Raum Zielgruppen berücksichtigende psychosozialen Ver-
eine erste prospektive multizentrische Studie mit schwer sorgung

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33.3 · Psychotherapeutische Versorgung von schwerbrandverletzen Patienten
365 33
Ad 1) Die psychotherapeutische Fachkraft sollte ähnlich Weise, verweigert die Nahrungsaufnahme oder ist psy-
wie in anderen Bereichen (z. B. in der Schmerztherapie, chisch agitiert, zeigt erhebliche Schlafstörungen mit ggf.
Onkologie etc.) über relevante Grundkenntnisse der Ver- nächtlichem Aufschreien und Angstreaktionen. Handelt es
brennungsmedizin verfügen, da ein nicht unwesentlicher sich dabei um eine »Akute Belastungsreaktion« (ICD-10:
Aspekt der Betreuung darin besteht, Verbrennungsopfer F43.0), dann klingen die Symptome nach wenigen Tagen,
und Angehörige auf bevorstehende medizinische Maß- meist auch ohne psychotherapeutische Interventionen
nahmen vorzubereiten. wieder ab. Sind die Symptome allerdings sehr ausgeprägt
und über Wochen anhaltend, dann handelt es sich mögli-
Ad 2) Daneben ist es für die Gesamtversorgung dieser Kli- cherweise um eine »Posttraumatische Belastungsstörung«
entel und die Teamarbeit überaus förderlich, wenn die psy- (ICD-10: F43.1), die typischer Weise durch Intrusionen
chosozialen Berufsgruppen fest in das interdisziplinäre (flashbacks, Albträume), persistierendem Hyperarousal
Behandlungsteam integriert sind. Erst die ständige Präsenz mit massiven Schlafstörungen und Vermeidungsverhalten
und feste Zugehörigkeit zum Team ermöglicht eine konti- (u. a. nicht über das Ereignis sprechen wollen) gekenn-
nuierliche Kommunikation mit Patienten und deren An- zeichnet ist.
gehörigen sowie eine direkte und zeitnahe Abstimmung In diesem Fall können Psychotherapeuten zum einen
aller Beteiligten über das Behandlungsrational. Methoden zur Anwendung bringen, die den Patienten
schnell und wirkungsvoll psychisch stabilisieren (z. B. Ab-
Ad 3) Da die Versorgung von schwer brandverletzten Per- lenkungs- und Atemtechniken sowie Entspannungs- und
sonen eine hohe psychische Belastung darstellt, sollten sich Imaginationsverfahren). Diese Strategien können in den
im Idealfall Angebote der psychosozialen Begleitung eben- meisten Fällen nach kurzer Einübung von den Betroffenen
so an Zielgruppen des Behandlungsteams richten. Dabei eigenständig ein- und fortgesetzt werden. Zum anderen
kann das Coaching oder die Supervision des Behand- können in einzelnen Fällen bereits in der Akutphase lang-
lungsteams und einzelner Teammitglieder sowohl die Be- fristig wirksame Angebote, wie beispielsweise psychothe-
wältigung krisenhafter Situationen betreffen (z. B. Suizid- rapeutische Interventionen aus der Schmerz- und Trauma-
äußerungen des Patienten, ständiges Herbeirufen des Pfle- therapie (s. u.) zum Einsatz kommen.
gepersonals), als auch die Sensibilisierung aller Teammit-
> Neben dem traumatischen Brandereignis selbst
glieder für psychosoziale Belange fördern. Zusätzlich kann
können auch die durchgeführten medizinischen
Unterstützung im Umgang mit schwierigen Versorgungs-
Interventionen (z. B. künstliches Koma, Erweckungs-
situationen geleistet werden (Patient verweigert Nah-
phase) auf der Intensivstation eine traumatische
rungsaufnahme oder Medikamente, hat Angst sich erst-
Erfahrung darstellen (7 Abschn. 33.2).
mals ohne Verband ansehen zu müssen etc.).
Im Fokus der psychotherapeutischen Versorgung steht Zudem müssen die Patienten in dieser initialen Akutphase
jedoch zunächst die psychosoziale Begleitung und Betreu- der Behandlung häufig sehr schmerzhafte Behandlungs-
ung der Verbrennungsopfer. Der Bedarf ist zweifelsfrei prozeduren über sich ergehen lassen (Verbandswechsel,
gegeben (7 Abschn. 33.3.2) und die Möglichkeiten bzw. Abtragen der verbrannten Hautareale, Hauttransplantatio-
Ansätze psychosozialer Angebote sind vielfältig. Dennoch nen etc.). Dem Betroffenen die Notwendigkeit solcher In-
mangelt es in diesem Bereich an psychotherapeutisch er- terventionen begreifbar zu machen und die notwenige
probten und wissenschaftlich fundierten Konzepten, so Compliance beim Patienten aufrecht zu halten, ist schwie-
dass die hier dargestellten Betreuungs- und Behandlungs- rig und gelingt nicht immer zufriedenstellend. Die frühe
ansätze zum überwiegenden Teil auf klinischen Erfahrun- Vermittlung von Bewältigungsstrategien im Umgang mit
gen beruhen. akuten Schmerzen stellt hier eine überaus hilfreiche und
zielführende Herangehensweise dar (Hüppe 2016), sollte
aber in der Akutphase auf die unmittelbare Vermittlung
33.3.2 Akutphase von schmerzlindernden Interventionen fokussieren. In der
Rehabilitationsphase (7 Abschn. 33.3.3) können dann auch
> Eine Krisenintervention in der Frühphase der Ver-
weitergehende Interventionen zur Prävention und Bewäl-
brennung stellt oft den ersten Kontakt zwischen
tigung chronischer Schmerzen eingesetzt werden (Frett-
Brandverletzen und Psychotherapeuten dar. Die In-
löh 2016). Ähnliches gilt für die Behandlung von posttrau-
dikation hierfür wird meist von den behandelnden
matischen Symptomen. Handelt es sich dabei um das Voll-
Pflegekräften oder den wichtigsten Bezugsperso-
bild einer PTBS, sind in der Akutphase oftmals ausschließ-
nen erkannt und als Bedarf vorgebracht.
lich stabilisierende Interventionen möglich, während die
Anlass dafür sind beängstigende Verhaltensweisen des eigentliche PTBS-Therapie erst in der späteren Rehabilita-
brandverletzten Patienten: Er äußert sich in depressiver tionsphase oder noch später möglich ist (Maercker 2013).

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366 Kapitel 33 · Psychotherapeutische Versorgung

Ein Teil der akuten Betreuung kann auch die Initiie- für den Patienten, wenn dieser aufgrund der Schwere der
rung von Abschiedsritualen bei Verlust von Körperteilen Verletzung oder sonstiger limitierender Faktoren nicht
(z. B. Amputation von Extremitäten) sein, ebenso wie die selbst reden oder entscheiden kann. Eltern, insbesondere
Unterstützung bei ethischen Entscheidungen (s. Fallbei- wenn sie sich für die Verbrennung ihres Kindes (mit-)
spiel). Die frühzeitige Einleitung von Existenz sichernden schuldig fühlen, sind auch oft selbst stark belastet (s. Fall-
Maßnahmen kommt in der Regel dem Sozialdienst der beispiel). Hier gilt es, den Eltern eine psychotherapeutische
Kliniken zu. Unterstützung, u. a. im Umgang mit Verantwortungs- und
Schuldgefühlen zukommen zu lassen.
Fallbeispiel
Ein 60-jähriger Patient kam mit schweren Verbrennungen Fallbeispiel
in die Klinik, die 90 % seiner Hautoberfläche betreffen. Es Ein 10-jähriger Patient wurde mit einer Verbrennung Grad III
wurden Hauttransplantationen und die Amputation mehre- am gesamten linken Bein behandelt, die er sich im Sommer-
rer Finger und Zehen notwendig. Die Verbrennungen zog urlaub zugezogen hatte, nachdem auf dem Campingplatz
sich der Patient zu, als er seinen Sohn aus einer brennenden ein Gaskocher mit einem darauf befindlichen Topf kochend
Gartenlaube befreien wollte, nachdem eine Gasflasche ex- heißer Suppe umgekippt war. Dabei entflammte sich auch
plodiert war. Der Sohn verstarb an seinen Verbrennungen, die aus Kunstfasern bestehende Kleidung des Kindes. Wäh-
was der Patient erst Wochen nach dem Ereignis erfuhr, als er rend des Klinikaufenthalts wurden mehrere Operationen in-
selbst nicht mehr in Lebensgefahr war. Der Fokus der psy- klusive Hauttransplantationen durchgeführt. Die Eltern be-
chologischen Betreuung lag auf dem Umgang mit Schmer- klagten sich immer wieder über die schlechten Erfahrungen
zen, der Bewältigung des langen Klinikaufenthaltes sowie mit der erstversorgenden Klinik am Unfallort und waren ent-
auf der Rekonstruktion des Unfallhergangs. Dabei stellte die sprechend misstrauisch. Der Fokus der psychologischen
Überbringung der Todesnachricht an den Patienten, insbe- Gespräche lag auf der unmittelbaren psychischen Stabilisie-
33 sondere für die Ehefrau eine große Belastung dar, aus Angst, rung des Patienten, der Reduzierung seiner Ängste vor den
die Nachricht könnte Ihren Mann überwältigen. Mit Hilfe schmerzhaften Prozeduren sowie der Bearbeitung erster
psychotherapeutische Unterstützung konnte der Patient posttraumatischer Symptome, wie beispielsweise Albträume
mit der Todesnachricht und der anschließenden Trauer und »flashbacks«. Daneben galt es, die Schuldgefühle und
situationsangemessen umgehen. das daraus resultierende Verhalten der Eltern therapeutisch
zu bearbeiten und eine vertrauenswürdige Grundhaltung
Limitiert bzw. erschwert werden die psychotherapeuti- gegenüber den geplanten Interventionen und dem Behand-
schen Interventionen v. a. durch die besonderen Settingbe- lungsteam zu fördern.
dingungen auf einer Brandverletztenstation. Neben der
isolierten Unterbringung der Patienten, der unzureichen- Eine Studie zum Stellenwert familiärer Unterstützung
den Intimität, den ständigen Umgebungsgeräuschen (auch (Phillips 2007) konnte zeigen, wie wichtig frühzeitige
nachts) durch die akustischen Signale der Kontrollmonito- Aufklärungsgespräche über Diagnose, Behandlungs-
re stellen auch die meist nur mit kompletter Schutzklei- möglichkeiten, Prognose und Hilfestellungen des Sozial-
dung möglichen Kontakte des Behandlungsteams und der dienstes bei schwierigen sozialen Verhältnissen sind. Mit
Angehörigen eine nicht zu unterschätzende psychische Hilfe von psychotherapeutischen Angeboten können
Belastung dar, die es zu berücksichtigen und zu bewälti- Angehörige in die Handlungsfähigkeit zurückfinden,
gen gilt. eigene Bedürfnisse erkennen und artikulieren, Schuldge-
Da nicht nur der Brandverletzte selbst, sondern meist fühle und Scham bearbeiten und ggf. verstehen lernen,
auch sein unmittelbares Umfeld krisenhaft betroffen ist, wie ein Brandverletzter auf seine Verletzung reagieren
sollten die wichtigsten Angehörigen möglichst in die und sich in seinem Verhalten möglicherweise verändern
Betreuung mit eingeschlossen werden. Angesichts oft wird.
vielfältiger Veränderungen bzw. Konsequenzen für die
weitere Lebensführung sind gemeinsame Gespräche mit
den unmittelbaren Angehörigen in der Akutphase sowie 33.3.3 Stationäre und ambulante
im fortgeschrittenen Behandlungsverlauf dringend ange- Rehabilitationsphase
zeigt, insbesondere wenn es sich bei den Verbrennungs-
opfern um Kinder und Jugendliche handelt. Ein beträchtlicher Anteil der Brandverletzten bleibt nicht
Zudem sind Angehörige oft ein hilfreicher motivatio- nur wenige Tage, sondern auch auf lange Sicht in klinisch
naler Faktor und eine zentrale Stütze für den Patienten. relevantem Ausmaß belastet. Nicht selten nehmen diese
Gerade in der Akutphase sind sie zudem wichtige Informa- Beeinträchtigungen über die Zeit hinweg sogar zu (7 Ab-
tionsträger für die Behandler und nicht selten Sprachrohr schn. 33.2). Bei diesen langfristigen psychischen Folgen

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33.3 · Psychotherapeutische Versorgung von schwerbrandverletzen Patienten
367 33
treten v. a. affektive Störungen (z. B. reaktive Depression) ren Berufsweg gestalten könnte. Im Fokus der psychologi-
und Traumafolgestörungen (z. B. posttraumatische Belas- schen Gespräche stand hier (auf Wunsch der Patientin) die
tungsstörung sowie Anpassungsstörungen) auf. Weiterhin Prävention einer befürchteten phobischen Störung (Angst
können langandauernde Angststörungen, depressive Stö- vor Feuer, Feuerwerk etc.). Ein weiterer Fokus galt der Be-
rungen sowie Substanzabhängigkeiten infolge der Schmer- gleitung und Entlastung der übrigen Familienmitglieder, die
zen oder auch der körperlichen Veränderungen (z. B. Ent- durch einen kurz zuvor eingetretenen Todesfall in der Fami-
stellung, Gliedmaßenverlust) auftreten. Diese Störungen lie bereits vorbelastet waren.
(s. Fallbeispiel) können allerdings auch bereits als komor-
bide Vorerkrankungen bestanden haben und den aktuellen Da es bislang so gut wie keine expliziten und wissenschaft-
Genesungsprozess bzw. Rehabilitationsverlauf des Schwer- lich überprüften Behandlungsprogramme für die Therapie
brandverletzten deutlich erschweren. von Brandverletzten gibt (s. u.), kommen meist Bausteine
aus anderen Therapieprogrammen, z. B. aus gut evaluier-
Fallbeispiel ten Stressbewältigungstrainings (Kaluza 2004), Entspan-
Ein 40-jähriger Patient wurde auf der Brandverletztensta- nungsverfahren (Ohm 1999) oder schmerzpsychothera-
tion wegen schwerer Verbrennungen an Armen, Gesicht peutischen Behandlungsansätzen (Kröner-Herwig 2016)
und Thorax behandelt, die er sich bei einem Wohnungs- zum Einsatz, von denen anzunehmen ist, dass ihre An-
brand zugezogen hatte. Während des Klinikaufenthalts wendung auch bei schwerbrandverletzten Patienten sinn-
wurden u. a. mehrfach Hauttransplantationen durchge- voll ist.
führt. Fokus der psychologischen Gespräche war die Stabili- Wenn es um die Wiederherstellung des geistig-körper-
sierung des Patienten und eine Abklärung von möglicher lichen Gleichgewichts nach einem schweren Unfall und
Suizidalität, da aus der Vorgeschichte wiederholte depres- um eine Bearbeitung des Körperbildes nach körperlicher
sive Episoden mit suizidalen Gedanken bekannt waren und Entstellung geht, zeigen sich Übungen aus dem Bereich der
bei dem Unfallhergang eine suizidale Absicht nicht auszu- Körperpsychotherapie hilfreich (Marlock 2006). Studien
schließen war. konnten zeigen, dass durch den Einbezug des Körpers in
das therapeutische Geschehen bestimmte Ebenen des Er-
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es lebens und Empfindens aktiviert werden, die auf rein
auch Patienten gibt, die mit den Herausforderungen ihrer sprachlicher Ebene nur eingeschränkt erreichbar sind
Brandverletzung in bemerkenswert bewältigender Art (Sulz 2005). Ebenso haben sich achtsamkeitsbasierte Me-
und Weise umgehen (Wallis 2007). Dabei handelt es sich thoden insbesondere in der Behandlung von Schmerzen
offensichtlich nicht um eine kurzzeitige Folge der heraus- bewährt (Diezemann 2016).
ragenden Situation, in der sich die Patienten befinden, Auf der Basis der Befunde eines mutizentrischen
sondern vielmehr um Ressourcen, im Sinne von zeitstabi- Forschungsprojekts wurde von einer deutschen For-
len Persönlichkeitsmerkmalen. Bei sehr tapferen und auf schungsgruppe (Wallis 2007; Wallis-Simon 2009) ein ver-
Bewältigung bedachten Patienten ist allerdings stets zu haltenstherapeutisches, ressourcenorientiertes Gruppen-
prüfen, ob es sich bei dem gezeigten Verhalten ggf. auch behandlungskonzept für Schwerbrandverletzte in der
um dissimulierendes bzw. bagatellisierendes Verhalten Rehabilitationsphase entwickelt. Neben psychoeduka-
und damit um einen relevanten Risikofaktor handeln tiven Elementen umfasst das Behandlungsprogramm
könnte. Im unten beschrieben Fallbeispiel ergaben sich Schmerz- und Stressbewältigungstechniken. Der zentrale
in mehreren psychologischen Kontakten keine Hinweise Bestandteil des Behandlungsprogramms ist jedoch der
darauf. Aufbau sozialer Kompetenzen im Umgang mit Reaktio-
nen der Öffentlichkeit auf den durch die Brandnarben
Fallbeispiel veränderten Körper.
Eine 18-jährige Abiturientin erlitt bei einer schulischen Ver-
anstaltung durch leichtsinniges Verhalten eines Mitschülers jSitzungsinhalte und Vorgehen/Therapieziele
schwerste Verbrennung im gesamten Gesicht und Halsbe- (nach Wallis-Simon 2009)
reich. Die Akutphase verlief trotz der Schwere der Verbren- 1. Sitzung: Einführung in das Behandlungsprogramm,
nung und der nicht auszuschließenden großflächigen Nar- Informationen zum Thema »Haut und Narben«
benbildung im Gesicht der jungen Frau erstaunlich kompli- 4 Vorstellung des Gruppenprogramms
kationsarm. In beeindruckender Weise setzte sich die Abitu- 4 Kennenlernen der Teilnehmer
rientin mit ihren körperlichen, wie psychischen Symptomen 4 Erwartungsabgleich
auseinander. Sie aktivierte ihre vorhandenen psychische 4 Informationsvermittlung zum Thema Narben
Ressourcen, entwickelt zielgerichtete Pläne, wie sie die noch 4 Einführung in die Entspannungstechnik progressive
ausstehenden Abiturklausuren nachholen und ihren weite- Muskelrelaxation (PMR)

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368 Kapitel 33 · Psychotherapeutische Versorgung

2. Sitzung: Expertenfragerunde zum Thema »Haut und kollegiale Unterstützung in der gewohnten Arbeitsumge-
Narben, Schmerz und Schmerzbewältigung« bung und ohne Sinnstiftung durch die verrichtete Arbeit
4 Schaffen eines Frageforums für die Patienten können sich depressive Verarbeitungsmuster entwickeln
4 Wissensvermittlung zu Schmerzen und Schmerz- bzw. verstärken und die Lebensqualität auf Dauer beein-
bewältigung trächtigen. Hinzu kommen Existenzängste von Betroffe-
4 Erarbeiten von Bewältigungsstrategien und Hand- nen in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgeprobleme. In
lungsplänen für Schmerzsituationen einer ambulanten Nachbetreuung sind diese Themen ge-
zielt und lösungsorientiert zu bearbeiten.
3. Sitzung: Seelische Belastungen in der Folge schwerer
Brandverletzungen
4 Informationsvermittlung 33.3.4 Wirksamkeit psychotherapeutischer
4 Enttabuisierung/-dramatisierung Versorgungsangebote
4 Erarbeitung von Bewältigungsstrategien
Evaluierte Therapiekonzepte oder gar Therapiemanuale
4. Sitzung: Umgang mit dem veränderten Körper für brandverletzte Patienten liegen bislang nicht in befrie-
4 Aufbau und Stärkung positiver Empfindungen und digendem Ausmaß vor. Die englische Organisation »Chan-
Kognitionen gegenüber dem eigenen Körper ging Faces« hat ein Trainingsprogramm entwickelt, das
4 offenes Thematisieren von Problemen im Umgang sich speziell an Menschen mit verbrennungsbedingten
mit dem eigenen Körper Entstellungen richtet (https://www.changingfaces.org.uk).
4 Verbesserung der Entspannungs- und Genussfähig- Mit diesem Trainingsprogramm sollen die Betroffenen in
keit ihrer sozialen Kompetenz gestärkt und zu einem selbstbe-
wussten Umgang mit der Entstellung in der Öffentlichkeit
33 5. Sitzung: Stress und Stressbewältigung befähigt werden (Robinson 1996). Fünf Jahre später (Ne-
4 Informationsvermittlung zur Entstehung und zum well 2001) wurde ein weiterer verhaltenstherapeutischer
Wesen von Stress Ansatz zur Behandlung von Körperbildstörungen konzi-
4 Vermittlung von Stressbewältigungsstrategien piert, mit dem v. a. das Vermeidungsverhalten nach schwe-
ren Verletzungen angegangen wird. In Deutschland wurde
6. Sitzung: Kompetenz im Umgang mit sozialen Reaktio- im Rahmen einer multizentrisch angelegten Längsschnitt-
nen auf die Brandverletzung (Teil 1) studie ein Gruppenkonzept für die psychotherapeutische
4 Aufbau spezieller sozialer und kommunikativer Kom- Behandlung von Schwerbrandverletzten in der Rehabilita-
petenzen im Umgang mit den Reaktionen anderer auf tionsphase entwickelt und evaluiert (Wallis-Simon 2009;
den Unfall und die Verletzung/-sfolgen Ripper 2015). Dies sind offensichtlich die bisher einzigen
publizierten Ansätze zur psychotherapeutischen Versor-
7. Sitzung: Kompetenz im Umgang mit anderen (Teil 2): gung von Verbrennungsopfern. Allen drei Ansätzen ist
»Wie kann ich Kontakte angenehm gestalten?« gemeinsam, dass es sich um Angebote in einer der späteren
4 Steigerung der sozialen Aktivität, Abbau von Rück- Versorgungsphasen (überwiegend in der Rehabilitations-
zugs- und sozialem Vermeidungsverhalten phase) handelt. Die ersten beiden Ansätze fokussieren
4 Erarbeitung eines Verhaltensrepertoires für schwieri- dabei v. a. auf die Wiederaufnahme sozialer Aktivitäten,
ge soziale Situationen andere verbrennungsspezifische Thematiken, wie z. B. der
4 Thematisieren von spezifischen Problemen mit Ange- Umgang mit psychischen Symptomen wie Angst und de-
hörigen pressives Erleben bleiben unberücksichtigt. Dagegen greift
der deutsche Behandlungsansatz im Rahmen von acht
8. Sitzung: Abschluss Gruppensitzungen (7 Abschn. 33.3.3 Sitzungsinhalte und
4 Bilanz und Reflexion des Erreichten Vorgehen/Therapieziele) ein breiteres Spektrum an psycho-
4 Verabschiedung sozialen Aspekten auf.
4 Verankern der eigenen Ressourcen und Kompetenzen Die Ergebnisse zur Wirksamkeit dieses Ansatzes fallen
im Umgang mit Stress und schwierigen Situationen in einer multizentrischen Evaluationsstudie (Seehau-
im Alltag sen 2015) vielversprechend aus. Erhoben wurden das Aus-
maß der psychischen Belastung, vorhandene Ressourcen
In der ambulanten Weiterbetreuung steht die Unterstüt- sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu drei
zung bei der beruflichen und psychosozialen Resozialisie- Messzeitpunkten: vor Beginn, unmittelbar im Anschluss
rung im Vordergrund. Ohne die Wiedererlangung eines sowie sechs Monate nach Beendigung des Gruppenpro-
strukturierten Tagesablaufes, ohne die Wertschätzung und gramms. Verglichen mit einer hinsichtlich der Verlet-

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
369 33
zungsschwere ähnlichen Gruppe von standardisiert be- und interdisziplinären Herangehensweise und Tätigkeit
handelten Patienten verringerte sich bei den psychothera- nicht unberücksichtigt bleiben. Psychotherapeuten, die in
peutisch versorgten Patienten die psychische Symptombe- Coaching und Supervision versiert sind, können hier einen
lastung im Zeitverlauf deutlich. Auch die Zuversicht wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten und
bezüglich eines positiven Verlaufs stieg im Vergleich zur damit auch zur Effizienzsteigerung eines Behand-
Kontrollgruppe an. Mittlerweile wird das Programm in lungsteams in der höchst anspruchsvollen Versorgung von
mehreren Berufsgenossenschaftlichen Kliniken im ambu- schwerbrandverletzten Patienten beitragen.
lanten wie auch im stationären Setting erfolgreich ange-
wendet.
Literatur

33.4 Ausblick Brunnhuber S, Frauenknecht S, Lieb K (2005) Psychiatrie und Psycho-


therapie. München: Urban & Fischer Verlag
Brych SB, Engrav LH, Rivara FP, Ptacek JT, Lezotte DC, Esselman PC et al
Die Komplexität der zu berücksichtigenden Aspekte, die (2001) Time off work and return to work rates after burns: system-
bei der psychologischen Betreuung von schwerbrandver- atic review of the literature and a large two-center series. Journal
letzten Patienten eine Rolle zu spielen scheinen, kann si- of Burn Care and Rehabilitation 22:401–405
cher noch nicht als ausreichend verstanden und untersucht Ciofi-Silva C, Rossi LA, Dantas R, Costa C, Echevarria-Guanilo ME,
Echevarria-Guanilo M et al (2010) The life impact of burns: the
gelten. Es bestehen offensichtlich erhebliche Unterschiede
perspective from burn persons in Brazil during their rehabilitation
zwischen den betroffenen Patienten: Während die einen phase. Disability & Rehabilitation, 32, 431–437
ein hohes Ausmaß an erlebter Belastung bis hin zu mani- Diezemann A, Korb J (2016) Accepted commitmend therapie (ACT).
festen psychischen Störungen aufweisen, aktivieren andere In: Kröner-Herwig B, Frettlöh J, Klinger R, Nilges P. (Hrsg) Schmer-
brandverletzte Patienten vorhandene Ressourcen und zpsychotherapie. 8. Aufl. Berlin Heidelberg New York: Springer
Dyster-Aas J, Willebrand M, Wikehult B, Gerdin B, Ekselius L (2008)
wachsen sogar an den Herausforderungen ihre Verletzung.
Major Depression and Posttraumatic Stress Disorder Symptoms
> In den letzten Jahren hat in der Psychotherapie der Following Severe Burn Injury in Relation to Lifetime Psychiatric
Morbidity. Journal of Trauma, 64, 1349-1356
ressourcenorientier te Ansatz auch bei den schwer
Falder S, Browne A, Edgar D, Staples E, Fong J, Rea S, Wood F (2009)
beeinträchtigten Patienten immer mehr Bedeutung Core outcomes for adult burn survivors: a clinical overview.
gewonnen. Deshalb postulieren wir auch für die Burns 35:618–641
Behandlung der Schwerbrandverletzten eine res- Farroha A., McGregor J, Paget T, John A, Lloyd K (2013) Using Ano-
sourcen- und nicht nur defizitfokussierende Heran- nymized, Routinely Collected Health Data in Wales to Estimate
gehensweise. the Incidence of Depression After Burn Injury. Journal of Burn
Care and Research 34:644–648
Entsprechend wichtig ist eine kompetente Differential- Fauerbach JA, McKibben J, Bienvenu OJ, Magyar-Russell G, Smith MT,
diagnostik, die in eine frühzeitige Identifikation und Holavanahalli R (2007) Psychological Distress After Major Burn
Injury. Psychosomatic Medicine 69:473–482
problemorientierte Behandlung der Risikopatienten mün-
Frettlöh J, Hermann C (2016) Kognitiv-behaviorale Therapie (KVT).
den sollte. Um dies leisten zu können, werden weitere In: Kröner-Herwig B, Frettlöh J, Klinger R, Nilges P. (Hrsg) Schmer-
Studien zur Identifizierung von psychischen Resilienz- zpsychotherapie. 8. Aufl. Berlin Heidelberg New York: Springer
und Risikofaktoren erforderlich sein. Giannoni-Pastor A, Eiroa-Orosa FJ, Kinori SG, Arguello JM, Casas M
Ein noch größerer Bedarf besteht im Bereich der Wirk- (2015) Prevalence and Predictors of Posttraumatic Stress Symp-
tomatology Among Burn Survivors: A Systematic Review and
samkeitsprüfung psychotherapeutischer Angebote. Hier
Meta-Analysis. J Burn Care Res 11:1349–1356
wünscht sich der Anwender gut ausgearbeitete und evalu- Hatch R, McKechnie S, Griffiths (2011) Psychological intervention to
ierte Therapiekonzepte, in denen auch differentielle As- prevent ICU-related PTSD: who, when and for how long? Critical
pekte unterschiedlicher Subgruppen (Kinder, Migranten, Care 15:141–146
Eigenverschulder, Opfer, Patienten mit und ohne komor- Hobbs K (2015) Which factors influence the development of
bide Störungen etc.) mehr Berücksichtigung finden. post-traumatic stress disorder in patients with burn injuries?
A systematic review of the literature. Burns 41(3):421–430
Besonders hervorheben möchten wir in diesem Aus-
Hüppe M, Klinger R (2016) Akuter Schmerz. In: Kröner-Herwig B,
blick die Belastung der behandelnden Fachkräfte verschie- Frettlöh J, Klinger R, Nilges P (Hrsg) Schmerzpsychotherapie.
denster Disziplinen, für die die Versorgung von Schwer- 8. Aufl. Berlin Heidelberg New York: Springer
brandverletzten zu einer nicht selten außergewöhnlichen, Kaluza G (2004) Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psycho-
ggf. auch überfordernden Herausforderung und Belastung logischen Gesundheitsförderung. Berlin Heidelberg New York:
Springer
werden kann. Trotz des zunehmenden Effizienzdrucks,
Kornhaber R, Wilson A, Abu-Qamar MZ, McLean L (2014) Adult burn
der sich in unserem Gesundheitssystem mehr und mehr survivors’ personal experiences of rehabilitation: an integrative
einstellt, sollte die psychische Belastung der Mitarbeiter/ review. Burns 40(1):17–29. doi: 10.1016/j.burns.2013.08.003. Epub
innen einer Brandverletztenstation in der multifaktoriellen 2013 Sep 17

marcus.lehnhardt@rub.de
370 Kapitel 33 · Psychotherapeutische Versorgung

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Maecker A (2013) Posttraumatische Belastungsstörungen (Hrsg.) 4. altenstherapie und Verhaltensmedizin 28:173–187
Auflage. Berlin Heidelberg New York: Springer Wallis-Simon H, Renneberg B (2009) Psychische Faktoren bei schweren
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marcus.lehnhardt@rub.de
371 34

Nekrotisierende Fasziitis
Jörg Hauser, Heiko Sorg, Daniel Tilkorn

34.1 Einleitung und Historie – 372

34.2 Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild – 373

34.3 Diagnostik – 374

34.4 Differenzialdiagnosen – 375

34.5 Therapie – 377

34.6 Prognose – 379

Literatur – 379

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_34, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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372 Kapitel 34 · Nekrotisierende Fasziitis

34.1 Einleitung und Historie dass diese dramatische Infektionskrankheit schon lange be-
kannt ist (. Abb. 34.1). Obwohl die Erstbeschreibung der
Die heutzutage gebräuchliche Definition der nekrotisieren- nekrotisierenden Fasziitis nun schon mehr als 100 Jahre
den Fasziitis lässt sich auf den amerikanischen Chirurgen zurückliegt, stellt die Behandlung dieses Krankheitsbildes
B. Wilson (1952) zurückführen. Dieser definierte die nek- Mediziner auch heutzutage noch vor eine große Herausfor-
rotisierende Fasziitis als eine seltene, lebensbedrohliche derung und trotz aller Fortschritte in der Medizin endet
Weichteilinfektion mit »rasch fortschreitender Gangrän diese Erkrankung oftmals tödlich. Als entscheidender pro-
von Faszie und der angrenzenden Subkutis und Kutis« gnostischer Faktor im Hinblick auf die Überlebenschancen
(Wilson 1952). Allerdings wurde das Krankheitsbild der dieser Erkrankung ist die frühzeitige Diagnosestellung zu
Fasziitis bereits lange vor Wilson in der medizinischen Li- werten. Eine verspätete Diagnosestellung und die damit
teratur beschrieben. Bereits Hippokrates beschreibt in sei- verbundene Verzögerung der chirurgischen Therapie be-
nen Aufzeichnungen eine »(Wund-)Rose« welche deutliche einflusst die Prognose der nekrotisierenden Fasziitis dra-
Parallelen zu der nekrotisierenden Fasziitis aufweist. Joseph matisch und resultiert in hohen Mortalitätsraten (6–76 %;
Jones veröffentlichte im Jahr 1871 in seinem Buch »Surgical Schnall 2004; Wong 2005). Leider muss auch hier erwähnt
memoirs of the war of the rebellion«, eine wissenschaftliche werden, dass trotz des charakteristischen klinischen Er-
Untersuchung über die Genese, den Verlauf und die Be- scheinungsbildes und trotz moderner Gerätediagnostik die
handlung von gangränösen Infektionskrankheiten (Jones nekrotisierende Fasziitis häufig, insbesondere im Anfangs-
1871). Auch diese Abhandlung beschreibt ganz klar ein stadium, fehldiagnostiziert wird.
Krankheitsbild, welches wir heutzutage als nekrotisierende
Fasziitis einstufen würden (Kujaht 1998). Pfanner prägt im > Ziel ist es, anhand der Beschreibung dieser lebens-
Jahr 1918 den Begriff des »nekrotisierenden Erysipels« und bedrohlichen Infektionskrankheit auf die Dringlich-
stellt erstmals eine Assoziation zu einer Streptokokken- keit der richtigen klinischen Einschätzung sowie der
infektion her (Kujaht 1998). Auch Abbildungen, die wir in adäquaten chirurgischen Therapie des Krankheits-
dem Buch von Payr und Küttner (Payr 1911) finden, zeigen, bildes hinzuweisen (Waldron 2014).

34

a b

. Abb. 34.1a, b Grafische Darstellung eines Streptokokkeninfekts. a Holzsplitterverletzung im Arm. b Infektion des Unterschenkelhaut-
weichteilmantels nach Granatsplitterverletzung, welche beide die typischen Hautveränderungen einer nekrotisierenden Fasziitis aufweisen.
(Aus Payr 1911)

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34.2 · Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild
373 34
34.2 Pathophysiologie und klinisches
Erscheinungsbild

Für die richtige Beurteilung und Einschätzung der nekro-


tisierenden Fasziitis (NF) ist ein dezidiertes pathophysio-
logisches Verständnis der Erkrankung von essentieller
Bedeutung. Die NF ist eine prompt einsetzende und schnell
progredient verlaufende Infektion, die zur Nekrose der be-
troffenen Muskelfaszie führt. Der Ursprung der Infektion
lässt sich häufig auf ein Bagatelltrauma zurückführen, über
welches Bakterien in den Haut-Weichteilmantel eindrin-
gen. In Abhängigkeit des ursächlichen Keimspektrums
(. Abb. 34.2) wird die NF in eine polymikrobielle (Typ 1) . Abb. 34.2 Balkendiagramm zur Häufigkeit nachgewiesener
und eine Streptokokken-assoziierte Infektion (Typ 2) un- Keime (%)
terteilt.
Die NF beginnt häufig initial mit grippeähnlichen
Symptomen. Zudem präsentiert sie sich initial als schmerz-
hafte ödematöse Schwellung mit Erythembildung so-
wie frühzeitig einsetzenden Allgemeinsymptomen wie
Schmerzen und Fieber (. Tab. 34.1).
> Eine rasche Progression lokaler Symptome wie
unscharf begrenztem Erythem, Ödem und Überwär-
mung sind als charakteristisch für die NF zu werten
(Stadium I; . Tab. 34.1). Die Infektausbreitung
verläuft vor allem im Bereich der oberflächlichen
Muskelfaszie.

Die ursächlichen Bakterien breiten sich entlang der Faszie


aus und sind in der Lage durch spezifische Enzyme und
Endotoxine diese zu durchwandern. Mikrothromben füh-
ren zur Nekrose der oberflächlichen Faszie und ermögli-
chen die Invasion und somit die Proliferation der patho- . Abb. 34.3 Histologisches Bild einer nekrotisierenden Fasziitis
genen Keime. Dies spiegelt sich histologisch in einer Fas-
ziennekrose mit Leukozyteninfiltration der tiefen Haut-
schichten und der Faszie und Thrombembolien der kleinen Infektion rasch horizontal in den tiefen Gewebsschichten
Gefäße wider (. Abb. 34.3). Mit fortschreitender Erkran- aus. Somit ist zu Beginn der Erkrankung die Hautmanifes-
kung kommt es zum Verschluß der Perforansgefäße und tation in der Regel nur gering ausgeprägt und führt erst im
zur progressiven Ischämie der Haut. Initial breitet sich die weiteren Verlauf zu ischämischen Hautnekrosen betroffe-

. Tab. 34.1 Stadieneinteilung des Verlaufs einer nekrotisierenden Fasziitis anhand der klinischen Symptomatik

Stadium I Stadium II Stadium III

– übermäßiger Druckschmerz auf Berührung – Blasenbildung (seröses Exsudat) – hämorrhagische Blasenbildung


über die sichtbare Hauteffloreszens reichend – Hautfluktuation – Anästhesie der Haut
– Erythem – Hautinduration – Krepitation
– Schwellung – Hautnekrose
– lokale Überwärmung – Gangrän

Fakultative Parameter – früh einsetzende Allgemeinsymptome


der Sepsis oder SIRS?!
– Desorientiertheit
– Somnolenz
– Kreislaufdepression

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374 Kapitel 34 · Nekrotisierende Fasziitis

ner Hautareale (Schnall 2004). Aufgrund dieser Tatsache


. Tab. 34.2 LRINEC-Score
ist das frühe klinische Erscheinungsbild der NF oft nur
schwer von anderen ausgeprägten Weichteilinfektionen, Laborparameter Score
insbesondere dem Erysipel, abzugrenzen. Als typisches
klinisches Merkmal sind die von den Patienten beschrie- C-reaktives Protein (CRP)(mg/l)
benen stärksten Schmerzen (»pain out of proportion«) <150 0
>150 4
anzusehen (Stadium I, . Tab. 34.1). Der im Bereich der
Faszie lokalisierte Entzündungsprozess und insbesondere Leukozyten (per mm3)
das hierdurch resultierende Ödem führt durch Zug auf die <15 0
15–25 1
Neurone, welche die Faszie durchbrechen, zu massiven >25 2
Schmerzsensationen. Bei einem Erysipel hingegen ist die
Hämoglobin (g/dl)
Schmerzsymptomatik in der Regel wesentlich moderater.
>13,5 0
Da bei der NF die Grenzen der Gewebebeteiligung häufig 11–13,5 1
schlecht einzugrenzen sind, reicht die Schmerzhaftigkeit <11 2
und das Spannungsgefühl meist weit über die sichtlich be-
Natrium (mmol/l)
troffenen Areale hinaus. Eine Lymphangitis findet sich >135 0
nur selten und ist daher für die NF als eher untypisch zu <135 2
werten.
Kreatinin (μmol/l)
> Massive Schmerzsensationen sowie Bläschen <141 0
>141 2
oder Blasenbildung gelten, wenn vorhanden, als
ein wichtiger diagnostischer Hinweis (Stadium II; Glukose (mmol/l)
<10 0
. Tab. 34.1).
>10 1
Bläschen entstehen durch die ischämiebedingte Nekrose Maximalwert 13
als Folge der Thrombembolie der Haut versorgenden Per-
34 foransgefäße. Diese Hautveränderungen werden nur selten positiver prädiktiver Wert
>6 (92 %)
>8 (94 %)
beim Erysipel beobachtet und müssen immer den Ver-
dacht der NF erwecken. LRINEC Laboratory risk indicator for necrotizing fasciitis score:
diagnostisches Instrument zur Differenzierung der nekrotisie-
> Die Spätphase der Infektion ist durch das Auftreten renden Fasziitis von anderen Weichteilinfektionen (LRINEC-
hämorrhagischer Blasen im Sinne von Epidermoly- Score ≥6 Vorliegen einer NF wahrscheinlich)
sen sowie einer Anästhesie und Gangrän der Weich-
teile charakterisiert (Stadium III; . Tab. 34.1).

Diese lokalen Spätsymptome gehen in der Regel einher mit


einer raschen und dramatischen Verschlechterung des All- Risikofaktoren einer nekrotisierenden Fasziitis
gemeinzustandes. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die 5 Alter
meisten Patienten bereits im klinischen Bild des septischen 5 Diabetes mellitus
Schocks (z. B. Somnolenz und Kreislaufdepression). 5 pAVK
In der Literatur wird die Inzidenz der NF mit 0,4 auf 5 Immunsuppression
100000 Einwohner angegeben und ist über die letzten 5 Drogenabusus
Jahrzehnte konstant geblieben. Eine Häufung von NF- 5 Adipositas
Fällen in England im Jahr 1994 hat sich nachträglich als
eine zufällige Häufung herausgestellt. Somit handelt es sich
bei dieser Infektionskrankheit glücklicherweise um ein
sehr seltenes Krankheitsbild. Es gibt jedoch Patientenkol- 34.3 Diagnostik
lektive bei denen die NF gehäuft auftritt. So gehören Dia-
betiker, adipöse Patienten, Patienten mit ausgeprägter Am Anfang der Diagnosestellung und zu Beginn einer Be-
pAVK, immunsupprimierte Patienten, Drogenabusus so- handlung sollte immer eine differenzierte Anamnese erho-
wie Patienten im fortgeschrittenen Alter zum Risikokol- ben werden. Wichtige Punkte die im Rahmen des Anam-
lektiv (. Tab. 34.2; McHenry 1995). nesegespräches erhoben werden sollten sind z. B. das Vor-
liegen von Bagatelltraumen und Voroperationen, wurden
Punktionen durchgeführt, wann war der Symptombeginn,
bestand Fieber und wie ist die Schmerzqualität/-charakter.

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34.4 · Differenzialdiagnosen
375 34
Zudem sollte in der Anamnese gezielt nach evtl. vorliegen- schwerer Weichteilinfektionen, wie dem Gasbrand und der
den Nebenerkrankungen (Diabetes, Drogenabusus etc.) gasbildenden Myonekrose, von therapeutischer und prog-
gefragt werden. nostischer Relevanz (Tilkorn 2012). Der mit Clostridien
Im Rahmen der folgenden Laboruntersuchungen soll- assoziierte Gasbrand ist eine schnell fortschreitende le-
ten die Entzündungsparameter, Gerinnungsfaktoren, Kre- bensbedrohliche Infektion. Ein exo- als auch ein endoge-
atinkinase (Muskelschaden), Elektrolyte, Procalcitonin ner Infektionsweg können voneinander unterschieden
und Laktat bestimmt werden. werden. Clostridien sind ubiquitär vorkommende Keime.
Im Gegensatz zur NF tritt der Gasbrand meist als Folge von
> Mithilfe der Laborparameter kann dann der prog-
ausgedehnten Weichteilverletzungen, ischämischen Wun-
nostisch wichtige LRINEC(»laboratory risk indicator
den und nach gefäßchirurgischen Interventionen auf.
for necrotizing fasciitis«)-Score erfasst werden.
Schussverletzungen und intramuskuläre Injektionen sind
Dieses Scoring-System wurde als weiteres diagnos-
weitere mögliche Ursachen der Entzündung.
tisches Mittel zur Differenzierung der NF zu anderen
Weichteilinfektionen entwickelt. > Die NF ist in der überwiegenden Anzahl der Fälle
auf initiale Bagatellverletzungen zurückzuführen.
Erfassung und Interpretation des LRINEC-Score werden
Die rapide Entstehung der Infektion ist meist durch
in . Tab. 34.2 beschrieben. Bereits diverse Studien konnten
ein frühzeitiges Einsetzen von Allgemeinsympto-
die Validität im Hinblick auf die Einstufung des infektiösen
men gekennzeichnet. Klinisch präsentiert sich die
Weichteilprozesses belegen (Kulkarni 2014; Su 2008;
Infektion durch eine schmerzhafte Schwellung mit
Wong 2004). Liegt der LRINEC-Score bei ≥6 spricht dies
violetter Verfärbung der Wunde, die sich rasch von
für das Vorliegen einer NF (. Tab. 34.2).
distal nach proximal ausdehnt.
Als weiterführende Untersuchungsmethode kann eine
ergänzende Ultraschalluntersuchung und ggf. eine kon- Ein gehäuftes Auftreten der Erkrankung ist ihm Rahmen
ventionelle Röntgenaufnahme durchgeführt werden. Ein von Naturkatastrophen und im Krieg zu verzeichnen. In
perifaszialer Flüssigkeitssaum sowie eine aufgetriebene, der industrialisierten Welt ist die Inzidenz der Erkrankung
verdickte Muskelfaszie im sonographischen Bild erhärten sehr niedrig.
den klinischen Verdacht auf eine NF. Ein Flüssigkeitssaum Die nicht mit Clostridien assoziierte, gasbildende
in den Weichteilen kann auch im Nativröntgen sichtbar Myonekrose ist häufig endogenen Ursprungs und mit
sein. Hierbei erkennbare Flüssigkeitsverhalte sollten punk- einer hohen Koinzidenz an intraabdominellen oder retro-
tiert und zur weiteren Untersuchung eingesandt werden peritonealen pathologischen Prozessen, wie z. B. perfo-
(Gram-Präparat). Am Ende der diagnostischen Kette steht rierten Sigmadivertikulitiden, Rektumkarzinomen oder
die kernspintomographische Untersuchung. Diese Unter- Anastomoseninsuffizienzen mit subsequenter Abszess-
suchungsmethode weist eine hohe Sensitivität auf, ist je- formation assoziiert. Die Myonekrose kann sich dann via
doch wenig spezifisch. Foramen ischiaticum, Foramen obturatorium oder Leisten-
Neben der Anamnese und dem klinischen Bild können kanal in den Oberschenkel weiter fortsetzen. Die Myonek-
die oben erwähnten diagnostischen Hilfsmittel bei der oft- rose ist in diesen Fällen besser umschrieben und respek-
mals nicht ganz leichten Differenzierung zwischen Erysi- tiert besser die Gewebeschichten. Im Gegensatz zur NF
pel, Phlegmone und NF hilfreich sein (. Abb. 34.4). tritt die gasbildende Myonekrose häufig stammbetont auf
und dehnt sich nach zentrifugal aus. Die Klinik ist jedoch
> Es muss jedoch festgehalten werden, dass die
ähnlich der bei der NF durch eine überproportionale
Diagnose der NF letztendlich klinisch gestellt wird;
Schmerzsymptomatik charakterisiert. Da es sich bei der
die zwingend notwendige operative Intervention
gasbildenden Myonekrose jedoch um einen subfaszialen
darf nicht durch eine ausgedehnte Diagnostik ver-
Prozess handelt ist das initiale Erythem meist geringer aus-
zögert werden.
geprägt als bei der NF. Auch die gasbildende Myonekrose
ist mit einer hohen Mortalitätsrate assoziiert. Um die Infek-
tion beherrschen zu können muss die Quelle der Infektion
34.4 Differenzialdiagnosen frühzeitig identifiziert werden. Aufgrund der initialen Ver-
wechselung mit einer NF wird jedoch der intraabdominelle
Das Erysipel, die Phlegmone und die Thrombose stellen Infektfokus leicht übersehen. Daher sollte bei stammbeton-
wichtige Differenzialdiagnosen der NF dar. Auf ihre klini- ten schweren Weichteilinfektionen immer auch an die
schen Besonderheiten und diagnostische Abgrenzung ge- Möglichkeit eines intraabdominellen Infektionsherdes ge-
genüber der NF wurde bereits im vorangehenden Text dacht werden. Wichtige Hinweise diesbezüglich kann hier
eingegangen. Neben diesen Erkrankungen ist eine diffe- bereits die sorgfältige Anamneseerhebung liefern. Frühzeit-
renzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber weiterer ge diagnostische Maßnahmen zum Ausschuss eines intra-

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376 Kapitel 34 · Nekrotisierende Fasziitis

a b

34

c d

. Abb. 34.4a–e Nekrotisierende Fasziitis. a Klinisches Bild im


Bereich der unteren Extremität. b, c Klinisches Bild im Bereich des
Oberarms nach Bagatellverletzung. d, e Klinisches Bild einer
nekrotisierenden Fasziitis im Bereich des Oberarms nach Stich-
e
verletzung.

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34.5 · Therapie
377 34

a b

c d

. Abb. 34.5a–d Radikales Débridement. a–c Intraoperativer Befund nach Durchführung eines radikalen Débridements im Rahmen der Erst-
operation am Oberschenkel. d Intraoperativer Befund zum Zeitpunkt des radikalen Débridements an Hand und Unterarm

abdominellen oder retroperitonealen Prozesses sind in die- schendurchzug müssen ganz klar als insuffizientes thera-
sen Fällen indiziert, um ein Übersehen und damit eine Ver- peutisches Vorgehen bezeichnet werden (. Abb. 34.6).
zögerung der Eradikation des Infektfokus zu vermeiden. Durch derartige Therapieversuche kann das infektiöse
Geschehen in der Regel nicht saniert werden und ver-

34.5 Therapie

> Patienten bei denen die Diagnose einer NF gestellt


wurde, sollten unverzüglich der chirurgischen The-
rapie zugeführt werden (Waldron 2014). Im Rahmen
der Erstoperation muss zwingend ein radikales
chirurgisches Débridement durchgeführt werden
(. Abb. 34.5).
Zu beachten ist hierbei, dass der gesamte entzündlich ver-
änderte Haut-Weichteilmantel einschließlich der Muskel-
faszie reseziert wird. Um das Fortschreiten der Fasziitis
zu verhindern ist es unabdingbar das Débridement bis in
klinisch unauffällige Hautregionen auszuweiten, d. h. bis
über den Rand der Entzündung hinaus. Eine alleinige an-
tibiotische Abdeckung oder aber chirurgische Therapie . Abb. 34.6 Darstellung eines insuffizienten Versuchs der Infekt-
wie lokale Inzisionen der Haut in Verbindung mit Spülun- sanierung mittels Inzision-Gegeninzision und Laschendurchzug
gen oder aber Inzisionen mit Gegeninzisionen und La- einer nekrotisierenden Fasziitis der Schulterregion

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378 Kapitel 34 · Nekrotisierende Fasziitis

schlechtert die Überlebensprognose dieser Erkrankung


drastisch. Im Zuge der operativen Intervention sollten
mehrere Abstriche bzw. Gewebeproben zur Keimdifferen-
zierung gewonnen werden. Zudem ist eine histologische
Sicherung der Diagnose empfehlenswert. Auch ohne be-
reits erfolgte Keimdifferenzierung muss im Rahmen des
radikalen Erstdébridements, also bereits intraoperativ,
a eine adäquate antibiotische Therapie eingeleitet werden.
Bei Vorliegen einer bakteriellen Mischinfektion muss ini-
tial mit einer hochpotenten Kombinationsantibiose (z. B.
Cefalosporin, Imipinem und Vancomycin) eingestiegen
werden. Bei einem Streptokokkennachweis sollte eine an-
tibiotische Therapie mit Penicillin G (30 Mio i.U./d) in
Kombination mit Clindamycin 600 mg (3× per die) erfol-
gen (Langer 2011).
Sollte im weiteren Verlauf die Keimdifferenzierung ge-
lingen, muss dann die antibiotische Therapie dem Resisto-
gramm entsprechend angepasst werden.
Um einen weiteren Progress des Infektgeschehens
sicher auszuschließen sollte spätestens 48 h nach dem Erst-
débridement eine geplante Second-look-Operation vorge-
b nommen werden. Im Rahmen dieser Operation kann dann
ein ggf. notwendiges Nachdébridement erfolgen. Nach
. Abb. 34.7a, b Nekrotisierende Fasziitis. a Intraoperativer Befund
erfolgter Infektsanierung muss sich dann zeitnah der De-
nach Deckung mittels Spalthauttransplantaten am Oberschenkel.
fektverschluss anschließen. Hierzu werden in der Regel die
34 b Frühes postoperatives Bild nach Spalthauttransplantation am
weitreichenden Weichteildefekte mittels Spalthauttrans-
Oberarm/Unterarm und Ruhigstellung auf einem gelenkübergrei-
fenden Fixateur externe plantaten gedeckt (. Abb. 34.7). Um die Pflege der Trans-

a b c

. Abb. 34.8a–c Abgeheilter Befund einer nekrotisierenden Fasziitis an der oberen Extremität sowie an der Flanke und dem Oberschenkel.
Gut zu erkennen ist das fehlende subkutane Fettgewebe sowie insbesondere die sich entwickelnde Beugekontraktur im Bereich des Ellenbo-
gens (a). c Abgeheilte Wundverhältnisse nach ausgedehnter Spalthauttransplantation der linken Flanke und des Oberschenkels

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Literatur
379 34

. Abb. 34.9 Ausgeprägtes Lymphödem der Hand als Folge einer . Abb. 34.10 Zustand nach Spalthauttransplantation und sekun-
zirkulären Spalthauttransplantation am Unterarm nach nekrotisie- därer Transposition einer myokutanen Latissimus-dorsi-Lappen-
render Fasziitis plastik zur Verbesserung der Mobilität des Ellenbogengelenks nach
nekrotisierender Fasziitis

plantate zu erleichtern und um eine Druckschädigung der konsequente krankengymnastische Übungsbehandlung


frischen und vulnerablen Meshgrafts zu vermeiden ist es und macht häufig mehrfache rekonstruktive Eingriffe zur
unter Umständen empfehlenswert zur Lagerung (Hoch- Narbenkorrektur, Funktionswiederherstellung (Arthroly-
hängen) einen Fixateur im Bereich der entsprechenden se) und Weichteildeckung bis hin zur freien Lappenplastik
Extremität anzulegen. Ohnehin stellt die Pflege der oft aus- notwendig (. Abb. 34.9, . Abb. 34.10).
gedehnten Wundflächen sowie deren Verbandswechsel
eine große Herausforderung an das Personal sowie die
Krankenhausinfrastruktur dar, welche oftmals nur in spe-
Literatur
zialisierten Kliniken (wie z. B. Verbrennungszentren) ge-
währleistet werden kann. Citak M, Fehmer T, Backhaus M et al (2012) Does spinal cord injury
influence the mortality rate in patients with necrotizing fasciitis?
Spinal Cord. 50:338–340
34.6 Prognose Jones J (1871). Investigations upon the nature, causes and treatment
of hospital gangrene as it prevailed in the confederate armies
1861–1865. In: Hamilton FE (Hrsg): United States Sanitary Com-
In der Literatur wird die Mortalität einer NF mit Werten mission, Memoirs: Surgical II. New York: Riverside Press 146–170
von sechs bis 75 % angegeben (Citak 2011). Wird das Kujath P, Eckmann C (1998) Die nekrotisierende Fasziitis und schwere
Krankheitsbild der NF jedoch überlebt, so resultiert dies in Weichteilinfektionen durch Gruppe-A-Streptokokken. Deutsches
einer teils schweren Einschränkung der Durchblutung, Ärzteblatt 27:347–352
Sensibilität und vor allem der Beweglichkeit betroffener Kulkarni M, Vijay Kumar G,et al. (2014) Necrotizing Soft-Tissue Infec-
tion: Laboratory Risk Indicator for Necrotizing Soft Tissue Infec-
Extremitäten bzw. Hautareale. Durch den Verlust der Haut tions Score. J Lab Physicians 6(1):46–49
mit subkutanem Fettgewebe ist die ausgeheilte NF daher Langer S, Goertz O, Steinsträßer L et al (2011) Antimikrobielle Initial-
sehr stark mit einer Verbrennungsverletzung zu verglei- therapie von Infektionen mit Relevanz für die Plastische Chirurgie.
chen (. Abb. 34.8). Die Nachbehandlung erfordert die Plastische Chirurgie 2:95–98

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380 Kapitel 34 · Nekrotisierende Fasziitis

McHenry CR, Piotrowski JJ, Petrinic D et al (1995) Determinants of


mortality for necrotizing soft-tissue infections. Ann Surg 221:
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Payr E, Küttner H (1911) Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie.
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Schnall SB (2004) Necrotizing fasciitis: clinical presentation, micro-
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Su YC, Chen HW, Hong YC et al (2008) Laboratory risk indicator for
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Tilkorn DJ, Citak M, Fehmer T et al (2012) Characteristics and differ-
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Waldron C, Solon JG, O’Gorman J, Humphreys H, Burke JP, McNamara
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Med 32(7):1535–1541

34

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381 35

Gasbrand
Stefan Bohr, Norbert Pallua

35.1 Einleitung und Historie – 382

35.2 Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild – 382

35.3 Diagnostik – 383

35.4 Differenzialdiagnostik – 385

35.5 Therapie – 385

35.6 Prognose und Fazit – 386

Literatur – 387

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_35, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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382 Kapitel 35 · Gasbrand

