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Originalveröffentlicht in: Periplus. Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 1 Jg. (1991): S.

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Der Indische Ozean im 11. Jahr- ten (res gestae), d.i. keine Herausbildung zu
hundert einem wahrhaft politischen Zustande."2
Überlegungen zur Frage Und noch deutlicher hieß es etwa dreißig
Jahre später bei Marx in einem seiner Be-
"Gibt es eine vormoderne Ge- richte für die New York Daily Tribune:
schichte Asiens?" "Die indische Gesellschaft hat überhaupt
keine Geschichte, zum mindesten keine be-
Hermann Kulke kannte Geschichte. Was wir als ihre Ge-
schichte bezeichnen, ist nichts anderes als
Mit der Beantwortung der Frage die Geschichte der aufeinanderfolgenden
"Gibt es eine Geschichte Asiens?" hat sich Eindringlinge, die ihre Reiche auf der pas-
die europäische Historie seit eh und je siven Grundlage dieser widerstandslosen,
schwer getan.1 Für Herodot wäre die Frage sich nicht verändernden Gesellschaft er-
relativ leicht zu beantworten gewesen, richteten. "3
denn er konnte nach damaligem Wissen In dem seit Hegel und Marx vergan-
noch zu Recht berichten, daß Asien nur bis genen Jahrhundert und besonders seit der
Indien bewohnt, weiter im Osten das Land Erlangung der Unabhängigkeit der Staaten
dagegen unbesiedelt sei und niemand genau Asiens von der europäischen Kolonialherr-
wisse, wie es dort ist (IV, 40). Doch auch schaft hat sich vieles in der Beurteilung
die intensive Begegnung Europas mit Asien der Geschichte Asiens gewandelt. In
seit dem 16. Jh. und die neuen Erkenntnisse, Deutschland fand dieser Wandel seinen
"wie es dort ist", haben nur schrittweise zu sichtbaren Ausdruck u.a. in der Herausgabe
einem langsamen Abbau des eurozentri- so bedeutender universalhistorischer Rei-
schen Weltbildes der europäisch-mittel- hen wie der Propyläen-, der Saeculum- und
meerischen Ökumene des klassischen Al- der Fischer-Weltgeschichten und nun auch
tertums und seiner mittelalterlich vereng- in der um Einzelbände zur außereuropäi-
ten Formen beigetragen. So kam auch Hegel schen Geschichte erweiterten Ausgabe der
in seinen Vorlesungen über die Philosophie Oldenbourg Grundriß der Geschichte. In
der Geschichte noch zu dem (damals wohl ihnen findet auch die asiatische Ge-
auch weitgehend pars pro toto für Asien
geltenden) Schluß: "Weil die Inder keine 2 G.W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philo-
Geschichte, als Historie, haben, um des- sophie der Geschichte, Stuttgart: Reclam
willen haben sie keine Geschichte als Ta- 1961, s. 243.
3 Karl Marx, "Die künftigen Ergebnisse der
1 Antrittsvorlesung an der Philosophischen britischen Herrschaft in Indien" (New York
Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Daily Tribune, 8.8.1853), in: Karl Marx Fried-
zu Kiel am 17.01.1990. rich Engels, Werke, Bd. 9, Berlin 1975, S. 220.

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schichte zunehmend einen breiteren Raum. tisch-historische Dimension weiterhin
Dennoch fällt an diesen Sammelwerken deutlich in den Hintergrund.
auf, daß in ihnen die vormoderne Ge- Dies sei kurz an der Darstellung des
schichte Asiens bestenfalls aus der Summe Fernen Ostens in Fernand Braudels
der Geschichte einzelner Staaten oder al- "Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhun-
lenfalls Kulturkreisen besteht, während derts [und dem] Aufbruch zur Weltwirt-
die Geschichte der europäischen Völker in schaft'' erläutert, wie der deutsche Titel
diesen Reihen synoptisch in gesamteuro- seiner wegweisenden Studie Civilisation
päischen Zusammenhängen und Epochen materielle, economie et capitalisme, XVe -
aufgearbeitet wird . Einzig Darstellungen XVIIIe siede. Le temps du monde lautet.4
über Zentralasien und den Islam lassen Nach Braudel bildete der Feme Osten zwar
nicht nur überregionale kulturelle, sondern durchaus ein zusammenhängendes, aber
bereits auch deutlich politische Wir- dennoch instabiles "Universum mit einan-
kungszusammenhänge im vormodernen der sich ablösenden Machtzentren, weitge-
Asien erkennen. spannten Verbindungen [und] ineinander-
greifenden Handels- und Preisketten". Die
Braudels Studien über den Indischen Ozean Instabilität des Systems beruhte nach
Braudel darauf, daß es einer Waage oder
Eine der erfreulichsten Neuerungen Wippe gleich, die sich mit Indien als Mit-
moderner asiatischer Historiographie sind telpfosten bald nach Osten oder Westen
daher sicherlich die "Indian Ocean Stu- neige. "Wesentlich an diesem vereinfach-
dies", die in den letzten Jahrzehnten in en- ten Schema ist die doppelte Bewegung bald
ger internationaler und interdisziplinärer zugunsten des Westens, des Islams, bald
Zusammenarbeit insbesondere Schiffahrt, zugunsten des Ostens, Chinas. Jeder Druck
Handel und Handelsgüter im Indischen oder Stoß von einer der beiden Wirtschaf-
Ozean untersuchen. Desweiteren gewinnt ten diesseits und jenseits Indiens hat Bewe-
die Geschichte des Indischen Ozeans auch gungen von außergewöhnlicher Amplitude
Bedeutung im Zusammenhang mit der Er- und vielfach jahrhundertelanger Dauer zur
forschung der Entstehung der modernen Folge. Gewinnt der Westen an Gewicht,
Welt, oder, im Wallersteinischen Sinne, dringen die Seeleute vom Roten Meer und/
des "modernen Weltsystems." Doch ebenso oder vom Persischen Golf in den Indischen
wie früher bei Max Webers religionssozio- Ozean vor, überqueren ihn und tauchen, so
logischen Studien über Indien und China, geschehen im 8. Jahrhundert, vor Kanton,
treten auch im Rahmen der meist regional-
spezialisierten Indian Ocean Studies und 4 Französische Ausgabe Paris 1979, S. 417;
bei deren neuerlichen Einbeziehung in deutsche Ausgabe München: Kindler 1986.
welthistorische Studien die gesamtasia- Die folgenden Zitate ibid ., S. 541f.

