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Georg
Büchner
Woyzeck
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Georg Büchner
Woyzeck
Drama
Herausgegeben von
Johannes Diekhans
Die vorliegende Textausgabe folgt in Szenenabfolge und Wortlaut der
von Lehmann herausgegebenen Text- und Bühnenfassung aus dem
Jahre 1967. Zitiert wird nach folgender Ausgabe:
Georg Büchner: Werke und Briefe.
Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner R. Lehmann.
Kommentiert von Karl Pörnbacher, Gerhard Schaub, Hans Joachim
Simm und Edda Ziegler. München, Deutscher Taschenbuchverlag
71986.
www.schoeningh-schulbuch.de
Schöningh Verlag, Jühenplatz 1-3, 33098 Paderborn
ISBN 978-3-14-022314-0
Georg Büchner: Woyzeck
. Dramentheoretische Aspekte
G. Freytag (1863): Die Technik des Dramas.
Kap:2: Der Bau des Dramas ... Men... 0er 98
H. Geiger/H. Haarmann: Formtypen des Dramas
(geschlossene und offene Form) ................ 100
. Literatur
Wovzeck
Personen
FRANZ WOYZECK-
MARIE.
HAUPTMANN
DOKTOR
-TAMBOURMAJOR
-EISFEROFFIZER
ANDRES „Z—
"MARGREFH—
_AUSRUFER VOR EINER BUDE-
MARKTSCHREIER-IM-INNEREN-DER-BUBE-
ALHTER-MANN, DER ZUM LEIERKASTEN-SINGT
KıiND--DAS-FANZT
‚DER-JUDE
_WIRT—
„
ERSTER-HANDWERKSBURSCH
„ZWEITER HANDWERKSBURSCH
KARL--EIN-IDIOT.
KÄTHE
GROßMUTTER -
ERSTESÄIND
ZWEITES-KIND
DriTFESKIND
ERSTE PERSON
ZWEITE-PERSON
GERICHTSDIENER
ARZT—
RICHTER
.SOLBATEN,-STUDENTEN;-BURSCHEN, MÄDCHEN UND KINDER—
6 Freies Feld/ Die Stadt
Es klopft am Fenster.
| anständig
2 Appell beim Militär. Das zur Kontrolle der Anwesenheit vorgenom-
mene Verlesen der Namen.
8 Buden. Lichter. Volk
Unteroffizier. Tambourmajor.
| Repräsentation
2 Anfang (frz.)
1 0) Kammer
vier Hufe ist Mitglied von alle gelehrte Sozietät, ist Profes-
sor an unse Universität, wo die Studente bei ihm reiten
und schlage lerne. Das war einfacher Verstand. Denk jetzt
mit der doppelte raison!. Was machst du, wann du mit
der doppelte Raison denkst? Ist unter der gelehrte Societe
da ein Esel? (Der Gaul schüttelt den Kopf.) Sehn Sie
jetzt die doppelte Räson? Das ist Viehsionomik?. Ja, das
ist kei viehdummes Individuum, das ist eine Person. Ei
Mensch, ei tierisch Mensch und doch ei Vieh, ei böte°.
(Das Pferd führt sich ungebührlich auf.) So beschäm die
societe. Sehn Sie, das Vieh ist noch Natur, unideale Na-
tur! Lern Sie bei ihm. Fragen Sie den Arzt, es ist höchst
schädlich. Das hat geheiße: Mensch, sei natürlich. Du bist
geschaffe Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr sein als
Staub, Sand, Dreck? Sehn Sie, was Vernunft, es kann
rechnen und kann doch nit an de Finger herzählen, wa-
rum? Kann sich nur nit ausdrücke, nur nit expliziern, ist
ein verwandelter Mensch! Sag den Herrn, wie viel Uhr es
ist. Wer von den Herrn und Damen hat eine Uhr, eine
Uhr?
UNTEROFFIZIER: Eine Uhr! (Zieht großartig und gemessen die
Uhr aus der Tasche.) Da, mein Herr.
MARIE: Das muss ich sehn. (Sie klettert auf den 1. Platz.
Unteroffizier hilft ihr.)
[4] Kammer
! Vernunft (frz.)
Physiognomik, eigentlich auf den Menschen bezogene Lehre, die
von der äußeren Erscheinung auf das innere Wesen zu schließen
sucht.
3 Tier (frz.)
Kammer 1 li
Gehrock
14 Kammer/ Auf der Gasse
[6] Kammer
Marie. Tambour-Major.
TAMBOUR-MAJOR: Marie!
MARIE (ihn ansehend, mit Ausdruck): Geh einmal vor dich
hin. - Über die Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein
5 Löw - So ist keiner - Ich bin stolz vor allen Weibern.
TAMBOUR-MAJOR: Wenn ich am Sonntag erst den großen Fe-
derbusch hab und die weiße Handschuh, Donnerwetter,
Marie, der Prinz sagt immer: Mensch, Er ist ein Kerl.