35.1 Einleitung und Historie > Eine frühzeitige Escharotomie avitalen, ischämi-
schen Gewebes nach höhergradiger Verbrennungs-
Als Gasbrand (Synonym: Gasgangrän, Gasödem, Gas- verletzung erscheint insgesamt ausreichend effektiv
phlegmone, Clostridiummyositis und -zellulitis, clostri- in der Beseitigung eines möglichen anaeroben,
diale Myonekrose, malignes Ödem, »gas gangrene«) wird Clostridien-assoziierten Infektfokus zu sein.
eine fulminant verlaufende bakterielle Infektion des
Weichteilgewebes verursacht durch Clostridium spezies be-
zeichnet. Eine durch Toxine bedingte rasch progrediente 35.2 Pathophysiologie und klinisches
Epidermolyse mit großflächiger Blasenbildung sowie eine Erscheinungsbild
Bildung von pathognomischen Lufteinschlüssen in typi-
scher Weise zwischen Muskel- und Faszienlogen mit kli- Der mit Abstand häufigste nachgewiesene Erreger des
nisch tastbarer Weichteilcrepitation gaben der Erkrankung Gasbrands ist Clostridium perfringens (synonym: Clostridi-
ihren Namen (Stevens 2012). Bereits in der Antike durch um welchii), ein gram positives, obligat anaerobes, Sporen
Homer (8. Jh. v. Chr.) beschrieben wurden mit »Verwe- bildendes Bakterium ohne motilitätssteigernde Geißeln
sungsmaterial« vergiftete Pfeile eingesetzt, um schwere oder Zilien. Weitere mögliche Verursacher von Gasbrand
Wundinfektionen mit resultierendem Gasbrand oder Teta- der Gattung sind: Clostridium septicum, histolyticum, novii,
nus zu provozieren. In der Methodik nach Heraklit (550– fallax, bifermentans, sordellii; jedoch nicht difficile, botuli-
480 v. Chr.) erfolgte hier ein frühzeitiges »Ausschneiden num, tetani.
von Pfeilwunden« mit der Anlage von Branntwein und Die Pathogenität einzelner Serotypen beruht überwie-
Essigverbänden. Durch Paracelsus (1493–1541) berichtet gend auf der Synthese multipler Exotoxine (α, β, γ etc.) mit
war der Gasbrand in mittelalterlichen Hospitälern und auf enzymatischer Aktivität: Kollagenase, Proteinase, Nuklea-
dem Schlachtfeld eine häufige Ursache von Wundinfektion sen oder Phospholipase/Lecithinase. Die Phospholipase C
mit Todesfolge. Eine erstmalige detaillierte Beschreibung gilt als der wichtigste Pathogenitätsfaktor, da sie direkt eine
vom Krankheitsbild Gasbrand mit klinischem Verlauf er- Instabilität von Zellmembranen verursacht. Ein optimales
folgte insbesondere durch Pirogoff (1847) währende des Wachstum erfolgt unter anaeroben Bedingungen und
Krimkrieges. Welch und Flexner beschrieben erstmalig im Temperaturen zwischen 43–47°C. Die Sporen weisen eine
Jahr 1892 sich schnell vermehrende gasbildende Stäbchen Hitzeresistenz von ca. 60–100°C und eine hohe Trocken-
35 in Blutgefäßen von Gasbrandopfern. Durch Veillon und resistenz auf.
Zuber folgte im Jahr 1898 eine detaillierte Beschreibung Es besteht ein wissenschaftlicher Konsens wonach eine
des Clostridium-perfringens-Erregers. An sekundärem klinisch relevante Infektion, ob extrinsisch (traumatisch)
Wundgasbrand starben im Verlauf des I. Weltkrieges nach oder intrinsisch (atraumatisch), nur unter streng anaero-
Schätzungen >100000 Soldaten. In Deutschland traten ben Bedingungen, also bei ausgeprägter Gewebshypoxä-
während und nach dem II. Weltkrieg überwiegend nekro- mie bzw. -ischämie entstehen kann. In Fallstudien der Evi-
tisierende Enteritiden durch Gasbranderreger auf. Mit der denzklasse IV identifizierte Risikofaktoren führen über-
Etablierung der Prinzipien der Asepsis und einer Antibio- greifend zu einer relevanten Gewebsischämie und begüns-
tikaprophylaxe ist das Krankheitsbild des Gasbrands selten tigen somit anaerobe Infektionen.
geworden; jedoch weiterhin mit hoher Letalität behaftet.
Ein epidemiologisch für die Humanmedizin relevantes
Risikofaktoren für Gasbrand
natürliches, ubiquitäres Reservoir von Clostridiumspezies
5 Diabetes mellitus
in anaerobem Milieu stellen landwirtschaftliche Tierhal-
5 Arteriosklerose
tungs- und Düngungsverfahren dar. Hohe Konzentratio-
5 Alkoholismus
nen von Clostridium perfringens werden in Kot von Tieren
5 Tabakkonsum
mit hohem Fleisch(Protein)anteil in den Fütterungsmit-
5 thrombotische Zustände
teln sowie in Guano gefunden.
5 Tumorzerfallssyndrome
Klinisch bedeutsam ist ein Vorkommen von Clostridi-
5 Niereninsuffizienz
um septicum und bifermentans (beide begeißelt) und Clos-
5 intravenöser Drogenabusus mit/ohne vorbeste-
tridium perfringens (umstritten) als Teil der physiologi-
henden chronischen Wundverhältnissen
schen Darmflora. Hier besteht ein vermuteter Zusammen-
hang zu einem frühzeitigen letalen Verlauf von unbehan-
delten ischämischen Darmnekrosen. Eine spezifische Organmanifestation tritt in Abhängigkeit
Metaanalysen oder relevante klinische Studien mit Evi- von der Eintrittspforte i. d. R. pulmonal, enteral oder v. a.
denzlevel <III zu Gasbrand im Zusammenhang mit Ver- in Wundgebieten auf. Hier beeinflusst die Infektionsdosis
brennungsverletzungen liegen aktuell nicht vor. und der Aktivierungsgrad der Sporen den Krankheitsver-

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35.3 · Diagnostik
383 35
lauf. Für Wundinfektionen besteht in typischer Weise eine nungsverletzung. Die Amputation einzelner Extremitäten
Inkubationszeit von etwa 2 Tagen. Sich plötzlich ausbrei- scheint wiederum die wirksamste einzelne Maßnahme zur
tende Weichteilnekrosen bei länger vorbestehender ischä- Senkung der Letalitätsrate.
mischer Gangrän, etwa von Zehen, entspricht ebenfalls Eine retrospektive Studie von 420 relevanten Verbren-
einem typischen Verlauf. Entsprechend einzelner Fach- nungsverletzungen von Soldaten mit etwa 2-%iger Letali-
disziplinen sind verschiedene Gasbrandmanifestationen tät konnte keine Gasbranderreger nachweisen (Drey-
definiert. fuss 2000). Am Verbrennungszentrum der Autoren waren
zwischen 2003–2014 ebenfalls keine gasbrandassoziierte
Amputationsindikation oder Letalität bei Verbrennungs-
Gasbrandmanifestationen
verletzungen festzustellen. Im selben Zeitraum erfolgte bei
5 Clostridien-Fasziitis/-Myositis (Stevens 2000):
90 Patienten, die keine Verbrennungsverletzung aufwie-
Häufigste Form des Gasbrandes von fulminant
sen, die Diagnosestellung Gasbranderreger; hiervon >59 %
verlaufendem, nekrotisierendem Weichteilinfekt
mit einer enteritischen Manifestation, >24 % mit einer ne-
unter frühzeitigem Einschluss der Muskulatur
krotisierenden Weichteilinfektion der Extremitäten. Eine
5 Gasbrandzellulitis: Hier steht ein kutaner Infekt-
Gesamtletalität betrug >14 %; die Letalität bei Gasbrand
fokus im Vordergrund, oft sekundär auf dem
der Extremitäten >54 %; bei >87 % der betroffenen Patien-
Boden chronischer Wundverhältnisse und Weich-
ten bestand die Begleitdiagnose Diabetes mellitus; bei
teilischämie im Bereich der unteren Extremität
>69 % Arteriosklerose.
5 nekrotisierende Pneumonie: oftmals weniger akut
verlaufend, wenn lokalisiert ausgehend von ischä-
mischen, superinfizierten Lungenarealen etwa
35.3 Diagnostik
durch Tumorzerfall. Hoch fulminant verlaufend bei
der Inhalation von Sporen (Landwirtschaft, Kriegs-
Im Vordergrund steht der klinische Befund im Ursachen-
führung)
kontext (Tilkorn 2012). Klinisch treten hier regelhaft
5 Enteritis: abhängig vom Serotyp werden ein
hochdynamische Veränderungen lokaler Wund- und
nekrotisierender (Serotyp C; Letalität >40 %) von
Weichteilverhältnisse auf (. Abb. 35.1):
einem nichtnekrotisierendem Verlauf (Serotyp A;
I. flächiger Weichteilverfärbung (blass, bläulich-violett,
Letalität <5 %, Exotoxin γ) unterschieden; eine
bronzefarben, schwarz)
primäre Gasbrand-Cholezystitis ist beschrieben,
II. frühzeitig Verlust des Kapillarpulses
die chirurgische Indikationsstellung entspricht dem
III. großblasige Epidermolyse
Krankheitsbild »akutes Abdomen«
IV. Hautemphysem (Crepitatio) durch Gasbildung
5 Meningitis/Enzephalitis: kann als Komplikation
gefolgt von
nach offenem Hirntrauma oder durch septische
V. rasch fortschreitenden Nekrosen und
Streuung auftreten
VI. Sepsis
5 Sepsis: fulminant; die chirurgische Intervention
entscheidet maßgeblich den Verlauf
Der klinische Befund erzwingt oftmals ein empirisches
therapeutisches Vorgehen ohne spezifischen Erregernach-
In der Literatur wird das Fournier-Gangrän der Genital- weis. Systemisch weisen Patienten oft auch vor einem ein-
region als Mischinfektion klassifiziert. drücklichen Lokalbefund alle typischen Anzeichen eines
septischen Schocks auf.
> Gasbrand als Komplikation nach Verbrennungs-
Eine hyperäme Rötung ist untypisch im Gegensatz zu
verletzung ist bisher nicht als eigenständige Mani-
Mischinfektionen mit Streptokokkenspezies. Blasenbil-
festationsform definiert.
dung tritt eher im späteren Verlauf auf. Ist primär eine Ex-
Eine Literaturrecherche und Analyse von Gasbrandeinzel- tremität betroffen, ist der Patient in der Regel bereits inten-
fällen nach Verbrennungsverletzungen lässt eine klinisch siv-pflichtig, wenn der Weichteilbefund bis an den Stamm
apparente Infektion nach 11,4±7,46 (SD)Tagen erwarten heranreicht. Sind operative oder nichtoperative Wunden
(Davies 1979). Trotz eines verzögerten Auftretens wird vorbestehend und als Eintrittspforte vermutet, ist oftmals
hier nicht von einer nosokomialen Infektionsquelle ausge- eine übel-süßlich, bräunlich-seröse Sekretbildung ohne
gangen. Lokal verbleibende ischämische Muskelnekrosen Pus festzustellen. Bei Kanülenstichelung des Hautmantels
nach bereits erfolgter Escharotomie scheint hier ein we- ist in der Regel eine kapilläre Blutung abwesend.
sentlicher begünstigender Faktor zu sein. Hierfür spricht Gasbrand ist überdies frühzeitig durch eine Entzün-
auch ein i. d. R. sehr lokalisiertes Auftreten von Gasbrand dung des Muskelgewebes inklusive tieferer Gefäß-Nerven-
an einzelnen Extremitäten trotz generalisierter Verbren- bahnen gekennzeichnet. Sind Patienten bei Bewusstsein,

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384 Kapitel 35 · Gasbrand

a
c

35

b d

. Abb. 35.1a–d Klinische Befunde der nekrotisierenden Clostridienfasziits/-myositis. a Primär toxinbedingte Gewebeschädigung der
Thoraxwand mit dem Infektherd eines infizierten Hämatoms 3 Tage nach Patchplastik der A. carotis interna links; Risikofaktor: Diabetes melli-
tus. b Befund einer sich rasant ausbreitenden bläulich-lividen Weichteilmantelveränderung 2 Tage nach Anus-praeter-Anlage (blauer Pfeil).
Computertomografisch Lufteinschlüsse ohne Abszedierung (roter Pfeil) in der rechten Oberschenkelloge. Intraoperativer Befund mit be-
tonter Nekrose der Bauchwandmuskulatur (weißer Pfeil). c Pathognomische Bildung von hämorrhagischen „Gasbrandblasen“ (weißer Pfeil)
zusammen mit lytischen Gewebeveränderung des Unterhautfettgewebes (gelber Pfeil) mit letalem Verlauf nach Liposuktionseingriff. d Mani-
festation einer Darmfistelung induziert durch ein invasives Rektumkarzinom mit „Gasgangrän“ der perinealen und skrotalen Region vor
und nach Débridement

kann sich dies durch klassische akute Ischämiezeichen genommen mit faulig-übelriechendem Wundsekret rich-
sowie einer »sehr schmerzhaften Taubheit und Lähmung« tungsweisend für eine anaerobe Infektion sein.
äußern. In der laborchemischen Diagnostik sind bisher keine
Bei schweren Verbrennungsverletzungen, welche typi- pathognomischen Parameter mit ausreichender Sensitivi-
scher Weise großflächig nässende Wundverhältnisse mit tät und Spezifität für die Diagnose Gasbrand definiert wor-
opportunistische Wundbesiedelung aufweisen, kann eine den. Dennoch können bei unklarem klinischem Verdacht
klinische Beurteilung erschwert sein. Aufgrund einer in- ausgewählte Laborparameter argumentierend hinzugezo-
tensivmedizinischen Betreuung sollte jedoch eine plötzli- gen werden.
che Verschlechterung des Allgemeinzustandes zusammen-

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35.5 · Therapie
385 35
gewebe nachgewiesen wurde. Eine Bildgebung sollte somit
Laborparameter zur Gasbranddiagnostik operative Maßnahmen nicht wesentlich verzögern.
5 CRP (»C-reactive protein«): >150 mg/l als Ausdruck
einer relevanten Weichteilinfektion
5 Blutbild: Leukozytose, Bandemia (massenhaft 35.4 Differenzialdiagnostik
unreife Leukozyten), hämolytische Anämie,
Thrombozytopenie Wesentlich häufiger muss bei fulminat verlaufenden
5 Elektrolytentgleisung: Hyperkaliämie, Hypo- Weichteilinfektionen die Diagnose einer nekrotisierenden
caliämie, Hyponatriämie, metabolische Azidose Fasziitis in typischer Weise verursacht durch fakultativ an-
(Anionenlücke); Laktat aerobe ß-hämolisierende Streptokokken, häufig jedoch
5 Leberfunktion: Hyperbilirubinämie; Transaminasen auch durch Mischinfektionen gestellt werden. Das klini-
(zusammen mit muskulären Isoformen) sche Bild eines Erysipels, ebenfalls verursacht durch ß-
5 muskelassoziiert: Transaminasen, Kreatinkinase hämolisierende Streptokokken kann bei ausgeprägter Zel-
(CK) Isoformen >2000 U/I; Myoglobin >500 U/I; lulitiskomponente ebenfalls als Gasbrand fehlgedeutet
LDH-Isoformen >5000 U/I werden.
Eine hohe Dunkelziffer von nichtletalen Lebensmittel-
vergiftungen durch etwa verdorbenes Fleisch oder konta-
Bei atypischem, subakutem Verlauf kann aus sechs Labor- miniertes Gemüse wird mit einem Verlauf von selbstlimi-
parametern (BB, CRP-, Hämoglobin-, Natrium-, Kreati- tierender Übelkeit, Erbrechen und Durchfall über etwa
nin- und Glukosekonzentration) der LRINEC(»laboratory 2–3 Tage wird Clostridium perfringens Typ A zugeschrie-
risk indicator for necrotizing fasciitis«)-Score ermittelt ben. Hier kommt es durch den Erreger bei Erreichen eines
werden, der hilfreich (± prädiktiv >90 %) für eine chirur- alkalischen Milieus im Dünndarm zu einer Sporenbildung
gische Indikationsstellung sein kann (Wong 2005). sowie Exotoxinsynthese.
Im Rahmen histopathologischer Untersuchungen liegt
neben der Diagnose Fasziitis pathognomisch auch eine
ausgeprägte muskuläre Beteiligung (Myositis) vor. Typisch 35.5 Therapie
für Clostridien-assoziierte Gewebeinfektionen ist v. a. eine
»begleitende« Abwesenheit leukozytärer Infiltrate im Ge- Durch die Einschwemmung von Exotoxinen und der ein-
gensatz zu nekrotisierenden Infektionen anderer/gemisch- hergehenden frühzeitigen massiven endothelialen Schädi-
ter Genese, etwa durch Streptokokkenspezies. gung besteht bei der Diagnosestellung Gasbrand in der
Eine mikrobiologische Untersuchung oberflächlicher Regel bereits die Notwendigkeit intensivmedizischer Maß-
Abstriche bei nekrotisierenden Gewebsveränderungen nahmen u. a. mit empirischer Antibiose. Eine Hämolyse
sind in der Regel nicht richtungsweisend. Positive Gram- bedingt einen gesteigerten Transfusionsbedarf.
Färbungen aus pathognomischen Blasen (»bullae«) oder Im Vordergrund jedes Therapieansatzes bei akut-nek-
tiefschichtigen Wundexsudaten zeigen hingegen oft »gro- rotisierender Infektion steht imperativ ein radikales chi-
ße, eckige« Stäbchen Bakterien ohne Begeißelung (im Ge- rurgisches Vorgehen mit Fasziotomie, Nekrektomie und
gensatz zu anderen Clostridienstämmen), mit oder ohne Wunddekontamination. Droht der klinische Befund auf
Sporenbildung auf. Gram-Färbungen können jedoch auch den Rumpf oder die Halsregion überzugreifen, sollte groß-
hier schwach und nicht richtungsweisend sein. zügig in »anscheinend gesunde« Kompartimente explo-
Der standardisierte Nachweis einzelner Serotypen er- riert werden um ein erneut erforderliches operatives Vor-
folgt über die anaerobe Kultivierung auf proteinreichem gehen im Stundenintervall zu vermeiden. Für eine zu-
Selektionsmedium und spezifischen Antiseren oder mit- nächst offene Wundbehandlung liegt keine standardisierte
tels enzymgekoppeltem Immunadsorptionstest (ELISA). Empfehlung hinsichtlich der Verwendung verschiedener
Letzte werden insbesondere bei vermuteter Clostridien- aseptischer Lösungen vor. Bei Verbrennungen der Bauch-
Enteritis durchgeführt. wand sollte immer an die Möglichkeit einer begleitenden
Eine Blutkultur sollte immer anaerob durchgeführt thermischen Schädigung von Darmabschnitten gedacht
werden, steht jedoch oft nicht als Befund für eine initiale werden. Gerade bei beatmeten (Verbrennungs-)Patienten
chirurgische Indikationsstellung zur Verfügung. sollte hier frühzeitig eine CT-Diagnostik angestrebt wer-
Die radiologische Diagnostik im Schnittbildverfahren den im Sinne eine Primärprophylaxe.
(CT oder MRT) steht oft am Ende der diagnostischen Ket- Eine standardisierte antibiotische Behandlung erfolgt
te obwohl hier bisher kein evidenzbasierter Zusammen- begleitend auch empirisch bei Verdacht auf Gasbrand.
hang etwa zwischen einer chirurgischen Indikationsstel- Hochdosiert gelten Penizilline, Metronidazol und Vanco-
lung und einer Darstellung von Gasbildung im Weichteil- mycin als effektiv (Bryant 2010). Ein peri- und postopera-

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386 Kapitel 35 · Gasbrand

. Abb. 35.2 Behandlungsalgorithmus bei nekrotisierender/m Weichteilinfektion/Gasbrand. Die Indikationsstellung zur chirurgischen Inter-
vention kann sich allein aus der klinischen Verlaufsbeurteilung begründen. Bei gesicherter Diagnose ist ein zeitnaher erneuter Second-look-
Eingriff als obligat anzusehen. Für ein chirurgisches Vorgehen mit primärer Amputation von Gliedmaßen gibt es keine evidenzgesicherte
Grundlage

35
tive Prophylaxe nach abdominellen Eingriffen sowie zur möglich noch vor einer chirurgischen Intervention. In der
Vermeidung von Stumpfinfektionen nach Unterschen- klinischen Realität erhält jedoch nur eine Minderheit von
kelamputation wurde noch in den 90er Jahren beruhend Gasbrandpatienten eine entsprechende Therapie. Recht-
auf Studien propagiert. Aktuell publizierte Therapiekon- fertigend für ein Vorenthalten einer HBO-Therapie wird
zepte für Schwerverbrannte, beruhend auf Metaanalysen, hier u. a. genannt:
sehen die Indikation einer prophylaktischen intravenösen 4 ausreichende chirurgische Intervention
antibiotischen Therapie außerhalb eines perioperativen 4 Instabilität nach intensivmedizinischen Kriterien
Managements in vielerlei Hinsicht kritisch (Avni 2010). 4 fehlende technische Voraussetzungen
Trotz unklarer Studienlage ist eine hyperbare Sauer- 4 Diagnosestellung im Nachhinein
stofftherapie (»hyperbare oxygenation«, HBO) hervorzu-
heben. Da Clostridium perfringens als obligat anaerob Studien, etwa zur Vermeidung von Folgeeingriffen, Ampu-
anzusehen ist, liegt die Effektivität einer HBO-Therapie tationen oder Verkürzung einer intensivmedizinischen
pathognomisch auf der Hand. Basierend auf einer tier- Akutphase, fehlen.
experimentellen Evidenz (Hirn 1992; Brummelkamp
1961) ist eine Senkung der Letalität erwiesen. Eine signi-
fikante klinische »Behandlungseffektivität« wurde für 35.6 Prognose und Fazit
Verbrennungsverletzungen mit >76 %; für Gasbrand
>57 %; für diabetische Gangrän >85 % angegeben (Lee Relevante klinische Fallzahlen mit der Diagnose Gasbrand
1989). Auch für andere Clostridien gilt die Bildung etwa auch in Zusammenhang mit Verbrennungsverletzungen
von α-Exotoxin ausschließlich unter anaeroben Bedin- datieren in die Zeit der letzten Weltkriege. Unter aktuellen
gungen als erwiesen. Demgegenüber konnten Versuche Behandlungsstandards, welche sich insbesondere durch
mit Exotoxin-Antiserum den klinischen Verlauf bei Gas- ein frühzeitiges chirurgisches Weichteildébridement aus-
brand nicht relevant beeinflussen (Schraibman 1968). In zeichnen, erscheint eine Gasbrandwundinfektion auch bei
der Literatur überwiegt die allgemeine Empfehlung zu Schwerverbrannten eine absolute Rarität in Ländern mit
einer frühzeitigen HBO-Therapie (Desola 1990), wenn modernem Gesundheitswesen. Am weitaus häufigsten tritt

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
387 35
eine Infektion mit Gasbranderregern im Sinne einer Ente-
ritis mit nur geringer Letatlitätsrate in Abhängigkeit von
Begleiterkrankungen auf. Im Gegensatz hierzu ist ein eher
seltener Weichteilgasbrand auch bei frühzeitiger chirurgi-
scher Indikationsstellung nach Fallstudien weiterhin mit
einer Letalitätsrate von >50 bis >90 % behaftet. Zusam-
menfassend fehlen in vielerlei hinsichtlich für Gasbrand-
weichteilinfekte mit/ohne Verbrennungsverletzung evi-
denzbasierte Therapieansätze. Dennoch rechtfertigt nach
Ansicht der Autoren allein der Verdacht die chirurgische
Indikationsstellung (. Abb. 35.2). Jegliche ischämische Zu-
stände, insbesondere unter Diabetes Mellitus erscheinen
hier als conditio sine qua non. Aus vielerlei Hinsicht emp-
fehlenswert erscheint eine prophylaktische HBO-Therapie
bei Schwerverbrannten (Cianci 2013) bei unklarer Stu-
dienlage.

Literatur

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antibiotics for burns patients: systematic review and meta-analy-
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marcus.lehnhardt@rub.de
389 36

Schwere blasenbildende
Hautreaktionen
Maja Mockenhaupt

36.1 Einleitung – 390

36.2 Klinisches Bild und Einordnung – 390


36.2.1 Konsensusdefinition von SJS und TEN – 391
36.2.2 Sicherung der Diagnose – 391

36.3 Differenzialdiagnosen – 392

36.4 Pathogenetische Erkenntnisse – 395

36.5 Therapeutisches Vorgehen – 395


36.5.1 Symptomatische Maßnahmen und Lokaltherapie – 395
36.5.2 Therapie der Schleimhautläsionen – 396
36.5.3 Immunmodulierende Therapie – 396

36.6 Verlauf, Prognose und Folgeschäden – 397


36.6.1 Krankheitsverlauf – 397
36.6.2 Prognose und Komplikationen – 397
36.6.3 Folgeschäden – 398

36.7 Praktische Empfehlungen – 400

Literatur – 400

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_36, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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390 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

36.1 Einleitung und gründliche Arzneimittelanamnese erhoben werden


(Mockenhaupt 2011).
Zu den schweren blasenbildenden Hautreaktionen, die ei-
ner Verbrennung zweiten Grades ähneln können, gehören
das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxisch epi- 36.2 Klinisches Bild und Einordnung
dermale Nekrolyse (TEN). Sie werden aufgrund des klini-
schen Bildes sowie der gemeinsamen Pathogenese und SJS und TEN sind gekennzeichnet durch fleckige und teil-
Ätiologie als eine Krankheitsentität unterschiedlichen weise konfluierende Erytheme mit Übergang in eine zum
Schweregrades angesehen (Auquier-Dunant 2002). Teil ausgedehnte Blasenbildung. Daneben finden sich erosi-
Mit einer Inzidenz zwischen ein bis zwei Fällen pro eine ve Schleimhautveränderungen vor allem im Bereich der
Million Personen pro Jahr sind sie insgesamt sehr selten, Konjunktiven, z. B. in Form von Lidrand- und Cornea-Ero-
gehen aber mit einem hohen Sterberisiko einher (Mocken- sionen (. Abb. 36.1a), des Mundes, der Lippen sowie der
haupt 1998). Dieses steigt mit dem Ausmaß der Blasenbil- Nase (. Abb. 36.1b), der Glans penis (. Abb. 36.1c) sowie
dung, dem Alter der Patienten und den vorliegenden der Vulva- und Vaginalschleimhaut (. Abb. 36.1d). Zudem
Grunderkrankungen (Sekula 2013). Erst nach einer klaren können Anal- oder Bronchialschleimhaut betroffen sein.
Diagnosestellung können spezifische therapeutische Maß- Die Reaktionen werden von Fieber und oft ausgeprägtem
nahmen erfolgen, wobei der supportiven Behandlung die Krankheitsgefühl begleitet.
wichtigste Rolle zukommt. Die häufigste Ursache von SJS/ Die klinische Einteilung sowie die Nomenklatur der
TEN sind Arzneimittel, seltener Infekte oder bislang un- schweren Hautreaktionen waren über Jahrzehnte sehr un-
klare Faktoren. Um das auslösende Arzneimittel identifizie- einheitlich. So wurden das Stevens-Johnson-Syndrom, von
ren und absetzen zu können, muss eine sehr detaillierte den gleichnamigen amerikanischen Kinderärzten 1922 erst-

36

a b

c d

. Abb. 36.1a–d Schleimhautbeteiligung bei SJS/TEN. a Augen. b Erosionen von Lippen, Mund- und Nasenschleimhaut. c Erosionen der
Glans penis. d Erosionen der Vulva und Vaginalschleimhaut

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36.2 · Klinisches Bild und Einordnung
391 36

. Abb. 36.2 Typische Kokarden beim EEMM

mals beschrieben, und die toxisch epidermale Nekrolyse,


vom schottischen Dermatologen A. Lyell im Jahr 1956 pub-
liziert und später häufig als Lyell-Syndrom bezeichnet, tra-
ditionell in das Spektrum des Erythema exsudativum mul-
tiforme (EEM) eingeordnet. Gründe hierfür liegen darin,
dass kokardenförmige Hautveränderungen bestehen und
sich große Ähnlichkeiten in der Histologie der verschiede-
nen Reaktionsformen finden. Die Beschreibung des EEM,
welches bei Vorliegen von Schleimhautbeteiligung als Ery-
thema exsudativum multiforme majus (EEMM) bezeichnet
wird, geht auf Ferdinand von Hebra (Hebra 1866) zurück,
auf den die späteren Autoren keinen Bezug nehmen (Mo-
ckenhaupt 2009). Basierend auf den o. g. Originalarbeiten . Abb. 36.3 Konfluierende Maculae mit Blasenbildung bei SJS
wurde von einer internationalen Dermatologengruppe eine
Konsensusdefinition erarbeitet und publiziert, die sich bei
der Durchführung von Studien wie auch im klinischen All- (. Abb. 36.4), wogegen sich bei der sehr seltenen Form der
tag bewährt hat (Bastuji-Garin 1993). TEN auf großflächigen Erythemen (ohne Vorkommen von
Flecken) der erosive Anteil auf wenig über 10 % der KOF
beschränkt (. Tab. 36.1; Bastuji-Garin 1993). SJS, SJS/TEN-
36.2.1 Konsensusdefinition von SJS und TEN Übergangsform und TEN werden als eine Krankheitsentität
von verschieden schwerer Ausprägung angesehen, wobei
Während das EEMM sich durch sogenannte typische Ko- sich hämorrhagisch-erosive Veränderungen der Schleim-
karden (Schießscheibenläsionen mit drei konzentrischen häute bei fast allen Fällen finden (Auquier-Dunant 2002).
Ringen) auszeichnet (. Abb. 36.2), ist das SJS durch eine
stammbetonte bzw. generalisierte Verteilung von eher aty-
pischen Kokarden und Maculae charakterisiert, die konflu- 36.2.2 Sicherung der Diagnose
ieren und auf denen Blasen entstehen (. Abb. 36.3). Die
Hautablösung beschränkt sich dabei auf weniger als 10 % Die Verdachtsdiagnose einer arzneimittelinduzierten
der Körperoberfläche (KOF). Aufgrund fließender Über- schweren Hautreaktion wird zunächst klinisch gestellt, da
gänge zwischen SJS und TEN, wurde die SJS/TEN-Über- keine spezifischen Laborparameter zur Verfügung stehen.
gangsform definiert mit Blasen und Erosionen zwischen 10 Zu Beginn der Erkrankung ist die Einschätzung des Exan-
und 30 % der KOF. Der größte Prozentsatz an Hautablösung thems bei SJS/TEN oftmals schwer, vor allem wenn noch
mit mehr als 30 % liegt bei der TEN mit Maculae vor keine Schleimhautbeteiligung vorliegt. Selbst wenn bereits

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392 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

. Tab. 36.1 Konsensusdefinition der schweren blasenbildenden Hautreaktionen. (Nach Bastuji-Garin 1993)

Einteilung EEMM SJS SJS/TEN-Über- TEN mit Maculae TEN auf großflächigen
gangsform (Flecke) Erythemen (ohne
Flecke)

Hautablösung ( %) <10 <10 10–30 >30 >10

typische Kokarden ja – – – –

atypische Kokarden erhaben flach flach flach –

Maculae (Flecke) – ja ja ja –

Verteilung extremitäten- stammbetont/ stammbetont/ stammbetont/ stammbetont/


betont generalisiert generalisiert generalisiert generalisiert

EEMM Erythema exsudativum multiforme majus; SJS Stevens-Johnson-Syndrom; TEN toxisch epidermale Nekrolyse

Blasen und Erosionen der Haut vorhanden sind, lässt sich den sich dagegen kuboidale Zellen mit großer Kern-Zyto-
kaum abschätzen, ob das Maximum der Reaktion bereits plasma-Relation (Mockenhaupt 2009). Verlässlicher für
erreicht ist, oder ob das Geschehen progredient ist. Ein die rasche Differenzierung zwischen SSSS und TEN ist si-
wichtiges klinisches Zeichen für die Progression ist das so- cherlich die Schnellschnittdiagnostik eines Kryostatpräpa-
genannte Nikolski-Phänomen. Hierbei unterscheidet man rats. Beim SSSS zeigt das entnommene Blasendach eine
das direkte Nikolski-Phänomen, bei dem sich die Epider- subkorneale Spaltbildung, bei der TEN findet sich eine
mis durch tangentialen Fingerdruck in Folge der epider- tiefer liegende Spaltbildung im Stratum spinosum. Den-
malen Kohärenzschädigung »abschieben« lässt, vom indi- noch sollte bei allen Fällen von schweren Hautreaktionen
rekten Nikolski-Phänomen, bei dem sich eine bereits be- eine Probebiopsie zur konventionellen histologischen Auf-
stehende Blase »weiterschieben« lässt (Mockenhaupt 2009). arbeitung aus dem erythematösen Randbereich der blasi-
Zudem wurde in den letzten Jahren zwischen dem »feuch- gen Läsionen entnommen werden. Hierdurch gelingt es in
ten« und »trockenen« Nikolski-Phänomen unterschieden, der Regel, sowohl Anteile der Epidermis wie auch der Der-
um aufgrund der klinischen Beschaffenheit des Blasen- mis im Biopsat zu gewinnen (Ziemer 2011). Bei SJS/TEN
36 grundes auf die Höhe der Spaltbildung schließen zu kön- zeigen sich nekrotische Keratinozyten, die in disseminier-
nen (Salopek 1997). Mittels Tzanck-Test kann zudem eine ter Verteilung vorliegen oder aber zu einer kompletten
exfoliative Zytologie durchgeführt werden, um möglichst Nekrose der Epidermis führen. Daneben findet sich eine
schnell die Höhe der epidermalen Spaltbildung zu bestim- Vakuolisierung der Basalmembranzone bis hin zur sub-
men und damit TEN vom Staphylococcal scalded skin syn- epidermalen Spalte. In der oberen Dermis imponiert ein
drome (SSSS) differenzieren zu können. Dabei wird mit perivaskuläres, lymphohistiozitäres Infiltrat, in dem auch
einem stumpfen Skalpell ein Abstrichpräparat auf einem eosinophile Granulozyten vorkommen (Rzany, Hering
Objektträger aufgetragen und nach Giemsa gefärbt. Beim 1996). Sollte aus triftigen Gründen keine Probebiopsie
SSSS lassen sich breite epitheliale Zellen mit einer kleinen durchgeführt werden können, kann zumindest ein Blasen-
Kern-Zytoplasma-Relation nachweisen, bei der TEN fin- dach gewonnen und mikroskopisch begutachtet werden,
da bei sorgfältiger Entnahme die Spaltebene erkennbar ist.
Eine Immunfluoreszenzuntersuchung ist wünschenswert,
aber nicht in jedem Fall notwendig. Bei länger bestehender,
sich sehr langsam entwickelnder oder rezidivierend auf-
tretender Blasenbildung sowie fehlender Schleimhautbe-
teiligung sollte diese aber erfolgen, um ggf. eine bullöse
Autoimmundermatose auszuschließen.

36.3 Differenzialdiagnosen

Wie oben bereits angeführt, stellt das Erythema exsuda-


tivum multiforme majus (EEMM) eine wichtige Differen-
. Abb. 36.4 Großflächige Hautablösung bei TEN zialdiagnose zum Stevens-Johnson-Syndrom dar. Hierbei

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36.3 · Differenzialdiagnosen
393 36
finden sich typische Kokarden vorwiegend im Bereich der
distalen Extremitäten bei gleichzeitigem Vorliegen einer
erosiven Schleimhautbeteiligung (. Abb. 36.2). Häufig
werden die Minor- wie auch die Majorform des EEM durch
akute oder rezidivierende Herpes-simplex-Eruptionen
induziert. Auch andere virale Infektionen, v. a. der oberen
Luftwege, Grippe und grippale Infekte, aber auch Myko-
plasmen-Infektionen werden als Triggerfaktoren des
EEMM beobachtet. Dies gilt v. a. für untypische Formen
des EEMM bei Kindern und Jugendlichen, bei denen man
typische Kokarden und/oder atypische »Riesenkokarden«
mit zum Teil großen Blasen in stammbetonter oder gene-
ralisierter Verteilung findet (Liß 2006, Schröder 1999).
Dennoch ist beim EEMM mit gut abgegrenzten Kokarden-
läsionen nicht von einem möglichen Übergang in ein
konfluierendes Exanthem mit großflächiger Blasenbildung . Abb. 36.5 Erythematöse Plaques mit Blasenbildung bei GBFDE
im Sinne einer TEN auszugehen, was nicht nur therapeu-
tisch, sondern auch hinsichtlich der Prognose des Patienten
von Bedeutung ist. Die erosiven Schleimhautveränderun- ausgeprägt. Allerdings kann es bei wiederholtem Auftreten
gen kommen sowohl bei EEMM als auch bei SJS/TEN in des GBFDE zu ausgedehnteren Hautablösungen von >10 %
gleicher Weise vor, weshalb die verschiedenen Reaktions- und damit auch zu einem schweren Krankheitsbild kom-
formen nicht aufgrund ihrer Schleimhautläsionen unter- men, das bei älteren Patienten in etwa 20 % tödlich verlau-
schieden werden können. Auch die Histologie kann nicht fen kann (Lipowicz 2013).
sicher zwischen EEMM und SJS/TEN unterscheiden, da Auch beim SSSS ist eine eventuelle Schleimhautbeteili-
sich z. B. bei Probeentnahme aus der zentralen Blase einer gung nur diskret vorhanden. Im Gegensatz zum fleckigen,
Kokarde eine komplette Nekrose der Epidermis finden konfluierenden Exanthem bei SJS/TEN findet sich beim
kann, wie man sie auch bei SJS/TEN sieht. Somit stützt sich SSSS ein großflächiges Erythem, das Nikolski-Phänomen ist
die Diagnosestellung auf das klinische Bild und die Anam- häufig positiv, die Hautablösung sehr oberflächlich und eine
nese, zumal beim EEMM auch rezidivierende Episoden klare histologische Unterscheidung möglich (Mocken-
auftreten können. haupt 2005; . Abb. 36.6). Der histologische Befund einer
Weitere Differenzialdiagnosen des SJS schließen maku- aus einem blasigen Areal entnommenen Biopsie bei GBFDE
löse und vesikulöse Exanthem verschiedener Genese ein, unterscheidet sich hingegen nicht von SJS/TEN, da die beim
wobei gerade bei Kindern eine Reihe von Virusexanthemen fixen Arzneiexanthem beschriebene Pigmentablagerung in
mit einer Schleimhautbeteiligung einhergeht. Die als mul- tieferen Hautschichten beim akuten GBFDE häufig fehlt.
tiforme-artiges Arzneiexanthem bezeichnete Reaktions- Daneben müssen autoimmunologisch bedingte blasen-
form mit konfluierenden kokardenförmigen Hautverände- bildende Erkrankungen wie der Pemphigus vulgaris, das
rungen ohne primäre Blasenbildung lässt sich histologisch bullöse Pemphigoid und die IgA-lineare Dermatose, aber
durch vorwiegend dermale Veränderungen abgrenzen auch bullöse phototoxische Reaktionen als mögliche Diffe-
(Ziemer 2007). renzialdiagnosen von SJS/TEN in Betracht gezogen werden
Weitere bedeutende Differenzialdiagnosen von SJS/TEN (s. Histologie). Auch beim Lupus erythematodes (LE) gibt
sind das generalisierte bullöse fixe Arzneiexanthem (»gene- es Formen (z. B. subakut-kutaner LE), die mit Hauterosio-
ralized bullous fixed drug eruption«; GBFDE) und das be- nen einhergehen und daher differenzialdiagnostisch von
reits oben erwähnte SSSS, früher auch staphylogenes Lyell- SJS/TEN abzugrenzen sind. Hier sind neben dem Haut-
Syndrom genannt (Lipowicz 2013, Mockenhaupt 2005). befund v. a. der Verlauf der Reaktion, die Anamnese und die
Beim GBFDE finden sich typischerweise bis zu hühner- Histologie von Bedeutung (Ziemer 2012). Die Unterschei-
eigroße, bräunlich livide Plaques, auf denen schlaffe Blasen dung einer akuten Graft-versus-Host-Reaktion (GVHD)
entstehen. Die Blasenbildung beträgt meist weniger als mit Blasenbildung von SJS/TEN kann sich klinisch wie his-
10 % der KOF und das Nikolski-Phänomen auf gesunder tologisch schwierig gestalten, v. a. wenn neben der Haut und
Haut ist negativ (. Abb. 36.5). In den meisten Fällen lässt Schleimhaut keine weiteren Organsysteme von GVHD be-
sich eine ähnliche, teilweise lokalisierte Reaktion in der troffen sind. Eine Knochenmark- oder Stammzelltransplan-
Vorgeschichte eruieren. Die Patienten befinden sich in ei- tation im Verlauf von ein bis drei Monaten vor der Haut-
nem deutlich besseren Allgemeinzustand, und eine reaktion sollten allerdings eher an eine GVHD denken las-
Schleimhautbeteiligung ist, wenn überhaupt, nur schwach sen (Mockenhaupt 2015).

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394 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

. Abb. 36.7 Teils konfluierende Pusteln bei AGEP

. Abb. 36.6 Erythem und oberflächliche Hautablösung bei SSSS

36
Zudem kann die akute generalisierte exanthematische
Pustulose (AGEP) in bestimmten Stadien Veränderungen . Abb. 36.8 Infiltriertes und ödematöses Exanthem bei DRESS
aufweisen, wie sie bei SJS/TEN vorkommen. Durch Konflu-
ieren der nicht-follikulären, sterilen, subkornealen Pusteln
kann es zur intraepidermalen Hautablösung kommen, die fleckig, purpuriform, großflächig konfluierend und oftmals
ein positives Nikolski-Phänomen vortäuscht (. Abb. 36.7). entzündlich infiltriert erscheint (. Abb. 36.8). Aufgrund
Die histologische Aufarbeitung einer Probebiopsie erlaubt eines ausgeprägten Ödems der Haut kommt es nicht selten
allerdings eine klare Abgrenzung und die im Differenzial- zum Auftreten von Spannungsblasen, die an SJS/TEN den-
blutbild nachweisbare Neutrophilie stützt die Diagnose ken lassen (Liß 2012). Da es sich bei DRESS um eine Sys-
AGEP. Die Anwendung eines spezifischen Scoresystems temreaktion handelt, die verschiedene Organe, z. B. Leber,
erlaubt auch hier die Bestätigung der Diagnose (Sidoroff Niere, Herz, Muskeln, Blutbild und Lymphknoten, betreffen
2001). kann, müssen bei Verdacht auf Organbeteiligung die ent-
Ebenso kommen eine Erythrodermie (>90 % Rötung sprechenden Laboruntersuchungen und bildgebenden Ver-
der Haut) mit nachfolgender trockener Schuppung wie sie fahren durchgeführt werden. Dabei ist zu bedenken, dass
bei verschiedenen Dermatosen auftreten kann (z. B. Psoria- die Reaktion einen variablen Verlauf zeigt, indem die ver-
sis, Pityriasis rubra pilaris, kutanen Lymphomen) differen- schiedenen Organsysteme oft nicht gleichzeitig, sondern
tialdiagnostisch in Frage. Besonders die großflächige Des- nacheinander oder überlappend betroffen sind. Ein speziell
quamation bei der exfoliativen Dermatitis kann manchmal entwickeltes Scoresystem kann helfen, die Diagnose zu
mit der epidermalen Hautablösung bei SJS/TEN verwech- validieren (Kardaun 2007).
selt werden (Liß 2012). Bei der heute als »drug reaction with Sowohl bei AGEP als auch bei DRESS können vereinzelt
eosinophilia and systemic symptoms« (DRESS), früher kokardenartige Hautveränderungen und diskrete Schleim-
als »Hypersensitivitätssyndrom« bezeichneten Reaktion, hautläsionen auftreten, die v. a. zu Beginn der Reaktion zur
tritt ein in seiner Form sehr variables Exanthem auf, das Verdachtsdiagnose SJS/TEN führen können (Liß 2012).

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36.5 · Therapeutisches Vorgehen
395 36
36.4 Pathogenetische Erkenntnisse infektiösen Fälle von SJS/TEN sogar deutlich höher (Mit-
teilung des dZh).
Ähnlich wie bei der GVHD finden sich bei SJS/TEN in der Aufgrund der Seltenheit von schweren Hautreaktionen
Dermis überwiegend CD4+-Zellen, in der Epidermis fehlt vielen Ärzten und Pflegekräften die Erfahrung um
CD8+-Zellen. Die akute Nekrose der Keratinozyten bei Umgang mit betroffenen Patienten. Daher sollte die Be-
SJS/TEN wird dabei auf einen ausgedehnten apoptotischen handlung in spezialisierten Abteilungen erfolgen, z. B.
Prozess zurückgeführt. Zytotoxische T-Zellen können Hautkliniken, Verbrennungsabteilungen, Intensivstationen,
Apoptose initiieren, verstärkt durch das Freisetzen von ggf. Kinderkliniken, die in einem interdisziplinären Umfeld
Perforinen und Zytokinen, wie z. B. Tumornekrosefak- arbeiten und regelmäßige konsiliarische Mitbetreuung von
tor(TNF) α oder Granzym B. Außerdem wird postuliert, z. B. Augenärzten gewährleisten können. Bei ausgedehnter
dass Proteine wie FAS-Antigen (CD 95) und P55 TNFα- Hautablösung von mehr als 30 % KOF (entsprechend etwa
Rezeptor die Apoptose in Keratinozyten verstärken (Pich- einer Epidermisablösung des gesamten Stammes ventral
ler 2011). Allerdings konnte mittlerweile gezeigt werden, und dorsal), ist es ratsam, die betroffenen Patienten in eine
dass das kationische Protein Granulysin das wichtigste Verbrennungseinheit oder ggf. auf eine Intensivstation zu
Zytokin in der Akutphase von SJS/TEN ist, da es in der verlegen, v. a. wenn internistische Grunderkrankungen vor-
Blasenflüssigkeit von Patienten mit SJS/TEN die stärkste liegen und entsprechende Überwachung indiziert ist. Zu
Zytotoxizität aufwies, wobei seine Konzentration mit der den symptomatischen Maßnahmen gehören die Erhöhung
Schwere des Krankheitsbildes korrelierte (Chung 2008). der Raumtemperatur auf 30 °C-32 °C, die Lagerung auf
Daraus lässt sich schließen, dass Granulysin ein Marker für Metalline-Folie bzw. in einem Luftkissenbett (z. B. Clini-
den Schweregrad von SJS/TEN ist und eine Angriffsfläche tron) und die intravenöse Flüssigkeitszufuhr mit z. B. Albu-
für mögliche immunmodulierende Therapien bietet. minlösung oder isotonischer Elektrolytlösung entsprechend
intensivmedizinischer Behandlungsprotokolle. Dabei sollte
bedacht werden, dass Patienten mit TEN einen gegenüber
36.5 Therapeutisches Vorgehen Verbrennungspatienten verminderten Flüssigkeitsbedarf
haben, der bei etwa zwei Dritteln bis drei Vierteln des Be-
36.5.1 Symptomatische Maßnahmen darfs von Verbrennungsopfern liegt. Einige Spezialisten
und Lokaltherapie schlagen vor, kolloidale Infusionslösungen zu vermeiden,
und empfehlen stattdessen die Infusion von Ringerlösung
Aufgrund der nicht abschließend geklärten Pathogenese bis zu einer renalen Ausscheidung von 2 ml/kgKG/h. Zur
von SJS/TEN und daraus resultierendem Fehlen spezifi- Berechnung der angemessenen Flüssigkeitssubstitution ist
scher therapeutischer Ansätze, besteht der Goldstandard es wichtig, das Ausmaß der Hautablösung korrekt zu be-
der Therapie primär in symptomatischen Maßnahmen. rechnen. Besonders bei disseminiert verteilten Blasen und
Arzneimittel, die als Auslöser der Reaktion verdächtigt Erosionen ist dies nicht immer einfach und führt nicht sel-
werden, sollten nach Erheben einer detaillierten Medika- ten zur Überschätzung des Substitutionsbedarfes. Um den
mentenanamnese abgesetzt werden, da in retrospektiven Proteinverlust zu minimieren, aber auch um eine intestina-
Analysen hierdurch eine bessere Prognose quoad vitam le Atonie zu vermeiden, ist es ratsam, eine frühzeitige Er-
bestätigt wurde (Garcia-Doval 2000). Dabei handelt es sich nährung über eine Nasensonde zu beginnen. Dabei wird
in erster Linie um Substanzen, die innerhalb von drei bis vorgeschlagen, 1500 kcal in 1500 ml Flüssigkeit in den ers-
vier Wochen (bei manchen Substanzen auch bis zu 8 Wo- ten 24 h zu applizieren; danach sollte sich die Energiezufuhr
chen) vor Beginn von SJS/TEN neu angesetzt wurden um etwa 500 kcal/d bis zu 4000 kcal/d steigern (Ghis-
(s. Kap. 38). Allerdings sind bei weitem nicht alle Fälle lain 2002).
von SJS/TEN als arzneimittelinduziert anzusehen, sondern Auf eine breite antibiotische Abdeckung ohne Verdacht
lediglich etwa 75 % (Mockenhaupt 2011). Die übrigen 25 % auf eine Infektion, d.h. auf eine rein prophylaktische Anti-
haben andere Ursachen, v. a. Infekte der oberen Luftwege, biotikagabe, sollte verzichtet werden, v. a. weil hierdurch
aber auch grippale bzw. sonstige virale Infekte, oder müs- Infektzeichen verschleiert werden können. Dagegen sollten
sen bei unbekannter Ursache als idiopathisch angesehen Antibiotika gezielt dann eingesetzt werden, wenn Zeichen
werden. Nicht immer lässt sich ein infektiöses Agens, wie einer Infektion oder Septikämie vorliegen, wobei die jewei-
z. B. Mycoplasma pneumoniae nachweisen, auch wenn kli- lige Substanz entsprechend der Sensitivität der vorhande-
nisch ein Infekt bzw. eine Infektion diagnostiziert wird nen Erreger auszuwählen ist. Auch eine adäquate Schmerz-
(Grosber 2006; Mockenhaupt 2011). Manchmal verläuft und ggf. sedierende Therapie sind notwendig (Ghis-
auch der Infekt klinisch inapparent, trotz leicht veränder- lain 2002; Mockenhaupt 2009).
ter Infektparameter im Labor. Bei Kindern und Jugend- Zur Lokalbehandlung werden antiseptische Lösungen
lichen bzw. jungen Erwachsenen ist der Anteil der post- oder Gele empfohlen (z. B. Octenidin, Chlorhexidin, Silber-

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396 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

nitrat). Aus dermatologischer Sicht wird von der Anwen- Schleimhauttransplantate, wie z. B. Konjunktivenersatz
dung sulfonamidhaltiger Externa abgeraten, da Sulfonamide durch Mundschleimhautanteile oder Transplantation von
einerseits ein bekannter Risikofaktor für die Entstehung von Limbuszellen, können die Situation meist nicht endgültig
schweren Hautreaktionen sind, andererseits nicht selten zu lösen. Bei Patienten, die ein Sicca-ähnliches Syndrom ent-
Kontaktsensibilisierungen führen. Auf belastete Körperare- wickeln, können künstliche Tränenflüssigkeiten zu einer
ale kann wirkstofffreie, nicht klebende Netzgaze aufgebracht Besserung der Problematik führen (Chronopoulos 2012;
werden. Zum Teil noch pralle Blasen können aseptisch eröff- Gregory 2008).
net bzw. steril punktiert werden, wobei die nekrotische Epi-
dermis belassen wird, um ein zu starkes Austrocknen der
Haut zu verhindern und so die Reepithelisierung zu fördern. 36.5.3 Immunmodulierende Therapie
Von Verbrennungsmedizinern hingegen wird das Entfernen
der nekrotischen Epidermis bevorzugt, wobei ein aggressi- Da SJS und TEN als immunologisch vermittelte Unverträg-
ves Bürstendébridement vermieden werden sollte, da hier- lichkeitsreaktionen anzusehen sind, werden verschiedene
durch das Risiko der Narbenbildung bei einer ansonsten immunmodulierende Substanzen als mögliche Behandlung
eher nicht zur Vernarbung führenden subepidermalen Bla- eingesetzt und z.T. kontrovers diskutiert. Hierzu gehören in
senbildung deutlich erhöht wird. Ein vorsichtiges Entfernen erster Linie Glukokortikosteroide und intravenöse Immun-
nekrotischer Epidermis durch ein silbernitrathaltiges Ver- globuline (IVIG). IVIG werden zur Therapie von SJS/TEN
brennungsbad und anschließendes Aufbringen von biologi- eingesetzt, da Antikörper in gepoolten humanen Immun-
schen Wundauflagen wie etwa Suprathel oder Biobrane wird globulinen in vitro die FAS-mediierte Keratinozytennekro-
hingegen besser toleriert (Drofshar 2008, Mockenhaupt sen blockieren. Die Studienergebnisse sind widersprüch-
2011, Struck 2010). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass lich, wobei eine Reihe von Patienten mit positivem Krank-
die Wundauflagen nicht fixiert werden, indem Klammerma- heitsausgang nach IVIG-Therapie wiederholt in verschiede-
terial direkt in die Haut eingetackert wird, sondern z. B. in nen, meist retrospektiven Fallsammlungen und Studien
Umschlagfalten des Auflagenmaterials, um Narbenbildung auftauchen, weshalb die Daten mit Vorsicht zu interpretie-
zu vermeiden. ren sind (Faye 2005). In einer prospektiven Untersuchung
hingegen wurde gezeigt, dass weder die Progression der
Erkrankung gestoppt noch die Reepithelisierung beschleu-
36.5.2 Therapie der Schleimhautläsionen nigt werden konnte. Zudem war die Anzahl der Todesfälle
(meist infolge Nierenversagens) höher als erwartet, vergli-
36 Zur Behandlung der erosiven Mundschleimhautbeteiligung chen mit dem zur Evaluierung der Prognose entwickelten
werden antiseptische und lokalanästhetische Mundspülun- SCORTEN (Bachot 2003). Dabei handelt es sich um ein
gen empfohlen. Sind die Lippen und die Nasenschleimhaut Instrument zur Bewertung des Schweregrades von SJS/
betroffen, bringt die großzügige Verwendung von dexpan- TEN, welches innerhalb der ersten fünf Tage nach Beginn
thenolhaltige Salben Linderung. Anale und v. a. genitale der Reaktion angewendet werden sollte. Für jeden der sie-
Erosionen sollten mittels antiseptischer Lösungen, wenn ben unabhängigen Faktoren wird bei Vorliegen ein Punkt
möglich auch in Form von Sitzbädern, und Cremes behan- vergeben, wobei das Risiko zu versterben für den betroffe-
delt werden. Bei männlichen Patienten sollten so das Ver- nen Patienten mit Zunahme der Scorewerte steigt (. Tab.
kleben der Vorhaut und das Entstehen einer Phimose ver- 36.2; Bastuji-Garin 2000; Guégan 2006). In einer im Jahr
hindert werden. Bei Frauen mit ausgeprägten Erosionen der 2012 veröffentlichten Metaanalyse zeigte sich kein positiver
Vulva und Vagina werden neben der Einlage von fettiger Effekt von IVIG hinsichtlich der Letalität (Huang 2012).
Netzgaze auch Vaginaldilatatoren eingesetzt, um Strikturen Auch bei einer groß angelegten und vom Bundesministeri-
zu vermeiden (Mockenhaupt 2015). Besonders wichtig um für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Über-
ist eine ophthalmologische Betreuung bei Patienten mit sichtsarbeit (»systematic review«) des Dokumentationszen-
Augenbeteiligung in Form einer Konjunktivitis oder Ble- trums schwerer Hautreaktionen (dZh) ließ sich kein positi-
pharitis. Okuläre Schleimhautläsionen erfordern eine täg- ver Effekt für IVIG hinsichtlich des Überlebens von SJS/
liche Untersuchung und Behandlung durch einen erfahre- TEN-Patienten feststellen (Zimmermann 2014).
nen Augenarzt. Neben antiseptischen oder antibiotischen Eine in Frankreich und Deutschland durchgeführte gro-
bzw. steroidhaltigen Augentropfen muss bei vielen Patien- ße retrospektive Beobachtungsstudie zur Therapie von SJS/
ten eine Symblepharon-Prophylaxe durch konsequente Lid- TEN, ergab, dass Glukokortikosteroide in mittlerer bis ho-
randpflege oder das Einlegen von Illigschalen in Betracht her Dosierung (100–500 mg), initial und kurzzeitig gege-
gezogen werden, um mögliche schwere Folgeschäden zu ben, den Ausgang der schweren Hautreaktion positiv beein-
vermeiden. Spätere chirurgische Maßnahmen, wie das flussen. Dies konnte für IVIG nicht nachgewiesen werden
Lösen von Synechien, sind oftmals sehr problematisch. (Schneck 2008).

