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der König ihrer Seele.

Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion


aus ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den
geliebten Namen selig vor sich hinsprach. Endlich am Venustempel
angelangt, versank sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber
golden dämmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten
und ihrer Mutter schon morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe
gegen den König zählen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre
Schuld abbitten mit innigen Worten und dann — dann? Sie wußte nicht,
was dann werden sollte: aber sie errötete in holden Träumen.
Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in
dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle
glitt rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer, und die Wellen
dieses Meeres rollten leise, wie ihrer Liebe huldigend, zu ihren Füßen.

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ELFTES KAPITEL

A us solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf
den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt,
daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in
Haltung und Erscheinen, männlich, kräftiger, fester. Hoch trug er das
sonst zur Brust gebeugte Haupt, und das Schwert Theoderichs klirrte an
seiner Hüfte.
»Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla«, rief er ihr laut und lebhaft entgegen.
»Dein Blick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.«
So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.
»Mein König«, flüsterte sie erglühend. Einen leuchtenden Blick noch
warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen
Wimpern. Mein König! So hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm
nie geschenkt. »Dein König?« sagte er, sich neben ihr niederlassend,
»Ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was
alles heute geschehen.«
»Ich weiß alles.« — »Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht:
schilt nicht, ich bin kein Tyrann.« Der Edle, dachte sie, er entschuldigt
sich um seine schönsten Taten.
»Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es — sie sind ja
dein Volk! — Ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte.
Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und
unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht«, fuhr
er langsamer und feierlich fort, »vielleicht ist dies Reich schon verurteilt
in den Sternen — gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und
fallen.«
»Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.«
»Dank dir, Kamilla, wie du heut’ gerecht bist oder gut! Solcher Güte
darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir
geworden. Sieh, ich war ein kranker, irrer Träumer: ohne Halt, ohne
Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die
Gefahr des Reichs, die tätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge
wuchs in meiner Brust die Liebe, die mächtige Liebe zu meinen Goten,
und diese stolze und bange und wachsame Liebe für mein Volk, sie hat
mein Herz gestärkt und getröstet für... für andres bitter schmerzliches
Entsagen. Was liegt an meinem Glück, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh,

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der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark, und wahrlich! des
Größten könnt’ ich jetzt mich unterwinden.«
Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.
»O Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! Oh, ging es zu Roß und in
waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde
Flut. Komm, komm mit in den Kahn.« Kamilla zögerte. Sie blickte
umher. »Die Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der
Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh’ die Sonne versinkt. Sieh die
goldene Straße auf der Flut. Sie winkt!« — »Zu den Inseln der Seligen?«
fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht
errötend.
»Ja, komm zu den Inseln!« antwortete er glücklich, hob sie rasch in
den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais,
sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das
Ruder in die Öse zur Linken, und im hintern Gransen des Schiffes
stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische
Bewegung und ein echt germanischer Fergenbrauch.
Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros,
dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle
Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein
dunkles Haar flog im Winde, und herrlich waren die raschen und
kräftigen Bewegungen des feingebauten Ruderers zu schauen. Beide
schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut.
Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel,
der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von
Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich
brach der König das Schweigen und sprach, dem Boot einen kräftigen
Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: »Weißt du, was ich
denke? Wie schön muß es sein, ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte
Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu
steuern zu Glück und Glanz. — Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst
so mild, es sind gute Gedanken gewesen.« Sie errötete und blickte seitab
in die Flut.
»O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.«
»Ich dachte«, flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch
immer abgewendet, »wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand,
der man so ganz vertraut, gesteuert zu werden durch die schwanke Flut
des Lebens.« — »O Kamilla, glaub’ mir, auch dem Barbaren kann man

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sich anvertraun.« — — »Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und
edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit
Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein
Scipio gewesen.« Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff
stand: »Kamilla! Träum ich? sprichst du das? und zu mir?«
»Mehr noch, Athalarich, mehr! Ich bitte dich, vergib, daß ich dich so
grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.« —
»Kamilla, Perle meiner Seele!« — Diese, welche das Gesicht dem Ufer
zuwandte, rief plötzlich: »Was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die
Frauen, meine Mutter.« So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten
furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie
nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie
plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im
Meer. Im höchsten Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die
Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die
Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten
Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr
zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen
zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde,
die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr
die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. »Es ist
geschehen«, flüsterte sie ihm dabei zu, und die Gondel stieß ab. In
diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am
Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der
König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: »Nein, sie sollen mir
diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch
mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O Kamilla, du mußt mir mehr,
du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen
sie uns finden.« Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf
das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.
»Willst du nicht weiter sprechen?«
»O mein Freund, mein König — dringe nicht in mich.« Er sah ihr nur
in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und
Ziel. »Nun warte dort auf der Insel — dort sollst du mir« — —
Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag — da erdröhnte ein
dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.
»Himmel!« rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des
Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein, ihr

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