8
dem Hanfou der arabischen Geographen, ein Verfechter eines eurozentrischen Welt-
auf. Überschreitet das stets zurückhaltende bildes zu sein. Aber dennoch stoßen wir auch
China seine Grenzen, stoßen seine Seeleute bei ihm, wenn auch in abgeschwächter
von der Südküste in die ohnehin nie aus Form, auf Stereotype, denen wir bereits bei
dem Blick verlorene Insulinde und zum sog. Hegel und Marx begegnet waren, wenn er von
'zweiten Indien' östlich von Kap Komorin der sich monoton wiederholenden Ge-
vor... Und nichts hätte sie abhalten schichte des Indischen Ozeans in dem ent-
können, wei terzusegeln." scheidenden Jahrtausend vor dem Beginn der
Braudels Metapher vom Handel im Ausbreitung Europas spricht, oder wenn es
Indischen Ozean als einer sich auf und ab heißt, daß "die Geschichte im Hinter-
bewegenden Wippe hat auf den ersten grund", also wohl jene der Landmächte, von
Blick etwas Bestechendes, denn in der Tat diesem steten Wechsel unberührt geblieben
sind die historischen Beziehungen im Indi- sei. Schwingt hier nicht doch immer noch
schen Ozean und seinen Teilregionen von die Vorstellung vom umwandelbaren und
einer sehr wechselvollen Geschichte ge- damit letztlich geschichtslosen vormoder-
kennzeichnet. Doch hinter diesem Bild nen Asien mit? Ja, man wird sogar noch die
verbirgt sich m. E. doch eben auch eine weitergehende Frage stellen müssen, ob
deutlich negative Einschätzung der vor- nicht gerade so große neuere Werke wie jene
modernen Geschichte Asiens, wenn Braudel Braudels und auch Wallersteins über den
dann fortfährt: europäischen Ursprung der Weltwirtschaft
"In dem Jahrtausend vor dem 15. oder Weltökonomie im 15. und 16. Jahrhun-
Jahrhundert erschöpft sich die Geschichte dert zu einer erneuten Ausblendung weiter
in monotonen Wiederholungen: Eine le- Bereiche der Geschichte Asiens und der
benskräftige Hafenstadt taucht an den übrigen außereuropäischen Welt in der Zeit
Gestaden des Roten Meeres auf, setzt sich vor der europäischen Expansion und damit,
durch, wird durch eine ebensolche andere in wenn wohl auch unbeabsichtigt, letztlich zu
der Umgebung abgelöst. Genauso lösen sich einer Wiederbelebung eines eurozentrischen
die Häfen an den Ufern des Persischen Weltbildes führen werden.5
Golfs oder an den Küsten Indiens ab; ge-
nauso auf den Inseln und Halbinseln der In- 5 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang
sulinde; und nicht anders ist es mit den auch, daß z.B. die im Erscheinen begriffene
Seezonen. Die Geschichte im Hintergrund The New Cambridge History of India erst mit
aber bleibt von all diesen Wechseln unbe- dem "Mughal and their [u.a. portugiesischen)
rührt." Contemporaries" beginnt. In der 1922-1953
Ich wählte diese ausführlichen Zi- erschienenen sechsbändigen The Cam -
tate aus Braudels Werk, weil gerade Brau- bridge History of India ist der zweite Band,
del über jeden Verdacht erhaben sein dürfte, der der klassischen und mittelalterlich voris-
lamischen Zeit bis etwa 1000 n.Chr. gewidmet

9
Im folgenden sei daher versucht, so- mens des indischen Mittelalters scheiden
weit dies die spärlichen und weit verstreu- sich bis heute die Geister. War es ein Ver-
ten Quellen erlauben, am Beispiel des In- such, den Gesetzen hinduistischen Königs-
dischen Ozeans und seiner Anrainerstaaten tums zu folgen, um durch "Eroberung der
im 11. Jh. aufzuzeigen, daß bereits die vor- [vier] Weltengegenden" (digvijaya) An-
moderne Geschichte Asiens von großräumi- spruch auf (rituelle) Vorherrschaft auch
gen und langzeitlichen Prozessen sowie von außerhalb des eigenen dynastischen
kausalen Wirkungszusammenhängen ge- Stammlandes erheben zu können? Oder
kennzeichnet war, die die Großregionen zielte der Angriff der südindischen Colas
Asiens, zu denen zumindest geographisch ja auf die Zerschlagung der Vormachtstel-
auch Europa gehört, miteinander verban- lung, die das südostasiatische Reich von
den. Srivijaya über den transasiatischen See-
handel dadurch erworben hatte, daß es die
Der Aufstieg der Colas in Südindien beiden wichtigsten Seestraßen von Ma-
lakka und Sunda zwischen Sumatra, der
Im Jahre 1025 n. Chr. griff eine Flotte malayischen Halbinsel und Java kontrol-
des südindischen Cola-Reiches das südost- lierte, durch die der Seeverkehr zwischen
asiatische Reich von Srivijaya an, das sich China und Indien passieren mußte?6 Oder
seit dem späten 7. Jh. von Sumatra aus über war es gar lediglich ein großangelegter
weite Teile der malayischen Halbinsel und Plünderungszug zur Auffüllung der leeren
zeitweise auch über Gebiete Westjavas Staatskassen der aufstrebenden Macht der
ausgebreitet hatte. Bei dieser machtvollen Colas, wie es unlängst der amerikanische
"Flottendemonstration" des Jahres 1025 Historiker G.W. Spencer formulierte?? Wie
handelt es sich um ein singuläres Ereignis wir sehen werden, dürfte vermutlich keines
in der Geschichte Indiens und seinen anson- dieser Motive dem Cola-König Rajendra
sten meist friedfertig verlaufenen Bezie- völlig fremd gewesen sein. Doch spricht
hungen zu den Ländern Südostasiens, die manches dafür, daß der Angriff der domi-
seit der Mitte des 1. Jahrtausends n.Chr. nierenden Landmacht Indiens auf die füh-
unter starken kulturellen Einfluß Indiens
geraten waren. An der Frage nach den 6 So vor allem der südindische Historiker
Ursachen dieses größten Flottenunterneh- K.A.N. Sastri, The Colas, Madras 1955.
7 G. W. Spencer, "The Politics of Plunder; The
sein sollte, überhaupt nie erschien. Die ein- Cholas in Eleventh-Century Ceylon", in:
bändige, seit 1919 in mehreren Auflagen er- Journal of Asian Studies, 35 (1976) 405-419
schienene Oxford History of India, behandelt und ders ., The Politics of Expansion. The
das vorislamische Mittelalter Indiens (ca. Chola Conquest of Sri Lanka and Srivijaya,
674-1200) in 25 von insgesamt knapp 900 Sei- Madras 1983.
ten.

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rende Seemacht Südostasiens weiterge- Deifizierung des Königtums und, damit zu-
hende Gründe hatte, deren tiefere Ursa- sammenhängend, politischer Monumental-
chen in der Geschichte Chinas, Südosta- architektur, beginnender Urbanisierung und
siens, Indiens und auch des Vorderen Ori- blühendem überregionalem Handel. In die-
ents zu suchen sind. ser Zeit standen auch die zwischen dem
In Indien, dem tragenden Pfosten der Vorderen Orient und Südostasien interna-
Braudelschen Wippe, folgte der Zeit der tional operierenden südindischen Händ-
indischen Großreiche der Mauryas und lergilden der Ayyavole und Manigrama auf
Guptas (4. Jh.v.Chr. bis 6. Jh.n.Chr.) im dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen
frühen indischen Mittelalter eine Periode Macht.9
zunächst kleinerer und dann zunehmend Der Aufstieg der Colas innerhalb von
größerer Königreiche, deren regionale vierzig Jahren zwischen 985 und 1025
Schwerpunktbildung bereits deutlich die vollzog sich in geradezu atemberaubender
heutigen Bundesstaaten der Indischen Geschwindigkeit. Von ihrem Stammland
Union erkennen läßt. Aus dem sich seit dem am Unterlauf des Kaveri-Flusses an der
frühen 9. Jh. in ganz Indien abzeichnenden Südostküste Indiens aus besiegten sie inner-
Kampf um regionale Hegemonie ging im halb der ersten beiden Jahrzehnte der
frühen 11. Jh. die Dynastie der Colas als Reihe nach alle Königreiche Südindiens,
• Vormacht Süd- und Zentralindiens hervor. drangen bis nach Zentralindien vor, um
Dieser politische Aufstieg der Colas und dann die vorgelagerten Inseln, Sri Lanka im
anderer regionaler Großreiche Indiens Südosten, die Malediven im Südwesten und
führte zu deutlich erkennbaren Ansätzen dann im Jahre 1017 sogar noch weiter im
eines strukturellen Wandels, der seit Ende Osten die Inselgruppe der Andamanen zu
des 10. Jh., aber verstärkt im 11. und 12. Jh. erobern. In den frühen zwanziger Jahren des
weite Gebiete Indiens und auch Südosta- 11. Jahrhunderts folgten dann unter König
siens gleichermaßen erfaßte.8 Er war ge- Rajendra zwei für die Geschichte Südin-
kennzeichnet von starken, wenn auch lang- diens einmalige Kriegszüge. Im Jahre
fristig keineswegs immer sehr erfolgrei- 1022/23 stießen die Truppen der Colas an
chen Zentralisierungstendenzen der könig- der Ostküste Indiens siegreich bis Bengalen
lichen Verwaltung und Steuererhebung, vor, von wo aus sie dann, wie es in einer In-
schrift des siegreichen Cola Königs heißt,
8 H . Kulke, "Die frühmittelalterlichen Regio- von besiegten Fürsten Bengalens Wasser des
nalreiche: Ihre Struktur und Rolle im Prozeß heiligen Ganges in die Hauptstadt der Co-
staatlicher Entwicklung Indiens", in: Regio- las zurü.-:ktragen ließen. In einer großen
nale Tradition in Südasien, hrsg. von H.
Kulke und D. Rothermund, Wiesbaden 1985, 9 M.Abraham, Two Medieval Merchant Guilds
S. 77-114. of South India, Delhi 1988.