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36.6 · Verlauf, Prognose und Folgeschäden
397 36
36.6 Verlauf, Prognose und Folgeschäden
. Tab. 36.2 SCORTEN: Unabhängige Prognosefaktoren für
SJS/TEN (Nach Bastuji-Garin 2000)
36.6.1 Krankheitsverlauf
Variable vorliegend Score
Das Exanthem bei SJS/TEN breitet sich oftmals von kranial
Alter (≥40 Jahre) ja 1 nach kaudal hin aus, wobei die fleckigen und kokardenför-
Herzfrequenz (≥120/min) ja 1 migen Effloreszenzen konfluieren, ebenso wie die hierauf
entstehenden Blasen. Die Rötung ist in der Regel zunächst
maligne Grunderkrankung ja 1
kräftig bis livide und entwickelt dann eine gräulich-dunkle
Ablösung der Körperoberfläche >10 % 1 Tingierung. Diese ist bereits ein Indikator für die Nekrose
am ersten Tag
der Epidermiszellen und die daraus resultierende Blasenbil-
Harnstoff im Serum (>10 mmol/l) ja 1 dung (. Abb. 36.9a). Warum Exanthem und Hautablösung
Bikarbonat im Serum (<20 mmol/l) ja 1 bei manchen Patienten limitiert bleiben, sich bei anderen
hingegen auf das gesamte Integument ausdehnen, ist nach
Glukose im Serum (>14 mmol/l) ja 1
wie vor unklar. Wenn keine neuen erythematösen Efflores-
Möglicher Score 0–7: mit steigendem Punktwert verschlech- zenzen mehr auftreten, ist davon auszugehen, dass die Re-
tert sich die Prognose des Patienten aktion im Bereich der Haut nicht weiter progredient ist,
wobei bereits gerötete Areale sich durchaus noch ablösen
können, wenn der apoptotische Prozess bereits in Gang ge-
setzt wurde. Die erosive Schleimhautbeteiligung kommt bei
In einer prospektiven und mittels SCORTEN kontrol- mehr als 90 % der Patienten mit SJS/TEN vor und scheint
lierten Studie zum Einsatz von Cyclosporin A in der The- unabhängig vom Ausmaß der kutanen Blasenbildung. Sie
rapie von SJS/TEN, welche mit 29 Patienten im Referenz- kann kurz vor oder nach den Hautveränderungen auftreten,
zentrum für blasenbildende Hautreaktionen in Ceteil, aber auch zeitgleich. Die Schleimhäute sind fragil und nei-
Frankreich, durchgeführt wurde, wurde eine deutlich nie- gen zur Blutung, vor allem im Bereich der Lippen entstehen
drigere Todesrate beobachtet als aufgrund der SCORTEN- oft blutige Krusten, die immer wieder aufreißen.
Werte erwartet. Zudem schien die Progression der Hautab- Die Reepithelisierung beginnt bereits einige Tage nach
lösung im Vergleich zur früher im selben Zentrum durch- Hautablösung, in der Regel entsprechend der Ausbreitung
geführten Therapiestudie mit IVIG deutlich verringert des Exanthems bzw. der Blasenbildung und dauert etwa
(Valeyrie-Allanore 2010). Im Rahmen der Studie wurde mit 2–3 Wochen, an belasteten Hautarealen ggf. auch länger
3 mg/kgKG über 10 Tage mit nachfolgendem Ausschlei- (. Abb. 36.9b und c).
chen bis zu 30 Tagen behandelt. Mittlerweile setzen die Kol- Je nach Hauttyp des Patienten bleiben Residuen wie
legen die Therapie mit Cyclosporin bei gleichbleibendem Pigmentierungsstörungen über Monate bestehen (. Abb.
Therapieerfolg nach 10 Tagen komplett ab (mündliche Mit- 36.10). Dies ist exemplarisch am Krankheitsverlauf einer
teilung der Autoren). Es wäre zu wünschen, dass diese The- Patientin mit SJS/TEN-Übergangsform dargestellt, bei
rapie im Rahmen klar definierter Einschlusskriterien und der sich zudem ein ausgeprägtes vorübergehendes Efflu-
Behandlungsprotokolle auch in anderen Zentren eingesetzt vium, Nagelwachstumsstörungen nach Nagelverlust im
und evaluiert wird. Rahmen von SJS/TEN sowie Folgeschäden im Bereich der
Thalidomid, welches als effektiver TNFα-Blocker er- Augen zeigten, die auch neun Monate nach der Akutphase
folgreich zur Behandlung der GVHD eingesetzt wird, er- der Reaktion noch zu beträchtlichen Einschränkungen
wies sich in der Therapie von TEN als schädlich und darf führten.
für diese Indikation nicht verwendet werden (Wolken-
stein 1998). Über den Einsatz neuerer TNF-α-Antagonisten
zur Behandlung von SJS und TEN liegen bislang nur 36.6.2 Prognose und Komplikationen
Einzelfallberichte vor, die keine zuverlässige Bewertung
erlauben. Für andere immunmodulierende Substanzen Die Prognose von Patienten mit ausgedehnter bullöser
oder Maßnahmen wie Cyclophosphamid oder Plasmaphe- Arzneimittelreaktion ist insgesamt ungünstig, hängt aber
rese ist die Datenlage sehr schlecht und kann nicht abschlie- neben dem Ausmaß der Hautablösung wesentlich vom Al-
ßend bewertet werden (Mockenhaupt 2011). ter und den vorhandenen Grunderkrankungen ab (Sekula
2013). Mit Hilfe des SCORTEN lässt sich im Einzelfall eine
prognostische Aussage treffen, doch kann er, v. a. in verein-
fachter Form, auch als Vergleichsmaß bei Therapiestudien
herangezogen werden (Sekula 2011).

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398 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

a . Abb. 36.10 Hyperpigmentierungen 3 Monate nach SJS/TEN

metabolische Alkalose steigern das Sterberisiko und sind


Indikationen für eine maschinelle Beatmung, die ihrerseits
nicht immer unproblematisch ist (Faye 2005; Ghislain 2002;
Struck 2010).
Das Risiko zu versterben ist in den ersten sechs
Wochen, also der Akutphase der Reaktion am größten,
wobei zunehmendes Ausmaß der Hautablösung und
zunehmendes Alter des Patienten das Sterberisiko erhö-
b
hen. Doch kommt es im Verlauf eines Jahres zum weite-
ren Anstieg der Todesrate, wobei als Risikofaktoren für
das Versterben im Verlauf vorbestehende Leber- wie
auch Tumorerkrankungen eruiert wurden. Auch bei be-
stimmten Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythema-
todes scheint die Prognose ungünstiger zu sein (Sekula
2013).
36
36.6.3 Folgeschäden

Da die Blasenbildung subepidermal ist und die Basalmem-


c bran intakt bleibt, kommt es in der Regel nicht zur Narben-
. Abb. 36.9a–c SJS/TEN-Übergangsform. a Akutphase. b 2 Wochen bildung. Diese wurde allerdings bei Superinfektion, mecha-
nach Krankheitsbeginn. c Nach Reepithelisierung nischer Reizung (z. B. durch Reiben von Infusionssystemen
oder Kathetern) sowie nach aggressivem Bürstendebride-
ment beobachtet (. Abb. 36.11a). Selten kommt es zur
Im Verlauf von SJS/TEN kann es zu einer Begleithepatits spontanen Narbenbildung, die v. a. bei Kindern beobachtet
wie auch einer tubulären Nephritis kommen, die sich in der wurde, die lange intubiert waren und die während der Hei-
Regel aber relativ rasch zurückbilden. Eine Beteiligung der lung bei noch sehr fragiler Haut ausgeprägte Ödeme entwi-
tracheobronchialen Mukosa, die in bis zu 20 % der Fälle auf- ckelten (Erfahrungen des dZh). Während die Hautverände-
treten kann, stellt eine schwere akute Komplikation dar und rungen bei SJS/TEN also in der Regel narbenlos abheilen,
kann zu persistierenden Beschwerden wie Dyspnoe führen. bestehen als Folge der Entzündungsreaktion oft über Mona-
Sepsis, meist durch zentralvenöse Zugänge hervorgerufen, te bis Jahre Hyper- und Hypopigmentierungen der Haut.
und Multiorganversagen zählen zu den schwierigsten und Vollständiger Nagelverlust sowie chronische Nagelwachs-
manchmal nicht beherrschbaren Komplikationen von tumsstörungen konnten beobachtet werden (. Abb.
SJS/TEN. Der transepidermale Flüssigkeitsverlust kann zu 36.11b), aber auch ein – in der Regel – reversibles Effluvium
Hypovolämie, Elektrolytverschiebungen und letztlich einer (. Abb. 36.11c).
katabolen Stoffwechselsituation führen. Die Kombination Problematischer sind Verwachsungen im Bereich der
von Hypovolämie und Sepsis erhöht das Risiko für Schock Schleimhäute, die zu Strikturen z. B. der Urethra oder des
und Multiorganversagen. Hypoxämie, Hypokapnie und Ösophagus führen können. Die Mundschleimhaut heilt

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36.6 · Verlauf, Prognose und Folgeschäden
399 36
meist unproblematisch ab, doch wurden vereinzelt das gnostiziert wurde. Etwa 90 % der mehr als 300 untersuch-
Entstehen von Narbensträngen in den Mundwinkeln be- ten Patienten hatten nach einem Jahr noch Beschwerden
obachtet sowie ein Verkleben von Zunge und Gaumen bei infolge der schweren Hautreaktion, etwa 20 % waren noch
langfristig intubierten Patienten mit SJS/TEN (Erfahrun- nicht wieder voll arbeits- oder schulfähig. Nicht wenige
gen des dZh). Die sicherlich gefährlichste, und für den Patienten litten nach der schweren Hautreaktion für
Patienten dramatischste Folgeerscheinung ist die Sym- Monate an einem chronischen Fatigue-Syndrom, unter
blepharonbildung mit Entropium und Trichiasis, welche Albträumen und Angstzuständen, weshalb professionelle
zur Erblindung führen kann. Es entsteht eine chronische psychologische Unterstützung hilfreich ist (Mocken-
Entzündungsreaktion, die in Narbenbildung der ober- haupt 2008). Die Follow-up-Untersuchung fünf Jahre nach
flächlichen Augenhäute resultiert (Chronopoulos 2012). der schweren Haut- und Schleimhautreaktion ergab, dass
Durch Einsprossen von Gefäßen kann es am Ende zum die Belastung durch die Folgeschäden für die Patienten im
massiven Visusverlust bis hin zur Erblindung kommen ersten Jahr nach der Akutphase der Reaktion am schwers-
(. Abb. 36.11d). In der RegiSCAR-Kohortenstudie wurden ten war (Daten des dZh). Nicht nur unter medizinischen,
bei der Kontrolluntersuchung nach 8–10 Wochen Augen- sondern auch unter sozialen und gesellschaftlichen Ge-
symptome wie Trockenheit, Tränenfluss, Lichtscheu etc. sichtspunkten ist die Bedeutung der zwar seltenen, aber
auch bei Patienten objektiviert, bei denen zu Beginn der sehr schweren und lebensbedrohlichen Reaktionsformen
Erkrankung keine Beteiligung der Augenschleimhaut dia- nicht zu unterschätzen (Stern 2014).

c d

. Abb. 36.11a–d Folgeschäden nach SJS/TEN. a Narbenbildung im Bereich der Haut. b Chronische Nagelwachstumsstörungen. c Effluvium
(Haarausfall). d Gefäßeinsprossung und Verwachsungen im Bereich der Augen

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400 Kapitel 36 · Schwere blasenbildende Hautreaktionen

36.7 Praktische Empfehlungen Literatur

Auquier-Dunant A, Mockenhaupt M, Naldi L, Correia O, Schröder W,


Schwere blasenbildende Hautreaktionen wie Stevens- Roujeau JC (2002) Correlations between clinical patterns and
Johnson-Syndrom und toxisch epidermale Nekrolyse sind causes of erythema multiforme majus, Stevens-Johnson syn-
spezifische und sehr komplexe Reaktionsformen, die ein drome, and toxic epidermal necrolysis. Arch Dermatol 138:
interdisziplinäres Management erfordern. 1019–1024
Sie können aufgrund klinischer und histologischer Kri- Bachot N, Revuz J, Roujeau JC (2003) Intravenous immunoglobu-
lin treatment for Stevens-Johnson syndrome and toxic epider-
terien von anderen Formen der Arzneimittelexantheme
mal necrolysis. A prospective noncomparative study showing
sowie bullösen Hauterkrankungen abgegrenzt werden. Erst no benefit on mortality or progression. Arch Dermatol
auf eine klare Diagnosestellung können spezifische thera- 139:33–36
peutische Maßnahmen folgen, wobei die supportive Thera- Bastuji-Garin S, Fouchard N, Bertocchi M, Roujeau JC, Revuz J,
pie den Goldstandard darstellt. Wolkenstein P (2000) SCORTEN: A severity-of-illness
score for toxic epidermal necrolysis. J Invest Dermatol
Da sich die Hauteffloreszenzen im Verlauf der Erkran-
115:149–153
kung wandeln und sich die Hautablösung ausbreiten kön- Bastuji-Garin S, Rzany B, Stern RS, Shear NH, Naldi L, Roujeau JC (1993)
nen, ist eine gute Fotodokumentation zu Beginn und im Clinical classification of cases of toxic epidermal necrolysis,
Verlauf der Erkrankung empfehlenswert, die sowohl Nah- Stevens-Johnson syndrome, and erythema multiforme. Arch
aufnahmen der Einzelläsionen wie auch Übersichtsaufnah- Dermatol 129:92–96
Chronopoulos A, Mockenhaupt M, Pleyer U (2012) Okuläre Beteili-
men einschließt.
gung bei Stevens-Johnson-Syndrom und Toxisch epidermale
Um die entscheidende Maßnahme durchzuführen, Nekrolyse. Klin Monbl Augenheilkd 229(5):534–539
nämlich das verdächtige auslösende Arzneimittel frühzeitig Chung WH, Hung SI, Yang JY, Su SC, Huang SP, Wei CY, Chin SW,
abzusetzen, ist eine sehr detaillierte und gründliche Arznei- Chiou CC, Chu SC, Ho HC, Yang CH, Lu CF, Wu JY, Liao YD, Chen YT
mittelanamnese unerlässlich. Hierzu sind oftmals die Anga- (2008) Granulysin is a key mediator for disseminated keratinocyte
ben der in ihrem Allgemeinbefinden stark beeinträchtigten death in Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necro-
lysis. Nat Med 14(12):1343–1350
Patienten nicht ausreichend, so dass weitere Informations-
Dorafshar AH, Dickie SR, Cohn AB, Aycock J, O’Connor A, Tung A,
quellen über mögliche verordnete und/oder eingenomme- Gottlieb L (2008) Antishear therapy for toxic epidermal necrolysis:
ne Arzneimittel herangezogen werden müssen. an alternative treatment approach. Plast Reconstr Surg 122:
Beim Identifizieren des auslösenden Agens können die 154–160
Ergebnisse epidemiologischer Studien sowie ein hierauf Faye O, Roujeau JC (2005) Treatment of epidermal necrolysis with
high-dose intravenous immunoglobulins (IVIG). Clinical experience
fußender spezifischer Algorithmus helfen. Lässt sich ein
to date. Drugs 65(15):2085–2090
36 medikamentöser Auslöser feststellen, so sollte ein entspre- Garcia-Doval I, LeCleach L, Bocquet H, Otero XL, Roujeau JC (2000)
chender Allergiepass ausgestellt werden. Toxic epidermal necrolysis and Stevens-Johnson syndrome. Does
Neben medikamentös ausgelösten Fällen von SJS/TEN early withdrawal of causative drugs decrease the risk of death?
gibt es solche, die durch Infekte induziert werden, und sol- Arch Dermatol 136:323–327
Ghislain PD, Roujeau JC (2002) Treatment of severe drug reactions:
che, bei denen kein auslösender Faktor eruiert werden kann.
Stevens-Johnson syndrome, toxic epidermal necrolysis and
Nicht immer lässt sich ein infektiöses Agens nachweisen, hypersensitivity syndrome. Dermatol Online J 8(1):5
auch wenn klinisch ein Infekt bzw. eine Infektion diagnos- Gregory DG (2008) The ophthalmologic management of acute
tiziert wird; manchmal verläuft auch der Infekt klinisch in- Stevens-Johnson syndrome. Ocul Surf 6:87–95
apparent trotz leicht veränderter Infektparameter im Labor. Guégan S, Bastuji-Garin S, Poszepczynska-Guigné E, Roujeau JC (2006)
Zur Behandlung von Patienten mit schweren Hautreak- Performance of the SCORTEN during the first five days of
hospitalization to predict the prognosis of epidermal necrolysis.
tionen gehört auch das Vermeiden bzw. frühzeitige Erken-
J Invest Dermatol 126(2):272–276
nen von Folgeschäden, die sich vor allem im Bereich der Grosber M, Carsin H, Leclerc F (2006) Epidermal Necrolysis in Associa-
Schleimhäute manifestieren. Da besonders die Augen lang- tion with Mycoplasma Pneumoniae Infection. J Invest Dermatol
fristig Probleme machen können, empfiehlt sich die früh- 126:23
zeitige und enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Augen- Huang YC, Li YC, Chen TJ (2012) The efficacy of intravenous immuno-
globulin for the treatment of toxic epidermal necrolysis:
ärzten.
a systematic review and meta-analysis. Br J Dermatol 167(2):
Nachuntersuchungen hinsichtlich des Haut- und 424–432
Schleimhautbefundes allgemein sowie der für den Patienten Lipowicz S, Sekula P, Ingen-Housz-Oro S, Liss Y, Sassolas B, Dunant A,
spezifischen Folgeerkrankungen sind notwendig und soll- Roujeau JC, Mockenhaupt M (2013) Prognosis of Generalized
ten in interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen. bullous fixed drug eruption: a case control study. Br J Dermatol
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Liß Y and Mockenhaupt M for the RegiSCAR-study group (2006)
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marcus.lehnhardt@rub.de
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marcus.lehnhardt@rub.de
403 37

Das Dokumentationszentrum
schwerer Hautreaktionen
Maja Mockenhaupt

37.1 Einleitung – 404

37.2 Historie – 404

37.3 Aktuelle Projekte – 404

37.4 Methodisches Vorgehen – 405

37.5 Datensicherheit und Ethikvotum – 407

37.6 Vollständigkeit der Erfassung und Inzidenz


der Erkrankungen – 408

37.7 Demografische Daten – 408


37.7.1 SJS/TEN – 408
37.7.2 GBFDE – 409
37.7.3 AGEP – 409
37.7.4 DRESS – 410

37.8 Ätiologische Faktoren – 410


37.8.1 SJS/TEN – 410
37.8.2 GBFDE – 412
37.8.3 AGEP – 412
37.8.4 DRESS – 413

37.9 Genetische Faktoren bei SJS/TEN – 413

37.10 Praktische Aspekte von Fallmeldung und Fallerfassung – 414


37.10.1 Frühzeitige Meldung über den Verdacht einer
schweren Hautreaktion – 414
37.10.2 Besuch durch einen dZh-Mitarbeiter – 414
37.10.3 Weitere Zusammenarbeit – 414
37.10.4 Kontaktdaten – 414

Literatur – 415

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_37, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
404 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

37.1 Einleitung vier Jahren Fördergelder (AK GS 1-68502-200) zur Verfü-


gung (Rzany 1996).
Unter dem Begriff »schwere Hautreaktionen« werden be- Schon damals bestanden enge Kooperationen mit an-
stimmte, oftmals durch Arzneimittel induzierte und mit deren Arbeitsgruppen in Frankreich, Italien, Portugal und
Blasenbildung einhergehende akut auftretende Hauterkran- den USA im Rahmen der zwischen 1989 und 1995 durch-
kungen zusammengefasst. Im Besonderen gehören hierzu geführten internationalen Fall-Kontrollstudie schwerer
das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxisch epi- arzneimittelinduzierter Hautreaktionen (Kelly 1995).
dermale Nekrolyse (TEN). Das generalisierte bullöse fixe Nach erfolgreichem Start der oftmals als Register bezeich-
Arzneiexanthem (»generalized bullous fixed drug erup- neten Fallerfassung in Deutschland, begann das dZh im
tion«; GBFDE) wird ebenfalls hierzu gerechnet, ebenso in Jahr 1992 ebenfalls mit der Erfassung von Kontrollperso-
den letzten Jahren die nicht bullösen Reaktionsformen wie nen für die so genannte SCAR-Studie, welche durch das
akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP) EC-Programm Biomed (FK BMH1-CT92-1320) gefördert
und Hypersensitivitätssyndrom, heute auch als »drug reac- wurde (Roujeau 1995; Auquier-Dunant 2002).
tion with eosinophilia and systemic symptoms« (DRESS) Zwischen 1997 und 2001 wurde schließlich die Euro-
bezeichnet. All diese Reaktionen treten sehr selten und päische Fall-Kontrollstudie schwerer Hautreaktionen, die
plötzlich auf und können potenziell lebensbedrohlich sein. sogenannte EuroSCAR-Studie, in Deutschland, Frank-
Aufgrund ihrer Seltenheit sehen viele Ärzte diese Erkran- reich, Israel, Italien, den Niederlanden und Österreich un-
kungen kaum oder nicht sehr häufig während ihrer beruf- ternommen (Mockenhaupt 2008). Neben SJS und TEN
lichen Tätigkeit. Dadurch wird die Diagnosestellung er- wurde in der EuroSCAR-Studie auch das Krankheitsbild
schwert und es entsteht oftmals große Unsicherheit auf- der akuten generalisierten exanthematischen Pustulose
grund des variablen klinischen Bildes, aber auch hinsicht- (AGEP) untersucht (Sidoroff 2007). Diese beiden Fall-
lich der notwendigen diagnostischen und therapeutischen Kontrollstudien hatten zum Ziel, das Risiko von Arznei-
Maßnahmen. mitteln zur Auslösung von SJS und TEN bzw. AGEP mit
Um mehr über solch seltene Erkrankungen zu erfah- Hilfe des Vergleichs der Arzneimittelexposition von Pa-
ren, ist es hilfreich, diese Erkrankungsfälle zentral zu erfas- tienten mit schweren Hautreaktionen und Kontrollper-
sen, den klinischen Verlauf zu dokumentieren und mög- sonen, die nicht daran erkrankt waren, zu berechnen. Als
liche Risikofaktoren finden. Alternative zum aufwendigen und teuren Fall-Kontroll-
design wurde mit Unterstützung des BfArM von 2001 bis
2002 die Pilotphase des »Modellprojekts zur Quantifi-
37.2 Historie zierung von Arzneimittelrisiken mit Nutzung externer
Datenbanken« durchgeführt (AK Z121.01-68502-208).
Bereits in den 1980er Jahren wurden in Frankreich und Zusätzlich zu den o. g. beantragten und genehmigten För-
37 Deutschland zwei krankenhausbasierte retrospektive Stu- dergeldern von öffentlichen Institutionen, erhielt das dZh
dien zur epidemiologischen Untersuchung von SJS und finanzielle Unterstützung durch eine Reihe von pharma-
TEN über einen Zeitraum von 5 Jahren durchgeführt zeutischen Unternehmen zur Forschungsförderung.
(Roujeau 1990; Schöpf 1991). Zwar konnten durch diese
Studien erstmals Daten zur Häufigkeit und zu möglichen
Risikofaktoren von SJS und TEN gewonnen werden, doch 37.3 Aktuelle Projekte
brachte der retrospektive Ansatz einige Probleme mit sich,
die v. a. die Fallbewertung anhand von nicht-standardisier- Das Europäische Register für schwere kutane Arzneimit-
ten Krankenakten betraf. In der Folge wurde dann im telreaktionen mit Probensammlung (European registry on
Jahr 1990 in der Bundesrepublik Deutschland das »Doku- SCAR to drugs and collection of biological samples), auch
mentationszentrum schwerer Hautreaktionen« (dZh) mit RegiSCAR genannt, wurde im Jahr 2003 ins Leben geru-
Hilfe einer Anschubfinanzierung des damaligen Bundes- fen, um systematisch Fälle von SJS/TEN, AGEP und Hy-
ministeriums für Forschung und Technologie (BMFT; FK persensitivitätssyndrom (»drug reaction with eosinophilia
0701-564/4) als prospektives Forschungsprojekt an der and systemic symptoms«, DRESS) zu sammeln. Zunächst
Universitäts-Hautklinik Freiburg eingerichtet. Bis ein- startete das RegiSCAR-Projekt in denselben sechs Ländern
schließlich 1995 war die Erfassung schwerer Hautreaktio- wie die EuroSCAR-Studie und wurde für drei Jahre von der
nen auf West-Deutschland und Gesamt-Berlin beschränkt, europäischen Kommission gefördert (FK QLRT-2002-
bis im Jahr 1996 auch die neuen Bundesländer in das Netz- 01738), später kamen weitere Kooperationspartner aus
werk einbezogen wurden. Hierfür stellte das Bundesge- Taiwan, Spanien, Südafrika und Großbritannien hinzu
sundheitsamt bzw. das Bundesinstitut für Arzneimittel (Orpha News Europe 2006). Auch dieses Projekt erhält
und Medizinprodukte (BfArM) über einen Zeitraum von finanzielle Unterstützung von verschiedenen pharmazeu-

marcus.lehnhardt@rub.de
37.4 · Methodisches Vorgehen
405 37
tischen Unternehmen in Form von vertraglich geregelten 37.4 Methodisches Vorgehen
und durch das Universitätsklinikum Freiburg verwalteten
Drittmittelgeldern. Im Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen,
Die ursprünglichen Ziele des RegiSCAR-Projekts be- dem deutschen Register zur Erfassung schwerer Hautreak-
trafen die tionen, wurde eine populationsbezogener Ansatz gewählt,
a. systematische Erfassung und Validierung potentieller wobei ein Netzwerk von etwa 1700 Krankenhäusern in-
Fälle von SJS/TEN, AGEP und DRESS, wobei klusive aller Abteilungen für Dermatologie und Pädiatrie,
letztgenannte Reaktionsform erst charakterisiert aller Verbrennungseinheiten und aller internistischen Ab-
und definiert werden musste teilungen mit intensivmedizinischen Behandlungsmög-
b. Einrichtung einer gemeinsamen Probenbank, lichkeiten aufgebaut wurde (. Abb. 37.1). Um eine hohe
die genetische und immunologische Untersuchungen Erfassungsrate zu gewährleisten, erhalten alle Abteilungen
bei diesen seltenen Erkrankungen ermöglichen etwa dreimal pro Jahr ein Erinnerungsschreiben über eine
sollte vorbestimmte Kontaktperson. Mittels vorfrankierter
c. Generierung einer Kohorte von Patienten mit Rückantwortpostkarten wird erfragt, ob in den letzten drei
schweren Hautreaktionen zur Untersuchung der bis vier Monaten in der entsprechenden Abteilung aufge-
oft langwierigen und teilweise irreversiblen Folge- treten sind und noch nicht gemeldet wurden. Ein hoher
schäden sowie der Lebensqualität (Orpha News Prozentsatz der Postkarten wird an das dZh zurückge-
Europe 2006). sandt, doch Abteilungen, die über einen bestimmten Zeit-
raum nicht antworten und zu denen kein Kontakt besteht,
Nicht nur innerhalb der RegiSCAR-Gruppe, sondern auch werden telefonisch kontaktiert. Durch solche aktiven und
mit externen Kooperationspartner wurden und werden systematischen Erfassungsmaßnahmen kann man davon
spezifische Teilprojekte umgesetzt, z. B. eine Genom-weite ausgehen, dass Fälle von SJS und TEN in Deutschland
Assoziationsstudie zu SJS/TEN mit dem Centre National durch das dZh flächendeckend bzw. annähernd komplett
de Genotypage (CNG) in Frankreich. Die Ergebnisse die- erfasst werden (Rzany 1996; Mockenhaupt 1998).
ser und vieler anderer Untersuchungen werden in diesem In die SCAR- und EuroSCAR-Studie wurden Fälle aus
sowie im vorherigen Kapitel besprochen. dem dZh eingeschlossen, während in anderen teilnehmen-

Zusammenarbeit
Zusammena
arbeit d
des
es dZh mit anderen
n Inst
Institutionen
titutionen

Arzneimittel- Bundesinstitut f. Arzneimittel-


Arzneimittel und hersteller
kommission
Medizinprodukte

Statistisches Wissenschaftliches
Bundesamt Institut der AOK

Dokumentationszentrum

Wissenschaftlicher Dermatologisches
Beirat Expertengremium

1440 22 346 119


Innere und Verbrennungs- Kinderkliniken Dermatologische Abt.
Intensivstationen zentren und Kliniken

. Abb. 37.1 Übersicht über die Kooperationen des Dokumentationszentrums schwerer Hautreaktionen

marcus.lehnhardt@rub.de
406 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

den Ländern spezifische Netzwerke erst aufgebaut werden In die laufende RegiSCAR-Studie werden hingegen
mussten. Diese arbeiteten nicht landesweit und damit auch Fälle eingeschlossen, die sich im Krankenhaus ent-
nicht populationsbezogen, folgten aber denselben Regeln wickeln. Neben SJS/TEN und AGEP wird auch DRESS mit
für die Fallerfassung. Dennoch wurden nur prospektiv er- berücksichtigt, in den vergangenen zwei Jahren auch zu-
fasste und direkt interviewte Fälle von SJS/TEN, die die nehmend GBFDE. Bei Auftreten von schweren Hautreak-
Reaktion vor Aufnahme ins Krankenhaus entwickelten tionen in einer der beteiligten Kliniken meldet der An-
und zur stationären Aufnahme führten, in die Fall-Kont- sprechpartner den Fall telefonisch, per Telefax oder via
rollstudien eingeschlossen. Für die Fall-Kontrollanalyse E-Mail dem dZh. Nach Eintreffen der Fallmeldung setzt
wurden zu jedem Fallpatienten drei Kontrollpersonen be- sich das dZh direkt mit dem Ansprechpartner in Verbin-
fragt, die in Alter, Geschlecht, Region des Wohnortes und dung, um die vorliegenden Kriterien für die Fallerfassung
Datum des Interviews zu den Patienten mit SJS/TEN paß- zu besprechen. Sind diese erfüllt, wird ein zeitnaher Ter-
ten. Die Kontrollpersonen sollten die allgemeine Bevölke- min zum Besuch in der jeweiligen Abteilung vereinbart,
rung repräsentieren und die Krankheiten oder Unfälle, die um mit dem Patienten, seinen Angehörigen und ggf. den
sie ins Krankenhaus führten, könnten jedem von uns ge- behandelnden Ärzten die Datenerhebung und Probenas-
schehen. Als Kontrollen dienten daher Patienten, die we- servierung durchzuführen. Alle in diese Studien einge-
gen einer akuten Erkrankung inklusive Infektionen (z. B. schlossenen Patienten mit einer schweren Hautreaktion
Pneumonie), Traumata (z. B. Frakturen) und abdominel- werden (und wurden auch in früheren Jahren) von einer
len Notfällen (z. B. Appendizitis, rupturierte Ovarialzyste, geschulten medizinischen Fachkraft (Arzt, Pharmazeut,
eingeklemmte Hernie) stationär behandelt wurden. Dabei Biologe, Krankenpfleger oder medizinischer Dokumen-
durften diese akuten Erkrankungen nicht mit einer zu- tar), im Studienjargon »Interviewer« genannt, anhand
grunde liegenden chronischen Krankheit assoziiert sein. eines standardisierten Fragebogens befragt (. Abb. 37.2).
Nicht nur Fälle sondern auch Kontrollen wurden hinsicht- Dieser enthält Fragen zur derzeitigen Erkrankung, zu de-
lich derer Diagnose und Eignung geprüft, und ungeeignete mografischen Daten, akuter und zurückliegender Krank-
Kontrollen wurden ausgeschlossen (Kelly 1995). heitsgeschichte, kürzlichen Infektionen sowie detaillierte

Koordination Register und Kohorten-


durch dZh Datenbank studie
(IMBI)
37
Proben-
bank
Leitungsgremium standardisierte
und Experten Fallbewertung

Nationale Nationale Nationale


Arbeitsgruppe 1 Arbeitsgruppe 2 Arbeitsgruppen

Inter- Blutproben
Inter- Inter-
viewer viewer viewer

K K
K K K K K
K K
K K
K

. Abb. 37.2 Organisation des Europäischen Registers für schwere kutane Arzneimittelreaktionen mit Probensammlung. K behandelnde(s)
Krankenhaus/Klinik/Abteilung

marcus.lehnhardt@rub.de
37.5 · Datensicherheit und Ethikvotum
407 37
Informationen zum Medikamentengebrauch. Alle er- te Blutproben entnommen und zentral in einer Proben-
fassten Fälle werden anhand der Konsensusdefinition für bank gelagert werden, um für die Erforschung schwerer
SJS/TEN und Erythema exsudativum multiforme majus Hautreaktionen zur Verfügung zu stehen. Zudem werden
(EEMM) bzw. anhand von Score-Systemen für AGEP und die zum Teil durchgeführten Follow-Up-Untersuchungen
DRESS von einem dermatologischen Expertengremium im Verlauf besprochen. Die Patienten werden außerdem
hinsichtlich der Diagnose mit Hilfe von klinischen Daten, darüber informiert, dass sie oder ihre Ärzte sich bei Fragen
Fotografien und histopathologischen Befunden in stan- zu den schweren Hautreaktionen jederzeit im dZh melden
dardisierter Form bewertet (Bastuji-Garin 1993, Sido- können. Im Fall, dass ein Patient z. B. aufgrund der medi-
roff 2001, Kardaun 2007). Dabei haben die Experten keine zinisch notwendigen Intubation sein Einverständnis nicht
Informationen über mögliche Arzneimittelexpositionen selbst geben kann und keine juristische Betreuungssituati-
und/oder Infektionen. Bei der Validierung werden Fälle on besteht, dürfen alle Daten anonymisiert erhoben und
als »sicher«, »wahrscheinlich« oder »mögliche« schwere Blutproben für die Untersuchung schwerer Hautreaktio-
Hautreaktionen klassifiziert oder ausgeschlossen. Der nen entnommen und gelagert werden. Der Patient muss
Begutachtungsprozess wird separat für Verdachtsfälle aber nach der Extubation bzw. sobald er wieder in an-
von blasenbildenden (SJS/TEN, EEMM, GBFDE), Ver- sprechbarer Verfassung ist, gefragt werden, ob er den Un-
dachtsfälle von AGEP und solchen von DRESS durchge- tersuchungen zustimmt und sollte dann sein Einverständ-
führt, da die zur Beurteilung notwenigen Informationen nis schriftlich erklären. Tut er dies nicht, so müssen die
für die einzelnen Krankheitsbilder unterschiedlich sind Proben verworfen werden. Verstirbt der Patient, so dürfen
und entsprechend standardisiert präsentiert werden müs- sämtliche Daten und Proben für Analysen zur Erforschung
sen (. Abb. 37.2). der schweren Hautreaktion verwendet werden, da dem Pa-
tienten kein Nachteil daraus entstehen kann. Liegt eine
gesetzliche Betreuung bereits vor oder wird diese während
37.5 Datensicherheit und Ethikvotum der stationären Behandlung eingerichtet, so ist selbstver-
ständlich der Betreuer unterschriftsberechtigt.
Schon vor Einrichtung des dZh wurden datenschutzrecht- Zudem ist das Vorgehen so geregelt, dass bei vorliegen-
liche Gutachten eingeholt und die Empfehlungen entspre- dem Einverständnis der Patienten die entsprechenden
chend umgesetzt. Im Vorfeld des RegiSCAR-Projekts, wel- Fragebögen inklusive Arztbriefen etc. in einem Raum des
ches ab Herbst 2002 für drei Jahre von der Europäischen dZh aufbewahrt werden, während in der EDV lediglich die
Kommission gefördert wurde, fand ein reger Austausch anonymisierten bzw. pseudonymisierten Daten in Form
zwischen den Ethikkommissionen der teilnehmenden einer siebenstelligen sogenannten Interviewnummer ein-
Partneruniversitäten wie auch der Europäischen Kommis- gegeben sind. Das Aufbewahren der Patientenakten ist
sion statt. Dabei stellte sich heraus, dass die Vorgaben hin- insofern wichtig, als immer wieder Patienten oder deren
sichtlich des Einverständnisses der betroffenen Patienten, Ärzte anrufen und Fragen zum konkreten Krankheitsfall
vor allem bei kurzfristiger krankheitsbedingter Nichtein- stellen. Die auf Kosten des dZh mittels Kurierdienst ver-
willigungsfähigkeit unterschiedlich waren. Dennoch schickten und in Frankreich asservierten Blutproben kom-
konnten schließlich Lösungen gefunden werden, die so- men dort mit einer sogenannten Sample Form an, in die
wohl den Vorgaben der Europäischen Kommission als genau diese siebenstellige Nummer eingetragen ist. Im
auch denen der jeweiligen nationalen Ethikkommissionen Labor wird jede Probe mit einem Barcode versehen, der
entsprachen, zumal es sich um eine klinisch-epidemiolo- eine sogenannte SCAR-Nummer (SCAR-ID) erhält. Die
gische Untersuchung und nicht um eine Interventionsstu- Sample Form wird an das Datenzentrum des RegiSCAR-
die handelt. Die Situation in Deutschland ist für das dZh Projekts im Institut für Medizinische Biometrie und Medi-
und damit den deutschen Teil von RegiSCAR so geregelt, zinische Informatik (IMBI) am Universitätsklinikum Frei-
dass allen Patienten mit einer schweren Hautreaktion, bzw. burg geschickt. Nur hier kann der Link zwischen der sie-
bei betroffenen Kindern deren Eltern, eine schriftliche In- benstelligen Interviewnummer und der SCAR-ID für die
formation mit Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Blutproben gemacht werden. Das IMBI befindet sich
RegiSCAR-Projekt übergeben wird. Hierin ist festgehalten, räumlich getrennt vom dZh und die Statistiker dort haben
dass die medizinischen Daten betreffend die schwere keinen Zugriff auf die Patientendaten, genauso wenig wie
Hautreaktion erfasst und in anonymisierter bzw. pseudo- die dZh-Mitarbeiter Zugriff auf die SCAR-IDs und damit
nymisierter Form elektronisch gespeichert und ausgewer- die Proben haben.
tet werden können. Falls Probebiopsien aus der Haut ent- Werden die Blutproben z. B. für bestimmte genetische
nommen werden, darf ein Teil dieser Proben für For- Untersuchungen verwendet, die vorher beschrieben und
schungszwecke im Bereich der schweren Hautreaktionen vom Leitungsgremium des RegiSCAR-Projekts »abgeseg-
eingefroren werden. Ebenso ist festgehalten, dass bestimm- net« sein müssen, so teilt die RegiSCAR-Koordinatorin

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408 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

(gleichzeitig Leiterin des dZh) der Statistikerin mit, nach jeau 1990; Schöpf 1991). In anderen Ländern wurde über
welchen Kriterien die Blutproben selektiert werden sollen. Inzidenzen zwischen 1,4 und 6 pro Millionen Personenjah-
Diese wiederum stellt den Link her und teilt dem Labor in re für SJS und TEN berichtet. Allerdings könnte die große
Frankreich mit, welche Blutproben bereitgestellt werden Variation dieser Inzidenzraten durch kleinere Referenz-
sollen. Dieses auf den ersten Blick kompliziert anmutende populationen, verschiedene diagnostische Kriterien und
Vorgehen hat in den vergangenen 13 Jahren hervorragend andere methodologische Probleme (z. B. den Gebrauch
funktioniert (. Abb. 37.2). von automatisierten Datenbanken mit unterschiedlichen
Codierungen zur Fallidentifikation) hervorgerufen sein
(Strom 1991).
37.6 Vollständigkeit der Erfassung Über die vergangenen 25 Jahre hat die populationsbe-
und Inzidenz der Erkrankungen zogene Erfassung des Dokumentationszentrums schwerer
Hautreaktionen für SJS/TEN eine Inzidenz von ein bis zwei
Die regelmäßigen Anschreiben an etwa 1700 Abteilungen Fällen pro eine Million Einwohner pro Jahr berechnen
und mehr als 2000 Ansprechpartner dienen nicht nur können (Schwankungen zwischen 1,53 und 1,89; Mocken-
der Erinnerung an das dZh und der ggf. notwendigen haupt 2012).
retrospektiven Erfassung von nicht akut gemeldeten Fäl-
len schwerer Hautreaktionen, sondern auch als Instru-
ment zur Berechnung der Rückmelderate, wodurch sich 37.7 Demografische Daten
Rückschlüsse auf die Vollständigkeit der Erfassung ziehen
lassen. Zudem werden zur Evaluierung der Rückmelde- 37.7.1 SJS/TEN
rate auch sämtliche Kontakte mit Kliniken berücksichtigt,
bei denen es sich um Anfragen zur Diagnostik und SJS und TEN treten in unterschiedlichen Altersgruppen
Therapie der schweren Hautreaktionen handelte, wie auch auf. Bei mehr als 2.200 Patienten mit validiertem SJS/TEN
alle direkten Fallmeldungen. Der überwiegende Teil der wurde im dZh ein Durchschnittsalter von 53,4 Jahren
Meldungen kommt aus Hautkliniken bzw. von Dermato- (1–94 Jahre) berechnet. 64 % der SJS-Patienten, 75 % der
logen, die Patienten konsiliarisch z. B. auf Intensivstatio- Patienten mit SJS/TEN-Übergangsform und 72 % der Pa-
nen sehen, gefolgt von Verbrennungsabteilungen und Kin- tienten mit TEN waren über 40 Jahre alt. Im Gegensatz
derkliniken (Mockenhaupt 1998). Um allerdings eine hierzu waren 83 % der Patienten mit EEMM ≤40 Jahre alt.
möglichst vollständige Erfassung zu erzielen, werden auch In einer spezifischeren Analyse konnte gezeigt werden,
kleinere internistische Abteilungen in Krankenhäusern dass Kinder und Jugendliche <18 Jahren 45 % der EEMM-
mit mehr als 200 Betten bzw. mit Möglichkeiten zur Patienten ausmachten, während der Prozentsatz dieser
Intensivbetreuung regelmäßig angeschrieben. Der Ver- Altersgruppe für SJS nur bei 13 % lag. Weniger als 8 % der
37 gleich der vom dZh angeschriebenen Kliniken und Ab- Fälle von EEMM und SJS können nicht klar voneinander
teilungen mit der Rückmeldung bzw. Kontaktaufnahme unterschieden werden, doch zeigte sich, dass diese Fälle die
derselben mit dem dZh stellt die einzige Möglichkeit demografischen Charakteristika von EEMM aufweisen.
dar, die Vollständigkeit der Erfassung zu überprüfen. Männer erkranken häufiger an EEMM (66 %) und Frauen
Externe Datenquellen, wie z. B. die Todesfallzahlen des sta- häufiger an SJS/TEN (57–63 %; Mockenhaupt 2009).
tistischen Bundesamtes, sind wenig hilfreich, da die Todes- Die Letalität liegt für SJS bei 9 %, für die SJS/TEN-
ursache selbst oft nicht klar angegeben oder nicht eindeu- Übergangsform bei 29 % und für die TEN bei 48 %, was
tig codiert wird, bzw. die ICD-Codierung unter einem zusammen genommen einer Sterberate von 25 % ent-
Code eine Reihe unterschiedlicher Diagnosen zusammen- spricht, da die weniger schweren Reaktionen mit besseren
fasst. Zwar tauschen das dZh und die Spontanmeldesyste- Überlebenschancen deutlich häufiger sind als die schwers-
me des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinpro- ten (. Abb. 37.3; Mockenhaupt 2009). Im Vergleich zu frü-
dukte (BfArM) und der Arzneimittelkommission der deut- heren Jahren scheint die Sterberate eher höher, was wahr-
schen Ärzteschaft (AkdÄ) anonymisierte Fallberichte von scheinlich das gestiegene Alter der Patienten (in einer ge-
schweren Hautreaktionen aus, doch werden mehr als 90 % nerell alternden Gesellschaft) und damit die zugrunde
der Fälle nur dem dZh und nicht primär den anderen Ins- liegenden Erkrankungen widerspiegelt. Da es oft schwierig
titutionen gemeldet (. Abb. 37.1; Rzany 1996). ist, die tatsächliche Todesursache von SJS/TEN-Patienten
Obwohl die Daten der retrospektiven Studien nicht zu eruieren, wird der Tod innerhalb von sechs Wochen
vorrangig für epidemiologische Zwecke erhoben wurden, nach Auftreten der Hautreaktion mit dieser in direktem
konnte für TEN in Frankreich eine Inzidenzrate von 1,2 Zusammenhang gesehen. Risikofaktoren für das Verster-
pro eine Million Einwohner pro Jahr, in Deutschland von ben in der akuten Krankheitsphase sind ein großes Aus-
0,93 pro eine Million pro Jahr errechnet werden (Rou- maß an Hautablösung, hohes Lebensalter und vorbeste-

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37.7 · Demografische Daten
409 37

Letalität von SJS/TEN (Daten des dZh 1990–2007; n=2200)


100%

90%

80%
126
70%
335
60%
741 Entlassungen /n=1802)
50% 600
Todesfälle (n=398)

40%

30%
139
20%
171
10%
87
0%
EEMM (n=601) SJS (n=828) SJS/TEN (n=506) TEN (n=265)

. Abb. 37.3 Letalität von Stevens-Johnson-Syndrom/toxisch epidermaler Nekrolyse

hende Grunderkrankungen (z. B. Niereninsuffizienz). In teren Analyse der RegiSCAR-Gruppe konnten diese Er-
der RegiSCAR-Kohortenstudie, die Patienten aus allen gebnisse bestätigt werden (Lipowicz 2013).
beteiligten Ländern einschließt, konnte innerhalb von
sechs Wochen nach Beginn von SJS/TEN eine Sterberate
von 23 % ermittelt werden, die im Verlauf eines Jahres auf 37.7.3 AGEP
34 % anstieg. Als Risikofaktoren für das Versterben in den
ersten drei Monaten nach Beginn der Erkrankung konnte Die EuroSCAR-Studie umfasste die größte validierte Ko-
in erster Linie die Schwere der Reaktion identifiziert wer- horte von AGEP-Patienten. Da die Fall-Kontrollstudie
den, während vorbestehende Grunderkrankungen wie Le- nicht populationsbezogen arbeitete, sind verlässliche Inzi-
ber- oder Nierenfunktionsstörungen sowie aktive Krebser- denzraten für AGEP nicht verfügbar. Allerdings scheint
krankungen Risikofaktoren für das Versterben im Verlauf AGEP in einigen europäischen Ländern häufiger vorzu-
darstellen (Sekula 2013). kommen als in anderen, was an der Verfügbarkeit spezi-
fischer Arzneimittel mit einem hohen Risiko für AGEP
liegen könnte. Von den 150 potenziellen AGEP-Fällen, die
37.7.2 GBFDE im Rahmen der EuroSCAR-Studie gesammelt wurden,
konnten 97 endgültig als »wahrscheinlich« und »sicher«
In einer Analyse des dZh wurden 62 Patienten mit geprüf- validiert werden. Die Mehrzahl der Patienten (78/97) kam
ter Diagnose von GBFDE untersucht. Hierbei handelte es aus Frankreich. Das Durchschnittsalter lag bei 56 Jahren
sich um drei Kinder und 59 Erwachsene, wobei das Durch- (4–91 Jahre) und 80 % der Patienten waren Frauen. Eine
schnittsalter der Letztgenannten bei 75,6 Jahren lag. Insge- Todesrate von knapp 4 % wurde berechnet (Sidoroff 2007).
samt waren 34 Männer und 28 Frauen betroffen. Obwohl Im derzeitigen RegiSCAR-Projekt kommt die größte
die meisten Patienten kein sehr ausgeprägtes Krankheits- Zahl der AGEP-Patienten aus Deutschland. In einer ersten
gefühl hatten und durchschnittlich nur 9 % der Haut blasig Analyse des dZh von 106 potenziellen Fällen konnten 59
verändert waren, verstarben innerhalb von sechs Wochen als »wahrscheinlich« und »sicher« validiert werden; das
nach Beginn der Reaktion 13 Patienten (21 %), die sämtlich Durchschnittsalter der Patienten betrug 59 Jahre (20–83
über 70 Jahre alt waren (Mockenhaupt 2010). In einer spä- Jahre), 57 % waren Frauen (Schalk 2012).

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410 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

37.7.4 DRESS weniger als vier Wochen (15 Tage für Carbamazepin,
24 Tage für Phenytoin, 17 Tage für Phenobarbital, 20 Tage
Bis heute stehen keine verlässlichen Inzidenzzahlen für für Allopurinol). Nach mehr als acht Wochen der Anwen-
DRESS zur Verfügung, was darin begründet ist, dass lange dung blieb für die hochverdächtigen/stark assoziierten
Zeit verschiedenste Unverträglichkeitsreaktionen unter Arzneimittel kein signifikantes Risiko bestehen. Das typi-
dem Begriff »Hypersensitivitätssyndrom« zusammenge- sche Muster für diese Arzneimittel ist gekennzeichnet
fasst und keine epidemiologischen Studien hierzu durch- durch kürzlichen Einnahmebeginn und fehlende oder sel-
geführt wurden. Von den 201 im RegiSCAR-Projekt er- tene Begleitmedikation mit anderen hochverdächtigen/
fassten potentiellen DRESS-Fällen wurden 117 endgültig stark assoziierten Arzneimitteln (. Tab. 37.1).
als »wahrscheinlich« und »sicher« validiert. Interessanter- Für einige andere Substanzen, die im Verdacht stan-
weise betrug das Alter der 66 weiblichen Patienten im den, ein erhöhtes Risiko für SJS/TEN zu haben, konnte ein
Median 41,5 Jahren, während es für die 51 betroffenen signifikantes aber niedrigeres Risiko berechnet werden.
männlichen Patienten mit 57 Jahren deutlich höher lag. Unter diesen verdächtigen/assoziierten Arzneimitteln fan-
Die Todesrate war mit zwei Todesfällen bei 117 Patien- den sich verschiedene Antibiotika, von denen Penicilline
ten signifikant niedriger als die zuvor geschätzten 10 % das niedrigste relative Risiko aufwiesen, und nicht-steroi-
(Kardaun 2013). dale Antirheumatika vom Phenylessigsäure-Typ, wie z. B.
Diclofenac. Für Valproinsäure konnte gezeigt werden, dass
sie entgegen früherer Annahmen kein erhöhtes Risiko für
37.8 Ätiologische Faktoren SJS/TEN besitzt. Eine Vielzahl von häufig verwendeten
Arzneimitteln und Arzneimittelgruppen wie z. B. Beta-
37.8.1 SJS/TEN Blocker, ACE-Hemmer, Kalzium-Antagonisten, Thiazid-
Diuretika, Furosemid, Sulfonylharnstoff-Antidiabetika,
Fall-Kontrollstudien werden als der Goldstandard der Ri- Insulin und Propionsäure-NSAR (z. B. Ibuprofen) waren
sikobewertung für Arzneimittel angesehen. In der Euro- nicht mit einem erhöhten Risiko für SJS/TEN verbunden.
SCAR-Studie basieren die Risikoschätzungen auf 379 so- Eine andere Möglichkeit der Risikoschätzung in gro-
genannten Community-Fällen von SJS/TEN (d. h. Patien- ßen Kohorten von SJS/TEN-Patienten besteht in der Ap-
ten, die die Reaktion außerhalb des Krankenhauses entwi- plikation von standardisierten Algorithmen zur Kausali-
ckelten und wegen dieser stationär aufgenommen wurden) tätsbewertung. Im Jahr 2010 wurde von der RegiSCAR-
und 1505 Kontrollen. Für alle Patienten und Kontrollper- Gruppe ein Algorithmus zur Kausalitätsbewertung bei
sonen wurde ein sogenannter Indextag bestimmt, d. h. der SJS/TEN unter dem Namen »Algorithm for assessment of
Tag des Beginns der Reaktion bzw. der Tag der Aufnahme drug causality in Stevens-Johnson syndrome and toxic epi-
ins Krankenhaus für Kontrollen und es lagen adäquate In- dermal necrolysis« (ALDEN) publiziert. Er bietet struktu-
37 formationen zur Arzneimittelexposition vor. Diese wurde rierte Hilfe für die Identifikation des/der verantwortlichen
zwischen Fällen (Patienten mit SJS/TEN) und Kontrollper- Arzneimittel(s) im Einzelfall (Sassolas 2010). Er schließt
sonen verglichen. Für eine Vielzahl zuvor verdächtigter die Ergebnisse der oben beschriebenen epidemiologischen
Arzneimittel wie z. B. antibakterielle Sulfonamide (im be- Studien ein und stützt sich auf die folgenden Kriterien: zeit-
sonderen Cotrimoxazol), Allopurinol, Carbamazepin, liche Latenz zwischen Beginn der Arzneimitteleinnahme
Phenytoin, Phenobarbital und nicht-steroidale Antirheu- und Indextag (Tag des Beginns der schweren Hautreak-
matika (NSAR) vom Oxicam-Typ konnte ein hohes Risiko tion), Vorhandensein/Verfügbarkeit des Arzneimittels im
bestätigt werden. Unter den neueren Substanzen waren Körper vor dem Indextag (unter Berücksichtigung der
Lamotrigin und Nevirapin stark mit SJS/TEN assoziiert. Halbwertszeit des Arzneimittel sowie der Leber- und Nie-
Die Hersteller beider Arzneimittel hatten propagiert, dass renfunktion des Patienten), Information über vorherige
Unverträglichkeitsreaktionen durch eine langsame Auf- und spätere Einnahme sowie das Absetzen des Arzneimit-
titrierung der Dosis vermieden werden könnten, was tels (sofern verfügbar), die Art des Arzneimittels und seine
offensichtlich nicht für das Auftreten von SJS/TEN gilt mögliche Induktionspotenz (basierend auf Arzneimittel-
(Mockenhaupt 2008). listen, die regelmäßig aktualisiert werden müssen) und
Die meisten hochverdächtigen/stark assoziierten Arz- alternative Ursachen. Numerische Scorewerte führen zu
neimittel werden für einen längeren Zeitraum verordnet einer Kausalitätsbewertung für jedes einzelne Arzneimittel,
und eingenommen. Fast alle SJS/TEN-Patienten, die diese das ein Patient in vier Wochen vor der Reaktion einge-
Substanzen einnahmen, hatten weniger als acht Wochen nommen oder angewendet hat, wobei die Werte von
vor Beginn der Reaktion mit der Einnahme begonnen. Die »sehr unwahrscheinlich« über »unwahrscheinlich«, »mög-
Latenzzeit zwischen Beginn der Arzneimitteleinnahme lich«, »wahrscheinlich« bis »sehr wahrscheinlich« reichen
und Beginn der schweren Hautreaktion betrug im Median (Sassolas 2010).