MARIE (spöttisch): Ach, was! (Tritt vor ihn hin.) Mann!
ı0o TAMBOUR-MAJOR: Und du bist auch ein Weibsbild. Sapper-
ment, wir wollen eine Zucht von Tambour-Majors anlegen.
He? (Er umfasst sie.)
MARIE (verstimmt): Lass mich!
TAMBOUR-MAJOR: Wild Tier.
ı5s MARIE (heftig): Rühr mich an!
TAMBOUR-MAJOR: Sieht dir der Teufel aus den Augen?
MARIE: Meintwegen. Es ist alles eins.
WOoxZEcK (sieht sie starr an, schüttelt den Kopf): Hm! Ich
»» seh nichts, ich seh nichts. O, man müsst’s sehen, man
müsst’s greifen könne mit Fäusten.
MARIE (verschüchtert): Was hast du, Franz? Du bist hirn-
wütig, Franz.
WOosxzEcK: Eine Sünde so dick und so breit. Es stinkt, dass
2» man die Engelchen zum Himmel hinaus rauche könnt. Du
hast ein rote Mund, Marie. Keine Blase drauf? Adieu, Ma-
rie, du bist schön wie die Sünde -. Kann die Todsünde so
schön sein?
MARIE: Franz, du red’st im Fieber.
30 WoYZEcK: Teufel! - Hat er da gestande, so, so?
MARIE: Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, könn’ viel
Mensche an eim Platz stehn, einer nach dem andern.
Beim Doktor 1:5
| Blasenschließmuskel
2 Vertrag, Abkommen
16 Beim Doktor
[9] Straße
I schlaganfallgefährdet
2 Gehirnschlag
18 Straße
25 Wovzeck. Andres.
ANDRES (singt):
Frau Wirtin hat 'ne brave Magd,
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht,
Sie sitzt in ihrem Garten ...
WovzEckK: Andres!
30 ANDRES: Nu?
WosZEcK: Schön Wetter.
[11] Wirtshaus
ERSTER HANDWERKSBURSCH:
Ich hab ein Hemdlein an, das ist nicht mein,
Meine Seele stinkt nach Branndewein ...
ZWEITER HANDWERKSBURSCH: Bruder, soll ich dir aus Freund-
vs schaft ein Loch in die Natur machen? Vorwärts! Ich will
ein Loch in die Natur machen. Ich bin auch ein Kerl, du
weißt, ich will ihm alle Flöh am Leib totschlagen.
ERSTER HANDWERKSBURSCH: Meine Seele, mei Seele stinkt
nach Branndewein. Selbst das Geld geht in Verwesung
30 über. Vergissmeinich! Wie ist diese Welt so schön. Bruder,
ich muss ein Regenfass vollgreinen. Ich wollt, unse Nasen
wärn zwei Bouteille! und wir könnte sie uns einander in de
| Flasche (frz.)
Wirtshaus 21
Hals gießen.
ANDRE (im Chor): Ein Jäger aus der Pfalz,
Ritt einst durch ein grünen Wald.
Halli, halloh, gar lustig ist die Jägerei
5 Allhier auf grüner Heid.
Das Jagen ist mei Freud.
! Anstreicher (hess.)
Bay Freies Feld/ Nacht/ Wirtshaus
WoyzeEck: Immer zu! Immer zu! Still Musik! (Reckt sich ge-
gen den Boden.) Ha was, was sagt ihr? Lauter, lauter, -
stich, stich die Zickwolfin tot? Stich, stich die Zickwolfin
s tot. Soll ich? Muss ich? Hör ich’s da auch, sagt’s der Wind
auch? Hör ich’s immer, immer zu, stich tot, tot.
[13] Nacht
[14] Wirtshaus
[15] Kramladen
[16] Kammer
{ ohulll. ch & bpr ach
Marie. Der Narr.
z dr ud uns, Al Ur HS
[17] Kaserne
Mei Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die: Sonn auf die
Händ scheint. Das tut nix.
ANDRES (ganz starr, sagt zu allem): Jawohl.
Wozzeck (zieht ein Papier hervor): Friedrich Johann Franz
30 Woyzeck, Wehrmann, Füsilier? im 2. Regiment, 2. Batail-
lon, 4. Compagnie, geb. Mariä Verkündigung, ich bin heut
DOKTOR: Meine Herrn, ich bin auf dem Dach, wie David, als Kenb x
er die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de ?