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Siegesfeier ließ daraufhin König Rajendra dischen Kontext durchaus plausibel. Jedoch
in einem künstlichen See in seiner neuen lassen sie den gesamtasiatischen histori-
Hauptstadt, die den bezeichnenden Namen schen Kontext außer Acht, in dem sich
"die Stadt des Colas, der die Ganga be- diese Expansionspolitik eines südindischen
siegte" (Gangaikondacolapuram) trug, eine Reiches abspielte.
"Wassersiegessäule" errichten. Zwei Jahre
später erfolgte dann der bereits erwähnte Die Reiche Südostasiens
überraschende Angriff auf das Königreich
Srivijaya, in dessen Verlauf etwa ein Dut- Südostasien durchlief in der zweiten
zend Hafenstädte des Srivijaya-Reiches Hälfte des ersten nachchristlichen Jahr-
auf der malayischen Halbinsel und auf Su- tausends eine ähnliche Entwicklung wie
matra sowie die vorgelagerte Inselgruppe Südasien. Auch hier vollzog sich in fest-
der Nikobaren erobert und gebrandschatzt ländisch Südostasien und "Insulinde" um
wurden.10 die Jahrtausendwende der Übergang von
Zeitgenössische Kupfertafel- und den, wie ich es an. anderer Stelle nannte,
Tempelinschriften in Südindien berichten early kingdoms zu den imperial king-
teilweise recht ausführlich über diese Er- doms ..11 Das 802 n.Chr. gegründete Reich
oberungen und die Beute, die die Truppen von Angkor im heutigen Kambodscha drang
heimführten, um sie in großen Siegesfeiern Anfang des 11. Jahrhunderts unter König
den Göttern der großen Reichstempel in Suryavarman I erstmals über seine ethni-
Tanjore und Gangaikondacolapuram zu schen Grenzen hinaus vor, eroberte weite
weihen. Diese Berichte scheinen ebenso die Teile des heutigen Thailands, Laos und der
Beutezugstheorie ("politics of plunder") zu nördlichen malayischen Halbinsel und
stützen, wie die Weihe der "Siegessäule" stieg damit zur Vormacht am Golf von
aus Gangeswasser die Annahme bestätigt, Siam auf. Hierdurch geriet Angkor in zu-
mit ihren Eroberungszügen hätten die Colas nehmenden Konflikt mit den beiden anna-
vor allem das Ziel verfolgt, durch rituelle mitischen Reichen an der Ostküste festlän-
Oberherrschaft über die vier Welten- disch Südostasiens, Dai-Viet im heutigen
gegenden Anspruch auf Vorherrschaft über Tongking und dem indisierten Staat Cham
die anderen indischen Regionalherrscher pa, die ihrerseits bereits seit Jahrzehnten
zu erlangen. Beide Theorien klingen im in- um die Vorherrschaft über die Ostküste

10 Siehe hierzu vor allem die genannten Werke 11 H. Kulke, 'The Early and the Imperial King-
K.A.N. Sastris und Spencer; für einen Über- dom in Southeast Asian History", in: South -
blick siehe auch H. Kulke und D. Rother- east Asia in the 9th to 14th Centuries, ed. by
mund, Geschichte Indiens, Stuttgart 1982, S. D. G. Hall and A.C. Milner, Singapore 1986, S.
134-140. 1-22.

12
festländisch Südostasiens und die Kon- städten mit Kontrolle über Seewege als ein
trolle über den Küstenhandel und den in- zentral organisiertes Königreich gewesen
ternationalen Seeweg nach China rangen. sei, auch wenn das Kerngebiet zeitweise zu
In der Mitte des 11. Jh. entstand weiterhin beträchtlicher Machtentfaltung fähig
in Burma im Reich von Pagan ein wichtiger war.12 Den sprichwörtlichen Reichtum
Staat, der erstmals das Gebiet des heutigen Sriviayas pries der arabische Geograph
Burmas mit Teilen der Nordwestküste der Mas'udi im Jahre 956 in schillernden Far-
malayischen Halbinsel vereinigte. Da- ben: "Dort stößt man auf das Reich des Ma-
durch kam Pagan in die Lage, seinen di- harajas, des Königs der Inseln, der über ein
rekten Zugang zum Landweg nach Yünnan in Reich ohne Grenze befiehlt und über
Südostchina mit einer Kontrolle des See- unzählige Truppen verfügt. [Auch] das
handels im nördlichen Golf von Bengalen schnellste Schiff ist nicht in der Lage, in
zu verbinden. Die malayische Welt des zwei Jahren zu allen Inseln seines Reiches
heutigen Indonesiens und der malayischen zu reisen. Das Land des Prinzen erzeugt a1le
Halbinsel teilten sich· Srivijaya und das Arten von Gewürzen und Duftstoffen und
ostjavanische Reich von Mataram. Das ja- kein Herrscher in der Welt zieht mehr Ge-
vanische Königreich hatte Anfang des 10. winn aus seinem eigenen Lande. Sie führen
Jh. seine Hauptstadt bei Yogyakarta in Kampfer, Aloe, Gewürznelken, Sandel-
Zentraljava nach Ostjava in die Nähe des holz, Moschus, Kardamon, Kubebenpfeffer
heutigen Surabayas verlegt. Als Ursache und vieles hier Ungenanntes aus. 13
0

für diese Verlagerung seines Schwerpunktes Die Beziehungen der Länder Südost-
nach Ostjava wird u.a. vermutet, daß das asiens zu den beiden großen Nachbarre-
Reich von Mataram bestrebt gewesen sei, gionen, Indien und China, waren grund-
sich den direkten Zugriff auf die reichen sätzlich unterschiedlicher Natur. Mit
Reisernte-Erträge in den ostjavanischen Ausnahme Vietnams, das bis 939 n. Chr.
Flußlandschaften der Solo- und Brantas-
Flüsse zu sichern und gleichzeitig näher an 12 0. W. Wolters, Early Indonesian Commerce:
die Molukken und ihre international so be- A Study of the Origins of Srivijaya, lthaca
gehrten Gewürze zu gelangen. Über den 1967; K.R. Hall, Maritime Trade and State
Westen der Inselwelt und die wichtigen Development in Early Southeast Asia, Hono-
Seestraßen herrschte, wie bereits erwähnt, lulu 1985; H. Kulke, "Kadatuan 'Srivijaya -
seit dem späten 7. Jahrhundert Srivijaya. Empire or Kraton of 'Srivijaya,? A Reassess-
Im Gegensatz zu den in stärkerem Maße zur ment of the Epigraphical Evidence", in: The
Zentralisierung tendierenden Agrarstaaten Ancient Southeast Asian City and State, ed.
wie etwa Burma und Angkor wird Srivijaya by J. Stargardt, Cambridge (im Druck).
bisweilen als Thalassokratie bezeichnet, 13 G. R. Tibbetts, A Study of the Arabic Texts
das eher eine Konföderation von Hafen- Containing Material on South-East Asia, Lei-
den 1979, S. 38.