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37.8 · Ätiologische Faktoren
411 37

. Tab. 37.1 Praktische Empfehlungen zur Kausalitätsbewertung bei SJS/TEN (Mockenhaupt 2008)

Risikoklasse Wirkstoff Bemerkungen

A. Allopurinol – Eine Latenz von 2 Tagen bis 4 Wochen zwischen Beginn


Arzneimittel mit der Medikamenteneinnahme und Auftreten der schwe-
Carbamazepin
hohem Risiko ren Hautreaktion entspricht dem zeitlichen Muster für
Cotrimoxazol und andere antibakterielle »hochverdächtige/stark assoziierte« Auslöser und spricht
Sulfonamide sowie Sulfasalazin für einen kausalen Zusammenhang
– Wenn gleichzeitig mehrere Arzneimittel eingenommen
Lamotrigin werden, spielt der Zeitraum der Einnahme eine große
Rolle für die Entscheidung, welche Substanz(en) abge-
Nevirapin
setzt werden muss (müssen), und ob einige weiterhin
nichtsteroidale Antirheumatika vom eingenommen oder erneut angesetzt werden können
Oxicamtyp – Das Risiko von verschiedenen Antibiotika zur Auslösung
von SJS/TEN liegt etwa in derselben Größenordnung,
Phenobarbital
aber deutlich unter dem Risiko der antibakteriellen
Phenytoin Sulfonamide
– Valproinsäure hat im Gegensatz zu einigen anderen
B. Cephalosporine Antiepileptika kein erhöhtes Risiko für schwere Haut-
Arzneimittel mit reaktionen
Makrolie
mäßig erhöhtem
Risiko Gyrasehemmer

Tetrazykline

nichtsteroidale Antirheumatika vom


Phenylessigsäure-Typ (z. B. Diclofenac)

C. Betablocker
Arzneimittel ohne
ACE-Hemmer
erhöhtes Risiko
Kalziumantagonisten

Sulfonamid-artige Diuretika

Sulfonamid-artige Antidiabetika

Insulin

nichtsteroidale Antirheumatika vom


Propionsäuretyp
(z. B. Ibuprofen)

Voraussetzung für jede Form der Risikobewertung von werden, obwohl Fälle von SJS/TEN ohne Arzneimittel-
Arzneimitteln zur Auslösung von schweren Hautreaktionen gebrauch sehr selten sind. Manche Patienten stehen unter
ist das Erheben einer sehr detaillierten und vollständigen einer Langzeitmedikation, die nicht als Ursache für die
Medikamentenanamnese. Dies gilt für epidemiologische schwere Hautreaktion angeschuldigt werden kann. Virus-
Studien genauso, wie für den Einzelfall. Hierbei kann es hilf- infektionen und Mykoplasmenpneumonien wurden eben-
reich sein, ein sogenanntes Zeitstrahldiagramm zu erstellen, falls als ätiologische Faktoren beschrieben, wobei vielmals
in das alle im Verlauf von vier Wochen eingenommenen klinisch ein Infekt besteht, ohne dass laborchemisch ein
oder applizierten Substanzen eingetragen werden. Für alle bestimmtes infektiöses Agens nachgewiesen werden kann
in diesem Zeitraum nicht neu angesetzten Substanzen muss (Mockenhaupt 2011).
eruiert werden, wie lange die kontinuierliche Anwendung Zudem ist nicht geklärt, welche Rolle eine mögliche
bereits besteht bzw. ob es zu einem früheren Zeitpunkt eine Interaktion von Infektion und Arzneimittel oder auch die
Anwendung gab, und wenn ja, ob diese vertragen wurde Interaktion zwischen verschiedenen Arzneimitteln spielt.
oder nicht (. Abb. 37.4). Oftmals ist es schwierig zu entscheiden, ob bestimmte Sym-
Dennoch konnten Arzneimittel nur in 75 % der Fälle ptome, z. B. Wundsein der Mund- und Nasenschleimhaut
als Ursache identifiziert werden, d. h. in mindestens 25 % oder konjunktivale Injektion, als Zeichen einer akuten In-
der Fälle konnte kein auslösendes Medikament festgestellt fektion oder als Beginn der schweren Hautreaktion selbst zu

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412 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

Medikamentenanamnese
Exposition

------------------

regelmäßige Medikamentengabe

Dosierung unregelmäßig oder unbekannt


Medikament

einmalige Medikamentengabe 

------------------

11.11. 18.11. 25.11. 02.12. *


09.12.
stationäre Aufnahme
klinischer Verlauf (oder Tag der ersten
Blase bei stationär ent-
wickelten Fällen)

* erstmaliges Auftreten von Blasen oder Erosionen

. Abb. 37.4 Zeitstrahldiagramm zur Medikamentenanamnese

werten sind. Dies kann zu Schwierigkeiten in der Bestim- ren. Bei genauer Anamnese erfährt man nicht selten, dass
mung des Indextages und zur falschen Kausalitätsbewer- die erste Einnahme des Arzneimittels gut vertragen wurde
tung führen. und erst die erneute Einnahme zur Unverträglichkeitsre-
Da keine verlässlichen In-vitro- oder In-vivo-Testver- aktion führte, die bei wiederholter Einnahme ausgepräg-
37 fahren zur Verfügung stehen, um die Korrelation zwischen ter verlaufen kann. Als häufigster Auslöser des GBFDE
einem spezifischen Arzneimittel und SJS/TEN im Einzelfall konnte in Deutschland Cotrimoxazol identifiziert wer-
zu beurteilen, stützt sich die Feststellung des auslösenden den, gefolgt von Metamizol und Paracetamol, wobei die
Arzneimittels vor allem auf das Zeitintervall zwischen Be- zeitliche Latenz zwischen Einnahmebeginn und Beginn
ginn der Arzneimitteleinnahme und Beginn der Reaktion. der Hautreaktion oft nur mehrere Stunden bis wenige
Aus Sicherheitsgründen können orale Provokationstests Tage beträgt (Mockenhaupt 2010).
mit den verdächtigen Arzneimitteln nicht empfohlen wer-
den, obwohl die Reaktion auch bei Re-Exposition nicht er-
neut auftreten muss, wie in den 1970er Jahren durchgeführ- 37.8.3 AGEP
te Studien aus Finnland zeigen konnten. Epikutan-Testun-
gen mit den potentiell auslösenden Arzneimitteln sind si- Obwohl Fallserien häufig Medikamente auflisten, die in
cher aber oft falsch negativ (Kauppinen 1972; Barbaud 2014). Verdacht stehen AGEP ausgelöst zu haben, erfolgte die ers-
te Risikoberechnung mit Hilfe des Fall-Kontrollansatzes
durch die EuroSCAR-Studie. Von den 97 Patienten mit
37.8.2 GBFDE AGEP hatten 13 in der Woche vor dem Indextag Makro-
lidantibiotika eingenommen, bei zehn handelte es sich um
Während es sich bei SJS/TEN in der Regel um den ersten Pristinamycin, eine in Frankreich zugelassene Substanz.
Einnahmezyklus eines Arzneimittels handelt, also keine Ein hohes Risiko wurde auch für Aminopenicilline berech-
klassische Sensibilisierung vorliegt, lässt sich beim GBFDE net, für die die Expositionszeit in allen Fällen weniger als
sehr häufig ein entsprechendes, wenn auch weniger ausge- 15 Tage betrug und meist sehr kurz war. Die Ergebnisse für
prägtes Vorereignis, meist auf dasselbe Arzneimittel eruie- Chinolone waren vergleichbar. Sieben Fälle und zwei Kon-

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37.9 · Genetische Faktoren bei SJS/TEN
413 37
trollen waren mit Chloroquin oder Hydroxy-Chloroquin ursächliche Rolle in der Krankheitsentstehung spielt, oder
exponiert, sieben Fälle und zehn Kontrollen mit Diltiazem. ob sie als Komplikation interpretiert werden muss.
In keinem dieser Fälle bestand die gleichzeitige Einnahme
mit einem anderen Medikament mit hohem Risiko für
AGEP. Daraus lässt sich schließen, dass diese Anti-Mala- 37.9 Genetische Faktoren bei SJS/TEN
riamittel und Diltiazem ein hohes Risiko für AGEP in sich
tragen, welches für andere ACE-Inhibitoren nicht gezeigt Eine genetische Disposition für kutane Arzneimittelreak-
werden konnte. Die zeitliche Latenz zwischen Beginn der tionen wird schon seit langem vermutet. Dennoch konnten
Arzneimitteleinnahme und Beginn von AGEP variierte erst neuere Studien das Risiko für spezifische Reaktions-
zwischen einem Median von einem Tag für Antibiotika typen in Verbindung mit bestimmten Arzneimitteln bei
und Sulfonamide (41 Fälle) und einem Median von 11 Ta- Patienten mit einem besonderen Muster der HLA-Allele
gen für andere Substanzen inklusive Chloroquin/Hydro- feststellen. Auch die RegiSCAR-Studiengruppe hat Blut-
xy-Chloroquin und Diltiazem (Sidoroff 2007). proben von Patienten mit schweren Hautreaktionen hin-
In der o. g. Analyse von dZh-Daten aus Deutschland sichtlich genetischer Faktoren analysiert, wobei festgestellt
wurden als medikamentöse Auslöser mit Abstand am werden konnte, dass diese sich in verschiedenen ethni-
häufigsten Penicilline, v. a. Amoxycillin festgestellt, ge- schen Gruppen unterscheiden. So wurde HLA-A*3101 bei
folgt von Chinolonen (Gyrasehemmern), antibakteriellen europäischen Patienten mit Carbamazepin-induzierten
Sulfonamiden, Terbinafin und (Hydroxy-)Chloroquin Unverträglichkeitsreaktionen, im Besonderen makulopa-
(Schalk 2012). pulösem Exanthem, aber nicht bei schweren Reaktionen
wie SJS/TEN festgestellt (McCormack 2011; Genin 2013).
Eine sehr starke Assoziation zwischen Carbamazepin-in-
37.8.4 DRESS duziertem SJS/TEN bei han-chinesischen Patienten und
HLA-B*1502 wurde beobachtet, die sich für Europäer
Bislang stützte sich die Information über Arzneimittel, die nicht bestätigen ließ. Allerdings wurde HLA-B*5801 so-
DRESS induzieren, auf Fallberichte und Fallserien. Oft- wohl bei Han-Chinesen mit SJS/TEN und DRESS nach
mals wurde die Reaktion selbst nach dem Arzneimittel Allopurinol-Einnahme (100 %) als auch bei Europäern mit
benannt, welches als auslösend angesehen wurde, z. B. Al- SJS/TEN (55 %) gefunden. Diese Ergebnisse sind insofern
lopurinol-Hypersensitivitätssyndrom, Dapson-Syndrom, wichtig, als sie deutlich aufzeigen, dass erstens die geneti-
Antikonvulsiva-Syndrom etc. Im Rahmen der RegiSCAR- sche Prädisposition zur Entwicklung schwerer Arznei-
Studie wurde die Arzneimittelexposition bei 117 validier- mittelreaktionen der Haut sehr stark mit spezifischen
ten Fällen von DRESS analysiert. Im Mittel wurden fünf Arzneimitteln assoziiert ist, und dass zweitens die ethni-
Arzneimittel (Median; interquartile Spannweite 2-8) im sche Zugehörigkeit eine größere Rolle spielt als zunächst
Monat vor Beginn der Reaktion eingenommen. In 77 % der angenommen (Phillips 2011). In einer Genom-weiten As-
Fälle konnte ein Arzneimittel als »wahrscheinlicher« oder soziationsstudie, die in Deutschland und Frankreich mit
»sehr wahrscheinlicher« Auslöser identifiziert werden, in den Blutproben von mehr als 500 validierten SJS/TEN-
3 % der Fälle waren es zwei Arzneimittel gleichzeitig. In 4 % Fällen des RegiSCAR-Projekts und knapp 2000 Kontrollen
der Fälle blieb die Kausalitätsfrage ungeklärt, in 7 % wurden aus dem Pool des CNG in Frankreich zeigte, dass die HLA-
die eingenommenen Arzneimittel als »unwahrscheinlich« Region auf Chromosom 6 der relevante Genlocus für diese
eingestuft. Antiepileptika inklusive Carbamazepin, Phe- Reaktionsform ist, wobei der signifikant assoziierte SNP
nytoin und Lamotrigin wurden in 36 % der Fälle als Auslö- (single nucleotide polymorphism) nah am HLA-B-Locus
ser angesehen, Allopurinol in 18 % und antibakterielle Sul- lag. Die Assoziation war stärker bei Patienten, die vor der
fonamide (incl. Sulfasalazin) in 12 %. Andere Arzneimittel Reaktion Allopurinol eingenommen hatten, doch blieb das
wurden weit seltener als Auslöser festgestellt. Die mittlere Ergebnis auch nach Ausschluß der Allopurinol-induzier-
zeitliche Latenz zwischen Beginn der Arzneimitteleinnah- ten Fälle signifikant (Genin 2011, Phillips 2011). Dennoch
me und Beginn von DRESS lag für Arzneimittel mit »wahr- ist nicht zu erwarten, dass ein Hochrisikomedikament für
scheinlicher« und »sehr wahrscheinlicher« Kausalität bei SJS/TEN eine so starke Assoziation mit einem verbreiteten
28 Tagen (Median; ±17 Tage) (Kardaun 2013). Allel in der europäischen Bevölkerung besitzt, dass es als
Des Weiteren könnte die Virusreaktivierung eine wich- prädiktiver Marker herangezogen werden könnte.
tige Rolle bei der Entstehung von DRESS spielen, vor allem
bei wiederholten Ereignissen und persistierenden Reaktio-
nen (Shiohara 2007). Allerdings konnte bislang noch nicht
geklärt werden, ob die Reaktivierung von HHV6 oder ande-
ren Mitgliedern der humanen Herpesvirus-Familie eine

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414 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

37.10 Praktische Aspekte zu den möglichen Auslösern erlauben, die dann später im
von Fallmeldung und Fallerfassung Rahmen des Evaluierungsprozesses bestätigt werden.

37.10.1 Frühzeitige Meldung


über den Verdacht einer 37.10.3 Weitere Zusammenarbeit
schweren Hautreaktion
Zudem bietet das dZh an, die entnommenen Hautproben
Am besten geschieht dies telefonisch, ggf. auch per E-Mail kostenlos histologisch zu beurteilen bzw. beurteilen zu las-
oder Fax (7 Abschn. 37.10.4). Mit Hilfe eines Kurzfragebo- sen. Dies ist vor allem für solche Abteilungen hilfreich,
gens werden von den dZh-Mitarbeitern telefonisch die denen kein Dermatohistopathologe zur Verfügung steht.
wichtigsten Informationen erfragt, die eine grobe Ein- Im Rahmen einer seit vielen Jahren sehr erfolgreichen
schätzung der vorliegenden Reaktionsform und des Ge- Kooperation mit dem dZh-Referenzlabor in Leipzig (7 Ab-
samtzustandes des Patienten zulassen. schn. 37.10.4) können Gewebeproben direkt an dieses La-
Sehr hilfreich ist die Übermittlung von Fotografien der bor geschickt werden, wobei es wichtig ist, das dZh hierü-
Hautveränderungen vor allem bei unklaren Fällen. So ber in Kenntnis zu setzen.
kann durch das dZh dann bei Fragen zur diagnostischen Das dZh stellt für Patienten mit Arzneimittel-induzier-
Einordnung und zu therapeutischen Maßnahmen schon ter Reaktion gern einen entsprechenden Allergiepass aus,
frühzeitig eine Beratung erfolgen. Sind die Kriterien zur v. a. wenn der betroffene Patient nicht in einer dermatolo-
Fallaufnahme erfüllt, so wird mit den behandelnden Ärz- gischen Abteilung behandelt oder von einer solchen mit-
ten ein Besuchstermin vereinbart. betreut wurde.
Für Patienten mit Folgeschäden nach der schweren
Hautreaktion vermittelt das dZh Kontakt zu den entspre-
37.10.2 Besuch durch einen dZh-Mitarbeiter chenden Spezialisten. So besteht seit einigen Jahren eine
Zunächst wird das schriftliche Einverständnis eingeholt sehr gute und enge Kooperation mit der Augenklinik des
bzw. bei nicht einwilligungsfähigen Patienten verfahren Universitätsklinikums Freiburg. Das dZh kann hier Termi-
wie oben beschrieben und der Patient wird mit einer soge- ne für Patienten mit Augenproblematik nach SJS/TEN aus
nannten Interviewnummer pseudonymisiert. Der Hautbe- ganz Deutschland in der speziellen Oberflächensprech-
fund wird evaluiert und ggf. fotodokumentiert, um eine stunde koordinieren. Meist wird dies mit einem Follow-Up
spätere unabhängige Einschätzung durch das Expertengre- Untersuchungstermin in der Klinik für Dermatologie und
mium zu erlauben. Venerologie, an die das dZh angeschlossen ist, kombiniert.
Im Gespräch mit dem Patienten, ggf. den Angehörigen, Jede Abteilung kann auf Wunsch eine Übersicht über
wird die Anamnese hinsichtlich der Entwicklung der schwe- die dort durch das dZh erfassten Fälle mit Informationen
37 ren Hautreaktion, der Arzneimitteleinnahme, vorausgegan- zur Expertenbewertung erhalten, die sowohl die klinische
gener Infektionen wie auch der Vorerkrankungen mit Hilfe Beurteilung enthält als auch die auslösenden Faktoren.
eines standardisierten Fragebogens erhoben. Oftmals ist Als Dankeschön mit eher symbolischem Wert für die
auch Akteneinsicht notwendig, v. a. bei Patienten, die die Unterstützung bei der Fallerfassung und beim Probenver-
schwere Hautreaktion im Krankenhaus entwickelt haben. sand überweist das dZh dem meldenden bzw. behandeln-
Eine Blutabnahme wird durchgeführt, wobei die Pro- den Arzt oder der entsprechenden Abteilung EUR 25.
ben auf Kosten des dZh in ein spezifisches Labor in Creteil,
Frankreich, verschickt werden. Dort werden die Blutpro- 37.10.4 Kontaktdaten
ben prozessiert und adäquat gelagert. Da neben DNA für
genetische Analysen Zellen für immunologische Unter-
suchungen extrahiert werden sollen, ist es wichtig, Blutpro- Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen
ben in der Akutphase der Erkrankung zu gewinnen und Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen
innerhalb von maximal 48 Stunden im Labor zu bearbeiten. (dZh)
Das dZh stellt zudem Informationen zu den verschie- Klinik für Dermatologie und Venerologie
densten Aspekten der schweren Hautreaktionen zur Verfü- Universitätsklinikum Freiburg
gung, berät auf Wunsch die behandelnden Ärzte vor Ort, Hauptstraße 7
beschafft rasch weitere wichtige anamnestische Informatio- D - 79104 Freiburg
nen z. B. zur Arzneimitteleinnahme (ggf. über den Hausarzt, Tel. 0761 270-67230
mögliche vorher behandelnde Krankenhäuser, Pflegehei- Fax 0761 270-68340
me), die für die aktuelle Behandlung eine Rolle spielen. Dies E-Mail: dzh@uniklinik-freiburg.de
soll bereits in der Akutphase der Erkrankung eine Aussage

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416 Kapitel 37 · Das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen

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37

marcus.lehnhardt@rub.de
417 38

Narbenbehandlung
nach thermischer Verletzung
Hans Ziegenthaler

38.1 Einleitung – 418

38.2 Narben – 418

38.3 Narbentherapie – 419


38.3.1 Allgemeines – 419
38.3.2 Narbenpflege – 420
38.3.3 Textile Kompressionskleidung – 421
38.3.4 Narbenmassagen – 423
38.3.5 Silikon – 425
38.3.6 Alternativen – 428

Literatur – 429

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DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_38, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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418 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

38.1 Einleitung
Unterscheidung Ersatzgewebe (Narbe) und
Narben entstehen bei Verletzung der tieferen retikulären gesunde Haut
Dermisstrukturen in Folge einer verzögerten Wundhei- 5 Verlust von Hautanhangsgebilden (Haare,
lung. Deren Ergebnis ist ein faserreiches, funktionell min- Schweiß- und Talgdrüsen)
derwertiges, zu Kontrakturen neigendes Ersatzgewebe. 5 verstrichene Reteleisten
Narben verursachen funktionelle Einschränkungen und 5 eine veränderte Architektur und Zusammen-
körperliche Schmerzen. Sie erschweren die Akzeptanz des setzung der extrazellulären Matrixbestandteile
veränderten Körperbildes, werden als Stigmen empfunden 5 herabgesetzte Dehnfähigkeit und verminderte
und fördern nicht selten soziale Ängste oder Ausgrenzung. Verschieblichkeit
Im Rehabilitationsprozess nimmt die Narbentherapie da- 5 Neigung zum Schrumpfen
her eine hervorzuhebende Stellung ein. 5 Vulnerabilität gegenüber äußeren Reizen (mecha-
Bei Brandverletzten erreichen selbst modernste plas- nisch, chemisch, UV-Strahlung)
tisch-chirurgische Verfahren keinen narbenfreien Hauter- 5 gestörter Nozizeption/Propriozeption
satz. Dennoch ist in der Vermeidung der Narbenentste- 5 lokale und generalisierte vegetative Reizerschei-
hung der primäre Ansatz der Narbentherapie zu finden. nungen (Juckreiz, Rötung, Brennen)
Die Vielzahl konservativer Therapieansätze (textile 5 Niveauunterschiede an den Übergängen zum Ge-
Kompressionstherapie, äußere Silikonanwendungen, Nar- sunden
benmassagen, Glukokortikoidinjektionen, Kryotherapie,
Röntgenstrahlen u. a.) ist unter Berücksichtigung der spe-
zifischen Vorteile und Risiken der jeweiligen operativen Je nach Ausdehnung, Lokalisation, Art und qualitativen
Alternative primär zu favorisieren. Unstrittig ist der Vorteil Charakteristika beeinträchtigen die Narbe das physische
eines frühen Beginns, die Konsequenz in der langfristigen und psychische Gesundheitsempfinden durch den Verlust
Anwendung und die Kombination verschiedener Metho- der physiologischen Funktionen der nichtgeschädigten
den an Hand des klinischen Erscheinungsbildes. Evidenz- Haut, über funktionelle Behinderungen, z. B. die Beein-
basierte Studien mit gutem Designe zum Wirknachweis trächtigung einer Gelenkfunktion als auch über Selbst-
der einzelnen Therapieoptionen sind selten. Zugleich darf wahrnehmung und zwischenmenschliche Interaktionen
die individuelle Reaktion einer jeden Narbe nicht außer im sozialen Kontext.
Acht gelassen werden. Zu unterscheiden sind nach Aussehen und Eigenschaf-
ten »physiologische« fibröse Narben ohne Interventions-
bedarf, von den harten, unelastischen und schrumpfenden
38.2 Narben sklerotischen Narben. Wulstige – hypertrophe – Narben
finden sich überwiegend nach Verbrennungsverletzungen,
Verletzungen der Dermis führen unweigerlich zur Defekt- sind scharf begrenzt in der Ausdehnung, überragen das
38 heilung im Rahmen eines mehrphasigen überschießenden Hautniveau und zeigen teilweise eine spontane Rückbil-
Reparaturprozesses. dung. Keloide, die über die Wundränder hinauswachsen,
1. Die Destruktionsphase ist gekennzeichnet durch bilden sich ohne spezifische Therapie selten zurück, er-
Hypoxie, Hämostase und Bildung von Gerinnseln. zeugen starken Juckreiz, brennen und sind stark gerötet
2. Vasoaktive Substanzen bedingen in der Inflamma- (Worret 2004).
tions- und Exsudationsphase eine gesteigerte Mikro-
zirkulation und Expression von Wachstumsfaktoren
Prädisponierende Faktoren für eine
wie dem Transforming growth factor β1 (TGF-β1)
Narbenbildung (nach Vogt 1993)
sowie die Migration von Abwehrzellen, die Neoangio-
5 weibliches Geschlecht
genese als auch die Fibroblastenproliferation.
5 jugendliches Alter
3. Hierdurch wird in der Granulations- und Proliferati-
5 schwarze Hautfarbe
onsphase die Bildung einer stark vaskularisierte extra-
5 genetische Disposition
zelluläre Matrix gefördert, bevor es zur Ausbildung
5 ausgewählte Körperregionen (Sternum, über
eines Gleichgewichts an zellulärer, humoraler, mesen-
Gelenken, bei unphysiologischer Hautspannung)
chymaler und endothelialer Faktoren kommt.
4. Abschließend generiert sich in der Regenerations- und
Epithelisierungsphase eine stabile und durch Apopto-
sen zugleich zellarme Kollagenmatrix (Vogt 2009).

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38.3 · Narbentherapie
419 38
38.3 Narbentherapie bei Kind und Jugendlichem bis zu 4 Jahre dauern kann. Im
Ergebnis verbessert sich die Belastbarkeit gegenüber me-
38.3.1 Allgemeines chanischer Irritation, der UV-Strahlung sowie der Elastizi-
tät. Die Zugfestigkeit erreicht wieder ≤80 % der unverletz-
Eine gezielte gewebeschonende plastisch-chirurgische ten Haut (Anderson 2012).
Versorgung fördert die Neovaskularisation und Angioge- Eine Vielzahl an Maßnahmen ist zur Optimierung der
nese und somit eine rasche Reepithelisierung (Sorg 2013). Narbensituation geeignet (. Abb. 38.1):
Neben der Einhaltung der Grundprinzipien der Verbren- 4 konservative
nungsbehandlung zählt dies zu den grundlegenden Maß- 4 medikamentöse
nahmen zur Optimierung der Narbensituation. 4 interventionelle
In der Phase der Narbenreifung, der eigentlichen 4 chirurgische
Schlussphase der Wundheilung, wandeln sich ungerichtet,
knäuelförmig angeordneten Kollagen-Typ-III-Fasern in Sie sind mit unterschiedlicher Evidenz und Erfolg, aber
Kollagen-Typ-I-Bündel, was beim Erwachsenen bis zu 1,5, auch spezifischer Kosten-Nutzen-Relation geeignet, den

. Abb. 38.1 Übersicht zu konservativen, interventionellen und


operativen Narbentherapien. (Nach Achauer 1991 und Worret 2004)

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420 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

Prozess der Narbenreifung zu fördern. Generell ist mit


. Tab. 38.1 Zusammensetzung der Pflegesalbe Gräfliche
Blick auf den klinischen Verlauf ein eher polypragmati-
Kliniken Moritz Klinik
sches Vorgehen angezeigt (Worret 2004).
Dagegen sind operativen Narbenkorrektur verfahren Bestandteil Menge (g)
mit Z- oder Y-Plastiken, lokale oder Fernlappenplastiken
erst nach weitestgehend abgeschlossener Narbenreifung, Glyzerin 150,0
unzureichendem Effekt konservativer Therapien oder aber Wasser 300,0
bei wesentlichen funktionellen Beeinträchtigungen durch Unguentum cordes ad 1000,0
Narben zu prüfen. Gemeinsam ist ihnen die Zielsetzung,
über Längengewinn Gewebespannung zu reduzieren oder
die Spannungsrichtung einer Narbe zu verändern (Ban-
nasch 2009). Zu Detailfragen 7 Kap. 40. bei 30°C Feinwäsche aus der Kompressionsbekleidung
entfernen.
Letztendlich bleiben als Auswahlkriterien die indivi-
38.3.2 Narbenpflege duelle Hautverträglichkeit, die Anwendungsfreundlich-
keit, die Akzeptanz durch den Brandverletzten und die
In den ersten 4–6 Wochen werden zur Pflege der Trans- Hinterfragung der Kosten/Nutzen-Relation einzelner Pro-
plantate Wasser-in-Öl-Emulsionen mit einem Anteil pfle- dukte bestehen.
gender Öle und Fette von über 50 % verwendet. Neben den In einer eigenen Anwendungsbeobachtung mit Alhy-
schützenden Fettanteilen enthalten sie u. a. Dexpanthenol dran zeigten sich neben guter Verträglichkeit positive Ein-
(einem Provitamin des Vitamin B5), das gut von der Haut flüsse auf Rötung, Juckreiz und Spannungsgefühl (Zie-
aufgenommen und sich am Anwendungsort anreichert. In genthaler 2011). Terproline-Salbe hat subjektiv einen Vor-
gleicher Weise fördern lokal applizierte ungesättigte Fett- teil vor allem bei der Rückbildung der Hautrötung gezeigt.
säuren (u. a. Linolsäure, einem essentiellen Bestandteil Trotz molekularbiologischer Untersuchungen ist nicht
epidermaler Barrierestrukturen zur Regulation des Was- belegt, wie und ob sie in den Reparaturprozess eingreift
serhaushalts) den natürlichen Regenerationsprozess der (Lindig 2000). Generell ist vor einer Überbewertung der
Haut und wirken Entzündungen und Juckreiz entgegen. Wirksamkeit einzelner Pflegeprodukte wie auch vor einem
Beide Bestandteile unterstützen die Neubildung von Haut- übermäßigen Gebrauch zu warnen.
zellen und besitzen wundheilungsfördernde Eigenschaf- Essenziell ist die tägliche Waschung bzw. ein medizini-
ten. Über das erhöhte Feuchthaltevermögen der Haut ver- sches Vollbad über ≤10 min, um eine oberflächliche Reini-
bessert sich die Elastizität der Haut (Stozkowska 2004; gung einschließlich der Senkung der Keimlast und das
Blecker 2010). Entfernen von Krusten mit zweckmäßigem Einmalmateri-
Nach dieser Zeit sind eher feuchtigkeitsregulierende, al zu ermöglichen. Auf eine milde Wassertemperatur (36–
pflegende und weniger fettende Öl-in-Wasser-Emulsionen 38°C) ist zu achten, um ein Provozieren von Juckreiz zu
38 zu nutzen. Sie sollten weitestgehend frei von Konservie- vermeiden.
rungs-, Duft-, Farb- und anderen Zusatzstoffen sein. Inter- Als Zusätze eigenen sich bei weitestgehend abgeheilten
valle der Narbenpflege und die zu verwendende Menge ist Narbenverhältnissen je nach Hauttrockenheit Molke, Wei-
dem aktuellen Hautbefund anzupassen. Sowohl Narben- zenkleie-Extrakt oder Öl-Badezusatz. Bei instabilen Haut-
als auch Spenderareale bedürfen aber in den ersten 1,5– verhältnissen werden Bioplant und Betaisodona-Wasch-
2 Jahren nach dem Hautersatz einer intensiven und konse- antiseptikum als Zusätze (pro Wannenbad je 125 ml), ein-
quenten Pflege. gesetzt. Nach Ausschluss infektiologischer Ursachen sind
In unserer Einrichtung wird seit Jahren eine Pflegesal- bei verzögerter Epithelisierung in Bereichen von Mesh-
be auf Glyzerinbasis, konservierungs- und duftstofffrei, grafts oder Spenderarealen durch den positiven Effekt auf
ohne Zusatz von Antioxidantien oder Alkohol mit hoher Hämodynamik und Hämorheologie (Hartmann 1989; Ka-
Akzeptanz zur Narbenpflege bei Brandverletzten ange- ragülle 2004) CO2-Bäder (trocken oder als Bad appliziert)
wendet (. Tab. 38.1). nach Erfahrungen des Autors auch bei Brandverletzten mit
Durch die weiche Konsistenz lässt sich diese unproble- Erfolg anwendbar. Mit der Fähigkeit mehr Feuchtigkeit zu
matisch auf vulnerable Hautregionen aufbringen, bildet speichern, verbessert sich zugleich die Elastizität der Haut
keinen fettenden Oberflächenrückstand. Salbenreste von (Stozkowska 2004, Blecker 2010).
Unguentum cordes (ambiphile, hypoallergene Salben-
grundlage mit hohem Wasser- und Fettaufnahmevermö-
gen) lassen sich im Gegensatz zu Produkten, die Woll-
wachse, Lanolin oder Vaseline enthalten, unproblematisch

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38.3 · Narbentherapie
421 38
38.3.3 Textile Kompressionskleidung Kompression Kompression

Grundlagen
Im klinischen Alltag gilt die textile Kompressionstherapie
als Standard in der Prophylaxe und Therapie hypertropher
Narben, wie diese besonders nach Verbrennungsverlet-
zungen zu beobachten sind (Nast 2012). Berichte über den
positiven Einfluss der Kompression auf die Narbenreifung
existieren bereits von Rayer im Jahr 1894 und im Jahr 1924
von Blair. Sie kommt, obwohl ein evidenzbasierter Beleg
für den Effekt bisher nicht zu erbringen war (Anza-
rut 2009), routinemäßig, nicht nur im deutschsprachigen
Raum, zugleich als Prävention und Therapie in der Phase
der Narbenreifung zur Anwendung (Malick 1982;
Chang 1995; Spilker 2002).
Es ist bisher nicht abschließend geklärt, über welche Kompression Kompression
humoralen, zellulären oder mechanische Prozesse sich die a
Wirkung der Kompressionstherapie vollzieht. Kontinuier-
licher Druck auf eine aktive Narbe lässt die zahlreichen
kleinen Gefäße obliterieren. Die ischämiebedingte Apop-
tose der während der Wundheilung sowie der Reorganisa- Kompression Kompression

tion des Granulationsgewebes so wichtigen Myofibroplas-


ten, ist für die Begrenzung der Narbenentstehung essen-
ziell (Tomasek 2002). Das Gleichgewicht der Kollagensyn-
these wird in Folge der reduzierten Sauerstoffzufuhr in
Richtung des Katabolismus verschoben (Serghiou 2007).
Von der reduzierten Vaskularisation lässt sich zudem ein
positiver Einfluss auf den unangenehm empfundenen
Muskelkontraktion
Juckreiz ableiten. Druck wirkt zugleich direkt als mechani-
sche Komponente und fördert eine parallele Ausrichtung
der Kollagenfasern, die Dicke der Narbe nimmt ab, deren
Geschmeidigkeit zu. Gleichzeitig ist klinisch schrittweise
ein Abblassen der Narbenareale zu beobachten.
Insgesamt wird bei hypertrophen Narben unter Kom-
pressionstherapie in 85 % der Fälle von guten und zufrie-
denstellenden Ergebnissen berichtet (Ahn 1991). Kompression Kompression
b
Druck und Materialien . Abb. 38.2a, b Textile Kompression: Grundmodell zur Druck-
Nach der Intensität des Andrucks in Ruhe werden Kom- berechnung durch Kompressionskleidung ist der Zylinder (Rumpf
pressionsbandagen in vier Kompressionsklassen eingeteilt. oder Extremität), dabei verhält sich der Druck indirekt proportional
zum Oberflächenradius. a Ruhedruck: elastische Textilgestricke er-
Zur Behandlung von Verbrennungsnarben kommt über- zeugen kontinuierlich einen zentral gerichteten Druckgradienten.
wiegend individuell nach Maß gefertigte textile Kompres- b Arbeitsdruck: beim aktiven Anspannen der Muskulatur generiert
sionsbekleidung, die einen permanenten Druck von etwa sich ein Druckgradient gegen den Ruhedruck des Kompressions-
20–35 mmHg erzeugen, zur Anwendung. Dieser war in gestricks
klinischen Tests der Wirkung eines Drucks von lediglich
10–15 mmHg überlegen (Candy 2010). Dabei liegt der
höchste Druck an den Extremitäten an den körperfernen begonnen werden. Bereits 5–7 Tage nach Transplantation
Punkten an und nimmt dann rumpfwärts hin ab (Baum- kann bei komplikationsloser Einheilung der Transplantate
gartner 2007). Am Rumpf verläuft der Druckgradient ent- mit der Maßnahme begonnen werden. Weitere 5–8 Werk-
sprechend von distal nach proximal. tage später ist mit der Auslieferung bei industrieller Ferti-
Nach Zellweger (Zellweger 1985) soll mit der textilen gung zu rechnen.
Kompressionstherapie zur Förderung der Narbenreifung Zur Anwendung kommen das Behandlungsgebiet flä-
und Prophylaxe hypertrophe Narbenbildung frühzeitig chig umhüllende textile Gewebe bzw. Gestricke zum Ein-

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422 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

satz. Sie erzeugen einerseits einen Ruhedruck, der durch Umgang des Orthopädietechnikers/Bandagisten mit dem
die kontinuierliche Kraft (Kompression) des elastischen jeweiligen Material und eine differenzierte und individu-
Materials gegen die Narbe entsteht. Im Gegensatz beruht elle Bewertung der Versorgungssituation.
der Arbeitsdruck auf der Ausdehnung eines Gewebes
(Muskel) gegen den definierten Widerstand der Kompres- Praktische Anwendung
sionskleidung (. Abb. 38.2). Ohne eine hohe Akzeptanz beim Brandverletzten kann die
Diese fertigt man je gewünschten Produkteigenschaf- erforderliche Compliance für das Tragen der Kompres-
ten aus unterschiedlichen Anteilen von meist Polyamid, sionswäsche ganztägig, d. h. über 23,5 h am Tag, nicht er-
Elastan, Baumwolle, Elastodien und Viskose. reicht werden. Aber nur so ist der erwünschte Effekt zu
Differenziert wird zwischen: erreichen. Aufklärung, Anleitung und Einfühlungsvermö-
4 Rundgestricken, einem Zweifadensystem, bei dem bei- gen, zugleich aber auch Konsequenz sind in der Gewöh-
de Fäden elastischer Natur sind und das Gestrick so- nungszeit entscheidend, um die nötige Einsicht und Moti-
mit in Längs- als auch in Querrichtung dehnfähig ist vation zu schaffen.
und
> Folgende Anforderungen sind aus klinischer Sicht
4 Flachgestricken, bei denen ein zusätzlicher dritter,
an die Kompressionskleidung zu stellen:
nicht dehnfähiger textiler Faden die Längsdehnung
5 gute Hautverträglichkeit
begrenzt, so dass ein rigideres Gestrick entsteht, das
5 strapazierfähig
einen flächig konstanten Druck ausübt und eine be-
5 atmungsaktiv
sondere Formstabilität aufweist (Gattwinkel 2014).
5 elastisch
5 pflegeleicht
Durch ihre speziellen Material- und Anwendungseigen-
5 wenige Nähte, flach und flexibel
schaften (. Tab. 38.2) sind in gleicher Weise Langzug- von
5 gleichförmige Kompression mit möglichst
Kurzzugmaterialien zu unterscheiden.
geringer funktioneller Behinderung
4 Langzugmaterialien erleichtern besonders in der
5 exakte Abbildung des Hautprofils ohne ein-
frühen Phase der Versorgung das An- und Ausziehen
schneidende Faltenbildung
durch die hohe Dehnfähigkeit, kompensieren bei
Volumenänderung besser die Druckverhältnisse und Anfangs sind an sogenannten Problemzonen (Axilla, Leis-
bewirken durch den konstant hohen Ruhedruck eine te, Ellen- oder Kniebeuge) oder vulnerablen Transplanta-
gute Entstauung. ten dennoch mechanische Irritation mit begrenzten Epi-
4 Kurzzugmaterialien erreichen mit dem niedrigeren theldefekte und Spannungsblasen nicht auszuschließen.
Ruhedruck bei den Nutzern eine hohe Akzeptanz, Diese oder vorbestehende kleinere Epitheldefekte werden
wenn stabile Volumenverhältnisse erreicht sind. mit nichtadhäsiven Wundverbänden versorgt und heilen
Der Wirkeffekt tritt hier durch den aktiv erzeugten unter der Kompressionswirkung dann wiederum unpro-
Arbeitsdruck ein. blematisch ab.
38 Muskelzuwachs und Rückgang von Ödemen können
Beide Materialien können auf Gebrauchsvorteile verwei- die Passform bzw. den erzeugten Druck gerade in den
sen. Wesentlich sind der regelmäßige und sachkundige ersten Monaten der Kompressionstherapie enorm ver-

. Tab. 38.2 Übersicht der speziellen Material- und Anwendungseigenschaften von Langzug- und Kurzzugmaterialien. (Nach Baum-
gartner 2007)

Eigenschaften Langzugmaterial Kurzzugmaterial

Dehnfähigkeit (%) 130–200 30–90

Ruhedruck ൺൺ
൹൹൹
Arbeitsdruck ൺൺ ൹
 ൹

Vorteile – leicht Anzulegen – Änderungen hands on


– gute Toleranz gegenüber Volumenschwankung – dünn, trocknet rasch
– fördert Entstauung

Nachteile – Druck mit großer Schwankungsbreite – schwierige Applikation, da wenig dehnfähig


– geringe Volumentoleranz

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38.3 · Narbentherapie
423 38
ändern. Regelmäßige Passform- und Druckkontrollen 38.3.4 Narbenmassagen
und ggf. Anpassungen (z. B. über Abnäher) oder die Neu-
anfertigung sind dann unumgänglich. Zur Druckver- Sowohl Maturität als auch Charakteristika einer Narbe
stärkung eignen sich auch fest installierte und variable sind unabhängig von der angewandten Technik durch re-
Pelotten aus Silikon-Elastomer, Polymeren oder Schaum- gelmäßiges Massieren positiv beeinflussbar (Patino 1999).
stoff. Sie kommen gerade an Körperpartien mit konkaven Narbenmassagen können bei ausreichender Wundhei-
Vertiefungen wie an den Handflächen oder über dem lung ab dem 14. postoperativen Tag in Anlehnung an das
Sternum zur Druckerhöhung und -verteilung zum Ein- Behandlungsschema für Arm- und Handverletzungen
satz. (Schmit-Neuerburg 2001) begonnen werden. Art und In-
Im Gesicht wirken textile Kompressionsbandagen nur tensität orientieren sich am Lokalbefund, d. h. dem Aus-
an den konvex prominenten Arealen wie z. B. an der Stirn, maß und der Beschaffenheit des Ödems, der Festigkeit und
dem Nasenrücken und dem Unterkieferbereich. Zur Kom- Vulnerabilität der Narbe als auch des umgebenden Gewe-
pression und Narbentherapie an den konkaven Arealen bes und dem subjektiven Schmerzempfinden.
wie an den Nasenflügen, am Unterlid und perioral bedarf
es anderer Verfahren. Zudem löst die Vollgesichtstrumpf-
Ziele der Narbenmassage auf strukturell-funktio-
maske überwiegend negative Assoziationen mit Einfluss
neller Ebene
auf die Compliance aus.
5 Ödemreduktion und Optimierung der trophischen
Bei der Kontrolle des Kompressionsdrucks sollten ob-
Situation
jektivierbare Methoden z. B. mit dem Kikuhime-Messge-
5 Förderung der Narbenmaturität
räts der Fa. TT Medi Trade den subjektiven Vergleich
5 Prophylaxe und Therapie von Gewebeverklebun-
durch Abheben des Kompressionsmaterials ablösen. Dies
gen und resultierenden Funktionsminderungen
erlaubt statische und dynamische Kontrollen an nahezu
5 Verbesserung der Funktionen im Segment und in
allen Körperregionen. Auch bei guter Passform und indi-
deren individuellen alltagsrelevanten Umsetzung
kationsgerechten Druck können besonders an gelenk-
nahen Körperabschnitten oberflächliche Epitheldefekte
entstehen. Diese werden anheftfrei abgedeckt und die Bei großflächigen Narbenbildungen ist die manuelle Nar-
Kompressionstherapie fortgeführt. So heilen diese Stellen benmassage (nach Riemann) zu favorisieren. Elementen
rasch wieder ab. der manuellen Lymphdrainage und der Bindegewebsmas-
Hieraus resultiert zugleich die Notwendigkeit einer sage sind miteinander verknüpft (Gutenbrunner 2014). Es
kompletten Wechselversorgung aus hygienischen Grün- beginnt an den zentralen Lymphbahnen mit der Anbah-
den. Den Hinweisen zum Handling der Kompressionsbe- nung des Abtransports der Lymphflüssigkeit und setzt sich
kleidung, den Wasch- und Pflegehinweise ist zu folgen, um in der Mobilisierung ödematöser Flüssigkeitsansammlun-
die Qualität der Gestricke nicht zu gefährden. gen in der Peripherie fort. Durch kreisförmige Griffe er-
Während der durchschnittlichen Behandlungsdauer zeugt der Therapeut einen lokalen Druck von ≤4 kPa, dem
mit den Kompressionsbandagen von mindestens 8–24 ein druckfreies Intervall folgt. Dieser Rhythmus erzeugt
Monate sind Verschleißerscheinungen materialbedingt einen Druckgradienten in der zentripetalen Lymphab-
nach etwa 6 Monaten, an stark beanspruchte Regionen flussrichtung (Wittlinger 2008). Dabei orientiert sich die
(Handschuhen) nach 2–3 Monate festzustellen. Sinkt der Grifffolge mit 4–8 Zyklen/min am Ruherhythmus der
erforderliche therapeutische Anpressdruckes unter das Lymphgefäße (Kinmoth 1956). Über der unverschiebli-
Minimalmaß, muss spätestens zu diesem Zeitpunkt eine chen Narbe ist als Koppelmedium eine Salbe erforderlich.
Neuverordnung erfolgen (Nast 2012). Bei verbesserter Toleranz wird in der nächste Phase an-
Eine sachgerechte Fertigung benötigt eine korrekte fangs mit Streichungen bis hin zu »kräftigen« Tiefenfrik-
und aussagefähige Verordnung mit Verwendungszweck, tionen der Bindegewebsmassage entlang der Lymphbah-
Beschreibung der Versorgung (Körperregion, Kompressi- nen in die »Tiefe« gearbeitet. So werden Bindegewebs-
onsklasse, ggf. Materialanforderungen) sowie Versor- schichten (Faszien, Bänder, Kapselstrukturen und Mus-
gungsbesonderheiten (Befestigungshilfen, Kombination keln) mobilisiert und Kontrakturen an Gelenken
mit Pelotten oder Silikonen). Zu beachten ist die verschie- entgegengewirkt (. Abb. 38.3). Simultan kann über kuti-
dene Elastizität von textilem Gestrick und Haftband bei kutane Reflexbögen der Tonus an Bindegewebe, Muskeln,
der Kontrolle des Kompressionsdrucks. Anziehhilfen sind Gefäßen und Nerven als auch an inneren Organen positiv
verordnungsfähig und erleichtern den Gebrauch. getriggert werden (Serghiou 2007).
Es gehört zur Verantwortung des verordnenden Arz- Diese Art der Narbenbehandlung zählt zu den tragen-
tes, die Ausführung der Verordnung zu kontrollieren und den Elementen in der Rehabilitationsphase der ersten
zu dokumentieren (HilfsM-RL 2009). 6–8 Monate und beansprucht je nach betroffenen Kör-

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424 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

. Abb. 38.3 Spezielle Narbenmassage. Sie enthält kreisende flächige


Griffe zur Entstauung aus der manuellen Lymphdrainage mit einem
rhythmischen Wechsel von Druck und Ruhe. Je nach Verträglichkeit
können dem kräftige Tiefenfriktionen zur Mobilisation von Bindege-
websstrukturen folgen

38 peroberfläche 60–40 min/d. Behandlungspausen von


>24 h wirken sich nachweislich negativ aus.
Technisch und computerassistiert erzeugter Unter- b
druck verbessert die Behandlungsoptionen an großflächi-
gen und besonders rigiden Narbenarealen enorm und ent- . Abb. 38.4a, b Unterdruckvakuummassage mit dem LPG-System
lastet zugleich die Hände des Therapeuten. Mit dem LPG- Cellu M6. a Über die Applikation saugenden Unterdrucks wird der
lokale Ödemabbau sowie Dehnfähigkeit und Verschieblichkeit der
System werden veränderliche Drücke von 70 bis ≤650 mbar, Narbe gefördert. b Rollende Bewegungen mechanisieren die Narbe
im pulsierenden Modus zu 50 % reduziert, aufgebaut und vertikal und fördern die Kollagensynthese sowie deren Ausrichtung
je nach Zielsetzung die Parameter Impulsdauer und -pause parallel zur Oberfläche und gebündelte
sowie Behandlungsköpfe in ihrer Größe und der Rollen-
auswahl (fix oder flexibel) variiert (. Abb. 38.4). In An-
wendungsbeobachtungen der letzten Jahren waren ten- auch Effekte bei mehrere Jahre alten Narben zu erzielen.
denziell positive Resultate mit dieser Behandlungsmetho- Eine verbesserte Dehnfähigkeit der reifen Narbe und die
de beim Autor und Anderen (Suna 2005) zu verzeichnen. Verminderung von Verklebungen sind dann vorrangige
Das Verfahren verbindet die lokale Entstauung mit Verbes- Zielsetzungen der Behandlung.
serung des Lymphstroms sowie Förderung der Narbenrei- Krankengymnasten und Ergotherapeuten nutzen fer-
fung (Aktivierung des Kollagenumbaus). Bereits ab der ner Techniken für meist strangförmige lokal limitierende
6.–8. postoperativen Woche nach Hauttransplantationen Narbenzüge. Als Trigger dient (nach Thomson) Zug, der
kann die Methode zur Anwendung kommen. Es sind aber längs oder quer, quer mit Seitverschiebung oder über Haut-

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38.3 · Narbentherapie
425 38
Für Narbenmassage mit speziellen Narbengels mit
Wirkstoffen wie Extractum cepae, Heparin und Allantoin
ist randomisiert kein evidenter Vorteil belegt. Anwen-
dungsbeobachtungen zeigen bei guter subjektiver Ver-
träglichkeit nach einem Einsatz über mehrere Monaten
(am ehesten als Kombinationseffekt aus Massage und
Wirkstoff) einen positiven Effekt auf Narbenbeschaffen-
heit und Rötung (Maragakis 1995, Willital 2013). Deren
Gebrauch erscheint lediglich an kleinen Narben additiv
sinnvoll.

a
38.3.5 Silikon

Grundlagen
Silikon – ein Zufallsprodukt vom Anfang des 20. Jahrhun-
derts, chemisch ein Silizium-Sauerstoff-Polymer (Poly-
siloxane) – variiert in seinen chemischen und strukturellen
Eigenschaften je nach Vernetzungsgrad und Art der Subs-
tituenten (Schliebs 1987).

Chemische und strukturelle Silikoneigenschaften


5 farb- und geruchlos, einfärbbar
5 gasdurchlässig aber wasserabweisend
5 temperaturbeständig und biologisch nicht
abbaubar
5 nicht toxisch oder sensibilisierend
5 flexibel und elastisch ohne Weichmacher
5 alterungsbeständig

Diese Eigenschaften prädisponieren Silikon für den Ein-


satz im medizinischen Bereich (Schmidt 2006) und bieten
in der klinischen Anwendung viele Gestaltungsmöglich-
b keiten. Besondere Vernetzungsverfahren und Reinraum-
produktion gewähren zudem eine hohe Biokompatibilität
. Abb. 38.5a, b Narbenmasage. a Der Narben-Massage-Stift wird
gezielt – punktgenau – zur Narbenmassage, besonders kleinerer
bei internen (Katheter) und externen Gebrauch (Orthe-
strangförmiger Narben im Handbereich eingesetzt. Die Übertragung sen- und Prothesen-Liner).
von Druck in die Tiefe wird optimiert, die Hände des Therapeuten Warum Silikon einen positiven Einfluss auf die Nar-
geschont. b Das Mini-Massagegerät erzeugt batteriegetrieben etwa benentwicklung hat und der eigentliche Wirkmechanis-
5500 Schwingungen und kann in der Therapievorbereitung als auch mus sind bisher nicht abschließend belegt. Verschieden
in der Eigentherapie besonders an den Interdigitalfalten und bei
Narbensträngen an der Hand genutzt werden
Autoren (Fulton 1995; Kerckhove 2001; O‹Brian 2006)
beschreiben positive Effekte auf die Kollagensynthese und
Reparaturmechanismen. Okklusion und resultierenden
abhebung erzeugt wird (Reiß 2007). Als Hilfen für ein län- Durchfeuchtung insbesondere des Stratum corneums sol-
geres und bequemeres Arbeiten, aber auch um tiefer liegen- len einen Signaleffekt an Fibroblasten mit Zytokinfreiset-
de Strukturen gezielt zu erreichen, kommen Massagestäb- zung aus Keratinozyten bedingen (Mustoe 2008). Nach
chen, z. B. aus eloxiertem Messing (. Abb. 38.5a) oder The- 24 Wochen Applikation ist eine Reduktion von Mastzellen
rapieholzstäbchen (z. B. aus Teak) sowie Minimassagegeräte und die Verminderung der erhöhter Expression des Fas-
(. Abb. 38.5b) zur Anwendung. Antigen, eines Membranprotein, das die zelluläre Apopto-
Desgleichen ist die Nutzung kleiner Schröpfköpfe se vermitteln, aus intraläsionalen Fibroblasten festzustellen
möglich, sofern die Narbe und deren Lokalisation eine un- (Eishi 2003). Eine randomisierte Studie mit positiven Out-
terdruckfähige Ankopplung erlaubt. come für die Silikontherapie fehlt derweil.

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426 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

Klinische Ergebnisse einer prospektiven Studie relati-


vieren, ohne Signifikanz, den Effekt von Silikongel und
Silikonfolien auf die Narbenreifung (Niessen 1998).

Silikonprodukte
Silikonflüssigprodukte können in Kleinverpackungen an-
wenderfreundlich angeboten werden. Das aufgesprühte
oder aufgestrichene Silikon bildet auf der Haut/der Narbe
einen dünnen, elastischen dampfdurchlässigen Film, der
im Normalfall ≤24 h stabil ist und sich dann problem-
los entfernen lässt. Sie sind besonders gut geeignet für
kleinere Narben im Gesicht, am Dekolletee und dem
Handrücken. Industriell gefertigte Silikonfolien sind in
unterschiedlicher Stärke (0,4–45 mm) und Festigkeit, mit
oder ohne textile Kaschierung, selbstklebend oder nicht
adhäsiv verfügbar. Sie sind in der Größe anpassbar und bei . Abb. 38.6 Silikon – ein haut- und herstellungsfreundlicher
täglichen Gebrauch über mehrere Wochen nutzbar. Hand- Werkstoff. Filigran lassen sich Körperkonturen modellieren und
ling und Gebrauchseigenschaften variieren zwischen den durch Einfärben individuelle Wünsche (hier eines südamerikani-
Herstellern stark. Sie sind zugleich als Socke, Handschuh schen Patienten) berücksichtigen
oder Schlauchbandage gefertigt im Handel und allein oder
in Kombination mit Kompressionsbandagen, bevorzugt an
flächigen Narben, anwendbar. nen zu Epitheldefekten führen kann. Ein dünner z. B.
Eine Besonderheit stellt Silon-TEX dar. Eine patentierte hydrokoloider Schutzverband ermöglicht die weitere Nut-
Textiltechnologie erlaubt die Fertigung einer atmungsakti- zung des Silikons unter besonderer Aufmerksamkeit.
ven Membran mit einer einseitigen haltbaren Silikon- Zur Behandlung hypertropher Narben an konkav ge-
schicht, so dass sich in maßgefertigter Kompressionsbe- formten Regionen wie im Gesicht haben sich ausschließ-
kleidung die Silikon- mit der Druck-Therapie kombinie- lich den individuellen Erfordernissen angepasste maßge-
ren lassen. fertigte Masken aus hochtemperaturvernetzten Silikon
Mit aus hochtemperaturvernetzten (HTV) Silikonen bewährt. Diese wird mit einer tiefgezogenen thermoplas-
maßgefertigten flexiblen Pelotte in verschiedenen Shore- tisch verformbaren, bruchfesten Kopolyester-Schale, z. B.
Härten (030 weich; 20 fest) gelingt eine orthopädietechni- aus dem hochtransparenten ThermoLyn clear, kombiniert,
sche Individualisierung der Narbentherapie (Meier 2012). um den Druck an allen Stellen gleichmäßig aufzubauen
Besonders in unregelmäßig konturierten und bewegten (. Abb. 38.7). Mit einem enormen Effekt bezüglich Abfla-
Körperregionen wie Hals, Axilla, Hand sowie Fuß und chung der Narben, Verbesserung der Mundöffnung, der
38 Knöchel, kann die Narbentherapie optimiert werden. mimischen Funktion sowie von Toleranz und Praktikabi-
Dicke und Festigkeit des Materials sind indikations- und lität rechtfertigt sich der erhöhte Aufwand der Silikontech-
nutzerfreundlich anpassbar (. Abb. 38.6). nik nicht nur als Ultima Ratio. Angesichts der möglichen
negativen Auswirkungen hypertropher und funktionsein-
Praktische Anwendung schränkender Narben auf körperliche Folgen im angren-
In der Anwendung bedarf es einer sehr individuellen Ab- zendem Schultergürtel und bei der späteren soziale Rein-
stimmung. Ein schrittweises Eingewöhnen mit anfänglich tegration ist diese Versorgungsart im Kontext der indivi-
2–3 h Tragedauer ist erforderlich und fördert die Adapta- duellen Rehabilitation eines Mehrfachgeschädigten auch
tion der Narbe an die Okklusion. Je okklusiver der Narben- angesichts des Wirtschaftlichkeitsgebots positiv zu be-
kontakt, umso geringer fällt die Transpiration aus. werten.
Bei starker Behaarung oder vermehrten Schwitzen In gleicher Weise kommen am Hals, an dem per se tex-
können gehäuft Follikulititen durch mechanische Irrita- tile Kompression nicht toleriert wird, maßgefertigte Kra-
tion oder Okklusion der Follikelostien entstehen. Dann ist gen aus hochtemperaturvernetzten Silikonen nach Gipsab-
eine besonders sorgsame Reinigung des Silikons und die druck zur Anwendung. Weiche Silikone als innere Lage
Verwendung saurer Syndets (seifenfreier Hautpflegepro- schmiegen sich den Körperkonturen an und verbessern in
dukte) statt alkalischer Seifen neben der Lokaltherapie der den bewegten Regionen die Passgenauigkeit. Eine äußere
Follikulitis zu empfehlen. Durch die hohen adhäsiven festere Silikonschicht gibt dem Konstrukt Stabilität, so dass
Kräfte des Silikons erhöht sich unter der Therapie die meist auf eine Kopolyester-Schale verzichtet wird. Zudem
Oberflächenspannung, was an vulnerablen Narbenregio- können zusätzliche Splints aus stabilem Silikon (z. B.