Paris der Mädchenpension im Garten trocknen. Meine 1/4 IA
ı" Herrn, wir sind an der wichtigen Frage über das Verhält- « £
nis des Subjekts zum Objekt. Wenn wir nur eins von den Mel; E
Dingen nehmen, worin sich die organische Selbstaffirma-
tion des Göttlichen auf einem so hohen Standpunkte ma- Vorr
nifestiert, und ihr Verhältnis zum Raum, zur Erde, zum Pla- „ abe
15 netarischen untersuchen, meine Herrn, wenn ich diese * „
Katze zum Fenster hinauswerfe, wie wird diese Wesenheit
sich zum centrum gravitationis und dem eigenen Instinkt
verhalten? He, Woyzeck, (brüllt) Woyzeck!
WosyZEcK: Herr Doktor, sie beißt.
20 DOKTOR: Kerl, er greift die Bestie so zärtlich an, als wär’s sei-
ne Großmutter.
Woxzeck: Herr Doktor, ich hab 's Zittern.
DOKTOR (ganz erfreut): Ei, ei, schön, Woyzeck. (Reibt sich
die Hände. Er nimmt die Katze.) Was seh ich, meine
2» Herrn, die neue Spezies Hasenlaus, eine schöne Spezies,
(er zieht eine Lupe heraus) meine Herren - (die Katze
läuft fort). Meine Herrn, das Tier hat keinen wissen-
schaftlichen Instinkt. Meine Herrn, Sie können dafür was
anders sehen, sehn Sie, der Mensch, seit einem Viertel-
3 jahr isst er nichts als Erbsen, beachten Sie die Wirkung,
fühlen Sie einmal, was ein ungleicher Puls, da, und die
Augen.
' Sargmetapher
26 Marie mit Mädchen vor der Haustür
Großmutter, erzähl.
GROSSMUTTER: Es war einmal ein arm Kind und hat kei Vater
und kei Mutter, war alles tot und war niemand mehr auf
der Welt. Alles tot, und es ist hingangen und hat greint
5 Tag und Nacht. Und weil auf der Erd niemand mehr war,
wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freund-
lich an, und wie’s endlich zum Mond kam, war’s ein Stück
faul Holz, und da ist es zur Sonn gangen, und wie’s zur
Sonn kam, war’s ein verreckt Sonneblum, und wie’s zu
ıo den Sterne kam, waren’s klei golde Mück, die waren an-
gesteckt wie der Neuntöter! sie auf die Schlehe steckt,
und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erd ein umge-
stürzter Hafen? und war ganz allein, und da hat sich’s hin-
gesetzt und geweint und da sitzt es noch und ist ganz al-
15 lein.
WoxZEck: Marie!
MARIE (erschreckt): Was ist?
WoxzEck: Marie, wir wolln gehn. S’ ist Zeit.
MARIE: Wo hinaus?
WoxzeEck: Weiß ich’s?
Woyzeck allein.
Es verrät mich! Näher, noch näher! Was ist das für ein
Platz? Was hör ich? Es rührt sich was. Still. Da in der
Nähe. Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! (Was bist du so
bleich, Marie? Was hast du eine rote Schnur um den Hals?
Bei wem hast du das Halsband verdient, mit deinen Sün-
den? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab ich dich jetzt
gebleicht. Was hänge die schwarze Haar, so wild? Hast du
die Zöpfe heut nicht geflochten?) Da liegt was! Kalt, nass,
stille. Weg von dem Platz. Das Messer, das Messer, hab
ich’s? So! Leute. - Dort. (Er läuft weg.)
[25] Straße
Kinder.
Karı (hält das Kind vor sich auf dem Schoß): Der is ins
Wasser gefallen, der is ins Wasser gefalln, wie, der is ins
Wasser gefalln.
WoxZEcK: Bub, Christian.
\% KARL (sieht ihn starr an): Der is ins Wasser gefalln.
Woxzeck (will das Kind liebkosen, es wendet sich weg und
schreit): Herrgott!
KARL: Der is ins Wasser gefalln.
WOoYZEcK: Christianche, du bekommst en Reuter, sa, sa. (Das
5 Kind wehrt sich. Zu Karl.) Da, kauf dem Bub en Reuter.
KARL (sieht ihn starr an.)
WoxzEck: Hop! Hop! Ross.
KARL (jauchzend): Hop! Hop! Ross! Ross! (Läuft mit dem
Kind weg.)
Anhang
l. Georg Büchner - Lebensstationen!
Büchners Wohnhaus
in Zürich. In dem
linken Haus wohnte
80 Jahre später
Lenin.
1813 | 1813
17. Oktober: Georg Büchner | Napoleons Niederlage in
wird in Goddelau/Darmstadt| der Völkerschlacht bei
geboren. Leipzig (16.-19. Oktober
1813)
1814/15
Napoleon erhält 1814 die
Insel Elba als Fürstentum
zugewiesen, Rückkehr von
Napoleon im Frühjahr
1815, Niederlage bei
Waterloo, Verbannung auf
die Insel St. Helena;
Wiener Kongress — Neuord-
nung Europas, Zeit der
46 Anhang
Restauration, Deutscher
Bund
1816 1817
Familie zieht infolge der Wartburgfest
Versetzung des Vaters nach
Darmstadt
1819
Karlsbader Beschlüsse —
Pressezensur, Demagogen-
verfolgung u. a.
