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Geschichte der Frühen Neuzeit Hexenverfolgungen 1

Hexenverfolgung – Was sind Mythen, was historische Wahrheiten?


Zwölf historische Wahrheiten über die Hexenverfolgung
So hat sich die mitteleuropäische Hexenverfolgung ins Bewusstsein der Menschen eingepflanzt: als sadistische
Verfolgung von Frauen in Gerichtsverfahren, in denen Männer, zumeist Kirchenvertreter, den Angeklagten
aufgrund irrwitziger Beschuldigungen den Prozess machten – ohne Blick auf entlastende Gesichtspunkten, ohne
Beteiligung der Öffentlichkeit und ohne Rechtsschutz für die Frauen. Stimmt das?
1. Nicht nur Frauen waren Opfer
Selbst wenn es noch so offensichtlich zu sein scheint: Frauen, aber bei weitem nicht nur Frauen fielen den Hexenjägern
und -richtern zum Opfer. Ihr Anteil lag in Deutschland im Zeitraum von 1530 bis 1730 bei 76 Prozent, in manchen
Regionen, zum Beispiel im Bereich des Pariser Appellationsgerichts, sogar bei "nur" 50 bis 60 Prozent. Während in
katholischen Regionen bis zu 30 Prozent der Hingerichteten Männer waren, verringert sich ihr Anteil in protestanti-
schen oder reformierten Gebieten (England, Schottland, Schweden oder Niederlande) auf zehn bis 15 Prozent. Einer der
Gründe für den weiblichen Überhang: Die im katholischen Bereich massgebliche Bibelübersetzung Vulgata übersetzt
die Stelle 2. Mose 22,18 mit "Die Zauberer sollst du nicht leben lassen", die Lutherübersetzung (in Anlehnung an den
hebräischen Text) hingegen: "Die Hexen sollst du nicht leben lassen". Männer hatten übrigens bessere Chancen, das
Verfahren zu überstehen, weil sie im Durchschnitt wohlhabender und einflussreicher als die Frauen waren. Diese näm-
lich zählten überwiegend zu den unteren sozialen Schichten.
2. Es traf keine bestimmten Berufsgruppen
Die Verfolgung traf Menschen unterschiedlichster Herkunft und Berufe und zwar oft völlig unerwartet. Von einem
strategischen Vorgehen gegen bestimmte Berufsstände wie zum Beispiel Hebammen oder Heilerinnen kann nicht die
Rede sein. Die fragwürdige These der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, die Hexenverfolger hät-
ten "weise Frauen" wie zum Beispiel Hebammen systematisch vernichten wollen, um deren Kenntnisse über Empfäng-
nisverhütung und Abtreibung zu verdrängen und die Bevölkerungsentwicklung zugunsten von Staat und Kirche positiv
zu beeinflussen, gilt unter Historikern als widerlegt. Der Trierer Historiker Franz Irsigler hat zum Beispiel für das 16.
und 17. Jahrhundert im Trierer Raum rund 800 weibliche Prozessopfer belegen können, darunter lediglich drei Heb-
ammen. Die Gründe für die Verfolgung lagen nämlich weniger in der Person der Betroffenen, als vielmehr in den Moti-
ven der Verfolger. Auch Adlige, Richter, Bischöfe, Theologen, Gastwirte, Postmeister, ja selbst Leiterinnen von Klös-
tern kamen vor Gericht.
Wenn es bestimmte Schwerpunkte unter den Opfergruppen gab, dann die überwiegend verarmte, entwurzelte Menschen
vom Land, die "unterbäuerliche" Schicht. Doch auch sie wurde nicht gezielt verfolgt, sondern ihre Verfolgung ergab
sich aus den Lebensumständen. Die Verfolgung nahm häufig im zeitlichen Zusammenhang mit Hungersnöten zu. Sie
spiegeln auch die Verunsicherung der Menschen am Beginn der Neuzeit.
3. Die Beschuldigung – ein vielseitiges Werkzeug
Der Vorwurf des Schadenszaubers wurde in vielen Fällen vorgeschoben, wenn man die Menschen wegen anderer Taten
nicht belangen konnte. Diebstahl, Sodomie, Alkoholmissbrauch: Auch in solchen Fällen kam es zu Anklagen wegen
Hexerei. So, wie Richter ihre Anklage teilweise frei konstruierten, so folgten auch die "Besager", also die Denunzianten
oder "Zeugen", nicht selten eigenwilligen, oft eigennützlichen Zielen: der Wunsch nach Scheidung, die frühere Verfü-
gung über einen Erbteil, der Besitzerwerb von Nachbarn, Befriedigung persönlicher Rachegefühle, Ausschaltung von
Konkurrenten um Wirtschaftsmonopolrechte, Sühne nicht verfolgter anderer Verbrechen. Und so manche Kirchenge-
meinde ist ihren Pfarrer, der in einem skandalösen Konkubinat lebte, mit Hilfe eines Hexenprozesses losgeworden.