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38.3 · Narbentherapie
427 38

a c

. Abb. 38.7a–c Kompressionstherapie mit individuell maßgefertigter zweischaliger Gesichtsmaske (flexible hautverträgliche HTV-Silikon-
schale innen und bruchfeste transparente Kopolyester-Schale außen). Nur so sind Bereiche seitlich der Nase (konkave) in die Kompressions-
therapie sicher zu integrieren. a Als Modelliergrundlage dient der aufwendig gefertigte Positivgipsabdruck. b Schrittweise wird dann das Sili-
kon in unterschiedlicher Shore-Härte gewalzt, dabei transparent belassen oder eingefärbt und anschließend schichtweise auf das Gipsmo-
dell aufgebracht. c Nach Polymerisation im Autoklaven bei Temperaturen >80–90°C (druckabhängig) wird abschließend die Haltebandage
angebracht, über die der Anpressdruck reguliert werden kann. (Mit freundl. Genehmigung von Orthovital GmbH, Markkleeberg)

Shore-Härte 65) eine korrigierende, d. h. aufrichtende


Funktion übernehmen (. Abb. 38.8).
Auch im Handbereich lässt sich Silikon- und Kompres-
sionswirkung kombinieren. Im Interesse der Funktionali-
tät kommen HTV-Silikonhandschuhe nur bei besonders
ausgeprägter Hypertrophie zur Anwendung. Von Vorteil
ist dann der primär mögliche dosierte Aufbau einer Kom-
pression an der konkaven Handfläche. Im Weiteren kann
auch hier über Splints das Handgelenk stabilisiert (z. B. bei
einer Fallhand durch N. radialis-Parese) oder einer Kon-
traktur (z. B. durch Narbenzug am Thenar mit Adduk-
tionskontraktur des Daumens) entgegengewirkt werden
(. Abb. 38.9).
Ob das Silikon seine milchig durchscheinende Farbe
behält oder der umgebenden Narbe farblich angepasst . Abb. 38.8 Halskrause aus HTV-vernetzten Silikon nach Gipsab-
wird, bleibt der individuellen und funktionellen Abwä- druck. So ist in den drucksensiblen Bereichen um den Kehlkopf eine
Narbentherapie in Kombination aus Silikon und sanften Druck um-
gung vorbehalten.
setzbar. Der Silikon-Splint mit höherer Shore-Härte (Pfeil) wirkt als
Je nach Handform überspannt der textile Kompres- Extensionshilfe. Auch hier gewährleistet erst das selbstständige An-
sionshandschuh vom Rand her zeltartig den palmaren und Ablegen des Kragens die erforderliche Compliance des Brand-
Handbereich, ohne Druck auszuüben. Zur Kompensation verletzten

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428 Kapitel 38 · Narbenbehandlung nach thermischer Verletzung

a b

. Abb. 38.9 a, b Handschuh aus HTV-vernetztem Silikon bei ausgeprägt hypertropher Narbenbildung nach Verbrennung Grad III. a Durch die
hohe Festigkeit und Formstabilität des HTV-Silikons kann es auch mit quengelnder Wirkung, hier als Extension des Daumens, bei kontrakter
Narbenbildung am Thenar eingesetzt werden. b Trotz der Materialfestigkeit, die eine lange Nutzungsdauer garantiert, ist eine gute Funktion
(vollständiger Faustschluss) gewährleistet

werden individuell gefertigte Pelotten aus HTV-Silikon Camouflage


oder einem bei Raumtemperatur vernetzendem (RTV), oft Camouflage – auch kaschierende Schminke – beruht auf
Zweikomponentensilikon-Elastomer genutzt. einer Wachs-in-Öl-Basis mit einem hohen Pigmentanteil.
Beide Silikonarten sind form- und temperaturstabil, Erst nach Grundierung und Aufbringen plastischer Kom-
können wie die Gesichts- und Halsteile mit Seifenlösungen ponenten (externe Filler) folgen die farbgebenden Camou-
von Schweißresten und Epithelabschilferungen gereinigt flage-Creme. Eine Fixierung schließt den doch zeitaufwen-
und anschließend mit heißem Wasser oder Wasserdampf digen Vorgang ab. Camouflage ist besonders widerstands-
sterilisiert werden. Dies ist der Nutzung von chemischen fähig gegenüber Witterungseinflüssen, Schweiß sowie
Desinfektionslösungen, die Rückstände hinterlassen oder Tränen und somit ≤36 h haltbar.
Lösungsmitteln, die Verunreinigungen in das Silikon ein- Die »Tarnung« der sichtbaren Narbe ist beim Erlernen
tragen, vorzuziehen (Schmidt 2006). des Umgangs mit einem veränderten Äußeren und für die
soziale Reintegration eine enorme Hilfe sowie wichtige Er-
gänzung sonstiger Maßnahme, wenn andere medizinische
38.3.6 Alternativen Maßnahmen nicht oder noch nicht angezeigt sind
(Koch 2001).
Polymerprodukte
38 Ersatzweise zum Einsatz von Silikonen können Polymer-
Gele genutzt werden. Diese sind durchsetzt von einem
Medical-grade-Mineralöl der Güteklasse H1. Dessen Kon-
takt mit Lebensmitteln oder der menschlichen Haut wird
als unbedenklich bewertet, es ist dermatologisch getestet
und hypoallergen. Zwei Wirkweisen sind zu erkennen:
4 Einerseits stellen Polymer-Gelprodukte durch ihre
Dicke und die gelartige Konsistenz einen mechani-
schen Schutz sicher. Druck und Stoß werden absor-
biert, die Oberflächenscherkräfte reduziert, zugleich
schützen sie vor Reibung und Abschürfung.
4 Andererseits führt das H1-Mineralöl der Haut Feuch-
tigkeit zu, so dass diese gepflegter und geschmeidiger
wird (. Abb. 38.10). . Abb. 38.10 Handschuh zur Narbentherapie, außen Baumwoll-
gestrick ohne Kompression, innen Kopolymer-Gel mit Medical-grade-
Mineralöl (H1) durchtränkt. Anwenderfreundlich, da sehr dehnfähig
Die für verschiedensten Anwendungsgebiete vorgefertig- und von weicher Konsistenz, 8 bis ≤12 Wochen nutzbar, alternative
ten Polymerprodukte sind trotz einer hohen Elastizität Anwendung zu Silikon bei besonders fester hypertropher Narbenbil-
sehr formstabil, waschbar und daher bis zu 12 Wochen dung im Wechsel mit textilem Kompressionshandschuh
wiederverwendbar.

marcus.lehnhardt@rub.de
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429 38
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marcus.lehnhardt@rub.de
431 39

Rehabilitation
nach Verbrennungen und nicht-
thermischen Hautschäden
Hans Ziegenthaler

39.1 Einleitung – 432

39.2 Allgemeine Rehabilitation – 433


39.2.1 Grundlagen und Zielsetzung – 433
39.2.2 Funktionale Gesundheit und Ressourcenorientierung – 433

39.3 Rehabilitation für Brandverletzte – 433


39.3.1 Indikationen – 433
39.3.2 Rehabilitationsvoraussetzungen – 435
39.3.3 Rehabilitationszentren – 435
39.3.4 Rehabilitationsziele – 436
39.3.5 Rehabilitationsphasen – 436

39.4 Rehabilitationsprozess – 437


39.4.1 Rehabilitative Krankenpflege – 437
39.4.2 Bewegungstherapie – 438

39.5 Soziale Wiedereingliederung und ambulante


Nachsorge – 448

Literatur – 449

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_39, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
432 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

39.1 Einleitung schwerwiegenden Folgen. Verbrühungen sind bei Erwach-


senen mit Anfallserkrankungen (Epilepsie) oder moto-
Thermische und verbrennungsähnliche Verletzungen be- risch beeinträchtigenden Leiden (multiple Sklerose) zu
einflussen den Brandverletzten durch den Unfall selbst, die registrieren. Besondere soziale oder psychoemotionale
nachfolgende akutmedizinische Versorgung sowie die Problemlagen sowie ein Migrationshintergrund sind zu-
langfristige Rehabilitation nachhaltig im Denken, den dem als begünstigende Faktoren zu erwähnen (Ziegen-
Wertevorstellungen als auch in den Lebensperspektiven. thaler 2005).
Maßgebend sind seine verbleibenden körperlichen, funk-
> Weder die betroffene Körperoberfläche (VKOF)
tionalen und psychosozialen Einschränkungen und deren
noch die Verletzungstiefe bestimmen den Grad an
Auswirkungen auf das soziale Umfeld.
individueller Betroffenheit. Dieser definiert sich
Brandverletzungen kommen in nahezu allen Lebens-
über den Verlust an körperlicher Unversehrtheit, der
bereichen vor (. Abb. 39.1). Mit 20–25 % ist der Anteil aus
Limitierung funktioneller Fähigkeiten sowie dem
dem gewerblichen Bereich gering (Siemers 2015). Mensch-
meist temporären Verlust an sozialer Souveränität
liches Versagen und Abweichungen von Sicherheitsstan-
und Selbstständigkeit.
dards in der metallurgischen und der Lebensmittelindus-
trie sowie bei Arbeiten an strom- oder brennstoffführen- Unsere gesellschaftlichen Wertevorstellungen definieren
den Leitungen übertreffen nach klinischer Erfahrung des sich über körperlichen Intaktheit, Funktionalität und Leis-
Autors rein technische Fehler in der Ursachenbewertung. tungsfähigkeit und stehen so im krassen Widerspruch
Bei den Erwachsenen sind mehr als 50 % der Unfälle zur tatsächlich erlebten Lebensqualität des thermisch Ver-
sind im häuslichen Umfeld angesiedelt. Hier führen der letzten.
unsachgemäße Gebrauch von Spiritus, der leichtfertigen Deren Ziel ist es, Aktivitätseinschränkungen zu mini-
Umgang mit Kerzenlicht sowie die unkritische Bewertung mieren, Teilhabefähigkeiten zu verbessern, einen stabilen
von Bioethanol-betriebenen Brennquellen sowie stark- individuellen Umgang mit der veränderten Funktionalität
stromführenden Oberleitungen zu Unfällen mit teils und Äußerlichkeit, den traumaassoziierten psychischen

Brandverletzte Moritz Klinik (n=1771)


70

60

50
Brandverletzte

40

39 30

20

10

0
1 2 3 4 5 6 7 8 I II III IV V VI
7,6 61,3 5,6 8,7 12,2 1,9 0,3 2,4 53,8 27,4 8,2 5,3 0,9 4,4

Unfallursache Unfallzusammenhang
f

. Abb. 39.1 Häufigkeiten von Unfallursachen und Unfallzusammenhang in der Gruppe der stationären Rehabilitation nach Verbrennung
und großflächigen Hautverletzungen von Januar 1998 bis Dezember 2014 im Reha-Zentrum für Brandverletzte der Moritz Klinik Bad Kloster-
lausnitz (n=1771). Unfallursachen: 1 Verbrühung; 2 Flamme; 3 Kontakt; 4 Strom; 5 Explosion; 6 Säuren/Laugen; 7 Kälte; 8 sonstige Hautschädi-
gung (toxische epidermale Nekrolyse, Fournier-Gangrän, Décollement); Unfallzusammenhang: I häuslich; II gewerblich; III verkehrstechnisch;
IV suizidal; V kriminell; VI sonstige

marcus.lehnhardt@rub.de
39.3 · Rehabilitation für Brandverletzte
433 39
Phänomenen sowie den Reaktionen des sozialen Umfeldes ning, disability and health«) gelebt. Dieses ermöglicht auf-
für die Rückkehr in ein neues Leben zu erarbeiten. tretende Beeinträchtigungen von Körperstrukturen oder
-funktionen, von Aktivitäten aller Art sowie die Teilhabe
eines Individuums in den verschiedenen Lebensbereichen
39.2 Allgemeine Rehabilitation vor dem Hintergrund sogenannte Kontextfaktoren. Dabei
bilden Umfeldfaktoren die materielle, soziale und einstel-
39.2.1 Grundlagen und Zielsetzung lungsbezogene Umwelt ab (. Abb. 39.2a). Personenbezo-
gene Faktoren erfassen die aktuelle und individuelle Le-
Rehabilitation trägt durch Einflussnahmen auf das körper- benssituation ebenso wie Gegebenheiten, die nicht Teil des
liche Fähigkeiten und soziale Umfeld zur Funktionsverbes- Gesundheitsproblems wie z. B. Alter, Geschlecht, psycho-
serung, zum Erreichen einer größtmöglichen Eigenaktivi- soziale Hintergrund, Bildungsniveau und individuelle
tät sowie zur bestmöglichen Teilhabe in allen Lebensberei- Lebenserfahrung sind (Schuntermann 2003).
chen bei. Sie beinhaltet den koordinierten Einsatz medizi- Aus der Gesundheitsschädigung resultieren im Detail
nischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Störungen von Struktur und Funktion des Körpers, seiner
Maßnahmen (WHO 1981). Aktivitäten und der Teilhabe am sozialen Leben und zu-
Werden durch Intensiv- und Akutbehandlung zunächst gleich ein facettenreiches Konstrukt sich gegenseitig beein-
körperliche Folgen mit Aktivitätsbeeinflussung sowie Aus- flussender Wechselwirkungen. Es ist Aufgabe und An-
wirkungen mit Störung der Teilhabefähigkeit auf ein Mini- spruch der Rehabilitationsmedizin nach eingehender Ana-
mum beschränkt, so stellt die Rehabilitation das Bindeglied lyse von Assoziationen der einzelnen Komponenten die
zur Rückkehr in das bisherige Lebensumfeld dar. individuell erforderlichen und zielführenden rehabilitative
Interventionen in ihrer Komplexität abzuleiten und die
> Bereits ab der Rehabilitationsplanung wird die
Kontextfaktoren dabei zu berücksichtigen (. Abb. 39.2b).
Zielorientierung auf die Umsetzung eines eigenstän-
digen und selbstbestimmten Lebens ausgerichtet. > In einer Solidargemeinschaft definieren sich Reha-
bilitationsziele entsprechend des Versorgungsauf-
Rehabilitationsbedürftigkeit besteht immer dann, wenn
trages sozialer Sicherungssysteme und verfolgen
außerordentliches Störungen von Körperstruktur und
prinzipiell einen ressourcen- und zweckorientierten
Körperfunktionen sowie psychische Reaktionen mit Aus-
Ansatz.
wirkungen auf das soziale Umfeld und die Teilhabefähig-
keit nicht nur vorübergehenden, d. h. länger als 6 Monate, So wird die Beurteilung des Rehabilitationsumfangs und
vorliegen und sich ein interdisziplinäres Rehabilitations- der Rehabilitationsdauer ebenso wie die Bewertung des
management ergibt. Rehabilitationserfolges am Maß der Verbesserung der Teil-
Rehabilitationsfähigkeit des Betroffenen begründet habefähigkeit und nicht an der Verbesserung von einzel-
sich in der körperlichen und psychischen Belastbarkeit so- nen übungsspezifischen Fertigkeiten und Aktivitäten ge-
wie der Motivation einschließlich einer Motivierbarkeit. messen. Wie der Betroffene durch eine verbesserte Kom-
pensationsfähigkeiten der Funktions- und Aktivitätsein-
> Die Rehabilitationsprognose muss hinsichtlich der
schränkungen an situationsentsprechend wichtigen
Erreichbarkeit der individuellen Rehabilitationsziele
Lebensbereichen besser teilhaben kann, muss daher bereits
unter Beachtung anerkannter medizinischer Erfah-
bei der Definition von rehabilitativen Zielsetzungen defi-
rungen und Erkenntnisse, vorhandener individuel-
niert sein (Fries 2007).
ler Ressourcen sowie spezifischer Umfeldfaktoren
positiv sein.

39.3 Rehabilitation für Brandverletzte

39.2.2 Funktionale Gesundheit 39.3.1 Indikationen


und Ressourcenorientierung
Thermisch, elektrisch oder chemisch verursachte Hautschä-
Werden Gesundheitsveränderungen in der Akutmedizin den und die durch die nachfolgende Narbenbildung verur-
durch ICD (»international statistical classification of disea- sachenden Funktionseinschränkungen zu beseitigen bzw. zu
ses and related health problems«) und OPS (»Operatio- minimieren ist alters-, geschlechts- und ursachenunabhän-
nen- und Prozedurenschlüssel«) klassifiziert und opera- gig Ziel einer jeden rehabilitativen Intervention.
tionalisiert, so wird in der Rehabilitationsmedizin der Die Förderung der Narbenmaturität steht dabei im
Grundgedanke einer funktionalen Gesundheit auf dem Vordergrund. Minimierte funktionelle und ästhetische
Konstrukt der ICF (»international classification of functio- Handicaps, Selbstständigkeit in der grundlegenden All-

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434 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

Gesundheitsschädigung
Verbrennung/VKOF/Region/Begleitverletzungen

Körperstruktur/Körperfunktion Aktivitäten Teilhabe

Narben Selbst- und häusliche Versorgung


Kontrakturen ADL Erwerbstätigkeit
Nervenschädigungen Mobilität Hobby/Sport
soziale Einbindung

Umfeldfaktoren Personenbezogene Faktoren

Wohnumfeld Alter
Familie Trainingszustand
Freunde Motivation
Arbeitsumfeld Komorbidität
a

Gesundheitsschädigung
Verbrennung 40 % VKOF; Grad III 28 %; US-Amputation links
ICD T29.3, T31.31, T88.9, F43.2, S54.1

Körperstruktur/Körperfunktion Aktivitäten Teilhabe


vulnerable Transplantate ADL selbst bewältigen Hilfe im Haushalt
Epitheldefekte Gehen, Treppensteigen Berufstätigkeit
reduzierte Kraftfähigkeit Sport treiben sich mit Freunden treffen
Phantomschmerz, Juckreiz
39 Anpassungsstörung mit Depression
Angeln, Reiten gehen

Umfeldfaktoren Personenbezogene Faktoren


ebenerdiges Haus (++) jung (+); sportlich aktiv (+)
ambulante Therapie mit Auto erreichbar (++) hohe Motivation (+)
Familienstruktur intakt (++) belastetes berufliches Umfeld (-)
Prothesenversorgung geht voran (++) psychoemotional belastet, aber
ambulante Psychotherapie (+) Interventionen zugänglich (+)
b

. Abb. 39.2 Schematische Darstellung zu funktionaler Gesundheit, Differenzierung der unterschiedlichen Komponenten und deren Ver-
knüpfungen an Hand der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. a Allgemeine Darstellung.
b Fallbeispiel eines 40-jährigen erwerbstätigen unterschenkelamputierten Brandverletzten. ADL »activities of daily living«; ICD »international
statistical classification of diseases and related health problems«; VKOF verbrannte Körperoberfläche (%)

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39.3 · Rehabilitation für Brandverletzte
435 39
tagsbewältigung aber auch wiedererlangter Selbstsicher- wie ausgeglichene Organfunktionen vorliegen, die Epithel-
heit schaffen Voraussetzung für die Rückkehr in das vor- defekte überwiegende stabil gedeckt und eine Frühmobili-
bestehende soziale und familiäre Umfeld ebenso wie in sation erfolgt sind. Für rekonstruktive oder funktionsver-
Berufstätigkeit oder Ausbildung. bessernde chirurgische Interventionen ergibt sich vorerst
Als Hauptindikationen für eine indikationsspezifische keine Indikation.
stationäre Rehabilitationsmaßnahme gelten in Anlehnung Für die nachfolgende Rehabilitation sind die Haut- und
an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ver- Narbenverhältnisse, die kardiopulmonale sowie psychove-
brennungsmedizin e. V. (DGV): getative Belastbarkeit soweit stabilisiert, dass komplexe
balneologisch-physikalische Maßnahmen eingeleitet wer-
den können. Der Brandverletzte kann entsprechend seiner
Hauptindikationen für eine stationäre
Motivation die erforderlichen Therapieoptionen absolvie-
Rehabilitationsmaßnahme
ren und durch Eigenaktivitäten aktiv an der Erreichung
5 Verbrennungen Grad IIb ≥15 % VKOF (bei Kindern
gesetzter Ziele mit arbeiten.
10 %)
Vorhersehbare Komplikationen seitens der Haut- und
5 Verbrennungen Grad III ≥10 % VKOF (bei Kindern
Narbenverhältnisse, der Traumafolgen, seitens der Komor-
5 %)
bidität sowie der psychoemotionalen Stabilität werden so
5 Verbrennungen im Gesicht, an Händen, Füßen und
bewertet, dass sie in einem spezialisierten Reha-Zentrum
der Genitalregion
bewältig werden können.
5 Narbenbildung mit wesentlichen Einschränkungen
der Funktion großer Gelenke.

39.3.3 Rehabilitationszentren
Auf Grund besonderer funktioneller Auswirkungen
gelten als Indikationen ebenso:
Durch spezielle Behandlungsanforderungen ist in Analo-
5 wesentliche funktionelle neurologische Defizite
gie der Zentralisierung der Akutversorgung die Konzen-
durch Nervenverletzung, Critical-illness-Polyneuro-
tration der Nachbehandlung in qualifizierten Reha-Zentren
pathie bzw. Critical-illness-Myopathie
erforderlich. Verhältnismäßig geringe Jahresfallzahlen, das
5 funktionelle Defizite nach Starkstromunfall
zwingend notwendige detaillierte Wissen über die spezifi-
5 Gliedmaßenverlust
schen Behandlungsoptionen sowie besondere strukturelle
5 anhaltender Konditions- und Kraftverlust
und personelle Voraussetzungen unterstützen diese For-
5 psychosoziale, die Reintegration behindernde
derung.
Konfliktsituation
Generell zu gewährleisten sind die baulichen, techni-
5 psychoemotionale Instabilität durch trauma-
schen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen
assoziierte Störungen sowie
sowie eine spezifische fachliche Qualifikation der Mitarbei-
5 höheres Lebensalter (>50 Jahre)
ter. In einer aussagekräftigen Konzeption sind die Stan-
dards zur Rehabilitation von Brandverletzten, zentrums-
Durch Übertragung der o. g. allgemeinen Grundsätze der spezifisch die strukturellen, personellen Voraussetzungen
Rehabilitation auf den Einzelfall des Brandverletzten sind und die Indikationsgruppen zu definieren. Zugleich müs-
Rehabilitationsbedarf und Rehabilitationspotenzial an sen die organisatorischen Abläufe und routinemäßig einge-
Hand der Bewertung der funktionalen Gesundheit festzu- bundene qualitätssichernde Maßnahmen genau struktu-
legen. Bei der Bewertung der Rehabilitationsfähigkeit sind riert erkennbar sein. Zudem ist die regelmäßige individuel-
Faktoren wie bestehende Vorerkranken oder multiresis- le Fortbildung der Mitarbeiter in den einzelnen Fachberei-
tente Keimbesiedlungen als auch die Motivation zu be- chen, die Teilnahme an den wesentlichen Jahreskongressen
rücksichtigen. Durch Planung innerhalb realistischer Zeit- der Fachgesellschaften verbindlich und die Durchführung
fenster sowie mit strukturell und funktionell realisierbaren von wissenschaftlichen Studien oder die Publikation von
Zielsetzungen sind die Grundlagen für eine erfolgreiche Fachbeiträgen zu begrüßen.
Rehabilitation des Brandverletzten geschaffen (Deutsche
> Zur Sicherung des verbrennungsmedizinisch fachli-
Gesellschaft für Verbrennungsmedizin 2004).
chen Know-how sind Kooperationsvereinbarungen
mit zuweisenden Brandverletztenzentren und die
sich hieraus ergebenden Synergien mit gegenseiti-
39.3.2 Rehabilitationsvoraussetzungen
gen Fallvorstellungen, Hospitationen u. ä. Formen
der Zusammenarbeit zielführend.
Die Phase der akuten Verbrennungsbehandlung ist abge-
schlossen, wenn eine stabile Herz-Kreislauf-Situation so-

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436 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

39.3.4 Rehabilitationsziele
bei Brandverletzten

Nur eine konsequente Minimierung der funktionellen


und ästhetischen Beeinträchtigungen ermöglicht es, nach
einem thermischen Trauma wieder alltagsrelevante-, be-
rufliche- und Freizeitaktivitäten selbständig zu bewältigen
und ist Voraussetzung für die spätere soziale Souveränität
und psychoemotionale Stabilität. Nach dem thermischen
Trauma steht daher die Rehabilitation im Vordergrund,
bevor eine meist erforderliche Neugestaltung des Lebens
mit den individuellen Erwartungen an verschiedene
Lebenssituationen beginnen kann.
Maßnahmen zur Förderung der Narbenmaturität sind
unabhängig von der betroffenen Körperoberfläche und
individuell gestaltet bezüglich Methodik und Intensität als
vordringlich zu bewerten. Analog müssen die individuelle
Akzeptanz und der unbefangene Umgang mit der verän-
derten Körperlichkeit beim Brandverletzten selbst und bei
Menschen aus seinem sozialen Umfeld gefördert werden.

Zielsetzungen in der Nachbehandlung


Brandverletzter . Abb. 39.3 Schematische Darstellung der Phasen des Rehabilita-
tionsverlaufs. Der Akutbehandlung folgt die Frührehabilitation
5 Verringerung oder Beseitigung gestörter Körper-
(in spezialisierter Reha-Klinik oder am Akutkrankenhaus). Daran
funktionen schließt sich die Anschlussrehabilitation an, diese überwiegend
5 funktionelle Adaptation i. S. des Erlernens von stationär. Heilverfahren sind bei anhaltenden Funktionsstörungen
Ersatzstrategien mit Auswirkung auf Aktivität und Teilhabe sowie bei erheblicher
5 Reduzierung der Schwere von Aktivitäts- und Gefährdung der Erwerbsfähigkeit indiziert
Teilhabestörung
5 traumapsychologische ressourcenorientierte
ties of daily living«, ADL) nach dem Barthel-Index (Maho-
Unterstützung zur emotionalen Stabilisierung
ney 1965) in Verbindung mit den Eingangskriterien der
und Ressourcenaktivierung
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation zur Frühr-
5 Erarbeitung geeigneter Coping-Strategien zur
ehabilitation (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilita-
Traumabewältigung
tion 1999) festgestellt werden.
Eine phasengerechte Nachsorge (. Abb. 39.3) erfordert
39 Zur Optimierung der rehabilitativen Behandlung sind die im Wissen um die Auswirkungen der Rehabilitation auf
Zielsetzungen und sich abgeleitende Therapieoptionen im alltagspraktische Fähigkeiten eine planmäßige, kontinuier-
Verlauf standardisiert unter Berücksichtigung zeitlicher Ab- liche und individuelle Prüfung mit geeigneten Manualen,
läufe zu evaluieren. Die unterschiedlichen Perspektiven auf um den verschiedenen Phasen und den fließenden Über-
das »individuell Wichtige« im Leben sind zu berücksichtigen. gängen gerecht zu werden. Nicht starre Vorgaben sondern
alltagsrelevant umsetzbare Fortschritte in der Funktionali-
tät bestimmen die Behandlungsdauer in den einzelnen
39.3.5 Rehabilitationsphasen Phasen und wann ein Phasenwechsel gerechtfertigt ist.
In der Primärrehabilitation, die unmittelbar nach Ab-
Das in der neurologischen Rehabilitation anerkannte Pha- schluss der Akutbehandlung beginnt, unterscheidet man
senmodell hat sich auch in der praktischen Umsetzung bei die Frührehabilitation und die Anschlussrehabilitation.
traumabedingtem komplexen Rehabilitationsbedarf be-
währt. Frührehabilitation
Zur Bewertung der grundlegenden Rehabilitationsan- In der Verbrennungsmedizin werden grundlegende Ele-
forderungen kann der Bedarf an personellen pflegerischen mente der Frührehabilitation je nach strukturellen und
Ressourcen einerseits über die Beurteilung der Selbststän- organisatorischen Voraussetzungen bereits im Brandver-
digkeit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (»activi- letztenzentrum erbracht. Hierzu zählen neben der aktivie-

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39.4 · Rehabilitationsprozess
437 39
renden Krankenpflege, den basistherapeutischen Maßnah- 4 Konditionierung und Stärkung der Ausdauerfähigkeit
men der Bewegungstherapie (Atemgymnastik, Thrombose- 4 Behandlung der traumaassoziierten psychoemotiona-
prophylaxe), die Frühmobilisation (Aufrichten, Sitzen an len Instabilität
der Bettkante, Stehen, Transfer, erste begleitete Schritte) 4 Verhinderung drohender Pflegebedürftigkeit oder
sowie die frühfunktionelle Behandlung an den mitbetrof- Verschlechterung der Pflegebedürftigkeit
fenen Gelenken. Diese sind zur Sicherung des Behand-
lungserfolges wie die Basisversorgung in der Intensivver- Diese als sogenannte Heilverfahren zu erbringenden reha-
sorgung arbeitstäglich zu erbringen. bilitativen Leistungen sind in Abhängigkeit von den fest-
Im Verlauf zeigt sich ein überlappender, schleichender zustellenden funktionalen Beeinträchtigungen bei klar
Prozess, gekennzeichnet von der Reduktion akutmedizini- abgrenzbarer Zielorientierung und positiver Erfolgsprog-
scher Anteile und der Zunahme rehabilitationsmedizini- nose auch mehrfach, ggf. im Intervall indiziert.
scher Interventionen. In der grundsätzlichen Bewertung kann
die Phasenzuordnung in der Frührehabilitation mit dem
Selbstständigkeits-Index beispielsweise nach Barthel erfolgen: 39.4 Rehabilitationsprozess
4 Barthel-Index ≤30 Punkte entspricht Phase B
4 Barthel-Index ≥35 bis <75 Punkte entspricht Phase C Mit der Entlassung aus dem Brandverletztenzentrum voll-
zieht der Betroffene einen wesentlichen Schritt. Vergleich-
Anschlussrehabilitation bar mit einer Initialisierung verkündet er sein »Überleben«.
So bald die ADL eigenständig oder mit teilweiser Unter- Für die Prozesse von Wundheilung und Rekonvaleszenz
stützung bewältigt werden können und sich im Barthel- scheint dies über biopsychoimmunologische Verkettun-
Index ein Score-Wert mit ≥75 Punkte zeigt, ist eine An- gen, nicht evidenzbasiert bestätigt, aber in der klinischen
schlussrehabilitation gerechtfertigt. Bei sicheren Transfer- Praxis oft beobachtet, bedeutsam zu sein.
leistungen, stationsübergreifender Mobilisation, ggf. mit In der Rehabilitation erfassen dann im transdisziplinä-
Hilfsmitteln besteht dann teilweise Unterstützungsbedarf ren Konsens verschiedenste Professionen – Pflegekräfte,
bei der Körperhygiene und dem An- und Ablegen von Be- Masseure, Ergotherapeuten, Krankengymnasten, Bade-
kleidung. Das An-/Ablegen der Kompressionskleidung meister, Sporttherapeuten, Psychologen, Logopäden, Sozial-
erfolgt meist ausschließlich durch die Pflegekräfte. arbeiter, Bandagisten, Orthopädietechniker u. a. – gemein-
Im Vordergrund stehen dann vielgestaltige funktions- sam Ressourcen, erarbeiten individuelle Ziele und leiten
verbessernde Maßnahmen, flankiert von traumapsycholo- hiervon entsprechende Therapieansätzen ab.
gischer Betreuung, dem Bahnen einer sozialen Integration Über ein Feedback in der wöchentlichen Teamkonfe-
sowie edukativen Maßnahmen. Alle dies ist auf soziale renz wird über ein individuelles Case-Management der
Reintegration und Teilhabefähigkeit ausgerichtet. effektive Einsatz aller personellen und apparativen Res-
Schwere und Komplexität der Primärverletzung sowie sourcen gesichert.
der andauernde Narbenreifungsprozess bedingen beim
Brandverletzten einen längerfristigen Rehabilitations-
bedarf. Erlernte Kompensationsmechanismen bedürfen 39.4.1 Rehabilitative Krankenpflege
einer alltagsrelevanten Austestung im alltagsrelevanten
Umfeld und durch den Narbenreifungsprozess sind über Allgemeines
die Zeit Funktionsverbesserungen zu erwarten. Pflegekräfte bringen ein hohes Maß an Empathie, Persön-
Gerade bei Brandverletzten ist durch die spezialisier- lichkeit und Engagement sowie ein außerordentliches pfle-
ten Anforderungen an die Rehabilitation nach Ausschöp- gerisches Fachwissen in das Rehabilitationsgeschehen ein.
fung ambulanter Möglichkeiten die Indikation für eine In kaum einer anderen Berufsgruppe sind zugleich körper-
erneute Rehabilitationsmaßnahme in einer qualifizierten liche und emotionale Nähe sowie zeitliches Ausmaß so
Einrichtung unter folgenden Zielsetzungen zu sehen: hoch bemessen.
4 alltagsorientiertes Funktionstraining in Anlehnung Sie begleiten in den ersten Tagen der Rehabilitation,
an individuellen Kontext strukturieren den Tagesablauf außerhalb des Therapie-
4 Abbau eines anhaltenden Konditions-, Kraft- und plans, stehen für Fragen zur Verfügung, müssen zuhören
Koordinationsdefizits als auch aushalten können. Der umfangreiche Rehabilita-
4 tätigkeitsspezifische Belastungserprobung und -ver- tionsalltag erfordert ein gut abgestimmtes Zeitmanage-
besserung unmittelbar vor beruflicher Reintegration ment. Nach dem Wecken unterstützt das Pflegeteam beim
4 Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Er- Ablegen der Kompressionsbekleidung, ist beim Verrichten
werbstätigkeit angesichts anhaltender Funktionsein- der Morgentoilette und beim Ankleiden behilflich. Es liegt
schränkungen in der Verantwortung des Pflegeteam, unterstützt durch

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438 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

Ergotherapeuten, den Brandverletzten anzuleiten und zu sudationsmenge kommen Hydropolymerverbände, Poly-


motivieren. In der Routine des Stationsalltags den Betrof- urethanschäume oder Verbandsstoffe mit integriertem
fenen und ggf. seine Angehörigen beim Training der Akti- Absorber zum Einsatz. Letztere zeichnen sich durch eine
vitäten des täglichen Lebens, im Umgang mit der Kom- effiziente Absorption und hohe Speicherfähigkeit aus.
pressionsbekleidung und der Narbenpflege zu unterweisen Hydrogels und Alginate unterstützen bei avitalem Ge-
und zu integrieren, eine der Kernaufgaben im Pflegealltag weben oder festen Fibrinauflagen das autolytische Débri-
der Reha-Station. dement, sie fördern ebenso die Bildung von Granulations-
gewebe (Bradshaw 1989; Young 1993).
Wundmanagement Jeder Verbandswechsel beinhaltet eine konsequente Rei-
Die fachgerechte Versorgung bestehender Epitheldefekte nigung der Epitheldefekte bis avitales Gewebe vollständig
unterschiedlichster Ausprägung und die Pflege der an- entfernt ist, Granulations- und einsprossendes Epithelgewe-
grenzenden Haut sind wesentliche Bestandteile der Pflege- be sind dabei zu schützen. Zur Wundspülung kommen 0,9-
behandlung. Sowohl die Versorgung von Spannungsblasen %ige NaCl-Lösung und bei einem Verdacht auf ein lokales
und oberflächlichen Ulzerationen als auch Verbandsre- Infektgeschehen Wundspüllösungen mit chemischen Zusät-
gimes bei tieferen bzw. großflächigen Epitheldefekten er- zen (z. B. Polyhexanid, Octenidin, Hypochlorit) unter Be-
fordern qualifizierte Pflegekräfte, die Supervision eines achtung gültiger Hygienestandards zur Anwendung.
zertifizierten Wundmanagers sowie zeitgerechte Wundbe- Eine Dokumentation der Wundsituation in Wort und
handlungskonzepte und den Einsatz innovativen Ver- Bild sowie des Wundmanagement im zeitlichen Verlauf
bandsmaterialien (. Abb. 39.4). gehören zum grundlegenden Qualitätsstandard (Burck-
Hygienische Standards, Grundregeln des aseptischen hardt 2012).
Arbeitens und ein den Richtlinien entsprechend ausgestat-
teter separater Verbandsraum gelten als Grundvorausset-
zungen. Hierzu zählen auch regelmäßige Verbandsvisiten 39.4.2 Bewegungstherapie
mit einem im Wundmanagement praktisch erfahrenen
Arzt. Allgemeines
Im Reha-Verlauf sind durch die direkte Arbeit an und Die Zielsetzungen der Bewegungstherapie sind im Erhalt
mit den betroffenen Hautarealen häufige Verbandswechsel bzw. der Wiederherstellung grundlegender Körperfunk-
unvermeidbar. So ist unter ökonomischen Gesichtspunk- tionen, in der Verbesserung eingeschränkter fein- und
ten eine einfache Fettgaze die häufigste Wundabdeckung. grobmotorischer sowie der Kraftfähigkeiten und in der
Daneben kommen hydrokoloid- oder silikonbeschichtete Optimierung sowie Ökonomisierung von Kompensations-
Distanzgitter zum Einsatz. Verklebungsarmen Oberflä- mechanismen zu sehen. Dies alles als Grundlagen zur Wie-
chen der Wundkompressen, z. B. durch Polyethylenfolien- derherstellung einer weitestgehenden Selbstständigkeit bei
beschichtung, garantieren schmerzarme bzw. atraumati- allen alltagsrelevanten Verrichtungen und in der sozialen
sche Wechsel und werden selbstklebend oder sekundär Integration.
durch hochelastische Netz- bzw. Verbandsschläuche sowie
kohäsive Fixierbinden bewegungsstabil fixiert. Je nach Ex- Krankengymnastik und Sporttherapie
39 Ziele physiotherapeutischer Interventionen sind die Ver-
besserung der Gelenkmobilität, die Dehnung von Weich-
teilstrukturen (. Abb. 39.5), das Triggern propriozeptiver
Afferenzen sowie die Förderung des Koordinationsver-
mögens.
Zur Zielerreichung kommen befund- und zielorien-
tiert verschiedenste Techniken der klassischen Kranken-
gymnastik, der manuellen Therapie, daneben Verfahren
auf neurophysiologischer Grundlage (propriozeptive neu-
romuskuläre Fazilitation, Vojta und Bobath), osteopathi-
sche und Faszientechniken überwiegend in der Einzelthe-
rapie zum Einsatz. Genutzt werden ferner traditionelle
. Abb. 39.4 Pflegerische Kompetenz, zeitintensive Zuwendung, Sport- und Therapiegeräte (Pezzi-Ball, Gymnastikkeule,
Zeitmanagement und emotionale Nähe charakterisieren rehabilita-
Weichmatten u. a.) sowie Alltagssituationen und -materi-
tive Krankenpflege bei Brandverletzten. Bei der Mehrzahl der Patien-
ten finden sich zudem mehr oder weniger große Epitheldefekte, die
alien (z. B. Naturmaterialien, Treppen, Bewegungspar-
ein qualifiziertes, variables, alltagstaugliches und evidenzbasiertes cour), andererseits heiltherapeutische Ansätze und psy-
Wundmanagement erfordern chomotorischen Übungsgeräte wie Rollbrett, Heulrohre,

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39.4 · Rehabilitationsprozess
439 39
Bauteile aus Schaumstoff. Hierdurch resultiert eine Thera-
piebreite, die zum eigenständigen Ausprobieren anregt
und den individuellen Neigungen jedes Rehabilitanden
gerecht wird.
In der frühen Rehabilitationsphase sind tägliche Be-
handlungen, auch samstags und an Feiertagen erforder-
lich, um die vorab erreichten Fortschritte zu sichern. Aus
Individualität des Einzelfalles resultiert eine Planungsvari-
abilitäten bezüglich Therapiedauer (30–60 min), Thera-
piehäufigkeit (ein- oder zweimal täglich) und den zu wäh-
lenden Therapiemethoden.
Neben der Fazilitation vegetativer Funktionen wie der
Atmung, stehen am Anfang die aufrechte Haltung und die
Erarbeitung des Gefühls für die »Mitte des Körpers«. Da-
a
bei ist es unabdingbar, den Brandverletzten in die Therapie
intensiv einzubeziehen und ihn langfristig zu Eigenaktivi-
täten anzuleiten und Motivation hierfür zu schaffen.
Bei verheilten und belastbaren Narbenverhältnissen
profitiert der Brandverletzte vom Einzelbewegungsbad.
Neben der Verbesserung Gelenkbeweglichkeit fördert es
die Akzeptanz, sich mit dem veränderten Äußeren in der
Öffentlichkeit zu zeigen (Edstrom 1977).
Immobilisation und Inaktivität reduzieren die Leis-
tungs- und Regenerationsfähigkeit des sensomotorischen
Systems in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, aktuellem
Trainingszustand sowie Grad und Dauer der Inaktivität.
Deadaptation findet durch Änderung der Muskelfaserzu-
sammensetzung, im spinalen und supraspinalen Nerven-
system, durch veränderte zentrale Ansteuerungsstrategien
der Muskulatur sowie durch Störungen der Mikrozirkula-
tion in Herz-Kreislauf-System und Bindegewebe statt
(Laube 2009). Hieraus leiten sich die Zielsetzungen zum
Koordinationstraining sowie die Arbeit an medikomecha-
nischen Geräten (Laufband oder Fahrradergometer) zur
Kraft- und Konditionsverbesserung ab. Mit gleichem An-
satz kommen im Verlauf Aquajogging, Terraintraining
oder Walking zum Einsatz.
Untersuchungen zur Ausdauerfähigkeit (Ziegentha-
ler 2009) zeigten, dass nur 12,5 % der Brandverletzten zu
Reha-Beginn die Sollwerte Gesunder im Belastungs-EKG
erbringen. Nach einem standardisierten Ausdauertraining
b erreichten am Ende der Studie 95 % der Versuchsgruppe
nach durchschnittlich 14,3 (±8,4) Trainingseinheiten eine
. Abb. 39.5a, b Dehnung von Weichteilstrukturen. a In der Thera-
Leistungssteigerung um 27,8 % (±11,8) und 35 % der Ver-
pievorbereitung erfolgt mittels dosiertem Stretchen ein Dehnen der
Narbe. Dabei wird am assistiv erreichten Bewegungsende großflä- suchsgruppe Normwerte gleichaltriger Gesunder. Die Pla-
chig (ganze Handfläche) Druck sanft übertragen und das Bewe- nung der Therapie bedarf die Berücksichtigung der indivi-
gungsende so erweitert. Kontrolle des Erfolgs und der Grenzen über duellen Narbenverhältnisse und eine motivationale Unter-
die blasse Verfärbung (vordere Axillarlinie und Streckseite Ellenbo- stützung. Trotz signifikanter Steigerung der Ausdauer-
gen) der noch deutlich geröteten Narbe. b Aktiv kann der Dehnreiz
leistung verbleiben Defizite, so dass im Sinne der
(besonders hintere Axilla) über Fixierung der oberen Extremitäten
an der Kletterwand und einer dosierten Kniebeugebewegung inkl. Nachhaltigkeit derartige Trainingsangebote als Nachsor-
leichter Rotation übertragen werden gemaßnahme obligatorisch sein sollten. Zugleich konnten
Brandverletzte durch ein standardisiertes sensomotori-
sches Training (. Abb. 39.6) während der stationären Re-

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440 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

gang finden. Eine Überlastung ist ausgeschlossen, da com-


puterassistiert der maximale Trainingswiderstand der vom
Übenden aufgewandten Kraft anpasst wird.

Kontrakturprophylaxe und Schienensysteme


Kombinationen aus spezifischen Lagerungstechniken und
passiven Bewegungsübungen im Rahmen der schmerz-
freien Beweglichkeit sind in Kombination mit Schienen-
system frühzeitig eingesetzt überaus effektiv. Besondere
Aufmerksamkeit ist den gefährdeten Regionen mentoster-
nal, axillär, an Händen, der Ellenbeuge, an der Kniekehle
und dem Sprunggelenk zu schenken.
Unmittelbar nach der Transplantation schützen indivi-
duell gefertigte statische Schienen die einheilenden Haut-
transplantate fünf bis sieben Tage bis zur beginnenden
a
Mobilisation vor ungünstigen Zug- und Scherkräften (Ga-
domski 1993).
Bei den danach einsetzenden zunächst passiven oder
später assistierten Bewegungsübungen ist vor einer zu for-
cierten, die Schmerzgrenze nicht beachtenden Mobilisa-
tion zu warnen. Den neben genetischer Prädisposition und
metabolischen Veränderungen sind getriggerte periartiku-
läre Mikrotraumata ursächlich für heterotope Ossifikatio-
nen. Diese finden sich zu 1–3 % aller Verbrennungen und
mit deutlich höherer Inzidenz (>16 %) bei Verbrennungen
mit mehr als 20 % VKOF (Elledge 1988; Munster 1972).
Zur Prophylaxe sind weichteilbedingte Limitierungen zu
b respektieren, früh Lagerungstechniken mit Schaumstoff-
keilen, Kissen u. ä. zu nutzen und in der Therapievor- und
. Abb. 39.6a, b Förderung der fünf beim Brandverletzten stark
defizitären sportmotorischen Fähigkeiten Ausdauer, Kraft, Schnellig- -nachbereitung Dehnlagerungen in Verbindung mit sanf-
keit, Beweglichkeit, Koordination im Rahmen einer Kleingruppe. ten Stretching anzuwenden.
a Komplexe und koordinativ miteinander verbundene Aufgaben, Wegen der generellen Verkürzungsneigung von Nar-
hier Trippeln mit Basketball und Abwurf aus der Bewegung, lösen ben sollen Schienensysteme frühzeitig und konsequent
eine ziel- und aufgabengesteuerte Anspannung der Muskulatur aus.
zum Einsatz kommen. Sie halten das neu erarbeitete
b Spiele und abwechslungsreiche Auswahl an Bewegungselementen,
hier Federballspiel, sowie der Gruppeneffekt wirken sich fördernd Bewegungsausmaß. Passives und aktives Arbeiten an
auf die Aktivität aus den Weichteilen und Gelenken durch Therapeuten sowie
39 Eigenübungen sind dadurch nicht zu ersetzen. Konse-
quent sind punktuelle Druckspitzen zu vermeiden und
gelenkschonende Positionen zu respektieren (Nakamura
habilitation (28,9 Tage ± 10,6; n=24) eine signifikante Stei- 2006).
gerung der anfänglich defizitären sensomotorischen Leis- Exemplarisch zu nennen sind:
tungsfähigkeit im Bewegungskoordinationstest (BKT für 4 Oberarm: 90°-Abduktion und Anteflexion
Kurteilnehmer; Wydra 1989) erreichen (Ziegenthaler 4 Ellenbogen: Extension und Supination
2012). Die unerwartet hohen Testwerte (T3 8,42±1,5) lagen 4 Hand: 30°-Extension im Handgelenk, 70–80° gebeug-
zu 87,5 % über den alterskorrelierten mittleren Norm- ten MCP- und gestreckten IP-Gelenken
werten.
Eine signifikante Verminderung des maximalen Dreh- Passive Lagerungsschienen sollten aus gut hautverträgli-
moments und der Maximalkraftentfaltung der Kniestre- chen, hygienisch praktikablen Materialien gefertigt sein.
cker belegen isokinetische Testungen bei Brandverletzten Thermoplastisch verformbare und andere handwerklich
ab einer VKOF von über 30 % (Fischer 2014). Als Ursachen leicht zu bearbeitbare Materialien erlauben individuell und
werden Immobilität und katabole Stoffwechsellage disku- zeitnah notwendige Korrekturen. Durch den funktionell-
tiert. Isokinetisches Training sollte daher als effektive Me- dynamischer Behandlungsansatz dominieren dynamische
thode in den Rehabilitationsprozess Brandverletzter Ein- Schienen in der Rehabilitation.

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39.4 · Rehabilitationsprozess
441 39

c b

. Abb. 39.7a–c Passive Dehnbehandlungen als Ergänzung zur aktiven Übungsbehandlung. a Quengelhandschuh in Verbindung mit volarer
Handschiene, Intensität des Quengelns über Klettfixierung variabel wählbar. b Konfektionierte Mobilisationsorthese (CDS) für den linken
Ellenbogen. Federkraft und Quengelrichtung variabel einstellbar. c maßgefertigte Fingerextensionsschiene, Abblasung beugeseitig bei Digi-
tus III belegt den Effekt. Behandlungsmaxime: geringe Kraft, lange Anwendungsdauer, Schmerzfreiheit, Gelenkachse immer beachten!

! Beim Einsatz dynamischer Schienen ist grund- Brandverletzter nicht definiert (Serghiou 2003; Richard
sätzlich auf eine ständige Kontrolle von Kraft und 2005).
achsgerechter Zugrichtung zur Vermeidung von
Fehlbelastungen an Gelenken und den umgeben- Ergotherapie
den Strukturen zu achten, um Knorpelschäden, Ein weitgefächertes ergotherapeutisches Repertoire sowie
vorzeitigem Gelenkverschleiß sowie entzündlicher grundlegende Kenntnisse und praktische Erfahrungen im
Reizung an periartikulären Strukturen zu vermeiden. Management von Narben und narbenbedingten Kontrak-
turen integrieren den Ergotherapeuten von der Frühreha-
Gut verträgliche Materialien, Stabilität und ein praktikab- bilitation bis zur nachstationären Betreuung als wertvollen
les Handling fördern die Complaince sowohl bei manuell Partner in die fachspezifische Rehabilitation Brandver-
als auch industriell hergestellten Systemen. letzter.
Während fremdkraftgetriebene Bewegungsschienen
> Maßgebend für die Ergotherapie ist der alltags-
(»continuous passiv motion«, CPM) vorrangig über den
praktische Bezug in der Festsetzung von Reha-Zielen
positiven Einfluss auf die trophische Situation eine Besse-
bei der Planung der Rückkehr ins häusliche Umfeld
rung des ROM erreichen, resultiert der Effekt an großen
über die Befähigung zu hobbytechnischen Fertigkei-
Gelenken durch CDS-Systeme (»continuous dynamic
ten bis hin zur Realisierung der beruflichen Reinte-
splinting«) aus einem konstant gut tolerierter Zug oder
gration sowie das Erkennen des individuellen Hilfs-
Druck über eine längere Anwendungsdauer (. Abb. 39.7a, b).
mittelbedarfs in der jeweiligen Phase der Rekonva-
Trotz des mannigfaltigen Gebrauchs und der positiven
leszenz.
Bewertung von vorgenannten Schienensystemen im klini-
schen Alltag sind an Hand evidenzbasierter Arbeiten deren Diese Zielsetzungen spiegeln sich im Verlauf durch Über-
Wirksamkeit und die Gruppe der hiervon profitierender tragung in zielorientierte Einzel- und Gruppenbehandlung

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442 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

a b

. Abb. 39.8a, b Narbenbehandlung. a Trotz des Wärmreizes (40°C) tolerieren Brandverletzte das Paraffinbad sehr gut. Die Narben werden
geschmeidiger und dehnfähiger. b Dehnung im Handbereich zur Vorbereitung der motorisch-funktionellen Behandlung in der Ergotherapie.
Das Abblassen der sonst noch geröteten Narbe kann als Marker beim Dehnen genutzt werden

im Behandlungsalltag wieder. An ihnen orientiert sich zu- Dehnen signalisiert ein weißliches Abblassen der Narbe
gleich die Abprüfung der Rehabilitationsfortschritte und klare Grenzen. Spannungsblasen können trotz aller Sorg-
des weiteren Rehabilitationsbedarfs. Im Einzelnen resul- fältigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden, heilen je-
tieren folgende Therapieansätze: doch rasch aus.
Essenziell in der Therapievorbereitung von Brandver- Eine Lockerung des Narbengewebes, mehr Flexibilität
letzten sind manuelle Massagetechniken, bei denen zur und Dehnbarkeit sind in der klinischen Anwendung von
Wirkungsverstärkung Kakaobutter als Koppelmedium ge- Narben-Tapes zu beobachten. Dabei werden auf die belast-
nutzt wird, sowie der Einsatz von unterschiedlich gestalte- baren Narbenpartien hautfreundliche, elastische und at-
ten Massagegeräten. Diese fördern die Geschmeidigkeit der mungsaktive »Klebebänder« aufgebracht, so dass lokal
39 Narben, ohne die eine Mobilisation von Gelenken und sanfte Querfriktionen bei Bewegung entstehen und zu-
Techniken zur Verbesserung der grob- und feinmotori- gleich der Lymphtransport gefördert wird.
schen Fähigkeiten nur erschwert zum Einsatz kommen Am ehesten durch aktive und geführte Bewegungen
könnten. In gleicher Weise dienen lokale Paraffinanwen- sind Gelenkfehlstellungen zu beseitigen und Gelenkfunk-
dungen (. Abb. 39.8a) oder der Einsatz von Mikromassage- tionen zu verbessern. Dabei stehen immer der Gelenk-
geräten als Vorbereitung der Bewegungstherapie. Trotz der schutz durch einen dosierten Einsatz der am Gelenk wir-
notwendigen Wärme von etwa ~40°C besteht eine hohe kenden Kräfte und eine achsgerechte Mobilisation im Vor-
Akzeptanz zu dieser sehr effektiven und meist als ange- dergrund.
nehm empfundenen Methode. In Verbindung mit der Ergotherapeuten haben sich verschiedenste Techniken
nachfolgenden Dehnung von Narbenzügen und kontrakter erschlossen und verwenden wie Krankengymnasten Tech-
Strukturen (. Abb. 39.8b) werden so narbenbedingte Bewe- niken aus der manuellen Medizin, der propriozeptiven
gungs- und Funktionseinschränkungen sowie Kontraktu- neuromuskulärem Fazilitation (PNF) nach Bobath oder
ren entgegengewirkt. Über die Integration von Lagerungs- der Osteopathie, um Grob- und Feinmotorik einer Extre-
und Quengelschienen sowie die Anleitung zu Eigenübun- mität oder der Hand zu verbessern. Sie ergänzen so ihr
gen erfährt dieses Therapiekonzept Unterstützung. Repertoire des sensomotorisch-perzeptive Trainings im
Zu beachten ist in der unmittelbaren Arbeit an der ge- Bewegungssegment und Maßnahmen zur Regulation des
schädigten Haut deren reduzierte Belastbarkeit. Beim Gewebetonus und fördern die Anbahnung physiologischer

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39.4 · Rehabilitationsprozess
443 39

a b

c d

. Abb. 39.9 Handkraft ist zur Bewältigung aller Aktivitäten im Leben erforderlich. Durch den Einsatz unterschiedlicher Therapiegeräte kann
schrittweise eine Belastungseskalation erfolgen und neben reiner Kraft auch die Koordination gefördert werden. a Selektives Training der
Fingerextension mit dem Handmaster (Extension). b Flexion mittels Therapieknete. c Digi-Flex. d Training mit dem PowerBall stärkt die Kraft
von den Fingern bis zum Schultergürtel und schult koordinative Fähigkeiten

Bewegungen und die Koordination von Bewegungsab- tergürtel bis zur Hand. Bei gelenkübergreifenden Behand-
läufen. lungszielen unterstützt ein funktionelles computerassis-
Dem Aufbau der Muskelkraft an den oberen Gliedma- tiertes Hand- (. Abb. 39.10) und Armtraining unter thera-
ßen kommt in der Ergotherapie eine entscheidende Bedeu- peutischer Aufsicht (z. B. ArmeoSpring) wirkungsvoll an-
tung zu. Erst wenn Bewegungsabläufe kraftvoll in den All- dere Therapieeinheiten.
tag integriert werden, wird die individuelle Teilhabeorien- Anziehtraining und ggf. Fertigung von Anziehhilfen
tierung in der Therapie relevant umgesetzt. Klassische bieten Unterstützung beim Tragen der Kompressionswä-
Techniken wie das Finger- und Handkrafttraining mit sche und erleichtern deren Akzeptanz. Zugleich erfolgen
Therapieknete oder Therapieschwämmen, dem Digi-Ex- motivierende Gespräche und werden sachdienliche Infor-
tend oder Digi-Flex (. Abb. 39.9a–c) können durch Hand- mationen übermittelt.
übungsgeräte wie den beliebten PowerBall (. Abb. 39.9d) Wenn sich Hyper- oder Hyposensibilität allein oder in
werden. Schrittweise kann so die Belastung gesteigert wer- Verbindung mit Einschränkung der Schutzsensibilität
den. Übungen in geschlossener funktioneller Kette und (z. B. Druck, Temperatur) als funktionell limitierend oder
unter aktiv stabilisierter Ausgangsstellung fördern reine unerträglich in der subjektiven Wahrnehmung darstellen,
Kraft aber auch Kondition und Koordination vom Schul- sind Desensibilisierung oder Sensibilisierung mittels tak-

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444 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

Narbentherapie
Trotz moderne plastisch-chirurgische Verfahren stellt sich
die Narbe primär als vulnerable, funktionell eingeschränkt
und einer Reifung bedürfend dar. Daher nimmt im Reha-
bilitationsprozess die Narbentherapie eine hervorzuhe-
bende Stellung ein.
Kompressionstherapie mit textilen Materialien ist eine
der am weitesten verbreiteten Maßnahme zur Förderung
der Narbenreifung und Prophylaxe der Narbenhypertro-
phie. Auf Grund klinischer Erfahrungen ist auch bei feh-
lendem evidenzbasierte Belege zur Wirksamkeit interna-
. Abb. 39.10 Zunehmend ergänzen PC-unterstützte Therapiever- tional anerkannt, dass Kompressionstherapie als nichtope-
fahren klassische Bewegungstherapie zur Förderung sensorischer
und motorischer Aktivitäten in Krankengymnastik und Ergotherapie.
rative Methode zur Prophylaxe und Therapie hypertropher
Unabhängig vom Alter sind Akzeptanz und Nachfrage groß. Mit dem Verbrennungsnarben bei ganztägiger Anwendung bestens
HandTutor sind repetitiv selektive Bewegungen in Finger-, Daumen- geeignet ist (Chang 1995; Malick 1995; Spilker 2002). Die
oder Handgelenk in gleicher Weise zu beüben wie komplexere All- individuell nach Maß gefertigte textile Kompressionsbe-
tagsbewegungen, z. B. das Greifen eines Gegenstands. Der Hand- kleidung erzeugt einen permanenten Druck von etwa 20–
schuh aus flexiblen Neopren beinhaltet Sensoren und überträgt die
Bewegungsabläufe in Echtzeit an einen PC (links), auf einem Moni-
35 mmHg und sollte zugleich eine alltagsrelevante Beweg-
tore (rechts) werden die repetitiven Bewegungen visualisiert lichkeit erlauben.
Das Portfolio konservativer Nabentherapie (Achauer
1991; Worret 2004) wird durch lokale Silikonanwendun-
til-kinästhetischer Stimulation zielführend. Während gen (Gels, Sheets, Maßanfertigungen aus HTV-vernetztem
durch taktile Reizung der Hautrezeptoren (Materialien Silikon), durch intraepidermale Kortikoidinjektionen, ver-
unterschiedlicher Qualität, Greifübungen im Kiesbad schiedene manuelle Narbenmassage oder das Verfahren
u. a. m.) im Sensibilitätstraining Veränderungen der Ober- der Unterdruckvakuumtherapie ergänzt.
flächen- und Tiefensensibilität erreicht werden, dämpfen Bei den interventionellen Therapieverfahren unter-
in der Desensibilisierung repetitive Reizsetzungen scheidet man die ablativen Verfahren (Peeling, Laserthera-
schmerzhafte Berührungssensibilitäten. Mittels Watte- pie, Dermabrasio, Bestrahlung) von den Verfahren zur
bausch, Pinsel o. ä. wird mit der Berührungsintensität bzw. Anregung des Remodelling über dermale Mikroläsionen.
dem Material begonnen, welche gerade noch toleriert Bekannt sind hier das »medical needling« und die frak-
wird. Vier bis fünf Behandlungseinheiten mit bis 10 min tionierte Photothermolyse (Aust 2010; Blome-Eberwein
Länge sind am effektivsten (American Burn Associa- 2015).
tion 1999). Auch hier ist die Einbindung des Brandverletz-
> Erst nach weitestgehend abgeschlossener Narben-
ten in Eigeninitiative erforderlich.
reifung, unzureichendem Effekt konservativer
Die Förderung alltagsrelevanter Fähigkeiten mit Bezug
Therapien oder aber bei wesentlichen funktionellen
zu den ADL (sich waschen, ankleiden, kochen, essen u. ä.)
Beeinträchtigungen durch Narben sind Verfahren
39 ist den individuellen Erwartungen und der angestrebten
zur operativen Narbenkorrektur zu prüfen.
nachstationären Versorgungsform anzupassen.
Durch eine effiziente Versorgung und das Training mit Zu Detailfragen wird auf die speziellen Kapitel dieses
notwendigen Hilfsmitteln werden bestehende Handicaps Buches verwiesen (7 Kap. 40).
abgemildert und die Selbstständigkeit gefördert. Das Le-
ben soll im Ergebnis der Rehabilitation so weit wie möglich Schmerztherapie
selbstständig gestalten werden. Besonderes Augenmerk Schmerz als unangenehme Sinnes- und Gefühlswahrneh-
muss unter Berücksichtigung der aktuellen Lebensum- mung wird durch die Reizung von schmerzvermittelnden
stände der individuellen Zielsetzungen sowie der Thera- Systemen ausgelöst. Beim Brandverletzten erklärt sich die
pieplanung geschenkt werden. Schmerzvermittlung über eine persistierende Reizung
Ausdrücklich ist auf die Notwendigkeit, den Brandver- nozizeptiver Strukturen in Haut/Narben, Muskulatur, Seh-
letzten über Art und Sinn durchgeführten Therapien und nen und Gelenken. Zugleich ist von einer primären struk-
zu informieren, ihn so zur aktiven Mitarbeit und zum turellen, teils irreversiblen Schädigung peripherer und
selbstständigen Üben zu motivieren, ist hinzuweisen ebenso zentraler Elemente des nozizeptiven Systems aus-
(Waldner-Nilson 1997; Nakamura 2006). zugehen (Lindig 2000).
Da individuelle psychosoziale Faktoren, die Persön-
lichkeit des Brandverletzten, seine Lebenserfahrungen mit

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39.4 · Rehabilitationsprozess
445 39
Schmerz und Krankheit in gleicher Weise wie Motivation,
Emotion und Kognition das Schmerzempfinden beeinflus-
sen (Clark 2001; Bunketorp 2006), ist eine Objektivierung
sehr differenziert zu betrachten. Entsprechende Assess-
ments wie die visuelle Analogskala und diverse Schmerz-
fragebögen bedürfen in der Evaluierung immer einer indi-
viduellen Bewertung.
Das Schmerzgeschehen ist überwiegend als Mischform
aus »dumpfem« nozizeptiven und »brennendem« neuro-
pathischen Dauerschmerz sowie paroxysmalen Schmerz-
attacken zu charakterisieren. Es überwiegt eine Plussymp-
tomatik mit Hyperalgesie und Allodynie, teilweise mit
schmerzhaft empfundenem Phantomgefühl. . Abb. 39.11 Konsequentes formgebendes Bandagieren des
Um einer Chronifizierung entgegenzuwirken, ist früh- Amputationsstumpfes (hier am Unterschenkel) fördert die Ödem-
zeitig mit einer effizienten, individuellen, mechanismeno- rückbildung. Kontraindikationen sind zu berücksichtigen. Durch
Nutzung breite Langzugbinden ist ein distal nach proximal abneh-
rientierten Analgetikatherapie in Anlehnung an das Stu-
mendem Druck durch diagonale Bindentouren (kornährenähnlich)
fenschema der WHO (1986) aus der Schmerzpathogenese zu erreichen. Sicherung durch zwei Pflasterzügel
sowie die Empfehlungen zur »Langzeitanwendung von
Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen« zu begin-
nen (2012). Aus einer schnellen und belastbaren Schmerz- matisierten Brandverletzten Amputationen an den oberen
reduzierung resultiert neben der gesteigerten körperlichen Extremitäten (21 %) und den unteren Extremitäten (8 %)
auch eine verbesserte psychoemotionale Belastbarkeit und auf. In der Gesamtgruppe waren 18 % Amputationen nach-
Krankheitsverarbeitung. Ein nachvollziehbar erläutertes weisbar. Eine Korrelation zu anderen prognostisch rele-
Konzept verbessert beim Brandverletzten seine Compli- vanter Faktoren bei Brandverletzten wie VKOF, Geschlecht
ance und damit den Behandlungserfolg. oder Inhalationstraumas war nicht herstellbar.
Unter Berücksichtigung der Beschwerdeausprägung Hände und Arme sind einerseits wegen der Schutz-
und der Schmerzqualität kommen meist kombiniert fol- und Abwehrfunktion beim Trauma und andererseits in
gende Substanzgruppen zum Einsatz: den weichteilbedingten reduzierten Rekonstruktionsmög-
4 Nichtopioidanalgetika lichkeiten sehr viel häufiger von Major-Amputationen
4 Opioidanalgetika (retardiert/nicht retardiert) (55,3 %) betroffen. An der unteren Extremität kam es in
4 Antikonvulsiva (Natrium-/Kalziumkanalblocker) nur in 25 % der Fälle zu Major-Amputationen. Nur 8,8 %
4 Antidepressiva (trizyklisch, bevorzugt selektive SSRI) der Fälle wiesen zugleich Amputationen an oberen und
4 Benzodiazepine (anxiolytisch,sedierend) unteren Extremitäten auf (Ziegenthaler 2012).
4 Antihistaminika (Juckreiz) Amputationen sind fast nie im Bereich nichtbetroffe-
ner Hautverhältnisse möglich. Dementsprechend finden
Analgetika mit kurzer Anflutdauer werden additiv auf Be- sich atypische Stumpfformen mit einem lymphatisch-öde-
darf zum Verbandswechsel, mitunter vor der Narbenmas- matös gestauten Stumpf und noch vulnerablen Narben-
sage oder Bewegungstherapie verabreicht. Der Einsatz von verhältnissen. Daher stehen zunächst Lymphdrainagen,
Antikonvulsiva beim neuropathischen Schmerz erfordert stumpfabhärtende Maßnahmen, das konsequente formge-
ein Eintitrieren unter Berücksichtigung der Kontraindika- bende Bandagieren fördert im Vordergrund. Wo die Kom-
tionen sowie der Nebenwirkungen unter regelmäßigen pressionswäsche noch nicht getragen werden kann, muss
Laborkontrollen. In der Schmerztherapie ist auf die er- bis zum Rückgang des Ödems der Stumpf konstant bei
folgsabhängige Dosisanpassung und die teilhabeorien- fehlender Kontraindikation durch das Wickeln mit breiten
tierte Anpassung der Analgetika sowie der Komedikation dauerelastischen Langzugbinden in Form gebracht werden
im Verlauf zu achten. (. Abb. 39.11).
Reflextherapeutischen Verfahren (z. B. Akupunktur, Erst nach Stabilisierung der Stumpfverhältnisse kann
Neuraltherapie) und physikalischen Maßnahmen (z. B. eine erste Prothesenversorgung mit meist mehreren Pro-
TENS) sind nebenwirkungsarme Therapieoptionen, deren be- bzw. Diagnoseschäften beginnen. Bewährt haben sich
Einsatz von den Hautverhältnissen limitiert wird. kombinierte Silikonversorgungen (. Abb. 39.12) durch
einen erfahrenen Orthopädiemechanikermeister. Über
Amputationen den Einsatz von Linern ist individuell zu entscheiden. Sie
In einer eigenen Untersuchung an 1755 Brandverletzten in sind generell geeignet, am Stumpf Stoß-, Rotations- und
der Rehabilitation (1998–2014) wiesen 29 % der polytrau- Scherkräfte möglichst gering zu halten (Sanders 1992).