1822
Schüler der privaten
Erziehungs- und Uhnter-
richtsanstalt des Theologen
Carl Weitershausen
1825
Eintritt in das Humanistische
Gymnasium in Darmstadt
1830
Julirevolution in Frankreich
1830/31
Polnischer Aufstand
1831
März: Abschluss der
Gymnasialzeit
November: Aufnahme des
Medizinstudiums in Straßburg
1832 1832
März: heimliche Verlobung Hambacher Fest —
mit Wilhelmine (Minna) Massendemonstration
Jaegl&, Tochter seines
Vermieters und entfernten
Verwandten in Straßburg
Mai: Vortrag über deutsche
politische Zustände und die
Rohheit deutscher Studenten
Anhang Bl ee
vor Mitgliedern der
Studentenverbindung
„Eugenia“
1833
Oktober: Wechsel Büchners
zur Landes-Universität
Gießen
November: Leichte Hirn-
hautentzündung, über
Weihnachten Rückkehr zu
den Eltern nach Darmstadt
1834 1834
Januar: Büchner und Weidig Gründung des Deutschen
nehmen Kontakt auf. Zollvereins
Januar: Depressionen und
allgemeine Lebenskrise
führen im März zum
sogenannten Fatalismusbrief.
März: Gründung der
„Gesellschaft für Menschen-
rechte“ in Gießen
April: Gründung einer
gleichnamigen Sektion in
Darmstadt
August: Veröffentlichung des
„Hessischen Landboten“.
Verrat durch Konrad Kuhl.
Der Student Karl Minni-
gerode wird mit Exemplaren
des „Hessischen Landboten“
verhaftet.
September: Offizielle Ver-
lobung mit Minna Jaegle in
Darmstadt
November: Neuauflage des
„Hessischen Landboten“
1835
e „Dantons Tod“, Drama
48 _Anhang
2: Schriftzeugnisse
Briefe
An die Familie
Straßburg, den 5. April 1833. oo
' Jahrhundert
s0 Anhang
a An die Familie
Gießen, im Februar 1834.
[...] Ich verachte niemanden, am wenigsten wegen seines
Verstandes oder seiner Bildung, weil es in niemands Gewalt
liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden, —
o© weil wir durch gleiche Umstände wohl alle gleich würden
und weil die Umstände außer uns liegen. Der Verstand nun
gar ist nur eine sehr geringe Seite unseres geistigen Wesens,
und die Bildung nur eine sehr zufällige Form desselben. Wer
mir eine solche Verachtung vorwirft, behauptet, dass ich ei-
Pian nen Menschen mit Füßen träte, weil er einen schlechten
Rock anhätte. Es heißt dies, eine Rohheit, die man einem
im Körperlichen nimmer zutrauen würde, ins Geistige
übertragen, wo sie noch gemeiner ist. Ich kann jemanden
einen Dummkopf nennen, ohne ihn deshalb zu verachten;
die Dummheit gehört zu den allgemeinen Eigenschaften
der menschlichen Dinge; für ihre Existenz kann ich nichts,
es kann mir aber niemand wehren, alles, was existiert, bei
seinem Namen zu nennen und dem, was mir unangenehm
ist, aus dem Wege zu gehn. Jemanden kränken ist eine
25 Grausamkeit, ihn aber zu suchen oder zu meiden, bleibt
meinem Gutdünken überlassen. [...]] Man nennt mich einen
Spötter. Es ist wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht da-
rüber, wie jemand ein Mensch, sondern nur darüber, dass
er ein Mensch ist, wofür er ohnehin nichts kann, und lache
30 dabei über mich selbst, der ich sein Schicksal teile. [...] Der
Hass ist so gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn im
vollsten Maße gegen die, welche verachten. Es ist deren eine
große Zahl, die im Besitze einer lächerlichen Äußerlichkeit,
die man Bildung, oder eines toten Krams, den man Gelehr-
s samkeit heißt, die große Masse ihrer Brüder ihrem verach-
tenden Egoismus opfern. Der Aristokratismus ist die
schändliche Verachtung des heiligen Geistes im Menschen;
gegen ihn kehre ich seine eigenen Waffen; Hochmut gegen
Hochmut, s
e Spott ee
gegen Spott. [...] SAN LE
An )
Anhang 5]
An die Braut
[Gießen, nach dem I0. März 1834.]