4. Erst missbraucht, dann der Hexerei beschuldigt
Menschen mit psychischen Verletzungen oder Problemen lebten hoch gefährlich. Pubertäre
Schüler, frühreife Mädchen, "schwermütige" (depressive), hysterische oder über ihre Ver-
gewaltigung klagende Frauen, im Umgang mit dem Gesinde pedantisch auftretende Adlige:
Sie alle konnten den Verdacht auf sich ziehen, Buhlen des Teufels zu sein (siehe Bild
rechts) und in dessen Auftrag Schadenszauber zu verüben. Es gibt auch Beispiele dafür,
dass aus Vergewaltigungsprozessen, die zur Bestrafung der Täter eröffnet worden waren,
Hexenprozesse gegen die vergewaltigten Frauen wurden. Auch Selbstanzeigen und Selbst-
bezichtigungen von psychisch kranken Frauen kamen vor. Selbst wenn Zeugen diese
Selbstbezichtigungen widerlegten, wurde das Verfahren nicht beendet.
5. Mit den Müttern wurden ihre Kinder verurteilt
War die Mutter als Hexe verurteilt und hingerichtet worden, gerieten auch ihre Kinder
leichter in Verdacht. Verhandlungen gegen Kinder, ihre Folterung und Hinrichtung waren
keine Seltenheit – der Teufel machte angeblich keinen Unterschied zwischen Gross und Klein. Besagungen gegen Fa-
milienmitglieder wurden von den Gerichten zugelassen und anerkannt. Die Kinder galten als die durch ihre Eltern zu-
erst Verführten. In den Akten finden sich häufiger Familien, in denen über Generationen hinweg Frauen wegen Zaube-
rei hingerichtet wurden.
6. Die Anzeigen waren anonym, das liess die Hemmschwelle sinken
Prozessual muss man sagen, dass die Besagungen, also die anonyme Beschuldigung ohne nachfolgende Überprüfung
oder Zeugenaussagen, einer der Hauptgründe war für die schnelle Ausweitung vieler Verfolgungswellen. Gerade weil
sich die Besager nicht öffentlich zu erkennen geben mussten, kam es zu absurden Angaben in atemberaubender Zahl.
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Die bis heute erhaltenen Besagungslisten sprechen Bände. Hexenprozesse gegen einzelne Personen waren selten, denn
zumindest beim Hexensabbat muss sich der Angeklagte angeblich mit anderen Hexen getroffen haben. Die teilweise
und mancherorts übliche öffentliche Verlesung von Geständnissen und der Listen der Besagten tat ein übriges: Sie
wirkte wie eine Einladung zu neuen Verdächtigungen.
7. Viele Opferzahlen waren zu hoch gegriffen
Viele Zahlangaben sind entschieden zu hoch gegriffen. Vor allem
in der Frauenbewegung wurden bisweilen masslos übersteigerte
Zahlen genannt. Die feministische Zeitschrift "Woman Hating"
zum Beispiel schätzte 1974 die Zahl auf neun Millionen. Histori-
ker geben die Zahl der Hinrichtungen zwischen 1450 und 1750 in
ganz Europa und der Neuen Welt mit 60 000 bis 110 000 an.
Selbst wenn man hohe Aktenverluste annimmt, ist nach einer
Schätzung des renommierten Hexenforschers Franz Irsigler von
der Universität Trier die Zahl der Hinrichtungen "nicht wesentlich
höher als 80 000". Andere sind noch zurückhaltender, sprechen
von ca. 60 000 Toten. [Abbildung rechts: Zahlen der wegen Hexerei
Hingerichteten in Südwestdeutschland in der Frühen Neuzeit >>]
8. Evangelische und katholische Hexenjäger waren gleich fleissig
Die Konfessionen haben keinen grossen Einfluss auf die Zahl der Prozesse. Die spanische Halbinsel – allerdings ohne
die Pyrenäen – und Süditalien sind weitgehend frei von Hexenprozessen geblieben, wie der Historiker Gerhard Schor-
mann schreibt. In Irland, England, Skandinavien und in Polen, Böhmen und Ungarn hat es offensichtlich weniger Opfer
gegeben als in den Kernländern der Hexenprozesse: Frankreich, Norditalien, Alpenländer, Deutschland, Beneluxländer
und Schottland. Wichtiger als konfessionelle Zugehörigkeit waren soziale und wirtschaftliche Krisensituationen und die
Anwesenheit von besonders engagierten Hexenjägern. So konnte in zwei nebeneinander liegenden Territorien die Ent-
wicklung gegenläufig sein. Wichtig war auch, ob die Obrigkeit die Hexenjagd förderte oder zumindest billigte.