13
über ein Jahrtausend lang chinesische Pro- bilden eine der wichtigsten Quellen für die
vinz gewesen war, nahmen alle Länder frühe Geschichte Südostasiens. Ein Bericht
Südostasiens im ersten Jahrtausend n.Chr. aus dem Jahre 430 n.Chr. enthält einen
in einem Prozeß intensiver, direkter Bezie- Brief, den der Fürst von Heladan, einem
hungen starke Kultureinflüsse aus Indien kleinen Königreich auf Java, durch seine
auf, wie z.B. Schrift, Kunst, Religion Botschafter an den chinesischen Kaiser
(Hinduismus und Buddhismus) und die in- Wendi gesandt hatte. Bereits dieser frühe
dische Staatslehre, so daß man von dieser Brief faßt in sehr guter Weise die ty-
Zeit meist von der Epoche der "indisierten pischen Anliegen und Wünsche zusammen,
Staaten" Südostasiens spricht.14 die auch spätere Herrscher Südostasiens
Ganz anders dagegen die Beziehun- mit ihren Botschaften an den chinesichen
gen zu China. Mag auch Indien für die Län- Hof verbanden: "Mein Land hatte einst
der Südostasiens das heilige Land des eine große Bevölkerung und war wohlha-
Buddhismus und des Hinduismus gewesen bend. Mein Land wurde nie zuvor von ande-
sein, politisch und auch wirtschaftlich war ren Ländern bedrängt. Nun aber hat sich
für sie jedoch uneingeschränkt stets China die Lage verändert und wir wurden
das "Land der Mitte". Nahezu alle König- schwach. Meine Nachbarn wetteifern mit-
reiche Südostasiens, und oft gerade auch einander in ihren Angriffen auf mich. Wir
die kleineren und von kriegerischen Nach- bitten Eure Majestät, uns [auch] von weitem
barn bedrängten Fürstentümer, entsandten Euren Schutz zu gewähren. Wir hoffen
an den kaiserlichen Hof Chinas in unre- auch, daß es keine Handelsrestriktionen
gelmäßigen Abständen Tributbotschaften. geben wird, die das Kommen und Gehen
Beamte des chinesischen Amtes Honglu si, [unserer Händler] behindern werden. Wenn
die für den Empfang und die Betreuung der Ihr uns wohlgesonnen seid, so hoffen wir,
Gesandtschaften zuständig waren, führten daß Ihr Botschaften aussenden werdet, um
über deren Tributgaben, ihre Anliegen und diesen Ländern anzuordnen, uns nicht mehr
auch über die Geschenke, die sie ihrerseits schlecht zu behandeln, damit der Ruhm
vom chinesischen Hofe erhielten, genau Eurer Majestät als Beschützer der Schwa-
Buch. Diese Berichte, die häufig in die chen überall gepriesen werde. [Weiterhin]
Annalen der jeweiligen Dynastie eingingen, hoffen wir, daß Ihr Eure Beamten in
Guangzhou (Kanton) anweisen werdet, un-
sere Schiffe wieder zurückzuschicken, ohne
14 G. Coedes, The Indianized States of Sou-
theast Asia, Honolulu 1968; I.W. Mabbett,
sie auszurauben und zu beschädigen. Wir
'The 'lndianization' of Southeeast Asia. Re- wünschen, von nun an jedes Jahr Botschaften
flections on the Historical Sources", in: Jour- [an Euch] zu schicken".15 Wie auch hier,
nal of Southeast Asian Studies, 8 (1977), 143-
161. 15 0. W. Wolters, op.cit., S. 151.

14
handelte es sich bei nahezu allen Bot- Einzelheiten mit den Beschreibungen der
schaften der "südlichen Barbaren" von berühmten arabischen Reisenden und Geo-
Kunlun den Ländern Südostasiens, um Han- graphen des folgenden Jahrhunderts über-
delsmissionen, die auch Bitten um politi- einstimmen. Zu ihnen zählen Ibn Khur-
sche Unterstützung, um Anerkennung neuer dadbih (844-48), Abu Zaid (ca. 916) und
Herrscher oder Dynastien und, seltener, um Mas'udi (943).16 Die geographischen Ab-
(letztlich nie gewährte) Militärhilfe handlungen der chinesischen und arabi-
überbrachten. schen Autoren dieser Jahrhunderte geben
ein beredtes Zeugnis für die intensiven
Chinas Handel im Indischen Ozean Handelsbeziehungen zwischen allen Teil-
regionen des Indischen Ozeans, vom Vorde-
Chinas eigenes Interesse an den Län- ren Orient über Indien, Südostasien bis nach
dern des Südmeeres blieb trotz der Ausbrei- China.
tung des Han-Chinesentums nach Südchina Den Tang folgte für ein knappes hal-
seit dem zweiten Jahrhundert v.Chr. noch bes Jahrhundert die Zeit der "Fünf Dyna-
über Jahrhunderte hin starken Schwankun- stien", in der jedoch trotz staatlicher Zer-
gen unterworfen. Es stieg jedoch deutlich rissenheit der Handel mit den Ländern des
an, als nach der Nanbeichao-Periode, der Südens unvermindert anhielt, da er sich in
"Zeit staatlicher Zerrissenheit", China im den ehemaligen, nun unabhängigen Süd-
Jahre 589 seit Jahrhunderten erstmals wie- provinzen des Reiches ohne die frühere
der unter einer Dynastie, den Sui, vereinigt Bevormundung durch die immer schwerfäl-
wurde. Bereits 618 wurden sie von den liger gewordene kaiserliche Bürokratie der
mächtigen Tang abgelöst, unter denen dann Tangs sogar noch freier entfalten konnte.
China bis zu deren Sturz im Jahr 907 einer Die erneute Wiedervereinigung Chinas un-
hohen kulturellen und politischen Blüte ter den Song im Jahre 960 führte zu einem
entgegen ging. In dieser Zeit entstanden in ungeahnten Aufschwung des Handels und
China bedeutende geographische Werke. der Kontakte Chinas mit den Ländern Süd-
Eine im Jahre 674 verfaßte Abhandlung ost- und Südasiens und des Vorderen Ori-
zählt insgesamt 36 Königreiche der südli- ents, da die Song sich als erste chinesische
chen Barbaren auf. Das berühmte Werk Jia Dynastie bemühten, den Überseehandel
Dans aus dem Jahre 801 beschreibt wegen seiner hohen Gewinne systematisch
ausführlich die sieben wichtigsten Han-
delswege, die nach China führten, deren 16 Siehe hierzu insbesondere P. Wheatley,
siebte Route der Seeweg nach Guanzhou "Geographical Notes on Some Commodities
war. Der französische Sinologe und Süd- lnvolved in Sung Maritime Tradc", in: Jour-
ostasien-Historiker Pelliot konnte aufzei- nal of the Malayan Branch of the Royal Asia-
gen, daß Jias Angaben in ganz wesentlichen tic Society, 32, (1959), 5-138.