[...] Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte
mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der
Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzli- 5
che Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine
unabwendbare Gewalt, allen und keinem verliehen. Der
Einzelne nur Schaum auf der Welt, die Größe ein bloßer
Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein
lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu er-
kennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es
fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckste-
hern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein
Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das
muss ist eins von den Verdammungsworten, womit der ıs
Mensch getauft worden. Der Ausspruch: Es muss ja Ar-
gernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, —
ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet,
stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen.
Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine
Brust legen! B. wird dich über mein Befinden beruhigt ha-
ben, ich schrieb ihm. Ich verwünsche meine Gesundheit.
Ich glühte, das Fieber bedeckte mich mit Küssen und um-
schlang mich wie der Arm der Geliebten. Die Finsternis
wogte über mir, mein Herz schwoll in unendlicher Sehn- >
sucht, es drangen Sterne durch das Dunkel und Hände
und Lippen bückten sich nieder. Und jetzt? Und sonst? Ich
habe nicht einmal die Wollust des Schmerzes und des
Sehnens. Seit ich über die Rheinbrücke ging, bin ich wie in
mir vernichtet, ein einzelnes Gefühl taucht nicht in mir
auf. Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen.
Ostern ist noch mein einziger Trost; ich habe Verwandte
bei Landau, ihre Einladung und Erlaubnis, sie zu besuchen.
Ich habe die Reise schon tausendmal gemacht und werde
nicht müde. — Du frägst mich: Sehnst du dich nach mir? 35{0%}
Nennst du’s Sehnen, wenn man nur in einem Punkt leben
kann und wenn man davon gerissen ist, und dann nur
noch das Gefühl seines Elendes hat? Gib mir doch Ant-
wort. Sind meine Lippen so kalt? [...]
52 _Anhang
An Gutzkow
[Straßburg]
[...] Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und
Absolutisten geteilt und muss von der ungebildeten und
[91] armen Klasse aufgefressen werden; das Verhältnis zwi-
schen Armen und Reichen ist das einzig revolutionäre Ele-
ment in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöt-
tin und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen
Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden.
Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die
Apoplexie!. Ein Huhn im Topf eines jedes Bauern macht
den gallischen Hahn verenden. [...]
An die Familie
Straßburg, 28. Juli 1835.
juna [...] Was übrigens die sogenannte Uhnsittlichkeit meines
Buchs [,Dantons Tod“, Anm. N.S.] angeht, so habe ich Fol-
gendes zu antworten: Der dramatische Dichter ist in mei-
nen Augen nichts als ein Geschichtsschreiber, steht aber
über Letzterem dadurch, dass er uns die Geschichte zum
zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine
trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hin-
einversetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere und
statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufga-
be ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so
2 or nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittli-
cher noch unsittlicher sein als die Geschichte selbst; aber
die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lek-
türe für junge Frauenzimmer geschaffen worden und da ist
es mir auch nicht übelzunehmen, wenn mein Drama eben-
oO so wenig dazu geeignet ist. Ich kann doch aus einem Dan-
ton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden
machen! Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so
musste ich sie eben liederlich sein, wenn ich ihre Gottlo-
sigkeit zeigen wollte, so musste ich sie eben wie Atheisten
0 sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausdrücke vor-
kommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne
Sprache der damaligen Zeit, wovon das, was ich meine
I Schlaganfall
Anhang 53
Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriss ist. Man könn-
te mir nur noch vorwerfen, dass ich einen solchen Stoff
gewählt hätte. Aber der Einwurf ist längst widerlegt. Wollte
man ihn gelten lassen, so müssten die größten Meis-
terwerke der Poesie verworfen werden. Der Dichter ist oa
An Gutzkow
Straßburg. [1836]
[...] Übrigens, um aufrichtig zu sein, Sie und Ihre Freunde
scheinen mir nicht gerade den klügsten Weg gegangen zu
sein. Die Gesellschaft mittelst der Idee, von der gebildeten
Klasse aus reformieren? Unmöglich! Unsere Zeit ist rein
materiell, wären Sie je direkter politisch zu Werk gegangen, 35
so wären Sie bald auf den Punkt gekommen, wo die Re-
form von selbst aufgehört hätte. Sie werden nie über den
Riss zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesell-
schaft hinauskommen.
54 _Anhang
Erste Botschaft
Vorbericht Darmstadt, im Juli 1834.
25 Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit mel-
den, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar
der, welcher die Wahrheit liest, wird durch meineidige
Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies
Blatt zukommt, Folgendes zu beobachten:
so I. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses
vor der Polizei verwahren;
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen;
3. denen, welchen sie nicht trauen wie sich selbst, dürfen
sie es nur heimlich hinlegen;
Anhang 55
Staat also sind alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze,
durch welche das Wohl aller gesichert wird und die aus
dem Wohl aller hervorgehen sollen. — Seht nun, was man
in dem Großherzogtum aus dem Staat gemacht hat; seht,
was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten! 700 000 ıo
Menschen bezahlen dafür 6 Millionen, d. h. sie werden zu
Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ord-
nung leben. In Ordnung leben heißt hungern und geschunden
werden.
Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben ER5
Militär. Er beruft die Landstände, vertagt sie oder löst sie auf.
Die Stände dürfen keinen Gesetzesvorschlag machen, sondern
sie müssen um das Gesetz bitten, und dem Gutdünken des Fürs-
ten bleibt es unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verwei-
gern. Er bleibt im Besitz einer fast unumschränkten Gewalt, nur
darf er keine neuen Gesetze machen und keine neuen Steuern
ausschreiben ohne Zustimmung der Stände.
[...] Das ganze deutsche Volk muss sich die Freiheit erringen.
Und diese Zeit, geliebte Mitbürger, ist nicht ferne. — Der Herr
hat das schöne deutsche Land, das viele Jahrhunderte das herr- so
lichste Reich der Erde war, in die Hände der fremden und ein-
heimischen Schinder gegeben, weil das Herz des deutschen
Volkes von der Freiheit und Gleichheit seiner Voreltern und von
der Furcht des Herrn abgefallen war, weil ihr dem Götzendiens-
te der vielen Herrlein, Kleinherzoge und Däumlings-Könige euch :5
ergeben hattet.
Der Herr, der den Stecken des fremden Treibers Napoleon zer-
brochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen
Tyrannen zerbrechen durch die Hände des Volks. [...] Gott wird
euch Kraft geben, ihre Füße zu zerschmeißen, sobald ihr euch
5 bekehret von dem Irrtum eures Wandels und die Wahrheit er-
kennet: dass nur Ein Gott ist und keine Götter neben ihm, die
sich Hoheiten und Allerhöchste, heilig und unverantwortlich nen-
nen lassen, dass Gott alle Menschen frei und gleich in ihren
Rechten schuf und dass keine Obrigkeit von Gott zum Segen
ıo verordnet ist als die, welche auf das Vertrauen des Volkes sich
gründet und vom Volke ausdrücklich oder stillschweigend er-
wählt ist [...]. [...]
Sehet an das von Gott gezeichnete Scheusal, den König Ludwig
von Bayern, den Gotteslästerer, der redliche Männer vor seinem
ıs Bilde niederzuknien zwingt und die, welche die Wahrheit bezeu-
gen, durch meineidige Richter zum Kerker verurteilen lässt; das
Schwein, das sich in allen Lasterpfützen von Italien wälzte, den
Wolf, der sich für seinen Baals'-Hofstaat für immer jährlich
fünf Millionen durch meineidige Landstände verwilligen lässt,
20 und fragt dann: ‚Ist das eine Obrigkeit von Gott zum Segen ver-
ordnet?‘
Ha! Du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus;
Du raubst, du schindest, kerkerst ein,
25 Du nicht von Gott, Tyrann!
Ich sage euch: Sein und seiner Mitfürsten Maß ist voll. Gott, der
Deutschland um seiner Sünden willen geschlagen hat durch
diese Fürsten, wird es wieder heilen. ‚Er wird die Hecken und
Dörner niederreißen und auf einem Haufen verbrennen.‘ Je-
30 saias 27,4. [...] Der Herr wird ihre Körber zerschmeißen, und in
Deutschland wird dann Leben und Kraft als Segen der Freiheit
wieder erblühen. [...] Aber wie der Prophet schreibet, so wird es
bald stehen in Deutschland: Der Tag der Auferstehung wird
nicht säumen. In dem Leichenfelde wird sich’s regen und wird
ss rauschen, und der Neubelebten wird ein großes Heer sein.
Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser,
die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen,
und durch eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihrer
sind vielleicht 10 000 im Großherzogtum und Eurer sind
es 700 000, und also verhält sich die Zahl des Volkes zu or
| Reitersoldaten
62 _Anhang
(Aus: Die Märchen der Gebrüder Grimm. Vollständige Ausgabe. Mit Rebroduktionen
nach Holzstichen von Ludwig Richter. Berlin: Verlag neues Leben, 1990, S. 612f.)
Anhang 65
4. Unruhige Zeiten:
Historischer Hintergrund
Bundesuniversitätsgesetz
=]
$ I. Es soll bei jeder Universität ein mit zweckmäßigen In-
2 struktionen und ausgedehnten Befugnissen versehener, am
Orte der Universität residierender, außerordentlicher lan-
desherrlicher Bevollmächtigter, entweder in der Person
des bisherigen Kurators oder eines anderen, von der Re-
gierung dazu tüchtig befundenen Mannes angestellt wer-
Bundespressegesetz
$ I. Solange als der gegenwärtige Beschluss inkraft bleiben
wird, dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter
so oder heftweise erscheinen, desgleichen solche, die nicht
über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem deutschen
Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhal-
tung der Landesbehörden zum Druck befördert werden.