9. Die weltlichen Gerichte taten sich besonders negativ hervor
Hexenjagd – ein kirchliches Anliegen? Als die grossen Hexenverfolgungen in Wellen durch Europa liefen, im späten
16. und im 17. Jahrhundert, taten sich die weltlichen Richter ebenso wie die geistliche Führungsschicht der Länder mit
ihrem Hexenwahn hervor. Auf dem Höhepunkt des Hexenwahns spielte die kirchliche Gerichts-
barkeit im Vergleich zur weltlichen kaum noch eine Rolle. "Die Verantwortung verteilt sich brei-
ter, als nach der älteren, zum Teil noch vom Kulturkampf beeinflussten Forschungsdiskussion
anzunehmen war", urteilte der Trierer Forscher Franz Irsigler. Es war auch zuvor schon keines-
wegs so, als ob die Inhalte des „Hexenhammers“ widerspruchslos von der kirchlichen Hierarchie
übernommen worden wären. Ein Brixener Bischof erklärt dessen Autor Institoris sogar für ver-
rückt. [Der „Hexenhammer“ (lat. Malleus maleficarum) von Heinrich Institoris aus dem Jahre 1487 war
ein Handbuch für die Hexenverfolgung.]
10. Universitäten prüften und bestätigten viele Urteile
Für die Hexenprozesse galten hohe wissenschaftliche Standards, die Urteile galten als "wissenschaftlich abgesichert".
Todesurteile wurden in aller Regel von Universitäten gegengeprüft. Dies entspricht einer Empfehlung des Strafgesetz-
buches von 1532, der Carolina ("Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V."). Sie hatte die Einbeziehung von juris-
tischen Fakultäten angeregt, deren Entscheidung dann aber auch als rechtverbindlich galt. Neben juristischen erstellten
auch theologische Fakultäten Gutachten. Die meisten Hexenprozesse fanden vor der geistigen Öffentlichkeit ihrer Zeit
statt. Das war allerdings keine Garantie für eine liberalere Handhabung des Strafrechts. Im Gegenteil: Die Rintelner
Juristenfakultät (Westfalen) vertrat sehr harte Standpunkte gegen die beschuldigten Frauen. In der Juristenfakultät in
Halle gab es verschiedene Fraktionen.
11. Die Hexenprozesse – einträgliches Geschäft für die Richter
Und immer wieder das liebe Geld. Stärker noch als sadistische oder dogmatische Gründe spielten wirtschaftliche eine
Rolle: Die Prozesskosten waren erheblich. Verdient haben die Richter und Henker, nicht aber die Lehnsherren. Grund-
sätzlich galt: Die Angeklagten oder ihre Familien mussten die Kosten bezahlen. Waren die Beschuldigten zu arm, um
die Kosten selbst zu tragen, erklärten sich bisweilen die Gemeinden oder Einzelpersonen bereit, für die Kosten aufzu-
kommen. Das Gerichtspersonal liess es sich vielerorts auf Kosten der Angeklagten gut gehen: Sie speisten und tranken
viel und anspruchsvoll und amüsierten sich dabei ordentlich. Mit Rechtsverordnungen mussten die Spesensätze be-
grenzt werden (wie zum Beispiel in Trier 1591).
12. Die Hexenverfolgung: ein Betätigung ganzer Dörfer
Bei aller Verwunderung über den Hexenwahn der Menschen darf man nicht vergessen: Aberglaube war allgemein stark
verbreitet, auch im kirchlichen Bereich. Sie war keineswegs nur auf die unmittelbar Beteiligten der Hexenprozesse
begrenzt. Im Gegenteil: Ganze Dörfer machten Druck auf die Hexenjäger und Richter, um bestimmte Menschen loszu-
werden. Zum Teil nahm die Bevölkerung Verdächtige auch selbst gefangen und führte sie den Richtern zu. Spätestens
bei dieser Erkenntnis wird deutlich, dass die Verfolgung von Hexen ein Anliegen weiter Bevölkerungskreise war. Die
Hexenverfolgungen waren ganz eindeutig ein Massenwahn.
Quelle: https://www.luther2017.de/kr/wiki/hexen/hexenverfolgung-was-sind-mythen-was-historische-wahrheiten/ (Zugriff:
24.2.2015).

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