15
unter direkte staatliche Kontrolle zu brin- Der Kampf um Marktanteile und politische
gen. Sofort nach Regierungsantritt erließ Kontrolle im Indischen Ozean im
der Kaiser Taizu neue Anordnungen über die 11. Jahrhundert
Abwicklung des Handels in den Südhäfen
und etwa zwei Jahrzehnte später wurde Uns sollen nun weniger die Folgen
erstmals ein zentrales "Büro für den lizen- dieser planmäßigen Ausweitung des Über-
sierten Handel" errichtet. Berechnungen seehandels für China als vielmehr die
haben ergeben, daß die frühen Song etwa Auswirkungen der chinesischen "Außen-
ein Fünftel ihrer gesamten Einkünfte aus handelspolitik" auf die Länder Süd- und
dem Überseehandel bezogen.17 Südostasiens beschäftigen. Wie wir sehen
Bald darauf erfolgte dann eine werden, lassen sich in den folgenden Jahr-
Maßnahme, die in diesem Falle durchaus zehnten deutlich Konturen eines Kampfes
im Sinne der Braudelschen Wippe unmit- um Marktanteile an dem lukrativen China-
telbare Folgen für das Geschehen haben Geschäft erkennen. Als erstes südostasia-
sollte, das uns bereits eingangs beschäf- tisches Königreich reagierte Srivijaya auf
tigte: die Auseinandersetzung zwischen der das Angebot Chinas und entsandte bereits
südindischen Cola-Dynastie und dem süd- im Jahre 988 eine Tribut-Botschaft nach
ostasiatischen Reich von Srivijaya. Im China. Doch noch während seines Aufent-
Jahr 987 wurden vier mit kaiserlichem haltes am chinesischen Hofe erfuhr der
Siegel und reichen Gaben ausgestattete Ge- Botschafter Srivijayas, daß sein Land von
sandtschaften vom chinesischen Hofe aus- dem ostjavanischen Reich Shepo (Mata-
gesandt, die, wie es in den Annalen der ram) angegriffen worden sei. Seine Rück-
Song-Dynastie heißt, die Aufgabe hatten, reise mußte er wegen neu eintreffender
"ausländische Händler der Südsee und sol- Nachrichten bereits in Champa, dem heu-
che, die in fremden Ländern jenseits des tigen Zentralvietnam, unterbrechen. Er
Meeres Handel treiben", durch Zusage be- kehrte daraufhin nochmals nach China
sonderer Handelsprivilegien dazu zu zurück, um Srivijaya unter kaiserlichen
bewegen, chinesische Häfen aufzusuchen. Schutz zu stellen. Ein chinesischer Bericht
Der Erfolg dieser Missionen blieb nicht aus, über eine Botschaft aus Java, die China im
denn innerhalb eines halben Jahrhunderts Jahre 992 erreichte, bestätigt, daß sich
verdoppelte China seine Einnahmen aus auch in diesem Jahr beide Länder noch im
dem ÜberseehandeJ.18 Kriegszustand befanden. Die Ursache des
Krieges zwischen diesen beiden Staaten ist
ungewiß. Doch liegt die Vermutung nahe,
daß wir es hier bereits mit dem Beginn des
17 lbid., s. 22f. Kampfes um den chinesischen Markt zwi-
18 lbid., s. 24. schen diesen beiden unmittelbar am Ge-

16
würzhandel mit China beteiligten König- dien vorgelagerte Inselgruppe der Maledi-
reichen zu tun haben. Im Jahre 1003, so die ven im Westen und Ceylon im Osten erobert,
Annalen der Song-Dynastie, habe der Kö- die beide für den transasiatischen Seehan-
nig von Srivijaya erneut zwei Botschafter del, vor allem für die arabischen Händler,
mit Tribut nach China geschickt. In diesem die auch in Srivijaya aus- und eingingen,
Zusammenhang heißt es: "Sie (die Bot- von größter Bedeutung waren. Im Jahr 1005
schafter) berichteten, daß in ihrem Land gewährte der Cola König Rajaraja die
ein buddhistischer Tempel errichtet wor- Steuereinnahmen eines Dorfes für den Un-
den sei, um [dort] für ein langes Leben des terhalt eines buddhistischen Klosters, das
[chinesischen] Kaisers zu beten. Sie baten der König Srivijayas (der zwei Jahre zuvor
um einen Namen [für den Tempel] und um auch einen Tempel für den Kaiser Chinas
eine Glocke, durch die der Kaiser seine An- gestiftet hatte) in der wichtigsten Hafen-
erkennung ihrer guten Absicht kund tun stadt des Cola-Reiches, in Negapatam,
möge. So wurde ein Edikt erlassen, durch hatte errichten lassen.20 Sicherlich mögen
das der Tempel den Namen Chengtian hierbei auch religiöse Überlegungen eine
wanshou ("zehntausend Jahre des Empfan- Rolle gespielt haben, vielleicht sogar in
gens vom Himmel") erhielt. Eine Glocke dem Sinne, eine Art buddhistischer Heils-
wurde gegossen und ihnen gegeben" _19 Bis armee in dieser Hafenstadt für die Seeleute
1018 trafen dann vier weitere Delegationen Srivijayas zu begründen. Doch in dieser
Srivijayas ein. All dies zeugt von einer ge- Zeit beginnender internationaler Spannun-
radezu hektischen Aktivität Srivijayas, gen im Indischen Ozean wird es sich wohl
sich des Wohlwollens Chinas und vor al- auch um einen Versuch Srivijayas gehan-
lem günstiger Handelsbedingungen zu delt haben, sich gleichermaßen um gute
vergewissern. Die Botschaften Srivijayas Beziehungen zur Vormacht Südindiens wie
lassen aber bereits auch die künftige auch um eine Art "Horchposten" in deren
Auseinandersetzung mit Südindien voraus- wichtigster Hafenstadt zu bemühen. Das
ahnen. indische Staatslehrbuch Arthashastra,
Aus eben diesen Jahren besitzen wir das auch in Südostasien bekannt war, ent-
erstmals auch direkte Hinweise darauf, hält detaillierte Anweisungen wie heilige
daß Srivijaya nun auch Kontakte zu den Orte und sakrale Gebäude für Nachrich-
Colas in Südindien aufnahm. In dieser Zeit tenbeschaffung zum Zwecke der Staatser-
waren die Colas bereits zur Vormacht Süd- haltung genutzt werden können.
indiens aufgestiegen und hatten die Südin-
20 S. Aiyer, "The Larger Leiden Plates (of Raja-
19 W. P. Groeneveldt, Historical Notes on Indo- raja I)", in: Epigraphia Indica, 22 (1934), S. 213-
nesia and Malaya Compilled from Chinese 266.
Sources, Jakarta 1960, S. 65„