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446 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

a b

. Abb. 39.12a, b Unregelmäßigkeiten an der Stumpfkontur erschweren die Schaftfertigung und den Vollkontakt. Der Ausgleich kann über
ein maßgefertigtes »distal cup« (a) erfolgen. Zugleich erfahren die anfangs noch vulnerablen Haut-/Narbenverhältnisse, hier nach Starkstrom-
verletzung, am distalen Unterschenkelstumpf Entlastung durch den maßgefertigten Distal-Cup aus Silikon (b). (Mit freundl. Genehmigung
von Silipol GmbH, Triptis)

Nur so kann die belastbare biomechanische Ankopplung Über die indirekte sensomotorische Einflussnahme auf
des Prothesenschaftes an den Amputationsstumpf sowie die »künstliche« Greiffunktion kann die Technik der Sau-
die Gebrauchsfähigkeit hergestellt werden. erbruch-Kineplastik sowie bei zusätzlich stark sehbeein-
trächtigten Opfern die klassische Krukenberg-Plastik für
> Aus der Erfahrung verbieten sich durch die Ver-
eine alltagsrelevante Funktion trotzdem segensreich sein
stärkung von oberflächlichen Scherkräften Liner
(Brückner 1991).
mit sogenannten Shuttle-Systemen.
Aus funktioneller, ästhetischer als auch herstellungs-
An der unteren Extremität erfordert die Auswahl der Pass- technischer Sicht haben sich an der Hand bei funktionell
teile eine genaue Evaluation der Mobilitätserwartungen relevanten Teilverlusten maßgefertigte Silikonversorgung
und -möglichkeiten, der Umfeldbedingungen und fach- durchgesetzt (. Abb. 13a u. 13b) (Gröpel 2002).
kompetente Zusammenarbeit von orthopädietechnisch ICF- und evidenzbasierte Assessments können bei der
erfahrenem Arzt, Krankengymnasten und Orthopädie- Suche nach der »besten« prothetische Versorgung unter-
techniker. Im Verlauf ist die Passteilversorgung den Mobi- stützen. Eine Ausgewogenheit zwischen Erwartungshal-
litätsfortschritten anzupassen. tung und erwarteten Funktionsbedarf/Aktivitätsgrad sind
Amputationen der oberen Extremität oberhalb des El- ebenso relevant wie die alltagsrelevanter Effizienz des Pro-
lenbogens verursachen durch die kompensatorisch auftre- thesensystems und eine langjährige praktische Erfahrung
tende Wirbelsäulenverkrümmung eine EMG-gesicherte in der Bewertung von prothetischen Versorgungsvarianten
39 Überaktivität der lumbalen Rückenstrecker mit myofaszi- des Peer (Mensch 1998; Ziegenthaler 2012).
alem Schmerz (Greitemann 1996). Daher ist zeitnah die
Anpassung einer Habitusprothese anzuraten. Begleiterkrankungen, Folgeschäden,
Bei Erhalt einer auch nur teilweise funktionstüchtigen Hygienestandards
Hand werden aufwendige Prothesenversorgungen unab- Begleiterkrankungen an inneren Organen (u. a. Niere, Le-
hängig von der Seitenpräferenz aus praktischer Erfahrung ber, Lunge) und am peripheren und zentralen Nervensys-
eher selten genutzt. Daher sind Zielsetzung und Passteil- tem sind bei Brandverletzten häufig und erfordern Fach-
auswahl im Team im konkreten Versorgungsfall und idea- arztniveau auch im rehabilitativen Kontext. Dagegen kön-
lerweise über eine Testversorgung zu evaluieren. Beim nen Verletzungsfolgen an Sinnes- oder Urogenitalorganen
Verlust beider Hände ändern sich Notwendigkeit und Mo- durch Kooperationspartner konsilarisch mitbetreut wer-
tivation grundlegend. Versorgungsmöglichkeiten mit Sys- den. Die pflegerische Kompetenz im Umgang mit Tracheo-
tem-Elektrohänden, die mehr als nur zwei Freiheitsgrade, stomata, Trachealkanülen, zentralen Gefäßzugängen, PEG-
insbesondere Adduktion und Opposition des Daumens Sonden und Vakuumwundsystemen muss vorhanden sein.
ermöglichen, eröffnen ein enormes funktionelles Entwick- In Deutschland existieren für Rehabilitationseinrich-
lungspotential. Intuitiv und simultan gesteuerte Alltags- tungen keine einheitliche Hygienestandards (Hergen-
armprothesen befinden sich noch im experimentellen Ent- röder 2012). Daher sind die Empfehlungen der Kommis-
wicklungsstadium. sion für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention

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39.4 · Rehabilitationsprozess
447 39

b c

. Abb. 39.13a–c Orthopädiemechanische Versorgungsvarianten. a Beim Verlust einzelner Finger oder einem Teilverlust der Hand sind
verschiedene Versorgungsvarianten zu diskutieren. In der nichtoperativen Versorgung sind aus funktioneller, ästhetischer und orthopädie-
technischer Sicht maßgefertigte Silikonepithesen zu favorisieren. Sie fördern die Narbenreifung und garantieren eine funktionell stabile
Ankopplung. b Durch die epithetische Verlängerung des 1. Strahls, den Ersatz der Langfinger und den dadurch ermöglichten Dreifingergriff
resultiert ein wesentlicher Gebrauchsvorteil. (Mit freundl. Genehmigung von Silipol GmbH, Triptis). c 73-jähriger Brandverletzter mit Verlust
der Unterarme beidseits. Vor der geplanten myoelektrischen Versorgung rechts erfolgte ein Esstraining mit adaptierter Griffhalterung für
Gabel bzw. Löffel, so dass alltagsrelevant die Essensaufnahme möglich war. Die Tellerranderhöhung (Pfeil) erleichtert das Erfassen von mund-
gerecht zugeschnittenen Bissen mit der Gabel

(KRINKO) in Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus- Psychologische Aspekte


hygieniker je nach erbrachten medizinischen Leistungen Narben oder Amputationen verändern das äußere Erschei-
in einem entsprechende Hygienestandards umzusetzen nungsbild. Persönliche Integrität und Identität sowie die
(Just 2013). Unversehrtheit des Körpers sind zutiefst erschüttert. Dies
Untersuchungen von 2004 bis 2013 zeigten bei ins- geht mit Scham- und Schuldgefühlen, Angst vor Ausgren-
gesamt 1343 Patienten mit großflächigen Hautverletzungen zung, gesellschaftlichem Rückzug, Selbstwertzweifeln,
181 Patienten mit multiresistenten Keimspektrum (13,47 %) Trauer und starken Stimmungsschwankungen einher. Die
und belegen den Bedarf an flächendeckender und barriere- seelisch traumatisierende Folgen reichen von einer einige
freier Sicherstellung der Händedesinfektion als Basis aller Wochen andauernden akuten Belastungsreaktion bei etwa
Hygienemaßnahmen. Voraussetzungen für konsequente 25 % der Patienten (El Hamaoui 2002) bis hin zu einer
Isolationsmöglichkeiten für Träger von multiresistenten Er- posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) mit intrusi-
regern (MRE) bei gleichzeitiger Sicherstellung der thera- vem Wiedererleben, Albträumen, Vermeidungsverhalten
peutischen Basisleistungen aus Pflege, Krankengymnastik, und Anzeichen einer anhaltenden Übererregung.
Ergotherapie, Psychologie und konditionierender Maßnah-
> Insgesamt lässt sich bei mehr als 50 % der betroffe-
men sind daher zwingend erforderlich.
nen Brandverletzten kurz nach der Akutphase eine
> Ein standardisiertes mikrobiologisches Screening DSM-IV-Erkrankung nachweisen. In der Regel klingt
und Verlaufskontrollen gehören zur Routine bei ei- diese in den ersten 6 Monaten ab (Ter Smitten 2011).
ner derart belasteten Patientenklientel.
In der Rehabilitationsphase ist daher ein Screening aller
Der sich hieraus ergebende zeitliche und finanzielle Mehr- Brandverletzten zur psychodiagnostischen Abklärung und
aufwand ist erheblich und muss sich in den Kostenerstat- frühzeitigen, gezielten therapeutischen Intervention unab-
tungssystem abbilden lassen (Ziegenthaler 2015). dingbar.

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448 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

Die Bewältigung der zum Teil facettenreichen psycho- Krankengymnastik, zur Konditionierung sowie Hautpfle-
logischen Veränderungen beim Betroffenen und Personen gehinweise erleichtern dem Brandverletzten den Übergang
im sozialen Umfeld bedarf einer einfühlsamen und erfah- in sein Leben ohne die permanente Flankierung durch die
renen psychotherapeutischen Begleitung, mitunter einer Spezialisten im BVZ und der Rehabilitation.
zusätzlichen neuropsychologischen Diagnostik. Vorbereitenden und schulenden Charakter trägt ein
Neben begleitenden und stützenden Interventionen Kleingruppenseminare mit Erläuterungen zur Pathophy-
bei leichteren psychischen Beeinträchtigungen erfordert siologie der Narbe, fördernder und hemmender Faktoren
das Vorliegen störungsrelevanter Diagnosen den Einsatz der Narbenreifung und dem Umgang mit Narben in der
psychotherapeutischer Interventionen durch approbierte alltäglichen Konfrontation. Einzelberatungen werden ei-
Psychotherapeuten mit traumatherapeutischer Weiterbil- nem höheren Informationsbedarf und Interesse von
dung (7 Kap. 33). Im Falle einer PTBS liegt der Schwer- Brandverletzten und Angehörigen an solch lebensprakti-
punkt der Intervention neben der Psychoedukation zur schen Informationen gerecht. Die gut organisierte Selbst-
Entpathologisierung auf der Vermittlung von Strategien hilfe von Brandverletzten in Vereinsform bietet zahlreiche
zur emotionalen Stabilisierung und Affektregulation. Bei Beratungs- und Unterstützungsangebote, die vermittelt
ausreichender Stabilisierung kann mit gezielter Trauma- werden sollten.
konfrontation unter Einsatz von EMDR (»eye movement Fragen zur sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung
desensitization and reprocessing«) begonnen werden und sind grundlegend für die weitere ambulante Versorgung.
zu einer deutlichen Symptomreduktion führen. Seminare Der Sozialdienst klärt mit den Trägern der Sozialversiche-
mit psychoedukativem Charakter zu Haut und Narbenbil- rung offene Fragen und berät den Brandverletzten und
dung sowie über psychische Reaktionsformen nach Trau- seine Angehörigen frühzeitig zum Nachteilsausgleich
matisierung ergänzen dies. (GdB; MdE, Leistungen zur Teilhabe, Rentenrecht). Die
Vermittlung von Kontakten zum Reha- und Berufsberater
> Psychoemotionale Stabilisierung und die Anpas-
bzw. wohnortnahen Behörden und Hilfsorganisationen, zu
sung an ein derart verändertes Leben vollziehen
Pflegediensten, Betreuungsstellen gehören genauso dazu
sich nur schrittweise und bedürfen Geduld beim Be-
wie die Klärung der geeigneten Unterbringungsform in
troffenen, nahestehenden Personen und mitunter
Rahmen des Entlassungsmanagements.
einer professionellen Unterstützung.
Seitens des ärztlichen Dienstes wird bei Erwerbstätig-
keit die Dauer der Arbeitsunfähigkeit prognostiziert sowie
der Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
39.5 Soziale Wiedereingliederung evaluiert und deren Realisierbarkeit zu prüfen.
und ambulante Nachsorge Mitunter ist nach dem Erreichen eines ausreichend gu-
tem Selbsthilfe- und Funktionsstatus eine Unterbrechung
Ambulante Versorgungsstrukturen sind in Folge geringer des ersten stationären Behandlungszyklus angezeigt. Wei-
Fallzahlen in der Nachsorge Brandverletzter nicht routi- tere operative Interventionen aber auch die zeitliche pro-
niert. Dies erfordert eine ziel- und aufgabenorientierte trahiert fortschreitende Narbenreifung bedingen dies.
Überleitung, wobei die Sorgfaltspflicht hierzu in der Reha- Nach dem Erreichen einer qualitativ oder quantitativ
39 bilitation liegt. neuen Funktionsstufe kann dann ein erneuter Rehabilita-
Therapeutische Interventionen mittels Krankengym- tionszyklus sinnvoll sein. So können mehrere Zyklen reha-
nastik, Narben- oder Lymphdrainage und Ergotherapie bilitativer und ambulanter Behandlung ablaufen, bis sich
sind nach der Rehabilitationsmaßnahme indikationsge- deren Zielsetzung zunehmend auf die beruflich orientierte
recht und befundorientierte meist zwei- bis dreimal pro Wiederbefähigung fokussiert. Dies beinhaltet dann das
Woche zur Sicherung und Erweiterung bisheriger Behand- Abprüfen berufsbezogener Fertigkeiten, das Ergründen
lungsergebnisse, ggf. als Langfristverordnung, indiziert. möglicher Kompensationen und deren Training bis hin zur
Zur Auswahl der Therapiemittel und dem Intervallen sind Einleitung und Begleitung von Arbeits- und Belastungser-
dem Weiterbehandler Empfehlungen mitzugeben. probungen mit geeigneten Kooperationspartnern und den
Zeitnah zur Entlassung sollte ein Vorstellungstermin Rehabilitationsträgern.
im vorbehandelnden BVZ vermittelt werden. Dann kön-
nen Reha-Fortschritte demonstriert und weitere funk-
tionsverbessernde plastisch-rekonstruktive Eingriffe erör-
tert und terminiert werden.
Schriftlichen Erläuterungen zur Kompressionsbeklei-
dung (Tragedauer, Handhabung, Pflege), zur Schienen-
behandlung, über Selbstübungen aus Ergotherapie und

marcus.lehnhardt@rub.de
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449 39
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450 Kapitel 39 · Rehabilitation nach Verbrennungen und nichtthermischen Hautschäden

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39

marcus.lehnhardt@rub.de
451 40

Rekonstruktive
Verbrennungschirurgie
Tobias Hirsch, Lars-Peter Kamolz, Bohdan Pomahac, Hans-Ulrich Steinau,
Marcus Lehnhardt

40.1 Allgemeine Grundsätze – 452

40.2 Indikation und Timing – 452

40.3 Rekonstruktive Techniken – 452


40.3.1 Exzisionstechniken – 452
40.3.2 Hauttransplantationen – 454
40.3.3 Lokale Lappenplastiken – 456
40.3.4 Advancement-Lappenplastiken – 461
40.3.5 Fasziokutane und muskuläre Lappen – 461
40.3.6 Composite Tissue Allotransplantation – 464
40.3.7 Fettgewebstransfer – 465
40.3.8 Rekonstruktion der Augenlider – 465
40.3.9 Mundwinkelerweiterungsplastik – 466
40.3.10 Robotik/Prothetik – 470

Literatur – 470

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


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452 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

Die enormen Fortschritte im Bereich der Verbrennungsbe- > Bevor Eingriffe durchgeführt werden, die das
handlung haben dazu geführt, dass immer mehr Men- äußere Erscheinungsbild wieder herstellen
schen auch schwere Verbrennungen überleben. Daher sollen, sind Eingriffe durchzuführen, die die Funk-
richtet sich das Hauptaugenmerk der Verbrennungsbe- tionalität der betroffenen Körperteile wieder
handlung nicht nur auf das Überleben allein. Das Ziel ist herstellen.
es, Verbrennungsopfer wieder in ihr bisheriges Sozial- und
Berufsleben zu reintegrieren (Williams 2009; Ka- Kurz gesagt, der Chirurg muss sich darauf konzentrieren,
molz 2010). Hierbei spielt die rekonstruktive Verbren- diejenigen Körperteile wiederherzustellen, die für die phy-
nungschirurgie eine tragende Rolle: Nach der Akutphase sische Funktionalität, wenn nicht sogar für das Überleben
der Verbrennungsverletzung gilt es bei vielen Patienten des Patienten notwendig sind. Die Wiederherstellung von
sowohl funktionelle, als auch ästhetische Verbesserungen anderen betroffenen Körperstellen kann dagegen auch
zu erreichen (Müller 1965). später durchgeführt werden.
Für eine erfolgreiche Rekonstruktion sind profunde Es wird daher häufig gesagt, dass die Korrektur von
Kenntnisse der Anatomie und der Architektur des Weich- Brandwunden aufgrund rein ästhetischer Indikationen zu-
gewebes, sowie eine gründliche Analyse des Defekts bezie- mindest 1–2 Jahre warten sollte. Während dieser Zeit, in
hungsweise des funktionellen Defizits und umfassende der die Narben reifen, ist eine konservative Behandlung zu
Überlegungen bezüglich verschiedener Techniken für den empfehlen, um Narbenbildung und Gelenkskontraktionen
Operationsplan notwendig (Clark 2001). Eine exakte und zu reduzieren. Eine Operation an noch frischen Narben ist
sorgfältige präoperative Planung ist unerlässlich. technisch aufwendiger und zieht mehr Komplikationen
nach sich.
> Es ist nie zu spät eine Narbe zu korrigieren, aber es
40.1 Allgemeine Grundsätze
könnte zu früh sein.

Hypertrophe Narben und Narbenkontrakturen mit konse-


kutiven funktionellen Einschränkungen sind die häufigs-
ten Probleme, die rekonstruktive Korrektureingriffe not- 40.3 Rekonstruktive Techniken
wendig machen. Die Wahl der richtigen Methode hängt
dabei von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt verschiedenste Techniken, die bei der Behandlung
Auch die Kenntnis von spezifischen »Heilungseigen- von Brandwunden und der anschließenden Rekonstruk-
schaften« des Patienten (z. B. ob der Patient eher zu hyper- tion zum Einsatz kommen. Die wichtigsten werden im
trophen Narben neigt oder nicht) kann bei der Entschei- Folgenden dargestellt.
dung eine Rolle spielen, wie aggressiv oder wie konservativ
die Behandlung sein soll.
Häufig angewandte Rekonstruktionstechniken
Eine objektive Einschätzung von Deformitäten und
5 Exzision und Direktverschluss
funktionellen Einschränkungen ist bei der Planung des
5 serielle Exzision und Gewebeexpansion
passenden rekonstruktiven Vorgehens von höchster
5 Hauttransplantation mit oder ohne Dermisersatz-
Wichtigkeit und sollte vor einer geplanten Behandlung
material
unbedingt entsprechend auch dokumentiert werden. Fak-
5 Lappenplastiken (gestielt oder frei)
toren wie Alter des Patienten, Beruf, soziales Umfeld etc.
40 müssen bei der Therapieplanung berücksichtigt werden.
5 Prothesenversorgung und Robotik

Psychologische, psychosoziale (Titscher 2010) und phy-


siotherapeutische Unterstützung müssen fortgeführt wer-
den, während ein chirurgischer Behandlungsplan umge-
setzt wird. 40.3.1 Exzisionstechniken

Bei der Behandlung von Brandverletzungen ist eine Exzi-


40.2 Indikation und Timing sion mit direktem Wundverschluss die einfachste Metho-
de. Hierbei ist es wichtig, die Menge des Narbengewebes zu
Für einen Chirurgen ist es häufig leicht zu entscheiden, wie bestimmen, das entfernt werden kann, so dass die Wunde
er einen Patienten mit Brandverletzungen operieren soll. direkt verschlossen werden kann. Die Inzision wird an der
Hingegen kann es aber schwierig sein, zu entscheiden, vorher angezeichneten Region durch die gesamte Dicke
wann die Operation durchgeführt werden soll. Grundsätz- der Narbe bis zum Subkutangewebe durchgeführt. Bei
lich gilt aber: einem Keloid kann eine intraläsionale Exzision besser als

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
453 40

a b

. Abb. 40.1a, b Rekonstruktive Techniken. a W-Plastik. b GBLC. . Abb. 40.2a, b Rekonstruktive Techniken. Klinisches Beispiel für
Rosa Narbe GBLC vor (a) und nach (b) der Operation

eine extraläsionale Exzision sein, um ein Wiederauftreten schaffenheit und Farbe zur Verfügung hat. Ein Vorteil hier-
zu vermeiden. bei ist außerdem, dass die Morbidität der Entnahmestelle
reduziert wird. Diese Technik ist jedoch aufwendiger in
W-Plastik und GBLC der Vor-Behandlung und erfordert mindestens einen wei-
Bei der W-Plastik (Borges 1959; McCarthy 1990) werden teren chirurgischen Eingriff. Außerdem kann die Gewebe-
längs der Narbe auf beiden Seiten dreieckförmige Lappen expansion Komplikationen nach sich ziehen. Für die pro-
eingeschnitten. Wie bei anderen Eingriffen ist es auch hier gressive Gewebeexpansion ist eine Zeitspanne von 9–12
hilfreich, das Muster vor der Operation anzuzeichnen Wochen erforderlich.
(. Abb. 40.1). Gewebeexpander sind sehr vielseitige Instrumente im
Die »geometric broken line closure« (GBLC) ist eine Bereich rekonstruktiver Behandlung von Brandwunden
etwas komplexere Technik bei der Behandlung von Narben (. Abb. 40.3; . Abb. 40.4). Dennoch sind eine sorgfältige
als die W-Plastik und benötigt auch mehr Zeit (Webs- Auswahl der Patienten, die richtige Indikation, realistische
ter 1977; Tardy 1981; Alsarraf 1998; Thomas 1989). Wäh- Behandlungskonzepte, viel Erfahrung und gut ausgewähl-
rend das Aussehen der Narbe bei einer W-Plastik durch te chirurgische Eingriffe, ausführliche Anweisungen an das
das gleichmäßige Muster mehr oder weniger vorhersehbar medizinische Personal wie auch detailgenaue und ständige
ist, wird die Narbe durch die Unregelmäßigkeit der GBLC Information der Patienten sehr wichtig (Pallua 2005; Boz-
unscheinbarer. Dies wird durch die Kombination von ver- kurt 2008).
schiedenen Dreiecken, Vierecken, Quadraten und Halb-
kreisen, die jeweils unterschiedliche Längen und Breiten
Progressive Gewebeexpansion
aufweisen, erreicht (. Abb. 40.1; . Abb. 40.2).
5 sorgfältige Auswahl der Patienten
Serienexzision und Gewebeexpansion 5 richtige Indikation
5 präzise und ausführliche Anweisungen an das
Der Chirurg muss die Wunde mit Gewebe schließen, das
medizinische Personal
eine ähnliche Form, Beschaffenheit und Farbe wie das
5 detailgenaue und fortlaufende Patienten-
Areal der Wunde hat. Für eine chirurgische Exzision
information
von Narben ist es notwendig, lokales Gewebe für die
5 Korrektur größerer Narbenareale
Schließung der entstehenden Wunde zu verwenden. Da-
5 zweizeitiger und aufwendiger Eingriff
her ist in der Regel Haut aus angrenzenden Körperstellen
die bestmögliche Option. In Körperregionen, in denen
die Gewebeflexibilität nicht besonders ausgeprägt ist
oder die entstehende Wunde zu groß wäre, sind Gewebe- Eine Serienexzision beinhaltet die partielle Exzision der
expansion bzw. eine serielle Exzision geeignete Techni- Narbe mit anschließendem Direktverschluss von angren-
ken, um das Problem von »fehlendem Gewebe« zu um- zender Haut. In mehreren Eingriffen wird das Narbenareal
gehen. komplett herausgeschnitten. Die Anzahl der Eingriffe
Durch die Gewebeexpansion können größere Narben- hängt von der Elastizität der angrenzenden sowie von der
areale korrigiert werden, da man Gewebe in ähnlicher Be- Größe der Narbe ab. Der hauptsächliche Nachteil dieser

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454 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a b c

. Abb. 40.3a–c Progressive Gewebeexpansion. a Narbige Allopezie. b Korrektureingriff. c Postoperatives Ergebnis

40.3.2 Hauttransplantationen

Das »konventionelle« Vorgehen zur Defektdeckung nach


Verbrennungsverletzungen ist eine Hauttransplantation.
Ein Hauttransplantat bestehend aus Epidermis und Der-
mis wird als Vollhauttransplantat bezeichnet. Ein Haut-
transplantat bestehend aus Epidermis und partieller Der-
mis wird als Spalthauttransplantat bezeichnet. Bei einem
Vollhauttransplantat kann eine Papiervorlage verwendet
werden, um die Größe des für den Wundverschluss benö-
tigten Transplantats zu bestimmen.
Das gewonnene Transplantat wird sorgfältig auf den
Wundgrund gelegt und dort mittels Naht fixiert oder ge-
klammert. Auf eine vorherige sorgfältige Entfernung des
Fettgewebes vom Transplantat (Entfettung) muss geachtet
werden. Das Transplantat muss ständig mit dem Wund-
grund in Verbindung bleiben, damit die Blutgefäße inner-
halb von 3–5 Tagen in das Transplantat einwachsen kön-
nen. Gaze oder Baumwollkompressen werden üblicher-
weise dazu verwendet, um das Transplantat zu fixieren und
um Flüssigkeitsansammlungen zu verhindern, wenn der
Wundgrund flach und gut durchblutet ist (Überknüpfver-
band). An Körperstellen, an denen Hauttransplantationen
40 . Abb. 40.4 Rekonstruktive Techniken. Expander zur Narben- schwieriger sind (konkave Wunden oder Körperteile die
korrektur
oft bewegt werden wie zum Beispiel Gelenke), oder bei
Patienten mit Begleiterkrankungen, die die Wundheilung
Technik ist, dass mehrere Operationen notwendig sind
beeinflussen können, wird das Transplantat häufiger auf
(. Abb. 40.5).
andere Weise fixiert (Mittermayr 2006; Pallua 2010;
Roka 2007). Topischer negativer Druck oder Fibrinkleber
Serienexzision können in diesen Regionen die Anheilung von Hauttrans-
5 partielle Narbenexzision plantaten (»take rate«) verbessern (Mittermayr 2006;
5 Direktverschluss mittels angrenzender Haut . Abb. 40.6, . Abb. 40.7).
5 mehrzeitiger Eingriff zur kompletten Entfernung
des Narbenareals

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
455 40

a b

. Abb. 40.5 Rekonstruktive Techniken. Serienexzision bei flächiger Narbe beider Oberschenkel. Präoperatives (a) und postoperatives (b) Bild

a b

. Abb. 40.6a, b Spalthauttransplantation (Fixierung mittels Fibrinkleber). a Frühergebnis. b Langzeitergebnis

Faktoren für den Einsatz von Hauttransplantaten 5 Bei verminderter Durchblutung oder erhöhter
5 Vollhauttransplantate werden bevorzugt zur Re- Infektionsgefahr im Spendergebiet empfiehlt
konstruktion kleinerer und ästhetisch exponierter sich die Verwendung von Spalthauttransplan-
Areale verwendet (limitierte Spenderareale). taten.
5 Spalthauttransplantate zeigen eine ausgeprägtere 5 Friktion und Hämatom unter dem Transplantat
Transplantatkontraktion im Verlauf. müssen unbedingt vermieden werden.

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456 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a b

. Abb. 40.7 Vollhauttransplantation zur Rekonstruktion des Mittelgesichts nach kindlicher Gesichtsverbrennung. a Präoperativ. b Intra-
operativ

Hauttransplantate in Verbindung mit Dermis-


ersatz oder freiem Dermistransplantat
In den vergangenen Jahren wurden Dermisersatzmate-
rilaien, z. B. Alloderm oder Integra (Haslik 2007; Has-
lik 2010; Nguyen 2010; Bloemen 2010) zur Verbesserung
der Hautqualität verwendet. Diese Materialien bilden über
der offenen Wunde eine Schicht ähnlich einer normalen
Dermis und bilden somit einen Wundgrund der besser für
Hauttransplantationen geeignet ist. Damit verbessert sich
die Hautqualität. Der Einsatz dieser Materialien ist jedoch
aufwendig, da häufig mehrere Eingriffe vonnöten sind
(. Abb. 40.8, . Abb. 40.9, . Abb. 40.10).

Freies Dermistransplantat . Abb. 40.8 Schematische Darstellung der kombinierten Rekon-


Eine ältere Technik ist das freie Dermistransplantat. Hier- struktion bestehend aus Dermisersatzmaterial mit ungemeshter
40 bei wird ein reines Dermisgraft gewonnen. Dieses dient
Spalthaut

zur Unterfütterung von Spalthauttransplantaten. Nach


Entnahme wird es sorgfältig entfettet und umgedreht (»up-
side-down«) transplantiert. Anschließend erfolgt die Nicht jede Lappenplastik eignet sich für jede Nar-
Spalthauttransplantation (. Abb. 40.11). benexzision gleich gut. Jede Narbe muss individuell be-
trachtet werden.

40.3.3 Lokale Lappenplastiken


Kriterien für eine Lappenplastik zur Narbenexzision
Der Ansatz einen Teil der Haut mit all ihren Eigenschaften 5 Narbentiefe
zu verwenden, um eine Wunde zu verschließen, folgt eben- 5 betroffenes Gewebe
falls dem grundsätzlichen Prinzip der rekonstruktiven 5 Verfügbarkeit von gesundem Gewebe für die
Chirurgie, verletzte Areale mit ähnlichem Gewebe wieder- Rekonstruktion
herzustellen.

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
457 40

a b

c d

. Abb. 40.9a–d Kombinierte Rekonstruktion. a Ausgangsbefund. b, c Klinisches Bild während der Therapie. d Langzeitergebnis (1 Jahr nach
Trauma)

b c

. Abb. 40.10a–c Drittgradige Skalpverbrennung. a Klinisches Bild vor Therapie. b, c Defektdeckung mittels Spalthaut nach Dekortikation
der Tabula-externa- und Integra-Auflage

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458 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a b

40 c d

. Abb. 40.11a–d Freies Dermistransplantat (neben Spalthautentnahme): a Entfernen der Epidermis. b, c Gewinnen des Dermistransplantats.
d Rücknaht der Epidermis und Folienverband der Spalthautentnahmestelle

Unter diesen Gesichtspunkten wird die bestmögliche 4 Narbenkorrektur


Hautplastik oder eine Kombination von Lappen und Tech- 4 Narbeneinpassung in die natürlichen Spannungs-
niken für die Rekonstruktion ermittelt. linien der Haut

Z-Plastik Die traditionelle Z-Plastik besteht aus zwei gleichbleiben-


Es gibt drei Gründe, warum eine Z-Plastik notwendig ist, den Prozeduren: zunächst werden drei Einschnitte von
zur: gleicher Länge durchgeführt. Einer in der Mitte und zwei
4 Verlängerung einer Narbe oder zur Milderung von an den Enden. Die Winkel zwischen diesen Einschnitten
Narbenkontrakturen betragen 60° (. Abb. 40.12). Im Idealfall sollte der mittlere

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
459 40
Doppelt gegenläufige Z-Plastik
Die doppelt gegenläufige Z-Plastik besteht aus zwei Z-
1 1 2
2 Plastiken, die direkt nebeneinander gegenläufig platziert
2 1 sind. (. Abb. 40.15, . Abb. 40.16, . Abb. 40.17). Der Vorteil
dieser Technik liegt darin, dass man bei wenig verfügbarer
Haut eine deutliche Verlängerung der Narbe erzielen kann.
Die ideale Indikation für diese Technik ist die Linderung
. Abb. 40.12 Schematische Darstellung einer Z-Plastik. Rosa Narbe
von Kontraktionen in stark konkaven Regionen.
Bei der Dreiviertel-Z-Plastik werden die Z-Schenkel
im rechten Winkel zum zentralen Einschnitt platziert.
Der Einschnitt erfolgt an der Seite der Narbe, dies führt
1
1
2 zu einer Fissur in der Narbe, über die dann ein dreieckiger
2
2 1 Hautlappen gelegt wird (. Abb. 40.18, . Abb. 40.19).
Die Länge, die an der Seite der Narbe gewonnen wurde, ist
direkt proportional zu der Breite des dreieckigen Lap-
pens.
. Abb. 40.13 Schematische Darstellung einer modifizierten
Z-Plastik. Rosa Narbe
> Trotz des geometrischen Vorteils im Lappendesign,
kommt es bei Hautlappen für die Rekonstruktion
Einschnitt entlang der Narbenachse geführt werden. Alter- bei Brandverletzungen häufig zu Hautnekrosen. Der
nativ dazu kann eine komplette spindelförmige Exzision Grund kann eine verminderte Durchblutung der
der Narbe durchgeführt werden, diese dient dann als mitt- vernarbten Haut aufgrund der ursprünglichen Ver-
lerer Einschnitt (. Abb. 40.13, . Abb. 40.14). letzung sein, oder das chirurgische Vorgehen selbst.

a b

. Abb. 40.14 Z-Plastik zur Narbenstrangauflösung in der Axilla. a Präoperativ. b Postoperativ

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460 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

. Abb. 40.15 Schematische Darstellung einer doppelt gegenläu- . Abb. 40.16 Schematische Darstellung einer modifizierten doppelt
figen Z-Plastik. Rosa Narbe gegenläufigen Z-Plastik (»jumping man«). Rosa Narbe

a b

. Abb. 40.17a, b Narbenkorrektur mittels modifizierter doppelt gegenläufiger Z-Plastik zur Vertiefung der ersten Zwischenfingerfalte

40

. Abb. 40.18 Schematische Darstellung einer Dreiviertel-Plastik . Abb. 40.19 Schematische Darstellung einer multiplen Z-Plastiken.
oder Halb-Z-Plastik. Rosa Narbe Rosa Narbe

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
461 40
40.3.4 Advancement-Lappenplastiken Leistenregion werden gestielt und nicht direkt an versorgen-
de Gefäße am Empfängerort angeschlossen. Hierbei ist
Die Advancement-Lappenplastik kann bei ausreichend meist nach Einheilung eine weitere Operation nötig, um den
unverletzter Haut in anatomischer Nähe zum entstan- Lappenstiel zu durchtrennen (. Abb. 40.21, . Abb. 40.22).
denen Defekt nach Narbenexzision verwendet werden Gestielte muskuläre Lappen können auch zur Rekons-
(. Abb. 40.20). Hierzu wird das gesunde Gewebe lang- truktion nach Verbrennungen und ausgedehnten Weich-
streckig mobilisiert und in den Defekt eingebracht. teildefekten beispielsweise nach nekrotisierenden Fasziiti-
den eingesetzt werden. So eignet sich der bilateral gestielte
M.-gracilis-Lappen zur Hodenrekonstruktion nach Four-
40.3.5 Fasziokutane und muskuläre Lappen nier-Gangrän (. Abb. 40.23).

Bei tiefen Verbrennungswunden ist es notwendig, auch Freie Gewebetransplantation


Subkutangewebe, Faszien und Muskeln in die Defektde- Die Weiterentwicklung der Mikrochirurgie und der freien
ckung zu integrieren (Huang 1979). Gewebetransplantation hat das funktionelle und das ästhe-
tische Potential der rekonstruktiven Chirurgie enorm ge-
Fernlappen steigert. Dank mikrovaskulärer Anastomose ist es möglich
Bei Fernlappenplastiken befindet sich die Entnahmestelle geworden, einzelnes Gewebe oder Gewebeverbände (kom-
nicht in der Nähe der Verbrennungswunde. Der Transfer binierte Lappen) zu transplantieren. Außerdem macht die
kann direkt oder mikrovaskulär stattfinden (Mathes 1982). freie Gewebetransplantation prinzipiell ein einzeitiges
Direkte Fernlappen, wie zum Beispiel von der Stirn oder der Vorgehen möglich (. Abb. 40.24).

a b

c d

. Abb. 40.20a–d Intraoperative Ansichten einer Advancement-Lappenplastik zur Defektdeckung nach Exzision einer Verbrennungsnarbe
im Unterkieferbereich

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462 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a b

c d

e f

. Abb. 40.21a–f Verbrennung der Hand Grad III. a Ausgangsbefund. b Defektdeckung nach Débridement mittels Spalthauttransplantat und
gestielter Leistenlappenplastik unter spezieller Lagerung, um ein »Kinking« des Lappenstiels zu vermeiden. c, d Durchtrennung des Lappen-
stiels und Abwarten der Demarkation. e, f Zustand der rekonstruierten Hand am Entlassungstag

40 a b

c d

. Abb. 40.22a–d Zustand nach kindlicher Verbrennung und Defektdeckung mittels Leistenlappen nach Teilamputation der Langfinger
mit gutem funktionellen Ergebnis. a, b Einzeichnung für das »finger-forming«. c Erster Schritt des »finger-forming«. d Separation des 2. und
5. Fingers

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
463 40

a b

c d

e f

. Abb. 40.23a–g M.-gracilis-Lappenplastik zur Rekonstruktion des Skrotums nach Fournier-Gangrän. a Anzeichnung der im Rahmen der
Erstversorgung in die Leiste verlegten Hoden sowie der Schnittführung zur Präparation der muskulären Lappen. b Präparation der Hoden
und der Samenstränge und Rückführung in loco typico. c Präparation des dominanten Stiels und proximales und distales Absetzen des Mus-
kellappens. d Verschluss des Hebedefekts. e Einnaht der Lappenplastik. f Transplantation von gemeshter Spalthaut. g Befund 3 Monate nach
der Operation

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464 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a c

. Abb. 40.24a–c Zustand nach kindlicher Verbrennung bei Verkehrsunfall mit Gesichtsverbrennungen (a) Grad III. b Freiliegende knöcherne
Strukturen nach Nekrektomie. c Defektdeckung mittels freiem mikrovaskulären M.-lattissimus-dorsi-Transplantat

Perforatorlappen 40.3.6 Composite Tissue Allotransplantation


Perforatorlappen wurden auf Basis der septokutanen Per-
foratorgefäße entwickelt. Song et al. haben im Jahr 1984 Die »composite tissue allotransplantation« (CTA) von Tei-
beschrieben, dass die seitliche Oberschenkelregion nicht len des Gesichts, der Unterarme und den vorderen Extre-
nur als Hautentnahmestelle dienen, sondern auch eine mitäten (Brandacher 2009; Siemionow 2010b; Gor-
Entnahmestelle für den freien anterolateralen Oberschen- don 2009; Siemionow 2010a) ist noch eine junge Disziplin
kellappen (ALT) sein kann (Song 1984). Koshima et al. aus in der Transplantationsmedizin. Die ersten klinischen Er-
Japan verfeinerten im Anschluss diesen Ansatz noch. Im gebnisse sind verglichen mit den ersten Berichten von Or-
Jahr 1989 präsentierte Koshima Bauchhaut und Fettlap- gantransplantationen vielversprechend. Dennoch müssen
40 pen, basierend auf den unteren epigastrischen Gefäßen die mittel- und langfristigen Probleme wie Tumorindukti-
und Muskelperforatoren. In jüngster Zeit wurde die Theo- on durch Immunsuppression oder chronische Abstoßung
rie von Perforasomen evaluiert und die Technik der ge- in Betracht gezogen werden. Dies ist kein unwichtiger Fak-
stielten und freien Perforatorlappenplastiken kontinuier- tor, da die CTA normalerweise nicht von vitaler Bedeutung
lich weiterentwickelt. ist. Dennoch stellen solche Operationen für die betroffe-
nen Personen, die sonst oft mit sozialer Isolation, er-
> Jeder Perforator enthält ein einzigartiges Gefäß-
schwerten Rehabilitationsmaßnahmen und insuffizienten
areal, das Perforasom. Dieses Wissen wird zu neuen
Prothesen leben müssen, eine deutliche Verbesserung
brauchbaren gestielten und freien Lappen für die
ihrer Situation dar. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen,
rekonstruktive Chirurgie führen (Saint-Cyr 2009).
dass es derzeit nur eine kleine Anzahl an hochmotivierten
Mit dem Einsatz der mikrochirurgischen Techniken kann Patienten gibt, die Kandidaten für eine CTA sind (. Abb.
die Transplantation eines Kompositgewebes mit geringer 40.26).
Morbidität durchgeführt werden (. Abb. 40.25).

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
465 40

a b

c d

. Abb. 40.25a–d Alte Verbrennung. a Defekt nach osteosynthetischer Versorgung einer Klavikulafraktur. b Gehobener anterolateraler
Perforatorlappen vom Oberschenkel. c In den Defekt eingepasste Lappenplastik nach mikrochirurgischer Anastomose. d Postoperativer
Zustand

40.3.7 Fettgewebstransfer Patienten mit Radioderm als heilungsfördernd erwiesen.


Darüber hinaus kann eine Fettzellentransplantation nicht
Tissue Engineering und Gewebeersatz haben in der Ver- nur das Volumen und Konturdefekte verbessern, son-
gangenheit für die rekonstruktive Chirurgie an Bedeutung dern auch die Hautqualität (Klinger 2008; Mojallal 2009;
gewonnen (Dragoo 2007; Kamolz 2008; Beier 2010; Mans- Rennekampff 2010). Dabei scheint es, dass der Fetttransfer
bridge 2009). Jüngst hat die Fetttransplantation oder der in Zukunft bei der Rekonstruktion von Verbrennungs-
Fetttransfer höchstes Interesse erregt. Im Jahr 1895 trans- wunden eine wichtige Rolle spielen wird (. Abb. 40.27,
plantierte Czerny ein Lipom für eine Brustrekonstruktion. . Abb. 40.28).
Fettinjektionen wurden unter anderem von Eugene Hol-
länder im Jahr 1910 beschrieben, bei einem Patienten mit
»progressiver Abnahme von Fettgewebe«. Erich Lexer wid- 40.3.8 Rekonstruktion der Augenlider
mete im ersten Teil seines Buches dem freien Fetttransfer
fast 300 Seiten. Im Jahr 2001 wurde gezeigt, dass außer Bei Gesichtsverbrennungen sind neben schweren Ent-
Fettzellen, auch Stammzellen aus Fettzellen (»adipose- stellungen durch Narbenbildung häufig funktionelle Ein-
derived stem cells«, ADSC), neben anderen Zellen im schränkungen als Spätfolgen zu berücksichtigen. Insbe-
Fettgewebe, für diese Zwecke zu gebrauchen sind. Die sondere der verminderte oder sogar aufgehobene Lid-
stammzellassoziierte Fettzellentransplantation hat sich bei schluss ist für betroffene Patienten eine quälende Folge

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466 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

a b c d

e f g h

i j k l

. Abb. 40.26a–l Drei Patienten mit totaler Gesichtstransplantation. a, e, i Zustand präoperativ. b, f, j Schematische Darstellung der prä-
operativen Empfängeranatomie. c, g, k Schematische Darstellung der Transplantatanatomie. d, h, l Endergebnis. Beige und Gelb Sensorische
Nerven (Nn. infraorbitalis, supraorbitalis, buccalis, mentalis); Rot Motorische Nerven (N. facialis mit Ästen); Blau Arterien und Venen (Aa. carotis
40 communis, interna und externa mit Ästen, Vv. jugularis interna und externa). (Aus Pomohac 2012; Pomahac 2011)

der Verletzung. Eine Rekonstruktion der Augenlider rungsplastik nach Converse hat sich zur Behandlung bei
durch Hauttransplantation kann die Spätfolgen vermin- verkleinerter Mundöffnung bewährt (. Abb. 40.31). Hier-
dern (. Abb. 40.29, . Abb. 40.30). bei erfolgt die Mundwinkelerweiterung durch Inzision bis
auf die enorale Schleimhaut. Anschließend wird die
Schleimhaut sternförmig inzidiert und drei gleich große
40.3.9 Mundwinkelerweiterungsplastik Schleimhautläppchen gebildet, mit denen der erweiterte
Mundwinkel enoral ausgekleidet werden kann (. Abb.
Auch die eingeschränkte Mundöffnung durch periorale 40.32).
Narbenkontrakturen führt zu eingeschränkter Nahrungs-
aufnahme und Mundhygiene. Die Mundwinkelerweite-

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
467 40

a b

. Abb. 40.27a, b Fetttransfer bei Verbrennungsnarbe am Fuß mit rezidivierenden Narbenaufbrüchen. a Stumpfe wasserstrahlassistierte
Dissektion der Verbrennungsnarbe. b Unterspritzung der Narbe mit 25 ml Eigenfett. (Mit freundl. Genehmigung von Dr. med. Thomas Witte
und Prof. Dr. med. Heinz-Herbert Homann, Klinik für Hand und Plastische Chirurgie, Brandverletzungen, BG Unfallklinik Duisburg)

a b

. Abb. 40.28a–c Fetttransfer bei kosmetisch störender Verbrennungsnarbe nach epifaszialer Nekrektomie und Spalthauttransplantation.
a, b Planung der Eigenfettunterspritzung nach Narbenlösung. c Nach Unterspritzung von 60 ml Eigenfett. (Mit freundl. Genehmigung von
Dr. med. Thomas Witte und Prof. Dr. med. Heinz-Herbert Homann, Klinik für Hand und Plastische Chirurgie, Brandverletzungen, BG Unfallklinik
Duisburg)

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468 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

b c

. Abb. 40.29a–c Schwere Gesichtsverbrennung. a Beteiligung der Augenlider. b, c Rekonstruktion durch Vollhauttransplantation im
Bereich der Ober- und Unterlider

40

a b

. Abb. 40.30a–c Schwere kindliche Gesichtsverbrennung.


a Intraoperativ. b Zustand nach Oberlidtransplantation.
c
c Zustand 4 Monate postoperativ einfügen

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40.3 · Rekonstruktive Techniken
469 40

a b

. Abb. 40.31a, b Zustand nach kindlicher Verbrennung. a Verkleinerte Mundöffnung. b Nach Mundwinkelerweiterungsplastik und Sanie-
rung der Zähne angesichts präoperativ nicht möglicher Zahn- und Mundhygiene

a b

. Abb. 40.32a–c Mundwinkelerweiterung. a Anzeichnung der


Schnittführung. b Präparation der enoralen Schleimhautläppchen.
c
c Einnaht derselben; eine initiale Überkorrektur ist empfehlenswert

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470 Kapitel 40 · Rekonstruktive Verbrennungschirurgie

40.3.10 Robotik/Prothetik

Wenn sich alle rekonstruktiven Maßnahmen als untaug-


lich erweisen, dann sind myoelektrische Prothesen eine
vielversprechende Alternative. In den vergangenen Jahren
wurden diese durch die Einführung des gezielten Mus-
keltransfers (»targeted muscle reinnervation«, TMR) als
therapeutische Option der rekonstruktiven Chirurgie
enorm verbessert. Moderne myoelektrische Prothesen ha-
ben mehrere Freiheitsgrade, die über ein komplexes Steu-
erungssystem verfügen, sodass ein verlässlicher Einsatz für
den Patienten ermöglicht wird. a

> Die Extremitätenrekonstruktion wird im 21. Jahr-


hundert noch viele neue Wege gehen, um ein Glied
zu ersetzen oder Funktionsverlust zu kompensieren.
Sowohl biologische als auch technische Fortschritte
werden Therapien ermöglichen, die noch vor ein
paar Jahren undenkbar erschienen.