2
(Aus: Ernst Rudolf Huber (Hrg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte.
Band I. Stuttgart/Berlin/Mainz/Köln: Kohlhammer. 3., neubearb. u. verm. Aufl., 1978,
5. 100-103)
Anhang 73
Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt;
alles entartet unter den Händen des Menschen. Der
Mensch zwingt ein Land, die Erzeugnisse eines anderen
hervorzubringen, einen Baum, die Früchte eines anderen -0
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst ver-
schuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen,
sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu be- [e2}(>)
Deutscher Idealismus
Die in der Philosophie entworfenen, nachfolgend dargestellten
Idealismusvorstellungen haben auf die Gesellschaft und die Li-
teratur des 18./19. Jahrhunderts (Sturm und Drang, Klassik, Ro-
mantik) einen großen Einfluss ausgeübt. Büchner kritisierte ve-
hement das idealistisch überhöhte Denken. Sein Interesse und
seine Darstellung galten dem vor dem Hintergrund einer Welt
ohne Gott nichtigen Menschen, der nur im Diesseits auf eine
bessere Welt hoffen darf.
Der Begriff Idealismus setzt sich aus den griechischen -5
Wörtern „idein“ (sehen) und „eidos“ (Bild) zusammen.
Wenn wir den Blick auf die Welt werfen, so „sehen“ wir
ein „Bild“ von der Welt, aber nicht die wirkliche Welt. Die
Welt der Erscheinung bietet ein Trugbild und im Prinzip
bloße „Ab“bilder eines geistigen „Ur“bildes, das sich allein »o
in der Idee manifestiert. Der Gedanke einer Welt, die sich
erst im Ideenhimmel „wirklich“ zeigt, lässt sich bis zu Pla-
ton zurückverfolgen. Danach sprechen die Ideen die
„Wahrheit“, und der Mensch versucht die „eine“ Wahrheit
hinter den mannigfaltigen Erscheinungen zu erschauen. Die
Idee hat Vorrang vor den „bloßen Sachen“, die uns umste-
hen, und ist allein im Geist, aber nicht in der Welt präsent,
die stets Unterschiede setzt.
Der Gedanke des Idealismus wird durch die Jahrhunderte
fortgetragen, um im 18. Jahrhundert in den Satz des Empi- »
risten Berkeley (1684-1753) einzumünden: „esse est per-
cipi‘“; zu deutsch: Alles Sein ist Wahrgenommenwerden.
Der Mensch lebt in einer durch die Sinne gefilterten Erfah-
84 Anhang
| Kopernikus machte mit der Vorstellung ein Ende, dass die Erde
zentral und ruhig steht und die Sonne sich um sie dreht — mit die-
ser Grundidee stand auch der Mensch im Zentrum des Weltgefü-
ges. Er drehte die Betrachtung um: Die Erde rotiert um die Sonne.
So wurde mit der bewegten Erde auch der Mensch an den Rand
der Welt gerückt und seine Bedeutung erstmals infrage gestellt.
86 _Anhang
Materialismus
zur Schau gestellt: Eine Welt des Scheins, die zum vorbildhaften
Sein erhoben wird; sie bietet „schöne“ Kunst, und als solche ist
sie orientiert am Ideal. Das Ziel: des Menschen ästhetische Läu-
terung.
Eine der ersten Erfordernisse des Dichters ist Idealisie- ıo
rung, Veredelung, ohne welche er aufhört, seinen Namen
zu verdienen. !Inm kommt es zu, das Vortreffliche seines
Gegenstandes (mag dieser nun Gestalt, Empfindung oder
Handlung sein, in ihm oder außer ihm wohnen) von grö-
bern, wenigstens fremdartigen Beimischungen zu befreien, „u
(Aus: Friedrich Schiller: Über Bürgers Gedichte. In: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 5, hrsg.
von Gerhard Fricke/Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch. Mün-
chen: Carl Hanser, ?1962, S. 979)
(Aus: Herbert A. und Elisabeth Frenzel: 1798-1835 Romantik. In: Dies.: Daten deut-
scher Dichtung. Von den Anfängen bis zum jungen Deutschland, Bd. I. München: dtv
301997, S. 297-300)
| evozieren: bewirken
O6 _Anhang
beschrän-
ken, hat Raum- sowie Zeitverhältnisse a die einen
straffen Handlungsablauf ermöglichen, und wird auf Dis-
kursformen zurückgreifen wollen, welche die Kohärenz?
und Sinnhaftigkeit der Darstellung zu fördern vermögen.