17
Im Jahre 1012 schaltete sich dann durch die Straße von Malakka. Auch er-
auch das Reich von Angkor als führende möglichte dieser Landweg, aber eben nur
Landmacht festländisch Südostasiens in dann, wenn er nicht von Srivijaya kontrol-
die Auseinandersetzungen im Indischen liert wurde, eine Umgehung der nicht ge-
Ozean ein. König Suryavarman 1., unter rade als liberal geltenden Stapelrechte der
dem sich, wie bereits erwähnt, Angkor Häfen Srivijayas. So nimmt es nicht Wun-
erstmals weit über seine ethnischen Gren- der, daß schon im späten 9. Jh. in Takuapa
zen hinaus bis in das heutige Zentralthai- eine Niederlassung einer südindischen
land und auf die nördliche malayische Händlergilde bestanden hatte, die sogar
Halbinsel ausdehnte, schickte in diesem von südindischen Truppen geschützt wur-
Jahr gar einen Streitwagen, der ihm selber de. 22 Es ist deshalb durchaus vorstellbar,
zu vielen Siegen verholfen habe, an den daß König Suryavarman von Angkor An-
Cola-König Rajaraja. Eine zeitgenössische fang des 11. Jh. an einer Reaktivierung die-
Inschrift Rajarajas enthält weiterhin die ses direkten Handelsweges nach Südindien
wichtige Nachricht, daß ihm der kam- über die Landenge in Südthailand in-
bodschanische König dieses Geschenk "zum teressiert war, um sich der Kontrolle Sri-
Wohle seines eigenen Herrscherglücks" vijayas zu entziehen. Einern derartigen
(atmalakshmi) überreichen habe lassen.21 Versuch dürfte Srivijaya aber nicht taten-
Auch in diesem Falle werden wir nicht fehl los zugesehen haben. Hierin liegt vermut-
gehen, wenn wir die Überreichung dieses lich der Grund für die Sorge des kambod-
wahrhaft fürstlichen Geschenkes an einen schanischen Königs um sein "eigenes Herr-
indischen König in einem Zusammenhang scherglück".
mit den politischen Spannungen in Süd- Zwei Jahre später entsandte der
ostasien sehen. Denn mit seiner Expansion Cola-König Rajaraja, übrigens als erster
auf die malayische Halbinsel stieß Angkor südindischer Herrscher, seinerseits eine
unter Suryavarman erstmals direkt in den Gesandtschaft nach China, die den kaiser-
Einflußbereich Srivijayas vor, der zeit- lichen Hof allerdings erst 1015, nach sei-
weise bis über den Isthmus von Kra hinaus nem Tode (im Jahre 1014), erreichte. Der
reichte. Der kurze Weg über diese Landenge Mission, die sich auch mehrere Monate in
war seit den frühen Jahrhunderten n. Chr. Srivijaya aufgehalten hatte, war ein
für den direkten Handel der Anrainer- großer Erfolg beschieden. Das Reich der
staaten des Golfes von Siam mit dem We- Colas wurde von China wie zuvor schon
sten stets bedeutsam, denn er bot eine Srivijaya, Java und das Reich der Fatimi-
Alternative zu dem langwierigen und we- den in Ägypten als ein Reich der "ersten
gen der Piraterie nie gefahrlosen Weg
22 G. Coedes, Recueil des inscriptions du Siam,
21 K.A.N. Sastri, op.cit., S. 220. Teil II, Bankok 1%1, S. 33.

18
Klasse der Tributärstaaten" anerkannt, in knapp dreißig Jahre zuvor. Doch auch die
den Augen Chinas die höchste Auszeich- südindischen Colas nahmen in dieser Zeit
nung für einen nicht-chinesischen Staat.23 ihre kriegerische Politik erneut auf und er-
Zusammen mit China ergeben diese Staaten oberten im Jahr 1017 die Andamanen-In-
Ost-, Südost-, Süd- und Westasiens (bzw. seln, ein Angriff, der nach Meinung man-
Nordafrikas) ein sehr deutliches Bild ge- cher Historiker bereits deutlich auf Srivi-
samtasia tischer Wirkungszusammenhänge, jaya zielte.
von deren Existenz Europa übrigens erst über Nur wenige Jahre später folgten dann
zwei Jahrhunderte später durch Marco Polo die bereits erwähnten großen kriegerischen
erste Kenntnisse erhalten sollte. Unternehmungen der Colas, die hier nur
Der neue Cola-König Rajendra setzte nochmals kurz in Erinnerung gerufen seien.
zunächst die, wie es scheint, gutnachbarli- 1022/23 stießen zwei Heere der Colas über
chen Beziehungen zu Srivijaya fort. Un- das ostindische Kalinga bis nach Bengalen
mittelbar nach seiner Thronbesteigung er- vor und bereits zwei Jahre später zog eine
neuerte er die väterliche Stiftung für das Flotte der Colas auf der malayischen
buddhistische Kloster Srivijayas in Nega- Halbinsel, auf Sumatra und den vorgela-
patam und nahezu dann in den Jahren 1015 gerten Inseln brandschatzend von Hafen zu
und 1019 weitere wertvolle Gaben aus Sri- Hafen Srivijayas, nahm den König gefan-
vijaya für dieses Kloster in Empfang. Doch gen und kehrte mit reicher Beute zurück.
in den folgenden Jahren verschlechterten Einzelheiten dieser Kriegszüge in-
sich aus uns nicht bekannten Gründen die teressieren hier nicht weiter. Wichtig ist
Beziehungen zwischen den Staaten der Re- es, festzuhalten, daß die Colas aus dem
gion zunehmend. Srivijaya entsandte in sich bereits über drei Jahrzehnte hinzie-
eben diesen Jahren abermals mehrfach Ge- henden Kampf um die neue Vormacht im
sandtschaften nach China - wie gerade er- Indischen Ozean siegreich hervorgingen.
wähnt, ein mögliches Indiz für eine Kri- Die Colas scheinen bei ihrer Expansion
sensituation. Im Jahre 1016 wurde mit einen klaren Plan verfolgt zu haben, der
Billigung oder sogar Unterstützung Srivi- allerdings erst sukzessive gewachsen sein
jayas Ostjava von zentraljavanischen dürfte. Nach der Unterwerfung des ge-
Truppen angegriffen und die Hauptstadt samten südindischen Festlandes eroberten
des Reiches gebrandschatzt, vermutlich als sie die für den internationalen Seehandel
Vergeltung für Javas Angriff auf Srivijaya so wichtigen Inseln der Malediven und Sri
Lanka sowie die Andamanen. Dann schal-
23 K.R Hall, "International Trade and Foreign teten sie durch ihren siegreichen Marsch
Diplomacy in Early Medieval South India",
nach Bengalen alle potentiellen indischen
in: Journal of the Econom_ic and Social Hi- Konkurrenten am Golf von Bengalen aus,
story of the Orient, 21 (1978), 75-98. bevor sie schließlich Srivijaya als domi-

19
nierende Vormacht über die maritimen taoistischen Tempels in Guangzhou die
Handelsstraßen in Südostasien besiegten. schier unglaubliche Summe von 600.000
Der Überfall einer südindischen Goldstücken in bar gestiftet habe.25 Der
Flotte auf Srivijaya scheint auf die Länder Erfolg dieser Bemühungen scheint nicht
Südostasiens zunächst wie ein Schock ge- ausgeblieben zu sein, denn Ende des 12. Jh.
wirkt zu haben, da in den folgenden Jahren heißt es dann auch wieder in einem chine-
keine südostasiatische Gesandtschaft den sichen Bericht über Srivijaya: "Es ist der
chinesischen Hof besuchte. Selbst der wichtigste Zwischenhafen auf den Seewe-
Handel mit China ging stark zurück, denn gen der Ausländer, von Shepo (Java) im
im Jahre 1028 stellte der Song-Kaiser fest, Osten und von den Ländern Dashi (Arabien)
daß "in den vergangenen Jahren nur noch und Gulin (Quilon im heutigen Kerala an
selten fremde Schiffe nach Guangzhou ka- der Südwestküste Indiens) im Westen; sie
men" und ordnete dem höchsten Finanz- alle laufen es (Srivijaya) auf ihrem Weg
beamten Guangzhous an, die Händler wie- nach China an".26
der zum Anlaufen des Hafens von Guangz- Die Colas selbst scheinen keinerlei
hou zu bewegen. Bereits wenige Wochen Anstrengungen unternommen zu haben, ih-
später trafen Gesandte Srivijayas in ren Sieg über Srivijaya im Jahre 1025 zu ei-
Guanzhou ein und wurden mit besonderen ner dauerhaften politischen Kontrolle, und
Ehren empfangen. Srivijaya war also, wie sei dies auch nur z.B. durch die bleibende
der amerikanische Historiker 0.W. Wol- Besetzung eines Hafens in der Straße von
ters richtig bemerkte, "still in business".24
Auch wenn Srivijaya im folgenden 25 Tan Yeok Seong, 'The Sri Vijayan Inscription
Jahrhundert von internen Kämpfen, ver- at Canton (A.D. 1079)", in: Journal of Sou-
mutlich zwischen einzelnen Hafenstädten, theast Asian History, 5 (1965) , S. 17-26. Die
heimgesucht wurde, so gewann es doch ins- Inschrift wirft eine Reihe bisher ungeklärter
gesamt bald seine letztlich geographisch Fragen auf, da sie als König 'Srivijayas Ti
bedingte zentrale Stellung im Indischen Hua Ka Lo nennt, worunter vermutlich der
Ozeanhandel zurück. Srivijaya war aber Cola-König Kulottunga zu verstehen ist.
auch bereit, in die Wiedererlangung der sollten die Colas (seit 1068?) doch zeitweilig
günstigen "Rahmenbedingungen" des Han- eine Vorherrschaft über 'Srivijaya ausgeübt
haben? Siehe hierzu auch K. A. N. Sastri, op.
dels erheblich zu investieren. So berichtet
cit., S. 318f. und 0. W. Wolters, The Fall of
eine Inschrift in Guangzhou im Jahre 1079, 'Srivijaya in Malay History, London 1970, S.
daß der Maharaja von Srivijaya (Palem- 15, die diese Fragen verneinen.
bang) für Reparatur und Unterhalt eines 26 K.A.N. Sastri, op.cit., S. 219. Ferner A . Neto-
litzky, Das Ling-wai tai-ta von Chou Ch 'ü -fei .
24 0. W. Wolters, op.cit., S. 251 und P. Wheat- Eine Landeskunde Südchinas aus dem 12.
ley, op.cit., S. 25. Jahrhundert, Wiesbaden 1977, S. 39.