Der gezielte Muskeltransfer in Kombination mit dem


Einsatz einer myoelektrischen Prothese mit mehreren
Freiheitsgraden ist ein solcher Ansatz und ist unbestreitbar
ein großer Schritt in Richtung neuer Strategien bei der
Rehabilitation und Rekonstruktion von Extremitäten
b
(. Abb. 40.33, . Abb. 40.34; Aszmann 2008; Hijjawi 2006).
. Abb. 40.34a, b Daumenamputation. a Klinisches Bild. b Myoelek-
trische Prothese

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473 41

Begutachtung
von Verbrennungsfolgen
Henrik Menke

41.1 Grundlagen der Begutachtung – 474

41.2 Ermittlung der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit – 477

41.3 Besonderheit der privaten Unfallversicherung – 479

41.4 Zeitpunkt der Begutachtung – 479

Literatur – 479

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_41, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
474 Kapitel 41 · Begutachtung von Verbrennungsfolgen

Brandverletzungen führen in den meisten Fällen zu dauer- Die Begutachtung umfasst eine allgemeine plastisch-
haften Folgen. Bereits bei tiefdermalen Verbrennungen ist chirurgische Untersuchung. Diese beinhaltet die Erfassung
eine restitutio ad integrum nicht mehr möglich, da eine des Umfanges der Brandverletzung, die Lokalisation und
Ausheilung auch bei sachgerechter Behandlung mit einer funktionelle oder sonstige Auswirkungen. Anatomische
Narbenbildung einhergeht. Die anhaltenden Auswirkun- Veränderungen als Spätfolgen an Gelenken oder Weichtei-
gen werden auch bei Betrachtung der Behandlungskosten len wie Achsabweichungen oder Weichteilverkalkungen
von Brandverletzungen deutlich: hierbei entfallen nur ein etc. sind radiologisch zu dokumentieren. Eine allgemeine
Fünftel auf akute Behandlungskosten, während vier Fünf- Bilderfassung des aktuellen Zustandes erleichtert die Ver-
tel der Kosten durch Aufwendungen für Lohnersatz oder ständlichkeit und Reproduzierbarkeit von Befundbe-
Renten entstehen. Die mittlere Minderung der Erwerbs- schreibungen.
fähigkeit (MdE) betrug im Jahr 2012 bei knapp 18000 Ver- Die Umfangseinschätzung erfolgt sinnvollerweise un-
brennungsunfällen im Rahmen einer betrieblichen Tätig- ter Verwendung von sogenannten Brodda-Charts, die eine
keit knapp 30 % (Deutsche Gesetzliche Unfallversiche- nährungsweise Schätzung der prozentual betroffenen Kör-
rung 2012). Auch die psychosozialen Folgen einer Brand- peroberfläche ermöglichen. Eine neuere Methode, die eine
verletzung sind erheblich. 23–33 % der Brandopfer zeigen objektivere Einschätzung der betroffenen Fläche unter Be-
eine posttraumatische Belastungsstörung; nach 12 Mona- zug der ermittelten Körperoberfläche ermöglicht, ist das
ten 15–45 % (Feuerbach 2007). Die Beeinträchtigungen Burn3DCase. Allerdings ist diese Methode noch nicht all-
der Lebensqualität betreffen alle Altersgruppen (Menke gemein etabliert. Neben den primär direkt von der Ver-
2001). brennungsverletzung betroffenen Körperflächen sind
Die Begutachtung von Folgen einer Verbrennungsver- auch die sekundär betroffenen Hautareale nach Hautent-
letzung muss die vielfältigen Aufgaben der Haut als größtes nahme zu einer Transplantation zu berücksichtigen, da
Organ des Körpers beachten. Diese umfassen nicht nur die auch hier dauerhafte Folgen auftreten.
äußere Schutzfunktion durch die Integrität der »Körper- Funktionelle Einschränkungen im Bereich der Extre-
hülle«, sondern auch die Mitbeteiligung an der Regulation mitäten sowie des Halses werden mit der sogenannten
des Temperatur-, Flüssigkeit- und Elektrolythaushalts. Die Neutral-Null-Methode bestimmt unter Verwendung stan-
Körperoberfläche wirkt entscheidend über eine Vasokon- dardisierter Erhebungsbogen (. Abb. 41.1, . Abb. 41.2).
striktion oder Vasodilatation sowie der Schweißabgabe mit Die Verwendung standardisierter Erhebungsbogen,
nachfolgender Verdunstungskühlung an der Thermoregu- die im Internet abgerufen werden können (www.dguv.de/
lation des Körpers mit. Dies impliziert, dass Verbren- medien/formtexte/aerzte/ F_4222/F4222.pdf), erlaubt
nungsopfer mit größeren Narbenflächen beispielsweise eine genaue Dokumentation der einzelnen betroffenen Ge-
nicht ausgedehnteren Temperaturschwankungen ausge- lenke und letztlich die Erfassung objektiver und relativ gut
setzt werden sollen. Die Sensibilität der intakten Haut mit reproduzierbarer Daten. Hinsichtlich der hieraus zutref-
ihren Propriorezeptoren erlaubt einen direkten Außen- fenden Einschätzungen darf auf die umfangreich vorlie-
kontakt mit der Umgebung. Die Intaktheit der sichtbaren gende Literatur verwiesen werden. Kritisch anzumerken
Haut, z. B. im Gesicht und an den Händen, stellt in der ist, dass die Funktionseinschränkung des Halses im ge-
nonverbalen Kommunikation mit anderen Menschen ein nannten Bogen nicht dargestellt ist.
wichtiges Gut dar. Darüber hinaus erfüllt die intakte Haut Ein wichtiger Punkt ist die Beurteilung der Narben-
wichtige immunologische oder endokrinologische Funk- qualität. Hierzu liegen leider keine allgemein etablierten
tionen (beispielsweise Bildung von Vitamin D3). Parameter vor. Da die Narbenqualität aber sehr unter-
schiedlich ausgeprägt ist, muss hierauf im Rahmen einer
Begutachtung eingegangen werden. In die Beurteilung der
41 41.1 Grundlagen der Begutachtung Narbenqualität fließen Kriterien ein, die auch u.a. in den
»Vancouver scar scale« (VSS) eingegangen sind (Sul-
Eine dezidierte Begutachtung setzt die Kenntnis der Ver- livan 1990; . Tab. 41.1). Zu nennen sind die Beschaffenheit
letzung, einschließlich der Verletzungsursache, und ihre der Narbe hinsichtlich Textur, Farbe (Pigmentierung),
Therapie voraus. Hierzu sollten Dokumente der Kranken- Vaskularität, Verschieblichkeit und Dicke (Narbenhyper-
versorgung vorliegen, die Primärbefunde, Operationsbe- trophie, Keloidbildung). Weitere wichtige Parameter sind
richte und Entlassungsbriefe, ggf. auch aus Rehabilita- Narbeninstabilität, vermehrte Verletzlichkeit der Haut
tionseinrichtungen beinhalten. Diese geben auch Hinweis oder trophische Störungen, auch der Hautanhangsgebilde,
auf mögliche sekundäre Verletzungsfolgen, z. B. im Rah- wie den Nägeln oder Schweißdrüsen.
men einer Langzeitbeatmung. Verletzungsfolgen sind von Dies führt zur Erfassung möglicher somatischer und
vorbestehenden Schädigungen, degenerativen Verände- vegetativer Beschwerdebilder. Störungen der Thermoregu-
rungen oder früheren Verletzungsfolgen abzugrenzen. lationsmechanismen der Haut führen zu einer vermehrten

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41.1 · Grundlagen der Begutachtung
475 41

. Abb. 41.1
Messblatt obere Gliedmaßen

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476 Kapitel 41 · Begutachtung von Verbrennungsfolgen

41

. Abb. 41.2
Messblatt untere Gliedmaßen

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41.2 · Ermittlung der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit
477 41

. Tab. 41.1 Vancouver Narbenskala (Nach Sullivan 1990)

Kriterium Punkte

0 1 2 3 4

Pigmentierung normal gering mäßig stark

Höhe (mm) im Hautniveau ≤2 2–5 >5

Dehnbarkeit normal geschmeidig nachgiebig derb hart

Durchblutung normal rosa rot livide/blau

Wärme-, wie auch Kälteempfindlichkeit. Häufig beklagen


Verbrennungsopfer auch eine vermehrte Schweißneigung. 5 Narbenqualität
Letztere führt aber auch bei ausgedehnteren Verbrennun- – Textur, Dicke
gen nicht zu einer allgemeinen Belastungsintoleranz (Aus- – Stabilität
tin 2003). – Farbe, Pigmentveränderung
Weitere typische Beschwerden beinhalten eine ver- – Flexibilität
mehrte Trockenheit der Haut oder gesteigerten Juckreiz, 5 Funktionelle Einschränkung
Sensibilitätsstörungen/Taubheitsgefühl oder Spannungs- 5 Somatische und vegetative Beschwerden
empfindungen. Juckreiz und Narbendicke spielen aus Sicht – Gelenk- oder Gliederschmerzen
des Patienten eine herausragende Rolle (Draaijers 2004). – Juckreiz
Weiter sind zu nennen Gelenk- und Gliederschmerzen. – Schweißneigung
Ausgedehntere Verbrennungen mit einem Zustand – Sensibilitätsstörung
nach epifaszialer Nekrektomie können zu ausgeprägten – Spannungsgefühl
Fettverteilungsstörungen führen. Während in den Gebie- – Temperaturempfindlichkeit (Wärme/Kälte)
ten mit einer epifaszialer Nekrektomie keinerlei subkuta- – Trockenheit der Haut
nes Fettgewebe vorhanden ist, zeigen nicht betroffene Are- – Verletzlichkeit der Haut
ale oftmals eine ausgeprägte Lipohypertrophie. Dies kann 5 Sonstige Kriterien
funktionelle Auswirkungen und visuelle Einschränkungen – ästhetische Einschränkung
mit glaubhaften Beschwerden verursachen. – psychosoziale Beeinträchtigung
5 Mögliche Behandlungsfolgen (z. B. Infektion,
Thrombose, Tracheomalazie)
41.2 Ermittlung der Gesamtminderung
der Erwerbsfähigkeit
Die Vorgehensweise zur Ermittlung der Gesamtminde-
Die Ermittlung der Gesamtminderung der Erwerbsfähig- rung der Erwerbsfähigkeit folgt der von Henckel von Don-
keit nach Brandverletzungen muss aufgrund des komple- nersmarck und Hörbrand entwickelten Punkteskala. An-
xen vielgestaltigen Schädigung die hierdurch betroffenen hand dieser Skala lässt sich die Gesamtminderung der
Hauptfacetten berücksichtigen. Erwerbsfähigkeit berechnen (Henckel von Donners-
Diese sind funktionelle Einschränkungen, narbenin- marck 1995; Hörbrand 1995; . Tab. 41.2, . Tab. 41.3)
härente Auswirkungen, somatische oder vegetative Be- Die Erhebung des Lokalbefundes berücksichtigt neben
schwerden und sonstige Veränderungen. den direkten Verletzungsfolgen auch die indirekten Folgen
im Bereich der Hautentnahmestellen. Grundparameter in
der Beurteilung des Lokalbefundes ist das Ausmaß der be-
Beurteilungskriterien zur Begutachtung troffenen Körperoberfläche (KOF in %), das in Prozent
von Brandverletzungen angegeben wird. Diese Flächen werden dann einer Beur-
5 Verbrennungsfläche teilung der Narbe unterzogen.
– Lokalisation Die Beurteilung der Qualität einer Narbe beruht auf
– Ausdehnung der Einschätzung von Veränderungen der Textur, der Pig-
– Verbrennungstiefe mentierung, Strang- oder Knotenbildung, Instabilität oder
Narbenverdickung.

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478 Kapitel 41 · Begutachtung von Verbrennungsfolgen

. Tab. 41.2 Bewertung von Narbenausdehnung und -qualität, somatischen und vegetativen Beschwerden zur Ermittlung der Ge-
samtminderung der Erwerbsfähigkeit

Narbenareale Punkte

Ohne Pigment-, und wesentliche Texturveränderung KOF (%) × 1 × Q

Ohne Pigment-, aber mit Texturveränderung (z. B., Meshgraft) KOF (%) × 1,5 × Q

Ohne Pigment-, mit Narbensträngen KOF (%) × 2 × Q

Mit Pigmentveränderungen, Instabilität oder Hypertrophie KOF (%) × 3 × Q

Summe

KOF (%) prozentual betroffene Körperoberfläche mit Verbrennung bzw. Spalthautentnahme; Faktor 1–3 nach Schweregrad des Narben-
zustands; Q Faktor zur Bewertung der Lokalisation (Gesicht, Hände: 5; Brust, Arme: 2; sonstige: 1; in Einzelfällen ≤10)

. Tab. 41.3 Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit in Abhängigkeit von der Beurteilung von Narben und Beschwerden

Punkte <20 20–40 41–70 71–100 >100

Minderung der Erwerbstätigkeit (%) 0 10 20 30 40

Die Beurteilung der Narbenqualität nimmt in der Be- Wie auch die Beurteilung des Narbenlokalbefunds er-
gutachtung von Brandverletzungen eine herausragende fordert die Erfassung vegetativer oder somatischer Be-
Rolle ein. Aufgrund des Fehlens harter objektiver Daten schwerden eine hohe fachliche Expertise in der Behand-
erfordert diese komplexe Frage vom Gutachter eine umfas- lung von Brandverletzungen und ihren Folgen. Es liegen
sende Erfahrung. Draaijers und Mitarbeiter stellten im hier nur bedingt objektivierbare Kriterien zugrunde. Neu-
Jahr 2004 den »POSAS patient scale« vor, der eine Ein- ere Untersuchungen konnten eine starke Abhängigkeit
schätzung der Narbe aus Patienten und Untersuchersicht vom Untersucher zeigen (Ottomann 2010; Ottomann 2015;
vornimmt. Es zeigte sich hierbei eine höhere Validität und Rapp 2014).
Reliabilität im Vergleich zur VSS (Draaijers 2004).
Abhängig von den genannten Kriterien wird ein jAbschließende Einschätzung
Schweregrad des Narbenzustands zwischen 1–3 festgelegt Anhand der Summe aus den beiden Einzelbeurteilungen
(. Tab. 41.2). Schließlich erfolgt auch eine Wertung der Funktionseinschränkung, Lokalbefund sowie somatische
Lokalisation einer Narbe mit Zuordnung eines Faktors oder vegetative Beschwerden ergibt sich eine Gesamt-
zwischen 1 und 5, da diese eine unterschiedliche Bedeu- punktzahl, der die entsprechende MdE (%) zugeordnet ist
tung erfährt. Die Bewertung von Gesicht oder Händen (. Tab. 41.3). Hierzu sind ggf. weitere Folgeverletzungen,
erfolgt mit dem Faktor 5, von Körperstamm oder Armen z. B. im Rahmen der Behandlung hinzuzufügen.
mit Faktor 2. Höhere Wertungen (≤Faktor 10) sind in Ein- Kritisch zu hinterfragen sind bei einer Begutachtung
41 zelfällen möglich. Das Produkt aus den drei genannten Aspekte der Validität bzw. Reliabilität. Gerade bei Brand-
Faktoren KOF, Narbenqualität und Lokalisation ergibt die verletzten ist die Übereinstimmung im Ergebnis einer Be-
Gesamtpunktzahl. Diese kann auch die Ergebnisse unter- gutachtung teilweise abweichend bei verschiedenen Un-
schiedlicher Areale zusammenfassen. tersuchern. Dies betrifft sowohl die Gesamtminderung
Die Erfassung der somatischen und vegetativen Be- der Erwerbsfähigkeit als auch Teilaspekte wie Funktions-
schwerden berücksichtigt in der Originalarbeit neun ver- einschränkung, Beurteilung des Lokalbefundes und so-
schiedene Kriterien (. Tab. 41.2). Nach der Anzahl der matische und vegetative Beschwerden (Ottoman 2015).
Nennungen wird die Gesamtzahl bestimmt und hieraus Hierbei fließen neben objektive Daten auch subjektive
drei unterschiedlich gewichtete Clustergruppen gebildet: Empfindungen des Patienten ein. Eine Überarbeitung der
Die Nennung von ein bis zwei Parametern wird mit vorliegenden Erhebungskriterien ist daher wünschens-
5 Punkten, von drei bis fünf Parametern mit 10 Punkten wert; bislang liegen aber keine geeigneteren Messinstru-
und von mehr als fünf mit 20 Punkten bewertet. mente vor.

marcus.lehnhardt@rub.de
Literatur
479 41
41.3 Besonderheit der privaten Bedeutung ist. Jeder Versicherungsfall ist spätestens drei
Unfallversicherung Jahre nach dem Unfallereignis endgültig geschlossen. Dies
erweist sich in der Begutachtung von Verbrennungsfolgen
Grundlage für die Begutachtung von Verletzungsfolgen ist oft als problematisch. Narbige Veränderungen oder Kon-
bei der privaten Unfallversicherung ein privatrechtlicher trakturen können sich durchaus erst zu einem späteren
Vertrag und nicht eine gesetzliche Vorschrift. Zur Ein- Zeitpunkt manifestieren. Dies muss bei der Begutachtung
schätzung der »Gliedertaxe« gilt nach den gültigen Allge- berücksichtigt werden. Im Einzelfall können hierzu indivi-
meinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) 88 in der duelle Klärungen mit den Versicherungsträgern erforder-
privaten Unfallversicherung der Begriff der »normalen lich werden.
körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit«, bezogen
auf eine gesunde, gleichaltrige Person.
Der Gutachter kann die Kriterien des Schwerbehinder- Literatur
tengesetzes für seine Beurteilung heranziehen.
Austin KG, Hansbrough JF, Dore C, Noordenbos J, Buone MJ (2003)
> § 3 Abs. 1 SchwbG: »Behinderung im Sinne dieses Thermoregulation in burn patients during Exercise. J Brun Care
Gesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorü- Rehabil 24 (1):9–14
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2012) Referat »Statistik
bergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf
– Makrodaten, Arbeits- und Schulunfälle«
einen regelwidrigen körperlichen, geistigen oder Draaijers LJ, Tempelman FR, Botman YA, Tuinebreijer WE, Middelkoop E,
seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zu- Kreis RW et al (2004) The patient and observer scar assessment
stand, der von dem für das Lebensalter typischen scale: a reliable and feasible tool for scar evaluation. Plast Reconstr
abweicht.« Surg 113:1960–1965
Feuerbach JA, McKibben J, Bienvenu OJ, Magyar-Russell G, Smith MT,
Die Anbindung an die berufliche Tätigkeit zur Beurteilung Holavanahalli R, Patterson DR, Wiechman SA, Blakeney P, Lezotte
des Invaliditätszustandes entfällt damit in der privaten Un- D (2007) Psychological distress after major burn injury. Psycho-
fallversicherung. Dies erleichtert auch die Beurteilung som Med 69(5):473–482
Henckel von Donnersmarck G, Hörbrand F (1995) Begutachtung von
nicht berufstätiger Personen.
Brandverletzten. In Jahrbuch der Versicherungsmedizin:85ff
Hörbrand F, Mühlbauer W, Henckel von Donnersmarck G (1995) Zu-
stand, Lebensweise und psychologische Aspekte von Brandver-
41.4 Zeitpunkt der Begutachtung letzten. In: Jahrbuch der Verbrennungsmedizin:99ff
Menke, H (2001) Folgen von Verbrennungen. 33. Versorgungsmedi-
zinische Fortbildungstagung über Begutachtungsfragen des
Eine Begutachtung erfasst im Idealfall den Endzustand
Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Karlsruhe
nach einer Verletzung. Die Entwicklung der Narben nach 7.–11.5.2001
einem Verbrennungsunfall ist ein dynamischer, langwieri- Ottomann C, Hartmann B, Bruck JC (2010) Die Einstufung der MdE
ger Prozess, der im Gegensatz z. B. zu einer Frakturaushei- nach thermischen Trauma im Rahmen der Begutachtung der
lung keinen definitiven Abschluss erfährt. gesetzlichen Unfallversicherung – Abhängigkeit des Ergebnisses
Die Phase der Narbenausreifung nimmt 12–24 Monate vom Gutachter. 28. Jahrestagung der DAV, Schladming, Öster-
reich, 13.–16.1.2010. German Medical Science GMS Publishing
in Anspruch. Aber auch danach sind spätere Narbenverän-
House; Doc10dav62
derungen, z. B. mit Kontrakturausbildung nach vielen Jah- Ottoman C, Rapp M, Bruck JC, Hartmann B (2015) Die Einstufung der
ren möglich. Dies muss bei Wahl des Zeitpunkts einer Be- MdE nach thermischen Trauma im Rahmen der Begutachtung der
gutachtung nach einer Verbrennungsverletzung berück- gesetzlichen Unfallversicherung (Teil I): Geringe Validität des MdE
sichtigt werden. Eine erste Begutachtung sollte frühestens Bogens nach Donnersmarck und Hörbrand. Handchir Mikrochir
Plast Chir 47:245–251
12 Monate nach dem Unfall, eine Wiederholung nach drei
Rapp M, Ottomann C, Liener UC (2014) Evaluation des neuen MdE-Bo-
Jahren erfolgen. Das Gutachten sollte immer auch den gens von Ottomann und Hartmann zur Begutachtung von Brand-
Hinweis auf später mögliche Veränderungen beinhalten. verletzten. DAV-Tagung
In der privaten Unfallversicherung gilt für den Zeit- Sullivan T, Smith J, Kermode J, McIver J, Courtemanche DJ (1990)
punkt der Begutachtung eine zeitliche Befristung. Rating the burn scar. J Burn Rehabil 11:256–260

> § 11.IV AUB 88: »Versicherungsnehmer und Versi-


cherer sind berechtigt, den Grad der Invalidität jähr-
lich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des
Unfalls, erneut ärztlich bemessen zu lassen.«

Dies bedeutet, dass eine nach Ablauf von drei Jahren ein-
tretende Besserung oder Verschlimmerung der Unfallfol-
gen, gerechnet vom Unfalltag an, danach nicht mehr von

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481 42

Behandlungskosten
für Schwerbrandverletzte
im DRG-System
Melodie Rahimi, Christoph Hirche, Ulrich Kneser

42.1 Ziel – 482

42.2 Allgemeiner Hintergrund DRG-System – 482

42.3 Spezielle Aspekte des DRG-Systems


für die Verbrennungsbehandlung – 482

42.4 Ausblick – 486

Literatur – 486

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_42, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

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482 Kapitel 42 · Behandlungskosten für Schwerbrandverletzte im DRG-System

42.1 Ziel Grundlage des G-DRG-Systems sind ICD-10-GM, die In-


ternationale statistische Klassifikation der Krankheiten
Das Ziel des Kapitels ist die Darstellung und Kommentie- und verwandter Gesundheitsprobleme in 10. Revision
rung der derzeitigen Codierung und Abrechnung der Be- (German Modification) und das OPS-Verzeichnis, eine
handlung brandverletzter Patienten. Grundlage sind: Adaption der englischsprachigen Internationalen Klassifi-
4 Deutsche Codierrichtlinien Version 2013 kation der Prozeduren in der Medizin (ICPM) der WHO.
4 Diagnoseklassifikation (ICD-10-GM 2013) Herausgeber des Systems ist das Institut für das Entgeltsys-
4 G-DRG-2013 Gesamtausgabe tem im Krankenhaus (InEK GmbH) im Auftrag der Selbst-
4 Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 2013 verwaltungspartner im Gesundheitswesen (DIMDI).
4 Änderungstabelle-G-DRG-2014 Als Ziel des DRG-Systems und der Fallgruppenbildung
gilt die Kostenhomogenität. Die Versorgung von Verbren-
Hinzugezogen werden Beispiele und Konstellationen aus nungspatienten und im Besonderen der Aufwand bei
dem Bereich der MDK-Begutachtung und Prüfung der Schwerbrandverletzten bildet sich bis heute nicht kosten-
Verbrennungszentren sowie die aktuellen Bestrebungen homogen ab und bedarf daher weiterer Umstrukturierun-
der »Arbeitsgruppe DRG« innerhalb der Deutsche Gesell- gen und Anpassungen vor allem bezüglich der kostenin-
schaft für Verbrennungsmedizin. Der inhaltliche Stand tensiven Therapiemaßnahmen.
bezieht sich auf Juli 2014. Es bleibt festzuhalten, dass in-
nerhalb dieses Teilbereichs der Verbrennungsbehandlung
eine relativ hohe Dynamik existiert mit kurzfristig mögli- 42.3 Spezielle Aspekte des DRG-Systems
chen Änderungen. für die Verbrennungsbehandlung

Laut der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ver-


42.2 Allgemeiner Hintergrund DRG-System
brennungsmedizin wird die Verbrennung definiert als
Schädigung der Haut durch thermische oder chemische
Mit dem in Deutschland seit dem Jahr 2003 geltenden Ab-
Einwirkungen unterschiedlicher Tiefe, welche zum teil-
rechnungssystem der »diagnosis related groups« (DRG)
weisen oder vollständigen Absterben der Haut führen.
für diagnosebezogene Fallgruppen erfolgt auch die Ab-
Nach aktuellen Codierrichtlinien müssen folgende
rechnung der stationären Behandlung Brandverletzter.
Reihenfolgen eingehalten werden (Codierrichtlinien
Anhand dieses Klassifikationssystems soll der ökono-
2013):
misch-medizinische Aufwand auf Basis der Diagnose und
4 Das Gebiet mit der schwersten Verbrennung/Verät-
erfolgten Behandlungen bewertet werden. Bezogen auf
zung muss zuerst angegeben werden. Eine tiefere Ver-
den Ressourcenverbrauch, bildet das DRG-System die
brennung z. B. Grad III ist vor einer Verbrennung
Grundlage für die Budgetierung und Abrechnung von
Grad II anzugeben, auch dann, wenn die Verbren-
Krankenhausleistungen. Nach australischem Vorbild soll
nung Grad II einen größeren Teil der Körperoberflä-
ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalie-
che betrifft.
rendes Vergütungssystem für alle Krankenhäuser herr-
4 Verbrennungen, die eine Hauttransplantation erfor-
schen (Stryker DRG-Leitfaden 2015). Gesetzliche Grund-
dern, rangieren stets vor denjenigen, die keine erfor-
lage ist § 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.
dern.
4 Wenn die Anzahl der Codes für einen stationären Fall
Durchgängiges, leistungsorientiertes die maximale Zahl der übermittelbaren Diagnosen
und pauschalierendes Vergütungssystem übersteigt (bis zu 40 Nebendiagnosen zur Haupt-
5 »Durchgängigkeit bedeutet in diesem Zusammen- diagnose), wird der Code T29 »Verbrennung und
hang den DRG-Einsatz als Abrechnungseinheit für Verätzung mehrerer Körperregionen« benutzt.
das gesamte stationäre Leitungsspektrum eines
42 Krankenhauses.« Schwerbrandverletzte werden im DRG-System unter be-
5 »Leistungsorientierung bringt Entgelt und stimmten Kriterien in die Schwerbrandverletzten-DRG
Krankenhausleistung in ein direktes Abhängig- »Y01Z« eingeordnet. Seit 2014 wurden die Zuordnungs-
keitsverhältnis.« kriterien für die DRG »Y01Z« erweitert. Bisher konnte sie
5 »Pauschalierend ist das Entgeltsystem, weil es hin- nur bei schweren Verbrennungen mit operativem Eingriff
sichtlich der Behandlungskosten gleichartige oder einer Beatmungsdauer von ≥96 h erreicht werden.
(nicht identische) Fälle zu einer Fallgruppe zusam- Jetzt ist es auch bei Verbrennungen mit intensivmedizini-
menfasst.« scher Komplexbehandlung >1176/1104 Aufwandspunkte
abrechenbar (Y61Z) (G-DRG 2014).

marcus.lehnhardt@rub.de
42.3 · Spezielle Aspekte des DRG-Systems für die Verbrennungsbehandlung
483 42
> Patienten, die unter die Schwerbrandverletzten-
DRG Y01Z fallen, werden immer krankenhausindivi- 5 >10 % VKOF Grad III
duell nach einem tagesgleichen Pflegesatz abge- 5 mechanischen Begleitverletzungen
rechnet. 5 Inhalationsschaden
5 präexistente Erkrankungen
Unter der OPS 5-92ff (also inklusive aller untergeordneten 5 Patientenalter <8 bzw. >60 Jahre
Prozeduren) werden Operationen an Haut und Unterhaut 5 Stromverletzungen
bei Verbrennungspatienten kategorisiert. So ist beispiels-
weise bei einer Rekonstruktion mittels lokaler Lappen-
plastik bei einem Verbrennungspatienten der Prozedu- Zentren zur Behandlung von Schwerbrandverletzten ste-
renschlüssel 5-926 spezifisch zu wählen, wohingegen die hen neben dem hohen apparativen und personellen Auf-
Kodierung eines Nicht-Verbrennungspatienten mit selbi- wendung bezüglich baulicher und logistische notwendiger
ger Rekonstruktion mit dem Kode 5-903 erfolgt (OPS 2013). Voraussetzungen vor einer großen Herausforderung, die
Nicht nur die akute operative Therapie muss abgebildet mit einem sehr hohen Kostenaufwand verbunden sind.
werden, sondern auch die Folgeoperationen müssen dem Neben klimatisierten Einzelintensivboxen sind ein be-
Verbrennungspatienten spezifisch zugeordnet werden. heizbarer Schockraum und ein für die Hydrotherapie ge-
Ein typischer Folgeeingriff im Verlauf sind z. B. Z-Plas- eignetes Bad unabdingbar. Bereitstehen müssen für die
tiken, die mit dem verbrennungsspezifischen Code 5-926.4 Verbrennungspatienten ein speziell integrierter Opera-
klar als Folge nach Verbrennung codiert werden können. tionssaal, der entsprechend klimatisiert ist und für tägliche
Leider gibt es aktuell jedoch auch etliche Folgeopera- Eingriffe zur Verfügung steht, wie auch Einrichtungen zur
tionen, wie z. B. die Serienexzisionen nach Verbrennungs- kontinuierlichen arteriovenösen Hämofiltration.
verletzung, bei denen die verbrennungsspezifische Dar- Deutschlandweit stehen 36 spezialisierte Zentren
stellung noch nicht existiert. Dieses Fehlen führt nicht nur (7 Kap. 8) für die jährlich bis zu 20000 thermisch Verletz-
zu einer unvollständigen/fehlerhaften Codierung, sondern ten in der BRD zur Verfügung (Deutsche Gesellschaft für
auch zu vermehrten Anfragen und Infragestellung seitens Verbrennungsmedizin; www.Feuerwehr.Hamburg.de).
der Krankenkassen der zur Verbrennung gehörenden und Die Komplexität der Betreuung Brandverletzter zeigt sich
geplanten Folgeeingriffe. nicht nur in der Akuttherapie, sondern auch in der weiter-
Verbrennungsverletzungen zählen zu den umfang- führenden Betreuung und der Folgebehandlungen.
reichsten und aufgrund ihrer Folgen zu den langwierigsten
> »Eine enge Anlehnung und Verzahnung der weiteren
Traumata. Neben einem breiten Erfahrungspool in der
Rehabilitationsmaßnahmen mit den Brandverletz-
Akut- und Nachversorgung, der anspruchsvollen intensiv-
tenzentren ist wünschenswert, da operative Korrek-
medizinischen Betreuung, stellen physische und psychi-
tureingriffe bei dieser speziellen Patientengruppe
sche Verletzungen eine große Herausforderung an die
essentieller Bestandteil aller Rehabilitationsphasen
Behandler.
sind.« (Deutsche Gesellschaft für Verbrennungs-
Langwierige psychische, soziale, berufliche und öko-
medizin e. V.)
nomische Einschränkungen müssen überwunden werden
(Pallua 2003). Aus diesem Grund ist insbesondere die Solche Einrichtungen mit ganzheitlichem Ansatz verwirk-
Behandlung von Schwerbrandverletzten mit den Krite- lichen, dass Brandverletzten- und Rehabilitationsmedizin
rien der DGV in Deutschland an speziellen Zentren loka- verknüpft werden und physio- und ergotherapeutische
lisiert. Leistungen ebenso eingeschlossen werden, wie psychothe-
rapeutische Verfahren, Berufshilfe und Sozialdienst.
Die Therapieintensität und der hohe personelle Schlüs-
Kriterien der Behandlung Schwerbrandverletzter sel verursachen jährlich einen extrem hohen Behandlungs-
in speziellen Zentren mit Verbrennungen folgen- kostenaufwand. Zudem müssen die in der Verbrennungs-
der Regionen: medizin speziellen und kostenintensiven Maßnahmen
5 Gesicht/Hals gesondert berücksichtigt werden.
5 Hände und Füße Ein wichtiger Aspekt der Abbildung der Behandlungs-
5 Anogenitalregion kosten Schwerverbrannter ist der therapiephasenabhän-
5 Achselhöhlen gige, sehr unterschiedliche Kostenaufwand. Den zentralen
5 Bereiche über großen Gelenken oder sonstiger Anteil der Versorgung schwerverbrannter Patienten stellt
komplizierter Lokalisation die intensivmedizinische Akuttherapie mit teilweise im-
5 >15 % VKOF Grad II mensen Kosten durch extremen Ressourcenverbrauch,
Personalaufwand und Sachkosten zum Beispiel hinsicht-

marcus.lehnhardt@rub.de
484 Kapitel 42 · Behandlungskosten für Schwerbrandverletzte im DRG-System

lich medikamentöser Therapie und Blutersatzprodukte dar in einem Verbrennungs-OP entstehen, belaufen sich auf
(Oestreich 2006). etwa 240000 EUR.
Ebenso unterscheidet sich die Kostenverteilung im Auf der Verbrennungsintensivstation wird bei einem
operativen Bereich. Während operative Maßnahmen in Stückpreis von etwa 4 EUR eine Gesamtsumme für Paraf-
der Akutphase durch Hautersatzmaterial (Spenderhaut/ fingaze bei der Oberflächentherapie von über 80000 EUR
biotechnologisch gezüchtete Haut), Narkosebäder, sehr ausgegeben. Allein durch die medikamentöse Therapie
zeitintensive Operationen wie Meek-Transplantation ei- und Wundtherapie entstehen auf einer Verbrennungsin-
nen hohen Zeit- und Kostenaufwand beanspruchen (Oe- tensivstation Kosten von über 530000 EUR im Jahr.
streich 2006), sind Operationen im weiteren Verlauf zur Im Rahmen der Behandlung werden extrem kostenin-
Rekonstruktion oder die Folgeeingriffe, wie Z-Plastiken tensive alternativlose Medikamente eingesetzt. Antibio-
und Serienexzisionen weniger kostenintensiv. Betrachtet tika, wie Linezolid (Zyvoxid) oder Voriconazol (VFend)
man die Behandlung als Ganzes, muss es für eine adäquate bei Pilzinfektionen, die bei der Behandlung Schwerver-
Abdeckung des gesamten Aufwands eine entsprechende brannter oft indiziert sind, rechnen sich auf Ausgabekos-
Mischkalkulation geben. ten von über 100000 Euro im Jahr.
Die Gesamtkosten für den stationären Aufenthalt wur- Für diese »Kostenausreißer« wurden im Jahr 2004 die
den im Jahr 1997 von Germann et al. auf 120000– Zusatzentgelte eingeführt. Die Höhe des Zusatzentgeltes
150000 Deutsche Mark geschätzt. Bis ins Jahr 2002 erfolg- bei Medikamenten ist von der insgesamt verabreichten
te die Abrechnung Schwerverbrannter ausschließlich über Menge während des gesamten Klinikaufenthaltes abhän-
tagesgleiche Pflegesätze, die sich nach krankenhausspezi- gig. Mit diesen Entgelten werden Leistungen vergütet, die
fische Kostenstrukturen richteten und je nach Aufenthalts- nicht oder noch nicht ausreichend in den DRG-Fallpau-
tagen im Krankenhaus berechnet wurden, ohne den tat- schalen berücksichtigt wurden. Die Vertragsparteien auf
sächlichen Behandlungsaufwand abzubilden. Ab 2003 Bundesebene haben eine Empfehlung gemäß § 9 Abs. 1
wurde eine ressourcenbezogene Kostenerstattung in Form Satz 1 Nr. 4 KHEntgG für die Kalkulation von Zusatzent-
von Fallpauschalen angestrebt. gelten vereinbart (Institut für das Entgeltsystem im Kran-
Die jeweiligen Behandlungsfälle erfahren ihre Zuord- kenhaus 2014).
nung zu einer G-DRG-Fallpauschale auf Basis der wäh- Einen sehr kostenintensiven Sonderfall, der nicht über
rend des Krankenhausaufenthalts routinemäßig doku- den Zusatzentgeltkatalog abgebildet wird, stellt die Versor-
mentierten Patienten-, Falldaten und Diagnose- und Pro- gung Schwerverbrannter mit Kulturhaut dar. Das Deut-
zedurcodierungen (ICD-10-GM bzw. OPS; DIMDI 2014). sche Institut für Zell- und Gewebeersatz in Berlin kultiviert
Bereits in der ersten Version des Fallpauschalensys- Hautzellen zur Behandlung von großflächigen Brandver-
tems wurde für die DRG der Schwerverbranntenthera- letzungen (Keratinozytensheets) deren Kosten immens
pie Y01Z keine Ermittlung einer Fallpauschale festgelegt und für Kliniken kaum tragbar sind.
und die Berechnung nach tagesgleichen Pflegesätzen fort- Wenige Krankenhäuser, wie die BG-Kliniken, haben
geführt. Bis heute werden Bereiche der »Hochleistungsme- in diesem Bereich eine Sonderregelung, die es ermög-
dizin«, zu denen unter anderem die Behandlung Schwer- licht, einige Male im Jahr einen Sonderantrag auf Kos-
brandverletzter gehört, aus der fallpauschalierten Abrech- tenübernahme über die Berufsgenossenschaften im Sinne
nung herausgenommen. Stattdessen können kranken- von Zusatzentgelten zu stellen. Der Einzelantrag umfasst
hausindividuelle Entgelte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des meist ein Volumen von etwa 200000 EUR/Patient. Eine
Krankenhausfinanzierungsgesetzes vereinbart werden. sichere Kostenübernahme ist allerdings nicht gewährleis-
Viele Kliniken wurden in den vergangenen Jahren auf- tet. Nicht selten jedoch werden die von den Krankenhäu-
gefordert, interne Budgetverhandlungen auf dem Boden sern ausgestellten Rechnungen von den Krankenkassen in
ihrer klinikinternen Daten zu führen. Frage gestellt und durch den Medizinischen Dienst der
Obwohl weiterhin jährliche Veränderungen vorge- Krankenversicherung (MDK) mehrfach geprüft.
nommen werden, ist man weit von einer aufwandgerech- In den letzten Jahren zeigte sich ein massiver Anstieg
42 ten Abbildung entfernt. Wie hoch der Erlös pro Tag sein der MDK-Anfragen bezüglich der Hauptdiagnose Verbren-
müsste, um eine Kostendeckung für Verbrennungspatien- nung T20-32 bei Folgeeingriffen, die seitens der Kassen als
ten zu erzielen, ist schwer zu ermitteln. L90.5 »Narben und Fibrosen der Haut« ausgelegt wurden.
Eine Kostenübersicht aus dem Jahr 2013 zum Beispiel Gemäß der Codierrichtlinien DKR D005d heißt es: »Folge-
zeigte für Schwerverbranntenzentren mit 6–8 Verbren- zustände oder Spätfolgen einer Krankheit sind aktuelle
nungsbetten, dass der Kostenaufwand durchschnittlich Krankheitszustände, die durch eine frühere Krankheit her-
allein nur für Fremdhaut sich über 180000 EUR in einer vorgerufen wurden. [..] Es gibt keine allgemeine zeitliche
Klinik summiert. Die Kosten, die allein durch Verbands- Beschränkung für die Verwendung der Schlüsselnummern
material und Oberflächentherapie innerhalb eines Jahres für Folgezustände.« (Codierrichtlinien 2013).

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42.3 · Spezielle Aspekte des DRG-Systems für die Verbrennungsbehandlung
485 42
Anfrage der Krankenkasse und Fallprüfung
durch den MDK Sachliche Erörterung des mehrzeitigen Vorge-
4 Eine 29-jährige Frau kommt mit Zustand nach Verbren- hens und Folgeeingriffe bei Brandverletzten
nung Grad II und III am rechten Arm, der rechten Schul- Die DGV zielt auf eine hochqualitative Behandlung
ter und der rechten Hand (VKOF 4 %) in die Klinik. von Patienten mit Verbrennungen mit optimalen
4 Die Verbrennung hat sich die Patientin Ende Dezem- Behandlungsergebnissen. Außerdem unterstützt die
ber 2011 durch das Heraustragen eines brennenden DGV alle in der Verbrennungsbehandlung beteilig-
Weihnachtsbaums aus ihrer Wohnung damals zuge- ten Personen in einer fachlichen Auseinandersetzung
zogen. und der Reduktion von Kontroversen und Streitfällen.
4 Nach Akuttherapie und operativer Versorgung mittels
Spalthauttransplantation im Jahr 2011 fand in der
Zwischenzeit keine weitere stationäre Therapie statt. Im ersten Schritt dient die initiale Behandlung einer aku-
4 Ende 2013 stellt sich die Patientin mit schmerzhafter ten Verbrennung zunächst der Wiederherstellung des
Verbrennungsstrangbildung im Bereich der rechten Hautmantels und der Integrität, um die schweren systemi-
Schulter vor. Eine operative Sanierung mittels Serien- schen Folgen der Verletzung zeitlich zu begrenzen und ein
exzision wird durchgeführt. Überleben zu ermöglichen. Obwohl die Behandlung der
Verbrennung mit diesem Schritt nicht abgeschlossen ist,
Korrekte Codierung: Hauptdiagnose: T22.82 Verbrennung ist die Stabilisierung der Verbrennungsfolgen im Rahmen
an der Schulter. Die Rechnung wird von der Krankenkasse der physiologischen Schritte der Wundheilung und Rei-
durch den MDK geprüft mit folgender Anfrage: Haupt- fung der ersetzten Haut notwendig. Erst in einem zweiten,
diagnose nicht korrekt, Empfehlung der Codierung: L90.5 zeitlich versetzten Schritt können die Schritte der nach-
Narben und Fibrosen der Haut bei schmerzhafter Narben- folgenden Behandlung definiert werden. Diese nachfol-
bildung. genden Schritte sind in der Regel bedingt durch eine
Entstehung von Kontrakturen, schmerzhaften Verbren-
Widerspruch seitens der Klinik: Die Verbrennung ist so nungssträngen und Narbenplatten. Diese Schritte sind
lange »aktuell« bis die Behandlung, inklusive aller daraus nach Abschluss der initialen Behandlung zwar absehbar,
resultierender Folgeeingriffe, abgeschlossen ist. Wie oben müssen als Folgeeingriff in der Regel mehrzeitig und mit
gemäß der Codierrichtlinien zitiert, sind »Folgezustände zeitlichem Intervall zur initialen Gesamtbehandlung ge-
oder Spätfolgen einer Krankheit aktuelle Krankheitszu- plant werden.
stände, die durch eine frühere Krankheit hervorgerufen Diese Vorgehensweise ist medizinisch begründet und
wurden« (Codierrichtlinien 2013). Durch das korrekte soll auf Empfehlung der DGV sowohl bei der Planung der
Codieren der Folgebehandlung nach Verbrennung gene- Verbrennungsbehandlung als auch bei der Codierung und
riert der Sekundäreingriff eine Y-DRG mit einem höhe- Abrechnung berücksichtigt werden.
ren Relativgewicht als die geforderte Codierung L90.5 Da das DRG-System jährlich überarbeitet wird, ist eine
(Narbe). genaue Codierung unabdingbar zur korrekten Abbildung
der Leistungen der Zentren. Im DRG-System wird nur das
abgebildet, was an Kostenstruktur bekannt ist. Allerdings
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft
ist die Erfassung über das InEK nicht transparent, weshalb
für Verbrennungsmedizin
bisher keine Offenlegung der in die Kalkulationen einge-
»Die Verbrennung ist eine Verletzung der Haut, bei
henden Daten erfolgt.
der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit Folge-
Wie wichtig die valide Erfassung verwendeter Mate-
eingriffen durch Kontrakturen, schmerzhafte Ver-
rialien ist, zeigt das Beispiel des Hautersatzmaterials
brennungsstränge und Narbenplatten zu rechnen ist.
»Suprathel«, eine kostenintensive Anwendung, die erst
Diese Korrektureingriffe müssen als Folgeeingriff in
nach jahrelanger Erfassung nun seit 2014 abgebildet und
der Regel mehrzeitig und mit zeitlichem Intervall zur
entsprechend vergütet wird:
initialen Gesamtbehandlung geplant werden, um
»Bis zur OPS-Version aus dem Jahr 2013 konnten die
das Ergebnis der Behandlung zu optimieren.«
Codebereiche 5-923.2 und 5-923.7 (temporäre Weichteil-
deckung bei Verbrennungen und Verätzungen, durch allo-
plastisches Material, kleinflächig/großflächig) für die Ver-
wendung von »Suprathel« angegeben werden. Ab der OPS-
Version 2014 gibt es hierfür die neuen Codebereiche
5-923.a und 5-923.b« (Deutsches Institut für Medizinische
Dokumentation und Information 2014).

marcus.lehnhardt@rub.de
486 Kapitel 42 · Behandlungskosten für Schwerbrandverletzte im DRG-System

42.4 Ausblick

In Zukunft wird durch die Arbeit in den DRG-Gruppen


ein Konsens zwischen Verbrennungszentren und DIMDI
für eine einheitliche Vorgehensweise angestrebt. Darüber
hinaus sollen alle in der Akut- und Folgebehandlung not-
wendigen Maßnahmen und Prozeduren im OPS abgebil-
det werden und eine transparente Vorgehensweise bei der
Beurteilung durch den Medizinischen Dienst der Kran-
kenkassen durch fachliche Stellungnahmen der Gesell-
schaft erzielt werden. Angemessene Erlöse zur Refinanzie-
rung der hohen Kosten der Akutbehandlung und Berück-
sichtigung der medizinisch notwendigen Verzögerung von
primären Korrektureingriffen sind notwendig, um die
adäquate und qualifizierte Behandlung von schwerbrand-
verletzten Patienten auch in Zukunft sicherstellen zu
können.

Literatur

Bundesministerium für Gesundheit (2015) Gesetz über die Entgelte


für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen. http://www.
bmg.bund.de/themen/krankenversicherung/stationaere-ver-
sorgung/krankenhausfinanzierung.html
Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. (DGUV) (2014)
DRG. http://www.verbrennungsmedizin.de/drg.php
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information
(DIMDI) (2014) G-DRG Kodierrichtlinien 2013
Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) (2014)
Fallpauschalenkatalog
Oestreich K, Jester A, Ohlbauer M, Schroter B, Germann G, Pelzer M
(2006) Survival strategy of burn centers in the context of the
German DRG system: reimbursement. Unfallchirurg 109:505-510
Pallua N, Kunsebeck HW, Noah EM (2003) Psychosocial adjustments
5 years after burn injury. Burns 29:143-152
Stryker (2015) DRG-Leitfaden. http://www.stryker.de/drg-leitfaden-4.
pdf.html

42

marcus.lehnhardt@rub.de
487 43

Selbsthilfegruppen
Maximilian Kückelhaus, Tobias Hirsch, Marcus Lehnhardt

43.1 Bundesverband für Brandverletzte e. V. – 488

43.2 Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V. – 488

43.3 Phoenix Deutschland – Hilfe für Brandverletzte e. V. – 489

43.4 Cicatrix – Gemeinschaft für Menschen mit Verbrennungen


und Narben e. V. – 489

43.5 Kontaktadressen – 489

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6_43, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
488 Kapitel 43 · Selbsthilfegruppen

Brandverletzte sehen sich nach Ende der Akutversorgung 43.1 Bundesverband für Brandverletzte e. V.
mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert.
Vor allem hinsichtlich Versicherungsfragen, beruflicher Der Bundesverband für Brandverletzte e. V. wurde im
und sozialer Reintegration sowie der oft langwierigen Wei- Jahre 1994 gegründet und trägt seit 2005 nach mehreren
terbehandlung betreten viele betroffene Neuland. Viele Umstrukturierungen diesen Namen. Das Beratungsange-
Patienten beklagen dabei ein Defizit an Hilfestellung nach bot des Verbands wurde über die Jahre immer weiter aus-
Entlassung aus der Akut- und Rehabilitationsversorgung. gebaut und umfasst mittlerweile individuelles Fallmanage-
Selbsthilfegruppen für Brandverletzte in Deutschland bie- ment und weitgehende Unterstützung bei der Reintegration
ten diesen Patienten vielfältige Hilfestellungen. Dabei geht in Beruf und Alltag. Der Verband veranstaltet Tagungen
deren Arbeit weit über die Zusammenführung von Patien- und Workshops, die die psychosozialen Probleme der
ten zum Erfahrungsaustausch hinaus: Betroffene sollen Brandopfer adressieren. Die politische Arbeit des Verban-
vernetzt werden, um eine starke Lobby zur Vertretung der des hat zur Entwicklung von Leitlinien im Rahmen der
Interessen von Brandverletzten zu schaffen. Diese Lobby Bildung eines Rehabilitationsnetzwerkes für Brandverletz-
soll durch die Öffentlichkeitsarbeit der Selbsthilfeorgani- te beigetragen. Die Verbandsvorsitzende setzt sich als Pa-
sationen unterstützt werden. Folgende Punkte beschreiben tientenvertreterin im GBA für die speziellen Belange der
zentrale Interessen der meisten Selbsthilfegruppen: Brandverletzten ein. Im Rahmen der Präventionsarbeit
4 Die Übernahme von Behandlungskosten, die wäh- findet eine enge Zusammenarbeit mit dem Feuerwehrbun-
rend der Nachsorge anfallen, soll durch die Versiche- desverband und den jeweiligen Landesverbänden statt.
rungsträger auf Grundlage einheitlicher Behand- Der Bundesverband für Brandverletzte e. V. ist kooperati-
lungsstrategien gesichert werden. Daher ist die Aner- ves Mitglied beim Sozialverband (SoVD), der deutschspra-
kennung von Brandverletzten als »seltene chronisch chigen Gesellschaft für Verbrennungsbehandlung sowie
Kranke« ein Anliegen der Selbsthilfegruppen. Laut Mitglied bei der Allianz für seltene chronische Erkrankun-
Bundesverband für Brandverletzte e. V. sei dies nun gen (ACHSE) und der Deutschen Vereinigung für Rehabi-
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), litation (DVFR).
die Allianz für seltene chronische Erkrankungen
(ACHSE) und das Bundesversicherungsamt bestätigt
worden. Mithilfe von durch eigene Stiftungen einge- 43.2 Paulinchen – Initiative für
nommenen Geldern bieten einige Organisationen Pa- brandverletzte Kinder e. V.
tienten finanzielle Unterstützung an, um nicht durch
Versicherungsträger übernommene Leistungen abzu- Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V. ist
decken. die einzige Organisation in Deutschland, die ausschließlich
4 Die Selbsthilfegruppen möchten als Koordinations- Familien mit thermisch verletzten Kindern und Jugend-
stellen zwischen Betroffenen, Medizinern, Therapeu- lichen berät. Paulinchen e. V. hat etwa 1000 Mitglieder, ist
ten, Selbsthilfevereinen und allen Institutionen, die gemeinnützig anerkannt und arbeitet bundesweit. Die Ini-
mit und für Brandverletzte aktiv sind, fungieren. tiative hat ein großes Kompetenznetzwerk von medizini-
Dazu unterhalten sie enge Kontakte zu Sozial- und schen Spezialisten und Therapeuten aufgebaut, so dass alle
Rehabilitationsverbänden sowie zu medizinischen Fragen rund um eine thermische Verletzung beantwortet
Fachverbänden. werden können. Paulinchen e. V. berät und begleitet Fami-
4 Die direkte Beratung und Weiterbildung von Betrof- lien mit brandverletzten Kindern in jeder Phase nach dem
fenen wird zu einem großen Teil von den Selbsthilfe- Unfall. Präventionskampagnen warnen vor den Unfallge-
vereinen übernommen. Patienten erhalten darüber fahren mit Verbrühungen und Verbrennungen im Kindes-
hinaus sachkundigen Rechtsbeistand zur Vertretung alter. Einmal im Jahr wird ein Seminar für Familien mit
und Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den brandverletzten Kindern und Jugendlichen und ein Ju-
Versicherungsträgern. Nicht zuletzt leisten die Selbst- gendwochenende für brandverletzte Jugendliche im Alter
hilfegruppen Öffentlichkeitsarbeit zur Prävention von 15–20 Jahren ohne Begleitung der Eltern veranstaltet.
von Brandverletzungen. Die Kinder und Jugendlichen lernen andere brandverletzte
43 Kinder kennen, können Vertrauen in noch anstehende
Über die letzten Jahrzehnte haben sich verschiedene Therapien gewinnen und erlebte Schmerzen und Ängste
Selbsthilfegruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten altersgemäß aufarbeiten. Jugendliche haben die Möglich-
herausgebildet. Im Folgenden werden vier Organisationen keit sich unabhängig von den Erwachsenen im Jugendrat-
exemplarisch vorgestellt. geber »Alex – Dein Ratgeber« über thermische Verletzun-
gen zu informieren. Der Ratgeber wurde mit dem Red Dot
Design Award ausgezeichnet und wird den Jugendlichen

marcus.lehnhardt@rub.de
43.5 · Kontaktadressen
489 43
direkt nach dem Unfall in der Klinik überreicht. Im Darüber hinaus vergibt Cicatrix auf jährlicher Basis Stu-
Jahr 2010 initiierte Paulinchen e. V. erstmalig den bundes- dienpreise zur Förderung vielversprechender neuartiger
weiten Aktionstag »Tag des brandverletzten Kindes«. Die- Behandlungsansätze und Pflegepreise zur Würdigung in-
ser wird im Gesundheitstagekalender der Bundeszentrale novativer Pflegeansätze.
für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) geführt. Paulinchen
e. V. ist Gründungsmitglied der »BAG Mehr Sicherheit für
Kinder«, sowie Mitglied in medizinischen Fachkreisen wie 43.5 Kontaktadressen
dem Arbeitskreis »Das schwerbrandverletzte Kind«, der
Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV)
Bundesverband für Brandverletzte e. V.
und dem European Club of Pediatric Burns (ECPB). Der Petra Krause-Wloch
Verein arbeitet eng mit Organisationen wie der BZgA und Dorfstraße 16d
der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brand- D - 31020 Salzhemmendorf
schutzes (vfdb) zusammen und beriet 2011 als Sachver- E-Mail: brandverletzte.leben@t-online.de
www.Brandverletzte-Leben.de
ständiger in einer Expertenanhörung die Kinderkommis-
sion im Deutschen Bundestag zum Thema »Kinderunfälle Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V.
im häuslichen Bereich«. Außerdem ist Paulinchen e. V. Segeberger Chaussee 35
Mitglied der Kommission zur Weiterentwicklung der Leit- D - 22850 Norderstedt
E-Mail: info@paulinchen.de
linie zur Behandlung von Kindern mit thermischen Verlet-
www.paulinchen.de und www.tag-des-brandverletzten-kindes.de
zungen, die unter Federführung der Deutschen Gesell- kostenfreie Hotline: 0800 0112123
schaft für Kinderchirurgie erstellt wurde. Des Weiteren
versucht die Organisation den »Tag des brandverletzten Phoenix Deutschland – Hilfe für Brandverletzte e. V.
Kindes« international zu etablieren. Die Gründerin und Dorfstraße 12
D - 19273 Amt Neuhaus-Sückau
Vorsitzende Adelheit Gottwald erhielt im Jahr 2009 für ihr E-Mail: ikoch@phoenix-deutschland.de
Engagement das Bundesverdienstkreuz.
Cicatrix – Gemeinschaft für Menschen mit Verbrennungen
und Narben e. V.
Petra Lubosch
43.3 Phoenix Deutschland – Am Neuen Garten 18
Hilfe für Brandverletzte e. V. D - 14469 Potsdam
E-Mail: info@cicatrix.de
Im Jahr 1999 wurde die Einrichtung Phoenix Deutschland www.cicatrix.de
– Hilfe für Brandverletzte e. V. gegründet. Der Verein ist
Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, ei-
nem Zusammenschluss anerkannter Selbsthilfegruppen,
und beteiligt sich an der Arbeit im Gemeinsamen Bundes-
ausschuss Patientenbeteiligung. Die Mitbegründerin Ilse
Koch erhielt im Jahr 2010 für ihr ehrenamtliches Engage-
ment das Bundesverdienstkreuz.

43.4 Cicatrix – Gemeinschaft für Menschen


mit Verbrennungen und Narben e. V.