Nicht zuletzt-muß die Nachbildung alles vermeiden, was
den Leser (oder Zuschauer) unglaublich anmuten und somit
befremden könnte. Aristoteles geht so weit, dem an sich
Unmöglichen, aber dennoch Glaubhaften den Vorzug vor
ıs dem Unwahrscheinlichen, wenngleich Möglichen zu geben.
k-eine Eigenart zuer-
6. Dramentheoretische Aspekte
I wechselnd, abwechselnd
2 unterschiedlich, ungleich
Pan 104 _Anhang
! wechselnd, abwechselnd
er 106 _Anhang
7. „Woyzeck“ heute:
Auf der Bühne und in der Kritik
Büchner ist heute auf den Bühnen der Welt einer der meistge-
spielten Autoren, was fraglos Kennzeichen dessen ist, dass sein
Werk — obwohl nunmehr gemessen an seinem Alter — nicht in
die Jahre gekommen ist und nach wie vor facettenreich die Ge-
5 genwart zu beschreiben versteht. „Büchners Modernität hat
Tradition“, schreibt der Büchner-Biograf Hauschild. Büchner
spricht die anscheinend zeitlosen Probleme der Gesellschaft an,
die in ihrer äußeren Ausgestaltung sich ändern mögen, in ihrem
Kern aber nicht. Die folgenden Texte machen dies deutlich und
10 zeigen weiter, wie das Stück für Inszenierungsideen sich offen
und so insgesamt nicht angestaubt, sondern ausdrucksvoll le-
bendig zeigt.
Nicht nur auf der Theaterbühne ist Büchners Drama großer Er-
folg beschieden. Als Oper hat es in der Musik Maßstäbe gesetzt
und gilt als kongeniale Umsetzung des Dramas in ein anderes
Medium.
| Blutvergiftung
= ,174 Anhang
| Beispiel: Die Textzeile „Horch, was kommt von draußen rein“ ist musika-
lisch fast gänzlich aus Ganztönen gebildet. Der Schritt von: „kommt“
zu „von“ bildet mit einem Halbtonschritt allerdings eine Ausnahme.
2171 & Anhang
hektisch gesteigert.
Die weiteren Volksliedeinlagen in der Oper dokumentie-
ren die Sprachlosigkeit des Volkes, zeigen, dass Problemen
mit schablonenhaften, unflexiblen Antworten begegnet
wird. Eu
In Ergänzung und zum Abschluss: Zu den Ausdrucksmög-
lichkeiten des einfachen Volkes gesellt sich neben das
Volkslied auch das Märchen, das gleichsam tonal ausgestal-
tet ist und dem Volk Lehrwerk ist. Zum Sprachreservoir
des Volkes gehören des Weiteren die Worte der Bibel, die «
20 Anhang
9. Literatur
Primärliteratur
Alban Berg: Georg Büchners Wozzeck. Oper in drei Akten (15
Szenen). Klavierauszug mit Gesang. UE 7382
Alban Berg: Wozzeck. Texte, Materialien, Kommentare. Mit
einem Essay von Ulrich Dibelius. Zusammengestellt von
Attila Csampai und Dietmar Holland. Reinbek bei Ham-
burg 1985.
Alban Berg: Der ‚Wozzeck‘-Vortrag von 1929. In: Csampai,
Attila/Holland, Dietmar (Hg.): Alban Berg. Wozzeck. Tex-
te, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg
1985.
Alban Berg: Die Stimme in der Oper (1929). In: Csampai, At-
tila/Holland, Dietmar (Hg.): Alban Berg. Wozzeck. Tex-
te, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg
1985
Georg Büchner: Werke und Briefe. München 71986.
Georg Büchner, Ludwig Weidig: Der hessische Landbote. Tex-
te, Briefe, Prozeßakten. Kommentiert von Hans Magnus
Enzensberger. Frankfurt am Main 1974.
Sekundärliteratur
Adorno, Theodor W/Horkheimer, Max: Dialektik der Auf-
klärung. FrankfurYM. 1985.
Adorno, Theodor W.: Eine Oper des realen ‚Humanismus‘. In:
Csampai, Attila/Holland, Dietmar (Hg.): Alban Berg:
Wozzeck. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei
Hamburg 1983.
Adorno, Theodor W.: Zur Charakteristik des Wozzeck. In:
Csampai, Attila/Holland, Dietmar (Hg.): Alban Berg:
Wozzeck. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei
Hamburg 1983.
Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Georg Büchner JYII. Text+Kritik
(Sonderband). München 21995.
Arnold, Heinz Ludwig/Sinemus, Volker (Hg.): Grundzüge der
Literatur- und Sprachwissenschaft. München 101992.
Böhme, Gernot: Ludwig Büchner. In: Georg Büchner Ausstel-
lungsgesellschaft (Hg.): Georg Büchner: 1813-1837, Re-
volutionär, Dichter, Wissenschaftler [Katalog der Ausstel-
lung Mathildenhöhe, Darmstadt, 2.08.-27.09.87].
12 7 Literatur
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