20
Malakka, auszubauen. Etwa im Jahre 1068 rechterhaltung günstiger Handelsbedin-
griffen sie allerdings nochmals kurzfristig gungen mit den Ländern Südostasiens inter-
in Thronstreitigkeiten in Srivijaya ein. In essiert waren. Eine Inschrift auf Sumatra
einer Inschrift in Südindien heißt es hier- aus dem Jahre 1088 zeugt ferner von der
zu: Der Cola König "eroberte Kadaram auf Anwesenheit einer südindischen Händler-
Veranlassung des Königs, der gekommen gilde auch in Srivijaya.29 Auch Bronze-
war, um Hilfe und Schutz zu erbitten, und er und Steinskulpturen, die auf Sumatra ent-
übergab ihm das eroberte Land"27. Diese deckt wurden, weisen in diesen Jahrzehnten
Hilfe für einen Thronanwärter Srivijayas auf einen starken und in einigen Fällen
sollte den Colas in den Augen Chinas wohl sogar direkten Einfluß der Cola-
zunächst aber nicht zum Ruhme gereichen, Kunst im Reiche von Srivijaya hin. All
denn im folgenden Jahrzehnt wurden sie in dies deutet letztlich auf eine Rückkehr zu
den offiziellen Berichten Chinas nur als ein den früheren friedlichen Beziehungen zwi-
"Lehensstaat" Srivijayas aufgeführt, ein schen Indien und Südostasien hin. Und als
"Mißverständnis", dem möglicherweise sollte sich der Kreis schließen, erkennt im
Srivijaya durch gezielte Fehlinformation Jahre 1090 der Cola-König Kulottunga I.
nachgeholfen hatte. Die Colas konnten erneut die Landstiftungen seiner Vorgänger
sich von diesem Makel erst durch eine er- an das Kloster Srivijayas in der südindi-
neute eigene Mission an den chinesischen schen Hafenstadt an. Im Jahre 1114 trifft
Hof im Jahr 1077 befreien, die aus insge- dann abermals ein Botschafter des Königs
samt 72 Männern bestand, die reich be- von Angkor ein, der dem Cola-König einen
schenkt nach Südindien zurückkehrten. 0. wertvollen Edelstein überbringt, den dieser
W. Wolters weist darauf hin, daß das in einer feierlichen Zeremonie dem tanzen-
Ansehen des neuen Cola-Königs Kulottunga den Gott Siva-Nataraja in der südindi-
1. am chinesischen Hofe derart hoch war, schen Tempelstadt Cidambaram weihte. 30
daß seiner Mission zwei bedeutende pro-
tokollarische Ehren widerfuhren. Darauf Der Indische Ozean im Spätmitte/alter
bemühten sich Botschafter Srivijayas in
den Jahren 1079 und 1088 erfolgreich um die Die weitere Geschichte des Indischen
gleichen Privilegien.28 Ozeans vor der europäischen Expansion
Viele Anzeichen sprechen aber dafür, kann hier nicht einmal umrißartig aufge-
daß die Colas weiterhin auch an der Auf-
29 K.A.N. Sastri, "A Tamil Merchant-Guild in
27 K.A.N. Sastri, op.cit., S. 271 und 0.W. Wol- Sumatra", in: Tijdschrift voor Indische Taal -
ters, The Fall of Srivijaya in Malay History, Land- en Volkenlcunde, 72 (1932), 314-327.
London 1970, S. 93. 30 Epigraphia Jndica, Bd. V, S. 105, siehe hierzu
28 O.W. Wolters, op.cit., S. 93. auch K.A.N. Sastri, The Colas, S. 317 und 325.

21
zeigt werden. Doch zur Vervollständigung Zheng He, in deren Verlauf zwischen 1405
des Bildes sei noch auf drei Ereignisse kurz und 1433 chinesische Flotten schrittweise
hingewiesen. Der deutliche Rückgang der bis Java, Sumatra, Sri Lanka und Kalikut,
Macht der Colas und ihr Untergang im dann ein weiteres Mal in den Persischen
späten 13. Jh. bedeutete keineswegs einen Golf und schließlich bis zur Hafenstadt
Rückgang des indischen Handels im Indi- Djidda am Roten Meer und an die Ostküste
schen Ozean. Seit der Begründung des Afrikas vorstießen.32 Während Malakka
Delhi-Sultanates durch türkisch-afghani- innerhalb weniger Jahrzehnte zur bedeu-
sche Eroberer im Jahre 1206 begann eine tendsten Handelsmetropole zwischen dem
zweite Phase der Islamisierung in Süd- und Vorderen Orient und China aufstieg, brach
Südostasien, die besonders schnell in den China aus Gründen, die uns hier nicht in-
für den transasiatischen Handel so wichti- teressieren können, am Vorabend der euro-
gen Hafenstädten Indiens und Südostasiens päischen Expansion seine eigenen, so er-
erfolgreich war. Wie schon in der Mitte des folgreich begonnenen und fast zeitgleichen
1. Jahrtausends n.Chr. die Ausbreitung der Entdeckungsfahrten ebenso unvermittelt ab,
indischen Kultur nach Südostasien stark wie diese dreißig Jahre zuvor begonnen
durch den indischen Seehandel gefördert hatten. Dennoch bilden beide Ereignisse,
wurde, so waren es auch im späten 13. und die Gründung Malakkas und Zheng Hes
verstärkt seit dem 14. Jh. indisch-muslimi- Flottenunternehmungen, gleichzeitig Hö-
sche Händler und in den indischen Häfen hepunkt und - wegen der bald darauf erfol-
seßhaft gewordene Muslime aus dem Vor- genden Expansion Europas in Asien (1511
deren Orient, die den Islam nach Südosta- erobert Portugal Malakka) - allerdings
sien und bis an die Küsten Chinas trugen und auch den vorläufigen Abschluß eines ge-
in zunehmendem Maße auch den Seehandel samtasiatischen Prozesses, dem wir bereits
Indiens mit Südostasien und China unter im 11. Jh. im Kampf um Vorherrschaft und
ihre Kontrolle brachten.31 Marktanteile im Indischen Ozean begegnet
Anfang des 15. Jh. traten dann zwei waren. Das Ergebnis dieses Prozesses und
für die Geschichte des Indischen Ozeans seiner Dynamik war die Entstehung eines
epochale Ereignisse ein: Die Gründung eng geknüpften Netzes intensiver wirt-
Malakkas in den Jahren 1401/03 in direkter schaftlicher und eben auch politischer Be-
Nachfolgeschaft von Srivijaya und die ziehungen, die die gesamte südliche
sieben berühmten chinesischen Flottenun- Hemisphäre Asiens umfaßten. Dieses Netz
ternehmen des kaiserlichen Eunuchen wies deutlich regionale Schwerpunkte auf,

31 Siehe hierzu neuerdings Janet L. Abu-Lug- 32 R. Ptak, Cheng Hos Abenteuer im Drama
h o l d, Before European Hegemony . The und Roman der Ming-Zeit, Stuttgart 1986, S.
World System A.D. 1250-1350, New York 1989. 13-30.