Cicatrix – Gemeinschaft für Menschen mit Verbrennun-


gen und Narben e. V. besteht seit dem Jahr 2004. Hier ar-
beiten Betroffene mit Medizinern und anderen Fachleuten
zusammen. Die zentralen Ziele von Cicatrix sind:
4 Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit
4 Erstellung einheitlicher Behandlungsrichtlinien
4 Durchsetzung des Begutachtungskonzepts nach
Grabosch/Bruck als Verbindlichkeit für alle Versiche-
rungsträger
4 Koordination und Bereitstellung finanzieller Unter-
stützung für Brandopfer in finanzieller Not.

marcus.lehnhardt@rub.de
491

Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 492

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

marcus.lehnhardt@rub.de
492 Serviceteil

Stichwortverzeichnis

A Analdiladator 283
Analgesie 56, 61, 64, 70, 96,
Arzneiexanthem, generalisiertes
bullöses fixes 393
Basismonitoring 337
Baux-Score 83
ABCDE-Schema 54, 55, 61, 64, 101, 109, 110, 111, 112, 117, Arzneimittelgesetz 198 BDI 7 Beck-Depressions-
71 119, 149, 161, 166, 225, 233, Arzneimittelkommission der Inventar
ABS 134 251, 252, 256, 291, 336 deutschen Ärzteschaft 408 Beatmung 233, 241
Absicherung, sozial- und – patientenkontrollierte 234 Asepsis 33, 382 Beck-Depressions-Inventar 363
arbeitsrechtliche 448 – WHO-Stufenschema 227 Aspiration 127 Begleithepatits 398
ABSI-Score 9, 79, 83, 326, 363 Analgetika 111, 251, 445 Atemschutz 32 Begutachtung 482
Achter-Regel 78 Analgosedierung 117, 119, Atemtechnik 365 – Befristung 479
activities of daily living 434, 436 149, 161, 227, 251, 255, 363 Atemwegsdruck, positiv- – Brodda-Chart 474
acute respiratory distress Analstriktur 284 endexspiratorischer 7 PEEP – Funktionseinschränkung
syndrome 7 ARDS Anamnese 70 Atemwegsicherung 56 474
adipose-derived stem cells – Psychose 70 Atemwegstenose 233 – Grundlagen 474
7 ADSC – Sozialanamnese 70 Atemwegwiderstand 233 – Narbenausdehnung 478
ADL 7 activities of daily living – Substanzmissbrauch 70 ATLS-Konzept 55, 56, 70, 336, – Narbenqualität 474, 478
ADSC 465 Anästhesie 70, 111 339 – Zeitpunkt 479
Advanced Trauma Life Support Anästhetika 111 ATMP-Richtlinie 199 Behandlungsrichtlinien 252
7 ATLS-Konzept Angststörung 363 Aufnahmebad 72, 174, 175 Behandlungsteam, interdiszipli-
Advancement-Lappenplastik Anpassungsstörung 367 Augenlidrekonstruktion 466 näres 365
461 Anschlussrehabilitation 436, Augenschutz 32 – Coaching 365
Aerosol 116 437 Augenspülung 313, 315, 316, – Supervision 365
Affektregulation 448 – Ziele 437 317, 318 behavioral pain score 7 BPS
AGEP 7 Pustulose, akute gene- Antibiogramm 135 Augentropfen Belastungsreaktion, akute 365,
ralisierte exanthematische antibiotic stewardship 7 ABS – phosphatfreie 318 447
Akute-Phase-Proteine, Antibiotikaklasse 27, 133, 149 – unkonservierte 317 Belastungsstörung, posttrauma-
proinflammatorische 51 Antibiotikaregime 29 Augenverätzung 308 tische 362, 363, 365, 367, 447
Akutphase 26, 32 Antibiotikaresistenz 34 – chemische Dekontamination Belastungssymptome, posttrau-
Albuminsubstitution 47 Antibiotikatherapie 146, 175, 315, 317 matische 244
Alkaliverätzung 316, 318 176, 178, 180, 181, 218, 255, – chemische Schädigung 310 Belegungssituation 65
Alkoholabusus 84 378, 385, 395 – Chirurgie 318 Benzodiazepine 114
Allianz für seltene chronische – Dauer 135 – Epidemiologie 308 Bergungstod 356
Erkrankungen 488 – gezielte 135 – Erstbehandlung 314 BESD 111
Alpha-2-Adrenozeptoragonisten – initiale 133 – geschädigte Strukturen 313 Betablocker 126
114 – Keimspektrum 133 – Klassifikation 313, 314, 315 Bettenkapazität 65
Altershaut 266 – Kombinations- 134 – klinische Einordnung 314 Beurteilung von Schmerzen bei
Altersverteilung 8 – Langzeitgabe 139 – klinische Erscheinungs- Demenz 7 BESD
American Burn Association 12, – perioperative prophylaktische formen 312 Bewegungskoordinationstest
70, 106, 132, 144, 283 136 – Lidoperation 319 440
American College of Critical Antidotgabe 118 – Mechanismen 308, 310 Bewegungstherapie 438
Care Medicine 17 Antihistaminikum 241 – physikalische Schädigung Bewusstseinsstörung 57, 70
American College of Surgeons Antimykotika 139 308 Bindehautnekrose 318
Comittee on Trauma 336 Antisepsis 174, 176 – Spülung 315 Bindehautüberwachsung 318
Aminosäure 126 Antiseptikum, topisches 88, 89, – Therapie 314 Biobrane 91
Amnionpatch 318 97, 101, 166, 181, 218 Ausschuss Biologische Arbeits- Biofilm 28, 90
Amnionplastik 318 Anus praeter 281 stoffe 30, 31, 33 Biopolymere 90
Amniontransplantat 319 Aquacel 93 Autograft 158 Biopsie 201
ample history 337 Arbeitsanweisung 30 Autolog-allogene-intermingled- – Aufklärung 201
Amputation 291, 301, 366, 383, Arbeitsgemeinschaft der Technik 184 – biologische Tests 202
445 Wissenschaftlichen Medizini- Azidose, metabolische 85, 119 – Biopsatfreigabe 202
– Bandagieren 445 schen Fachgesellschaften – Entnahmebericht 202
– Greiffunktion 446 54 – Entnahmekit 201
– Krukenberg-Plastik 446
– Mobilität 446
Arbeitskreis Das schwerbrand-
verletzte Kind 489
B – Entnahmestelle 201
– Gefäß 201
– Ödem 445 Arbeitsschutz 54 bair hugger 70 – Lagerung 201
– Orthopädietechnik 446 Arbeitsunfähigkeit 364, 448 Bakteriämie 149, 283 – Mindestangaben 202
– Rekonstruktion 445 Arbeitsunfall 2, 11 Bakteriurie 283 – Transport 203
– Sauerbruch-Kineplastik 446 ARDS 49, 118, 151 Basenverätzung 311 – Zellgewinnung 203
– Stumpfverhältnisse 445 Argyrose 88 Basishygiene 31, 32, 70 – Zustimmung 201

M. Lehnhardt et al. (Hrsg.), Verbrennungschirurgie,


DOI 10.1007/978-3-642-54444-6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
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493 A–E
Stichwortverzeichnis

Blasenbildung 385 Clostridien-Fasziitis 383 Dekontamination 317 Direktverschluss 452


Blistergrafting 275 Clostridien-Myositis 383 Dekontamination, selektive disseminated intravascular
Blutdruckabfall 232 Clostridiummyositis 7 Gasbrand oropharyngeale 7 SOD coagulation 145
Blutgasanalyse 117 Clostridiumzellulitis 7 Gasbrand Delir 234 Dissoziationskonstante 310
Blutzuckerkonzentration 238 Codierrichtlinien 482, 485 – Erscheinungsformen 113 Distraktion 301
BMI 264 COMFORT-B-Skala 234 – hyperaktives 113 Diurese 147, 233, 255
Boratpuffer 316 Compliance 34, 275, 363, 365 – hypoaktives 113 Diureserate 327
BPS 110, 111 composite tissue allotrans- – Management 112 Dokumentationszentrum
Brandbettenvermittlung 22 plantation 7 CTA – Montoring 113 schwerer Hautreaktionen
Brandverletztenzentrum 2, 3, Computertomografie 337 – Pathophysiologie 112 – Datenschutz 407
16 continuous dynamic splinting Denaturierung, thermische 46 – Erfassung 404
– apparative Ausstattung 18, 441 Depression 363 – Ethikvotum 407
20 continuous passiv motion 441 Dermabrasion 100, 273 – Evaluierung 408
– bauliche Ausstattung 17 COPD 84, 265 Dermabrasion, hydro- – Fälle 406
– Belegungsmanagement 22 CRP 146 chirurgische 349 – Fallmeldung 414
– Brandbettenvermittlung 22 CTA 464 Dermatitis 88 – Fragebogen 406
– Deutschland 6, 12 cultured epithelial autografts Dermisersatz 186, 452, 456, – Historie 404
– Hygienefehler 17 7 CEA-Transplantat 458 – Inzidenz 408
– Infektionsprävention 19, 21 Curreri-Formel 124 – allogener 190 – Kontrollpatienten 406
– Patientenzimmergröße 17, Cytokeratin 19 192 – autologer 191 – Methodik 405
18 – Material 190 – Patienteneinverständnis
– personelle Ausstattung 21 Desinfektion 32 407
– Raumwirkung 20
– Strukturqualität 16
D Deutsche Gesellschaft der
Plastischen, Rekonstruktiven
– Probenasservierung 406
– Probenbank 407
– USA 12 Damage-control-Prinzip 70, und Ästhetischen Chirurgen – Rückmelderate 408
Bridge-Effekt 259 338 2 Doppellipidmembran 311
Brodda-Chart 474 Darmdekontamination, selektive Deutsche Gesellschaft für DRESS 7 drug reaction with
Bronchoskopie 48, 117, 118 7 SDD Anästhesiologie und Intensiv- eosinophilia and systemic
Bronchospasmus 57, 116 Darmmanagementsystem 281, medizin 109, 113 symptoms
Budgetierung 482 282 Deutsche Gesellschaft für Druck
Budgetverhandlung 484 Darmmotilität 144 Kinderchirurgie 252 – intrakapillärer hydrosta-
Bundesinstitut für Arzneimittel Darmnekrose, ischämische 382 Deutsche Gesellschaft für tischer 46
und Medizinprodukte 408 Dauerkatheter 283 Verbrennungsmedizin e. V. – kolloidosmotischer 46
Bundesverband für Brandver- Dauerschmerz, neuropathischer 6, 16, 20, 65, 226, 252, 435, – negativer interstitieller 46
letzte e. V. 488 445 482, 489 – zentralvenöser 232, 233,
Bundeszentrale für gesundheit- Daumenwiederherstellung – Leitlinien 482 255
liche Aufklärung 242, 489 298 Deutsche Gesellschaft Verbren- drug holiday 235
Burn-case-3D-Technik 73, 81, – Distraktion 301 nungsmedizin e. V. 30 Drug-Monitoring, therapeu-
82, 158 – Phalangisation 301 Deutsche Gesetzliche Unfallver- tisches 7 TDM
– Pollizisation 298 sicherung 11, 20, 65, 73, 79 drug reaction with eosinophilia
– Zehentransplantation 299 Deutsche Interdisziplinäre and systemic symptoms
C Deadaptation 439
Débridement 91, 96, 97, 140,
Vereinigung für Intensiv- und
Notfallmedizin 20
394, 404
– Ätiologie 413
Camouflage 428 146, 158, 159, 161, 175, 178, Deutsches Institut für Medizi- – Demografie 410
capillary leak 47, 48, 49, 50 227, 255, 256, 280, 288, 326, nische Dokumentation und – Mortalität 410
Capsaicin 312 328, 330, 338, 349, 365, 438 Information 7 DIMDI Durchgangssyndrom 363
Carboxyhämoglobin 240 – chirurgisches 100, 101, 161, Deutsches Institut für Zell- und dZh 7 Dokumentationszentrum
CEA-Transplantat 184, 197, 203 377, 384, 386 Gewebeersatz 168, 169, 189, schwerer Hautreaktionen
– Herstellung 189 – enzymatisches 73, 100, 101, 196, 216, 484
CEA-Transplantation 186, 187, 102, 271, 273 Deutsche Vereinigung für Reha-
188, 189
cell sprayer 216
– epifasziales 348
– konservatives 100
bilitation 488
Deutschsprachige Arbeitsge-
E
changing faces 368 – Kosteneffektivität 103 meinschaft für Verbrennungs- early total care 338
Chip-graft-Technik 184 – Langzeitergebnisse 101 behandlung 16 Echokardiografie 233
choke area 331 – mechanisches 273, 279, 290 Deutschsprachige Gesellschaft ECMO 7 Membranoxygenie-
choke point 330 – nichtchirurgisches 161 für Verbrennungsbehandlung rung, extrakorporale
Cholesterin 264 – tangentiales 360 488 EEM 7 Erythema exsudativum
Cholinestereasehemmer 113 – Techniken 100 Dexpanthenol 420 multiforme
chronic obstructive pulmonary Debris 174 Dextrane 49 EEMM 7 Erythema exsudativum
disease 7 COPD Deeskalationsstrategie 135 Diabetes mellitus 84, 264 multiforme majus
Cicatrix – Gemeinschaft für Defektdeckung 163, 296, 297 Diagnoseklassifikation 482 Effluvium 399
Menschen mit Verbrennungen Defektheilung 7 Narbe diagnosis related groups 7 DRG Eigenschutz 347
und Narben e. V. 489 Dehydratation 59 DIMDI 482, 484 Einheilungsrate 165

marcus.lehnhardt@rub.de
494 Serviceteil

Einschränkung, neurologisch-
motorische 59
Erstversorgung 64, 101, 251
Erysipel 375
– Prognose 379
– Risikofaktoren 374
G
Eins-zu-eins-Pflege 21, 29 Erythem 88, 373 – Schmerzsymptomatik 374 Galveston-Formel 231, 237
1-%-Regel 7 Handflächenregel Erythema exsudativum – Stadien 373 Gangrän 374
Einwirkzeit 89 multiforme majus 391, 407 – Therapie 377, 378 Gasaustausch, pulmonaler 49
EKG 326 – Demografie 408 Fasziotomie 257, 326, 328, 338, Gasbrand 375
Ektropionieren 315 – Kokarden 391 385 – Antibiotikatherapie 385
Elektrolytverschiebung 74, Erythrodermie 394 Fatigue-Syndrom 400 – Asepsis 382
350 ESBL 133 Fazilitation, propriozeptive – Blasenbildung 385
engineered dermo-epidermal Eschar 88, 89, 100, 101, 103, neuromuskuläre 438, 442 – Diagnostik 383
matrices 191 179, 280, 360, 382, 383 Feeder-Zellen 206 – Differenzialdiagnostik 385
Enteritis 383 Escharotomie 58, 73, 101, 158, Fehlerkultur 30 – Epidermolyse 382, 383
Entspannungsverfahren 365 257, 292, 338 Fernlappenplastik 461, 462 – Erreger 382
Entzündungsmediatoren 46, Essigsäure 90 Fertigarzneimittel – Extremitätenamputation
47, 48, 49, 144 EU-Direktiven 198, 199 – Abweichungsmanagement 383
– Histamin 50 Europäische Fall-Kontrollstudie 213 – Hautemphysem 383
– Katecholamine 50 schwerer Hautreaktionen – Erzeugung 212 – Hyperämie 383
– Kinine 49 404 – Kennzeichnung 212 – Klinik 383
– Prostaglandine 49 Europäisches Register für – Lieferung 214 – Laborparameter 384
– Sauerstoffradikale 50 schwere kutane Arzneimittel- – ordnungsgemäße Herstellung – Manifestationen 383
– Serotonin 50 reaktionen mit Probensamm- 213 – Mortalität 383, 387
– Thromboxane 50 lung 404 – Spezifikation 213 – Nekrose 383
Entzündungsparameter 145, European Burns Association 20 – Sterilitätsprüfung 213 – Pathogenitätsfaktor 382
375 European Chemical Agency – Suspension 212 – Risikofaktoren 382
Enzephalitis 383 342 – Verpackung 212 – Sekretbildung 383
Epidermolyse 374, 382, 383 European Club of Pediatric Fettstoffwechsel 237 – Sepsis 383
Epiduralanalgesie 112 Burns 489 Fetttransplantation 465, 467 – septischer Schock 383
Epithelialisierungszeit 165 European Medicines Agency Fettverbrennung 38 – Therapie 385
Epithelregeneration 318 198, 199 Fingereinzelverband 290 – Weichteilverfärbung 383
Erblindung 399 European Skin Bank 168 Fingerextensionsschiene 441 Gasbrandzellulitis 383
Erfrierung European Society of Intensive Flachgestricke 422 Gasgangrän 7 Gasbrand
– Bergungstod 356 Care Medicine 20 Flammenexplosionsverbren- gas gangrene 7 Gasbrand
– Blasenbildung 358 EuroSCAR-Studie 7 Europäische nung 38 Gasödem 7 Gasbrand
– chirurgische Therapie 360 Fall-Kontrollstudie schwerer flashback 365, 366 Gasphlegmone 7 Gasbrand
– Erstversorgung 359 Hautreaktionen Flow-through-Lappenplastik Gastroparese 144
– Gefäßverschlüsse 358 Exanthem 88 330 Gatrointestinaltrakt 235
– Gewebeschädigung 356, Exremitätenamputation 386 fluid resuscitation 124 GBFDE 7 generalized bullous
357 Exsudat, hämorrhagisches Fluoresceinfärbung 312, 313 fixed drug eruption
– Langzeitsymptome 359 358 Flüssigkeitsbedarf 254 GBLC 453
– reflektorischer Herzstillstand extended spectrum beta- Flüssigkeitssequestrierung GCS 56, 57, 59, 71, 151
356 lactamase 7 ESBL 49 G-DRG-Fallpauschale 484
– Stadieneinteilung 357 Exzision 452 Flüssigkeitstherapie 59 Gefahrenstoffe 347
– Wiedererwärmung 357 eye movement desensitization Flusssäure 349 Gefäßobliteration 332
Ergotherapie 65, 304, 441 and reprocessing 448 Flusssäurenkonzentration generalized bullous fixed drug
Erhaltungsbedarf 230 350 eruption 393, 404
Ernährung 108 Flusssäurenverätzung – Ätiologie 412
– Energiebedarf 108, 124, 236
– enterale 235, 254
F – Nebenwirkungen 350
– Spülung 351
– Demografie 409
geometric broken line closure
– erhöhter Grundumsatz 236 Faktor, plättchenaktivierender – Therapie 351 7 GBLC
– Ernährungsweg 126 50 Fokussanierung 146 Gerinnung, disseminierte intra-
– Gewichtskontrolle 237 Faszienspaltung 292 Folienverband 438, 458 vaskuläre 47
– Medikamente 126 Fasziitis, nekrotisierende 461 – okklusiver 101, 102, 294, Gesamtminderung der Erwerbs-
– nasojejumale Sonde 127 – Diagnostik 374 295 fähigkeit 477, 478
– parenterale 126, 176, 235 – Differenzialdiagnose 375 – semioklussiver 168 Geschlecht 8
– perkutane endoskopische – Erythem 373 – Vakuum 328 Gesichtstransplantation 466
Gastrostomie 127 – Histologie 373 – Vakuum- 97, 165, 166, 176, Gesichtsverbrennung 465
– Proteinzufuhr 237 – Infektsanierung 377, 378 190, 329 Gesundheitsschädigung 433
– Sonde 109, 148 – Inzidenz 374 Fournier-Gangrän 383, 461 Gewebeexpansion 452
– Zusammensetzung 125 – Klinik 376 Fremdhaut 188 Gewebeosmolarität 313
Ernährungstherapie 124 – Mortalität 372, 379 Frühphase 50 Gewebeperfusion 48
Erosionen 390 – Nekrose 373 Frührehabilitation 436 Gewebepuffer 308
Erreger, multiresistente 17 – Ödem 373 Fünfer-Regel 78 Gewebetransplantation, freie
Erregerspezies 27, 35 – Physiotherapie 379 Fungizid 90 461

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495 E–I
Stichwortverzeichnis

Gewebsthrombokinase 293 Haut Hygienefachpersonal 29 Infektion 217, 218


Gewichtsverlust 236 – Barrierefunktion 40 Hygieneplan 29 – Antibiotikaregime 29
GHS-Klassifikation 311, 312, – lokale Reaktion 40 Hygieneschulung 174 – Edidemiologie 26
342 – Reparaturprozesse 418 Hygieneverordnung 29, 30 – Erregerspezies 27
Giftzentrale 346 – Schrankenfunktion 28 – Basishygiene 31, 32 – frühe 26
Glasgow coma score 7 GCS Hautanhangsgebilde 271, 279 – Desinfektion 32 – Hygieneplan 29
globalized harmonised system Hautbiopsat 204 – Multiresistenz 35 – katheterassoziierte 33,
311 Hautemphysem 383 Hylaluronsäure 317 150
Glukokortikoid 148 Hautersatz Hyperalgesie, opiatinduzierte – Meldepflicht 28, 35
Glukokortikosteroid 396 – allogener 94 234 – Multiresistenz 27, 29
Glukoneogenese, hepatische – allopastischer resorbierbarer Hyperalimentation 125 – nosokomiale 26, 29
238 228 Hyperämie 40, 293, 383 – Risikofaktoren 27, 28
Glukose-6-Phosphat-Dehydro- – Material 96 hyperbare oxygenation 386 – Sepsis 26, 32, 33
genase-Mangel 90 – temporärer 91, 94 Hyperglykämie 125, 176, 236, – späte 26
Glukosezufuhr 235 Hautirritation 356 238 – Wund- und Weichteil- 27
Glukosurie 232 Hautläsion Hyperhydration 72, 108 Infektionsnachweis 106
Glykolyse 124 – Hyperämiezone 40 Hyperkapnie, permissive 241 Infektionsprävention 19, 29,
Glykosaminoglykan 190 – Nekrosezone 40 Hyperkatabolismus 49, 51, 72, 88, 89, 94, 96, 97, 103, 124,
GMP 198, 200, 201, 203 – Stasezone 40 108, 124 132, 136, 138, 141, 158, 163,
good manufacturing practice Hautnekrose 373 Hypermetabolismus 47, 51, 166, 174, 181, 190, 217, 239,
7 GMP Hautreaktionen, schwere 124, 236, 238 252, 253, 254, 255, 256, 279,
Graft-versus-Host-Reaktion blasenbildende Hyperosmolarität 316, 317 291, 294, 338
393, 395, 397 – Konsensudefinition 392 Hyperpigmentierung 398, 399 – Atemschutz 32
Green, Howard 197 Hauttransplantation 39, 236, Hypersensibilität 443 – Augenschutz 32
Grundumsatzerhöhung 236 279, 283, 293, 298, 348, 365, Hypersensitivitätssyndrom – Basishygiene 30, 32
366, 452 7 drug reaction with eosino- – gesetzliche Grundlagen 28
Hautweichteilinfektion, philia and systemic symptoms – Keimarmut 33
H sekundäre 26
Hautweichteilmantel 38, 40
Hypertonie 264
Hypoglykämie 148
– maschinelle Beatmung 34
– Maßnahmen 30
Haarwachstum 258 Hautweichteilnekrose 38 Hyponatriämie 230 – Organisation 29
Habitusprothese 446 HBO 386 Hypopigmentierung 257, 399 – parenterale Zugänge 32
HADS 7 Hospital Anxiety and Heilungsverlauf 266 Hypoproteinämie 46 – Wundversorgung 33
Depression Scale Hemmkonzentration, minimale Hyposensibilität 443 Infektionsrisiko 72, 97
Halluzination 234 7 MHK Hypothermie 60, 61, 62, 85, Infektionsschutzgesetz 26, 28,
Hämodynamik 231, 255 Hepatomegalie 51 161, 252, 253, 348, 356 30, 32, 33, 34
Hämoglobin 148 Herzfrequenz 48 Hypovolämie 46, 106, 225, Inflammationsreaktion,
Hämorrhagie, perivaskuläre Herzinsuffizienz 84, 85 398 systemische 7 SIRS
177 Herzkrankheit, koronare 84 Inhalationstrauma 38, 48, 56,
Handdermatom 293 Herzrhythmusstörung 85 57, 59, 65, 70, 72, 78, 83, 84,
Handflächenregel 60, 79, 251
Handkrafttraining 443
Herzzeitvolumen 48, 51, 106,
108, 232
I 85, 136, 148, 224, 233, 240,
250, 267
Handverbrennung 101 HFOV 7 Hochfrequenz-Oszilla- ICD 433, 482, 484 – Bronchoskopie 48
– Akutbehandlung 290 tions-Ventilation ICF 433 – Definition 116
– Antibiotika 290 Hirndruckmonitoring 339 ICPM 482 – Diagnose 116
– Ausmaß 288 Hochfrequenz-Oszillations- IDSA 139 – Langzeitfolgen 120
– Infektionsprävention 291 Ventilation 241 IGF 126 – Mortalität 116
– Kinder 291 Hochvoltverletzung 39, 324, Imaginationsverfahren 365 – Pathophysiologie 116
– Kombinationsverletzung 325, 326, 327, 328, 329, 331 Immunantwort 47 – Prognose 119
303 – kardiotoxische Wirkung 40 Immunglobuline, intravenöse – Symptome 116
– konservative Therapie 290 Holliday-Segar-Formel 230 396 injury severity score 337
– Nachbehandlung 303, 304 Hornhautulzeration 312 Immunglobulinkonzentration Inkontinenz 284
– Operationspflicht 290 Hospital Anxiety and Depression 240 Institut für das Entgeltsystem im
– operative Therapie 291 Scale 363 Immunkompetenz 109, 126, Krankenhaus 7 InEK
– Verband 291 Hospitalisationsdauer 109, 132 Insuffizienz, respiratorische
– Verbrennungsausmaß 126, 135, 158, 174, 266, 364 Immunmodulation 396 57
290 Humby-Messer 161 Immunsuppression 94, 108, Insulin 238
– Verbrennungstiefe 290 hunting response 356 125, 135, 139, 168, 236 Insulinresistenz 51, 238
– Wunddesinfektion 291 Hybridprothese 330 – posttraumatische 47 Insulintherapie 238
Harnableitung 278 Hydrochirurgie 100 – traumatische 106 Integrin 6 192
Harnausscheidung 327 Hydrofaserverband 93 Impetigo 175 Intensivtherapiedauer 267
Harnröhrenstriktur 284 Hydrokolloidverband 256 InEK 482, 485 Intensivtransporthubschrauber
Harnweginfektion 26, 149 Hydroxyethylstärke 46, 49, 108 Infectious Diseases Society of 64
Harris-Benedict-Formel 124 Hygienebeauftragter 30 America 7 IDSA Intensivüberwachung 65

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496 Serviceteil

Interleukin 6 146 Keratinozytenkultur, autologe Komplikationen Lappenplastik 283, 296, 329,


international classification of 258, 273, 274 – Analstriktur 284 330, 331, 350, 452, 456
functioning, disability and Keratinozytentransplantation – Harnröhrenstriktur 284 – Advancement- 461
health 7 ICF – Aussichten 218 – Inkontinenz 284 – Colson- 296
Internationale Klassifikation der – Kosten 220 – Narbenbildung 283 – Dehnungs- 296
Prozeduren in der Medizin – Kultur 196 – Narbenkontraktur 283 – doppelt gegenläufige
7 ICPM – Limitierungen 218 – psychologische und psycho- Z-Plastik 459, 460
Internationale statistische – Ökonomie 197, 206, 218 soziale 284 – Fern- 461, 462
Klassifikation der Krankheiten – Prävaskularisation 219 – Rektalstriktur 284 – Flow-through- 330
und verwandter Gesund- – Sheet 196, 197, 215, 217 – Rektumprolaps 284 – freie 297
heitsprobleme 482 7 ICD – Sheets 188 – Wundinfektion 283 – gestielte Fern- 296
international statistical classifi- – Sicherheit 218 Kompressionstherapie 304 – Komplikationsrate 297
cation of diseases and related – Suspension 188, 196, 197, – Arbeitsdruck 421 – Perforator- 464, 465
health problems 7 ICD 216 – Bandagen 423 – Rotations- 296
Intrinsic-plus-Stellung 303 – Verantwortlichkeiten 201 – Druck 421 – Rotationsverschiebe- 302
Intubation 61, 64, 71 – Wundvorbereitung 214 – Handschuh 427 – Schmetterlings- 302
– endotracheale 56, 57, 111 Keratoprothetik 319 – Kleidung 421, 422, 437, 438, – Translokations- 296
– supraglottische 56 Kindesmisshandlung 250 444 – Z-Plastik 296, 458
Ischämie Kindliche Unbehagens- und – Ruhedruck 421 Laryngoskopie 117
– kardiovaskuläre 327 Schmerz-Skala 234 – Silikon 427 Laserablation 100
– renale 49 Klassifikationssystem Konstipation 125 Laugenverätzung 311, 315,
– zerebrale 112 – DRG 482 Kontaktdermatitis 350 316
Ischämiereperfusionsschaden Koagulationsnekrose 39, 40, Kontaktverbrennung 38 Lebensqualität, posttrauma-
356, 360 74, 330 Kontamination, mikrobielle 27 tische 16
Isolierung 32 Koagulopathie 85 Koordinationsvermögen 438 Leberversagen 144, 153
ITH 7 Intensivtransporthub- Kohlenhydratbedarf 125 Koppelmedium 442 Leberzirrhose 153
schrauber Kohlenmonoxidintoxikation Korium 290, 293 León-Score 140
71, 107, 118, 119, 240 Korneadegeneration 312 Leukopenie 88
Kokarden 391, 397 Körperbildstörung 368 level of care 21
J Kollagen-Elastin-Kombination
187
Körperkerntemperatur 85, 252
Körperoberfläche, verbrannte
Libidoverlust 284
Lidoperation 319
Juckreiz 241 Kollagensynthese 421 7 VKOF Liegezeit 10, 266
– chronischer 241 Kolliquationsnekrose 39 Korrekturoperation 301 Limbusdefizienz 318
– Selbsteinschätzung 241 Koma 116 Korsakow-Syndrom 119 Limbusstammzellen 317
– therapierefraktärer 241 Kombinationsverletzung, Kortisonapplikation 96 Limbusstammzellinsuffizienz
thermomechanische 54, 55, Kostenaufwand 267 312
56, 58, 59, 61, 70 Kosteneffektivität 91, 93 Limbustransplantat 319
K Kommission Antiinfektiva,
Resistenz und Therapie 29
Kostenerstattung 484
Krankenhausfinanzierungs-
Lipidbedarf 126
Lipolyse 124
Kalorimetrie, indirekte 237 Kommission für Krankenhaus- gesetz 482, 484 Lokaltherapie 88
Kälteschaden 356, 357, 359 hygiene und Infektions- Krankenhaus-Infektions-Surveil- LRINEC 374, 385
– klinische Phasen 359 prävention 17, 27, 28, 29, 30, lance-System 26 Luftrettung 64
Kälteverbrennung 356 32, 33, 34, 35, 133, 446 Kreislaufinstabiltät 58, 59, 64 Lund-Browder-Chart 79
Kalziumglukonat 39, 74, 315, Komorbiditäten 85, 139, 174 Kreislaufsituation 109 Lungenödem 126
351 – BMI >28 kg/m2 264 KRINKO 7 Kommission für Lupus erythematodes 393
Kalziumspeicher 51 – Cholesterinwerterhöhung Krankenhaushygiene und Lymphdrainage 424
Kapillarleck 106, 108, 144 264 Infektionsprävention
Karboxyhämoglobin 118, – COPD 265 Krukenberg-Verfahren 331
119
Karpaltunnelspaltung 292
– Diabetes mellitus 264
– Erfassung 264
Kryokoagulation 309
Kryokonservierung 190
M
Katabolismus 47, 152, 229, – Herzinsuffizienz 265 Kurzzugmaterial 422 Mafenidacetat 89
236 – Hypertonie 264 KUSS 7 Kindliche Unbehagens- Maschentransplantation 97
– muskuloskelettaler 124, – KHK 265 und Schmerz-Skala Massagegerät 442
125 – Neurodegeneration 265 Massagetechnik 442
Katarakt 330 – Polyneuropathie 265 Mazeration 100
Katecholamin 147, 238
Katheterwechsel 283
– Rauchen 264
Kompartmentdruck 328
L MDK 484
– Fallprüfung 485
Keimarmut 16 Kompartmentspaltung 328 Laboratory risk indicator for medical needling 275, 444
Keimspektrum 89, 133, 149, Kompartmentsyndrom 49, 73, necrotizing fasciitis score Medikamentenanamnese 412
176, 178 90, 101, 103, 108, 152, 230, 7 LRINEC Medikamentenapplikation
Keimzahl 175, 178 231, 257, 326, 328 Labordiagnostik 71 252
Keratinozyt 169, 171 Kompensationsmechanismus Laktatazidose 125 Medizin, individualisierte 338,
Keratinozytenisolierung 189 437, 438 Langzugmaterial 422 339

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497 I–P
Stichwortverzeichnis

Medizinischer Dienst der


Krankenversicherung 7 MDK
N –

medical needling 444
Mini-Massagegerät 425
Nekrosezone 40
Neuner-Regel 44, 60, 78, 158
Medizinproduktegesetz 32 Nachbehandlung 259, 268 – Narben-Massage-Stift 425 Neurodegeneration 265
Meek-Technik 165, 181, 258 Nachbrennen 7 Nachtiefen – Peeling 444 Neuroinflammation 112
Meek-Transplantat 97, 184, Nachtiefen 40, 46, 50, 61, 73 – Photothermolyse 444 Neuroleptika 113
188, 196, 198, 216, 217 Nachtlagerungsschiene 304 – plastisch-chirurgische Neurotransmittersystem 112
Meldepflicht 35 Nageldeformität 303 Versorgung 419 Neutral-Null-Methode 474
Membranoxygenierung, extra- Narben 350 – Polymerprodukte 428 newborn calf serum 189
korporale 241 – Hypertrophie 452 – Radiatio 418 NexoBrid 101, 102
Meningitis 383 – Korrektur 452 – Silikon 418, 425 NF 7 Fasziitis, nekrotisierende
Mesh-Technik 258, 274, 293, Narbenausreifung 479 – textile Kompression 421, NFCI 356, 357, 359
379, 478 Narbenbildung 250, 252, 254, 422 Niedervoltverletzung 326
Mesh-Transplantat 165, 184, 255, 256, 259, 266, 283, 291, – Unterdruckvakuummassage Nierenersatztherapie 152
188, 196, 198, 216, 218 303 424 Nierenersatzverfahren 176
MHK 136, 137 – Faktoren 418 Narbenzug 291, 302, 304 Niereninsuffizienz 46, 152, 327
Mikroskin-Technik 184 Narbengewebe Nationales Referenzzentrum Nierenversagen, akutes 151
Mikrostomie 350 – Ausdehnung 478 für Surveillance von Noso- Nikolski-Phänomen 392, 393,
Mikrovaskularisation 266 – Dehnfähigkeit 418 komialen Infektionen 26 394
Minderung der Erwerbsfähigkeit – Eigenschaften 418 National Healthcare Safety Nikotinabusus 264
474 – Hypertrophie 418, 421, 426, Network 26 NMDA-Rezeptorantagonist
Mitteldruck, arterieller 233 474, 478 Natrium-Karboxymethylzellulose 234
Mobilisationsorthese 441 – Keloid 418, 474 93 non-freezing-cold injury 7 NFCI
MODS 106 – Kontraktur 423, 427, 479 NEF 7 Notarzteinsatzfahrzeug Notarzteinsatzfahrzeug 64
Mortalität 6, 7, 46, 47, 48, 83, – Neovaskularisation 419 Nekrektomie 97, 100, 158, 159, NRS 110, 111
85, 108, 124, 126, 132, 139, – Qualität 478 161, 166, 168, 170, 236, 255,
140, 144, 149, 151, 154, 158, – Reepithelisierung 419 257, 273, 274, 328, 329, 385
174, 179, 225, 236, 238, 239,
252, 254, 255, 267, 283, 345,
– Reizerscheinungen 418
– Schrumpfneigung 418
– epifasziale 97, 163, 176, 257,
477
O
348, 372, 390, 398, 408 Narbenkontraktur 283, 301, – tangentiale 97, 103, 161, Oberflächendesinfektion 90
– Einflussgrößen 83 441, 442 176, 177, 257, 291, 292, 293 Octenidin 90
Mortalitätsrate 83 – Prophylaxe 440 Nekrolyse, toxisch epidermale Ödem 46, 90, 106, 108, 117,
Motälitätsstörung, gastrointesti- Narbenkorrektur 302, 420 390, 404 230, 274, 291, 298, 345, 350,
nale 109 Narbenmassage 423 – Ätiologie 410 373
3MRGN 133 – Koppelmedium 423 – Augenbeteiligung 396 – biphasischer Verlauf 46
4MRGN 133 – Lymphdrainage 424 – Demografie 408 – Lunge 48, 126
MRSA 89, 90, 133 – nach Riemann 423 – Diagnose 391 – Progredienz 48
Müller, Fritz Eduard 2 – Unterdruckvakuum 424 – Differenzialdiagnose 393 Ödem, malignes 7 Gasbrand
Multimorbidität 139, 264, 268 – Ziele 423 – Folgeschäden 399 Ökonomisierung 91, 93, 94, 97,
Multiorgandysfunktionssyndrom Narbenpflege 283, 363, 420, – Genetik 413 103
7 MODS 438 – Hyperpigmentierung 398 Operationen- und Prozeduren-
Multiorganversagen 47, 108, – Dexpanthenol 420 – Immunmodulation 396 schlüssel 7 OPS
144, 150 – Glyzerin 420 – Infektparameter 395 Operationsfrequenz 266, 268
– Leber 153 – Hautverhältnisse 420 – Inzidenz 408 Operationspflicht 283
– Lunge 150 – Verträglichkeit 420 – Kausalitätsbewertung 411 Opiatentzug 234
– Niere 151 – Waschantiseptikum 420 – Klinik 390 OPS 433, 482
– Risikofaktoren 150 – Waschung 420 – Komplikationen 397 Organversagen 85, 176
– Scoring-System 151 Narbenreifung 304, 419, 421, – Konsensusdefinition 407 Osmolaritätsausgleich 313
Multiresistenz 27, 29, 34, 89, 437 – Mortalität 390, 397, 398, 409 Osmolaritätsdifferenz 313, 316
90, 133, 149, 176, 435, 447 Narbentherapie 274, 444 – Pathogenetik 395 Osmoschock 316
Mundwinkelerweiterungsplastik – Bestrahlung 444 – Prognose 397 Oxandrolon 126, 238
466, 469 – Camouflage 428 – Schleimhautläsion 396
Muskelgewebeverlust 108 – Compliance 423 – Testverfahren 412
Muskelnekrose 327, 328, 383
Muskelrelaxation, progressive
– Dermabrasio 444
– Glukokortikoidinjektionen
– Therapie 395, 396
– Verlauf 397
P
367 418 Nekrose 46, 90, 91, 256, 257, PAF 7 Faktor, plättchenaktivie-
Muskeltransfer 470 – Kompression 418 383 render
Muskeltransplantation 331 – Kompressionstherapie 444 – Hautweichteil- 38 PAP 29, 136
Mycoplasma pneumoniae 395 – Kontraktur 418 – Hochspannungsverletzung Parascapular-Lappenplastik
Myoglobinurie 327 – Kosten-Nutzen-Relation 419 39 169
Myoglubinurie 49 – Kryotherapie 418 – Koagulations- 39, 40 Parkland-Formel 231, 254
Myonekrose 375 – Lasertherapie 444 – Kolliquations- 39 Patientenalter 9, 84
Myonekrose, clostridiale – Massage 444 Nekrosektomie 51 Patientenisolation 366
7 Gasbrand – Massagen 418, 423 Nekrosestraße 331 Patientenlagerung 151, 159

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498 Serviceteil

Patientenparameter 205 Primärrehabilitation 436 RegiSCAR 7 Europäische Rettungsleitstelle Hamburg 65


Patientenrückführung 64 primary survey 54, 56, 336 Register für schwere kutane Rettungsmittel
Paulinchen – Initiative für Procalcitonin 146 Arzneimittelreaktionen mit – bodengebundenes 64
brandverletzte Kinder e. V. Prognose 78, 83, 169 Probensammlung – luftgebundenes 64
229, 242, 244, 488 Prophylaxe, perioperative Rehabilitation 243, 488 Rettungswagen 64
PCA 7 Analgesie, patienten- antibiotische 7 PAP – Amputation 445 Revaskularisierung 350
kontrollierte Propranolol 238 – Berufshilfe 483 Rheinwald, James G. 197
PEEP 120 Proteinbedarf 125 – Bewegungstherapie 438 rhGH 239
Pelotte 426 Protein, C-reaktives 7 CRP – Case-Management 437 Richmond Agitation Sedation
Perforatorlappen 464, 465 Proteinsynthese 109 – Dehnlagerung 440 Scale 7 RASS
Perianalverbrennung 278 Proteolyse 124 – Ergotherapie 441 Richtlinien des Europäischen
– Antibiotika 282 Prothesenversorgung 452 – Grundlagen 433 Parlaments 198, 199
– Ätiologie 278 Prothetik 470 – Hygienestandards 446 Richtlinien für Krankenhaus-
– Harnableitung 278 Pseudoeschar 89, 96 – isokinetisches Training 440 hygiene und Infektions-
– Hauttransplantation 280 Psychotherapie – Komorbidität 435, 446 prävention 17
– Komplikationen 283, 284 – Entspannungstechnik 367 – Krankenpflege 437 RIFLE-Kriterien 152
– Mortalität 283 – Grundkonzept 364 – Massage 442 Ringfixateur nach Ilisarow 301
– Narbenbildung 283 – Körperbildstörung 368 – Narbentherapie 444 Risikofaktoren 83, 264, 369
– postoperative Immobilisation – Narben 367 – Paraffin 442 – Infektion 27, 28
281 – Patientenmotivation 366 – passive Dehnbehandlung Robert-Koch-Institut 17, 19
– Stenosierungsneigung 283 – Patientenstabilisierung 366, 441 Robotik 452, 470
– Verletzungsmanagement 367 – Patientenmotivation 439 Röntgen 337
278 – Qualitätsstandard 362, 364 – Physiotherapie 438, 483 Rotationsverschiebelappen-
– Wundinfektion 279 – Schmerzen 366, 367 – psychologische Versorgung plastik 302
– Wundmanagement 279 – Stressbewältigung 367, 447 RTH 7 Rettungshubschrauber
– Wundunterdrucktherapie 368 – Psychotherapie 483 RTW 7 Rettungswagen
280, 282 – Therapieziele 367 – Ressourcenorientierung 433 rule of ten 72
Peridektomie 318 – Versorgungsauftrag 362 – Schmerztherapie 444 Rundgestricke 422
Permeabilität 46 – Versorgungssituation 362, – Sozialdienst 483 Rußpartikel 116
Phalangisation 301 364 – Stretching 440
Pharmakodynamik 137, 265 Pufferkapazität 309 – Zeitmanagement 437
Pharmakokinetik 61, 132, 136,
137, 265
Pulskonturanalyse 233
Pupillomotorik 59
– Ziele 433, 436
Rehabilitationsbedarf 436, 437
S
Phlegmone 375 Pustulose, akute generalisierte Rehabilitationsbedürftigkeit Sandwich-Technik 94, 171
Phoenix Deutschland – Hilfe für exanthematische 394, 404 433 Sättigung, zentralvenöse 233
Brandverletzte e. V. 489 – Ätiologie 412 Rehabilitationsfähigkeit 433 Sauerbruch-Kinemato-
Phosphatpuffer 316 – Demografie 409 Rehabilitationsmaßnahme 16 Myoplastik 331
Phospholipase C 382 – Mortalität 409 Rehabilitationsnetzwerk 488 Sauerstoffdifferenz, arterio-
PHTLS 54 7 pre hospital Pyelonephritis 149 Rehabilitationsphasen 436 venöse 48
trauma life support – Anschlussrehabilitation 437 Sauerstoffsättigung 108, 119,
Physiotherapie 65, 159, 244, – Frührehabilitation 436 147, 290
303, 304, 338, 350, 379, 438
Pigmentveränderung 275,
Q Rehabilitationsprozess 437
Rehabilitationsverlauf 362,
Sauerstofftherapie, hyperbare
386
478 Qualitätsmanagementsystem 363, 364, 367 Säureattacke 346, 350
Pilzinfektion 139, 153, 180 26, 201 Rehabilitationsvoraussetzungen Säureverätzung 311
Pilzsepsis 181 Quengelhandschuh 441 435 SAV 7 Schwerstverletzungs-
Plasmasubstitution 232 Rehabilitationszentrum 435 artenverfahren
Pneumonie 149, 230, 240 Reintegration, soziale 428, 437, Schädelhirntrauma 59, 337,
– beatmungsassoziierte 26,
34, 48, 136
R 448, 452, 477, 488
Rekonvaleszenz 268, 437
339
Schienensystem 440
– nekrotisierende 383 RASS 110 Rektalstriktur 284 – Bewegungsschiene 441
Pollizisation 299 Ratingskala, numerische Rektumprolaps 284 – Lagerungsschiene 440
Polyethylenfolien 438 7 NRS Resilienz 369 Schleimhautbeteiligung 390
Polyhexamethylenbiguanid 89 Rauchgase 116, 117, 118 Resistenz 90 Schmerz
Polyhexanidlösung 215, 216, Rauchgasintoxikation 118 Resistenzstatistik 134 – akuter perioperativer 110
217, 218 Raumlufttechnik 30 Resorptionskapazität, trans- – später neuropathischer 110
Polymer-Gelprodukt 428 Reaktion, inflammatorische 49 kapilläre 46 Schmerzattacke, paroxysmale
Polyneuropathie 265 Rechtsbeistand 488 Resozialisierung, psychosoziale 445
Polytrauma 64, 71, 336 Reepithelisierung 220, 271, 368 Schmerztherapie 444
Polyurethanschaum 280 272, 274, 280, 291, 296, 318, Ressourcenorientierung 369 – Akupunktur 445
pre hospital trauma life support 396, 419 resting energy expenditure – Analgetika 445
54, 56, 58 Reevalution 61 124 – Neuraltherapie 445
Primärcheck 70 Regionalanästhesie 112 Rettungshubschrauber 64 Schmetterlingsplastik 302

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499 P–T
Stichwortverzeichnis

Schock Skrotumrekonstruktion 463 – Hyperpigmentierung 398 Surveillance 34


– systemischer 46 Société française d‘etude et de – Immunmodulation 396 Surviving Sepsis Campaign
Schockraum 64, 65, 336, 338 traitement des brûlures – Infektparameter 395 133, 146
Schockraummanagement 70 7 SFETB – Inzidenz 408 Symblepharolyse 319
Schock, septischer 383 SOD 139 – Kausalitätsbewertung 411 systemic inflammatory response
Schofield-Formel 125, 237 SOP 7 standard operating – Klinik 390 syndrome 7 SIRS
Schrumpfungstendenz 293 procedures – Komplikationen 397
Schwerstverletzungsarten- Sozialverband 488 – Konsensusdefinition 407
verfahren 16, 65
Scoring-System 337
Spalthautentnahme 91, 93, 94,
159, 170, 175, 196, 201, 257,


Mortalität 390, 397, 398, 409
nekrotische Keratinozyten
T
Screening, serologisches 202 280, 281, 293, 458 392 Tachykardie 85
SDD 138, 139 Spalthautransplantat 349 – Pathogenetik 395 take down 217
secondary survey 337 Spalthauttransplantat 163, – Prognose 397 targeted muscle reinnervation
Second-look-Operation 378, 258, 293, 297, 302, 304, 329, – Schleimhautläsion 396 470
386 378 – Testverfahren 412 Tarragona-Strategie 134
Sedativum 111, 234 – autologes 274 – Therapie 395, 396 TBSA 7 total body surface area
Sedierung 109, 111, 117, 119, Spalthauttransplantation 94, – Verlauf 397 TDM 137
149, 161, 233, 235 100, 101, 177, 184, 186, 188, Stickstoffmonoxid 241 Temperaturmonitoring 55, 61
Sekundärcheck 71 190, 229, 257, 280, 338, 455, Stickstoffmonoxidsynthetase- TEN 7 Nekrolyse, toxisch epider-
Sekundärschädigung 338 456 aktivität 47 male
Selbsthilfegruppen für Brand- Spannungspneumothorax 58, Stoffdatenbank 346 Tenonkapsel 319
verletzte 254, 488 71 Stretching 439, 440 Tenonplastik 318
Selbstständigkeits-Index Spenderhaut 94 Stromüberschlag 332 TEP 196
437 Sphinkter 278 Stromverletzung 39, 65, 70, 72, Testosteronproduktion 238
Sepsis 26, 32, 33, 47, 106, SSSS 7 staphylococcal scalded 73, 288 Tetanusimpfschutz 290
108, 124, 144, 181, 239, skin syndrome – Austrittsstelle 325, 327 Tetraplegie 331
283, 383 Stammzelltransplantation 393 – Begleitverletzung 326 Texturveränderung 478
– ABA-Diagnosekriterien Stamp-Technik 184 – chirurgische Versorgung Therapie
145 standard operating procedures 328, 329 – antimykotische 139, 140
– Diagnosekriterien 132 30 – Diagnostik 325 – Blutdruck 233
– Infektionsort 148 staphylococcal scalded skin – Eintrittsstelle 325 – Diurese 233
– Leitlinien 133, 134, 139 syndrome 392 – EKG-Veränderungen 326 – Herzfrequenz 233
– Pilzinfektion 153 – Hautablösung 394 – Erstversorgung 326 Therapiecompliance, elterliche
– Prävention 146 Starkstromverletzung 170 – Hochvoltage 324, 325, 326, 243
– Therapie 146 Stasezone 40 327, 328, 329, 331 Therapiemonitoring
– Verdacht 145 Statistik 6 – Katarakt 330 – Blutdruck 232
Sepsismarker 239 – Altersverteilung 8 – Kompartmentsyndrom 328 – EKG 232
Sepsistherapie 233, 239 – Arbeitsunfall 11 – Komplikationsrate 329 – Herzzeitvolumen 232
Septikämie 283 – Bundesländerschlüssel 7 – Lappenplastik 330, 331 – mikrobiologisches 259
SFETB 132 – Geschlecht 8 – Morbidität 324 – pulmonalarterieller Katheter
Sheet-Transplantat 164, 196 – Häufigkeit 6, 7 – Muskelnekrose 327 232
Silbersulfadiazin 88 – internationaler Vergleich 12 – Muskeltransplantation 331 – Pulskonturanalyse 233
Silikon – Liegezeit 10 – Nekrose 326 – Pulsoxymetrie 232
– Eigenschaften 425 – Mortalität 6, 7 – Nekrosestraße 331 – Serumelektrolyte 230, 255
– Gesichtsmaske 427 – Patientenalter 9 – Niedervoltage 325, 326 – Urinausscheidung 232, 255
– Halskrause 427 – Verbrennungsentstehung – obere Extremität 330 Thermodilution, transpulmonale
– Handschuh 428 11 – okuläre Mitbeteiligung 330 232
– hochtemperaturvernetztes – Verbrennungsgrad 9 – Pathophysiologie 325 Thermomanagement 60, 61,
426 – Zuweisungsdauer 8 – rekonstruktive Chirurgie 72
– Kopolyester-Schale 426 Status, neurologischer 336 330 Thrombose 375
– Produkte 426 Steal-Phänomen 330 – Stromart 324 Thrombozyten 148
– Shore-Härte 427 Steigbügelplastik 331 – Stromstärke 324 Tiefenausdehnung 73
– Tragedauer 426 Stenosierungsneigung 283 – Stromüberschlag 332 Tissue Engineering 184, 452
– Wirkmechanismus 425 Stevens-Johnson-Syndrom – vaskuläres System 331 tissue engineering product
Silikonmembran 91 390, 404 – Verletzungsausmaß 324 7 TEP
Silikontherapie 275, 304 – Ätiologie 410 – Volumensubstitution 327 Topika 290
Single-step-Operation 190 – Augenbeteiligung 396 – Zellzerstörung 325 Toronto-Formel 125
SIRS 47, 106, 132, 144, 253 – Blasenbildung 391 – zentrales Nervensystem 331 total body surface area 44
SJS 7 Stevens-Johnson- – Demografie 408 Stufenbeurteilung 60 toxic shock syndrome 239
Syndrom – Diagnose 391 Substanzklasse 310 Toxizität 90
Skalpverbrennung 457 – Differenzialdiagnose 393 Suizid 365 TPTD 7 Thermodilution,
Skingineering 184 – Folgeschäden 399 Suprathel 91, 228, 256, 271, transpulmonale
skin-stapler 293 – Genetik 413 272, 273, 291, 485 Tracheobronchitis 148

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500 Serviceteil

Tracheotomie 233 Vasokonstriktoren 232 Verbrennungsbehandlung Verbrennungsschock 46


Tränengas 312 Venendruck, zentraler 7 ZVD – Hautersatzmaterial 485 Verbrennungstiefe 41, 224,
Transfusion 232 Venenkatheter, zentraler – Kostenaufwand 483, 484 266, 273
Transplantat 7 ZVK – Planung 485 Verbrennungstrauma
– allogenes 168 ventilator-associated pneumo- – Rekonstruktion 452 – Ursachen 265
– autologes 163 nia 7 Pneumonie, beatmung- – Therapiephasen 483 Verbrennungszonen 46
– Entnahme 159, 160 sassoziierte – Verbrennungszentren 483 Verbrühung 38, 265, 312
– Lager 161, 163 Verantwortungsabgrenzungs- Verbrennungschirurgie Vereinigung der Deutschen
– Pflege 166 vereinbarung 200 – Ästhetik 452 Plastischen Chirurgen 4
– xenogenes 168 Verätzung 38, 74 – Augenlidrekonstruktion Vereinigung zur Förderung des
Transplantation – Alkane 344 465 Deutschen Brandschutzes
– Erfolg 214 – Ameisensäure 343 – CTA 464 489
– Langzeitbehandlung 218 – Ammoniak 344 – Dermistransplantat 456 Vergütungssystem 482
– Maschen- 97 – Ausmaß 345 – Exzisionstechnik 452 Verletzung
– Meek- 97 – Befunderhebung 346 – Fetttransplantation 465 – Flammenexplosions-
– Repositionierung 215 – Desinfektionslösung 344 – Funktionalität 452 verbrennung 38
Transplantat, kultiviertes epider- – Einteilung 342 – GBLC 453 – Hautweichteilmantel 38
males 7 CEA-Transplantat – Elektrolytverschiebung 74, – Gewebeexpansion 453 – Hochvoltage 39
Transplantatlager 178 350 – Gewebetransplantation – Kontaktverbrennung 38
Transplantatverlust 174, 177, – Epidemiologie 345 461 – nichtthermisch 38
178 – Erstversorgung 349 – Grundsätze 452 – Strom- 39
Trauma – Essigsäure 343 – Hauttransplantation 454, – thermische 38
– physisches 253 – Expositionszeit 345 455, 456 – Verbrühung 38
– psychisches 252, 253 – Flusssäure 343, 349, 350 – Indikation 452 Verletzungsursache
Traumakonfrontation 448 – Gefahrenklasse 342 – Lappenplastik 456, 458, – Arbeitsunfall 336
Traumamanagement 338 – Kalziumglukonat 74 459, 461, 462, 464, 465 – Explosion 336
Traumatisierung 250, 362, – Kalziumoxid 344 – Mundwinkelerweiterung – Fenstersturz 336
365 – Koagulationsnekrose 74 466 – Stromunfall 336
Tumornekrosefaktor α 146 – Mortalität 345, 348 – Prothetik 470 – Verkehrsunfall 336
two hit phenomenon 336 – Natriumhypochlorit 344 – Robotik 470 – Wohnungsbrand 336
Tzanck-Test 392 – Natronlauge 344 – Serienexzision 453 Versajet 349
– operatives Management – Techniken 452 Versajet-Gerät 161
350 – Timing 452 Verschlusserkrankung,
U – Phenol 344
– Phosphorsäure 343
– W-Plastik 453
Verbrennungsentstehung 11
periphere arterielle 84
Virusinfektion 141
Überempfindlichkeitsreaktion – Revaskularisierung 350 Verbrennungsfolgen Vitalfunktion 224, 251, 336
88, 90 – Salpetersäure 343 – Begutachtung 474, 477 Vitalparameter 233, 251
Überknüpfpolster 293, 294 – Salzsäure 343 – Behandlungskosten 474, Vitamin C 313, 317
Überknüpfverband 165, 281, – Schwefelsäure 343 488 – Hochdosierung 126
454 – schweflige Säure 343 – Elektrolythaushalt 474 Vitaminzufuhr 230
Überlebensprognose 65, 267 – Schweregrade 347 – Endokrinologie 474 VKOF 9, 46, 51, 55, 58, 59, 65,
Übersedierung 109 – Spülung 348 – Flüssigkeithaushalt 474 132, 138, 139, 150, 151, 159,
Ultraschall 337 – Stoffdatenbank 74 – Gesamtminderung der Er- 179, 196, 214, 224, 225, 227,
Umkehrisolierung 32 – Symptome 346 werbsfähigkeit 477 265, 267, 326, 336, 363, 364,
Unfallprophylaxe 16 – Therapie 347 – Hauttrockenheit 477 432
Unfallursache 250 – Verletzungsausmaß 74 – Juckreiz 477 – Handflächengröße 60
Unguentum cordes 420 – Wirkung 342 – Lipohypertrophie 477 – Kalkulation 60
Urinausscheidung 232, 255 – Zement 345 – Minderung der Erwerbsfähig- – Neuner-Regel 60
Urinstundenmenge 232 Verbandsmaterial 227 keit 474 – Stufenbeurteilung 60
Verbandswechsel 136, 158, – Narbenqualität 474 Vollhautäquivalent 196, 219
163, 166, 176, 217, 228, – psychosoziale Beeinträch- Vollhautentnahme 294
V 234, 238, 272, 362, 365,
438, 445
tigung 477
– Schmerzen 477
Vollhauttransplantat 163, 274,
281, 294
vacuum assisted closure 190 Verbandwechsel 255, 281, – Sensibilitätsstörung 477 Vollhauttransplantation 185,
Vakuumundverband 165 290, 291 – Temperaturhaushalt 474 454, 456
Vakuumverband 97, 165, 166, Verblitzung 309, 312 – Vasodilatation 474 Volumensubstitution 40, 46,
176, 190, 328, 329 Verbrennungsausmaß 38, 41, – Vasokonstriktion 474 59, 70, 72, 78, 85, 108, 124,
Vancouver scar scale 7 VSS 43, 57, 64, 70, 73, 78, 82, 83, Verbrennungsgrad 9, 41, 198 126, 146, 174, 224, 225, 229,
VAP 135 7 Pneumonie, 88, 94, 124, 136, 144, 158, Verbrennungsmuster 54, 56, 251, 254
beatmungsassoziierte 174, 224, 226, 229, 251, 265, 57, 83, 84 – Erhaltungsbedarf 230, 254
Vaskulitis 332 364 Verbrennungsprävention – Verbrennungsbedarf 230,
Vasodilatation 356 Verbrennungsbad 96, 348 241 254
Vasokonstriktion 331, 357, 359 Verbrennungsbedarf 230 Verbrennungsregister 22 VSS 474

marcus.lehnhardt@rub.de
501 T–Z
Stichwortverzeichnis

W Z
Wachstumsfaktor, rekombi- Zehennekrose 300
nanter humaner 126 Zehentransplantation 299
Wachtumshormon, rekombi- Zeitmanagement 338
nantes 238 Zellgewinnung 203
Wärmehaushalt 252 – Konzentration 204
Weichteilnekrose 383 – Vitalität 204
Weichteilverfärbung 383 Zellkultur 203
Wind-chill-Effekt 356 – Behandlungsplan 208
Working Group on Quality – Biopsie 201
Improvement 20 – Feeder-Zellen 206
Wunddekontamination 385 – Kulturdauer 206
Wunddesinfektion 291 – Kulturmedium 206
Wunddistanzgitter 280 – Regularien 198
Wundfläche 168 – System 203
Wundgrund 101 – Verlauf 208, 210
Wundheilung 126, 266, 437 – Vermehrungsgrad 206
Wundheilungsstörung 108 Zellproliferation 317
Wundinfektion 65, 91, 132, Zellschädigung 50
283, 291, 294, 438 Zellulitis 175
– Diagnose 177 Zellulosemembran 291
– invasive 176 Zellweger-Index 7 Baux-Score
– Klinik 177 Zentrale Anlaufstelle Schwer-
– Pilze 180 brandverletzte 65
– Prävention 33 Zitronensäure 90
– Therapie 181 Zuweisungsdauer 8
– Viren 181 ZVD 72
Wundkühlung 224 ZVK 32, 72, 147
Wundmanagement 438 – Anlage 32
Wundmykose 140 – Entfernung 33
Wundreinigung 93 – Liegedauer 33
– Topika 272 – Pflege 33
Wundspülung 438 – Wechsel 33
Wundunterdrucktherapie 280, Zyanid 241
281, 282 Zyanidintoxikation 58, 119
Wundverschluss 88 Zyanwasserstoff 119
Wundversorgung 33, 64, 94, Zytokinkonzentration 158
227
– operative 97

marcus.lehnhardt@rub.de

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