22
die jedoch alle jederzeit in der Lage waren, die im späten 10. und im 11. Jh. im gesamten
in, heute würde man sagen, bilaterale und Indischen Ozean besonders erfolgreich tä-
multilaterale Beziehungen zueinander zu tig waren. Und letztlich diente all dies,
treten. Es war u.a. die Existenz dieses asia- wenn auch unter Einsatz anderer Mittel als
tischen Netzwerkes, die es Portugal Anfang jener der zeitgenössischen Sung-Kaiser
des 16. Jh. ermöglichte, sich so schnell und Chinas, der Erhöhung der Steuereinnahmen
so erfolgreich weiter Teile des transasiati- aus dem internationalen Seehandel.
schen Handels zu bemächtigen. Bei der Beantwortung der Frage, ob
das vorgelegte Material ausreicht, um für
Zusammenfassung das 11. Jh. beispielhaft die Existenz einer
kausal verketteten gesamtasiatischen Ge-
Abschließend sei nun noch kurz auf schichte nachzuweisen, gilt es zunächst zu
einige der eingangs aufgeworfenen Fragen bedenken, daß meine Ausführungen nur
zurückgekommen. Die Frage, ob sich die eine, wenn auch sicherlich sehr wichtige
Colas bei ihrem Überfall auf Srivijaya Teilregion Asiens umfaßten. Große und
vom Wunsch nach Beute, Weltherrschaft ebenso wichtige Teilgebiete wie der Vor-
oder Marktanteilen leiten ließen, läßt sich dere Orient und Zentralasien und deren
anhand der wenigen Quellen, die wir wechselseitige Beziehungen zu andern Tei-
besitzen, sicherlich nicht endgültig be- len Asiens mußten dagegen weitgehend un-
antworten. Doch nach einem bloßen Beute- berücksichtigt bleiben. Hier denke man
zug sieht das planvolle und sich über Jahr- etwa an die vielseitigen kulturellen, wirt-
zehnte erstreckende, zielstrebige Vorgehen schaftlichen und auch politischen Be-
der Colas nicht aus, dann wohl schon eher ziehungen, die sich entlang der Seiden-
nach einer, dem indischen Königsideal straße, dem festländischen Pendant zur
entsprechenden symbolischen Eroberung der maritimen Südroute, abspielten.33 Das hier
vier Weltgegenden. Doch bedenkt man den nur umrißartig für eine Großregion entwor-
hier aufgezeigten Kontext der südindischen fene Bild wirtschaftlicher, politischer und
und der weiteren gesamtasiatischen Ge- kultureller Kommunikationsprozesse im
schichte im späten 10. und frühen 11. Jh., so vormodernen Asien ließe sich also noch be-
drängt sich die Vermutung auf, daß die Co- trächtlich ergänzen und räumlich erwei-
las nach stärkerem Einfluß oder gar teil- tern. Weiterhin sei angemerkt, daß bei
weiser Kontrolle über das sich immer eng-
maschiger verflechtende Netz interna- 33 Siehe hierzu z.B. die kürzlich erschienene
tionaler Handelsbeziehungen im Indischen überaus aufschlußreiche Monographie von
Ozean strebten. Dabei dürfte es ihnen auch H.W. Haussig, Die Geschichte Zentralasiens
um eine Erhöhung der Marktanteile der und der Seidenstraße in islamischer Zeit ,
südindischen Händlergilden gegangen sein, Darmstadt 1988.

23
diesem einführenden Versuch, historische die Vorstellung, die Geschichte der Land-
Kommunikationsprozesse zwischen Süd-, mächte "im Hintergrund" sei von der Dy-
Südost- und Ostasien im 11. Jh. aufzuzeigen, namik des Seehandels unberührt geblieben.
die Ereignisgeschichte stark, vielleicht zu Genau das Gegenteil scheint der Fall
stark, im Vordergrund stehen mußte, wäh- gewesen zu sein. Gänzlich unhaltbar dürfte
rend strukturgeschichtliche Fragen nur am aber die Auffassung sein, die mit Braudel
Rande behandelt werden konnten. Auch in auch andere Asienhistoriker der frühen
dieser Hinsicht gäbe es also noch manches Neuzeit weiterhin zu vertreten scheinen,
zu ergänzen, das auf eine interdependente daß sich die asiatische Geschichte in dem
Entwicklung in den asiatischen Groß- Jahrtausend vor 1500 (und damit vor der
regionen schließen läßt. Entstehung des Wallersteinschen modernen
Dennoch hoffe ich, durch meine Aus- Weltsystems) in "monotoner Wiederholung
führungen aufgezeigt zu haben, daß es auch erschöpft" habe. Statt dessen dürfte die
in Asien, wenn auch vielleicht nicht ganz vormoderne Geschichte Asiens und seiner
im Hegelschen Sinne, zur Herausbildung Großregionen nicht gänzlich unähnlichen
"wahrhaft politischer Zustände" kam und Prozessen unterworfen gewesen sein, wie sie
daß die vormoderne asiatische Geschichte die Geschichte des vormodernen Europas
sehr viel mehr darstellt, als nur "die Ge- kennzeichnen.34 Sollte diese Feststellung
schichte der aufeinanderfolgenden Ein- Verwunderung hervorrufen, so kann uns
dringlinge, die ihre Reiche auf der passi- schon ein Blick auf eine Landkarte Eura-
ven Grundlage dieser widerstandslosen, siens weiterhelfen, die uns zeigt, daß Eu-
sich nicht verändernden Gesellschaft er- ropa ebenso ein Subkontinent des eurasia-
richteten," wie Marx vermutet hatte. Daß tischen Gesamtkontinents bildet, wie dies
sich diese Deutungen der Geschichte Asiens etwa auch die westasiatischen, südasiati-
durch das Europa des 19. Jh. heute nicht schen und ostasiatischen "Subkontinente"
mehr halten lassen, wird niemanden sonder tun.35
lieh verwundern. Bemerkenswerter dürfte
es dagegen sein, daß auch gewisse Axiome
selbst neuester strukturgeschichtlicher Ar- 34 H. Kulke, "Gibt es ein indisches Mittelalter?
beiten über Asien revisionsbedürftig sind. Versuch einer eurasiatischen Geschichtsbe-
Die Braudelsche Metapher vom Handel im trachtung", in: Saeculum, 33 (1982), 221-239.
Indischen Ozean als einer Wippe, die 35 L. Abu-Lughod, op. cit., spricht für die Zeit
letztlich nur mechanisch auf Anstöße von vor der europäischen Expansion von einem
außen, also von der arabisch-persischen "Europäischen Subsystem".
oder der chinesischen Welt, reagiert habe,
wird der inneren Dynamik des transasiati-
schen Handels ebenso wenig gerecht wie

24

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